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    Plenarprotokoll 17/175 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 175. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 21 b und d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung der Parlamentspräsidentin Litau- ens, Frau Irena Degutienė . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pfle- geversicherung (Pflege-Neuausrichtungs- Gesetz – PNG) (Drucksache 17/9369) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kathrin Senger- Schäfer, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pflege tatsächlich neu aus- richten – Ein Leben in Würde ermögli- chen (Drucksache 17/9393) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Hilde Mattheis, Dr. Karl Lauterbach, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein- führen – Chancen zu nötigen Verände- rungen nutzen (Drucksachen 17/2480, 17/7082) . . . . . . . Daniel Bahr, Bundesminister BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hartz-IV-Sonderregelung für unter 25-Jährige abschaffen (Drucksache 17/9070) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Leistungseinschränkungen im 20603 A 20603 B 20604 B 20604 B 20604 D 20604 D 20605 A 20605 A 20605 B 20607 B 20609 A 20609 C 20611 A 20612 C 20614 B 20615 C 20617 A 20620 A 20620 D 20621 D 20623 B 20624 D 20626 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ab- schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte der Arbeitsuchenden stär- ken – Sanktionen aussetzen (Drucksachen 17/5174, 17/3207, 17/6391) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Drucksache 17/9370) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur finanziellen Beteiligung am Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus (ESM- Finanzierungsgesetz – ESMFinG) (Drucksache 17/9371) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bundesschulden- wesengesetzes (Drucksache 17/9372) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanis- mus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Drucksache 17/9373) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vorschlag der EU-Kommission zum Klimaschutz im Kraftstoffbereich un- terstützen (Drucksache 17/9404) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Drucksache 17/9406) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: b) Antrag der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Dr. Birgit Reinemund und der Fraktion der FDP: Rechtssicherheit beim Zugang zu einem Basiskonto schaffen (Drucksache 17/9398) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Cornelia Behm, Ute Koczy, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung für die entwicklungspolitische Dimen- sion der EU-Fischereipolitik überneh- men (Drucksache 17/9399) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Ar- beitszeit von selbständigen Kraftfah- rern (Drucksachen 17/8988; 17/9258) . . . . . . . 20626 D 20627 A 20628 C 20629 A 20630 A 20631 C 20631 D 20632 B 20633 A 20633 D 20635 D 20637 B 20638 B 20639 C 20640 D 20641 B 20643 C 20644 D 20645 B 20647 A, B 20656 D, 20659 A 20647 C 20647 D 20647 D 20648 A 20648 A 20648 A 20648 B 20648 C 20648 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 III b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Euro- just-Gesetzes (Drucksachen 17/8728; 17/9434) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bun- destages hier: Stärkung der Rechte kommuna- ler Spitzenverbände im Gesetzgebungs- verfahren (Änderung § 69 Absatz 5, § 70 GO-BT) (Drucksache 17/9387) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Anpassung der Marktprämie – Mitnahmeeffekte streichen (Drucksache 17/9409) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Auswirkungen des deutsch- schweizerischen Steuerabkommens auf die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Norbert Walter-Borjans, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun- deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 (Nachtragshaushaltsgesetz 2012) (Drucksache 17/9040) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Fraktion der SPD: Neurege- lung der elterlichen Sorge bei nicht ver- heirateten Eltern (Drucksache 17/8601) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Dr. Diether Dehm, Heidrun Dittrich, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete El- tern (Drucksache 17/9402) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Opera- tion Atalanta zur Bekämpfung der Pirate- rie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Verein- ten Nationen (VN) von 1982 und der Reso- lutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 20649 A 20649 B 20649 C 20649 C 20649 C 20651 A 20652 C 20653 C 20655 B 20661 B 20663 A 20666 B 20667 D 20668 D 20670 A 20671 C 20673 A 20674 C 20676 A 20676 B 20678 B 20680 A 20681 B 20681 D 20682 C 20683 C 20685 A 20686 A 20687 D 20689 C 20690 C 20692 A 20692 A 20692 B 20693 C 20695 B 20696 C 20698 A 20699 B 20700 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. De- zember 2008, 1897 (2009) vom 30. Novem- ber 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011 und nachfolgender Resolutionen des Si- cherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/ 437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Drucksache 17/9339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Schünemann, Minister (Niedersachsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Hochschulen auf das Studierendenhochplateau vorberei- ten – Allen Studienberechtigten die Chance auf einen Studienplatz geben (Drucksache 17/9173) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bologna-Prozess – Umsteuern für ein besseres Studium und offene Hochschulen (Drucksache 17/9197) . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Dr. Birgit Reinemund, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine Sicherung der betrieblichen Al- tersversorgung in Deutschland im Zusam- menhang mit der Überprüfung des EU- Rahmens für die Vorsorgesysteme in den Mitgliedstaaten (Drucksache 17/9394) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konversion gestalten – Kommunen stärken (Drucksache 17/9060) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konver- sion – Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten (Drucksache 17/9405) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Remmers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20702 A 20702 B 20703 C 20704 A 20705 A 20706 C 20707 B 20708 A 20709 B 20710 B 20711 B 20711 C 20712 D 20714 A 20714 A 20714 B 20715 C 20717 A 20718 C 20719 C 20720 D 20722 A 20723 B 20724 A 20724 A 20725 B 20726 A 20726 D 20727 C 20728 B 20729 C 20730 B 20730 C 20730 D 20731 D 20732 D 20734 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 V Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Volker Kauder, Ute Granold, Erika Steinbach, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Serkan Tören, Pascal Kober, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Fortbe- stand des Klosters Mor Gabriel sicherstel- len (Drucksache 17/9185) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Große Anfrage der Abgeordneten Uta Zapf, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutsche nukleare Abrüstungspolitik wei- terentwickeln – Deutschlands Rolle in der Nichtverbreitung stärken und weiterentwi- ckeln (Drucksachen 17/7226, 17/8843) . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Begleitung der Reform der Bun- deswehr (Bundeswehrreform-Begleitgesetz – BwRefBeglG) (Drucksache 17/9340) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Feste Fehmarnbeltquerung auf den Prüfstand – Ausstieg aus dem Staats- vertrag mit dem Königreich Dänemark verhandeln (Drucksache 17/8912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Chancen und Risiken ergebnisoffen bewerten – Verhand- lungen mit dem Königreich Dänemark über den Ausstieg aus dem Staatsvertrag über den Bau einer festen Fehmarnbelt- querung aufnehmen (Drucksache 17/9407) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksache 17/9341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20734 D 20735 D 20737 B 20738 A 20738 C 20738 D 20740 A 20741 C 20742 C 20743 B 20744 D 20745 C 20745 D 20747 A 20748 B 20749 A 20750 A 20751 A 20752 B 20752 C 20753 C 20754 C 20755 D 20756 C 20757 C 20758 C 20758 C 20758 D 20760 A 20761 B 20763 A 20764 A 20765 B 20766 B 20767 A 20768 A 20769 D VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Tabea Rößner, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Presse- freiheit europaweit umsetzen – Medien als wichtigen Grundpfeiler der Demokratie stärken (Drucksachen 17/6126, 17/8203) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen (Drucksache 17/9391) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93) (Drucksache 17/9392) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Ge- setzes zur Änderung des Versicherungs- aufsichtsgesetzes (Drucksache 17/9342) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Kampf gegen wissenschaftliches Fehlverhalten aufnehmen – Verantwortung des Bun- des für den Ruf des Forschungsstandor- tes Deutschland wahrnehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissen- schaftliche Redlichkeit und die Quali- tätssicherung bei Promotionen stärken (Drucksachen 17/5758, 17/5195, 17/9388) . . Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bildung für nachhaltige Entwicklung dauerhaft sichern – Folgeaktivitäten zur UN-Dekade „Bildung für nachhal- tige Entwicklung“ ermöglichen (Drucksache 17/9186) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bildung für nachhaltige Ent- wicklung ermöglichen – Gleiche Bil- dungsteilhabe sichern (Drucksache 17/9395) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Klaus Barthel, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Frühzeitige Veröffent- lichung der Rüstungsexportberichte si- cherstellen – Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen (Drucksache 17/9188) . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüs- tungsgüter im Jahr 2010 (Rüstungsexportbericht 2010) (Drucksache 17/8122) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Nationalen Waffenregisters (Nationales-Waffenregis- ter-Gesetz – NWRG) (Drucksachen 17/8987; 17/9217) . . . . . . . . . . Günter Lach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: a) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Dietmar Bartsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht auf Leistungen 20769 D 20770 A 20770 B 20770 C 20770 C 20771 A 20771 A 20771 B 20771 C 20771 D 20772 A 20773 C 20774 C 20775 A 20775 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 VII nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen (Drucksache 17/7646) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Katrin Kunert, Diana Golze, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Anrechnung von Aufwandsent- schädigungen für bürgerschaftliches Engagement auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialge- setzbuch (Drucksache 17/7653) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) (Drucksache 17/7746) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Flughafenasylver- fahren abschaffen (Drucksache 17/9174) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Tankred Schipanski, Dr. Stefan Kaufmann, Albert Rupprecht (Weiden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Patrick Meinhardt, Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Exzellente Perspektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln (Drucksache 17/9396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Um- setzung von Basel III: Finanzmärkte stabilisieren – Realwirtschaft stärken – Kommunalfinanzierung sichern – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Be- sonderheiten der nationalen Finanz- märkte bei Umsetzung von Basel III be- rücksichtigen (Drucksachen 17/9167, 17/6294, 17/9439) . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren (Drucksache 17/9403) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20776 D 20777 A 20777 A 20777 C 20778 A 20779 B 20779 D 20780 D 20781 C 20781 D 20782 D 20784 A 20784 D 20786 A 20786 C 20786 D 20787 D 20788 D 20789 C 20790 B 20792 A 20792 A 20793 C 20795 A 20796 A 20797 C 20798 D 20799 D 20800 A 20802 A 20803 A 20804 A 20804 C 20805 C 20806 C 20806 C 20808 C 20809 C VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Ulrich Maurer, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Freilassung der „Miami Five“ (Drucksachen 17/7416, 17/8395 (neu)) . . . . . Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Hermann E. Ott, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Klimaziel anhe- ben – 30 Prozent Emissionsminderung bis 2020 (Drucksache 17/9175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Sabine Stüber, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neue Flusspolitik – Ein „Nationales Rah- menkonzept für naturnahe Flusslandschaf- ten“ (Drucksache 17/9192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Trans- parenz im Rohstoffsektor – EU-Vorschläge umfassend umsetzen (Drucksachen 17/8354, 17/8914) . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Sabine Stüber, Ralph Lenkert, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umfassendes Elbekonzept erstel- len (Drucksache 17/9160) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Katja Dörner, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, Sylvia Kotting- Uhl, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus und Dorothea Steiner (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Leis- tungseinschränkungen im Zwölften Buch 20810 D 20811 C 20812 C 20812 D 20813 C 20814 A 20815 B 20816 A 20816 C 20817 C 20817 C 20818 B 20819 C 20820 A 20821 A 20821 C 20821 D 20823 B 20824 A 20825 B 20825 D 20826 C 20826 D 20828 A 20829 B 20830 A 20831 A 20832 A 20832 A 20834 D 20835 C 20836 B 20837 A 20837 D 20839 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 IX Sozialgesetzbuch abschaffen (Tagesordnungs- punkt 4 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 15) Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Pressefreiheit europaweit umset- zen – Medien als wichtigen Grundpfeiler der Demokratie stärken (Tagesordnungspunkt 16) Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Än- derung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Bildung für nachhaltige Entwicklung dauerhaft sichern – Folgeaktivitäten zur UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Ent- wicklung“ ermöglichen – Bildung für nachhaltige Entwicklung er- möglichen – Gleiche Bildungsteilhabe si- chern (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Kampf gegen wissenschaftliches Fehlver- halten aufnehmen – Verantwortung des Bundes für den Ruf des Forschungsstand- ortes Deutschland wahrnehmen – Wissenschaftliche Redlichkeit und die Qualitätssicherung bei Promotionen stär- ken (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen – Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über ihre Exportpolitik für konven- tionelle Rüstungsgüter im Jahr 2010 (Rüs- tungsexportbericht 2010) (Tagesordnungspunkt 21 a und c) 20839 C 20840 B 20841 D 20842 D 20843 C 20844 A 20845 B 20846 C 20847 C 20848 B 20849 A 20850 A 20851 C 20852 B 20853 A 20854 B 20855 C 20856 C 20857 C 20858 C 20859 B 20860 A 20860 D 20861 C 20862 D 20863 D 20864 D 20866 A 20867 A 20868 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschut- zes in Wahlsachen – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93) (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20869 A 20869 D 20871 A 20871 C 20872 B 20873 B 20875 B 20875 C 20876 C 20877 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20603 (A) (C) (D)(B) 175. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20839 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, Katja Dörner, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, Sylvia Kotting-Uhl, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus und Dorothea Steiner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Leistungseinschränkungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch abschaffen (Tagesordnungspunkt 4 b) Gegenwärtig setzt die Arbeitsmarktpolitik vor allem auf Sanktionen, nicht auf Angebote, um „Gegenleistun- gen“ der Transferempfänger und -empfängerinnen zu er- reichen. Das ist falsch. Der Grundbedarf, der für eine Teilhabe an der Gesellschaft notwendig ist, muss jeder- zeit gewährleistet sein und darf nicht durch Sanktionen angetastet werden. Die Frage nach der Gegenleistung wird nicht durch Zwang, sondern vor allem durch faire Spielregeln und positive Anreize beantwortet. Die Erwartung einer „Gegenleistung“ darf nicht zum Ausgangspunkt werden für bürokratische Zumutungen, bei denen am Ende die Würde der Betroffenen auf der Strecke bleibt. Stattdessen müssen zwingend die Fähig- keiten, Vorstellungen und Wünsche der Hilfebedürftigen berücksichtigt werden. Es muss ein Wunsch- und Wahl- recht geben, das Recht jeder und jedes Einzelnen, selbst vorzuschlagen, wie sie am besten zum Nutzen der Ge- sellschaft beitragen können und wollen. Eigeninitiative soll gefördert werden, wobei Engagement bei der Jobsu- che, Existenzgründung, Aus- und Weiterbildung, Fami- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 26.04.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 26.04.2012 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2012* Becker, Dirk SPD 26.04.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2012 Brandner, Klaus SPD 26.04.2012 Dr. Braun, Helge CDU/CSU 26.04.2012 Brinkmann (Hildes- heim), Bernhard SPD 26.04.2012 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 26.04.2012* Friedhoff, Paul K. FDP 26.04.2012 Grindel, Reinhard CDU/CSU 26.04.2012 Groschek, Michael SPD 26.04.2012 Jelpke, Ulla DIE LINKE 26.04.2012 Kolbe, Manfred CDU/CSU 26.04.2012 Korte, Jan DIE LINKE 26.04.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 26.04.2012 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2012 Dr. Neumann (Lausitz), Martin FDP 26.04.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 26.04.2012 Pflug, Johannes SPD 26.04.2012 Röspel, René SPD 26.04.2012 Rupprecht (Tuchen- bach), Marlene SPD 26.04.2012* Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 26.04.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 26.04.2012 Schneider, Ulrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2012 Süßmair, Alexander DIE LINKE 26.04.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 26.04.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 26.04.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 26.04.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 20840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) lienarbeit, Pflege und Ehrenamt berücksichtigt werden sollen. Eine angemessene, auch monetäre Anerkennung und Würdigung von Ehrenamt, bürgerschaftlichem En- gagement bzw. gemeinwohlorientierter Arbeit darf nicht einhergehen mit Kürzungen der Sozialleistungen. Wir sind deshalb für die Abschaffung der Sanktionen im SGB II und treten zudem für Reformen der sozialen Sicherung in Richtung eines bedingungslosen Grundein- kommens ein. Einfach nur die Sanktionen bei Hartz IV abzuschaf- fen, wie das die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag for- dert, ist zu einfach und geht uns nicht weit genug. Des- halb und weil wir einen eigenen besseren Antrag gestellt haben, enthalten wir uns bei dem Antrag der Linken. In unserem Antrag – Bundestagsdrucksache 17/3207 – fordern wir, dass es bei der Grundsicherung keine Kür- zungen unter den Bedarf, der für eine Teilhabe an der Ge- sellschaft notwendig ist, geben darf, konkrete Maßnah- men zur Verbesserung der Rechte von Arbeitslosen und die Aussetzung aller Sanktionen – Sanktionsmorato- rium –, bis die Rechte der Arbeitsuchenden gestärkt wor- den sind. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 15) Michael Hennrich (CDU/CSU): Wir haben uns heute zur ersten Lesung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften versammelt. Es ist ein Gesetz, das nach dem AMNOG das zweite große gesetzgeberische Vorha- ben auf dem Arzneimittelsektor ist. Alles in allem lässt sich feststellen, dass es im Arzneimittelbereich gut und ruhig verläuft. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren sind bisher auch keine Entschließungsanträge der Oppo- sition eingegangen. Ich verstehe das so, dass Sie, werte Damen und Herren von der SPD, den Grünen und der Linken, mit unserer Arzneimittelpolitik durchaus zufrie- den sind. Anders, ich erinnere mich lebhaft, war das noch beim AMNOG vor gut eineinhalb Jahren. Bei der Verabschie- dung des AMNOG waren Sie noch nicht ganz so weit, und Sie haben damals bei der namentlich Abstimmung – die übrigens bezeichnenderweise am 11.11. stattfand – geschlossen mit Nein gestimmt. Heute haben sich die Zeichen gewendet, wie ich erst neulich auf einer Veran- staltung des BPI feststellen konnte. Frau Bender von den Grünen ist im Hinblick auf das AMNOG so etwas wie der Lordsiegelbewahrer, der bereit ist, in die Bresche zu springen, wenn es Überlegungen gibt das Gesetz zu ver- ändern. Aber in der Tat wir können mit der Arzneimittelpoli- tik der Koalition zufrieden sein. Die mit dem GKV- Finanzierungsgesetz verabschiedete Erhöhung des Her- stellerabschlags zeigt Wirkung. In der Folge konnten die Arzneimittelausgaben – übrigens als einziger Teilbereich des öffentlichen Gesundheitssystems – deutlich reduziert werden. Auch mit dem AMNOG haben wir Maßnahmen auf den Weg gebracht, die zu einer Stabilisierung der Arzneimittelausgaben führen. Einen wesentlichen Bei- trag hierzu leisten zweifelsohne der Apothekenabschlag und die Großhandelsvergütung. Die frühe Nutzenbewer- tung stellt in Bezug auf die Effektivität der Arzneimittel- versorgung einen wahren Quantensprung dar, und zwar ohne dass den Menschen in Deutschland der Zugang zu Innovationen verkürzt wurde. Heute wird das AMNOG im Ausland selbst von denje- nigen gepriesen, die es vor eineinhalb Jahren noch vehe- ment bekämpft haben. Auch den Vertretern des GKV-Spit- zenverbands, die das Gesetz ursprünglich als „Pharma- beglückungsgesetz“ bezeichneten, konnte – wenn auch mühsam – die Wirkungsweise der Vorgaben verständlich gemacht werden. Selbst die Industrie hat das neue Sys- tem zwischenzeitlich anerkannt, sodass wir uns in erster Linie auf die Umsetzung der AMG-Novelle konzentrie- ren können. Mit dem Gesetz sollen zwei Richtlinien der Europäi- schen Union umgesetzt werden, zum einen die Richtlinie zur Pharmakovigilanz, zum anderen die Richtlinie zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen. Beide Richtlinien verbindet das Ziel, den Schutz der Patienten und Versi- cherten im Bereich der Arzneimittelversorgung verbes- sern zu wollen. Vor diesem Hintergrund greifen Sie in viele Bereiche des Arzneimittelgesetzes ein. Wir haben dadurch die Chance, einige Vorschriften ganz grundsätz- lich zu überdenken und auf den Prüfstand zu stellen. Einen großen Teil der Neuerungen halte ich für durchaus begrüßenswert. So werden etwa die Risiko- managementsysteme der Zulassungsinhaber optimiert. Und auch die Zusammenarbeit der Gesundheitsbehörden wird verbessert, indem die europäische Vernetzung end- lich forciert wird. Dem Schutz der Versicherten dient, dass etwa der Begriff der Nebenwirkung erweitert wird. § 4 Nr. 13 AMG erfasst dann auch Überdosierungen, Medikationsfehler und Missbrauch. Zugute kommt ihm auch, dass die Meldewege bei Verdachtsfällen verkürzt werden. Hier werden bereits in den Patienteninformatio- nen Hinweise zu finden sein, wohin man sich bei Ver- dachtsfällen wenden soll. Für die Fachinformation wird eine gleichlautende Regel erlassen werden. Gleichzeitig werden die Informationsmöglichkeiten der Verbraucher verbessert. Ein nationales Internetportal wird aufgebaut und mit europäischen Datenbanken vernetzt werden, um Transparenz für den Versicherten zu schaffen und ihm eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Begrüßenswert halte ich auch den Schritt, zum Schutz der legalen Vertriebswege die Anforderungen an Her- steller und Vertreiber zu konkretisieren und auf diese Weise transparenter zu gestalten. Besonders fälschungs- gefährdete Arzneimittel etwa erhalten in diesem Rahmen zusätzliche Sicherheitsmerkmale zur Identifizierung ein- zelner Arzneimittelpackungen. Die Richtlinien bringen überdies Veränderungen im Bereich Betäubungsmittel- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20841 (A) (C) (D)(B) recht sowie die Anpassung des Heilmittelwerbegesetzes an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Ich möchte nicht verschweigen, dass diese Neurege- lungen teilweise zu erheblichen finanziellen Belastungen für die Industrie führen. Allerdings halte ich – unabhän- gig davon, dass uns sowieso nur ein geringfügiger Um- setzungsspielraum verbleibt – die Vorgaben mit Blick auf Schutz und Sicherheit der Patientinnen und Patienten für notwendig. Natürlich werden wir uns im Zuge der AMG-Novelle noch einmal mit dem AMNOG beschäftigen. Allerdings muss nicht immer der Gesetzgeber Probleme lösen, manchmal obliegt diese Aufgabe allein der Selbstver- waltung. Teilkomplexe hat die Selbstverwaltung bereits guten Lösungen zugeführt; ich denke an dieser Stelle zum Beispiel an die Orphan Drugs. Trotzdem müssen die Beteiligten zukünftig weiter miteinander arbeiten und sich auf praxisgerechte Lösungen einigen. Aufmerksam beobachten wir in diesem Zusammen- hang etwa das Thema Vergleichstherapie. Hier muss bei der Auswahl der Vergleichstherapie die Frage im Mittel- punkt stehen, ob ein tatsächlicher Zusatznutzen für das neue Arzneimittel im Vergleich zum bisherigen Thera- piestandard besteht. Erst bei den Preisverhandlungen steht dann die Kostenfrage im Mittelpunkt. Es ist zudem sicherzustellen, dass keine Studien mit einer Vergleichs- therapie verlangt werden dürfen, die aus ethischen Grün- den nicht genehmigt würden. Beim Thema Beratungsgespräche hat sich vieles posi- tiv gewendet. Aber in Bezug auf die Verbindlichkeit des Beratungsgesprächs beim GBA findet sich durchaus noch etwas Sand im Getriebe. Möglich wäre es etwa, dass die Vergleichstherapien vor Studien der Phase III gemeinsam verbindlich vereinbart werden. Hier wäre dann zum Beispiel die Frage zu klären, welche Ver- gleichstherapie für ein Solitärmedikament zu wählen ist. Der vom GBA durchgeführte Workshop am 22. März zeigt aber, dass man hier auf einem guten Weg ist. Die Preisfindung ist sicherlich ein Komplex, bei dem wir erst einmal abwarten sollen, wie verhandelt wird. Entspannt sehe ich übrigens der Forderung der Indus- trie nach der Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags ent- gegen. Hier sollten wir uns überlegen, ob uns das nicht sogar entgegenkommt, weil in vertraulichen Verhand- lungen mehr Spielraum für eine Rabattgewährung ver- bleibt. Überprüft werden muss aber die Möglichkeit zur Ausschreibung von Zytostatika; denn es droht zu einem Oligopol in der Versorgung der Krebspatienten zu kom- men. Zudem drohen Qualitätseinbußen und Probleme in der Flächendeckung, wenn die Krankenkassen mit ein- zelnen Apothekern Selektivverträge über die Zytostati- kaversorgung abschließen. Dabei will ich die Wirkweise der Rabattverträge nicht infrage stellen. Sie tragen maß- geblich zu Einspareffekten bei Arzneimittelversorgung bei. Allerdings ist auch Teil unserer Aufgabe, die Versor- gungssicherheit zu gewährleisten; Lieferengpässe müs- sen vermieden werden. Gleiches gilt übrigens für die Oligopolbildung. Was passiert mit den sogenannten Portfolioverträgen? Seit dem Jahr 2009 wird hier vergeblich nach einer ein- vernehmlichen Lösung gesucht. Dabei behindern die Er- weiterungs- und Aufnahmeklauseln unstreitig den Wett- bewerb. Ohne gesetzgeberische Maßgaben scheint sich hier aber nichts zu tun. Dieses Fazit gilt leider auch für den Umgang mit der personalisierten Medizin. Die be- sondere Diagnostik, die hier notwendig wird, wird letzt- lich wegen einer fehlenden Abrechnungsziffer im EBM nicht ausreichend erbracht. Das kann und darf nicht sein. Abschließend möchte ich noch auf die Rahmenbedin- gungen für Apotheker eingehen. Am Pick-up-Verbot halten wir fest. Nachdem auch die Bundesregierung ein Verbot des Versandhandels anstrebt, liegt es in den Hän- den des Bundesrates, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nach Auslaufen der Sparmaßnahmen Ende dieses Jahres ist der Apothekenabschlag erneut zu ver- einbaren. Um hier eine faire Verhandlungsbasis zu schaffen, soll der für 2009 und 2010 geltende Abschlag als Grundlage dienen. Wie ich eingangs ankündigte, nutzen wir die AMG- Novelle auch, um die bestehende Regelung kritisch zu hinterfragen. Unsere Pläne in diese Richtung habe ich Ihnen gerade vorgelegt. Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, an alle Beteiligten zu appellieren: Lassen Sie uns konstruktiv miteinander tätig werden und nicht in allgemeines Wehgeschrei ausbrechen, wie es beim AMNOG der Fall war. Diese Worte richte ich auch noch einmal explizit an die Industrie, die immer wieder ge- droht hat, bestimmte Produkte nicht auf den deutschen Markt zu bringen. Damit schneidet man sich ins eigene Fleisch. Ich gebe zu bedenken, dass unsere europäischen Nachbarländer über keine rosige Finanzlage verfügen. Das gilt auch für Frankreich, wo Sarkozy gerade ange- kündigt hat, 4,5 Milliarden Euro Einsparungen allein bei der Arzneimittelversorgung erzielen zu wollen. Spanien geht in eine ähnliche Richtung, und Griechenland will ich hier gar nicht erwähnen. Zu denken, dies wäre ein europäisches Problem, ist naiv. lndien ist ja nicht einmal mehr bereit, Patente und Eigentumsrechte anzuerkennen. Insofern wünsche ich keine weitere Drohungen, sondern den konstruktiven Dialog aller Beteiligten, auf den ich mich freue. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Mit der aktuellen AMG-Novelle wollte die Bundesregierung eigentlich nur eine recht fade Suppe zusammenköcheln. Es ging ur- sprünglich nur darum, europäisches Recht umzusetzen, namentlich die Pharmakovigilanz- und die Fälschungs- richtlinie. Nun ist die Novelle ein Artikelgesetz und lädt damit geradezu zum Missbrauch als Omnibus ein. Zu- dem ist sie zustimmungspflichtig, seit der Föderalismus- reform gerade für Gesundheitsgesetze eine Seltenheit. Also entscheiden die Länder hier mit. So standen plötz- lich viele selbsternannte Köche aus unserem Gesund- heitssystem Schlange, um die Suppe kräftig nachzuwür- zen. 20842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Die EU-Vorgaben sollen die Arzneimittelsicherheit erhöhen, was natürlich ein lobenswertes Ziel ist. Um das zu erreichen, werden die Meldepflichten für Verdachts- fälle von Arzneimittelrisiken verschärft und die Melde- fristen für vermutete Nebenwirkungen verkürzt. Die De- finition von Nebenwirkungen wird erweitert und umfasst auch unerwünschte Wirkungen, die bei Medikationsfeh- lern sowie bei nicht-bestimmungsgemäßem Gebrauch auftreten können. Die Möglichkeiten für Patientinnen und Patienten, sich zu informieren, werden etwas ver- bessert. Zukünftig kann beispielsweise der Beipackzettel von Arzneimitteln im Internet eingesehen werden. Das ändert allerdings nichts an der oft unverständlichen Sprache, in der diese Patienteninformationen verfasst sind. Für besonders fälschungsgefährdete Arzneimittel sind Sicherheitsmerkmale wie einzigartige Strichcodes, Siegel, Hologramme vorgesehen – allerdings erst ab dem Jahr 2017. Hinzu kommen noch weitere technische Regelungen. Auch die Anforderungen an Hersteller, Importeure und Vertreiber von Wirkstoffen, die Transparenz der Handelswege zu erhöhen, sind sicherlich sinnvoll. Aller- dings wird der größte Teil der gefälschten Arzneimittel nicht über die reguläre Lieferkette vertrieben. Der Bun- desrat fordert ein Verbot des Versandhandels für ver- schreibungspflichtige Medikamente. Hintergrund ist, dass er sich davon einen gangbaren Weg für ein Verbot der Pick-up-Stellen verspricht. Die Bundesregierung lehnt diese Forderung aus verfassungsrechtlichen Grün- den ab. Allerdings hat sie bisher keinen anderen Vor- schlag gemacht, wie Pick-up-Stellen untersagt werden können. Die Forderung nach Abschaffung steht aber im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP. Es ist an der Zeit für Sie, hier endlich einmal aktiv zu werden und eine verfassungskonforme Regelung vorzuschlagen. Ein bisschen Würze hat die Bundesregierung dann doch noch hereingebracht, indem sie die pharmazeuti- schen Vertreter aus dem Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht verbannt hat. Auch die Erlaubnis für die Landesbehörden, bei erheblichem Versorgungs- mangel eine Bereitstellung der Arzneimittel zu erzwin- gen, schmeckte nicht jedem. Auch das Heilmittelwerberecht will die Koalition durch die vorliegende Novelle an die EU-Vorgaben an- passen. Hier hatten Sie bei der Umsetzung der Richtlinie etwas freiere Hand, und da bemerkt man schon den ers- ten Hautgout: Die Pharmaunternehmen dürfen künftig mit Krankengeschichten und Patientenschicksalen wer- ben. Auch ausgewählte Gutachten und fachliche Veröf- fentlichungen dürfen zu Werbezwecken gebraucht wer- den. Schwer verdaulich ist auch die Lockerung des Werbeverbots für rezeptfreie Schlafmittel und Stim- mungsaufheller. Diese Maßnahmen sind sicher förderlich für den Ab- satz der Hersteller, aber ganz sicher nicht für die Ge- sundheit und die Sicherheit der Patientinnen und Patien- ten. Sie fördern hierdurch die zunehmende Sorglosigkeit im Umgang mit Medikamenten nach dem Motto „Es ist ja rezeptfrei, damit harmlos“. Medikamente sind jedoch keine Konsumgüter wie Kaugummis oder Schnittblu- men, die man mal eben vom Einkauf mitbringt. An die- sem Montag lief ein Bericht über rezeptfreie Medika- mente im Fernsehprogramm des NDR. Hier wurde erstens darauf hingewiesen, dass frei verkäufliche Arz- neimittel oft nicht für Kinder und ältere Menschen ge- eignet sind. Zweitens enthalten viele Medikamente iden- tische Wirkstoffe. Wenn sie gemeinsam eingenommen werden, kann es daher zu einer unfreiwilligen Überdo- sierung und Schäden kommen. Sie sehen, eine unabhän- gige und objektive Information der Patientinnen und Pa- tienten ist notwendig. Das ist zuerst Aufgabe der Apothekerinnen und Apotheker. Sie sind dazu gesetzlich verpflichtet; aber auch die Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest nehmen diese Aufgabe wahr und ver- dienen unsere Unterstützung. Das ist allemal sinnvoller, als die Werbemöglichkeiten der pharmazeutischen Un- ternehmen zu vereinfachen. Aber nicht nur das Gesundheitsministerium, auch die Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU war nicht untätig. Fleißig haben die Kolleginnen und Kollegen alle Forde- rungen der pharmazeutischen Industrie gesammelt und in einem Positionspapier zusammengefasst. Diese Würz- mischung mit neuen Regelungen zu früher Nutzenbe- wertung, Apotheken und Rabattverträgen sorgte in den Medien und bei den Krankenkassen für Ablehnung und Empörung. In der aktuellen Version hat das Papier zwar etwas an Schärfe verloren, wirklich bekömmlich ist es aber noch immer nicht. So stellen Sie die mühsam gefundene Lösung für die Referenzländer bei den Preis- verhandlungen zwischen Krankenkassen und Arzneimit- telherstellern infrage. Sie setzen sich für die Geheimhal- tung der zwischen GKV-Spitzenverband und Herstellern ausgehandelten Arzneimittelpreise ein. Heute wurde schon der erste Schwung von 30 Ände- rungsanträgen in die Welt gesetzt, die auch einige Vor- schläge aus dem Positionspapier von CDU und CSU um- fassen. So ist leider eine schwerverdauliche Suppe entstanden. Auslöffeln müssen sie die Versicherten. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Bei der AMG-No- velle geht es unter anderem um den Schutz vor gefälsch- ten Arzneimitteln. Dabei soll die systematische Überwa- chung der Sicherheit eines Medikaments nach seiner Zulassung verbessert werden, um unerwünschte Wirkun- gen zu entdecken und das Risiko für Patientinnen und Patienten zu vermindern. Aber es geht auch um andere Regelungen im Arzneimittelbereich. In einigen dieser Punkte können wir schnell Überein- stimmung herstellen. Ich möchte mich aber auf diejeni- gen Fragen konzentrieren, in denen der vorliegende Ge- setzentwurf Widerspruch erfordert. Fangen wir mit den Plänen zum Kampf gegen ge- fälschte Medikamente an. Der weltweite Umsatz mit ge- fälschten Arzneimitteln hat den Umsatz aus dem Dro- genhandel längst überholt. Arzneimittelfälschungen sind in einigen europäischen Staaten und insbesondere im In- ternethandel ein erhebliches Problem. Doch in Deutsch- land handelt es sich bei den meisten gemeldeten Fällen nur um falsch deklarierte Reimporte, also um echte Me- dikamente, die sicher und wirksam sind. Reimporte ma- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20843 (A) (C) (D)(B) chen aber nur Sinn, wenn die Arzneimittelpreise in Deutschland weit höher sind als etwa in Griechenland. Das könnten wir ganz einfach abstellen, wenn sich die hiesigen Preise am europäischen Durchschnitt orientie- ren müssten. Doch gegen eine solche Regelung stemmt sich insbesondere die CDU. Die Gefahren aus dem illegalen Internethandel könnte man leicht eindämmen: Verbieten Sie den Versandhandel von Medikamenten; denn zuverlässige und kontrollierte Handelswege sind bislang der beste Schutz vor Arznei- mittelfälschungen. Die Linke fordert das seit Jahren, und nun unterstützt auch der Bundesrat die Initiative, den Versandhandel zumindest für verschreibungspflichtige Medikamente komplett zu verbieten. Für Patientinnen und Patienten sind seriöse und unseriöse Internetanbieter kaum zu unterscheiden. Dieses Einfallstor für Fälschun- gen bekommt man auch nicht mit aufwendigen Siegeln und Packungsnummern in den Griff. Dafür sollen die Unternehmen in den nächsten zehn Jahren je nach Schät- zung zwischen 1 und 9 Milliarden Euro ausgeben. Dass diese Kosten auf die Preise geschlagen und letztlich von den Kranken und den Versicherten bezahlt werden müs- sen, versteht sich von selbst. Zum Thema Arzneimittelpreise. Die Linke hat dem Bundestag ein Konzept für eine nutzenorientierte Preis- bildung bei Arzneimitteln vorgelegt; aber die Mehrheit war ja dagegen und setzt lieber auf die völlig intranspa- renten Rabattverträge. Die Lockerungen im Werbever- bot, die uns mit diesem Gesetzentwurf vorgelegt wird, ist ein Skandal. Statt Beratung und Information bekom- men die Patientinnen und Patienten demnächst Manipu- lation und Emotionen frei Haus geliefert. Man sage jetzt bitte nicht, dass man doch nur eine ent- sprechende EU-Richtlinie umsetze, wozu man schließ- lich vertraglich verpflichtet sei. Schließlich war die Bun- desregierung an den Beratungen über diese Richtlinie beteiligt. Nachdem der Europäische Gerichtshof sie für weitgehend bindend erklärt hat, hat sich die Bundesre- gierung auch nicht bemüht, diese Richtlinie zu ändern. Die Linke will, dass Arzneimittel eben nicht wie Smar- ties beworben, sondern in der Apotheke nach kompeten- ter Beratung an Patientinnen und Patienten abgegeben werden. Besonders gespannt sind wir auch auf eventuelle Än- derungsanträge. Es kann nämlich durchaus noch schlim- mer kommen. Wir wollen einmal schauen, wie standhaft sich hier Herr Bahr und seine FDP zeigen werden. Die Arbeitsgruppe Gesundheit der Union hat hier Vorstellun- gen vorgelegt, die sich lesen wie der Weihnachtswunsch- zettel der Pharmakonzerne. Wenn die Union sich damit in der Bundesregierung durchsetzt, dann werden mit ei- nem Federstrich gleich mehrere Milliarden Euro Versi- chertengelder auf die Konten der Pharmaaktionäre ge- spült. Der Beifall auf den Aktionärsversammlungen von Bayer und Co ist wohl sicher. Die Linke verzichtet gerne auf Beifall aus dieser Ecke. Wir würden mit dem Geld der Versicherten lieber die Praxisgebühr abschaffen. Wenn SPD, Grüne und FDP, wie sie das im Wahlkampf in Schleswig-Holstein und NRW versprechen, an dieser Stelle mitziehen würden, dann könnten wir gemeinsam etwas für die Menschen in diesem Land tun. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ge- fordert wird viel rund um dieses Gesetz, in dem eigent- lich Pharmakovigilanz und Fälschungssicherheit ste- cken. Kollege Spahn und die AG Gesundheit der CDU/ CSU-Fraktion melden sich mit Forderungspapieren zu Wort. Hört der Minister ihnen nicht zu, oder ist er ande- rer Meinung? Befremdlich, wie diese Koalition via Presse kommuniziert. Kaum sind die Regeln zur Preisbildung neuer Arznei- mittel in Kraft, will die Union sie aufweichen und die Regierung prüft, ob Rabatte, die Hersteller hierzulande mit Krankenkassen für neue Arzneimittel aushandeln müssen, der Vertraulichkeit unterliegen. Die Industrie trägt vor, dass das Nichtwissen anderer Länder, wie hoch denn der in Deutschland real existierende Preis sei, allen Beteiligten zum Vorteil gereiche. Nun scheint man in der Pharmaindustrie die europäischen Entscheider für ziem- lich unbedarft zu halten. Hierzulande muss jedenfalls gelten: Verhandlungsergebnisse sollten nicht als Ge- heimsache behandelt und der Kontrolle entzogen wer- den. Wie sonst soll denn die Öffentlichkeit beurteilen, ob die neuen Regeln was bringen, ob die Preisverhandlun- gen zwischen Kassen und Pharmaindustrie tatsächlich zu niedrigeren und stärker am Zusatznutzen eines Arznei- mittels ausgerichteten Preisen führen? Bei der Gesundheitsreform 2003 handelte Rot-Grün mit der Union und der – zum Schluss abgesprungenen – FDP Kompromisse aus. Wir mussten auf die Positivliste verzichten und akzeptierten als Krücke den Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus der Erstattung. Bedingung waren Ausnahmen für schwerwiegende Erkrankungen. Bedingung war außer- dem, dass der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist. In der Folge gab es Streit, zum Beispiel um die Misteltherapie bei Krebserkrankungen. Die vom Ge- meinsamen Bundesausschuss beschlossene Regelung wurde aus gutem Grund vom BMG kritisiert: Die in der Arzneimittelrichtlinie enthaltene Koppelung dieser bei- den Ausnahmen war vom Gesetzgeber nicht gewollt. Sie bedeutete eine deutliche Einschränkung der therapeuti- schen Vielfalt. Daher verweigerte das BMG die Geneh- migung der Richtlinie und ließ bis vor das Bundessozial- gericht nicht locker. Konsequenterweise hätte man nach dem verlorenen Prozess bei diesem Gesetzgebungsver- fahren eine Klarstellung vornehmen müssen, die dem damaligen Willen von Grünen, SPD und CDU/CSU ent- spricht – aber Fehlanzeige. Unsere Kleine Anfrage förderte zutage, dass das BMG nicht mehr zu wissen scheint, was es noch bis vor kurzem vertrat. Gesundheitsminister Bahr lehnt es ab, die Therapievielfalt zu erhalten. Das Ganze ist aber kein exotisches Hobby der Grünen. Sehr viele Krebspatien- tinnen und Krebspatienten bekamen auch bei schul- medizinischer Behandlung eine ergänzende Mistel- therapie. Nun müssen viele Patientinnen und Patienten auf diese häufig verordnete Behandlungsoption verzich- 20844 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) ten oder die Therapiekosten selbst tragen. Wir Grünen erwarten von der Koalition eine gesetzliche Klarstel- lung, damit die therapeutische Vielfalt greift und damit Krebspatientinnen und Krebspatienten wieder eine zu- sätzliche Therapieoption zur Verfügung steht. Die Neverending Story „Verbote für den Versandhan- del“: Wann hat diese Koalition, wann hat dieser Minister endlich den Mut, sich von nicht haltbaren Wahlverspre- chen zu verabschieden? Wann hört das Verstecken hinter den Verfassungsressorts auf, die bisher – ich prophezeie: auch in Zukunft – jeden Vorschlag ablehnten, da ein Missbrauch an die Wand gemalt wird, der in der Realität des legalen Versandhandels aber nicht existiert? Die Apothekerlobby ihrerseits sollte sich, statt diese symbo- lische Monstranz weiter vor sich her zu tragen, endlich mit konkreten Perspektivfragen für die Apothekerschaft beschäftigen. Wo bleiben die Ideen für die Arzneimittel- versorgung der Zukunft, die wirkungsvolle Einbezie- hung der Kompetenzen der Apothekerinnen und Apothe- ker in die Behandlung von Patientinnen und Patienten oder die Lösungen für Versorgungsprobleme vor Ort? Stattdessen höre ich von der ABDA nichts anderes als Forderungen nach mehr Geld, und das ist, wie die Union in diesem Fall völlig richtig sagt, überzogen. Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Gesundheit: Der von der Bundesregierung beschlossene und heute eingebrachte Entwurf für ein Zweites Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften stärkt und strafft die bestehen- den Regelungen zur Arzneimittelsicherheit im Arznei- mittelgesetz. Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzes ist der Schutz vor gefälschten Arzneimitteln. Gefälschte Arzneimittel stellen auch in Europa ein wachsendes Pro- blem dar. Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus Änderun- gen in anderen Gesetzen und Anpassungen der einschlä- gigen Rechtsverordnungen. Nachfolgend möchte ich Ihnen die wichtigsten Ände- rungen des Gesetzentwurfs vorstellen. Ich beginne mit dem Arzneimittelgesetz: Die wichtigsten Änderungen im Arzneimittelgesetz gehen auf zwei europäische Richtlinien zurück: die Richtlinie zur Verbesserung der Pharmakovigilanz und die Richtlinie zur Verhinderung des Eindringens ge- fälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette. Die im Bereich Pharmakovigilanz, das heißt der Arz- neimittelsicherheit, vorgesehenen Regelungen schaffen mehr Transparenz über zugelassene Arzneimittel, bes- sere Überprüfungsmöglichkeiten für Zulassungsbehör- den und eine stärkere Einbeziehung der von Patientinnen und Patienten gemeldeten Nebenwirkungen. Die erhebliche Ausweitung des Nebenwirkungsbe- griffs auch auf Medikationsfehler zielt schließlich auf mehr Sicherheit für Patientinnen und Patienten ab. Typi- sche Fehler zu erkennen und zu beschreiben, ist die beste Gewähr, sie zukünftig zu vermeiden. Mit der Umsetzung der Fälschungsrichtlinie werden die Anforderungen an Hersteller, Importeure und Ver- treiber von Wirkstoffen konkretisiert und transparenter gestaltet. So ist zum Beispiel zukünftig bereits die allei- nige Arzneimittelvermittlung anzuzeigen. Die wichtigste Neuregelung ist die Einführung einer Sicherheitskenn- zeichnung auf der Packung für besonders fälschungsge- fährdete Arzneimittel. Bevor dies in Europa Realität werden kann, müssen jedoch noch die genauen Anforde- rungen auf europäischer Ebene festgelegt werden. Ein weiterer Beitrag zur Stärkung der legalen Ver- triebskette betrifft den Versandhandel. Damit Patientin- nen und Patienten den legalen Versandhandel sicher erkennen können, wird ein Versandapothekenlogo zu- künftig europaweit eingeführt, wie wir es in Deutschland bereits kennen. Weitere Änderungen des Arzneimittelgesetzes betref- fen notwendige Klarstellungen und Änderungen auf- grund der Erfahrungen aus der Praxis und aus dem Voll- zug. Folgende möchte ich hervorheben: Für klinische Prüfungen mit Arzneimitteln werden Änderungen vorgesehen, die insbesondere Belange der nichtkommerziellen Forschung an Hochschulen aufgrei- fen. Dies wird zu Einsparungen bei den eingesetzten Ressourcen und zur Kostensenkung beitragen. Damit auch in Zukunft die flächendeckende Arzneimit- telversorgung für Patientinnen und Patienten gewährleis- tet ist, erhalten die Länder eine effektivere Möglichkeit, den öffentlichen Bereitstellungsauftrag durchzusetzen, der den pharmazeutischen Unternehmern und dem Groß- handel nach dem Arzneimittelgesetz obliegt. Die Länder können künftig Maßnahmen treffen, um erheblichen Stö- rungen bei der Bereitstellung von Arzneimitteln entge- genzuwirken. Dies betrifft die für die Versorgung beson- ders wichtigen Arzneimittel, nämlich solche, die der Behandlung schwerwiegender oder lebensbedrohlicher Erkrankungen dienen. Wir wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbrau- cher auch beim Versandhandel mit Arzneimitteln einen hohen Gesundheitsschutz haben. Daher halten wir es für erforderlich, dass auch der Versandhandel den einheitli- chen Apothekenabgabepreis zu gewährleisten hat. Wir wollen nicht, dass Apotheken Rabatte auf verschrei- bungspflichtige Arzneimittel geben. Das ist erforderlich, damit Arzneimittelmissbrauch vermieden wird und Pa- tienten in der besonderen Situation der Krankheit von ei- nem Preisvergleich verschont bleiben und nicht durch Rabatte oder andere Vorteile beeinflusst werden. Dies muss ebenso für den Einkauf bei ausländischen Ver- sandapotheken gelten. Das vom Bundesrat geforderte Verbot des Versand- handels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln be- gegnet verfassungsrechtlichen Vorbehalten, da es zu ei- nem ungerechtfertigten Eingriff in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit führen würde. Der Vorschlag nebst seiner Begründung zeigt jedoch, dass die Mehrheit der Länder zumindest ein isoliertes Verbot von Pick-up-Stellen zwischenzeitlich ebenfalls für ver- fassungsrechtlich bedenklich hält. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20845 (A) (C) (D)(B) Fragen der Arzneimittelsicherheit werden und sollten zuallererst aus wissenschaftlicher Perspektive beurteilt werden. Daher haben wir uns entschlossen, dass im Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht al- lein Vertreter der Wissenschaft und der Arzneimittel- kommissionen stimmberechtigt sein sollen. Mit den Änderungen des Arzneimittelgesetzes sind Änderungen in anderen Rechtsvorschriften verbunden, die nicht im Zusammenhang mit den Änderungen im Arzneimittelgesetz stehen. Das betrifft das Apotheken- gesetz, das Heilmittelwerbegesetz, das Betäubungsmit- telgesetz sowie das Medizinproduktegesetz. Besonders hervorheben möchte ich die Änderungen im Heilmittelwerberecht. Diese sind erforderlich, um der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nachzu- kommen. Da die nationalen Gerichte die europäische Rechtslage bereits berücksichtigen, werden die Auswir- kungen der Änderungen in der Praxis gering sein und ha- ben eher klarstellenden Charakter. Sie sehen, der Entwurf enthält wichtige Maßnahmen, um europäisches Recht umzusetzen und dabei Arznei- mittelsicherheit und Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau zu halten und weiter zu verbessern. Nicht zuletzt wegen der europarechtlichen Bezüge müssen wir den Entwurf rasch umsetzen. Lassen Sie uns daher mit voller Konzentration in die nun anstehenden Beratungen ge- hen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Pressefreiheit europa- weit umsetzen – Medien als wichtigen Grund- pfeiler der Demokratie stärken (Tagesord- nungspunkt 16) Karl Holmeier (CDU/CSU): Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages finde ich es mittlerweile beschä- mend, in welcher Weise die deutschen Oppositionspar- teien ihre Kampagne gegen Ungarn betreiben. Unter dem Deckmantel der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten gefährden Sie mit ih- ren Anfeindungen inzwischen die traditionell guten Be- ziehungen zu Ungarn. Dabei sind Sie es, die Tatsachen ignorieren und falsch darstellen, das europäische Recht und Grundprinzipien wie Zuständigkeiten, Subsidiarität und begrenzte Einzelermächtigung missachten und da- rüber hinaus jeden Respekt sowie die Beachtung diplo- matischer Gepflogenheiten vermissen lassen. Ich möchte daher an dieser Stelle noch einmal einiges klarstellen. Ungarn war immer ein freiheitsliebendes Volk, und gerade wir Deutschen haben Ungarn aufgrund dieser Freiheitsliebe sehr viel zu verdanken. Ich wage sogar die These zu sagen, dass die deutsche Einheit ohne das Vertrauen der ungarischen Freunde in die Freiheit nicht möglich gewesen wäre. Das scheinen einige inzwi- schen völlig vergessen zu haben; denn genau diesen Un- garn wird vorgeworfen, sie würden elementare Grund- werte einer freiheitlichen Gesellschaft missachten. Ich möchte daher an dieser Stelle noch einmal allen ans Herz legen, den Weg zu Sachlichkeit und respektvollem Um- gang zurückzufinden. Wenn Sie sachlich Kritik anbringen möchten, tun Sie dies bitte im direkten Dialog mit den ungarischen Kolle- gen, aber nicht in der unwürdigen Weise, in der dies zurzeit geschieht. Ja, in Ungarn regiert eine Zweidrittel- mehrheit. Die Regierungspartei wurde mit einer über- wältigenden Mehrheit der Bevölkerung gewählt. Dieses Ergebnis hatte seinen Grund in der katastrophalen Bilanz der Vorgängerregierungen. Und dieses demokratisch zu- stande gekommene Ergebnis sollte jeder respektieren. Im Übrigen sollten alle einmal die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass den Kritikern im In- und Aus- land auch heute noch eine Mehrheit von ungarischen Bürgerinnen und Bürgern gegenübersteht, die die unga- rische Regierungspolitik befürworten. Ich mahne daher dringend dazu, diese Menschen nicht vor den Kopf zu stoßen. Mit ihrer Zweidrittelmehrheit ist die Regierung Orban jetzt in der Lage, jahrelang aufgeschobene Reformen an- zustoßen und dies tut sie auch. Bei der Vielzahl der an- gestoßenen Reformen haben die Ungarn unbestritten auch Fehler gemacht. Aber: Erstens. Der Deutsche Bun- destag hat nicht darüber zu befinden, ob die Gesetze an- derer Länder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Zweitens. Es ist absolut unangemessen gegenüber einem befreundeten Land und widerspricht nicht nur diplomatischen Gepflogenheiten, sondern dem Selbst- verständnis eines souveränen Staates, ihn „unmissver- ständlich“ zur Änderung seiner nationalen Gesetze auf- zufordern. Drittens. Es scheint an Ihnen offenbar vorbeigegan- gen zu sein, dass die Regierung Orban sofort, nachdem die EU-Kommission Kritik an dem Mediengesetz geäu- ßert hatte, angekündigt hat, das Gesetz entsprechend den Kritikpunkten zu korrigieren. Darüber hinaus ist doch gerade das ungarische Mediengesetz das beste Beispiel dafür, dass das ungarische Verfassungsgefüge durchaus noch intakt ist. Ja, ob Sie es glauben oder nicht, verehrte Opposi- tionskollegen, auch Ungarn hat eine Verfassung. Und wer sich die Mühe macht, einen Blick in diese Verfas- sung zu werfen, wird sehen, dass dort ausführlich die von Ihnen eingeforderten Grundrechte und Grundfrei- heiten anerkannt werden und festgeschrieben sind, unter anderem auch die Meinungs- und Pressefreiheit. Auf dieser Grundlage hat das ungarische Verfassungsgericht auch bereits wesentliche Teile des Mediengesetzes kas- siert und damit gezeigt, dass Meinungsfreiheit und Pres- sefreiheit in Ungarn nach wie vor gelten. Vor diesem Hintergrund wirkt die Kritik der deutschen Opposition eher unaufrichtig als besorgt. Des Weiteren hat mich Ihre Forderung, die EU-Kom- mission solle als Hüterin der Verträge nach Maßgabe der EU-Grundrechtecharta die Einhaltung der Pressefreiheit in der gesamten EU prüfen – nicht nur in Ungarn, son- dern ausdrücklich auch in Deutschland, Frankreich und 20846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Italien –, vorsichtig formuliert, ein wenig erstaunt. Sie werfen also allen Ernstes auch noch Deutschland, Frank- reich und Italien die Missachtung europäischer Grund- werte vor. So allmählich habe ich das Gefühl, wir reden nicht mehr über europäische Länder, sondern über Schurkenstaaten. Ich habe jedenfalls von den weißrussi- schen Zuständen bei uns noch nichts gemerkt. Sollte ich mich hier irren, wovon ich nicht ausgehe, vertraue ich al- lerdings vollkommen auf die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates. Ich bin überzeugt, dass in letzter Instanz unser Bundesverfassungsgericht darauf achtet, dass die Pressefreiheit in Deutschland auf allen Ebenen respek- tiert wird. Außerdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Ich bin zwar kein Jurist, habe mich aber sachkundig gemacht und erfahren, dass – so wie Sie es wollen – die EU-Kom- mission überhaupt nicht dazu berechtigt ist, das ungari- sche Mediengesetz auf seine Vereinbarkeit mit der EU- Grundrechtecharta zu überprüfen. Das gilt übrigens auch für andere nationale Gesetze. Hierzu fehlt der EU und da- mit auch der Kommission schlichtweg die Zuständigkeit. Schauen Sie bitte in Art. 51 der Grundrechtecharta. Dort ist der Anwendungsbereich der Charta beschrieben. Die EU-Kommission weiß das auch und hat sich daher bisher auf eine Prüfung der Vereinbarkeit des Mediengesetzes mit der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste be- schränkt. Vielleicht sollten Sie, meine sehr verehrten Op- positionskollegen, einmal überlegen, inwieweit Sie sich mit Ihren Forderungen im Rahmen des geltenden Rechts bewegen, bevor Sie andere auf die Anklagebank setzen. Abschließend noch eine kurze Anmerkung zu der Forderung über die sogenannte Taskforce Media. Ich kann die Forderung nicht ganz nachvollziehen, da sie den Eindruck erweckt, die Taskforce hätte ihre Arbeit beendet und es sei dringend ein Handeln erforderlich, was derzeit nicht stattfindet. Nur zu Ihrer Information: Die Taskforce Media gibt es noch, und sie befasst sich unter anderem genau mit den von Ihnen genannten Punkten. Sie fordern also Dinge, die keiner Forderung bedürfen. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn Sie sich künftig etwas genauer mit den Fakten und den Tat- sachen auseinandersetzen, bevor Sie Anträge in einem Parlament stellen. Zusammenfassend muss ich leider feststellen, dass die bisherigen Anträge, die die Opposition im Deutschen Bundestag bereits gegen Ungarn eingebracht hat und mit denen angeblich ein ehrlicher Dialog geführt werden sollte, bisher alles andere als ehrlich waren. Es mangelt Ihnen stark am notwendigen Respekt ge- genüber einem befreundeten europäischen Land und dessen Menschen. Und es mangelt ihnen leider auch an Ehrlichkeit und sachlicher Richtigkeit. Ich habe mich ei- gentlich von Beginn der Debatte über Ungarn an dage- gen gewehrt, als Anwalt Ungarns aufzutreten. Denn das können die Ungarn selbst viel besser. Aber die Kampa- gne, die die deutsche Opposition betreibt, zwingt mich dazu, öffentlich klarzustellen, dass es auch noch andere Meinungen in Deutschland gibt und Grüne, SPD und Linke nicht für ganz Deutschland sprechen. Ich möchte mich daher an dieser Stelle in aller Form beim ungari- schen Volk und der ungarischen Regierung für die Kam- pagne der deutschen Oppositionsfraktionen entschuldi- gen. Martin Dörmann (SPD): In den letzten Monaten haben wir im Zusammenhang mit den Euro-Rettungs- schirmen so oft über Europa diskutiert wie wohl kaum jemals zuvor. Von fast allen Fraktionen wurde dabei nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung der Europäi- schen Union hervorgehoben, sondern auch die gemein- samen Werte und politischen Zielsetzungen betont. In der Tat: Die EU ist eine Wertegemeinschaft, die wir stär- ken und erhalten müssen. Wenn dies aber so ist, dann müssen wir gemeinsam konsequent dafür eintreten, dass diese Werte und die darauf bezogenen Normen der Ver- träge von allen Mitgliedstaaten eingehalten werden. Bei unserer heutigen Debatte geht es um die Stärkung der Pressefreiheit und Medienvielfalt in Europa. Die SPD-Bundestagsfraktion teilt nachdrücklich die ent- sprechende Zielsetzung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dabei geht es vordringlich um das ungarische Mediengesetz, das gerade diese Presse- freiheit und Medienvielfalt in Ungarn fundamental in Zweifel zieht. Hierzu hatte die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit den Grünen bereits frühzeitig einen um- fassenden Bundestagsantrag eingebracht, der leider auch damals keine Zustimmung bei den Koalitionsfrak- tionen gefunden hat. Ich halte es für in keiner Weise nachvollziehbar und geradezu skandalös, dass insbesondere die Medienpoliti- ker der Unionsfraktion im Hinblick auf das ungarische Mediengesetz eine beschwichtigende Haltung einneh- men, die an den Auswirkungen des Gesetzes völlig vor- beigeht. So wird ausweislich des Berichts des Ausschus- ses für Kultur und Medien von der Union vorgetragen, das oft kritisierte Ausgewogenheitsgebot im ungarischen Mediengesetz, das der dortige Medienrat zu überwachen habe, spiele in der Praxis keine Rolle. Bisher sei nur ein einziger Fall vorgekommen, der sich noch dazu als Kri- tik an einer zu positiven Berichterstattung über die Re- gierung entzündet habe. Sämtliche Befürchtungen ent- behrten demnach einer realen Grundlage. So weit die Position der Medienpolitiker der Union. Ich möchte Ihnen gerne ein Zitat von Andreas Weiss, dem früheren Koordinator Internationales bei der ARD, entgegenhalten. Der Ausschuss für Kultur und Medien hatte im Juli letzten Jahres ein öffentliches Expertenge- spräch zur Gefährdung der internationalen Pressefreiheit durchgeführt. Dabei ging es auch um die Auswirkungen des ungarischen Mediengesetzes. Andreas Weiss hat hierzu ausgeführt: „Es herrscht dort bereits ein Klima der Einschüchterung. Das bedeu- tet, unsere Korrespondenten finden immer weniger Bereitschaft, dass Menschen vor ausländischen Medien aussagen. Die sonst hilfreichen Kollegen in den Medien selber unterwerfen sich der Selbstzensur, auch amtliche Stellen verweigern jetzt zunehmend die Zusammenar- beit. Früher war das kein Problem, aber jetzt sichern sich alle nach oben ab, bis auf die Ebene von Ministerpräsi- dent Orban.“ Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20847 (A) (C) (D)(B) Und weiter führte Andreas Weiss aus: „Das ist ein- fach nicht mehr würdig einer normalen demokratischen Medienverfasstheit. Da kann man von Freiheit nicht mehr sprechen. Ich finde es sogar äußerst bedrückend, wenn sich Angst in einem EU-Mitgliedsland so breit macht, dass man sich nicht mehr traut, sich in die Öffent- lichkeit zu begeben.“ Andreas Weiss wies darauf hin, dass Deutschland und die Europäische Union zu der mit dem ungarischen Mediengesetz einhergehenden möglichen Kontrolle und Beschränkung der Presse-, Meinungs- und Informations- freiheit in Ungarn nicht schweigen dürften. Ansonsten würden sie in Zukunft jegliches Recht verspielen, Miss- stände außerhalb der Staatengemeinschaft aufzuzeigen und glaubhaft zu kritisieren. Genau dies ist das Anliegen der SPD-Fraktion: Wir wollen, dass es über unsere gemeinsamen Werte Presse- freiheit und Medienvielfalt eine breite öffentliche Debatte in Europa gibt, damit die Regierungen der ein- zelnen EU-Mitgliedsländer sowie die Europäische Kom- mission konsequenter und nachhaltiger tätig werden als in der Vergangenheit. Wir sind der Auffassung, dass das ungarische Mediengesetz gegen Art. 11 der Grund- rechtecharta verstößt. Die Kommission als Hüterin der Verträge müsste hier noch entschiedener als bisher vor- gehen. Insoweit ist es zu bedauern, dass die von der EU- Kommission in den letzten Tagen angekündigte Klage gegen Ungarn wegen Verletzung der EU-Verträge vor dem Europäischen Gerichtshof sich auf andere Vertrags- verstöße beschränkt und das ungarische Mediengesetz nicht ebenfalls mit angreift. Umso notwendiger ist die breite Diskussion hierüber, auch im Bundestag. Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel benennen, an dem die subtile Vorgehensweise der ungarischen Regierung Orban deutlich wird. Wir sollten uns zunächst vor Augen halten, dass rund 80 Prozent der ungarischen Medien als regierungsnah einzuschätzen sind. Es gibt nur wenige kritische Stimmen. Dazu zählt der unabhängige private Radiosender „Klubradio“, der ein traditionelles Profil als populärster Talkradiosender in Ungarn hat. Nun wurde seitens der neuen ungarischen Medienbehörde ein Anfang dieses Jahres anstehendes Bieterverfahren zur Neuausschreibung der entsprechenden Frequenzen so gestaltet, dass der Sender nicht zum Zuge kam, sondern ein anderer völlig unbekannter Sender. Wie hat man das angestellt? Nun, ganz einfach: Man hat einfach die Aus- schreibungsbedingungen so festgelegt, dass sie mit dem bisherigen Profil des Radiosenders „Klubradio“ nicht in Einklang zu bringen waren, indem man einen Musik- anteil von 60 Prozent festgeschrieben hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie tatsächlich sol- chen Praktiken tatenlos zusehen wollen oder mit uns gemeinsam die europäischen Werte hochhalten. Es geht hierbei nicht um politische Entscheidungen des deutschen Parlamentes über innere Angelegenheiten Ungarns. Es geht um das Verteidigen der gemeinsamen Werte der Europäischen Union, sei es in Ungarn, Italien, Frankreich oder Deutschland. Es geht um Pressefreiheit und Medienvielfalt als Grundlage einer funktionsfähigen Demokratie. Das ungarische Volk ist der EU ja gerade aus diesen Gründen beigetreten. Es darf nicht sein, dass eine konservative ungarische Regierung, die aus anderen Gründen eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parla- ment errungen hat, diese zu einer Machtzementierung missbrauchen darf. Sie hat eine Medienkontrollbehörde einseitig mit lauter Parteigängern und diese für eine überlange Amtszeit von neun Jahren eingesetzt, um kri- tische Stimmen einzuschüchtern und kleinzuhalten. Lassen Sie uns unsere Stimme für das ungarische Volk und für eine lebendige Demokratie erheben. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Der Wert der Pressefreiheit für die demokratische Grundordnung kann kaum überschätzt werden. Entsprechend fand das Bun- desverfassungsgericht anlässlich seines Spiegel-Urteils von 1966 deutliche Worte: Ein freie, nicht von der öffentlichen Gewalt ge- lenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbeson- dere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politi- sche Presse für die moderne Demokratie unentbehr- lich. ... In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen ge- wählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie dient der politischen Willensbildung. Wir Liberale verstehen diesen Leitsatz als Richt- schnur und auch als Motivation, den Schutz der Presse- freiheit ernst zu nehmen und auszubauen. So hat die Koalition auf Initiative der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger jüngst das Presse- freiheitsgesetz verabschiedet und weitet damit den Schutz investigativ tätiger Journalisten deutlich aus. Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ge- nießt weltweit Ansehen und hat Vorbildfunktion. Das verschafft uns Autorität, die wir nutzen sollten. Gerade gegenüber unseren ungarischen Freunden, denen wir ih- ren Mut zur Freiheit 1989 nicht vergessen werden, müs- sen wir nun Mut zusprechen. Erinnern wir sie an ihren erfolgreichen Weg hin zum europäischen Wertekanon und ermutigen wir sie zu mehr Freiheit! Mit den Ungarn verbindet uns inzwischen längst mehr als die gemeinsame Geschichte. Uns verbindet die europäische „Einheit in Vielfalt“. In Europa sind wir als Wertegemeinschaft vereint. Nicht nur die Verträge, son- dern insbesondere Art. 11 der EU-Grundrechtecharta bindet auch die ungarische Regierung, wonach jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung hat. Ich zitiere: „Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behörd- liche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“ Gerade weil wir uns mit den Ungarn verbunden füh- len, müssen wir sie an diese gemeinsamen Werte erin- nern. Je einstimmiger dieser Aufruf seitens der EU ins- gesamt erfolgt und je nachdrücklicher die Kommission die Beachtung einfordert, umso größer ist die Chance, 20848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) dass die Ungarn aus eigener Überzeugung den Mut zur Freiheit fassen. Das ungarische Verfassungsgericht hat bereits we- sentliche Teile des Mediengesetzes als unrechtmäßig qualifiziert. Und in der Bevölkerung formiert sich be- reits bürgerschaftlicher Widerstand wie zum Beispiel die Bewegung „Eine Million für die Pressefreiheit“. Ich so- lidarisiere mich ausdrücklich mit diesen Strömungen, weil sie demokratisch vom Souverän ausgehen: dem ungarischen Volk. Ich bin überzeugt, dass wir den res- pektvollen Ton unter Freunden halten und gleichzeitig die Ungarn zu demokratischen Reformen aufrufen kön- nen, ohne sie dabei in ihrer Souveränität zu verletzen. Außenpolitik mit der Brechstange stärkt die falsche Seite in Ungarn, weil dann die Regierung gegen Einflüsse des Auslands leicht die Karte der nationalen Solidarität spie- len könnte. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem Antrag eine unmissverständliche Positionierung der Bundesregierung. Ich muss den Kolleginnen und Kolle- gen entgegenhalten, dass die Position der Bundesregie- rung eindeutig ist. Sowohl der ehemalige Staatsminister Werner Hoyer als auch sein Nachfolger im Amt, Michael Link, fanden ebenso angemessene wie deutliche Worte, als sie die Ungarn an unseren europäischen Wertekanon erinnerten und Änderungen am Mediengesetz forderten. Entsprechend hat die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission ihre Erwartung formuliert, dass die Einhaltung der Grundrechtecharta gewährleistet wird. Als erster, wenn auch kleiner Erfolg dieser abge- stimmten Politik darf die Gesetzesänderung aus dem Frühjahr gelten, in der zum Beispiel von der Verpflich- tung der Presse zu einer „ausgewogenen Berichterstat- tung“ Abstand genommen wurde. Insofern werden wir den heute zur Abstimmung ste- henden Antrag ablehnen. Das Anliegen, die Ungarn zu einer liberalen Mediengesetzgebung zu bewegen, wer- den wir aber ohne Nachlassen weiterverfolgen. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen befasst sich mit einem Thema, das seit Jahren Unbehagen hervorrufen muss: Die Aushöhlung der Informationsfreiheit – hier, mitten in Europa. Als Beispiele nennt der Antrag Ungarn, Ita- lien und Frankreich. Dazu gehört unbedingt auch der Abhörskandal in Großbritannien. Dankenswerterweise wird auch die Einflussnahme deutscher Politiker auf die Medienpolitik des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in unserem Land angesprochen. Alle diese Prozesse und Verfehlungen untergraben in der Tat, wie es in dem Antrag heißt, den europäischen Wertekanon, also auch den Wertekanon in den Kernländern der westlichen De- mokratie. Dieser Kritik, so wie sie in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen benannt wird, kann sich meine Fraktion anschließen. Deswegen können wir dem Antrag auch zustimmen. Was uns fehlt – dies ist für die Fraktion Die Linke ein generelles Problem –, ist, dass der Begriff der Pressefrei- heit relativ vage bleibt. Tatsache ist, dass der Prozess der Medienkonzentration aus wirtschaftlichen Gründen einer ungehinderten Meinungsäußerung aller Bürgerinnen und Bürger immer noch sehr enge Grenzen setzt. Oder, nach den Worten des Publizisten Paul Sethe – ich zitiere –: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Tatsache ist auch, dass die Meinungs- und Pressefreiheit gerade von den Mächtigen des Landes zur Stimmungsmache und zur pu- blizistischen Beeinflussung missbraucht wird. Sie erinnern sich doch bestimmt an folgende Schlag- worte: „Die faulen Griechen“, „ALG-II-Empfänger als Sozialschmarotzer“, „Der Krieg in Afghanistan als huma- nitäre Intervention“. Das alles ist mediale Irreführung – im Namen der Pressefreiheit. Es gibt noch ein weiteres Argument: Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen spricht davon, dass durch die Einflussnahme von Regierungen und Konzernen auf Journalistinnen und Journalisten die Medien – Zitat – „ihre Aufgabe als Wachhund nicht mehr effektiv wahr- nehmen“ können. Der Wachhund ist allerdings von sich aus schon ziemlich zahnlos geworden, und das nicht nur wegen der Macht des Geldes der großen Medienhäuser und nicht nur wegen der Bemühungen vonseiten der politisch Herrschenden. Die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Medien wird beschnitten. Manchmal reicht schon der direkte Griff zum Telefon, wie jüngst erlebt. Die Zahnlosigkeit hat auch damit zu tun, dass die Demokra- tie selbst sich nicht mehr hinterfragt und dass dadurch journalistisches Handeln beeinflusst wird. Gleichzeitig ist der Berufsstand von Journalistinnen und Journalisten in der Zwickmühle, Täter und Opfer in einer Person sein zu müssen. Senden oder schreiben Journalistinnen und Journalis- ten entlang der natürlich unausgesprochenen Vorgaben des herrschenden Meinungsklimas, behalten sie ihren Job länger und verlieren schneller ihren kritischen Geist. Senden oder schreiben sie gegen den Strom, kann es passieren, dass der nachfragende Beitrag ihr letzter beim alten Arbeitgeber war. Die alternative Ausweichbewe- gung in den Onlinebereich führt eher zur Annahme eines handfesten Zweitjobs als zur einträglichen Beschäfti- gung im erlernten Beruf. Die Presse- und Medienfreiheit hängt also nicht im luftleeren Raum. Das gilt auch für die Erweiterung durch die Netzrealität. Um Digitalisierung und Netzaffinität wird man in der Mediendebatte nicht mehr herumkom- men. Das Internet ist unzweifelhaft ein neues integriertes Gesamtmedium, das traditionelle Inhalte neu verteilt, aufbereitet und mit bislang undenkbarer Geschwindig- keit überallhin transportiert. Nun passiert vonseiten der Politik etwas Seltsames: Die Vorzüge des Netzes – der ungehinderte Informa- tionsaustausch, die mitgestaltende Medienproduktion und Mediennutzung, die verwertungsfreie Kommunika- tion – werden zu wenig als wesentliche und bewahrens- werte Güter demokratischer Teilhabe verteidigt. Statt- dessen unterstützen die politisch Verantwortlichen Teilinteressen von Unternehmen, Verwertungsgesell- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20849 (A) (C) (D)(B) schaften, Presseverlagen und Einzelverbänden, um aus Rentabilitätsgründen marktgängige Vergütungsformen durchzusetzen. Dadurch werden die Verteilungskämpfe für bestmögliche Verkaufspositionen auf dem Feld der Information nun im Internet fortgeführt. Der Freiheits- aspekt der Medien, der sich zum ersten Mal in der Ge- schichte technisch wirklich realisieren lässt, wird hier nicht in seiner vollen Tragweite ernst genommen. Die Achtung rechtsstaatlicher Grundsätze, von der in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die Rede ist, bedarf sicherlich in allen Medienformaten der Verteidi- gung. Dazu gehört auch eine ethisch verantwortungs- volle mediale Präsentationsform. Die Linke im Deut- schen Bundestag streitet für eine Pressefreiheit, die auch die konkrete ökonomische und inhaltliche Ausgestaltung im Fokus hat. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. An diesem Tag werden wir wieder an die Verstöße gegen die Pressefreiheit erinnert werden. Diese finden leider nicht nur in diktatorischen Regimen statt, sondern auch in Eu- ropa. In der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organi- sation Reporter ohne Grenzen zu diesem Tag veröffent- licht, war Ungarn vergangenes Jahr zu Recht nur auf Platz 40, Frankreich auf Platz 38, Italien auf Platz 61. Das zeigt erst einmal: Es gibt einiges zu tun. Ich bin überzeugt, dass das Hohe Haus das gemeinsame Ziel an- strebt, die Pressefreiheit in ganz Europa zu verbessern. Wir wollen in allen europäischen Staaten Champions ha- ben, die auf Platz 1 erscheinen. Es ist zu hoffen, dass sich die von uns im vorliegenden Antrag kritisierten Missstände wenigstens ein Stück weit verbessert haben und dass sowohl Deutschland als auch Ungarn in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen nächste Woche weiter oben erscheinen. Wir Grünen sind der Überzeugung, dass eine freie Presse ein wesentlicher Bestandteil einer funktionieren- den Demokratie ist. Sie ist die Grundlage der Meinungs- findung und Willensbildung. Nach Art. 11 der Grund- rechtecharte der Europäischen Union ist die Meinungs- äußerung und Informationsfreiheit zu achten. Wir for- dern daher gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaa- ten der Europäischen Kommission, dass die Missach- tung der Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit innerhalb der Staatengemeinschaft in keiner Weise tole- riert werden. Als wir Grünen diesen Antrag vor fast einem Jahr ein- gebracht haben, ist diese Vorgabe der Grundrechtecharte der EU jedoch in einigen europäischen Ländern erodiert. Gerade in Ungarn waren die Zustände besorgniserre- gend. Die Kollegen aus der Regierungskoalition haben in den Beratungen des Antrags im Ausschuss behauptet, dass die strittigen Befugnisse des dortigen Medienrates in der Praxis keine Rolle spielen. Ich sehe das anders: Einem kritischen Radiosender wurde zum Beispiel seine Sendelizenz entzogen. Seit wir unseren Antrag einge- bracht haben, hat zwar auf Druck der Europäischen Kommission die ungarische Regierung unter Viktor Orban das Gesetz partiell abgeschwächt, aber die Ein- schränkungen der Pressefreiheit sind dort noch immer massiv: So ist der Medienrat nur mit Parteigängern des Ministerpräsidenten besetzt und die Vorgabe der „ausge- wogenen Berichterstattung“ bleibt für Rundfunk und Fernsehen erhalten. Wer dagegen verstößt, muss mit Strafzahlungen rechnen. Darunter kann niemand ernst- haft eine Lösung des Problems verstehen. Angesichts dessen möchte ich deshalb noch einmal deutlich betonen, dass das Klima in Ungarn unter den Journalisten dort häufig ein ängstliches ist. Angst ist aber eine dramatisch schlechte Voraussetzung für kriti- sche Berichterstattung, die in einer Demokratie als Kon- trollfunktion und als vierte Gewalt im Staat elementar ist. Das ungarische Mediengesetz entspricht zudem selbst nach der Auffassung des Auswärtigen Amtes nicht den Standards, die in Europa allgemein gelten müssten. Gerade wenn in der aktuellen Euro-Debatte immer wie- der – und das zu Recht – mit der europäischen Wertege- meinschaft argumentiert wird, dann müssen wir genau- estens darauf achten, dass diese Werte nicht nur als Orientierung dienen, sondern auch eingehalten werden. Leider findet sich Deutschland in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen aber auch nicht unter den Top 10, sondern erst an Stelle 16. Während der Aus- schussberatungen wurde kritisiert, dass die Situation in Deutschland mit Frankreich oder Italien nicht zu verglei- chen sei. Das ist auch nicht der Fall. Aber in Deutsch- land herrschen Missstände, die in einer Demokratie an- gesprochen werden müssen. Zum einen hat die Exekutive in der Vergangenheit immer wieder versucht, journalistisches Material zu be- schlagnahmen – zum Beispiel durch die Polizei bei den jüngsten Castortransporten – und die Herausgabe von journalistischen Mobilfunkverbindungsdaten bei der Strafverfolgung Dritter zu erzwingen. Zum Zweiten sind Journalisten von der Auswertung ihrer Verbindungsda- ten durch Polizei und Justiz betroffen. Zum Dritten macht die Umsetzung des Rechts auf Zugang zu den Ak- ten öffentlicher Stellen nur langsame Fortschritte. Zum Vierten bereitet die zunehmend restriktive Akkreditie- rungspraxis von privaten und halböffentlichen Veranstal- tern Probleme. Sie schränken die Berichterstattung ein oder machen die Akkreditierung von einer vorherigen Überprüfung durch den Verfassungsschutz abhängig. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert außer- dem Versuche seitens der Politik, Einfluss auf Sendun- gen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu nehmen, um unliebsame Berichterstattung zu vermeiden. Darüber hinaus gab es in der Vergangenheit immer wieder Fälle, in denen Vertreter des Staates bei der Besetzung von zentralen Positionen bei den öffentlich-rechtlichen Rund- funkanstalten eingegriffen haben und Aufsichtsgremien in den öffentlich-rechtlichen Anstalten oft nicht ausrei- chend staatsfern, sondern mit Ministerpräsidenten oder anderen Mitgliedern der Exekutive besetzt sind. All diese Punkte lassen keinen Platz eins zu. Unsere Regierung ist daher aufgerufen, weitere Schritte anzustoßen, um die Pressefreiheit in Deutsch- land und Europa zu verbessern. Deshalb bitten wir um die Unterstützung unseres Antrags. 20850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Ge- setzes zur Änderung des Versicherungsauf- sichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Mit dem heute ein- gebrachten Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Ände- rung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) machen wir den ersten Schritt zur Realisierung eines der wich- tigsten EU-Reformvorhaben im Finanzdienstleistungs- bereich der letzten Jahre: Wir setzen die EU-Richtlinie über die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit – besser bekannt unter dem Namen „Solvency II“ bzw. „Solvabilität II“ – in nationales Recht um. Mit Solvency II erfolgt im Versicherungsbereich eine grundlegende Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa. Insbesondere die Eigenkapital- und Risiko- managementvorschriften für Versicherer werden voll- ständig modernisiert. Die Zusammenarbeit der Aufseher in Aufsichtskollegien und die Aufsicht über Versiche- rungsgruppen werden verbessert. Solvency II gehört damit in die Reihe der großen Finanzmarktreformen wie Basel II und III oder die Er- richtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems. Auch wenn der Beginn der Arbeiten an Solvency II lange vor der Krise lag, ist Solvency II inzwischen wesentlicher Bestandteil der Finanzmarktreformen, die wir als Konsequenz aus der letzten Krise bereits umge- setzt haben. Als weitere Beispiele nenne ich hier nur das Restrukturierungsgesetz, das Leerverkaufsverbot, die Regeln zu Vergütungen, die Regulierung der Rating- agenturen, das Anlegerschutz- und Funktionsverbesse- rungsgesetz oder das Finanzanlagenvermittlergesetz. In naher Zukunft werden weitere Regulierungsvorhaben, wie die Regulierung der außerbörslichen Derivate- märkte, MiFID 2 sowie die Regulierung von Hedge- fondsmanagern und des Schattenbankenwesen folgen. Versicherungen haben eine erhebliche volkswirt- schaftliche Bedeutung. Der europäische Versicherungs- markt und insbesondere der Versicherungs- und Rück- versicherungsmarkt in Deutschland haben ein immenses Volumen. So beträgt der Kapitalanlagebestand der deut- schen Erst- und Rückversicherer mehr als 1 Billion Euro. Die Beitragseinnahmen der Lebensversicherung betrugen im vergangenen Jahr gut 85 Milliarden, die der Schadens- und Unfallversicherung gut 55 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch Beiträge an die private Kran- kenversicherung in Höhe von knapp 35 Milliarden Euro. Fast jeder Bürger ist auch Versicherungsnehmer, sei es zur Absicherung von Lebensrisiken oder zur Alters- vorsorge. In Deutschland haben einige der größten Ver- sicherer der Welt, aber auch viele kleinere Versiche- rungsunternehmen ihren Sitz. Diese Unternehmen beschäftigen direkt fast 300 000 Arbeitnehmer. Darüber hinaus sind über 250 000 selbstständige Versicherungs- vermittler und -berater in diesem Bereich tätig. Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir in den nächsten Monaten ein Gesetz mit enormer Bedeutung für jeden Bürger und für den Standort Deutschland beraten. Neben seiner finanzpolitischen Bedeutung spielt vor allen Dingen auch seine sozialpolitische Bedeutung eine große Rolle, denn es werden insbesondere auch Lebens- risiken abgedeckt und Altersvorsorgen durch Versiche- rungen gesichert. Dies ist gerade auch vor dem Hin- tergrund der demografischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung essenziell. Es ist also gut und richtig, dass wir uns – gerade im Hinblick auf die vergangenen Finanzkrisen – nun auch mit Regulierungs- reformen im Versicherungsbereich beschäftigen. Mit Solvency II erfolgt eine Neuordnung der regula- torischen Landkarte für europäische Versicherungsunter- nehmen. Die Umsetzung führt zu einem Paradigmen- wechsel bei ihren wert- und risikoorientierten Entscheidungsprozessen. Solvency II ist ein unglaublich komplexes Regelwerk, über das bereits auf europäischer Ebene sehr viel diskutiert und verhandelt wurde. Zu Sol- vency II wurden zahlreiche Auswirkungsstudien erstellt. Viele Einzelfragen waren und sind noch zu klären. Das Solvency-II-Projekt ist im Übrigen auch noch nicht abgeschlossen. Solvency II wird – wie mittler- weile sehr viele europäische Regulierungsvorhaben – auf Basis des sogenannten Lamfalussy-Verfahrens um- gesetzt. Das bedeutet, dass das Europäische Parlament und der Europäische Rat nur noch eine Rahmenrichtli- nie verabschieden. Die technischen Fragen und Ausfüh- rungsdetails werden dann in weiteren Schritten von der Kommission und der Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA ausgearbeitet und umgesetzt. Die europäische Rahmenrichtlinie wurde bereits 2009 verabschiedet; eine Umsetzung in nationales Recht war bis zum 31. Oktober 2012 vorgesehen. Wesentliche technische Details sind aber noch immer in der Erarbeitung. Inhaltlich lässt sich feststellen, dass sich die aufsichts- rechtlichen Bestimmungen durch Solvency II wesentlich stärker als zuvor an qualitativen Vorgaben orientieren werden. Darüber hinaus gewinnen auch die Instrumente, die im Bankenbereich seit Jahren üblich sind, wie bei- spielsweise ein professionelles Risikomanagement, an Bedeutung. Damit sind dann auch Versicherungsunter- nehmen besser in der Lage, Risiken zu erkennen, zu be- urteilen und entsprechend zu steuern und zu überwa- chen. Die Veränderungen durch Solvency II im Bereich Risikomanagement und beim Kapitalallokationsprozess der Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen sind daher wichtig und begrüßenswert. Selbstverständlich sind wir uns darüber im Klaren, dass die Umsetzung von Solvency II einen erheblichen Kraftakt für die Versicherungs- und Rückversicherungs- branche bedeutet. Wir glauben aber, dass sich dieser Auf- wand lohnt. Denn die regulatorischen Neuerungen durch Solvency II dienen vor allen Dingen dem besseren Schutz von Versicherungsnehmern und Versicherungsnehmerin- nen sowie Begünstigten. Zudem dient das Regelwerk der Integration des europäischen Versicherungsmarktes und einer Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit. Auch werden regulatorische Unterschiede zwischen dem Ban- ken- und Versicherungsbereich beseitigt. Und ganz wich- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20851 (A) (C) (D)(B) tig: Die Umsetzung von Solvency II dient in großem Maße der Erhöhung der Finanzmarktstabilität. Wir werden den Gesetzentwurf nun in die Ausschüsse überweisen und dort bearbeiten. Wie Sie alleine dem Seitenumfang des Gesetzentwurfs entnehmen können, wird die Beratung sehr arbeitsintensiv. Es werden sich im Verlaufe des parlamentarischen Prozesses noch sehr viele Einzelfragen ergeben. Wir werden daher den inten- siven Kontakt zur Branche und zu den betroffenen Un- ternehmen, aber auch zur Opposition suchen und hoffen hier auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Zwei Aspekte von Solvency II wurden bisher leider politisch zu wenig beachtet: Erstens. Die Auswirkungen von Solvency II auf die Anlagestrategie von Versicherungsunternehmen und da- mit auf andere Marktteilnehmer in der Finanzwirtschaft. Hier ist die erhebliche Bedeutung des Versicherungsbe- reichs für die Bankenfinanzierung zu nennen, aber auch die Auswirkung auf die Realwirtschaft; hierzu gab es im Vorfeld zum Beispiel umfangreiche Diskussionen mit der Immobilienwirtschaft. Zweitens: die Interdependenzen zwischen dem Sol- vency-II-Regelwerk und anderen Regulierungsvorha- ben, wie zum Beispiel Basel III oder CRD IV. Wohl wissend, dass unser Gestaltungsspielraum auf nationaler Ebene hierbei sehr gering ist, werden wir diese Fragen bei der Umsetzung der VAG-Novelle sehr genau im Auge behalten. Zusätzlich zu der ohnehin sehr hohen Vielschichtig- keit des Gesetzentwurfs ergibt sich eine weitere Kom- plexität: Wie eingangs erwähnt, müssten wir die Sol- vency-II-Rahmenrichtlinie nach derzeitiger Rechtslage bis Ende Oktober umgesetzt haben. Allerdings wird sich der Zeitplan, wie die EU-Kommission heute angekün- digt hat, weiter verschieben. Hintergrund sind die lau- fenden Verhandlungen auf EU-Ebene zur Omnibus-II- Richtlinie, die auch Änderungen an der bereits bestehen- den Rahmenrichtlinie vorsehen. Natürlich ist es wün- schenswert, die durch die Omnibus-II-Richtlinie entste- henden Änderungen noch im laufenden Gesetz- gebungsverfahren zur zehnten Novelle des VAG aufzu- nehmen und umzusetzen, um ein nachträgliches, erneu- tes Aufreißen des Versicherungsaufsichtsgesetzes zu vermeiden. Ich möchte Sie daher bereits jetzt darauf vorbereiten, dass möglicherweise sehr viele Änderungs- anträge gestellt werden und sich der Gesetzgebungspro- zess insgesamt verzögern wird. Sie sehen: Die zügige Umsetzung des gesamten Vor- habens wird eine große Herausforderung darstellen. Diese Herausforderung können wir nur meistern, wenn wir alle gemeinsam intensiv daran arbeiten. Wir laden Sie ein, sich intensiv an den Beratungen zu beteiligen. Denn so komplex der Sachverhalt und das Regelwerk auch sein mögen: Ich denke, am Ende wird sich der Auf- wand lohnen, wenn wir damit eine höhere Stabilität des Versicherungssektors erreichen. Manfred Zöllmer (SPD): Wir debattieren heute über den Entwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Auch dieses Gesetz hat mit den Folgen der Finanzkrise zu tun. Mit diesem Zehn- ten Änderungsgesetz wird die Solvency-II-Richtlinie im deutschen Gesetz verankert. Solvency II ist insgesamt eines der wichtigsten Projekte im Bereich Finanzdienst- leistungsaufsicht auf der EU-Ebene. Die heutigen Eigen- mittelanforderungen für Versicherungsunternehmen sol- len damit zu einem konsequent risikoorientierten System weiterentwickelt werden. Die neuen Regelungen sollen Versicherungsunternehmen vor der Insolvenz bewahren und zu einer verbesserten Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen führen. Darüber hinaus wird mit Solvency II eine angemessene Harmonisierung der Aufsicht in Europa angestrebt. Dies ist zu begrüßen wie auch das übergeordnete Ziel, nämlich die Erst- und Rückversicherungsunternehmen in der Europäischen Union, die bislang vergleichsweise gut durch die Finanzkrise und die jetzige europäische Staats- schuldenkrise gekommen sind, auch für die Zukunft kri- senfest zu machen. Die Kernelemente des Vorhabens sind die Verbesserung des Schutzes der Versicherungs- nehmer, die Modernisierung des regulatorischen Rah- mens, eine vorausschauende, risikobasierte Aufsicht und die Integration des europäischen Versicherungsmarktes. Gleichzeitig sollen regulatorische Unterschiede zwi- schen Banken und Versicherungen verringert werden, was sinnvoll ist, da die Finanzkrise durchaus gezeigt hat, dass es zu vergleichbaren Risiken kommen kann, die der Steuerzahler womöglich auffangen muss. Die Berechnung der Eigenmittelanforderungen von Versicherungsunternehmen wird mit dem Gesetz neu ausgerichtet. Um das Insolvenzrisiko von Versiche- rungsunternehmen zu minimieren, soll mithilfe einer so- genannten Drei-Säulen-Strategie den Risiken begegnet werden. Im Rahmen der ersten Säule wird geregelt, wie hoch die Eigenmittel der Versicherer künftig sein müs- sen. In der zweiten Säule werden die Aufsichtsrechte der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, und der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde, EIOPA, festgelegt. Weiterhin ist geregelt, wie sie ihre in- nere Organisation, Governance, gestalten müssen. Die dritte Säule befasst sich mit Marktdisziplin, Transpa- renz, Veröffentlichungspflichten und dem Meldewesen gegenüber den Aufsichtsbehörden. Wie bei jedem umfangreichen Gesetz – dieser Gesetz- entwurf umfasst fast 350 Seiten – liegen einige Pro- bleme im Detail. So werden wir uns anschauen müssen, inwieweit das Gesetz den in Deutschland besonders wichtigen Bereich der betrieblichen Altersversorgung, Pensionskassen und Pensionsfonds berührt. Ich denke, es ist keinem damit geholfen, wenn wir Eigenkapitalvor- schriften in einer Form ausweiten, die einer etablierten und erfolgreichen betrieblichen Altersversorgung entge- genstehen. Im Moment sieht der Gesetzentwurf bei- spielsweise vor, dass Pensionskassen nicht die Möglich- keit eröffnet wird, sich per Antrag der Anwendung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie zu unterwerfen. Ausweis- lich der Gesetzesbegründung dient dies dem Ziel, den aktuellen Überlegungen auf EU-Ebene, die Solvency-II- 20852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Rahmenrichtlinie auf Pensionskassen und Pensionsfonds zu übertragen, nicht vorgreifen zu wollen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme bereits darauf hingewiesen, dass eine Eins-zu-eins-Übertragung den Unterschieden zwischen Versicherern und Einrichtungen der betriebli- chen Altersversorgung nicht gerecht würde. Wir werden uns nachdrücklich dafür einsetzen, dass die Einrichtun- gen der betrieblichen Altersversorgung auch in Zukunft ihre Aufgaben erfüllen können. Einen kritischen Blick werden wir auf die Regelun- gen zur Geschäftsorganisation werfen. Hier scheint es ei- nige Inkonsistenzen mit anderen europäischen Rechts- vorschriften zu geben. Sowohl der Bundesrat als auch die Versicherungsunternehmen haben darauf verwiesen, dass geprüft werden muss, ob die Anforderungen an die Einstufung handelsrechtlicher Rückstellungen für Bei- tragsrückerstattung, RfB, als Eigenmittel weiter konkre- tisiert werden könnten. Für die deutschen Versicherer ist es von Bedeutung, in welcher Höhe ihre RfB als Eigen- mittel, Qualitätsklasse 1, aufsichtsrechtlich anerkannt werden. Hier scheint das vorliegende Gesetz noch wenig präzise zu sein. Der Bundesrat fordert in seiner Stellungnahme unter anderem, das 2009 in das Versicherungsaufsichtsgesetz aufgenommene Kreditaufnahmeverbot für Versicherer wieder zu streichen. Die Aufnahme von Fremdmitteln solle im engen Rahmen zulässig sein. Die Bundesregie- rung will den Vorschlag offenbar prüfen. Es gibt Hin- weise, dass diese Regelung mit dazu beigetragen hat, dass die deutschen Versicherungsunternehmen relativ unbeschadet durch die Finanzkrisen der letzten Jahre ge- kommen sind. Eine Reihe von weiteren Punkten werden wir sicher- lich in der kommenden ausführlichen Anhörung erör- tern. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht soll bis zum 31. Oktober 2012 erfolgen. Offenbar erwägt die Europäische Kommission, die neuen Anforderungen an die Versicherungsunternehmen erst zum 1. Januar 2014 in Kraft zu setzen. Wir brauchen ein novelliertes Versicherungsaufsichtsgesetz und sollten uns die not- wendige Zeit für ein intensives Beratungsverfahren neh- men. Björn Sänger (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf zur Novellierung des Versicherungsaufsichts- gesetzes wird dieses komplett umgekrempelt. Das seit 1901 bestehende Versicherungsaufsichts- gesetz wird mit dem Artikelgesetz siebenteilig geglie- dert. Es gibt zunächst die Allgemeinen Vorschriften, dann die Vorschriften über die Erstversicherung und die Rückversicherung, die Betriebliche Altersvorsorge, Gruppen von Versicherungsunternehmen, die Aufsicht, die Straf- und Bußgeldvorschriften und schließlich die Übergangs- und Schlussbestimmungen. Der versicherungsaufsichtsrechtliche Neustart wird durch die europäische Richtlinie 2009/138/EG, genannt Solvency II, nötig. Diese entschlackt das europäische Aufsichtsrecht ebenfalls: war die Versicherungsaufsicht zuvor in 13 Richtlinien geregelt, gibt es nun nur noch diese eine. Doch warum war ein solcher Neustart nötig? John Maynard Keynes sagte schon: „Markets can remain irra- tional a lot longer than you can remain solvent“. Zwar verlief die Finanzmarktkrise für die europäischen Versi- cherungskonzerne recht glimpflich, doch hat man am Beispiel des US-amerikanischen Unternehmens AIG ge- sehen, welches Szeanrio droht, sollte es Turbulenzen im Versicherungssektor geben. War zuvor die tatsächliche Risikoexposition der Ver- sicherer nur unzureichend berücksichtigt, gibt es nun mit Solvency II einen ökonomischen und risikobasierten Ansatz, in dessen Zentrum die eigenständige Ermittlung und Beherrschung der Unternehmensrisiken durch die Versicherer stehen. Die Aufsicht beruht dabei auf drei Säulen: Die erste Säule normiert die quantitativen Eigen- mittelanforderungen im Hinblick auf die Bezugsgrößen Zielsolvenzkapital und Mindestkapital. In der zweiten Säule geht es um das Governanceregime in den Versi- cherungsunternehmen, und die dritte Säule erlegt den Unternehmen umfangreiche Berichtspflichten gegenüber den Aufsehern und der Öffentlichkeit auf. Zudem sieht die im Lamfalussy-Verfahren verab- schiedete Rahmenrichtlinie Solvency II eine Gruppen- aufsicht für komplexe Unternehmensverpflichtungen, die im Versicherungssektor häufig zu finden sind, vor und beschränkt sich bei der Betrachtung nicht nur auf EU bzw. EWR, sondern ermöglicht auch die Einbezie- hung von Drittstaaten. Ebenso wie diese Vollharmonisierung des Aufsichts- rechts einen Meilenstein darstellt, ist sie auch hochkom- plex und stellt besonders kleine und mittlere Versiche- rungsunternehmen vor erhebliche Probleme durch etwa die aufwendigen Eigenmittelkalkulationen. Das Propor- tionalitätsprinzip muss daher stets Beachtung finden. Die Eigenmittelregelungen beeinflussen das Investi- tionsverhalten der Versicherungsunternehmen erheblich und verändern damit auch die Rahmenbedingungen für die Anbieter von Finanzprodukten als potenziellen Investitionen. Die Anrechnungsfähigkeit und Klassi- fizierung der Eigenmittelbestandteile hat enorme Aus- wirkungen auf die Anlagepolitik. So gibt es etwa enorm hohe Kapitalanforderungen für Immobilieninvestments, die pauschal privilegierten EU- Staatsanleihen gegenüberstehen. Da muss man sich dann fragen, ob das ganze Solvency-II-Projekt tatsächlich dem eigenen Anspruch an eine risikoangemessene und verhältnismäßige Regulierung gerecht werden kann. Wie schon in unserem Antrag aus dem Sommer ver- gangenen Jahres formuliert, sollte darauf ein besonderes Augenmerk bei den weiteren Verhandlungen zur konkre- ten Ausgestaltung des Regelungsrahmens liegen. Außerdem muss es beim Übergang in eine komplett neue Versicherungsaufsichtswelt praktikable Übergangs- fristen geben. Dies erscheint inzwischen sogar der EU- Kommission fraglich, weshalb sie das Scharfschalten der neuen Regelungen gestern um mindestens ein halbes Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20853 (A) (C) (D)(B) Jahr verschoben hat. So wichtig diese Regelungen sind, so wichtig ist es auch, nichts mit heißer Nadel zu stri- cken und so nicht nur die Versicherer gegebenenfalls in die Bredouille zu bringen, sondern es kann auch die ganze Finanzindustrie durch unausgereifte Investment- vorschriften unangemessen betroffen werden. Die schon jetzt vorhandene Komplexität wird durch die Erlassung von korrespondierenden Level-2- und Level-3-Rechtsakten weiter erhöht. Wir werden daher bei der Umsetzung von Solvency II ins deutsche Versicherungsaufsichtsrecht sehr genau hinschauen müssen, welche Auswirkungen die notwen- digen Maßnahmen haben, um nicht ein unnötiges Büro- kratiemonster zu schaffen oder die Finanzierung ganzer Branchen abzuwürgen. Harald Koch (DIE LINKE): Wir beraten heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des Versicherungsauf- sichtsgesetzes, dessen Inhalte uns – ähnlich wie bei Basel III – schon monate-, ja sogar jahrelang beschäfti- gen. Die Rede ist von der Umsetzung der EU-Richtlinie zu Solvency II. Damit soll künftig verhindert werden, dass Versicherer pleitegehen und Verpflichtungen gegen- über Kunden und Geschädigten nicht mehr erfüllen kön- nen. Dies bringt einiges an Neuem für die Versicherungs- unternehmen mit sich. In der Tat handelt es sich um ein ambitioniertes und hochkomplexes Projekt. Im Kern geht es in der Neuregelung darum, dass die Versicherer zumeist mehr Eigenkapital unterlegen müs- sen. Dem liegt nun eine „ganzheitliche Risikobetrach- tung“, ein neues Risikomanagement zugrunde. Die Eigenkapitalanforderungen sollen sich an den tatsächlich eingegangenen Risiken in der Kapitalanlage orientieren und nicht mehr am Prämienvolumen. Je höher das ermit- telte Risiko, desto mehr Eigenmittel müssen zukünftig zur Unterlegung dieses Risikos bereit stehen. Es werden des Weiteren neue Bewertungsvorschriften aufgestellt. Und das Aufsichtsrecht im europäischen Binnenmarkt soll einheitlichen Regelungen folgen. Die Linke unterstützt es, dass in dem neuen System nicht nur reine Versicherungsrisiken, wie noch unter Sol- vency I, berücksichtigt werden. Die Versicherer sollen zukünftig auch für Markt-, Kredit- und sonstige betrieb- liche Risiken Kapital vorhalten müssen. Wenigstens hier werden ökonomische Scheuklappen ein klein wenig abgelegt und ein realistischerer, weil umfassender Blick auf die Risiken am Kapitalmarkt an den Tag gelegt. Die hohen Anforderungen des Solvency-Projekts – zum Beispiel bei der Eigenmittelausstattung – sind auch drin- gend notwendig, um Risiken zu vermindern. Eine ge- sunde Eigenkapitalanforderung kann zum Teil verhin- dern, dass sich Versicherer „verheben“, immer mehr Kapital in die Finanzmärkte pumpen und in der Hatz nach Rendite spekulativ über die Stränge schlagen. Ob bei Banken oder Versicherungen lehnen wir es ab, dass die Steuerzahlenden dann die Retter für zu groß gewor- dene und sich um Kopf und Kragen gezockte Unterneh- men spielen müssen. In diesem Zusammenhang ist auch ein weitreichendes Kreditaufnahmeverbot für Versiche- rungsunternehmen nötig, das zuletzt immer weiter auf- geweicht wurde. Der Kontokorrentkredit beispielsweise ist jedoch von diesem Verbot auszunehmen. Hingegen erscheint die Komplexität von Solvency II für kleine Versicherer teilweise wirklich problematisch. Hier sollte man nachdenken, ob auf diese Versicherer alle geplanten Regelungen uneingeschränkt Anwendung finden sollen. Einen ähnlichen Fall stellt die Übertra- gung von Basel III auf Sparkassen und Genossenschafts- banken dar. Kleine Institute arbeiten oft sehr kundennah und verbraucherorientiert und sind nicht unbedingt sys- temrelevant oder Großzocker auf den Finanzmärkten. Auch bei den Eigenkapitalanforderungen muss man aufpassen, dass kleine Versicherer durch überhöhte An- forderungen nicht vom Markt gedrängt werden. Denn Die Linke ist gegen eine verbraucherfeindliche Monopo- lisierung des Versicherungsmarktes, aber für eine um- sichtige und durchgreifende Regulierung! Nach großem Gejammere und saftigem Selbstmitleid hat die wirkmächtige Versicherungslobby schließlich dafür gesorgt, die Kapitalregeln für alle aufzulockern. Sie boxte eine Reihe von Anpassungen durch, um erfor- derliche Rückstellungen der Versicherer zu senken. Zwei Dämpfungsfaktoren wurden daher noch kurz- fristig eingepflanzt: der antizyklische Zuschlag, Coun- tercyclical Premium, sowie der symmetrische Anpas- sungsfaktor, Matching Premium. Niemand analysierte im Vorfeld, welche Auswirkungen diese Veränderungen an Solvency II haben. Das ist doch blauäugig! Der antizyklische Zuschlag zum Beispiel verringert in schlechten Zeiten versicherungstechnische Rückstellun- gen, ohne in guten Zeiten Reserven aufzubauen. Sol- vency II bevorzugt so in hohem Maße pauschal alle OECD-Staatsanleihen bei der Eigenkapitalunterlegung. Weil es sich oftmals um langfristige Anlagen handelt, sollen die Versicherer nicht mehr ganz so hohe Rückstel- lungen leisten müssen. Begründet wird dies damit, dass der Wertverfall von Staatsanleihen und Schwankungen auf dem Finanzmarkt so für Versicherer und deren Bilanz gemildert werden sollen. Dabei wird zum einen das durchaus vorhandene Risiko von Staatsanleihen ausgeblendet. Wollen Sie uns etwa weißmachen, dass eine Anlage in griechische Staatsanleihen risikolos ist? Zum anderen können Versi- cherer dadurch wieder riskanter anlegen und drauflos- zocken. Ebenso muss man erwähnen, dass die festgelegten Anlagegrundsätze viel zu dehnbar sind. Nach § 115 Abs. 1 Nr. 6 VAG neu sollen auf „vorsichtigem Niveau“ sogar Finanzinstrumente erlaubt sein, die nicht auf einem geregelten Finanzmarkt zugelassen sind. Die Bundesregierung tut also wieder mal so, als ob es nie eine Finanzkrise gegeben hätte. Sie hofieren zum x-ten Mal Ihre Lobbygruppen und setzen die Versicher- ten höheren Risiken aus. Die Linke streitet dagegen für den Schutz der versicherten Menschen! 20854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Ein grundlegendes Defizit fällt obendrein ins Auge: Für Basel III bei den Banken und Solvency II bei den Versicherungsunternehmen liegt kein einheitlicher Re- gulierungsansatz zugrunde. Kapitalanforderungen für die jeweils gleiche Anlage unterscheiden sich in den beiden Regelungssystemen teils enorm. Hier hätte sich besser abgestimmt werden müssen, damit nachvollzieh- barere und sinnigere Ergebnisse erzielt werden. Der Blick muss sich doch darauf richten, welche Risiken von Banken und welche Risiken von Versicherungen samt ihrer jeweiligen Branchengruppen besser geschultert werden können. Über die Frage, in welcher Form Solvency-II-Rege- lungen auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvor- sorge anwendbar sein sollten, haben wir im Plenum bereits an diesem Abend debattiert. Wie so oft waren Verbraucherschützer und Gewerk- schaften in den ganzen Gesetzgebungsprozess völlig unzureichend eingebunden. Wenn es eine konsequente Linie in der Regierungspolitik gibt, dann die: Schutz der Steuerzahler, Verbraucherschutz sowie stabile und durchgreifend regulierte Finanzmärkte spielen eine nebensächliche Rolle! Viele Versicherer beklagen in der ewig gleichen Leier die unberechenbaren kurzfristigen Marktausschläge, die ihre Bewertungen erschweren. Darauf kann man doch nur eine klare Antwort geben: Die Finanzmärkte dürfen nicht länger der uferlosen Spekulation ausgesetzt sein, die zu übertriebenen Schwankungen führt. Daher sind sie umfassend zu regu- lieren. So können schließlich auch Versicherer wieder solider wirtschaften. Dies wäre hoch effektives Risiko- management! Versicherte müssen auf den Schutz ihrer Ansprüche und die versprochenen Leistungen vertrauen können. Deshalb steht Die Linke ebenfalls für eine strikte, aber umsichtige Regulierung des Versicherungssektors und kämpft für die Interessen der Verbraucher! Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Solvency II ist für die Versicherungswirtschaft ein regu- latorischer Meilenstein, fast vergleichbar mit der großen Deregulierung 1994. Stand heute gibt es aber einige Zweifel an dieser Neuordnung. Solvency II wird die im Bankenbereich bereits übli- chen mathematischen Verfahren zur Eigenkapitalermitt- lung auch auf Versicherer übertragen. Versicherern wird wie Banken dabei die Möglichkeit gegeben, mittels in- terner Modelle selbstständig die Höhe des von ihnen vorzuhaltenden Eigenkapitals zu berechnen. Dabei gilt das Eigenkapital eines Instituts dann als ausreichend, wenn das mathematische Modell eine Wahrscheinlich- keit von 99,5 Prozent anzeigt, dass das Institut innerhalb eines Jahres nicht insolvent wird. Offen bleiben dabei, entgegen allen Bekenntnissen der Bundesregierung, jegliche Aspekte makropruden- zieller Regulierung. 99,5 Prozent Wahrscheinlichkeit, nicht insolvent zu werden, heißt, die Güte des Modells vorausgesetzt, dass die Versicherung alle 200 Jahre in- solvent wird. Was passiert aber, wenn alle Versicherer ähnliche Modelle nutzen? Was, wenn die Modelle unge- nau sind oder die Zukunft anders ist, als durch das Mo- dell eingeschätzt? Außerdem stellt sich die Frage, ob der Einjahreshori- zont bei der Kapitalermittlung angemessen ist. Versiche- rungen haben ein sehr langfristiges Geschäftsmodell. Lebensversicherer legen die Mittel ihrer Kunden oft bis zu 50 Jahre an. Ist es dann sinnvoll, dass sie ihr Eigenka- pital so bestimmen müssen, dass es die Insolvenzwahr- scheinlichkeit in einem Jahr minimiert? Fördert das nicht eine sehr kurzfristige Perspektive? Ein weiteres Problem ergibt sich durch die Prozykli- zität der Regulierung. 2006, bei der Umsetzung von Ba- sel II, habe ich hier im Plenum nach den problemati- schen prozyklischen Wirkungen von Basel II gefragt. Das Problem wurde von der damaligen Bundesregierung als völlig irrelevant dargestellt. Nun, eine Finanzkrise später, sind sich alle einig, dass man Basel II reformieren muss, gerade auch um die prozyklischen Wirkungen ein- zudämmen. Nun stehen wir bei Solvency II an einem Punkt, der mit der Einführung von Basel II 2006 ver- gleichbar ist. Und wieder frage ich: Wirkt diese Regulie- rung nicht prozyklisch? Da mit Solvency ähnliche Erfordernisse an Versiche- rungen gestellt werden wie an Banken, werden die nun zukünftig paralleler agieren als vorher: Das heißt, beide bekommen gleichzeitig aufsichtsrechtliche Anreize oder Hemmnisse für die Investition in bestimmte Anlagefor- men. Bislang haben die unterschiedlichen Aufsichtsan- forderungen Versicherern die Möglichkeit gegeben, bei Panikverkäufen von Banken als Käufer aufzutreten – was allzu starke Kursabstürze abfedern kann. Wenn alle Investoren aber ihr Kapital nach den gleichen Modellen steuern, werden die Ausschläge am Markt größer. Unter- schiedliche Verhaltensweisen im Markt hingegen ma- chen das System stabiler. Solvency II tut seinen Teil für eine gleiche Ausrichtung von Banken- und Versiche- rungsindustrie. Wie in Basel II gibt es neben der Möglichkeit, interne Modelle zu entwickeln, auch ein Standardverfahren für kleine Versicherer. Und wie viel Eigenkapital muss ein Versicherer in diesem Modell für Staatsanleihen vorhal- ten? Richtig: nichts. Und warum wird Solvency II über- haupt eingeführt, wenn Versicherer doch bisher so we- nige Probleme hatten? Richtig: weil Solvency II die Risiken besser einschätzen soll. Wie kann man von einer risikobasierten Eigenkapitalunterlegung sprechen, wenn ein Akteur bestimmte Geschäfte tätigen und Geld he- rausgeben darf, ohne dass er dafür einen Cent eigenes Kapital vorhält? In einem solchen System ist der Begriff „risikobasierte Kapitalunterlegung“ nichts als ein Eu- phemismus dafür, dass faktisch weniger Kapital verlangt wird! Auch bleibt die Frage, welche Konsequenzen Sol- vency II auf die aktuellen Marktstrukturen hat. Regulie- rung führt generell zu Konzentrationstendenzen. Der deutsche Versicherungsmarkt ist aber traditionell sehr kleinteilig strukturiert. Es gibt viele kleine Anbieter, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20855 (A) (C) (D)(B) manche davon arbeiten ehrenamtlich, die nun mit kom- plizierten Anforderungen und Meldepflichten konfron- tiert werden. Die Idee ist, dass, wenn Versicherer alle ihre Risiken und Engagements melden und überwachen, sie dann bestimmt auch mit weniger Eigenkapital aus- kommen. Erstens hat sich diese Annahme schon im Ban- kenbereich als Trugschluss erwiesen, und zweitens könnte sie in der Versicherungsbranche zum Verschwin- den von kleinen Akteuren führen, die sich etwas mehr Eigenkapital zwar leisten könnten, aber nicht zwei neue Vollzeitstellen zur Bearbeitung aufsichtsrechtlicher Formulare. Insbesondere bei der Frequenz und dem Detaillierungsgrad muss es Erleichterungen für solche Versicherer geben, die ein weniger komplexes Ge- schäftsmodell betreiben. Ich spreche dabei bewusst nicht von „kleinen Versicherern“, sondern von weniger kom- plexen Geschäftsmodellen. Wenn ein Versicherer ein komplexes Geschäftsmodell wie zum Beispiel die Le- bensversicherung anbietet, bei der Sterbetafeln kalkuliert werden und Kapital lange angelegt werden muss, dann braucht er auch die Expertise dafür, und der Aufseher hat das Recht und die Pflicht, sich diese dokumentieren zu lassen. Aber gerade die vielen kleinen Sachversicherer mit langjähriger Erfahrung und teilweise oft in genos- senschaftlicher Struktur haben sich bislang als stabilisie- rend für den deutschen Versicherungsmarkt erwiesen. Eine durch Regulierung veranlasste Marktbereinigung würde vielleicht die Marktanteile zugunsten mancher großer Versicherungen verschieben, für die Stabilität des Finanzsystems wäre sie aber sich nicht von Vorteil. Versicherer sind bisher dank einer strengen Regulie- rung und der konservativen Regulierung nicht in Pro- bleme geraten. Die Begrenzung auf bestimmte Anlage- formen soll nun aufgehoben werden – mit ungewissen Konsequenzen. Basel II hat mit der Eigenkapitalermitt- lung durch mathematische Modelle dazu geführt, dass Banken heute faktisch deutlich weniger Eigenkapital ha- ben als noch vor zehn Jahren. Mit Solvency II könnte sich dieser Prozess nun bei Versicherungen wiederholen. Das wäre falsch. Was heißt das konkret für den vorliegenden Gesetz- entwurf? Das Projekt Solvency II hat eine lange Vorlaufzeit. Der Beginn des Projekts datiert von vor der Finanzkrise. Und immer wieder haben Experten gewarnt. So empfahl der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschafts- ministerium 2009, von Solvency II „vorerst abzusehen und darauf hinzuwirken, dass die europäische Be- schlussfassung zu diesem Thema aufgrund der Erfahrun- gen mit den systemischen Wirkungen der Eigenkapital- regulierung in der Finanzkrise neu durchdacht wird“. Inzwischen liegen die europäischen Regelungen vor. Wir müssen sie umsetzen und haben dabei als deutscher Gesetzgeber nur wenige Entscheidungsspielräume. Deshalb wird nun für meine Fraktion die Frage im Vordergrund stehen, was wir in der parlamentarischen Umsetzung in Deutschland tun können, um absehbare problematische Auswirkungen zumindest zu dämpfen. Außerdem muss es darum gehen, für die europäische Ebene eine Diskussion anzustoßen, damit mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig adressiert werden. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Mit dem heute ein- gebrachten Gesetzentwurf leistet die Bundesregierung einen wichtigen Beitrag sowohl zur Stärkung der Versi- cherungswirtschaft, als auch zur Verbesserung des Anle- gerschutzes in unserem Land. Der Versicherungsstandort Deutschland wird durch eine Modernisierung des Aufsichts- und Regulierungsrahmens gestärkt. Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates in deutsches Recht und normiert die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit. Die Arbeiten an dem als „Solvency II“ bekannten Projekt begannen bereits vor mehreren Jahren. Gleich- wohl hat die Finanzmarktkrise die Entwicklung von Solvency II nachdrücklich mitbestimmt. Solvency II weist in seiner Struktur Parallelen zur Ban- kenregulierung im Rahmen von Basel II bzw. Basel III auf. Die erste Säule betrifft die quantitative Neuregelung der Eigenkapitalunterlegung, die von den Prämieneinnah- men entkoppelt wird und stattdessen alle Risiken abdeckt. Bei der zweiten Säule geht es um die behördliche Aufsicht und die Vorschriften für das Risikomanagement der Versi- cherer. Die dritte Säule umfasst die Publizitätsvorschriften zur Erhöhung der Marktdisziplin und Transparenz. Ziel der Regelungen ist, das Risiko der Insolvenz ei- nes Versicherungsuntemehmens auch künftig so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig dient die Richtlinie der Harmonisierung des Aufsichtsrechts im europäi- schen Binnenmarkt. Viele bisher an das Versicherungsaufsichtsgesetz oder an die zu dessen Durchführung erlassenen Verordnungen adressierte Fragen werden künftig auf europäischer Ebene entschieden werden. Viele bisher nationale Rege- lungen müssen aufgehoben oder geändert werden. Es bleibt jedoch weiterhin Spielraum für den nationalen Ge- setzgeber. Das bestehende Recht wird dort geändert, wo es durch die Richtlinie zwingend vorgegeben ist. Im Übrigen soll es unverändert bleiben. Außerdem soll in besonders wichtigen Bereichen, wie zum Beispiel der Lebensversicherung, der Schutz der Versicherten aus- gebaut werden. Schließlich berücksichtigt der Entwurf auch das Ur- teil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2011, das mit Wirkung vom 21. Dezember 2012 das Verbot für die Versicherungsuntemehmen beinhaltet, für Frauen und Männer unterschiedliche Prämien zu verlangen. Im Gesetzentwurf werden die zwingenden Vorgaben des Gerichts umgesetzt. Bei manchen Betroffenen gibt es noch eine gewisse Skepsis gegenüber Solvency II. Diese richtet sich insbe- sondere gegen die Komplexität des Regelwerks und die befürchteten Auswirkungen auf lang laufende Lebens- versicherungsverträge. Lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Für uns steht seit Beginn des Solvency-II-Projekts fest, dass Sol- 20856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) vency II nicht zu einer Marktbereinigung führen darf, sondern wettbewerbsneutral sein muss. Die große Viel- falt und der starke Wettbewerb im deutschen Versiche- rungsmarkt haben sich bewährt und sollen weiter fort- bestehen. Im Koalitionsvertrag haben wir es bereits formuliert: „Solvency II als eines der wichtigen europäi- schen Projekte im Bereich der Finanzdienstleistungs- Wirtschaft ist so umzusetzen, dass der deutsche Versi- cherungsmarkt gestärkt wird.“ Ich denke, das ist mit dem vorlegenden Entwurf gelungen. Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, hat zusammen mit seiner damaligen französi- schen Amtskollegin Christine Lagarde eine Verein- fachungsinitiative zur Verringerung der Komplexität von Solvency II erfolgreich imitiert. Ich darf Ihnen versi- chern, dass die Bundesregierung das Thema Vereinfa- chung im Rahmen dieses Projekts auch weiterhin verfol- gen wird. Im Bereich der Lebensversicherungen bleibt der Bundesregierung wichtig, dass dauerhafte Garantien finanzierbar bleiben müssen. Wir dürfen den Blick daher nicht vor dem langfristig größten Risiko einer dauerhaf- ten Niedrigzinsphase für die Versicherer verschließen. Eine Niedrigzinsphase würde die Erträge und die Erfüll- barkeit von vertraglichen Garantien erheblich belasten und hätte jahrelange Nachwirkungen. Insbesondere die Lebensversicherer, deren Portfolien unter Druck geraten könnten, wären stark betroffen. Dies gilt umso mehr angesichts des demografischen Wandels und der steigen- den Lebenserwartung der Versicherungsnehmer. Die Solvency-II-Rahmenrichtlinie ist am 17. Dezem- ber 2009 im Amtsblatt der Europäischen Union veröf- fentlicht worden. Der Rechtsrahmen dieses Projekts muss nunmehr von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Noch sieht die Solvency-II- Richtlinie den 31. Oktober 2012 als Umsetzungsdatum vor. Gleichzeitig wird auf europäischer Ebene bereits die Diskussion über eine Anpassung der Solvency-II-Richt- linie an die neue EU-Aufsichtsstruktur geführt. Die so- genannte Omnibus-II-Richtlinie beinhaltet zudem auch Übergangsregelungen und eine Verschiebung des Um- setzungsdatums. Diskutiert wird als neuer Umsetzungs- termin ein Datum in 2013 und für eine Anwendung durch die Versicherungswirtschaft ab 2014. Wir setzen uns für eine zeitnahe Klärung ein, um Rechtssicherheit für die nationale Umsetzung zu erlan- gen. Der avisierte Zeitplan für die Befassung des Bundestags wird entsprechend angepasst, um auch die Vorgaben der Omnibus-II-Richtlinie im laufenden Ge- setzgebungsverfahren berücksichtigen zu können. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Bildung für nachhaltige Entwicklung dauer- haft sichern – Folgeaktivitäten zur UN- Dekade „Bildung für nachhaltige Entwick- lung“ ermöglichen – Bildung für nachhaltige Entwicklung ermög- lichen – Gleiche Bildungsteilhabe sichern (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Anette Hübinger (CDU/CSU): Mit der heutigen De- batte treten wir über Fraktionsgrenzen hinweg für ein wichtiges Thema ein. Mit dem Konzept der UNESCO „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und unserem un- terstützenden Antrag wollen wir die Zukunft unseres Landes, sogar der ganzen Welt prägen. Das sind ohne Zweifel große Worte und große Erwartungen. Wer sich aber keine hohen Ziele steckt, kann diese erst gar nicht erreichen. Warum ist dieses Thema so wichtig? In einem Satz zusammengefasst: Es ist sowohl ein zentrales Gegen- warts- als auch Zukunftsthema und betrifft Entwick- lungs- und Schwellenländer genauso wie alle Industrie- länder, also auch uns. Wirtschafts- und Schuldenkrisen führen uns genauso wie alle ökologischen Herausforderungen immer wieder vor Augen, dass das Streben nach immer mehr Wachs- tum an seine Grenzen stößt. Es wird und soll Wachstum bzw. Entwicklung weiterhin geben, aber im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Dazu brauchen wir einen Be- wusstseinswandel bei allen Menschen rund um den Glo- bus. Das ist gewaltige Herausforderung, der wir uns in Kooperation mit unseren internationalen Partnern stel- len. Eine solche Entwicklung werden wir allerdings nicht mit einem Ansatz, der von oben verordnet wurde, ansto- ßen und umsetzen können. Denn die Menschen müssen diesen Bewusstseinswandel in unsere Gesellschaften tra- gen, und dazu müssen wir jedes Individuum befähigen. Deshalb wurde die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ins Leben gerufen. Es war vor acht Jahren ein richtiges und wichtiges Si- gnal, dass die deutsche Umsetzung der UN-Dekade auf der Grundlage eines einstimmigen Bundestagsbeschlusses auf den Weg gebracht wurde. Die bisherigen Erfolge zei- gen, dass wir in Deutschland auf dem richtigen Weg sind, dieses innovative Lehr- und Lernmodell in allen Bildungsbereichen – vom Kindergarten bis zur Erwach- senenbildung – zu verankern. Die deutsche Umsetzung gilt im internationalen Ver- gleich als vorbildlich bzw. modellhaft. Ein Grund dafür ist, dass viele Akteure hinter dem Konzept stehen. Ein besonderes Lob möchte ich an die Deutsche UNESCO- Kommission richten, die die vielfältigen Maßnahmen in Deutschland koordiniert. Auf den bisherigen Erfolgen können wir uns aller- dings nicht ausruhen. Dieses Thema wird auch in den kommenden Jahrzehnten weltweit höchst relevant sein, weil wir die großen Herausforderungen, zum Beispiel Klimawandel, Energieeffizienz, Gleichstellungs- und Teilhabeaspekte, nur dann bewältigen, wenn die Bürge- rinnen und Bürger ihre Rolle bei der Problemlösung ver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20857 (A) (C) (D)(B) stehen und annehmen. Für die deutschlandweite Umset- zung der UN-Dekade heißt das, bestehende Defizite abzubauen und „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ weiter so energisch wie bisher voranzutreiben. Dazu sind wir gewillt, und der vorliegende Antrag unterstützt diese Bemühungen. Etwas anders stellt sich die weltweite Umsetzung dar. Bei allem Lob für die deutschen Bemühungen dürfen wir nicht vergessen, dass bei der internationalen Veranke- rung ein gewaltiges Nord-Süd-Gefälle klafft. Viele Re- gionen dieser Welt sind nicht im Ansatz so weit wie wir. Deshalb muss es gerade vonseiten der internationalen Staatengemeinschaft weitere Anstrengungen auch nach Ablauf der UN-Dekade im Jahr 2014 geben. Die ersten Anzeichen in diese Richtung sind ermuti- gend. So hat die Generalkonferenz der UNESCO im No- vember 2011 eine Resolution verabschiedet, wonach Optionen für die Umwandlung der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in einen institutionalisier- ten Prozess entwickelt werden sollen. Dies ist dringend erforderlich, damit das Thema in allen Regionen der Welt Fahrt aufnimmt. Hier ist auch deutsches Engage- ment gefragt. Aus diesem Grunde ist „Bildung für nach- haltige Entwicklung“ seit vielen Jahren ein fester Be- standteil unserer Entwicklungszusammenarbeit. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung trägt diesen Ansatz in unsere Partner- länder weltweit. Auch hier wäre Stillstand ein Rück- schritt. Wir schlagen deshalb vor, „Bildung für nachhal- tige Entwicklung“ als Themenschwerpunkt der Ent- wicklungskooperation mit unseren zehn Partnerländern – mit denen wir im Bereich Bildung eng zusammenar- beiten – zu integrieren. Die Bundesregierung kann auf internationalem Par- kett aber auch noch an anderer Stelle aktiv werden. Des- halb fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der UNESCO und auf der anste- henden UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung „Rio+20“ für Folgeaktivitäten der UN-Dekade einzuset- zen. Die Ausrufung einer Folgedekade oder eines Welt- aktionsprogramms wäre sicherlich das Tüpfelchen auf dem i. Ein grundsätzliches Problem teilen die deutsche und die weltweite Umsetzung. So ist es uns noch nicht in ge- nügendem Maße gelungen, die vielen, oft sehr erfolgrei- chen Einzelprojekte strukturell zu verankern. Erst wenn wir diesen Schritt gemeistert haben, haben wir unser Ziel erreicht. Schaut man sich im internationalen Vergleich die bisherigen Umsetzungen an, wird schnell deutlich, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. Für Deutschland muss in den kommenden Jahren das Ziel sein, als eines der ersten Länder die strukturelle Ver- ankerung der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ auf allen Ebenen umzusetzen. Die Voraussetzungen sind ge- geben, da wir in Deutschland über eine Vielzahl von qualitativ hochwertigen Einzelprojekten verfügen. So wurden seit 2005 rund 1 400 beispielhafte Aktivitäten im Bildungsbereich ausgezeichnet. An mangelnden Ideen und Impulsen kann es also nicht scheitern. Bildung für nachhaltige Entwicklung gehört meines Erachtens als ganzheitliches Konzept in die Lehrpläne der Schulen, der Hochschulen sowie in die berufliche Aus- und Weiterbildung. Sie ist ein unverzichtbarer Teil einer qualitativ hochwertigen Bildung und Ausbildung. Eine Verankerung in den Lehrplänen wäre ein Meilen- stein im internationalen Vergleich, und Deutschland sollte beispielgebend vorangehen. Lassen Sie uns also gemeinsam die noch ausstehen- den Herausforderungen im nationalen Kontext lösen. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Bundesregierung im Rahmen der Vereinten Nationen für Folgeaktivitäten zur UN-Dekade werben. Zu guter Letzt: Verhelfen wir der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ auch in den Re- gionen der Erde zum Durchbruch, wo es im Rahmen der UN-Dekade bisher noch nicht gelungen ist. Axel Knoerig (CDU/CSU): Der fraktionsübergrei- fende Antrag zur UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ macht deutlich, dass es im Deutschen Bundestag hierzu einen breiten Konsens gibt. Die von den Vereinten Nationen weltweit angestrebten Bildungs- ziele sollen auch in Deutschland weiterhin umgesetzt werden. Nur die Linke hat sich diesem Antrag verweigert und pocht auf eigene Bildungsstrategien. Der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ wurde ur- sprünglich nur in ökonomischen oder ökologischen Zu- sammenhängen verwandt. Seit Ende der 1980er-Jahre findet er auch Anwendung im sozialen und kulturellen Bereich. So legte die damalige UN-Bildungsbeauftragte Gro Harlem Brundtland 1987 einen Bericht vor, der diesen Aspekt in den Mittelpunkt der internationalen Bildungspolitik stellte. Inzwischen ist die „nachhaltige Entwicklung“ längst zum Leitbegriff in allen Politik- feldern geworden. Aktuelle Entwicklungen wie die Finanzkrise in Europa und der Klimawandel haben gleichzeitig auf anschauliche Weise deutlich gemacht, dass nur eine nachhaltige Politik zukunftsfähig ist. Dabei impliziert der Begriff „Nachhaltigkeit“ gleich eine ganze Reihe von gesellschaftspolitischen Zielen, wie Generationen- gerechtigkeit, sozialen Zusammenhalt, Lebensqualität und die Wahrnehmung internationaler Verantwortung. Um diese Ziele zu verwirklichen, muss vor allem im Be- reich Bildung angesetzt werden. Die Vereinten Nationen haben das Jahrzehnt von 2005 bis 2014 zur sogenannten Weltdekade ausgerufen: Das Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wurde in diesem Zusammenhang als einheitliches Ziel von allen 193 Mitgliedstaaten anerkannt. In dem genann- ten Zeitraum sollen neue Maßnahmen im Bildungsbereich eingeführt werden, um die Vorgaben der Agenda 21 zu unterstützen. Dieses Aktionsprogramm der Vereinten Nationen zur Entwicklungs- und Umweltpolitik wurde 1992 in Rio de Janeiro beschlossen und 2002 in Johan- nesburg noch einmal bestätigt. Das ganzheitliche Konzept umfasst alle Bereiche des Bildungssystems: Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen, Weiter- 20858 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Forschungs- institutionen. Dazu gehören auch das außerschulische, lebenslange Lernen sowie informelles Lernen außerhalb traditioneller Bildungsstätten. Als Organisation der Vereinten Nationen ist die UNESCO für die Bereiche Erziehung, Wissenschaft und Kultur zuständig. Die deutsche UNESCO-Kommission hat 2004 ein Nationalkomitee berufen, um einen Ak- tionsplan für die Bundesrepublik zu erstellen. Dieser wurde durch einen Beschluss des Bundestages bestätigt sowie durch einen Staatssekretär-Ausschuss und den „Rat für nachhaltige Entwicklung“ begleitet. Ergebnis ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, der weiterhin laufend ergänzt wird. Gemeinsam mit der UNESCO und der Deutschen UNESCO-Kommission hat das Bundesbildungsministe- rium 2009 eine internationale Konferenz ausgerichtet. Unter dem Titel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ fand die Tagung in Bonn statt. An dieser Stelle möchte ich Frau Ministerin Professor Schavan noch einmal für ihr besonderes Engagement danken. Ergebnis des Gip- fels war die Forderung, die globalen Bildungssysteme gemäß dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung neu auszurichten. Bisher sind von der Bundesregierung drei „Berichte zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ veröffentlicht worden. Der vierte Bericht wird bis zum Ende dieser Legislaturperiode 2013 folgen. Für die verbleibenden drei Jahre der laufenden Weltdekade sieht der Nationale Aktionsplan vor, die Vernetzung der Ak- teure und der Bildungsfelder zu intensivieren. Ich möchte zwei Beispiele aus dem „Nationalen Ak- tionsplan für Deutschland 2011“ anführen: Da ist zum einen der Girls’ Day zu nennen, der vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend ausgerichtet wird. Diese Veranstaltung gehört in den Bereich „außerschulische Bildung und Weiter- bildung“. Zum anderen ist die Förderinitiative „Deutsch- land – Land der Ideen“ zu erwähnen, die zukunftsorien- tierte Projekte in „365 Orten“ auszeichnet. Darunter sind auch zwei Firmen aus meinem Wahlkreis Diepholz/ Nienburg, die sich für einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser einsetzen: die Internationale Geo- textil GmbH und EcoRain International, beide ansässig in Twistringen. Mein heimatliches Bundesland Niedersachsen hat sich der „Norddeutschen Partnerschaft zur Unterstüt- zung der UN-Dekade“ angeschlossen. Die Mitglieder haben sich verpflichtet, alle zwei Jahre länderübergrei- fende Konferenzen zum Thema abzuhalten. Die Nach- haltigkeitsstrategie des Landes Niedersachsen sieht vor, junge Menschen am Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ zu beteiligen. Ein erfolgreiches Projekt hierbei trägt den Titel „Umweltschule in Europa/Interna- tionale Agenda 21-Schule“. Jede teilnehmende Schule setzt sich mit zwei Themen aus dem Bereich Umwelt/ Nachhaltigkeitsbildung auseinander, zum Beispiel mit den Themen Energie, Abfall, Naturschutz und Mobilität. Dabei geht es auch um passgenaue und ganzheitliche Bildungskonzepte für den ländlichen Raum. Eine Jury zeichnet die besten Arbeiten aus. In meinem Wahlkreis nehmen im Zeitraum 2010 bis 2013 insgesamt 15 Schu- len an diesem Wettbewerb teil. Man sieht: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, „Bil- dung für nachhaltige Entwicklung“ umzusetzen. Haupt- sächlich kommt es aber darauf an, künftige Genera- tionen auf neue Herausforderungen vorzubereiten. Ich fordere deshalb alle bildungspolitischen Akteure im Hohen Haus auf, sich angesichts der erfolgreichen Bilanz des deutschen Aktionsplans für eine Fortsetzung von „Bildung durch nachhaltige Entwicklung“ ab 2015 einzusetzen. Ulla Burchardt (SPD): Wissen Sie eigentlich, wie Ihr Essen unser Klima beeinflusst? Nein? Dann haben Ihnen die Schüler der UNESCO-Projektschulen von heute an einiges voraus. Unter dem Motto „Hinterm Tel- lerrand geht’s weiter“ haben sich ihre Schüler heute an einem deutschlandweiten Projekttag mit Fragen wie „re- gionale Lebensmittel“, „fairer Handel“ oder „zukünftige Welternährung“ befasst. Das Thema ist an die UN-De- kade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ angelehnt, deren Schwerpunkt in diesem Jahr im Bereich Ernäh- rung liegt. Diese Dekade wird im Jahr 2015 auslaufen. Wir wol- len den Bildungsansatz dieser Dekade dauerhaft veran- kert wissen, da eine zukunftsfähige Weltgesellschaft noch mehr Anstrengungen in diesem Bereich braucht. In dem vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregie- rung daher auf, sich auf internationaler Ebene, auf der UN-Konferenz „Rio+20“, dafür einzusetzen, entweder eine Folgedekade oder ein nachfolgendes Weltaktions- programm auszurufen. Bildung für nachhaltige Entwick- lung soll darüber hinaus bei der internationalen Koope- ration Deutschlands und in der Entwicklungszusammen- arbeit stärker in den Vordergrund rücken. Gerade in Deutschland wurde die UN-Dekade vor- bildlich umgesetzt; aber es gibt immer noch viel zu tun. Daher müssen auf nationaler Ebene bisherige Initiativen fortgesetzt werden. Schließlich wollen wir, dass durch Bildung für nachhaltige Entwicklung Kommunen mehr Unterstützung erfahren, ehrenamtliches Engagement von Bürgern gewürdigt und bildungsferne Schichten besser integriert werden. Die Leitidee der Nachhaltigkeit muss endlich dauerhaft in informellen Bildungsprozes- sen wie in den klassischen Bildungsinstitutionen veran- kert werden, von der Grundschule bis zur Hochschule und in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Aber vor allem international liegen noch große He- rausforderungen vor uns. Insbesondere im subsahari- schen Afrika muss das Konzept der Bildung für nachhal- tige Entwicklung noch besser mit Bildungsprogrammen verknüpft werden. 2002 rief die UNO die Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aus. Ziel war, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in allen Bil- dungsbereichen zu verankern und allen Menschen die Chance zu geben, sich Wissen und Werte für eine le- benswerte Zukunft anzueignen. Alle müssen lernen, ihre täglichen Entscheidungen zu ändern. Weniger wird dann mehr: mehr Wohlstand und mehr Lebensqualität durch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20859 (A) (C) (D)(B) weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, weniger Schadstoffe, Emissionen und Abfälle. Die Weltdekade ist wie die nachhaltige Entwicklung kein Projekt, das sich von oben beschließen lässt. Ohne die Beteiligung vieler Menschen aus den unterschied- lichsten gesellschaftlichen Bereichen ist eine nachhaltige Zukunftsgestaltung nicht zu machen. Um ihren Einsatz sichtbar zu machen und zu würdigen, zeichnet das Nationalkomitee der UN-Dekade Projekte für herausra- gendes Engagement im Bereich BNE aus. Preisträger sind Kitas, Schulen und Hochschulen, aber auch Kom- munen, Verwaltungen, Betriebe und Medien. So ver- schieden die Ausgezeichneten, so vielfältig sind auch die Projekte: In meiner Heimatstadt Dortmund etwa lernen die „fairspielten Kinder“, wie man mit Sonne kochen kann. Im Projekt „Welt:Klasse“ reisen Schüler nach Kenia oder Thailand, um dort an Partnerschulen zu unterrich- ten, Bäume zu pflanzen oder Spielplätze zu bauen. In ei- nem anderen Projekt werden die Prinzipien der Bildung für nachhaltige Entwicklung systematisch in die Ausbil- dung junger Lehramtsanwärter verankert. 1 400 Projekte wurden so inzwischen ausgezeichnet. Hinzu kommen 13 Kommunen. Damit aus der Vision Nachhaltigkeit auch Wirklich- keit wird, reicht Wissen allein nicht aus. „Sustain abili- ties“, das meint Fähigkeiten, dieses Wissen auch anwen- den zu können. Das genau sind die Fähigkeiten, die hierzulande bislang zu wenig gefördert werden: vernetz- tes und vorausschauendes Denken, Probleme angemes- sen kommunizieren zu können und nicht zuletzt die Fä- higkeit zu lebenslangem Lernen. Wir fordern, die Leitidee der Nachhaltigkeit in allen Bildungsbereichen zu verankern. Gelänge dies, wäre das für das Bildungs- angebot wie die Bildungspraxis in Deutschland ein qua- litativer Meilenstein. Ich danke den vielen Unterstützern dieses Antrags für die gute Zusammenarbeit: der Deutschen UNESCO- Kommission, dem Büro des Vorsitzenden des National- komitees Bildung für nachhaltige Entwicklung und na- türlich den Kollegen der anderen Fraktionen, mit denen wir diesen Antrag gemeinsam eingebracht haben. Angelika Brunkhorst (FDP): Seit 2005 hat die UN- Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, BNE, zahlreiche Erfolge erzielt. Insgesamt 1 400 Beispiele aus der Praxis wurden als „Offizielle deutsche Dekade-Pro- jekte“ deklariert. Alle zeichneten sich besonders durch ihre innovativen und qualitativ hochwertigen Aktivitäten aus. Eine ähnliche Würdigung erhielten ebenso 13 Kom- munen, die sich das Thema nachhaltige Entwicklung zum Leitmotiv gemacht haben und sich als „Offizielle deutsche Dekade-Kommune“ bezeichnen dürfen. In fast allen Bundesländern existieren Beratungs- und Unter- stützungsstrukturen, die zu einer Festigung der BNE in der Gesellschaft führen sollen. Eine nahezu flächen- deckende Implementierung dieser Thematik ist daher deutlich erkennbar. Deutschland hat sich damit zu Recht, auch aus internationaler Sicht, zum Vorzeigeland für die Umsetzung der UN-Dekade entwickelt. Bildung für nachhaltige Entwicklung erhöht die Bil- dungsqualität und führt dazu, dass gerade Kinder und Ju- gendliche aus bildungsfernen Schichten besser integriert werden. Insbesondere die verknüpfte Vermittlung von Fachwissen mit Werten und Kompetenzen und prakti- schen Fertigkeiten bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich dem Thema nachhaltige Entwicklung auf unterschiedliche Weise zu nähern. Daher ist eine Verankerung von nachhaltigkeitswirksamen Themen in der gesamten Bildungskette von essenzieller Bedeutung: von der Kita, den Schulen, den Berufsschulen, den Uni- versitäten bis zu den Erwachsenenbildungseinrichtun- gen. Die Abschlusserklärung der UNESCO-Weltkonferenz in Deutschland vom Frühjahr 2009 hat gezeigt, dass Bil- dung für nachhaltige Entwicklung immer mehr als natio- nales und auch internationales Handlungsfeld akzeptiert wird und einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Bildungsqualität leistet. Nichtsdestotrotz ist es notwen- dig, sich für Folgeaktivitäten der UN-Dekade einzuset- zen, um eine umfassende Verankerung der BNE in allen Bereichen der Bildung zu erreichen. Vier Handlungsfelder, die im Antrag zum Ausdruck kommen, möchte ich daher besonders hervorheben, da sie in meinen Augen für Deutschland von ganz besonde- rer Bedeutung sind. Das erste Handlungsfeld ergibt sich in der Elementar- pädagogik. Hier muss gezielt die Begeisterungsfähigkeit der Jüngsten genutzt werden, um sie spielerisch mit dem Thema BNE vertraut zu machen. Dafür ist es wichtig, dass gerade Erzieherinnen und Erzieher die Möglichkeit bekommen, sich durch Fort- und Weiterbildungsmaß- nahmen gezielt zu qualifizieren. Ein weiteres Handlungsfeld ist die Förderung der so- genannten Entrepreneurship skills, also des unternehme- rischen Denkens und Handelns, wie es bereits in nach- haltigen Schülerfirmen erlernt wird. Diese Fähigkeiten sind insbesondere für Unternehmen von besonderem In- teresse und oftmals Anreiz für Public Private Partner- ships. Darüber hinaus leisten private Investitionen von Firmen oder Bürgern in vielen anderen Bereichen einen wichtigen Beitrag zur Verankerung des Themas Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft. Priva- tes Engagement trägt dazu bei, dass nicht nur die Le- bensqualität in den Kommunen gesteigert wird, sondern auch dazu, dass das Bildungsniveau der Bürgerinnen und Bürger verbessert wird. Weitere private Investitio- nen sollten daher mobilisiert werden. Auch im Bereich der sogenannten MINT-Fächer leis- tet die gezielte Implementierung von BNE durch ihren interdisziplinären Ansatz einen positiven Beitrag und führt zur Steigerung der Attraktivität von naturwissen- schaftlichen Themen. Studenten und spätere Absolven- ten erlernen so ganzheitlich einen ressourceneffizienten Umgang. Die Einbindung technisch-naturwissenschaftli- cher Expertise in BNE kann so direkt auch dem Fach- kräftemangel entgegenwirken. Ein weiteres Handlungsfeld ist die Implementierung und Verfestigung von BNE im Rahmen der deutschen 20860 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Entwicklungszusammenarbeit. Hier gilt es, die Vorbild- funktion Deutschlands zu nutzen und gezielt das Thema global weiter auszubauen und zu festigen. Denn häufig besitzen die Menschen in vielen Entwicklungsländern nicht die Möglichkeit zur Grundbildung. Insbesondere der afrikanische Kontinent stellt hier eine große Heraus- forderung dar. Dieser Antrag würdigt die Arbeit der vielen Men- schen, die in diesem Bereich tätig sind; ehrenamtlich oder professionell. Sie werden durch die Forderung für Folgeaktivitäten der UN-Dekade in ihrem Handeln be- stärkt. Ich möchte all jenen danken, die es sich zur Auf- gabe gemacht haben, das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft zu implementieren und dieses innovative Lehr- und Lernmodell in der Praxis an- wenden. Es zeigt sich jedoch, dass zehn Jahre nicht aus- reichen, um die Denkweise und den Lebensstil einer Ge- sellschaft nachhaltig zu verändern. Daher setzen wir uns als FDP-Fraktion für eine Weiterführung von BNE nach 2014 ein. Sylvia Canel (FDP): Die Zunahme und Intensivie- rung globaler Verflechtungen in den Bereichen Wirt- schaft, Politik, Kultur, Umwelt und Kommunikation hat Auswirkungen auf den Alltag jedes Einzelnen. Denn un- ser Handeln hat Einfluss nicht nur auf uns selbst, son- dern auch auf unsere Mitmenschen, auf die Umwelt, die Wirtschaft, die Politik. Aber unser heutiges Handeln hat auch entscheidenden Einfluss auf das Leben von Men- schen, mit welchen wir nicht unmittelbar zusammenle- ben, auf Menschen in anderen Weltregionen und auf die Chancen und Möglichkeiten zukünftiger Generationen. Dies ist umso bedeutender in einer Zeit, in welcher Kri- sen zum Kennzeichen der Gegenwart geworden sind: Fi- nanzkrise, Staatsschuldenkrise, Euro-Krise, Klimakrise. Die damit verbundenen Herausforderungen und auch Bedrohungen verlangen eine Änderung der Politik und des individuellen Verhaltens. Bildung für nachhaltige Entwicklung hat deshalb zum Ziel, den Umgang mit den daraus resultierenden globa- len, oft sehr abstrakten Problemen zu erlernen und zum nachhaltigen Handeln anzuleiten. Nachhaltigkeit bezieht sich auf drei Bereiche: Ökologie, Ökonomie und Sozia- les. Vor allem der ökonomische Aspekt sollte meines Er- achtens noch viel stärker in den Fokus rücken, gerade im Angesicht der Debatte um die europäische Staatsschul- denkrise. Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang auch, eine verantwortliche Haushaltspolitik zu betreiben, die eben nicht auf Schulden aufbaut und die Handlungs- spielräume zukünftiger Generationen massiv einschränkt. Wir sehen uns mit immer größeren Belastungen und Fehl- entwicklungen in Politik und Wirtschaft konfrontiert, die immer größere Belastungen für die Gesellschaft bedeu- ten. Schülerinnen und Schüler sollten deshalb in den Schulen grundlegende ökonomische Zusammenhänge erlernen und reflektieren. Wie gehen wir mit diesen Kri- sen um? Wie wollen wir in Zukunft leben? Dies sind grundlegende Fragen, die in einer Pädagogik, die für ein Leben im Welthorizont befähigen will, aufgegriffen wer- den müssen. Die Herausforderung für Lehrende und Ler- nende liegt daher in der Bewusstmachung und Vermitt- lung einer globalen Perspektive des Denkens, Urteilens und Handels in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Um globale Probleme wahrzunehmen, zu re- flektieren und um einen Umgang mit Kontingenzerfah- rungen zu ermöglichen, müssen Kompetenzen ausgebil- det werden, die den Weg für ein motiviertes und engagiertes Problemlösehandeln bereiten. Dies ist im Besonderen im Bereich der ökonomischen Bildung an Schulen grundlegend. Ökonomische Zusammenhänge müssen an den Schulen gelehrt, gelernt und reflektiert werden. Die Bedeutung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung liegt in ihrem Innovationspotenzial für die Bewältigung von Krisen vor dem Hintergrund der Nach- haltigkeit und für die Gestaltung des Bildungswesens. Dies entspricht einer der Forderungen, die in der Bon- ner Erklärung von den Teilnehmerinnen und Teilneh- mern der ersten UNESCO-Weltkonferenz „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, die vom 31. März bis 2. April 2009 in Bonn stattfand, verankert ist: „BNE unterstützt Gesellschaften beim Umgang mit verschiedenen Hand- lungsfeldern und Themen, darunter Wasser, Energie, Klimawandel, Katastrophenvorsorge, Verlust der Arten- vielfalt, Nahrungsmittelkrisen, Gesundheitsgefährdun- gen, soziale Verwundbarkeit und Unsicherheit. Sie ist entscheidend für die Entwicklung neuen ökonomischen Denkens.“ Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir, dass diese gute und zukunftsweisende Arbeit weitergeführt wird. Die Erfolge sind sehr gut. Nun muss es um die dauer- hafte Implementierung der Bildung für nachhaltige Ent- wicklung im Unterricht an den Schulen und allen ande- ren Bildungseinrichtungen gehen und auch um die Stärkung des ökonomischen Aspekts. Es bedarf weiterer Anstrengungen, um das Leitbildung- und Bildungskon- zept noch tiefer im Bewusstsein der Bevölkerung, im Alltag der Schulen und in der Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals zu verankern. Aus diesem Grund set- zen wir uns für Folgeaktivitäten ein, um die Verbreite- rung einer zukunftsfähigen Bildung national und interna- tional voranzutreiben. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Bildung für nachhaltige Entwicklung soll bewirken, dass Menschen sich ihrer Verantwortung für Natur und Gesellschaft be- wusster werden und begreifen, dass die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Gestaltung einer sozial gerechten und nach ökologischen Grundsätzen ge- stalteten Gesellschaft das verantwortliche Handeln aller erfordert. Nachhaltig zu denken und zu handeln, das er- fordert, die Zusammenhänge in der Welt zu begreifen, die Wirkungen neuer Technologien ebenso vorausschau- end zu beachten und die Folgen eines hemmungslosen Ressourcenverbrauches im Blick zu haben. Dabei ist es wichtig, das soziale und ökologische System der Erde als System kommunizierender Röhren zu begreifen, was heißt, dass verantwortungsloses Handeln, zum Beispiel in Europa, verheerende Folgen am Nordpol oder in Süd- amerika haben kann. Bildung für nachhaltige Entwick- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20861 (A) (C) (D)(B) lung will Menschen in die Lage versetzen, diese Zusam- menhänge zu verstehen und danach zu handeln. Das ist ein ehrenwertes Ziel. Es ist aber nicht umzusetzen, wenn große Teile der Bevölkerung von diesem gemeinsamen Lernprozess aus- geschlossen sind, wenn ihnen Bildung nicht oder nur un- zureichend zugänglich ist. Darum fordert Die Linke, dass Bildung selbst nachhaltig sein muss, wenn Bildung für nachhaltige Entwicklung erfolgreich sein soll. Der- zeit aber sind wir selbst in einem so hochentwickelten Land wie Deutschland davon weit entfernt. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Neulich war ich in meinem Wahlkreis Schönebeck in einer Einrichtung eines freien Trägers der Jugendhilfe, Rückenwind e. V. „Unser Hauptaugenmerk gilt jungen Menschen und ihren Entwicklungsmöglichkeiten und -un- möglichkeiten“, so kann man auf der Internetseite des Vereins lesen. Innerhalb seines Angebotes bietet „Rü- ckenwind“ unter anderem Hilfe bei Schulproblemen, und der Träger beteiligt sich am ESF-Programm „2. Chance“. Auf dem Flur der Lernstätte finden sich Plakate mit den Erfolgen des Programmes. Silke S. – der Name ist erfunden, das Mädchen nicht – hat über dieses Programm ihren Realschulabschluss geschafft und eine Lehre aufgenommen. Silke S. kam in dieses Programm aus der Förderschule Lernen und hatte dort gar keinen Abschluss erreichen können. Was war falsch gelaufen in der Bildungskarriere die- ser jungen Frau, die erst an die Förderschule für Lernbe- hinderung verwiesen wurde und nun doch ihren Real- schulabschluss mit gutem Erfolg gemacht hat? Warum konnte sie die erste Chance, die Regelschule, nicht er- folgreich meistern? Was hat sie gehindert, nachhaltig zu lernen? Diese und andere Fragen müssen wir stellen, wenn es um nachhaltige Bildung geht. Wenn junge Menschen, wie die LEO-Studie nach- wies, trotz Hochschulabschluss zu funktionalen An- alphabeten werden oder gleich ohne ausreichende Grundbildung die Schule verlassen, dann ist Bildung nicht nachhaltig, dann stimmt etwas nicht in unserem Bildungssystem. Wenn frühkindliche Bildung zwar pos- tuliert, aber nicht mit ausreichend gut ausgebildeten Fachkräften besetzt werden kann und Tausende Fach- kräfte fehlen, dann stimmt etwas nicht in unserem Bil- dungssystem. Wenn Kindern aus sozial benachteiligten Familien nicht genügend Bildung in- und außerhalb der Schule zugänglich gemacht werden kann und selbst Bil- dungspakete nicht wirklich greifen, dann stimmt etwas nicht in unserem Bildungssystem. Wenn private Nach- hilfe der Notanker ist, weil Lehrerinnen und Lehrer sich nicht in der Lage sehen, alle Schülerinnen und Schüler ausreichend zu fördern, dann stimmt etwas nicht in unse- rem Bildungssystem. Wenn Kommunen Schulen nicht angemessen ausstatten können und moderne Lehr- und Lernmittel unerschwinglich sind, dann stimmt etwas nicht in unserem Bildungssystem. Wenn im Jahre 2009 über 1,5 Millionen Menschen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren keinen Berufsabschluss haben, dann stimmt etwas nicht in unserem Bildungssystem. Wenn so vieles in unserem Bildungssystem nicht stimmt, dann kann Bil- dung nicht nachhaltig sein, dann läuft auch Bildung für nachhaltige Entwicklung für einen großen Teil von Men- schen ins Leere. Die nachhaltige Entwicklung unserer und der Weltge- sellschaft wird aber nur erreichbar sein, wenn möglichst alle an diesem Entwicklungsprozess teilhaben können, wenn sich alle Bildung für nachhaltige Entwicklung an- eignen können. Diese Dimension ist im Antrag der Gro- ßen Koalition von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen leider nicht enthalten. Darum haben wir diesen Antrag gestellt. Möglicherweise werden die Antragstellerinnen und Antragsteller des anderen Antrages unserem nicht zu- stimmen. Doch das Problem wird bleiben, und wir wer- den nicht müde, es immer wieder zu thematisieren. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die große Mehrheit dieses Hauses legt heute eine Initiative vor, um die „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, BNE, dauerhaft zu sichern und Folgeaktivitäten zur gleichnamigen UN-Dekade zu ermöglichen. Die Auffor- derung des Parlaments geht also an die Bundesregie- rung, hier mehr Engagement zu zeigen, Impulse zu setzen und zu entsprechenden internationalen Verhand- lungen und Vereinbarungen zu kommen. Denn die BNE ist für den gesamten Bereich der Nachhaltigkeit eine Art „Schlüsselkatalysator“. Und das gilt auch für die Bildung in Deutschland. Seit fast 20 Jahren, seit der UN-Konferenz für Um- welt und Entwicklung, auch bekannt als Rio 1992, ist Nachhaltigkeit ein zentraler Begriff und eine Herausfor- derung in der internationalen Politik. Vor 20 Jahren wurde auf dem „internationalen Parkett“ endlich Thema, dass die großen Menschheitsherausforderungen nicht von einzelnen Staaten, sondern nur in einer globalen Partnerschaft gelöst werden können. Die nachhaltige Entwicklung aller Staaten, Gesellschaften und Wirt- schaftssysteme wurde als Voraussetzung identifiziert, um Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu reduzieren, Ar- mut, Hunger und Krankheit sowie Analphabetismus zu verringern, aber auch um die Zerstörung der Ökosys- teme zu verringern, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zu erhalten und das Klima zu schützen statt zu zerstören. Für all diese Ziele ist Bildung eine zentrale Vorausset- zung. Dies hat auf Bundesebene schon die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer „Nationalen Nachhaltigkeits- strategie“ 2002 aufgegriffen. Im Jahr 2005 wurde ein rot-grüner Parlamentsantrag für einen Aktionsplan zur UN-Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ einstimmig angenommen. Ende Juni 2012 steht nun, wiederum in Rio, die „UN- Konferenz für nachhaltige Entwicklung 2012“ an. Wir Grüne wollen, dass dort nicht nur Bilanz gezogen wird, sondern dass vor allem auch weitergehende Lösungen für die Zukunft erarbeitet, präsentiert und verabredet werden. Deswegen muss es nicht um ein „Rio+20“ gehen, sondern um ein „Rio20+“. Das gilt auch für die Bildungsinitiativen. 20862 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) In dieser Woche hat das Kinderhilfswerk der Verein- ten Nationen, UNICEF, mit einem Bericht erst wieder deutlich gemacht, dass zum Beispiel der Analphabetis- mus in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern noch immer ein riesiges Problem ist. Wenn in den ärmsten Ländern der Erde rund ein Viertel der jungen Frauen und ein Drittel der jungen Männer nicht lesen und schreiben kann, sind sie damit fast zwangsläufig vom sozialen Fortschritt abgeschnitten und ihrer individuellen Rechte, Teilhabechancen und Zukunftsperspektiven beraubt. Auch hier müssen internationale Vereinbarungen entge- genwirken. Es ist daher eine Minimalforderung, dass alle Bundesministerien zukünftig BNE zu einem Kernbe- standteil in der Umsetzung der jeweiligen Internationali- sierungsstrategie machen. Wir halten es für notwendig, dass darüber hinaus alle Ressorts gefordert sind, BNE sowohl in ihren nationalen Strategien zu verankern als auch sich international für ihre Sicherung, Verstetigung und Umsetzung starkzumachen. Aber auch auf unserer nationalen Ebene ist noch eini- ges zu tun: Qualitativ hochwertige Bildung muss sowohl nach- haltigkeitsrelevante Themen einbeziehen als auch nach- haltige Methoden wählen. Im Rahmen der Bonner Erklä- rung der UNESCO-Weltkonferenz „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat sich die damalige Bundes- regierung 2009 unter anderem dazu verpflichtet, „das Leitbild der Nachhaltigkeit in die Lehrer-Ausbildung … (zu) integrieren.“ In der letzten Woche hat Bundesbildungsministerin Schavan mit den Wissenschaftsministerinnen und -minis- tern der Länder verabredet, die Qualität der Lehrerausbil- dung mit einem – noch zu konkretisierenden – gemein- samen Programm weiter zu steigern. Wir fordern die Bundesregierung nun auf, ihre 2009 in Bonn eingegan- gene Verpflichtung umzusetzen und die Stärkung des Leitbildes der Nachhaltigkeit in dieses Programm mit aufzunehmen. In der Jugendpolitik steht unter Ministerin Schröder eine weitere Verpflichtung des Jahres 2009 aus: Das Recht junger Menschen auf Mitsprache bei der Umset- zung von BNE muss gestärkt werden. BNE muss zudem stärker in der Kita Schule machen. Nebenbei in diesem Zusammenhang: Die schwarz-gelbe Antikitaprämie Be- treuungsgeld ist das glatte Gegenteil einer nachhaltigen Bildungspolitik. Außerdem fordern wir als grüne Fraktion die Bundes- regierung auf, im Mai 2012 eine Grundgesetzänderung vorzulegen, die nicht nur die Kooperation von Bund und Ländern bei der Finanzierung von Einrichtungen an Hochschulen erleichtert, sondern die es vor allem er- möglicht, dass Bund und Länder ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung für die Bildung gemeinsam nachkommen können. Dabei können und müssen die Koalitionsfrak- tionen einen energischen Beitrag leisten. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Schritt dahin ist mit dem vorliegenden gemeinsamen BNE-Antrag getan: Dort erkennen die Koalitionsfraktio- nen BNE als innovatives Lehr- und Lernmodell an sowie als ein wichtiges Leitbild für alle Bildungsbereiche und die nachhaltige Gestaltung der Organisation der Bil- dungseinrichtungen selbst. Wer in der Lage ist, so vernetzt zu denken, und die Bildungseinrichtungen als befähigenden Teil einer um- fassenden Bildungskette vom Kindergarten bis zur Er- wachsenenbildung ansieht, der sollte doch auch den einen weiterführenden Schluss daraus ziehen können: Nur die verfassungsrechtliche Ermöglichung einer ge- samtstaatlichen, ebenenübergreifenden Verantwortung stellt sicher, dass diese Anforderungen auch erfüllt wer- den können. Wir wollen dabei keine Verfassung, in der der Bund zum zentralstaatlichen Lenker aller Bildungsprozesse wird. Wir wollen eine Ermöglichungsverfassung, damit Bund, Länder und Kommunen zum Wohle der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen kooperieren können, wo es sinnvoll und notwendig ist. Zum Antrag der Linksfraktion: Wir lehnen ihn ab, weil er zwar bildungspolitische Forderungen enthält, aber letztlich kein Antrag zum Thema ist. Wer die Schul- denbremse abschaffen und die Bologna-Reform kom- plett rückabwickeln will, liegt nicht nur haushalts- und bildungspolitisch falsch, sondern dem scheint es am Grundverständnis für BNE zu mangeln. Die Bundesregierung fordere ich im Namen meiner Fraktion auf, gemäß dieses fraktionsübergreifenden Par- lamentsbeschlusses zu handeln: das heißt, mit den Stake- holdern ein Konzept für Folgeaktivitäten zu entwickeln und vorzulegen, das sie dann mit Rückenwind dieses Hauses auf internationaler Ebene einspeisen können. Deutschland hatte und hat hier eine Vorreiterrolle und Vorbildfunktion und war wichtiger Impulsgeber – dies müssen wir auch künftig bleiben. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Kampf gegen wissenschaftliches Fehlverhal- ten aufnehmen – Verantwortung des Bundes für den Ruf des Forschungsstandortes Deutschland wahrnehmen – Wissenschaftliche Redlichkeit und die Qua- litätssicherung bei Promotionen stärken (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): „Der Geist stiehlt, wo er kann.“ Davon war zumindest Paul Valéry, ein französischer Dichter des 19. Jahrhunderts, über- zeugt. Plagiate gibt es eben nicht erst seit der Erfindung des Internets. Plagiate gibt es auch nicht erst seit der Er- findung des Buchdrucks. Plagiate sind so alt wie die Menschheit. Wir alle hier im Bundestag kennen be- rühmte Plagiatsfälle aus ganz unterschiedlichen Lebens- bereichen: Ob in der Literatur mit Bertolt Brecht, in der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20863 (A) (C) (D)(B) Musik mit Johann Sebastian Bach oder in der Kunst, wo Rubens von Michelangelo kopierte. Natürlich oder, bes- ser gesagt, leider kennen wir auch berühmte Plagiatsfälle aus der Wissenschaft: Dazu zählt zum Beispiel die Dok- torarbeit von Martin Luther King: Große Teile seiner Ar- beit übernahm der amerikanische Bürgerrechtler von an- deren Autoren, ohne diese Abschnitte entsprechend zu kennzeichnen. Heute debattieren wir hier, weil es wieder aktuelle Plagiatsfälle gegeben hat. Wir alle kennen die Namen, die ich an dieser Stelle aber nicht nennen werde. Das er- spare ich mir aus einem guten Grund. Denn das eigentli- che Problem sind nicht die wenigen Fälle, wo bekannte Personen ihre Arbeiten kopiert oder gar gefälscht haben. Das eigentliche Problem geht noch tiefer: Seriöse Schät- zungen gehen davon aus, dass mittlerweile bis zu 10 Prozent aller wissenschaftlichen Arbeiten Plagiate sind – 10 Prozent! Im Jahr 2010 gab es fast 26 000 Pro- motionen in Deutschland. Damit sind wir Spitze im in- ternationalen Vergleich. Freuen können wir uns dabei insbesondere über die deutliche Steigerung bei den Pro- motionen in den MINT-Fächern. Aber 26 000 Promotio- nen bedeuten dann auch: 2 600 davon werden wissen- schaftlichen Maßstäben nicht gerecht. Um es deutlich zu sagen: Jedes Plagiat, jede Kopie, jedes bewusste, aber auch jedes unbewusste Fehlverhalten ist zu verurteilen. Jedes Plagiat schadet dem Ruf des Wissenschaftsstand- ortes Deutschland massiv. Was ist also die Ursache für das Fehlverhalten von so vielen angehenden oder auch bereits etablierten Wissen- schaftlern? Natürlich ist es heutzutage viel einfacher, Textabschnitte zu kopieren und als die eigenen auszuge- ben. Vielfach führen aber auch einfach Zeitdruck oder Auftragsüberlastung dazu, dass Quellen nicht mehr ord- nungsgemäß angegeben oder recherchiert werden. Für viele erhöht ein akademischer Grad auch den sozialen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Rang: Die Mo- tivation zum Beispiel für das Schreiben einer Doktorar- beit kann also auch ganz entscheidend sein für deren Qualität. Aber die eigentliche Ursache für wissenschaft- liches Fehlverhalten liegt woanders. Für mich liegt diese Ursache in einem generellen moralischen Fehlverhalten. Dies bezieht sich aber auf unsere gesamte Gesellschaft und nicht nur auf einzelne Fälle in der Wissenschaft. Ge- sellschaftliches Fehlverhalten spiegelt sich eben auch im Fehlverhalten in der Wissenschaft wider. Was können wir also machen, um dieses Fehlverhal- ten abzustellen? Ich denke, wir sollten gemeinsam zwei Ziele anstreben. Erstens. Wir brauchen in unserer Ge- sellschaft eine Rückbesinnung auf Werte. Wir brauchen mehr Ehrlichkeit, mehr Sein als Schein; darauf muss es in unserer Gesellschaft wieder ankommen. Dies bezieht sich auf alle Lebensbereiche und nicht nur auf die Wis- senschaft. Moralisch einwandfreies Verhalten kann man aber nicht verordnen; das kann man nur vorleben. Und gerade dafür brauchen wir Vorbilder: in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kirche und in allen weiteren ge- sellschaftlichen Bereichen. Zweitens – ich habe es bereits betont –: Niemand kann Moral und Anstand verordnen oder gar gesetzlich regeln. Das gilt eben auch für die Wissenschaft. Die Uni- versitäten, Fachhochschulen oder Forschungseinrichtun- gen müssen in erster Linie selbst dafür sorgen, dass sie die sogenannte gute wissenschaftliche Praxis umsetzen. Die entsprechenden Empfehlungen der DFG sind dabei eine sehr gute Maßgabe. Es reicht aber nicht aus, nur die Symptome zu bekämpfen, also die Kontrollmechanis- men der Hochschulen zu verbessern, verstärkt auf Soft- ware zu setzen, die Plagiate aufspürt, oder konsequent Bestrafungen umzusetzen. Das ist alles wichtig und rich- tig, keine Frage. Zum Beispiel ist für die Redlichkeit ei- ner Promotion vor allem der Doktorand verantwortlich. Genauso tragen aber auch der Doktorvater oder die Zweitprüfer eine große Verantwortung für die wissen- schaftliche Arbeit; für ihre Betreuung und die Benotung. Es kommt also gerade auch in unserem Wissenschafts- system darauf an, dass sich alle Beteiligten korrekt, an- ständig und vor allem ehrlich verhalten. In Deutschland brauchen wir Innovationen, um auf Dauer wettbewerbsfähig zu bleiben und um unseren Wohlstand zu sichern. Innovationen beruhen aber nicht auf Kopien. Innovationen beruhen nicht auf Plagiaten. Innovationen beruhen auf neuen, kreativen Ideen. Wir brauchen also ein transparentes Wissenschaftssystem, in dem Innovationen gefordert und gefördert werden. Das stärkt den Ruf des Wissenschaftsstandortes Deutschland, und es stärkt dadurch auch unseren Wirtschaftsstandort. Grundlage dafür ist – ich habe es bereits betont – ein Mehr an Ehrlichkeit: ein Mehr an Ehrlichkeit des Einzel- nen, ein Mehr an Ehrlichkeit der Gesellschaft. Eben weil wir mehr Ehrlichkeit brauchen, rufe ich Sie dazu auf: Lassen Sie uns Vorbild sein, ein Vorbild, vielleicht mit „kleinen Fehlern“, wie es unser Kollege Wolfgang Börnsen in seinem Buch so treffend beschrieb, aber trotzdem ein Vorbild. Ich fordere die Universitäten dazu auf: Gehen Sie offen, transparent, aber auch konsequent mit wissenschaftlichem Fehlverhalten um. An all diejenigen, die vielleicht darüber nachdenken, ihre eigene wissenschaftliche Arbeit „abzukürzen“, an sie kann ich nur appellieren: Machen Sie es nicht. Blei- ben Sie ehrlich. Wenn dieser Appell nicht hilft, kann ich nur eines sagen: Ihr Fehlverhalten wird aufgedeckt – eher früher als später. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): In den vergange- nen Monaten haben diverse Plagiatsaffären für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Dies hat zu hitzigen Diskus- sionen in Wissenschaft und Politik über die Zukunft des deutschen Promotionssystems geführt. Damit beschäfti- gen sich auch die heutigen Anträge von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen. Im Fokus des Antrages der SPD steht die Einführung von Maßnahmen gegen wissenschaftli- ches Fehlverhalten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen kritisiert in ihrem Antrag die nicht einheitlichen Qualitätsstandards bei Promotionen und die daraus re- sultierenden Lücken in der Selbstkontrolle der Wissen- schaft. Auch ich halte diese Debatte für wichtig, um den Qualitätsstandard des Promotionssystem in Deutschland zu sichern. Jedoch ist der Adressat der Falsche. Nicht der 20864 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Bund bzw. die Bundesregierung ist hier gefordert, wie dies in den Anträgen der Oppositionsfraktionen formu- liert wurde, sondern Wissenschaft und Hochschulen in ihrer grundrechtlich geschützten Selbstverantwortung und Selbstorganisation, etwa in der HRK, Hochschulrek- torenkonferenz, und DFG, Deutsche Forschungsgemein- schaft. Der Bund ist sich seiner Verantwortung zur Un- terstützung und konstruktiven Begleitung bewusst und wird dieser auch in Zukunft nachkommen. Eine Qualitätssicherung der Promotion erreichen wir nachhaltig nur, indem wir Veränderungen im Wissen- schaftssystem vornehmen. Die Hauptverantwortung liegt hier aber bei den Hochschulen und nicht beim Bund – und das ist auch richtig so. Die Hochschulen müssen ihre Qualitätssicherungssysteme konsequent weiterentwickeln. Uns ist es besonders wichtig, dass das Vertrauen in die Arbeit der Hochschulen und in die Selbstverantwortung des Wissenschaftssystems in Deutschland erhalten wird. Denn eine gute wissenschaft- liche Praxis darf nicht auf staatliche Vorgaben oder Re- gularien angewiesen sein, sondern muss auf einem inten- siven Austausch innerhalb des Wissenschaftssystems beruhen. Gerade im Zuge der Exzellenzinitiative liegt es im Eigeninteresse jeder Universität, möglichst gute For- schungsergebnisse zu erzielen und einen herausragenden Beitrag für die Wissenschaft zu leisten. Wir unterstützen das Vorhaben der generellen Quali- tätssicherung von Promotionen in Deutschland. Aller- dings sollte das Augenmerk weniger auf Sanktionsmaß- nahmen gerichtet werden, wie dies im Antrag der Oppositionsparteien gefordert wird, sondern auf die In- strumente für die Vermeidung von wissenschaftlichem Fehlverhalten. So wird es erst gar nicht zu Sanktionen kommen müssen. Des Weiteren ist eine Vereinheitli- chung von Sanktionen durch die Bundesregierung, wie sich das die Antragsteller vorstellen, gar nicht möglich. Aufgrund der grundgesetzlich garantierten Hochschul- autonomie sowie der richtigen Kulturhoheit der Länder gibt es gute und klare Verantwortungen. Wer dies – wie Sie – ignoriert, offenbart seine Ideenlosigkeit und schreibt Schaufensteranträge. Uns ist selbstverständlich bewusst, dass es klare He- rausforderungen auf dem Weg zu gestärkten Qualitätssi- cherungssystemen gibt: Denn bisher existiert weder eine rechtlich noch eine praktisch geregelte Erfassung der Pro- movierenden. Es fehlen in Deutschland empirisch belast- bare Aussagen über die Anzahl der Promovierenden, die Abbruchs- und Erfolgsquoten, die Promotionsdauer und die prozessualen Daten zu Betreuungsqualitäten. Auf- grund dieser Problematik startete das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits eine Initiative, um mit den entscheidenden Stakeholdern einen Dialog über eine mögliche Lösung des Problems zu initiieren. Auch die im Antrag der Oppositionsparteien gefor- derte gemeinsame Stelle der Wissenschaft existiert be- reits seit 1999. Das von der Deutschen Forschungsge- meinschaft eingesetzte Gremium „Ombudsmann für die Wissenschaft“ ist eine unabhängige Instanz, die allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutsch- land als Ansprechpartner zur Verfügung steht, wenn es um die gute wissenschaftliche Praxis und um Verletzun- gen durch wissenschaftliche Unredlichkeit geht. In der Zwischenzeit sind die erwarteten Empfehlungen des Wissenschaftsrates für die Hochschulen veröffent- licht worden. Die Hochschulrektorenkonferenz nimmt ihre Verantwortung wahr: Am 24. April 2012 hat sie elf substanzielle Leitlinien zur Qualitätssicherung in Promo- tionsverfahren verabschiedet. Die Promotionsordnung muss in Zukunft so gestaltet und angewandt werden, dass zu jeder Zeit die Transparenz und die Integrität der wis- senschaftlichen Praxis sichergestellt werden können. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Doktoranden ist, dass da- für Sorge getragen wird, dass die Arbeit an einer Disser- tation in der Regel in drei Jahren abgeschlossen werden kann. In der gleichen Sitzung hat sich die HRK mit klaren Empfehlungen an ihre Mitglieder auch der Frage der Be- fristungspraxis bei Nachwuchswissenschaftlern gestellt. Wir als christliche liberale Koalition werden die Hochschulen bei der Umsetzung der Empfehlungen und Leitlinien im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstüt- zen. Was unterscheidet uns also? Nichts weniger als das Grundverständnis. Während Sie letztlich dem zentralen Dirigismus das Wort reden, setzen wir auf Subsidiarität und Unterstützung und Stärkungen der Verantwortlichen in den Ländern und Hochschulen. Dies trägt Früchte, wie Sie an den Aktivitäten der DFG, des Wissenschafts- rats, der HRK und an vielen Hochschulen in Deutsch- land sehen können. Dies haben wir politisch begleitet. Zentralisierung und Schwächung der Verantwortlichen vor Ort ist historisch bei vielen Themen gescheitert. Hie- raus sollten Sie zumindest langsam beginnen zu lernen. Ich bin überzeugt davon, dass Promotionen in Deutschland weiterhin für eine exzellente wissenschaft- liche Qualifikation stehen, und gehe davon aus, dass un- sere Universitäten unserem wissenschaftlichen Nach- wuchs weiterhin eine gute Betreuung zukommen lassen. Es kann immer Einzelfälle wissenschaftlichen Fehlver- haltens geben, die zu sanktionieren sind – keine Frage; aber es dürfen nicht jede Doktorandin und Doktorand unter Generalverdacht gestellt werden. Die gestärkte Eigenmotivation und Eigenverantwortung von Wissen- schaftlern und Wissenschaftlerinnen und ihre starke intrinsische Motivation, die Grenzen der Erkenntnis ständig zu verschieben, sind das beste Qualitätssiche- rungssystem für die Wissenschaft. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Als wir Anfang Mai letzten Jahres den vorliegenden Antrag für die SPD in den Bundestag eingebracht haben, hätte wohl keiner von uns geahnt, dass innerhalb eines Jahres allein sechs prominente Politikerinnen und Politiker – im Wesentli- chen mit einem konservativ-liberalen Hintergrund – per- sönliche und politische Konsequenzen aus Plagiatsvor- würfen ziehen mussten. Aber mehr noch als die indi- viduellen Fälle provozierte das lange Schweigen promi- nenter Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik zum Fall Guttenberg einen enormen und ver- ständlichen Sturm der Entrüstung. Insbesondere diejeni- gen, die selbst als Promovierende in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung rückten, waren schockiert Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20865 (A) (C) (D)(B) von dem Verhalten dieser „Würdenträger“. Diesem Auf- schrei mussten nach unserer festen Überzeugung politi- sche und parlamentarische Reaktionen folgen. Die Entrüstung war mehr als gerechtfertigt; denn das wissenschaftliche Fehlverhalten Einzelner gefährdet den Ruf des gesamten deutschen Wissenschaftssystems. Um es klarzustellen: Bei wissenschaftlichem Fehlverhalten geht es nicht nur um das Kopieren ganzer Textpassagen bzw. Ideen ohne Nennung des Urhebers. Viel verbreite- ter ist die Manipulation ganzer Datensätze. So gab zum Beispiel letzten Herbst der renommierte niederländische Sozialpsychologe Diederik Stapel zu, massenweise Da- ten gefälscht bzw. sogar erfunden zu haben. Solche Fälle können das Vertrauen in das Siegel der „wissenschaftlich fundierten“ Ergebnisse zerstören. Das dürfen wir nicht zulassen. Genau deshalb sollten wir, Politik wie Wissen- schaft, ein großes Interesse daran haben, dem entgegen- zuwirken. Überall dort, wo wissenschaftliches Fehlver- halten bekannt wird, müssen Wissenschaft und Politik mit starker Stimme das Wort führen für eine „saubere“ Wissenschaft und Forschung. In der öffentlichen Anhörung Ende letzten Jahres zu diesem Thema haben wir ausführlich mit den geladenen Expertinnen und Experten über die Problematik disku- tiert. Dabei kam unter anderem heraus, dass nicht einmal bekannt ist, wie viele Promovierende es in Deutschland überhaupt gibt. Es existiert bisher keine Stelle, wo diese Zahlen für Deutschland zentral gesammelt werden. Wir wissen somit auch nicht, wie viele Doktoranden ihre Promotion vorzeitig abbrechen, geschweige denn, wa- rum. Das muss sich ändern. Nötig sind diese Zahlen auch deshalb, da uns in der Anhörung sehr deutlich ge- sagt wurde, dass zur Verbesserung des wissenschaftli- chen Arbeitens die Betreuung der Promovierenden ver- bessert werden muss. Man muss sich schon fragen, wie ein einzelner Professor bzw. eine einzelne Professorin zehn oder mehr Promovierende adäquat betreuen kann. Hier muss es dringend ein Umdenken innerhalb des Wis- senschaftssystems geben. Statt Masse brauchen wir hier Klasse! Doktorandenbetreuung ist kein „Nebenge- schäft“, sondern eine Grundaufgabe von Professorinnen und Professoren, die aus dem besonderen Privileg, letzt- lich Doktorgrade verleihen zu dürfen, auch Verpflichtun- gen eingehen, dass diese wissenschaftliche Auszeich- nung durch wahrhaftige und eigenständige Arbeit zu- stande gekommen ist. Ein ähnliches „Massenproblem“ haben wir auch im Bereich der Publikationen. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Gefühl haben, dass sie jedes Jahr eine gewisse Anzahl von Publikationen veröffentli- chen müssen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn am Ende auch geschummelt wird, um diese Zahl zu erreichen, oder wenn die „least publishable unit“ ein Maßstab für das eigene Publikationsverhaltens wird, ob- wohl es sich nur noch um wissenschaftliche Brosamen, aber mit imponierendem Titel in Publikationslisten han- delt. Der Beschluss der DFG, gegen diese Publikations- flut anzugehen, war auch in dieser Hinsicht eine richtige Entscheidung und sollte von weiteren Institutionen über- nommen werden. Wir registrieren mit Freude, dass die DFG hiermit auch für andere Wissenschaftsorganisatio- nen und für die Hochschulen ein Zeichen gesetzt hat. Auch müssen wir uns selbst die Frage stellen, ob nicht der Druck zur verstärkten Einwerbung von Drittmitteln ein Faktor darstellt, der zu Plagiaten und Datenmanipu- lationen führt. Wo frei geforscht wird, können Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler auch einfacher den Misserfolg eines Experiments kommunizieren, ohne Angst zu haben, dass ihnen die Gelder für das nächste Projekt gestrichen werden. Ändern muss sich auch, dass festgestelltes Fehlver- halten von Promovierten und Habilitierten anders bzw. geringer geahndet wird als das von Studierenden. Im Sinne der Gerechtigkeit, aber auch im Sinne des Vorbild- charakters kann so etwas nicht sein. Wir brauchen des- halb eine Vereinheitlichung der Sanktionen, unabhängig vom Status des Beschuldigten. Die kürzlich getroffene Verabredung, dass entsprechende Erklärungen zur eigen- ständigen Erarbeitung der Promotion verbindlich und einheitlich an allen Hochschulen abgegeben werden müssen, unterstützt das Anliegen, den Flickenteppich an Regelungen durch klare, eindeutige und gleiche Ver- pflichtungen und Sanktionen in ganz Deutschland abzu- lösen. Viele wissenschaftliche Themen sind so speziell, dass Datenmanipulationen oder Ideenklau nur durch wenige Spezialisten aufgedeckt werden können. Im Zweifel sind dies sogar die eigenen Kollegen oder Teammitglieder. So haben zum Beispiel im oben genannten Fall des nie- derländischen Psychologen seine eigenen Nachwuchs- wissenschaftler den entscheidenden Tipp zur Aufde- ckung der Datenmanipulationen gegeben. Diese Whistle- blower setzten durch ihren Mut aber im Zweifel auch ihre eigene Karriere aufs Spiel. Um diese Whistleblower zu schützen, existieren in Universitäten und Instituten spezielle Ombudsfrauen und -männer. In der Anhörung wurde darauf verwiesen, dass in einigen deutschen Uni- versitäten diese Personen nur schwer zu finden sind. Das muss sich ändern. Studierende und Mitarbeiter müssen über die Funktion und die Kontaktmöglichkeiten dieser Anlaufstellen deshalb noch besser informiert werden. In Zeiten des Internets sollte es doch kein Problem sein, diese Personen leicht auffindbar zu machen und An- sprechpartner klar zu benennen. Zu einer weiteren wichtigen Frage, die wir als SPD in unserem Antrag angesprochen haben, konnten uns ins- besondere die Vertreterinnen und Vertreter der Bundes- regierung keine Antwort geben, nämlich wie wir wirk- sam gegen das „akademische Ghostwriting“ vorgehen. Es kann doch nicht sein, dass man sich ganze Publikatio- nen einfach fremdschreiben lässt und dann nur noch sei- nen eigenen Namen darüber setzt. Gegen diese kommer- ziellen Angebote muss die Bundesregierung nun endlich etwas unternehmen. Professorinnen und Professoren sollten sich aber auch fragen, ob sie es wirklich verant- worten können, dass ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter forschen, die Ergebnisse dann aber nur unter dem Na- men der Professorinnen und Professoren veröffentlicht werden. Hier hat sich eine Aneignung von geistigem Ei- gentum qua Herrschaft und Abhängigkeit eingeschli- chen, die dann die guten Sitten hin zu einem noch viel extremeren Missbrauch verdirbt. 20866 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Im Ganzen haben die Anhörung und unsere Beratun- gen gezeigt, wie weitläufig das Problem des wissen- schaftlichen Fehlverhaltens ist. Es geht eben nicht allein um „copy and paste“, sondern genauso um eingefahrene Strukturen, die zu Plagiaten und Datenmissbrauch er- muntern. Genauso klar haben die Expertinnen und Ex- perten aber auch dargestellt, dass das Problem nicht al- lein bei Promotionen liegt. Der uns vorliegende Grünen- Antrag betrachtet somit nur die Spitze des Eisberges. Wie aber CDU/CSU und FDP nach dieser Anhörung noch immer jeglichen Handlungsbedarf des Bundes beim Thema wissenschaftliches Fehlverhalten negieren können, ist uns, ehrlich gesagt, schleierhaft. Das hängt doch hoffentlich nicht mit einer gerüchtweise im konser- vativen-liberalen Umfeld vorhandenen Auffassung zu- sammen, dass ein Doktortitel jemanden zu einem besse- ren Menschen oder Politiker macht. Aufgabe der Politik wie auch der Wissenschaft ist es, die Rahmenbedingungen für ein gutes wissenschaftli- ches Arbeiten zu gewährleisten. Dazu müssen jetzt Strukturen reformiert werden. Die schwarzen Schafe des Wissenschaftssystems und in der Politik sollten hinge- gen wissen, dass die Wissenschaftsgemeinschaft ihnen am Ende auf die Schliche kommt und dass ihre Verfeh- lungen spürbare Konsequenzen haben. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Um es vorne- weg klar und deutlich zu sagen: Die FDP-Bundestags- fraktion misst der Wissenschaft und der wissenschaftli- chen Redlichkeit einen großen Stellenwert bei. Wir vertrauen daher – im offenkundigen Gegensatz zu den Oppositionsfraktionen – im Kampf gegen Plagiate und gegen Fehlverhalten in wissenschaftlichen Arbeiten auf die Selbstkontrollmechanismen der Hochschulen und Wissenschafts- und Forschungsorganisationen. Die Wissenschaft und wissenschaftliches Arbeiten ge- rieten in 2011 durch einzelne Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Ein Zerrbild wissenschaftlicher Praxis entstand für einen kur- zen Zeitraum in der öffentlichen Wahrnehmung. Wenige Einzelfälle führten zu einem Generalverdacht von Dokto- randen. Es wurden Fragen zur Selbstkontrolle der Wis- senschaft aufgeworfen, die zu einer intensiven Debatte und Selbstreflexion innerhalb des Wissenschaftssystems und ihrer Institutionen führte. Mittlerweile haben sich sowohl Wissenschaftsrat, außeruniversitäre Forschungs- einrichtungen als auch Hochschulrektorenkonferenz mit Positionspapieren, Leitlinien und Vorschlägen zur Siche- rung guter wissenschaftlicher Praxis zu Wort gemeldet. Nicht zuletzt an den Universitäten, an denen die Plagiats- fälle publik wurden, setzte eine Selbstbefassung in den Fachbereichen und Hochschulgremien über Promotions- verfahren und Mechanismen der Qualitätssicherung ein. Es zeigt sich, dass das Wissenschaftssystem sich selbst ei- ner kritischen Überprüfung unterzogen hat und weiter un- terzieht und generell zu Selbstkontrolle in der Lage ist. Es zeigt, dass es nicht des Staates braucht, und bestätigt da- mit unsere Auffassung. Die von Bündnis 90/Die Grünen und SPD vorgeleg- ten Anträge lassen tief blicken, mit welcher Denkweise Grüne und SPD dem deutschen Wissenschaftssystem ge- genüberstehen. Wie überzogen und offensichtlich unbe- dacht viele der Forderungen sind, zeigt sich in dem an die Bundesregierung erhobenen Anspruch, als Korrektiv tätig zu werden. Bundestag und Bundesregierung sollen die Initiative ergreifen, um wissenschaftliche Missstände zu beheben. Wissenschaft und Forschung – so der Tenor – müssen durch staatliches Handeln reglementiert und normiert werden, um mehr Transparenz und einheit- liche Kriterien zu fassen. Per Beschluss des Deutschen Bundestags soll der Wissenschaft mehr Redlichkeit zu- geführt werden. Per Beschluss soll die Bundesregierung beauftragt werden, in die Selbstkontrolle der Wissen- schaft einzugreifen und wissenschaftliche Standards und Qualitätskriterien begleitend zu erarbeiten. Dabei übertrifft die SPD sogar die Grünen in ihren Forderungen. In ihrem Antrag „Kampf gegen wissen- schaftliches Fehlverhalten aufnehmen“ verfallen die So- zialdemokraten in Überlegungen zu bundeseinheitlichen Strafen und Sanktionen für wissenschaftliches Fehler- verhalten, anstatt zum Kern des Problems vorzudringen. So fordert die SPD stattdessen die Bundesregierung dazu auf, die Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. eine Stellungnahme erarbeiten zu lassen, die Sanktionen bei wissenschaftlichem Fehlverhalten nachgeht. Weiter im Antrag heißt es dann, dem Ansinnen der SPD nach soll es eine „zentrale Stelle der Wissenschaft“ geben, wo unter Anonymität wissenschaftliches Fehlverhalten an- gezeigt werden kann. Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion ist ein Eingreifen von Bundesregierung oder Bundestag weder erforderlich noch zielführend. Denn die Wissenschaft lässt sich keine fremden Kriterien oder einheitliche Stan- dards überstülpen, sondern folgt ihren eigenen, selbster- arbeiteten Qualitätsstandards in der eigenen Fachkultur. Der Wissenschaftsrat verweist in seinem Positionspapier „Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promo- tion“ vom November 2011 genau auf diese Selbststän- digkeit: „Eine Verständigung über inhaltliche Standards, die an eine Promotion angelegt werden, kann nur fach- spezifisch erfolgen.“ Der beste Schutz vor wissenschaftlichem Fehlverhal- ten liegt aber nicht nur in der Erarbeitung neuer Stan- dards und Kriterien. Wichtiger als die Formulierung neuer und abstrakter Standards und Kriterien ist ein kla- res Bekenntnis der Wissenschaftler zu den eigenen Stan- dards und Kriterien sowie zu den Rekrutierungs- und Begutachtungsprozessen. Diese müssen selbst als Instru- mente begriffen werden. Denn das Promotionsrecht ist ein vom Staat an die Universitäten verliehenes Recht. Mit diesem Recht sind zugleich unteilbar die Verantwor- tung und die Pflicht für die Einhaltung wissenschaftli- cher Standards verbunden. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt es jedenfalls ab, eine weitere Verrechtlichung und Bürokratisierung der deutschen Hochschulen voranzutreiben. Wir sind davon überzeugt, dass die deutschen Hochschulen ein Mehr an Autonomie und Selbstbestimmung benötigen – und nicht ein Mehr an Bürokratie. Das deutsche Wissenschaftssys- tem weiß selbst am besten, wie die gute Qualität wissen- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20867 (A) (C) (D)(B) schaftlichen Arbeitens zu sichern ist, unter Einsatz ihrer Reputation. Die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und SPD werden diesem Anspruch an das Wissenschaftssystem nicht gerecht. Die erhobenen Forderungen sind vollkom- men überzogen und werden aus diesem Grund abge- lehnt. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Vor etwas mehr als ei- nem Jahr hat die Debatte über richtiges Zitieren, über Plagiate und über wissenschaftliches Fehlverhalten ins- gesamt die Schlagzeilen beherrscht. Sie führte zu einer intensiven Diskussion in der Wissenschaft selbst, aber auch in der Politik. Heute debattieren wir am „Welttag des geistigen Eigentums“ eine spezielle Facette dieses schillernden Begriffs. Da wir hier im Bundestag bereits mehrfach unsere Positionen zum Problem verdeutlichen konnten, wähle ich heute für meinen Beitrag eine des Themas angemes- sene Form und zitiere – gewissermaßen „auf den Schul- tern von Riesen“, so Robert K. Merton, stehend –: „Viel- leicht sind wir altmodisch und vertreten überholte konservative Werte, wenn wir die Auffassung hegen, dass Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein Werte sein sollten, die auch außerhalb der Wissenschaft gelten sollten. Herr zu Guttenberg schien bis vor kurzem auch dieser Meinung zu sein.“ Zu finden ist dieses Zitat in: Offener Brief von Doktoranden an die Bundeskanz- lerin. 2011. Online. Richtig bleibt: „Wissenschaftler, die ihre Tätigkeit in erster Linie als Weg zu Ruhm, Macht und Reichtum se- hen, sind vermutlich eher als andere dazu prädisponiert, über ein ganz spezielles Hindernis zu stolpern – den so- genannten Mogelfaktor.“ Geschrieben von: Fischer, Klaus: Spielräume wissenschaftlichen Handelns. Die Grauzone der Wissenschaftspraxis. Denn: „Die Forderung nach Uneigennützigkeit hat ihre feste Grundlage im öffentlichen und überprüfbaren Cha- rakter der Wissenschaft.“ Zu lesen in: Merton, Robert K.: Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur. Daraus folgt: „Die Plagiatsaffäre weist an dieser Stelle weit über den spektakulären Einzelfall hinaus. Im- merhin hat sie auch in der Rechtswissenschaft eine Selbstvergewisserung über das Grundverständnis der Profession angestoßen. Diese Reflexion bezieht sich der- zeit in erster Linie darauf zu fragen, wie die Dokto- randenausbildung so reformiert werden kann, dass es unwahrscheinlicher wird, eine allzu fehlerhafte Doktor- arbeit mit summa cum laude zu bewerten, und dass es wahrscheinlicher wird, Plagiate aufzudecken.“ Aus: Fischer-Lescarno, Andreas: Guttenberg oder der „Sieg der Wissenschaft“. Richtig ist auch: „Außerhalb der Täuschung in Quali- fikationsschriften ist das Rechtsfolgenregime bisher in der Praxis nur unzureichend entwickelt. Deutliches Fehl- verhalten (Plagiate) wird von Hochschulen bisher nicht immer seinem moralischen (und rechtlichen) Fehlverhal- tensgewicht entsprechend behandelt. Es geht nicht an, dass Hochschullehrern solches Fehlverhalten nicht mit der gleichen Härte vorgehalten wird wie Autoren von Doktorarbeiten oder Habilitationsschriften.“ Gehört von: Löwer, Wolfgang: Stellungnahme vor dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, 7. November 2011. Wir müssen uns folgendes vergegenwärtigen: „Die Hinweise kommen von Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern aus unterschiedlichen Karrierestufen. So waren unter den Hinweisgebern 16 Prozent Nichtgra- duierte, 50 Prozent Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler und 34 Prozent Professorinnen und Professoren. Dagegen betrug bei den Angezeigten der Hochschulleh- reranteil 61 Prozent, es kamen 35 Prozent aus dem Mit- telbau und 5 Prozent waren Nichtgraduierte.“ Ombuds- mann der DFG: Bericht 10 Jahre Ombudsarbeit. Darüber hinaus bedenken wir Folgendes: „Überden- kenswert ist, ob jenseits der Reputationswahrung weitere Anreiz- und Belohnungsstrategien nicht die Wahrschein- lichkeit von Fehlverhalten steigern, wie dies im Diskurs über die parameterisierte Mittelverteilung etwa nach der Zahl der Dissertationen zuletzt diskutiert worden ist. Wenn es keine Grundfinanzierung der naturwissen- schaftlichen Fächer gibt, die dem Eigensinn Raum geben, wenn jeder Euro wettbewerblich eingeworben werden muss, steigt die Abhängigkeit vom Einwer- bungserfolg; Abhängigkeit ist im Ergebnis eine zusätz- liche moralische Last, die die Standard-Einhaltung gege- benenfalls im einzelnen Fall lockert.“ Analysiert von: Löwer, Wolfgang: Stellungnahme vor dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, 7. November 2011. Und: „Das Schizophrene liegt im guten Glauben von- seiten der Ministerien, dass eine hohe Anzahl von Veröf- fentlichungen irgendeine Qualität beweist. Das bereitet den Boden für Plagiatoren, obwohl es nach wie vor die bewusste Entscheidung des Einzelnen ist, die Grenze zum wissenschaftlichen Fehlverhalten zu überschrei- ten.“ Stellt fest: Weber-Wulff, Deborah: Unter Schizo- phrenen. Plagiate bekämpfen mit Open Access. Überraschend die Feststellung: „Anhängern quantita- tiver Evaluation sollte zu denken geben, dass etliche viel zitierte hot papers … inzwischen eindeutig als gefälscht gelten: Zitationsraten sind keineswegs wie oft behauptet ein Qualitätsmaß.“ Fröhlich, Gerhard: Plagiate und unethische Autorenschaften. Ich teile die folgende Position: „Wissenschaftliche Werke gehören in die Öffentlichkeit. Sie dürfen, entspre- chend den Potenzialen elektronischer Räume, nicht exklusiv privatisiert werden.“ Zu lesen bei: Kuhlen, Rainer: Guttenberg und Wissenschaftsethik. Ich unterstütze die Forderung nach Open Access in der Wissenschaft: „Das Verfassen einer Dissertation er- fordert hohe Präzision beim Formulieren und Gestalten eigener und der Wiedergabe übernommener Daten, Gra- fiken und Texte. Aus informationswissenschaftlicher Sicht gehört dazu eine deutliche Trennung von eigenen und zitierten Passagen, verbunden mit einer klaren und nachvollziehbaren Quellenangabe. Elementare Bedin- gungen zur Gewährleistung der Einhaltung dieser 20868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) Grundsätze sind Offenheit und Nachprüfbarkeit. Dies kann durch eine allgemeine Verpflichtung zu Open- Access-Veröffentlichungen erreicht werden. Damit wird den Möglichkeiten und Versuchungen moderner Kom- munikationssysteme (Internet) eine gleichgewichtige Überprüfungsmöglichkeit entgegengesetzt. Open Access ist dann gegeben, wenn weltweit im Internet frei und vollständig wissenschaftliche Qualifizierungsarbeiten digitalisiert zur Verfügung stehen.“ Gelesen bei: Deut- sche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis, Brief an die Hochschulrektorenkon- ferenz vom 7. November 2011. Zum Abschluss zur Kultur in der Wissenschaft: „Nicht das Fehlermachen an sich, sondern das Nichtaus- seinen-Fehlern-Lernen, Die-Fehler-nicht-Zugeben sei der eigentliche Fehler. Eine auf einer fehler- und damit menschenfreundlicheren Anthropologie aufbauende Kulturphilosophie, Methodologie und Wissenschafts- ethik könnte vielleicht gerade durch die Enttabuisierung, die Entemotionalisierung und die teilweise psychische Entlastung fehlerentdeckender oder von anderen fehler- überführter Wissenschaftler dazu führen, dass Betrug und Selbstbetrug abnehmen zugunsten unbefangener, mit weniger Schadenfreude und Scham verbundener Fehlersuche – bei sich und anderen.“ Erdacht von: Fröh- lich, Gerhard: Betrug und Täuschung in den Sozial- und Kulturwissenschaften. In: Hug, T. (Hg.): Wie kommt die Wissenschaft zu ihrem Wissen? Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich finde es erfreulich, wie resistent und renitent der Wissen- schaftsbereich sich gezeigt hat gegenüber Versuchen, wissenschaftliches Fehlverhalten und Plagiate zu baga- tellisieren. Bei der Koalition herrschte lange der Eindruck vor, dass wir sie nur mit politisch prominenten Plagiatsfällen ärgern wollten. Aber es hat sich ja gezeigt, dass auch der Wissenschaftsbereich selbst sich mit der Frage, wie die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten und gute wissen- schaftliche Praxis in Zukunft besser gesichert werden können, kritisch auseinandergesetzt hat. Auch die Wis- senschaftsorganisationen wie die DFG, die MPG und jüngst die HRK mit ihren Empfehlungen zur „Qualitäts- sicherung in Promotionsverfahren“ haben dieses Thema aktiv aufgenommen. Der Wissenschaftsrat hat in seinem Positionspapier zur „Qualitätssicherung der Promotion“ im letzten Herbst eine Reihe von Empfehlungen abgege- ben; beide Papiere untermauern viele der Forderungen aus unserem Antrag. Wir halten strukturelle Veränderungen für notwendig und wollen, dass die Universitäten mehr institutionelle Verantwortung im Promotionsverfahren übernehmen. Dazu zählt, dass Betreuungsvereinbarungen das Verhält- nis zwischen Promovierenden und Betreuerinnen und Betreuern klar und transparent regeln und dass verstärkt externe Gutachter zur Bewertung einer Promotion hinzu- gezogen werden. Dazu gehört auch, dass ein einheitli- cher Doktorandenstatus an den Universitäten eingeführt wird. Diese Forderungen haben die Koalitionsfraktionen ja nun auch in ihrem aktuellen Antrag zum wissenschaft- lichen Nachwuchs übernommen. Es setzt falsche Anreize, wenn die Leistung der Pro- fessorinnen und Professoren rein quantitativ nach der An- zahl der Promotionen gemessen wird. Darüber waren sich auch alle Sachverständigen im Fachgespräch im Bil- dungs- und Forschungsausschuss einig. Deshalb wollen wir, dass in die leistungsbezogene Mittelvergabe auch qualitative Gesichtspunkte bei der Betreuung, aber auch Zweitgutachtertätigkeiten und die Mitwirkung an Prüfun- gen berücksichtigt werden. Der Wissenschaftsrat hat sei- nerseits vorgeschlagen, eine binäre Notenskala einzufüh- ren und nur noch die Noten „Bestanden“ oder „Mit besonderem Lob“ zu vergeben. Diese Idee kann helfen, die örtlich sehr unterschiedlichen Praktiken bei der No- tenvergabe zu vereinheitlichen. Das Fachgespräch hat auch gezeigt, dass die Unis ihre Kompetenzen zur Erken- nung von Plagiaten erweitern müssen. Anti-Plagiatssoft- ware ist dabei kein Allheilmittel, sondern kann stets nur ein ergänzendes Hilfsmittel sein. Wir halten es auch für sinnvoll, dass alle Doktoranden, wie es bereits in Berlin und München praktiziert wird, eine eidesstattliche Erklä- rung unterzeichnen, um sich darin zu verpflichten, die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis einzuhalten und es hier nicht unterschiedliche Standards von Uni zu Uni gibt. Strukturierte Promotionsverfahren in Graduier- tenschulen und Graduiertenkollegs sollten ausgebaut und gestärkt werden. Wir wollen aber auch die Vielfalt der Wege zur Promotion weiter offenhalten, also auch ex- terne Promotionen weiter ermöglichen. Die Bedeutung von wissenschaftlicher Redlichkeit und guter wissenschaftlicher Praxis sollte schon zu ei- nem frühen Zeitpunkt im Studium vermittelt werden. Die Zugänge und die Zulassung zur Promotion sollten fair und transparent geregelt werden und nicht allein der subjektiven Intimität eines „Meister-Schüler-Verhältnis- ses“ überlassen bleiben. Promovierenden, die auf soge- nannten Qualifizierungsstellen Aufgaben an der Univer- sität in Forschung, Lehre und Management übernehmen, muss hinreichend Raum für ihre eigene Qualifizierung gegeben werden. In sehr vielen unserer Vorschläge und Forderungen sehen wir uns von den deutschen Wissenschaftsorganisa- tionen unterstützt. Dass sich am Ende auch der Aus- schuss gemeinsam und ernsthaft mit dem Thema befasst hat, ist erfreulich; denn deutsche Promovierte genießen auch international ein hohes Ansehen, das es gegen „schwarze Schafe“ zu verteidigen gilt. In diesem Zusam- menhang kam aus der Wissenschaft auch der Hinweis, dass der Doktorgrad von gesellschaftlichen Überhöhun- gen befreit und nicht länger wie eine Art „bürgerlicher Adelstitel“ behandelt werden sollte. Der Doktor sollte vielmehr auf seine eigentliche Bedeutung – als Nach- weis der besonderen wissenschaftlichen Qualifikation – zurückgeführt werden. Als Schritt dazu haben wir in ei- nem gesonderten Gesetzentwurf beantragt, den Doktor- grad künftig nicht mehr in Pass und Personalausweis einzutragen. Diese Forderung wird inzwischen auch durch eine Bürgerpetition unterstützt, die demnächst im Petitionsausschuss beraten wird. Damit unterstützen wir auch eine alte Forderung des Bundesinnenministeriums, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20869 (A) (C) (D)(B) auf die Sie weniger reflexhaft reagieren sollten, als dies bisher der Fall war. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Antrag: Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Par- lamentsrechte über Rüstungsexporte einfüh- ren – Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über ihre Exportpolitik für konventio- nelle Rüstungsgüter im Jahr 2010 (Rüs- tungsexportbericht 2010) (Tagesordnungspunkt 21 a und c) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Das Thema Rüs- tungsexporte hat uns alle im letzten Jahr sehr bewegt, wir haben es sehr häufig hier im Deutschen Bundestag debattiert. Heute legen uns die Sozialdemokraten einen Antrag vor, der sehr an die Debatte vom 20. Oktober des letzten Jahres erinnert. Das Thema ist emotional sehr aufgeladen, und es befindet sich in einem Spannungsfeld aus notwendiger Geheimhaltung in sicherheitspoliti- schen Fragen und den Transparenzerfordernissen unse- rer Demokratie. Bei Debatten um Rüstungsexporte ist immer zu beto- nen, dass Deutschland sich selbst eine strenge Selbstbe- schränkung auferlegt hat. Das zuständige Bundesminis- terium für Wirtschaft und Technologie richtet sich bei der Genehmigung von Rüstungsexporten nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen“ aus dem Jahr 2000. „Liefe- rungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Kon- flikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Aus- bruch solcher Konflikte besteht, scheiden (…) grundsätzlich aus“, heißt es. Auch bei dem „hinreichen- den Verdacht“, dass deutsche Waffen zur Unterdrückung der Bevölkerung oder „sonstigen fortdauernden (…) Menschenrechtsverletzungen“ im Empfängerland miss- braucht werden, gibt es grundsätzlich keine Exportge- nehmigung. Die Genehmigung von Rüstungsexporten unterliegt also ständiger Abwägung und Reaktion auf politische Ereignisse. Diese Regelung, aufgestellt von einer rot-grünen Bundesregierung, wurde von der christ- lich-liberalen Regierung nicht aufgeweicht, wie es hier stets angedeutet wird. Auch die Geheimhaltung der Be- schlüsse des Bundessicherheitsrates und die jährliche Publikation des Rüstungsexportberichtes geht auf Ent- scheidungen der rot-grünen Bundesregierung zurück. Warum haben Sie denn die in Ihrem Antrag geforderten Maßnahmen nicht bereits im Jahr 2000 umgesetzt? Wenn die SPD nun also Änderungsbedarf an ihren da- maligen Entscheidungen sieht, so ist dies grundsätzlich in Ordnung, allerdings fehlt mir dann in ihrem Antrag ein Wort der Selbstkritik. Ihre Forderung nach einem parlamentarischen Kon- trollgremium für den Bundessicherheitsrat, wie es im Bereich der Geheimdienste praktiziert wird, klingt spon- tan zunächst charmant. Allerdings ist Ihre begleitende Forderung nach einer Veröffentlichung der Abwägungs- erwägungen des Bundessicherheitsrates, falls er oder die Bundesregierung einer Empfehlung des Kontrollgre- miums nicht folgen, im Rüstungsexportbericht naiv, wenn nicht sogar schädlich. Nicht jede Debatte, die wir in der Außen- und Sicherheitspolitik mit und gerade über andere Länder führen, können wir öffentlich führen. Ge- rade in diesen sensiblen Feldern muss es Räume der Ver- traulichkeit und der Nichtöffentlichkeit geben. Der Zu- stand der Vertraulichkeit ist die Voraussetzung, dass vor einer wichtigen Entscheidung alle – auch geheime – Fakten auf den Tisch kommen, um wohlinformierte und sorgfältige Abwägungen vornehmen zu können. Die Notwendigkeit der Nichtöffentlichkeit trifft insbeson- dere auf den Umgang mit unseren Verbündeten zu. Es ist sicherlich nicht förderlich für unsere Bündnisfähigkeit und Zuverlässigkeit, insbesondere in der NATO, wenn jede vertrauliche Information oder Anfrage von unseren Partnern umgehend veröffentlicht wird. Der letzte Punkt im Antrag, der Punkt neun, ist jedoch unerhört. Sie fordern, dass Rüstungsunternehmen bei Exportanträgen offenlegen sollen, ob diese Spenden an Parteien geleistet haben. Das ist einerseits überflüssig, da Spenden ab 10 000 Euro anzeigepflichtig sind und in den Rechenschaftsberichten der Parteien sowie in Mit- teilungen des Präsidenten des Deutschen Bundestages veröffentlicht werden. Das „Mindestmaß an Transparenz und Öffentlichkeit“ ist also längst gewährleistet, Ihr Ak- tionismus ist daher nicht erforderlich. Im Rechenschafts- bericht 2010 findet sich übrigens eine Spende von EADS an die SPD, aber das nur am Rande. Andererseits ist die- ser Punkt deswegen ärgerlich, weil Sie suggerieren, Ent- scheidungen einer Bundesregierung – unabhängig von der parteipolitischen Färbung – seien über Parteispenden käuflich. Sie mögen damit auf die aktuelle Koalition zie- len, aber Sie treffen die gesamte politische Landschaft in diesem Land. Sie beschädigen damit das kostbare und verletzliche Vertrauen in die Politik als Ganzes. Darauf sollte sich die SPD nicht einlassen. Hier liegt ein klassischer Oppositionsantrag vor, der Forderungen enthält, die frei von Verantwortungsbe- wusstsein aufgestellt sind. Sollten Sie in diesem Land ir- gendwann wieder Regierungsverantwortung tragen, so werden Sie diese Forderungen niemals umsetzen. Klaus Barthel (SPD): Die Rüstungsexportpolitik der jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung entwickelt eine ähnlich fatale Dynamik wie zu Zeiten von Helmut Kohl. Nach und nach werden die Restriktionen, die sich Deutschland aus gutem Grund gesetzlich auferlegt hatte und die in den rot-grünen Richtlinien aus dem Jahr 2000 weiter konkretisiert wurden, zwar nicht formal aufgeho- ben, aber auf leisen Sohlen aufgeweicht, uminterpretiert und schließlich im Ergebnis umgangen. Obwohl auch schon früher die eine oder andere Einzel- entscheidung umstritten war: Die derzeitige Regierung 20870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) bricht alle Rekorde, die ihr bei anderen Wachstumsraten versagt bleiben. Beim Anstieg der Rüstungsexporte ge- genüber dem Zeitraum 2002 bis 2006 schafft sie sage und schreibe 37 Prozent, so SIPRI. Kein anderer als Helmut Schmidt hat in diesen Tagen die Kanzlerin in Sachen Export von Panzern nach Saudi- Arabien und U-Booten nach Israel deutlich kritisiert und die Rückkehr zu dem Grundsatz, „Kriegswaffen nur an Verbündete zu liefern“, gefordert. Bahrein, Mexiko, Pa- kistan, Ägypten, Libyen, das sind weitere Weltregionen, die das Problem deutscher Waffen in den falschen Hän- den veranschaulichen. Die Bundesrepublik ist wieder, wie nach der angebli- chen Sondersituation der deutschen Wiedervereinigung mit den Altbeständen der NVA, mit 9 Prozent Anteil am weltweiten Waffenhandel auf dem dritten Platz. Unsere einschlägigen Ausfuhren wuchsen damit deutlich schnel- ler als der Gesamtmarkt. Selbst dort, wo es um unsere eu- ropäischen Verbündeten geht, muss man sich doch nach der Sinnhaftigkeit dieses Treibens fragen: Ausgerechnet die Krisenstaaten Griechenland und Portugal waren und sind derzeit Hauptempfänger deutscher Waffenlieferun- gen. De facto leiht und garantiert der deutsche Steuerzah- ler derzeit Griechenland als Abnehmer von 13 Prozent der deutschen Rüstungsexporte das Geld für deren Be- zahlung. Absurder geht es doch nicht in einer Verschul- dungssituation, in der wir alles andere brauchen als U-Boote und Panzerhaubitzen für Athen. Da könnte man sagen: Okay, das sind Fehler der Ver- gangenheit. Der Gipfel ist aber, dass diese Bundesregie- rung gar kein Problem damit hat. Im Gegenteil: Weder verlangt sie bei den Sparauflagen an die Krisenstaaten, dass dieser Unfug ein Ende hat, während die Hälfte der Jugendlichen auf der Straße steht, noch plant sie, ihre ei- gene Genehmigungspraxis zu ändern. Alle Antworten auf entsprechende parlamentarische Anfragen haben eine klare Botschaft: Weiter so! Es gäbe noch viel zu erzählen über die „Segnungen“ einer konfusen Außenpolitik und einer Sammlung ge- fährlicher Rüstungsexportentscheidungen, denen unter dem Strich nur noch eines gemeinsam ist: Der Vorrang kurzfristiger betriebswirtschaftlicher Einzelinteressen. Wegen 0,2 Prozent unserer Gesamtexporte riskiert die Bundesregierung Menschenleben und Menschenrechte, außenpolitische Glaubwürdigkeit und Handlungsspiel- räume. Eines will ich an dieser Stelle aus sozialdemokrati- scher Sicht noch einmal klarstellen: Uns sind die Be- triebe, die für die Ausstattung der Bundeswehr und unse- rer Verbündeten arbeiten, und die Arbeitsplätze dort nicht egal, im Gegenteil. Solange wir das noch brauchen – aus meiner Sicht hoffentlich möglichst bald nicht mehr – wollen wir nicht von anderen abhängig werden und sind gut beraten, die technologischen und industriellen Kapa- zitäten im Land zu halten. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn eine Bundesre- gierung den besonderen Charakter der Ware Waffe nicht mehr zu erkennen scheint und Waffenexporte als Teil ih- rer weltweiten Exportstrategie begreift, so nach dem Motto: Egal was und egal wie, Hauptsache wir können wem auch immer möglichst viel andrehen. Eine solche Exportpolitik sichert keine Arbeitsplätze, sondern ge- fährdet sie. Das kann man doch an den Beispielen, die ich genannt habe, gut nachvollziehen, gleich ob es sich um die südeuropäischen Krisenländer handelt oder um den Flurschaden im Nahen Osten. Auch ist es ein völlig falsches Signal an die Rüstungsindustrie, dem Druck nachzugeben, der sich aus der Bundeswehrreform ergibt, und dabei entstehende Umsatzverluste durch verschärfte Exportanstrengungen kompensieren zu wollen. Die Un- ternehmen haben es schon in den 90er-Jahren vorge- macht, dass es möglich ist, sehr erfolgreich auf zivile Produkte umzusteigen. Diejenigen, die es nicht geschafft haben, hatten die falschen Manager und die falschen Konzepte. Die anderen stehen heute besser da als in den Zeiten, da sie Hoflieferanten der Bundeswehr waren. Gerade in der Region, aus der ich komme, im Groß- raum München, hat die Umstrukturierung von Rüstungs- betrieben gerade nicht zu Ödnis und Stillstand geführt, sondern die Innovationskraft und Marktchancen der Be- triebe erhöht. Die Zahlen des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie für das Jahr 2011 bestätigen diese Tendenz. Wegen der Kürzungen in den staatlichen Budgets sei erstmals seit 15 Jahren der Umsatz im Segment Sicherheit/Rüstung um gut 1 Pro- zent gesunken, und das bei einem Gesamtwachstum der Branche um 4,1 Prozent. Die Beschäftigung stieg dabei um 2 Prozent auf 97 400. Also: Nicht der militärische Bereich braucht Staatsaufträge und Exportgenehmigun- gen, sondern der zivile Bereich bringt Wachstum und Beschäftigung. Da kann sich richtig verstandene Indus- triepolitik Lorbeeren erwerben. Nicht das ist aber der Kern unseres Antrags, sondern die Frage, wie wir wieder zu einer restriktiven Genehmi- gungspraxis beim Rüstungsexport zurückkehren können. Dazu brauchen wir dauerhaft wirkende Mechanismen parlamentarischer Kontrolle und öffentlicher Transpa- renz, angefangen von einer zeitnahen Vorlage des Rüs- tungsexportberichts über eine wirksame parlamentari- sche Beteiligung bis hin zur Erfassung von Parteispenden beteiligter Unternehmen. Im Detail kann man das alles in unserem Antrag nachlesen. Ähnliche Vorstellungen entwickeln gerade die Grünen. Wir lösen damit das ein, was wir bei der letzten Debatte in diesem Hohen Haus angekündigt ha- ben, als wir von Vertretern der Koalition gefragt wurden, wie wir uns das eigentlich alles konkret vorstellen mit der Transparenz und der Parlamentsbeteiligung. Damals hieß es auch seitens einzelner Redner der Koalition, man wolle das ja im Grunde auch. Wir sind jetzt gespannt auf Ihre Antwort, auf Ihre Kri- tik und auf Ihre Alternativen und Verbesserungsvor- schläge. Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass es im gemeinsamen Interesse von uns Abgeordneten liegt, rechtzeitig informiert und beteiligt zu sein, wie das in anderen Ländern längst üblich ist, ohne dass deren Bündnisfähigkeit gefährdet wäre oder deren Unterneh- men ihre Geschäftsgeheimnisse nicht gewahrt sähen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20871 (A) (C) (D)(B) Wir alle sollten es leid sein, über geplante oder schon genehmigte Rüstungsexporte zuerst in den Medien zu hören und zu lesen, dann erst medial dazu gefragt zu werden und dann auch noch nichts dazu sagen zu können und zu dürfen, weil wir Genaueres, wenn überhaupt je- mals, vielleicht eineinhalb Jahre später dem Rüstungs- exportbericht entnehmen dürfen. Wir alle erinnern uns doch an einschlägige gespenstische Fragestunden, Ak- tuelle Stunden, Ausschuss- und Plenardebatten. So, wie das jetzt geregelt ist, bei aller Anerkennung des Letztent- scheidungsrechtes der Exekutive, kann es für ein Parla- ment und eine Informationsgesellschaft im 21. Jahrhun- dert nicht bleiben. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ähnliche Anträge zu dem Themenkomplex „Frühzeitige Veröffent- lichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parla- mentsrechte über Rüstungsexporte wahren“ haben wir schon im Wirtschaftsausschuss ausführlich behandelt. Dort haben wir die inhaltsleeren Argumente der Opposi- tion zurückgewiesen. Die in diesem Antrag gewünschten parlamentarischen Beteiligungsrechte an Rüstungsex- portentscheidungen der Regierung sowie eine größere Transparenz in diesem Bereich hat die SPD-Fraktion in Regierungsverantwortung nie gefordert. Sie selbst haben unter Rot-Grün die Rüstungsexportpolitik nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ im Jahr 2000 neu ausgerichtet. Eine verfrühte Veröffentlichung der Rüstungsexport- berichte ohne weitergehende Prüfung dieser schwierigen Materie ist verantwortungslos. Zumal die Mehrheit der deutschen Rüstungsexporte an die verbündeten EU- oder NATO-Staaten geht. Des Weiteren erfolgen die Entscheidungen über Aus- fuhranträge jeweils im Einzelfall insbesondere unter Be- rücksichtigung der außenpolitischen Situation und der Menschenrechtslage im Empfängerland. Eine verfrühte, vierteljährliche Vorlage des Rüstungsexportberichts ist aufgrund der notwendigen Auswertung umfangreicher Statistiken kaum realisierbar. Hinzu kommt die Abstim- mung zwischen den einzelnen Ressorts über die Darstel- lung und Bewertung des zusammengeführten Daten- materials. Daher kann der Rüstungsexportbericht in der Regel frühestens in der zweiten Jahreshälfte des Folge- jahres dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden. Eine noch weitergehende Ausgestaltung mit Angaben über Dual-Use-Ausfuhren würde die Erstellung des Rüs- tungsexportberichts noch weiter erheblich verzögern. Dies würde genau der hier geforderten frühzeitigeren Veröffentlichung der Berichte in Gänze entgegenstehen. Hier zeigt sich die unausgereifte Forderung des SPD- Antrages. Auch die Forderung nach Einsetzung eines Kontrollgremiums im Bundestag missachtet die verfas- sungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltenteilung. Denn Genehmigung von Rüstungsgüterexporten ist Aufgabe der Exekutive. Die Forderungen dieses Antrages sind populistisch und wider besseres Wissen nicht zielführend zur Verbes- serung der Rüstungsexportbestimmungen angelegt. Des- halb lehnen wir diesen Antrag der SPD-Fraktion ab. Jan van Aken (DIE LINKE): Seit Jahren ist Deutschland weltweit der drittgrößte Exporteur von Rüs- tungsgütern; nur die USA und Russland verkaufen noch mehr. Rund 11 Prozent aller weltweiten Rüstungsaus- fuhren stammen aus Deutschland. Als sich im vergange- nen Jahr die Bevölkerungen Nordafrikas und des Mittle- ren Ostens gegen die jahrzehntelange Unterdrückung erhoben, haben wir die direkten Folgen dieser Politik sehen können. Gekämpft wurde mit Kriegsgerät aus Deutschland: Aus Libyen erreichten uns Bilder von Panzertransportern aus deutscher Produktion. Wir sahen in Gaddafis Palast ein Lager mit nagelneuen Sturmge- wehren des Typs G 36 von Heckler & Koch. Mubaraks Truppen waren mit der Maschinenpistole MP 5 ausge- rüstet; deutsche Wasserwerfer trieben die Protestieren- den auf dem Tahrir-Platz auseinander. Das ließe sich jetzt noch lange fortführen. Das reicht aber schon. Es reicht, weil es auch der deutschen Bevöl- kerung reicht. Im Herbst des vergangenen Jahres sprach sich in einer repräsentativen Umfrage die überwälti- gende Mehrheit von 78 Prozent gegen den Verkauf von Rüstungs- und Kriegsgerät aus. Es gibt kaum jemanden in Deutschland, der dieses Geschäft mit dem Tod gut- heißt. Es freut mich, zu beobachten, dass auch hier im Bun- destag die Waffenexporte zunehmend kritischer gesehen werden. Noch hat das keine Konsequenzen, noch geneh- migt diese Bundesregierung ungebremst jede Waffen- ausfuhr, bis hin zu Kampfpanzern für Saudi-Arabien. Aber das wollen wir ändern, und das werden wir ändern. Der erste Schritt dahin ist, dass sich in der SPD etwas ändern muss. Im letzten Jahr gab es viel Kritik an Rüs- tungsexporten von den Sozialdemokraten. Jetzt haben sie hier dazu einen Antrag eingebracht. Der ist allerdings eine einzige Frechheit. Im Kern fordert die SPD näm- lich, möglichst gar nichts zu ändern. Wenn Sie von der SPD glauben, Sie könnten hier der Öffentlichkeit weis- machen, Sie wollen etwas an den grenzenlosen Waffen- exporten ändern, dann müssen Sie die Menschen wirk- lich für komplett naiv halten. Drei Beispiele: Erstens. Die SPD fordert: „Keine Lizenzen zur Waffenproduktion mehr an Drittstaaten vergeben, die den Endverbleib nicht zweifelsfrei sicherstellen kön- nen.“ Ihrer Vorstellung nach dürfen also deutsche Hersteller weiter ganze Waffenfabriken in Ländern wie Saudi-Arabien bauen. Ihre Einschränkung, dass der End- verbleib „zweifelsfrei sichergestellt“ sein muss, ist eine Nebelkerze. Denn das gilt heute schon: Jedes Empfän- gerland muss den Endverbleib bestätigen, und die Ex- portrichtlinien sehen vor, dass keine Waffen an Länder geliefert werden, bei denen es Anlass gibt, an diesem Endverbleib zu zweifeln. Alle wissen, dass der End- verbleib natürlich nicht gesichert ist. Die G 36 in den Händen von Gaddafi-Getreuen und Panzerabwehrrake- ten des Typs MILAN bei den Aufständischen in Libyen 20872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) haben das wieder mal gezeigt. Deshalb muss man hier etwas grundsätzlich verändern. Ich persönlich plädiere für ein generelles Verbot solcher Exporte. Aber die SPD beantragt hier schlicht und einfach nur, dass alles so bleibt, wie es ist. Das ist beschämend. Zweitens. Wir sind uns alle einig, dass es mehr Trans- parenz bei den Rüstungsexporten braucht. In anderen Ländern ist es bereits gang und gäbe, dass alle drei Monate die aktuellen Exportzahlen veröffentlicht wer- den. Auch im Bundestag wurde dies schon diskutiert. Was schlägt die SPD jetzt vor? Es bleibt, wie es ist: Ein- mal im Jahr wird ein Bericht veröffentlich, nur etwas früher als bislang. Offen gesagt: Das lässt mich ratlos zurück! Wen will die SPD mit diesem Kleinstvorstoß täuschen? Die Öffentlichkeit? Oder ist das eine Art Selbstbetrug, damit man behaupten kann, irgendetwas irgendwann einmal vorgeschlagen zu haben? Drittens: Die SPD möchte ein Parlamentsgremium einrichten, in dem die Bundesregierung in geheimer Sitzung über die im Bundessicherheitsrat getroffenen Waffenexportentscheidungen unterrichtet. Also: In ge- heimer Sitzung wird über geheime Entscheidungen des geheim tagenden Bundessicherheitsrates unterrichtet. Glauben Sie wirklich, das ist transparent? Es ist ein Trauerspiel, dass die Waffenlobby selbst auf eine SPD in der Opposition noch mehr Einfluss hat als einige Abgeordnete in den eigenen Reihen, die sich ja wirklich ehrlich und ernsthaft für eine Beschränkung von Waffenexporten einsetzen. Wie kann es denn sein, dass Rüstungslobbyisten wie Johannes Kahrs bei Ihnen so viel Einfluss haben – so viel Einfluss, dass Sie uns hier diesen lächerlichen Antrag vorlegen? Ich kann aus Ihren heutigen Forderungen nur einen Schluss ziehen: Sollte es der SPD gelingen, 2013 an die Regierungsmacht zurückzukehren, wird sie an der Praxis der deutschen Rüstungsexporte nichts, aber auch gar nichts ändern. Denn genau das beantragen Sie hier. So traurig das ist: Es überrascht eigentlich auch kaum. In der letzten SPD-Regierungszeit wurden die Rüstungs- exporte schließlich deutlich ausgeweitet. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland gar keine Waffen mehr exportieren sollte. Aber das geht offensichtlich nur mit einer starken Linken und einer schwachen SPD. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was für ein erfreulicher Antrag und was für eine unerfreuliche Uhrzeit! Dieses Thema sollten wir nicht am späten Abend zu Protokoll reichen, sondern am helllichten Tage laut diskutieren. Denn Licht ist dringend nötig im Dickicht der deutschen Rüstungskontrolle. Im Dezember 2011 wurde uns der Rüstungsexportbe- richt für das Jahr 2010 endlich vorgelegt. Was für eine Schmach, dass es so lange dauert, bis ein paar Zahlen zu- sammengefasst wurden. So verschleppt man die Debatte auf einen Zeitpunkt, an dem sich kaum noch jemand für die längst abgewickelten Vorgänge interessiert. Zumin- dest zeitgleich mit dem Jahresabrüstungsbericht könnte auch der Rüstungsexportbericht vorliegen. Vor 2000, als es noch keinen Rüstungsexportbericht gab, konnte das Wirtschaftsministerium die Zahlen als Reaktion auf eine jährlich wiederholte Anfrage der Grünen ebenfalls be- reits im März vorlegen. Warum geht dies inzwischen im- mer erst so spät? Warum setzt die Regierung den Export- bericht nicht selber zur Debatte auf, so wie sie das mit dem Abrüstungsbericht tut? Andere Nachbarländer der EU gehen mit dem Thema inzwischen weit offener um, als es hier im drittgrößten Waffenexportland üblich ist. So werden beispielsweise in England die Zahlen zu den Rüstungsexportgenehmigungen vierteljährlich bis je- weils zum nächsten Quartalsende vorgelegt und in einem gesonderten Ausschuss debattiert. Das sollte auch bei uns machbar sein. Transparenz ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Dies muss für alle Bereiche der Politik gelten. Wenn man sich den Bericht dann einmal genauer anschaut, versteht man allerdings, warum möglichst lange geheim bleiben soll, was die Bundesregierung da treibt. Wenn Spannungsgebiete, wie Indien und Pakistan, gleicherma- ßen hochgerüstet werden, Waffen zur Unterdrückung des arabischen Frühlings fleißig genehmigt wurden und die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien keine Rolle spielt, ist dieser Bundesregierung natürlich daran gelegen, zu verbergen, wie inkonsequent ihre Außenpolitik ist. Diese Bundesregierung tut sich gerne als Waffenmak- ler hervor und versucht, wie zum Beispiel im Falle der Eurofighter für Indien, Werbung für die deutsche Rüs- tungsindustrie zu machen. Wenn Vermittler und Geneh- migungsbehörde identisch sind, kann es mit der Kon- trolle ja nicht mehr weit her sein. Deswegen sieht unser Grundgesetz ja auch vor, dass der Bundestag die Regie- rung kontrollieren soll. Der wird aber so spät informiert, dass eine wirkliche Kontrolle nicht mehr möglich ist. Deshalb wollen auch wir Grünen eine Unterrichtung des Bundestages im Vorfeld von Genehmigungen in einem zu schaffenden fachpolitischen Gremium. Ich bin aber dagegen, daraus ein weiteres geheimes parlamentari- sches Kontrollgremium zu machen. Damit haben wir nicht wirklich gute Erfahrungen gemacht. Dann geht das mit der Geheimniskrämerei gerade so weiter, und die Parlamentarier dürfen sich nicht einmal untereinander informieren. Vertraulichkeit ist nur da angebracht, wo berechtigte Interessen Einzelner geschützt werden müs- sen. Aber auch nur da. Das ist im Einzelfall zu begrün- den. Spätestens wenn eine Genehmigung erteilt wurde, ist diese vor dem Parlament öffentlich zu begründen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, in dieser Sache sollten wir uns nicht hinter der jeweiligen Regierung verstecken. Hier ist der Zusammenhalt aller Parlamentarier gegenüber der Exekutive angesagt. Sie haben sich doch insgeheim selbst darüber geärgert, dass die Regierung uns im letzten Sommer nicht einmal sagen wollte, ob sie nun über die Panzerlieferung nach Saudi- Arabien entschieden hat oder nicht. Vergessen Sie nicht: Das gilt dann auch nach einem Regierungswechsel. Auch die Forderung nach einer tatsächlichen Endver- bleibskontrolle ist richtig. Die Bundesregierung vertraut auf Endverbleibserklärungen, die oft noch nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Dies konnte Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20873 (A) (C) (D)(B) man zum Beispiel in Mexiko beobachten. Aber auch die in Libyen gefundenen G-36-Gewehre hätten Ägypten nie verlassen dürfen, wenn sie überhaupt jemals dort ge- wesen sein sollten. Die Vergabe von Lizenzen, also der Verkauf von ganzen Waffenfabriken in Drittstaaten, ist nicht zu verantworten, da hier eine Kontrolle nach dem Verkauf so gut wie unmöglich ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, meine Fraktion teilt fast alles, was Sie hier in Sachen Transpa- renz und parlamentarischer Beteiligung einfordern. Das reicht uns aber nicht. Wir haben gerade erst im Februar Eckpunkte für ein künftiges Rüstungsexportkontrollge- setz beschlossen. Unser Vertrauen in Grundsätze, Richt- linien und freiwillige Ansätze ist nämlich restlos aufge- braucht. Die Kriterien der Menschenrechtslage und die Gefahr innerer Repression wollen wir gesetzlich kodifi- zieren, genauso wie die Berichtspflichten. Der Gesetzes- rang gäbe diesen Kriterien mehr Gewicht gegenüber den ohnehin stets gut vertretenen Wirtschaftsinteressen. Spannend wäre auch ein Verbandsklagerecht, wie bei- spielsweise im Umweltrecht, um dem Menschenrechts- kriterium zur Durchsetzung zu verhelfen. Um den Blick- winkel auf Rüstungsexportanträge zu verändern und die Menschenrechtslage stärker in den Fokus zu rücken, wollen wir außerdem die Zuständigkeit für Rüstungsex- porte ins Auswärtige Amt übertragen. Trotz allem: Ihre Vorschläge weisen in die richtige Richtung, und vielleicht denken Sie im Verlauf der wei- teren Verhandlungen noch einmal über unseren Vor- schlag für eine gesetzliche Regelung nach. Ich kann mir vorstellen, dass die Union, sobald sie wieder in der Op- position ist, diesem Vorhaben plötzlich offener gegen- überstehen wird. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93) (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Vorliegender Ent- wurf, den wir heute in erster Lesung beraten, beinhaltet streng genommen nicht nur die Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen, sondern er führt einen solchen Rechtsschutz im Subjektiven überhaupt erst ein. In einem ansonsten fast schon hypertroph ausgebildeten gerichtlichen Rechtsschutz in unserem Land klafft aus- gerechnet bei dem vornehmsten Bürger- und Mitwir- kungsrecht des Wahlrechts eine eklatante Lücke. Hierauf hat uns inzwischen sogar die OSZE hingewiesen und explizit eine Subjektivierung des Rechtsschutzes gefor- dert. Mit diesem Gesetzentwurf schließen wir diese Lücke. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat das in einem Gespräch unlängst sehr prägnant und ein wenig sarkastisch zusammengefasst: „das System sei deshalb konsistent, weil es vor der Wahl keinen Rechtsschutz gebe und danach auch keinen“. Der Handlungsbedarf ist also in Wissenschaft und Politik anerkannt und unbe- stritten. Daher freut es mich besonders, dass mit der Union, der FDP, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vier Fraktionen den Entwurf gemeinsam und im Kon- sens einbringen, nachdem wir in einer fraktionsübergrei- fenden Arbeitsgruppe lange und konstruktiv diskutiert haben. Wir lösen als Koalitionsfraktionen zugleich ein Ver- sprechen aus der Debatte zur Reform des Bundestags- wahlrechts vom 30. Juni letzten Jahres ein, indem wir diesen gemeinsamen Vorschlag zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen erarbeitet haben und heute in die parlamentarische Beratung geben. An dieser Stelle daher herzlichen Dank an die Kollegen aus den anderen Fraktionen für die gemeinsame Arbeit, die sehr sachorientiert, offen und frei von parteitaktischem Kal- kül war. Das Wahlrecht ist vom Bundesverfassungsgericht schon im ersten Band seiner Entscheidungssammlung als das vornehmste Recht des Bürgers bezeichnet wor- den. Jeder Bürger kann wählen und gewählt werden. Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsge- richts soll der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt sogar in der Würde des Men- schen verankert sein. Auch wenn man über diese Veran- kerung in Art. 1 unserer Verfassung trefflich streiten kann, so wird damit jedenfalls deutlich und ist unbe- streitbar, dass die Bedeutung des Wahlaktes nicht hoch genug angesetzt werden kann. Von wo sind wir bei unseren gemeinsamen Reform- überlegungen nun gestartet? Natürlich sollten Rechts- schutzmöglichkeiten auch dazu dienen, häufige Fehler- quellen abzustellen. Ein Rechtsschutz, der alle denkbaren Fehler im Wahlvorbereitungsverfahren er- fasst und gerichtliche Abhilfe noch vor dem Wahltermin garantiert, ist rechtsstaatlich sicherlich wünschenswert, aber nicht praktikabel. Wichtiger Maßstab muss sein, dass die termingerechte Durchführung der Wahl nicht gefährdet wird. Daher haben wir uns entschlossen, die Rechtsschutzmöglichkeiten auf wesentliche Lücken zu konzentrieren. Das Recht aus Art. 38 des Grundgesetzes ist ein ver- fassungsbeschwerdefähiges Recht. Die Bürger können sich also prinzipiell gegen mögliche Eingriffe mit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zur Wehr setzen. Dies gilt jedoch nur eingeschränkt. Ge- rade bei einer möglichen Verletzung des subjektiven Wahlrechts ist diese Möglichkeit durch die Ausschließ- lichkeit des Wahlprüfungsverfahrens bislang stark einge- schränkt. Das Wahlprüfungsverfahren und die anschließend mögliche Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht gewährleisten Rechtsschutz nur nach der Wahl und nur, wenn die Gültigkeit der Wahl betroffen ist, dass heißt, sich die Verletzung subjektiver Rechte als mandatsrele- vant erweist und somit eine Verletzung objektiven Wahl- 20874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) rechts vorliegt. Bei „bloß“ subjektiver Rechtsverletzung besteht zurzeit überhaupt kein Rechtsschutz. Politisches Ziel ist es daher, gerade auch den Wahlberechtigten, den Bürgerinnen und Bürgern, einen verbesserten Rechts- schutz zu gewähren. Ebenso düster sieht es für den Rechtsschutz von Par- teien gegen die Nichtzulassungsentscheidung des Bun- deswahlausschusses vor der Wahl aus. Während gegen zentrale Entscheidungen der Wahlbehörden im Vorfeld der Wahl der Rechtsbehelf der Beschwerde bei dem je- weils übergeordneten unabhängigen Wahlorgan möglich ist, gibt es bislang keine Möglichkeit für eine Partei, die ablehnende und für sie existenzielle Entscheidung des Bundeswahlausschusses über ihre Parteieigenschaft prüfen zu lassen. Der Regelungsinhalt des vorliegenden Gesetzent- wurfs lässt sich somit in zwei zentrale Blöcke aufteilen. Die Gewährung von Rechtsschutz vor der Wahl und nach der Wahl. Vor der Wahl führen wir jetzt eine neue Beschwerde- möglichkeit für Parteien bzw. Vereinigungen zum Bun- desverfassungsgericht ein, wenn ihre Wahlteilnahme durch den Bundeswahlausschuss abgelehnt wurde. Da- mit schließen wir die bislang bestehende Rechtsschutz- lücke. Diese Möglichkeit eines explizit für Vereinigun- gen bzw. Parteien ausgestalteten Rechtsschutzes ist auch aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien und ihrer Aufgaben überfällig. Hatten Parteien in der deutschen Geschichte auch nicht immer einen leichten Stand, so gilt Deutschland heute als eine Parteiendemo- kratie. Die Parteien sind als zentraler Bestandteil unseres politischen Systems anerkannt und in Art. 21 GG veran- kert. Sie tragen dazu bei, dass sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollzieht und nicht umgekehrt. Parteien sind ein Scharnier zwischen Bürger und Politik und stehen als solche im engen Bezug zur grundrechtlichen Freiheitsidee. Dies hat das Bundesver- fassungsgericht im KPD-Urteil prägnant formuliert: „Ein Staat, der seine verfassungsrechtliche Ordnung als frei- heitlich-demokratisch bezeichnet und sie damit in die große verfassungsgeschichtliche Entwicklungslinie der liberalen rechtsstaatlichen Demokratie einordnet, muss aus dem Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung ein grundsätzliches Recht der freien politischen Betäti- gung und damit auch der freien Bildung politischer Par- teien entwickeln, wie in Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG ge- schehen.“ Werden Parteien nicht zur Wahl zugelassen, fehlt den Konkurrenten der Wettbewerbsdruck, dies kann zu feh- lender Auseinandersetzung und somit zu einer unzurei- chenden politischen Willensbildung im demokratischen Sinne führen. Wird einer Partei die Wahlteilnahme ver- sagt, so ist dies im Endeffekt fast genauso einschneidend wie ein Parteiverbot, das nur das Bundesverfassungs- gericht unter strengsten Voraussetzungen aussprechen kann. Daher ist die vorgesehene neue Beschwerdemög- lichkeit zum Bundesverfassungsgericht eine konse- quente, richtige und eigentlich überfällige Lösung. So wichtig allerdings die Parteien für die Demokratie sind, so klar ist auch, dass im Mittelpunkt des Wahl- rechts der Wahlbürger steht. Die anstehende Reform bliebe also noch nicht einmal auf halbem Wege stecken, wenn sie sich auf diese Beschwerdemöglichkeit der Par- teien beschränken würde. Vielmehr ist es ein rechtsstaat- liches Gebot, dass auch der Bürger – als Wähler und Kandidat – eine Rechtschutzmöglichkeit erhält, die prin- zipiell unabhängig von einem knappen oder klaren Wahlausgang sein muss und die der Durchsetzung seines subjektiven Rechts gilt. Ebenso wichtig ist aber auch, dass diese Rechts- schutzmöglichkeit nicht den Termin und den geordneten Ablauf einer Bundestagswahl gefährden darf. Denn un- verzichtbar ist nicht nur die Wahrung der subjektiven Rechte bei einer Wahl, sondern auch, dass die Wahl überhaupt stattfindet. Wir implementieren den subjekti- ven Rechtsschutz daher innerhalb des bewährten Wahl- prüfungsverfahrens, das sich nach der Wahl anschließt. Künftig sollen also Bundestag und das Bundesverfas- sungsgericht grundsätzlich eine eigene Rechtsverletzung der Rechte aus Art. 38 des Grundgesetzes prüfen und ge- gebenenfalls feststellen. Auch wenn diese Feststellung nach dem Wahltermin erfolgen wird, führt ihre Tenorie- rung zweifellos nicht nur zu einer Genugtuung, sondern hat direkte Folgewirkungen für eine mögliche Wieder- holung eines solchen Fehlers bei der nächsten Wahl. Wir schaffen hier also eine Konstellation, wie sie im Rahmen etwa von Fortsetzungsfeststellungsklagen im deutschen Verwaltungsrecht seit langem bekannt ist und sich her- vorragend bewährt hat. Zwar gab es in der historischen Entwicklung der Wahlprüfung unter der Reichsverfassung von 1871 und der Weimarer Reichsverfassung bereits eine Prüfung nicht mandatsrelevanter Fehler. Aber die bisherige, jah- relang erprobte Praxis des Wahlprüfungsausschusses un- ter dem Grundgesetz kennt eine solche Maßgabe nicht. Auch wenn unsere Reformüberlegungen ersichtlich am gerichtlichen Rechtsschutz durch das Bundesverfas- sungsgericht ausgerichtet sind, so verkennen wir doch nicht, dass jegliche Verbesserungen im Hinblick auf das verfassungsgerichtliche Verfahren auch Rückwirkungen auf die Arbeit des Wahlprüfungsausschusses zeitigen. Und wir nehmen die dort zum Teil vorgebrachten Be- sorgnisse nach einer Veränderung und Vermehrung der parlamentarischen Arbeit ernst. Letztlich läuft es zwar auf eine Abwägung zwischen diesen Bedenken im Hin- blick auf die Arbeitsweise einerseits und dem rechts- staatlichen Gebot, eine eklatante Rechtsschutzlücke zu schließen, andererseits hinaus. Dennoch scheint es mir möglich, die Besorgnisse im Kern auszuräumen, indem wir aus meiner Sicht während der parlamentarischen Be- ratungen auch durch eine Erweiterung des Gesetzesan- trages deutlich machen können, dass auch und gerade im Rahmen der Amtsermittlung eines Bundestagsausschus- ses und schließlich des Bundesverfassungsgerichts die Intensität der Beweiserhebung je nach der politischen Relevanz einer potenziellen Rechtsverletzung variieren kann. Das scheint auch deshalb geboten, weil den Rechtsschutzsuchenden kaum mit einer Verlängerung der Dauer der Wahlprüfung geholfen wäre, zumal deren Dauer anerkanntermaßen bereits heute ein Problem der Wahlprüfung darstellt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20875 (A) (C) (D)(B) Konsequente Folge der Einführung des subjektiven Rechtsschutzes ist ferner die vorgesehene Abschaffung der 100 Unterstützerunterschriften für die Wahlprü- fungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Abge- sehen davon, dass die Beibringung von 99 weiteren Un- terschriften im Internetzeitalter ohnehin keine ernsthafte Hürde mehr darstellt, hat danach auch formal jeder für sich die Chance, unabhängig von der Beteiligung ande- rer, seine Rechte geltend zu machen. Der Entwurf verschließt auch nicht die Augen vor der Frage der Zusammensetzung der Wahlausschüsse. Ne- ben dem Bundeswahlleiter bzw. dem jeweiligen Landes- wahlleiter gehören diesen derzeit ausschließlich von den Parteien vorgeschlagene Wahlberechtigte als Beisitzer an. Ich bin sicher nicht allein, wenn ich diesen Zustand für sehr unbefriedigend halte. Hier schlagen wir vor, richterliche Kompetenz mit in die Ausschüsse zu geben, indem der Bundeswahlausschuss um zwei Richter des Bundesverwaltungsgerichts und die Landeswahlaus- schüsse um zwei Richter des jeweiligen Oberverwal- tungsgerichts ergänzt werden. Dies unterstützt und be- tont den besonderen Charakter der Ausschüsse auch als Beschwerdeinstanz für die Rechtsbehelfe im Wahlvorbe- reitungsverfahren. Mit den heute vorgelegten Vorschlägen, füllen wir eine Rechtsschutzlücke im Wahlrecht. Und ich freue mich auf die Beratungen, die wir mit dem Ziel einer praktischen Konkordanz zwischen rechtsstaatlichen, de- mokratischen und Praktikabilitätserwägungen führen werden. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): In dem hochkomple- xen Verfassungsstaat Deutschland gibt es bei allem Per- fektionsdrang, der uns Deutschen eigen ist, Lücken. Eine geradezu erstaunliche Lücke wollen wir mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf schließen. Wir haben in Deutschland das Wahlrecht zu Bundes- tagswahlen im Großen und Ganzen sehr präzise und de- tailliert geregelt. Dabei klammere ich hier den aktuellen Verfassungsstreit über das negative Stimmgewicht und Überhangmandate aus. Das Bundestagswahlrecht ist na- hezu perfekt geregelt. Die Durchführung der Bundes- tagswahlen vollzieht sich bundesweit immer wieder mit äußerster Präzision. Gleichwohl existiert eine bemer- kenswerte Lücke. Bei der durchaus bedeutsamen Frage, ob eine Gruppierung als politische Partei zu einer Bun- destagswahl zugelassen wird, gibt es bislang keinen an- gemessenen Rechtsschutz. Gegen Entscheidungen des Bundeswahlausschusses über die Parteieigenschaft exis- tiert bislang kein Rechtsbehelf. Dies ist für etablierte Parteien kein Problem, weil ihre Parteieigenschaft nicht infrage steht. Bei Neugründungen oder „jungen Par- teien“ kann eine Entscheidung des Bundeswahlaus- schusses eine Entscheidung von existenzieller Bedeu- tung sein. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll dieses vielfach beklagte Problem beseitigt werden. In Umsetzung des neuen Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 c GG wird vor der Wahl die Beschwerde zum Bundesverfassungs- gericht gegen die Wahlvorschlagsberechtigung vernei- nende Feststellungen des Bundeswahlausschusses zuge- lassen. Wir haben andere Varianten geprüft, wir sind aber in- terfraktionell der Auffassung, dass Statusfragen der Par- teien im Beschwerdeverfahren vom Bundesverfassungs- gericht entschieden werden sollten. Der vorgeschlagene Weg schließt eine unrühmliche Lücke im Bereich des Rechtsschutzes gegen zentral wichtige hoheitliche Ent- scheidungen ohne substanziell, oder gar störend, in die Effektivität des Wahlverfahrensrechtes einzugreifen. Gegenstand der Wahlprüfung durch den Bundestag nach der Wahl und der Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ist nicht die Verletzung subjek- tiver Rechte, sondern die Gültigkeit der Wahl. Beschwer- den werden darum bisher zurückgewiesen oder verwor- fen, wenn sie sich auf die Mandatsverteilung nicht ausgewirkt haben können, auch wenn Recht verletzt wurde. Diese Gegebenheiten wollen wir weiterentwickeln. Im Wahlprüfungsverfahren nach der Wahl werden Rechts- verletzungen des Einsprechenden beziehungsweise des Beschwerdeführers künftig vom Bundestag und vom Bun- desverfassungsgericht im Entscheidungstenor festgestellt, auch wenn sie keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Wahl haben. Das subjektive Wahlrecht eines Bürgers hat in der Demokratie einen so hohen Stellenwert, dass eine Verletzung dieses Rechtes auch dann festgestellt werden sollte, wenn die Gültigkeit der Wahl insgesamt nicht in- frage steht. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Jeder Einzelne kann in Deutschland gegen Schulnoten, Dachrinnen und die Höhe von Gartenhecken klagen. Wenn man als Bürger jedoch an der Teilnahme an Wahlen gehindert wird, hatte man dagegen bisher kein subjektives Klagerecht. Gerade weil Wahlen aber zum Fundament unserer Demokratie gehören, darf der individuelle Rechtsschutz hier nicht fehlen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir diesen unbefriedigenden Zustand ändern. Auf diese ge- meinsame Initiative von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und uns Liberalen bin ich stolz. Zur Bundestagswahl 2009 schickte die OSZE auf Einladung der Bundesregierung ein Team von Wahl- beobachtern nach Deutschland. Das Fazit der OSZE- Mission zu den Wahlen fiel überwiegend positiv aus. Dennoch rügten die Wahlbeobachter einige Lücken im Rechtsschutzsystem, die vor ihnen lediglich in der rechtswissenschaftlichen Literatur Erwähnung gefunden hatten. Insbesondere kritisierte die OSZE die mangeln- den Einspruchsmöglichkeiten gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vor der Wahl. Ebenso bean- standeten die Wahlbeobachter, dass der einzelne Bürger im Prüfungsverfahren nach der Wahl keinen freien Zu- gang zur Justiz habe. Denn bisher muss jeder Bürger erst 100 Unterschriften sammeln, bevor er die Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses vom Bundesverfassungs- gericht überprüfen lassen kann. Ich bin froh, dass wir die entscheidenden Anregungen der OSZE im vorliegenden Gesetzentwurf aufnehmen konnten. Allerdings hat sich in unseren Beratungen auch 20876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) herausgestellt, dass nicht alles, was theoretisch für ein Mehr an Rechtsschutz bei den Wahlen wünschenswert wäre, aus praktischer Sicht auch machbar ist. So hatte die OSZE beispielsweise angeregt, viele gerichtliche Überprüfungen bereits vor der Wahl zuzulassen. Jedoch ist die Vorbereitung von Bundestagswahlen von der Ein- reichung der Unterlagen der zahlreichen Parteien und Wahlkreiskandidaten bis zur eigentlichen Abstimmung ein hochsensibler Akt. Eng aufeinander abgestimmte Fristen bis zum Wahltag lassen es praktisch nicht zu, jede einzelne Entscheidung noch vor der Wahl gericht- lich überprüfen zu lassen. Deswegen haben wir nur den wichtigsten Fall, nämlich die Zulassung von Parteien durch das Bundesverfassungsgericht, vor die Wahl verle- gen können. Diese Entscheidung ist richtig. Denn ver- einfacht gesprochen haben die Bürger nichts davon, wenn sie zwar rechtmäßig wählen dürfen, sich ihr Wahl- favorit aber in einem Rechtsstreitverfahren befindet und noch nicht antreten darf. Insgesamt haben wir mit Blick auf den Bericht der OSZE einen guten Kompromiss ge- funden. Wie sieht die Neuregelung nun genau aus? Sie besteht aus zwei wichtigen Bausteinen. Erstens geben wir Par- teien, die vom Bundeswahlausschuss nicht zur Wahl zu- gelassen wurden, die Möglichkeit, noch vor dem Wahl- tag beim Bundesverfassungsgericht zu klagen. Diese notwendige Verbesserung wurde vor allem vor der letz- ten Bundestagswahl diskutiert. Damals wurden „Die PARTEI“ des bekannten Satirikers Martin Sonneborn sowie die „Freie Union“ um Gabriele Pauli vom Bundes- wahlausschuss nicht zur Wahl zugelassen. Freilich ist gerade im ersteren Fall fraglich, ob die Vertreter ein ernsthaftes Interesse an Politik verfolgen. Fakt ist je- doch, dass beide Vereinigungen keine Chance hatten, die Entscheidung des Bundeswahlausschusses gerichtlich überprüfen zu lassen. Das ist deswegen mit einem „Geschmäckle“ behaftet, weil im Bundeswahlausschuss die etablierten Parteien über die Zulassung von neuen Parteien entscheiden, noch dazu in einem sehr hohen Tempo. Auch die OSZE hat in ihrem Bericht diesbezüg- lich einen Interessenkonflikt vermutet. Deshalb ist es gut, dass wir nicht zugelassenen Parteien nun den ge- richtlichen Rechtsschutz noch vor der Wahl eröffnen. Zweitens, und nicht weniger wichtig, ist die Verbesse- rung des Rechtsschutzes für den Einzelnen nach der Wahl. Diese Subjektivierung des Wahlprüfungsverfah- rens wird durch zwei wesentliche Änderungen erreicht. Zum einen wird die Hürde von 100 Unterschriften, die bei einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht bisher notwendig waren, zukünftig wegfallen. Zum an- deren stellen nun der Wahlprüfungsausschuss des Bun- destages sowie das Bundesverfassungsgericht explizit fest, wenn dem einzelnen Bürger oder einer Gruppe von Personen Wahlrechtsfehler widerfahren sind. Im Sinne des Grundsatzes des Rechtsfriedens ist das eine sehr be- grüßenswerte Reform. Abschließend danke ich den Kollegen Krings, Wiefelspütz und Montag noch einmal ausdrücklich für die wirklich sehr guten und kollegialen Gespräche der vergangenen Wochen. Ich finde es sehr positiv, wie sach- lich wir uns mit dem Problem auseinandergesetzt und gemeinsam Lösungen erarbeitet haben. Ich freue mich, dass wir nun zusammen einen Antrag zum Wahlrechts- schutz vorlegen können. Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion lade ich auch ausdrücklich ein, dem vorliegenden Kompromiss im weiteren Verfahren zuzu- stimmen. Sie haben zwar schon vor zwei Monaten einen Gesetzentwurf zum gleichen Thema vorgelegt. Aller- dings waren ihre Lösungsvorschläge damals noch nicht ausgereift. Unserem Gesetzentwurf können sie nun mit gutem Gewissen zustimmen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Ich freue mich außerordentlich, dass auch Sie mit dem vorgelegten Ge- setzentwurf zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen eine Sonneborn-Regelung einführen wollen, auch wenn Sie diese nicht so nennen und auch wenn es nur eine halbe Sonneborn-Regelung ist. Ich will den vorgelegten Gesetzentwurf an den „Krings-Kriterien“ messen, also an den Punkten, die Herr Krings im Rahmen der letzten Debatte am Gesetz- entwurf der Linken kritisiert hat. Das tut mir jetzt ein wenig leid für die anderen Parteien, aber wir sollen ja hier Rede und Gegenrede halten. Erstens. Die Fristen zwischen der Entscheidung des Bundeswahlausschusses und der Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichtes sind bei Ihrem Gesetzentwurf knapper als beim Gesetzentwurf der Linken. Entgegen der Gesetzesbegründung betragen sie bei Ihnen nicht 20 Tage sondern im schlechtesten Fall 16 Tage. Der Bundeswahlausschuss soll spätestens am 79. Tag vor der Wahl eine Entscheidung treffen, die Beschwerde muss spätestens am 4. Tag nach der Bekanntmachung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden. Das ist dann der 75. Tag vor der Wahl. Da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 59. Tag vor der Wahl erfolgen soll, ergibt dies 16 Tage. Die Linke hat in ihrem Gesetzentwurf die Frist, bin- nen der über die Entscheidung des Bundeswahlausschus- ses vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden ist, auf 18 Tage festgesetzt. Der Bundeswahlausschuss entscheidet am 72. Tag vor der Wahl, die Beschwerde muss spätestens drei Tage nach Bekanntmachung eingereicht sein, also am 69. Tag vor der Wahl. Die Entscheidung muss bis zum 51. Tag vor der Wahl getroffen sein. Zweitens. Ihr Gesetzentwurf enthält keinerlei Formu- lierung, wie mit einer vorgezogenen Bundestagswahl umzugehen ist. Ich halte eine solche gesonderte Rege- lung nicht für erforderlich, aber dies war einer der Kri- tikpunkte von Herrn Krings am Gesetzentwurf der Lin- ken. Ich stelle fest, diese Kritik geht dann auch an Ihren eigenen Gesetzentwurf. Drittens. Sie regeln allein den Rechtsschutz bei Nicht- zulassung als Partei. Sie haben keinerlei Vorschläge unterbreitet, wie der gerichtliche Schutz gegen die Nichtzulassung einer Landesliste oder eines Kreiswahl- vorschlages aussehen könnte. Da endet der Rechtsschutz bei Ihnen bei den Wahlausschüssen. Damit regeln Sie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 20877 (A) (C) (D)(B) nur die Hälfte des Rechtsweges, sie geben für diesen Fall keinen gerichtlichen Rechtsschutz vor der Wahl, das heißt, Sie führen nur die halbe Sonneborn-Regelung ein. Im Hinblick auf die Kritik von Herrn Krings im Gesetz- entwurf der Linken könne es angeblich zu divergieren- der gerichtlicher Entscheidungen kommen, sei darauf verwiesen, dass die Zulassung einer Landesliste oder eines Kreiswahlvorschlages auch jenseits der Partei- eigenschaft versagt werden kann. Insoweit besteht keine Gefahr divergierender Entscheidungen. Viertens. Das demokratietheoretische Problem der Wahlausschüsse, das darin besteht, dass die im Parla- ment vertretenen Parteien über die potenzielle Konkur- renz entscheiden, lösen sie aus meiner Sicht nicht befrie- digend. Durch die Ernennung von Richtern und Richterinnen sieht es demokratietheoretisch besser aus, ist es aber nicht wirklich. Es bleibt ein Placebo. Fünftens. Sie entscheiden sich, Ihren Vorschlag zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen mit einer Grundgesetzänderung zu flankieren. Wir hielten das nicht für notwendig, finden aber auch nicht, dass dies ein Grund ist, sich dieser Grundgesetzänderung zu verweigern. Sechstens. Sie suggerieren einen subjektiven Rechts- schutz für Bürger und Bürgerinnen einzuführen, die der Ansicht sind, es lägen Rechtsverletzungen im Rahmen des Wahlverfahrens vor. Es ist ja schon interessant, dass Sie hier eine Anregung der Linken aufgreifen. Es bleibt aber das grundsätzliche Problem, dass die Bürger und Bürgerinnen über den Wahlprüfungsausschuss und gege- benenfalls das Bundesverfassungsgericht auf eine nach- trägliche Feststellung der Rechtsverletzung verwiesen werden. Das schadet natürlich nichts, ist eine Verbesse- rung zum vorherigen Zustand, aber wirklicher Rechts- schutz ist in meinen Augen etwas anderes. Vielleicht sollten wir da noch einmal gemeinsam genauer überle- gen, wie der subjektive Rechtsschutz ausgestaltet wer- den kann. Siebtens. Aus meiner Sicht gibt es noch die eine oder andere Sache zu klären, zu präzisieren und zu verbes- sern. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Partei- eigenschaft bejaht, für welchen Zeitraum soll die Ent- scheidung Gültigkeit haben? Was folgt, wenn das Bundesverfassungsgericht in der gesetzten Frist nicht entscheidet? Gilt dann, wie ich vorschlagen würde „im Zweifel für die Parteieigenschaft“? Vielleicht sollten wir das einfach mal gemeinsam klä- ren, denn gemeinsam sind wir klüger. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben im Jahre 2009 das Büro für demokratische Institu- tionen und Menschenrechte der Organisation für Sicher- heit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, eingeladen, die Bundestagswahlen 2009 zu beobachten. Über diese Beobachtung wurde ein Bericht der Wahlbewertungs- kommission vorgelegt, der Deutschland eine stabile Grundlage für die Durchführung demokratischer Wahlen bescheinigt. Als bedenklich wurde jedoch eingestuft, dass es vor der Wahl keine Möglichkeit der juristischen Überprüfung von Entscheidungen der Wahlorgane gibt und damit die Rechtslage in Deutschland hinter inter- national eingegangenen Verpflichtungen zurückbleibt. Der OSZE ist für ihren Bericht auch von dieser Stelle zu danken. Wir fassen die Beurteilung nicht als ungehörige Kritik, sondern als konstruktive Vorschläge zur Verbes- serung eines schon heute beispielhaft guten Zustands des Wahlrechts in Deutschland auf. Was ist in der Folgezeit passiert? Der frühere Bundesinnenminister de Maizière hat im Januar 2010 der OSZE geschrieben, dass die Bundes- regierung diese Anregung aufnehmen und einen Vor- schlag machen wird. Aber die Bundesregierung hat nichts getan. Der 1. Ausschuss des Hohen Hauses, für das Wahl- recht federführend zuständig, hat im Juni 2011 mit Zustimmung aller Fraktionen beschlossen, die Bundes- regierung aufzufordern, etwas in dieser Sache zu unter- nehmen. Geschehen ist nichts. Ich will annehmen, dass die Bundesregierung ausschließlich aus Respekt vor dem Parlament untätig geblieben ist. Wahlrecht ist eben Sache des Parlaments, heißt es. Deshalb haben sich einige Kollegen, Herr Dr. Krings und Herr Dr. Ruppert, Herr Wiefelspütz und auch ich ganz basisdemokratisch und über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammengetan, um den Rechtsschutz im Wahl- recht des Bundestages zu stärken. Und dies ist uns, ich sage dies schon mit einigem Stolz, auch gelungen. Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des In- nen- wie auch des Justizministeriums ganz ausdrücklich danken, dass sie uns mit ihrem Sachverstand zur Seite gestanden haben. Ich danke auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unseren Abgeordnetenbüros, die wirklich wertvolle Zuarbeit geleistet haben. Heute liegen dem Hohen Hause zwei Gesetzentwürfe vor, mit denen der Rechtsschutz im Wahlrecht gestärkt wird. Vor einigen Wochen ist es in der Öffentlichkeit wegen der sehr kurzfristigen Absetzung der Gesetzent- würfe von der Tagesordnung zu der Befürchtung gekom- men, wir wollten klammheimlich den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu den Gerichten, ganz beson- ders zum Bundesverfassungsgericht, einschränken. Des- halb betone ich auch heute ganz deutlich, dass genau das Gegenteil zutrifft. Was bringen die Gesetzentwürfe für Änderungen mit sich? Neue Parteien und Vereinigungen, die an Bundestags- wahlen teilnehmen wollen, haben es naturgemäß beson- ders schwer. Werden sie vom zuständigen Bundeswahl- ausschuss nicht zur Wahl zugelassen, können sie sich erst nach der Wahl dagegen zur Wehr setzen. Das ändern wir. Wir geben den betroffenen Gruppierungen die Möglichkeit, noch vor der Wahl Rechtsschutz beim Bun- desverfassungsgericht zu suchen und vielleicht auch zu finden. Wegen der laufenden Wahlvorbereitungen muss es schnell gehen, aber die Zeit zur Überprüfung einer Zurückweisung einer Gruppierung von der Wahl muss sich finden. Dazu muss auch das Grundgesetz geändert werden. Wir appellieren an dieser Stelle an den Bundes- 20878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2012 (A) (C) (D)(B) rat, konstruktiv mitzuziehen und diese gute Reform mit- zutragen. Bei der möglichen Zurückweisung von Landeslisten auf Landesebene, von Direktkandidatinnen und -kandi- daten in den Wahlkreisen und im Falle der Zurück- weisung einzelner Bürgerinnen und Bürger schien es uns schwer möglich, einen Rechtsschutz vor den Fachge- richten innerhalb der ganz kurzen Fristen, die das Grundgesetz und das Bundeswahlrecht vorschreiben, zu organisieren. Immerhin sieht das Wahlgesetz in allen diesen Fällen die Möglichkeit einer Überprüfung vor den nächst höheren Wahlausschüssen vor, sodass die Betrof- fenen nicht völlig rechtlos sind. Aber wir haben für diese Gruppen und Personen den Charakter der nachträglichen Überprüfung vor dem Wahlprüfungsausschuss des Bundestags und vor dem Bundesverfassungsgericht entscheidend verändert. Während bisher nur eine objektive Prüfung möglicher Fehlentscheidungen auf ihre Wahlausgangsrelevanz stattfindet, wird es in der Zukunft zu einer Feststellung über die Verletzung der subjektiven Wahlrechte der be- troffenen Gruppen und Personen kommen, selbst, wenn sich der Rechtsverstoß auf das Wahlergebnis nicht aus- gewirkt hat. Wenn ihnen Unrecht geschehen ist, wird dies in Zukunft schwarz auf weiß festgestellt. Die Landeswahlausschüsse und der Bundeswahlaus- schuss sollen nicht nur mit Vertreterinnen und Vertretern der etablierten Parteien besetzt bleiben, um den Ein- druck eines Closed Shops zulasten von neuen Gruppen und Kandidatinnen und Kandidaten zu vermeiden. In jedem dieser Ausschüsse werden in Zukunft zwei Rich- terinnen oder Richter mitentscheiden. Und schließlich brauchen die Bürgerinnen und Bürger keine 100 Unter- stützerinnen oder Unterstützer mehr, um beim Bundes- verfassungsgericht eine Wahlbeschwerde einzulegen. Dies passt nicht mehr zum neu eingeführten subjektiven Rechtsschutz im Wahlrecht. Zwei Schlussbemerkungen erscheinen mir notwendig. Leider hat die Fraktion der Linken an diesem gemein- samen Projekt nicht teilnehmen können. Wenn es sich um Parlamentsrecht handelt und Sache des ganzen Hau- ses ist, sollte die Union ihre Haltung gegenüber der Fraktion der Linken überdenken. Ich muss allerdings auch sagen, dass es nicht sinnvoll war, dass die Linke im letzten November einen eigenen Gesetzentwurf vor- gelegt hat, der fachlich mangelhaft und ideologisch überfrachtet war. Damit liefert sie selbst Argumente, sie an gemeinsamen Aktivitäten nicht zu beteiligen. Die Einbindung der Kolleginnen und Kollegen des Wahlprüfungsausschusses hätte besser sein können. Dies wurde nachgeholt und ich will mich für die konstrukti- ven Änderungsvorschläge aus diesem Ausschuss bedan- ken. Sie bilden eine gute Grundlage für die jetzt notwen- digen und, wie ich hoffe, sehr raschen Beratungen im Ausschuss und werden uns helfen, ein noch besseres Ge- setz zur Reform und zum Ausbau des Rechtsschutzes im Wahlrecht zu verabschieden. 175. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Neuausrichtung der Pflegeversicherung TOP 4 Sanktionen in den Hartz IV-Regelungen TOP 40, ZP 3 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 41, ZP 4 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 1 Aktuelle Stunde zum deutsch-schweizerischen Steuerabkommen TOP 5 Nachtragshaushaltsgesetz 2012 TOP 6 Elterliche Sorge bei nicht verheirateten Eltern TOP 7 EU-Operation Atalanta TOP 8 Verbesserung der Situation an Hochschulen TOP 9 Sicherung der betrieblichen Altersversorgung TOP 10 Bewältigung von Konversionsfolgen TOP 11 Fortbestand des Klosters Mor Gabriel TOP 12 Deutsche nukleare Abrüstungspolitik TOP 13 Bundeswehrreform TOP 14, ZP 5 Feste Fehmarnbeltquerung TOP 15 Arzneimittelrechtliche Vorschriften TOP 16 Europaweite Pressefreiheit TOP 26 Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen TOP 17 Versicherungsaufsichtsgesetz TOP 19 Wissenschaftliches Fehlverhalten TOP 18 Bildung für nachhaltige Entwicklung TOP 21 Parlamentarische Rüstungsexportkontrolle TOP 20 Nationales Waffenregister-Gesetz TOP 23 Anrechnung von Aufwandsentschädigungen im SGB TOP 22 Fortentwicklung des Meldewesens TOP 25 Flughafenasylverfahren TOP 24 Perspektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs TOP 27 Umsetzung von Basel III TOP 28 Private Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie TOP 29 „Miami Five“ TOP 30 EU-Klimaziel TOP 31 Konzept für naturnahe Flusslandschaften TOP 32 EU-Vorschläge zur Transparenz im Rohstoffsektor TOP 33 Elbekonzept Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit bereits um

    33 Prozent überschritten. Das ist ein bisschen viel.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



    (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Nehmen Sie die Vertragsverhandlungen auf, und be-
    enden Sie das Projekt!

    Herzlichen Dank.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Zum Schluss dieser heftigen Debatte erteile ich Kol-

legen Ingo Gädechens von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingo Gädechens


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

    Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass
    auch die Grünen jetzt wissen, dass Fehmarn eine Insel
    ist.


    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Ich lebe seit fast 30 Jahren auf Fehmarn, habe als echter
    Ostholsteiner dort tiefe Wurzeln geschlagen und mich
    sehr früh für eine positive Entwicklung der Insel einge-
    setzt.

    Bereits im Jahr 1988 wurde ich stolzes bürgerliches
    Mitglied, und seit 1990 war ich bis zum Einzug in den
    Deutschen Bundestag Stadtvertreter auf der Insel Feh-
    marn. In all den vielen Jahren war das Thema feste Feh-
    marnbelt-Querung Gegenstand vieler Diskussionen.
    Wenn Sie möchten, könnte ich Ihnen sogar als letzter
    Redner einen breiten historischen Abriss über die Ge-
    samtentwicklung, die unterschiedlichsten Diskussionen
    vor Ort bis hin zur Schließung des Staatsvertrages ge-
    ben. Leider reicht die vorgegebene Redezeit nicht aus.
    So möchte, so kann ich nur einige Punkte ansprechen,
    die mir in dieser Debatte noch wichtig erscheinen.

    Der wiederkehrende Antrag der Linken und der nach-
    gereichte Antrag der Grünen lassen erkennen – Christel
    Happach-Kasan erwähnte es schon –, dass in Schleswig-
    Holstein erneut Landtagswahlkampf herrscht und man
    wieder und wieder versucht, mit einem Thema zu punk-
    ten, ohne anzuerkennen, dass sich die Mehrzahl der
    Menschen, die Mehrzahl der Mandats- und Entschei-
    dungsträger längst auf den Weg gemacht haben, um sich
    auf die feste Fehmarnbelt-Querung einzustellen.


    (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Geld leider!)


    Wer ehrliche Politik macht, sagt den Menschen, dass es
    nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie
    geht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Alles andere ist Augenwischerei. Es ist einfach naiv, zu
    glauben, dass es nach knapp drei Jahren, dass es nach der
    Beschlussfassung, dem Abschluss und der Ratifizierung
    des Staatsvertrages mit dem Königreich Dänemark Ver-
    handlungen über einen Ausstieg geben könnte. Es ist in
    höchstem Maße unredlich, dass die Linken „Ausstieg
    jetzt“ in Schleswig-Holstein plakatieren, Ängste bei den
    Menschen schüren und Horrorszenarien verbreiten.


    (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist das, was die Bürger in Schleswig-Holstein uns sagen!)


    In den letzten drei Jahren hat Femern A/S, das däni-
    sche Baukonsortium, in vorbildlicher Weise und frühzei-
    tig für Transparenz und Offenheit gesorgt. Dänemark hat
    erhebliche Anstrengungen unternommen und bereits In-
    vestitionen in siebenstelliger Größenordnung vorgenom-
    men, um das Projekt zu analysieren, zu planen, Umwelt-
    verträglichkeiten zu prüfen und die Finanzierung sicher-
    zustellen. Transparenz und Offenheit wurden dem Kon-

    sortium sogar von den Gegnern bescheinigt. Davon kön-
    nen wir in Deutschland lernen, und wir haben bereits da-
    raus gelernt. Ja, es stimmt: Auf deutscher Seite müssen
    noch viele Hausaufgaben erledigt werden, gerade mit
    Blick auf das Thema Hinterlandanbindung. Gerade da
    sehe ich als direkt gewählter Abgeordneter eine Haupt-
    aufgabe.

    Ich war seinerzeit sehr verwundert, ja sogar ent-
    täuscht, dass der damalige SPD-Bundesverkehrsminister
    Tiefensee vor Unterzeichnung des Staatsvertrages sich
    nicht ein einzige Mal vor Ort hat blicken lassen.


    (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ach, Ingo! Na, na, na!)


    Ich war enttäuscht, dass ein SPD-geführtes Bundes-
    ministerium nichts von frühzeitiger Bürgerbeteiligung
    wissen wollte. Erst nach der letzten Bundestagswahl und
    dem Wechsel im Verkehrsministerium zu Minister
    Ramsauer und dem Parlamentarischen Staatssekretär
    Ferlemann hat sich das Verfahren deutlich verbessert.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sören Bartol [SPD]: Das ist doch jetzt witzig! Ihr habt doch überhaupt nichts gemacht! Wer hat denn noch früher anders geredet als heute?)


    Während die Opposition über Bürgerbeteiligung wortge-
    waltig lamentiert, hat die christlich-liberale Koalition für
    eine bessere Bürgerbeteiligung gesorgt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Die CDU hat auf allen Ebenen die Verfahren eingelei-
    tet, die für die Menschen für Ort bedeutend sind. Die
    ostholsteinische CDU-Kreistagsfraktion hat eine wich-
    tige Betroffenheitsanalyse in Auftrag gegeben.


    (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist mir neu, dass die CDU hier ein Verfahren eingeleitet hat! Können Sie das mal erläutern? Nach welcher Rechtsgrundlage? Können Sie mal erläutern, nach welcher Rechtsgrundlage die CDU ein Raumordnungsverfahren eingeleitet hat?)


    Nach den von mir initiierten Gesprächen im Ministe-
    rium gab es den Impuls für ein vorgeschaltetes Raum-
    ordnungsverfahren, das die CDU-geführte Landesregie-
    rung beschlossen hat. Von euch, meine lieben Kollegen
    von der SPD, kam gar nichts. Darüber hinaus wurde ein
    Dialogforum eingerichtet, das vom ehemaligen deut-
    schen Botschafter Dr. Jessen geleitet wird. Aufgrund un-
    serer Initiative ist Bundesminister Peter Ramsauer nach
    Ostholstein und auf die Insel Fehmarn gekommen und
    hat nicht nur im Fahrstand einer Lokomotive den Groß-
    teil der Bahnstrecke abgefahren,


    (Sören Bartol [SPD]: Ihr seid doch tolle Jungs! Echt! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Minister fährt Eisenbahn! Das ist fantastisch! – Sören Bartol [SPD]: Das ist ein Witz!)


    sondern hat sich in einer Podiumsdiskussion auch den
    Fragen, Anregungen, der Kritik und den Ängsten der





    Ingo Gädechens


    (A) (C)



    (D)(B)


    Menschen gestellt. Ja, ja, eure Versäumnisse regen
    euch jetzt im Nachhinein auf. Ich kann das verstehen,
    aber diese Versäumnisse kann man nicht einfach wegwi-
    schen.

    Es ist schon bemerkenswert, meine Damen und Her-
    ren von der SPD-Fraktion, dass gerade diejenigen am
    lautesten aufschreien und am schärfsten Kritik üben, die
    in der Vergangenheit nichts für eine bessere Bürgerbetei-
    ligung getan haben,


    (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wir haben es doch ratifiziert! Wir waren doch vor Ort!)


    während diese Bundesregierung ein Gesetz zur Verbes-
    serung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitli-
    chung von Planfeststellungsverfahren vorgelegt hat. So
    eine Beteiligung hätte ich mir früher zum Beispiel auch
    vom damaligen SPD-Verkehrsminister Tiefensee und
    auch von den anderen Oppositionsparteien gewünscht.

    Große Bauprojekte stellen alle beteiligten Vorhaben-
    träger und Planer, aber gerade an erster Stelle die Men-
    schen in der Region, vor große Herausforderungen.