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    Plenarprotokoll 17/172 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 172. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 I n h a l t : Wahl der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Dr. h. c. Wolfgang Thierse und Hans-Joachim Otto als ordentliche Mitglie- der und der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup) und Siegmund Ehrmann als stellvertretende Mit- glieder des Stiftungsrates der Kulturstif- tung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 33 und 36 e Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung der Präsidentin der Abgeordneten- kammer der Republik Rumänien, Frau Roberta Anastase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koor- dinierung und Steuerung in der Wirt- schafts- und Währungsunion (Drucksache 17/9046) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanis- mus (Drucksache 17/9045) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabili- tätsmechanismus (ESM-Finanzierungs- gesetz – ESMFinG) (Drucksache 17/9048) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes (Drucksache 17/9049) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Eu- ropäischen Union hinsichtlich eines Sta- bilitätsmechanismus für die Mitglied- staaten, deren Währung der Euro ist (Drucksache 17/9047) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Europäischen Stabilitätsmechanismus ablehnen, europäisches Investitionspro- gramm auflegen (Drucksache 17/9146) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ratifizierung des Fiskal- vertrags ablehnen – Ursachenorien- tierte Politik zur Krisenbewältigung einleiten (Drucksache 17/9147) . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE 20207 A 20207 B 20208 B 20208 B 20231 A 20208 D 20209 A 20209 A 20209 B 20209 B 20209 B 20209 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 LINKE: Grundlegende Reformen der EU-Verträge umsetzen – Änderungen von Artikel 136 des Vertrags zur Ar- beitsweise der Europäischen Union ver- hindern (Drucksache 17/9148) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Stabilisierungsme- chanismusgesetzes (Drucksache 17/9145) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Florian Pronold, Hans-Joachim Hacker, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Gemeinsam Zukunft planen – Infrastruk- tur bürgerfreundlich voranbringen (Drucksache 17/9156) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zur Indivi- dualbeschwerde schnellstmöglich ratifi- zieren (Drucksache 17/8917) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Koopera- tionen von Hochschulen und Unterneh- men transparent gestalten (Drucksache 17/9168) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter, Sabine Leidig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wirksame Anreize für kli- mafreundlichere Firmenwagen (Drucksache 17/9149) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einführung eines pauschalierenden psychiatrischen Entgeltsystems zur qualitativen Weiterentwicklung der Versorgung nutzen (Drucksache 17/9169) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kennzeichnungspflicht auf verarbei- tete Eier ausweiten (Drucksache 17/9170) . . . . . . . . . . . . . . . 20209 C 20209 D 20210 A 20213 D 20217 B 20219 A 20222 A 20223 C 20225 C 20227 A 20228 B 20229 B 20231 A 20232 B 20233 D 20235 A 20235 A 20237 A 20239 B 20240 D 20241 D 20243 A 20244 D 20247 B 20248 C 20249 C 20251 A 20251 B 20251 D 20252 D 20253 D 20255 B 20259 D 20259 D 20260 A 20260 A 20260 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 III Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Lisa Paus, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Städtebauliche Qualität des Re- gierungsviertels verbessern (Drucksache 17/9171) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Oktober 2011 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Republik Indien über Soziale Sicherheit (Drucksachen 17/8727, 17/9094) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. November 2011 über die Errichtung des Sekreta- riats der Partnerschaft für öffentliche Gesundheit und soziales Wohlergehen im Rahmen der Nördlichen Dimension (NDPHS) (Drucksachen 17/8981, 17/9200) . . . . . . . c)–g) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 412, 413, 414, 415 und 416 zu Petitionen (Drucksachen 17/9050, 17/9051, 17/9052, 17/9053, 17/9054) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a)–h) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 417, 418, 419, 420, 421, 422 423 und 424 zu Peti- tionen (Drucksachen 17/9177, 17/9178, 17/9179, 17/9180, 17/9181, 17/9182, 17/9183, 17/9184) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der kalten Progression (Drucksachen 17/8683, 17/9201) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/9202) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dorothée Menzner, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unberechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen – Kein Sponsoring der Konzerne durch Stromkunden (Drucksache 17/8608) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der er- neuerbaren Energien (Drucksachen 17/8877, 17/9152) . . . . . . . 20260 B 20260 C 20260 D 20261 A 20261 C 20262 B 20262 B 20262 C 20264 A 20265 D 20267 C 20269 C 20271 C 20273 A 20274 A 20275 A 20276 A 20277 A 20278 D 20277 B 20277 C 20281 A 20282 D 20284 B 20285 A 20285 C 20286 B 20287 C 20288 C 20290 A 20291 B 20292 C 20294 A 20294 C IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Ralph Lenkert, Jan Korte, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter (Drucksachen 17/8892, 17/9152) . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Matthias Machnig, Minister (Thüringen) . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Be- treuungsgeld einführen – Kinder und Familie durch den Ausbau der Kinder- tagesbetreuung fördern (Drucksache 17/9165) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Auf- hebung der Ankündigung eines Betreu- ungsgeldes (Drucksachen 17/1579, 17/8201) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten (Drucksachen 17/6088, 17/8201) . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- neten Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Dr. Birgit Reinemund, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Europäische Finanzaufsicht stärken und effizient ausge- stalten (Drucksache 17/9151) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 20294 C 20294 D 20296 B 20298 B 20298 D 20299 D 20301 B 20302 B 20302 C 20303 B 20304 B 20307 A 20308 B 20309 A 20309 D 20311 A 20312 C 20314 D 20313 A 20313 A 20313 B 20313 C 20317 A 20318 C 20319 A 20320 B 20320 D 20321 D 20323 A 20323 C 20324 C 20325 D 20326 C 20328 C 20326 D 20327 A 20330 B 20332 C 20333 C 20334 B 20335 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 V der SPD: Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiterent- wickeln und mitgestalten (Drucksachen 17/7360, 17/8507) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Andrej Hunko, Dr. Diether Dehm, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gemeinsame Außen- und Si- cherheitspolitik und Gemeinsame Si- cherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren (Drucksachen 17/5387, 17/8807) . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . . Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (PrStG) (Drucksachen 17/3355, 17/9199) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tabea Rößner, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (Drucksachen 17/3989, 17/9199) . . . . b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Stärkung der Pressefreiheit (Drucksache 17/9144) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen Hoch- schulpakt Plus – Zusätzliche Studi- enplätze schaffen und Masterange- bot ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen – Hoch- schulen sozial öffnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Hochschulpakt weiterentwi- ckeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen (Drucksachen 17/7340, 17/7341, 17/6918, 17/9141) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gute Lehre an allen Hoch- schulen garantieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für herausra- gende Lehre auflegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Qualitätsoffen- sive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Drucksachen 17/4588, 17/1737, 17/9142) Tagesordnungspunkt 13: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- 20336 D 20337 A 20337 B 20338 A 20339 D 20341 B 20342 B 20342 D 20343 D 20344 D 20344 D 20345 A 20345 A 20346 A 20347 C 20348 D 20349 C 20350 B 20351 C 20351 D 20352 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 wurfs eines Gesetzes zu der Siebten Ände- rung des Übereinkommens über den Inter- nationalen Währungsfonds (IWF) (Drucksachen 17/8839, 17/9083) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Ver- schlusssachen gesetzlich regeln (Drucksache 17/6128) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aktenein- sichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stär- ken (Drucksache 17/4037) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 30. September 2011 des Übereinkom- mens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Drucksachen 17/8840, 17/9176) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsge- recht erbringen (Drucksachen 17/8149, 17/8831) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 30. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutsch- land – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Vertrages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Zen- tralrat der Juden in Deutschland – Kör- perschaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geändert durch den Vertrag vom 3. März 2008 (Drucksachen 17/8842, 17/9081) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/9082) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Wasser und Ernährung si- chern (Drucksache 17/9153) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Michael Roth (Heringen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Drucksache 17/9154) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Sep- tember 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksachen 17/8841, 17/9140) . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20353 A 20353 B 20353 B 20353 C 20353 D 20354 A 20354 A 20354 C 20354 C 20356 B 20357 C 20358 B 20359 B 20360 A 20360 C 20360 C 20361 C 20363 D 20364 B 20365 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 VII Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine soziale Revision der Entsenderichtlinie (Drucksachen 17/1770, 17/4755) . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11 (Drucksachen 17/8515 Nr. A.36, 17/9069) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Manfred Nink (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren (Drucksache 17/4884) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen (Drucksache 17/9155) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten René Röspel, Dr. Carola Reimann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Gesund- heitsforschung an den Bedarfen der Pa- tientinnen und Patienten ausrichten – Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung überarbeiten (Drucksachen 17/5364, 17/9143) . . . . . . . . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Rücknahme- pflicht der Händler für Alt-Energiespar- lampen durchsetzen (Drucksache 17/9058) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20365 D 20365 D 20366 D 20367 B 20368 C 20369 B 20370 A 20370 D 20370 D 20372 D 20374 A 20374 C 20375 B 20375 D 20375 D 20377 A 20377 D 20378 D 20379 C 20380 C 20381 B 20381 C 20382 C 20383 D 20385 A 20385 D 20386 D 20387 D 20387 D 20388 D 20389 D 20390 C 20391 C 20392 D 20392 D 20394 B 20395 A 20396 A 20396 C VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion DIE LINKE einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Siche- rung bezahlbarer Mieten und zur Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekosten (Drucksachen 17/6371, 17/8953) . . . . . . . . . . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Hans-Joachim Hacker, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Sicherheit auf Kreuzfahrt- schiffen verbessern (Drucksache 17/9158) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unverzügliche Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens der Internatio- nalen Arbeitsorganisation (Drucksache 17/9066) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Ulla Lötzer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schle- cker-Verkäuferinnen unterstützen – Ar- beitsplätze und Tarifverträge erhalten – Einfluss der Beschäftigten stärken (Drucksachen 17/8880, 17/9131) . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Halina Wawzyniak, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG- Wohnungen (Drucksache 17/9150) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuer- baren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 3 GO der Abgeordneten Manfred Grund, Dr. Thomas Feist, Dr. Michael Luther, Michael Stübgen und Arnold Vaatz (alle CDU/CSU) zur namentli- 20397 A 20397 B 20398 B 20399 A 20399 D 20400 C 20401 B 20402 A 20402 A 20403 C 20404 C 20405 B 20405 D 20406 B 20407 A 20407 B 20408 B 20409 A 20410 A 20410 C 20411 B 20412 A 20412 A 20413 A 20414 D 20415 B 20416 B 20416 D 20417 C 20417 D 20419 A 20419 D 20420 B 20420 D 20421 A 20421 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 IX chen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneu- erbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) . . Anlage 4 Erklärung nach § 3 GO der Abgeordneten Dr. Peter Danckert. Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Hans-Joachim Hacker, Dr. Eva Högl, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger- Leißner, Steffen-Claudio Lemme, Burkhard Lischka, Mechthild Rawert, Silvia Schmidt (Eisleben), Swen Schulz (Spandau), Rolf Schwanitz, Sonja Steffen, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Wolfgang Tiefensee, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuer- baren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) . . . Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündi- gung eines Betreuungsgeldes (Tagesord- nungspunkt 8 b) Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden – zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für einen Hochschulpakt Plus – Zu- sätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen – Hochschulpakt 2020: Für mehr Stu- dienplätze und gute Arbeitsbedingun- gen – Hochschulen sozial öffnen – Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studien- bedingungen und höhere Lehrqualität schaffen – zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Gute Lehre an allen Hochschulen ga- rantieren – Eine dritte Säule im Hoch- schulpakt verankern und einen Wettbe- werb für herausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre star- ten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu der Siebten Änderung des Übereinkommens über den In- ternationalen Währungsfonds (IWF) (Tages- ordnungspunkt 13) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln – Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfah- rensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20421 C 20421 D 20422 B 20422 B 20422 D 20423 C 20424 C 20425 B 20426 A 20428 B 20429 A 20429 D 20430 C 20431 C 20432 B 20433 A 20433 C 20434 A 20435 B 20436 B 20437 A 20437 C 20438 D 20439 C X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderun- gen vom 30. September 2011 des Überein- kommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Tagesordnungspunkt 15) Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Das Bildungs- und Teilhabepa- ket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsgerecht erbringen (Tagesordnungspunkt 16) Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. November 2011 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Ver- trages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zen- tralrat der Juden in Deutschland – Körper- schaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geän- dert durch den Vertrag vom 3. März 2008 (Tagesordnungspunkt 17) Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Tagesordnungspunkt 19) Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dieter Jasper (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf staatlichen Eigen- tums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen (Zusatztagesordnungs- punkt 5) Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20441 B 20442 C 20443 B 20444 A 20444 C 20445 C 20446 B 20447 B 20448 C 20449 C 20450 B 20451 A 20452 D 20454 C 20455 B 20456 C 20456 D 20457 B 20458 C 20459 C 20461 A 20461 D 20462 D 20463 B 20464 B 20465 A 20466 A 20467 B 20468 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20207 (A) (C) (D)(B) 172. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    1) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20419 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts- rahmens für Strom aus solarer Strahlungs- energie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungs- punkt 7 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich werde das oben genannte Gesetz ablehnen und mit Nein stimmen. Zwar sind nach den Formulierungshilfen zum Ent- wurf des Gesetzes, den zahlreichen Berichterstatter- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 29.03.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 29.03.2012 Buschmann, Marco FDP 29.03.2012 Claus, Roland DIE LINKE 29.03.2012 Ehrmann, Siegmund SPD 29.03.2012 Freitag, Dagmar SPD 29.03.2012 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 29.03.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 29.03.2012 Groth, Annette DIE LINKE 29.03.2012* Günther (Plauen), Joachim FDP 29.03.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 29.03.2012 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Kramme, Anette SPD 29.03.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Kunert, Katrin DIE LINKE 29.03.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 29.03.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 29.03.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 29.03.2012 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Dr. Neumann (Lausitz), Martin FDP 29.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 29.03.2012 Nink, Manfred SPD 29.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 29.03.2012 Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 29.03.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 29.03.2012* Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 29.03.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 29.03.2012 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 29.03.2012 Simmling, Werner FDP 29.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 29.03.2012 Wicklein, Andrea SPD 29.03.2012 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 29.03.2012 Dr. Wilms, Valerie BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 20420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) gesprächen und den in der Fraktionssitzung am 27. März 2012 vorgestellten Änderungen Schritte in die richtige Richtung erkennbar, aber für meine Zustimmung zum Gesetz sind diese nicht ausreichend. Verbraucher, Photovoltaikindustrie und Wirtschaft erwarten von der Politik Planungssicherheit und Verläss- lichkeit. Das jetzt vorgelegte Gesetz erfüllt diese Anfor- derungen nur teilweise. Der Solarbranche, die – unter anderem – bei Solar- world mit über 1 500 Arbeitsplätzen sowie zahlreichen Ausbildungs- und Studienplätzen, Innovations- und Logistikzentren in meinem Wahlkreis ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, muss gegenüber der weltweiten Wettbewerbsverzerrung durch chinesische Subventio- nierung von Solarprodukten geholfen werden, ihren Technologievorsprung auszubauen. Da es die Bundes- regierung versäumt hat, entsprechend mit Richtlinien und Verordnungen – zum Beispiel Elektronikschrottver- ordnung – eine Art Schutzwall für den europäischen Markt vor einer besonderen Art einer feindlichen Über- nahme des Marktes durch chinesische Wettbewerbsver- zerrung einzuziehen, müsste Deutschland nunmehr mit einer Local-Content-Regelung – zum Beispiel einem zehnprozentigen Vergütungsaufschlag auf deutsche Pro- dukte – nachsteuern. Auf vergleichbare Regelungen in anderen Branchen in Italien, Frankreich, der Türkei oder beispielsweise die Quotenregelung für chinesische Tex- tilien oder amerikanische Strafzölle wird verwiesen. Des Weiteren ist im Gesetz eine angemessene Vergü- tung für eine Anlage in der Größenklasse von 10 bis 50 oder 100 Kilowatt nicht vorgesehen. Anlagen von 1 Megawatt bis 10 Megawatt hingegen erhalten die volle Vergütung aus dem EEG. Das ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung kleiner und mittlerer Anlagen, auf deren Modulbauteilproduktion sich deutsche Hersteller spezialisiert haben. Sie wirkt im Hinblick auf die Ziel- setzungen der Energiewende oder einer dezentralen Stromeigenproduktion absolut kontraproduktiv. Es ist bekannt, dass sich Anlagen in der Größenordnung von 1 bis 10 Megawatt vornehmlich in Bayern und Baden- Württemberg befinden bzw. dort geplant sind. Schließlich entfällt mit dem Wegfall des Eigenver- brauchsbonus jeglicher Anreiz zum Einsatz von Energie- speichern, ob von Batterien oder anderweitigen Spei- chersystemen. Der Eigenstrombonus sollte in der Form beibehalten werden, die ihn an den Einsatz von Spei- chern koppelt. Im Übrigen hoffe ich, dass insbesondere die ostdeut- schen Bundesländer unter Führung von Sachsen und Sachsen-Anhalt im Vermittlungsausschuss durch die bereits vorgelegte Bundesratsinitiative insbesondere in vorgenannten Positionen Verhandlungsfortschritte erzie- len, damit ich bei erneuter Beschlussfassung zustimmen kann. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich kann dem Gesetz- entwurf zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie – Drucksache 17/8877 – nicht zustimmen. Die aktuelle Novellierung des EEG besteht aus Einschnitten und Kürzungen, die nicht mit einer konzeptionellen Weiterentwicklung der solaren Strom- erzeugung verbunden sind. Erstens. Die vorgesehene Kürzung der vergüteten Strommenge wird dem Anspruch der Marktintegration nicht gerecht. Es fehlen Mechanismen zum Markt- zugang für alle Anlagen, die zu groß oder nicht geeignet für den Eigenverbrauch und zu klein für den Börsen- zugang sind. Zweitens. Der Gesetzentwurf gibt keine Antwort auf einen Systemfehler der Strompreisfindung. Große Men- gen erneuerbaren Stroms senken den Großhandelspreis an der Börse. Darauf haben die mit der steigenden EEG- Umlage belasteten Kleinverbraucher jedoch keinen Zu- griff. Großverbraucher hingegen werden auch noch von der Umlage befreit, auf die ihr eigener Preisvorteil zu- rückzuführen ist. Drittens. Es fehlt ein Speicheranreiz, der die Rege- lung zum Eigenverbrauch mit der Anschaffung netzge- steuerter Speichereinheiten koppelt. Gerade die man- gelnde Speicherfähigkeit erneuerbaren Stroms wird von Kritikern der Energiewende ständig beklagt. Gleich- zeitig wurden jedoch wirksame Schritte zur Lösung die- ses Problems verhindert. Dieser Gesetzentwurf liefert keinen Beitrag zur weiteren Umstellung der Stromversorgung auf erneuer- bare Energien. Trotz intensiver Bemühungen gelang es während der Gesetzesberatung nicht, über die Zubaube- grenzung hinaus positive Elemente zur Systemtrans- formation des Stromsektors zu verankern. Stattdessen fielen immer wieder Bemerkungen wie „Solarabzocker“ oder „Das Fallbeil muss fallen“. Die kleinteilige Strom- erzeugung wird von Teilen der Koalition als System- gefahr betrachtet, der Eigenverbrauch als „Schädigung der Solidargemeinschaft“. Diese Haltung konserviert technologisch überlebte Strukturen. Sie bremst die Ver- lagerung der Wertschöpfung auf breite Bevölkerungs- schichten und nimmt unseren Bekenntnissen zur Ener- giewende die Glaubwürdigkeit. Ich werde den Gesetzentwurf deshalb ablehnen. Frank Heinrich (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zu, obwohl ich noch einige Bedenken habe. Ich bin ein großer Befürworter der erneuerbaren Energien. Bei der Abstimmung über die Verlängerung von AKW-Laufzeiten habe ich mich meiner Partei nicht angeschlossen und habe gegen die Verlängerung gestimmt. Die in dem Gesetzentwurf getroffene Neuregelung übt noch nicht den notwendigen Druck auf die Betreiber und Anbieter von Photovoltaikanlagen aus, Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er tatsächlich benötigt wird. Aber ich bin der Auffassung, dass Planungssicher- heit und Verlässlichkeit sowohl für die Photovoltaikin- dustrie als auch für die Wirtschaft wichtig sind. Ich denke, dass die massive Kürzung der Solarförderung mit einer kurzen Ankündigungsfrist aufgrund bestehender Verordnungen des Baurechts nicht realistisch ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20421 (A) (C) (D)(B) Deshalb sollten angemessene Übergangsfristen ver- einbart werden, damit bereits im Bau befindliche Anla- gen noch nach den momentan geltenden Vergütungssät- zen abgerechnet werden. Außerdem fehlt meines Erachtens nach ein Speicher- anreiz, der die Regelung zum Eigenverbrauch mit der Abschaffung netzgesteuerter Speichereinheiten koppelt. Die Kritiker beklagen gerade die mangelnde Speicherfä- higkeit erneuerbaren Stroms. Weiterhin wird kein Beitrag durch diesen Gesetzent- wurf zur weiteren Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien geliefert. Ich unterstütze dennoch die in diesem Gesetz getroffenen Neuregelungen und hoffe sehr, dass damit eine Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Stand erreicht wird. Die Belastung der Stromkunden durch Garantiezusagen hinsichtlich der Einspeisevergütung für in Photovoltaikanlagen erzeug- tem Strom wird so gegenüber dem Status quo stärker begrenzt. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich enthalte mich bei der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf, weil ich die darin enthaltene Förderung der Energiegewinnung in Photovoltaikanlagen über eine Einspeisevergütung, die unabhängig davon gezahlt wird, ob der erzeugte Strom bei Energieverbrauchern absetzbar ist, ablehne. Damit kann das auch von mir unterstützte Ziel, eine Alternative zur Nutzung der endlichen fossilen Energieträger zu ent- wickeln, nicht erreicht werden. Auch die in dem Gesetz- entwurf getroffene Neuregelung übt nicht den notwendi- gen Druck auf die Betreiber und Anbieter von Photovoltaikanlagen aus, Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er tatsächlich benötigt wird. Eine Stromer- zeugung unabhängig vom Bedarf ist aber keine Alterna- tive zur Nutzung fossiler Energieträger, da so ein Indus- trieland nicht zuverlässig und kostengünstig mit Strom zu versorgen ist. Ich unterstütze die in diesem Gesetz ge- troffenen Neuregelungen nicht, da mit ihnen keine aus- reichende Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Stand erreicht wird. Die Belastung der Stromkunden durch Garantiezusagen hinsichtlich der Einspeisevergü- tung für in Photovoltaikanlagen erzeugten Strom wird so gegenüber dem Status quo nicht begrenzt. Im Jahr 2011 wurden circa 7 500 Megawatt Photovol- taikleistung in Deutschland installiert, die Fertigungska- pazitäten für Photovoltaikmodule in Deutschland betra- gen jedoch circa 3 200 Megawatt. Dieser Widerspruch wird vom Gesetzentwurf nicht ausreichend gewürdigt. Die gegenwärtige, schwierige Lage der deutschen Pho- tovoltaikbranche besteht unabhängig vom Fördermecha- nismus im EEG. Ebenso lehne ich die im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf stehende Lösung des „50,2-Hertz-Pro- blems“ als nicht marktwirtschaftlich ab. Die Übernahme der Kosten für die notwendige Nachrüstung der betroffe- nen Photovoltaikanlage soll gemäß einem Verordnungs- entwurf von den Verbrauchern getragen werden. Dies ist eine Abkehr vom Verursacherprinzip und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für künftigen Nachrüstbe- darf. Maria Michalk (CDU/CSU): Ich stimme dem Ge- setzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien zu, weil es am Grundsatz des Ausbaus erneuer- barer Energie festhält und zeitgleich auf die Überschrei- tung des geplanten Ausbaukorridors beim Zubau von Photovoltaikanlagen von 3 500 Megawatt mit 7 500 Me- gawatt im Jahr 2011 reagiert. Die Vergütungssätze sind im Vergleich zu den gesunkenen Systempreisen zu hoch. Das belastet sowohl die Bürgerschaft als auch die Wirt- schaft im Industrie- und Dienstleistungsbereich. Deshalb ist die Korrektur des Ausbaupfades der Photovoltaikan- lagen geboten und gerechtfertigt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Manfred Grund, Dr. Thomas Feist, Dr. Michael Luther, Michael Stübgen und Arnold Vaatz (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Ener- gien (Tagesordnungspunkt 7 a) Ich stimme dem Gesetzentwurf zu, obwohl ich die da- rin enthaltene Förderung der Energiegewinnung in Pho- tovoltaikanlagen über eine Einspeisevergütung, die un- abhängig davon gezahlt wird, ob der erzeugte Strom bei Energieverbrauchern absetzbar ist, ablehne. Damit kann das auch von mir unterstützte Ziel, eine Alternative zur Nutzung der endlichen fossilen Energieträger zu entwi- ckeln, nicht erreicht werden. Auch die in dem Gesetzent- wurf getroffene Neuregelung übt nicht den notwendigen Druck auf die Betreiber und Anbieter von Photovoltaik- anlagen aus, Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er tatsächlich benötigt wird. Eine Stromerzeugung unab- hängig vom Bedarf ist aber keine Alternative zur Nut- zung fossiler Energieträger, da so ein Industrieland nicht zuverlässig und kostengünstig mit Strom zu versorgen ist. Ich unterstütze dennoch die in diesem Gesetz getrof- fenen Neuregelungen, da mit ihnen eine Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Stand erreicht wird. Die Belastung der Stromkunden durch Garantiezusagen hin- sichtlich der Einspeisevergütung für in Photovoltaikan- lagen erzeugten Strom wird so gegenüber dem Status quo stärker begrenzt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Hans-Joachim Hacker, Dr. Eva Högl, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, Steffen-Claudio Lemme, Burkhard Lischka, Mechthild Rawert, Silvia Schmidt (Eisleben), Swen Schulz (Spandau), Rolf Schwanitz, Sonja Steffen, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Wolfgang 20422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Tiefensee, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Wir – die Unterzeichner dieser Erklärung – lehnen die von CDU, CSU und FDP zur Abstimmung gestellten drastischen Sonderkürzungen bei der Solarförderung so- wie die weiteren Instrumente zur Zubaubegrenzung ab. Dies tun wir auch, weil diese konzeptlose Kurz- schlussreaktion der Bundesregierung und der sie tragen- den Koalitionsfraktionen ein wirtschaftlich vertretbares Maß vermissen lassen. Die Kürzungen sind ein Angriff auf die Verlässlichkeit, Planbarkeit und Investitionssi- cherheit der Solarförderung. Durch die wiederholt ab- rupten Sonderkürzungen werden einerseits Zubau-Ral- lyes mit der damit verbundenen Marktüberhitzung ausgelöst. Auf der anderen Seite wird der Solarbranche gerade auch in Ostdeutschland der Boden für eine nach- haltige wirtschaftliche Entwicklung entzogen. Wir wol- len hingegen alles dafür tun, um die Zukunftsfähigkeit der ostdeutschen Solarcluster zu erhalten und dabei die Forschungs- und Entwicklungsstrukturen sowie die Viel- zahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern und aus- zubauen. Dies kann einerseits nur vor einer verlässlichen und planbaren Förderkulisse gelingen. Andererseits ist es un- erlässlich, dem unfairen Wettbewerb und Preisdumping, insbesondere der chinesischen Konkurrenz, den Kampf anzusagen. Daher müssen wir gegen diese Wettbewerbs- nachteile im europäischen Interesse vorgehen und bis dahin durch eine Local-Content-Lösung die Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Solarbranche stärken. Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass CDU, CSU und FDP sowie die Bundesregierung nichts zur Stärkung der hochinnovativen deutschen Solarindustrie und der geschaffenen Arbeitsplätze unternehmen, sondern sich auf einseitige Förderkürzungen beschränken, die vor al- lem den Standort (Ost-)Deutschland zusätzlich gefähr- den. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes (Ta- gesordnungspunkt 8 b) Sylvia Canel (FDP): Als Berichterstatterin für früh- kindliche Bildung weiß ich, wie wichtig der Besuch von Kindereinrichtungen für Kinder ist. Die Einführung ei- nes Betreuungsgeldes schafft ein falsches Anreizsystem. Miriam Gruß (FDP): Aus meiner Sicht sprechen un- ter anderem starke bildungs-, gleichstellungs- und haus- haltspolitische Gründe gegen die Einführung eines Be- treuungsgeldes. Aus bildungspolitischer Sicht habe ich Sorge, ob die Einführung des Betreuungsgeldes im Interesse der Kin- der ist. Denn unter Umständen würde ein Betreuungs- geld eher als Anreiz gesehen, Kinder nicht in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu geben. Dabei profitie- ren Kinder nachweislich von frühkindlicher Bildung in diesen Einrichtungen. Unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten ist das Betreuungsgeld ebenfalls kritisch zu sehen. Es ver- festigt das tradierte Rollenbild, indem es einen Anreiz dafür bietet, den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen nach der Geburt eines Kindes hinauszuzögern. Auch vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels ist das ein weiterer Fehlanreiz. Die aktuellen Haushaltszahlen sprechen zudem eine deutliche Sprache: Deutschland gibt rund 185 Milliarden Euro jährlich für ehe- und familienpolitische Leistungen aus – und trotzdem verzeichnen wir eine der geringsten Geburtenraten in Europa. Die Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen wird für 2013 erwartet. Im Vorfeld dessen eine neue milliardenschwere famili- enpolitische Leistung einzuführen, halte ich im Sinne ei- ner nachhaltigen, zukunfts- und generationengerechten Haushaltspolitik für unverantwortlich. Außerdem ist derzeit nicht in Sicht, dass bis August 2013, wenn der Rechtsanspruch auf einen Betreuungs- platz U3 greift, die für den Anspruch erforderlichen Be- treuungsplätze vorhanden sein werden. Die Einführung des Betreuungsgeldes könnte als Anreiz verstanden wer- den, diesen Ausbau nicht mit dem nötigen Hochdruck von kommunaler und landespolitischer Seite zu beglei- ten. Die konkrete und vor allem verfassungsgemäße Aus- gestaltung des Betreuungsgeldes ist obendrein derzeit absolut unklar. Aus all diesen Gründen werde ich mich bei der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 8 a, b und c enthalten. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Einfüh- rung eines Betreuungsgeldes für diejenigen Eltern, die ihre Kinder im Alter zwischen einem und drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen, wird in der Öffentlichkeit unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert. Die Freiheit der Eltern, ihre Kinder selbst zu betreuen oder qualifiziert betreuen zu lassen, muss erhalten blei- ben. Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen, haben das Recht, dies zu tun. Es ist jedoch eine grund- sätzlich andere Frage, ob dies auch vom Staat zu finan- zieren ist. Gute frühkindliche Betreuung hat einen sehr hohen Stellenwert für die Entwicklung von Kindern. Mit der Finanzierung eines Betreuungsgeldes setzt der Staat einen Anreiz für Eltern, auf die Annahme frühkindlicher Betreuungsangebote zu verzichten. Gleichzeitig werden damit finanzielle Ressourcen gebunden, die für den Auf- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20423 (A) (C) (D)(B) bau von Kinderbetreuung für Eltern, die beide ihren Beruf ausüben wollen, nicht zur Verfügung stehen. In der Studie „Emanzipation oder Kindergeld?“ aus dem Jahr 2008, die von der Robert-Bosch-Stiftung ge- fördert wurde, wird aufgezeigt, dass in den Ländern Europas, in denen mehr Frauen berufstätig sind, mehr Kinder geboren werden. Dazu tragen auch gute Betreu- ungseinrichtungen bei sowie ein hoher Anteil an Frauen mit guten Bildungsabschlüssen. In Deutschland ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen sehr gering. Eine Ursache dafür ist ebenfalls die geringe Verfügbar- keit von Einrichtungen zur Kinderbetreuung. Mit dem Betreuungsgeld wird diese Situation nicht verbessert. Deutschland gibt rund 185 Milliarden Euro jährlich für familienpolitische Leistungen aus. In 2013 soll eine Evaluation dieser Leistungen erfolgen. Es ist nicht ver- antwortbar, vor dem Vorliegen der Evaluation eine neue familienpolitische Leistung einzuführen. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren gilt ab August 2013. Die Ein- führung eines Betreuungsgeldes könnte dazu führen, dass die Einrichtung von Betreuungsplätzen nicht im erforderlichen Maß vorangetrieben wird. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung des Betreu- ungsgeldes ist zurzeit offen. Die Anträge der Opposition zielen auf die Vereinba- rungen im Koalitionsvertrag und die Kritik, die Frauen aus den Koalitionsfraktionen daran geübt haben. Dies ist mir bewusst. Ich werde daher die Anträge ablehnen. Ich erwarte aber, dass in der Frage der Wertschätzung frühkindlicher Bildung, der Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen, der verfassungsgemäßen Ausgestaltung familienpolitischer Leistungen und unter Berücksichtigung der Evaluation dieser bisherigen Leis- tungen über weitere familienpolitische Maßnahmen ent- schieden wird. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für einen Hochschulpakt Plus – Zusätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen – Hochschulpakt 2020: Für mehr Studien- plätze und gute Arbeitsbedingungen – Hoch- schulen sozial öffnen – Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Gute Lehre an allen Hochschulen garantie- ren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für he- rausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU): Die Opposition hat sich darauf verständigt, ihren Debattenplatz im Plenum mit aufgewärmter Ware, mit alten Anträgen zu füllen. Das ist so wenig originell wie überraschend. Wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt, wiederholen Sie sich halt. Be- reits vor sechs Monaten haben wir die nun erneut zur Debatte stehenden Anträge der Opposition zum Hoch- schulpakt hier im Plenum und auch im Ausschuss disku- tiert. Alle drei alten Anträge der Opposition aus dem Ok- tober 2011 bestehen im Wesentlichen aus einer Liste von Wunschvorstellungen, deren Finanzierung nicht einmal im Ansatz dargestellt wird. Das ist das klassische Ritual der Opposition: Jeder Wählergruppe wird das Maximum versprochen. Man steht ja nicht in der Pflicht, diese Wohltaten auch finanzieren zu müssen. Mich würde aber schon interessieren, ob zumindest die Damen und Her- ren von der SPD ihre Vorstöße wenigstens mit ihren Mi- nisterpräsidenten abgesprochen haben. Denn Bildung ist und bleibt trotz allem die Kernaufgabe der Bundeslän- der. Eben deshalb haben wir mit dem Hochschulpakt ein System geschaffen, in dem Bund und Länder gemeinsam die Finanzierung neuer Studienplätze sicherstellen. Jede Veränderung des Paktes hätte damit auch unmittelbare Auswirkungen auf die Haushalte aller Bundesländer. Dieser Idee liegt auch das von Bund und Ländern ge- meinsam vereinbarte System zur Finanzierung des Hochschulpaktes zugrunde. Dieser wird nach zwei Jah- ren nachlaufend finanziert, weil dann die Immatrikula- tionszahlen feststehen und Mittel nicht aufgrund von Schätzungen verteilt werden müssen. Der Hochschulpakt I hat seinen Lackmustest im Übri- gen eindrucksvoll bestanden. 90 000 Studienplätze wa- ren geplant, mehr als das Doppelte, 82 000, wurden fi- nanziert. Wir haben mit diesem flexiblen und atmenden System einen Weg gefunden, mit den Unwägbarkeiten bei der Finanzierung neuer Studierendenzahlen umzuge- hen. Derzeit ist noch gar nicht abzusehen, dass die 335 000 zusätzlichen Studienplätze vor 2014 überschrit- ten werden. Aufgrund bisheriger Berechnungen der KMK ist zwischen Bund und Ländern ein Gesamtdeckel vereinbart worden. Sollte dieser erreicht werden, müss- ten beide Seiten neu verhandeln. Vorher aber müssen alle Länder nachweisen, dass sie die Hochschulpaktmit- tel auch tatsächlich für neue Studienplätze eingesetzt ha- ben. Ich darf Sie daran erinnern, dass diese Regierung den Etat des BMBF um satte 54 Prozent gesteigert hat. Wir unterstützen die Studierenden in Deutschland bei der Fi- nanzierung ihres Studiums in diesem Jahr mit mehr als 1,7 Milliarden Euro. Damit haben wir die Förderung in diesem Bereich im Vergleich zu Rot-Grün im Jahr 2005 um mehr als 53 Prozent ausgebaut. Wir arbeiten am Er- reichen des 10-Prozent-Ziels und an der Weiterentwick- 20424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) lung Deutschlands zu einer Bildungsrepublik, die jeder bzw. jedem gerecht wird. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: nicht nur mit Rekorden bei den Studienanfängerzahlen und bei der Studierquote, sondern auch und gerade bei jungen Men- schen aus bildungsfernen Schichten. Die letzte Studie des HIS hat gezeigt, dass die Studierquote in dieser Gruppe um 6 Prozent überproportional angestiegen ist, während die Studierquote bei Kindern aus bildungsna- hen Schichten „nur“ um 3 Prozent stieg. Nun hat gerade die SPD sich in der vergangenen Zeit mit wenig kreativen Versuchen hervorgetan, den SPD- Finanzministern in den Bundesländern neue Einnahme- quellen zu verschaffen. Ich darf Ihnen zwei Beispiele nennen. Im Antrag 17/4187 hat die SPD verlangt, dass der Bund von geschätzten 20 Milliarden Euro zur Errei- chung des 10-Prozent-Zieles ab 2015 zugunsten der Kommunen und Länder mindestens 10 Milliarden zu- sätzlich übernimmt. Das alles aber „unbeschadet der fö- deralen Zuständigkeiten“. Mit dieser Initiative ist die SPD natürlich prompt gescheitert. An ihrem wirklich durchsichtigen Manöver, die Bildungspolitik als Vehikel für einen neuen Finanzausgleich zu nutzen, hat sich aber nichts geändert. Dafür hat sich ja sogar ihr Fraktionsvor- sitzender hergegeben. Die SPD bewegt offenbar nur eine Frage: „Wie bekommen wir mehr Geld vom Bund in die Länder?“, und nicht etwa „Wie schaffen wir ein ver- gleichbares, leistungsstarkes und gerechtes Bildungssys- tem in Deutschland?“ Lieber basteln Sie an einem neuen Art. 104 c, anstatt die Probleme und Ungerechtigkeiten in der Bildungspolitik zu beseitigen. Mit einem solchen Artikel wird jedenfalls kein Impuls gesetzt, die Länder dazu zu bringen, endlich für gemeinsame Standards, mehr Mobilität und mehr Vergleichbarkeit, letztlich also für mehr Gerechtigkeit in der Bildungspolitik zu sorgen. Und nur Bundesgelder in SPD-geführte Länder zu flu- ten, die mit ihrer Unfähigkeit aufgefallen sind, einen ver- fassungsgemäßen Haushalt vorzulegen, das ist bildungs- politisch dann doch ein bisschen wenig. Kollege Schultz, der Vertreter des Landes Schleswig- Holsteins, hat im Fachgespräch zur Bund-Länder-Ko- operation auf die Bedeutung von Bildungsmindeststan- dards hingewiesen, und auch Professor Prenzel hat es in der Anhörung deutlich gesagt: „Die durchschnittlichen Abstände zwischen den Ländern in Deutschland haben sich seit 2000 nicht verringert. Dies gilt auch für Länder- vergleiche der an den Gymnasien erzielten Leistungen. Im Extremfall erreichen die Abstände eine Größenord- nung von durchschnittlich ein bis eineinhalb Schuljah- ren.“ Er hat auch auf die extreme Bedeutung von Stan- dards und Vergleichbarkeit hingewiesen, wenn es um die Verbesserung des Bildungssystems geht: „Vielmehr fin- den sich Hinweise darauf, dass die deutlich früher erfolgte Einführung von Maßnahmen zur Qualitätssiche- rung, zum Beispiel Bildungsstandards, Vergleichsarbei- ten, Schulevaluationen, das Qualitätsbewusstsein an Schulen geschärft und Aufmerksamkeit auf die Förde- rung schwächerer Schülerinnen und Schüler gerichtet hat.“ Aber die SPD ignoriert diese Probleme und glaubt, mit der trivialen Forderung nach mehr Geld für die Län- der dieses Defizit an bildungspolitischem Durchblick einfach zuschütten zu können. Wir wollen unsere Bildungspolitik verantwortungs- voll und nachhaltig gestalten und uns nicht in ideologi- schen Debatten und dem Auftun neuer Geldquellen für marode Landeshaushalte erschöpfen. Noch nie gab es so viele junge studierende Menschen in Deutschland. Noch nie wurden so viele vom Bund und von den Ländern ge- fördert, und das ist auch gut so. Florian Hahn (CDU/CSU): Gerne und unermüdlich beziehen wir nun zum wiederholten Male Stellung zu den Anträgen der Opposition zum Thema Hochschul- pakt Plus. Die Schaffung von mehr Studienplätzen liegt nicht nur der SPD am Herzen, sondern auch der CDU/CSU. Dass die Regierung so viel wie noch keine andere Regierung zuvor für die Bildung in unserem Land getan hat, liegt auf der Hand. Noch nie gab es so viele junge studierende Menschen in Deutschland. Und noch nie wurden so viele gemeinsam von Bund und Ländern gefördert. Für Bayern bedeutet dies konkret, dass die Zahl von 49 000 Studien- berechtigten im Jahr 2007 auf 83 000 Studienberechtigte im Jahr 2011 gestiegen ist. Wir haben einen Rekordetat für den Bildungsbereich möglich gemacht: Wir sind auf dem besten Weg, das 10-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben dem Qualitäts- pakt für die Lehre zusätzliche 2 Milliarden Euro an Bun- desgeldern zugeführt. Mit all diesen Punkten verbessern wir auch die Situa- tion der Studierenden und der Universitäten nachhaltig. Und vor allem etablieren wir unser Land als Bildungsre- publik. Mit dem Hochschulpakt wurden in der ersten Pro- grammphase von 2007 bis 2010 182 000 neue Studien- möglichkeiten geschaffen – das sind doppelt so viele wie ursprünglich geplant. Dieser Erfolg – das belegen die Daten des Statisti- schen Bundesamts – setzt sich in der zweiten Programm- phase fort. Denn auch im Studienjahr 2011 konnte dank des Hochschulpakts ein Einschreiberekord an deutschen Hochschulen verzeichnet werden. Insgesamt nahmen rund 516 000 junge Menschen ein Studium auf. Die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie flexibel und handlungsfähig ist und auch auf Herausforderungen, die gebündelt auftreten, wie die doppelten Abiturjahr- gänge und die Aussetzung der Wehrpflicht, reagieren kann. Auch für die zweite Programmphase haben Bund und Länder vereinbart, ein bedarfsgerechtes Studienangebot zu schaffen. Auf der Basis der Zahlen von der KMK wurden bis zu 335 000 zusätzliche Studienplätze bis zum Jahr 2015 zugesichert. Dabei stehen für jeden Stu- dienplatz sogar 4 000 Euro mehr zur Verfügung als in der ersten Programmphase. Mit dieser Erhöhung leistet der Bund erneut einen wichtigen Beitrag zur Verbesse- rung der Qualität der Lehre. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20425 (A) (C) (D)(B) Die Forderung der SPD, die Deckelung des aktuellen Hochschulpakts aufzuheben und einen Hochschulpakt Plus einzuführen, halte ich deshalb nicht für sinnvoll und schon gar nicht für durchführbar. Ich möchte noch einmal wiederholen, dass wir in der ersten Programmphase doppelt so viele Studienplätze geschaffen haben, als geplant waren. Die Regierung hat somit eindrucksvoll bewiesen, dass sie in kürzester Zeit ein Vielfaches an neuen Plätzen zur Verfügung stellen kann. Genau so, wie wir das in der ersten Phase gemeistert haben, werden wir das auch in der zweiten Phase lösen. Wir haben immer gesagt: Wenn es mehr Studienplätze bedarf, finanzieren wir diese auch. Dies ist aber noch nicht der Fall. Ich bitte Sie deshalb, nicht im Vorfeld die Pferde scheu zu machen und Lösungen für Probleme zu suchen, die so noch gar nicht existent sind. Außerdem: Selbst wenn wir uns über verfassungs- rechtliche Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern hinwegsetzten und einen „Hochschulpakt Plus“ verab- schiedeten, vermute ich, dass vor allem die hoffnungslos verschuldeten Landesregierungen der SPD überfordert wären. Diese müssten ja schließlich die Studienplätze zur Hälfte mitfinanzieren. Die Forderungen der SPD werden nur noch von den Grünen getoppt, die einen äußerst bunten Strauß an politischen Wünschen in ihrem Antrag zusammenge- schrieben haben. Diese reichen vom Ausbau der Master- studiengänge bis zur didaktischen Weiterbildung des wissenschaftlichen Lehrpersonals, natürlich alles von- seiten des Bundes. Sinnvolle Finanzierungsvorschläge oder auch nur die Beachtung des föderalen Systems un- seres Landes habe ich in dem Antrag vergeblich gesucht. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal an die Beschlüsse von Bologna erinnern: Wie Sie alle wissen, betont die Bologna-Reform ausdrücklich, dass in einem System gestufter Studiengänge der Bachelorabschluss als erster berufsqualifizierender Abschluss den Regelab- schluss darstellt und somit für die Mehrzahl der Studie- renden direkt in die Arbeitswelt führen soll. Der Master- abschluss muss als zusätzlicher, jedoch nicht als regulärer Abschluss betrachtet werden. Abgesehen davon haben die Länder, laut BMBF, durch Erhebungen festgestellt, dass rechnerisch für je- den interessierten Bachelor heute ein Masterstudienplatz zur Verfügung steht. Den Anträgen der Opposition kann ich daher nicht zustimmen. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Wir Sozialdemokra- tinnen und Sozialdemokraten haben bereits im Oktober des letzten Jahres ein Konzept für einen Hochschulpakt Plus vorgelegt. Wir wollen den bestehenden Hochschul- pakt ausbauen und fortentwickeln. Denn es ist offen- sichtlich, dass der Hochschulpakt, den wir vor einigen Jahren gemeinsam mit der Union verabschiedet haben, gewissermaßen von seinem eigenen Erfolg überrollt wird. Es gibt viel mehr Studieninteressierte, viel mehr Nachfrage nach Studienplätzen, als die Länder an Ange- bot finanzieren können. Darum schlagen wir in unserem Konzept vor, dass kurzfristig mindestens 50 000 zusätz- liche Studienplätze finanziert werden müssen. Zudem wollen wir, dass bereits jetzt die nächste Phase des Hochschulpaktes ab 2016 zwischen Bund und Ländern vereinbart wird, damit die Hochschulen und die wissenschaftlich Beschäftigten Planungssicherheit erhal- ten. Denn Studienplätze, die dafür nötigen Investitionen und Personalkapazitäten lassen sich nicht von heute auf morgen schaffen. Für diese nächste Phase wollen wir auch einige Struk- turänderungen in den Pakt einbauen. Das ist das Plus, das wir zur Diskussion stellen. Die zwei wichtigsten Punkte will ich hier benennen. Wir sehen, dass es immer größere Schwierigkeiten nicht nur beim Angebot für Studienanfänger, sondern auch bei Masterstudienplätzen gibt – und künftig noch mehr geben wird. Wir wollen aber nicht eine Verengung auf wenige Elite-Master, sondern allen Bachelorabsol- venten muss der Weg zum Master offenstehen. Und wir wollen einen Anreiz für gute Lehre geben. Bislang finanzieren wir ja lediglich die neuen Studieren- den. Was dann nach dem Studienantritt passiert, ob sie schnell scheitern oder erfolgreich zum Abschluss geführt werden – das liegt außerhalb des Paktes. Das wollen wir ändern. Es muss auch in finanzieller Hinsicht einen Unterschied machen, ob die Studierenden gut betreut werden, ob sich die Hochschulen um gute Lehre bemü- hen oder nicht. Darum wollen wir einen Abschlussbonus einführen, den alle Hochschulen für jeden erfolgreichen Abschluss erhalten. Das setzt dann auch zusätzliche Mittel frei, mit denen die Lehre weiter verbessert werden kann. Was hat nun die Koalition aus CDU/CSU und FDP mit unserem Antrag gemacht? Ich habe ja nun nicht er- wartet, dass die Koalition mit Begeisterung zustimmt. Aber wenigstens als Denkanstoß hätte sie unser Konzept behandeln sollen. Stattdessen heißt es immer wieder be- schwichtigend, dass doch alles in Ordnung sei und man nichts tun müsse. Das war schon der Umgang mit unse- rem Antrag zur Reaktion auf die Aussetzung der Wehr- pflicht, und das ist jetzt wieder der Fall. Die tatsächliche Entwicklung jedoch gibt uns recht – und zwingt die Bundesregierung dann doch, auf die Schnelle Maßnahmen zu ergreifen. Auch das war bei der Frage Wehrpflicht so, und das ist auch hier der Fall. Inzwischen nämlich liegt eine neue Studienanfänger- prognose der Kultusministerkonferenz vor, die unsere Grundaussage, dass der Hochschulpakt ausgeweitet wer- den muss, bestätigt. Die Koalition lehnt unseren Antrag ab. Aber die Bundesregierung wird sich gleichwohl dem Gedanken neuer Verhandlungen mit den Ländern nähern müssen. Ein ums andere Mal muss man Frau Schavan zum Jagen tragen! Das Problem dabei ist, dass die eingetretene Verspä- tung erhebliche Verunsicherung der Hochschulen, des wissenschaftlichen Personals und der Studieninteressier- ten schafft. Kurzfristige Finanzierungen sind nicht 20426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) immer optimal; besser zur Zielerreichung ist die ange- sprochene Planungssicherheit. Zudem verhindert die Realitätsverweigerung mit an- schließender Hektik des Nachbesserns natürlich, dass auch über Strukturprobleme in Ruhe und zielgerichtet gesprochen werden kann. Die Aktivitäten der Bundes- regierung bleiben Stückwerk. Aber es gibt noch ein weiteres, ein fundamentales Problem: Frau Schavan hat einfach nicht genügend Geld. Finanzminister Schäuble stellt es nicht zur Verfü- gung. Die mittelfristige Finanzplanung kann gerade so die gröbsten Löcher beim Hochschulpakt stopfen. Doch sie sieht keine Vorsorge für eine ordentliche Ausweitung des Hochschulpaktes vor. Nach dem Wahljahr 2013 soll gar nichts mehr dazukommen. Das Problem kippt sie dann denen, die danach regieren, vor die Füße. Gleich- zeitig hat die Koalition übrigens just heute eine Steuer- entlastung vornehmlich für Spitzenverdiener in Höhe von 6 Milliarden Euro beschlossen! Wir haben nicht nur das Konzept für einen Hoch- schulpakt Plus, sondern auch für die Finanzierung von zusätzlichen Investitionen in Bildung, alleine vom Bund im Umfang von 10 Milliarden Euro. Mithilfe dieses Konzeptes können und werden wir dann gemeinsam mit den Ländern einen ausgeweiteten und verbesserten Hochschulpakt verwirklichen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Um noch ein- mal daran zu erinnern: Der Bund finanziert die Bildung in Deutschland zu 16 Prozent, die Kommunen zu 20 Pro- zent und die Länder zu 64 Prozent. Ebendiesen beiden Hauptfinanziers von Bildung, den Ländern und den Kommunen, wollen Sie mit ihrem Steuerentlastungs- gesetz einmal mehr die Milliarden Euro entziehen, die wir in der Debatte um mehr Bildung, gleiche Bildungs- chancen und gleiche Bildungszugänge in Deutschland so dringend brauchen. Ihr Steuerentlastungsgesetz entzieht den Ländern glatte 2,5 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass die Länder hier gegenhalten, wenn sie doch gleich- zeitig die Verantwortung für die Studienbedingungen ge- nauso wie auch für die Schulbedingungen ernstnehmen sollen und wollen, wie wir es uns alle hier wünschen. Weil man es nicht häufig genug sagen kann, will ich es hier noch einmal wiederholen: 50 000 zusätzliche Studienanfängerplätze erfordern 1,3 Milliarden Euro durch Bund und Länder. Auch deshalb ist es gut, wenn sich die Länder dagegen wehren, jetzt eine Steuersen- kung auf Pump zu finanzieren, wo sie die Mittel, die damit zusätzlich für die Zinsen ausgegeben werden müssen, jetzt doch so dringlich für die Studienanfänger- plätze und die bessere Ausstattung der Hochschulen brauchen könnten. Das ist Politik paradox, was Sie hier veranstalten. Dieses Verhalten von CDU/CSU und FDP ist auch deshalb umso unverantwortlicher, weil wir doch gemein- sam feststellen müssen, dass sich die staatlichen Stellen wie die Kultusministerkonferenz oder auch der Wissen- schaftsrat in Bezug auf den Bedarf an Studienanfänger- plätzen gewaltig verschätzt haben. Nicht, dass wir dieses beklagen wollten; denn es ist gut, wenn wir in Deutsch- land keine Stimmen mehr hören, die von einer Studie- rendenschwemme sprechen, sondern im Gegenteil alle verantwortlichen Politiker, die übrigen Kräfte in Wirt- schaft, bei Gewerkschaften und an den Hochschulen froh darüber sind, dass sich so viele junge Menschen für ein Studium entscheiden. Aber die Kultusministerkonfe- renz und die Wissenschaft haben sich in ihren Prognosen so massiv zusammen mit dem Bund verschätzt, dass da- raus jetzt auch Konsequenzen zu ziehen sind. Ganz konkret, so wie wir es in unserem Antrag gefor- dert haben: Bund und Länder müssen die Finanzierung der Studienplätze neu kalkulieren. Nach den neuesten Prognosen werden bis 2025 weit mehr als 400 000 Stu- dienanfänger zu versorgen sein. Das ist auch deshalb ein fundamentaler Unterschied, weil bis dahin die verant- wortlichen Stellen davon ausgegangen waren, dass der Studierendenandrang lediglich bis 2015, also bis zur zweiten Phase des Hochschulpaktes, anhalten werde und danach ein rapider Rückgang die Hochschulen entlasten könnte. Dieses wird nicht geschehen. Ganz im Gegenteil: Es zeichnen sich neue Rekord- zahlen ab. 2011 wurden rund 515 000 Studienanfänger gezählt. 2013 sollen es rund 490 000 sein. 2016 wird mit rund 470 000 gerechnet. Bis 2019 soll danach das Ni- veau lediglich auf 450 000 absinken. Mit einem Absin- ken auf die Zahl, die im Jahr 2010 angenommen wurde, nämlich rund 440 000, sei dagegen frühestens 2020 zu rechnen. Damit kommt aber nicht nur auf die Länder und den Bund in gemeinsamer Verantwortung, sondern auch auf die Hochschulen eine gewaltige Dauerleistung zu. An dieser Stelle ist seitens der SPD-Bundestagsfrak- tion den Hochschulen, allen Hochschullehrerinnen und -lehrern und den übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern ausdrücklich eine hohe Anerkennung auszuspre- chen, denn es ist nicht zuletzt ihre Leistung, die wach- senden Studierendenzahlen dennoch unter sehr schwierigen Bedingungen so gut es eben geht zu bewäl- tigen und gleichzeitig auch möglichst vielen Studieren- den einen guten Studienverlauf, eine gute Qualität, einen Studienabschluss und insgesamt eine befriedigende Stu- dienzeit zu ermöglichen. Nur, umso mehr sind wir jetzt seitens der politisch Verantwortlichen verpflichtet, uns auf diese neuen Bedingungen an den Hochschulen mit einzustellen und das Notwendige zu veranlassen. Diese Notwendigkeiten will ich gerne in den folgen- den Punkten präzisieren, ganz in der Linie des von uns bereits im Oktober 2011 eingebrachten Antrages „Für ei- nen Hochschulpakt Plus“. Erstens. Der Bund muss alles tun, damit die Länder auskömmlich finanziert bleiben und ihren Beitrag zum Hochschulpakt und der 50-prozentigen Finanzierung der 26 000 Euro pro Studienanfängerplatz mit leisten und auch zusätzliche Kapazitätsverbesserungen im Personal wie in den Bedingungen bis hin zur Ausstattung und zu den Baulichkeiten vornehmen können. Ohne starke Län- derfinanzen gibt es auch keine starken und guten Hoch- schulen. Dabei ist es nur vernünftig, wenn die Studien- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20427 (A) (C) (D)(B) anfängerzahlen entsprechend wachsen. Hier sollte man von der ursprünglichen Platzkalkulation abgehen und die Mittel aus dem Hochschulpakt so vorziehen, dass diese Studienanfängerplätze zeitnah entstehen können. Zweitens. Niemand sollte sich allerdings vormachen, dass es zu einem schnellen Rückgang von Studienanfän- gerbedarfen kommen kann. Deshalb muss bei den jetzt beginnenden Verhandlungen zum Hochschulpakt III ein hohes Studierendenanfängerpotenzial auch bis zum Jahre 2020 objektiv eingerechnet werden. Die Verhandlungen zu diesem Hochschulpakt III haben im Übrigen unverzüglich zu beginnen, weil alle wissen, dass solche Pakte ihre Vorläufe brauchen und die Verhandlungen in der Gesamtgemengelage sehr schwie- rig werden können. Gleichzeitig brauchen die Studieren- den, ihre Familien wie die Hochschulen Vertrauen, was nach dem Abschluss der zweiten Phase geschieht. Denn nur mit Vertrauen auf Stabilität und mehr Unterstützung für die Hochschulen lässt sich die absehbare Höchstleis- tung, die von den Hochschulen insgesamt erwartet wird, auch erbringen. Drittens. Wenn das Kriterium der Studienanfänger- plätze in der beginnenden Expansion der Studienan- fängerzahlen das Richtige war, so kommt in der nächsten Phase des Hochschulpaktes entscheidend dazu, auch den wachsenden Bedarf an Masterstudienplätzen abzubilden und insgesamt den ganzen Studienverlauf in die Förde- rung einzubeziehen. Die SPD kann nur noch einmal nachdrücklich fordern, dass die Hochschulen und die Landesregierungen sich einen sehr genauen, sehr objek- tiven Überblick verschaffen, wie der Übergang in den Masterstudiengang tatsächlich genutzt wird und was alles getan werden muss, um hier den Rechtsanspruch auf einen Zugang zu einem Masterstudienplatz bei jedem interessierten Studierenden auch zu ermöglichen. Damit ist ganz klar gesagt: Es soll einen Rechtsanspruch auf eine Fortsetzung des Studiums aus dem Bachelor in den Master hinein geben, nicht aber einen Rechtsan- spruch, einen ganz bestimmten Studiengang an jeder beliebigen Hochschule der eigenen Wahl fortsetzen zu können. Viertens. 26 000 Euro sind ein guter Durchschnitts- wert, der ganz verschiedene Studienanfängerplätze in sich einschließt. Wir erwarten für die Verhandlungen zum Hochschulpakt III, dass die Bedarfssätze hierbei auch Differenzierungen mit zulassen, damit Hochschu- len davon abgehalten werden, aufwendigere Studien- gänge, zum Beispiel im Bereich der Medizin oder auch der Ingenieurwissenschaften, bei denen hohen Labor- kosten anfallen können, zurückzustellen. Denn gerade in diesen beiden Fachgebieten würde sonst ein Fachkräfte- mangel in der Zukunft besonders dramatisch eintreten. Fünftens. Mehr Studienanfänger und mehr Studie- rende heißt auch ein höherer Bedarf an Hochschulbau- ten – die offene Frage aus der Föderalismusreform 2006, in welchem Umfang die Hochschulbauten weiter geför- dert werden, kann im Interesse der Studierenden nur so beantwortet werden, dass die Mittel für den Hochschul- bau keinesfalls kurzfristig unter das aktuelle Niveau von 695 Millionen Euro sinken dürfen, wenn wir uns die Phase bis 2020 ansehen, zunächst einmal aus Kapazitäts- gründen und dann auch aus Qualitätsgründen. Die Bundesregierung ist hier nachdrücklich aufgefordert, ge- genüber den Ländern nicht zu mauern, sondern dafür Sorge zu tragen, dass es ein hohes weiteres Finanzie- rungsniveau für den Hochschulbau gibt und Mittel, die an die Länder gehen, in diesen auch vorrangig für den Hochschulbau mit eingesetzt werden. Sechstens. Bei der Einbringung des SPD-Antrages wurde in der Debatte speziell vonseiten der konservati- ven Abgeordneten mit großer Skepsis aufgenommen, dass die SPD auch die Förderung von Abschlüssen als eine Berechnungsgröße in den neu zu verhandelnden Hochschulpakt mit einbeziehen wollte. Wir haben mitt- lerweise feststellen können, dass dieser Vorschlag durch- aus auch aus den Hochschulen und der Wissenschaft selbst Unterstützung erfährt. Nicht als alleiniges Krite- rium, sondern als ein Mischkriterium, so wie es wichtig ist, dass möglichst viele junge Leute studieren können, aber auch von diesen möglichst viele zu einem erfolgrei- chen Abschluss gebracht werden. Wir können die Bun- desregierung nur noch einmal ausdrücklich auffordern, diese komplexere Steuerungsgröße auch in die Verhand- lungen für einen Hochschulpakt III mit einzubringen. Denn es ist doch im Interesse aller, wenn die Abbruch- quote von rund 25 Prozent über eine solche Steuerungs- größe, aber auch über eine Verbesserung der Lehre und auch eine verbesserte Beratung und solide Begleitung der Studierenden energisch in Angriff genommen wird. Siebtens. Mehr Studierende heißt auch mehr soziale Bedarfe, angefangen vom BAföG über den Ausbau von Studierendenwohnungen bis hin zur Studienberatung. Die SPD hat hierzu schon an anderer Stelle Anträge ein- gebracht und kann nur die steten Hinweise des Deut- schen Studentenwerkes, aber auch der Studierendenver- einigungen und der Asten nachdrücklich unterstreichen, die einen Hochschulpakt Plus, einen wirklichen Pakt für die Studierenden, durch eine soziale Absicherung und eine soziale Unterstützung begleitet sehen wollen. Wer hier spart und sein Profil alleine in dem Aufbau eines minimalen Deutschlandstipendiums sucht, wie es leider bei CDU, CSU und FDP der Fall ist, hat nicht begriffen, was Studium heißt und welche Sorgen auch zunehmend die Studierenden aus diesen sozialen und persönlichen Gründen haben. Das Fazit also ist: Wir haben in Deutschland in den Ländern und beim Bund mit der Sicherung der Hoch- schulen in ihrer Fähigkeit, der wachsenden Zahl von Studierenden ein gutes Studium zu ermöglichen, für die nächsten zehn Jahre eine wirkliche Herkulesaufgabe vor uns. Diese sollte sich dann allerdings auch in den Finanzplanungen der Bundesregierung widerspiegeln. Hier ist jedoch lauter Alarm angesagt. Wenn Sie sich die bekannt gewordenen Eckwerte für den Haushaltsplan 2013 und vor allem für die Haushaltspläne 2014, 2015 und 2016 in der mittelfristigen Finanzplanung ansehen, dann muss Ihnen allen klar sein: So wie die Bundesre- gierung aktuell vorgeht, werden die Hochschulen und die Bildung insgesamt in der Zukunft vollkommen al- leingelassen. Zwar soll der Haushalt im Jahr 2013 noch 20428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) einmal wachsen, um dann aber in den Jahren 2014, 2015 und 2016 bei Bildung und Forschung deutlich zu sinken, nämlich um rund 150 Millionen im Jahr. Wie dieses mit den zusätzlichen Anforderungen durch wachsende Studierendenzahlen, durch einen auskömm- lich finanzierten Hochschulpakt und durch eine nachhal- tige Qualitätsverbesserung an den Hochschulen zusam- menpassen kann, das wird sich keinem ernsthaften Betrachter erschließen. CDU/CSU und FDP wollen in der nächsten Legislaturperiode offensichtlich Bildung und Forschung rasieren und damit einen Abbau von Bil- dung und Forschung vorantreiben. Im Gegenteil: Wenn man weiß, wie viele Mittel zum Beispiel durch die große Position im Haushalt wie die Exzellenzinitiative bis zum Jahr 2017, den Pakt für Forschung und hier die Leistungen an die großen For- schungsorganisationen mit jährlichen Steigerungsraten von 5 Prozent auf deren Gesamtvolumen von aktuell 4,2 Milliarden Euro und eben auch die steigenden Mittel für den Hochschulpakt und das BAföG gebunden sind, der kann nur voller Sorge sagen: Mehr Aufgaben und mehr unabdingbare Anforderungen bei geringeren Mit- teln, das fährt die Bildungspolitik des Bundes und hier insbesondere die Hochschulpolitik vollkommen gegen die Wand. Wir können Sie nur warnen: Halten Sie inne bei dieser Politik von geplantem Bildungsabbau. Wir von der SPD haben nicht umsonst ein zusätzliches Volu- men von 20 Milliarden Euro bei Bund und Ländern für Bildung und 3 Milliarden Euro für Forschung und Infra- struktur eingeplant. Oder kündigen CDU/CSU und FDP hier schon Eingriffe in das BAföG, Einschränkungen in der Pro- grammförderung und eine Reduzierung der Mittel für die notwendigen Studienanfängerplätze und die notwen- digen Hochschulbauten an? Die Finanzplanung dieser Bundesregierung jedenfalls zeigt auf, dass sich diese Re- gierung nur noch bis zum Wahltag hinwegretten will, aber den vielen Hunderttausend Studierenden und ihren Familien und auch den Hochschulen keine sichere lang- fristige Antwort mehr geben kann und geben will. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Bildung und Forschung sind für unser Land Zukunftsthemen. Wir müssen in Köpfe investieren; das ist unser wesentlicher Rohstoff. Wir brauchen Fachkräfte. Im Unterschied zu SPD und Grünen belässt es die Koalition nicht bei warmen Wor- ten, sondern sie handelt. Wir haben Jahr für Jahr unsere Ausgaben für Bildung und Forschung gesteigert. Der Etat des Einzelplans 30 ist von 2009 auf 2010 um 701 Millionen Euro aufgewachsen, von 2010 auf 2011 um 783 Millionen Euro und nun für das Jahr 2012 erneut um 454 Millionen Euro. Wir hatten uns vorgenommen, in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Dieses Ziel wer- den wir nicht nur erreichen, sondern wir werden es deut- lich überschreiten. Wenn man sich im Vergleich dazu die Kennzahlen der Regierung Schröder vor Augen hält, kann man sich nur wundern. Sie haben Grund, sich zu schämen. In den Ländern sieht es nicht besser aus. Schaut man nach NRW, so stellt man fest, dass Frau Krafts Schul- denberg keineswegs aufgrund zusätzlicher Investitionen in den Hochschulbereich anwächst. Im Gegenteil: Rot- Grün lässt die Hochschulen zwischen Aachen und Biele- feld regelrecht ausbluten. Weniger Seminare, weniger Tutorien, eingeschränkte Bibliotheksöffnungszeiten sind Handschrift und Markenzeichen der Wissenschafts- ministerin. Ähnliches erleben wir zwischen Konstanz und Mannheim. Grün-Rot will ein neues Bildungssys- tem, aber zu sehen ist ein Debakel. Hü und Hott beim neunjährigen Gymnasium, sang- und klanglose Abwick- lung der beruflichen Gymnasien, floppende Einheits- schulexperimente, Demontage der Werkrealschulen, gra- vierende Einnahmeausfälle an den Hochschulen wegen unzureichender Kompensationsmittel. Dafür dürfen Ba- den-Württembergs Studierende demnächst mit Zwangs- beiträgen eine eigene verfasste Studierendenschaft fi- nanzieren. Damit kann sich das Land, dessen Einwohner alles können außer Hochdeutsch, demnächst zwischen den Bildungsleuchten Berlin und Bremen einreihen. Doch gerade heute ist Handeln notwendig. Der Druck auf die Hochschulen wächst. Die Zahl der Studierenden steigt stetig. Der demografisch bedingte Rückgang der Zahl der Schulabgänger wird in den nächsten Jahren an den Hochschulen kaum Entlastung bringen, weil die Hochschulzugangsquote kontinuierlich steigt. Noch nie war ein Hochschulstudium so attraktiv wie heute. Im Er- gebnis ist das ausgesprochen erfreulich. Doch dieser Umstand erfordert umsichtiges Handeln. Wir sehen die Notwendigkeit, die Länder beim Ausbau der Hochschu- len und bei der Verbesserung der Hochschullehre zu un- terstützen. Die Bundesregierung übernimmt Verantwor- tung. Mit dem Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre fließen seit Jahren Milliardenbeträge in den tertiä- ren Bildungssektor. Das ist richtig und notwendig. Wenn Bund und Länder die Finanzierung der Hochschulen ge- meinsam bewältigen, wenn sie gemeinsam Kapazitäten schaffen und die Betreuung verbessern, so ist dies kon- sequent und richtig. Denn am Ende profitieren Länder und Bund gleichermaßen von dieser Kraftanstrengung. Allerdings regt sich Empörung, wenn Länder wie NRW und Baden-Württemberg zuerst den Hochschulen die Einnahmen zusammenstreichen und dann mit dem Finger auf Berlin zeigen, um noch mehr Geld zu fordern. Mit ihren Anträgen haben Rot und Grün ihre Wunschlis- ten überreicht: mehr Geld, mehr Studienplätze, keine Zulassungsbeschränkungen für Studierwillige, keine Studiengebühren, bessere Studienbedingungen, mehr Masterstudienplätze, mehr Personal an den Hochschulen für Lehre und Betreuung und so weiter und so fort. Aber die Rechnung sollen andere begleichen. Das geht so nicht. Die Bundesregierung hat zugesagt, die benötigten Studienplätze für das inzwischen beendete WS 2011/ 2012 und darüber hinaus mitzufinanzieren. Wir brau- chen Fachkräfte, und wir wollen sie ausbilden. Aber auch die Länder müssen ihren Teil dieser Aufgabe erle- digen. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Ausbau von Studienplatzkapazitäten als auch im Hinblick auf Ver- besserungen bei der Personalausstattung für Lehre und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20429 (A) (C) (D)(B) für die Betreuung der Studierenden. Mit dem Hoch- schulpakt und mit dem Qualitätspakt Lehre sind wir auf einem sehr gutem Weg. Den bunten Strauß an Forderun- gen der versammelten Opposition unterstützen wir nicht. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ein paar Häuser- blöcke entfernt sitzt die Studierendenvertretung der Humboldt-Universität, der sogenannte ReferentInnen- Rat, und heute wie jeden Donnerstag beraten dort zwi- schen 12 und 15 Uhr Studierende Bewerberinnen und Bewerber, die keinen Studienplatz erhalten haben. Im letzten Sommer haben sich 29 000 Menschen an der HU beworben. Studienplätze gibt es gerade einmal 3 316. Der Studienplatzmangel ist in Berlin besonders drän- gend, aber er ist kein Berliner Phänomen. Bundesweit stehen Jahr für Jahr Zehntausende vor den verschlosse- nen Türen der Hochschulen. Die Beraterinnen und Berater in der Humboldt-Uni empfehlen den erfolglosen Bewerbern eine Studienplatz- klage. Das funktioniert häufig auch, denn ein Studium aufzunehmen, ist ein Grundrecht, das man eigentlich nicht so einfach einschränken darf. Eigentlich. In der Realität sind die Zulassungsverfahren längst nicht mehr nur dafür da, mit einer lokalen Übernachfrage klarzu- kommen oder statistische Ausreißer zu bewältigen. Im Gegenteil: Die Hochschulen sind chronisch unterfinan- ziert, es gibt einen strukturellen Studienplatzmangel, und den gibt es bundesweit. Nach heftigen Protesten von Schülerinnen und Schü- lern und Studierenden hat sich dann auch die Bundesre- gierung mit dem Hochschulpakt ein Stückchen bewegt. Aber auf halber Strecke sind Sie stehen geblieben. 275 000 Studienplätze – oder 334 000 inklusive Ausset- zung der Wehrpflicht – wollen Sie bis 2015 schaffen. Dass das nicht reicht, hat im Januar sogar die KMK bemerkt. Nun haben Sie letzte Woche im Kabinett noch einmal auf circa 300 000 nach oben korrigiert. Aber wir alle wissen doch, dass an den Hochschulen de facto über 500 000 Studienplätze fehlen. Sie müssten also in den nächsten acht Kabinettssitzungen noch einmal die glei- chen Beschlüsse fassen, dann würde es am Ende reichen. Wir fordern in unserem Antrag: Lassen Sie die jetzi- gen Schulabgängerjahrgänge nicht im Regen stehen, und stocken Sie den Hochschulpakt sofort auf mindestens 500 000 neue Studienplätze auf! Fangen Sie endlich an, realistisch zu rechnen! Sie alle fordern in Sonntagsreden bessere Studien- bedingungen. Aber wo soll die Qualität in der Lehre herkommen unter Bedingungen von jahrelanger Unter- finanzierung? In den vergangenen 15 Jahren wurden rund 1 500 Professuren abgewickelt. Der Betreuungs- schlüssel zwischen Hochschullehrerinnen und Hoch- schullehrern und Studierenden liegt bei 1 zu 60. Qualifi- zierte Stellen werden mehr und mehr abgebaut und durch schlechtbezahlte und befristete Lehrbeauftragten- stellen ersetzt. Unter diesen Bedingungen kann keine gute Lehre stattfinden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen dringend raus aus den prekären Beschäftigungsverhältnissen; ihnen muss die Möglich- keit gegeben werden, ihr Leben planen zu können und nicht von einem Vertrag zum nächsten bangen zu müs- sen. Wir brauchen dringend mehr Geld für die Grund- finanzierung der Hochschulen. Bringen Sie also endlich mehr Geld ins System und nicht nur schöne Worte in Ihre Sonntagsreden! Und hören Sie auf, die Verantwortung an die Länder abzuschieben! Die Länder alleine werden das nicht schaffen; das wissen Sie ganz genau. Der Ausbau der Hochschulen ist nur zu bewältigen, wenn Bund und Län- der an einem Strang ziehen. Heben Sie endlich das Kooperationsverbot in der Bildung auf, und machen Sie den rechtlichen Weg frei für eine dauerhafte Förderung der Hochschulen, indem Sie Ihre unselige Föderalismus- reform von 2006 wieder zurückdrehen! Die Grundgesetzänderung, die Sie sich im Koalitions- ausschuss überlegt haben, bringt an dieser Stelle über- haupt nichts. Sie wollen nur Einrichtungen an Hoch- schulen fördern, nicht die Hochschulen selbst. Damit verstetigen Sie die Exzellenzinitiative und das Auseinan- derdriften der Hochschullandschaft in wenige Elite- leuchttürme und den unterfinanzierten Rest – die Stu- dierenden haben rein gar nichts davon. Einer solchen Änderung wird die Linke auf keinen Fall zustimmen. Sie sind als Bundesregierung noch an einem zweiten Punkt am Zug. Denn die Hochschulzulassung selbst liegt in der Hand des Bundes. Das Zulassungschaos ist Pro- dukt Ihrer Untätigkeit, weil die Regierung sich weigert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Raffen Sie sich endlich einmal aus Ihrer Untätigkeit auf! Hier geht es nicht um irgendetwas, hier geht es um die Perspektiven der jungen Generation! Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die heutige Debatte ist notwendig, weil die Hochschulen in der vermeintlichen Bildungsrepublik Deutschland drin- gend stärker als bisher ausgebaut werden müssen. Die neue Studienanfängerinnen- und Studienanfän- gerprognose der Kultusministerkonferenz, KMK, vom 24. Januar dieses Jahres ist hochschulpolitisch erfreulich und alarmierend zugleich: Allein in den kommenden drei Jahren – also innerhalb der aktuellen Laufzeit des Hochschulpakts bis 2015 – erwartet die Kultusminister- konferenz 357 000 Studienanfänger mehr als bisher angenommen. Diese 357 000 Lebens-, Zukunfts- und Bildungschancen sind in den Hochschulpaktplanungen weder vorgesehen noch ausfinanziert. Dabei ist mehr als eine Verdopplung der bisherigen Zahlen notwendig – sowohl bei den Studienanfängerinnen und Studienanfän- gern als auch beim Volumen des Hochschulpaktes. Die KMK hat zudem klargemacht: Aus dem oft be- schriebenen kurzzeitigen „Studierendenberg“ entwi- ckelt sich ein dauerhaftes „Studierendenhochplateau“. Der zwischen Bund und Ländern vereinbarte Hochschul- pakt ist dafür nicht ausgerüstet, sondern benötigt eine kräftige Aufstockung. Diese Herausforderung muss die Bundesregierung zügig angehen und endlich Vorsorge fürs Hochplateau treffen. Andernfalls droht der Hoch- schulpakt zum Mangelverwaltungspakt zu verkommen. 20430 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Dynamisierung nach oben statt Deckelung auf zu niedri- gem Niveau – das ist das Gebot der Stunde, um derzeiti- gen und kommenden Studienberechtigtengenerationen einen Studienplatz bereitzustellen. Darüber hinaus ist es unser Ziel und gehen wir davon aus, dass aus Studienanfängerinnen und Studienanfän- gern keine Studienabbrecherinnen und Abbrecher, son- dern Bachelorabsolventinnen und -absolventen und mehrheitlich Masterstudierende werden. Daher braucht der Hochschulpakt endlich eine Langfristperspektive. Dies bedeutet einerseits, den Pakt um eine Masterkom- ponente zu ergänzen, und andererseits, eine Verlässlich- keit und finanzielle Planungssicherheit über 2015 hinaus herzustellen. Beides fehlt bisher und macht noch offen- sichtlicher, dass der bisher verabredete Hochschulpakt hinten und vorne nicht ausreicht, er zu kurz springt und massiv unterfinanziert ist. Doch was tut die Bundesregierung, um den Hoch- schulpakt gemeinsam mit den Ländern so auszurichten, dass alle Studienberechtigten einen Studienplatz bekom- men? Traurige Antwort: nichts. Diese schwarz-gelbe Verweigerungshaltung muss die junge Generation aus- baden. Damit führt die Bundesregierung die Ziele des Hoch- schulpakts ad absurdum, gefährdet Studienchancen, blockiert die Ausbildung des wissenschaftlichen Nach- wuchses und schadet unserer Innovationskraft. Schwarz- gelbe Verweigerungshaltung verfestigt Studienplatzman- gel – das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Bundesbildungsministerin Schavan hat den Hoch- schulpakt als „atmendes System“ bezeichnet, welches sich an den Bedarf anpasst. Nur gibt es keine Anzeichen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung zu ihrem Wort steht. Der jetzt vorliegende Eckwertebeschluss des Haushalts 2013 verdeutlicht das. Für den Hochschulpakt sollen demnach keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden. Die Bundesregierung scheint zwar einen Mehrbedarf anzuerkennen, verschiebt aber nur Mittel aus den Jahren 2015 und 2016 ins Jahr 2013. Das ist nicht mehr als ein Taschenspielertrick. Dass dieses Geld 2015 und 2016 fehlen wird, nimmt Schwarz-Gelb gerne in Kauf. Dann hat man für die Jahre auch gleich eine Oppositionsstrate- gie im Ärmel. Ab dem nächsten Jahr werden die Hochschulpakt- mittel erschöpft sein. Dann stehen die Länder alleine vor der Aufgabe, das Studierendenhochplateau zu finanzie- ren. Die Länder sind aber kaum in der Lage, mehr als doppelt so viele Studienplätze wie geplant aufzubauen, zumal sie sich nicht sicher sein können, dass der Bund zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Nachfinanzierung bereit ist. Die Strategie der schwarz-gelben Bundesregie- rung ist klar: Sie will den Hochschulpakt nicht zum Atmen bringen. Im Gegenteil: Sie will das Studierenden- hochplateau im Keim ersticken. Seien Sie sich sicher: Die Studierenden, Hochschulen und die Opposition in diesem Hause werden weiter für einen Ausbau kämpfen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu der Siebten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) (Tagesordnungspunkt 13) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Mit der heutigen abschließenden Plenarbefassung und Abstimmung zum Gesetz zur Siebten Änderung des IWF-Übereinkom- mens beschäftigen wir uns vom Umfang her mit einem relativ kurzen Gesetz. Es besteht lediglich aus zwei Arti- keln. Diese beinhalten zum einen, dass Deutschland der Siebten Änderung des IWF-Übereinkommens zustimmt, und zum anderen, dass die Änderungen mit einer amt- lichen deutschen Übersetzung veröffentlicht werden. Bei der Änderung des IWF-Übereinkommens handelt es sich um die Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages. Daher ist es auch folgerichtig, dass der Deutsche Bun- destag zustimmen muss – das ist im Übrigen im Grund- gesetz so geregelt. Das Gesetz selbst ist also grundsätz- lich unstrittig. Was genau verbirgt sich nun hinter den eigentlichen Änderungen des Übereinkommens? Konkret geht es um die Zusammensetzung des Exe- kutivdirektoriums des IWF. Das Exekutivdirektorium besteht aus 24 Exekutivdirektoren, die für die laufende Geschäftsführung des Fonds verantwortlich sind. Die Direktoren wurden bislang von den einzelnen 187 Mit- gliedsländern, die dem IWF angehören, ernannt bzw. wurden durch einzelne oder in Stimmrechtsgruppen zusammengeschlossene Mitgliedsländer gewählt. Dabei war es so, dass die fünf größten Anteilseigner des Fonds – bis dato die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien – ihren Exekutivdirektor ernennen konn- ten und alle anderen Exekutivdirektoren gewählt wur- den. Zukünftig soll diese Regelung für die fünf größten Anteilseigner aufgehoben werden, sodass dann alle Exe- kutivdirektoren des IWF-Direktoriums gewählt werden müssen. Diese Änderung ist aus Gründen der Gleich- behandlung der Mitgliedstaaten gerechtfertigt, auch wenn Deutschland dadurch sein direktes Benennungs- recht verliert. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass Deutschland aufgrund seines Stimmgewichtes auch wei- terhin dauerhaft im Exekutivdirektorium vertreten sein wird. Des Weiteren werden zwei bisher von Europäern besetzte Stellen im Exekutivdirektorium in Zukunft von aufstrebenden Schwellenländern besetzt werden. Europa wird dann mit 7 von 24 Mitgliedern im Exekutivdirekto- rium vertreten sein. Dieser Verlust mag schmerzhaft sein. Er ist aber eine zwangsläufige Folge der wirtschaft- lichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. Die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich in den letzten 60 Jahren stark verschoben. Die beschlossenen Veränderungen im Exekutivdirektorium bedeuten daher auch eine notwendige Stärkung der Legitimität und Glaubwürdigkeit des IWF. Die Änderung bei der Zusammensetzung des IWF- Exekutivdirektoriums ist zudem Voraussetzung für das Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20431 (A) (C) (D)(B) Inkrafttreten der ebenfalls vom IWF-Gouverneursrat beschlossenen deutlichen Erhöhung und Umverteilung der sogenannten Quoten. Alle IWF-Mitgliedstaaten zah- len bei Beitritt zum IWF eine bestimmte Geldsumme als eine Art kreditgenossenschaftliche Einlage – die soge- nannte Quote – und halten somit Anteile am Fondskapi- tal. Diese Quoten bedingen nicht nur die Einzahlungs- verpflichtungen und möglichen finanziellen Hilfen, die Mitgliedstaaten vom Fonds in Krisenzeiten erhalten kön- nen, sondern auch die Stimmrechte der einzelnen Län- der. Gestützt auf die relative Größe jedes Mitgliedslan- des setzt der IWF anhand einer Untersuchung des Wohlstands und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die Quote eines jeden Landes fest. Die Quoten werden in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls geändert. Denn auch die wirtschaftlichen Leistungs- fähigkeiten der einzelnen Länder ändern sich im Laufe der Zeit. Die Erhöhung und Umverteilung der Quoten ist Folge einer von den G 20 im Herbst 2010 beschlossenen Reform des IWF. Ziel war insbesondere, dass sich die Bedeutung der boomenden und aufstrebenden Schwel- len- und Entwicklungsländer stärker in der Führungs- struktur des IWF widerspiegelt, als das bisher der Fall gewesen ist. Wie bereits eingangs erwähnt, sind aktuell die größten Anteilseigner immer noch die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Dabei sind die dynamischen Schwellenländer wie Indien oder China noch nicht entsprechend berücksichtigt. Mit der Reform erfolgt nun eine allgemeine Stärkung der regulären Finanzmittel des IWF. Vor allen Dingen findet aber auch eine Umverteilung der relativen Kapitalanteile und somit der Mitspracherechte von den Ländern, die angesichts ihrer aktuellen weltweiten Wirtschaftskraft im Fonds überrepräsentiert sind, zugunsten der bisher unterreprä- sentierten Länder wie China statt. China wird demnach Deutschland künftig als drittgrößter Anteilseigner ab- lösen. Die G-20-Reformen wurden vom IWF-Gouver- neursrat durch Resolutionen beschlossen und sind nun bis Ende 2012 durch die Mitgliedsländer umzusetzen. Dazu gehört auch die geänderte Zusammensetzung des IWF-Exekutivdirektoriums, worüber wir hier heute befinden. Lassen Sie mich abschließend noch einige Worte zur Rolle des IWF allgemein sagen. Traditionell vergibt der IWF unter bestimmten Bedingungen, wie zum Beispiel unter Auflage von Strukturanpassungsprogrammen, befristete Kredite an Länder, die wirtschaftliche Pro- bleme haben. Solche Programme können beispielsweise die Kürzung von Staatsausgaben, die Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen oder Ähnliches vorsehen. Die Kreditvergabe und Entwicklungszusammenarbeit sind an Bedingungen der sogenannten Good Gover- nance, also etwa Korruptionsbekämpfung, und der Libe- ralisierung gebunden. In der Vergangenheit waren häufig Entwicklungsländer Empfänger dieser Kredite. Mittler- weile hat sich das Blatt enorm gewendet. Der IWF ist sehr stark in die aktuelle Staatsschuldenkrise eingebun- den und leistet einen großen Beitrag zur Unterstützung von in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Län- dern. Die derzeit größten Schuldner sind daher nicht mehr afrikanische oder südamerikanische Staaten, son- dern Portugal, Griechenland und Irland. Neben dem fi- nanziellen Beitrag ist die Bedeutung des IWF als unab- hängiger Berater und Beobachter nicht zu unterschätzen. Der IWF hat sich gerade jetzt in diesen Zeiten der Fi- nanz- und Staatsschuldenkrise als unverzichtbar und als stabilisierender Faktor erwiesen. Es ist gut und wichtig, dass der IWF diese Rolle eingenommen hat. Daher gilt es auch, den IWF weiterhin in seiner Arbeit zu unterstüt- zen. Alles in allem denke ich, dass wir hier einen relativ unstrittigen Gesetzentwurf vorliegen haben. Auch die anderen Fraktionen – mit Ausnahme der Linken, die sich enthalten wollen – haben signalisiert, dass sie dem Gesetzentwurf zustimmen möchten. Peter Aumer (CDU/CSU): Der Internationale Wäh- rungsfonds spielt bereits seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. Seit seiner Gründung im Jahr 1944 ist er um die Sicherung des globalen Finanzsystems, die Förderung und Überwachung der internationalen Geldpolitik und die Ausweitung des Welthandels bemüht. Mittlerweile sind ihm 187 Staaten beigetreten. In den vergangen Jah- ren gewann er durch sein Engagement im Rahmen der internationalen Finanzkrise und der europäischen Staats- schuldenkrise gerade für uns in Europa und Deutschland stark an Bedeutung. Durch seine umfangreiche Beteili- gung an den bisherigen Rettungsprogrammen trug er ei- nen wichtigen Teil zur Beruhigung der Finanzmärkte und Stabilisierung der Finanzierungssituation in den Krisenländern bei. Der IWF ist heute eine international angesehene Or- ganisation, die auch für Entwicklungs- und Schwellen- länder eine große Bedeutung spielt. Letztere gewannen vor allem in der vergangenen Dekade an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung auf dem internationalen Par- kett. So stieg der Anteil dieser Länder an der Weltwirt- schaft in den letzten Jahren stark an. Auch Deutschland profitiert von diesem Aufstieg in hohem Maße; denn die Schwellenländer sind mittlerweile unverzichtbare Han- delspartner für unsere Exportwirtschaft geworden. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln erhöhte sich der Anteil der Schwellenländer am deutschen Exportwachstum in den letzten Jahren dras- tisch. Ging im Zeitraum von 1995 bis 2000 nur etwa ein Fünftel des Wachstums auf diese Länder zurück, ging bereits im Zeitraum von 2000 bis 2007 mehr als ein Drit- tel auf das Konto der Schwellenländer. Auch während der Finanz- und Weltwirtschaftskrise ist der Anteil dieser Märkte am deutschen Export weiter gewachsen. Deutschland profitiert von diesem Wandel der Weltwirt- schaft als Exportnation von Investitionsgütern im inter- nationalen Vergleich besonders stark von dem hohen Wachstum der Schwellenländer. Experten gehen davon aus, dass dieser Trend auch in den nächsten Jahren anhalten wird. Die Schwellenländer haben in Deutschland und in der ganzen Welt in den letzen Jahren stark an wirtschaft- lichem und politischem Ansehen hinzugewonnen. Nun gilt es, dieser wachsenden Bedeutung auch in internatio- nalen Gremien und Organisationen gerecht zu werden. Im Herbst 2010 beschlossen daher die Finanzminister 20432 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) und Notenbankchefs der führenden 20 Industrie- und Schwellenländer eine umfassende Reform des IWF. Die- ser wurde am 15. Dezember durch den Gouverneursrat des IWF bestätigt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Zusam- menarbeit des Exekutivdirektoriums des IWF zur Stär- kung der Legitimation, Gleichbehandlung und Anpas- sungsfähigkeit des Direktoriums reformiert werden. Nach den Vereinbarungen, die auf G-20-Ebene ge- troffen wurden, sollen künftig alle Exekutivdirektoren gewählt werden. Damit wird das bislang geltende Recht der fünf größten Anteilseigner des IWF verändert, da- runter auch die Bundesrepublik, ihren Exekutivdirektor zu ernennen, während die restlichen Exekutivdirektoren durch einzelne oder in Stimmrechtsgruppen zusammen- geschlossene Mitgliedsländer gewählt werden. Dem IWF wird es nun ermöglicht, sich an die verändernden weltwirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Damit ist die Basis geschaffen, eine Erhöhung der regulären Finanzmittel des IWF durch Verdoppelung der Quoten- einzahlung seiner Mitgliedschaft zu erreichen. Die Quoten der Länder, die die Hauptquelle der verfügbaren Finanzmittel des IWF darstellen, bestimmen sich dabei im Allgemeinen aus ökonomischen Größen wie zum Beispiel dem Bruttoinlandsprodukt und dem Anteil am Welthandel. Durch diese Reform stärken wir vor allem die Posi- tion von Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien, die in den vergangenen Jahren deutlich an Be- deutung auf den globalen Handels- und Finanzmärkten gewannen. Die Änderung ist für diese Länder nun ein bedeutender Schritt hin zu einer angemesseneren Inte- gration in die internationale Gemeinschaft. So gehen die Quotenerhöhungen mit einer Anpassung der relativen Positionen der einzelnen Mitgliedsländer an ihre jewei- lige ökonomische Bedeutung einher. Gerade die dynami- schen Schwellenländer werden damit künftig einen weit- aus größeren Kapitalanteil am IWF bereitstellen und erhalten demgegenüber mehr Mitspracherecht im Direk- torium. Damit spiegelt sich nun ihre wachsende welt- wirtschaftliche Bedeutung auch in der Führungsstruktur des IWF wider. Die Quotenerhöhung an sich bedarf jedoch keiner nationalen Umsetzung. Ihr Inkrafttreten ist aber an das Inkrafttreten der siebten Änderung des IWF-Übereinkommens zur Reform des Exekutivdirekto- riums gebunden. Mit diesem Gesetz setzen wir eine der größten Refor- men des IWF seit jeher um. Wir werden damit der wach- senden Bedeutung der Schwellenländer, die für uns zu unverzichtbaren Handelspartnern geworden sind, ge- recht. Ich bitte Sie daher, dem Gesetzentwurf zuzustim- men. Vielleicht sind heute auch die Kollegen der Linken überzeugt und stimmen dem Entwurf zu. Manfred Zöllmer (SPD): Es geht in dem vorliegen- den Gesetzentwurf um eine internationale Organisation, den IWF und seine Struktur. Der Internationale Wäh- rungsfonds wurde 1944 auf der Konferenz in Bretton Woods gegründet. Seine Ziele sind die Förderung der in- ternationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik, die Ausweitung des Welthandels und die Stabilisierung von Wechselkursen. Zurzeit hat der IWF 187 Mitglied- staaten; die Stimmrechte orientieren sich am Kapital- anteil. Der IWF ist damit eine international und global agierende Institution im Rahmen des Systems der Ver- einten Nationen. Seine Geschichte ist indes mehr als wechselvoll. Er diente zuerst als institutioneller Rahmen für ein System fester Wechselkurse. Dieses System brach 1973 zusam- men. Danach wurde der Fonds eine Einrichtung zur Ver- meidung und Bewältigung von Finanzkrisen der Mit- gliedstaaten. Er berät einzelne Staaten und leistet im Bedarfsfall Hilfe. Diese Hilfe kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. In der Regel werden Kredite vergeben. Diese Kreditvergabe ist an Konditionen, also Auflagen, geknüpft. Es hat viel Kritik am IWF und seinem Handeln gege- ben. Die beiden zentralen Kritikpunkte sind: Es muss eine wirksamere Armutsbekämpfung durch die Aktivitä- ten des Fonds geben und eine stärkere Demokratisierung der Institution. Bei unserer heutigen Debatte geht es um den zweiten Teil. Das Stimmrecht der einzelnen Länder ist abhängig von ihrem Kapitalanteil. So verfügen zum Beispiel die USA über 16,7 Prozent Anteil. Beschlüsse des IWF müssen allerdings mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Die USA haben damit real eine Vetoposition – eine Sperrminorität. Deutschland hat einen Anteil von knapp 6 Prozent. Die Stimmrechtsanteile repräsentierten lange Zeit die Nachkriegsordnung. Aufstrebende wirtschaftsstarke Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien spiel- ten lange Zeit keine Rolle. Erst im Jahr 2010 änderte sich dies. Der damalige Chef des IWF, Dominique Strauss-Kahn, setzte eine Reform durch, die den Schwel- lenländern mehr Einfluss verschaffte. Jetzt soll sich auch etwas im Bereich der Organisation des IWF ändern, noch nicht an der Spitze. Informell ist der Direktor des IWF immer ein Europäer, der erste stellvertretende Direktor immer ein Amerikaner. Man kann sich un- schwer vorstellen, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die darüber not amused sind, völlig zu Recht. Dies be- sonders auch vor dem Hintergrund des hohen finanziel- len Engagements des IWF im Rahmen der Euro-Krise. Wir Sozialdemokraten haben die angesprochenen Or- ganisationsstrukturen des IWF schon seit längerem kriti- siert. Die Liste der „globalen öffentlichen Güter“ wird im- mer länger. Eine institutionelle Modernisierung der multilateralen UN-Institutionen ist insoweit dringend erforderlich. Diese Institutionen benötigen mehr Wirk- samkeit, mehr Effizienz, mehr Transparenz. Dies ist eine wichtige Zukunftsaufgabe globaler Politik. Wir begrüßen deshalb, dass nun eine kleine, aber feine Reform dies fest- schreibt, nämlich dass zukünftig alle Exekutivdirektoren – sozusagen die zweite Führungsebene – von allen ge- wählt werden. Das bisher geltende Recht der fünf größten Anteilseigner, ihren Exekutivdirektor zu ernennen, entfällt damit. Man sollte diesen Schritt nicht zu gering achten. Er beschneidet deutlich den Einfluss der großen Anteilseig- ner, also der traditionellen Industrieländer, und sorgt da- mit für mehr demokratische Partizipation kleinerer Län- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20433 (A) (C) (D)(B) der. Es spiegelt stärker die multilaterale Struktur unser globalisierten Welt. Dies ist ein scheinbar kleiner, aber im Grunde bedeutender und richtiger Schritt. Ihm werden noch viele andere folgen müssen. Holger Krestel (FDP): Im Rahmen des hier vorlie- genden Entwurfs wird die Berufung von Exekutivdirek- toren, welche einzelne Länder oder Ländergruppen re- präsentieren, in die Führung des Internationalen Währungsfonds überarbeitet. Anstatt dass die fünf größ- ten Kapitalgeber, bestehend aus den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten König- reich, diese wie bisher einfach benennen, sollen diese von nun an entsprechend der vom gegebenen Kapital ab- hängigen Stimmanteile der Mitgliedsländer gewählt werden. Diese Änderung ist neben weiteren technischen Details gerade im Zusammenhang mit der Euro-Krise ein wichtiger Schritt zur Einbindung aller Mitgliedstaa- ten in die Entscheidungsprozesse und die gleichzeitigen Aktivitäten zur Problemlösung. Damit wird eine stärkere Legitimation geschaffen, was unabdingbar ist, da schon mit 15 Prozent der Stimmen Entscheidungen blockiert werden können, eine funktionierende Zusammenarbeit aber die Wurzel für eine erfolgreiche Bewältigung der aktuellen Situation ist. Die Troika aus IWF, Weltbank und EZB bildet ein auf drei Säulen ruhendes Fundament der Stabilität und ermöglicht einen festen Rückhalt, um die Krise gemeinsam überwinden zu können. Schon ein teilweiser Rückzug des IWF würde für so viel Unruhe und Verunsicherung weiterer Gläubiger sorgen, dass eine schrittweise und stabile Aufarbeitung der strukturellen Probleme deutlich erschwert werden würde. Es kann da- her unmöglich auf die volle Unterstützung des IWF ver- zichtet werden, wenn wir eine geregelte Lösung der Tur- bulenzen in den Euro-Staaten, die in Schieflage geraten sind, anstreben. Es ist nachvollziehbar, dass viele aufstrebende Staa- ten und Schwellenländer, die Mitglied im IWF sind, kein Verständnis dafür haben, wenn eine kleine Gruppe über ihre Köpfe hinweg Personalentscheidungen trifft, sie da- raufhin aber zur Stabilisierung von Staaten herangezo- gen werden, die lange Zeit über ihre Verhältnisse und zum Teil auf einem höheren Standard als viele Geberlän- der gelebt haben. Dieser Perspektivwechsel verdeutlicht um so mehr, warum es auch eine Frage der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung ist, den Findungsprozess der Exekutivdirektoren zu demokratisieren. Die Strategie, sich rasant entwickelnde Nationen wie Indien oder Bra- silien, die in der Zukunft großen Einfluss auf die Finanz- märkte der Welt haben werden, so lange an der kurzen Leine zu halten, bis sie sich mit neuer und vor allem selbstgewonnener Stärke befreien, ist keine gute Basis für eine funktionierende globale Finanzpolitik der Zu- kunft. Durch ihren hohen Kapitalanteil und ihre politische Rolle in Europa und der Welt wird die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor ein hohes Gewicht in den Ent- scheidungen des Währungsfonds haben. Aber gerade bei der Personalentscheidung über die Exekutivdirektoren, welche speziell die Mitgliedsländer repräsentieren, nur eine kleine Gruppe entscheiden zu lassen und nicht die zu vertretenden Staaten, entbehrt einer angemessenen Legitimation, die für den vollen Rückhalt innerhalb der Gemeinschaft sehr wichtig ist. Dieser Rückhalt ist im Kontext der heutigen finanzpolitischen Weltlage und ge- rade für Europa ein Gut, das nicht aufs Spiel gesetzt wer- den sollte. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Das vorliegende Gesetz soll die unübersehbare Schieflage in der Zusam- mensetzung des IWF-Führungsgremiums korrigieren. Gemessen am Demokratiedefizit des IWF ist es jedoch unzureichend. Der IWF hat sich in vergangenen Finanz- krisen, insbesondere der Asienkrise, mit fatalen Struk- turanpassungsprogrammen einen verheerenden Ruf erworben. Zahlreiche Staaten, besonders die Schwellen- länder, haben sich danach von der Institution abgewandt. Von seiner Legitimitätskrise hat sich der IWF nach wie vor nicht erholt. Grund für das Scheitern war nicht nur die neoliberale Dogmatik, sondern auch die Dienst- barkeit gegenüber den tonangebenden Industriestaaten. Eine Reform der Quoten und Führungsstrukturen war daher unumgänglich. Die Bundesregierung fordert eine höhere Kapitalaus- stattung des IWF. Deswegen wird ihr auch in der Zukunft nichts anderes übrig bleiben, als den kapital- gebenden Schwellenländern weitere Zugeständnisse zu machen. Die nun zu beschließenden Änderungen reflek- tieren jedoch lediglich die veränderten Machtverhält- nisse. Sie sind nicht von der Einsicht geprägt, wirklich etwas an den überkommenen Strukturen des weltweiten Finanzsystems verändern zu wollen. Zum Gesetz. Die Europäer stellen bisher ein Drittel der Sitze im IWF-Exekutivdirektorium. Dies ist sowohl von der Bevölkerungszahl als auch von der Wirtschafts- kraft Europas her nicht zu rechtfertigen. Europa wird im Zuge der Governance-Reform also zwei Sitze abgeben. Weiterhin konnten die Staaten mit den fünf höchsten Quoten bisher direkt eine Stelle im Exekutivdirektorium besetzen. Diese nationalen Erbhöfe entfallen in Zukunft. Was bedeutet das? Europa bleibt dennoch überrepräsen- tiert. Deutschland verliert den direkten Zugriff auf einen Sitz, wird aber weiterhin ein starkes Mitspracherecht haben. Allerdings spiegelt die Sitzverteilung nur die halbe Wahrheit wider: Die wahren Machtverhältnisse hängen von den mit den Sitzen verbundenen Stimmrech- ten ab. Diese hängen wiederum im Wesentlichen von wirtschaftlichen Faktoren ab. Die jüngste Quotenreform ist aber nur ein Reförmchen. Die europäischen Exekutiv- direktoren haben weiterhin zusammen eine klare Veto- macht, ebenso der einzelne Direktor der USA. Ein riesi- ges Land wie Indien wird auch nach Inkrafttreten der Stimmrechtsreform weniger Stimmen haben als die Be- neluxstaaten. Deutschland allein wird eine Stimmkraft haben wie ganz Afrika. Industriestaaten haben darüber hinaus einen ver- gleichsweise einfachen Zugriff auf die Mittel des IWF. Entwicklungsländer haben nicht nur wenig Einfluss auf die IWF-Geschäftsführung, sondern auch einen relativ geringen sowie kostspieligen Zugang zu den Mitteln des Fonds. Der IWF hat sich in der Vergangenheit weniger 20434 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) als Krisenbewältigungsinstanz bewiesen, sondern als Sachwalter der Gläubiger. Die laufenden Reformen sind weit davon entfernt, die nötigen strukturellen und politi- schen Konsequenzen zu ziehen. Zum Schluss eine kurze Bemerkung zur aktuellen Lage. Die Einbeziehung des IWF in die Euro-Krise war finanziell nicht notwendig. Es ist aber schon bezeich- nend, wenn der IWF, der sich durch krisenverschärfende neoliberale Sparprogramme den Ruf verdorben hat, nun in der Euro-Krise gegenüber Kommission und EZB als vergleichsweise mäßigende Kraft auftritt. Ein schwin- dender europäischer Einfluss auf den IWF ist wegen der ideologischen Denkblockaden der europäischen Eliten derzeit nicht nur im Interesse der Weltbevölkerung, son- dern auch im Interesse Europas. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist unter uns weitgehend unstrittig, dass das Exekutivdi- rektorium des Internationalen Währungsfonds, IWF, reformiert werden muss und dass es ein begrüßenswer- ter Schritt in die richtige Richtung ist, dass künftig alle – wirklich alle – Exekutivdirektoren gewählt werden sol- len. Es ist gut, dass die ehemals fünf größten Anteilseig- ner – die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich – bereit sind, auf das Privileg zu verzichten, jeweils einen Exekutivdirektor selbst zu ernennen, Ver- zicht auf Privilegien im Sinne von mehr Gleichbehand- lung und Partizipation – eine Einsicht, die ich mir auch von den Vetomächten im Weltsicherheitsrat wünschen würde; aber zunächst geht es jetzt mal um den IWF. Die Reform des Exekutivdirektoriums, der wir heute mit der breiten Zustimmung zum von der Bundesregie- rung vorgelegten Gesetzentwurf den Weg ebnen, ist die logische Konsequenz aus der Umverteilung von 6,4 Pro- zent der Anteile des Fonds und der damit einhergehen- den Stimmrechtsverschiebung zugunsten von China, Indien und Brasilien. Der Aufstieg dieser Schwellenlän- der geht mit einer Machtverschiebung einher, die sich jetzt nach und nach überall bemerkbar macht. Die G 20 haben in ihrer Bedeutung die G 8 abgelöst – und im IWF und bald auch in der Weltbank verschieben sich die Gewichte. Die Dominanz der westlichen Industrienatio- nen wird geringer und aus einer globalen Perspektive heraus gesehen ist dies auch zu begrüßen. Was dies nun konkret für den IWF bedeuten wird, ist noch unklar. Einerseits hat der IWF in Bezug auf Grie- chenland für relativ milde und relativ ausgewogene Kon- ditionen plädiert – nicht zu vergleichen mit den brutalen Strukturanpassungsmaßnahmen, die der IWF in den 80er- und 90er-Jahren verschuldeten Entwicklungslän- dern aufgezwungen hat – und auch ein deutlich weiche- rer Kurs als in der Argentinien- und der Asienkrise. Aber genau das sehen nun manche Entwicklungs- und Schwellenländer mit Argwohn und werfen dem IWF vor, mit zweierlei Maß zu messen. Und deshalb werden die nun innerhalb des IWF aufgewerteten Schwellenlän- der sehr zurückhaltend sein, was die Kreditvergabe an europäische Länder angeht. „Die Europäer sollen sich erst einmal selber helfen“, argumentieren Vertreter aus China, Indien und Brasilien mit Blick auf die Wirt- schaftskraft Deutschlands. Und völlig aus der Luft gegriffen ist dieses Argument ja nicht. Wie gesagt, die Reform des Exekutivdirektoriums des IWF ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch er allein reicht längst nicht aus, um zu einer besseren Glo- bal Governance zu kommen. Dazu wäre eigentlich ein großer Wurf nötig, der das Kernproblem angeht: die nicht vorhandene Kohärenz in der Global Governance. IWF und Weltbank gelten zwar als Sonderorganisatio- nen der Vereinten Nationen, führen aber praktisch ein Eigenleben ohne direkte Verbindungslinien zum VN-Sys- tem. Die WTO, zurzeit ohnehin in der Sackgasse, hat mit den Vereinten Nationen überhaupt nichts tun. Und dann gibt es noch die sogenannte Club-Governance in den exklusiven informellen Formaten G 8 und G 20, Parallelstrukturen, die viele Widersprüche produzieren und verhindern, dass die internationale Gemeinschaft in der Lage wäre, auf die globalen Herausforderungen mit einer abgestimmten und in sich stimmigen Strategie zu antworten. In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, zu mehr Kohärenz in der Global Governance zu kommen und dabei die Rolle der Vereinten Nationen zu stärken. Sowohl VN-Generalsekretär Kofi Annan als auch sein Nachfolger Ban Ki-moon haben hochrangige Expertenkommissionen damit beauftragt, Reformvor- schläge auf den Tisch zu legen – und das haben diese Kommissionen auch getan. Fast allen Vorschlägen gemeinsam ist die Forderung nach einem demokratisch legitimierten Organ, das über allen VN-Agenturen, -Pro- grammen und -Sonderorganisationen sowie der WTO steht und Leitlinien für eine menschenrechtsbasierte glo- bale nachhaltige Entwicklung entwirft – Leitlinien, an denen sich dann auch IWF und Weltbank orientieren müssten. Die Gründungsväter und -mütter der Vereinten Natio- nen hatten dem VN-Weltwirtschafts- und Sozialrat, ECOSOC, eigentlich diese Rolle zugedacht, die dieser aber bisher nie ausfüllen konnte, weil wichtige Industrie- nationen den ECOSOC bewusst kleingehalten haben. Im Vorfeld der Rio+20-Konferenz wird nun die Bildung ei- nes VN-Rates für nachhaltige Entwicklung diskutiert, der allerdings keine überwölbende Stellung haben soll – der also für IWF und Weltbank nicht gefährlich werden kann. Auch wenn ein solcher Rat vielleicht ein kleiner Fortschritt sein kann, zielführender wäre es meiner Mei- nung nach, endlich den ECOSOC zu reformieren, mit der Nachhaltigkeitsagenda zu beauftragen und kräftig aufzuwerten. Und schließlich gilt es für die internationale Gemein- schaft, noch unerledigte Hausaufgaben anzupacken. Auf einer hochrangigen VN-Sondergeneralversammlung 2009 wurde von den vielen Vorschlägen der sogenannten Stiglitz-Kommission nur ein einziger aufgegriffen – aber immerhin. Man sprach sich einstimmig dafür aus, auf der VN-Ebene wohlwollend die Einrichtung eines Panels on Systemic Risks zu prüfen – eines interdiszipli- nären Wissenschaftlergremiums, das die Weltwirt- schaftslage analysieren, sich mit verschiedenen Zukunftsszenarien beschäftigen und als Frühwarnsystem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20435 (A) (C) (D)(B) fungieren soll. Man wollte damit eine Lehre ziehen aus der angeblich so plötzlich hereingebrochenen Finanzkrise, die viele nicht auf dem Schirm gehabt hatten – auch der IWF nicht –, zwar nur ein internationales Wissenschaft- lergremium, ein Think Tank, ein Frühwarnsystem – aber mit dem ausdrücklichen Auftrag, die Weltwirtschafts- lage ganzheitlich zu betrachten, also auch unter Men- schenrechts- und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten, und Vorschläge für ein kohärentes Vorgehen auszuarbeiten, mit denen sich IWF und Weltbank zumindest beschäfti- gen müssten. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz verband und verbindet mit diesem Vorschlag die Hoff- nung, dass ein solches Panel on Systemic Risks bei guter Zusammensetzung und guter Arbeit eine ähnliche Auf- merksamkeit und Wirkung erzielen könnte wie der Welt- klimarat IPCC für die Klimaschutzdebatte. Wir erwarten von einer Bundesregierung, deren Kanzlerin vor ein paar Jahren vollmundig eine UN- Charta für nachhaltiges Wirtschaften und eine starke Wirtschafts-UNO gefordert hat, dass sie sich zumindest für dieses Panel on Systemic Risks einsetzt. Denn nur wenn VN-Mitgliedstaaten auf den VN-Beschluss von 2009 positiv reagieren und konkrete Anträge für die Ein- richtung und Mandatierung dieses Panels ausarbeiten und einbringen, kann es in dieser Frage Fortschritte geben. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen ge- setzlich regeln – Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrens- akten des Bundesverfassungsgerichtes stär- ken (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): VS – dieser Stempel findet sich auf so manchem Dokument wieder, das wir als Bundestagsabgeordnete aus den Ministerien oder aus Bundesbehörden zugeschickt be- kommen. VS heißt Verschlusssache – etwas, das unter Verschluss bleibt, der Öffentlichkeit nicht zugänglich ge- macht wird. Dies geschieht im öffentlichen Interesse und dient der Gefahrenabwehr. Gerade weil Deutschland bei- spielsweise beliebtes Spionageziel ist, brauchen wir die Verschlusssachenklassifizierung. Wir wollen damit aber auch verhindern, dass extremistische und kriminelle Or- ganisationen zu viel über die Bekämpfungsstrategien un- serer Sicherheitsorgane erfahren. Vertraulichkeit ist in manchen Lebenssituationen unerlässlich, so eben auch im staatlichen Handeln manchmal notwendig. Klar muss aber auch sein, dass nur die Vorgänge den Stempel VS erhalten, bei denen dies wirklich sinnvoll ist. Unsere De- mokratie und Rechtsstaatlichkeit lebt von so viel wie möglich Transparenz und so wenig wie nötig Kontrolle; anders kann sie nicht funktionieren. Dies wird im höchs- ten Maße umgesetzt: Wir haben sehr transparente Strukturen und nur ein unumgängliches Mindestmaß an Vertraulichkeit. Dafür steht das Parlamentarische Kon- trollgremium. Im Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden ha- ben wir bereits darüber diskutiert, wie ein guter Mittel- weg zwischen Transparenz und Vertraulichkeit erzielt werden kann. Wir wollen dort aufklären, warum die Zwi- ckauer Gruppe jahrelang unbescholten ihr Unwesen trei- ben konnte. Es besteht ein berechtigtes Interesse der Öf- fentlichkeit, dass Ermittlungsfehler genauso aufgedeckt werden wie Pannen im Informationsfluss oder fehlende Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Ermittlungs- behörden. Gleichzeitig laufen aber die Ermittlungen noch – und die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass möglichst viele Mittäter und Unterstützer gefasst werden. Der Untersuchungsausschuss als solcher soll ja Transpa- renz herstellen, letztendlich ist dies sein Zweck! Es will aber auch keiner, dass dadurch laufende Ermittlungen ge- fährdet werden. Das ist ein schwieriger Balanceakt, und ich bin sehr froh darüber, dass die Mitglieder des Unter- suchungsausschusses sich ihrer Verantwortung in Bezug auf Verschlusssachen bewusst sind. Gerade auch vor die- sem Hintergrund irritiert es mich, dass Sie in Ihrem An- trag gleich zu Beginn das Aktengeheimnis in Bausch und Bogen verdammen. Ein bisschen differenzierter darf es schon sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Lin- ken. Neben dem demokratischen Ansinnen nach Transpa- renz und Kontrolle gibt es auch ein zeitgeschichtliches Interesse an Verschlusssachen. Das Interesse von Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Dokumenten aus der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland ist berechtigt. Nicht veröffentlichte Akten verbergen so manche überraschende Erkenntnis zur Zeitgeschichte; das ist schon oft bewiesen worden. Übrigens, sehr ge- ehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht alle Projekte haben die Aufarbeitung der NS-Vergangen- heit zum Forschungsgegenstand. Spannend finde ich beispielsweise Fragen rund um die Westanbindung der noch jungen Bundesrepublik, um ihre Rolle im Kalten Krieg, ihr Verhältnis zur DDR. Auch dazu gibt und gab es Forschungsprojekte, und auch diese Forscher wollen Bundesakten einsehen. Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler, die sich die Mühe machen, die alten Akten zu sichten und zu interpretieren, verdienen großen Re- spekt. Der berühmte Aktenberg im verstaubten Keller ist zwar ein reichlich oft bemühtes Bild, aber gerade deswe- gen nicht weniger wahr. In gut funktionierenden Behör- den entstehen zahllose Dokumente. Sie dokumentieren die Arbeit der Verwaltung, und sind deshalb notwendig für einen funktionierenden Rechtsstaat. So etwas zu sichten, macht eine Menge Arbeit. Im vorliegenden Antrag beklagen die Linken, dass das Bundesministerium des Innern eine Verwaltungsvor- schrift über Verschlusssachen so verändert habe, dass keine automatische Freigabe mehr erfolge. Diese Aus- sage kann ich so nicht stehen lassen. Im Jahr 2009 hat das Bundeskabinett Eckpunkte beschlossen, nach denen Verschlusssachen innerhalb festgelegter Zeiträume hin- sichtlich einer Offenlegung zu prüfen sind. Die Rege- 20436 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) lung sieht vor, dass bis zum Januar 2013 die Geheimak- ten aus den Jahren 1949 bis 1959 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Dokumente aus der Zeit bis 1994 sollen dann schrittweise bis 2025 freigege- ben werden. Der Beschluss sieht vor, dass jährlich drei weitere Jahrgänge eingesehen werden können. Für die Akten, die ab 1995 verfasst wurden, gilt eine Sperrfrist von 30 Jahren. Das ist aus meiner Sicht ein guter und gangbarer Weg, den widerstreitenden Interessen von Vertraulichkeit und Transparenz gerecht zu werden. Sie schlagen hingegen eine automatische Deklassifizierung von Verschlusssachen nach nur 20 Jahren vor. 20 Jahre, das ist ein sehr kurzer Zeitraum, gerade in der nachrich- tendienstlichen oder polizeilichen Arbeit. Nehmen Sie das Beispiel Bad Kleinen: Auch heute ließen sich aus den Unterlagen zum GSG-9-Einsatz, der fast 20 Jahre zurückliegt, noch Rückschlüsse auf die Arbeit von Er- mittlern und Einsatzkräften ziehen. Das ist auch noch nach 19 Jahren interessant für Terroristen. Insofern ist die von Ihnen beantragte automatische Deklassifizierung sicherheitsfachlich nicht nachvollziehbar und einfach auch weltfremd. Ich habe in den zweieinhalb Jahren, die ich nun Bun- destagsabgeordneter bin, schon viele Debatten erlebt. Da bleibt es nicht aus, dass einem einmal die eine oder an- dere Stunde hier überflüssig erscheint. Dieser Fall ist ein Musterbeispiel dafür: Ihr Antrag zur gesetzlichen Rege- lung der Deklassifizierung von Verschlusssachen ist nicht nur ohne fachliche Substanz, er ist auch noch über- holt. Daher meine Bitte an Sie: Ziehen Sie den Antrag zurück! Er ist unnötig und bindet Zeit und Arbeitskraft dieses Parlaments. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Der Gegen- stand der heutigen Debatte sind zwei Anträge der Linken zum Thema Transparenz. Zum ersten Antrag mit dem schönen Titel „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich re- geln“ hat der Kollege Schuster schon das Notwendige gesagt. Bevor ich auf den zweiten Antrag mit dem Thema „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“ näher eingehe, möchte ich Ihnen schon sagen, dass es nicht einer gewis- sen Komik entbehrt, dass ausgerechnet die Erben von SED und Stasi, die Meister der Konspiration waren, ver- suchen, sich nunmehr als die großen Verfechter der Transparenz auszugeben – eine interessante Kehrt- wende. Nun aber zu Ihrem Antrag. Er stammt aus dem Jahr 2010 und ist erkennbar nicht mehr taufrisch. Das sieht man schon daran, dass die Antragsteller sich auf angebli- che Pläne des Plenums des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 beziehen. Dem Bundesverfassungs- gericht wird unterstellt, in seiner Geschäftsordnung eine einheitliche Sperrfrist für die Gewährung von Aktenein- sichts- und -auskunftsersuchen Dritter einzuführen und diese auf 90 Jahre festzusetzen. Bereits diese Behauptung ist blanker Unsinn. Wir schreiben mittlerweile das Jahr 2012, und bislang ist nichts Derartiges passiert. Sie hätten das auch wissen können, weil Sie eine Kleine Anfrage zu dem Thema an die Bundesregierung gerichtet hatten. In der Antwort der Bundesregierung heißt es kurz und knapp: „Das Bundes- verfassungsgericht hat mitgeteilt, dass solche Pläne nicht bestehen.“ Was soll Ihr Antrag also? Es liegt die Vermutung nahe, dass Sie sich den reißerischen Aufhänger offenbar nicht durch die Wirklichkeit kaputtmachen lassen woll- ten. Die letzte Änderung der Geschäftsordnung des BVerfG stammt aus dem Jahr 2002. Maßgeblich sind dort im Wesentlichen zwei Regelungen, nämlich die §§ 34 und 36. In § 36 ist geregelt, dass die Verfahrensakten des Ge- richts zu Senatsentscheidungen samt Voten frühestens nach 10 Jahren an das Bundesarchiv abgegeben werden können und frühestens 30 Jahre nach Verkündung der Entscheidung verwertet werden dürfen. In § 34 ist geregelt, dass Voten, Entscheidungsent- würfe, Änderungs- oder Formulierungsvorschläge sowie Notizen nicht Bestandteil der Verfahrensakten sind und nicht der Akteneinsicht unterliegen. Damit liegen im Prinzip bereits sachgerechte Rege- lungen vor, und es bedarf Ihrer Vorschläge nicht. Gleich- wohl ist es dem Vernehmen nach zutreffend, dass man sich beim Bundesverfassungsgericht mit der Problema- tik beschäftigt. Wie zu hören ist, gehen diese Überlegun- gen aber in die Richtung einer größeren Öffnung der Ak- ten des Gerichts und nicht in diejenige einer weiteren Beschränkung. Gefordert sind jedenfalls differenzierte Regelungen, die der besonderen Stellung des Bundesver- fassungsgerichts als eigenständiges oberstes Verfas- sungsorgan gerecht werden. Gänzlich verfehlt sind deshalb die mit Ihrem Antrag verbundenen Forderungen. Die Forderung nach Unterordnung der Verfassungs- gerichtsakten in das allgemeine Bundesarchivwesen ver- kennt die besondere Stellung des Bundesverfassungsge- richts als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan. Der Grundsatz des Respektes vor anderen Verfassungsorga- nen verlangt Zurückhaltung bei der Bewertung von orga- nisatorischen Maßnahmen und Entscheidungen. Nach geltendem Recht entscheidet das Bundesverfassungsge- richt deshalb selbst darüber, ob es Verfahrensakten noch zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Solange dies der Fall ist, muss es diese dem Bundesarchiv nicht zur Über- nahme anbieten. Zudem dient die vertrauliche Behand- lung von Voten oder Ähnlichem dem Schutz des Bera- tungsgeheimnisses. Schon gar nicht angezeigt ist die Forderung nach Ver- kürzung der allgemeinen Sperrfristen im Bundesarchiv- gesetz um 20 Jahre. Die nach geltendem Recht vorgese- hene Dauer von 30 Jahren – „Generationsspanne“ – ist seit langem bewährt und trägt der Sensibilität von Daten Rechnung, die Bestandteil dieser Akten sein können. Insgesamt fragt man sich, wieso die Antragsteller aus- gerechnet jetzt mit einem derart abseitigen Thema auf- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20437 (A) (C) (D)(B) schlagen. Worum es den Antragstellern in Wirklichkeit geht, ergibt sich aus ihrer Kleinen Anfrage. Dort wird in den Fragen 9 und 10 unvermittelt nach den Akten zum KPD- und zum SRP-Verbot gefragt. Zusammen mit den in dem von den Antragstellern erwähnten Presseartikel enthaltenen Spekulationen über das Verhalten oder Vor- leben einzelner Richter dieser Verfahren scheint es ihnen darum zu gehen, weitere Legenden über die Entschei- dungen des BVerfG in den frühen Jahren der Bundesre- publik zu stricken. Dazu ist das Archivrecht nicht das geeignete Mittel. Kirsten Lühmann (SPD): Wir beraten heute in ers- ter Lesung über zwei Anträge der Fraktion der Linken, in denen die Antragstellerin besondere Aspekte bei der Akteneinsicht in behördliche und gerichtliche Entschei- dungen und Verfahrensprozesse regeln möchte. Die An- träge fallen somit in den weiteren Anwendungsbereich des IFG. Für die SPD ist schon lange klar: Behördliche Ent- scheidungen und staatliches Handeln müssen für die Bürgerinnen und Bürger transparent und nachvollzieh- bar sein. Deshalb waren es auch die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die damals das Informa- tionsfreiheitsgesetz in den Bundestag einbrachten, das schließlich mit Wirkung zum 1. Januar 2006 in Kraft trat. Dies geschah im Übrigen gegen den erheblichen Widerstand der Fraktion der CDU/CSU. In diesem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass auch im Jahre 2008 auf Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer eine Gesetzesänderung durch den Bundesrat angestrebt wurde, die die allgemeine Einsichtnahme in Akten der Bankenaufsicht vom Recht auf Informationszugang aus- nehmen sollte, ein, wie ich finde, gerade unter den Aspekten der aktuellen Entwicklungen besonderer Vor- gang, der wieder einmal aufzeigt, welche Denkweise hinter dem Handeln der Kollegen und Kolleginnen von der CDU und der CSU steht. Bürger und Bürgerinnen sollen mit ihren Steuergel- dern für den sogenannten Rettungsschirm geradestehen, gleichzeitig aber vom Informationsfluss der Entscheidun- gen hierzu abgeschnitten werden. Auch das durch die Bundesregierung eingesetzte sogenannte Neunergre- mium, das in seiner ursprünglich geplanten Form vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, hätte zur Folge gehabt, dass wichtige Entschei- dungen völlig intransparent abgelaufen wären, denn hier wäre sogar der Bundestag von den Entscheidungsprozes- sen weitestgehend abgeschottet worden. In beiden Fällen haben jedoch Sozialdemokraten der CDU/CSU die Grenzen aufgezeigt und damit klarge- stellt, dass eine intransparente und für die Bürger und Bürgerinnen nicht nachvollziehbare Hinterzimmerpoli- tik mit der SPD nicht zu machen ist. Lassen Sie mich auf das IFG zurückkommen. Das IFG befindet sich nunmehr im siebten Jahr seiner An- wendung. Wir wollen das Gesetz auch weiterhin opti- mieren und insbesondere auf die Probleme, aber auch Bedürfnisse, die sich aus der praktischen Anwendung er- geben haben, eingehen. Auch auf Drängen der SPD- Bundestagsfraktion hin unterläuft das IFG daher einen Evaluationsprozess durch das Deutsche Forschungsinsti- tut für Öffentliche Verwaltung Speyer, dessen Ergeb- nisse uns in Kürze vorliegen werden. Die Zeit, uns die Empfehlungen anzuhören und sie anschließend zu disku- tieren, sollten wir uns nehmen. Danach werden wir die notwendigen Änderungen vornehmen und dafür Sorge tragen, dass eine optimale Transparenz weiterhin bestehen bleibt und dass dort, wo noch Nachbesserungsbedarf besteht, auch entsprechend nachgebessert wird. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Fraktion der Linken, das Gleiche trifft auch auf Ihren zweiten Antrag zu. Wenngleich der Freigabe von Unterlagen und Doku- menten aus der NS-Unrechtszeit eine überaus wichtige Bedeutung zukommt, wäre es ein Fehler, sie zum jetzi- gen Zeitpunkt isoliert zu betrachten. Lassen Sie uns den Evaluationsprozess und dessen Ergebnis abwarten und dann gemeinsam nachbessern. So können wir dann eine optimale Anwendung des IFG sicherstellen. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Das Bundesverfassungs- gericht genießt in der Bevölkerung höchste Anerken- nung, und das aus gutem Grund. Wie wenige andere In- stitutionen steht das Gericht für einen transparenten und am Individuum ausgerichteten Rechtsstaat. Für die Fes- tigung unserer Demokratie hat das Gericht deshalb einen herausragenden Beitrag geleistet. Diese Leistung auch zu historisieren, ist nach mehr als 60 Jahren des Beste- hens eine wichtige Aufgabe, und dazu bedarf es eines besseren Aktenzugangs. Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes besagt, dass Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Für den einzelnen Forscher und für den Wissenschaftsbe- trieb als Ganzes ist diese verfassungsrechtlich geschützte Freiheit das höchste Gut. Der Gesetzgeber garantiert dem Wissenschaftler damit unter anderem die freie Wahl über die Gestaltung seiner Forschungsprojekte und den Umgang mit deren Ergebnissen. Gleichwohl können Eingriffe in diese Freiheit aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt sein, beispielsweise wenn die Persönlich- keitsrechte Dritter betroffen sind oder besondere Geheimhaltungsinteressen bestehen. Vor diesem Hintergrund müssen die Regelungen zur Akteneinsicht beim Bundesverfassungsgericht im Span- nungsfeld kollidierender Interessen betrachtet werden. Das Interesse der Öffentlichkeit und der Wissenschaft ist in Einklang zu bringen mit dem Schutz der Belange der beteiligten Richter und anderen legitimen Geheimhal- tungsinteressen. Die Frage des Aktenzugangs gewinnt besondere Bedeutung im Zusammenhang mit rechtshis- torischen Forschungsprojekten, für deren Ausgestaltung nicht nur die veröffentlichte Entscheidung, sondern der Prozess der Entscheidungsfindung der einzelnen Verfas- sungsrichter von Interesse ist. So plädierte der Rechts- historiker Michael Stolleis bei einer öffentlichen Anhö- rung des Kulturausschusses im Februar 2012 für besseren Aktenzugang und eine Historisierung. Er kon- 20438 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) statierte, dass besonders auf dem Gebiet der „dissenting votes“, der abweichenden Voten einzelner Richter bei historisch wichtigen Entscheidungen des Bundesverfas- sungsgerichts, großes Forschungsinteresse besteht. Claudia Baumann hat auf Zeitgeschichte-online einen interessanten Artikel zu dieser Problematik veröffent- licht. Allgemein müssen nach dem Bundesarchivgesetz Gerichte, Behörden, Verfassungsorgane und andere öffentliche Stellen Unterlagen an das Bundesarchiv oder ein Landesarchiv abgeben, wenn sie nicht mehr benötigt werden. In der Regel erhalten alle Bundesbürger nach Ablauf einer Sperrfrist von 30 oder höchstens 60 Jahren Zugriff auf das Archivgut. Eine der wichtigsten Ausnah- men dieses Grundsatzes bildet Archivgut, das Persön- lichkeitsrechte berührt. Hier beginnt die Frist von 30 Jahren mit dem Tod der Person. Weitere Ausnahmen bestehen überwiegend aus Schutzinteressen der Bundes- republik oder einem ihrer Länder, von Dritten oder Geheimhaltungspflichten nach dem Strafgesetzbuch. Es ist zu bedauern, dass gerade die Unterlagen des Bundesverfassungsgerichts eine Ausnahme vom Grund- satz des Bundesarchivgesetzes darstellen. Zwar werden sie überwiegend vom Bundesarchiv aufbewahrt, gelten aber nicht als Archivgut. Über Anträge auf Aktenein- sicht entscheidet das Bundesverfassungsgericht selbst. Die Voten – oder Entscheidungsvorschläge – werden als „Nebenakten“ bezeichnet. Ob Wissenschaftlern der Zugang zu bestimmten Akten gewährt wird oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Einzelfall. Weder gibt es gegen diese Entscheidungen Einspruchs- rechte noch basieren die Entscheidungen auf klar de- finierten, transparenten rechtlichen Grundlagen. Eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit oder des Gleich- behandlungsgrundsatzes bei der Ablehnung von Anträ- gen auf Akteneinsicht kann dem Gericht keinesfalls unterstellt werden, wie dies im Antrag der Linken geschieht. Eine klarere gesetzliche Regelung würde die- sen Verdacht aber endgültig ausräumen. Mit dieser Problematik beschäftigte sich der 38. Deut- sche Rechtshistorikertag im Jahr 2010, nachdem das Thema in mehreren Artikeln in der FAZ thematisiert worden war. In der FAZ vom 28. August 2010 war behauptet worden, dass das Plenum des Bundesverfas- sungsgerichts eine einheitliche Sperrfrist von 90 Jahren in die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts aufnehmen wollte. Dies wurde auf Auskunft der Bun- desregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 17/4073) vom Bundesverfassungsgericht dementiert. Der heute verhandelte Antrag der Fraktion Die Linke zu den Akteneinsichtsrechten beim Bundesverfassungsgericht (Bundestagsdrucksache 17/4037) basiert auf dieser Annahme, die in der Zwischenzeit widerlegt wurde. In dieser Richtung ist seit 2010 keine Initiative des Ple- nums des Bundesverfassungsgerichts bekannt. In Reaktion auf die Debatte zu den Sperrfristen stellte der Ständige Ausschuss des 38. Rechtshistorikertages die Forderung nach einer verbindlichen Regel auf, die Verlässlichkeit im Umgang mit der Entscheidung auf Akteneinsicht und somit mehr Planungssicherheit für die Forschung bringen sollte. Die Regel sollte sich an den Sperrfristen von 30 und höchstens 60 Jahren orientieren, die sich mit dem Bundesarchivgesetz bewährt haben. So gerechtfertigt in gewissen Fällen die Ablehnung von Akteneinsicht aus Gründen des Beratungsgeheim- nisses oder des Schutzes von Persönlichkeitsrechten sein mögen, so lässt sich durchaus in Zweifel ziehen, ob sol- che Begründungen noch heute für Verfassungsgerichts- entscheide aus den 1950er-Jahren stichhaltig sind. Ver- einzelt wurde von Rechtshistorikern auf die spezielle Verfahrenspraxis des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Nebenakten hingewiesen, so zum Beispiel von Thomas Henne und Arne Riedlinger in ihrem Band über das Lüth-Urteil. Es wird zu prüfen sein, inwiefern der Gesetzgeber aufgefordert ist, klare Regelungen für den Umgang mit den Unterlagen des Bundesverfassungsgerichts zu schaf- fen, wie sie für andere Bundeseinrichtungen mit dem Bundesarchivgesetz gelten. Die öffentliche Anhörung im Februar dieses Jahres hat klar ergeben, dass sowohl Rechtshistoriker als auch der Leiter des Bundesarchivs Michael Hollmann Handlungsbedarf sehen. Es ist wich- tig, auch die relativ kleine Klientel der Wissenschaftler zu hören, für deren Forschung die Einsicht in diese Unterlagen essenziell ist. Die Anträge der Fraktion Die Linke bieten keine ver- nünftige Lösung an, sind veraltet und daher abzulehnen. Jan Korte (DIE LINKE): Wir reden heute über zwei Anträge der Fraktion Die Linke, die beide im Kern die Demokratisierung und Nachvollziehbarkeit von politi- schem Handeln fordern. Wir leben in einer Informations- und Wissensgesellschaft, in der Informationen durch den Einsatz von elektronischer Kommunikation und Medien immer mehr zurückgehen. Die politische Entwicklung hinkt dieser gesellschaftlichen Realität weit hinterher. Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. In der Praxis jedoch sind die Informa- tionsrechte und -pflichten nicht weitgehend genug, oder es wird ihnen von behördlicher Seite nicht nachgekom- men. Zudem verhindert eine Vielzahl gesetzlicher Ge- heimhaltungsvorschriften bisher eine effektive Anwen- dung des Informationsfreiheitsgesetzes und des Bundesarchivgesetzes. Diese Lage zu verbessern, ist unser Anliegen. Uns geht es dabei aber nicht nur um die demokratische Kon- trolle behördlicher Vorgänge. Der freie Zugang zu histo- risch und politisch relevanten Informationen ist eine Vo- raussetzung für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, für eine kritische Wissenschaft und für das demokratische Selbstverständnis der Bun- desrepublik. Statt diese konstruktive Auseinanderset- zung mit unserer Geschichte zu fördern, wehren sich Be- hörden – bis hin zum Bundesverfassungsgericht – mit Händen und Füßen gegen die Veröffentlichung von Ak- ten, die teilweise ein halbes Jahrhundert alt sind. In unserem Antrag „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stär- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20439 (A) (C) (D)(B) ken“ fordern wir eine klare Regelung zur Aktenfreigabe. Das Bundesverfassungsgericht ist in den letzten Jahr- zehnten zu einem politischen Machtfaktor geworden. Der Kurs der letzten Bundesregierungen, mit der Gesetz- gebung regelmäßig und bewusst immer weiter an die Grenzen unserer Verfassung zu stoßen und sie teilweise zu überschreiten, macht das Gericht zum Raum politi- scher Auseinandersetzungen. Gerade deshalb gibt es kei- nen Grund, die Beweggründe des Verfassungsgerichts im Geheimen zu halten, weder bei aktuellen Auseinan- dersetzungen noch bei lange vergangenen Entscheidun- gen. Die Kenntnis über vergangene Beratungsabläufe wird die Unabhängigkeit zukünftiger Entscheidungen nicht beeinflussen, erst recht nicht, wenn sie über fünfzig Jahre zurückliegen. 1956 entschied das Bundesverfas- sungsgericht, die KPD zu verbieten. Die Folge war nicht nur die Illegalisierung einer politischen Kraft, sondern auch ein hartes Vorgehen des Staates gegen Kommunis- ten, Sympathisanten oder andere, die man dafür hielt. Bis heute sind die Verfahrensakten in ihrer Gesamtheit der Öffentlichkeit nicht zugänglich, weder für Journalis- ten noch für Wissenschaftler, geschweige denn für inte- ressierte Bürgerinnen und Bürger. Das kann man beim besten Willen niemandem erklären. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts las- sen sich nicht alleine am Ergebnis, sondern vor allem in Kenntnis des Entscheidungsfindungsprozesses aufarbei- ten. Trotz der umfassenden Kompetenzen des Gerichts und der politischen Konsequenzen von Urteilen, die ein Höchstmaß an Transparenz bei der Entscheidungsfin- dung erwarten lassen, stoßen Wissenschaft und Presse nicht nur bei politisch besonders brisanten Entscheidun- gen regelmäßig auf erhebliche und kaum überwindbare Widerstände, wenn sie Akten teilweise oder vollständig einsehen wollen. Deshalb fordern wir – da schließen wir uns den Forderungen in der Resolution des Deutschen Rechtshistorikertages in Münster an –, die Aktenein- sicht- und Auskunftsrechte Dritter im Bundesverfas- sungsgerichtsgesetz nach Vorbild des Bundesarchivge- setzes zu konkretisieren und außerdem die Sperrfristen im Bundesarchivgesetz um 20 Jahre zu verkürzen. Es ist überfällig, dass wir uns im Bundestag mit diesem Thema befassen, und ich hoffe, dass die substanziellen Vor- schläge in unserem Antrag Grundlage für einen kon- struktiv geführten interfraktionellen Dialog sein können. Zum zweiten Antrag „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen ge- setzlich regeln“. Ende letzten Jahres ging durch die Presse, dass beim Bundesnachrichtendienst 1996 und 2007 offenbar 253 Personalakten aus der Nachkriegszeit vernichtet worden sind, Akten von BND-Mitarbeitern, die einst Mitglied der SS oder der Gestapo gewesen sind, zu denen weder Geschichtswissenschaftler noch Journa- listen bisher Zugang hatten, weil sie jahrzehntelang als Verschlusssachen eingestuft waren und die auch der His- torikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Geheimdienstes nun fehlen. Ich glaube, dass es nicht sein kann, dass mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit noch immer an als Verschlusssache qualifizierten Unterlagen scheitert. Wir fordern daher, die sofortige Deklassifizierung und Offenlegung aller Akten und Unterlagen nach dem Vorbild des Nazi War Crimes Disclosure Act des US-amerikanischen Kongres- ses gesetzlich zu regeln. Dafür ist es allerhöchste Zeit. Die Geheimhaltung von Akten betrifft nicht nur den BND. Allein 6 Millionen Dokumente von Ministerien und Behörden sind als Verschlusssache eingestuft, selbst wenn sie schon Jahrzehnte alt sind. Diese Praxis stammt aus vergangenen, vordemokratischen Zeiten, in denen der Besitz und die Geheimhaltung von Informationen klassisches Mittel des Machterhalts Einzelner waren. Staatliches Handeln in einer Demokratie hat sich am Ge- meinwohl zu orientieren und muss demokratisch legiti- miert sein. Diese Legitimation ist nicht gegeben, wenn es unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt und Akten zu Vorgängen in Behörden und Ministerien für etliche Jahrzehnte unzugänglich sind. Wir fordern daher die au- tomatische Deklassifizierung von Verschlusssachen nach spätestens 20 Jahren ohne die Möglichkeit der Verlänge- rung. Für eine Demokratie – darin sollten wir uns alle einig sein – stellt Wissen keine Gefahr dar. Im Gegenteil: Transparenz und Offenheit stärken die Demokratie und verhindern Lobbyismus, Korruption und Desinforma- tion. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unse- ren Vorschlägen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir befinden uns mitten in einem historisch bedeutsamen Paradigmenwechsel von der Amtsver- schwiegenheit bzw. dem Prinzip der Geheimhaltung hin zum Prinzip der Öffentlichkeit der Verwaltung. Es ist ein zumindest in Teilen mühsamer Prozess. Es ist von Widerständen in manchen Amtsstuben geprägt und auch im Parlament trotz einer umfänglichen EU-Gesetzge- bung sowie Informationsfreiheitsgesetzen in Bund und Ländern – nach wie vor ein junger Prozess. Beredtes Zeugnis über diesen Widerstreit legen insbesondere die regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichte des Bun- des- sowie der Landesbeauftragten für Informationsfrei- heit ab. Es lohnt, sich zunächst die Hintergründe des notwen- digen Wechsels zum Grundsatz der Öffentlichkeit der Verwaltung zu vergegenwärtigen. Dieser bedeutet die Konsequenz aus einem nahezu vollständig gewandelten Verständnis von öffentlicher Verwaltung. „Bürokratische Verwaltung ist ihrer Tendenz nach stets Verwaltung mit Ausschluss der Öffentlichkeit“, hieß es noch bei Max Weber. Für ihn musste das Wissen der Exekutive sich im Kampf mit der Legislative zum Geheimnis verdichten, um Machtinteressen und Kontrolle zu erhalten und Kri- tik einzudämmen. Weitaus nüchterner gewendet könnte auch argumentiert werden, dass eine bürokratische und auf Recht und Gesetz fußende Verwaltung keinerlei Öffentlichkeit braucht, weil sie effizienter ohne arbeitet: Dahinter steht die Vorstellung eindeutig determinierter, rechtlich festgelegter Entscheidungsprozesse. Diese Vorstellung von Verwaltung passt heute – wenn überhaupt je – nicht mehr. Die moderne Verwaltungspra- xis hat sich unter dem Eindruck tiefgreifender gesell- 20440 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) schaftlicher Veränderungen wie zum Beispiel dem Wan- del zum Präventionsstaat grundlegend verändert. Die Ablösung des rein hierarchischen und in einer durch- gehenden demokratischen Legitimationskette stehenden Gesetzesvollzuges durch weite, flexiblere Einschät- zungs- und Entscheidungsspielräume bis hin zur Verwal- tung als kooperierender Vertragspartner prägen heute das Bild. Ohne eine grundlegende eigene demokratische Absicherung lässt sich dieser Wandel nicht rechtfertigen. Die Rückkopplung an den Volkswillen geschieht durch Öffentlichkeit. Das Transparenzprinzip ist damit Grund- voraussetzung der Legitimation moderner Verwaltung. Ganz konkret führt dies auch zu einem individuellen und voraussetzungslosen Auskunftsanspruch der Bürgerin- nen und Bürger gegenüber öffentlichen Stellen. Es ist ihr gutes Recht. Der Antrag „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich re- geln“ (Bundestagsdrucksache 17/6128) greift ein drän- gendes Problem bei der Realisierung dieses Transpa- renzprinzips in der Praxis auf. Er ist deshalb in seiner Grundtendenz zu begrüßen. Denn die Aktenöffentlich- keit als Teilausprägung des Transparenzprinzips schei- tert in der Praxis durch eine Kombination von Faktoren: Rein rechtlich betrachtet wurden zwar umfängliche Rechtsgrundlagen für den Informationszugang geschaf- fen. Diese werden jedoch in vielen Fällen durch ebenso umfängliche Einschränkungen wieder zurückgenom- men bzw. erheblich relativiert. Eine dieser Einschränkungen liegt in § 3 Nr. 4 des Bundesinformationsfreiheitsgesetzes. Werden Informa- tionen auf der Grundlage behördeninterner Verwaltungs- vorschriften als Verschlusssachen eingestuft, entfällt der Informationsanspruch der Öffentlichkeit bzw. der Bürge- rinnen und Bürger. Die dementsprechend maßgebliche VS-Anweisung, VSA, des Bundes legt die Entscheidung für eine Einstufung auf der Grundlage sehr abstrakter und ausschließlich an Geheimhaltung orientierter Begrifflichkeiten weitgehend in die Hände der Behör- denmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Hier kommt der zweite begrenzende Faktor für mehr Transparenz voll zum Tragen, nämlich die nach wie vor sehr verbreitete Grundeinstellung in den Köpfen, dass die Öffentlichkeit außen vor zu bleiben habe. Die etablierte Arkankultur der öffentlichen Verwaltung, wie sie vielfach von den Informationsbeauftragten beschrieben und kritisiert wird, steht einer weiteren Öffnung immer noch entge- gen. Im Falle der Verschlusssachen besteht eine beson- ders weitgehende Möglichkeit, das Wissen der Verwal- tung insbesondere über sehr lange Zeiträume der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu entziehen. Über- greifend sind davon auch nach den Archivgesetzen erfasste Bestände betroffen, die damit der historischen Forschung, aber auch besonderen journalistischen Inte- ressen grundsätzlich nicht offenstehen. Skandalös erscheint dies vor dem Hintergrund der besonderen geschichtlichen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland ganz besonders im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Deshalb ist die Forderung des Antrags der Linksfrak- tion nach einer Vergesetzlichung der VS-Anweisung dann zutreffend, wenn auf diese Weise tatsächlich eine am Ziel des Transparenzprinzips ausgerichtete Neufas- sung bewirkt werden kann. Hinsichtlich der Einzelheiten einer solchen Regelung ist es sicher sinnvoll, eine ein- gehende parlamentarische Anhörung durchzuführen. Fragen etwa wirft der Vorschlag des Antrags auf, eine automatische Deklassifizierung nach 20 Jahren herbei- zuführen. Angesichts der zum Teil sehr unterschiedlich gelagerten, legitimen Einschränkungen des Transparenz- prinzips wie zum Beispiel den Persönlichkeitsrechten, aber auch besonderen Geheimhaltungspflichten, etwa beim Informantenschutz, muss hier sehr genau hinge- schaut werden. Wir sollten deshalb die nach der jetzigen Rechtslage zum Teil sehr undifferenzierten Bereichsaus- nahmen zum Nachteil des Transparenzprinzips nicht mit gleichermaßen pauschalen Vorgaben zugunsten dieses Prinzips beantworten. Sachgerechte Verbesserungen der Transparenz sind hier anzustreben. Insgesamt greift auch eine allein auf die Frage der Verschlusssachen angelegte Reform deutlich zu kurz. Zahlreiche weitere Baustellen im Bereich des Informationsfreiheitsgesetzes verpflich- ten vielmehr zu einer umfassenderen Modernisierung zugunsten von mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger. Klar ist ferner auch, dass eine Änderung der normati- ven Grundlagen allein keine wirkliche Veränderung bewirken kann. Eine verkürzte, allein juridische Sicht- weise der Hindernisse auf dem Weg zu mehr Transpa- renz würde verkennen, das auch das Selbstverständnis und die Arkankultur in den Behörden selbst mit in den Blick genommen und mit zusätzlichen Maßnahmen Ver- änderungen angestoßen werden sollten. Die von der Linksfraktion heute vorgenommene Ver- bindung der Thematik der Verschlusssachen mit der Frage der Zugänglichmachung von Akten des Bundes- verfassungsgerichts ist dagegen keineswegs zwingend. Denn als Teil der Judikative unterliegt das höchste deut- sche Gericht durchaus anderen Transparenzmaßstäben als die unter einem besonderen demokratischen Legiti- mationsdruck stehende Verwaltung. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der besonderen verfassungsrechtlichen Stel- lung, insbesondere der den Richtern gewährten richterli- chen Unabhängigkeit und der zum Schutz dieser Unab- hängigkeit bestehenden Regelungen, aber auch weil der rechtliche Rahmen der Arbeit des Gerichts keine ver- gleichbar grundlegenden Veränderungen erfahren hat wie die Verwaltung. Gleichwohl gilt auch hier, dass sich der gesellschaftli- che Kontext, in dem das Gericht heute seine Entschei- dung trifft, verändert und dementsprechend auch die an das Gericht herangetragenen Prozesse. Kaum von der Hand zu weisen ist insbesondere die gewachsene politi- sche Bedeutung seiner Entscheidungen angesichts zu- nehmender Entscheidungsdelegation durch die Politik. Es ist deshalb naheliegend, dass heute ein weitaus umfänglicheres, legitimes öffentliches Interesse der his- torischen Forschung, zum Beispiel zur Entstehung der besonders herausragenden und gesellschaftspolitisch relevanten Entscheidungen des Gerichts, besteht. Dabei können beispielsweise auch die bislang von Auskunfts- ansprüchen nicht miterfassten Voten der Richter von Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20441 (A) (C) (D)(B) Interesse sein. Insgesamt macht es deshalb, im Aus- tausch auch mit dem Bundesverfassungsgericht selbst, Sinn, darüber nachzudenken, auf welche Weise Verbes- serungen der Auskunftsrechte herbeigeführt werden können, ohne das richterliche Beratungsgeheimnis unverhältnismäßig einzuschränken. Nach unseren Informationen ist es allerdings unzu- treffend, dass das Gericht eine pauschale Sperrfrist von 90 Jahren für alle „Verfahrensakten“ anstrebt. Hier kön- nen wir deshalb schon den Feststellungen des Antrags nicht folgen. Hinsichtlich des Forderungsteils gilt: Es bestehen derzeit differenzierende Regelungen, die nach veröffentlichten und unveröffentlichten Entscheidungen unterscheiden und die unseres Wissens nicht grundle- gend verändert werden sollen. Die Akten unveröffent- lichter Entscheidungen etwa können nach 30 Jahren ver- nichtet werden, über ihre mögliche Umwidmung als Archivgut – mit der dann entsprechenden Anwendbar- keit des Bundesarchivgesetzes – entscheidet das Gericht im Einvernehmen mit dem Bundesarchiv. Es gibt dem- nach keine – uneingeschränkte – Angebots- und Überga- bepflicht, wie im Antrag der Linken dargestellt. Die pau- schale Forderung aber, die Sperrfristen im Archivgesetz pauschal um 20 Jahre zu verkürzen, geht weit über den im Antrag zugrunde gelegten Fall hinaus, und es fehlt damit schon an einer hinlänglichen Begründung. Die vielfältigen und bei der gesetzlichen Regelung zu berücksichtigenden gegenläufigen Interessen erfordern eine differenzierte Bewertung, die hier nicht einmal im Ansatz erkennbar ist. So dürfte eine pauschale Verkür- zung um 20 Jahre deutliche Veränderungen bei der Betroffenheit von Persönlichkeitsrechten nach sich zie- hen, die nicht einfach ignoriert werden dürfen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 30. September 2011 des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errich- tung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Tagesordnungspunkt 15) Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir beschließen heute in zweiter und dritter Beratung den Gesetzentwurf zur Änderung der Aufgaben der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, EBWE, in London. Mit der Zustimmung zu diesem Gesetz soll der Beschluss des Gouverneursrats der Bank, den Einsatzbereich der EBWE auf die Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes auszuweiten, auch von Deutschland unterstützt werden. Deutschland ist Gründungsmitglied der 1991 errichte- ten multilateralen EBWE; insgesamt gibt es 65 nationale und supranationale Anteilseigner, von denen Deutsch- land mit einem Kapitalanteil von 8,5 Prozent neben Frankreich, Italien, Großbritannien und Japan eines der größten Mitglieder ist. Lediglich die USA halten mehr, nämlich 10 Prozent des Kapitals. Die Errichtung der EBWE war eine Reaktion auf die historischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa nach dem Fall der Berliner Mauer. Der politische Auf- trag der Bank war die Förderung von Demokratie und Marktwirtschaft in ihren 30 Einsatzländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Kaukasusregion, Zentral- asien, Russland, Mongolei und der Türkei. Sie finanziert dabei mittels Darlehen und Kapitalbeteiligungen Investi- tionsprojekte insbesondere im privaten, aber auch im öffentlichen Sektor. Hauptaugenmerk ist dabei die öko- nomische Tragfähigkeit der Projekte und das Voranbrin- gen der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder. Das Geschäftsvolumen der EBWE belief sich im Jahr 2011 auf circa 9 Milliarden Euro, das Gesamtportfolio, Kredite und Beteiligungen, auf rund 35 Milliarden Euro. Daneben unterhält die EBWE ein umfangreiches, von Gebern gespeistes Fondsprogramm zur Bereitstellung von fachlicher Beratung und Unterstützung von Investi- tionen in den Einsatzländern. In den letzten 20 Jahren verwaltete die Bank dafür über 200 bilateral und multi- lateral gespeiste Fonds für technische Zusammenarbeit im Gesamtvolumen von 1,7 Milliarden Euro. Prominen- tes Beispiel sind sechs Nuklearsicherheits- und Still- legungsfonds. Der größte davon ist für die Überführung des zerstörten Reaktors in Tschernobyl in einen umwelt- sicheren Zustand bestimmt. Die Verwaltung der Fonds durch die Bank erfolgt mit der gleichen Sorgfalt wie das normale Bankgeschäft. Die Kontrolle über die Verwen- dung der Fondsmittel erfolgt grundsätzlich in regelmäßi- gen Geberversammlungen. Voraussetzung für ein Tätigwerden der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung war und ist, dass in den Ländern demokratische Grundsätze einge- halten werden. Dies wird auch vom Gouverneursrat, dem höchsten Beschlussorgan der Bank, dem Bundes- finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland angehört, überprüft. Ebenso werden dort grundsätzliche Entscheidungen für die Aufgaben der 1 600 Mitarbeiter der Zentrale und der Regionalbüros getroffen. So hat der Gouverneursrat am 30. September 2011 durch Resolution die Ausdehnung des Mandats der EBWE auf die Staaten des südlichen und östlichen Mittelmeerraums beschlossen. Voran- gegangen war eine Initiative der G-8-Staaten zur Unter- stützung des Demokratisierungsprozesses in diesen Staaten, die auch eine finanzielle Hilfe durch internatio- nale Finanzinstitutionen vorsieht. Diese Ausweitung soll durch klare geografische Eingrenzung auf die unmittel- bare Nachbarschaft den europäischen Charakter der Bank bewahren, auch ohne die grundsätzliche Ausrich- tung der EBWE zu verändern. Bei der räumlichen Ausweitung des Mandats der EBWE handelt es sich lediglich um eine Option, die Finanzierungstätigkeit auch auf die Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraus auszuweiten. Damit könn- ten die Länder Ägypten, Algerien, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien sowie die palästi- nensischen Gebiete, die zum Teil bereits Mitglied der EBWE sind, unter der Voraussetzung, dass sie sich Mehrparteiendemokratie und Pluralismus verpflichten, gefördert werden. In einem ersten Schritt hat die EBWE 20442 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Maßnahmen der technischen Hilfe und ähnliche Aktivi- täten mit sogenannten Kooperationsfonds gestartet, die durch Gewinnzuweisungen sowie durch externe Geber finanziert werden. Kredite und Beteiligungen können daraus jedoch nicht finanziert werden. Dies ist der Hauptgrund, warum ich die Mandatser- weiterung nicht so kritisch betrachte wie einige Kolle- ginnen und Kollegen der Opposition. Mir liegt am Her- zen, dass neben der politischen Unterstützung des arabischen Frühlings dieser auch mit finanziellen Mit- teln im privaten und öffentlichen Sektor flankiert wird. Denn der politische Umbruch in den arabischen Staaten des Mittelmeerraums wird nur erfolgreich sein, wenn damit ein wirtschaftlicher Erfolg einhergeht. Auf die Risiken eines mangelnden wirtschaftlichen Erfolgs muss ich hier wohl nicht näher eingehen. Die mögliche Unterstützung durch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung mit konkreten Maßnahmen ist richtig und wichtig, denn auch hier ste- hen wir vor einem ähnlichen Transformationsprozess wie zu dem Zeitpunkt, als die Bank gegründet wurde. Große politische Risiken, die durch Terrorismus, Migra- tionsbewegungen und andere Aspekte immense Kosten für die Europäische Union mit sich bringen würden, können mit den geplanten Maßnahmen der EBWE zu- mindest geschmälert werden. Die von der Opposition angeführte zu wenig an den Zielen des EU-Vertrags ausgerichtete Geschäftstätigkeit kann ich nicht erkennen. Auch steht die EBWE nicht in Konkurrenz mit bereits in der Region tätigen Institutio- nen, sondern ergänzt diese. Da die Koordinierung der internationalen Finanzinstitutionen, zum Beispiel Euro- päische Investitionsbank, Afrikanische Entwicklungs- bank, im Mittelmeerraum durch die G-8-Länder inner- halb der sogenannten Deauville-Partnerschaft erfolgt, ist eine Überschneidung der Aufgaben und der Tätigkeiten auch nicht zu erwarten. Der Forderung der Mitglieder des Finanzausschusses nach einer Gesamtübersicht des Aufgabenspektrums der international tätigen Entwicklungsbanken, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, schließe ich mich ausdrücklich an. Auch sollte die Frage nach einer besseren parlamentarischen Kontrolle dieser Banken noch einmal debattiert werden. Abschließend sei noch einmal betont: Das geplante finanzielle Engagement der EBWE in den potenziellen Empfängerländern, zunächst über einen Sonderfonds, ist richtig und deckt sich mit den politischen Zielen der Bundesrepublik Deutschland und der EU. Die Möglich- keiten hierfür müssen sehr schnell geschaffen werden, deshalb gilt es, die Voraussetzungen für die Ratifizie- rung der Änderungen des Übereinkommens zur Errich- tung der EBWE hier und heute im Parlament zu beschließen. Damit dokumentieren wir unsere Unterstüt- zung für die Staaten des Mittelmeerraums, die sich der Mehrparteiendemokratie und dem Pluralismus verpflich- tet haben, auch in multilateraler finanzieller Art und Weise. Manfred Zöllmer (SPD): Wir haben Ende der 80er- und zu Beginn der 90er-Jahre mit den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa eine der größten politischen Zäsu- ren des 20. Jahrhunderts erlebt. Diese Umbrüche in der Auflösung politischer Systeme und des kommunisti- schen Blocks haben Europa nachhaltig verändert. Im vergangenen Jahr haben wir in zuvor kaum vorstellbarer Weise den sogenannten arabischen Frühling erlebt, in dem sich die Menschen in verschiedenen arabischen Ländern gegen ihre Diktatoren erhoben und für neue de- mokratische Strukturen auf die Straße gingen, um sich aus den autokratischen Fesseln zu befreien. Diese Trans- formationsprozesse sind schwierig, bieten aber eine große Chance, in zuvor autokratischen Ländern eine De- mokratisierung und einen freien Wettbewerb und eine freie Wirtschaft zu etablieren. Derartige Umbrüche ha- ben auch einschneidende Folgen für die internationalen Beziehungen und machen ein Umdenken in internationa- len oder supranationalen Organisationen nötig. Diese Prozesse brauchen unsere Hilfe und Unterstützung. Die Errichtung der Europäischen Bank für Wieder- aufbau und Entwicklung war eine Reaktion auf die histo- rischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa Ende der 80er-Jahre und eine sehr gute Initiative des damali- gen französischen Präsidenten Mitterrand. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Mauerfalls wurde Deutschland Gründungsmitglied der 1991 in London errichteten mul- tilateralen europäischen Bank. Sie hat insgesamt 63 na- tionale und supranationale Anteilseigner. Mit einem Ka- pitalanteil von 8,5 Prozent ist Deutschland einer der größten EBWE-Mitglieder. Die Bank fördert mit ihren Projekten die demokrati- sche Entwicklung und die Marktwirtschaft in 30 Einsatz- ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Kauka- susregion, Zentralasien, Russland und der Türkei. Im Detail finanziert die EBWE ausgewählte Investitions- projekte sowohl im privaten wie im öffentlichen Sektor, die ökonomisch tragfähig sein müssen, um die wirt- schaftliche Entwicklung der jeweiligen Länder voranzu- bringen. Dies geschieht in erster Linie durch Darlehen, Garantien und Kapitalbeteiligungen. Dabei finanziert und investiert die EBWE nur gemeinsam mit anderen In- vestoren und Finanziers, sodass wir über ein stattliches Gesamtvolumen von 179 Milliarden Euro sprechen kön- nen. Der Wert der EBWE-Projekte mit Beteiligung deut- scher Unternehmen belief sich im Januar 2011 auf 16,8 Milliarden Euro. Die meisten Projekte mit deutscher Be- teiligung erfolgten in Russland, Polen und Ungarn. Die EBWE stellt Projektfinanzierungen für Banken, Indus- trieunternehmen und Firmen bereit. Dies betrifft sowohl Neugründungen als auch Investitionen in laufende Un- ternehmen. Die Projekte werden den Bedürfnissen der Kunden und der besonderen Lage des Landes, der Re- gion oder des Sektors angepasst. Die Direktinvestitionen der EBWE liegen in der Regel zwischen 5 und 230 Mil- lionen Euro. Inzwischen hat die EBWE 2 500 Projekte initiiert. Um dies einmal anschaulich zu machen, will ich exem- plarisch drei größere Projekte der letzten Zeit nennen: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20443 (A) (C) (D)(B) Im Januar dieses Jahres wurde die Ada-Brücke in Bel- grad eröffnet, die die bisher relativ isolierten Teile der serbischen Hauptstadt verbindet. Die neue Brücke dient nicht nur der Verbindung oder als touristische Attrak- tion, sondern verbessert als Verkehrsweg auch den natio- nalen und internationalen Handel über den Fluss Sava. Die Ada-Brücke wurde mit 130 Millionen Euro Kredit der EBWE mitfinanziert. Um kleine und mittelständische Unternehmen in Ar- menien hin zu einer nachhaltigen Produktion zu fördern, hat die EBWE nicht nur mit Finanzierungsmitteln, son- dern auch bei der Verbesserung der Transparenz und Corporate Governance geholfen. Dem Unternehmen Saranist, einem der führenden Glas- und Flaschenherstel- ler in Armenien, wurden Umwelt- und soziale Auswir- kungsanalysen finanziert, damit Arbeits- und Umwelt- standards etabliert werden konnten. Dies wurde mit einem Darlehen in Höhe von knapp 6 Millionen Euro fi- nanziert. In Rumänien strebt die Regierung eine 20-prozentige Energieeinsparung bis zum Jahr 2020 an. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die EBWE Energieeinsparprogramme im öffentlichen Sektor in Rumänien unterstützt. Im Juli 2011 gewährte die EBWE einen Unternehmenskredit in Höhe von 10 Millionen Euro dem landesweit größten Elektrotechnikunternehmen für neue Netzverbindun- gen. Mit dieser zehnjährigen Anleihe wird die Energie- effizienz nachhaltig verbessert. Diese Beispiele belegen sehr gut die Vielfältigkeit der Projekte. Aber sie belegen auch, dass wir nicht in jedes Projektdetail der EBWE eintauchen können, weil wir sonst damit parlamentarische Kontrollrechte überstrapa- zieren würden. Hierzu haben wir uns gestern im Finanz- ausschuss bereits ausgetauscht. Aufgrund der genannten neuen politischen und ge- sellschaftlichen Umbrüche in den Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraums besteht zwischen den 63 Anteilseignern der Bank nunmehr Einvernehmen da- rüber, das Mandat der Bank auszuweiten. Vorgesehen ist eine Ausweitung der Finanzierungstätigkeit der Bank auf Ägypten, Algerien, Jordanien, den Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien sowie die palästinensischen Gebiete. Dies ist richtig und findet unsere volle Unter- stützung. Die Menschen erwarten als Ergebnis ihrer re- volutionären Aktionen möglichst bald eine deutliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. Dies ist nachvollziehbar, doch solche Entwicklungen brauchen Zeit und Unterstützung. Die Europäische Bank für Wie- deraufbau und Entwicklung kann zukünftig eine solche Unterstützung leisten. Die Finanzierung soll über Son- derfonds erfolgen. Wir begrüßen und unterstützen diesen Prozess und wünschen diesen Ländern eine gute Zu- kunft. Holger Krestel (FDP): Die ursprünglich zur Förde- rung demokratischer und marktwirtschaftlicher Struktu- ren in den ehemaligen GUS-Staaten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gegründete Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, EBWE, hat ihr Tätig- keitsfeld inzwischen signifikant erweitert. Die Anteils- eigner, unter denen sich auch die Bundesrepublik Deutschland befindet, haben sich im September letzten Jahres einstimmig darauf geeinigt, ihre Finanzierungstä- tigkeiten auf den südlichen und östlichen Mittelmeer- raum auszuweiten, um den Ländern, welche im Rahmen des sogenannten arabischen Frühlings große Fortschritte in der Demokratisierung erreicht haben, oder erreichen können, in diesem Prozess behilflich zu sein. Als Ände- rung eines völkerrechtlichen Vertrags bedarf dieser Be- schluss nunmehr der Ratifikation durch dieses Haus. Nun ist es legitim, einzuwenden, warum eine europäi- sche Förderbank Projekte in Nordafrika unterstützen sollte. Dies genau geschieht im europäischen Interesse, und die Förderung demokratischer und markwirtschaftli- cher Entwicklungen ist als Ziel in den Statuten der EBWE fest verankert. Durch die geografische Nähe der neuen Mandatsgebiete bleibt der europäische Charakter der Bank bewahrt. Eine gezielte Auswahl von Projekten er- möglicht es der Bank, dort umweltverträgliche, energie- effiziente und nachhaltige Technologien zu etablieren. Volkswirtschaften mit solchen Zielen unterstützt die EBWE in besonderer Weise. Das liegt nicht nur im Inte- resse der Europäischen Union, sondern der ganzen Welt- gemeinschaft. Dies sind nicht die ersten Tätigkeiten der EBWE au- ßerhalb der europäischen Union. Es befinden sich bereits zahlreiche Projekte in der Türkei, Kasachstan oder Aser- baidschan zur Förderung des Transformationsprozesses hin zu demokratischen und marktwirtschaftlichen Struk- turen in der Durchführung. Wichtig hierbei ist, dass mit undemokratischen Regierungen wie in Weißrussland oder Usbekistan keine Zusammenarbeit stattfindet. Statt- dessen werden privatwirtschaftliche Anstrengungen un- terstützt, welche direkt den Menschen im Lande zugute- kommen. Hierbei handelt es sich jedoch ausdrücklich nicht um Almosen. Basis bleibt die Vergabe von Kredi- ten an private Initiativen und Unternehmen, welche ne- ben einem Mehrwert für die Gemeinschaft auch Ge- winne erzielen und stets eine Rückzahlung der Kredite anstreben. Diese Hilfe zur Selbsthilfe ist die effektivste Art für selbstbestimmten Fortschritt ohne langfristige Abhängigkeit vom Geldgeber. Dass von einer Entwick- lung, die allen Seiten hilft, auch deutsche Unternehmen profitieren können, ist eine Selbstverständlichkeit. Freilich darf man nicht der Illusion erliegen, dass die- ser Prozess ein Selbstläufer wäre. Es gilt zahlreiche Schwierigkeiten zu bewältigen. Aber gerade weil die EBWE mit ihrer Betreuung der Transformationsprozesse von den ursprünglich staatlich gelenkten Volkswirtschaf- ten in Osteuropa und Zentralasien umfassendes Know- how angesammelt hat, ist sie für ihre neuen Aufgaben besonders prädestiniert und auf viele Komplikationen bereits vorbereitet. So herrschen vor Ort ganz andere Be- dingungen, was Infrastruktur, Kultur und Organisations- grad angeht, als es in den entwickelten Volkswirtschaf- ten Europas der Fall ist. Diese Unterschiede müssen bereits im Voraus antizi- piert werden. Dies gilt auch so für die unabdingbare Koordination mit anderen Förderbanken und Entwick- 20444 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) lungshilfeorganisationen, um Überschneidungen zu ver- hindern. Wichtig an diesem Gesetz ist vor allem, dass es schnell Handlungsfreiheit schafft. Durch die Änderung des Art. 18 des Übereinkommens wird es möglich, be- reits mit Zustimmung von 75 Prozent der Anteilseigner und 80 Prozent des Kapitals Sonderfonds zu schaffen, bis die restlichen Mitglieder ebenfalls ihre Ratifizierung abgeschlossen haben. Allerdings ist damit nicht vor dem Jahr 2013 zu rechnen. Damit schnell vor Ort gehandelt werden kann, bitte ich Sie daher, diesem Entwurf zuzu- stimmen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Es steht außer Frage, dass die Menschen in den im Gesetz genannten Regio- nen zusätzlicher Hilfe für eine weitere Entwicklung und einen Wiederaufbau bedürfen. Gerade die Aufstände gegen die Despoten des südlichen und östlichen Mittel- meerraums wurden getragen von der Generation der unter 30-Jährigen, die in den damals herrschenden Ver- hältnissen keine Perspektive mehr hatte. Es wird höchste Zeit, allen Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Staa- ten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dazu gehören ohne Zweifel die Wahrung der Menschenrechte und eine pluralistische Mehrparteiendemokratie. Doch ohne die Sicherstellung der Grundbedürfnisse der Men- schen – ausreichende Versorgung mit Nahrung, saube- rem Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Bil- dung − wird jede weitere Entwicklung in diese Richtung weiter erschwert oder verhindert. Gerade an dieser Stelle sehen wir in dem von der Bun- desregierung vorgelegten Gesetz ein großes Problem. Denn die Europäische Bank für Wiederaufbau und Ent- wicklung hat mit ihren Projekten in Osteuropa einen nur sehr überschaubaren Erfolg erzielen können. Die Kon- zentration auf die Entwicklung der osteuropäischen Staa- ten zu offenen Marktwirtschaften hat häufig zu krassen Fehlentwicklungen geführt. Bei der Ausbeutung fossiler Rohstoffquellen für den Export in Industriestaaten ist es zu massiven Umweltzerstörungen gekommen. Das Bin- den der Förderung öffentlicher Projekte an Bedingungen wie der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen hat lediglich zu einer stärkeren Umverteilung zugunsten der neuen Eigentümer geführt. Eine Verbesserung der Quali- tät und des Zugangs zu diesen ehemals öffentlichen Dienstleistungen ist nicht messbar. Das Dogma, Märkte seien grundsätzlich besser als staatliches Handeln, ist keine Basis für eine Politik, die auf Wiederaufbau und Entwicklung von Staaten abzielt. Nur durch eine starke Fokussierung auf die sozialen und ökologischen Auswir- kungen der zu fördernden Projekte kann eine nachhaltige Entwicklungspolitik Erfolg haben. Zudem ist bisher viel zu gering gewürdigt worden, dass wir es bei der betroffenen Gruppe von Staaten nur bedingt mit Demokratien zu tun haben. Selbst in den Staaten, deren Diktatoren durch Aufstände entmachtet wurden, sind die dahinterstehenden autoritären Regime noch nicht vollständig beseitigt. Die zukünftige Ent- wicklung dieser Staaten ist derzeit noch nicht absehbar. In Staaten wie Marokko oder Algerien kann von Demo- kratie gar keine Rede sein. Den Einfluss der dortigen Machthaber durch die Aktivitäten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zu stärken, ist unverantwortlich, insbesondere weil in einigen dieser Staaten derzeit noch militärische Konflikte existieren, im Gegensatz zur Situation der osteuropäischen Staaten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Das Instru- mentarium der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ist für derartige Situationen ungeeig- net. Aus diesen Gründen werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, weil eine Erweiterung der geo- grafischen Geschäftstätigkeit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ohne eine grundsätz- liche Reform ihrer Ziele und Instrumente in der jetzigen Situation nur kontraproduktive Effekte haben wird. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Bündnisgrünen begrüßen den Aufbruch in vielen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, wie wir sie seit dem Frühjahr 2011 beobachten. Die Demokratisie- rungswelle war und ist von großen Hoffnungen beglei- tet. Ihr Erfolg wird auch davon abhängen, welche wirt- schaftlichen Perspektiven es für die Menschen in den jeweiligen Ländern gibt. Politischen Initiativen wie der vorliegenden, die diesen Reformprozess ökonomisch begleiten und stützen möchten, stehen wir daher im Grundsatz aufgeschlossen gegenüber. Für mich als Finanzpolitiker, der sich intensiv mit Finanzmärkten und Banken, aber weniger stark mit Außenpolitik beschäftigt, wirft der vorliegende Gesetz- entwurf allerdings einige Fragen bezüglich des Wie die- ser Unterstützung auf, die in unseren Beratungen im Ausschuss in der Kürze der Zeit nicht umfassend geklärt werden konnten. Eine dieser Fragen lautet: Wer tut eigentlich was? Sie stellt sich, weil es mit der Europäischen Bank für Wie- deraufbau und Entwicklung, der Europäischen Investi- tionsbank und der Entwicklungsbank des Europarates gleich drei Entwicklungsbanken mit Bezug zu Europa bzw. seinen Nachbarn gibt. Zugegeben: Im Detail haben diese drei Banken unterschiedliche Mandate, Einsatz- gebiete und Anteilseigner. Es gibt aber unzweifelhaft auch viele Überschneidungen. Das zeigt sich auch beim vorliegenden Gesetzesvorhaben, das ja im Kern das künftige Einsatzgebiet der EBRD auf Länder des soge- nannten arabischen Frühlings ausweiten will. So ist die Europäische Investitionsbank bereits seit zehn Jahren mit dem Programm FEMIP in Ländern des östlichen und südlichen Mittelmeerraumes unterwegs – also genau dort, wo künftig mittels des vorliegenden Ge- setzentwurfs die EBRD tätig werden soll. Auch bei den bereits von der EIB dort genutzten Förderinstrumenten – Darlehen, Beteiligungskapital und Technische Hilfe – und den Förderzielen sowie den Begünstigten – Unter- stützung des Privatsektors durch Kredite – bestehen große Schnittmengen zu dem, was die EBRD in dieser Region vorhat. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20445 (A) (C) (D)(B) Warum also nicht vorhandene Förderkapazitäten in der Region genutzt, sondern neue aufgebaut und somit Doppelstrukturen produziert werden, erschließt sich mir hier nicht. Ich kann auch derzeit nicht recht nachvollzie- hen, warum die Wahl auf die EBRD, nicht aber auf die Weltbank gefallen ist: Nach welchen Kriterien werden hier eigentlich Entscheidungen getroffen? Und stehen wirklich – wie es nach meinem Dafürhalten sein muss – die Bedürfnisse der Menschen und die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen vor Ort im Zentrum der Ent- scheidung, welche Bank aktiv wird? Spielen Erfolgskon- trollen und Konzepte bei der Auswahl der richtigen Förderbank eine Rolle? Vor diesem Hintergrund erscheint es mir jedenfalls richtig und wichtig, dass sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages einmal grundsätzlich mit der Frage beschäftigt, ob die heutige Abgrenzung und Arbeitsteilung der drei europäischen Förderbanken noch überzeugt oder ob nicht eigentlich vieles dafür spricht, hier mittelfristig Strukturen zusammenzulegen und die so eingesparten Mittel für Förderzwecke einzusetzen. Auch unter dem Blickwinkel einer kohärenten, aufeinan- der abgestimmten Förderpolitik scheinen mir derlei Fusionsgedanken zumindest diskussionswürdig. Bei die- ser Gelegenheit sollten wir auch Überschneidungen mit anderen multilateralen Entwicklungsbanken wie der Weltbank in den Blick nehmen. Im Gespräch der Berichterstatter des Finanzausschus- ses haben wir eine solche Grundsatzdebatte über die Förderstrukturen auf Europaebene ja auch bereits verab- redet. Wichtig wäre mir, dass wir in eine solche Diskus- sion auch Vertreter der Zivilgesellschaft einbeziehen. Denn Nichtregierungsorganisationen wie Bankwatch oder urgewald haben in Verbindung mit diesem Geset- zesvorhaben durchaus – wie ich finde – substanzielle Kritik vorgetragen. So messe die EBRD ihre Entwick- lungserfolge nur unzureichend, setze in ihren Projekten zu stark und einseitig auf den Export von Rohstoffen, habe zu gravierenden Umweltbelastungen beigetragen und vielerorts ungleiche Einkommensverteilungen eher verstärkt als geglättet. Auch bestehe mit Blick auf die jüngere Förderpraxis der Bank die Gefahr, dass die Mit- tel der EBRD eher bestimmte Machtstrukturen in der neuen Zielregion stützten, als dort den demokratischen Wandel zu befördern. Der Einbezug zivilgesellschaftli- cher Akteure scheint mir vor dem Hintergrund dieser Kritiken sehr wichtig, um ein ausgewogenes Bild der Lage zu erhalten. Eine weitere Frage, die sich mir stellt, betrifft das be- absichtigte Fördervolumen: Bisher wissen wir nicht, über welchen finanziellen Einsatz wir hier eigentlich sprechen – für mich eine unbefriedigende Entschei- dungsgrundlage. Auch habe ich bisher nicht im Detail nachvollziehen können, worin die konkreten Vorteile und Hintergründe für den recht häufigen Einsatz von derzeit 24, bald 25 Sonderfonds im Portfolio der EBRD bestehen. Vor dem Hintergrund dieser Vielzahl an noch offenen Fragen wird sich meine Fraktion enthalten. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsgerecht erbringen (Tagesordnungs- punkt 16) Heike Brehmer (CDU/CSU): Mitmachen möglich machen, dieses Motto setzt das Bildungs- und Teilhabe- pakt seit nunmehr einem Jahr in die Tat um. Seit einem Jahr bietet es Kindern und Jugendlichen aus Geringver- dienerfamilien eine Chance, an gesellschaftlichen Akti- vitäten und Bildungsangeboten in ihrem Umfeld teilzu- nehmen. Rückwirkend zum 1. Januar 2011 konnten Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Fami- lien im Bereich Sport, Musik oder Kultur dabei sein. Sie können an Schulausflügen und am gemeinsamen Mittag- essen in der Schule, im Hort oder in der Kita teilnehmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der – nach ihren Wor- ten – „eine echte soziokulturelle Existenzsicherung von allen Kindern und Jugendlichen ermöglicht“. Gern ver- weise ich Sie auf die Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/8732). Haben Sie diese schon gelesen? Darin heißt es – und das bringt es auf den Punkt –, das Bildungs- und Teilhabepaket „dient der Deckung der Bildungs- und Teilhabebedarfe von Kindern und Jugend- lichen und sichert somit deren spezifisches soziokultu- relles Existenzminimum“. Meine Damen und Herren von den Grünen, ich habe es Ihnen bereits in meiner Rede zum Bildungspaket im Dezember letzten Jahres gesagt. Aber ich rufe es Ihnen gern noch einmal in Erinnerung: Anders als ihre Kolle- ginnen und Kollegen von der SPD haben Sie sich aus der Verantwortung gestohlen, als es im Frühjahr 2011 darum ging, wie das Bildungspaket bzw. das Urteil des Bundes- verfassungsgerichts umgesetzt werden kann. Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket haben erstmals seit Ein- führung der Hartz-IV-Gesetze bedürftige Kinder und Jugendliche die Chance, an Bildung und Freizeitangebo- ten teilzunehmen. Ich berichte Ihnen gern von den Erfahrungen aus mei- nem Heimatbundesland Sachsen-Anhalt und aus mei- nem Wahlkreis Harz. Die Mitteldeutsche Zeitung berich- tete am 12. März 2012, Zitat: „Das vor einem Jahr ins Leben gerufene Bildungs- und Teilhabepaket für bedürf- tige Kinder wird in Sachsen-Anhalt gut angenommen.“ Laut einer Umfrage seien landesweit für 110 550 an- spruchsberechtigte Kinder und Jugendliche bis Ende 2011 fast 135 300 Anträge gestellt worden, heißt es wei- ter. Pro Kind können mehrere Anträge eingereicht wer- den. Der Landkreis Harz nimmt im Landesvergleich sogar einen Spitzenplatz ein, wenn es um die Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets geht. Im Jahr 2011 wurden im Harzkreis 9 766 Anträge gestellt und davon 95,5 Prozent bewilligt. Die Nachfrage nach der Unter- 20446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) stützung bei Vereinsmitgliedschaften ist groß und nimmt nach dem Bereich der Mittagsversorgung den zweiten Platz ein. Gemeinsam mit dem Parlamentarischen Staatssekretär, Herrn Dr. Ralf Brauksiepe, war ich in meinem Wahlkreis unterwegs, und wir haben uns über die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets infor- miert. Die kommunale Beschäftigungsagentur, KoBa, setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit den regionalen Akteuren wie dem Kreis-, Kinder- und Jugendring und dem Kreissportbund. Ich habe mir vor Ort viele gute Beispiele für ein ideenreiches Miteinander ansehen kön- nen und habe mich über deren Umsetzung informiert. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die Akteure vor Ort sind sich Ihrer Verantwortung durch- aus bewusst. Dabei sind Kommunikation und Öffent- lichkeitsarbeit zwei entscheidende Stichworte. Die Bundesregierung hat hierzu eine umfassende Informa- tionskampagne gestartet, die sich an eine breite Öffent- lichkeit richtet. Neben allgemeinen Informationen sollen insbesondere zwei Zielgruppen angesprochen werden. Das sind zum einen die leistungsberechtigten Familien selbst. Zum anderen sind das die sogenannten Multipli- katoren, das heißt diejenigen Menschen, die im nahen Umfeld der Familie beschäftigt sind, wie zum Beispiel Engagierte in Schulen, Kindertageseinrichtungen, Ver- bänden, Vereinen etc. Die Ergebnisse der von unserer Ministerin Frau Dr. von der Leyen ins Leben gerufenen Runden Tische, zuletzt im November 2011, haben eine positive Tendenz bei der Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets auf- gezeigt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen die Umsetzung des Teilhabepakets beraten. An dieser Umsetzung sind viele Akteure beteiligt. Das Bundes- ministerium für Arbeit und Soziales, die Kreise und die kreisfreien Städte sowie die Jobcenter und ihre Partner vor Ort sorgen alle dafür, dass das Bildungspaket bei den Kindern ankommt. Denn da soll es auch hin. Ich habe es eingangs bereits erwähnt: Das Bildungs- paket folgt der großen Leitidee „Mitmachen möglich machen“. Ich denke, darauf haben die Kinder ein Anrecht. Die CDU/CSU will das Mitmachen möglich machen. Und es lohnt sich, dass wir alle gemeinsam unsere Kraft und unsere Politik für die Kinder und ihre Lebensperspektiven einsetzen. Die CDU/CSU wird daher dem Antrag der Grünen nicht zustimmen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir kümmern uns da- rum, dass Kinder nicht ausgeschlossen werden, und ha- ben deshalb im Januar des letzten Jahres das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht. Sie, meine Da- men und Herren von SPD und Grünen, haben nämlich bei Einführung der Hartz-IV-Regelungen gerade die Menschen vergessen, die die Zukunft unseres Landes gestalten werden. Wir haben nun das Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 umgesetzt und müssen uns nun bewusst machen, dass die neu einge- führte Regelung eben Zeit braucht, um sich zu etablie- ren. Hätten Sie die Teilhabe von Kindern gleich inte- griert, könnten wir bereits jetzt die Erfolge in einem zufriedenstellenden Maße beobachten. Die Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket, die Sie in Ihrem Antrag vorbringen, spiegelt in keiner Weise die Realität wider. Sie missdeuten die unumgänglichen Anlaufschwierig- keiten als Mängel in der Ausgestaltung der einzelnen Leistungen. Wir sehen, dass für alle Kinder in unserem Land ein Umfeld geschaffen werden muss, das es jedem einzelnen erlaubt, seine Talente zu entdecken und sein Potenzial zu entfalten. Der richtige Ansatz ist, dass jedes Kind aus dem Paket genau die Einzelförderung erhält, die es braucht. Wir setzten auf maßgeschneiderte Förderungen unserer Kinder – wir wollen, dass jedes einzelne seine ei- genen, ganz individuellen Talente entfalten kann. Wir set- zen – auch in Anbetracht des drohenden Fachkräfteman- gels – auf die Potenziale, die in unserem Land liegen – und dazu gehört ganz entscheidend die Bildung und Teil- habe unserer Kinder. Wir haben uns daher aus gutem Grunde für das Sach- leistungsprinzip entschlossen. Da Sie dieses leider noch immer nicht verstanden haben, werde ich es noch mal er- klären. Durch das Sachleistungsprinzip stellen wir si- cher, dass die Leistungen bei den Kindern ankommen. Zudem ist eine maßgeschneiderte Förderung möglich. Wir verteilen nicht nach dem Gießkannenprinzip Gelder. Das lässt weder unser zu konsolidierender Staatshaushalt zu, noch ist dies in irgendeiner Weise zielführend. Wir wollen, dass jedes Kind, das eine Lernschwäche hat, ge- fördert wird. Des Weiteren möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die christlich-liberale Koalition nichts von einer Be- vormundung der Eltern hält. Eltern sind verantwortlich, dafür zu sorgen, dass ihr Kind seine Potenziale aus- schöpft. Wir schaffen in diesem Hohen Hause die Mög- lichkeiten, kommunizieren diese durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, etliche Kampagnen und über zahl- reiche Einrichtungen, und wir unterstützen die Kommu- nen, die mit der Umsetzung beauftragt sind, darin, büro- kratische Hürden abzubauen. Mit der oben genannten Einschränkung, dass es selbstverständlich Zeit braucht, bis das neue Paket die nötige Aufmerksamkeit erhält, vertrauen wir darauf, dass Eltern imstande sind, Leistun- gen für ihr Kind zu beantragen. Wir erkennen die wich- tige und auch verantwortungsvolle Position der Eltern an. Und diese fördern wir auch in anderen Bundespro- grammen. So hat beispielsweise das BMFSFJ im Fe- bruar dieses Jahres das Bundesprogramm „Elternchance ist Kinderchance“ zur Weiterqualifizierung zur Elternbe- gleitung ins Leben gerufen – dieses wird bereits erfolg- reich angenommen. Die ersten 500 Elternbegleiter er- hielten bereits Ende Februar ihr Zertifikat, das sie durch einen dreiwöchigen Kurs, in dem pädagogische und be- raterische Kompetenzen vermittelt werden, erworben haben. Es ist wichtig, lange vor dem ersten Schultag El- tern frühzeitig für die Bildungsförderung ihrer Kinder zu interessieren und sie kompetent zu beraten. Elternbeglei- ter stehen deshalb an vielen Orten der Familienbildung als kompetente Vertrauenspersonen an ihrer Seite. Faire Chancen für Kinder sind eng mit der frühen Förderung und Verantwortung durch die Eltern verknüpft, und da- rauf bauen wir. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20447 (A) (C) (D)(B) Wir stellen darüber hinaus fest, dass sehr viele Kom- munen das Programm auch sehr gut umsetzen. So hat beispielsweise das Jobcenter Würzburg Land in meinem Wahlkreis eine sehr übersichtliche Broschüre herausge- geben, die den Eltern zeigt, welche Förderungen mög- lich sind und wo diese beantragt werden können. Wir ge- ben den Kommunen Hilfestellungen bei der Umsetzung. Es ist jedoch nicht möglich, liebe Kolleginnen und Kol- legen der Grünen, wie Sie in Ihrem Antrag fordern, in kommunale Strukturen einzugreifen. Nichtsdestotrotz haben wir selbstverständlich er- kannt, dass das Bildungs- und Teilhabepaket noch mehr Kindern zugutekommen muss. Die Antragsquote von 45 Prozent, die die kommunalen Spitzenverbände im November 2011 veröffentlichten, ist nicht ausreichend. Am kommenden Freitag steht ein weiterer Erhebungsbe- richt zum Stand 1. März 2012 an, den wir abwarten und entsprechend bewerten müssen. Darüber hinaus müssen die Länder gemäß § 46 Abs. 8 Satz 4 SGB II an das BMAS die Gesamtausgaben für Bildungs- und Teilhabeleistungen der Kommunen nach SGB II und BKGG, Bundeskindergeldgesetz, melden. Auch diese Zahlen müssen abgewartet und entsprechend bewertet werden. Wir haben Interesse daran, dort nachzujustieren, wo Änderungen nötig und zielführend sind. Deshalb hat das BMAS auch eine Studie beim Institut für Sozialfor- schung und Gesellschaftspolitik in Auftrag gegeben, de- ren Ergebnisse im Mai dieses Jahres bekannt gegeben werden. Des Weiteren ist Ihnen sicherlich auch bekannt, dass es den Runden Tisch zum Bildungspaket mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden gibt, der in regelmäßigen Abständen tagt, das Programm begleitet und bewertet und damit schnell auf Beschwerden und Anlaufschwierigkeiten eingehen kann. Ihr Antrag jedoch verfehlt dieses Ziel und ist deshalb abzulehnen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir sprechen heute über den Grünen-Antrag zum Bildungs- und Teilhabepa- ket. Und wir wollen heute darüber abstimmen. Wir wer- den dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha- ben das Bildungspaket im letzten Jahr gemeinsam mit der CDU/CSU auf den Weg gebracht. Es soll arme und einkommensschwache Familien unterstützen, damit ihre Kinder bessere Bildungschancen erhalten. Bisher ist es in Deutschland leider so, dass vor allem der Geldbeutel entscheidet, was aus unseren Kindern einmal wird. Das ist ungerecht. Deshalb haben wir uns für das Bil- dungs- und Teilhabepaket im Bundestag starkgemacht. Es geht schließlich um 2,5 Millionen Kinder und deren Eltern. Die Grünen beklagen in ihrem Antrag, dass das Bildungs- und Teilhabepaket viel zu bürokratisch ist, und damit haben sie recht. Folgende Geschichte zum Bildungspaket war Mitte letzten Jahres in der Zeitung zu lesen: Eine Mutter wollte Leistungen für ihren Sohn beantragen. Er brauchte drin- gend Nachhilfe, damit er den Schulabschluss schaffen konnte. Sie meldete ihren Sohn sofort zur Nachhilfe an, um keine Zeit zu verlieren. Sie streckte das Geld von dem wenigen, was sie hat, vor und stellte dann den An- trag beim Jobcenter. Und nun begann eine wahre Odys- see. Sie musste mehrfach zum Jobcenter und zur Schule fahren. Denn entweder war ihr Antrag noch nicht bear- beitet, oder es wurden weitere Unterlagen angefordert, Unterlagen, die es zum Teil gar nicht gab. Es war sehr aufwendig und anstrengend, bis sie das Geld für die Nachhilfe endlich erhielt. Und das gelang auch nur, weil sich ein Bundestagskollege eingeschaltet hatte. So kann es nicht gehen. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn viele Eltern vorher aufgeben und auf das Geld für ihre Kinder verzichten. Man schätzt, dass nur etwa 45 Prozent der Kinder tatsächlich Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten. Das bedeu- tet: 55 Prozent – also jedes zweite bedürftige Kind – ge- hen leer aus. Sie sehen, wir sind noch sehr weit von Bil- dungs- und Chancengerechtigkeit entfernt. Wie viele Kinder es ganz genau sind, weiß niemand. Die Bundes- regierung konnte dazu in der Antwort auf unsere An- frage keine Angaben machen. Das ist ein Armutszeug- nis. Wie miserabel die Informationspolitik aus dem Haus von Ministerin von der Leyen ist, zeigt auch folgendes Beispiel: Es gibt vom Ministerium ein Infotelefon, über das man sich über die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets informieren kann. Das ist eigentlich eine gute Idee. Leider handelt es sich dabei um eine kosten- pflichtige Servicenummer. Eine Minute kostet zwischen 14 und 42 Cent – das können sich viele arme Familien nicht leisten. Ja, in vielen Punkten ähnelt das Bildungs- und Teilha- bepaket einem bürokratischen Monster. Vieles ist nicht zufriedenstellend gelöst und muss nachgebessert wer- den. Aber es ist ein Anfang hin zu mehr Bildungsgerech- tigkeit gemacht worden. Und das hat die SPD im letzten Jahr trotz ihrer Minderheit hier im Bundestag durchge- setzt. Wir haben uns über die Bundesländer eingemischt, die beim Bildungspaket ein Wort mitzusprechen hatten. Wir, die SPD, haben seit unserem Wahlerfolg in Nord- rhein-Westfahlen im Mai 2010 zum Glück die schwarz- gelbe Bundesratsmehrheit gebrochen und konnten des- halb auf die Verhandlungen Einfluss nehmen. Es ist schade, dass sich die Grünen vorzeitig aus diesen wichti- gen Verhandlungen zurückgezogen hatten. Jetzt, nach- dem das Verfahren abgeschlossen ist und seit einem Jahr ein Gesetz auf dem Tisch liegt, schlagen Sie vor, wie man alles besser machen könnte. Schade, dass Sie dies so spät tun. Denn nun gibt es für Ihre Vorschläge keine Möglichkeit mehr sie durchzusetzen. Ihr Antrag wird von Schwarz-Gelb heute abgelehnt werden. Wir möchten, dass möglichst alle Kinder aus armen und einkommensschwachen Familien die Leistungen, die sie brauchen, auch bekommen. Wie erreichen wir das? Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü- nen, machen einige Vorschläge. Sie fordern, dass Bund und Länder bei der Bildung wieder zusammenarbeiten dürfen. Das wollen wir auch. Also: Weg mit dem Koope- rationsverbot! Nur gemeinsam wird es gelingen, Ganz- tagsschulen in Deutschland auszubauen und die Schulen 20448 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) besser auszustatten – Bund und Land Hand in Hand. Am einfachsten wäre es, die Schulen könnten Leistungen aus dem Bildungspaket selbst anbieten. Nachhilfe, Sport- und Freizeitangebote gehören an die Schulen. Und auch für das Mittagessen an Schulen und Kitas müssen einfa- chere Lösungen gefunden werden. Dafür brauchen Schulen und Kitas das nötige Geld. Und das muss vom Bund und von den Ländern gemeinsam kommen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha- ben durchgesetzt, dass nicht nur Kinder aus Hartz-IV-Fa- milien an Klassenfahrten, Nachhilfe und Schulessen teil- nehmen können und Lernmaterial erhalten. Auch einkommensschwache Familien können das Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch nehmen. Das betrifft rund 500 000 Kinder zusätzlich. Leider klafft trotzdem noch eine Lücke. Wir haben es bis heute nicht geschafft, dass auch die ärmsten Kinder in Deutschland diese wich- tigen Leistungen beanspruchen können. Ich spreche von 40 000 Flüchtlingskindern. Sie sind auf die Großzügig- keit der Städte und Gemeinden angewiesen, in denen sie bei uns leben. Einen Rechtsanspruch haben sie nicht. Wir wollten diese Gerechtigkeitslücke schließen und hatten deshalb unsere Forderungen in einem Antrag auf- geschrieben. Leider wurden sie von CDU/CSU und FDP mit deren Mehrheit abgelehnt. Es hat sehr weh getan, in der Minderheit zu sein und den Kindern nicht helfen zu können. Gerade sie brauchen unsere Unterstützung. Sie sind mit ihren Eltern aus ihrer Heimat und gewohnten Umgebung in ein für sie fremdes Land geflüchtet. Es wird erwartet, dass sie sich unseren Lebensgewohnhei- ten anpassen und unsere Sprache sprechen. Es wird aber versäumt, die Grundlagen dafür zu schaffen. Das ist ein schwerer Fehler, den die schwarz-gelbe Bundesregie- rung und Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, zu verantworten haben! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, das Bil- dungspaket ist ein richtiger Schritt in die richtige Rich- tung. Es sind aber noch Verbesserungen nötig. Da stim- men wir mit Ihnen überein. Wir wollen, dass die Leistungen bei den Kindern ankommen, und wir wollen bessere Wege, wie dies ohne viel Bürokratie umgesetzt werden kann. Dies muss gemeinsam mit den Bundeslän- dern und mit den Städten und Gemeinden passieren. Diese lassen Sie in Ihrem Antrag jedoch außen vor. So- mit fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept. Das brauchen wir aber, und deshalb werden wir uns enthalten. Ganz wichtig ist: Das Bildungspaket muss schnells- tens ausgewertet werden. Wie viele Kinder nehmen es in Anspruch? Welche Leistungen werden abgefragt? Das zu wissen, ist notwendig, um bei Fehlentwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können. Es geht um gerechte Chancen für Kinder. Und wie verhält sich die Bundes- kanzlerin in dieser Angelegenheit? Sie hat angekündigt, das Bildungspaket frühestens in zwei Jahres auf den Prüfstand zu stellen. Das ist eindeutig zu spät. So lange dürfen unseren Kindern Bildungschancen nicht vorent- halten werden. Aber das passiert, solange nur jedes zweite Kind die Leistungen, die ihm zustehen, auch tat- sächlich bekommt. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Mitte Dezember haben wir den Antrag der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen zum ersten Mal beraten. Zu diesem Zeitpunkt existierten die gesetzlichen Regelungen zur Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche gerade neun Monate, und es war gut, zum Jahresende schon einmal einen Blick zurückzuwerfen. Der Antrag, der sich eingehend mit der Einführung und der Umsetzung des Bildungspakets befasst, bot dazu Ge- legenheit. Heute können wir nun auf ein Jahr zurückbli- cken, und wir müssen leider eine nüchterne Bilanz zie- hen: Ein Jahr Bildungs- und Teilhabepaket heißt, ein Jahr ungenügende Aufklärung und Information über die neuen Leistungen für bedürftige Kinder und eine unbe- friedigende Umsetzung in der Praxis. Ich habe mich diesbezüglich nicht nur bei den Land- kreisen in meinem Wahlkreis erkundigt, sondern auch bei etlichen anderen. Eines ist dabei sehr deutlich gewor- den: Die Umsetzung des Bildungspakets erfolgt – ein Jahr nach seinem Start – immer noch äußerst schlep- pend, und das hat seine Ursachen. Bürokratische Hürden bei der Antragstellung schrecken viele Leistungsberech- tigte ab. Sie verzichten also auf Leistungen, die sie bean- spruchen könnten. Die Leidtragenden sind dabei die Kinder und Jugendlichen. Der Verwaltungsaufwand bei der Abwicklung steht in keinem Verhältnis zu den mög- lichen Leistungen. Er ist viel zu hoch. Die Leistungen hingegen sind zu gering. Das schlechte Kosten-Nutzen- Verhältnis ist alarmierend. Das dürfen die Sozialministe- rin und die sie tragenden Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP nicht ignorieren. Wenn ich an die von Ministerin von der Leyen gebets- mühlenartig vorgetragene Zielsetzung denke, sie wolle dafür sorgen, dass die Leistungen des Bildungspakets auch wirklich bei den Kindern ankommen, kann ich nur sagen: Ziel eindeutig verfehlt. Denn das ist leider die bittere Wahrheit: Von den 2,5 Millionen Kindern und Ju- gendlichen, die einen Anspruch auf Leistungen haben, kommt aktuell nicht einmal jedes zweite Kind in deren Genuss. Das ist blamabel. Ein solches Ergebnis kann uns nach einem Jahr nicht zufriedenstellen. Zum Jahrestag der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets hat jetzt der DGB neue Zahlen veröffent- licht. Sie bestätigen leider unsere Befürchtungen. Nach den Berechnungen des DGB sind von den im SGB-II- Bereich eingeplanten 626 Millionen Euro gerade einmal rund 130 Millionen im Jahr 2011 ausgegeben worden. Das ist lediglich ein Fünftel. Auch wenn diese Zahlen noch unvollständig sind, weil weder die Ausgaben der Optionskommunen noch die Auszahlungen für Kinder, deren Eltern Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen, eingerechnet werden konnten, so sind sie doch ein ein- deutiges Warnsignal, dass hier etwas falsch läuft. Vieles ist in den letzten Wochen schon dazu gesagt worden, dass die 10 Euro für die Teilhabe zum Beispiel am Musikunterricht oder an Sportvereinsaktivitäten viel zu gering sind. In meiner Rede im Dezember hatte ich schon darauf hingewiesen, dass echte Teilhabe nur er- reicht wird, wenn auch die Kosten für die notwendige Ausstattung der jeweiligen Angebote berücksichtigt werden. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Wen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20449 (A) (C) (D)(B) wundert es also, dass diese Leistungen des Pakets kaum in Anspruch genommen werden? Der Ausgabenanteil hierfür liegt bei nicht einmal 5 Prozent. Ich möchte auf eines ganz besonders hinweisen: Das Bildungspaket wird seinem Namen nicht gerecht, wenn ausgerechnet der Weg zur Nachhilfe bzw. Lernförderung derartig erschwert wird, wie es mit dem schulischen Nachweis der Versetzungsgefährdung der Fall ist. Hier tun sich die Schulen schwer, die Eltern ebenfalls. Denn ein solches Versagersiegel – wie es eine Zeitung zutref- fend ausgedrückt hat – kann dem Kind lange anhängen. Häufig lässt sich außerdem zu dem Zeitpunkt, in dem die Nachhilfe sinnvollerweise einsetzen sollte, noch gar keine Versetzungsgefährdung bestimmen. Die Zurück- haltung der Lehrer erstaunt mich deshalb nicht. Ist die Versetzung tatsächlich in Gefahr und kann bescheinigt werden, ist es in der Regel für Nachhilfeunterricht schon zu spät. Dass der Anteil der Ausgaben für die Lernförderung beim Bildungspaket 2011 lediglich bei 2 Prozent liegt, empfinde ich als Skandal. Hier muss die Regierung drin- gend nachjustieren; sonst geht der Teil des Bildungs- pakets komplett ins Leere. Auch die inzwischen vorliegenden Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Umset- zung des Bildungs- und Teilhabepakets haben gezeigt, dass Schwarz-Gelb über keine konkreten Erkenntnisse verfügt, ob und wie das Paket wirkt. Und was noch schlimmer ist: Es scheint die Bundesregierung auch gar nicht weiter zu kümmern. Nicht anders verstehe ich ihren wiederholten Verweis auf die Länder und Kommu- nen bei den Antworten auf unsere 111 Fragen. Dabei finde ich die Ahnungslosigkeit der Bundesregierung wirklich erschreckend. Denn es geht doch um die Ver- wendung von Bundesmitteln – immerhin 1,3 Milliarden Euro. Wir fordern die Bundesregierung auf, schnellstmög- lich für eine umfassende Evaluation des Bildungs- und Teilhabepakets zu sorgen. Es muss endlich eine Auswer- tung und Kontrolle darüber erfolgen, welche Leistungen in welchem Umfang abgerufen werden. Richtig ist, dass wir uns dafür eingesetzt haben, dass die Umsetzung des Pakets über die Städte und Kommunen erfolgt. Das war ein Ergebnis des Vermittlungsverfahrens, und dazu ste- hen wir auch noch heute. Deshalb enthalten wir uns auch zum vorliegenden Antrag. Aber – und das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt – das darf doch nicht zur Folge haben, dass man die Städte und Kommunen im Regen stehen lässt und sie nicht bei der Umsetzung be- gleitet. Meine Fraktion und ich haben erwartet, dass die Bundesregierung hier die Rahmenbedingungen schafft, um ein effizientes, unbürokratisches Verfahren sicherzu- stellen. Das ist das Mindeste, wenn die Bildungs- und Teilhabeleistungen zu 100 Prozent durch den Bund fi- nanziert werden. Hier fehlt es aber an sachgerechten Vorgaben der Bundesregierung, und das Ergebnis sehen wir nun: Es gibt keine einheitliche Verwaltungspraxis. Trotz vieler Bemühungen in den Städten und Kommu- nen kommen die Leistungen bundesweit bei einem Großteil der bedürftigen Kinder nicht an. Ich lobe ausdrücklich, dass es vereinzelt zur Entbüro- kratisierung bereits Bestrebungen gegeben hat, durch Globalanträge das Antragsverfahren zu vereinfachen und damit eine schnellere Bearbeitung zu gewährleisten. Das sind erste richtige Schritte, damit das Paket ange- nommen wird. Aber diese Initiative ist nicht von der So- zialministerin gestartet worden, sondern von einigen Kreisen. An einer bundesweit einheitlichen Verbesserung fehlt es unverändert, und das ist es, was zu Recht die Kolle- ginnen und Kollegen von den Grünen und auch wir kriti- sieren. Hier muss die Bundesregierung endlich das Zep- ter in die Hand nehmen und sich nicht nur bei Runden Tischen inspirieren lassen. Frau von der Leyen, Sie lassen die Kommunen im Stich. Das ist unverantwortlich. Wir werden das spätes- tens 2013 ändern. Pascal Kober (FDP): Am morgigen Freitag ist das Bildungs- und Teilhabepaket ein Jahr in Kraft. Aus die- sem Anlass wird es am morgigen Freitag ein Treffen von Bundesarbeitsministerin von der Leyen mit den kommu- nalen Spitzenverbänden geben. Dabei werden auch die aktuellen Zahlen der Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepakets veröffentlicht. Ich kenne die ge- nauen Zahlen noch nicht, aber ich bin mir sehr sicher, dass wir einen weiteren deutlichen Zuwachs bei der In- anspruchnahme werden verzeichnen können. Von Juni 2011 bis November 2011 war die Inanspruchnahme durchschnittlich schon von 26 auf 45 Prozent gestiegen. Wir können daran erkennen, dass die Tendenz in die richtige Richtung geht. Ich möchte noch einmal daran erinnern, wie wir zu der jetzigen Rechtslage gekommen sind. Bei der Einfüh- rung des Systems des Arbeitslosengeldes II unter der rot- grünen Regierung Schröder wurden die Regelsätze der Kinder von ALG-II-Bezugsberechtigten als pauschaler Abschlag der Regelsätze für Erwachsene bestimmt. Daher fehlten in den Regelsätzen für Kinder und Jugend- liche spezifische Posten wie zum Beispiel alle Leistun- gen zur Bildung und Teilhabe. Diese rot-grüne Gesetz- gebung wurde vom Bundesverfassungsgericht am 9. Februar als verfassungswidrig beurteilt. Daraufhin hat die christlich-liberale Koalition unter Federführung von Frau Ministerin von der Leyen einen Vorschlag erarbei- tet, wie die Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendlich erbracht werden sollen. Wir hatten uns, mit Zustimmung der Sozialverbände, darauf festgelegt, dass mit Ausnahme des Schulstarterpakets, womit es gute Erfahrungen gab, die übrigen Leistungen als Sach- leistungen und nicht als Geldleistungen erbracht werden. Zudem hatte diese Koalition vor dem Vermittlungsver- fahren beschlossen, dass die Leistungen für Bildung und Teilhabe einheitlich über die Jobcenter administriert werden sollen. Nachdem der Bundesrat unserem Gesetz nicht zugestimmt hatte, haben SPD und Grüne im Ver- mittlungsverfahren darauf gedrungen, dass diese Leis- tungen von den Kommunen erbracht werden sollen. Es hätte ihnen schon damals klar sein müssen, dass dies zu einer sehr unterschiedlichen Umsetzung des Bil- 20450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) dungspakets vor Ort führt. Die Kommunen waren unter- schiedlich gut auf diese neue Aufgabe vorbereitet, auch wenn die Kommunen sie selbst wollten. So kam es man- cherorts zu Anlaufschwierigkeiten. Und auch heute wird das Bildungs- und Teilhabepaket von jeder einzelnen Kommune unterschiedlich administriert. Manchmal machen es die Jobcenter alleine, manchmal die Jobcen- ter zusammen mit den Sozialämtern oder den Jugend- ämtern. Das war ihr Wunsch, dem wir im Vermittlungs- verfahren nachgekommen sind. Sie müssen jetzt aber auch zu den Konsequenzen stehen und dürfen nicht die Vaterschaft für diese Idee verweigern. Ich hatte sie Ihnen ja schon bei der ersten Lesung zitiert, möchte Ihnen aber die Passage gerne noch einmal in Erinnerung rufen. Sie stammt aus einem einstimmigen Beschluss des Parteirats von Bündnis 90/ Die Grünen vom 21. Februar 2011: „Gleichwohl haben wir in den langen Verhandlungen bis zum gestrigen Abend wichtige Änderungen erreicht: Das Bildungs- und Teilhabepaket wird von den Kommunen organisiert und nicht von den Jobcentern, wie sich dies die Arbeits- ministerin vorstellte. Hier haben wir überbordende Bürokratie verhindert. … Und die Kommunen haben eine hohe Gestaltungsmöglichkeit bei der konkreten Umsetzung der Leistungen vor Ort.“ Hier bekennen Sie sich doch klar zur Vaterschaft. Sie haben das zu verant- worten, was sie hier kritisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass Sie, wenn Sie hier das Bildungs- und Teilhabepaket schlechtmachen und statt- dessen den Ausbau von Ganztagesbetreuung und Ganz- tagesschulen fordern, zu sagen, dass dies nicht der Auf- trag des Bundesverfassungsgerichts war. Sie benennen hier die falsche Alternative. Sie heißt nicht Bildungs- paket oder Ganztagesbetreuung. Die Alternative zum Bildungspaket wäre die pauschale Auszahlung des Geldbetrags an die Eltern der Kinder und Jugendlichen. Nur so könnte man den Auftrag des Bundesverfassungs- gerichts in anderer Weise erfüllen. Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie sich aber auch dazu bekennen und dies sagen. Wir verschließen die Augen nicht vor den anfäng- lichen Schwierigkeiten des Bildungs- und Teilhabe- pakets und unterstützen die Länder und Kommunen durch Beratung und Moderation an unserem Runden Tisch, diese Schwierigkeiten abzustellen. Ich bin mir sicher, dass das Bildungspaket mit zunehmender Zeit immer erfolgreicher wird, und in einigen Jahren werden die Grünen dann verkünden, dass sie es ja waren, die es genauso haben wollten. Diana Golze (DIE LINKE): Uneingeschränkter Zu- gang zu Bildung und gleichberechtigter Teilhabe an Bil- dungsangeboten, aber auch an kulturellem und gesell- schaftlichem Leben sind grundlegende Rechte eines jeden Kindes. Sie gehören zu dem, was ein Kind für eine bestmögliche Entwicklung, ein bestmögliches Aufwach- sen braucht. Das Bundesverfassungsgericht hat dies eindeutig festgestellt und der Bundesregierung die Zu- ständigkeit für den Zugang zu Bildungsangeboten zuge- wiesen. Statt diesen Auftrag eins zu eins umzusetzen, schuf die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen den unerträglichen Mythos von den Eltern im Hartz-IV- Bezug, die ihr Geld für alles Mögliche und Unmögliche ausgeben – nur eben nicht für ihre Kinder. Der Satz „Das Geld muss auch bei den Kindern ankommen“ wurde zum Leitsatz für das, was wir heute als Bildungs- und Teilhabepaket kennen. Ein Jahr nach Einführung dieses Paketes kann man nur versuchen, eine Bilanz zu ziehen. Die Erhebung bun- deseinheitlicher Daten ist nur schwer möglich, weil eine solche nicht im Bundesgesetz geregelt wurde. Und dies ist nur einer der vielen Mängel. Das Bildungs- und Teil- habepaket entpuppt sich vor allem als Bürokratiemons- ter, das sich durch viel zu hohe Verwaltungskosten und ein Zerfasern von Leistungsangeboten auszeichnet. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Nur bei rund der Hälfte der Anspruchsberechtigten kommt zumindest eine Leistung an aus dem sogenannten Paket. Grund für die geringe Antragsquote sind vor allem viel zu geringe Informationen über das Paket, die hohen bürokratischen Hürden und ein unübersichtliches Antragsverfahren, das zudem mit dem Lebensalltag der Familien wenig zu tun hat, vor allem aber weil es nicht dem entspricht, was ein Kind wirklich braucht. Allein in meinem Heimatland- kreis, dem Havelland, sind von 103 Anträgen auf Lern- förderung 63 Prozent abgelehnt worden, weil das Errei- chen des festgelegten wesentlichen Schulziels nicht gefährdet war. Es ist aus unserer Sicht purer Zynismus, wenn Kindern in einem Jobcenter gesagt wird, dass es erst dann Anspruch auf Lernförderung hat, wenn es das Klassenziel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. Es geht bei der Leistung eben nur um die Verhinderung des Wiederholens, nicht aber um die Chance auf eine bessere Durchschnittsnote. Anträge für den Bereich soziales und kulturelles Le- ben wurden abgelehnt, weil Leistungen angegeben wur- den, die das Bildungs- und Teilhabepaket nicht vorsieht. Frau von der Leyen hat sich in der Presse hoch und run- ter zitieren lassen, dass ihr Paket Kindern die Teilhabe an Freizeit- und Kulturangeboten bieten soll. Was in die- sen Interviews nicht gesagt wurde, ist, dass sie den Kin- dern und ihren Familien in einem Katalog vorgibt, was abrechenbare Freizeit- und Kulturangebote sind. Die Entscheidung von Kindern und Eltern über die Gestal- tung von Teilhabe an Bildung und gesellschaftlichem Leben derart zu reglementieren, ist nicht nur aus unserer Sicht verfassungsrechtlich fragwürdig. So urteilt zum Beispiel Professor Johannes Münder: „Wenn die 10 Euro Teilhabepauschale mit verhaltensregulierenden Bedin- gungen verknüpft werden, so liegt hier mit einer Regulie- rung der ,Lebensführungsweise‘ ein Eingriff in das Per- sönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG vor.“ Mit dieser Bevormundung von Betroffenen muss endlich Schluss sein. Was das Paket also nicht erreicht hat, ist sein originä- res Ziel: die Behebung überdeutlich gewordener Defizite bei Bildung und sozialer Teilhabe von Kindern. Wie auch? Wenn die Sicherung von Teilhabe an Bildung zwar endlich als Teil der Existenzsicherung angesehen wird, dies aber natürlich keine weiteren Kosten verur- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20451 (A) (C) (D)(B) sachen darf, kann nur das herauskommen, was die zu- ständigen Politikerinnen und Politiker bereit waren hineinzupacken. Bestehende Leistungen wie das Schul- bedarfspaket oder die Gewährung von Zuschüssen für Klassenfahrten bekamen ein neues Etikett, ohne dass sich an den Leistungen selbst viel geändert hat. Darum sagt die Linke: Nur ein Nachbessern macht das Bil- dungs- und Teilhabepaket nicht besser. Im Kampf gegen Kinderarmut braucht es Konzepte, die wirksam gegen Ausgrenzung und Benachteiligung wirken. Der DGB bescheinigt Frau von der Leyen zumindest noch, dass das Bildungs- und Teilhabepaket sicher gut gemeint ist. Gut gemeint reicht aber nicht, um ein Bun- desverfassungsgerichtsurteil umzusetzen. Wir brauchen endlich einen Kinderregelsatz, der die Bedarfe von Kin- dern widerspiegelt und in jeder Hinsicht existenzsi- chernd ist. Mittelfristig sollten die Kinder komplett raus aus dem SGB II, denn sie sind keine kleinen Langzeiter- werbslosen. Eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen wäre eine mögliche Al- ternative. Solange Bildung und Teilhabe nicht für alle Kinder gesichert sind, gilt ein Satz von Kurt Tucholsky: „Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut ge- meint.“ Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Jahr nach Inkrafttreten des Bildungs- und Teilhabepakets ist klar: Diese Leistungen sind an Bürokratie kaum zu überbieten, und der verfassungsrechtlich garantierte Zugang zu Bildung und Teilhabe bleibt vielerorts auf der Strecke. Dies widerspricht den Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts, 1 BvL 1/09. Eine Umfrage des Deut- schen Städtetages bei den kreisfreien Städten, Stand 15. Oktober 2011, ergab, wie gering die Inanspruchnahme der BuT-Leistungen ist. So nehmen nur 27,4 Prozent aller SGB-II-anspruchsberechtigten Kinder Zuschüsse zum Mittagessen wahr, nur 19,4 Prozent Kosten für Schulaus- flüge und Klassenfahrten, 16 Prozent die Teilhabepau- schale, 8 Prozent die Schülerbeförderung und nur 5,3 Prozent Kosten für die Lernförderung. Ministerin von der Leyen spricht öffentlich von einer Inanspruch- nahme des BuT von über 40 Prozent der Kinder im SGB II. Eine Stichprobenumfrage der Deutschen Presse- Agentur bei Städten und Landkreisen soll den Eindruck erwecken, die Nachfrage nach dem Bildungspaket komme langsam in Schwung. So hätten mittlerweile deutlich mehr als 50 Prozent der antragsberechtigten Eltern ihre Kinder für die Angebote angemeldet. Magde- burg und der Landkreis Vorpommern-Rügen hätten gar eine Anmeldungsquote von etwa 85 und 80 Prozent. Ministerin von der Leyen wird auf ihre offizielle Bilan- zierung am morgigen Freitag mit Sicherheit weitere ver- meintliche Erfolgszahlen vorstellen. Es geht bei dieser Betrachtung unter, dass die so errechnete Antragsquote nur besagt, wie hoch die Zahl derer ist, die wenigstens einen Antrag auf eine einzige Leistung gestellt haben. Wenn beispielsweise alle anspruchsberechtigten Kinder Leistungen fürs Mittagessen beantragen würden, läge die Anspruchsquote bei 100 Prozent, auch wenn alle anderen Leistungen des Pakets überhaupt nicht in Anspruch genommen würden. In Berlin etwa bedeutet eine Anspruchsquote von über 60 Prozent, dass von den rund 200 000 anspruchs- berechtigten Kindern ganze 80 000 Kinder seit über einem Jahr nicht eine einzige Leistung des Bildungs- und Teilhabepakets in Anspruch genommen haben. Wie gering die bisherige Inanspruchnahme der Leistungen für Bildung und Teilhabe ist, zeigen Zahlen aus dem Ruhrgebiet. So wurden etwa für den gesamten Regional- verband Ruhr mit so großen Städten wie Essen, Dort- mund und Duisburg von den über 56 Millionen Euro zur Verfügung stehenden Mitteln nur 24 Prozent für Bil- dungs- und Teilhabeleistungen ausgegeben. Ganze 43 Millionen Euro sind noch übrig und werden nun vo- raussichtlich für das Stopfen kommunaler Haushalts- löcher verwandt. Auch in anderen Regionen des Bundes- gebietes zeichnet sich ein solches Bild, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund für 80 Prozent der Jobcenter unter Berücksichtigung von Daten der Bundesagentur für Arbeit berechnet hat. Die geringe Inanspruchnahme ist insbesondere auf ein aufwendiges Antragsverfahren mit einer Fülle von Arbeitshilfen, Anträgen, Zusatzfragebögen, Nachwei- sen, Verträgen und Bescheiden zurückzuführen. Dies führt zu einem enormen Missverhältnis zwischen Auf- wand und Ertrag. Allein die Verwaltung des Bildungs- und Teilhabepakets verschlingt rund 30 Prozent der ein- gesetzten Mittel. Wohl keine andere Sozialleistung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist so büro- kratisch. Etliche Widersprüche und Verfahren aufgrund unbestimmter Rechtsbegriffe belasten außerdem die Sozialgerichte und frustrieren Antragsteller, Schulen, Vereine sowie Behördenmitarbeiter gleichermaßen. Leistungen wie das Mittagessen oder die Teilhabepau- schale werden sogar nur dann gewährt, wenn ein ent- sprechendes Angebot vor Ort vorhanden ist. Auch die drei Runden Tische, die mittlerweile stattge- funden haben, konnten an der Problematik nichts ändern. Bei solchen Zahlen muss man sich grundsätzliche Fra- gen stellen und schauen, wie Bildung und Teilhabe wirk- lich bei den Kindern ankommen können. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem wir konkrete Vorschläge machen. Um den individuellen Rechtsanspruch zu gewährleisten, müssen die einzelnen Leistungen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets realitätsge- recht ermittelt und finanziell bedarfsdeckend ausgestat- tet werden. Ein Teil der Leistungen wie die Lernförde- rung, das Mittagessen oder teilweise auch die kulturelle Teilhabe lassen sich am effektivsten in den Bildungs- und Teilhabeeinrichtungen verwirklichen. Solange jedoch die bundesweite Infrastruktur fehlt, gilt es, zumindest die Leistungen der Schülerbeförderung, des Schulbasispakets und der sogenannten Teilhabepau- schale in den monatlichen Regelsatz für Kinder zu über- führen. Die Kinderregelleistungen müssen darüber hinaus den Vorgaben des Bundesverfasssungsgerichts entsprechend ermittelt werden. 20452 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Das sind konkrete Vorschläge, die es umzusetzen gilt. Dass es hier grundlegender Veränderungen bedarf, haben auch die Gewerkschaften und Wohlfahrtsver- bände erkannt. So kritisiert etwa der DGB das schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis des Bildungs- und Teilhabe- pakets und fordert, die Angst der Bundesregierung vor höheren Regelsätzen nicht gegen Bildungsleistungen auszuspielen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht das Paket zu Recht von Anfang an als gescheitert an. Die Diakonie hat in einer Umfrage von über 70 diakonischen Beratungsstellen herausgefunden, dass die Umsetzung des Rechts auf die Gewährleistung des Existenzmini- mums nicht gut gelingt, und schlägt vor, die Leistungen auf Antrag weigehend mit dem Regelsatz auszubezah- len. Lassen Sie mich noch auf einen Punkt kommen, den Herr Pascal Kober, FDP, in der ersten Lesung unseres Antrages im Dezember 2011 ansprach. Dort behauptete er, Erfolg und Misserfolg des BuT würden letztlich von der Umsetzung vor Ort abhängen. Als Beispiel nannte er seinen Wahlkreis Reutlingen, in dem „eine bisherige Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepakets von sage und schreibe 85,8 Prozent“ zu verzeichnen sei. Weiter sagte Kober: „Außerordentlich gut gearbeitet, kann ich die Menschen vor Ort, bei uns in Reutlingen, nur beglückwünschen. Von diesen Best-Practice-Bei- spielen müssen andere Kommunen – Sie haben einige angeführt, Herr Kurth, die anscheinend in Ihrem Umfeld sind – lernen. Ich lade Sie, aber auch Ihre Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen gerne einmal nach Reutlingen ein. Sie können dann mit den Verantwortlichen vor Ort sprechen und von diesen guten Beispielen lernen.“ Meine Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke veran- staltete am Montag, den 30. Januar 2012, eine Veranstal- tung zur Umsetzung des BuT im Landkreis Reutlingen. Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Lob gab es für das Reutlinger Gutscheinheft sowie für die nach Anlaufschwierigkeiten doch wohl gelungene Umsetzung vor Ort. Kritisiert wurde, dass viele Sportvereine die Gutscheine noch nicht akzeptierten, dass die Leistungen bei vielen Migrantinnen und Migranten noch nicht ankä- men sowie die Ausbaufähigkeit der Lernförderung. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege forderte zudem verläss- liche Ansprechpartner und eine zentrale Stelle. Der Auf- wand für die Lernförderung sei groß, bei einigen Gym- nasiasten führe das BuT zu Mobbing. Unsere Hauptkritikpunkte wurden indes nur teilweise aufgegrif- fen: Das BuT ist mit einem immens hohen Verwaltungs- aufwand verbunden, viele Kinder und Jugendliche kön- nen aus strukturellen Gründen gar nicht in den Genuss der Leistung kommen. So gibt etwa der Kreissozial- dezernent Andreas Bauer zu bedenken, dass von allen 4 000 Kindern und Jugendlichen im SGB II im Land- kreis Reutlingen nur die Hälfte in Kindergärten und Schulen gehe. Die andere Hälfte habe – abgesehen von der Teilhabepauschale – überhaupt keine Möglichkeit, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen! Auch das ist ein wichtiger Punkt, denkt man an das grundgesetzliche Recht auf Bildung und Teilhabe aller Kinder und Ju- gendlicher, unabhängig davon, ob sie in der Schule oder in der Kita sind. Die von Pascal Kober genannten 85,5 Prozent sind of- fensichtlich der Presse entnommen und beziehen sich auf die Zahl der Anträge im Verhältnis zu den Antrags- berechtigten. Sie als Beleg für eine hohe Inanspruch- nahme zu verwenden, ist aber grundfalsch. Denn für jedes antragsberechtigte Kind können bis zu sechs Anträge gestellt werden. Die Zahlen, Stand 10. Januar 2012, ergeben eine Inanspruchnahme in Reutlingen von 54,4 Prozent, die zwar immer noch über, aber nicht dop- pelt so hoch ist wie der Bundesdurchschnitt von 40 Pro- zent. Es ist allerdings nochmals darauf hinzuweisen, dass die 54,4 Prozent nur besagen, wie viele der nach SGB II bzw. SGB XII und dem Asylbewerberleistungs- gesetz kinderzuschlags- und wohngeldberechtigten Kin- der wenigstens einen Antrag auf eine der sechs Leistun- gen des BuT gestellt haben. Im Landkreis Reutlingen gibt es insgesamt 6 122 anspruchsberechtigte Kinder und Jugendliche, SGB II/SGB XII, Kinderzuschlag, Wohn- geld und AsylbLG. All diese Kinder haben theoretisch Anspruch auf alle sechs Leistungen des BuT. Das heißt, es könnten theoretisch 36 732 Anträge gestellt werden. Von diesen 36 732 theoretisch möglichen Anträgen wur- den im Landkreis Reutlingen exakt 6 174 Anträge zu allen sechs möglichen Leistungen gestellt. Die wahre Inanspruchnahme des BuT liegt somit bei 16,8 Prozent. Für die einzelnen Leistungen ergeben sich folgende Inanspruchnahmen im Landkreis: Ausflüge/Klassenfahr- ten – 10,1 Prozent, Schulbedarf – 44,3 Prozent, Schüler- beförderung – 2,5 Prozent, Lernförderung – 2,3 Prozent, Mittagessen – 20,5 Prozent, Teilhabeleistungen – 21,1 Prozent. Es ist also eben nicht so, wie Pascal Kober behauptete. Eine Kommune kann das BuT noch so gut umsetzen, das Bildungs- und Teilhabepaket schließt viele Kinder und Jugendliche strukturell aus und verhin- dert einen grundgesetzlich garantierten Anspruch auf Bildung und Teilhabe. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zen- tralrat der Juden in Deutschland – Körper- schaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Vertrages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zen- tralrat der Juden in Deutschland – Körper- schaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geändert durch den Vertrag vom 3. März 2008 (Tages- ordnungspunkt 17) Beatrix Philipp (CDU/CSU): Charlotte Knobloch, damals noch Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, schrieb 2007 in einem Leitartikel in politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates – ich zitiere – : „Judentum – das ist ein Balanceakt zwischen Kultur und Religion, Geschichte und Tradition des jüdi- schen Volkes, das – bis auf in Israel – in der Diaspora als Minderheit rund um den Globus lebt.“ Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20453 (A) (C) (D)(B) Ich stelle dieses Zitat bewusst an den Anfang meiner Rede, weil jüdisches Leben in Deutschland von der Be- deutung her mehr ist als die exakte Anzahl der Gemein- demitglieder der tatsächlich in Deutschland lebenden Ju- den. Es ist die Verankerung des jüdischen Lebens im öffentlichen Alltag, es ist dessen Wahrnehmung in der gesamten Bevölkerung, und das geschieht in den unter- schiedlichen Regionen mit unterschiedlicher Intensität. Bis heute überschattet der Holocaust das jüdische Le- ben in Deutschland, und kaum jemand, schon gar nicht die jüngere Generation, weiß, wie prägend jüdisches Le- ben bis 1933 war, prägend für die kulturelle, wissen- schaftliche, politische und auch wirtschaftliche Vielfalt des Lebens in Deutschland. So waren unter anderem jü- dische Gottesdienste fester Bestandteil von nationalen Feiertagen im deutschen Reich. Der dann 1933 – zwangsweise – gegründeten Reichsvertretung der Deut- schen Juden gehörten über 500 000 deutsche Juden an. Zum Zeitpunkt der Konstituierung des Zentralrats der Juden in Deutschland am 19. Juli 1950 – also nur 17 Jahre später, aber was für Jahre, in Frankfurt am Main lebten 15 000 Juden in Deutschland. Ein Anknüpfen an die religiöse Vielfalt der Vorkriegszeit war angesichts dieser geringen Zahl der Mitglieder kaum mehr möglich. Und doch entwickelte es sich wieder. Der Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereini- gung 1990 haben die Anziehungskraft Deutschlands auch und besonders bei den bisher in Osteuropa leben- den Juden mehr als deutlich werden lassen. Und somit bildete die Zuwanderung von Juden gerade aus der ehe- maligen Sowjetunion, den sogenannten GUS-Staaten, ei- nen neuen Aufschwung und eine erhebliche Stärkung der jüdischen Gemeinden. Seit 1990 hat sich daher die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland mehr als verdreifacht. Damit einher ging eine deutliche Belebung der Gemeinden, der religiösen Aktivitäten und nicht zuletzt auch unseres Alltages. Heute leben fast 110 000 Juden in über 100 stetig wachsenden Gemeinden. 70 Jahre nach dem mörde- rischen Beschluss der Wannsee-Konferenz ist das jüdi- sche Leben wieder Teil des deutschen Alltags – ein wichtiger Teil deutscher Kultur, und das sollte uns posi- tiv stimmen. Aber der rasante Anstieg der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft brachte auch neue Herausforderungen mit sich und zweifellos auch Probleme. Wer in den Kommu- nen Kontakte zur jüdischen Gemeinde pflegt, weiß, wie groß die Anforderungen an Integrationsleistungen sind, wie viel Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche not- wendig ist, welche besonderen Probleme bei den Betag- ten zu lösen sind und wie Vermittlung, Praktizierung und Kenntnis religiösen Wissens große Anforderungen an alle Beteiligten stellen. Wie gesagt, in den Jahren des Wiederaufbaus des Ge- meindelebens ist das jüdische Leben in Deutschland wieder bunt und vielschichtig geworden. Dieses Wachs- tum und diese kulturelle Vielfalt fordern die Bürgerinnen und Bürger der jüdischen Gemeinden täglich neu heraus. Und wer sich damit befasst – oder befasst ist – spürt, dass Judentum mehr ist als reine Religionszugehörigkeit; Judentum ist Philosophie und Kultur, und diese Kultur begleitet die jüdischen Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod. Sie ist Zusammenspiel von Sprache, Bil- dung, Musik und Religion. Bei seiner Gründung in den 50er-Jahren lag der Schwerpunkt der Arbeit des Zentralrats als Dachorgani- sation der jüdischen Gemeinden und Landesvertretungen in Deutschland auf der Beobachtung der Gesetzgebung zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Un- rechts. Erst mit der Zeit wandelten sich seine Aufgaben. Der Kampf gegen den Antisemitismus, die Unterstüt- zung der Annäherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel sowie die Förderung der Arbeit der Mitgliedsgemeinden und Landesverbände wurden zu wichtigen Aufgaben des Zentralrats. Aber der aktuelle Bericht der Bundesregierung von August 2011 zum Antisemitismus in Deutschland belegt, dass die ursprüngliche Hauptaufgabe des Zentralrats im Kampf gegen Antisemitismus noch längst nicht getan ist. Gemäß dem oben genannten Bericht ist der Antisemitis- mus in Deutschland zum Teil wieder deutlich spürbar. Antisemitische und antiisraelische Organisationen ver- suchen, Einfluss auf das öffentliche Meinungsbild zu nehmen und zu emotionalisieren. Wir müssen uns leider in diesem Hause mit unvorstellbaren Vorgängen – in ver- schiedensten Teilen der Welt, nicht nur in Frankreich und Syrien als Beispiel, aber eben auch bei uns – befas- sen. Nicht zuletzt mit den neuen Herausforderungen an die Integration der zugewanderten jüdischen Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion nahm der Zentralrat auch die satzungsgemäße Aufgabe – nämlich die Förderung und Pflege religiöser, kultureller und sozialer Aufgaben der jüdischen Gemeinde – wahr, zum einen durch die Schaffung eines Angebotes an Sprachkursen in den Ge- meinden, zum anderen durch die Heranführung der Menschen an ihre jüdischen Wurzeln und ihren jüdi- schen Glauben, den sie in ihren Heimatländern jahrzehn- telang nicht leben konnten bzw. durften. Mithilfe von ge- schultem Personal und Rabbinern wurden wieder jüdische Riten und Gebräuche sowie jüdisches Wissen vermittelt. So konnten neue jüdische Gemeinden entste- hen, jüdische Gotteshäuser wieder ihre Türen öffnen und junge Rabbiner ihre Arbeit in den Gemeinden aufneh- men. Über Kunst, Kultur und Sprache wird Identität ge- schaffen, auch wenn das immer noch von manchen be- stritten wird. Kunst, Kultur und Sprache werden zu ei- nem kulturellen und geistigen Brückenschlag beitragen können. Kulturelle Vielfalt erfordert zuerst aber die Aus- einandersetzung mit der eigenen Kultur. Viele Probleme mit anderen haben ihren Grund in mangelnder Kenntnis bzw. unzureichendem Verständnis füreinander. Deshalb hat die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen zur Voraussetzung, die eigene, aber auch die fremde Kultur zu kennen oder zumindest auf beide gleichermaßen neu- gierig zu sein. Mit der Aufgabe, den Weg in die jüdische Gemeinschaft zu ebnen, Vorbehalte abzubauen und die sprichwörtliche Gastfreundschaft zu pflegen, sind die Gemeinden mehr denn je gefordert. 20454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Wie fassungslos machen uns vor diesem Hintergrund die jüngsten Morde in Frankreich, wie beschämend sind in meiner Heimatstadt Düsseldorf die sich als notwendig erweisenden Sicherheitsvorkehrungen im Bereich der Synagoge; fast jeder kennt solche Beispiele aus seiner Umgebung. Die in der vergangenen Zeit errichteten jüdisch-theo- logischen Fakultäten, wie zum Beispiel das Abraham- Geiger-Kolleg in Potsdam, unterstützen den Ausbau des jüdischen Lebens in der heutigen Gesellschaft. Begleitet von aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen stellte aber auch dies den Zentralrat der Juden in Deutschland vor neue Aufgaben. Umso bedeutender war die Unterzeich- nung des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutsch- land am 27. Januar 2003. Erstmalig existierte damit ein Dokument, in dem sich der deutsche Staat hinter die in Deutschland lebenden Juden stellte und seine Unterstüt- zung auf sozialem, kulturellem sowie integrationspoli- tischem Gebiet zusagte. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU befürwortete bereits damals die Absicht der Bundesregierung, finan- ziell zur Erfüllung der überregionalen Aufgaben des Zentralrats der Juden verstärkt beizutragen. Dies galt insbesondere für dessen Erhalt und Pflege des deutsch- jüdischen Kulturerbes sowie den weiteren Ausbau der jüdischen Gemeinschaft, wie zum Beispiel in der weite- ren Unterstützung des Abraham-Geiger-Kollegs, der ers- ten jüdisch-theologischen Fakultät; ich erwähnte es bereits. Es muss uns ein besonderes Anliegen sein, die Ausbildung von Rabbinern und Kantoren zu unterstüt- zen und zu fördern. Auch hier zeigt sich die besondere historische Verantwortung für die Förderung des Wie- deraufbaus jüdischen Lebens in Deutschland sowie für die Festigung und Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft. Und aus der historisch-gesellschaftlichen Verpflichtung der Bundes- republik Deutschland gegenüber ihren jüdischen Gemeinden hat sie dem Wandel und den vermehrten Anforderungen auch finanziell Rechnung zu tragen. Die Bundesrepublik Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland haben daher am 30. November 2011 eine Leistungsanpassung von bisher 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro jährlich ab dem Haushalts- jahr 2012 vereinbart. Dieses Mehr an Unterstützung dient auch dem weiteren Ausbau, der Etablierung und Förderung der bereits erwähnten Fakultäten vonseiten der Bundesregierung; wir erachten die Erhöhung der jährlichen finanziellen Mittel daher für erforderlich, auch um vor Ort den gewachsenen Aufgaben entspre- chen zu können. Mit dem vorliegenden Gesetz wird dem Erfordernis der Zustimmung des Deutschen Bundestages bei einer Anpassung der Staatsleistungen nach Art. 7 des Vertra- ges Rechnung getragen. Mit der Zustimmung zur Ände- rung des Gesetzes wird die gesetzliche Grundlage für die Leistungsanpassung im Vertrag zwischen der Bundesre- publik Deutschland und dem Zentralrat der Juden ge- schaffen. Die Fülle der zusätzlichen Aufgaben des Zen- tralrats der Juden erfordert diese Leistungsanpassung. Wir bitten Sie daher heute um Zustimmung und hoffen auf eine breite, fraktionsübergreifende Mehrheit. Gabriele Fograscher (SPD): Die Bundesrepublik Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das jüdische Leben in Deutschland angesichts des Leids, das die jüdische Bevölkerung in den Jahren 1933 bis 1945 erdulden musste. Aus diesem Grunde haben die Bundes- republik Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland in einem Vertrag 2003 eine kontinuierliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. In dem Vertrag wurde festgeschrieben: „Die Bundes- regierung wird zu Erhaltung und Pflege des deutsch- jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft und zu den integrationspolitischen und sozialen Aufgaben des Zentralrats in Deutschland beitra- gen. Dazu wird sie den Zentralrat der Juden in Deutsch- land bei der Erfüllung seiner überregionalen Aufgaben sowie den Kosten seiner Verwaltung finanziell unterstüt- zen.“ Zu diesen Zwecken zahlte die Bundesrepublik Deutschland jährlich einen Betrag von 3 Millionen Euro an den Zentralrat der Juden. Dieser Vertag vom 27. Januar 2003 wurde 2008 ergänzt. Der Zentralrat der Juden erhielt ab dem Haus- haltsjahr 2008 jährlich eine Zuwendung von 5 Millionen Euro. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die jähr- liche Unterstützungsleistung der Bundesrepublik Deutschland an den Zentralrat der Juden auf 10 Millio- nen Euro ab dem Jahr 2012 erhöht werden. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf heißt es: „Vor dem Hintergrund neuer, vielfältiger Anforderungen an die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die zu einem wesentlichen Anstieg der Aufgaben des Zentralrats, ins- besondere im Bildungsbereich, geführt haben, haben sich die Vertragsparteien nach Art. 7 Satz 2 des Vertra- ges auf eine Anpassung der Staatsleistung verständigt.“ Zu den Aufgaben des Zentralrates der Juden zählen die Förderung und Pflege religiöser und kultureller Auf- gaben der jüdischen Gemeinden und die Vertretung der gemeinsamen politischen Interessen der jüdischen Gemeinschaft sowie der Aufbau neuer jüdischer Gemeinden vor allem in Ostdeutschland. Dabei konzen- triert sich der Zentralrat auf die Betreuung durch Berufs- bildungs- und Ausbildungsseminare, bietet Sprachkurse, politische Bildungsseminare, Religionsunterricht und integrationsfördernde Maßnahmen an. Bei der Rabbinerausbildung spielt das Abraham- Geiger-Kolleg in Potsdam eine entscheidende Rolle. Es ist die erste Ausbildungsstätte für liberale und konserva- tive Rabbiner in Europa seit der Schoah. Gegründet wurde das Abraham-Geiger-Kolleg 1999 und ist an die Universität Potsdam angegliedert. Unter der Mitträger- schaft des Zentralrates der Juden in Deutschland werden hier seit 2011 Rabbiner ausgebildet. Das Abraham- Geiger-Kolleg verdient weiterhin Unterstützung. Jüdisches Leben bereichert unsere Gesellschaft, und es gibt Grund zu großer Freude, dass es wieder so viele aktive jüdische Gemeinden in Deutschland gibt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20455 (A) (C) (D)(B) Im November 2008 hat der Deutsche Bundestag den Antrag „Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern“ über Fraktionsgrenzen hinweg mit großer Mehrheit verab- schiedet. Eine Forderung dieses Antrags war die Ein- richtung eines Expertengremiums aus Wissenschaftlern und Praktikern, das in regelmäßigen Abständen einen Bericht zum Antisemitismus in Deutschland erstellen und Empfehlungen zur Entwicklung sowie Weiterent- wicklung von Programmen zur Antisemitismusbekämp- fung formulieren soll. Inzwischen liegt der erste Bericht vor. Das Experten- gremium führt darin aus, dass Antisemitismus ein bedeutendes Bindeglied in der Ideologie des Rechtsex- tremismus ist. Auch vom Islamismus geht ein erheb- licher Antisemitismus aus. Beunruhigend hoch bleibt der Anteil von Vorurteilen und Ressentiments in der deutschen Bevölkerung. Dazu heißt es in dem Bericht des Expertengremiums: „Was die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevöl- kerung anbelangt, so geben die durch den Expertenkreis ausgewerteten demoskopischen Untersuchungen über- einstimmend eine Größenordnung von etwa 20 Prozent latentem Antisemitismus an.“ Diese tiefe Verwurzelung von Negativklischees über Juden und antisemitische Einstellungen in der deutschen Kultur und Gesellschaft müssen wir langfristig und mit nachhaltigen Maßnahmen ändern. Deshalb brauchen wir eine umfassende Abwehrstrategie, die Wissenschaft, Pädagogik und zivilgesellschaftliche Initiativen mit ein- bezieht. Wir benötigen eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema, die in enger Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organi- sationen erfolgen muss. Nur dann werden wir erreichen, dass jüdische Einrichtungen nicht mehr gefährdet sind und wie Hochsicherheitseinrichtungen bewacht werden müssen. Antisemitismus stellt nicht nur eine Gefahr für unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dar, sondern auch für die Werte unserer Demokratie. Deshalb sind wir alle gefordert, hier aktiv zu werden, Aufklärung zu betreiben und Vorurteile abzubauen. Dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmt die SPD- Bundestagsfraktion zu. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Welch ein Glück ist es, dass es nur wenige Jahrzehnte nach dem Holocaust wie- der jüdisches Leben in diesem Land gibt! Eine Ausstel- lung im Jüdischen Museum Frankfurt im Jahr 2010 hieß: „Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-russische Einwan- derung in die Bundesrepublik“. Die Veranstalter fingen etwas provokativ bei dieser legitimen Frage an: Wie war es bloß möglich, „ausgerechnet nach Deutschland als Jude/Jüdin“ zu kommen? Als Bilanz der Ausstellung stand die Frage, ob tatsächlich so etwas wie – zugespitzt gesagt – ein neues deutsches Judentum als Ergebnis der Einwanderung entstanden sei. Ich bin überzeugt, dass es unsere Verantwortung ist, jüdisches Leben in Deutsch- land zu fördern. Es ist bisher viel gemacht worden: Der am 27. Januar 2003, dem Gedenktag der Opfer des Na- tionalsozialismus, auf Initiative des Zentralrates geschlossene Vertrag, den wir heute zum zweiten Mal anpassen werden, ist ein Meilenstein dieser erfreulichen Entwicklung. Die finanzielle Zuwendung, die sogenannte Staats- leistung an den Zentralrat der Juden, resultiert nicht nur aus einer historischen Verantwortung. Vielmehr trägt sie dem Verantwortungsbewusstsein des deutschen Gesetz- gebers für jüdisches Leben in Deutschland Rechnung. In Deutschland bedeutet die Trennung von Religion und Staat keine Trennung von Religion und Gesellschaft. Der Staat, als eine Heimstatt all seiner Bürger, versteht seine weltanschauliche Neutralität nicht als eine laizisti- sche Verdrängung der Religion aus der Öffentlichkeit ins rein Private. Er will sich den einzelnen Religionen gegenüber kooperativ verhalten und begreift sie als wichtige Partner und Träger einer mündigen Bürgerge- sellschaft. Gleichsam unterstützt er im Rahmen des für die Politik Möglichen den interreligiösen Dialog, den Austausch zwischen Kulturen. Im Rahmen der Reli- gionsförderung des deutschen Staates spielt die Unter- stützung des Judentums eine besondere Rolle. Diese Debatte bietet uns Bundestagsabgeordneten einen selte- nen Anlass, uns in diesem Plenarsaal mit den Belangen des Judentums in unserem Land auseinanderzusetzen. Das Bestreben nach einem deutschen Judentum steht in der Tradition vieler liberaler Juden. Diese Tradition reicht vom jüdischen liberalen Rechtsanwalt Gabriel Risser aus Hamburg, der an der Seite der Partei der Libe- ralen im 19. Jahrhundert für die Emanzipation kämpfte, bis Ignatz Bubis, der ein überzeugter Liberaler war und sich bewusst einen „deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens“ nannte. Identität kann man nicht verordnen. Sie entsteht. In einer offenen Gesellschaft ist die Summe und Vielfalt „deutscher Identitäten“ ein Gewinn. Sollte ein „neues deutsches Judentum“ das zentrale, zukunfts- gewandte Anliegen des Zentralrats sein, so gibt es hier eine Reihe von Herausforderungen, die rechtfertigen und begründen, warum eine Erhöhung der Staatsleistung not- wendig ist. So hat Herr Dr. Graumann, Vorsitzender des Zentral- rats der Juden, mehrmals hervorgehoben, eine Vielfalt sei in einer Welt der Einheitsgemeinden sehr willkom- men, aber eine ausgesprochen jüdische Vielfalt. Ein Plu- ralismus religiöser Ausrichtungen des Judentums kristal- lisiert sich zurzeit heraus. Ich empfinde das als gut. Dieser Prozess ist nicht unproblematisch, doch ist er von großer Tragweite für die Zukunft des Judentums in Deutschland. Die Unterstützung dieser Prozesse, unter anderem durch die Ausbildung des jeweiligen religiösen Personals – Rabbiner und Kantoren – ist eine regelrechte Herausforderung. Sowohl orthodoxes als auch liberales und konservatives Judentum müssen Platz unter dem Dach der Einheitsgemeinden finden. Auch der allge- meine, für westliche Wohlstandsgesellschaften typische Säkularisierungstrend als Folge von Modernisierung, Urbanisierung, Technisierung spielt eine Rolle. So sind die Identitätsbezüge vieler Jüdinnen und Juden – ge- nauso wie im christlichen Bereich – eindeutig kulturell 20456 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) und weniger religiös geprägt. Ein kulturelles Angebot in den Gemeinden ist mit Sicherheit ein Zweck der Finan- zierung. Durch Einwanderung aus der ehemaligen UdSSR 1990 bis 2005 ist ein wesentlicher demografischer Zuwachs erreicht worden von knapp 30 000 Ende der 1980er-Jahre bis etwa 105 000 Gemeindemitglieder heute. Zu mehr als 90 Prozent bestehen die Gemeinden in der Regel aus den russischsprachigen Einwanderern. Auch 20 Jahre nach dem Beginn der jüdischen Immigra- tion in Deutschland ist die Integrationsfrage nach wie vor präsent. Unter den vielen möglichen Integrations- maßnahmen sind einige besonders wichtig: Die Sozial- abteilungen der Gemeinden müssen dringend unterstützt werden bei der Kommunikation mit jeweiligen Ämtern. Denn mehr als 70 Prozent der – zugewanderten – Juden sind Akademiker; weit mehr als 50 Prozent sind arbeits- los. Das ist eine Situation, bei der Gemeinden sicherlich mithelfen könnten und dafür Unterstützung benötigen. Die staatliche Politik der Verteilung der sogenannten Kontingentflüchtlinge führte dazu, dass zahlreiche Gemeinden auch in den Kleinstädten entstanden sind, viele zumal nach dem Holocaust. Wir haben es also mit einer Veränderung der Topografie der Gemeinden zu tun. Wenn auch unfreiwillig, ist dieser Wandel der reli- giös-jüdischen Gemeindelandschaft ein Glück für unser Land. Doch die kleinen Gemeinden brauchen dringend eine zusätzliche finanzielle Unterstützung – für sie ist es überlebenswichtig. Das leitende Personal der Gemeinden – das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre – braucht durchaus Hilfestel- lungen bei Verwaltung, Jurisprudenz, geschäftlicher Kommunikation. Anders ist das auf politischer und Ver- waltungsebene, besonders in den kleineren und mittleren Gemeinden, nicht zu bewältigen. Die Jugendarbeit ist ebenfalls ein zentraler Punkt. Das Alter ist neben Herkunft und kulturellen Differenzen ein wesentlicher Integrationsfaktor. Hier ist eine Jewish Education in einer Gemeindewelt sowie in einem deut- schen Schulsystem von großer Bedeutung: Erziehungs- projekte, Gemeindeschulen, Treffen, etwa von der ZWST, der Zentralen Wohlfahrtstelle, organisiert. All das muss unterstützt werden! Ganz wichtig ist die Unter- stützung bei der Ausbildung des theologischen Nach- wuchses. Beispielhaft sei in diesem Kontext die Tätig- keit des Ihnen allen sicherlich bekannten Abraham- Geiger-Kollegs erwähnt. Auch Institutionen, wie die Hochschule in Heidelberg, brauchen Unterstützung. Gerade die Herausforderungen im Rahmen der Errich- tung der ersten jüdisch-theologischen Fakultät zeigen den Bedarf einer Anpassung der finanziellen Zuwen- dung. Die Erhöhung, über die wir heute zu beschließen haben, ist also mehr als gerechtfertigt. Und nicht zuletzt: Die Lage der Holocaust-Überle- benden und der jüdischen Veteranen des Zweiten Welt- kriegs in den Gemeinden erfordert auch besondere Auf- merksamkeit. Diese Menschen brauchen Unterstützung vor Ort. Es geht um ein geordnetes System der jüdischen Altersheime, Sozialdienste usw. Abschließend möchte ich betonen, dass das Ziel die- ses Vertrages, nämlich die Entfaltung des jüdischen Lebens und seine Akzeptanz in der Bevölkerung, nach wie vor eine Frage der Zivilgesellschaft bleibt, eine Frage des guten Willens und des mutigen Auftrittes aller gegen Vorurteile, alte Klischees und Unwissenheit. Sicherlich werden das Vertragswerk und diese Debatte ein positiver Impuls in dieser Richtung. Petra Pau (DIE LINKE): Die Linke bejaht den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden. Mit dem vorliegenden Gesetz wird der Staatsvertrag der Bundesrepublik Deutschland mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland erneuert. Es geht um die Förde- rung jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in Deutsch- land. Dem stimmt die Linke selbstverständlich zu. Die damit verbundene Unterstützung gilt der gesamten Breite jüdischen Lebens, also nicht nur den Einrichtun- gen unter dem Dach des Zentralrats der Juden. Die Förderung jüdischer Vielfalt schließt unabhängig von diesem Staatsvertrag natürlich den kontinuierlichen Kampf gegen jedweden Antisemitismus ein, so wie es der Bundestag am 4. November 2008 fraktionsübergrei- fend beschlossen hat: Antisemitismus bekämpfen, jüdi- sches Leben fördern. Ein Punkt aus dem damaligen Beschluss liegt seit Ende 2011 vor: ein erster Expertenbericht über Antise- mitismus in Deutschland. Ich gehe davon aus, dass wir ihn und die enthaltenen Anregungen demnächst im Ple- num sachlich und ohne parteipolitische Kalküle diskutie- ren werden. Sechs weitere Aufgaben, die der Bundestag damals der Bundesregierung gestellt hatte, harren noch eines Berichtes. Wir erwarten ihn demnächst. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen den vorgelegten Gesetzentwurf der Bun- desregierung zur Änderung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Durch die Änderung des Vertra- ges wird die Summe von bisher 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro jährlich steigen. Bereits am 27. Ja- nuar 2003 hat Rot-Grün den Vertrag zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland abgeschlossen, der sich als tragfähige Grundlage für eine kontinuierliche und partnerschaft- liche Zusammenarbeit herausstellte. Damals haben wir die finanzielle Unterstützung in Form einer jährlichen Staatsleistung festgeschrieben. Mit Änderung des Vertra- ges vom 3. März 2008 wurde die jährliche Staatsleistung von 3 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro angehoben. Insbesondere vor dem Hintergrund neuer, vielfältiger Anforderungen an die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die zu einem wesentlichen Anstieg der Aufgaben des Zentralrats, insbesondere im Bildungs- bereich, geführt haben, war diese Erhöhung notwendig. Wir gehen davon aus, dass der Zentralrat der Juden auch in Zukunft nach fairen Regeln für die gerechte und sinnvolle Verteilung der Gelder innerhalb der jüdischen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20457 (A) (C) (D)(B) Gemeinschaft sorgen wird, auch jener jüdischen Ver- bände, die nicht unter dem Dach des Zentralrats organi- siert sind. Seit über 60 Jahren vertritt nun schon der Zentralrat der Juden 23 Landesverbände mit insgesamt 107 jüdi- schen Gemeinden. 60 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland, das ist nach dem Zivilisationsbruch Ausch- witz für mich weder Selbstverständlichkeit noch Wun- der. Es ist das große Verdienst von Persönlichkeiten wie Heinz Galinski und Paul Spiegel, die unermüdlich für die Verständigung zwischen jüdischen und nichtjüdi- schen Deutschen eintraten. An deren Wirken möchte ich an dieser Stelle besonders erinnern. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wuchs bei den jüdischen Sowjetbürgern die Angst vor Antisemitis- mus, weshalb viele von ihnen nach Deutschland migrier- ten. Als sogenannte Kontingentflüchtlinge sind nach An- gaben des Zentralrats insgesamt 220 000 Menschen seither nach Deutschland gekommen. In der Folge ver- vierfachte sich die Zahl der Mitglieder in jüdischen Gemeinden auf heute rund 120 000 Mitglieder. Insbe- sondere in den neuen Bundesländern wurden Gemeinden gegründet und neue Synagogen gebaut. Daneben wurde die Integrationsarbeit des Zentralrats so zu einer zentra- len Aufgabe. Diese Integrationsleistungen der jüdischen Gemein- schaft sind mit großem Respekt zu sehen, auch wenn diese nicht immer ohne Konflikte bewältigt werden konnten. Diese Aufgaben verlangen vor dem Hinter- grund der historischen Verantwortung für die Verbrechen im Nationalsozialismus und dem Mord an 6 Millionen europäischen Juden auch künftig unsere materielle und immaterielle Unterstützung. Denn im Persönlichen sind wir alle gefordert, wenn es darum geht, jeder Form von Antisemitismus entgegenzutreten. Wir begrüßen deshalb den vorgelegten Gesetzentwurf und wünschen dem Zentralrat der Juden auch weiterhin viel Erfolg in seiner bemerkenswerten Arbeit. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nationales Reform- programm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Tagesord- nungspunkt 19) Lena Strothmann (CDU/CSU): Wir alle wollen ein starkes und sicheres Europa und setzen uns daher auch vehement für die gemeinsame Währung ein. Wir wollen nicht weniger Europa, sondern mehr Europa. Europa ist ein großer Wirtschaftsraum. Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsräumen: USA, Japan, die BRIC- Staaten. Es war auch schon Ziel der Lissabon-Strategie im Jahr 2000, Europa – die EU der 15 – zum „wettbewerbs- fähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirt- schaftsraum der Welt zu machen“. Es wurden leider nicht alle Lissabon-Ziele erreicht. Die Mitgliedstaaten haben nicht immer an einem Strang zogen. Es gab durchaus unterschiedliche Interessen. Leistungsstarke Mitgliedstaaten drängten auf Reformen. In anderen Staa- ten gab es erhebliche Umsetzungsrückstände. Hinzu ka- men neue Herausforderungen: die Finanzkrise von 2008, die Wirtschaftskrise, die Schuldenkrise. Die Krisen wa- ren ein Weckruf für Europa. Das Jahr 2010 musste daher für einen entschlossenen Neuanfang stehen. Die Lissabon-Strategie wurde abge- löst durch die Strategie „Europa 2020“. Sie beschreibt die aktuelle Strategie für Wachstum in Europa. Drei Prioritäten werden gesetzt: Intelligentes Wachstum, nachhaltiges Wachstum, integratives Wachstum. Alle drei verstärken die Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts. Deshalb gab es auch strategische Änderungen. Bislang wurden Maßnah- men immer erst im Nachhinein auf ihre Wirksamkeit überprüft. Im Rahmen des Europäischen Semesters ver- pflichten sich alle Mitgliedstaaten bis April des laufen- den Jahres, ihre Beiträge zur Wachstumsstrategie 2020 zu liefern. Es findet ein Dialog statt. Das ist ein positives und konstruktives Element. Europa zieht damit die Kon- sequenzen aus mangelnder Haushaltsdisziplin und hoher Verschuldung einzelner Staaten. Die finanzpolitischen Prozesse des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und die wirtschaftspolitischen Prozesse um die EU-2020-Strate- gie werden zeitlich angeglichen und zusammengeführt. Das Semester ist quasi ein Instrument der vorbeugenden Überwachung. Es läuft alles nach einem festen Zeitplan ab und be- ginnt mit der Vorlage des Europäischen Jahreswachs- tumsberichtes zu Jahresbeginn. Im Frühjahr werden die nationalen Ziele und Reformpläne der einzelnen Mit- gliedstaaten der Kommission vorgelegt. Sie werden von der Kommission analysiert und bewertet. Daraus folgen die sogenannten Empfehlungen des Rates. Hier sind im Gegensatz zu den Maastricht-Kriterien keine Sanktionen vorgesehen. Bei den nationalen Reformprogrammen gilt das Prinzip der Freiwilligkeit – mit allen Vor- und Nach- teilen. Aber die Mitgliedstaaten wissen um ihre gemein- same Verantwortung. Am Beispiel des Euro-Plus-Paktes ist erkennbar, wie flexibel auch bei aktuellen Ereignissen reagiert werden kann. Das deutsche Aktionsprogramm zum Euro-Plus- Pakt haben wir in unser Reformprogramm integriert. Vor allem ist die Haushaltskonsolidierung in den europäi- schen Staaten als Hauptaufgabe erkannt. Unsere deut- schen Regierungsvorhaben sind im aktuellen Nationalen Reformprogramm zusammengestellt. Die Bewertung des ersten Programms von 2011 war überaus positiv. Auch das vorgelegte Programm 2012 überzeugt. Die Bundesländer, Verbände und Sozialpartner waren betei- ligt. Die Antworten auf die Herausforderungen können sich wirklich sehen lassen. Alles in allem bietet es eine ziemlich komplette Übersicht über die Maßnahmen der christlich-liberalen Koalition. Schauen Sie sich doch auch den Anhang an. Hieran wird die Vernetzung unse- rer Politik mit den europäischen Zielen und der EU-2020-Strategie deutlich. Viele Bereiche, von Be- kämpfung der Arbeitslosigkeit bis hin zu Bildung und 20458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Ausbildung, Haushaltskonsolidierung und Forschung und Entwicklung, sind aufgeführt. Wir leisten hier Bei- träge für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa. Der SPD-Antrag hierzu ist daher überflüssig. Er sug- geriert, die sozialen Ziele seien unterrepräsentiert. Das trifft jedoch eindeutig nicht zu. Denn die Analyse der fünf Kernbereiche der 2020-Strategie zeigt: Die von der EU bis 2020 angestrebte Beschäftigungsquote von 75 Prozent haben wir auf nationaler Ebene bereits 2010 fast erreicht. Wir sind zuversichtlich, dass wir unser hochgestecktes Ziel von 77 Prozent erreichen werden. Die EU strebt bis 2020 im Bereich der Innovation die Quote von 3 Prozent auf Basis des BIP an. Auch das ha- ben wir in Deutschland fast erreicht. 2010 betrug unsere Quote bereits 2,82 Prozent. Unser nationales Ziel heißt 10 Prozent bis 2015. Beim Klimaschutz sind wir Vorrei- ter in Europa. Das von der EU gesetzte Ziel von 20 Pro- zent Emissionseinsparung haben wir auf 40 Prozent er- höht, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Eine große Herausforderung liegt im Bereich Bildung: Die Schulabbrecherquote soll bis 2020 unter 10 Prozent liegen, 40 Prozent der Abgänger sollen einen Hochschul- abschluss erreichen. In Deutschland lag 2010 die Schul- abbrecherquote bei 11,9 Prozent. Wir werden unser natio- nales Ziel in jedem Fall erreichen. Einer Hochschulquote stehe ich grundsätzlich skeptisch gegenüber. Ich betone immer die hohe Bedeutung der dualen Ausbildung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Schließlich brauchen wir im gewerblich-technischen Bereich auch Arbeits- und Führungskräfte. Im Bereich Armut/soziale Eingliederung gibt es un- terschiedliche Ansichten über die zu treffende Defini- tion. Unser Indikator Langzeitarbeitslosigkeit ist geeig- net; das steht fest. Die Verringerung um 20 Prozent bis 2020 ist unser nationales Ziel. Unsere Ausgangslage in Deutschland ist somit sehr gut. Die Gesamtkonjunktur zeigt gute Wachstumsquo- ten. Das ist eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen kann. Die Erwartung für 2012 beschreibt ein Plus von 0,7 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt. Nach Überwin- dung der angekündigten Delle im Winter wird für 2013 mit einem Plus von 1,6 Prozent gerechnet. Hinzufügen möchte ich, dass das Handwerk bereits im laufenden Jahr 1,5 bis 2 Prozent erwartet. Das freut mich ganz be- sonders. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland wird auch in 2012 auf ein neues Rekordhoch zusteuern. 41,3 Millionen Menschen werden dann erwerbstätig sein, und das überwiegend in sozialversicherungspflich- tigen Beschäftigungen. Die Zahl der Arbeitslosen wird mit größter Wahrscheinlichkeit unter 3 Millionen liegen. Aufschlussreich ist auch die Betrachtung der Jugend- arbeitslosigkeit. Deutschland hat wegen seines dualen Ausbildungssystems eine deutlich geringere Jugendar- beitslosigkeit als die anderen europäischen Staaten. Zu- rückzuführen ist unser Rückgang in Deutschland auch auf die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen bei Jugendlichen, seit dem letzten Ausbildungspakt auch be- sonders bei jungen Menschen ohne Schulabschluss. Die Zukunft der Jugend wird auch von unserer heuti- gen Politik bestimmt. Vor allem die Schuldenbremse wird wirken. Wir sollten alles daran setzen, den Zeit- punkt, an dem wir ohne Neuverschuldung auskommen, möglichst früh zu erreichen. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wie die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW die Neuverschuldung munter hochgetrieben hat. Die Bürger werden ihr dafür die Quittung ausstellen. Wer die Schuldenbremse ab- lehnt und stattdessen Steuererhöhungen plant, wird bei Wachstum, Beschäftigung und sozialer Gerechtigkeit keine Erfolge erzielen, weder in Europa noch in Deutschland. Dass es auch anders und erfolgreich geht, zeigt die christlich-liberale Koalition. Wir hoffen sehr, dass Deutschland als Motor und auch als Vorbild für andere Länder gilt. Denn nur wenn alle mitmachen, kann die Strategie Europa 2020 insgesamt erfolgreich sein. Dieter Jasper (CDU/CSU): Der Europäische Rat hat im Juni 2010 die Strategie „Europa 2020“ verabschiedet. Der Kurzfristigkeit politischer Entscheidungen sollen mittel- und längerfristige Strukturreformen gegenüber- gestellt werden. Weniger Krisenmanagement und mehr vorausschauende Planung heißt die Devise. Diese europäische Strategie wird durch ein jährlich vorzulegendes Nationales Reformprogramm, NRF, um- gesetzt. Auch Deutschland muss regelmäßig erläutern, wie die Verpflichtungen aus der europäischen Ebene in nationale Politik umgesetzt werden. Das jetzt vom Bundeskabinett verabschiedete NRF 2012 belegt, dass Deutschland einen erheblichen Beitrag für mehr Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in Europa leistet. Folgende Zahlen belegen das sehr an- schaulich: Die Zahl der Beschäftigten ist so hoch wie nie zuvor. Bereits im Jahr 2010 gingen fast 75 Prozent der deutschen Bevölkerung einer Beschäftigung nach. Die Zahl der Langezeitarbeitslosen sank im Bundesdurch- schnitt im Vergleich zum Jahr 2008 um 15 Prozent. Investitionen in Forschung und Bildung steigen kontinu- ierlich. Die Energiewende stellt eine in dieser Form nir- gendwo auf der Welt zu findende Neuorientierung hin zu einer umwelt- und klimafreundlichen Energieversorgung dar. Dies ist gerade für Deutschland als eine der führen- den Industrienationen eine besondere Herausforderung. Der Anteil der Deutschen mit Hochschulabschluss – oder vergleichbarer Ausbildung – liegt über der EU-Zielvorgabe. Die vereinbarten Kernziele – erstens Förderung der Beschäftigung, zweitens Verbesserung der Bedingungen für Innovation sowie für Forschung und Entwicklung, drittens Reduktion der Emissionen, Ausbau der erneuer- baren Energien und Verbesserung der Energieeffizienz, viertens Verbesserung des Bildungsniveaus, fünftens Verringerung von Armut und Ausbau sozialer Eingliede- rungsmöglichkeiten – werden also nicht nur erreicht, sondern die Zielmarken werden sogar überschritten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20459 (A) (C) (D)(B) Ein wichtiges Ziel dieses Paktes ist die Sicherung und die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäi- schen Staaten. Nur so können Wachstum und Beschäfti- gung generiert werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Sicherung der öffentlichen Finanzen. Die deutsche Schuldenregel bzw. Schuldenbremse verpflichtet die Bundesregierung zum Sparen und stellt zunächst auf den Abbau der Neu- verschuldung bis spätestens zum Jahr 2016 ab. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass wir unser eigentliches Ziel erreichen können, nämlich die bereits bestehende Ver- schuldung abzubauen. Diese beeindruckenden Zahlen und die erheblichen Anstrengungen von Bürgern, Wirtschaft und Politik bei der Erfüllung der nationalen und europäischen Zielvor- gaben lassen die Vertreter der SPD dennoch nicht ruhen. Statt sich über das Erreichte zu freuen und mit an einer weiteren Stärkung des Standorts Deutschland zu arbei- ten, wird mit dem Antrag „Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie ‚Europa 2020‘ be- rücksichtigen“ suggeriert, dass angeblich soziale As- pekte bei diesem Reformprogramm nicht berücksichtigt werden. Dies ist schon im Grundsatz falsch. Die beste Sozialpolitik ist die, wenn wir aufhören, auf Kosten un- serer Kinder zu leben. Der Abbau der immensen Staats- verschuldung, die wir nicht zuletzt mit der Aufnahme der Schuldenregel in die Verfassung nachhaltig angehen, ist meines Erachtens einer der wichtigsten Schritte hin zu einem sozial gerechten Staat. Die SPD kritisiert, dass sich die Bundesregierung auf die Reduzierung der Neuverschuldung konzentriert, und fordert stattdessen einen weiteren Ausbau der Sozial- systeme. Abgesehen davon, dass man die Bereiche „Soziale Sicherung“ und „Öffentliche Finanzen“ nicht gegeneinander ausspielen kann, ist die Finanzierung die- ser Sicherungssysteme schon heute nur unter größten Mühen und nur mit staatlicher (Teil-)Finanzierung mög- lich. Ein weiterer Ausbau würde nicht nur die Beitrags- zahler belasten, sondern auch die staatliche Verschul- dung in neue Höhen treiben, da schon heute die Sozialkassen nur durch erhebliche Mittel aus dem Steu- eraufkommen überlebensfähig sind. Die deutsche Wirtschaftspolitik mit ihrem Fokus auf solide Staats- finanzen hat sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen, wie die ökonomischen Kennzahlen unseres Landes ein- drucksvoll belegen. Auch das Thema Mindestlohn wird angesprochen. Dieser soll die angebliche „soziale Spaltung“ in Deutschland beenden und für sozialen Frieden sorgen. Die Union lehnt einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn für unser Land weiterhin ab. In erster Linie befürchten wir den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze, wenn Lohnfestsetzung politisch motiviert durchgeführt und nicht nach ökonomischen Kriterien festgelegt wird. Wir vertrauen weiterhin auf die seit vielen Jahren be- währte Tarifautonomie. Die zwischen den Tarifpartnern verhandelte Lohnfindung ist in den vergangenen Jahren Grundlage und Voraussetzung für sozialen Frieden und nachhaltigen Wohlstand gewesen. In tariffreien Berei- chen ist eine Lohnuntergrenze denkbar, die dann aber auch von den Tarifpartnern ausgehandelt und gefunden werden muss. Unser Land ist in den letzten Jahren gut mit einer der- artigen Lohnfindung gefahren. Die Arbeitslosigkeit sinkt beständig und liegt zwischenzeitlich unter 3 Millionen Menschen. Im Gegenzug steigt der Anteil der erwerbstä- tigen Bevölkerung und liegt jetzt über 40 Millionen Menschen. Da von „Zunahme der sozialen Spaltung in Deutschland“ zu sprechen, ist schon ungeheuerlich. Im Weiteren werden die bekannten ideologisch moti- vierten Lösungsansätze und Instrumente der SPD aufge- führt, die schon in der Vergangenheit in Deutschland keine oder nur eine schlechte Wirkung gezeigt haben. Im Sinne der von uns befürworteten sozialen Markt- wirtschaft werden von uns nur die Rahmenbedingungen gesetzt. Direkte und dirigistische Eingriffe in den Markt sollten nur im Ausnahmefall erfolgen und nicht die Regel sein. Alles in allem bleibt festzuhalten: Deutschland erfüllt seine nationalen und europäischen Verpflichtungen. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung der Kernziele der EU. Die von der SPD aufgestellten Forderungen sind ir- reführend und überflüssig. Wir sollten weiter auf dem er- folgreichen Weg der unionsgeführten Bundesregierung gehen. Kerstin Griese (SPD): Die Bundesregierung hat eine Chance vertan. Die Idee der Strategie „Europa 2020“ beinhaltet, dass die Zivilgesellschaft intensiv und umfassend an der Verwirklichung der Ziele von „Europa 2020“ beteiligt wird. Dazu gehört, dass die Ideen der Verbände und Sozialpartner bei der Formulierung des Nationalen Reformprogramms berücksichtigt werden. Die Bundesregierung aber war unfähig, den Entwurf des Nationalen Reformprogramms 2012 so frühzeitig zur Kenntnis zu geben, dass sich diese Partner ausführlich mit dem Programm hätten beschäftigen können. Statt- dessen hatten die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der Kommunen lediglich wenige Tage Zeit, um sich zu dem 90-seitigen Nationalen Reformprogramm 2012 zu äußern. Diese kurzfristige Beteiligung wurde von den kommunalen Spitzenverbänden wortwörtlich als „äu- ßerst ärgerlich“ bezeichnet. Fest steht, dass die Zivil- gesellschaft nicht angemessen an der Formulierung des Nationalen Reformprogramms beteiligt wurde. Das ist angesichts der Bedeutung der Strategie „Europa 2020“ für die Zukunft Deutschlands und Europas ein eklatantes Versäumnis. Die Beteiligung der Partner wäre deshalb so wichtig gewesen, weil dadurch eine Rückkopplung zwi- schen der Ebene der Europäischen Union und der Zivil- gesellschaft der Menschen in Deutschland geschaffen worden wäre. Das Nationale Reformprogramm ist aus dem Grunde so wichtig, weil es die Ziele der Strategie „Europa 2020“ umsetzen soll. Mit der Strategie „Europa 2020“ hat sich die Bundesregierung im Jahr 2010 verpflichtet, jedes Jahr bis April in ihrem Nationalen Reformprogramm darzulegen, mit welchen Maßnahmen sie die Ziele der Strategie „Europa 2020“ erreichen will. 20460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Das strategische Ziel von „Europa 2020“ ist es, „intel- ligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ in der Europäischen Union zu generieren. Um dieses überge- ordnete Ziel zu erreichen, hat sich die Europäische Union auf fünf Kernziele geeinigt, die sie bis 2020 ver- wirklichen möchte. Europa soll umweltfreundlicher wer- den, indem die Treibhausemissionen gesenkt, die erneu- erbaren Energien gestärkt und die Energieeffizienz in der Europäischen Union gesteigert werden. Außerdem haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, im Jahr 2020 mindestens 3 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Innovation, Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Die soziale Dimension der Europäischen Union soll gestärkt werden, indem die Beschäftigungsquote in den Mitgliedstaaten gestärkt wird, sodass im Jahr 2020 min- destens 75 Prozent der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren einen Arbeitsplatz haben. Gleichzeitig sollen die Schulabbrecherquote auf unter 10 Prozent gesenkt und der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit abgeschlosse- ner Hochschulbildung auf mindestens 40 Prozent eines Jahrgangs angehoben werden, um das Bildungsniveau zu verbessern. Schließlich hat sich die Bundesregierung ebenso wie alle anderen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dazu verpflichtet, die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Millionen zu sen- ken. Die Bundesregierung hat aber das Nationale Reform- programm 2012 – wie bereits im vergangenen Jahr – al- lein dazu genutzt, ihre Politik zu rühmen. Deutschland habe die Ziele der Strategie „Europa 2020“ nahezu erreicht. Deshalb bedürfe es keiner weiteren Anstren- gungen; das ist der Grundtenor der Bundesregierung. Entsprechend dürftig ist der Inhalt des Nationalen Reformprogramms. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in ihrem Antrag besonders auf die sozialpolitischen Ziele konzentriert. Denn Europa ist mehr als ein Wirtschaftsraum. Das so- ziale Europa ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialde- mokraten sehr wichtig. Deshalb will ich hier besonders das Ziel der Armutsreduktion nennen, um zu zeigen, dass die Bundesregierung weit davon entfernt ist, die Ziele der Strategie bereits erreicht zu haben. Zur Erinne- rung: Die Anzahl der durch Armut und soziale Ausgren- zung gefährdeten Menschen in der Europäischen Union soll bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Millionen ver- ringert werden. Die Bundesregierung hat sich dazu ent- schlossen, einen Beitrag zu diesem Ziel zu leisten, indem sie sich allein auf die Anzahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland konzentriert, die sie bis zum Jahr 2020 um 320 000 Menschen verringern will. Heute – im Jahr 2012 – gibt es in Deutschland über 1 Million Menschen, die mindestens zwölf Monate ohne Unterbrechung arbeitslos waren und damit als langzeitarbeitslos gelten. Eine Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit um 320 000 Personen bis zum Jahr 2020 hieße also erstens, dass im Jahr 2020 immer noch rund 700 000 Menschen länger als ein Jahr arbeitslos wären. Die Bundesregie- rung gibt sich also damit zufrieden, die Langzeitarbeits- losigkeit um lediglich ein Drittel zu verringern. Sie fin- det sich damit ab, dass 700 000 Menschen auch im Jahr 2020 noch von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen wären. Schon daran zeigt sich, dass die Bundesregierung weit davon entfernt ist, die Ziele der Armutsbekämpfung zu erreichen. Wir müssen in Deutschland mehr tun, um Armut zu vermeiden und um Menschen aus Arbeitslosigkeit und Armut zu befreien. Das zeigt sich nicht nur an der Anzahl der Langzeitarbeitslosen, sondern auch an den Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat. Eurostat hat ermittelt, dass in Deutschland fast 16 Mil- lionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Das Statistische Bundesamt sprach jüngst von 13 Millionen Menschen in Deutschland, die weniger als 60 Prozent des Durchschnitts zum Lebensunterhalt zur Verfügung haben. Laut Eurostat lebten im Jahr 2010 in unserem Land rund 3,7 Millionen Menschen, die unter erheblicher materieller Deprivation litten, also ihre Grundbedürfnisse nicht aus eigener Kraft befriedigen konnten. Die Bundesregierung hat in dieser Woche ein- geräumt, dass Millionen Frauen Armut im Alter drohe, da sie heute nur geringfügig beschäftigt seien. 4,65 Mil- lionen Frauen arbeiten derzeit in Minijobs, sodass sie nur geringe Rentenanwartschaften erwerben. Angesichts dieser Zahlen sind die im Nationalen Reformprogramm 2012 genannten Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Armut in Deutschland völlig unzurei- chend. Es ist dringend erforderlich, dass die Bundesre- gierung neben dem Indikator der Langzeitarbeitslosig- keit auch die anderen Armutsindikatoren der Europäischen Union berücksichtigt. Nur dann würde die Bundesregierung dem Ausmaß der Armut und sozialen Ausgrenzung in Deutschland gerecht. Nur dann wäre der Beitrag Deutschlands zur Verringerung der Armut in der Europäischen Union angemessen. Leider ignoriert die Bundesregierung den Handlungs- bedarf im Bereich der Armutsbekämpfung seit langem. Schon das Nationale Reformprogramm des vergangenen Jahres beschränkte sich auf den Indikator Langzeitar- beitslosigkeit. Die Bundesregierung hat unsere damalige Aufforderung, mehr gegen Armut zu tun, ignoriert. Wenn schon der stärkste Mitgliedstaat der Europäischen Union der Verringerung der Armut einen solch geringen Stellenwert beimisst, ist zu fragen, warum andere Mit- gliedstaaten, in denen die Armut und soziale Ausgren- zung ein weit höheres Ausmaß haben, mehr tun sollten. Die Bundesregierung geht hier mit schlechtem Beispiel voran. Der Spiegel bezeichnete die Bundesregierung in die- ser Woche als „Tunix-Regierung“. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Im Kampf gegen Armut sind Bundeskanz- lerin Merkel und ihr Kabinett ebenso untätig wie in den anderen Bereichen der Strategie „Europa 2020“. Bei der Beschäftigungsquote mag das quantitative Ziel, dass mindestens 75 Prozent der Männer und Frauen zwischen 20 und 64 Jahren einen Arbeitsplatz haben, statistisch fast erreicht sein. Es reicht aber nicht aus, auf das quanti- tative Ziel zu schauen. Zu fragen ist auch, wie die Beschäftigungsverhältnisse qualitativ aussehen. Diese Frage stellt sich die Bundesregierung jedoch nicht. Ihr geht es allein darum, statistisch gut auszusehen. Ob die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20461 (A) (C) (D)(B) Menschen von ihrer Arbeit leben können, interessiert offenbar weder Frau Merkel noch Frau von der Leyen. Anderenfalls hätten sie längst einen gesetzlichen Min- destlohn eingeführt und die Leiharbeit anständig regu- liert. Meine Kritik am Nationalen Reformprogramm 2012 der Bundesregierung ließe sich fortsetzen. Trotz meiner Enttäuschung über die Reformprogramme der vergange- nen beiden Jahre möchte ich meine Hoffnung äußern, dass die Bundesregierung die zu erwartende Kritik der Europäischen Kommission aufnehmen und ihr Nationa- les Reformprogramm verbessern wird. Unser Ziel ist, dass Europa auch ein soziales Gesicht hat und dass trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise sozialpolitische Stan- dards und Ziele stärker berücksichtigt werden. Ich will sogar deutlich sagen: Gerade wegen der Krise dürfen wir uns nicht allein aufs Sparen verlassen, sondern müssen Wachstum unter sozialen Bedingungen gestalten. Andrej Hunko (DIE LINKE): Spätestens seit den so- genannten Sozialreformen in Deutschland unter Gerhard Schröder, der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen, hat der früher einmal positiv besetzte Begriff Reform für viele Menschen in Deutschland einen bitteren Bei- geschmack. Den Antrag der SPD-Fraktion „Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der ,Strategie Europa 2020‘ berücksichtigen“ kann ich nur einen typisch sozialdemokratischen Antrag nennen, der leider nicht dazu beiträgt, die vorgeblich verfolgten sozialen Ziele zu erreichen. Das beginnt bereits bei dem grundle- genden Bezug zur Strategie „Europa 2020“, die meine Fraktion im Unterschied zur SPD abgelehnt hat. Denn diese Strategie setzt die offensichtlich gescheiterte Lissabon-Strategie nicht nur fort, sondern radikalisiert ihren neoliberalen Charakter auch noch. Aber mit den umzusetzenden Mitteln der Marktöffnung, des Sozial- abbaus und der Deregulierung werden die auf geduldi- gem Papier geschriebenen wünschenswerten sozialen Ziele wieder nicht erreicht werden. Zur Umsetzung fo- kussiert „Europa 2020“ ausschließlich auf Wachstum durch Wettbewerb und marktbasierte Instrumente. Der ungebrochene Fokus auf Beschäftigungsförde- rung durch beispielsweise größere Mobilität und Flexi- bilisierung der Beschäftigten ist kaum vereinbar mit dem Ziel der Armutsverringerung. Ihr Antrag spiegelt zwar die aktuelle Entwicklung in der Krisen-EU wieder, in der die „Schere zwischen Arm und Reich“ weiter auseinan- dergeht. Aber Sie vermeiden es, zu sagen, dass es die eu- ropäischen Austeritätspakete sind, die ganze Bevölke- rungsteile in die Armut stoßen. Stattdessen reden Sie von der sozialen Dimension der EU als zentralem Teil des europäischen Gesellschaftsmodell, die in der Strate- gie „Europa 2020“ enthalten sei. Dabei wird das euro- päische Sozialstaatsmodell gegenwärtig durch den Fis- kalpakt völlig infrage gestellt. Der EZB-Chef Draghi spricht gar davon, dieses Modell habe ausgedient. Liebe Kollegen von der SPD, Sie sind offensichtlich noch heute stolz darauf, dass in Deutschland ein vorher kaum vorhandener Niedriglohnsektor massiv eingeführt wurde und die meisten Jobs in Deutschland heute pre- käre Jobs sind. So heißt es in Ihrem Antrag: „Aufgrund der von der SPD verantworteten Reformmaßnahmen der vergangenen Jahre ist Deutschland heute im europäi- schen Vergleich wirtschaftlich erfolgreich.“ Haben Sie noch nicht mitbekommen, dass der deutsche Niedrig- lohnsektor, das deutsche Lohndumping eine der Haupt- ursachen der Krise innerhalb der Euro-Zone ist, dadurch, dass in Deutschland als einzigem europäischen Land die Reallöhne gesunken sind und so die Wettbewerbsfähig- keit auf Kosten der Beschäftigten und auf Kosten schwä- cherer Volkswirtschaften in der Euro-Zone erhöht wurde? Die Einführung des Niedriglohnsektors in Deutschland durch Agenda 2010 und Hartz IV hat die Axt an die wirtschaftliche Integration Europas gelegt. Die Forderungen, die Sie im Forderungsteil aufstel- len, gehen für sich genommen zweifellos in die richtige Richtung. Aber Sie bleiben die Antwort auf die Frage schuldig, wie diese Forderungen unter den Bedingungen des Fiskalpaktes und auf Grundlage der EU-2020-Strate- gie verwirklicht werden sollen. Wie bei der Agenda 2010 werden auch die Mittel der Europa-2020-Strategie gnadenlos angewandt, nur um am Ende zu merken, dass die Ziele so nicht zu erreichen sind. Daher irren Sie auch, wenn Sie schreiben, dass die Bundesregierung der Strategie „Europa 2020“ offenkundig einen niedrigen Stellenwert beimisst. Vielmehr ist die europäische Wirt- schaftspolitik der Regierungskoalition eine Weiterfüh- rung der neoliberalen Strategie der verkürzten Fokussie- rung auf Wettbewerbsfähigkeit und blindes Wachstum. Die Paradigmen in der EU müssen völlig anders ge- stellt werden. Der betriebswirtschaftliche Begriff der Wettbewerbsfähigkeit, der seit der Lissabon-Strategie aus dem Jahre 2000 zur Kernideologie europäischer Wirtschaftspolitik avanciert ist, eignet sich nicht als Ziel einer Volkswirtschaft. Europa muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die neoliberalen Dogmen müssen durch soziale und ökologische Kriterien ersetzt werden. Ich fürchte, dass die schönen Forderungen in Ihrem An- trag am Ende Papier bleiben, wenn sich die strategischen Grundlagen der EU nicht ändern. Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kauder sprach davon, dass Deutschland dank überdurch- schnittlicher Wirtschaftsentwicklung vorangehen sollte. An Ihrem eigenen Maßstab gemessen, ist Ihr Nationales Reformprogramm ein Armutszeugnis. Mit der EU-2020- Strategie haben wir uns zum Ziel gesetzt: 20 Millionen Menschen weniger sollen von Armut und Ausgrenzung bedroht sein. 16 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bür- ger sind deutsch. 16 Prozent von 20 Millionen sind 3,25 Millionen. Aber Herr Kauder sagt: Wir wollen vo- rangehen. Setzt sich die Bundesregierung also mehr als 3,25 Millionen als Ziel? Nein! 640 000 ist die kümmer- liche Zahl, die diese Bundesregierung sich gerade noch zutraut. Auch bei der Sozialpolitik geht diese Regierung nicht voran. Sie machen Deutschland zum Schlusslicht in Europa. Die Bundesregierung macht das Nationale Reform- programm an dieser Stelle zum notorischen Rechtferti- 20462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) gungsprogramm. Sie rechnen vor, wie sie Langzeitar- beitslosigkeit reduzieren wollen. Landzeitarbeitslose sind auch leider oft arm. Die EU-Kommission hat dieses Ablenkungsmanöver aber schon letztes Jahr kritisiert; denn Langzeitarbeitslose sind nur ein kleiner Teil der über 16 Millionen von Armut bedrohten Menschen in Deutschland. 15 von 16 Millionen kommen dann aber bei Ihrer Zielsetzung schon nicht mehr vor. Das ist ein Skandal. Hier gehört dringend nachgebessert. Dieser Fehler im Grundansatz Ihres Programms hat leider sogar System. Arbeit verhindert Armut, so lautet Ihr Rezept. Leider stimmt das immer öfter nicht. Ich zitiere aus dem Arbeitspapier der EU-Kommission zu Ihrem sehr ähnlichen Papier von letztem Jahr: „Obwohl immer mehr Menschen trotz Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind, wird dieses Thema nicht als Herausforde- rung eingestuft.“ Armut trotz Arbeit, das Problem igno- rieren Sie einfach, sagt die mehrheitlich von Konservati- ven besetzte EU-Kommission. Kein Wunder, denn selbst unter konservativen Regierungen fällt Deutschland negativ auf. Sie verweigern sich Mindestlöhnen, die in Europa die Regel sind. Lassen Sie sich von Europa in- spirieren. Statt Armut oder Lohnuntergrenzen brauchen wir Mindestlöhne überall in Europa. Armut trotz Arbeit, das ist leider auch für viele Leih- arbeiterinnen und Leiharbeiter harte Realität. Herr Kauder hat aufgefordert, wir sollten zu rot-grünen Erfol- gen stehen. Keine Angst, das tun wir. Vor allem sind wir aber auch bereit, aus Fehlern zu lernen. Mehr Leiharbeit hat teils zu mehr Beschäftigung geführt, teils aber auch feste Stellen ersetzt und Löhne gedrückt. Im Interesse der Beschäftigten und auch im Interesse Europas muss das beendet werden. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter verdienen den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft. Wir fordern: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am glei- chen Ort. So geht soziales Europa. Neben dem Ziel der Armutsbekämpfung verpflichtet uns die EU-2020-Strategie auf 75 Prozent Beschäfti- gungsquote. Sie sagen: Wir erreichen fast 77 Prozent. Da würde ich gerne wissen: Warum so bescheiden? Wer in Europa vorangehen will, sollte sein Ziel nicht danach aussuchen, was sich gut darstellen lässt, sondern mindes- tens danach, was bei ordentlicher Anstrengung möglich ist. Außerdem hält der Scheinerfolg keiner harten Über- prüfung stand. Mehr Beschäftigung ist vor allem mehr atypische Beschäftigung, die eben nicht vor Armut schützt. Ihr Programm spart an der falschen Stelle. Sie wollen nicht investieren, um den harten Kern der Arbeitslosig- keit anzugehen. Gleichzeitig schlägt die EU-Kommis- sion bei den EU-Strukturfonds ganz im Rahmen der EU- 2020-Strategie vor: Mindestens die Hälfte der Mittel soll für sozialpolitische Ziele ausgegeben werden. Ihre fal- schen Schwerpunkte stärken dabei meine Befürchtung. Sie wollen Mittel der EU verwenden, um ihre frischen Einschnitte bei der Arbeitsmarktpolitik ein bisschen zu ersetzen. Das wäre gegen die richtigen und nachhaltigen Ziele der EU-Förderung. So geht soziales Europa nicht. Seien sie europäischer als das! Nur ein Beispiel, welche ihrer Kürzungen ich beson- ders falsch finde. Der Gründungszuschuss war eine Hilfe für Menschen, die sich aufmachen, selbstständig zu sein statt arbeitslos. Alle Analysen loben dieses Instrument. Gegen den vereinten Rat aller Expertinnen und Experten haben Sie den Gründungszuschuss als Anspruch gestri- chen. Jetzt wird er nur noch halb so oft beantragt, wie er vorher genehmigt wurde. Das zeigt: Diese Bundesregie- rung kann erfolgreich gegen Arbeitslosigkeit sein, schon indem Sie ihre eigene Politik rückgängig macht. Sträflich vernachlässigt wird im Beitrag dieser Regie- rung zum europäischen Semester die europäische Dimension. Mindestlöhne und bessere Sozialpolitik hier helfen nicht nur Menschen in Deutschland. Mehr Kauf- kraft auf dem deutschen Binnenmarkt könnte auch die riesigen Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den EU-Krisenländern und Deutschland verringern. Eine Regierung, in der teils bis heute der Austritt Griechen- lands aus dem Euro gefordert wird, könnte endlich soli- darisch handeln. So würden Menschen in Deutschland und Menschen in Griechenland, Spanien und Portugal gleichermaßen profitieren. So ginge soziales Europa. Geben Sie Europa endlich wieder eine Chance! Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der SPD für den Antrag, der diese Kritik aufgreift. Es ist schade, dass die Bundesregierung für solche Kritik kaum offen ist. Herr Rösler behauptet: „Das Programm ruht auf breiten Schultern. Verbände, Sozialpartner und auch die Länder waren beteiligt.“ In derselben Debatte musste er einräu- men, die Frist sei „vergleichsweise kurz“ gewesen. Drei Arbeitstage lang hatte das Ministerium zugestanden. Das ist ein interessantes Zeichen dafür, wie wichtig der Regierung die Zusammenarbeit mit Verbänden und Gewerkschaften ist. Zum Glück haben Sie nach der Debatte und der zu erwartenden Kritik der EU-Kommission mehr als drei Tage Zeit, ein Programm mit ernsthaften Zielen zu for- mulieren. Nutzen Sie diese Zeit! 16 Millionen allein in Deutschland von Armut bedrohte Menschen haben eine bessere Politik dringend verdient. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft und Technologie: Die Bun- desregierung hat am 21. März das Nationale Reformpro- gramm 2012 verabschiedet. Das Dokument ist deutlicher Beleg für unsere erfolgreiche Regierungsarbeit. Mit die- ser Erfolgsbilanz können wir uns in Brüssel wirklich se- hen lassen. Die Europäische Kommission hatte uns für das Programm ambitionierte Vorgaben und einen engen Zeitplan gesetzt. Wir haben die Länder intensiv an der Erarbeitung beteiligt. Mit den Verbänden und Sozialpart- nern haben wir Gespräche geführt und ihre Stellungnah- men berücksichtigt. Im Ergebnis ist festzuhalten: Deutschland hat seine Verpflichtungen eingehalten und einen wichtigen Beitrag für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in Europa geleistet. Wir haben bei der Umsetzung der Europa-2020-Strate- gie konkrete, sichtbare Fortschritte gemacht. Das gilt für alle EU-2020-Ziele und ist ausgesprochen erfreulich. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20463 (A) (C) (D)(B) Mit ihrem Antrag, das Nationale Reformprogramm stärker auf soziale Ziele zu fokussieren, hinkt die SPD wieder einmal der Realität hinterher. In dieser Woche hat das Statistische Bundesamt Zahlen zum europäischen Vergleich bei der Armutsgefährdung und der Einkom- mensungleichheit veröffentlicht. Fakt ist: Deutschland liegt in Sachen Armutsgefährdung unter dem europäi- schen Durchschnitt und unter dem Durchschnitt der Euro-Länder. Bereits jetzt haben wir die von der EU für 2020 angestrebte Beschäftigungsquote von 75 Prozent praktisch erreicht. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im Vergleich zum Jahr 2008 um rund 15 Prozent gesun- ken. Der Anteil der Menschen mit Hochschul- oder ver- gleichbarem Bildungsabschluss übersteigt das EU-Ziel deutlich. Wir investieren massiv in Bildung und For- schung. Bildung und Beschäftigung zu sichern ist für uns auch in Zukunft das beste Mittel, um Armut zu be- kämpfen. Flexibilität und Effizienz des deutschen Ar- beitsmarktes sind auch weiterhin entscheidend, um mehr Beschäftigung und Wachstum in Deutschland zu errei- chen. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliede- rungschancen am Arbeitsmarkt sind wir dabei einen we- sentlichen Schritt weitergekommen. Wir setzen gezielte Schwerpunkte – weg von der Versorgung mit Maßnah- men der öffentlich geförderten Beschäftigung, hin zu ei- ner wirkungsvollen Aktivierungs- und Integrations- strategie mit mehr Entscheidungskompetenzen der Vermittler vor Ort. Damit ergänzen wir die Arbeits- marktreformen, die auch von der SPD Mitte des vergan- genen Jahrzehnts eingeleitet wurden. Die Koalition hat diese Reformen weiterentwickelt und zum Erfolg ge- führt. Aber die SPD vollzieht jetzt leider mit ihrem An- trag eine völlige Kehrtwende. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wollen den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Das gefährdet die in Deutsch- land bewährte Tarifautonomie und kostet Arbeitsplätze. Sie wollen die Öffnung der Zeitarbeit rückgängig ma- chen. Und dabei vergessen Sie, dass für viele Arbeitslose gerade dies der Weg in eine dauerhafte Beschäftigung ist. Ihr Antrag ist rückwärtsgewandt. Das, was Sie selbst mit eingeleitet haben und was sich jetzt am Arbeitsmarkt auszahlt, stellen Sie infrage. Deshalb lehnen wir den An- trag ab. Die Bereitschaft der Unternehmen, auch in Zu- kunft weiter einzustellen, hängt wesentlich davon ab, dass der Arbeitsmarkt flexibel bleibt. Genau hierfür steht diese Bundesregierung. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf staatli- chen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen (Zusatztagesordnungs- punkt 5) Karl Holmeier (CDU/CSU): Ein bekannter deutscher Politiker, der nicht der CSU angehört, hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist“. Damit hatte er durchaus recht, denn Gestalten kann man nur in Regierungsverantwor- tung. Opposition hat aber auch etwas für sich, wie man am vorliegenden Antrag der Linken sieht. Denn in der Opposition zu sein, eröffnet offenbar die bequeme Mög- lichkeit, ohne Rücksicht auf jede Sach- und Rechtslage Forderungen zu erheben, die fernab der Realität sind und nichts mit dem zu tun haben, was man unter verantwor- tungsvoller Politik versteht. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, hier einiges klarzustellen: Erstens. Für alle jene, die die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN GmbH nicht kennen: TLG steht für Treuhand Liegenschaftsgesellschaft. Das Unternehmen ist 1991 aus der Treuhandanstalt hervorge- gangen. Nachdem diese ihre Tätigkeit Ende 1994 been- dete, wurde die Verantwortung für die Erfüllung ihrer verbliebenen Aufgaben 1995 auf einzelne Gesellschaf- ten des Bundes übertragen. Die noch nicht privatisierten Liegenschaften der Treuhand wurden fortan von der TLG verwaltet. Zweitens. Seit dem Jahr 2000 wurde dann schließlich die Privatisierung der TLG vorbereitet, da ihr Zweck, der Treuhandauftrag, weggefallen ist. Diese Privatisie- rung ist mit dem Wegfall des Treuhandauftrages sogar nach der Bundeshaushaltsordnung zwingend vorge- schrieben, da damit kein wichtiges Interesse des Bundes mehr besteht. Mit ihrer Forderung operiert die Linke in- sofern nahe an der Rechtswidrigkeit. Drittens. Ein solches wichtiges Bundesinteresse lässt sich auch nicht aus der unbestrittenen Verantwortung des Staates herleiten, für bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnraum in Deutschland zu sorgen. Ich will auch gern begründen, warum. Schauen Sie sich doch einfach ein- mal das Portfolio der TLG an. Die Wohnungen der TLG befinden sich im Wesentlichen überhaupt nicht an den Orten, wo Wohnungsengpässe bestehen und wo eventu- ell der Staat zur Stabilisierung des Mietwohnungsmark- tes gefragt wäre. Die Wohnungen der TLG befinden sich vielmehr im Wesentlichen dort, wo es einen ausgewoge- nen Wohnungsmarkt gibt und wo zum Teil sogar Leer- stand herrscht. Die Bundesregierung hat sich hierzu auch bereits in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Novem- ber 2011 unter Drucksache 17/7594 geäußert und mitge- teilt, dass „die Steuerungswirkung des TLG-Wohnungs- bestandes auf die ostdeutschen Mietwohnungsmärkte … als gering eingeschätzt“ wird. Vielleicht hätten sich die Kollegen von der Linken diese Antwort zunächst einmal angeschaut. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht er- kennen, warum der Staat hier in den Wettbewerb mit pri- vaten Unternehmen treten und ins Immobiliengeschäft einsteigen sollte. Darüber hinaus ist mit Blick auf die Forderung, die TLG-Wohnungen an die Kommunen zu übergeben, zu beachten, dass der Bund aufgrund des EU-Beihilferechts daran gehindert ist, die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN freihändig zu verkaufen. Der Ver- kauf muss im Rahmen eines europaweit auszuschreiben- den Bieterverfahrens erfolgen. Der Bund hat damit kei- 20464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) nen Einfluss darauf, wer Kaufgebote abgibt. Auch dies kann man in der bereits genannten Antwort der Bundes- regierung vom November nachlesen. Viertens. Im Übrigen möchte ich betonen, dass die christlich-liberale Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung die Unterstützung sozial schwacher Haushalte bei der Wohnraumversorgung durchaus ernst nimmt. Denn letztlich ist dies die Aufgabe eines Sozial- staates. Wesentliche Ansatzpunkte hierfür sind die Ge- währung von Wohngeld zur Stärkung der Mietzahlungs- fähigkeit und die soziale Wohnraumförderung. Im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung kümmert sich der Staat um die Bereitstellung preiswerter Mietwohnun- gen für sozial schwache Haushalte und die Unterstüt- zung bei der Bildung selbst genutzten Wohneigentums vor allem für Haushalte mit Kindern. Auch die Schaf- fung von behindertengerechtem Wohnraum wird von zahlreichen Ländern und Kommunen gefördert. In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuwei- sen, dass die Zuständigkeit für die soziale Wohnraumför- derung im Zuge der Föderalismusreform mit Wirkung vom 1. September 2006 vom Bund auf die Länder über- tragen wurde. Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben erhalten die Länder zunächst bis einschließlich 2013 vom Bund jährlich 518,2 Millionen Euro. Darüber hi- naus setzt sich der Bund auch direkt im Zusammenhang mit der Privatisierung der TLG dafür ein, dass sozial- schwache Mieter und Menschen mit Behinderung ge- schützt werden. Im Rahmen einer Sozialcharta zum Schutz der Mieter soll verhindert werden, dass nach der Privatisierung aus den Wohnungen der TLG Luxusob- jekte entstehen und sozial schwache Mieter benachteiligt werden. Ich will an dieser Stelle keine plumpe Linken-Schelte betreiben, aber mir zwängt sich vor dem erläuterten Hin- tergrund der Verdacht auf, dass sich die Linke von der Vorstellung volkseigener Betriebe immer noch nicht ganz verabschiedet hat. Aus den Fehlern der Vergangen- heit scheint sie jedenfalls auch fast 22 Jahre nach der Deutschen Einheit in diesem Zusammenhang nichts ge- lernt zu haben. Aber wenn man in der Opposition ist, ist eben doch nicht alles Mist. Denn man kann fordern, was man möchte, sogar die Wiedereinführung volkseigener Betriebe. Hans-Joachim Hacker (SPD): Auch 22 Jahre nach der Gründung der Treuhandanstalt in der DDR hält der Bund immer noch Vermögenswerte aus diesem Bestand. Dazu zählen auch die von der TLG IMMOBILIEN ge- kauften nicht betriebsnotwendigen Immobilien der Treu- handanstalt. Die TLG IMMOBILIEN hat eine erfolgrei- che Sanierungspolitik betrieben und hält in den neuen Ländern Eigentum im Verkehrswert von circa 1,7 Mil- liarden Euro. Dieses verteilt sich auf die Segmente Bü- ros, Einzelhandel, Gewerbe und Wohnen. In der Gesamt- summe der Verkehrswerte stecken 544 Millionen Euro bei Wohnimmobilien. Die Bundesregierung hat die ursprüngliche TLG IMMOBILIEN zu Beginn dieses Jahres in zwei Gesellschaften zerlegt, die TLG IMMO- BILIEN GmbH einschließlich ihrer Tochterunternehmen und die TLG WOHNEN GmbH, die über rund 11 500 Wohnungseinheiten verfügt. Die Bundesregie- rung hat beschlossen, beide Gesellschaften zu veräußern, und zwar im Rahmen eines marktüblichen Bieterverfah- rens, das im Amtsblatt der EU bekannt gegeben ist. Der Bundesfinanzminister plant nach dem gescheiterten ers- ten Privatisierungsversuch im Herbst 2008 aufgrund der damaligen Finanzkrise den Abschluss der Privatisierung der beiden Gesellschaften bis Ende 2012. Eine milliar- denschwere Euro-Einnahme soll dem Bundeshaushalt Kraft verleihen. Dies ist der Hintergrund für den Antrag der Fraktion Die Linke, über den wir beraten. Den Feststellungen, dass Wohnen ein elementares Grundbedürfnis der Men- schen ist, kann sich die SPD-Bundestagsfraktion an- schließen, und die soziale Komponente von öffentlichem Wohneigentum ist unbestritten. Sie ist für uns ein hohes Gut. In Zeiten, in denen zu wenige Wohnungen gebaut werden und die Preise auf dem Mietmarkt steigen, ist ein reiner auf Erlös ausgerichteter Verkauf von bundeseige- nen Wohnungsbeständen im Bieterverfahren auf dem freien Markt das absolut falsche Signal. Wir müssen hier auf allen Ebenen gegensteuern. Dieser Verantwortung kann sich auch der Bund nicht entziehen. Bei künftigen Überlegungen zur Veräußerung von Bundeswohneigen- tum müssen vorrangig Überlegungen angestellt werden, den Einfluss der öffentlichen Hand zu sichern oder ge- nossenschaftliche Erwerbsmodelle zu entwickeln. Nicht die Euro-Zeichen in den Augen des Finanzministers sind der Maßstab, sondern die Aufrechterhaltung eines regu- lierenden Einflusses auf dem angespannten Wohnungs- markt in Deutschland – soweit dies möglich ist. Für die Aufrechterhaltung des Einflusses der öffentlichen Hand stehen die Kommunen. Der Weg muss also in Richtung der Länder beschritten werden, es gibt hierfür Beispiele. Ich erinnere an die Verhandlungen zwischen Bund und den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Branden- burg über den Verkauf bundeseigener Seengewässer. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte in ihrem damaligen An- trag genau diesen Weg beschrieben. Leider ging die Ein- sicht der Koalitionsfraktionen nicht so weit. Nun haben aber Verhandlungen stattgefunden und sind erste Ergeb- nisse erreicht worden. Die SPD-Bundestagsfraktion ist allerdings nicht der Meinung, wie es sich aus dem Antrag der Fraktion Die Linke ergibt, dass die TLG IMMOBILIEN GmbH, die in den Segmenten Büros, Einzelhandel, Gewerbe und Dienstleistungen Immobilien hält, dauerhaft im Eigen- tum behalten soll. Die Übernahme des ursprünglichen Gesamtbestandes resultierte aus der notwendigen Tren- nung von nicht betriebsnotwendigen Immobilien von den Unternehmen der Treuhandanstalt. Die TLG IMMOBI- LIEN war für diesen Bereich von vornherein eine zeitlich befristete Einrichtung. In dem Moment, wo sich Möglich- keiten einer günstigen Veräußerung für den Bund erge- ben, sind diese ernsthaft zu prüfen. Es gibt hier im Gegensatz zum Wohnungsbestand auch nicht die Not- wendigkeit von Kooperationsmodellen mit den Ländern bzw. Kommunen, da nach allgemeiner Kenntnis beide staatlichen Ebenen kein Interesse am Eigentumserwerb derartiger Objekte haben. Auf diese gravierenden Unter- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20465 (A) (C) (D)(B) schiede zwischen den beiden Immobiliengruppen und somit den beiden Gesellschaften des Bundes will ich deutlich hinweisen. Sollte der Bund wie geplant das Bieterverfahren für die TLG IMMOBILIEN – ich meine ausdrücklich nicht die TLG WOHNEN – bis zum 31. De- zember 2005 weiterverfolgen, erwartet die SPD-Bundes- tagsfraktion, dass hierbei die Interessen der Beschäftigten und übergreifende gesellschaftliche Interessen Berück- sichtigung finden. Ich meine hier insbesondere, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben darf, dass die Objekte wie bislang im Fortbestand gesichert werden und in die Stadtentwicklung einbezogen bleiben. Für den Verkauf der TLG WOHNEN sieht die SPD- Bundestagsfraktion, wie oben dargestellt, keine Grund- lage. Im Gegenteil: Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen nicht durchzuführen. Wegen der undifferenzierten Antragstellung der Frak- tion Die Linke, die nicht zwischen den Immobilienbe- ständen der TLG IMMOBILIEN GmbH, Gewerbe, und der TLG WOHNEN GmbH, Wohnbestände, unterschei- det, wird sich die SPD-Bundestagsfraktion bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Sebastian Körber (FDP): Die SED-Erben der Linksfraktion und das Eigentum – das ist immer wieder ein Kapitel für sich; jetzt bereichern Sie uns mit einer weiteren Kostprobe. Sie wollen – wenig überraschend – keine Privatisierungen der TLG-Wohnungen, weil es Ih- nen natürlich um Ideologie geht. Für mich und meine Fraktion ist Privatisierung aber keine Frage der Ideolo- gie; denn es stellt sich die spannende Frage, was zu den Aufgaben des Staates gehört und was nicht. In der Be- antwortung dieser Frage unterscheiden wir uns als Libe- rale fundamental: Die Linke meint, der Staat könne alles besser, die Gesellschaft wisse am besten, was für den Einzelnen gut ist. Sie haben aus der Geschichte wahrlich nichts gelernt oder sie bewusst verdrängt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung zu Recht zu einer grundsätzli- chen Überprüfung staatlichen Beteiligungsbesitzes ver- pflichtet. Konkrete Maßstäbe für diese Überprüfungen sind dabei die Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung sowie ein eindeutiges Nein auf die Frage, ob für eine Be- teiligung an Unternehmen ein „wichtiges Bundesinte- resse“ besteht. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen wirtschaftlich zu veräußern – das ist also sowohl das Recht als auch die Pflicht des Bundes. Das gilt auch im Fall der TLG IMMOBILIEN GmbH; wir als FDP begrü- ßen den Verkauf. Der Bund wollte bei seinem ersten Anlauf zur Privati- sierung 2008 die TLG IMMOBILIEN GmbH noch als Ganzes verkaufen. Dies hatte seinerzeit zur Folge, dass vor allem Finanzinvestoren am Erwerb der TLG interes- siert waren. Für strategische Investoren war die TLG zu breit aufgestellt. Der Finanzminister hat daher richtig entschieden, sämtliche Wohnimmobilien in eine separate Gesellschaft – die TLG WOHNEN – zu übertragen, um auf diese Weise einen getrennten Verkauf der Wohnim- mobilien und der Gewerbeimmobilien zu ermöglichen. Hierdurch können die Chancen des Erwerbs durch lang- fristig orientierte Investoren sowie die Chancen auf ei- nen dauerhaften Fortbestand der Unternehmen erhöht werden. Der Verkauf der TLG IMMOBILIEN GmbH und der TLG WOHNEN erfolgt aktuell im Einklang mit dem EU-Beihilferecht im Rahmen eines europaweit aus- zuschreibenden Bieterverfahrens. Es ist schon sehr durchsichtig, in welcher Art und Weise von der Linksfraktion hier mit Ängsten und Ver- unsicherung gearbeitet wird, um daraus politisches Ka- pital zu schlagen. Es wird ja suggeriert, dass Mieter aller ihrer Rechte beraubt werden, wenn der Staat sich von überflüssigen Beteiligungen bei Immobiliengesellschaf- ten trennt. Sie müssen sich doch darüber im Klaren sein, dass die Mieter schon aufgrund des geltenden Mieter- rechts bei einem Kauf geschützt sind. Die Linke behaup- ten in ihrem Antrag, Wohnungsprivatisierungen führten zur Verschlechterung des Mieterschutzes. Richtig ist hingegen, dass wir ein sehr starkes Mietrecht zum Schutz der Mieter in Deutschland haben, eines der stärksten der Welt; das verschweigen Sie bei Ihren An- trägen natürlich immer geflissentlich. Das deutsche Mietrecht lässt Mieterhöhungen nur in engen Grenzen zu und bietet hierzu hinreichend Schutz. Das Mieterhöhungsverlangen des Vermieters darf nicht über die ortsübliche Vergleichsmiete hinausgehen. Wei- tergehende Mieterhöhungen sind nur möglich, wenn durch Modernisierungsmaßnahmen der Gebrauchswert der Wohnung erhöht wird. Zusätzlich kommen in beiden Fällen Kappungsgrenzen zur Anwendung. Die Wohnim- mobilien der TLG befinden sich zu über 90 Prozent in einem qualitativ hochwertigen Zustand, sodass „Luxus- sanierungen“ unwahrscheinlich sind. Der Bund als Verkäufer ist sich darüber hinaus der sozialen Verantwortung gegenüber den Mietern der Wohnimmobilien der TLG bewusst und wird dieser Ver- antwortung gerecht werden, soweit dies zum Schutz der Mieter erforderlich und angemessen ist. Er beabsichtigt daher, mit den Bietern für die TLG WOHNEN Ver- handlungen über den Abschluss einer Sozialcharta zum Schutz der Mieter zu führen. Wie der Verkauf von deut- schen Wohnimmobiliengesellschaften in den vergan- genen Jahren gezeigt hat, ist der Abschluss einer Sozialcharta zum Schutz der Mieter inzwischen bran- chenüblich. Die Linke tischt uns heute wieder allerhand tristen programmatischen Plattenbau auf. Wie das in der Reali- tät ausgesehen hat, wissen wir alle: düstere Trabanten- und verfallene Innenstädte in der DDR und anderen so- zialistischen Staaten, die das Wohnen nicht gerade le- benswert machten. Der TLG-Verkauf ist für mich hingegen ein gutes Beispiel dafür, dass der Staat nicht alles machen kann, sondern dass man es demjenigen überlassen sollte, der es am besten kann. Wir stehen als FDP für den schlanken Staat und eine moderne zukunftsfähige Wohnungspolitik jenseits von Ideologie und linker Symbolpolitik und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Diesen Kurs wollen wir zum Wohle unseres Landes kon- sequent fortsetzen. 20466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Dass die Linke kon- sequent und stetig gegen den Privatisierungsrausch der Bundesregierung ankämpft, ist Ihnen nicht neu. Das hat mit unserem Verständnis von Sozialstaat und politischer Verantwortung für soziale Gerechtigkeit zu tun. Dass wir aber nun einen Antrag einbringen, der vor allem den Schutz der TLG WOHNEN GmbH vor der Privatisierung zum Inhalt hat, werden manche hier im Haus zumindest merkwürdig finden: Ausgerechnet die Linke setzt sich scheinbar für eine Nachfolgegesellschaft der Treuhandanstalt, der vormaligen Treuhand Liegen- schaftsgesellschaft und jetzigen TLG IMMOBILIEN GmbH, ein. Bemerkenswert ist daran aber vor allem, dass wir au- genscheinlich die einzige Partei sind, die diesen beab- sichtigten Verkauf der TLG GmbH grundsätzlich hinter- fragt. Es geht hier immerhin um eine Bilanzsumme von fast 1,9 Milliarden Euro, wovon allein rund 1,7 Milliar- den Immobilienvermögen sind. Verkauft werden sollen aber nicht schlechthin 11 500 Wohnungen und diverse Gewerbeimmobilien, sondern die TLG IMMOBILIEN GmbH insgesamt, die extra wegen der vermeintlich bes- seren Verkaufsaussichten zum Jahresbeginn 2012 in zwei Gesellschaften aufgespalten worden ist. Angeboten werden auch keine Tranchen von Wohnungsbeständen in den betroffenen Städten Berlin, Dresden, Rostock, Mer- seburg, Stralsund und Halle, sodass sich die Kommunen, kommunale oder regionale Wohnungsgesellschaften an dem – sehr eiligen – „strukturierten Bieterverfahren“ be- teiligen könnten. Ich frage mich, wie zwei Parteien, die angeblich den Mittelstand so sehr ins Herz geschlossen haben und stän- dig von liberaler Chancengleichheit schwafeln, so etwas betreiben können. Das Verfahren läuft vom 8. März bis zum 16. April dieses Jahres. Der Verkauf insgesamt soll in diesem Jahr über die Bühne gehen. Das Bundesministerium der Finanzen sieht ausdrück- lich nur den Verkauf sämtlicher Gesellschaftsanteile an einen oder höchstens zwei Erwerber vor. Zu Beginn zwei Fragen: Erstens. Wer kann das wohl sein? Zwei- tens. Wird mit diesem Verkaufsmodell möglicherweise die Grunderwerbsteuer umschifft? Wohlgemerkt: Das sind keine Schrottimmobilien, die man lieber heute als morgen loswerden müsste, sondern das sind gut vermietete und verwaltete Wohnungen und Gewerbeobjekte, die Jahr für Jahr satte Gewinne abwer- fen. Es ist, als würde man das Huhn, das goldene Eier legt, für einen schnellen Happen zwischendurch schlach- ten. Mit nachhaltiger Haushaltskonsolidierung hat das nicht das Geringste zu tun. Das ist lediglich der untaugli- che Versuch, neu klaffende Haushaltslöcher kurzfristig zu kaschieren. Nicht einmal von „solide stopfen“ könnte hier die Rede sein. Aber dieser wirtschaftliche Unfug ist nur die eine Seite der Medaille. Viel gravierender sind aus meiner Sicht drei charakteristische Denk- und Verhaltensmuster dieser Koalition, die hier wieder einmal deutlich sichtbar werden: Erstens. Mit dem Verkauf öffentlicher Wohnungsbe- stände bedient man nicht nur die privaten Profitinteres- sen von großen Anlegern und internationalen Finanzin- vestoren, für die der deutsche Immobilienmarkt höchst lukrativ ist, sondern man entledigt sich zugleich eines weiteren Stücks politischer Verantwortung für das so- ziale Funktionieren der Gesellschaft. Um den erhofften Verkaufsgewinn nicht zu schmälern, werden die Eig- nungskriterien für die Interessenten möglichst tief ge- hängt. Eine „kurze Begründung der mit dem Erwerb ver- folgten Ziele“ und „Angaben bzw. Nachweise zur finanziellen Leistungsfähigkeit“ sollen nach dem Be- kanntmachungstext des BMF für eine Zuschlagsertei- lung ausreichen. Noch einmal: Hier werden keine leblosen Wohn- und Gewerbeimmobilien verscherbelt, sondern Gesellschaf- ten mit dem jahrzehntelangen Wissens- und Erfahrungs- schatz ihrer Mitarbeiter und – was uns am meisten em- pört – mit allen Mieterinnen und Mietern, die seit vielen Jahren in ihren Wohnungen, in ihren Nachbarschaften, in guten, gewachsenen Wohnlagen leben und dort auch weiter unbehelligt und sicher bleiben wollen. Aber nicht einmal eine Nachbesserung der Mietverträge zum Schutz der Mieter ist bisher vorgesehen. Das ist eiskaltes Kalkül ohne jede soziale Regung oder Rücksichtnahme auf die betroffenen Menschen. Das geht so nicht! Zweitens. Man geht weiter den Irrweg, mit kurzfristi- gen Einmalerlösen strukturelle Defizite kompensieren zu wollen, ohne zu bedenken, dass daraus dauerhafte Mehr- ausgaben an anderer Stelle entstehen. Drittens. Man vertut vor allem die Chance, mit dem Potenzial, das in solchen Vermögenswerten steckt, nach neuen, dauerhaft tragenden Modellen zu suchen. Wenn schon die Bundesregierung kein „wichtiges Bundesinteresse“ mehr am Halten der Wohnungsbe- stände sieht, sollte sie doch zumindest bedenken, dass sehr wohl ein starkes öffentliches Interesse am Erhalt dieser Wohnungen im öffentlichen Eigentum besteht. Schon die verheerenden Erfahrungen, die so manche Kommune mit dem Verkauf ihrer Wohnungsgesellschaf- ten an Finanzinvestoren gemacht hat, sollten dieses Inte- resse eindrucksvoll illustrieren. Unbestreitbar – und inzwischen auch für den letzten Ignoranten unübersehbar – ist, dass wir in Deutschland – speziell in den Großstädten – wieder ein massives Wohnungsproblem haben. Eine Facette dieses Problems ist das Fehlen von bezahlbarem, mietpreisgebundenem Wohnraum in vielen Städten und Regionen der Bundes- republik. Natürlich wissen wir, dass mit 11 500 Wohnun- gen nicht alle Probleme gelöst werden können; aber man kann damit in den Städten, wo sie konzentriert sind, ei- nen Anfang machen. Wenn man politischen Gestaltungs- willen besäße und bereit wäre, Neues zu probieren, könnte man damit Modelle entwickeln, die auch auf an- dere Städte und Regionen übertragbar wären und zur dauerhaften Lösung der Wohnungsprobleme beitragen könnten. Dazu muss aber – und das ist unsere Kernforderung – das laufende Bieterverfahren sofort ausgesetzt, der beab- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20467 (A) (C) (D)(B) sichtigte Verkauf zumindest der Wohnungen sofort un- terbunden werden. Dann: Kleinere Pakete schnüren und mehr Zeit und Gründlichkeit vorsehen, damit sich kom- munale und regionale Wohnungsgesellschaften oder Ge- nossenschaften und die Mieterinnen und Mieter beteili- gen können. Wir stellen uns folgende Schritte vor: Erstens. Zunächst sollte geprüft werden, ob in den be- treffenden Kommunen wirtschaftlich ausreichend starke Wohnungsgesellschaften existieren, die die TLG-Woh- nungen in ihren Bestand übernehmen können. Der Kauf- preis sollte dabei – auch wenn es entgegenstehende ge- setzliche Regelungen gibt – eher symbolisch sein. Schließlich hat die TLG ja nichts für diese Immobilien bezahlt. Sie sind ihr – freundlich ausgedrückt – in den Schoß gefallen. Zweitens. Wenn Kommunen oder kommunale Gesell- schaften die Wohnungsbestände nicht erwerben können oder wollen, sollten Modelle entwickelt werden, bei de- nen die bundeseigenen Wohnungen in Genossenschaften oder Stiftungen übertragen werden. Auch ein Verkauf von Wohnungen an deren Bewohner sollte geprüft wer- den. Drittens. Wo all dies nicht oder noch nicht möglich ist, könnte die TLG IMMOBILIEN GmbH unter klaren Sozialvorgaben die Verwaltung weiter betreiben oder eine Aufgabenübertragung zum Beispiel an die BImA erfolgen, bis ein passfähiges Gesellschaftsmodell für die jeweiligen kommunalen Verhältnisse gefunden ist. Grundsätzlich geht es darum, solidere Grundlagen für kommunale Wohnungspolitik zu schaffen oder sie zu er- weitern und einen Grundstock an Wohnungseigentum in öffentlicher Hand zu sichern. Damit kann ermöglicht werden, sozialen Bedürfnissen zu entsprechen und dabei den gesellschaftlich notwendigen Umbau der Woh- nungsbestände zu Barrierefreiheit und Klimaschutz vo- ranzubringen. Der geplante Verkauf – speziell der TLG WOHNEN GmbH – leistet dazu nichts, und er ist überhaupt kein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung oder zum Schul- denabbau. Er verbaut aber Chancen auf neue Denk- und Lösungsansätze, die in der Wohnungswirtschaft drin- gend gebraucht und von dort auch eingefordert werden. Also, Herr Finanzminister, geben Sie diesen untaugli- chen Plan auf, und leisten Sie einmal einen bescheidenen Beitrag, um den dringend notwendigen sozialökologi- schen Umbau der Gesellschaft einen kleinen Schritt vo- ranzubringen! Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst möchte ich der antragstellenden Fraktion für den Antrag zur Privatisierung der TLG recht herzlich danken; denn es bringt ein wichtiges Thema auf die poli- tische Agenda: den Verkauf öffentlichen Immobilien- eigentums. Der Antrag enthält wichtige Passagen wie die Feststellung, dass Wohnen als elementares Grund- bedürfnis Teil der Würde aller Menschen ist und daher staatlichen Schutzes bedarf. Dies deckt sich mit Art. 25 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung …“, sowie mit Art. 13 des Grundgesetzes, in dem die Unverletzlich- keit der Wohnung geregelt ist. Klar ist auch, dass der Bund angehalten ist, ausrei- chende materielle Voraussetzungen zur Wohnraumver- sorgung zur Verfügung zu stellen. Dieser Anforderung kommt der Bund über die Städtebauförderung und so- ziale Wohnraumförderung nach, wobei festgestellt wer- den muss, dass die Städtebauförderung dringend auf 610 Millionen Euro zu erhöhen ist. Mit der Föderalismusreform I wurde den Bundeslän- dern vom Bund die ausschließliche Gesetzgebungsbe- fugnis für das Recht der Wohnraumförderung und der Wohnungsbindung übertragen. Hierfür erhalten sie zur Kompensation bis 2013 jährlich 518,2 Millionen Euro, bis 2019 gibt es noch eine Übergangsfrist. Diese Mittel fließen unter anderem in den Rückkauf von Belegungs- bindungen, was an sich nicht falsch ist. Allerdings wird dadurch nicht der Kern des Problems gelöst. Denn es werden in Deutschland zu wenige Mietwohnungen in den Segmenten niedriger und moderater Preise gebaut. Der geringe Wohnungsneubau in Deutschland konzen- triert sich auf den Bau von Wohneigentum und Miet- wohnungen im Luxussegment. Nach den Erhebungen der Fachkommission Woh- nungsbau/SUBVE Bremen gab es in Deutschland Ende 2008 circa 1,85 Millionen Wohnungen mit einer sozialen Belegungsbindung. Das sind nur knapp 5 Prozent der knapp 40 Millionen Wohnungen in Deutschland. Im Ver- gleich: 2006 waren es noch etwas mehr 2 Millionen Wohnungen mit Belegungsbindung. Es fallen also jähr- lich rund 100 000 Wohnungen aus der Bindung. Hinzu kommt, dass der Bestand zwischen den einzelnen Bun- desländern ungleich verteilt ist. Die Mietpreisbindung zur Sicherung von Wohnraum für einkommensschwache Haushalte ist ein wichtiges Instrument in der Wohnungspolitik. Besonders für die Kommunen bieten der Rückkauf und Erhalt von Bele- gungsbindungen gerade in beliebten zentrumsnahen Stadtquartieren eine Möglichkeit der Einflussnahme auf den Wohnungsmarkt. Angesichts der kommunalen Fi- nanzlage müssen sie hierfür finanzielle Unterstützung aus Wohnraumförderprogrammen erhalten. Leider lässt sich der Erwerb von Belegrechten im Bestand in der Pra- xis nur selten bei einzelnen Vermietern realisieren. Da- rüber hinaus entziehen sich zunehmend die großen Woh- nungsunternehmen diesem Handlungsansatz. Es bleibt festzuhalten, dass eine Mietpreisbindung ein sinnvolles Instrument der Wohnungspolitik ist. Wir haben hierzu in unserem Antrag „Wohnraum in Deutschland zukunfts- fähig machen“, im Gegensatz zum vorliegenden Antrag, konkrete Vorschläge hinsichtlich Mietobergrenzen ge- macht. Bevor ich zur Privatisierung der TLG komme, möchte ich Grundsätzliches zur Privatisierung öffentlichen Woh- nungsbestandes in Deutschland ausführen. Es befinden sich noch knapp 10 Prozent des Wohnungsbestands in 20468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 (A) (C) (D)(B) der Hand von öffentlichen Wohnungsunternehmen, diese sind hauptsächlich im Besitz von Ländern und Kommu- nen. Nach zahlreichen Privatisierungen ist die öffent- liche Wohnungswirtschaft bereits deutlich geschrumpft, obwohl sie bei der Vermeidung von Verdrängungspro- zessen eine wesentliche Rolle spielen kann und soll. So kann sie bezahlbaren Wohnraum für einkommensschwa- che Mieter bereitstellen. In den Bereichen energetische Modernisierung und Barrierefreiheit kann sie eine ent- scheidende Vorbildfunktion erfüllen. Die öffentliche Wohnungswirtschaft muss daher auf allen Ebenen, Län- der und Kommunen, wieder unter anderem durch gezielte Ankäufe oder Wohnungsneubau in verschiede- nen städtischen Lagen – gerade auch in den beliebten innerstädtischen – gestärkt werden. Einen weiteren Verkauf öffentlicher Wohnungen an spekulative Finanz- investoren darf es nicht mehr geben. Müssen öffentliche Wohnungen aufgrund finanzieller Zwänge dennoch ver- kauft werden, sind nachhaltig wirtschaftende Wohnungs- gesellschaften, Genossenschaften oder – bei geeigneten Objekten – auch Mieterprivatisierungen zu bevorzugen. Dennoch: Eine Privatisierung öffentlichen Wohn- eigentums auf den Ebenen der Bundesländer und Kom- munen ist nicht per se abzulehnen und ist im Einzelfall zu prüfen. Es kann aber auch durchaus richtig sein, öffentliches Wohneigentum nicht zu veräußern wie im Fall der Nassauischen Heimstätte in Hessen; hier hat sich die grüne Landtagsfraktion deutlich gegen einen Verkauf ausgesprochen. Nun zur Kernforderung des Antrags „Privatisierung der TLG stoppen“. Einen grundsätzlichen Verkaufs- stopp, wie im vorliegenden Antrag formuliert, lehnen wir Grüne ab. Wir würden den Verkauf an eine sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaftende Wohnungs- gesellschaft oder Genossenschaft mit langfristiger Unternehmensplanung sehr begrüßen. Da die TLG WOHNEN en bloc verkauft werden soll, kommt leider eine Mieterprivatisierung nicht in Betracht. Die TLG in eine bundeseigene Wohnungsgesellschaft umzuwandeln, macht angesichts der Größe – 1 151 Ob- jekte, 15 864 Mieteinheiten gesamt, 11 917 Mieteinhei- ten/Wohnen, verteilt über 212 Kommunen – und lokalen Konzentration des Unternehmens auf die neuen Bundes- länder keinen Sinn. Denn aufgrund dieser vorliegenden Rahmendaten ist die TLG als wohnungspolitisches Steue- rungsinstrument des Bundes schlicht nicht geeignet. Selbst wenn man die Wohneinheiten der TLG mit den 40 000 Wohnungen der BImA fusionieren würde, wäre dieses Unternehmen kleiner und hätte eine breitere Streuung ihres Portfolios als die landeseigene Nassaui- sche Heimstätte mit 60 000 Wohnungen in Hessen. Ein wirksames bundesweites Steuerungsinstrument wäre dies weder für die Wohnungsmärkte der neuen Bundes- länder im Besonderen noch für den deutschen Woh- nungsmarkt an sich. Die Einführung von dauerhaft verbindlichen sozialen Kriterien in Form einer Sozialcharta, die verbindlich im Kaufvertrag festgehalten oder direkt in die bestehenden Wohnungsmietverträge integriert wird, begrüßen wir ausdrücklich. Eine für den Käufer verpflichtende barrie- refreie und energetische Sanierung sehen wir, wenn nicht das Kopplungsprinzip beachtet und eine Warmmie- tenneutralität wenigstens angestrebt wird, sehr kritisch, besonders wenn die demografische Entwicklung und die damit verbundenen sinkenden Einwohnerzahlen berück- sichtigt worden. Auch hier bleibt der Antrag sehr unkon- kret bis inhaltsleer. Die Investitionsentscheidung in ei- nem solchen Marktumfeld sollte dem Käufer überlassen werden. Wenn eine Entscheidung hinsichtlich einer In- vestition positiv ausgefallen ist, greifen je nach Umfang der Maßnahmen sowieso die Anforderungen, die in der EnEV formuliert sind. Der Antrag enthält viele wichtige Facetten der real existierenden Probleme auf den Wohnungsmärkten, aber man sollte der Versuchung widerstehen, der Wohnungs- wirtschaft die Rolle einer eierlegenden Wollmilchsau zuweisen zu wollen; das wird sie nicht leisten. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Die von der Bundesregierung beabsichtigte Privatisierung der TLG IMMOBILIEN GmbH und der TLG WOHNEN GmbH hat rechtliche, haushaltspolitische und wettbewerbspolitische Gründe. Bereits im Jahr 2000 wurde die TLG IMMOBILIEN in ein normales Wirtschaftsunternehmen umgewandelt, mit dem Ziel, sie mittelfristig zu privatisieren. Das Unter- nehmen hat seitdem ein attraktives Immobilienportfolio aufgebaut. Der TLG WOHNEN GmbH wurden mit wirtschaftli- cher Wirkung zum 1. Januar 2012 sämtliche Wohnimmo- bilien der TLG IMMOBILIEN GmbH übertragen. Die TLG WOHNEN GmbH verfolgt keinen öffentlichen Zweck. Die Gründung und die Übertragung der Wohnbe- stände dienten ausschließlich dem Zweck, die Privatisie- rung zu erleichtern. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, über eigene Unternehmen Bürgern Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Es gibt keine Legitimation – insbesondere keinen öffentlichen Auftrag – für eine Beteiligung des Bundes an „normalen“ Immobiliengesellschaften wie der TLG IMMOBILIEN GmbH und der TLG WOHNEN GmbH, die im Wettbewerb mit anderen Immobilienunternehmen stehen. Der Bund hat der TLG IMMOBILIEN GmbH seit ih- rer Gründung im Jahre 1991 in erheblichem Umfang Ei- genkapital zur Verfügung gestellt. Die Privatisierung dient daher auch dem Ziel, nach Erfüllung des öffentli- chen Auftrags durch die TLG den Rückfluss der in die TLG investierten Steuermittel in den Bundeshaushalt si- cherzustellen. Der Bund ist auch aus rechtlichen Gründen gehalten, die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN GmbH zeitnah zu verkaufen: § 65 Abs. 1 der Bundes- haushaltsordnung verpflichtet den Bund, sich von Betei- ligungen an Unternehmen zu trennen, wenn kein wichti- ges Interesse an der Beteiligung des Bundes mehr vorliegt. Bei der TLG IMMOBILIEN GmbH ist das wichtige Bundesinteresse mit dem Wegfall des ehemals öffentlichen Zwecks ihrer Tätigkeit entfallen. Aufgabe Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20469 (A) (C) (D)(B) der TLG IMMOBILIEN in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war es, die über 100 000 Immobilien ehe- mals „volkseigener Betriebe“, die ihr von der Treuhand- anstalt übertragen worden waren, an Investoren zu ver- kaufen bzw. in geringerem Umfang zu kommunalisieren oder Alteigentümern zurückzugeben. Diese Aufgabe hat die TLG inzwischen erfolgreich abgearbeitet. Aus den genannten Gründen ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN GmbH zu privatisieren. Ein Stopp der Privatisierung – wie von der Fraktion Die Linke ge- fordert – ist daher nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Aus denselben Gründen ist es auch rechtlich nicht zuläs- sig, deren Wohnungsbestände dauerhaft von einer bun- deseigenen Wohnungsgesellschaft bewirtschaften zu las- sen. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung schon in der letzten Legislaturpe- riode diese Auffassung vertreten hat. Die damals einge- leitete Privatisierung konnte aber wegen der Krise an den Finanzmärkten nicht realisiert werden. Gegen den Antrag der Fraktion Die Linke, den Woh- nungsbestand in kommunales Eigentum zu überführen, sprechen mehrere Gründe. So ist der Wohnungsbestand der TLG WOHNEN GmbH großflächig auf alle neuen Bundesländer und Berlin verteilt. Kommunen dürfen nur Wohnbestände in der jeweiligen Kommune bewirtschaf- ten. Auch kommunale Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften sind in der Regel nur regional tätig. Die Forderung der Fraktion Die Linke liefe daher darauf hinaus, die TLG-Gruppe bzw. das Unternehmen TLG WOHNEN GmbH zu zerschlagen, um gegebenenfalls einzelne Wohnimmobilienportfolien an Kommunen oder kommunale Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften zu verkaufen. Dies hätte einen Abbau von Arbeitsplätzen und eine Vernich- tung von Werten zur Folge, weil der Wert der TLG WOHNEN GmbH höher ist als der reine Wert ihrer Wohnimmobilien. Im Übrigen ist der Bundesregierung nicht bekannt, dass Kommunen oder kommunale Woh- nungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften willens und finanziell in der Lage sind, derartige Woh- nimmobilienportfolien zu erwerben. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung nach euro- päischem Beihilferecht verpflichtet ist, die Privatisie- rung europaweit auszuschreiben. Die Bundesregierung ist daher schon aus Rechtsgründen daran gehindert, mit Kommunen und kommunalen Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften außerhalb eines offenen Bieterverfahrens in exklusive Verkaufsverhand- lungen zu treten. Sie kann lediglich Verkaufsverhandlun- gen mit solchen Interessenten führen, die im Rahmen des nunmehr gestarteten Bieterverfahrens ein Kaufange- bot abgeben. Die Bundesregierung ist sich ihrer sozialen Verant- wortung für die Mieter der Wohnimmobilien der TLG WOHNEN GmbH bewusst und wird ihr gerecht werden. Die Bundesregierung hat bereits am 2. November 2011 als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck gebracht, dass sie beabsichtigt, mit den Bietern eine Sozialcharta zum Schutz der Wohnungsmieter abzuschließen. Dies möchte ich heute noch einmal bekräftigen. Die Bundesregierung legt bereits im Vorfeld der Transaktionsplanung großen Wert darauf, die Interessen und Schutzbedürfnisse der Mieter im Prozessverlauf durchgängig zu berücksichti- gen und zu wahren. Sie wertet zu diesem Zweck unter anderem Wohnungsprivatisierungen der vergangenen Jahre systematisch darauf aus, welche Gestaltungsmerk- male in Transaktionen sich zugunsten einer nachhaltigen Gewährleistung des Mieterschutzes ausgewirkt haben, aber andererseits auch, welche Fehler und Versäumnisse zu sehen waren und zu vermeiden sind. Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, den Mieter- schutz als wichtiges Strukturmerkmal des Privatisierungs- prozesses für das TLG-Portfolio fest im Transaktionspro- zess zu verankern, soweit dies unter beihilferechtlichen Aspekten zulässig ist. Das Bundesfinanzministerium steht hierzu bereits im Dialog mit Mietervertretern. Die Bundesregierung wird sich insbesondere dafür starkmachen, ältere und behinderte Mieter vor Nachtei- len zu schützen. 172. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3, ZP 2 Europäischer Stabilitätsmechanismus undFiskalpakt TOP 4 Bürgerfreundliche Infrastruktur TOP 36, ZP 3 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 37, ZP 4 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 5 Abbau der kalten Progression TOP 6 Privilegien der energieintensiven Industrie TOP 7 Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien TOP 8 Betreuungsgeld TOP 9 Stärkung der europäischen Finanzaufsicht TOP 10 Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik TOP 11 Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht TOP 12 Hochschulpakt TOP 13 Internationaler Währungsfonds TOP 14 Akteneinsichtsrechte TOP 15 Europäische Bank für Wiederaufbau undEntwicklung TOP 16 Bildungs- und Teilhabepaket TOP 17 Gesetz zum Vertrag mit dem Zentralrat der Juden TOP 18 Sicherung von Wasser und Ernährung TOP 19 Soziale Ziele imNationalen Reformprogramm2012 TOP 20 Steuerabkommen mit der Türkei TOP 21 Soziale Revision der Entsenderichtlinie TOP 22 EU-Richtlinie über die Konzessionsvergabe TOP 23 Amtshilfe der Bundeswehr im Inland TOP 24 Instrumente der Förderung der Medienvielfalt TOP 25 Rahmenprogramm Gesundheitsforschung TOP 26 Rücknahmepflicht für Alt-Energiesparlampen TOP 27 Sicherung bezahlbarer Mieten TOP 28 Sicherheit auf Kreuzfahrtschiffen TOP 29 Seearbeitsübereinkommen TOP 30 Erhalt der Schlecker-Arbeitsplätze ZP 5 Privatisierung der TLG-Wohnungen Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eva Högl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Es freut mich sehr, dass sich bei der Bundesregierung

    die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Klimawandel
    nicht ohne politischen Einsatz und Engagement vollzo-
    gen werden kann. Die Einhaltung der Klimaschutzziele
    erfordert neben einer gesellschaftlichen Bewusstseins-
    veränderung nicht zuletzt auch gesetzgeberische Maß-

    nahmen. Zur Umsetzung der klimapolitisch notwenigen
    Gebäudesanierung wird die Bundesregierung voraus-
    sichtlich im Mai 2012 das sogenannte Mietrechtsände-
    rungsgesetz vorlegen. Dieses Gesetz ist bereits vor
    Einbringung in den Bundestag auf massive Kritik gesto-
    ßen – und dies zu Recht!

    Dieser Gesetzentwurf ist sozialpolitisch fehlgeschla-
    gen und im höchsten Maße unsozial: Die Gebäudesanie-
    rung soll ausschließlich durch die Mieter und Mieterin-
    nen finanziert werden. Vermieter und Vermieterinnen
    sowie staatliche Subventionen bleiben weitestgehend
    außen vor. Nachdem die staatliche Förderung durch die
    KfW-Bank in den vergangenen Jahren gedrosselt wurde,
    soll nun nach dem Willen der Bundesregierung die Fi-
    nanzierung der energetischen Häusersanierung durch
    Mieterhöhungen an die Mieterschaft weitergegeben
    werden. Dieses Vorgehen ist für uns Sozialdemo-
    kratinnen und Sozialdemokraten nicht tragbar! In
    Deutschland leben 53 Prozent der Menschen in Miet-
    wohnungen. Der deutsche Mietwohnungssektor ist einer
    der größten Europas. Daneben bietet der deutsche
    Mietraumsektor eine weitere Superlative, die besorgnis-
    erregend ist: Die Wohnkosten in Deutschland gehören
    im europaweiten Vergleich zu den höchsten. Im Durch-
    schnitt müssen Mieter knapp 30 Prozent ihres Nettoein-
    kommens auf die monatliche Miete verwenden.

    Das Mietrecht hat eine soziale Funktion, und die Vor-
    schläge der Bundesregierung werden diesem Anspruch
    in keinster Weise gerecht. Daher fordern wir, die Höhe
    der Umlage, die die Vermieter und Vermieterinnen auf
    die Miete legen können, von 11 auf 9 Prozent zu begren-
    zen. Dahin gehend verfolgt der hier zur Debatte
    stehende Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke das
    richtige Ziel.

    Fest steht: Eine Beteiligung des Mieters an der Fi-
    nanzierung der Sanierungskosten darf nicht in einer ver-
    steckten Mieterhöhung münden. Genau das wird aber
    passieren, da die schwarz-gelbe Bundesregierung dem
    Vermieter das Recht einräumen will, zeitlich unbegrenzt
    die Umlage einzufordern. Konkret bedeutet das: Der
    Mieter zahlt auch nach Amortisierung der Sanierungs-
    kosten, und das ist unstrittig eine Form der Mieterhö-
    hung. Nicht ohne Grund begrenzt das Mietrecht die
    Möglichkeit, die Miete nach Belieben zu erhöhen, und
    knüpft für die Zulässigkeit einer Mieterhöhung an
    strenge Voraussetzungen.

    Geht es nach der Bundesregierung, droht den Mietern
    im schlimmsten Fall eine doppelte Mieterhöhung: Der
    Vermieter kann die Kosten seiner energetischen Sanie-
    rung auf den Mieter abwälzen und zusätzlich noch von
    dem regulären Recht der Mieterhöhung in Höhe von
    20 Prozent Gebrauch machen. Dies kann nicht sein! Vor
    dem Hintergrund, dass Mietverhältnisse in Deutschland
    der Regelfall sind, müssen Mieten bezahlbar bleiben.

    Als Berliner Abgeordnete erlebe ich regelmäßig die
    tiefe Sorge der Menschen, dass ihr Einkommen in naher
    Zukunft nicht mehr für die Finanzierung ihrer Wohnun-
    gen reichen wird. Die Menschen haben Angst, aus ihren
    Kiezen in die Randbezirke verdrängt zu werden und
    damit ihr vertrautes Wohn- und Arbeitsumfeld zu verlie-

    Zu Protokoll gegebene Reden





    Dr. Eva Högl


    (A) (C)



    (D)(B)


    ren. Das ist, was die Menschen in ihrem Alltag wirklich
    beschäftigt. Gerade in Berlin sind in den letzten Jahren
    die Mieten für Wohnraum in attraktiven städtischen
    Lagen rasant gestiegen. Wir erleben eine Entwicklung,
    die zur massiven Verdrängung der alten Mieter führt und
    längerfristig die Gefahr von sozialen Unruhen birgt. Als
    Gesetzgeber sind wir gefordert, soziale Ausgrenzung zu
    verhindern.

    In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln, die
    eine starke Mieterfluktuation aufweisen, brauchen wir
    dringend eine Deckelung der Miethöhen bei Wiederver-
    mietung. Denn mit jedem neuen Mietvertrag kann der
    Vermieter unbegrenzt die Miete anheben.

    Zudem müssen wir dem Phänomen der Ferienwoh-
    nungen in Wohngebieten entgegentreten. Der Wohn-
    raummangel darf in zentralen Innenstadtlagen nicht
    auch noch durch die Ferienwohnungen verschärft wer-
    den. Gerade in den Berliner Innenbezirken hat die Nut-
    zung von Wohnfläche zum Zwecke der Beherbergung
    von Touristen Hochkonjunktur. Die Landesregierungen
    müssen ermächtigt werden, nicht nur für Gemeinden,
    sondern auch für einzelne Bezirke individuell ange-
    passte Genehmigungspflichten einzuführen.

    Wohnraum darf kein Luxus sein!



Rede von Michael Groß
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Die Entwicklung in Deutschland zeigt zwei klare Ten-

denzen auf: In Ballungsräumen prosperiert die Wirt-
schaft, der Wohnungsmarkt boomt, die Mietpreise stei-
gen, und viele können bei nur gering steigendem
Einkommen Miete und Energiekosten kaum bezahlen.
Auf der anderen Seite stehen Abwanderungsgebiete mit
steigender Arbeitslosigkeit, Sanierungsrückzug und
Mehrbedarf an altersgerechtem und barrierefreiem
Wohnraum aufgrund demografischer Veränderungen.
Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der gesellschaftli-
chen Teilhabe und das tatsächliche Erleben unserer De-
mokratie entscheiden sich in den Stadtteilen und Wohn-
quartieren. Das verfügbare Einkommen bestimmt die
Auswahlchancen und Auswahlentscheidungen auf dem
Wohnungsmarkt, entscheidet über gute und schlechte
Adressen und Lebensperspektiven. Hier muss Politik
– müssen wir – handeln!

Es gilt, unseren Wohnraum zukunftsfähig zu gestal-
ten – bezahlbar, umweltschonend, ökonomisch sinnvoll
und barrierearm.

Im Gebäudebestand müssen wir die energetische Sa-
nierung voranbringen, wenn wir unsere Klimaschutz-
ziele erreichen wollen. Mehr Sanierung bedeutet mehr
CO2-Einsparung. Aber hier sind nicht einzelne Leucht-
turmprojekte die Beschleuniger, sondern Maßnahmen in
der Breite. Investitionen in die energetische Gebäudesa-
nierung müssen wesentlich stärker als zu den jetzigen
Zeiten einer schwarz-gelben Koalition gefördert und an-
geregt werden.

Jeder über die KfW-Programme zur energetischen
Sanierung geförderte Euro löst mehr als das Sechsfache
an weiteren Investitionen aus. Dies kommt besonders
der regionalen Wirtschaft zugute. Wer sein Haus an-

packt und energetisch effizient gestaltet, spart nicht nur
klimaschädliche Emissionen, sondern auch Energiekos-
ten ein. Aber wir wissen auch, dass jemand, der wirt-
schaftlich denkt, nicht nur energetisch saniert, sondern
gleichzeitig auch alters- und familiengerecht umbaut.
Die Eigentümer orientieren sich an der Lebensdauer
von Heizungsanlagen und Bauelementen, um insgesamt
eine Verbesserung der Wohnqualität zu erreichen. Somit
geht die schlichte Rechnung, dass Mieter und Eigentü-
mer automatisch profitieren, nicht auf. Die Einsparun-
gen bei den Energiekosten kompensieren meist nicht die
durch Sanierungskosten steigenden Mieten. Und regio-
nal sehr unterschiedlich stellt sich der Mehrwert für die
Immobilie durch die Sanierung dar.

SPD-Politik heißt, explodierenden Mieten in Wachs-
tumsregionen entgegenzuwirken, energetische Sanie-
rungen regional spezifisch und qualifiziert zu unterstüt-
zen und voranzubringen. Bezahlbarer Wohnraum und
bezahlbare Energiepreise – keine Überforderung des
Einzelnen! Nicht erst, wenn Mieter sich ihre energetisch
sanierten Wohnungen nicht mehr leisten können und aus
den Quartieren verdrängt werden, wenn die Kosten der
energetischen Sanierung den Wert der Immobilie über-
steigen, müssen wir handeln, sondern jetzt!

Die Lebensbedingungen und -chancen entstehen in
unseren Quartieren. Es geht letztendlich um unser Zu-
sammenleben, eine stabile Nachbarschaft und um ein
lebenswertes Wohnquartier. Stadtsanierung, Energiege-
winnung und Energieversorgung müssen im Zusammen-
hang gesehen und in einem Quartiers- und Regionalbe-
zug umgesetzt werden.

Das Mietrecht darf nicht zulasten der Mieter verän-
dert und seine soziale Funktion darf nicht ausgehöhlt
werden.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Stephan Thomae


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Ziel der Linksfraktion ist es, mithilfe des vorliegenden

    Gesetzentwurfes die Mieten bezahlbar zu halten, Ener-
    gie einzusparen und Energiekosten zu senken. Ich bin
    der Überzeugung, dass Sie Ihr Ziel mit dem Vorschlag
    nicht erreichen können. Lassen Sie mich an einigen
    Punkten erklären, weshalb die FDP-Bundestagsfraktion
    Ihren Antrag ablehnt. Der erste Punkt betrifft das
    Thema Energieausweis. Der Entwurf der Linken sieht
    vor, dass ein Mietvertrag über Wohnraum nur wirksam
    ist, wenn der Vermieter bei Abschluss des Vertrags dem
    Mieter einen Energieausweis für den Wohnraum vorlegt.
    Eine solche Regelung hätte aber im Umkehrschluss zur
    Folge, dass immer dann, wenn bei Abschluss des Ver-
    trags kein Energieausweis vorgelegt wird, auch kein
    wirksamer Mietvertrag zustande kommt. Man muss sich
    einmal überlegen, was das für die Altfälle, also für die
    schon bestehenden Mietverträge, bedeutet. Muss dann
    der Energieausweis nachgereicht werden? Welche Kon-
    sequenzen stehen den Parteien bevor, wenn kein Ener-
    gieausweis nachgereicht wird? Das ist ein Punkt, der zu-
    mindest bei der Übergangsregelung zu bedenken wäre.
    Dazu sagt Ihr Entwurf aber nichts.

    Der zweite Punkt betrifft faktische Mietverhältnisse,
    also solche Fälle, in denen bei Eingehung des Mietver-

    Zu Protokoll gegebene Reden





    Stephan Thomae


    (A) (C)



    (D)(B)


    trags ein Energieausweis nicht vorgelegt wird, weil die
    Parteien es nicht bedenken, die Vorschriften nicht ken-
    nen, sie ihnen gleichgültig sind oder keiner von beiden
    Wert darauf legt. Kommt es dann zu einem Rechtsstreit
    zwischen Mieter und Vermieter, wäre der Mieter durch
    den Antrag der Linken faktisch rechtlos, weil er im Falle
    des Beendigungswunsches des Vermieters auf keinen
    wirksamen Mietvertrag zurückgreifen kann. Die Linke
    verfehlt nicht nur ihr Ziel, die Rechte der Mieter zu stär-
    ken. Sie verkehrt es durch den Antrag sogar ins Gegen-
    teil, indem sie für eine Vielzahl von Mietverhältnissen
    eine erhebliche Rechtsunsicherheit herbeiführt.

    Der dritte Punkt betrifft die Vorschläge der Links-
    fraktion zu Contracting-Verträgen. Wir halten es für
    sehr erstaunlich, dass Ihr Entwurf es zulässt, dass dem
    Mieter für Wärme-Contracting höhere Nebenkosten ent-
    stehen dürfen.

    Da verfolgt die Koalition andere Ziele. Wir wollen er-
    reichen, dass sich der Vertrag beim Wärme-Contracting
    für den Mieter kostenneutral auswirkt. Die Linke for-
    dert, dass im Rahmen von Energie-Contracting-Verträ-
    gen der Primärenergiebedarf um mindestens 15 Prozent
    sinken muss und dass bei größeren Mietobjekten die
    Hälfte der Mieter zustimmen muss. Solche apodiktischen
    Voraussetzungen würden jedoch den Modernisierungs-
    anreiz mindern. Im Ergebnis bestünde dadurch sogar die
    Gefahr, dass genau das verhindert wird, was wir wollen:
    die energetische Sanierung des Wohnraums in Deutsch-
    land.

    Ein weiteres Problem ist für die FDP-Bundestags-
    fraktion der Vorschlag der Linken zur Kappungsgrenze.
    Bislang darf die Miete innerhalb von drei Jahren um
    maximal 20 Prozent erhöht werden. Die Linke will, dass
    die Miete innerhalb von vier Jahren um maximal 15 Pro-
    zent erhöht werden darf. In diesem Zusammenhang muss
    man sich vergegenwärtigen, was auf dem Mietmarkt ge-
    schieht. Die Anschaffung von Wohnungsmietraum in
    Form einer Immobilie ist für den Vermieter zunächst
    eine Geldanlage. Diese Geldanlage gilt im Vergleich zu
    anderen Anlageformen zwar als sicher, aber eher als
    renditeschwach. Wir müssen in diesem Zusammenhang
    bedenken, dass diese Anlageform mit anderen Anlage-
    formen konkurrieren muss. Und wir müssen bedenken,
    dass Gewinnerzielung nichts Illegitimes ist. Die Linke
    will die Obergrenze der Mieterhöhung ändern. Wir sa-
    gen: Eine wirksame Begrenzung der Mieten findet über
    den Markt statt. In vielen Regionen Deutschlands gibt
    der Mietmarkt sogar viel weniger her als die gesetzlich
    erlaubte Erhöhung. Das ist nur eine Obergrenze. Die ei-
    gentliche Obergrenze für Mieterhöhungen bildet aber
    der Markt. Wenn der Vermieter die Miete zu stark er-
    höht, riskiert er Mietleerstand und Mietausfälle gerade
    in Gegenden fernab der Innenstädte großer Städte. Die-
    ses Risiko trägt der Vermieter ebenfalls. Das ist als ei-
    gentliche Kappungsgrenze anzusehen.

    Der letzte Punkt sind die Modernisierungskosten.
    Derzeit können bis zu 11 Prozent dieser Kosten auf die
    Jahresmiete umgelegt werden. Die Linke will den Anteil
    auf 9 Prozent senken. An dieser Stelle muss man sich vor
    Augen halten, was die Miete wirtschaftlich betrachtet

    ist. Die Miete ist eine Abzinsung, die der Mieter auf die
    Anschaffungskosten des Vermieters entrichtet. Deswe-
    gen heißt es auch Mietzins. Der Vermieter schafft Eigen-
    tum an, das er finanzieren muss. Er hat Kapitalkosten,
    muss Zinsen zahlen sowie Investitionskosten und viel-
    leicht auch Kosten für Instandhaltung und Instandset-
    zung tragen. Wenn Reparaturen an der Wohnung nötig
    werden, trägt der Vermieter zusätzlich das Risiko, dass
    der Mieter die Miete mindert. Darüber hinaus trägt der
    Vermieter auch das Mietausfallrisiko, wenn der Mieter
    kündigt oder zahlungsunfähig wird. Diese Aufwendung
    darf der Vermieter refinanzieren. Wenn wir diese Mög-
    lichkeiten beschneiden, riskieren wir, dass immer weni-
    ger Eigentümer bereit sind, in Wohnraum zu investieren.
    Dies würde zu einer Verschärfung der Lage auf dem
    Mietmarkt führen und kann daher nicht im Interesse der
    Mieter sein.

    Aus diesen Gründen lehnt die FDP-Bundestagsfrak-
    tion den Entwurf der Linken ab.