Plenarprotokoll 17/168
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
168. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
I n h a l t :
Erweiterung und Abwicklung der Tagesord-
nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 und
30 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . .
Tagesordnungspunkt 3:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Kauder, Dr. Frank-Walter
Steinmeier, Gerda Hasselfeldt, Rainer
Brüderle, Dr. Gregor Gysi, Renate Künast,
Jürgen Trittin sowie weiteren Abgeordne-
ten eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Regelung der Entscheidungslö-
sung im Transplantationsgesetz
(Drucksache 17/9030) . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Transplantations-
gesetzes
(Drucksache 17/7376) . . . . . . . . . . . . . . . .
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . .
Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Daniel Bahr, Bundesminister
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . .
Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 4:
Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-
Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD: Ver-
braucherpolitik neu ausrichten – Verbrau-
cherpolitische Strategie vorlegen
(Drucksache 17/8922) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . .
Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . .
Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .
19859 B
19860 B
19860 B
19860 C
19860 C
19860 D
19862 B
19864 A
19865 C
19867 B
19868 C
19870 B
19871 B
19872 B
19874 A
19875 A
19875 D
19876 D
19877 C
19878 C
19879 C
19880 C
19881 C
19882 C
19882 D
19884 D
19887 B
19888 B
19890 A
19891 C
19892 D
19894 C
19896 A
Inhaltsverzeichnis
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . .
Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . .
Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . .
Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 30:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zu dem Übereinkommen vom
25. November 2011 über die Errichtung
des Sekretariats der Partnerschaft für
öffentliche Gesundheit und soziales
Wohlergehen im Rahmen der Nördli-
chen Dimension (NDPHS)
(Drucksache 17/8981) . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Regelung der Arbeitszeit von
selbständigen Kraftfahrern
(Drucksache 17/8988) . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Halina Wawzyniak, Jan Korte, Diana
Golze, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent-
wurfs eines … Gesetzes zur Änderung
des Urheberrechtsgesetzes – Einbezie-
hung von Kindertagesbetreuungsein-
richtungen in die Schrankenregelungen
(Drucksache 17/4876) . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Jan Korte, Petra Pau, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE: Abschaffung der gesetzlichen
Vermutung der „Versorgungsehe“ bei
Eheschließung und eingetragener Le-
benspartnerschaft mit Beamtinnen und
Beamten nach dem Eintritt in den Ru-
hestand
(Drucksache 17/7027) . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Antrag der Abgeordneten Herbert
Behrens, Eva Bulling-Schröter, Sabine
Leidig, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE: Kein Bau der drit-
ten Start- und Landebahn am Flugha-
fen München
(Drucksache 17/8607) . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Antrag der Abgeordneten René Röspel,
Rolf Hempelmann, Marco Bülow, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD: Den Euratom-Vertrag an die He-
rausforderungen der Zukunft anpassen
(Drucksache 17/8927) . . . . . . . . . . . . . . .
Zusatztagesordnungspunkt 2:
a) Antrag der Abgeordneten Daniela Kolbe
(Leipzig), Rüdiger Veit, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD: Programm zur Unterstützung
der Sicherung des Fachkräftebedarfs
mit Mitteln des Aufenthaltsrechts
(Drucksache 17/9029) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth,
Viola von Cramon-Taubadel, Katrin
Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Neuen Vorbehalt zum Euro-
päischen Fürsorgeabkommen zurück-
nehmen
(Drucksache 17/9036) . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 31:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung
des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Übereinkommens vom 17. März 1992
zum Schutz und zur Nutzung grenz-
überschreitender Wasserläufe und in-
ternationaler Seen
(Drucksachen 17/8725, 17/8925) . . . . . . .
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung
des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 2. Dezember 2010 über die
Errichtung des Funktionalen Luft-
raumblocks „Europe Central“ zwischen
der Bundesrepublik Deutschland, dem
Königreich Belgien, der Französischen Re-
publik, dem Großherzogtum Luxemburg,
dem Königreich der Niederlande und
der Schweizerischen Eidgenossenschaft
(FABEC-Vertrag)
(Drucksachen 17/8726, 17/8957) . . . . . . .
c) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Wirtschaft und Technolo-
gie zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Michael Fuchs,
Kai Wegner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab-
geordneten Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia
Bögel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliche
Industriepolitik für Deutschland – Inte-
graler Bestandteil der Sozialen Markt-
wirtschaft
(Drucksachen 17/8585, 17/9055) . . . . . . .
19897 C
19898 B
19898 C
19899 C
19900 D
19901 C
19902 C
19902 D
19903 A
19904 A
19904 B
19904 B
19904 B
19904 C
19904 C
19904 D
19904 D
19905 A
19905 B
19905 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 III
d) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie
– zu der Verordnung der Bundesregie-
rung: Dreiundneunzigste Verord-
nung zur Änderung der Außenwirt-
schaftsverordnung
– zu der Verordnung der Bundesregie-
rung: Einhunderteinundsechzigste
Verordnung zur Änderung der Ein-
fuhrliste
– Anlage zum Außenwirtschaftsge-
setz –
(Drucksachen 17/8539, 17/8833 Nr. 2.1,
17/8324, 17/8510 Nr. 2.1, 17/9056) . . . .
e) – l)
Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
schusses: Sammelübersichten 404, 405,
406, 407, 408, 409, 410 und 411 zu Peti-
tionen
(Drucksachen 17/8904, 17/8905, 17/8906,
17/8907, 17/8908, 17/8909, 17/8910,
17/8911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zusatztagesordnungspunkt 3:
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE: Tarifrunde 2012 – Höhere
Löhne durchsetzen, jungen Beschäftigten
eine Zukunftsperspektive bieten . . . . . . . . .
Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . .
Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Armin Schuster (Weil am Rhein)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . .
Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Ullrich Meßmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 5:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung eines pauschalierenden Ent-
geltsystems für psychiatrische und psycho-
somatische Einrichtungen (Psych-Entgelt-
gesetz – PsychEntgG)
(Drucksache 17/8986) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . .
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Praxisgebühr abschaffen
(Drucksache 17/9031) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 5:
Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Bericht des Spitzenverbandes Bund der
Krankenkassen zur Evaluierung der Aus-
nahmeregelungen von der Zuzahlungs-
pflicht
(Drucksache 17/8722) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lars Lindemann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 7:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab-
geordneten Ewa Klamt, Albert Rupprecht
(Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Peter Röhlinger,
Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Forschung zur Sicherung der welt-
weiten Ernährung
(Drucksachen 17/6504, 17/9024) . . . . . . . . . .
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .
19905 D
19906 B
19907 A
19907 A
19908 B
19909 C
19911 B
19912 C
19913 C
19914 D
19916 A
19917 D
19918 D
19920 A
19921 A
19922 B
19922 B
19923 C
19924 D
19925 D
19926 D
19927 D
19928 D
19929 A
19929 A
19930 B
19931 C
19933 B
19934 C
19935 C
19936 C
19937 A
19938 A
19939 D
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .
Harald Ebner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ewa Klamt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 8:
Antrag der Abgeordneten Sven-Christian
Kindler, Priska Hinz (Herborn), Katja Dörner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energiewende
und Klimaschutz solide finanzieren – Nach-
tragshaushalt nutzen
(Drucksache 17/8919) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . .
Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . .
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 9:
Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei-
digungsausschusses
– zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN: Für eine moderne und umfas-
sende Betreuungskommunikation im
Einsatz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Koch, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE: Für eine kostenfreie und
umfassende Betreuungskommunikation
im Einsatz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Agnes Malczak, Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Internet-Telefonie in Afgha-
nistan
(Drucksachen 17/8895, 17/8795, 17/5908,
17/9057) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 10:
Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler,
Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidel-
berg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD: Weltwärts – Ein Freiwilligen-
dienst mit Zukunft
(Drucksache 17/8769) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 6:
Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert,
Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Helga Daub,
Joachim Günther (Plauen), Harald Leibrecht,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Weltwärts wird Gemeinschaftswerk
(Drucksache 17/9027) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zusatztagesordnungspunkt 7:
Vereinbarte Debatte: Hinrichtung der mut-
maßlichen Metro-Attentäter von Minsk in
Belarus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ronald Pofalla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . .
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19940 D
19941 D
19942 D
19944 A
19944 B
19945 C
19947 B
19947 C
19948 A
19948 D
19949 B
19951 B
19952 A
19953 B
19954 C
19954 D
19955 D
19957 B
19958 B
19959 B
19960 B
19960 D
19962 A
19962 B
19962 C
19964 A
19965 D
19966 C
19967 C
19968 B
19968 C
19969 C
19970 D
19971 D
19972 C
19973 C
19974 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 V
Tagesordnungspunkt 12:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der
Fraktionen SPD, DIE LINKE und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Investitionen in
Antipersonenminen und Streumunition ge-
setzlich verbieten und die steuerliche För-
derung beenden
(Drucksachen 17/7339, 17/8016) . . . . . . . . . .
Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 11:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Übertragung von Aufgaben im Bereich
der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf No-
tare
(Drucksache 17/1469) . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Grundgesetzes (Art. 98 a)
(Drucksache 17/1468) . . . . . . . . . . . . . . . .
Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . .
Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . .
Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 14:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab-
geordneten Niema Movassat, Sevim
Dağdelen, Stefan Liebich, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE: Die deut-
schen Kolonialverbrechen im ehemaligen
Deutsch-Südwestafrika als Völkermord
anerkennen und wiedergutmachen
(Drucksachen 17/8767, 17/8971) . . . . . . . . . .
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 8:
Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Beziehungen
zwischen Deutschland und Namibia stär-
ken und Deutschlands historischer Verant-
wortung gerecht werden
(Drucksache 17/9033(neu)) . . . . . . . . . . . . . .
Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . .
Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 13:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Errichtung eines Nationalen Waffenregis-
ters (Nationales-Waffenregister-Gesetz –
NWRG)
(Drucksache 17/8987) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Günter Lach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 15:
Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Vorurteilsmotivierte Straftaten
wirksam verfolgen
(Drucksache 17/8796) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 16:
a) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Ehrlicher Dialog
über europäische Grundwerte und
Grundrechte in Ungarn
(Drucksache 17/9032) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union zu dem Antrag der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Das ungarische Medienge-
setz – Europäische Grundwerte und
Grundrechte verteidigen
(Drucksachen 17/4429, 17/8710) . . . . . . .
19974 D
19975 A
19976 B
19977 D
19979 B
19980 B
19981 D
19982 C
19982 D
19982 D
19983 D
19984 C
19986 B
19987 A
19988 A
19988 A
19988 B
19988 C
19990 B
19992 A
19993 A
19993 D
19994 A
19995 B
19995 C
19997 A
19998 B
19999 A
19999 D
20000 C
20000 D
20000 D
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . .
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 17:
Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Presse-Grosso gesetzlich
verankern
(Drucksache 17/8923) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 18:
Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak,
Jan Korte, Dr. Martina Bunge, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Strei-
chung des Begriffes „Rasse“ aus der deut-
schen Rechtsordnung und internationalen
Dokumenten
(Drucksache 17/4036) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . .
Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 19:
Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe,
Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Sicherheit, Wirksamkeit
und gesundheitlichen Nutzen von Medizin-
produkten besser gewährleisten
(Drucksache 17/8920) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 20:
Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-
Ohm, Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim
Hacker, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD: Reisen für Kinder und Ju-
gendliche ermöglichen – Förderung sicher-
stellen und „Aktionsplan Kinder- und
Jugendtourismus in Deutschland“ weiter-
entwickeln
(Drucksache 17/8924) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Markus Tressel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 21:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig),
Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des aufenthalts- und freizügigkeits-
rechtlichen Ehegattennachzugs
(Drucksache 17/8921) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Jan Korte, Agnes Alpers, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE: Europarecht beim Ehegatten-
nachzug umsetzen
(Drucksache 17/8610) . . . . . . . . . . . . . . .
Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 22:
Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Dorothée Menzner, Ralph Lenkert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE: Novelle des Bundesberggesetzes
und anderer Vorschriften zur bergbauli-
chen Vorhabengenehmigung
(Drucksache 17/9034) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20001 A
20002 D
20003 C
20004 D
20006 A
20007 A
20008 B
20010 B
20010 C
20010 C
20011 A
20011 D
20013 B
20014 A
20014 C
20015 C
20015 D
20018 A
20019 A
20020 C
20021 B
20022 C
20022 D
20024 A
20025 B
20026 D
20027 B
20028 D
20030 B
20030 B
20030 C
20032 B
20033 B
20034 C
20035 D
20036 C
20036 D
20038 A
20038 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 VII
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 23:
Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon-
Taubadel, Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Für eine engere Kooperation mit Georgien
(Drucksache 17/8778) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 24:
Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslin-
gen), Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding
(Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD: Behinderung und Ent-
wicklungszusammenarbeit – Behinderten-
rechtskonvention umsetzen und Entwick-
lungszusammenarbeit inklusiv gestalten
(Drucksache 17/8926) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . .
Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 25:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab-
geordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für
eine Stärkung der breit aufgestellten euro-
päischen Grundlagenforschung – Keine
finanziellen Einschnitte beim Europäi-
schen Forschungsrat zu Gunsten des Ein-
zelprojekts ITER
(Drucksachen 17/3483, 17/9025) . . . . . . . . . .
Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . .
René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .
Anlage 2
Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen
Rede zur Beratung des Antrags: Bundesmittel
zur Finanzierung der Grundsicherung im Al-
ter und bei Erwerbsminderung 1 : 1 an Kom-
munen weiterreichen
(162. Sitzung, Tagesordnungspunkt 21)
Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der
Entscheidungslösung im Transplantations-
gesetz
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Transplantationsgesetzes
(Tagesordnungspunkt 3 a und b)
Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Ulla Jelpke, Karin Binder, Heidrun Dittrich,
Heike Hänsel, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja
Kipping, Dorothée Menzner, Niema
Movassat, Richard Pitterle, Raju Sharma,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Kathrin
Vogler, Johanna Voß und Halina Wawzyniak
(alle DIE LINKE) zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu den Anträgen:
– Für eine moderne und umfassende Betreu-
ungskommunikation im Einsatz
– Für eine kostenfreie und umfassende Be-
treuungskommunikation im Einsatz
– Internet-Telefonie in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . .
20039 D
20040 C
20041 C
20041 C
20042 C
20043 B
20045 A
20045 C
20046 D
20048 A
20048 B
20049 D
20050 D
20051 D
20052 D
20053 C
20053 D
20055 D
20056 C
20057 A
20057 D
20058 C
20059 D
20061 A
20061 D
20062 C
20064 A
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung
von Aufgaben im Bereich der freiwilligen
Gerichtsbarkeit auf Notare
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes (Art. 98 a)
(Tagesordnungspunkt 11 a und b)
Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Vorurteilsmotivierte Straftaten
wirksam verfolgen
(Tagesordnungspunkt 15)
Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrag: Presse-Grosso gesetzlich veran-
kern
(Tagesordnungspunkt 17)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20064 D
20065 D
20066 D
20067 C
20068 B
20068 C
20069 B
20070 A
20072 C
20073 D
20075 A
20075 D
20076 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 19859
(A) (C)
(D)(B)
168. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
Beginn: 9.00 Uhr
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20061
(A) (C)
(D)(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Rede
zur Beratung des Antrags: Bundesmittel zur Fi-
nanzierung der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung 1 : 1 an Kommunen
weiterreichen (162. Sitzung, Tagesordnungs-
punkt 21)
Pascal Kober (FDP): Am 27. Oktober 2011 haben
wir hier im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Stär-
kung der Finanzkraft der Kommunen beschlossen. Wir
kamen damit einer im Rahmen des Vermittlungsverfah-
rens zur Neuberechnung der Arbeitslosengeld-II-Regel-
sätze getroffenen Vereinbarung nach und haben damit
die Voraussetzungen für eine Entlastung der Kommunen
geschaffen, wie es sie in dieser Höhe in der Geschichte
der Bundesrepublik noch nie gegeben hat.
Diese christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt,
dass die Kommunen allein im Zeitraum zwischen 2012
und 2015 um voraussichtlich mehr als 12 Milliarden
Euro entlastet werden. Hätten wir keine gesetzlichen
Änderungen herbeigeführt, läge die Kostenübernahme
durch den Bund im kommenden Jahr nicht bei 45 Pro-
zent, sondern nur bei 16 Prozent.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem
Antrag kritisieren Sie vor allem drei Punkte, mit denen
ich mich jetzt im Einzelnen befassen möchte.
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Bär, Dorothee CDU/CSU 22.03.2012
Barnett, Doris SPD 22.03.2012*
Bellmann, Veronika CDU/CSU 22.03.2012
Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 22.03.2012
Bracht-Bendt, Nicole FDP 22.03.2012
Brinkmann
(Hildesheim),
Bernhard
SPD 22.03.2012
Bülow, Marco SPD 22.03.2012
Ferner, Elke SPD 22.03.2012
Fritz, Erich G. CDU/CSU 22.03.2012*
Granold, Ute CDU/CSU 22.03.2012
Groth, Annette DIE LINKE 22.03.2012
Hunko, Andrej DIE LINKE 22.03.2012*
Krellmann, Jutta DIE LINKE 22.03.2012
Kudla, Bettina CDU/CSU 22.03.2012
Lanfermann, Heinz FDP 22.03.2012
Luksic, Oliver FDP 22.03.2012
Menzner, Dorothée DIE LINKE 22.03.2012
Möller, Kornelia DIE LINKE 22.03.2012
Nahles, Andrea SPD 22.03.2012
Nietan, Dietmar SPD 22.03.2012
Nord, Thomas DIE LINKE 22.03.2012
Dr. Ott, Hermann E. BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
22.03.2012
Ploetz, Yvonne DIE LINKE 22.03.2012
Dr. Ratjen-Damerau,
Christiane
FDP 22.03.2012
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
22.03.2012
Schäfer (Saalstadt),
Anita
CDU/CSU 22.03.2012
Schlecht, Michael DIE LINKE 22.03.2012
Seif, Detlef CDU/CSU 22.03.2012
Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 22.03.2012
Steinbach, Erika CDU/CSU 22.03.2012
Thönnes, Franz SPD 22.03.2012
Tressel, Markus BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
22.03.2012
Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 22.03.2012
Werner, Katrin DIE LINKE 22.03.2012
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
20062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
Sie beschreiben, dass es Signale gebe, dass einige
Länder die Mittel nicht in vollem Umfang an die Kom-
munen weiterleiten. Ich kann Ihnen sagen, ich habe sol-
che Signale auch vernommen. Ich zitiere einmal aus der
Schweriner Volkszeitung vom 8. Februar dieses Jahres:
„Zwischen den neuen Großkreisen und dem Land ist ein
erster handfester Streit entbrannt: Während das Sozial-
ministerium Mittel des Bundes in zweistelliger Höhe für
die Grundsicherung im Alter – also Gelder für arme und
ärmere Senioren – einbehalten will, fordern sie die Kom-
munen für sich. Allein 2012 könnte die Summe rund
20 Millionen Euro betragen, für das Jahr 2015 schätzt sie
der Landkreistag auf 77 Millionen Euro, sagte Ge-
schäftsführer Jan Peter Schröder auf Nachfrage.“ Weiter
heißt es dort: „Den Stein ins Rollen gebracht hatte die
Landes-FDP.“
Am Nachmittag des gleichen Tages hat Frau
Schwesig, die sich ja gerne als die wahre Kämpferin für
die Kommunen und Schwächsten darstellt, dann darge-
legt, dass das Land nun doch die Mittel vollständig an
die Kommunen weitergibt. Ein Erfolg für die Kommu-
nen, bewirkt durch die FDP in Mecklenburg-Vorpom-
mern.
Wir sollten uns hier alle einig sein, dass die Länder
unseren gesetzgeberischen Willen umsetzen und nicht
zulasten der Kommunen tricksen sollten, um ihre eige-
nen Einnahmen zu erhöhen. Daher kann ich diesem
Punkt im Antrag der Linken voll zustimmen.
Den anderen beiden Punkten jedoch nicht: Sie zwei-
feln an, dass der Bund die rechtlichen Grundlagen für
die Kostenübernahme ab 2013 legen wird. Hier muss ich
Ihnen entschieden widersprechen. Schon in den Debat-
ten zum Gesetz zur Stärkung der Finanzkraft der Kom-
munen haben andere Redner der Koalitionsfraktionen
und auch ich klargemacht, weshalb bisher nur die Kos-
tenübernahme für das Jahr 2012 gesetzlich geregelt
wurde. Ich erläutere es Ihnen aber gerne noch einmal.
Sie sollten wissen, dass mit der Kostenübernahme die
Einrichtung einer Bundesauftragsverwaltung zusam-
menhängt. Die Einrichtung dieser Bundesauftragsver-
waltung bedarf einiger Regelungen und Änderungen. Sie
bedarf der Verankerung von Prüf- und Weisungsrechten
des Bundes und der Einführung und Umsetzung einer
ganzen Reihe von Regelungen, was seine Zeit braucht.
Wir werden aber in diesem Jahr die Voraussetzungen für
die Kostenübernahme in den kommenden Jahren schaf-
fen.
Zudem fordern Sie, dass die Abrechnung und Erstat-
tung auf Basis der laufenden Nettokosten erfolgen sollte.
Sie sollten jedoch auch wissen, dass die Zahlen über die
Höhe der Kosten der Grundsicherung im Alter nicht so-
fort zur Verfügung stehen, sondern erst mit einiger Ver-
zögerung. So ist es auch bei den Kosten der Unterkunft
oder den Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket.
Daher könnte eine sofortige Abrechnung nur eine
Schätzung sein und müsste dann im Nachhinein nachjus-
tiert werden. Dieser Aufwand ist an dieser Stelle nicht
gerechtfertigt, zumal die Kommunen ja die entstandenen
Kosten vom Bund vollständig erstattet bekommen.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der
Entscheidungslösung im Transplantations-
gesetz
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Transplantationsgesetzes
(Tagesordnungspunkt 3 a und b)
Norbert Geis (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf zur
Regelung der Entscheidungslösung im Transplantations-
gesetz liegt die Hoffnung zugrunde, dass mehr Men-
schen als bisher zu einer Organentnahme nach ihrem
Tod bereit sein werden. Ein solches Ergebnis wäre
angesichts der Tatsache, dass in Deutschland etwa
12 000 Menschen auf eine Organtransplantation warten
und dass 75 Prozent der Bevölkerung eine Organspende-
bereitschaft bekunden, aber nur 25 Prozent ihren Willen
zur Organspende tatsächlich dokumentieren, sehr wün-
schenswert. Deshalb ist der Gesetzentwurf trotz mancher
Bedenken zu unterstützen.
Die Frage ist, warum letztlich entgegen der ursprüng-
lichen Bereitschaft nur so wenige Menschen im Ernstfall
wirklich bereit sind, ihre Organe nach Eintritt des Hirn-
todes zu spenden.
Eine der Antworten darauf ist ganz sicher die Angst
und die Sorge vieler Menschen, die Ärzte könnten mit
Blick auf die gesunden Organe des Sterbenden nicht mit
letzter Konsequenz um dessen Leben kämpfen, könnten
ihn also sterben lassen, um so neue Organe für Trans-
plantationen zu gewinnen. Ein weiterer Grund ist die
Unsicherheit, ob der Hirntod tatsächlich mit dem Tod
des Menschen gleichzusetzen ist oder ob nicht der Hirn-
tod nur eine Festlegung der Ärzte ist, um leichter an die
Organe zu kommen. Viele Menschen trauen der Defini-
tion des Hirntodes als Tod des Menschen nicht und be-
fürchten, dass die Organentnahme ein „Zerschneiden
von Menschen bei lebendigem Leib“ ist, wie es der Phi-
losoph Hans Jonas drastisch formuliert hat.
Daher ist eine breite Information über die Transplan-
tation von ganz entscheidender Bedeutung.
Die potenziellen Spender sollten wissen, dass ihr Le-
ben von den Ärzten nicht fahrlässig oder gar willentlich
preisgegeben wird. Die Ärzte sind aufgrund ihres Be-
rufsethos, aber auch aus strafrechtlichen Gründen ver-
pflichtet, das Leben der Patienten bis zu dem Punkt, an
dem eine Heilung nicht mehr möglich ist und das Ster-
ben irreversibel beginnt, zu verteidigen. Sie würden eine
vorsätzliche Tötung begehen, wenn sie das Leben des
Spenders nicht erhalten, sondern zugunsten einer Organ-
transplantation opfern würden.
Die Spender müssen aber auch über den Hirntod voll
informiert werden. Dabei sind auch die Zweifel vieler
Wissenschaftler an der Gleichsetzung des Hirntodes mit
dem Tod des Menschen zu erörtern. Es kommt darauf an,
dass eine ungeschönte Information über die Wirkung des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20063
(A) (C)
(D)(B)
Hirntodes auf den ganzen Körper gegeben wird, dass
nämlich der Wegfall der Hirnfunktion bei natürlichem
Verlauf unumkehrbar zum Tod führt.
Nach meiner Auffassung ist es jedoch falsch, daraus
den Schluss zu ziehen, der Hirntod sei auch der Tod des
Menschen. Diese Definitionsmacht hat der Gesetzgeber
nicht. Das ist Sache der medizinischen Wissenschaft.
Zweifellos ist aber der Hirntod der irreversible Beginn
des Sterbeprozesses. Darüber sollten die potenziellen
Spender aufgeklärt werden. Für viele Menschen hat die
Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod des Menschen
etwas von Willkür an sich, von Zweckmäßigkeit, damit
die Organtransplantation beginnen kann. Das ahnen
viele potenzielle Spender und verlieren so das Vertrauen
in die sie behandelnden Ärzte und lehnen daher eine Or-
ganspende letztlich doch ab, obwohl sie grundsätzlich
das Spenden der Organe für richtig halten.
Vorab jedoch einige Überlegungen zur vorgeschlage-
nen Entscheidungslösung: Diese ersetzt nicht die Zu-
stimmung zur Organentnahme. Die Organe dürfen nach
Eintritt des Hirntodes nur mit Zustimmung des Spenders
entnommen werden. Gefordert ist also die höchstpersön-
liche Entscheidung des potenziellen Spenders. Deshalb
ist die Regelung, dass nach § 4 des Transplantationsge-
setzes die Zustimmung der Angehörigen eingeholt wer-
den muss, wenn der Betreffende keine Angaben gemacht
hat, bedenklich. Allerdings können Angehörige nach § 4
TPG nicht frei über die Organe verfügen, sondern müs-
sen sich nach dem mutmaßlichen Willen des Organspen-
ders richten. Sie können sich und werden sich auch in al-
ler Regel nicht über diesen mutmaßlichen Willen
hinwegsetzen. Sie werden also einer Organentnahme nur
dann zustimmen können, wenn sie Anhaltspunkte dafür
haben, dass dies dem Willen des Spenders entspricht.
Die Tatsache, dass der Betreffende keine Erklärung ab-
gegeben hat, obwohl er regelmäßig zur Abgabe einer
solchen Erklärung von der Krankenkasse und anderen
Institutionen aufgefordert wurde, wie der Entwurf es
vorsieht, spricht aber eher dafür, dass er seine Organe
und Gewebe nicht spenden wollte.
Im Übrigen ist ein solches Ansinnen der Ärzte an die
Angehörigen kurz vor oder nach dem Tod eines nahen
Verwandten für diese eine unerträgliche Zumutung.
Nach meiner Auffassung ist die Einwilligung in die Or-
ganentnahme immer eine höchst persönliche Sache, die
nur den Spender selbst angeht. Die Verwandten können
allenfalls Boten, niemals aber Vertreter des Spenders
sein.
Im Hinblick auf § 2 Ziffer 1 TPG wird im Entwurf auf
einen möglichen Widerspruch zwischen der Patienten-
verfügung und der Erklärung zur Organ- und Gewe-
bespende hingewiesen. In solchen Patientenverfügungen
wird oft die Entscheidung getroffen, dass keine lebens-
verlängernde Behandlung durchgeführt werden darf. Bei
einer Organentnahme werden aber medizinische Maß-
nahmen wie die Aufrechterhaltung des Kreislaufes vor-
genommen. In der Tat ein Widerspruch, allerdings nur
dann, wenn man den Hirntod nicht mit dem Tod des
Menschen gleichsetzt. Das Transplantationsgesetz, TPG,
geht jedoch vom Hirntod als Tod des Menschen aus, § 3,
Abs. 2, Nr. 2 TPG. Auch die derzeitige medizinische
Wissenschaft geht mehrheitlich davon aus, dass der
Hirntod dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist. Da-
mit können also die Organe entnommen werden, weil sie
ja letztlich einer Leiche entnommen werden. Ein Wider-
spruch zur Patientenverfügung besteht insofern also
nicht. Die Frage allerdings ist, ob es sich bei dem Hirn-
tod wirklich um den Tod des Menschen handelt. Ist der
Hirntod nicht der Tod des Menschen, stellt sich aller-
dings die Frage, ob bei einer Transplantation nicht ein
Widerspruch einer entsprechenden Patientenverfügung
vorliegt.
Die Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Men-
schen kam durch die medizinische Forschung in den
50er- und 60er-Jahren zustande. Durch die künstliche
Langzeitbeatmung, die durch den dänischen Anästhesis-
ten Ibsen Anfang der 50er-Jahre revolutioniert wurde,
war es möglich geworden, die tiefe Bewusstlosigkeit
bzw. das Langzeitkoma, in das schwerkranke Menschen
gefallen waren, zu erforschen. Im Verlauf dieser Erfor-
schung kam die Wissenschaft zu dem Ergebnis, dass
dann, wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des
Kleinhirns und des Hirnstammes erloschen ist, der
menschliche Organismus in seine Einzelteile zerfällt und
nur noch durch die künstliche Aufrechterhaltung des
Herz-Kreislauf-Systems und die künstliche Beatmung
zusammengehalten werden kann. Das Hirn wurde als
das Integrationszentrum erkannt, von dem alle Abläufe
des Körpers gesteuert werden. Fällt dieses zentrale Or-
gan aus, werden in wenigen Minuten auch die anderen
Organe absterben. Deshalb erklärte die Mehrheit der
Wissenschaftler den Hirntod zum Tod des Menschen.
Diese Auffassung ist jedoch in Fachkreisen sehr um-
stritten. Dagegen steht auch die Erfahrung der Menschen
mit dem Tod. Über Jahrtausende hinweg wurde der Tod
an einem menschlichen Körper dann festgestellt, wenn
der Puls nicht mehr geschlagen hat, die Lippen und Fin-
gernägel sich blau verfärbten und sich Verwesungsge-
ruch einstellte. Auch wir modernen Menschen tun uns
schwer, jemanden für tot zu erklären, dessen Puls noch
schlägt und dessen Körper noch Reaktionen zeigt. Eine
Frau, deren Hirnfunktion ausgefallen ist, deren Kreislauf
aber durch die Maschinen noch aufrechterhalten wird
und die sogar noch ein Kind zur Welt bringt und Mutter
ist - alles sträubt sich in uns, eine solche Frau für tot zu
erklären. Die Seele, so empfinden wir, hat sich noch
nicht vom Leib getrennt. Deshalb bestehen größte Be-
denken gegen den Hirntod als Tod des Menschen. Es
wäre daher besser, der Gesetzgeber hätte den Hirntod
nicht als den eigentlichen Todeszeitpunkt bestimmt.
Heißt das aber, dass nach dem Zusammenbruch der
Funktion des Hirnes kein Organ entnommen werden
darf, weil das Leben noch nicht gewichen ist? Nein! Der
Hirntod ist der irreversible Beginn des Sterbens. Er ist
der „point of no return“. Wenn der Spender, und nur er,
sein klares Ja zur Transplantation erklärt hat, dürfen in
dieser Sterbephase die Organe entnommen werden. Es
ist daher unbestritten, dass nach Eintritt des Hirntodes
die Transplantation vorgenommen werden darf, auch
wenn der Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen
gleichgesetzt wird.
20064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
Die Behauptung, dass dann durch die Entnahme eines
Organs der Betreffende getötet wird, ist falsch. Nicht
durch die Entnahme der Organe wird der Mensch getö-
tet, sondern das Abstellen der Maschinen bewirkt den
Tod. Dies ist aber keine Tötung, sondern die Beendigung
des Sterbevorganges.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder,
Heidrun Dittrich, Heike Hänsel, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Katja Kipping, Dorothée Menzner,
Niema Movassat, Richard Pitterle, Raju
Sharma, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Kathrin Vogler, Johanna Voß und Halina
Wawzyniak (alle DIE LINKE) zur Abstimmung
über die Beschlussempfehlung zu den Anträ-
gen:
– Für eine moderne und umfassende Betreu-
ungskommunikation im Einsatz
– Für eine kostenfreie und umfassende Be-
treuungskommunikation im Einsatz
– Internet-Telefonie in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 9)
Alle Mitglieder der Fraktion Die Linke haben sich
ohne Abstriche für den sofortigen Abzug der Bundes-
wehr aus Afghanistan engagiert. Dabei bleibt es. Die an-
deren Fraktionen des Bundestages haben mehrheitlich
immer wieder die Mandate der Bundeswehr in Afghani-
stan verlängert. Zu ihnen stehen wir im Widerspruch.
Eine inhaltliche Differenz gibt es in der Fraktion Die
Linke, wie mit den eingesetzten Soldaten umgegangen
wird.
Den vorliegenden Anträgen können wir daher nicht
unsere Zustimmung geben.
Den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ste-
hen die gleichen Rechte zu wie allen Bürgerinnen und
Bürgern dieses Landes. Die Gewährleistung umfassen-
der, kostenloser Telefon- und Internetverbindungen stellt
aber eine Besserstellung dar, die nicht berechtigt ist.
Wir verkennen nicht, dass viele Menschen aus sozia-
ler Not und Unwissenheit zur Bundeswehr gehen. Den-
noch tun sie dies freiwillig. Zugleich gibt es in Deutsch-
land zahlreiche Menschen, die unter erheblich stärkerem
Armutsdruck stehen als Angehörige der Bundeswehr
und die sich dennoch nicht zum Kriegsdienst melden.
Vom Grundsatz her würden wir die Gewährleistung kos-
tenloser Telekommunikations-Dienstleistungen als Grund-
recht durchaus begrüßen – aber wenn, dann muss man
damit bei jenen anfangen, die bereits jetzt eine Existenz
unterhalb der Armutsgrenze fristen müssen. Soldaten,
die 110 Euro Auslandsverwendungszulage pro Tag er-
halten, gehören nicht dazu.
Zudem hindert uns der offensichtliche Zusammen-
hang zwischen der geforderten Telekommunikationsbe-
treuung und der Kriegführungsfähigkeit der Bundeswehr
an einer Zustimmung. Im Antrag 17/8895 formulieren
Union/FDP/SPD/Grüne die Erwartung, die Verbesse-
rung der „Betreuungskommunikation im Einsatz“ sei
„entscheidend für die Motivation und Einsatzbereit-
schaft der Einsatzkontingente“. Diese Erwartung ist lei-
der berechtigt. Was da gefordert wird, schafft Anreize
zum Kriegsdienst und nicht Anreize zum Verweigern. In
Zukunft können die Werbestrategen der Bundeswehr
dann gegenüber Jugendlichen noch mit dem „Argument“
punkten, der Arbeitgeber Bundeswehr biete eine tele-
kommunikationstechnische Rundumversorgung.
Wir leugnen nicht unsere Verantwortung, die wir als
Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegenüber den
Angehörigen der Bundeswehr, auch jenen im Kriegsein-
satz, haben. Wir werden dieser Verantwortung gerecht,
indem wir die Beendigung der Auslandseinsätze fordern.
Wir lehnen es aber ab, sie für die „eigene“ Seite ange-
nehmer zu machen und damit zu ihrer Verlängerung bei-
zutragen. Denn die größte Belastung durch den Krieg
müssen die Afghaninnen und Afghanen tragen. Auch ih-
nen ist am meisten gedient, wenn die Bundeswehr ab-
zieht und die Kriegskosten dafür in den zivilen Aufbau
fließen. Das Problem ist der Krieg und nicht die instabi-
len Internetverbindungen in den deutschen Feldlagern.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung
von Aufgaben im Bereich der freiwilligen
Gerichtsbarkeit auf Notare
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes (Artikel 98 a)
(Tagesordnungspunkt 11 a und b)
Christoph Strässer (SPD): Mit dem Entwurf des
Bundesrates, den wir heute hier in erster Lesung beraten,
soll es zu einer Übertragung der Aufgaben von nachlass-
rechtlichen Verfahren im Bereich der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit auf Notare kommen. Beabsichtigt wird
hiermit eine Entlastung der Gerichte. So sollen zukünftig
Aufgaben, die vermeintlich nicht zum Kernbereich der
Rechtsprechung gehören, in den Zuständigkeitsbereich
der Notare ausgegliedert werden.
Unter anderem wird in der Problem- und Zielbe-
schreibung des Gesetzentwurfes auf die vermeintliche
Notwendigkeit von „strukturellen Reformen“ im Bereich
der Justiz angesichts „knapper personeller und finanziel-
ler Ressourcen“ abgestellt. Wie bei fast allen „Reform-
bestrebungen“ spielen dabei also auch immer wieder
finanzielle Begründungen eine Rolle. Bereits im Jahre
2005 hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Justiz-
ministerkonferenz demgegenüber festgestellt, dass ge-
rade bei den Nachlassgerichten Kostendeckungsgrade
von weit über 100 Prozent erreicht werden. Einer Über-
tragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20065
(A) (C)
(D)(B)
richtsbarkeit auf Notare aus rein fiskalischen Gründen
fehlt damit jegliche Rechtfertigung. Vielmehr würden
die Einnahmeverluste der Justiz weit höher ausfallen, als
dies mit möglichen Einsparungen im Personal- und
Sachhaushalt aufgewogen werden könnte. Auch die im
Entwurf deklarierte Verbesserung im Wege eines bürger-
freundlicheren Nachlassverfahrens entbehrt in diesem
Punkt ihrer Grundlage, sehen sich die Bürger doch vo-
raussichtlich erheblichen Mehrkosten ausgesetzt – nicht
zuletzt durch die von den Notaren zu erhebende Umsatz-
steuer. Auch ist nicht ersichtlich, warum das Amtsge-
richt als derzeit zentrale Anlaufstelle für viele Bürger in
den Nachlassangelegenheiten schlechter geeignet sein
sollte als ein Notar. Hierzu nimmt der Entwurf keinerlei
Stellung.
Der Gesetzentwurf gibt den Ländern durch die Öff-
nungsklausel die Möglichkeit, Aufgaben des Nachlass-
gerichtes auf die Notare zu übertragen. Zwar lautet die
Vorgabe „alles oder nichts“; allerdings wird damit kei-
neswegs der drohenden Rechtszersplitterung Einhalt
geboten. Ohnehin gibt es in Deutschland bereits eine
Vielzahl unterschiedlicher Regelungen im Berufsfeld
des Notars. Dieses uneinheitliche System wird durch die
Öffnungsklausel noch gefördert, da dies zwangsläufig
dazu führt, dass die Bundesländer die Aufgaben der
Notare unterschiedlich regeln. Dies kann nicht im Sinne
einer Steigerung der Effizienz unseres Rechtsapparates
sein und erst recht nicht im Interesse der Bürger liegen.
Auf Antworten hinsichtlich der genauen Umsetzung
dieser Aufgabenübertragung auf die Notare sucht man
im Gesetzentwurf übrigens vergeblich nach Antworten.
Kommt es zur Umsetzung des Gesetzentwurfs, stellt sich
unmissverständlich die Frage nach einem „Notarverfah-
rensrecht“. Solche weiterführenden Überlegungen schei-
nen bei den Antragsstellern jedoch keinerlei Platz gefun-
den zu haben.
Zwar ist der Notar gemäß § 1 BNotO unabhängiger
Träger eines Amtes, doch ist er noch lange kein Gericht
und verfügt nicht über die Unabhängigkeit und Neutrali-
tät, die gerichtlichen Entscheidungen zukommt, erst
recht nicht, wenn er in Personalunion tätig wird. Denn
zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ist der Notar
auf die erwirtschafteten Gebühren angewiesen. Dies hat
zur Folge, dass er vom Wohlwollen der Parteien nicht
unabhängig ist. Eine Vermengung von wirtschaftlichen
und richterlichen Interessen scheint die logische Konse-
quenz daraus zu sein. Und wer entscheidet eigentlich, ob
ein Notar befangen ist? Nein, ich glaube, dieser mögli-
chen Interessenkollision sind sich die Bürger bewusst.
Die Bürger wollen nicht vor Notaren streiten, wenn sich
Streit nicht vermeiden lässt, sondern wenn, dann vor
Gericht.
Fragwürdig ist auch, wie mit der Übertragung der
Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit
auf die Notare das vorhandene Arbeitsniveau zumindest
beibehalten werden soll. Nicht nur zeitliche Überforde-
rung, sondern auch in fachlicher Hinsicht können
Schwierigkeiten entstehen. Denn bei erbrechtlichen
Streitigkeiten sind oftmals umfangreiche Beweiserhe-
bungen erforderlich, mit denen ein forensisch nicht ge-
schulter Notar leicht überfordert werden könnte. Hier
gilt es zu überlegen, ob nicht zumindest weitere Schu-
lungsmaßnahmen sinnvoll sein könnten, und zwar dann
obligatorisch. Eine Aufgabenübertragung kann in einzel-
nen Gebieten durchaus sinnvoll sein, wie dies im
Bereich der Aufnahme von Erbscheinanträgen durch
Notare der Fall ist. Allerdings gilt dies nur für ganz
bestimmte Aufgabenbereiche. Eine grundsätzliche Über-
tragung in Verbindung mit einer Änderung des Grund-
gesetzes halte ich nach jetzigem Stand der Debatte we-
der für nötig noch für angemessen.
Der Gesetzentwurf zur Übertragung von Aufgaben im
Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare ver-
fehlt in der jetzigen Form meiner Meinung nach eindeu-
tig seine Zielsetzung. Auch in den bisher vorliegenden
Stellungnahmen, sei es vom Deutschen Richterbund,
vom Deutschen Anwaltsverein oder dem Bund Deut-
scher Rechtspfleger, steht man dem Gesetzentwurf na-
hezu geschlossen ablehnend gegenüber. Nur die Bundes-
notarkammer äußert sich, nicht wirklich überraschend,
als Einzige positiv zu dem Gesetzentwurf.
Insgesamt können die durch bürgerfreundlichere
Öffnungszeiten oder kürzere Wege im Einzelfall entste-
henden Vorteile durch die geschilderten Nachteile nicht
aufgewogen werden. Mehr noch: Die im Gesetzentwurf
vorgeschlagene Öffnungsklausel beseitigt ein altbewähr-
tes Verfahren und schmälert dadurch unseren effizienten
Rechtsapparat. Der Gesetzentwurf macht die freiwillige
Gerichtsbarkeit teurer, aber nicht besser. Deshalb be-
grüße ich es, dass wir uns zunächst auf eine Anhörung
im Rechtsausschuss geeinigt haben und die kritischen
Fragen mit den Sachverständigen ergebnisoffen disku-
tieren können.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Vorurteilsmotivierte
Straftaten wirksam verfolgen (Tagesordnungs-
punkt 15)
Norbert Geis (CDU/CSU): Der Bundesrat hat am
2. März 2012 einen Gesetzentwurf beschlossen mit dem
die sogenannte Hasskriminalität härter bestraft werden
soll. Es handelt sich dabei um Taten, die sich gegen eine
Person vorwiegend wegen ihrer politischen Einstellung,
ihrer Herkunft, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orien-
tierung oder wegen ihres gesellschaftlichen Status rich-
ten. Gut eine Woche nach der großen Gedenkveranstal-
tung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt wollten
die Länder ein Zeichen setzen, dass diese Form der Kri-
minalität besonders verwerflich ist und deshalb in beson-
derem Maße bekämpft werden muss. Diese menschen-
verachtenden Tatmotive sollen nach der Vorstellung der
Länder durch eine entsprechende Ergänzung in § 46 II 2
Strafgesetzbuch bei der Strafzumessung stärker berück-
sichtigt werden.
Ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sieht mit dem-
selben Wortlaut die gleiche Ergänzung des § 46 II 2 vor.
20066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
In Großbritannien, in Kanada und in den USA gilt für
die Hasskriminalität eine ähnliche Regelung bei der
Strafzumessung.
Der Antrag der Grünen zielt auf eine Änderung der
Richtlinien der Staatsanwaltschaft, durch welche klarge-
stellt werden soll, dass bei Mischantragsdelikten in der
Regel das besondere öffentliche Interesse an der Straf-
verfolgung zu bejahen ist, wenn es um Hasskriminalität
geht.
Zugleich soll der Tatbestand der Volksverhetzung
– § 130 Strafgesetzbuch – ergänzt werden. Es sollen die
Gruppen, die wegen ihrer „sexuellen Identität“, ihres
Geschlechtes, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung
oder ihres Alters strafbaren Handlungen ausgesetzt sind,
besonders geschützt werden.
Der Vorschlag der Grünen verwendet die Formulie-
rung, „sexuelle Identität“ statt „sexuelle Orientierung“,
wie er in den Entwürfen des Bundesrates und der SPD-
Fraktion sowie in den Gesetzen von Großbritannien, Ka-
nada und den USA vorkommt. Unter „sexueller Identi-
tät“ versteht man richtigerweise das Geschlecht. Bei der
Homosexualität geht es um die „sexuelle Orientierung“,
wie dies richtig in den vorgenannten Gesetzen oder Ge-
setzentwürfen zum Ausdruck kommt.
Dies ist jedoch der geringste Einwand, den ich gegen
den Antrag der Grünen vorzubringen habe.
Die vorgeschlagene Ergänzung der Richtlinien für das
Strafverfahren und das Bußgeldverfahren ist auf den ers-
ten Blick durchaus nachvollziehbar. Es gibt dort schon
Regelungen für die Bejahung des öffentlichen Interesses
bei den sogenannten Mischformen von Antrags- und Of-
fizialdelikten. So soll das öffentliche Interesse an der
Strafverfolgung bei Körperverletzungsdelikten, bei Ver-
letzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen § 17
UWG oder bei Verletzung des § 19 UWG in der Regel
bejaht werden. Von daher ist in diesem Sinne die Auf-
nahme von Straftaten mit menschenverachtendem oder
rassistischem Hintergrund in die RiStBV, den Richtli-
nien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren,
durchaus sinnvoll.
Allerdings ist bei diesen Straftaten schon eine hohe
Sensibilisierung bei der Staatsanwaltschaft vorhanden.
Deshalb ist eine solche Regelung nicht notwendig. Diese
Sensibilität wird noch verstärkt durch die hohe Auf-
merksamkeit in der Öffentlichkeit gegenüber solchen
Straftaten. Auf der anderen Seite darf die Entschei-
dungsfreiheit der Staatsanwaltschaft nicht zu sehr einge-
schränkt werden. Sonst könnte die Einzelfallgerechtig-
keit darunter leiden.
Außerdem hat der Bund für diese Richtlinien keine
Zuständigkeit. Sie ist Sache der Länder.
Auch ein Bedarf für eine Änderung des § 130 Strafge-
setzbuch besteht nicht. Der Schutzumfang gegen solche
Straftaten wird durch eine solche Ergänzung nicht erwei-
tert. In dem Tatbestandsmerkmal „Teil der Bevölkerung“
in § 130 I 1 StGB sind die Opfer der Hasskriminalität
mit umfasst. Die im Antrag der Grünen genannten Grup-
pen sind damit schon geschützt. Ihre ausdrückliche Nen-
nung hätte nur symbolischen Charakter.
Würden die einzelnen Gruppen, die der Antrag nennt,
im Tatbestand eigens aufgezählt, besteht die Gefahr, dass
andere Gruppen, die im Straftatbestand nicht aufgezählt
werden, außerhalb des Schutzes des § 130 StGB stehen.
Außerdem könnte der Eindruck entstehen, dass zwi-
schen den ausdrücklich genannten Gruppierungen und
den nicht benannten Gruppen eine abgestufte Wertung
zu sehen ist.
Mit Gesetz vom 22. März 2011 wurde § 130 I 1 mit
der Nennung bestimmter Gruppierungen ergänzt. Da-
durch wurde einem EU-Rahmenbeschluss Rechnung ge-
tragen. Wenn aber ohne diese Basis weitere Gruppen in
§ 130 StGB aufgenommen werden, dann wird man sich
fragen, warum nicht auch die Gruppe der Arbeitslosen,
der Sozialhilfebezieher, der chronisch Kranken, der Ob-
dachlosen, der Analphabeten ebenfalls aufgenommen
werden. Der Schluss liegt dann nahe, dass diese Gruppen
nicht eigens geschützt sind.
Außerdem würde mit der gewünschten Ergänzung der
Tatbestand der Volksverhetzung noch unübersichtlicher.
Der normale Bürger versteht die Formulierung des § 130
kaum noch, auch wenn er ihn mehrmals durchliest. Glei-
ches gilt auch für die Rechtsanwender. Sie haben große
Probleme mit der Formulierung des § 130 StGB.
Deshalb meine ich, dass eine besondere Aufnahme
der im Antrag der Grünen genannten Gruppen nicht nur
nicht erforderlich ist, sondern dass diese Aufnahme so-
gar kontraproduktiv sein könnte.
Zu Ziffer III des Antrages ist zu vermerken, dass eine
solche Studie kaum sinnvoll wäre, da sich anhand der
Urteile nicht feststellen lässt, wie stark das menschen-
verachtende Tatmotiv sich jeweils ausgewirkt hat, da an-
dere wichtige Faktoren bei der Strafzumessung im kon-
kreten Einzelfall ebenfalls eine große Rolle spielen.
Burkhard Lischka (SPD): Den Grünen zunächst
einmal „Danke“. Danke für diesen Antrag, weil wir So-
zialdemokraten jeden Antrag begrüßen, der sich mit der
Bekämpfung des Rechtsextremismus beschäftigt. Denn
das ist ein Anliegen, das uns alle einen sollte.
Ich werde nicht in den gleichen Reflex verfallen, wie
die Grünen vor einigen Wochen, als wir Sozialdemokra-
ten hier einen Antrag in den Deutschen Bundestag einge-
bracht haben, der ein ähnliches Grundanliegen hatte,
nämlich fremdenfeindliche und rassistische Straftaten
besser zu ahnden – ein Ansinnen, das ja inzwischen auch
von einer übergroßen Mehrheit des Bundesrates unter-
stützt wird. Da haben Sie von den Grünen vor einigen
Wochen noch diesen Antrag mit allen möglichen Grün-
den gleich vom Tisch gewischt.
Das will ich hier ausdrücklich nicht machen, mit ir-
gendwelchen Spitzfindigkeiten ihren Antrag auseinan-
derpflücken, weil das dem Grundanliegen und der
Grundfrage, nämlich „Was können wir gegen braune Ge-
walt in unserem Land tun?“ nicht gerecht wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20067
(A) (C)
(D)(B)
Bestürzt über braune Gewaltakte sind wir alle. Aber
jetzt geht es darum, dass wir endlich konsequent und
entschlossen gegen braune Schläger vorgehen und alles
tun, damit nicht mehr in diesem Land Dönerbuden abge-
fackelt, Mitbürgerinnen und Mitbürger durch Straßen
gejagt, getreten, geschlagen, misshandelt und ermordet
werden.
Wir alle hier glauben und hoffen, dass wir in einer
weltoffenen, toleranten und gefestigten Demokratie le-
ben. Ja, das tun wir. Aber damit nicht vereinbar ist, dass
es 20 bis 30 km von diesem Plenarsaal entfernt seit Lan-
gem (!) sogenannte national befreite Zonen gibt, in de-
nen Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Gesinnung und
Nationalität in Angst und Schrecken versetzt werden.
Damit werden und wollen wir uns nicht abfinden. Damit
muss endlich Schluss sein.
Nach der furchtbaren Mordserie der NSU-Terrorzelle
muss endlich ein Ruck durch dieses Land gehen. Ein
Ruck, den es schon nach den schrecklichen Gewalttaten
in Solingen, in Mölln, Rostock und Hoyerswerda hätte
geben müssen. Wir dürfen nicht wieder einfach zum
politischen Alltag übergehen. Nicht diesmal! Diesmal
muss endlich Politik im Kampf gegen Nazis vorangehen
und darf nicht nur mit Gedenkveranstaltungen hinterher-
hinken.
Dieser Kampf ist nicht nur, aber eben auch mit straf-
rechtlichen Mitteln zu führen. Da gibt es genügend An-
satzpunkte, wo wir uns sehr ernsthaft die Frage stellen
müssen, ob alles in Ordnung ist.
Warum gibt es zum Beispiel immer wieder Fälle, bei
denen die Strafverfolgungsbehörden und Polizei den
rechtsextremistischen Hintergrund einer Tat beiseite-
schieben, fremdenfeindliche Übergriffe bagatellisieren
oder Opfern den notwendigen Schutz versagen?
Warum zeigt die juristische Datenbank „juris“ 23 809
Urteile beim Begriff Körperverletzung an, aber nur
ganze vier Treffer, wenn man den Begriff Körperverlet-
zung mit dem Begriff fremdenfeindlich kombiniert, ob-
wohl jeden Tag in unserem Land zwei bis drei rechts-
extremistische Gewalttaten begangen werden?
Können rechtsextremistische Gewaltdelikte schneller
bestraft werden? Warum vergehen oft Jahre bis zu einer
Verurteilung?
Werden Strafverfahren zu oft, zu schnell eingestellt,
einfach weil es weniger Arbeit macht?
Das Strafrecht ist sicher nicht das erste Mittel, wenn
es darum geht, sich mit den Ursachen, dem Nährboden
und den Ideen des braunen Unwesens auseinanderzuset-
zen. Aber es muss verdeutlichen, wo wir in unserer Ge-
sellschaft die Grenze zwischen Erlaubtem und Unerlaub-
ten ziehen.
Wer wahllos Menschen durch die Straßen jagt, von
„ausmerzen“ und „vertreiben“ spricht, wer das Messer
direkt zur Kehle führt, muss wissen, dass das rigoros und
schnell geahndet wird, dass er nicht mit Nachsicht zu
rechnen hat. Da gibt es noch manches zu verbessern. Das
sollten wir konsequent angehen.
Sebastian Edathy (SPD): Mit dem vorliegenden
Antrag „Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfol-
gen“ (Bundestagsdrucksache 17/8796) tragen die Kolle-
ginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen der Tatsache Rechnung, dass menschenverachtende,
rassistisch oder fremdenfeindlich motivierte Gewalt ei-
nen besonderen Unrechtsgehalt aufweist. Diese soge-
nannte Hasskriminalität bzw. Vorurteilskriminalität ist in
der deutschen Gesetzgebung bisher nicht explizit gere-
gelt. Hier ist Handlungsbedarf gegeben!
Eine Klarstellung in den Richtlinien für das Strafver-
fahren, wie es der Antrag vorsieht, ist sinnvoll. Diese
würde jedoch lediglich die Strafverfolgung bei Mischan-
tragsdelikten, zum Beispiel der einfachen Körperverlet-
zung gemäß § 223 StGB, gewährleisten – etwa in dem
Fall, dass das Opfer möglicherweise aus Angst keinen
Strafantrag stellt. Diese Änderung hätte deshalb keine
unmittelbare Auswirkung auf die Strafzumessung, da ge-
fährliche oder schwere Körperverletzung Offizialdelikte
sind und deshalb seitens der Staatsanwaltschaften ohne-
hin ohne Feststellung eines öffentlichen Interesses ver-
folgt werden.
Der Tatbestand der Volksverhetzung, der nach Antrag
der Grünen so ergänzt werden soll, dass die Zugehörig-
keit zu einer potenziell diskriminierten Gruppe – insbe-
sondere sexuelle Identität, Geschlecht, Weltanschauung,
Behinderung oder Alter – den Anlass bildet, Opfer
volksverhetzender Handlungen zu werden, erfasst nicht
den von mir hier beispielhaft gebildeten Fall, in dem ein
türkischer Mitbürger Opfer eines rechtsextremen Täters
wird, da diese Tathandlung in § 130 StGB nicht erfasst
ist. Um eine solche Tat geht es jedoch im Kern der ak-
tuellen öffentlichen Debatte, und wir Sozialdemokraten
sehen gerade solche Taten bezüglich der Sanktionsweite
als strafrechtlich regelungsbedürftig an.
Die SPD-Bundestagfraktion hat einen Entwurf zur
Änderung des Strafgesetzbuchs – Bundestagsdrucksache
17/8131 – vorgelegt, den ich als bessere Alternative des-
halb empfehle, da er zwar das gleiche Ziel wie der An-
trag der Grünen verfolgt, die Erreichung dieses Ziels
aber in geeigneterer Weise umsetzt. Wir schlagen vor,
dass menschenverachtende, insbesondere rassistische
oder fremdenfeindliche Beweggründe und Ziele des Tä-
ters als Umstände in § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches
aufgenommen werden. Im Rahmen der Strafzumessung
sind diese Umstände als strafschärfend anzusehen. Un-
ser Entwurf regelt, dass, sofern rassistische oder frem-
denfeindliche Motive für eine Tat vorliegen, diese im
Strafverfahren ermittelt und bei der Bestimmung des
Strafmaßes hinzugezogen werden müssen.
Ich erachte diese Änderung deshalb als dringend not-
wendig, weil die heute geltende Rechtslage in der Praxis
häufig dazu führt, dass rechtsextreme Straftäter zunächst
mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.
Taten rechtsextremer Täter sind auf Zustimmung und
Nachahmung angelegt. Es muss deshalb klar sein, dass
auch die Ausschöpfung des Höchststrafmaßes infrage
kommt, ein Täter also nicht zwangläufig lediglich mit ei-
ner Geld- oder Bewährungsstrafe rechnen kann, was in
20068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
der rechtsextremen Szene im Übrigen oftmals als eine
Art Freispruch empfunden wird.
Aber auch wenn harte Strafen heute schon möglich
sind, ist es wichtig, besonders deutlich zu machen, dass
rechtsextrem motivierte Taten eben keine Bagatellde-
likte sind, sondern ein besonders gravierendes Unrecht.
Dieser erhöhte Unrechtsgehalt unterscheidet rassistisch
oder fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten von ande-
ren Delikten. Die Täter fügen ihren Opfern aufgrund de-
ren tatsächlicher oder vermeintlicher Zugehörigkeit zu
einer religiösen oder ethnischen Gruppe oder ihrer Her-
kunft und Hautfarbe Gewalt zu. Ihre Opfer wählen sie
nicht vor einem persönlichen Hintergrund aus, sondern
willkürlich als Teil einer Gruppe, die in den Augen der
Täter mindere Rechte genießt. Ihre Gewalt richtet sich
gegen ein vermeintliches Mitglied dieser verhassten
Gruppen, die Opfer sind damit austauschbar. Die Taten
sind zumeist brutaler, anonymer und ohne Rücksicht.
Hasskriminalität oder „Hate Crimes“ haben eine verhee-
rende Wirkung, denn sie führen zu großer Verunsiche-
rung unter Menschen, die ähnliche Eigenschaften wie
die Opfer aufweisen. Gesellschaftliche Isolation ganzer
Bevölkerungsgruppen verändert aber das gesellschaftli-
che Klima negativ und stellt das Vertrauen in den
Rechtsstaat potenziell infrage.
Es ist sinnvoll, die vorliegenden Gesetzentwürfe und
somit auch den von Bündnis 90/Die Grünen zum Gegen-
stand einer geplanten Sachverständigenanhörung im
Rechtsausschuss zu machen, um anschließend fraktions-
übergreifend zu angemessenen und geeigneten gesetzge-
berischen Maßnahmen zu gelangen.
Jörg van Essen (FDP): Der Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen wie auch der Gesetzentwurf der SPD zu ei-
ner Änderung des § 46 StGB, den wir vor einigen
Sitzungswochen diskutiert haben, könnten den Eindruck
entstehen lassen, dass es Defizite in der wirksamen Straf-
verfolgung oder Strafzumessung bei Hassdelikten geben
könnte. Soweit die Mordserie der NSU Fragen zur Straf-
verfolgung aufgeworfen hat, werden diese gegenwärtig
in verschiedenen Gremien geprüft. Ich begrüße dies
außerordentlich.
Keinerlei Vorwürfe habe ich bisher aber über eine fal-
sche oder unzureichende Strafzumessung bei Hassdelik-
ten gehört. Im Gegenteil: Aus meiner eigenen Tätigkeit
in einer Staatsschutzabteilung, die für den Bezirk der
größten Generalstaatsanwaltschaft im Bundesgebiet zu-
ständig war, kann ich feststellen, dass die Gerichte Hass-
delikte zutreffend gewürdigt und notwendig hohe Stra-
fen verhängt haben. Mir ist kein Fall bekannt geworden,
dass sich diese bewährte Gerichtspraxis geändert hätte.
Auch ist immer dort, wo es notwendig war, das beson-
dere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht
worden. Ich sehe deshalb keinerlei Notwendigkeit für
eine Änderung der Richtlinie für das Straf- und Bußgeld-
verfahren, RiStBV.
Die Grünen führen in ihrem Antrag selber aus, dass in
der deutschen Gerichtspraxis anerkannt ist, dass rassisti-
sche oder fremdenfeindliche Beweggründe nach § 46
Abs. 2 StGB zu berücksichtigen sind und regelmäßig zu
einer Strafschärfung führen. Ich kann deshalb kein wirk-
liches Bedürfnis dafür erkennen, dass eine Studie in
Auftrag gegeben werden müsste.
Offen bin ich für eine Prüfung, ob in § 130 StGB eine
Erweiterung der dort genannten Gruppen vorgenommen
werden sollte. Die letzte Debatte zum Antrag der SPD zu
§ 46 Abs. 2 StGB hat aufgezeigt, dass eine selektive
Aufzählung einiger Motive bei Hassdelikten nicht ziel-
führend ist und Täter einer Volksverhetzung aus ver-
schiedenen, gleich verwerflichen Hassmotiven agieren.
Darüber sollten und können wir uns im weiteren Verfah-
ren unterhalten.
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir sind uns
darin einig, dass Straftaten gegen Personen aufgrund ih-
rer Nationalität, Hautfarbe, ethnischen Herkunft, sexuel-
len Identität, ihres Geschlechts, ihrer Religion, Weltan-
schauung, Behinderung, ihres Alters oder ihres
gesellschaftlichen Status zu ächten sind.
Es ist richtig, dass mit dem Antrag der Grünen alle
gesellschaftlichen Kräfte aufgefordert werden, solche
Straftaten zu verhindern. Aber: Der Antrag der Grünen
bezieht gerade nicht alle gesellschaftlichen Kräfte ein,
sondern er beschränkt sich auf den strafrechtlichen
Bereich. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ge-
meinsam mit den Ländern die Richtlinien für das Straf-
verfahren dahingehend zu ändern, dass das besondere
öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der Regel
zu bejahen ist. Die Bundesregierung wird zugleich auf-
gefordert, den Volksverhetzungsparagrafen zu ändern
und eine Studie über den § 46 Abs. 2 StGB, also die
Strafzumessung, vorzulegen.
Dieser Forderungskatalog wirft die Frage auf, ob neue
oder veränderte Strafrechtsnormen, also ein größerer
Verfolgungsdruck, wirklich neue Straftaten verhindert.
Ich möchte an dieser Stelle Zweifel anmelden. Neue
oder veränderte Strafrechtsnormen, ein größerer Verfol-
gungsdruck verhindern aus meiner Sicht nicht wirklich
Straftaten, sie reagieren auf begangene Straftaten. Eine
Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte bedeutet und
verlangt aber mehr.
Günter Piening, der ausscheidende Integrations-
beauftragte des Berliner Senats, sagte in der Berliner
Zeitung vom 19. März 2012, es sei erschreckend, dass
sich Ressentiments gegen Ausländer inzwischen in der
Mitte der Gesellschaft niedergeschlagen hätten. Ich füge
hinzu: Nicht nur Ressentiments gegen Ausländer haben
sich in der Mitte der Gesellschaft niedergeschlagen;
auch Ressentiments gegen Menschen aufgrund ihrer se-
xuellen Identität, aufgrund ihrer Behinderung oder ihres
gesellschaftlichen und damit auch häufig sozialen Status
sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Diese
Mitte der Gesellschaft erreicht man nicht mit neuen oder
veränderten Strafnormen. Die Mitte der Gesellschaft er-
reicht man auch nicht über einen höheren Verfolgungs-
druck.
Gegen Ressentiments und daraus entstehende Strafta-
ten helfen Prävention und Aufklärung. Wir kommen ge-
gen Ressentiments und Straftaten an, wenn wir laut und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20069
(A) (C)
(D)(B)
deutlich Nein sagen, Nein zu Ausgrenzung und Nein zu
Klischees, mit denen diese Ausgrenzung häufig begrün-
det wird. Dieses Nein darf nicht nur in Reden erfolgen,
es muss an jeder Stelle im Alltag deutlich sichtbar wer-
den. Ob im Sportverein, der Kleingartenkolonie, im
Chor oder im Vereinsleben generell. Es genügt auch
nicht nur Nein zu sagen, sondern wir müssen zivilgesell-
schaftlichen Protest gegen Ausgrenzung unterstützen
und zivilgesellschaftliche Strukturen, die für diesen
Protest stehen, ermutigen. Dafür ist die sogenannte Ex-
tremismusklausel aus dem Hause Schröder einfach
schädlich; sie sollte endlich abgeschafft werden. Wir
müssen auch Nein sagen zur Repression gegen zivilge-
sellschaftlichen Protest; wir müssen laut sagen, dass dies
nicht in unserem Namen geschieht, wenn wir einen ge-
sellschaftlichen Konsens gegen Ausgrenzung herstellen
wollen. Das Problem beginnt nicht erst mit der Körper-
verletzung, das Problem beginnt bereits mit Beleidigun-
gen und alltäglichen Diskriminierungen, die kein Straf-
tatsbestand sind.
Wenn wir alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren
wollen, um diese Straftaten zu verhindern, dann dürfen
wir öffentliche Räume nicht privatisieren. Denn dann
fehlen den zivilgesellschaftlichen Strukturen die Orte,
um sich zu treffen und präventiv zu arbeiten. Projekte
zur Aufklärung und antirassistischen und antifaschisti-
schen Arbeit benötigen endlich eine Regelfinanzierung.
Aufklärung und Prävention heißt aber auch, Kultur und
politische Bildung ausreichend zu finanzieren.
Mit dem, was die Grünen vorschlagen, verhindern sie
wenig. Sie bekämpfen die Auswüchse dessen, was
vorher schiefgelaufen ist. Wir verschließen uns ihrem
Antrag nicht, aber wir glauben, dass mehr dazu gehört,
will man künftig, Ausgrenzung, Diskriminierung und
Gewalt verhindern.
Wir werden zu diesem Antrag und einem in der Inten-
tion ähnlich gelagerten Gesetzentwurf der SPD eine An-
hörung im Rechtsausschuss durchführen. Ich freue mich
auf diese Anhörung und hoffe, wir reden dort über mehr
als Strafrechtsänderungen und größeren Verfolgungs-
druck.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Immer wieder erreichen uns Nachrichten, dass Men-
schen Opfer von Gewalt und Totschlag werden, weil sie
nicht in das Weltbild des Täters passten. Die schlimms-
ten Fälle sind uns allen bekannt: die Morde der NSU, die
Hetzjagden auf vermeintlich ausländisch aussehende
Menschen in Mügeln oder Guben, ermordete Obdach-
lose, die fürchterlichen Anschläge in Frankreich und
Norwegen. Weniger bekannt sind jedoch die leider tag-
täglichen Vorfälle, bei denen Menschen wegen ihrer Na-
tionalität, ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Herkunft, ih-
res Geschlechts, ihrer Religion, einer Behinderung, ihres
Alters, ihrer sexuellen Identität oder ihres sozialen Sta-
tus verfolgt, verletzt und sogar getötet werden. Solche
vorurteilsmotivierten Straftaten gegen Menschen verlet-
zen zutiefst deren Achtungsanspruch und billigen wei-
tere Straftaten, die teilweise mit unvorstellbarer Brutali-
tät ausgeführt werden.
Die besondere Dimension des aus diesen Ressenti-
ments entstandenen Unrechts liegt darin, dass die Taten
jeweils nicht nur gegen das Opfer als Individuum gerich-
tet, sondern über die Leidenszufügung am jeweiligen
Opfer hinaus geeignet sind, weite Teile der Bevölkerung
zu verunsichern und deren Vertrauen in die Wahrung ih-
rer Rechte zu erschüttern. Selbst während den Opfern
schwerste Verletzungen zugefügt werden, werden sie
vom Täter nur als Teil einer aus seiner Sicht minderwer-
tigen Gruppe gesehen.
Die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
motivierten Delikte reichen von einfacher Körperverlet-
zung bis zu Morden. Delikte werden nach der jetzigen
Rechtslage entweder auf einen Strafantrag hin verfolgt
oder aber dann, wenn die Staatsanwaltschaft das beson-
dere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Unser Antrag, den wir heute vorlegen, will erreichen,
dass das öffentliche Interesse bei vorurteilsbezogenen
Straftaten immer bejaht wird. Diese Taten richten sich
eben in erster Linie nicht gegen den jeweiligen Men-
schen, sondern gegen eine ganze Gruppe, und damit ge-
gen das demokratisch verfasste Gemeinwesen. Wir wol-
len deswegen die entsprechenden Richtlinien, an denen
sich die Staatsanwaltschaften orientieren, ändern. Aus-
wirkungen hat dies insbesondere für die Delikte der Kör-
perverletzung und der Sachbeschädigung.
Hintergrund der heutigen Debatte ist auch ein Rah-
menbeschluss auf europäischer Ebene aus dem Jahr
2008. Zur Bekämpfung von bestimmten Formen und
Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlich-
keit wurde der Volksverhetzungsparagraf § 130 StGB im
Jahr 2010 angepasst. Allerdings wurde dabei der Ansatz
verlassen, dass alle Gruppen gleichermaßen vom Gesetz
benannt werden. Diesen Fehler wollen wir mit unserem
Antrag korrigieren und den § 130 StGB klarer und ein-
deutiger formulieren, sodass alle Opfer von volksverhet-
zenden Handlungen im Sinne des horizontalen Ansatzes
des AGG berücksichtigt werden.
Wir gehen mit unserem Antrag das Gefühl von Ohn-
macht an, das viele Opfer vorurteilsmotivierter Gewalt
ergreift. Wir zeigen, dass es dem Staat nicht gleichgültig
ist, wenn sie in ihren Rechten verletzt werden. Wir sor-
gen dafür, dass die Strafverfolgungsbehörden tatsächlich
hinschauen und rassistische und menschenfeindliche
Gewalt erkennen. Dazu gehört aber auch, dass wir die
Behörden in die Lage versetzen, diese Vorgaben zu er-
kennen. Wir brauchen die entsprechenden Fortbildungs-
maßnahmen, und wir brauchen endlich eine wissen-
schaftliche Untersuchung über das Ausmaß der Gewalt
und darüber, ob und wie die Gerichte im Sinne von § 46
Abs. 2 StGB die Motivlage der Täter heute berücksichti-
gen. Hier fehlt es an Rechtstatsachenforschung.
Deswegen lehnen wir auch die Vorschläge ab, die
eine pauschale Verschärfung der Strafzumessung anstre-
ben. Im Bundesrat werden solche Vorschläge diskutiert,
und auch die SPD hat hier im Bundestag einen entspre-
chenden Antrag vorgelegt. Wir meinen, dass aus diesen
Gründen Strafschärfung im deutschen Recht bereits
möglich ist. Nach § 46 StGB muss die Motivlage der Tä-
ter bereits jetzt berücksichtigt werden und strafverschär-
20070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
fend wirken. Wir sollten zunächst eine fundierte Analyse
der Rechtstatsachen vornehmen, bevor wir über weitere
pauschale Strafverschärfungen diskutieren. Wenn die
jetzige Rechtslage nicht abschreckend genug ist – wa-
rum sollte es bei einer noch expliziteren Nennung besser
werden?
Wir meinen, dass mit unserem Antrag den Opfern
vorurteilsmotivierter Gewalt besser geholfen wird. Wir
machen deutlich, dass die Gesellschaft auch bei ver-
meintlichen kleinen Delikten nicht wegschaut. Damit
stärken wir die Opfer, und das ist effektiver als reine
Symbolpolitik.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrag: Presse-Grosso gesetz-
lich verankern (Tagesordnungspunkt 17)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Die Sätze des vor-
liegenden Antrags „Grundvoraussetzung für die Vielfalt-
sicherung unserer Medienlandschaft ist neben den ge-
setzlichen Vorgaben eine funktionierende, flächen-
deckende und diskriminierungsfreie Vertriebsstruktur
für Presseerzeugnisse. Zeitungen und Zeitschriften sind
keine Ware wie jede andere, sondern Kulturgüter“ kön-
nen wir, denke ich, alle unterstreichen. Das haben wir
vonseiten der CDU/CSU und der FDP auch im Koali-
tionsvertrag fixiert. Nicht umsonst haben wir in
Deutschland für Zeitungen und Zeitschriften den ermä-
ßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Das deutsche
Pressevertriebssystem hat bislang dafür gesorgt, dass die
vom Grundgesetz verlangte Informations- und Mei-
nungsfreiheit gewissermaßen über die Ladentheke in den
großen Städten wie auch in den kleinen Gemeinden re-
alisiert wird. Die in Art. 5 des Grundgesetzes verankerte
Meinungs- und Pressefreiheit konnte bislang unter ande-
rem durch das auch im internationalen Vergleich als vor-
bildlich eingestufte Grossovertriebssystem gewährleistet
werden. Ich bin froh, dass ich von FAZ über Süddeutsche
bis hin zu Unterhaltungszeitschriften wie Gala oder
Bunte alle möglichen Presseerzeugnisse nicht nur in Ber-
lin oder Hamburg, sondern auch am Kiosk im Bahnhof
Hintertupfingen bekomme.
Ich bin aber auch froh, dass wir eine so große Presse-
vielfalt in Deutschland haben wie in nicht vielen anderen
vergleichbaren Ländern. Ein Grund dafür ist, dass auch
die vielen kleinen Verlage sich an das Presse-Grosso-
System anschließen können, ohne dass hier eine Markt-
reifeprüfung vorgenommen würde oder sonstige Markt-
zugangsbarrieren wie Umsatzschwellen oder Ähnliches
gelegt würden. Mit dem bestehenden Presse-Grosso-
System bekommen alle Marktteilnehmer – vom Sprin-
ger-Verlag bis hin zum Kleinverlag – die Chance, dass
ihre Zeitungen und Zeitschriften an den Mann kommen.
Wäre den kleinen Verlagen dieser Zugang verwehrt,
könnten sie wohl bald zumachen.
Mit der Kündigung an zwei Pressegrossisten in Nord-
deutschland durch den Bauer-Verlag, durch den Aufbau
eines eigenen Vertriebs seiner Presserzeugnisse an den
Einzelhandel und in der Folge durch die drei Urteile des
Bundesgerichtshofs in den Jahren 2010 und 2011 sowie
durch das jüngste Urteil des Landgerichts Köln vom
14. Februar 2012 scheint das bestehende System des
Presse-Grosso jedoch in seiner Substanz gefährdet. So
hat der BGH die Zulässigkeit der Kündigungen durch
den Bauer-Verlag bestätigt. Gleichzeitig haben die Ge-
richte eine rechtliche Bindung des Bauer-Verlags an den
Inhalt der im Jahre 2004 verabschiedeten Gemeinsamen
Erklärung zwischen dem Bundesverband Presse-Grosso,
dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und
dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger verneint.
Der BGH hat die kartellrechtliche Zulässigkeit des
Presse-Grosso-Systems als solches aber ausdrücklich of-
fengelassen.
Das Landgericht Köln sieht mit dem genannten Urteil
in dem Alleinverhandlungsmandat des Bundesverbandes
Presse-Grosso einen Verstoß gegen das Kartellverbot
nach Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Eu-
ropäischen Union. Wie Sie wissen, ist es gemäß der Ge-
meinsamen Erklärung gängige und funktionierende Pra-
xis, dass der Bundesverband Presse-Grosso zentral für
seine Verbandsmitglieder – das sind derzeit 53 meist
mittelständisch geprägte Pressegrossisten – mit den ein-
zelnen Verlagen und Vertrieben einheitliche Handels-
spannen und Konditionen für die Vertriebsleistungen
aushandelt. Nur so können meines Erachtens die flä-
chendeckende Vollversorgung und einheitliche Preise
garantiert werden. Durch die einheitlichen Handelsspan-
nentabellen ist gewährleistet, dass alle Presseerzeugnisse
in Deutschland zu den gleichen Bedingungen vertrieben
werden können, ohne dass die Verlage mit den einzelnen
Grossisten in der jeweiligen Region Verhandlungen füh-
ren müssen. Das kommt vor allem kleinen Verlagshäu-
sern zugute. In der Intention des Urteils muss es der
Bundesverband Presse-Grosso aber unterlassen, für
seine Verbandsmitglieder in Deutschland einheitliche
Großhandelskonditionen – insbesondere Handelsspan-
nen und Laufzeiten – mit Verlagen oder Vertriebsgesell-
schaften auszuhandeln oder zu vereinbaren. Zusätzlich
darf der Bundesverband nach dem Urteil die Presse-
grossisten nicht dazu auffordern, individuelle Verhand-
lungen mit Bauer zu verweigern.
Nun mag man auf den ersten Blick denken, na gut,
mit dem Urteil wird der Wettbewerb intensiviert, die
Grossisten und auch die Verlage müssen sich jetzt ins
Zeug legen und durch individuelle Vereinbarungen ad-
äquate Konditionen verhandeln, die für sie in ökonomi-
scher Hinsicht gut und rentabel sind. Aber Vorsicht: Wer
kann sich eine solche Praxis denn überhaupt leisten? Mit
Sicherheit nicht die kleinen und mittelständischen Ver-
lagshäuser, die sich – im Gegensatz zu Großunterneh-
men wie etwa Springer oder Holtzbrinck – mit Sicher-
heit nicht ein eigenes Vertriebssystem aufbauen können
und auch nicht mit allen der insgesamt 68 Grossofirmen
in Deutschland Vertragsverhandlungen über die Auslie-
ferungskonditionen führen können.
Andersherum: Wie sollen denn alle Grossisten ein-
zeln mit jedem Verlag Vertragsverhandlungen führen,
um dem Einzelhandel letztlich weiterhin „die volle Pa-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20071
(A) (C)
(D)(B)
lette“ liefern zu können? Damit wären diese mittelstän-
disch geprägten Betriebe schlicht überfordert. Die Kon-
sequenz wäre, dass nur noch einige ausgewählte
Presseerzeugnisse in der Fläche vertrieben werden, die
dann wahrscheinlich nur noch von großen Verlagen
kommen, mit denen man Vertragsverhandlungen geführt
hat. Kleine Verlage hätten wiederum mit Sicherheit das
Nachsehen, weil sie keine Grossisten finden, die ihre
Produkte an den Einzelhandel bringen. Die Kioske in
Deutschland wären also deutlich ausgedünnt. Ich glaube
nicht, dass wir das wollen. Wir müssen aufpassen, dass
wir nicht sehenden Auges unsere Pressevielfalt verlie-
ren.
Und nicht zuletzt: Wer denkt denn in der Konsequenz
des Landgerichtsurteils noch an die Endabnehmer, die
Leserinnen und Leser? Wenn einzelne Verlage nach die-
sen Urteilen jetzt anfangen, eigene Vertriebssysteme auf-
zubauen, muss man schon schauen, ob dann – unter rein
ökonomischen Kriterien – die Neutralität des Vertriebs
noch immer gewährleistet sein wird. Sprich: Wenn die
Verlage dann selbst entscheiden, welche Presseerzeug-
nisse sie an welche Verkaufsstellen des Einzelhandels
liefern, besteht die Gefahr, dass wir eben nicht mehr an
jedem Kiosk in der Bundesrepublik ein Vollsortiment
vorfinden, weil der Verlag zum Beispiel nur noch in den
großen Städten und Ballungszentren vertreibt, den Ein-
zelhandel im ländlichen Raum aber leer ausgehen lässt,
weil sich der Vertrieb da nicht so rentiert. Die Neutralität
des Vertriebs der Presseprodukte in Deutschland ist da-
mit akut gefährdet. Heute haben wir in Deutschland so
etwas wie eine Universalversorgung für alle mit allem.
Und das ist auch gut so. Das heutige Vertriebsnetz
Presse-Grosso verrichtet Dienstleistungen, die in meinen
Augen vergleichbar sind zum Beispiel mit Postdienst-
leistungen, also Universaldienstleistungen, wodurch eine
Grundversorgung der Allgemeinheit mit für das Leben
und den Alltag notwendigen Diensten für jeden flächen-
deckend, nichtdiskriminierend und zu erschwinglichen
Preisen sichergestellt ist. Bleibt die Auslage eines
Vollsortiments auch in Kleinkaffstadt gesichert, wenn
Verlag XY kalkuliert, dass sich ein Vertrieb seiner Pro-
dukte eigentlich nur in Hamburg, Berlin, Köln und Mün-
chen lohnt? Ich bezweifele das.
Weitergehend muss man sehen, dass in der Folge
auch die für uns alle komfortable Preisbindung sowie
das Remissionsrecht, also dass die Einzelhändler nicht
verkaufte Zeitungen und Zeitschriften zum Einstands-
preis wieder an die Grossisten zurückgeben können, ge-
fährdet sind. Sollte sich das Presse-Grosso in Deutsch-
land nun zu einem Schweizer Käse entwickeln, ist nicht
mehr sichergestellt, dass alle bekannten und neuen Pres-
seobjekte überall in Deutschland zu den gleichen Bedin-
gungen und damit Preisen verkauft werden können. Die
Gefahr besteht, dass Sie den Spiegel in Berlin weiterhin
für 4 Euro bekommen, in Kleinkaffstadt aber 7,90 Euro
hinlegen müssen – wenn Sie ihn da überhaupt noch krie-
gen.
Auch wenn wir heute vielleicht nicht unbedingt einen
absoluten Wettbewerb im Vertrieb haben, so haben wir
auf jeden Fall und Gott sei Dank einen Wettbewerb bei
den Endprodukten und im Pressewesen. Denn nur wo
ich als Leser die Auswahl habe, kann ein Wettbewerb
der Meinungen, aber auch ein Wettbewerb der Verlage
– großer wie kleiner – aus wirtschaftlicher Sicht beste-
hen bzw. entstehen.
Was also ist nach den BGH-Urteilen und nach dem
Urteil des Landgerichts Köln vonseiten des Gesetzge-
bers zu tun, um ein funktionierendes Presse-Grosso-Sys-
tem in Deutschland zu erhalten, wie wir es kennen und
schätzen, das den kleinen Verlagen ihre Chance am
Markt gibt und das flächendeckend ein Vollsortiment mit
den gängigen Zeitungen und Zeitschriften garantiert?
Müssen wir hier überhaupt tätig werden?
Da freiwillige Vereinbarungen auf der Basis der Ge-
meinsamen Erklärung von 2004 für die ersten Verlage
offenbar nichts mehr wert sind und der Bauer-Verlag das
seit 60 Jahren gut funktionierende System von innen her
nicht nur hinterfragt, sondern aktiv erodieren lässt,
scheint mir eine gesetzliche Regelung unausweichlich,
um dafür zu sorgen, dass die Bürger an allen 120 000
Presseverkaufsstellen in Deutschland – in den Städten
und in den Dörfern – weiterhin die Auswahl im Vollsor-
timent haben und dass die Verlagsvielfalt in Deutschland
erhalten bleibt. Nur, werte rot-grüne Kollegen, da ma-
chen Sie es sich in Ihrem Antrag ein bisschen zu einfach,
wenn Sie fordern, dass die Bundesregierung „gemein-
sam mit den Ländern eine gesetzliche Verankerung des
neutralen Presse-Grossos sicherzustellen“ hat, „um die
Medienvielfalt und Überallerhältlichkeit dauerhaft ge-
währleisten zu können“. Außerdem fordern Sie die Bun-
desregierung auf, „im Rahmen der anstehenden Novel-
lierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
eine Regelung einzuführen, die den Grossisten das zen-
trale Aushandeln von Handelsspannen durch ihren Be-
rufsstand ermöglicht“. In der Tat ist eine einheitliche
Spannentabelle wesentliche Grundlage für das einheitli-
che Grossovertriebssystem in Deutschland, wie ich das
gerade beschrieben habe.
Nur: Das Landgericht Köln hat seine Entscheidung
vor allem auf den Art. 101 des Vertrags über die Arbeits-
weise der Europäischen Union gestützt, also das Kartell-
verbot. Dadurch, dass das Gericht einen Verstoß gegen
das hier im EU-Recht verankerte Kartellverbot festge-
stellt hat, müssen wir eine Lösung finden, die das be-
währte Presse-Grosso-System gemäß der im EU-Vertrag
in Art. 101 Abs. 3 fixierten Möglichkeit von den Rege-
lungen des Abs. 1 des Art. 101 freistellt. Damit würden
wir die europarechtlichen Wettbewerbsregeln einhalten
und würden das System auch in künftigen Gerichtsver-
fahren rechtlich absichern. Das Gesetz gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen scheint mir da in der Tat die ein-
zig sinnvolle Rechtsnorm zu sein. Und da hat natürlich
der Bund die Gesetzgebungskompetenz.
Ich weiß um die europarechtliche Problematik in die-
ser Frage. Europarecht sollte uns aber nicht an vernünfti-
gen Regelungen hindern, zumal es hier erfahrungsgemäß
auch Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Ich halte es sogar
für zielführend, direkt Europarecht aufzugreifen und
festzulegen, dass aus Sicht des deutschen Gesetzgebers
die Pressegrossisten gemäß Art. 106 Abs. 2 des Vertrags
über die Arbeitsweise der EU mit „Dienstleistungen von
20072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut“ sind.
Das sollte im Rahmen der anstehenden Novellierung des
GWB in den dortigen § 30 – Preisbindung bei Zeitungen
und Zeitschriften – aufgenommen werden.
Denn – wie ich oben schon dargestellt habe – die
Pressegrossisten erfüllen im Sinne eines „Universal-
dienstes“ durchaus Dienstleistungen „von allgemeinem
wirtschaftlichen Interesse“ im Interesse eines mit Leben
erfüllten Grundgesetzes. Die kartellrechtlichen Einschrän-
kungen des Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise
der EU und des GWB würden aber die Ausführung die-
ses „allgemeinen wirtschaftlichen Interesses“ durch die
Grossisten verhindern. Eine Betrauung im Rahmen des
Art. 106 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der
EU würde dazu führen, dass die Wettbewerbsregeln des
EU-Vertrags, also der Abs. 1 des Art. 101, keine Anwen-
dung finden. Denn die Wettbewerbsregeln gelten nach
Art. 106 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der
EU nur, „soweit die Anwendung dieser Vorschriften
nicht die Erfüllung der ihnen“ – also den Pressegrossis-
ten – „übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder
tatsächlich verhindert“. Damit könnte für den Bundes-
verband Presse-Grosso ein gesondertes Verhandlungs-
mandat erwirkt werden, mit dem im Ergebnis die Kondi-
tionen und Leistungen zwischen den Verlagen und den
Pressegrossisten erhalten bleiben könnten und in der
Folge auch die Überallerhältlichkeit der Presseprodukte
sowie die Vielfalt im Verlagswesen in Deutschland.
Mit dieser Form der Betrauung würden die Verlage
gleichwohl nicht verpflichtet werden, die Dienste des
Presse-Grosso in Anspruch zu nehmen. Der Markt ist an
sich also offen. Es geht hier jeweils um ein Angebot des
jeweiligen regionalen Pressegrossisten an die Verlage.
Wenn der Dienst des Pressegrossisten aber in Anspruch
genommen wird – und das ist bisher seitens der Verlage
immer der Fall gewesen –, dann sind die Grossisten auch
verpflichtet, alle Verlagsobjekte zu vertreiben – eben um
die Neutralität des Angebots an den Verkaufsständen des
Einzelhandels zu wahren.
Jetzt kommen natürlich die vereinigten verbeamteten
Bedenkenträger aus dem Bundeswirtschaftsministerium
daher und schwingen mit der Keule des Europarechts,
nach dem eine solche Regelung nicht zulässig sei, die
Kommission in Brüssel eine Freistellung nicht genehmi-
gen würde und überhaupt der Bund keine Gesetzge-
bungskompetenz in dieser Frage habe. Haben wir für das
GWB sehr wohl! Und da müssen wir eben ansetzen. Wie
das geht, habe ich gerade skizziert.
Das Wirtschaftsministerium verweist auf die Länder,
wenn man denn eine gesetzliche Verankerung von Vor-
schriften zum Erhalt der Meinungs- und Pressefreiheit
wolle. Pressevertriebsspezifische Vorschriften könne man
etwa im Rahmen der Landesmedien- und Pressegesetze
ergänzen oder zwischen den Ländern in einer Art „Län-
derpressegrosso-Staatsvertrag“. Die Leiter der Staats-
kanzleien von Bayern und Nordrhein-Westfalen wiede-
rum verweisen in einem Beschlussvorschlag an die
Ministerpräsidenten der Länder auf die Notwendigkeit
einer Regelung im GWB, also im Rahmen der Bundes-
gesetzgebung. Die Länder wollen dabei nur „prüfen“,
„inwieweit Landespresserecht die Neutralität des Presse-
vertriebs unterstützen kann“. Nur auf die Länder zu zei-
gen, ist mir für dieses wichtige Thema zu wenig.
Deswegen müssen wir nun im Rahmen der parlamen-
tarischen Beratungen zur Achten Novelle des GWB die-
ses Thema auf die Agenda setzen. Denn die Vollversor-
gung mit den verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften
in allen Teilen und Regionen Deutschlands und der Er-
halt unserer kleineren Verlage sind im Sinne unseres
Grundgesetzes und im Sinne der Leser zu wichtig, um
auf dem Altar der juristischen Spitzfindigkeiten geopfert
zu werden – erst recht vor dem Hintergrund, dass wir als
Bundesgesetzgeber mit der GWB-Novelle das Instru-
ment dazu in der Hand haben. Das müssen wir jetzt nut-
zen.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Was
haben der Fußballfan, der Gartenfreund und die junge
Familie gemeinsam? Sie kaufen und lesen Landlust,
Nido oder den guten alten Kicker – Fachmagazine, die
von kleinen Verlagen herausgebracht werden oder sich
als Neuerscheinungen schnell am Markt durchgesetzt
haben.
Alle diese Titel gäbe es ohne das bewährte deutsche
Grosso-System wahrscheinlich nicht. Durch das Urteil
des Landgerichts Köln drohen das Presse-Grosso und
mit ihm die Presse- und Meinungsvielfalt in unserem
Land großen Schaden zu nehmen.
Das bisher praktizierte Vertriebssystem sichert die
Versorgung aller Kioske und Verkaufsstände vor Ort mit
allen publizierten Zeitungen und Zeitschriften. Die ein-
seitige Bevorzugung der Erzeugnisse eines Pressekon-
zerns wird verhindert.
Der vom LG Köln ausgestellte Freibrief für Einzel-
verhandlungen zwischen Verlagen und Grossisten
schwächt die Verhandlungsposition der Grossisten.
Daher haben wir uns festgelegt: Wir wollen eine gesetz-
liche Regelung des zentralen Verhandlungsmandats für
den Bundesverband Presse-Grosso. Alle Beteiligten,
auch die Verlegerverbände, sind dafür – mit einer
Ausnahme.
Verlegerisches Ethos und Verantwortung galt früher
etwas in diesem Land. Davon hat die immer noch ausge-
zeichnete Medien- und Pressevielfalt in Deutschland
profitiert. In vielen Verlagen gibt es dieses Ethos auch
heute noch. Einzelne unrühmliche Ausnahmen bringen
das gesamte System in Schieflage.
Auch der Bauer-Verlag wusste es einmal besser: „Der
deutsche Presse-Großhandel ist sehr leistungsfähig, wir
sollten für den Erhalt dieses Systems kämpfen“, hob der
Verlag noch 2004 in einer Publikation hervor. 1989 for-
mulierte Bauer: „Internationale Beobachter sprechen
gern vom besten Vertriebssystem der Welt. Es hat ent-
scheidenden Anteil daran, dass in keinem anderen Land
Zeitschriften eine vergleichbare dominierende Rolle
spielen.“ Tempi passati!
Natürlich: Jeder muss heutzutage auf das Geld
schauen. Der Kostendruck steigt auch auf die Verlage.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20073
(A) (C)
(D)(B)
Gerade aktuell tut die Bundespolitik aber viel für die
Verlage. Der Koalitionsausschuss hat Anfang dieses
Monats die Einführung eines Leistungsschutzrechtes für
Presseverleger beschlossen. Mit der Reform der Presse-
fusionskontrolle entsprechen wir den Wünschen der gro-
ßen und der Lokalzeitungsverleger.
Auch die Grossisten haben sich bewegt. Für die neuen
Abschlüsse mit fast allen Verlagen im letzten Jahr haben
sie deutliche Abstriche gemacht. Das sollte man aner-
kennen.
Verlierer wären wir alle: Leser, Zeitungs- und Zeit-
schriftenkäufer, kleine Verlage, die Pressevielfalt. Ge-
winner wäre nur einer, und das auch nur auf den ersten
Blick.
Kritiker und Bedenkenträger fürchten: Eine gesetzli-
che Regelung des Alleinverhandlungsmandats in der
GWB-Novelle ist mit dem EG-Kartellrecht nicht verein-
bar.
Ehe wir gar nichts tun und das bewährte System vor
die Hunde gehen lassen, sollten wir lieber die Probe aufs
Exempel machen. Ein europarechtliches Risiko bleibt in
kartellrechtlichen Fragen immer. Wir halten eine Frei-
stellung des deutschen Pressevertriebssystems nach
deutschem und europäischem Wettbewerbsrecht für zu-
lässig, weil die Vorteile für den Pressemarkt die mögli-
chen Nachteile für den Wettbewerb überwiegen. Wir
werden ja sehen, wer Recht behält. Aber wir sehen zu
einer entsprechenden Grossoregelung im GWB keine
Alternative. Auch ein konstruktiver Dialog der Politik
mit der Bundeskartellamt kann der Sache selbstverständ-
lich dienen.
Liebe Freunde von SPD und Bündnis 90/Die Grünen:
Ihr Einsatz für das Grosso ist verdienstvoll. Wir stehen
an Ihrer Seite.
Gegen Ihren Antrag habe ich trotzdem Einwände. Auf
die Länder, wie im Antrag gefordert, sollten wir nicht
allzu sehr bauen. Der Beschlussvorschlag der Chefs der
Staatskanzleien für die Ministerpräsidentenkonferenz in
der nächsten Woche empfiehlt lediglich einen Prüfauf-
trag für die Bundes- und die Ländergesetzgebung.
Wir alle wissen, wie kompliziert die Verhandlung von
Rundfunkstaatsverträgen ist. Ein „Grosso-Staatsver-
trag“ ist Theorie, da es kein Signal von den Ländern
gibt, dem Bundesgesetzgeber diese Aufgabe abzuneh-
men. Auch kann von den Ländern nicht das zentrale Ver-
handlungsmandat geregelt werden. Das müssen wir als
Bundesgesetzgeber schon selber regeln. Die GWB-No-
velle ist dafür der richtige Ort.
Auch dem Vorschlag einer Schiedsstelle kann ich
nicht viel abgewinnen. Wenn ein Akteur das Zusammen-
spiel konsequent verweigert, helfen auch keine Schieds-
richter! Schlichtungsrunden unter der verdienstvollen
Leitung von BKM haben wir in den vergangenen Jahren
genug gehabt.
Gefreut hat mich Ihr Verweis auf die Bundeskanzle-
rin, die den Erhalt des Pressevertriebssystems im No-
vember 2011 für notwendig erklärt hat.
Auch der Medienpolitische Expertenkreis der CDU
Deutschlands hat sich bereits vor dem Urteil des Land-
gerichts Köln zu einer gesetzlichen Regelung bekannt.
Unser Ziel lautet: Presse- und Medienvielfalt überall
in Deutschland, faire Marktchancen für neue Titel. Die
Vorzüge des Grossosystems sind: Neutralität und Über-
allerhältlichkeit. Das ist vor allem für den ländlichen
Raum wichtig, wo nicht alle 50 Meter ein Kiosk steht.
Die Qualitäten der deutschen Vertriebsstrukturen er-
kennt man bei einem Blick ins Ausland besonders gut:
In Großbritannien war die Pressedistribution einmal ein
offenes, überwiegend von freien Grossisten organisiertes
Verteilsystem. Heute hat es sich zu einem oligarchisch
strukturierten Kommissionsnetz gewandelt. Die Folge:
Der Einzelhandel ist erodiert, das Verkaufsnetz weiter
ausgedünnt, verbunden mit einem Reichweitenschwund
insbesondere der Tagespresse außerhalb von Ballungs-
räumen. Experten sprechen bereits von der „englischen
Krankheit“.
Das kann kein Vorbild für Deutschland sein. Ich
wünsche mir für die Zukunft keine „German Grosso
Disease“. Darin bin ich mir einig mit dem Verband Deut-
scher Zeitschriftenverleger, dem Bundesverband Deut-
scher Zeitungsverleger und anderen bis hin zum nörd-
lichsten Zeitungsverlag in Deutschland, dem Schleswig-
Holsteinischen Zeitungsverlag in Flensburg.
Ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung in der
GWB-Novelle hinbekommen. Dann hätte sich der vor-
liegende Antrag erledigt. Wenn es aber den Verantwortli-
chen gelänge, vorher eine Friedenslösung wie 2004 in
der „Gemeinsamen Erklärung“ zu erzielen, wäre das
auch ein vertretbarer Weg und sehr zu begrüßen. Und der
Kicker und die Landlust hätten weiterhin eine faire
Chance im Ladenregal.
Martin Dörmann (SPD): Die Vielfaltsicherung in
unserer Medienlandschaft ist ein wesentliches Element
zur Stärkung unserer Demokratie. Ein zentraler Baustein
hierfür ist das Presse-Grosso. Es sichert eine flächende-
ckende und diskriminierungsfreie Vertriebsstruktur für
Presseerzeugnisse und schafft damit faire Wettbewerbs-
bedingungen zwischen kleinen und größeren Verlagen.
Das Presse-Grosso ist der bedeutendste Vertriebsweg
für Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland. Es be-
steht aus 67 zumeist mittelständischen und unabhängi-
gen Presse-Grossisten, die täglich mehr als 120 000
Presseverkaufsstellen mit einem vielfältigen Angebot
versorgen. Prinzipiell kann man jeden Titel auch noch
am kleinsten Zeitungskiosk auf dem Dorf erhalten. Zum
Vergleich: Die um ein Mehrfaches größeren USA haben
insgesamt nur 25 000 Verkaufsstellen mehr, die zudem
durch das dortige reine Zeitschriftengrosso nur wöchent-
lich und nicht täglich beliefert werden.
Unser erfolgreiches Grossosystem ist nun durch ein
kürzlich ergangenes Urteil des Landgerichts Köln in-
frage gestellt. Deshalb fordern die Bundestagsfraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in einem gemein-
samen Antrag eine gesetzliche Verankerung des Presse-
Grosso.
20074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
Es darf nicht sein, dass größere Verlage einen prinzi-
piell besseren Zugang zu Verkaufsstellen haben oder
aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht günstigere Konditionen
aushandeln können. Hierdurch würde sich die Wett-
bewerbssituation für kleinere Verlage nachhaltig ver-
schlechtern. Innovative neue Zeitschriftentitel und
Nischenverlage ohne hohe Auflagen hätten das Nachse-
hen. Die Folgen wären absehbar: Über kurz oder lang
würde eine Reduzierung von Pressetiteln drohen und da-
mit der Meinungsvielfalt schwerer Schaden zugefügt.
Das dürfen wir nicht zulassen. Denn Zeitungen und
Zeitschriften sind keine Ware wie jede andere, sondern
Kulturgüter. Zudem ist eine lebendige Demokratie da-
rauf angewiesen, dass die Presselandschaft möglichst
vielfältige Meinungen transportiert und Großverlage
kleinere Verlage nicht allein wegen ihrer Marktmacht an
den Rand drängen können.
Warum ist hierfür das Presse-Grosso-System von so
großer Bedeutung? Die Pressegrossisten sind das Ver-
bindungsglied zwischen den Verlagen und den Presse-
verkaufsstellen. Sie unterhalten ein aufwendiges Ver-
triebsnetz, organisieren die Lieferung der einzelnen Titel
vor Ort und erhalten dafür eine bestimmte Marge. Von
zentraler Bedeutung ist, dass nicht die Verlage bestim-
men, an wen wie viel geliefert wird und wo die Verlags-
produkte wie präsentiert werden. Vielmehr hat der Pres-
segrossist insofern eine Dispositionsfreiheit. Dabei muss
er aber nach objektiven Kriterien vorgehen und darf ein-
zelne Titel nicht diskriminieren. Hierdurch wird sicher-
gestellt, dass kleine und neue Publikationen gleichbe-
rechtigt neben Kassenschlagern liegen können.
Umgekehrt hat die Verkaufsstelle ein sogenanntes Re-
missionsrecht, das heißt, nichtverkaufte Titel können an
den Grossisten zurückgegeben werden. Das wirtschaftli-
che Risiko trägt insofern der Grossist.
Diese Vertriebsstruktur hat sich bewährt und gilt eu-
ropaweit als vorbildlich. Es gibt jedoch eine Besonder-
heit, die nun kartellrechtlich vom Urteil des Landge-
richts Köln infrage gestellt ist. Die Konditionen werden
in der Regel nicht von den einzelnen Pressegrossisten in-
dividuell mit den Verlagen ausgehandelt. Vielmehr ver-
handelt auf der Seite der Pressegrossisten der
Bundesverband Presse-Grosso für seine Mitglieder.
Hierdurch wird sichergestellt, dass größere Verlage ge-
genüber kleineren nicht bessergestellt werden und weni-
ger zahlen, weil sie ein größeres Druckpotenzial haben,
sondern gleiche Maßstäbe für alle gelten. Dieses ge-
meinsame Verhandlungsmandat des Bundesverbandes
Presse-Grosso hat das Landgericht Köln als kartell-
rechtswidrig bezeichnet und damit der Klage des Bauer-
Verlages gegen den Bundesverband Presse-Grosso statt-
gegeben. Dieser hat inzwischen Berufung eingelegt,
sodass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Das System Presse-Grosso ist aber zu wichtig, als
dass wir das Risiko eingehen sollten, dass ein höchst-
richterliches Urteil den Streit früher oder später endgül-
tig entscheidet. Vielmehr ist es an der Zeit, das Grosso-
System politisch zu stützen und endlich gesetzlich abzu-
sichern.
In der Vergangenheit war das nicht notwendig, weil
sich die gesamte Branche 2004 auf eine „Gemeinsame
Erklärung“ verständigt hat, durch die das Grossosystem
gestaltet wurde. Dieser lange bestehende Konsens wurde
von dem genannten Großverlag aufgekündigt, weil er in-
dividuell bessere Konditionen aushandeln will.
Da es um eine Kartellrechtsfrage geht, bedarf es nun
einer Absicherung des Presse-Grosso im Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkung (GWB). Insofern ist es ein
glücklicher Umstand, dass ohnehin eine GWB-Novelle
ansteht. Die Bundesregierung hat angekündigt, in der
nächsten Woche einen Gesetzentwurf im Kabinett zu
verabschieden. Nach allen bisherigen Verlautbarungen
der Bundesregierung sowie der sie tragenden Koalitions-
fraktionen ist allerdings davon auszugehen, dass die
gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso kein Be-
standteil des Gesetzentwurfes sein wird. Dies bedauern
wir sehr, zumal sich selbst die Bundeskanzlerin bei den
Zeitschriftentagen im November 2011 noch für eine
Absicherung ausgesprochen hat. Insgesamt sind sich
jedenfalls die Medienpolitiker aller Parteien über die
große Bedeutung des Presse-Grosso einig.
Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt unverzüg-
lich die gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso auf
den Weg zu bringen. Die Regelung sollte den Grossisten
das zentrale Aushandeln von Handelsspannen durch ih-
ren Berufsverband ermöglichen.
Zusätzlich flankiert werden könnte dies durch eine
gesetzliche Verankerung des Presse-Grosso auch in den
Pressegesetzen der Länder. Ich freue mich, dass die rot-
grüne Landesregierung in NRW an dieser Stelle deutlich
Position bezogen hat und auf Länderebene initiativ
geworden ist. Infolgedessen hat sich Anfang März die
Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und
Senatskanzleien der Länder für eine Sicherung des
Presse-Grosso ausgesprochen. Hierzu wurde eine län-
deroffene Arbeitsgruppe unter Federführung von NRW
und Bayern eingesetzt, an der sich auch der Bund beteili-
gen soll. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Ini-
tiative der Länder zu unterstützen und ihren Beitrag zur
gesetzlichen Verankerung des Presse-Grosso zu leisten.
In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden,
inwieweit eine Schlichtungsstelle für Streitfragen zwi-
schen den Verlagen und den Grossisten etabliert werden
kann. Hierdurch könnte sichergestellt werden, dass zwi-
schen den Beteiligten faire Konditionen ausgehandelt
werden, die niemanden benachteiligen.
Sicherlich stellt sich die Frage, wie eine solche Rege-
lung gerichtsfest und europarechtskonform im GWB
verankert werden sollte. Hierzu haben der Bundesver-
band Presse-Grosso, der Verband Deutscher Zeitschrif-
tenverleger (VDZ) sowie der Bundesverband Deutscher
Zeitungsverleger (BDZV) einen gemeinsamen Vor-
schlag vorgelegt, der unter den genannten Gesichtspunk-
ten geprüft werden sollte.
Zum Stichwort Medienvielfalt noch ein Hinweis: Im
Rahmen der geplanten GWB-Novelle beabsichtigt die
Bundesregierung Änderungen des Pressefusionsrechts.
Wir sind sehr gespannt, was die Bundesregierung uns
letztlich im Einzelnen als Gesetzentwurf vorlegen wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20075
(A) (C)
(D)(B)
Wir werden den Entwurf kritisch prüfen, insbesondere
auf seine Auswirkungen auf die Medienvielfalt in
Deutschland. Auch das wird eine interessante Debatte
werden. In diesem Zusammenhang bedauern wir sehr,
dass die Bundesregierung bislang die Mediendatenbank
noch nicht vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht hat, obwohl für diese seit 2009 Mittel im Bun-
deshaushalt eingestellt sind. Die hierzu gefertigten Gut-
achten sollten nun schnell veröffentlicht werden, damit
wir eine bessere Datengrundlage über Angebot, Nutzer-
verhalten und Konzentrationstendenzen in der deutschen
Medienlandschaft haben.
Einen maßgeblichen Beitrag zur Sicherung der Medi-
envielfalt könnte die Bundesregierung in jedem Falle
dadurch leisten, dass sie unsere Initiative für eine gesetz-
liche Absicherung des Presse-Grosso unterstützt. Die
Zeit ist reif – und die Zeit drängt. Wir dürfen das
bewährte System des Presse-Grosso nicht aufs Spiel
setzen.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Der Antrag von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen reagiert auf die Rechtsstreitig-
keiten des Grossoverbandes mit dem Bauer-Verlag. Ge-
würdigt wird die Vielfaltsicherung unserer Medienland-
schaft und die Erhaltung einer funktionierenden,
flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertriebs-
struktur für Presseerzeugnisse, die in der Bundesrepu-
blik Deutschland im Verhältnis zu anderen europäischen
Ländern einmalig ist. Das ist richtig. Bedenken Sie aber
bitte beim Hohelied auf die Pressevielfalt zweierlei: Ers-
tens. Es sind gerade deutsche Presseverlage, die seit
mehr als 20 Jahren durch ihre expansiven Marktstrate-
gien besonders in Osteuropa die Pressevielfalt dort nicht
gerade befördert haben. Zweitens. Die Vielfalt im Pres-
sewesen ist immer noch von der Finanzstärke marktbe-
herrschender Konzerne geprägt, wodurch eher Vielfalt in
der Einfalt produziert wird und herrschaftskritische
Stimmen deutlich seltener zu Wort kommen. Wenn also
über Angebotsneutralität im Vertrieb geredet wird,
müsste normalerweise auch darüber geredet werden, was
so alles angeboten wird, bevor es in die Regale der
Kioske, Bahnhöfe oder Supermärkte gelangt.
Wir begrüßen eine gesetzliche Regelung, die der neo-
liberalen Entbindung des Pressewesens entgegentritt.
Überhaupt scheint sich am Beispiel des Pressegrosso
einmal mehr unser Grundsatz zu bewahrheiten, dass in
einer entfesselten Ökonomie die berechtigten Interessen
der breiten Bevölkerung nicht mehr berücksichtigt wer-
den können. Und es bewahrheitet sich auch, dass freiwil-
lige Vereinbarungen wie die „Gemeinsame Erklärung“
des Grossoverbandes mit den Verlegerverbänden von
2004 immer dann zur Makulatur werden, wenn wieder
einmal Gewinnmargen auf dem Spiel stehen.
Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen for-
dert die Bundesregierung auf, in der angestrebten Novel-
lierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung
den Grossisten das zentrale Aushandeln von Handels-
spannen durch ihren Berufsverband zu ermöglichen. Die
Forderung selbst ist nun ziemlich unverbindlich und tut
eigentlich niemandem weh. Sie hätten deshalb in Ihrem
Antrag zumindest benennen müssen, wo im GWB und
vor allem mit welcher Reichweite Sie die Ihrer Meinung
nach dringend notwendige Regelung verankert haben
möchten. Dafür käme im Gesetz unter Umständen der
Preisbindungsparagraf – § 30 GWB – bei Zeitungen und
Zeitschriften infrage. Um das Grossosystem vor dem
Vorwurf wettbewerbswidriger Behinderung zu schützen,
wären andere Spielräume innerhalb des Gesetzes eben-
falls gewissenhaft zu prüfen. Das passiert in dem Antrag
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen aber nicht. Sie ge-
ben mit der Folgenlosigkeit Ihres Antrages den Ball in
einem Maße an die Bundesregierung zurück, das
schlechterdings unverantwortlich ist. Denn so kann die
Regierung die Regelung je nach Belieben treffen und an-
sonsten auf die sozialen Belange der Beschäftigten pfei-
fen.
Die beiden anderen in dem Antrag aufgestellten For-
derungen – Sicherstellung des neutralen Pressevertriebs
über Bund-Länder-Regularien und die Einrichtung einer
Schlichtungsstelle bei Streitfragen – sind für die Frak-
tion Die Linke im Hinblick auf die Zentralforderung
zweitrangig. Wenn Sie also alle hier eine gesetzliche Re-
gelung für das Presse-Grosso wollen, dann werden Sie
konkret und nehmen Sie endlich die Diskriminierungs-
freiheit in ihrer ganzen Tragweite ernst – nicht nur für
die Vertriebsstrukturen als solche, sondern auch für die
Besserstellung der kleinen Verlage im Grossosystem.
Noch ein Wort zum Referentenentwurf „Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“, auf
den im Antrag Bezug genommen wird. Zwar erklärt der
Entwurf, dass dem Aufkauf kleiner Verlage durch Groß-
verlage kein Vorschub geleistet werden soll. Gleichzeitig
soll es den Presseunternehmen im Printbereich aber er-
leichtert werden, ihre wirtschaftliche Basis durch Fusio-
nen abzusichern und ihre Wettbewerbsfähigkeit auch in
Konkurrenz zu anderen Mediengattungen zu behaupten –
also letztlich doch mehr Konzentration. Von den Konse-
quenzen für die Beschäftigten in der Branche kein Wort!
Unsere Auffassung ist: Wettbewerbsbeschränkung hat
sich an den Menschen zu orientieren. Das gilt auch für
eine angestrebte gesetzliche Regelung beim Presse-
grosso.
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stel-
len Sie sich vor, am Kiosk vor der Schule gibt es nur eine
Zeitschrift: die Bravo. Das ist ein Szenario, das wir alle
sicher nicht wollen. Es könnte aber genau dazu kommen.
Denn die Pressevielfalt an der Ladentheke oder im Kiosk
ist in Gefahr. Grund dafür sind zwei Gerichtsentschei-
dungen, die das System des Presse-Grosso ins Wanken
bringen.
Die Neutralität und Vielfalt des Presseangebots in den
Regalen kommen nämlich nicht von ungefähr. Dafür ist
in Deutschland ein international einzigartiges Vertriebs-
system verantwortlich: das Presse-Grosso. Es sichert
eine neutrale Vertriebsstruktur und damit die Presseviel-
falt an der Ladentheke.
Das Presse-Grosso besteht aus 67 zumeist mittelstän-
dischen und unabhängigen Pressegrossisten, die in
Deutschland täglich mehr als 120 000 Presseverkaufs-
20076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012
(A) (C)
(D)(B)
stellen mit einem vielfältigen Presseangebot versorgen.
Es wurde von Verlagen und Grossounternehmen aufge-
baut, beruht auf einem breiten Branchenkonsens sowie
zahlreichen privatwirtschaftlichen Vereinbarungen, die
es in den vergangenen 60 Jahren zu dem gemacht haben,
was es heute ist. Das Presse-Grosso ist der bedeutendste
Vertriebsweg für Zeitungen und Zeitschriften.
Dieses bislang nicht gesetzlich verankerte System ist
durch zwei Gerichtsentscheidungen (Oktober 2011
BGH; Februar 2012 LG Köln) in Gefahr. Der marktbe-
herrschende Bauer-Verlag stellt seit 2008 das gut funk-
tionierende Grossosystem infrage und hat per Gericht er-
zwungen, die Bedingungen für seinen Vertrieb mit den
Kiosken und Ladenketten selbst auszuhandeln.
Dies ist sehr ärgerlich und mit Blick auf den Bauer-
Verlag nicht nachvollziehbar. Als bereits 2004 einmal
zur Debatte stand, das Vertriebssystem gesetzlich zu ver-
ankern, haben wir als rot-grüne Koalition den Willen der
Grossisten und Verleger unterstützt, den Weg einer un-
tergesetzlichen gemeinsamen Erklärung zum Erhalt des
Vertriebs zu wählen. Darin sind unter anderem geregelt:
die Preis- und Verwendungsbindung, das Dispositions-
und Remissionsrecht, die Vertriebsneutralität sowie die
gebietsbezogene Alleinauslieferung. Diese „Gemein-
same Erklärung“ hat der Bauer-Verlag nie unterzeichnet,
und sie nun durch seine Klagen im Grunde auf lange
Sicht auch für die anderen Verlage wertlos gemacht.
Uns Grünen – und ich nehme an, Ihnen in den ande-
ren Fraktionen auch – ist es wichtig, im Kiosk und an der
Ladentheke so viele verschiedene Zeitungen und Zeit-
schriften angeboten zu bekommen wie möglich. Wir
wollen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eine
echte Wahl haben. Und wir wollen, dass sich jede und
jeder aus dem Informationsangebot das heraussuchen
kann, was sie oder er für die persönliche Meinungsbil-
dung benötigt. Denn ohne Information keine Meinung
und ohne Meinung keine Teilhabe an unserer Demokra-
tie. Damit ist klar: Zeitungen und Zeitschriften sind
keine Ware wie jede andere, sondern Kulturgüter.
Presse hat in unserer demokratischen Gesellschaft
einen wesentlichen Anteil an der politischen Willensbil-
dung. Ein vielfältiges Angebot und der Zugang dazu
müssen uns also als Demokraten am Herzen liegen.
Presse- und Medienerzeugnisse allgemein haben zu
Recht eine verfassungsrechtlich abgesicherte besondere
Funktion.
Dazu gehört auch, die Rahmenbedingungen für ein
vielfältiges Angebot zu schaffen. Wir Grünen wollen,
dass kleine und unbekannte Titel sowie neue Produkte
eine gleichberechtigte Chance haben, im Angebot wahr-
genommen zu werden wie die Bravo oder die Bunte.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist es aus
grüner Sicht dringend geboten, das Vertriebssystem ge-
setzlich zu verankern. Dazu ist bundesseitig eine Ände-
rung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,
GWB, erforderlich. Nur so kann die Neutralität beim
Vertrieb auf Dauer erhalten bleiben. Nur so garantieren
wir, dass alle den gleichen Zugang zu Information und
eine echte Auswahl haben. Ein wichtiger Beitrag zur
Medienvielfalt: die Absicherung der Pressevielfalt an
der Ladentheke.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb gemeinsam
mit der SPD auf:
Erstens: Gemeinsam mit den Ländern eine gesetz-
liche Verankerung des neutralen Presse-Grosso sicherzu-
stellen, um die Medienvielfalt und Überallerhältlichkeit
dauerhaft gewährleisten zu können; über die Länder
kann die tatsächliche Neutralität des Systems in den
Landespressegesetzen festgeschrieben werden.
Zweitens: Im Rahmen der anstehenden Novellierung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB,
eine Regelung einzufügen, die den Grossisten das zen-
trale Aushandeln von Handelsspannen durch ihren Be-
rufsverband ermöglicht.
Drittens: Gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, ob
und inwieweit eine Schlichtungsstelle für Streitfragen
zwischen den Verlagen und den Grossisten etabliert wer-
den sollte.
Dieses Anliegen ist unterstützenswert, auch über
Fraktionsgrenzen hinweg – damit auch unsere Kinder in
Zukunft am Kiosk vor der Schule eine Auswahl haben.
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie: Über alle
Fraktionen des Deutschen Bundestages hinweg besteht
Einigkeit, dass das Presse-Grossovertriebssystem in
Deutschland einen überaus wichtigen Beitrag zur Me-
dien- und Meinungsvielfalt leistet. Mit seinem neutralen
und diskriminierungsfreien Vertriebssystem bietet das
Presse-Grosso die Grundlage für eine echte publizisti-
sche Vielfalt am Kiosk.
Zur Sicherung dieses vielfältigen Presseangebots
muss das Presse-Grosso erhalten bleiben. Zentrale Vo-
raussetzung dafür ist ein Konsens aller Beteiligten. Pres-
segrossisten und Verlage müssen das System gemeinsam
tragen. Aus diesem Grund haben alle Parteien im Jahr
2004 die „Gemeinsame Erklärung“ des Bundesverbands
Presse-Grosso, des Bundesverbands Deutscher Zei-
tungsverleger und des Verbands Deutscher Zeitschriften-
verleger unterstützt. Sie hat vorausgegangene Streitig-
keiten beseitigt und den erforderlichen Konsens aller
Beteiligten wiederhergestellt.
Ziel war es damals und sollte es auch heute sein, ge-
setzliche Maßnahmen zu vermeiden und freiwillige Re-
gelungen als Basis der Zusammenarbeit zu finden, und
das aus gutem Grund. Die gesetzliche Regelung eines
Vertriebssystems für Presseerzeugnisse muss den Anfor-
derungen des Art. 5 Grundgesetz gerecht werden. Art. 5
sichert die Pressevielfalt in unserem Land. Zur Presse-
vielfalt tragen die Verlage und die Grossisten bei. Die
Verlage erzeugen die Pluralität durch ihr Angebot. Das
Grosso sorgt dafür, dass diese Vielfalt beim Leser auch
tatsächlich ankommt.
Alle Beteiligten haben verfassungsrechtlich garan-
tierte Rechte, die ein Gesetz über den Pressevertrieb be-
achten, das heißt in Einklang bringen müsste. Wichtig ist
jedoch, festzustellen, dass die derzeitigen Schwierigkei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. März 2012 20077
(A) (C)
(D)(B)
ten nicht durch Einflüsse von außen, sondern durch das
Agieren eines Beteiligten gegen das System – gegen
Teile des Systems – von innen entstanden sind. Selbst
wenn der Gesetzgeber heute tätig würde und wir die
rechtlichen Schwierigkeiten überwinden könnten, bliebe
es dabei, dass wir nur einen Rahmen für das freiwillige
Handeln aller Beteiligten schaffen könnten.
Dies führt wieder zu meiner Eingangsbemerkung,
dass wir – bei welcher Handlungsoption auch immer –
letztlich auf den Konsens aller Beteiligten angewiesen
sind. Ohne diesen Konsens sehe ich auch nicht, wie
Schlichtungsstellen helfen könnten, Streitfragen zwi-
schen Verlagen und Grossisten erfolgreich beizulegen.
Bei der Überlegung, wie wir weiter vorgehen, gibt es
jedenfalls bisher keinen unmittelbaren Handlungsdruck.
Dies sehen auch die Länder so, wie der gemeinsame Be-
schlussvorschlag der Länderarbeitsgruppe für die Minis-
terpräsidentenkonferenz am 29. März 2012 zeigt. In de-
ren Beratungen waren das Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie und der Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur und Medien eng eingebun-
den.
Noch ist das Urteil des Landgerichts Köln nicht
rechtskräftig. Der Rahmen der Zusammenarbeit durch
Verträge der Grossisten mit den Verlagen ist bis zum
Jahr 2018 abgesteckt. Dies gibt uns die Gelegenheit, alle
Handlungsoptionen gründlich zu prüfen. Wir sollten da-
bei den Bauer-Verlag weder ausgrenzen noch aus seiner
Verpflichtung entlassen, am Erhalt des Presse-Grosso
mitzuwirken. Ich werde jedenfalls auch mit dem Bauer-
Verlag den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.
Ich gehe davon aus, dass der Bundesverband Presse-
Grosso die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts
beim OLG Düsseldorf dazu nutzen wird, die Freistel-
lungsfähigkeit des Alleinverhandlungsmandats unter
kartellrechtlichen Aspekten zu untermauern. Daneben
sollten der Bundesverband Presse-Grosso und die Verle-
gerverbände den Kontakt mit der Europäischen Kom-
mission und dem Bundeskartellamt suchen. Ziel muss es
sein, zu klären, wie unter dem geltenden Kartellrecht ein
funktionsfähiges Presse-Grosso freigestellt werden kann.
Dabei müssen auch die Folgen für die Titelvielfalt und
die Produktmärkte genau analysiert werden. Erst nach
der Klärung dieser Fragen können wir entscheiden, ob
und in welchem Umfang gesetzgeberischer Handlungs-
bedarf besteht.
Zusammengefasst: Alle Handlungsoptionen, die wir
prüfen, müssen sich an folgenden, zentralen Zielen mes-
sen lassen:
Erstens. Das Gesamtsystem muss einvernehmlich
funktionsfähig gehalten werden können.
Zweitens. Die Grenzen des nationalen Verfassungs-
rechts und des europäischen Kartellrechts müssen beach-
tet werden.
Drittens. Die Garantien des Art. 5 GG müssen mit
Blick auf alle Beteiligten – Verlage wie Grosso – ge-
wahrt werden.
Wir alle tragen Verantwortung für die Sicherung der
weltweit einzigartigen Pressevielfalt in Deutschland.
Deshalb bin ich überzeugt, dass es gelingen wird, eine
tragfähige Lösung für den Erhalt des Presse-Grosso zu
finden.
168. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz
TOP 4 Verbraucherpolitik
TOP 30, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 31 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
ZP 3 Aktuelle Stunde zur Tarifrunde 2012
TOP 5 Entgeltsystem für psychiatrische Einrichtungen
ZP 4, 5 Praxisgebühr
TOP 7 Forschung zur Sicherung der weltweiten Ernährung
TOP 8 Finanzierung von Energiewende und Klimaschutz
TOP 9 Betreuungskommunikation für Soldaten im Einsatz
TOP 10, ZP 6 Freiwilligendienst „Weltwärts“
ZP 7 Hinrichtungen in Belarus
TOP 12 Investitionsverbot für Minen und Streumunition
TOP 11 Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf Notare
TOP 14, ZP 8 Kolonialverbrechen in Deutsch-Südwestafrika
TOP 13 Nationales Waffenregister-Gesetz
TOP 15 Vorurteilsmotivierte Straftaten
TOP 16 Dialog über Grundwerte und Grundrechte in Ungarn
TOP 17 Gesetzliche Verankerung für Presse-Grosso
TOP 18 Streichung des Begriffs „Rasse“
TOP 19 Sicherheit undWirksamkeit vonMedizinprodukten
TOP 20 Reisen für Kinder und Jugendliche
TOP 21 Aufenthaltsrechtlicher Ehegattennachzug
TOP 22 Bundesbergrecht
TOP 23 Kooperation mit Georgien
TOP 24 Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit
TOP 25 Stärkung der europäischen Grundlagenforschung
Anlagen