Plenarprotokoll 17/162
            Deutscher Bundestag
            Stenografischer Bericht
            162. Sitzung
            Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
            I n h a l t :
            Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord-
            neten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Peter
            Röhlinger, Jerzy Montag und Hans-
            Joachim Fuchtel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Wahl der Abgeordneten Carola Stauche als
            Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Erweiterung und Abwicklung der Tagesord-
            nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Absetzung der Tagesordnungspunkte 3, 19,
            29 sowie 31 b und c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 27:
            Erste Beratung des von der Bundesregierung
            eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
            Verbesserung der Bekämpfung des Rechts-
            extremismus
            (Drucksache 17/8672) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister
            BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Michael Hartmann (Wackernheim)
            (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
            Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
            Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . .
            Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
            Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
            Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 4:
            Antrag der Abgeordneten Matthias W.
            Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer
            Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
            Rentenversicherung stärken und solida-
            risch ausbauen – Solidarische Min-
            destrente einführen
            (Drucksache 17/8481) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . .
            Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
            Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . .
            Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . .
            Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . .
            Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND-
            NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . .
            Peter Weiß (Emmendingen)
            (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . .
            19203 A
            19203 A
            19203 B
            19203 D
            19203 D
            19204 A
            19204 B
            19205 D
            19207 B
            19208 B
            19209 C
            19211 A
            19213 A
            19214 B
            19214 D
            19215 D
            19217 A
            19218 B
            19219 B
            19220 D
            19221 D
            19223 A
            19223 B
            19225 C
            19225 D
            19227 A
            19229 A
            19229 C
            19230 B
            19230 D
            19232 B
            19234 C
            19236 D
            19238 C
            Inhaltsverzeichnis
            II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
            Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . .
            Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . .
            Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Johannes Vogel (Lüdenscheid)
            (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .
            Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
            Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 31:
            a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
            rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
            zes zu dem Vertrag vom 2. Dezember
            2010 über die Errichtung des Funktio-
            nalen Luftraumblocks „Europe Cen-
            tral“ zwischen der Bundesrepublik
            Deutschland, dem Königreich Belgien,
            der Französischen Republik, dem
            Großherzogtum Luxemburg, dem Kö-
            nigreich der Niederlande und der
            Schweizerischen Eidgenossenschaft
            (FABEC-Vertrag)
            (Drucksache 17/8726) . . . . . . . . . . . . . . . .
            d) Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
            Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann,
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion
            DIE LINKE: Finanzmärkte verbrau-
            chergerecht regulieren – Finanzwächter
            und Finanz-TÜV einführen
            (Drucksache 17/8764) . . . . . . . . . . . . . . . .
            e) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
            Bericht über die Höhe des steuerfrei zu
            stellenden Existenzminimums von Er-
            wachsenen und Kindern für das Jahr
            2012 (Achter Existenzminimumbericht)
            (Drucksache 17/5550) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 18:
            Erste Beratung des von der Bundesregierung
            eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
            Änderung des Übereinkommens vom
            17. März 1992 zum Schutz und zur Nut-
            zung grenzüberschreitender Wasserläufe
            und internationaler Seen
            (Drucksache 17/8725) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 32:
            a) – Zweite und dritte Beratung des vom
            Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei-
            nes … Gesetzes zur Änderung des
            Umsatzsteuergesetzes
            (Drucksachen 17/8320, 17/8798) . . . .
            – Bericht des Haushaltsausschusses ge-
            mäß § 96 der Geschäftsordnung
            (Drucksache 17/8804) . . . . . . . . . . . . .
            b–h)
            Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
            schusses: Sammelübersichten 390, 391,
            392, 393, 394, 395 und 396 zu Petitionen
            (Drucksachen 17/8590, 17/8591, 17/8592,
            17/8593, 17/8594, 17/8595, 17/8596) . . .
            Zusatztagesordnungspunkt 2:
            Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan,
            Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler,
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
            SPD: Verleihung des Status als EU-Bei-
            trittskandidat an Serbien aussprechen
            (Drucksache 17/8763) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 5:
            Erste Beratung des von der Bundesregierung
            eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
            Umsetzung der Hochqualifizierten-Richt-
            linie der Europäischen Union
            (Drucksache 17/8682) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
            BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . .
            Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
            Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
            Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
            Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . .
            Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
            Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 6:
            Große Anfrage der Abgeordneten Franz
            Müntefering, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
            Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abge-
            ordneter und der Fraktion der SPD: Der de-
            mografische Wandel in Deutschland –
            Handlungskonzepte für Sicherheit und
            Fortschritt im Wandel
            (Drucksachen 17/6377, 17/8372) . . . . . . . . . .
            Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
            BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            19239 B
            19239 D
            19241 C
            19241 C
            19243 A
            19245 A
            19245 C
            19246 D
            19248 B
            19249 C
            19250 B
            19250 B
            19250 B
            19250 C
            19250 D
            19250 D
            19251 A
            19251 A
            19251 D
            19252 A
            19253 D
            19255 A
            19256 B
            19257 C
            19259 A
            19260 C
            19262 A
            19262 D
            19264 A
            19265 A
            19265 A
            Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 III
            Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . .
            Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
            Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
            Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . .
            Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
            Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . .
            Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 9:
            Erste Beratung des von der Bundesregierung
            eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
            Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und
            zur Änderung des Börsengesetzes
            (Drucksache 17/8684) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .
            Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 8:
            Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller
            (Köln), Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln),
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion
            BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Juristische
            Aufarbeitung der Gewalt und politischer
            Neuanfang für den Jemen
            (Drucksache 17/8587) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
            Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
            Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 11:
            a) Bericht des Ausschusses für Bildung, For-
            schung und Technikfolgenabschätzung
            gem. § 56a GO-BT: Technikfolgenab-
            schätzung (TA)
            TA-Projekt: Gefährdung und Verletz-
            barkeit moderner Gesellschaften – am
            Beispiel eines großräumigen und lang-
            andauernden Ausfalls der Stromversor-
            gung
            (Drucksache 17/5672) . . . . . . . . . . . . . . .
            b) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
            Bericht zur Risikoanalyse im Bevölke-
            rungsschutz 2011
            (Drucksache 17/8250) . . . . . . . . . . . . . . .
            c) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
            Bericht über die Methode zur Risiko-
            analyse im Bevölkerungsschutz 2010
            (Drucksache 17/4178) . . . . . . . . . . . . . . .
            Stephan Mayer (Altötting)
            (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
            Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
            Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 10:
            a) Antrag der Abgeordneten Edelgard
            Bulmahn, Klaus Brandner, Dr. h. c. Gernot
            Erler, weiterer Abgeordneter und der
            Fraktion der SPD: Deutsches Engage-
            ment beim Einsatz von Polizistinnen
            und Polizisten in internationalen Frie-
            densmissionen stärken und ausbauen
            (Drucksache 17/8603) . . . . . . . . . . . . . . .
            b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
            Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abge-
            ordneter und der Fraktion DIE LINKE:
            Mehr Mitsprache des Parlaments bei
            Auslandseinsätzen der Bundespolizei
            (Drucksache 17/8381) . . . . . . . . . . . . . . .
            Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .
            Armin Schuster (Weil am Rhein)
            (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
            Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . .
            Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
            19266 C
            19268 A
            19269 A
            19270 B
            19272 A
            19272 C
            19273 C
            19274 A
            19275 B
            19276 B
            19277 C
            19278 D
            19279 D
            19279 D
            19280 D
            19282 C
            19283 C
            19284 B
            19285 A
            19286 C
            19286 D
            19287 C
            19288 D
            19290 A
            19291 B
            19292 B
            19293 B
            19293 C
            19293 C
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            19295 A
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            19297 C
            19298 C
            19299 C
            19301 A
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            19302 D
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            19305 B
            19306 A
            19306 C
            19307 C
            IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
            Tagesordnungspunkt 13:
            a) Beschlussempfehlung und Bericht des
            Ausschusses für Menschenrechte und Hu-
            manitäre Hilfe
            – zu dem Antrag der Abgeordneten
            Jürgen Klimke, Erika Steinbach,
            Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter
            und der Fraktion der CDU/CSU sowie
            der Abgeordneten Marina Schuster,
            Serkan Tören, Pascal Kober, weiterer
            Abgeordneter und der Fraktion der
            FDP: Tourismus als Chance für die
            Einhaltung der Menschenrechte
            nutzen
            – zu dem Antrag der Fraktion der SPD:
            Menschenrechte in der Tourismus-
            wirtschaft achten, schützen und ge-
            währleisten
            (Drucksachen 17/8347, 17/6458, 17/8736)
            b) Antrag der Abgeordneten Annette Groth,
            Kornelia Möller, Katrin Werner, weiterer
            Abgeordneter und der Fraktion DIE
            LINKE: Menschenrechte in der Touris-
            muspolitik konsequent durchsetzen
            (Drucksache 17/8762) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
            Markus Tressel (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
            Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 12:
            Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf,
            Silvia Schmidt (Eisleben), Anette Kramme,
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
            SPD: Den demographischen Wandel bei
            den Aufwendungen für Leistungen zur
            Teilhabe in der gesetzlichen Rentenver-
            sicherung besser berücksichtigen
            (Drucksache 17/8602) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . .
            Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . .
            Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . .
            Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
            Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
            Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 15:
            Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
            desregierung eingebrachten Entwurfs eines
            Fünften Gesetzes zur Änderung des Allge-
            meinen Eisenbahngesetzes
            (Drucksachen 17/8364, 17/8787) . . . . . . . . . .
            Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
            Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
            Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 14:
            Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
            schusses für Menschenrechte und Humanitäre
            Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin
            Werner, Annette Groth, Jan van Aken, weite-
            rer Abgeordneter und der Fraktion DIE
            LINKE: Vom Anspruch zur Wirklichkeit:
            Menschenrechte in Deutschland schützen,
            respektieren und gewährleisten
            (Drucksachen 17/5390, 17/6929) . . . . . . . . . .
            Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . .
            Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
            Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 17:
            Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
            desregierung eingebrachten Entwurfs eines
            Gesetzes über die geodätischen Referenz-
            systeme, -netze und geotopographischen
            Referenzdaten des Bundes (Bundesgeorefe-
            renzdatengesetz – BGeoRG)
            (Drucksachen 17/7375, 17/8634) . . . . . . . . . .
            Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
            Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            19308 C
            19308 D
            19308 D
            19310 A
            19311 B
            19312 B
            19313 A
            19313 D
            19315 B
            19316 B
            19316 C
            19317 C
            19318 D
            19319 C
            19320 A
            19320 D
            19322 A
            19322 D
            19323 A
            19323 C
            19324 B
            19325 A
            19325 C
            19326 D
            19327 C
            19327 C
            19328 D
            19330 D
            19331 A
            19332 A
            19332 D
            19333 C
            19334 D
            19335 A
            19335 D
            19336 D
            19337 B
            19338 A
            Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 V
            Tagesordnungspunkt 16:
            a) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
            Ekin Deligöz, Krista Sager, weiterer Ab-
            geordneter und der Fraktion BÜND-
            NIS 90/DIE GRÜNEN: Bildungsarmut
            durch Alphabetisierung und Grundbil-
            dung entgegenwirken
            (Drucksache 17/8765) . . . . . . . . . . . . . . . .
            b) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie
            Hein, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, wei-
            terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
            LINKE: Niemanden abschreiben – An-
            alphabetismus wirksam entgegentre-
            ten, Grundbildung für alle sichern
            (Drucksache 17/8766) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 20:
            a) Antrag der Fraktion der SPD: zu dem
            Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-
            päischen Parlaments und des Rates
            über die Konzessionsvergabe
            KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11
            hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6
            des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von
            Lissabon (Grundsätze der Subsidiari-
            tät und der Verhältnismäßigkeit)
            Ausschreibungspflicht bei Dienstleis-
            tungskonzessionen ablehnen – Kommu-
            nale Daseinsvorsorge sichern
            (Drucksache 17/8761) . . . . . . . . . . . . . . . .
            b) Antrag der Abgeordneten Kerstin
            Andreae, Fritz Kuhn, Britta Haßelmann,
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion
            BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem
            Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-
            päischen Parlaments und des Rates
            über die Konzessionsvergabe
            KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11
            hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6
            des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von
            Lissabon (Grundsätze der Subsidiari-
            tät und der Verhältnismäßigkeit)
            Klares Signal zum Schutz der kommu-
            nalen Daseinsvorsorge setzen
            (Drucksache 17/8768) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
            Manfred Nink (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . .
            Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
            Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 21:
            Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert,
            Sabine Zimmermann, Dr. Kirsten Tackmann,
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
            LINKE: Bundesmittel zur Finanzierung
            der Grundsicherung im Alter und bei Er-
            werbsminderung 1 : 1 an Kommunen wei-
            terreichen
            (Drucksache 17/8606) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
            Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
            Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
            Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 22:
            Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
            schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
            torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne-
            ten Oliver Krischer, Dr. Valerie Wilms, Hans-
            Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
            Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
            Schlechte Treibhausgasbilanz von Kraft-
            stoffen aus Teersanden bei der Umsetzung
            der Kraftstoffqualitätsrichtlinie berück-
            sichtigen
            (Drucksachen 17/7956, 17/8759) . . . . . . . . . .
            Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
            Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .
            Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Tagesordnungspunkt 23:
            Antrag der Abgeordneten Niema Movassat,
            Sevim Dağdelen, Stefan Liebich, weiterer
            Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
            Die deutschen Kolonialverbrechen im ehe-
            maligen Deutsch-Südwestafrika als Völ-
            kermord anerkennen und wiedergutma-
            chen
            (Drucksache 17/8767) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . .
            Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . .
            Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . .
            Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
            Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            19339 A
            19339 B
            19339 C
            19339 D
            19340 A
            19341 C
            19342 C
            19343 B
            19344 A
            19344 D
            19345 A
            19345 C
            19346 D
            19347 C
            19348 B
            19349 B
            19349 C
            19350 C
            19351 D
            19352 B
            19353 A
            19354 A
            19354 B
            19355 C
            19356 A
            19357 A
            19358 B
            19359 A
            VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
            Tagesordnungspunkt 24:
            Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
            schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
            torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne-
            ten Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, Bärbel
            Höhn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
            tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einfuhr
            und Verwendung von Asbest und asbest-
            haltigen Produkten in Deutschland umfas-
            send verbieten
            (Drucksachen 17/7478, 17/8758) . . . . . . . . . .
            Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
            Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            Anlage 1
            Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .
            Anlage 2
            Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
            der Anträge:
            – Bildungsarmut durch Alphabetisierung
            und Grundbildung entgegenwirken
            – Niemanden abschreiben – Analphabe-
            tismus wirksam entgegentreten,
            Grundbildung für alle sichern
            (Tagesordnungspunkt 16 a und b)
            Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . .
            Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . .
            Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . .
            Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
            Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . .
            Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
            19360 A
            19360 B
            19361 C
            19363 A
            19364 B
            19365 A
            19365 C
            19366 D
            19367 A
            19367 C
            19368 C
            19369 C
            19371 B
            19372 A
            19373 B
            19374 A
            Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19203
            (A) (C)
            (D)(B)
            162. Sitzung
            Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
            Beginn: 9.00 Uhr
        
        
        
        
          
          
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19367
        (A) (C)
        (D)(B)
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Bildungsarmut durch Alphabetisierung und
        Grundbildung entgegenwirken
        – Niemanden abschreiben – Analphabetismus
        wirksam entgegentreten, Grundbildung für
        alle sichern
        (Tagesordnungspunkt 16 a und b)
        Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Lesen
        und Schreiben sind grundlegende Voraussetzungen, um
        sich im alltäglichen Leben zurechtzufinden und zu be-
        haupten. Vielen Menschen in unserem Land bereitet das
        leider Probleme.
        Wie die Ergebnisse der durch den Bund geförderten
        „leo. – Level-One-Studie“ zeigen, sind 7,5 Millionen
        Menschen in Deutschland sogenannte funktionale An-
        alphabeten und haben somit Probleme, selbst kürzere
        Texte zusammenhängend zu lesen oder zu schreiben.
        Darüber hinaus haben 4 Prozent der Erwerbstätigen
        nicht nur Probleme mit mehreren Sätzen, sondern sogar
        mit einzelnen Wörtern. Und weitere 13 Millionen Bür-
        ger haben Probleme mit gebräuchlichen Wörtern – also
        eine allgemeine Leseschwäche. Diese zählen formal je-
        doch nicht zur Gruppe der Analphabeten.
        Die Zahlen zum Analphabetismus zeigen, dass es die-
        ses Problem gibt, das wir auch ernst nehmen. Doch ist
        mir hierbei eine differenzierte Betrachtung wichtig: Dem
        Eindruck, wir seien eine Nation von Analphabeten,
        möchte ich ausdrücklich entgegentreten, denn dieser ist
        fatal und auch falsch. Deutschland ist eine global agie-
        rende und eine der führenden Bildungsnationen der Welt
        mit einem hohen Bildungsstandard.
        In der heutigen Debatte darf es nicht ausschließlich
        darum gehen, Fachkräfte zu qualifizieren. Die Bekämp-
        fung des Analphabetismus ist mehr. Dahinter steht auch
        der Grundgedanke humanistischer Bildung: sich nämlich
        an den Interessen, den Werten und der Würde des einzel-
        nen Menschen zu orientieren und damit das menschliche
        Dasein zu verwirklichen und zu verbessern.
        Die vorliegenden Anträge bieten daher in der Sache
        durchaus berechtigte Lösungsansätze, enthalten jedoch
        nichts wesentlich Neues. In der Sache sind wir uns hier
        ja alle einig, nur über das „Wie“ gibt es unterschiedliche
        Ansichten. Eine Mehrheit der Vorschläge verkennt die
        bisherige Arbeit der Bundesregierung.
        So hat die Bundesregierung das Thema Alphabetisie-
        rung und Grundbildung bereits seit längerem auf ihrer
        Agenda. Der dabei bereits eingeschlagene Weg wird
        nicht nur fortgeführt, sondern das Engagement im
        Kampf gegen Analphabetismus sogar noch ausgebaut.
        Hervorzuheben sind hierbei die Initiativen in der früh-
        kindlichen Förderung, beispielsweise die Aktion „Lese-
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Bär, Dorothee CDU/CSU 01.03.2012
        Beck (Reutlingen),
        Ernst-Reinhard
        CDU/CSU 01.03.2012
        Bluhm, Heidrun DIE LINKE 01.03.2012
        Brinkmann (Hildesheim),
        Bernhard
        SPD 01.03.2012
        Burchardt, Ulla SPD 01.03.2012
        Friedhoff, Paul K. FDP 01.03.2012
        Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 01.03.2012
        Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 01.03.2012
        Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 01.03.2012
        Hintze, Peter CDU/CSU 01.03.2012
        Kaczmarek, Oliver SPD 01.03.2012
        Kipping, Katja DIE LINKE 01.03.2012
        Körper, Fritz Rudolf SPD 01.03.2012
        Korte, Jan DIE LINKE 01.03.2012
        Krellmann, Jutta DIE LINKE 01.03.2012
        Kressl, Nicolette SPD 01.03.2012
        Ludwig, Daniela CDU/CSU 01.03.2012
        Luksic, Oliver FDP 01.03.2012
        Marks, Caren SPD 01.03.2012
        Nord, Thomas DIE LINKE 01.03.2012
        Philipp, Beatrix CDU/CSU 01.03.2012
        Ploetz, Yvonne DIE LINKE 01.03.2012
        Pronold, Florian SPD 01.03.2012
        Rupprecht (Weiden),
        Albert
        CDU/CSU 01.03.2012
        Süßmair, Alexander DIE LINKE 01.03.2012
        Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 01.03.2012
        Anlagen
        19368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        start – Drei Meilensteine für das Lesen“, das größte
        Leseförderungsprogramm in der Geschichte der Bundes-
        republik. Darüber hinaus wurden vielfältige Forschungs-
        vorhaben gestartet sowie weitere Projekte, die sich nicht
        nur an Kinder, sondern vor allem auch an die erwerbs-
        tätige Bevölkerung richten.
        All den Unkenrufen der Opposition zum Trotz: Die
        Aktivitäten der Bundesregierung wurden in einer Anhö-
        rung des Bildungsausschusses von unabhängigen Exper-
        ten gelobt, die ihr bescheinigten, dass der Bund sich der
        Aufgabe angemessen annimmt.
        Ein weiterer Punkt, den Sie in Ihren Anträgen for-
        dern, ist ein breites Aktionsbündnis von Bund, Ländern
        und Kommunen sowie Vertretern der Zivilgesellschaft.
        Die Idee ist gut, doch auch diese wurde bereits aufge-
        griffen und in Teilen bereits realisiert. So gaben bei-
        spielsweise Bundesministerin Professor Dr. Annette
        Schavan und KMK-Präsident Dr. Bernd Althusmann
        Ende 2011 den Startschuss für eine Nationale Strategie
        zur Verringerung der Zahl funktionaler Analphabeten.
        Der nächste Schritt muss nun die weitere und stärkere
        Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Vertreter sein. Doch
        auch diese Idee ist nichts Neues, und an ihrer Realisie-
        rung wird gearbeitet.
        Nichtsdestotrotz sind die Länder gefordert, sich noch
        stärker zu engagieren. Gefragt sind konzertierte Aktio-
        nen, die auf bereits gewonnenen Erkenntnissen für viel-
        versprechende Maßnahmen aufbauen. Dabei erscheint es
        mir wichtig, dass zielgenaue und bedarfsorientierte An-
        gebote auf der Ebene der allgemeinen und der berufsbe-
        gleitenden Bildung geschaffen werden; Letzteres übri-
        gens auch im Hinblick auf die Qualifizierung von
        Fachkräften. Zur Erforschung von Maßnahmen wurde
        Ende 2011 ein neues Projekt beschlossen, das mit 20 Mil-
        lionen Euro vom Bund gefördert wird.
        Um den Betroffenen besser als bisher konkrete Ange-
        bote zu unterbreiten, müssten die entsprechende Infra-
        struktur geschaffen werden und die Programme ausge-
        baut und sinnvoll miteinander verknüpft werden. Die
        Unionsfraktion würde die Ausrufung einer „Nationalen
        Dekade Alphabetisierung“, einer Imagekampagne oder
        auch die Einrichtung sogenannter Clearingstellen zur
        Abstimmung zwischen Bund und Ländern begrüßen.
        Was gilt es zukünftig zu vermeiden? Meiner Ansicht
        nach insbesondere Aktionen, die schlicht nur mehr Geld
        binden und dieses mit der Gießkanne ausschütten und so
        ineffektiv verpuffen. Auch gehören Maßnahmen dazu,
        deren Erfolg zweifelhaft ist und die viele Bevölkerungs-
        gruppen außen vor lassen.
        Wichtig ist mir, dass der Stigmatisierung Betroffener
        entgegengewirkt wird. Egal welche Projekte existieren:
        Wenn die Betroffenen nicht zu einer Teilnahme ermutigt
        werden, bleiben alle Anstrengungen erfolglos. Der Ab-
        bau von Ressentiments ist hier ebenso wichtig wie das
        breite gesellschaftliche Engagement.
        Eine der wichtigsten zu beantwortenden Fragen bei
        allen Forschungs- und Förderungsprojekten ist, warum
        es im Leben einiger Menschen offensichtlich zur Verrin-
        gerung der Lese- und Schreibkompetenzen kommt. In
        Anbetracht der frühkindlichen Förderung und dem ganz-
        heitlichen Besuch der Grundschule scheint der Analpha-
        betismus, zumindest für in Deutschland Geborene, teil-
        weise unerklärlich. Doch zeigt dies, dass auch nach dem
        Schulabschluss die Lust und die Bereitschaft zum Ge-
        brauch der Sprache gefördert werden müssen.
        Chancen und Risiken bieten aus meiner Sicht dabei
        die neuen Medien: Einerseits eröffnet sich hier eine
        Möglichkeit, Betroffene zu erreichen und so zugleich
        nicht nur deren Sprach- sondern auch die Lesekompe-
        tenz beispielsweise über den Umgang mit der sogenann-
        ten Social Media zu steigern. Andererseits bestehen Ri-
        siken durch den immer intensiveren Gebrauch neuer
        Medien, in denen Rechtschreibung oft vernachlässigt
        wird und diesbezüglich kontraproduktiv wirkt. Dies wird
        durch die Möglichkeit zur Kommunikation mittels But-
        tons und somit ohne Sprache begünstigt.
        Weitere Anstrengungen sind unbestreitbar. Die Bun-
        desregierung hat mit ihren Projekten den richtigen Weg
        eingeschlagen. Jetzt sind die Länder und die Gesell-
        schaft gefordert, durch größere Sensibilität und erhöhtes
        Interesse Analphabeten aus dem Randbereich der Ge-
        sellschaft herauszuholen und sie erfolgreich zu integrie-
        ren. Wir als Bund werden dies wie gewohnt unterstützen
        und darüber hinaus Impulse setzen.
        Axel Knoerig (CDU/CSU): Bereits am 9. Juni 2011
        haben wir uns im Plenum mit Alphabetisierung und
        Grundbildung beschäftigt. Damals lag ein Antrag der
        Sozialdemokraten vor. Heute bringen nun die Fraktionen
        von Bündnis 90/Die Grünen und Linken das gleiche
        Thema wieder auf den Tisch.
        Die SPD-Forderung eines „Grundbildungspaktes“
        zwischen Bund, Ländern und Kommunen wird zwar von
        den Grünen und der Linken nicht aufgenommen. Den-
        noch wird eine umfassende Zusammenarbeit zwischen
        Bund, Ländern und Kommunen von der gesamten Oppo-
        sition gefordert, die im Endeffekt auf dasselbe hinaus-
        läuft, egal wie man diese Konstruktion nun beim Namen
        nennt.
        Der Antrag der Linken setzt dem aber noch eine
        Krone auf:
        Ein Zehnjahresprogramm zur Umsetzung des Plans
        zur Alphabetisierung und Grundbildung soll in Angriff
        genommen werden. Zielvorgaben, Zuständigkeiten, fi-
        nanzielle Mittel und Zeitpläne sollen unverzüglich vor-
        gelegt werden. – Der Schwefelgeruch des Plansozialis-
        mus schwebt über dem Hohen Hause!
        Ich kann vor solchen Vorhaben nur warnen. Was nut-
        zen Zielvorgaben, wenn die Ergebnisse der Projekt-
        förderungen nicht zwischenzeitlich evaluiert und gege-
        benenfalls korrigiert werden? Der Bund wird hier mal
        wieder als Zahlmeister eingespannt, ohne dass die In-
        strumente auf Effektivität geprüft werden. Ein Zehnjah-
        resplan ist völlig überflüssig und in diesem Zeitrahmen
        in der Koordination von Bund, Ländern und Kommunen
        auch nicht durchführbar. Der 17-Punkte-Katalog des An-
        trages der Linken ist im deutschen Bildungsföderalismus
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19369
        (A) (C)
        (D)(B)
        über mehrere Wahlperioden hinaus überhaupt nicht rea-
        lisierbar.
        Im Gegensatz dazu hat die Bundesregierung längst
        mit umfassenden Maßnahmen vorgesorgt. Bereits seit
        30 Jahren fördert das BMBF Projekte, die sich dieses
        Themas widmen. Die vom Ministerium in Auftrag gege-
        bene Level-One-Studie der Universität Hamburg von
        2011 verweist auf die erschreckend hohe Zahl von
        7,5 Millionen Menschen, die funktionale Analphabeten
        sind. Der Begriff „funktionaler Analphabetismus“ trägt
        den Realitäten Rechnung. Er bezieht sich auf die indivi-
        duellen Lese- und Schreibkenntnisse und bedeutet die
        mangelnde Beherrschung der Schriftsprache.
        Die Ursachen für diese Defizite können sehr unter-
        schiedlich sein:
        Während der Schulzeit sind Lernrückstände entstan-
        den.
        Schwierige Lebensumstände haben die Aneignung
        von Lesekompetenzen erschwert.
        Psycho-organische Beeinträchtigungen, fehlende Pra-
        xis oder ein Migrationshintergrund haben zu Benachtei-
        ligungen beim Erwerb der Lese- und Sprachkompeten-
        zen geführt.
        Was bedeutet das für die Betroffenen? Dieses
        „Manko“ bedeutet eine immense tägliche Belastung,
        diese gesellschaftlich nicht akzeptierte Schwäche zu ka-
        schieren. Als direkte Folge entwickelt sich ein negatives
        Selbstbild, das geradewegs in die soziale Isolation führt.
        Aus diesem Teufelskreis kommt man schließlich ohne
        fremde Hilfe nicht mehr heraus!
        Bildung ist die Grundlage für die persönliche Ent-
        wicklung und soziale Teilhabe. In der Bildungsrepublik
        Deutschland soll die Chancengleichheit verbessert wer-
        den. Die Bundesregierung hat diesbezüglich in dieser
        Legislaturperiode schon viel auf den Weg gebracht. Zu
        nennen ist hier der Förderschwerpunkt des BMBF: „For-
        schung und Entwicklung zur Alphabetisierung und
        Grundbildung Erwachsener“. Insgesamt 30 Millionen
        Euro stellt das Ministerium zwischen 2007 und 2012 für
        diese Maßnahme zur Verfügung.
        Auch den geforderten gesamtgesellschaftlichen Kon-
        sens zu dieser Thematik hat die Bundesregierung längst
        hergestellt: Grundlage dafür ist die „Nationale Strategie
        zur Verringerung der Zahl funktionaler Analphabeten“,
        deren Förderbedingungen das BMBF am 8. Februar
        2012 veröffentlicht hat. 20 Millionen Euro werden bis
        2015 bereitgestellt.
        Die neue Initiative hat das Ziel, betroffene Erwach-
        sene besser in die Arbeitswelt zu integrieren und ihre
        fachlichen Fähigkeiten zu fördern. Erfolgen soll dies
        mittels arbeitsplatzorientierter Forschung und Entwick-
        lung auf dem Gebiet der Alphabetisierung und Grundbil-
        dung.
        Ich möchte an dieser Stelle nur die wichtigsten För-
        derschwerpunkte neben den bereits erwähnten anspre-
        chen: Dazu gehören Öffentlichkeitskampagnen – 5 Mil-
        lionen Euro für 2012 –, das Rahmencurriculum für
        „Alphakurse“ – 2,1 Millionen Euro bis 2015 –, die Lern-
        plattform www.ich-will-lernen.de – unbefristet, 800 000
        Euro pro Jahr –, die Bildungsprämie – bis zu 500 Millio-
        nen Euro bis 2015 –, Alphabetisierungskurse im Rah-
        men von Integrationskursen für erwachsene Migranten
        an Volkshochschulen – unbefristet, 42,2 Millionen für
        2011 – und die Prävention „Lesestart“ – 26 Millionen
        Euro bis 2018.
        Das sind die vielfältigen Leistungen der schwarz-gel-
        ben Bundesregierung zur Alphabetisierung und Grund-
        bildung. Und die lassen sich sehen!
        Entscheidend ist dabei: Die Maßnahmen richten sich
        an alle Altersgruppen und beziehen sich immer spezi-
        fisch auf die jeweilige Lernsituation der Betroffenen.
        Die Maßnahmen sind kurativ und präventiv. Nur so kann
        eine optimale Unterstützung gewährleistet werden.
        Aber der Staat kann es nicht alleine richten, wir brau-
        chen dazu eine breite zivilgesellschaftliche Unterstüt-
        zung. Deshalb lehnen wir den staatlichen Dirigismus der
        Linken strikt ab. Wir brauchen kein bürokratisches
        Monster eines Zehnjahresplans, das in seinen Planungs-
        exzessen an den Realitäten vorbeigeht.
        Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Eine Vorbemer-
        kung vorweg: Ich persönlich finde es sehr bedauerlich,
        dass wir die Debatte zur Auseinandersetzung mit dem
        Analphabetismus und der Verbesserung der Grundbil-
        dung einmal mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit
        führen bzw. unter Umständen sogar nur zu Protokoll ge-
        ben. Hier geht es immerhin um das Grundrecht auf Bil-
        dung und Qualifikation; über 7,5 Millionen Menschen
        sind in gravierender Weise davon betroffen. Hinzu kom-
        men noch viele Angehörige, Familien, Kollegen,
        Firmen. Und wenn Sie nicht nur auf die 7,5 Millionen
        funktionalen Analphabeten, sondern auf die über 20 Mil-
        lionen Menschen mit massiven Grundbildungsdefiziten
        abheben, wird das Erfordernis einer breiten gesellschaft-
        lichen und das heißt auch einer intensiven, umfassenden,
        sich vertiefenden parlamentarischen Diskussion immer
        drängender. Nun denn: Wir von der SPD bleiben hierzu
        am Ball. Die Debatte muss ja auch noch aus dem Aus-
        schuss zurück in den Bundestag.
        Wir haben bereits ein sehr aufschlussreiches Fachge-
        spräch im Bildungsausschuss durchsetzen können, und
        wir waren auch diejenigen, die schon vor fast einem Jahr
        einen Antrag „Alphabetisierung und Grundbildung in
        Deutschland fördern“ ins Parlament eingebracht haben.
        Wir freuen uns, dass jetzt auch die anderen Opposi-
        tionsfraktionen mitziehen und mit ihren Anträgen hel-
        fen, dass dieses bildungspolitische Tabu endlich immer
        weiter aufgebrochen wird. Viel zu lange Zeit hat man die
        Augen verschlossen und so getan, als ob Analphabetis-
        mus ein Thema in unterentwickelten Ländern ist, in fer-
        nen Kontinenten und nur weit weg von hochmodernen,
        hochindustrialisierten und hochgebildeten Gesellschaf-
        ten und Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland
        existiert. Nach der sehr verdienstvollen Leo-Studie, die
        jetzt schon ein Jahr vorliegt, wissen wir allerdings, dass
        Analphabetismus kein exotisches Thema ist, sondern aus
        19370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
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        der Mitte unserer Gesellschaft kommt und über 14 Pro-
        zent unserer erwerbsfähigen Bevölkerung betrifft. Nur
        frage ich mich jetzt: Wann wird das Thema auch bei den
        Regierungsfraktionen aufgegriffen? Wann bringen Sie
        Ihre Anträge und Initiativen ein? Die betroffenen Men-
        schen hätten es verdient.
        In den Anträgen, die jetzt von Bündnis 90/Die Grünen
        und von der Fraktion Die Linke eingereicht wurden, se-
        hen wir viel Übereinstimmung in Beschreibung, Analyse
        und Bewertung zu unserem eigenen Antrag aus dem Mai
        2011. Wir sind eigentlich sicher, dass auch die Regie-
        rungsfraktionen dem beitreten können bzw. sollten. Die
        Unterscheide zeigen sich tatsächlich in den Konsequen-
        zen und Maßnahmen, die hieraus abgeleitet werden müs-
        sen. Hier ist das, was die Bundesregierung über die For-
        schung hinaus anbietet und eingeleitet hat, eben doch zu
        zaghaft und unentschlossen. 10 Millionen Euro in zwei
        Jahren für eine große Informations-, Aufklärungs- und
        Motivationskampagne können nur ein Einstieg sein. Die
        Mittel der Bildungsprämie mit zu aktivieren, ist für diese
        Zielgruppe, die ja eher ein sehr geringes bis in wenigen
        Fällen mittleres Einkommen hat, nicht zielführend, wie
        auch die Anhörung im Bildungsausschuss gezeigt hat.
        20 Millionen Euro für drei Jahre, also unter 7 Millionen
        Euro im Jahr, für die Förderung arbeitsplatzorientierter
        Alphabetisierung und Grundbildung sind angesichts ei-
        ner Zahl von 7,5 Millionen Betroffenen auch zu zöger-
        lich und ohne entscheidende Durchschlagskraft.
        Die SPD-Bundestagsfraktion bleibt deshalb bei ihrer
        Forderung nach einem umfassenden Alpha-Pakt für
        Grundbildung. Bund, Länder und Kommunen sowie die
        Sozialpartner und die Bundesagentur für Arbeit müssen
        gemeinsam und entschlossen handeln, um Menschen mit
        unzureichender Grundbildung zu unterstützen. Allein
        der Bund soll dafür mittelfristig mindestens 50 Millio-
        nen Euro aus dem Bildungshaushalt für sehr konkrete
        Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen im
        Jahr bereitstellen, beginnend mit 25 Millionen Euro in
        2012. Entsprechende Anträge hatte die SPD-Bundes-
        tagsfraktion im Rahmen der Haushaltsberatungen ge-
        stellt.
        Wir brauchen dieses starke Signal des Bundes an die
        Länder und die Kommunen, damit diese sich in ihren
        Anstrengungen nicht alleingelassen fühlen, sondern
        Bund, Länder und Kommunen hier tatsächlich Hand in
        Hand in den Aufbau eines Programmes eintreten, das
        über einen Zehnjahreszeitraum an die Gesamtaufwen-
        dungen heranreicht, wie sie zum Beispiel in Großbritan-
        nien in Alphabetisierung und Grundbildung investiert
        worden sind, nämlich durchschnittlich 360 Millionen
        Euro über 10 Jahre. Auch wenn hier genauere Zahlen
        sehr schwer zu ermitteln sind, dürften die Kommunen
        und die Länder aktuell in Deutschland noch unter
        100 Millionen Euro jährlich bereitstellen.
        Auch die Bundesagentur für Arbeit war bisher noch
        sehr zurückhaltend, obwohl über 55 Prozent der Betrof-
        fenen erwerbsfähig sind. Es hat uns gefreut, dass die
        Vertreter des DIHK für die Wirtschaft und der DGB für
        die Gewerkschaften in unserem Fachgespräch die Not-
        wendigkeit einer Förderung auch aus der Arbeitslosen-
        versicherung ausdrücklich anerkannt haben, ganz in dem
        Sinne, dass die Arbeitslosenversicherung eben auch
        Qualifikations- und Bildungsversicherung, das heißt Be-
        schäftigungsversicherung zum Auftrag hat.
        Andere Punkte, die wir nach dem Fachgespräch im
        Bildungsausschuss durch die Experten noch besser er-
        kannt haben und hier zuspitzen möchten, sind:
        Erstens. Es besteht ein großer Bedarf dafür, dass in
        konkreten Schritten mindestens 100 000 Kursplätze für
        Alphabetisierung bereitgestellt werden, damit die Be-
        troffenen eine realistische Chance auf gesellschaftliche
        Teilhabe erhalten. Zurzeit können nur circa 20 000 Men-
        schen an Alphabetisierungskursen teilnehmen. Dies ist
        eine große Aufgabe für die Länder und Kommunen. Der
        Bund sollte sie dabei nachdrücklich unterstützen. Denn
        100 000 Plätze erfordern nach den Berechnungen der
        Fachleute rund 250 Millionen Euro jährlich! Die Linke
        beschreibt diese Verfünffachung als wenig ambitioniert,
        jedoch ist dies nun wirklich das Gegenteil. Liebe Kolle-
        ginnen und Kollegen von links, das ist wirklich sehr am-
        bitioniert. Es ist im Übrigen auch sehr teuer. Aber es
        muss nun einmal sein. An dieser Stelle ist Ihr Hinweis
        auf Großbritannien durchaus richtig und wichtig. Nur,
        ohne tatkräftige finanzielle Unterstützung dieser Natio-
        nalen Strategie durch die Bundesregierung wird dieses
        keinen Erfolg haben.
        Zweitens. Auch das hat das Fachgespräch gezeigt:
        Für einen quantitativen Aufwuchs der Teilnehmerzahlen
        müssen die Strukturen der Alphabetisierungsarbeit aus-
        gebaut werden. Es gibt bislang keinen akademischen
        Ausbildungsgang „Alphabetisierungspädagogik“. Erst-
        mals werden in 2012 einige wenige Studenten und Stu-
        dentinnen den Weiterbildungsstudiengang an der Päda-
        gogischen Hochschule Weingarten absolvieren. Da sich
        auch in der Weiterbildung ein Generationenwechsel
        vollzieht, werden qualifizierte Kursleiter und -leiterin-
        nen für die Grundbildungsarbeit fehlen. Mit ProGrund-
        bildung liegt ein Konzept für eine grundlegende Qualifi-
        zierung vor, die aber von den Kursleitenden nicht selbst
        finanziert werden kann. Darüber hinaus müssen Bil-
        dungsträger in die Lage versetzt werden, über die Ver-
        netzung mit anderen lokalen Einrichtungen, zum Bei-
        spiel kommunalen Ämtern oder Beratungsstellen, und
        durch gezielte Stadtteilarbeit die Betroffenen zu errei-
        chen. Die aufsuchende Bildungsarbeit erfordert perso-
        nelle Ressourcen, die bislang in zu geringem Maße zur
        Verfügung stehen. In diesem Sinne wollen wir unseren
        Antrag vom Mai 2011 nach dem Fachgespräch inhaltlich
        präzisieren und nachschärfen.
        Drittens. Konkret hat die Auseinandersetzung mit den
        Experten weiter gezeigt: Die Bundesbildungsministerin
        sollte für eine langfristige finanzielle Unterstützung der
        wichtigsten Alphabetisierungsträger sorgen, damit sie
        ihre wertvolle Arbeit dauerhaft leisten können. Es kann
        nicht sein, dass der Bundesverband für Grundbildung
        und Alphabetisierung e. V. auf Sponsoren angewiesen
        ist, um seine Arbeit kontinuierlich fortzuführen. Solche
        Träger brauchen Planungssicherheit.
        Viertens. Bestätigt und bestärkt sehen wir uns schließ-
        lich im Einsatz für Alphabetisierung und Grundbildung
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19371
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        als Aufgabe einer präventiven Beschäftigungsförderung.
        Wir fordern deshalb ein Umdenken bei der Bundesagen-
        tur für Arbeit, die sich aktiv in den Pakt für Alphabeti-
        sierung und Grundbildung einbringen muss. Denn Al-
        phabetisierung bei Erwachsenen und zumal bei
        mehrheitlich Erwerbstätigen ist eben nicht vorrangig all-
        gemeine Bildung, sondern dient der Herstellung der Be-
        schäftigungsfähigkeit und ist deshalb auch Teil der akti-
        ven Arbeitsmarktpolitik.
        Wir erwarten insbesondere auch von der Wirtschaft in
        diesem Zusammenhang ein besonderes Engagement.
        Denn angesichts des drohenden Fachkräftemangels kann
        es sich auch die Wirtschaft nicht leisten, dass aktuell
        14,5 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter von
        wichtigen Arbeitsprozessen ausgeschlossen bleiben,
        weil sie kaum lesen und schreiben können. Um auch die-
        ses zu sagen: Das Programm der Regierung zur Förde-
        rung von Projekten mit dem Förderschwerpunkt „Ar-
        beitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung
        Erwachsener“ macht sehr viel Sinn und wird von uns
        auch voll unterstützt. Nur das kann eben nicht fast alles
        sein.
        Wenn Deutschland ernsthaft den Anspruch einer „Bil-
        dungsrepublik“ hat, muss die Bekämpfung des Analpha-
        betismus endlich auf die bildungspolitische Agenda ge-
        setzt werden. Das nächste Jahrzehnt muss im Zeichen
        einer nationalen Alphabetisierungsstrategie stehen. Al-
        phabetisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe jenseits
        von politischen Ideologien und verfassungsrechtlichen
        Zuständigkeiten. Wir dürfen die Probleme der 7,5 Mil-
        lionen funktionalen Analphabeten nicht länger verdrän-
        gen, nur weil die Menschen, die es betrifft, keine Lobby
        haben, um auf sich aufmerksam zu machen. Im Gegen-
        teil: Das Tabu des Analphabetismus muss jetzt fallen
        und die Betroffenen müssen eine Chance bekommen,
        „Gesicht“ zu zeigen und Unterstützung zu erhalten, in
        ihrem Interesse und im Interesse der Allgemeinheit.
        Deshalb hoffen wir, dass es in dieser Frage keine Regie-
        rungsfraktion oder Oppositionsfraktion gibt, sondern wir
        uns zusammen engagieren und die Bundesregierung wie
        die Landesregierungen, die Kommunen und die Sozial-
        partner treiben, hier mutige Schritte zu wagen. Das sind
        uns die 7,5 Millionen wert.
        Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die Ergebnisse der
        Leo-Studie vom Frühjahr 2011 zum Analphabetismus in
        Deutschland haben uns alle überrascht und gleicherma-
        ßen erschrocken. Mit 7,5 Millionen funktionalen An-
        alphabeten und 300 000 Menschen, die noch nicht ein-
        mal ihren Namen schreiben können, hatte wohl niemand
        gerechnet. Angesichts solcher Erkenntnisse erscheint
        das seit 2003 formulierte Ziel der Vereinten Nationen,
        mit einer Dekade der Alphabetisierung bis 2013 welt-
        weit die Analphabetenquote zu halbieren, umso bedeu-
        tender – auch und gerade in Deutschland.
        Man könnte erwarten, diese erschreckenden Zahlen
        hätten die Bundesregierung und die Öffentlichkeit auf-
        geschreckt, vielleicht sogar für das Anliegen sensibili-
        siert. Doch das Thema ist leider relativ schnell wieder
        verhallt. Wie konnte es dazu kommen?
        Selbstverständlich ist das Thema funktionale An-
        alphabeten schwierig. Weder Unternehmen, die aktiv
        Alphabetisierungsmaßnahmen betreiben, noch die Be-
        troffenen selbst äußern sich hörbar und öffentlich. Es
        bräuchte gerade deswegen eine Politik, die sich unbe-
        quemen Themen widmet, sie auf die öffentliche Agenda
        setzt und Handlungsmaßnahmen in Angriff nimmt. Bun-
        desbildungsministerin Schavan hat – wie bei zahlreichen
        anderen Themen – lediglich eine große Pressekonferenz
        angesetzt und gab große Versprechen ab. Doch was ist
        nun nach nahezu einem Jahr davon übrig geblieben?
        Nichts, faktisch nichts hat sich an der Situation dieser
        Menschen geändert. Das Thema ist erneut im Sande
        verlaufen. Es ist tragisch, aber diese Entwicklung
        Schavan’scher Ankündigungen ist leider typisch. Die
        Leidtragenden sind jedes Mal die Betroffenen.
        Auch die im Dezember getroffene Vereinbarung von
        Bund und Ländern brachte nicht den erhofften großen
        Wurf. Man einigte sich auf eine öffentlichkeitswirksame
        Kampagne sowie länderübergreifende Kooperation und
        Vernetzung. Das ist natürlich gut und wichtig. Doch kon-
        zentrieren sich die Maßnahmen auf die Länder: kein
        neues Projekt der Bundesregierung, keine Zusammenar-
        beit mit Sozialpartnern, mit der Bundesagentur für Ar-
        beit oder anderen Aktiven in dem Bereich. Stattdessen
        hat im vergangenen Jahr das BMBF der seit 2003 jähr-
        lich stattfindenden Fachtagung Alphabetisierung, die
        vom Bundesverband Alphabetisierung organisierte Platt-
        form der gesamten Alphabetisierungs- und Grundbil-
        dungsarbeit in Deutschland, die Förderung gestrichen.
        So geht das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der
        Koalition. Wir von der SPD-Fraktion schenken dem
        Thema Alphabetisierung größere Aufmerksamkeit. Wir
        haben als erste Fraktion nach der Studie einen Antrag
        mit konkreten Handlungsmaßnahmen und Zahlen in den
        Bundestag eingebracht. Wir wollen in Zusammenarbeit
        mit den Ländern und den Kommunen einen Grundbil-
        dungspakt schließen, der die Anzahl der Analphabeten
        halbieren soll. Wir nehmen dabei im Gegensatz zur Bun-
        desregierung alle gesellschaftlichen Kräfte mit: Wirt-
        schaftsverbände, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kir-
        chen wie auch die Medien sollen daran beteiligt werden.
        Wir wollen 25 Millionen Euro in diesem Jahr und mittel-
        fristig 50 Millionen Euro jährlich für diesen Grundbil-
        dungspakt bereitstellen. Unser Ziel ist ein zügiger Aus-
        bau der Kursplätze auf 100 000 pro Jahr. Das sind
        konkrete Projekte. Damit könnten wir substanziell die
        Situation dieser Menschen verbessern. Der Antrag von
        Bündnis 90/Die Grünen geht, das will ich ausdrücklich
        festhalten, in die richtige Richtung. Doch setzt unser An-
        trag im Vergleich selbst nach fast einem Jahr der Debatte
        immer noch Maßstäbe: Wir haben uns klar positioniert
        und dies an konkreten Zahlen festgemacht.
        Eine wichtiger Punkt noch zum Schluss: Die Exper-
        ten des im Ausschuss durchgeführten Fachgespräches
        haben vor allen Dingen einen Wunsch formuliert: Sie
        wollen keine kurzfristige Projektförderung mehr, bei der
        von Jahr zu Jahr neu entschieden wird, ob die Arbeit
        weitergeführt und das Personal gehalten werden kann.
        Sie brauchen langfristige Strukturen und Planungs-
        sicherheit. Ich finde, damit haben sie recht und es ist un-
        19372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
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        terstützungswert. Dieses Thema ist zu wichtig, als dass
        dessen Finanzierung jedes Jahr am seidenen Faden hän-
        gen sollte. Um das zu ermöglichen, muss der Bund aktiv
        werden und den Ländern Hilfe leisten. Und auch dafür
        müssen wir an das Kooperationsverbot in der Bildungs-
        politik ran und langfristige Finanzierungsmöglichkeiten
        schaffen. Die SPD hat auch hierfür bereits Vorschläge
        gemacht.
        Patrick Meinhardt (FDP): Es ist gut, dass wir im
        Deutschen Bundestag das Thema Grundbildung und
        Alphabetisierung immer weiter oben auf die bildungspo-
        litische Agenda setzen. Eines sage ich aber gleich: Die-
        ses Thema darf nicht in einen parteipolitischen Schlag-
        abtausch heruntergezogen werden. Vielmehr ist es
        notwendig, dass über die Partei- und Fraktionsgrenzen
        hinweg eine gemeinsame Zielrichtung klar wird: Deutsch-
        land braucht einen Masterplan Alphabetisierung.
        Wir haben viele Organisationen und Institutionen, die
        in vorbildlicher Art und Weise schon heute aktiv sind.
        Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle die exzel-
        lente Arbeit des Bundesverbands für Alphabetisierung
        und Grundbildung und der Stiftung Lesen erwähnen.
        Diese beiden Organisationen sind Vorreiter in der Sensi-
        bilisierung für Analphabetismus und für Lesen in
        Deutschland.
        Beiden sei von dieser Stelle aus ein herzliches Danke-
        schön für Ihren unermüdlichen Einsatz gesagt.
        Recht hat Herr Dr. Jörg Maas, der Hauptgeschäftsfüh-
        rer der Stiftung Lesen, wenn er formuliert: „Lesen muss
        als zentrale Schlüsselqualifikation in der Bildung und
        Ausbildung der nächsten Generation verankert werden.
        Hierfür ist ein Netzwerk, eine Allianz von vielen Part-
        nern nötig.“ Deswegen setzt die Initiative der Bundesre-
        gierung mit 26 Millionen Euro für das Programm „Lese-
        start“ genau an der richtigen Stelle an. In den kommenden
        acht Jahren werden 4,5 Millionen Lesestart-Sets verteilt.
        So sollen Kinder dafür begeistert werden zu lesen. Aber
        mindestens genauso wichtig ist es, Eltern für das Vorle-
        sen zu begeistern. Denn eine bildungspolitische Binsen-
        weisheit muss im Land der Dichter und Denker wohl
        wieder in Erinnerung gerufen werden: Nur dort, wo ge-
        lesen wird, entwickelt sich auch ein bildungspositives
        Umfeld. Deswegen gilt: Das Geld ist wichtig, aber viel
        wichtiger ist es, dass Lesen wieder eine Selbstverständ-
        lichkeit in Deutschland wird.
        Darüber hinaus ist es bildungspolitisch dringend er-
        forderlich, alle Anstrengungen zu intensivieren, um die
        Schulabbrecherquote in Deutschland deutlich zu reduzie-
        ren. Hier sind die Länder in der Pflicht, die sie bedauerli-
        cherweise äußerst unterschiedlich wahrnehmen. Während
        unter der alten Landesregierung in Baden-Württemberg
        die Schulabbrecherquote seit Beginn der Qualifizie-
        rungsinitiative von 6,3 auf 5,6 Prozent, in Bayern von 7,2
        auf 6,4 Prozent und in Hessen von 8,1 auf 7 Prozent mit
        vielen Projekten unter harter Arbeit Schritt für Schritt re-
        duziert werden konnte, sieht es in SPD-geführten Bun-
        desländern ganz anders aus: In Berlin erhöhte sich die
        Quote von 9,9 auf 11,5 Prozent, in Brandenburg von 11,7
        auf 13 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern von
        12,1 auf skandalöse 16,8 Prozent.
        Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen
        Schulabbruch und der verstärkten Gefahr des Analpha-
        betismus. Umso unverständlicher ist es, dass Länder hier
        nicht bereit sind, alle notwendigen Kraftanstrengungen
        zu unternehmen. Hier erwarte ich eine bildungspoliti-
        sche Trendwende der Landesregierungen, die dieses
        Thema so sträflich vernachlässigen.
        Spätestens seit der Leo-Studie im vergangenen Jahr
        sollte ein bildungspolitischer Ruck durch Deutschland
        gehen. Bis vor wenigen Monaten gingen wir alle davon
        aus, dass wir 4 Millionen funktionale Analphabeten ha-
        ben. Jetzt wissen wir: Es ist die erschreckende Zahl von
        7,5 Millionen Betroffenen. Damit dürfen wir uns nicht
        zufriedengeben. Das muss der Motor für neue Kraftan-
        strengungen in der Bildungspolitik werden. Hier müssen
        wir alle an einem Strang ziehen.
        Die Bundesregierung und die Fraktionen von FDP und
        CDU/CSU stellen sich dieser Verantwortung: Ein 20-Mil-
        lionen-Programm zur arbeitsplatzorientierten Forschung
        und Entwicklung für Grundbildung, zudem weitere akti-
        vierte 35 Millionen aus dem Europäischen Sozialfonds,
        24 Verbundvorhaben mit über 100 Einzelmaßnahmen mit
        einer Gesamtfördersumme von über 30 Millionen Euro
        und die millionenschweren Mittel, die über die Bundes-
        agentur zur berufsbezogenen Eingliederung zur Verfü-
        gung stehen, machen eines deutlich: Diese Bundesregie-
        rung, diese Regierungsfraktionen kümmern sich um die
        Sorgen der Menschen, die nicht richtig lesen und schrei-
        ben können, und setzen diese in konkrete Bildungspolitik
        um.
        Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, dass wir in
        allererster Linie ein gesellschaftspolitisches Klima schaf-
        fen müssen, in dem Analphabetismus enttabuisiert und
        alle gesellschaftlichen Institutionen dafür sensibilisiert
        werden. Es ist keine Schande, nicht richtig lesen und
        schreiben zu können. Es ist aber eine Schande, wenn wir
        als Gesellschaft zulassen, dass Menschen dies verbergen,
        weil sie sich schämen.
        Als eine kurzfristige Maßnahme haben wir in den
        Haushaltsberatungen durchgesetzt, dass der Posten
        „Qualitätsentwicklung und Strukturverbesserung der all-
        gemeinen Weiterbildung“ um sage und schreibe 60 Pro-
        zent auf 13,5 Millionen Euro erhöht worden ist. Damit
        werden wir eine Konferenz zur Aufarbeitung der UNO-
        Alphabetisierungsdekade für Deutschland finanzieren,
        die auch Perspektiven für die Zukunft aufzeigen soll.
        Wir werden eine öffentlichkeitswirksame, breit ange-
        legte Kampagne intensivieren, und es ist damit möglich
        geworden, das Vorbildprojekt iChance fortzuentwickeln
        und damit Menschen unkompliziert digital die Möglich-
        keit zu geben, sich zu informieren. Denn das muss unser
        weiteres zentrales Ziel sein: Menschen unkompliziert
        und ohne Stigmatisierung die Möglichkeit zu eröffnen,
        für sich selbst den bestmöglichen Weg zu finden. Das
        brillante Motto: „Schreib dich nicht ab! Lern Lesen und
        Schreiben!“ macht deutlich, dass dieses Geld bildungs-
        politisch hervorragend angelegt ist.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19373
        (A) (C)
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        Funktionale Analphabeten müssen eine zweite und
        dritte Chance erhalten. Wir brauchen eine gewaltige ge-
        meinsame Kraftanstrengung von Kommunen, Ländern,
        Bund, Unternehmen, Vereinen und Initiativen. Umso
        wichtiger ist es, dass wir ein Weiterbildungserfolgspro-
        jekt dieser Bundesregierung, die Bildungsprämie, jetzt
        öffnen. Seit der Verdreifachung der Prämie von 150 auf
        500 Euro, haben wir statt 7 000 Prämien im Jahr 2009
        inzwischen 175 000 Prämien ausgegeben und deswegen
        auch den Haushaltsansatz für dieses Jahr noch einmal er-
        höht. Diese Prämie kann von jetzt ab auch für Maßnah-
        men der Alphabetisierung und Grundbildung genutzt
        werden. Dies wird die Möglichkeit für einen weiteren
        Schub öffnen und ist deswegen eine wichtige Weichen-
        stellung dieser Bundesregierung.
        Der Geschäftsführer des Bundesverbands Alphabeti-
        sierung und Grundbildung, Herr Peter Hubertus, bringt
        es auf den Punkt, wenn er sagt: „Als Wissenschaftsge-
        sellschaft können wir es uns schlichtweg nicht leisten,
        dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung wegen unzu-
        reichender Grundbildung im Alltag und auf dem Ar-
        beitsmarkt benachteiligt ist.“
        Jetzt wird es wichtig, das Thema Grundbildung und
        Alphabetisierung in alle bildungspolitischen Netzwerke
        in der Bundesrepublik Deutschland einzuspeisen. Es
        muss fester Bestandteil der Qualifizierungsinitiative für
        Deutschland werden, es muss in der Allianz für Bildung
        ein klarer Schwerpunkt sein und in den Bildungsbünd-
        nissen vor Ort fest integriert sein. Deswegen begrüßen
        wir es, dass es gemeinsam vom Bund mit den Kultusmi-
        nistern den Impuls für eine „Nationale Strategie zur Al-
        phabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ gibt.
        Nur so schaffen wir es, Öffentlichkeit zu schaffen und
        einen Masterplan Alphabetisierung auf den Weg zu brin-
        gen. Hier steht noch eine bildungspolitische Herkules-
        aufgabe vor uns. Das Fundament dafür ist umsichtig ge-
        legt.
        Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Als vor einem
        Jahr die Studie zum funktionalen Analphabetismus in
        Deutschland vorgelegt wurde, gab es ein großes Erschre-
        cken. Mehr als 14 Prozent der erwachsenen erwerbsfähi-
        gen Bevölkerung in unserem Land kann nicht richtig le-
        sen, schreiben und rechnen. Das ist ein Skandal, den
        man in diesem Ausmaß nicht vermutet hatte. Bis dahin
        ist man von 4 Millionen betroffener Menschen ausge-
        gangen, nun sind es fast doppelt so viele.
        Um das Ausmaß deutlich zu machen: der Bundestag
        hat rund 580 Abgeordnete im erwerbsfähigen Alter.
        Wenn er den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentiert
        – was wahrscheinlich nicht der Fall ist – könnten 84 von
        uns nicht richtig lesen und schreiben. Ich mache diesen
        Vergleich nicht aus boshafter Unterstellung, sondern
        weil an diesem Befund des Analphabetismus auch
        schlimm ist, dass eine unzureichende Grundbildung in
        Deutschland als selbstverschuldeter Mangel angesehen
        wird. Damit aber werden die Betroffenen stigmatisiert,
        wird nicht nach den tiefer liegenden Ursachen geforscht,
        wird das ganze Problem unter den Teppich gekehrt und
        eben zu wenig dagegen getan.
        Fakt aber ist: Unter den von Analphabetismus Betrof-
        fenen haben fast die Hälfte einen Schulabschluss,
        12 Prozent sogar einen höheren Bildungsabschluss.
        Warum also sollte der Deutsche Bundestag hier eine
        Ausnahme bilden.
        Das Bundesministerium hat nun endlich eine Natio-
        nale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung
        angekündigt. Die UN-Dekade zur Alphabetisierung
        hatte zum Ziel die Zahl der Analphabeten weltweit zu
        halbieren. Nun, fast am Ende der zehn Jahre zeigt die
        Studie, dass erheblicher Handlungsbedarf auch in
        Deutschland da ist. Andere europäische Staaten können
        aber schon Ergebnisse im eigenen Land aufweisen.
        Deutschland hat sich bisher auf Fachtagungen, Beratung
        und Internetangebote beschränkt. Das reicht nicht aus.
        Sind wir über die Ursachen von mangelhafter Grund-
        bildung denn überhaupt im Bilde? Oder ist es vielmehr
        nicht so, dass gar nicht bemerkt wird, wenn jemand
        dabei Schwierigkeiten hat? Ist unsere PISA-Fixierung
        dabei nicht auch hinderlich, weil Analphabetismus auch
        nach der abgeschlossenen Schulausbildung entstehen
        kann, weil die Betroffenen ihre Schulkenntnisse wieder
        verlernen? Welchen Anteil haben anregungsarme beruf-
        liche Tätigkeiten dabei, und was bedeutet es, wenn man
        jahrelang von Erwerbstätigkeit ausgegrenzt ist? Welche
        konkreten Ziele gibt es? Wer setzt sie um?
        Für mich sind nach dem Fachgespräch im Ausschuss
        mehr Fragen entstanden als schon Antworten gegeben
        wurden. Nun fordern wir aber nicht erst eine weitere
        Studie, obgleich es auch diese geben muss, sondern er-
        warten, dass schnell wirksame Gegenstrategien greifen.
        Dazu gehört für uns natürlich die Forderung, dass nie-
        mand ohne eine gefestigte Grundbildung die Schule
        verlassen soll. Dazu müssen Lehrende in Studium und
        Weiterbildung besser vorbereitet werden. Sie müssen in
        der Lage sein, zu merken, wenn jemand nicht gut lesen,
        schreiben, rechnen lernt. Das sieht man offensichtlich
        nicht nur an schlechten Zensuren. Sie brauchen die nö-
        tige Zeit für eine angemessene Förderung. Wir brauchen
        mehr gut qualifizierte Kursleiterinnen und Kursleiter
        und eine bessere Finanzierung von deutlich mehr Kursen
        als heute zur Verfügung stehen. Wir brauchen eine
        öffentlich finanzierte und leicht zugängliche Bildungs-
        beratung, die Betroffenen helfen kann, geeignete Ange-
        bote zu finden. Wir brauchen niedrigschwellige Ange-
        bote, die auch ganz im Privaten greifen.
        Wir brauchen die Aufmerksamkeit in den Unterneh-
        men und ihre Bereitschaft, Beschäftigten eine entspre-
        chende Qualifizierung zu ermöglichen, ohne dass sie im
        Betrieb schief angesehen werden. Wir brauchen ein
        öffentliches Klima, das Analphabetismus nicht als
        Tabuthema behandelt, sondern als gesellschaftliches
        Problem, nicht nur als Problem des einzelnen.
        Ziel muss es sein, nun endlich innerhalb von zehn
        Jahren die Zahl der Betroffenen zu halbieren. Damit wir
        uns am Ende des Zeitraumes nicht wieder schulter-
        zuckend eingestehen müssen, dass wir nicht so recht
        vorangekommen sind, wollen wir, dass jährlich der
        Stand der Entwicklung festgestellt und öffentlich dar-
        gelegt wird.
        19374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        „Level-One-Studie“ zum Analphabetismus in Deutsch-
        land hat einen der größten bildungspolitischen Skandale
        offengelegt: Analphabetismus ist im technologisch hoch
        entwickelten Land der Dichter und Denker kein
        Randphänomen weniger, sondern ein existenzielles Pro-
        blem viel zu vieler. Deswegen ist es so wichtig, dass wir
        uns als Bundestag mit darum kümmern, das Problem zu
        lösen.
        Das Ausmaß des Analphabetismus ist erschreckend:
        Rund 7,5 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter
        sind funktionale Analphabeten. Sie sind also nicht in der
        Lage, den Sinn eines einfachen Textes zu verstehen. Ihre
        sozialen, beruflichen, ökonomischen und kulturellen
        Teilhabechancen sind massiv eingeschränkt. Das alltäg-
        liche Leben der Betroffenen ist häufig geprägt von
        Scham, Vertuschung und Ignoranz der Gesellschaft.
        Die FAZ hat den Umgang mit funktionalen Analpha-
        beten zutreffend mit der Schlagzeile „durchgereicht und
        weggelogen“ beschrieben. Dringend notwendig ist daher
        eine Enttabuisierung des Themas. Besonders das
        Bildungswesen, Sozialpartner und die Medien sind zu
        einem verantwortungsvollen Umgang aufgefordert.
        Angesichts immer höherer Anforderungen im Ar-
        beitsleben werden die Chancen von Menschen mit man-
        gelnder Grundbildung immer schlechter. Hier haben
        Erwachsenenbildung, Volkshochschulen und Bundes-
        agentur für Arbeit eine wichtige Funktion. Die Arbeit-
        geber sind zudem aufgefordert, diese Menschen gezielt
        zu unterstützen und die Weiterbildung auszubauen. Die
        Bundesregierung hat es aber versäumt, die Förderung
        der Weiterbildung gerade für Menschen mit niedrigem
        Einkommen zu verbessern. Hier müssen Sie dringend
        liefern!
        Wir benennen in unserem grünen Antrag wirkungs-
        volle Maßnahmen, die Staat und Zivilgesellschaft ergrei-
        fen müssen: Bei den Alphabetisierungskursen legen wir
        Wert auf einen deutlichen Ausbau, verbunden mit ÖA-
        Kampagnen, auf Qualitätssicherung und Zielgruppen-
        orientierung. Wichtig ist uns, dass Alphabetisierungs-
        angebote Genderaspekte stärker berücksichtigen. Dies
        betrifft den überdurchschnittlich hohen Anteil männ-
        licher Analphabeten. Ebenso gilt es, etwa in den Integra-
        tionskursen, gerade Frauen mit Migrationshintergrund
        kultursensibel anzusprechen.
        Mit Blick auf besonders benachteiligte Gruppen ist es
        absolut falsch, dass Programm „Soziale Stadt“ kaputtzu-
        sparen. Richtig wäre, in diesem Rahmen niedrigschwel-
        lige Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung
        stärker zu verankern. Dies haben die Sachverständigen
        bei der Anhörung des Bildungsausschusses bestätigt.
        Dort herrschte Unverständnis, warum der Pakt für
        Alphabetisierung so wenig vorankommt und öffentlich
        kaum wahrnehmbar ist. Das muss sich ändern!
        Bestürzend ist, dass Analphabetismus viele junge
        Menschen betrifft, die gerade erst die Schule verlassen
        haben – der übergroße Teil mit Schulabschluss: So sind
        20 Prozent der 18- bis 29-Jährigen funktionale Analpha-
        beten oder sehr schwach in Rechtschreibung. Dies zeigt
        Versagen und Mängel unseres Bildungssystems. Das
        muss sich ändern!
        Eine frühzeitige Sprachbildung, individuelle Förde-
        rung von Anfang an bis hin zur Jugend- und Schulsozial-
        arbeit sind daher unverzichtbar. Bildungsarmut darf in
        Deutschland nicht weiterhin stärker als in anderen
        OECD-Ländern vererbt werden.
        Das Ziel ist klar: Keine Schülerin und kein Schüler
        darf die Schule ohne ausreichende schriftsprachliche
        Kompetenzen und ohne solide Grundbildung verlassen.
        Dies ist nicht nur eine volkswirtschaftliche Konsequenz
        aus dem demografischen Wandel, sondern vor allem die
        Umsetzung fundamentaler Rechte auf Bildung und Teil-
        habe.
        Der Nationale Pakt für Alphabetisierung und Grund-
        bildung darf kein Placebo sein, sondern muss endlich
        klare, ambitionierte Zeit- und Zielpläne erhalten. Wir
        sollten uns – als Konsequenz aus der Anhörung – dabei
        an erfolgreichen nationalen Strategien wie der in Groß-
        britannien orientieren. Im Vergleich dazu sind die
        Aktivitäten der Bundesregierung leider qualitativ und
        quantitativ ein Tropfen auf den heißen Stein. Öffentlich-
        keitswirksame Kampagnen wären ein Anfang und das
        Mindeste, sie ersetzen aber kein strategisches Gesamt-
        konzept.
        Bis zur „Bildungsrepublik“ Deutschland ist auch an
        dieser Baustelle noch viel zu tun. Bessere Perspektiven
        der Betroffenen müssen uns allen ein Ansporn zu ent-
        schlossenem Handeln sein. Bund und Länder dürfen die-
        sen Bildungsskandal nicht verwalten, sondern müssen
        Lösungen gestalten.
        162. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 27 Bekämpfung des Rechtsextremismus
        TOP 4 Mindestrente
        TOP 31,18 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
        TOP 32, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
        TOP 5 EU-Hochqualifizierten-Richtlinie
        TOP 6 Demografischer Wandel in Deutschland
        TOP 9 EU-Richtlinie zum Wertpapierhandel
        TOP 8 Jemen
        TOP 11 Bevölkerungsschutz
        TOP 10 Einsatz von Polizisten in Friedensmissionen
        TOP 13 Menschenrechtsschutz im Tourismus
        TOP 12 DemografischerWandel in der Rentenversicherung
        TOP 15 Eisenbahngesetz
        TOP 14 Menschenrechte in Deutschland
        TOP 17 Bundesgeoreferenzdatengesetz
        TOP 16 Bildungsarmut
        TOP 20 Vergabe von Dienstleistungskonzessionen
        TOP 21 Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung
        TOP 22 Treibhausgasbilanz von Kraftstoffen aus Teersand
        TOP 23 Kolonialverbrechen in Deutsch-Südwestafrika
        TOP 24 Verwendung von Asbest
        Anlagen