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    Plenarprotokoll 17/162 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 162. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Peter Röhlinger, Jerzy Montag und Hans- Joachim Fuchtel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Carola Stauche als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 3, 19, 29 sowie 31 b und c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechts- extremismus (Drucksache 17/8672) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenversicherung stärken und solida- risch ausbauen – Solidarische Min- destrente einführen (Drucksache 17/8481) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 19203 A 19203 A 19203 B 19203 D 19203 D 19204 A 19204 B 19205 D 19207 B 19208 B 19209 C 19211 A 19213 A 19214 B 19214 D 19215 D 19217 A 19218 B 19219 B 19220 D 19221 D 19223 A 19223 B 19225 C 19225 D 19227 A 19229 A 19229 C 19230 B 19230 D 19232 B 19234 C 19236 D 19238 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 2. Dezember 2010 über die Errichtung des Funktio- nalen Luftraumblocks „Europe Cen- tral“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Kö- nigreich der Niederlande und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (FABEC-Vertrag) (Drucksache 17/8726) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzmärkte verbrau- chergerecht regulieren – Finanzwächter und Finanz-TÜV einführen (Drucksache 17/8764) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Er- wachsenen und Kindern für das Jahr 2012 (Achter Existenzminimumbericht) (Drucksache 17/5550) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 17. März 1992 zum Schutz und zur Nut- zung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen (Drucksache 17/8725) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes … Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen 17/8320, 17/8798) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/8804) . . . . . . . . . . . . . b–h) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 390, 391, 392, 393, 394, 395 und 396 zu Petitionen (Drucksachen 17/8590, 17/8591, 17/8592, 17/8593, 17/8594, 17/8595, 17/8596) . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verleihung des Status als EU-Bei- trittskandidat an Serbien aussprechen (Drucksache 17/8763) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richt- linie der Europäischen Union (Drucksache 17/8682) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Große Anfrage der Abgeordneten Franz Müntefering, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Der de- mografische Wandel in Deutschland – Handlungskonzepte für Sicherheit und Fortschritt im Wandel (Drucksachen 17/6377, 17/8372) . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19239 B 19239 D 19241 C 19241 C 19243 A 19245 A 19245 C 19246 D 19248 B 19249 C 19250 B 19250 B 19250 B 19250 C 19250 D 19250 D 19251 A 19251 A 19251 D 19252 A 19253 D 19255 A 19256 B 19257 C 19259 A 19260 C 19262 A 19262 D 19264 A 19265 A 19265 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 III Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes (Drucksache 17/8684) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Juristische Aufarbeitung der Gewalt und politischer Neuanfang für den Jemen (Drucksache 17/8587) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung gem. § 56a GO-BT: Technikfolgenab- schätzung (TA) TA-Projekt: Gefährdung und Verletz- barkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und lang- andauernden Ausfalls der Stromversor- gung (Drucksache 17/5672) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Risikoanalyse im Bevölke- rungsschutz 2011 (Drucksache 17/8250) . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Methode zur Risiko- analyse im Bevölkerungsschutz 2010 (Drucksache 17/4178) . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Brandner, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutsches Engage- ment beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Frie- densmissionen stärken und ausbauen (Drucksache 17/8603) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mehr Mitsprache des Parlaments bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei (Drucksache 17/8381) . . . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19266 C 19268 A 19269 A 19270 B 19272 A 19272 C 19273 C 19274 A 19275 B 19276 B 19277 C 19278 D 19279 D 19279 D 19280 D 19282 C 19283 C 19284 B 19285 A 19286 C 19286 D 19287 C 19288 D 19290 A 19291 B 19292 B 19293 B 19293 C 19293 C 19293 D 19295 A 19296 C 19297 C 19298 C 19299 C 19301 A 19301 A 19301 B 19302 D 19304 B 19305 B 19306 A 19306 C 19307 C IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 Tagesordnungspunkt 13: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Klimke, Erika Steinbach, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Serkan Tören, Pascal Kober, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tourismus als Chance für die Einhaltung der Menschenrechte nutzen – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Menschenrechte in der Tourismus- wirtschaft achten, schützen und ge- währleisten (Drucksachen 17/8347, 17/6458, 17/8736) b) Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Kornelia Möller, Katrin Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte in der Touris- muspolitik konsequent durchsetzen (Drucksache 17/8762) . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Den demographischen Wandel bei den Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe in der gesetzlichen Rentenver- sicherung besser berücksichtigen (Drucksache 17/8602) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Allge- meinen Eisenbahngesetzes (Drucksachen 17/8364, 17/8787) . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Annette Groth, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Vom Anspruch zur Wirklichkeit: Menschenrechte in Deutschland schützen, respektieren und gewährleisten (Drucksachen 17/5390, 17/6929) . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die geodätischen Referenz- systeme, -netze und geotopographischen Referenzdaten des Bundes (Bundesgeorefe- renzdatengesetz – BGeoRG) (Drucksachen 17/7375, 17/8634) . . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19308 C 19308 D 19308 D 19310 A 19311 B 19312 B 19313 A 19313 D 19315 B 19316 B 19316 C 19317 C 19318 D 19319 C 19320 A 19320 D 19322 A 19322 D 19323 A 19323 C 19324 B 19325 A 19325 C 19326 D 19327 C 19327 C 19328 D 19330 D 19331 A 19332 A 19332 D 19333 C 19334 D 19335 A 19335 D 19336 D 19337 B 19338 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 V Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Krista Sager, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Bildungsarmut durch Alphabetisierung und Grundbil- dung entgegenwirken (Drucksache 17/8765) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Niemanden abschreiben – An- alphabetismus wirksam entgegentre- ten, Grundbildung für alle sichern (Drucksache 17/8766) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Fraktion der SPD: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11 hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiari- tät und der Verhältnismäßigkeit) Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen ablehnen – Kommu- nale Daseinsvorsorge sichern (Drucksache 17/8761) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Fritz Kuhn, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11 hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiari- tät und der Verhältnismäßigkeit) Klares Signal zum Schutz der kommu- nalen Daseinsvorsorge setzen (Drucksache 17/8768) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Manfred Nink (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Sabine Zimmermann, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Er- werbsminderung 1 : 1 an Kommunen wei- terreichen (Drucksache 17/8606) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Oliver Krischer, Dr. Valerie Wilms, Hans- Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schlechte Treibhausgasbilanz von Kraft- stoffen aus Teersanden bei der Umsetzung der Kraftstoffqualitätsrichtlinie berück- sichtigen (Drucksachen 17/7956, 17/8759) . . . . . . . . . . Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Sevim Dağdelen, Stefan Liebich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die deutschen Kolonialverbrechen im ehe- maligen Deutsch-Südwestafrika als Völ- kermord anerkennen und wiedergutma- chen (Drucksache 17/8767) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19339 A 19339 B 19339 C 19339 D 19340 A 19341 C 19342 C 19343 B 19344 A 19344 D 19345 A 19345 C 19346 D 19347 C 19348 B 19349 B 19349 C 19350 C 19351 D 19352 B 19353 A 19354 A 19354 B 19355 C 19356 A 19357 A 19358 B 19359 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einfuhr und Verwendung von Asbest und asbest- haltigen Produkten in Deutschland umfas- send verbieten (Drucksachen 17/7478, 17/8758) . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Bildungsarmut durch Alphabetisierung und Grundbildung entgegenwirken – Niemanden abschreiben – Analphabe- tismus wirksam entgegentreten, Grundbildung für alle sichern (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19360 A 19360 B 19361 C 19363 A 19364 B 19365 A 19365 C 19366 D 19367 A 19367 C 19368 C 19369 C 19371 B 19372 A 19373 B 19374 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19203 (A) (C) (D)(B) 162. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19367 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Bildungsarmut durch Alphabetisierung und Grundbildung entgegenwirken – Niemanden abschreiben – Analphabetismus wirksam entgegentreten, Grundbildung für alle sichern (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Lesen und Schreiben sind grundlegende Voraussetzungen, um sich im alltäglichen Leben zurechtzufinden und zu be- haupten. Vielen Menschen in unserem Land bereitet das leider Probleme. Wie die Ergebnisse der durch den Bund geförderten „leo. – Level-One-Studie“ zeigen, sind 7,5 Millionen Menschen in Deutschland sogenannte funktionale An- alphabeten und haben somit Probleme, selbst kürzere Texte zusammenhängend zu lesen oder zu schreiben. Darüber hinaus haben 4 Prozent der Erwerbstätigen nicht nur Probleme mit mehreren Sätzen, sondern sogar mit einzelnen Wörtern. Und weitere 13 Millionen Bür- ger haben Probleme mit gebräuchlichen Wörtern – also eine allgemeine Leseschwäche. Diese zählen formal je- doch nicht zur Gruppe der Analphabeten. Die Zahlen zum Analphabetismus zeigen, dass es die- ses Problem gibt, das wir auch ernst nehmen. Doch ist mir hierbei eine differenzierte Betrachtung wichtig: Dem Eindruck, wir seien eine Nation von Analphabeten, möchte ich ausdrücklich entgegentreten, denn dieser ist fatal und auch falsch. Deutschland ist eine global agie- rende und eine der führenden Bildungsnationen der Welt mit einem hohen Bildungsstandard. In der heutigen Debatte darf es nicht ausschließlich darum gehen, Fachkräfte zu qualifizieren. Die Bekämp- fung des Analphabetismus ist mehr. Dahinter steht auch der Grundgedanke humanistischer Bildung: sich nämlich an den Interessen, den Werten und der Würde des einzel- nen Menschen zu orientieren und damit das menschliche Dasein zu verwirklichen und zu verbessern. Die vorliegenden Anträge bieten daher in der Sache durchaus berechtigte Lösungsansätze, enthalten jedoch nichts wesentlich Neues. In der Sache sind wir uns hier ja alle einig, nur über das „Wie“ gibt es unterschiedliche Ansichten. Eine Mehrheit der Vorschläge verkennt die bisherige Arbeit der Bundesregierung. So hat die Bundesregierung das Thema Alphabetisie- rung und Grundbildung bereits seit längerem auf ihrer Agenda. Der dabei bereits eingeschlagene Weg wird nicht nur fortgeführt, sondern das Engagement im Kampf gegen Analphabetismus sogar noch ausgebaut. Hervorzuheben sind hierbei die Initiativen in der früh- kindlichen Förderung, beispielsweise die Aktion „Lese- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 01.03.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 01.03.2012 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 01.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 01.03.2012 Burchardt, Ulla SPD 01.03.2012 Friedhoff, Paul K. FDP 01.03.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 01.03.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 01.03.2012 Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 01.03.2012 Hintze, Peter CDU/CSU 01.03.2012 Kaczmarek, Oliver SPD 01.03.2012 Kipping, Katja DIE LINKE 01.03.2012 Körper, Fritz Rudolf SPD 01.03.2012 Korte, Jan DIE LINKE 01.03.2012 Krellmann, Jutta DIE LINKE 01.03.2012 Kressl, Nicolette SPD 01.03.2012 Ludwig, Daniela CDU/CSU 01.03.2012 Luksic, Oliver FDP 01.03.2012 Marks, Caren SPD 01.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 01.03.2012 Philipp, Beatrix CDU/CSU 01.03.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 01.03.2012 Pronold, Florian SPD 01.03.2012 Rupprecht (Weiden), Albert CDU/CSU 01.03.2012 Süßmair, Alexander DIE LINKE 01.03.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 01.03.2012 Anlagen 19368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 (A) (C) (D)(B) start – Drei Meilensteine für das Lesen“, das größte Leseförderungsprogramm in der Geschichte der Bundes- republik. Darüber hinaus wurden vielfältige Forschungs- vorhaben gestartet sowie weitere Projekte, die sich nicht nur an Kinder, sondern vor allem auch an die erwerbs- tätige Bevölkerung richten. All den Unkenrufen der Opposition zum Trotz: Die Aktivitäten der Bundesregierung wurden in einer Anhö- rung des Bildungsausschusses von unabhängigen Exper- ten gelobt, die ihr bescheinigten, dass der Bund sich der Aufgabe angemessen annimmt. Ein weiterer Punkt, den Sie in Ihren Anträgen for- dern, ist ein breites Aktionsbündnis von Bund, Ländern und Kommunen sowie Vertretern der Zivilgesellschaft. Die Idee ist gut, doch auch diese wurde bereits aufge- griffen und in Teilen bereits realisiert. So gaben bei- spielsweise Bundesministerin Professor Dr. Annette Schavan und KMK-Präsident Dr. Bernd Althusmann Ende 2011 den Startschuss für eine Nationale Strategie zur Verringerung der Zahl funktionaler Analphabeten. Der nächste Schritt muss nun die weitere und stärkere Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Vertreter sein. Doch auch diese Idee ist nichts Neues, und an ihrer Realisie- rung wird gearbeitet. Nichtsdestotrotz sind die Länder gefordert, sich noch stärker zu engagieren. Gefragt sind konzertierte Aktio- nen, die auf bereits gewonnenen Erkenntnissen für viel- versprechende Maßnahmen aufbauen. Dabei erscheint es mir wichtig, dass zielgenaue und bedarfsorientierte An- gebote auf der Ebene der allgemeinen und der berufsbe- gleitenden Bildung geschaffen werden; Letzteres übri- gens auch im Hinblick auf die Qualifizierung von Fachkräften. Zur Erforschung von Maßnahmen wurde Ende 2011 ein neues Projekt beschlossen, das mit 20 Mil- lionen Euro vom Bund gefördert wird. Um den Betroffenen besser als bisher konkrete Ange- bote zu unterbreiten, müssten die entsprechende Infra- struktur geschaffen werden und die Programme ausge- baut und sinnvoll miteinander verknüpft werden. Die Unionsfraktion würde die Ausrufung einer „Nationalen Dekade Alphabetisierung“, einer Imagekampagne oder auch die Einrichtung sogenannter Clearingstellen zur Abstimmung zwischen Bund und Ländern begrüßen. Was gilt es zukünftig zu vermeiden? Meiner Ansicht nach insbesondere Aktionen, die schlicht nur mehr Geld binden und dieses mit der Gießkanne ausschütten und so ineffektiv verpuffen. Auch gehören Maßnahmen dazu, deren Erfolg zweifelhaft ist und die viele Bevölkerungs- gruppen außen vor lassen. Wichtig ist mir, dass der Stigmatisierung Betroffener entgegengewirkt wird. Egal welche Projekte existieren: Wenn die Betroffenen nicht zu einer Teilnahme ermutigt werden, bleiben alle Anstrengungen erfolglos. Der Ab- bau von Ressentiments ist hier ebenso wichtig wie das breite gesellschaftliche Engagement. Eine der wichtigsten zu beantwortenden Fragen bei allen Forschungs- und Förderungsprojekten ist, warum es im Leben einiger Menschen offensichtlich zur Verrin- gerung der Lese- und Schreibkompetenzen kommt. In Anbetracht der frühkindlichen Förderung und dem ganz- heitlichen Besuch der Grundschule scheint der Analpha- betismus, zumindest für in Deutschland Geborene, teil- weise unerklärlich. Doch zeigt dies, dass auch nach dem Schulabschluss die Lust und die Bereitschaft zum Ge- brauch der Sprache gefördert werden müssen. Chancen und Risiken bieten aus meiner Sicht dabei die neuen Medien: Einerseits eröffnet sich hier eine Möglichkeit, Betroffene zu erreichen und so zugleich nicht nur deren Sprach- sondern auch die Lesekompe- tenz beispielsweise über den Umgang mit der sogenann- ten Social Media zu steigern. Andererseits bestehen Ri- siken durch den immer intensiveren Gebrauch neuer Medien, in denen Rechtschreibung oft vernachlässigt wird und diesbezüglich kontraproduktiv wirkt. Dies wird durch die Möglichkeit zur Kommunikation mittels But- tons und somit ohne Sprache begünstigt. Weitere Anstrengungen sind unbestreitbar. Die Bun- desregierung hat mit ihren Projekten den richtigen Weg eingeschlagen. Jetzt sind die Länder und die Gesell- schaft gefordert, durch größere Sensibilität und erhöhtes Interesse Analphabeten aus dem Randbereich der Ge- sellschaft herauszuholen und sie erfolgreich zu integrie- ren. Wir als Bund werden dies wie gewohnt unterstützen und darüber hinaus Impulse setzen. Axel Knoerig (CDU/CSU): Bereits am 9. Juni 2011 haben wir uns im Plenum mit Alphabetisierung und Grundbildung beschäftigt. Damals lag ein Antrag der Sozialdemokraten vor. Heute bringen nun die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken das gleiche Thema wieder auf den Tisch. Die SPD-Forderung eines „Grundbildungspaktes“ zwischen Bund, Ländern und Kommunen wird zwar von den Grünen und der Linken nicht aufgenommen. Den- noch wird eine umfassende Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen von der gesamten Oppo- sition gefordert, die im Endeffekt auf dasselbe hinaus- läuft, egal wie man diese Konstruktion nun beim Namen nennt. Der Antrag der Linken setzt dem aber noch eine Krone auf: Ein Zehnjahresprogramm zur Umsetzung des Plans zur Alphabetisierung und Grundbildung soll in Angriff genommen werden. Zielvorgaben, Zuständigkeiten, fi- nanzielle Mittel und Zeitpläne sollen unverzüglich vor- gelegt werden. – Der Schwefelgeruch des Plansozialis- mus schwebt über dem Hohen Hause! Ich kann vor solchen Vorhaben nur warnen. Was nut- zen Zielvorgaben, wenn die Ergebnisse der Projekt- förderungen nicht zwischenzeitlich evaluiert und gege- benenfalls korrigiert werden? Der Bund wird hier mal wieder als Zahlmeister eingespannt, ohne dass die In- strumente auf Effektivität geprüft werden. Ein Zehnjah- resplan ist völlig überflüssig und in diesem Zeitrahmen in der Koordination von Bund, Ländern und Kommunen auch nicht durchführbar. Der 17-Punkte-Katalog des An- trages der Linken ist im deutschen Bildungsföderalismus Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19369 (A) (C) (D)(B) über mehrere Wahlperioden hinaus überhaupt nicht rea- lisierbar. Im Gegensatz dazu hat die Bundesregierung längst mit umfassenden Maßnahmen vorgesorgt. Bereits seit 30 Jahren fördert das BMBF Projekte, die sich dieses Themas widmen. Die vom Ministerium in Auftrag gege- bene Level-One-Studie der Universität Hamburg von 2011 verweist auf die erschreckend hohe Zahl von 7,5 Millionen Menschen, die funktionale Analphabeten sind. Der Begriff „funktionaler Analphabetismus“ trägt den Realitäten Rechnung. Er bezieht sich auf die indivi- duellen Lese- und Schreibkenntnisse und bedeutet die mangelnde Beherrschung der Schriftsprache. Die Ursachen für diese Defizite können sehr unter- schiedlich sein: Während der Schulzeit sind Lernrückstände entstan- den. Schwierige Lebensumstände haben die Aneignung von Lesekompetenzen erschwert. Psycho-organische Beeinträchtigungen, fehlende Pra- xis oder ein Migrationshintergrund haben zu Benachtei- ligungen beim Erwerb der Lese- und Sprachkompeten- zen geführt. Was bedeutet das für die Betroffenen? Dieses „Manko“ bedeutet eine immense tägliche Belastung, diese gesellschaftlich nicht akzeptierte Schwäche zu ka- schieren. Als direkte Folge entwickelt sich ein negatives Selbstbild, das geradewegs in die soziale Isolation führt. Aus diesem Teufelskreis kommt man schließlich ohne fremde Hilfe nicht mehr heraus! Bildung ist die Grundlage für die persönliche Ent- wicklung und soziale Teilhabe. In der Bildungsrepublik Deutschland soll die Chancengleichheit verbessert wer- den. Die Bundesregierung hat diesbezüglich in dieser Legislaturperiode schon viel auf den Weg gebracht. Zu nennen ist hier der Förderschwerpunkt des BMBF: „For- schung und Entwicklung zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“. Insgesamt 30 Millionen Euro stellt das Ministerium zwischen 2007 und 2012 für diese Maßnahme zur Verfügung. Auch den geforderten gesamtgesellschaftlichen Kon- sens zu dieser Thematik hat die Bundesregierung längst hergestellt: Grundlage dafür ist die „Nationale Strategie zur Verringerung der Zahl funktionaler Analphabeten“, deren Förderbedingungen das BMBF am 8. Februar 2012 veröffentlicht hat. 20 Millionen Euro werden bis 2015 bereitgestellt. Die neue Initiative hat das Ziel, betroffene Erwach- sene besser in die Arbeitswelt zu integrieren und ihre fachlichen Fähigkeiten zu fördern. Erfolgen soll dies mittels arbeitsplatzorientierter Forschung und Entwick- lung auf dem Gebiet der Alphabetisierung und Grundbil- dung. Ich möchte an dieser Stelle nur die wichtigsten För- derschwerpunkte neben den bereits erwähnten anspre- chen: Dazu gehören Öffentlichkeitskampagnen – 5 Mil- lionen Euro für 2012 –, das Rahmencurriculum für „Alphakurse“ – 2,1 Millionen Euro bis 2015 –, die Lern- plattform www.ich-will-lernen.de – unbefristet, 800 000 Euro pro Jahr –, die Bildungsprämie – bis zu 500 Millio- nen Euro bis 2015 –, Alphabetisierungskurse im Rah- men von Integrationskursen für erwachsene Migranten an Volkshochschulen – unbefristet, 42,2 Millionen für 2011 – und die Prävention „Lesestart“ – 26 Millionen Euro bis 2018. Das sind die vielfältigen Leistungen der schwarz-gel- ben Bundesregierung zur Alphabetisierung und Grund- bildung. Und die lassen sich sehen! Entscheidend ist dabei: Die Maßnahmen richten sich an alle Altersgruppen und beziehen sich immer spezi- fisch auf die jeweilige Lernsituation der Betroffenen. Die Maßnahmen sind kurativ und präventiv. Nur so kann eine optimale Unterstützung gewährleistet werden. Aber der Staat kann es nicht alleine richten, wir brau- chen dazu eine breite zivilgesellschaftliche Unterstüt- zung. Deshalb lehnen wir den staatlichen Dirigismus der Linken strikt ab. Wir brauchen kein bürokratisches Monster eines Zehnjahresplans, das in seinen Planungs- exzessen an den Realitäten vorbeigeht. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Eine Vorbemer- kung vorweg: Ich persönlich finde es sehr bedauerlich, dass wir die Debatte zur Auseinandersetzung mit dem Analphabetismus und der Verbesserung der Grundbil- dung einmal mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit führen bzw. unter Umständen sogar nur zu Protokoll ge- ben. Hier geht es immerhin um das Grundrecht auf Bil- dung und Qualifikation; über 7,5 Millionen Menschen sind in gravierender Weise davon betroffen. Hinzu kom- men noch viele Angehörige, Familien, Kollegen, Firmen. Und wenn Sie nicht nur auf die 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten, sondern auf die über 20 Mil- lionen Menschen mit massiven Grundbildungsdefiziten abheben, wird das Erfordernis einer breiten gesellschaft- lichen und das heißt auch einer intensiven, umfassenden, sich vertiefenden parlamentarischen Diskussion immer drängender. Nun denn: Wir von der SPD bleiben hierzu am Ball. Die Debatte muss ja auch noch aus dem Aus- schuss zurück in den Bundestag. Wir haben bereits ein sehr aufschlussreiches Fachge- spräch im Bildungsausschuss durchsetzen können, und wir waren auch diejenigen, die schon vor fast einem Jahr einen Antrag „Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern“ ins Parlament eingebracht haben. Wir freuen uns, dass jetzt auch die anderen Opposi- tionsfraktionen mitziehen und mit ihren Anträgen hel- fen, dass dieses bildungspolitische Tabu endlich immer weiter aufgebrochen wird. Viel zu lange Zeit hat man die Augen verschlossen und so getan, als ob Analphabetis- mus ein Thema in unterentwickelten Ländern ist, in fer- nen Kontinenten und nur weit weg von hochmodernen, hochindustrialisierten und hochgebildeten Gesellschaf- ten und Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland existiert. Nach der sehr verdienstvollen Leo-Studie, die jetzt schon ein Jahr vorliegt, wissen wir allerdings, dass Analphabetismus kein exotisches Thema ist, sondern aus 19370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 (A) (C) (D)(B) der Mitte unserer Gesellschaft kommt und über 14 Pro- zent unserer erwerbsfähigen Bevölkerung betrifft. Nur frage ich mich jetzt: Wann wird das Thema auch bei den Regierungsfraktionen aufgegriffen? Wann bringen Sie Ihre Anträge und Initiativen ein? Die betroffenen Men- schen hätten es verdient. In den Anträgen, die jetzt von Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke eingereicht wurden, se- hen wir viel Übereinstimmung in Beschreibung, Analyse und Bewertung zu unserem eigenen Antrag aus dem Mai 2011. Wir sind eigentlich sicher, dass auch die Regie- rungsfraktionen dem beitreten können bzw. sollten. Die Unterscheide zeigen sich tatsächlich in den Konsequen- zen und Maßnahmen, die hieraus abgeleitet werden müs- sen. Hier ist das, was die Bundesregierung über die For- schung hinaus anbietet und eingeleitet hat, eben doch zu zaghaft und unentschlossen. 10 Millionen Euro in zwei Jahren für eine große Informations-, Aufklärungs- und Motivationskampagne können nur ein Einstieg sein. Die Mittel der Bildungsprämie mit zu aktivieren, ist für diese Zielgruppe, die ja eher ein sehr geringes bis in wenigen Fällen mittleres Einkommen hat, nicht zielführend, wie auch die Anhörung im Bildungsausschuss gezeigt hat. 20 Millionen Euro für drei Jahre, also unter 7 Millionen Euro im Jahr, für die Förderung arbeitsplatzorientierter Alphabetisierung und Grundbildung sind angesichts ei- ner Zahl von 7,5 Millionen Betroffenen auch zu zöger- lich und ohne entscheidende Durchschlagskraft. Die SPD-Bundestagsfraktion bleibt deshalb bei ihrer Forderung nach einem umfassenden Alpha-Pakt für Grundbildung. Bund, Länder und Kommunen sowie die Sozialpartner und die Bundesagentur für Arbeit müssen gemeinsam und entschlossen handeln, um Menschen mit unzureichender Grundbildung zu unterstützen. Allein der Bund soll dafür mittelfristig mindestens 50 Millio- nen Euro aus dem Bildungshaushalt für sehr konkrete Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen im Jahr bereitstellen, beginnend mit 25 Millionen Euro in 2012. Entsprechende Anträge hatte die SPD-Bundes- tagsfraktion im Rahmen der Haushaltsberatungen ge- stellt. Wir brauchen dieses starke Signal des Bundes an die Länder und die Kommunen, damit diese sich in ihren Anstrengungen nicht alleingelassen fühlen, sondern Bund, Länder und Kommunen hier tatsächlich Hand in Hand in den Aufbau eines Programmes eintreten, das über einen Zehnjahreszeitraum an die Gesamtaufwen- dungen heranreicht, wie sie zum Beispiel in Großbritan- nien in Alphabetisierung und Grundbildung investiert worden sind, nämlich durchschnittlich 360 Millionen Euro über 10 Jahre. Auch wenn hier genauere Zahlen sehr schwer zu ermitteln sind, dürften die Kommunen und die Länder aktuell in Deutschland noch unter 100 Millionen Euro jährlich bereitstellen. Auch die Bundesagentur für Arbeit war bisher noch sehr zurückhaltend, obwohl über 55 Prozent der Betrof- fenen erwerbsfähig sind. Es hat uns gefreut, dass die Vertreter des DIHK für die Wirtschaft und der DGB für die Gewerkschaften in unserem Fachgespräch die Not- wendigkeit einer Förderung auch aus der Arbeitslosen- versicherung ausdrücklich anerkannt haben, ganz in dem Sinne, dass die Arbeitslosenversicherung eben auch Qualifikations- und Bildungsversicherung, das heißt Be- schäftigungsversicherung zum Auftrag hat. Andere Punkte, die wir nach dem Fachgespräch im Bildungsausschuss durch die Experten noch besser er- kannt haben und hier zuspitzen möchten, sind: Erstens. Es besteht ein großer Bedarf dafür, dass in konkreten Schritten mindestens 100 000 Kursplätze für Alphabetisierung bereitgestellt werden, damit die Be- troffenen eine realistische Chance auf gesellschaftliche Teilhabe erhalten. Zurzeit können nur circa 20 000 Men- schen an Alphabetisierungskursen teilnehmen. Dies ist eine große Aufgabe für die Länder und Kommunen. Der Bund sollte sie dabei nachdrücklich unterstützen. Denn 100 000 Plätze erfordern nach den Berechnungen der Fachleute rund 250 Millionen Euro jährlich! Die Linke beschreibt diese Verfünffachung als wenig ambitioniert, jedoch ist dies nun wirklich das Gegenteil. Liebe Kolle- ginnen und Kollegen von links, das ist wirklich sehr am- bitioniert. Es ist im Übrigen auch sehr teuer. Aber es muss nun einmal sein. An dieser Stelle ist Ihr Hinweis auf Großbritannien durchaus richtig und wichtig. Nur, ohne tatkräftige finanzielle Unterstützung dieser Natio- nalen Strategie durch die Bundesregierung wird dieses keinen Erfolg haben. Zweitens. Auch das hat das Fachgespräch gezeigt: Für einen quantitativen Aufwuchs der Teilnehmerzahlen müssen die Strukturen der Alphabetisierungsarbeit aus- gebaut werden. Es gibt bislang keinen akademischen Ausbildungsgang „Alphabetisierungspädagogik“. Erst- mals werden in 2012 einige wenige Studenten und Stu- dentinnen den Weiterbildungsstudiengang an der Päda- gogischen Hochschule Weingarten absolvieren. Da sich auch in der Weiterbildung ein Generationenwechsel vollzieht, werden qualifizierte Kursleiter und -leiterin- nen für die Grundbildungsarbeit fehlen. Mit ProGrund- bildung liegt ein Konzept für eine grundlegende Qualifi- zierung vor, die aber von den Kursleitenden nicht selbst finanziert werden kann. Darüber hinaus müssen Bil- dungsträger in die Lage versetzt werden, über die Ver- netzung mit anderen lokalen Einrichtungen, zum Bei- spiel kommunalen Ämtern oder Beratungsstellen, und durch gezielte Stadtteilarbeit die Betroffenen zu errei- chen. Die aufsuchende Bildungsarbeit erfordert perso- nelle Ressourcen, die bislang in zu geringem Maße zur Verfügung stehen. In diesem Sinne wollen wir unseren Antrag vom Mai 2011 nach dem Fachgespräch inhaltlich präzisieren und nachschärfen. Drittens. Konkret hat die Auseinandersetzung mit den Experten weiter gezeigt: Die Bundesbildungsministerin sollte für eine langfristige finanzielle Unterstützung der wichtigsten Alphabetisierungsträger sorgen, damit sie ihre wertvolle Arbeit dauerhaft leisten können. Es kann nicht sein, dass der Bundesverband für Grundbildung und Alphabetisierung e. V. auf Sponsoren angewiesen ist, um seine Arbeit kontinuierlich fortzuführen. Solche Träger brauchen Planungssicherheit. Viertens. Bestätigt und bestärkt sehen wir uns schließ- lich im Einsatz für Alphabetisierung und Grundbildung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19371 (A) (C) (D)(B) als Aufgabe einer präventiven Beschäftigungsförderung. Wir fordern deshalb ein Umdenken bei der Bundesagen- tur für Arbeit, die sich aktiv in den Pakt für Alphabeti- sierung und Grundbildung einbringen muss. Denn Al- phabetisierung bei Erwachsenen und zumal bei mehrheitlich Erwerbstätigen ist eben nicht vorrangig all- gemeine Bildung, sondern dient der Herstellung der Be- schäftigungsfähigkeit und ist deshalb auch Teil der akti- ven Arbeitsmarktpolitik. Wir erwarten insbesondere auch von der Wirtschaft in diesem Zusammenhang ein besonderes Engagement. Denn angesichts des drohenden Fachkräftemangels kann es sich auch die Wirtschaft nicht leisten, dass aktuell 14,5 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter von wichtigen Arbeitsprozessen ausgeschlossen bleiben, weil sie kaum lesen und schreiben können. Um auch die- ses zu sagen: Das Programm der Regierung zur Förde- rung von Projekten mit dem Förderschwerpunkt „Ar- beitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ macht sehr viel Sinn und wird von uns auch voll unterstützt. Nur das kann eben nicht fast alles sein. Wenn Deutschland ernsthaft den Anspruch einer „Bil- dungsrepublik“ hat, muss die Bekämpfung des Analpha- betismus endlich auf die bildungspolitische Agenda ge- setzt werden. Das nächste Jahrzehnt muss im Zeichen einer nationalen Alphabetisierungsstrategie stehen. Al- phabetisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe jenseits von politischen Ideologien und verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten. Wir dürfen die Probleme der 7,5 Mil- lionen funktionalen Analphabeten nicht länger verdrän- gen, nur weil die Menschen, die es betrifft, keine Lobby haben, um auf sich aufmerksam zu machen. Im Gegen- teil: Das Tabu des Analphabetismus muss jetzt fallen und die Betroffenen müssen eine Chance bekommen, „Gesicht“ zu zeigen und Unterstützung zu erhalten, in ihrem Interesse und im Interesse der Allgemeinheit. Deshalb hoffen wir, dass es in dieser Frage keine Regie- rungsfraktion oder Oppositionsfraktion gibt, sondern wir uns zusammen engagieren und die Bundesregierung wie die Landesregierungen, die Kommunen und die Sozial- partner treiben, hier mutige Schritte zu wagen. Das sind uns die 7,5 Millionen wert. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die Ergebnisse der Leo-Studie vom Frühjahr 2011 zum Analphabetismus in Deutschland haben uns alle überrascht und gleicherma- ßen erschrocken. Mit 7,5 Millionen funktionalen An- alphabeten und 300 000 Menschen, die noch nicht ein- mal ihren Namen schreiben können, hatte wohl niemand gerechnet. Angesichts solcher Erkenntnisse erscheint das seit 2003 formulierte Ziel der Vereinten Nationen, mit einer Dekade der Alphabetisierung bis 2013 welt- weit die Analphabetenquote zu halbieren, umso bedeu- tender – auch und gerade in Deutschland. Man könnte erwarten, diese erschreckenden Zahlen hätten die Bundesregierung und die Öffentlichkeit auf- geschreckt, vielleicht sogar für das Anliegen sensibili- siert. Doch das Thema ist leider relativ schnell wieder verhallt. Wie konnte es dazu kommen? Selbstverständlich ist das Thema funktionale An- alphabeten schwierig. Weder Unternehmen, die aktiv Alphabetisierungsmaßnahmen betreiben, noch die Be- troffenen selbst äußern sich hörbar und öffentlich. Es bräuchte gerade deswegen eine Politik, die sich unbe- quemen Themen widmet, sie auf die öffentliche Agenda setzt und Handlungsmaßnahmen in Angriff nimmt. Bun- desbildungsministerin Schavan hat – wie bei zahlreichen anderen Themen – lediglich eine große Pressekonferenz angesetzt und gab große Versprechen ab. Doch was ist nun nach nahezu einem Jahr davon übrig geblieben? Nichts, faktisch nichts hat sich an der Situation dieser Menschen geändert. Das Thema ist erneut im Sande verlaufen. Es ist tragisch, aber diese Entwicklung Schavan’scher Ankündigungen ist leider typisch. Die Leidtragenden sind jedes Mal die Betroffenen. Auch die im Dezember getroffene Vereinbarung von Bund und Ländern brachte nicht den erhofften großen Wurf. Man einigte sich auf eine öffentlichkeitswirksame Kampagne sowie länderübergreifende Kooperation und Vernetzung. Das ist natürlich gut und wichtig. Doch kon- zentrieren sich die Maßnahmen auf die Länder: kein neues Projekt der Bundesregierung, keine Zusammenar- beit mit Sozialpartnern, mit der Bundesagentur für Ar- beit oder anderen Aktiven in dem Bereich. Stattdessen hat im vergangenen Jahr das BMBF der seit 2003 jähr- lich stattfindenden Fachtagung Alphabetisierung, die vom Bundesverband Alphabetisierung organisierte Platt- form der gesamten Alphabetisierungs- und Grundbil- dungsarbeit in Deutschland, die Förderung gestrichen. So geht das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition. Wir von der SPD-Fraktion schenken dem Thema Alphabetisierung größere Aufmerksamkeit. Wir haben als erste Fraktion nach der Studie einen Antrag mit konkreten Handlungsmaßnahmen und Zahlen in den Bundestag eingebracht. Wir wollen in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Kommunen einen Grundbil- dungspakt schließen, der die Anzahl der Analphabeten halbieren soll. Wir nehmen dabei im Gegensatz zur Bun- desregierung alle gesellschaftlichen Kräfte mit: Wirt- schaftsverbände, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kir- chen wie auch die Medien sollen daran beteiligt werden. Wir wollen 25 Millionen Euro in diesem Jahr und mittel- fristig 50 Millionen Euro jährlich für diesen Grundbil- dungspakt bereitstellen. Unser Ziel ist ein zügiger Aus- bau der Kursplätze auf 100 000 pro Jahr. Das sind konkrete Projekte. Damit könnten wir substanziell die Situation dieser Menschen verbessern. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht, das will ich ausdrücklich festhalten, in die richtige Richtung. Doch setzt unser An- trag im Vergleich selbst nach fast einem Jahr der Debatte immer noch Maßstäbe: Wir haben uns klar positioniert und dies an konkreten Zahlen festgemacht. Eine wichtiger Punkt noch zum Schluss: Die Exper- ten des im Ausschuss durchgeführten Fachgespräches haben vor allen Dingen einen Wunsch formuliert: Sie wollen keine kurzfristige Projektförderung mehr, bei der von Jahr zu Jahr neu entschieden wird, ob die Arbeit weitergeführt und das Personal gehalten werden kann. Sie brauchen langfristige Strukturen und Planungs- sicherheit. Ich finde, damit haben sie recht und es ist un- 19372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 (A) (C) (D)(B) terstützungswert. Dieses Thema ist zu wichtig, als dass dessen Finanzierung jedes Jahr am seidenen Faden hän- gen sollte. Um das zu ermöglichen, muss der Bund aktiv werden und den Ländern Hilfe leisten. Und auch dafür müssen wir an das Kooperationsverbot in der Bildungs- politik ran und langfristige Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Die SPD hat auch hierfür bereits Vorschläge gemacht. Patrick Meinhardt (FDP): Es ist gut, dass wir im Deutschen Bundestag das Thema Grundbildung und Alphabetisierung immer weiter oben auf die bildungspo- litische Agenda setzen. Eines sage ich aber gleich: Die- ses Thema darf nicht in einen parteipolitischen Schlag- abtausch heruntergezogen werden. Vielmehr ist es notwendig, dass über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Zielrichtung klar wird: Deutsch- land braucht einen Masterplan Alphabetisierung. Wir haben viele Organisationen und Institutionen, die in vorbildlicher Art und Weise schon heute aktiv sind. Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle die exzel- lente Arbeit des Bundesverbands für Alphabetisierung und Grundbildung und der Stiftung Lesen erwähnen. Diese beiden Organisationen sind Vorreiter in der Sensi- bilisierung für Analphabetismus und für Lesen in Deutschland. Beiden sei von dieser Stelle aus ein herzliches Danke- schön für Ihren unermüdlichen Einsatz gesagt. Recht hat Herr Dr. Jörg Maas, der Hauptgeschäftsfüh- rer der Stiftung Lesen, wenn er formuliert: „Lesen muss als zentrale Schlüsselqualifikation in der Bildung und Ausbildung der nächsten Generation verankert werden. Hierfür ist ein Netzwerk, eine Allianz von vielen Part- nern nötig.“ Deswegen setzt die Initiative der Bundesre- gierung mit 26 Millionen Euro für das Programm „Lese- start“ genau an der richtigen Stelle an. In den kommenden acht Jahren werden 4,5 Millionen Lesestart-Sets verteilt. So sollen Kinder dafür begeistert werden zu lesen. Aber mindestens genauso wichtig ist es, Eltern für das Vorle- sen zu begeistern. Denn eine bildungspolitische Binsen- weisheit muss im Land der Dichter und Denker wohl wieder in Erinnerung gerufen werden: Nur dort, wo ge- lesen wird, entwickelt sich auch ein bildungspositives Umfeld. Deswegen gilt: Das Geld ist wichtig, aber viel wichtiger ist es, dass Lesen wieder eine Selbstverständ- lichkeit in Deutschland wird. Darüber hinaus ist es bildungspolitisch dringend er- forderlich, alle Anstrengungen zu intensivieren, um die Schulabbrecherquote in Deutschland deutlich zu reduzie- ren. Hier sind die Länder in der Pflicht, die sie bedauerli- cherweise äußerst unterschiedlich wahrnehmen. Während unter der alten Landesregierung in Baden-Württemberg die Schulabbrecherquote seit Beginn der Qualifizie- rungsinitiative von 6,3 auf 5,6 Prozent, in Bayern von 7,2 auf 6,4 Prozent und in Hessen von 8,1 auf 7 Prozent mit vielen Projekten unter harter Arbeit Schritt für Schritt re- duziert werden konnte, sieht es in SPD-geführten Bun- desländern ganz anders aus: In Berlin erhöhte sich die Quote von 9,9 auf 11,5 Prozent, in Brandenburg von 11,7 auf 13 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern von 12,1 auf skandalöse 16,8 Prozent. Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Schulabbruch und der verstärkten Gefahr des Analpha- betismus. Umso unverständlicher ist es, dass Länder hier nicht bereit sind, alle notwendigen Kraftanstrengungen zu unternehmen. Hier erwarte ich eine bildungspoliti- sche Trendwende der Landesregierungen, die dieses Thema so sträflich vernachlässigen. Spätestens seit der Leo-Studie im vergangenen Jahr sollte ein bildungspolitischer Ruck durch Deutschland gehen. Bis vor wenigen Monaten gingen wir alle davon aus, dass wir 4 Millionen funktionale Analphabeten ha- ben. Jetzt wissen wir: Es ist die erschreckende Zahl von 7,5 Millionen Betroffenen. Damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Das muss der Motor für neue Kraftan- strengungen in der Bildungspolitik werden. Hier müssen wir alle an einem Strang ziehen. Die Bundesregierung und die Fraktionen von FDP und CDU/CSU stellen sich dieser Verantwortung: Ein 20-Mil- lionen-Programm zur arbeitsplatzorientierten Forschung und Entwicklung für Grundbildung, zudem weitere akti- vierte 35 Millionen aus dem Europäischen Sozialfonds, 24 Verbundvorhaben mit über 100 Einzelmaßnahmen mit einer Gesamtfördersumme von über 30 Millionen Euro und die millionenschweren Mittel, die über die Bundes- agentur zur berufsbezogenen Eingliederung zur Verfü- gung stehen, machen eines deutlich: Diese Bundesregie- rung, diese Regierungsfraktionen kümmern sich um die Sorgen der Menschen, die nicht richtig lesen und schrei- ben können, und setzen diese in konkrete Bildungspolitik um. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, dass wir in allererster Linie ein gesellschaftspolitisches Klima schaf- fen müssen, in dem Analphabetismus enttabuisiert und alle gesellschaftlichen Institutionen dafür sensibilisiert werden. Es ist keine Schande, nicht richtig lesen und schreiben zu können. Es ist aber eine Schande, wenn wir als Gesellschaft zulassen, dass Menschen dies verbergen, weil sie sich schämen. Als eine kurzfristige Maßnahme haben wir in den Haushaltsberatungen durchgesetzt, dass der Posten „Qualitätsentwicklung und Strukturverbesserung der all- gemeinen Weiterbildung“ um sage und schreibe 60 Pro- zent auf 13,5 Millionen Euro erhöht worden ist. Damit werden wir eine Konferenz zur Aufarbeitung der UNO- Alphabetisierungsdekade für Deutschland finanzieren, die auch Perspektiven für die Zukunft aufzeigen soll. Wir werden eine öffentlichkeitswirksame, breit ange- legte Kampagne intensivieren, und es ist damit möglich geworden, das Vorbildprojekt iChance fortzuentwickeln und damit Menschen unkompliziert digital die Möglich- keit zu geben, sich zu informieren. Denn das muss unser weiteres zentrales Ziel sein: Menschen unkompliziert und ohne Stigmatisierung die Möglichkeit zu eröffnen, für sich selbst den bestmöglichen Weg zu finden. Das brillante Motto: „Schreib dich nicht ab! Lern Lesen und Schreiben!“ macht deutlich, dass dieses Geld bildungs- politisch hervorragend angelegt ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 19373 (A) (C) (D)(B) Funktionale Analphabeten müssen eine zweite und dritte Chance erhalten. Wir brauchen eine gewaltige ge- meinsame Kraftanstrengung von Kommunen, Ländern, Bund, Unternehmen, Vereinen und Initiativen. Umso wichtiger ist es, dass wir ein Weiterbildungserfolgspro- jekt dieser Bundesregierung, die Bildungsprämie, jetzt öffnen. Seit der Verdreifachung der Prämie von 150 auf 500 Euro, haben wir statt 7 000 Prämien im Jahr 2009 inzwischen 175 000 Prämien ausgegeben und deswegen auch den Haushaltsansatz für dieses Jahr noch einmal er- höht. Diese Prämie kann von jetzt ab auch für Maßnah- men der Alphabetisierung und Grundbildung genutzt werden. Dies wird die Möglichkeit für einen weiteren Schub öffnen und ist deswegen eine wichtige Weichen- stellung dieser Bundesregierung. Der Geschäftsführer des Bundesverbands Alphabeti- sierung und Grundbildung, Herr Peter Hubertus, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Als Wissenschaftsge- sellschaft können wir es uns schlichtweg nicht leisten, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung wegen unzu- reichender Grundbildung im Alltag und auf dem Ar- beitsmarkt benachteiligt ist.“ Jetzt wird es wichtig, das Thema Grundbildung und Alphabetisierung in alle bildungspolitischen Netzwerke in der Bundesrepublik Deutschland einzuspeisen. Es muss fester Bestandteil der Qualifizierungsinitiative für Deutschland werden, es muss in der Allianz für Bildung ein klarer Schwerpunkt sein und in den Bildungsbünd- nissen vor Ort fest integriert sein. Deswegen begrüßen wir es, dass es gemeinsam vom Bund mit den Kultusmi- nistern den Impuls für eine „Nationale Strategie zur Al- phabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ gibt. Nur so schaffen wir es, Öffentlichkeit zu schaffen und einen Masterplan Alphabetisierung auf den Weg zu brin- gen. Hier steht noch eine bildungspolitische Herkules- aufgabe vor uns. Das Fundament dafür ist umsichtig ge- legt. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Als vor einem Jahr die Studie zum funktionalen Analphabetismus in Deutschland vorgelegt wurde, gab es ein großes Erschre- cken. Mehr als 14 Prozent der erwachsenen erwerbsfähi- gen Bevölkerung in unserem Land kann nicht richtig le- sen, schreiben und rechnen. Das ist ein Skandal, den man in diesem Ausmaß nicht vermutet hatte. Bis dahin ist man von 4 Millionen betroffener Menschen ausge- gangen, nun sind es fast doppelt so viele. Um das Ausmaß deutlich zu machen: der Bundestag hat rund 580 Abgeordnete im erwerbsfähigen Alter. Wenn er den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentiert – was wahrscheinlich nicht der Fall ist – könnten 84 von uns nicht richtig lesen und schreiben. Ich mache diesen Vergleich nicht aus boshafter Unterstellung, sondern weil an diesem Befund des Analphabetismus auch schlimm ist, dass eine unzureichende Grundbildung in Deutschland als selbstverschuldeter Mangel angesehen wird. Damit aber werden die Betroffenen stigmatisiert, wird nicht nach den tiefer liegenden Ursachen geforscht, wird das ganze Problem unter den Teppich gekehrt und eben zu wenig dagegen getan. Fakt aber ist: Unter den von Analphabetismus Betrof- fenen haben fast die Hälfte einen Schulabschluss, 12 Prozent sogar einen höheren Bildungsabschluss. Warum also sollte der Deutsche Bundestag hier eine Ausnahme bilden. Das Bundesministerium hat nun endlich eine Natio- nale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung angekündigt. Die UN-Dekade zur Alphabetisierung hatte zum Ziel die Zahl der Analphabeten weltweit zu halbieren. Nun, fast am Ende der zehn Jahre zeigt die Studie, dass erheblicher Handlungsbedarf auch in Deutschland da ist. Andere europäische Staaten können aber schon Ergebnisse im eigenen Land aufweisen. Deutschland hat sich bisher auf Fachtagungen, Beratung und Internetangebote beschränkt. Das reicht nicht aus. Sind wir über die Ursachen von mangelhafter Grund- bildung denn überhaupt im Bilde? Oder ist es vielmehr nicht so, dass gar nicht bemerkt wird, wenn jemand dabei Schwierigkeiten hat? Ist unsere PISA-Fixierung dabei nicht auch hinderlich, weil Analphabetismus auch nach der abgeschlossenen Schulausbildung entstehen kann, weil die Betroffenen ihre Schulkenntnisse wieder verlernen? Welchen Anteil haben anregungsarme beruf- liche Tätigkeiten dabei, und was bedeutet es, wenn man jahrelang von Erwerbstätigkeit ausgegrenzt ist? Welche konkreten Ziele gibt es? Wer setzt sie um? Für mich sind nach dem Fachgespräch im Ausschuss mehr Fragen entstanden als schon Antworten gegeben wurden. Nun fordern wir aber nicht erst eine weitere Studie, obgleich es auch diese geben muss, sondern er- warten, dass schnell wirksame Gegenstrategien greifen. Dazu gehört für uns natürlich die Forderung, dass nie- mand ohne eine gefestigte Grundbildung die Schule verlassen soll. Dazu müssen Lehrende in Studium und Weiterbildung besser vorbereitet werden. Sie müssen in der Lage sein, zu merken, wenn jemand nicht gut lesen, schreiben, rechnen lernt. Das sieht man offensichtlich nicht nur an schlechten Zensuren. Sie brauchen die nö- tige Zeit für eine angemessene Förderung. Wir brauchen mehr gut qualifizierte Kursleiterinnen und Kursleiter und eine bessere Finanzierung von deutlich mehr Kursen als heute zur Verfügung stehen. Wir brauchen eine öffentlich finanzierte und leicht zugängliche Bildungs- beratung, die Betroffenen helfen kann, geeignete Ange- bote zu finden. Wir brauchen niedrigschwellige Ange- bote, die auch ganz im Privaten greifen. Wir brauchen die Aufmerksamkeit in den Unterneh- men und ihre Bereitschaft, Beschäftigten eine entspre- chende Qualifizierung zu ermöglichen, ohne dass sie im Betrieb schief angesehen werden. Wir brauchen ein öffentliches Klima, das Analphabetismus nicht als Tabuthema behandelt, sondern als gesellschaftliches Problem, nicht nur als Problem des einzelnen. Ziel muss es sein, nun endlich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Betroffenen zu halbieren. Damit wir uns am Ende des Zeitraumes nicht wieder schulter- zuckend eingestehen müssen, dass wir nicht so recht vorangekommen sind, wollen wir, dass jährlich der Stand der Entwicklung festgestellt und öffentlich dar- gelegt wird. 19374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2012 (A) (C) (D)(B) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die „Level-One-Studie“ zum Analphabetismus in Deutsch- land hat einen der größten bildungspolitischen Skandale offengelegt: Analphabetismus ist im technologisch hoch entwickelten Land der Dichter und Denker kein Randphänomen weniger, sondern ein existenzielles Pro- blem viel zu vieler. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns als Bundestag mit darum kümmern, das Problem zu lösen. Das Ausmaß des Analphabetismus ist erschreckend: Rund 7,5 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter sind funktionale Analphabeten. Sie sind also nicht in der Lage, den Sinn eines einfachen Textes zu verstehen. Ihre sozialen, beruflichen, ökonomischen und kulturellen Teilhabechancen sind massiv eingeschränkt. Das alltäg- liche Leben der Betroffenen ist häufig geprägt von Scham, Vertuschung und Ignoranz der Gesellschaft. Die FAZ hat den Umgang mit funktionalen Analpha- beten zutreffend mit der Schlagzeile „durchgereicht und weggelogen“ beschrieben. Dringend notwendig ist daher eine Enttabuisierung des Themas. Besonders das Bildungswesen, Sozialpartner und die Medien sind zu einem verantwortungsvollen Umgang aufgefordert. Angesichts immer höherer Anforderungen im Ar- beitsleben werden die Chancen von Menschen mit man- gelnder Grundbildung immer schlechter. Hier haben Erwachsenenbildung, Volkshochschulen und Bundes- agentur für Arbeit eine wichtige Funktion. Die Arbeit- geber sind zudem aufgefordert, diese Menschen gezielt zu unterstützen und die Weiterbildung auszubauen. Die Bundesregierung hat es aber versäumt, die Förderung der Weiterbildung gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Hier müssen Sie dringend liefern! Wir benennen in unserem grünen Antrag wirkungs- volle Maßnahmen, die Staat und Zivilgesellschaft ergrei- fen müssen: Bei den Alphabetisierungskursen legen wir Wert auf einen deutlichen Ausbau, verbunden mit ÖA- Kampagnen, auf Qualitätssicherung und Zielgruppen- orientierung. Wichtig ist uns, dass Alphabetisierungs- angebote Genderaspekte stärker berücksichtigen. Dies betrifft den überdurchschnittlich hohen Anteil männ- licher Analphabeten. Ebenso gilt es, etwa in den Integra- tionskursen, gerade Frauen mit Migrationshintergrund kultursensibel anzusprechen. Mit Blick auf besonders benachteiligte Gruppen ist es absolut falsch, dass Programm „Soziale Stadt“ kaputtzu- sparen. Richtig wäre, in diesem Rahmen niedrigschwel- lige Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung stärker zu verankern. Dies haben die Sachverständigen bei der Anhörung des Bildungsausschusses bestätigt. Dort herrschte Unverständnis, warum der Pakt für Alphabetisierung so wenig vorankommt und öffentlich kaum wahrnehmbar ist. Das muss sich ändern! Bestürzend ist, dass Analphabetismus viele junge Menschen betrifft, die gerade erst die Schule verlassen haben – der übergroße Teil mit Schulabschluss: So sind 20 Prozent der 18- bis 29-Jährigen funktionale Analpha- beten oder sehr schwach in Rechtschreibung. Dies zeigt Versagen und Mängel unseres Bildungssystems. Das muss sich ändern! Eine frühzeitige Sprachbildung, individuelle Förde- rung von Anfang an bis hin zur Jugend- und Schulsozial- arbeit sind daher unverzichtbar. Bildungsarmut darf in Deutschland nicht weiterhin stärker als in anderen OECD-Ländern vererbt werden. Das Ziel ist klar: Keine Schülerin und kein Schüler darf die Schule ohne ausreichende schriftsprachliche Kompetenzen und ohne solide Grundbildung verlassen. Dies ist nicht nur eine volkswirtschaftliche Konsequenz aus dem demografischen Wandel, sondern vor allem die Umsetzung fundamentaler Rechte auf Bildung und Teil- habe. Der Nationale Pakt für Alphabetisierung und Grund- bildung darf kein Placebo sein, sondern muss endlich klare, ambitionierte Zeit- und Zielpläne erhalten. Wir sollten uns – als Konsequenz aus der Anhörung – dabei an erfolgreichen nationalen Strategien wie der in Groß- britannien orientieren. Im Vergleich dazu sind die Aktivitäten der Bundesregierung leider qualitativ und quantitativ ein Tropfen auf den heißen Stein. Öffentlich- keitswirksame Kampagnen wären ein Anfang und das Mindeste, sie ersetzen aber kein strategisches Gesamt- konzept. Bis zur „Bildungsrepublik“ Deutschland ist auch an dieser Baustelle noch viel zu tun. Bessere Perspektiven der Betroffenen müssen uns allen ein Ansporn zu ent- schlossenem Handeln sein. Bund und Länder dürfen die- sen Bildungsskandal nicht verwalten, sondern müssen Lösungen gestalten. 162. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 27 Bekämpfung des Rechtsextremismus TOP 4 Mindestrente TOP 31,18 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 32, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 5 EU-Hochqualifizierten-Richtlinie TOP 6 Demografischer Wandel in Deutschland TOP 9 EU-Richtlinie zum Wertpapierhandel TOP 8 Jemen TOP 11 Bevölkerungsschutz TOP 10 Einsatz von Polizisten in Friedensmissionen TOP 13 Menschenrechtsschutz im Tourismus TOP 12 DemografischerWandel in der Rentenversicherung TOP 15 Eisenbahngesetz TOP 14 Menschenrechte in Deutschland TOP 17 Bundesgeoreferenzdatengesetz TOP 16 Bildungsarmut TOP 20 Vergabe von Dienstleistungskonzessionen TOP 21 Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung TOP 22 Treibhausgasbilanz von Kraftstoffen aus Teersand TOP 23 Kolonialverbrechen in Deutsch-Südwestafrika TOP 24 Verwendung von Asbest Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerold Reichenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Derzeit bestehen für die Erfassung von Geodaten in

    der Bundesverwaltung unterschiedliche und in den Bun-





    Gerold Reichenbach


    (A) (C)



    (D)(B)


    desländern unverbindliche Standards. Geotopogra-
    fische Referenzdaten werden aber überall benötigt. Sie
    sind wichtig für die Raumplanung, für die Verkehrslen-
    kung, für die Versorgung und Entsorgung bis hin zum
    Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Leider gibt es
    bislang aufgrund der föderalen Struktur keine einheitli-
    che Standardisierung zur Erfassung und Darstellung
    geotopografischer Referenzdaten des Bundes und des
    amtlichen Vermessungswesens. Das kann Konsequenzen
    haben, wenn beispielsweise in meiner Region die Ver-
    sorgungswerke Mainz sowohl für Gebiete in Rheinland-
    Pfalz als auch in Hessen zuständig und dabei auf Daten
    der Landesvermessungsämter sowohl aus Rheinland-
    Pfalz als auch aus Hessen angewiesen sind, diese aber
    mit unterschiedlichen Standards geliefert werden. So
    kann es zu Abweichungen und Fehlerquellen kommen,
    jedenfalls führt es aber zu Mehraufwand.

    Die verschiedenen Bundes- und Landesbehörden er-
    stellen die Geodaten unter Verwendung unterschied-
    licher Technik und verwenden dabei unterschiedliche
    Leistungsmerkmale und Standards. Um diese dann über-
    haupt in Zusammenhang bringen zu können, müssen sie
    im Bundesamt für Kartographie und Geodäsie mit viel
    Aufwand vereinheitlicht werden. Erhebliche Abweichun-
    gen sind dabei vorprogrammiert.

    Bund und Länder benötigen für ihre Aufgabenerfül-
    lung viele aktuelle und qualitativ hochwertige Informa-
    tionen. Das Potenzial aller gesammelten Daten kann
    erst dann ausgeschöpft werden, wenn diese von homo-
    gener Qualität sind und mithilfe standardisierter Metho-
    den und Verfahren zu einem leistungsfähigen Geodaten-
    management zusammengeführt werden können. Die
    gleiche Forderung gibt es bei den Vereinten Nationen
    und auf europäischer Ebene. Unwirtschaftliche Doppel-
    arbeit soll und kann so vermieden werden.

    Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt das Anlie-
    gen der Bundesregierung, zumindest für den Bereich des
    Bundes für eine effektivere Verfahrensweise zu sorgen.
    Wir haben dazu auch einen internationalen und unions-
    rechtlichen Auftrag. Bisher gibt es auf Bundesebene
    insbesondere das Geodatenzugangsgesetz, mit dem die
    INSPIRE-Richtlinie auf Bundesebene umgesetzt wurde.
    Die INSPIRE-Richtlinie hat zum Ziel, eine Geodatenin-
    frastruktur in der Europäischen Gemeinschaft zu schaf-
    fen. Durch die im Geodatenzugangsgesetz festgelegten
    Standards sollen der Austausch und die gemeinsame
    Nutzung von Geodaten, also damit auch von geoto-
    pografischen Referenzdaten und Daten des amtlichen
    Vermessungswesens, ermöglicht werden. Das Geodaten-
    zugangsgesetz regelt die Standardisierung geotopogra-
    fischer Referenzdaten, aber nicht in gleicher Weise wie
    das Georeferenzdatengesetz. Es gibt im Geodaten-
    zugangsgesetz keine Regelungen, um die Qualität, also
    Aktualität, Einheitlichkeit und Vollständigkeit, der geo-
    topografischen Referenzdaten zu verbessern. Mit dem
    heute hier vorliegenden Gesetzentwurf zu den Georefe-
    renzdaten soll es eine verbesserte Nutzungsmöglichkeit
    der allen Geodaten zugrunde liegenden geodätischen
    Referenzsysteme, -netze und geotopografischen Refe-
    renzdaten geben. Das heißt, zum einen sollen auf Bun-
    desebene verbindliche Qualitätsstandards sichergestellt

    werden. Die Datenerfassung orientiert sich dabei insbe-
    sondere am eigenen Bedarf und den dem Bund im
    Grundgesetz zugewiesenen Kompetenzen und Aufgaben.
    Zum anderen wird das Bundesamt für Kartographie und
    Geodäsie zu einem Dienstleistungszentrum des Bundes
    für Geoinformationen ausgebaut und erhält für diese
    Aufgabenstellung eine gesetzliche Grundlage.

    Zusätzlich werden mit den im Innenausschuss be-
    schlossenen Änderungen letzte Unsicherheiten beseitigt.
    Die Länder haben während des gesamten Abstimmungs-
    verfahrens Bedenken geäußert, ob der Bund in diesem
    Bereich überhaupt eine Zuständigkeit hat. Der Gesetz-
    entwurf beziehe sich auf Daten, die definitions- und in-
    haltsgleich mit denen des amtlichen Vermessungswesens
    einschließlich der Geobasisinformationen seien, wofür
    eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Län-
    der bestehe. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
    werden letzte Unklarheiten beseitigt. § 1 des Bundesgeo-
    referenzdatengesetzentwurfs stellt nun deutlich darauf
    ab, dass Länderdaten nur im Rahmen ihrer Nutzungs-
    rechte einbezogen sind. § 6 des Gesetzentwurfs sieht die
    Festlegung der Standards so weit wie möglich im Ein-
    vernehmen mit den Ländern vor.

    Wir haben heute die Gelegenheit, ein Gesetz zu ver-
    abschieden, das eine längere Vorgeschichte hat. Die ein-
    heitliche Nutzung von Geodaten wurde schon zu Zeiten
    der rot-grünen Koalition von den Sozialdemokraten
    befürwortet und unter Otto Schily vorangetrieben. Die
    einheitliche Nutzung von Geodaten ist wichtig und not-
    wendig, um nationale, europäische und internationale
    Verpflichtungen zu erfüllen. Ich hoffe, dass wir mit
    diesem Gesetz einen Schritt weiter kommen und den
    Bedenken der Länder Rechnung getragen haben. Darum
    wird die SPD-Bundestagsfraktion der Regierungsvor-
    lage zustimmen, nicht zuletzt, weil es die Fortsetzung
    einer von Sozialdemokraten eingeleiteten Politik ist, die
    Georeferenzdaten unseres Landes besser und einheit-
    licher nutzen zu können.



Rede von Manuel Höferlin
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

Mit dem Bundesgeoreferenzdatengesetz schließen wir

eine wichtige Lücke bei der Handhabung von Geodaten
durch Bundesbehörden.

Bisher waren Bundesbehörden nahezu ausschließlich
auf die Daten von Ländern und deren Referenzsysteme
bei der Handhabung von Geodaten angewiesen. Auch
im Hinblick auf harmonische, bundesweit einheitliche
Datenstrukturen und Qualitätskontrolle waren nicht
ausreichend Grundlagen gegeben. Dies hat in der Ver-
gangenheit immer wieder auf Bundesebene dazu ge-
führt, dass Unklarheiten bezüglich der Kompetenzen bei
Bundesbehörden für die Aufbereitung bzw. Bereit-
stellung von Georeferenzdaten herrschten – insbeson-
dere da diese durch die europäische INSPIRE-Richtlinie
dem Subsidiaritätsprinzip unterworfen waren und damit
vorrangig in die Zuständigkeit der Länder fielen.

Das Georeferenzdatengesetz schließt diese Lücke und
macht den Weg frei für eine gute, wohlgeordnete und
subsidiäre Geodateninfrastruktur in Deutschland. Es er-
möglicht dem Bund, fachübergreifend im Rahmen seiner

Zu Protokoll gegebene Reden





Manuel Höferlin


(A) (C)



(D)(B)


Zuständigkeit erhaltene Geodaten zu harmonisieren und
zu standardisieren. Wir erhoffen uns hierdurch einen
Qualitätsgewinn bei der Verwaltung der amtlichen Geo-
daten.

Auch werden durch dieses Gesetz etwaige bestehende
Unklarheiten bei den Kompetenzen der verschiedenen
Behörden ausgeräumt. Das Bundesamt für Kartogra-
phie und Geodäsie ist zentraler Ansprechpartner für alle
Fragen der Standardisierung amtlicher Geodaten im
Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Das können wir
als Erfolg für die christlich-liberale Koalition in dem
immer wichtiger werdenden Feld der Geoinformations-
wirtschaft, aber auch für die Wissenschaft, die Raum-
planung und die öffentliche Verwaltung festhalten.

Und nicht zuletzt profitieren auch in immer stärkerem
Maße die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland durch
die hochwertigen Geodaten, durch zügigere Bereitstel-
lung von Diensten, durch schnellere Bauvorhaben und
Planungen und durch eine verbesserte Datenbasis. Über
das Internet abrufbare Geodatenfachportale bieten
ihnen zusätzlich unmittelbar selbst Zugang zu den Geo-
daten und den damit verknüpften Diensten.

Gleichzeitig unterstreichen wir mit dem Georeferenz-
datengesetz und vor allem mit unserem Ergänzungsan-
trag hierzu noch einmal, dass die Generierung von Geo-
referenzdaten und -systemen eine Aufgabe ist, die von
den Ländern in ihrem Zuständigkeitsbereich erfüllt wird
und deren Position wir hier als eine wichtige Leistung
für die föderale Kooperation respektieren.

Insgesamt möchte ich festhalten, dass das Georefe-
renzdatengesetz ein richtiger und notwendiger Schritt
war. Daher freue ich mich auch sehr darüber, dass Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus der SPD, im Innen-
ausschuss dem Gesetzentwurf der christlich-liberalen
Koalition zugestimmt haben.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jan Korte


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Der uns heute zur Beratung vorliegende Gesetzent-

    wurf soll die Verfügbarkeit und den Austausch der beim
    Bund erhobenen, verarbeiteten und genutzten Geodaten
    durch Anwendung einheitlicher Standards verbessern.
    Gleichzeitig soll damit das Bundesamt für Kartographie
    und Geodäsie zum zentralen Dienstleister in Sachen
    Bereitstellung solcher Daten gemacht und dem Bundes-
    amt als selbstständiger Bundesoberbehörde die gesetz-
    liche Grundlage gegeben werden.

    Die Betonung auf „beim Bund“ verarbeitete und ge-
    nutzte Daten ist der Versuch einer Antwort der Bundes-
    regierung auf die Kritik, die der Bundesrat und seine
    Ausschüsse an dem Gesetzentwurf geäußert haben.
    Offenbar wurde mit heißer Nadel gestrickt und halbher-
    zig versucht, durch Änderungsanträge der Kritik aus
    den Ländern wenigstens formal die Grundlage zu entzie-
    hen und die gröbsten Bedenken verfassungsrechtlicher,
    fachlicher und finanzieller Art auszuräumen. Dies ist
    Ihnen jedoch nicht wirklich gelungen.

    Der zentrale Vorwurf der Länder, dass dieses Gesetz
    die Gefahr berge, Parallelstrukturen zu schaffen und die
    bisher im Großen und Ganzen fachlich und finanziell be-

    währten funktionierenden Strukturen zuungunsten der
    Länder aufzulösen, wurde von der Bundesregierung
    nicht überzeugend widerlegt.

    Die Befürchtung der Länder, angesichts des wachsen-
    den Marktes für Geodaten aller Art und des Ausbaus des
    Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie sehr
    schnell ins Hintertreffen zu geraten, ist nur zu sehr ver-
    ständlich. Da mag der Gesetzentwurf noch so sehr beto-
    nen, dass der Bund ja nur im Rahmen seiner bisher
    schon geltenden Nutzungsrechte die Länderdaten ver-
    wenden werde. Es ist doch so: Die Länder liefern, wie
    andere Behörden des Bundes auch, Daten. Der Bund
    erwirbt daraufhin die Nutzungsrechte an den Länder-
    daten und „harmonisiert“ sie erst dann, wie es in der
    Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellung-
    nahme des Bundesrates heißt. Dafür, so vermutet unse-
    res Erachtens die Länderkammer zu Recht, reicht der
    Rahmen der bisherigen Nutzungsvereinbarungen und
    ihrer finanziellen Regelungen jedoch nicht mehr aus.

    Alle weiteren Geschäfte werden vom Bund gemacht,
    der sich ja auch ausdrücklich auf den Druck kommer-
    zieller Fachanwender beruft, um die neuen Aufgaben zu
    begründen. Die Sorge ist kaum von der Hand zu weisen,
    dass die Konkurrenz zwischen Standards, die der Bund
    jetzt entwickelt, und denen, die bisher zwischen der
    Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der
    Länder, AdV, und dem Bund gegolten haben, bewusst an-
    gestrebt wird. Das Ziel dabei ist, durch die vor-
    geschlagenen Regelungen dieses Gesetzes Druck auf die
    Länder auszuüben. Durch diese Strategie der vollende-
    ten Tatsachen sollen die Länder veranlasst werden, die
    neuen vom Bund geforderten Standards vorweg zu über-
    nehmen, und das, obwohl die bisherigen Standards nach
    Ansicht der Länder funktionieren.

    Weil die Frage des Geodatenzugangsgesetzes schon
    im Interesse der Bundesregierung gelöst ist, glaubt sie
    wohl, auf die enge Zusammenarbeit mit den Ländern im
    vorliegenden Fall verzichten zu können. Logischerweise
    sieht das im Gesetz selbst formulierte „Benehmen“ mit
    den Ländern, das dieser Harmonisierung vorausgehen
    soll, ja auch nur die schwächste Form der Kooperation
    zwischen Bund und Ländern vor. Eine vertrauensvolle
    und problemorientierte Kooperation zwischen Bund und
    Ländern sieht nach Auffassung meiner Fraktion jeden-
    falls anders aus.

    Zwei Anmerkungen zum Schluss:

    Erstens bedeutet das vorliegende Gesetz einen weite-
    ren großen Schritt zur Kommerzialisierung aller Geo-
    daten. Diese Entwicklung entspricht keineswegs den
    Grundsätzen von Open Data und Open Government.

    Zweitens hätten angesichts der ja umfassend geplan-
    ten Nutzung der Daten auch für Zivil- und Katastro-
    phenschutz datenschutzrechtliche Grundsätze auf-
    genommen werden können. Selbstverständlich bin ich
    mir dessen bewusst, dass das eigentliche Problem hin-
    sichtlich des Datenschutzes das Geodatenzugangsgesetz
    und die ihr zugrunde liegende EU-INSPIRE-Richtlinie
    ist. Aber: auf Letztere bezieht sich die Bundesregierung

    Zu Protokoll gegebene Reden





    Jan Korte


    (A) (C)



    (D)(B)


    ja ausdrücklich in den ersten Sätzen der allgemeinen
    Begründung des Gesetzentwurfs.

    Das BMI hat, warum auch immer, im Gesetzentwurf
    auf die Formulierung datenschutzrechtlicher Rahmen-
    bestimmungen verzichtet. Einige klarstellende Sätze und
    Bezüge zu den grundsätzlich mit der ausufernden
    Kommerzialisierung der Geodaten verbundenen Daten-
    schutzfragen – der Personenbeziehbarkeit bestimmter
    Geodaten also – hätten diesem Gesetzentwurf aus mei-
    ner Sicht gutgetan. Stattdessen werden auch hier in der
    Praxis wieder unendliche Umwege über die Regelungen
    des Bundesdatenschutzgesetzes notwendig werden. Aber
    das sind wir von Gesetzentwürfen der Bundesregierung
    ja auch nicht anders gewohnt.

    Aus all diesen Gründen ist der Fraktion Die Linke
    eine Zustimmung zu diesem Entwurf nicht möglich. Wir
    werden deshalb mit Enthaltung stimmen.


    (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Ziele des Entwurfes für ein Bundesgeoreferenz-
    datengesetz unterstützen wir ausdrücklich. Die ange-
    strebte stärkere Standardisierung der Erfassung und
    Darstellung von Georeferenzdaten ist Voraussetzung für
    die sinnvolle Nutzung dieser Daten durch die Behörden,
    die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft.

    Geodaten sind von großem Wert für die Erfüllung der
    Aufgaben der Verwaltung, etwa für die Planung von mo-
    dernen Transport- und Kommunikationssystemen. Die
    Öffentlichkeit und Zugänglichkeit von Geodaten ist
    zudem ein wichtiges Element der notwendigen Transpa-
    renz im demokratischen Rechtsstaat, in dem Bürgerin-
    nen und Bürger mitdiskutieren und mitentscheiden wol-
    len und sollen – zum Beispiel über die Verwirklichung
    von Infrastrukturprojekten. Geodaten sind außerdem ein
    wichtiges Wirtschaftsgut, aus dem neue, innovative Pro-
    dukte entwickelt werden können.

    Voraussetzung für eine effiziente Verwertung ist
    neben der öffentlichen Zugänglichkeit dieser Daten
    auch eine Standardisierung von Erfassung und Darstel-
    lung und eine größere Interoperabilität der technischen
    Formate, in denen die Daten zur Verfügung gestellt
    werden.

    Natürlich ist eine solche Standardisierung auch für
    den europäischen und internationalen Austausch nötig.
    Da haben wir vor allem auch im Hinblick auf die EU-
    Anforderungen aus der INSPIRE-Richtlinie noch eini-
    gen Aufholbedarf, sowohl was die Zugänglichkeit als
    auch was die Standardisierung der Veröffentlichung und
    die Downloadbarkeit dieser Daten angeht.

    Insofern begrüße ich das Vorhaben der Bundesregie-
    rung, sich da weiterzuentwickeln. Was uns die Bundes-
    regierung mit diesem Gesetzentwurf vorlegt, ist nach
    dem Geodatenzugangsgesetz 2009 aber leider nur ein
    weiterer Fetzen im Flickenteppich der gesetzlichen
    Regelungen zu Geodaten, der die wesentlichen Fragen
    und Probleme – das muss man leider an dieser Stelle
    sagen – auch weiterhin offenlässt.

    Dabei ist mir klar, dass die Standardisierung von
    Geodaten im Gefüge unseres Bundesstaates keine ein-
    fache Sache ist. Was aber nun nach jahrelanger
    Verhandlung des Gesetzentwurfs herausgekommen ist,
    kann aus meiner Sicht vor allem in zwei Bereichen nicht
    befriedigen:

    Erstens reichen die getroffenen Regelungen, die zu ei-
    ner größeren Standardisierung führen sollen, in keiner
    Weise aus, um eine stärkere Standardisierung und die
    Weiterentwicklung zu einem modernen, offenen Staat
    wirksam zu fördern. Es ist zu wenig, wie der vorliegende
    Gesetzentwurf das tut, einem interministeriellen Aus-
    schuss für Geoinformationswesen die Befugnis zu über-
    tragen, technische Richtlinien festzulegen und das
    Bundesamt für Kartographie und Geodäsie zur selbst-
    ständigen Bundesoberbehörde aufzuwerten. Da müsste
    sich der Gesetzgeber schon etwas weiter vorwagen und
    selbst Grundprinzipien des modernen offenen Staates im
    Sinne von Open-Data-Prinzipien festlegen.

    Zweitens. Völlig unbefriedigend und unangemessen
    ist an dem Gesetzentwurf außerdem, dass die zentralen
    Interessenskonfliktpunkte, die sich bei der Bereitstellung
    von Geodaten immer ergeben, in dem Gesetzentwurf
    einfach ausgeklammert werden. Der schwierige Konflikt
    zwischen verschiedenen öffentlichen und privaten Inte-
    ressen, zwischen dem berechtigten Transparenzinteresse
    der Öffentlichkeit, den wirtschaftlichen Interessen an
    Geodaten und den Datenschutzinteressen der Betroffe-
    nen löst sich aber nicht dadurch in Wohlgefallen auf,
    dass man ihn totschweigt. Wie man den Konflikt zwi-
    schen Transparenzanforderungen auf der einen Seite
    und Datenschutzinteressen auf der anderen Seite löst, ist
    zweifellos eine schwierige Frage in einer modernen
    Demokratie. Darauf gibt es gewiss keine einfachen
    Antworten, auch wir haben diese nicht. Dennoch hat
    sich meine Fraktion auf den Weg gemacht, diese Fragen
    anzugehen. Sie hingegen klammern diese Fragen ein-
    fach aus. Ich bin sicher, dass uns diese Fragen in den
    nächsten Jahren hier noch öfter beschäftigen werden,
    zum Beispiel bei der Reform des Informationsfreiheits-
    gesetzes.

    Zwei Dinge aber liegen auf der Hand, und sie machen
    den vorliegenden Gesetzentwurf ohne jegliche Behand-
    lung von Datenschutzfragen so unzureichend: Geodaten
    können von persönlichkeitsrechtlicher und datenschutz-
    rechtlicher Relevanz sein. Das bestreitet meines Wissens
    auch niemand. Diese Persönlichkeitsrechts- und Daten-
    schutzrelevanz potenziert sich mit einer Standardisie-
    rung der Erfassung, Darstellung und Bereitstellung, sie
    potenziert sich mit der Interoperabilität und der Verein-
    heitlichung technischer Richtlinien für die Bereitstel-
    lung von Daten. Denn dadurch wird es viel einfacher,
    Informationen mit Personenbezug zu sammeln, zu bün-
    deln und weiterzuverarbeiten. Damit muss man umge-
    hen, das muss datenschutzrechtlich aufgefangen werden.
    Der vorliegende Gesetzentwurf verliert darüber jedoch
    kein Wort. Meine Fraktion und ich können dem Entwurf
    deshalb leider nicht zustimmen.

    Zu Protokoll gegebene Reden






    (A) (C)



    (D)(B)