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deutsche Kraftwerke aufgrund der hohen Standards und senschaften mit all ihren Risiken für viele Generationen.
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Albert Rupprecht (Weiden)
(CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes
zur Änderung des Atomgesetzes und zu den Ab-
stimmungen zu weiteren Energiegesetzen (Ta-
gesordnungspunkt 4 und Zusatztagesordnungs-
punkte 3 und 4)
Ich respektiere den offensichtlich in der deutschen
Bevölkerung nach dem Reaktorunglück in Japan vor-
handenen Wunsch, schneller aus der Kernenergie in
Deutschland auszusteigen. Ohne Zweifel gibt es bei der
Kernenergie ein Restrisiko. Dies gilt auch für deutsche
Anlagen – wenngleich das Eintreten dieses Risikos für
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Ahrendt, Christian FDP 30.06.2011
Aigner, Ilse CDU/CSU 30.06.2011
Beck (Bremen),
Marieluise
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.06.2011
Becker, Dirk SPD 30.06.2011
Brand, Michael CDU/CSU 30.06.2011
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 30.06.2011
Dr. Danckert, Peter SPD 30.06.2011
Dr. Friedrich (Hof),
Hans-Peter
CDU/CSU 30.06.2011
Hardt, Jürgen CDU/CSU 30.06.2011
Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.06.2011
Höger, Inge DIE LINKE 30.06.2011
Homburger, Birgit FDP 30.06.2011
Nietan, Dietmar SPD 30.06.2011
Nink, Manfred SPD 30.06.2011
Nord, Thomas DIE LINKE 30.06.2011
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
er Expertise der deutschen Betreiber sehr unwahr-
cheinlich ist.
Ich respektiere den mehrheitlichen Wunsch der Be-
ölkerung und stimme den heute in den Deutschen Bun-
estag eingebrachten Energiegesetzen zu. Ich stimme zu,
bwohl ich erhebliche Bedenken habe. Der Wunsch zum
usstieg muss einhergehen mit erstens der Fähigkeit und
weitens der Bereitschaft, den Umstieg auch zu schul-
rn.
Ich bezweifle, dass die den Gesetzentwürfen zu-
runde gelegten Maßnahmen den Ausstieg im angestreb-
n Zeitrahmen ermöglichen. Ich befürchte, dass die
unschziele mit den Maßnahmen nicht zu erreichen
ind. So sehe ich zum Beispiel beim Ausbau der Ener-
iegewinnung aus Wind und Sonne das Speicherpro-
lem nicht ansatzweise gelöst.
Ich habe nach vielen Gesprächen mit Bürgerinnen
nd Bürgern auch nicht den Eindruck, dass die Bevölke-
ng mehrheitlich bereit ist, die damit verbundenen Be-
stungen zu tragen: Belastungen durch höhere Kosten,
urch den Ausbau des Leitungssystems, durch den Bau
on Windkraftanlagen in ihrer unmittelbaren Nähe usw.
unktionieren kann der Zeitplan nur, wenn der Wunsch
um Ausstieg gedeckt ist durch die Fähigkeit zum Um-
tieg und die Bereitschaft, die Belastungen des Umstiegs
uch zu tragen.
Ich befürchte daher, dass der Zeitplan nicht zu halten
t und im Ergebnis die absurde Situation auftreten kann,
ass deutsche Kernkraftwerke abgeschaltet werden, der
hlende Strom aus den Nachbarländern importiert wird
nd dann auch Strom aus Kernkraftwerken, zum Bei-
piel aus Tschechien – Temelin – oder Frankreich, nach
eutschland importiert wird.
nlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung
des Atomgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 a)
Karin Binder (DIE LINKE): Ich stimme dem Drei-
ehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes nicht
u.
Ich stimme dagegen, weil ein zügigerer Ausstieg aus
er Atomenergie machbar wäre. Da jedoch die Regie-
ng wirtschaftlichen Interessen der Kraftwerksbetreiber
bsoluten Vorrang einräumt, werden die Interessen der
enschen nach Gesundheit, Sicherheit und Nachhaltig-
eit in den Hintergrund gedrängt. Spätestens mit den Ka-
strophen von Tschernobyl und Fukushima wurde deut-
ch, welches Erbe wir nachfolgenden Generationen
interlassen. Jeder Tag längere Laufzeit für Kernkraft-
erke verlängert das Risiko und vermehrt die Hinterlas-
13616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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)(B)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme da-
gegen, weil die Dreizehnte AtG-Novelle keine Laufzeit-
verkürzung ist, wenn man den sogenannten rot-grünen
Atomkonsens zur Basis nimmt. Die Regierungskoalition
– und mit ihr SPD und Grüne – ziehen keine Konsequen-
zen aus der Nuklearkatastrophe von Fukushima, denn es
findet sich im Vergleich zur rot-grünen Regelung von
2001 keine Verbesserung der Atomgesetzgebung.
Die Linke im Bundestag fordert den Atomausstieg bis
Ende 2014. Wie dieser ohne Einschränkungen in der
Stromversorgung und ohne Strompreisexplosionen mög-
lich ist, hat sie dezidiert dargestellt und auch mit einer
Reihe von Anträgen untermauert. Und deshalb stimme
ich dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomge-
setzes nicht zu.
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Persönlich habe ich
meine berechtigten Zweifel an der Geschwindigkeit des
Atomausstiegs und der praktischen Umsetzung, dennoch
möchte ich mich als direkt gewählter Bundestagsabge-
ordneter dem überragenden Wunsch der Menschen in
unserem Land nicht entziehen. Meine Bedenken bei
meiner Zustimmung zum Atomausstieg möchte ich im
Folgenden aber kurz erläutern: Gerade beim Umbau des
Energienetzes weg vom Atomstrom hin zu alternativen
Energien der habe ich persönlich große Zweifel, was die
konkrete Umsetzung anbelangt. Eine große Mehrheit der
Bevölkerung will nach den Vorfällen in Japan so schnell
wie möglich aus der Atomenergie aussteigen. Aber der
Bürger muss sich langfristig damit abfinden, dass die
von ihm gewünschte Energiewende auch eine hässliche
Seite hat; denn sie könnte mit einer dramatischen Verän-
derung des Landschaftsbildes einhergehen. Derzeit dre-
hen sich mehr als 21 300 Windräder zwischen Passau
und Westerland. Bei einem Schnellausstieg in den nächs-
ten zehn Jahren ist eine Verzehnfachung der Windräder
in Deutschland realistisch. Riesengroße Rotoren werden
in der Landschaft stehen. Neue Überlandleitungen und
Bodenkabel werden gebaut bzw. durchs Land verlegt.
Gleiches gilt für Solaranlagen. Insofern wird schon bald
der gleiche Bürger, der jetzt den schnellen Ausstieg will,
häufig sagen: alternative Energien aus der Steckdose ja,
aber nicht vor meiner Haustür.
Die Öffentlichkeit muss erst davon überzeugt werden
und verstehen, dass der Bau von Windkraft-, Biogas-
und Solarkraftanlagen wesentlich mehr Raum einnimmt
als Kernkraftwerke. Deshalb rechne ich mit ungeahnten
Verärgerungswellen von betroffenen Anwohnern und
Gemeinden. Zudem hängt die Zukunftsfähigkeit von al-
ternativen Energieträgern davon ab, ob wir schnell Spei-
cherkapazitäten schaffen können; denn für die Grund-
lastabsicherung sind sie sonst nicht in dem Maße
verwertbar. Hier sind noch einige Fragen offen, und ich
bin mir nicht sicher, ob wir die gewünschte Substitution
der Grundlast durch alternative Energien in so kurzer
Zeit schaffen.
Unabhängig davon stimme ich den Gesetzentwürfen
auf Drucksachen 17/6246 und 17/6070 zu.
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Marco Bülow (SPD): Ich begrüße, dass Union und
DP nach jahrzehntelanger verfehlter Atompolitik sich
un endlich dazu entschlossen haben, aus dieser Risiko-
chnologie auszusteigen. Dies erkenne ich als Chance
r eine wirkliche Energiewende und als Fortschritt in
er bisherigen Energiedebatte an. Ich verstehe die Posi-
on meiner Fraktion, die sich trotz aller bleibenden Be-
enken dazu entschlossen hat, der Gesetzesvorlage zum
tomausstieg zuzustimmen. Die SPD möchte nicht den
indruck vermitteln, die späte Einsicht der Regierung zu
lockieren.
Nach langer Abwägung und der Auseinandersetzung
it dem Thema und dem vorliegenden Gesetzentwurf
soweit dies in der Kürze der parlamentarischen Bera-
ngszeit überhaupt möglich war – bin ich zu dem
chluss gekommen, der Regierungsvorlage nicht zu-
timmen zu können. Das möchte ich in dieser persönli-
hen Erklärung näher darlegen.
Es gibt eine Reihe von inhaltlichen und handwerkli-
hen Einzelpunkten, die ich für bedenklich halte. Ich bin
or allem fest davon überzeugt, dass man ohne die Ver-
orgungssicherheit zu gefährden und ohne große
reisanstiege zu riskieren, früher aussteigen könnte. Ich
alte es zudem nicht für ratsam, sechs AKW erst in den
tzten beiden Jahren, 2021 und 2022, des Ausstiegs-
lans vom Netz zu nehmen. Es gibt weitere Kritikpunkte
nd Versäumnisse, die aber alle ausreichend in den An-
ägen meiner Fraktion dargelegt wurden. Es gibt aber
arüber hinaus drei Hauptkritikpunkte, die für mich be-
onders zentral sind und die ich hier deshalb darlegen
öchte:
Erstens. Der Ausstieg wird nicht durch einen Staats-
ertrag oder eine Grundgesetzänderung manifestiert.
ach der plötzlichen Kehrtwende von Union und FDP in
er Atompolitik und nachdem sich eine Reihe von Politi-
ern der Regierungsparteien bereits wieder vom Aus-
tieg distanzieren, kann eine erneute Umpositionierung
icht ausgeschlossen werden.
Zweitens. Viele Experten bezweifeln, dass der Aus-
tiegsvertrag rechtssicher gestaltet wurde. Klagen der
etreiber könnten demnach milliardenschwere Scha-
ensersatzforderungen nach sich ziehen. Die Zeitpunkte
r die Abschaltungen der AKW sind teilweise willkür-
ch gewählt, und sie berücksichtigen nicht ausreichend
ie Ergebnisse der Reaktor-Sicherheitskommission.
onseiten der Regierung wurde kaum auf diese Beden-
en eingegangen, erst Recht konnten sie nicht ausge-
umt werden. Dies ist nicht nur nachlässig, sondern un-
erzeihlich, wenn man den Staatshaushalt nicht noch
usätzlich und sehenden Auges belasten will.
Drittens. Auch wenn ein Ausstiegsdatum für jedes
KW festgelegt wird, kann dies nicht zu Abstrichen bei
er Sicherheit führen, denn immerhin sechs AKW sollen
och etwa zehn Jahre laufen. Diese Schwachstelle hätte
usgeräumt werden können, wenn die Regierung der
orderung der SPD-Bundestagsfraktion nachgekommen
äre und endlich das neue Kerntechnische Regelwerk in
raft setzen und eine unabhängige und umfassendere Si-
herheitsüberprüfung veranlassen würde. Die Sicherheit
uss trotz Ausstieg immer an erster Stelle stehen und es
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13617
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ist nicht akzeptabel, dass dort Kompromisse gemacht
wurden.
Wenn man als Abgeordneter sein gutes Recht in An-
spruch nimmt, eine Gewissensentscheidung zu treffen,
sollte man diese auch gut begründen können. Sicher sind
die von mir aufgeführten einzelnen Bedenken schwer-
wiegend, aber sie bekommen vor allem deshalb eine
hohe Priorität, weil Unfälle in der Atomenergie verhee-
rende und unkalkulierbare Folgen haben können. Jedes
einzelne Jahr, das ein Atomkraftwerk früher vom Netz
geht, jede Sicherheitsnachrüstung könnten daher einen
entscheidenden Faktor darstellen.
Mein letzter wichtiger Kritikpunkt, der dazu führt,
dass mir eine Zustimmung unmöglich ist, ist die Art und
Weise, wie das Atomgesetz zustande gekommen ist und
durchgesetzt wurde. Weil in erster Linie nur die beteilig-
ten Fachpolitiker die ganze Vorgeschichte direkt miter-
lebt haben, möchte ich hier die Abläufe und meine Be-
gründung etwas detaillierter darstellen. Der Bundestag
und seine Abgeordneten sollten dem Anspruch gerecht
werden „die zentrale Rolle im politischen Willensbil-
dungs- und Entscheidungsprozess“ einzunehmen. Genau
dies habe ich zumindest bei den beiden Entscheidungen
zur Änderung des Atomgesetzes im letzten Herbst
– siehe meine persönliche Erklärung im Plenarprotokoll
17/68 – infrage gestellt. Das Parlament und seine Abge-
ordneten gelangen durch eine immer schnellere Abfolge
von umfangreichen Gesetzesvorlagen zunehmend an die
Belastungsgrenzen. Ist die Zeitnot, mit der wichtige Ge-
setze mit nachhaltigen Konsequenzen durch das Parla-
ment gejagt werden, in Einzelfällen eventuell berechtigt,
gilt dies sicher nicht für die jetzigen Energiegesetze.
Im Eilverfahren hat die Bundeskanzlerin Angela
Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima
zwei unlegitimierte Kommissionen eingesetzt. Dort ka-
men ohne Zweifel angesehene Fachleute zusammen. Sie
agierten allerdings ohne gewählte Abgeordnete und in
einer Zusammensetzung, die willkürlich allein von der
Kanzlerin festgelegt wurde. Völlig abgekoppelt vom
Parlament legten diese Kommissionen innerhalb von
sechs bzw. acht Wochen ihre Berichte und Empfehlun-
gen vor. In dieser Zeit gab es keinen Austausch zwischen
den beiden Kommissionen und dem zuständigen Bun-
destag. Das Parlamentsverfahren wurde in der kürzest-
möglichen Zeit durchgezogen, obwohl die Vorlage von
14 Einzelgesetzen nicht nur sehr umfangreich ist, son-
dern diese auch weitreichende Wirkung entfalten. Wün-
sche der Opposition nach längerer Beratungszeit, nach
frühzeitigen Anhörungen, damit daraus resultierende Er-
kenntnisse überhaupt eine Chance haben, noch im Ge-
setzesverfahren einbezogen zu werden, wiesen die Re-
gierungsfraktionen mit Mehrheitsbeschlüssen ab.
Am Montag, den 6. Juni, beschloss das Kabinett die
Vorlage zu den Gesetzen, die zu einem Gesamtpaket ge-
schnürt wurden. Am Mittwoch, den 8. Juni, bekamen die
Fachpolitiker vom Leiter der Ethikkommission, Klaus
Töpfer, in etwa 30 Minuten die Ergebnisse der Arbeit
der Ethikkommission präsentiert. Kaum Zeit für wenige
Fragen, geschweige denn zum Verarbeiten von Erkennt-
nissen und Beseitigen von Bedenken. Danach fand eine
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erkürzte Ausschusssitzung statt, dicht gefolgt von zwei
nhörungen zum Atom- und zum Erneuerbare-Ener-
ien-Gesetz – dies alles geballt in zwölf Stunden, anstatt
ausreichender Zeit verteilt über einen längeren Zeit-
um. Somit war es kaum möglich, wirklich aufmerksam
nd sachlich über die Gesetze zu diskutieren. Die Anhö-
ngen müssen deshalb als reine „Showveranstaltungen“
ezeichnet werden. Auch hier fehlte wieder die Zeit, re-
ultierende Erkenntnis noch zu verwerten. Am Donners-
g, den 8. Juni, erreichen die Gesetze das Plenum in der
rsten Lesung. Bereits in der darauffolgenden Sitzungs-
oche werden die Gesetze dann zur Abstimmung ge-
tellt.
Nachdem die Vertreter der Länder noch Änderungen
Verfahren bei den Atomgesetzen bewirken konnten,
am es im parlamentarischen Verfahren zu keinen sub-
tanziellen inhaltlichen Veränderungen. Der Gestal-
ngsanspruch des Bundestages konzentrierte sich aus-
chließlich auf die Oppositionsfraktionen, die intern
iskutierten und Änderungsvorschläge formulierten.
enn aber die Regierungsfraktionen – egal welche Par-
ien sie gerade bilden – ihren Gestaltungsanspruch, ihre
igentliche Entscheidungskompetenz aufgeben, halte ich
ies für äußerst bedenklich.
Der künstlich erzeugte Zeitdruck und die Kompetenz-
erlagerung von den Abgeordneten auf unlegitimierte
ommissionen führen zur Abwertung und Missachtung
es demokratischen parlamentarischen Verfahrens. Ge-
ählte demokratische Abgeordnete können und dürfen
in solches Vorgehen nicht zulassen. Ich jedenfalls kann
ies nicht akzeptieren und möchte mit einer Zustimmung
as fragwürdige Vorgehen im Nachhinein nicht legiti-
ieren.
Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Ich stimme dage-
en, weil es noch nie eine sichere Endlagerung des ato-
aren Mülls gab und auch nicht gibt. Jeder weitere Tag
rhöht das ungelöste Strahlenproblem. Die Bürgerinitia-
ve in Lüchow-Dannenberg wird weiter protestieren,
nd ich werde sie unterstützen. Auch gegen den nächs-
n Castortransport werden wir protestieren.
Die nukleare Katastrophe von Fukushima mahnt uns,
ie Atomkraftwerke abzuschalten, zurückzubauen, und
war unumkehrbar! Deshalb müssen ein Verbot der
tomkraftwerke und ein endgültiger Ausstieg ins
rundgesetz. Bis 2022 bedeutet, weitere elf Jahre die
ngst vor einer atomaren Katastrophe zu haben. Ich be-
enne, dass ich Angst vor einem Atomunfall habe, dass
h Angst habe um meine Kinder und meine Freunde.
ie werden uns im Bundestag fragen: Warum habt ihr
as nicht verhindert?
Die Menschen dürfen nicht dem Profitinteresse der
ier Energiekonzerne geopfert werden. Jeder Tag län-
ere Laufzeit eines Atomkraftwerks erhöht die Wahr-
cheinlichkeit einer atomaren Katastrophe. Verantwor-
ng bedeutet, nicht für die Profite verantwortlich zu
ein, sondern für die Gesundheit der Bevölkerung und
ukünftiger Generationen.
13618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ich stimme gegen das
Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes,
denn allen Mitgliedern des Bundestages ist bewusst,
dass ein Reaktorunglück nicht völlig ausgeschlossen
werden kann. Allen ist bewusst, dass die Risiken für die
Gesundheit und das Leben von Millionen von Menschen
im Falle eines Unglücks unkalkulierbar sind. Ich halte es
deshalb für unverantwortlich, den Ausstieg aus der
Atomenergie über ein Jahrzehnt zu verschleppen und
Hintertüren offenzuhalten. Das Votum der Menschen in
Deutschland ist eindeutig. Sie wollen das Ende der
Atomkraft. Die Politik hat kein Recht, sich darüber hin-
wegzusetzen.
Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
derung des Atomgesetzes nicht zu.
Annette Groth (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
weil ich gemeinsam mit der Mehrheit der Menschen in
Deutschland für einen sofortigen Atomausstieg bin und
nicht verantworten kann, dass Phillipsburg 2 noch bis
2019 und Neckarwestheim 2 bis 2022 weiterbetrieben
werden sollen und damit die Gefahr eines atomaren Un-
falls für die Menschen in Baden-Württemberg für wei-
tere elf Jahre gesetzlich festgeschrieben wird. Spätestens
Fukushima hat gezeigt, dass auch in hochtechnisierten
Ländern ein Atomunfall jederzeit droht. Auch wird wei-
terhin jedes Jahr zusätzlicher hochradioaktiver Atom-
müll produziert, der eine unverantwortliche Hypothek
für die nächsten Generationen darstellt. Dies ist mit einer
verantwortbaren Energiepolitik nicht zu vertreten. Des-
halb stimme ich dem Entwurf eines Dreizehnten Geset-
zes zur Änderung des Atomgesetzes nicht zu.
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ich stimme unter Hint-
anstellung größter nachfolgender Bedenken dem Gesetz
zur Änderung des Atomgesetzes, Drucksache 17/6070,
zu:
Erstens. Obwohl ich einen schnellstmöglichen unum-
kehrbaren Ausstieg aus der Kernenergie will, bin ich ge-
gen das feste Ausstiegsdatum 2022, weil ich befürchte,
dass der Umbau gegebenenfalls länger dauert und dann
Strom aus Kernkraftwerken benachbarter Länder wie
Tschechien oder Frankreich bezogen werden muss.
Zweitens. Zudem liegen keine genauen Angaben da-
rüber vor, was der Umstieg in der Energieversorgung
Verbraucher, Unternehmen und Steuerzahler kostet. Da-
bei darf insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft nicht durch stark steigende Strom-
preise gefährdet werden. Bei Versorgungsproblemen
muss Sorge getragen werden, dass eine politische Neu-
bewertung der nationalen Stromversorgung erfolgen
wird.
Drittens. Darüber hinaus betrachte ich es als Fehler,
die Endlagersuche erneut aufzunehmen. In Gorleben
sind in den zurückliegenden 35 Jahren bereits 1,5 Mil-
liarden Euro für Erkundungen und Überprüfungen inves-
tiert worden. Es ist nicht nachvollziehbar, an anderen
Orten jetzt nochmals von vorn zu beginnen
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Viertens. Die Kernenergiefrage muss meiner Meinung
ach im internationalen, zumindest im europäischen und
icht nur im nationalen Rahmen gelöst werden. Schließ-
ch sind rund um Deutschland 37 Kernkraftwerke in
lanung oder im Bau. Falls dort etwas passieren sollte,
acht die Strahlenbelastung nicht an unseren Grenzen
alt.
Die Bundesregierung ist aufgefordert, ihre diesbezüg-
chen Aktivitäten aufrechtzuhalten und alle Möglichkei-
n der Einflussnahme zum Ausstieg aus der Kernener-
ie auch in anderen Ländern zu nutzen.
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Ich habe grund-
ätzlich Verständnis dafür, dass die SPD-Bundestags-
aktion ihre Unterstützung zum Gesetzentwurf der
undesregierung zur Änderung des Atomgesetzes signa-
siert hat. Nach diesem Gesetz würde das Atomkraft-
erk, AKW, Grafenrheinfeld in meinem Wahlkreis je-
och erst im Jahr 2015 abgeschaltet. Nach dem
tomkonsens von Rot-Grün wäre das AKW Grafen-
einfeld immerhin ein Jahr früher, nämlich 2014, vom
etz genommen worden.
Ich kann dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn
ufgrund der Vorfälle in den Jahren 2010 und 2011 ist es
icht länger verantwortbar, das AKW Grafenrheinfeld
eiter zu betreiben. Die bayerische Atomaufsicht hat im
nschluss an einen bei der Revision 2010 festgestellten
öglichen Riss an einem Rohr im Primärkreislauf des
KW Grafenrheinfeld nicht ordnungsgemäß gehandelt.
s ist unverantwortlich, dass die bayerische Atomauf-
icht aufgrund ihrer oberflächlichen und dilettantischen
orgehensweise weiterhin die Verantwortung für das
KW Grafenrheinfeld hat.
Deshalb muss Grafenrheinfeld am besten sofort, aber
uf jeden Fall so bald wie möglich vom Netz. Nach vor-
egenden seriösen alternativen Berechnungen müsste es
öglich sein, Grafenrheinfeld sofort abzuschalten. Ein
bwarten bis Ende 2015 ist der Bevölkerung unter die-
en Umständen jedenfalls nicht zuzumuten.
Bei der Revision 2010 wurde festgestellt, dass im
KW Grafenrheinfeld möglicherweise ein Riss an ei-
em Rohr im Primärkreislauf vorhanden ist. Dieser Vor-
ll sollte erst bei der Revision 2012 erneut überprüft
erden. Der Vorschlag kam von Eon, wurde von der be-
utachtenden Stelle TÜV Süd befürwortet und die baye-
sche Atomaufsicht hat sich dem so angeschlossen.
Das Bundesumweltministerium, BMU, wurde über
iesen Sachverhalt nicht informiert, weil die oben ge-
annten Beteiligten der Meinung waren, der Befund sei
ein meldepflichtiges Ereignis. Das BMU erfuhr bei
achgesprächen von dem Vorfall, stufte diesen eindeutig
ls meldepflichtiges Ereignis ein und bestand auf einer
rdnungsgemäßen Meldung, die aus Sicht des Ministe-
ums sofort nach der Entdeckung notwendig gewesen
äre, siehe auch weiter unten. Die Meldung erging dann
in halbes Jahr nach Feststellung des Risses im Dezem-
er 2010 an das BMU. Es wurde daraufhin festgelegt,
ass bereits bei der Revision 2011 und nicht erst 2012
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13619
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)(B)
das Rohr erneut zu untersuchen und gegebenenfalls aus-
zutauschen ist.
Im Bezug auf den Schutz der Bevölkerung hätte die
bayerische Atomaufsicht bereits im Juni 2010 eine Mel-
dung an das BMU machen müssen. Die Behörde besteht
aber noch heute darauf, dass sie dazu nicht verpflichtet
gewesen sei und auch künftig so weiter verfahren will.
Der zuständige bayerische Minister Söder erklärte auf
eine Anfrage aus dem Landtag, ein eventueller Austritt
von Radioaktivität an diesem Rohr wäre beherrschbar
gewesen. Wie mir das BMU auf meine Nachfrage er-
klärte, heißt beherrschbar, dass laut § 49 Strahlenschutz-
verordnung in der Umgebung des AKW Grafenrheinfeld
Radioaktivität austreten kann mit einer Körperdosis von
bis zu 50 Millisievert oder einer Organdosisbelastung bis
150 Millisievert.
Minister Söder und die bayerische Atomaufsicht wa-
ren bereit, die Gesundheit der Bevölkerung zu gefähr-
den, um dem Kraftwerksbetreiber Unannehmlichkeiten
zu ersparen. Diese Haltung kann in Bezug auf eine se-
riöse Gefahrenabwehr unter keinen Umständen akzep-
tiert werden. Man stelle sich vor, die Polizei würde bei
der Entschärfung von Bomben aus dem Zweiten Welt-
krieg auf Evakuierungen verzichten und dies damit be-
gründen, es sei ja bisher nichts Gravierendes passiert.
Mein scharfes Urteil über die Arbeitsweise der baye-
rischen Atomaufsicht habe ich mir nicht aus den Fingern
gesogen. Es beruht auf den Widersprüchlichkeiten und
unterschiedlichen Bewertungen des Staatsministeriums
für Umwelt und Gesundheit, StMUG, und des Bundes-
ministeriums für Umwelt.
Die Widersprüchlichkeiten der Antworten des Bayeri-
schen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit,
StMUG, und des Bundesministeriums für Umwelt,
BMU, in Bezug auf den ungeklärten Befund an einer
Rohrleitung des AKW Grafenrheinfeld während der Re-
vision 2010 zeige ich im Folgenden auf:
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und
Gesundheit, StMUG
Quellen: Bayerischer Landtag/16. WP – 16/8066,
8067, 806B, 8069, 8070, 8072. Fragen der Abgeordne-
ten Ludwig Hartmann, Simone Tolle, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN.
Bayerischer Landtag/16. WP – 16/8206. Schriftliche
Anfragen des SPD-Abgeordneten Ludwig Wörner.
Frage:
Wann wurde das Bundesumweltministerium zum
ersten Mal durch die Bayerische Atomaufsicht über
den Befund informiert?
Antwort:
Es bestand keine Berichtspflicht gegenüber dem
BMU, da es sich bei der Ultraschallanzeige nicht
um ein meldepflichtiges Ereignis gemäß der Atom-
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rechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Meldever-
ordnung des Bundes handelt …
Frage:
Welche Argumente begründeten die Entscheidung,
dass der Befund nicht unter die Kriterien des Punk-
tes 2.2. (Kriterium N 2.2.1 Zitat: „Schäden, insbe-
sondere Risse, Verformungen oder Unterschreitun-
gen von Sollwandstärken …“) der Anlage 1 der
AtSM (Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten
und Meldeverordnung) fällt?
Antwort:
Der Befund an der Volumenausgleichsleitung des
KKW Grafenrheinfeld war nicht meldepflichtig,
weil die Voraussetzungen der Atomrechtlichen
Sicherheitsbeauftragten und Meldeverordnung
(AtSMV) nicht gegeben sind. Das gilt bis heute.
Das Kriterium N 2.2.1 der Anlage 1 der AtSMV ist
nichterfüllt, weil ein Riss nicht festgestellt wurde
…
Frage:
Wieso hat es die Bayerische Atomaufsicht zugelas-
sen, dass der Reaktor des Kernkraftwerkes Grafen-
rheinfeld am Ende der Revision im Juni 2010 wie-
der hochgefahren werden durfte, obwohl – wie ein
Vertreter der Staatsregierung in der Sitzung des Um-
weltausschusses am 27. Januar 2011 einräumte – die
Ursachen der veränderten Ultraschallanzeige bis
heute nicht bekannt ist?
Antwort:
Das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit
hat die Ultraschallanzeige an der Volumenaus-
gleichsleitung im Bereich des Thermoschutzrohres
des Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld noch bei An-
lagenstillstand zusammen mit dem TÜV Süd auf
der Grundlage materialwissenschaftlicher Berech-
nungen eingehend geprüft und bewertet. Das Er-
gebnis des TÜV Süd vom 15. Juni 2010 war ein-
deutig: Die Integrität der Rohrleitung ist voll
gewährleistet, der Befund ist damit sicherheitstech-
nisch unbedenklich.
Der TÜV Süd hat bei seinen Bewertungen alle ge-
mäß Stand von Wissenschaft und Technik zu be-
trachtenden Ursachen berücksichtigt. Auch die
Reaktorsicherheitskommission (RSK) und ihr Aus-
schuss „Druckführende Komponenten und Werk-
stoffe“ haben sich mit der Frage der Ursachen be-
fasst. Das Ergebnis von TÜV Süd und RSK war
eindeutig: Keine der denkbaren Ursachen stellte die
Sicherheit der Anlage in Frage.
Frage:
Wer traf wann und aufgrund welcher Erkenntnisse
die Entscheidung, obwohl weitergehende Untersu-
chungen angeblich den Verdacht auf einen Riss
nicht erhärten konnten, dass der Befund am 16. De-
zember doch noch als meldepflichtiges Ereignis an-
gezeigt wird?
13620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Antwort:
Mit der eindeutigen Stellungnahme des TÜV Süd
vom 15.06.2010 wurde die sicherheitstechnische
Unbedenklichkeit bestätigt. Der Befund war im
Juni 2010 nicht meldepflichtig, weil die Vorausset-
zungen der Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftrag-
ten- und Meldeverordnung (AtSMV) des Bundes
nicht erfüllt sind. Das gilt bis heute. Die RSK hat
einhellig die Integrität des Rohrstücks – wie zuvor
bereits der TÜV Süd – bestätigt …
Frage:
Warum wird als Ereignisdatum der 16.12.2010 um
17 Uhr gemeldet?
Antwort:
Aufgrund der Befassung der RSK am 16.12.2010
hat der Betreiber „rein vorsorglich“ und „vorläu-
fig“, also ohne Anerkennung einer Rechtspflicht,
eine formelle Meldung erstattet. Im vorliegenden
Fall handelt es sich um eine Meldung der Meldeka-
tegorie N (Normalmeldung) der INES-Stufe „0“
(keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Be-
deutung).
Frage:
Warum akzeptiert die Bayerische Atomaufsicht die-
ses Ereignisdatum, obwohl offensichtlich der Be-
fund im Juni 2010 festgestellt wurde?
Antwort:
Der Befund ist nicht meldepflichtig gemäß der
Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Mel-
deverordnung. Das StMUG hat die vorläufige Mel-
dung des Betreibers entgegengenommen, auch
wenn es sich nach Überzeugung des StMUG nicht
um ein meldepflichtiges Ereignis handelt …
Frage:
Aufgrund welcher Erkenntnisse kann die Bayeri-
sche Atomaufsicht jeglichen Zusammenhang des
Befundes mit dem Lastfolgebetrieb ausschließen?
Antwort:
Das KKW Grafenrheinfeld ist für den Lastfolgebe-
trieb ausgelegt. In die sicherheitstechnischen Über-
prüfungen ist der Lastfolgebetrieb mit einbezogen
worden. Eindeutiges Ergebnis: Die Integrität der
Rohrleitung ist nicht infrage gestellt …
Bundesministerium für Umwelt, BMU
Quelle: Deutscher Bundestag/17. WP – 17/5734. Fra-
gen der SPD-Abgeordneten Frank Hofmann, Marianne
Schieder, Martin Burkert, Dr. Matthias Miersch,
Susanne Kastner.
Frage:
Welche Ergebnisse hat die aktuelle Revision im
Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, insbesondere hin-
sichtlich des möglicherweise schadhaften Thermo-
schutzrohrs, ergeben?
(C
(D
Antwort:
Im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld wurde während
der Revision im Sommer 2010 bei einer Ultra-
schalluntersuchung an der Volumenausgleichslei-
tung ein im Sinne des kerntechnischen Regelwerks
bewertungspflichtiger Befund festgestellt. Auf-
grund dieser Untersuchung war ein Riss von bis zu
2,7 mm auf einer Länge von 33 cm (30 Prozent des
Umfangs) anzunehmen.
Dem Betreiber des Kernkraftwerkes wurde aufer-
legt, bis März 2011 die Schadensursache und den
Schadensmechanismus plausibel und nachvollzieh-
bar darzulegen und den spezifikationsgerechten Zu-
stand herzustellen.
Am 6. April 2011 wurde in der 109. Sitzung des
Ausschusses der Reaktor-Sicherheitskommission
(RSK) „Druckführende Komponenten und Werk-
stoffe“ in einem Bericht des Betreibers mitgeteilt,
dass sich die Messergebnisse und die Befundlage
nach erneuter Prüfung mittels Ultraschall seit der
letzten Messung in der Revision 2010 nicht verän-
dert haben. Die Schadensursache konnte nicht ge-
klärt werden, so dass nunmehr ein Heraustrennen
des befundbehafteten Bereichs zu weiteren Unter-
suchungen erforderlich wurde.
Frage:
Ist es richtig, dass eine Risswachstumsberechnung
nach dem Stand von Wissenschaft und Technik be-
lastbar nur durchgeführt werden kann, wenn der
Schädigungsmechanismus bekannt ist, und falls ja,
um welche Art von Schadensmechanismus handelt
es sich?
Antwort:
Zur Durchführung einer Risswachstumsberechnung
ist die Kenntnis aller auf die Komponente wirken-
den Einwirkungen, deren Häufigkeit, Art, Größe,
Temperatur, Medium, Werkstoff, Fertigung, Maß-
abweichungen sowie die Kenntnis über den zu un-
terstellenden Schädigungsmechanismus erforder-
lich. Die Schadensursache ist bisher nicht bekannt.
Nach dem inzwischen erfolgten Heraustrennen des
befundbehafteten Bereichs zu weiteren Untersu-
chungen während der aktuellen Revision und nach
den zerstörenden Materialuntersuchungen in dafür
geeigneten heißen Zellen ist Mitte 2011 mit ersten
Ergebnissen bezüglich des Schädigungsmechanis-
mus zu rechnen.
Frage:
Welche Unterlagen lagen der Reaktor-Sicherheits-
kommission in der Sitzung am 16. Dezember 2010
zur Beurteilung des Schadensmechanismus in der
Volumenausgleichsleitung vor, und wurde den
RSK-Mitgliedern insbesondere das einschlägige
Schreiben des TÜV Bayern zur Verfügung gestellt?
Antwort:
In der RSK-Sitzung am 16. Dezember 2010 hat der
Vorsitzende des RSK-Ausschusses „Druckfüh-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13621
(A) )
)(B)
rende Komponenten und Werkstoffe“ unter dem Ta-
gesordnungspunkt Verschiedenes über die voraus-
gegangenen Beratungen in diesem Ausschuss
berichtet. Die Gutachten des TÜV Bayern lagen
dem RSK-Ausschuss vor. Die RSK hat keine Beur-
teilung des Schadensmechanismus vorgenommen,
sondern es wurde ein Meinungsbild darüber abge-
fragt, ob ein sicherer Betrieb der Anlage bis zur an-
stehenden Revision im März 2011 mit der darge-
stellten Befundlage gewährleistet sein wird. Hierzu
empfahl die RSK, im Zuge der nächsten anstehen-
den Revision im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld
Ende März 2011 den in Frage stehenden Quer-
schnitt erneut gezielt zerstörungsfrei zu prüfen und
die Schadensursache zu ermitteln.
Frage:
Ist das Ereignis im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld
vom Juni 2010 ein nach der Meldeverordnung mel-
depflichtiges Ereignis oder wurde es erst durch die
Beratung in der Reaktor-Sicherheitskommission
meldepflichtig?
Antwort:
Der Befund an der Volumenausgleichsleitung, der
während der Revision 2010 festgestellt wurde, war
nach Auffassung des BMU gemäß Meldeverord-
nung mit einer vorläufigen Meldung (Ereignisursa-
che ist noch unbekannt) meldepflichtig. Nach den
Beratungen in der Reaktorsicherheitskommission
– 16.12.2010 –
hat der Betreiber eine Meldung abgegeben.
Frage:
Handelt es sich bei der Befundanzeige am Rohr im
Primärkreislauf des Atomkraftwerks Grafenrhein-
feld um eine registrierpflichtige oder nicht regis-
trierpflichtige Anzeige, und wie lang ist dieser Be-
fund bzw. erstreckt er sich über den gesamten
Umfang des Rohres?
Antwort:
Im Rahmen der wiederkehrenden Prüfung wurde in
der Revision 2010 der Verrundungsbereich des
Thermoschutzrohres am Anschluss der Volumen-
ausgleichsleitung an die Hauptkühlmittelleitung ei-
ner mechanisierten Ultraschallprüfung unterzogen.
Bei der Prüfung wurde eine bewertungspflichtige
Anzeige festgestellt. Die Anzeige befindet sich am
oberen Ende der Verrundung … Die Anzeige ist
über ihre Echohöhe registrierpflichtig und wird auf-
grund ihrer Ausdehnung bewertungspflichtig.
Frage:
Wie ist die Steigerung des Befundes an einem Rohr
im Primärkreislauf des Kernkraftwerks Grafen-
rheinfeld von 2001 bis 2010 mit den vom TÜV
Bayern durchgeführten Berechnungen, insbeson-
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dere im Hinblick auf die in der Anlage tatsächlich
stattgefundenen Lastwechsel, erklärbar?
Antwort:
In der Revision 2010 wurde im Rahmen der wieder-
kehrenden zerstörungsfreien Prüfung im Vergleich
mit der Prüfung im Jahr 2001 eine veränderte An-
zeige, die als Befund zu bewerten ist, festgestellt.
Mit den bisher dokumentierten Lastwechselzahlen
ist die Veränderung der Anzeige ohne Ermittlung
der Schadenursache nicht erklärbar.
Frage:
Hat der TÜV Bayern bei seinen Risswachstumsbe-
rechnungen die nach dem Stand von Wissenschaft
und Technik zu unterstellenden Auslegungsstörfälle
berücksichtigt, und wurde bei der Risswachstums-
berechnung auch berücksichtigt, dass das Werk-
stoffverhalten auch durch das Medium Kühlwasser
mit ca. 310 Grad Celsius beeinflusst wird?
Antwort:
Der TÜV Bayern hat bei seinen Risswachstumsbe-
rechnungen die Auswertungen der tatsächlichen
Temperaturschwankungen und die maximal maß-
geblichen Belastungen durch Auslegungsstörfälle
sowie für Volllast und Flugzeugabsturz konservativ
– das heißt sicherheitsgerichtet –
berücksichtigt.
Andrej Hunko (DIE LINKE): Ich stimme aus folgen-
en Gründen gegen diesen Gesetzentwurf der Bundesre-
ierung:
Erstens. Die Verschiebung des Atomausstieges auf
as Jahr 2022 ist wissenschaftlich nicht begründbar. Ein
tomausstieg wäre erheblich früher möglich, wie zahl-
iche Gutachten bestätigen. Es geht hierbei offensicht-
ch darum, den Ausstieg für die vier großen Energie-
onzerne rentabel zu machen.
Zweitens. Die Bundesregierung verzichtet darauf, das
erbot der industriellen und militärischen Nutzung der
tomenergie ins Grundgesetz aufzunehmen und damit
ine künftige Wiederaufnahme der Nutzung der Atom-
nergie zumindest erheblich zu erschweren. Damit
önnte – ähnlich wie beim von der SPD und Grünen ver-
bschiedeten Atomgesetz aus dem Jahre 2001 – der Aus-
tieg aus dem Ausstieg mit einfacher Mehrheit im Bun-
estag beschlossen werden.
Drittens. Die Bundesregierung verzichtet auch darauf,
ternationale Initiativen zu starten, die auf einen welt-
eiten Ausstieg aus der Atomenergie zielen. Insbeson-
ere verzichtet sie darauf, auf die Auflösung und den
usstieg aus dem EURATOM-Vertrag hinzuarbeiten,
er die milliardenschwere Förderung der Atomenergie
ber die EU festschreibt. Atomare Strahlung macht aber
icht an nationalen Grenzen halt.
All das ist aus meiner Sicht nicht verantwortbar; des-
alb stimme ich gegen den Gesetzentwurf der Bundesre-
ierung.
13622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Der 11. März 2011 wird in die Geschichte der
Menschheit eingehen. Nach dem verheerenden Erdbe-
ben und Tsunami in Japan hat in dem Atomkraftwerk
Fukushima ein nuklearer Super-GAU stattgefunden.
Dieses Ereignis hat die ganze Welt bewegt. Auch mich
hat dies tief betroffen gemacht. Wie ganz viele Men-
schen war ich voller Traurigkeit und großer Sorge. Mit
meinen Gedanken bin ich bei den Menschen in Japan,
wo die nukleare Katastrophe weiter anhält und Hundert-
tausende Menschen noch Jahrzehnte von den tödlichen
Konsequenzen betroffen sein werden.
Als der Atomreaktor in Tschernobyl 1986 explo-
dierte, war ich gerade mal ein Jahr alt. Jetzt bin ich mitt-
lerweile 26 Jahre alt, und während meines Lebens haben
sich zwei Super-GAUs ereignet. Das sogenannte Rest-
risiko ist leider verdammt real. Die Wahnsinnstechnolo-
gie Atomkraft ist nicht beherrschbar. Die Konsequenz
25 Jahre nach Tschernobyl und im Jahr von Fukushima
kann nur lauten: Atomkraft endgültig und so schnell wie
möglich abschalten!
Dafür habe ich mit Hunderttausenden Menschen in
der Bundesrepublik Deutschland auf den Straßen de-
monstriert: bei den Mahnwachen vor dem Kanzlerinnen-
amt in Berlin, bei der Umzingelung des Atomkraftwer-
kes Grohnde, bei der Großdemonstration in Hannover.
Der 28. Oktober 2010 – an dem hat die schwarz-gelbe
Koalition die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke
durch das Parlament gebracht – war für mich bisher der
schwärzeste Tag als Bundestagsabgeordneter. Deswegen
freue ich mich ausdrücklich, dass nun mit dieser vorlie-
genden Dreizehnten Novelle des Atomgesetzes, AtG, die
sieben ältesten Schrottreaktoren und der Pannenreaktor
Krümmel abgeschaltet werden und die verheerende
schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung zurückgenommen
wird. Das ist ein großer Erfolg.
Diese Atomgesetz-Novelle der schwarz-gelben Bun-
desregierung zieht meines Erachtens aber nicht alle not-
wendigen Lehren und Konsequenzen aus dem katastro-
phalen Super-GAU in Fukushima. Die letzten sechs
Atomkraftwerke sollen erst in über zehn Jahren, am
31. Dezember 2021 bzw. am 31. Dezember 2022, abge-
schaltet werden. Nach Fukushima ist es aus meiner Sicht
geboten, so schnell wie nur irgendwie machbar aus der
tödlichen Gefahr Atomkraft auszusteigen. Dass diese
Lehre aus dem Super-GAU in Japan gezogen wurde,
kann ich bei den festgelegten Laufzeiten nicht erkennen.
Technisch und rechtlich wäre eine Abschaltung aller
Atomkraftwerke in Deutschland schon deutlich vor 2022
möglich. Deswegen werde ich mit aller Kraft mit den
Umweltverbänden, der Antiatombewegung und vielen
Zehntausenden Bürgerinnen und Bürgern für einen deut-
lich schnelleren Atomausstieg kämpfen.
Das Atomkraftwerk Grohnde in meiner Region, rund
40 Kilometer von meinem Zuhause entfernt, soll noch
mehr als zehn Jahre, bis zum 31. Dezember 2021, am
Netz bleiben. Damit würde der Meiler insgesamt
37 Jahre in Betrieb sein. Je länger ein Atomkraftwerk
läuft, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Unfäl-
len. Das AKW Grohnde ist mit 223 meldepflichtigen
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wischenfällen seit Inbetriebnahme sehr störanfällig. Si-
herheitsverschärfungen für die am Netz bleibenden
KW sind nach der Dreizehnten AtG-Novelle nicht vor-
esehen. Nicht einmal die schwarz-gelben Sicherheits-
ufweichungen aus dem Herbst 2010 sollen zurückge-
ommen werden. § 7 d des Atomgesetzes führt weiterhin
u einer Absenkung des Sicherheitsstandards für Atom-
raftwerke. Dass es nach Fukushima weiterhin Rabatt
ei der Sicherheit für Atomkraftwerke gibt, ist für mich
öllig unverständlich. Meine Fraktion klagt deswegen
egen den § 7 d vor dem Bundesverfassungsgericht.
Bei der Bewertung der vorliegenden AtG-Novelle ist
udem für mich die Endlagerung des nuklearen Mülls
ine entscheidende Frage. Hier gibt es bisher überhaupt
einen Fortschritt. Gemeinsam mit vielen Freundinnen
nd Freunden aus dem Wendland wehre ich mich seit
ielen Jahren dagegen, dass in Gorleben weiter Fakten
eschaffen werden und ein ungeeigneter Endlagerstand-
rt zementiert wird. Aus diesem Grund habe ich auch
eit vielen Jahren gegen die Castortransporte im Wend-
nd auf der Straße und der Schiene, auf Sitzblockaden
nd Demonstrationen friedlich und entschlossen protes-
ert. Der Salzstock Gorleben ist geologisch ungeeignet,
olitisch verbrannt und gehört endgültig aufgegeben.
ie schwarz-gelbe Bundesregierung hat 2010 das Mora-
rium für eine Erkundung aufgehoben. Bundeskanzle-
n Angela Merkel und Norbert Röttgen haben am
. Juni 2011 in der Debatte zur Atom- und Energiepolitik
ngekündigt, „ergebnisoffen“ in Gorleben weiter erkun-
en zu wollen. Das heißt übersetzt: Der Schwarzbau in
orleben soll einfach so weitergehen. Dagegen wehren
ich zu Recht die Menschen im Wendland und Tausende
tomkraftgegner und -gegnerinnen. Absolut notwendig
äre stattdessen ein Baustopp in Gorleben, die Strei-
hung der Enteignungsklausel, „Lex Bernstorff“, aus
em Atomgesetz und eine neue bundesweite ergebnisof-
ne, vergleichende Endlagersuche mit umfangreicher
ürgerbeteiligung nach den wissenschaftlichen Kriterien
es AK End. Gorleben kann genauso wenig Standort im
ergleichsverfahren werden, wie die gescheiterten
tandorte Asse und Morsleben solchen Kriterien stand-
ehalten hätten. Gorleben soll leben, nicht strahlen.
Ich habe über die Entscheidung über mein Abstim-
ungsverhalten zu der Dreizehnten AtG-Novelle sehr
nge nachgedacht und persönlich stark mit mir gerun-
en. Der Beschluss der außerordentlichen Bundesdele-
iertenkonferenz meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen,
er AtG-Novelle trotz substanzieller Kritik zuzustim-
en, war für mich dabei eine sehr entscheidende Grund-
ge. Trotzdem ist das eine äußerst schwierige Situation
nd stellt für mich ein Dilemma dar. Ich kritisiere wei-
rhin scharf, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung
ach dem Super-GAU in Fukushima nicht den schnellst-
öglichen Atomausstieg vollziehen will, es keine Ver-
esserungen bei der Sicherheit gibt, in Gorleben weiter
chwarz gebaut wird und die Urananreicherungsanlage
Gronau und die Brennelementeproduktion in Lingen
eiter betrieben werden sollen. Doch auch wenn das
tomgesetz bei diesen Punkten weiter völlig unzurei-
hend bleibt, muss ich mich zu der konkret vorliegenden
reizehnten AtG-Novelle verhalten. Diese sieht die Ab-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13623
(A) )
)(B)
schaltung von acht alten Schrottreaktoren vor und nimmt
die Laufzeitverlängerung aus dem Herbst 2010 zurück.
Für diese deutliche Verbesserung des Status quo werde
ich insgesamt nach einer langen, intensiven Gesamtab-
wägung mit Ja stimmen. Das ist ein wichtiger Schritt auf
dem Weg zum Atomausstieg, der Kampf geht jedoch un-
vermindert weiter: gegen Castortransporte und ein End-
lager Gorleben, für massive Sicherheitsverschärfungen
und für einen schnellen Atomausstieg, nicht nur in
Deutschland, sondern weltweit.
Harald Koch (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
weil man beim Atomausstieg keine Hintertüren geöffnet
lassen darf und er eben nicht erst 2022, sondern schon
2014 erfolgen muss und auch kann. Jeder zusätzliche
Tag setzt die Menschen unnötigen Risiken aus; die
Amortisation für die Energieriesen darf nicht länger im
Vordergrund stehen. Um den Atomausstieg unumkehr-
bar zu machen, fordere ich eine Aufnahme des Verbots
der Atomstromnutzung ins Grundgesetz. Die Ener-
giewende muss sozial ausgewogen sein; dazu dienen
Strompreisregulierung und Stromsozialtarife.
Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
derung des Atomgesetzes nicht zu.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist die
Atomkatastrophe in Fukushima, die die Wende in der
Atompolitik der schwarz-gelben Koalition herbeigeführt
hat. Deutschland beginnt heute mit dem endgültigen
Ausstieg aus dieser unbeherrschbaren Risikotechnolo-
gie. Dieses Signal ist auch international von großer Be-
deutung. Es ist ein historischer Sieg der vielen Men-
schen in der Anti-AKW-Bewegung, der Umweltverbän-
de und von Bündnis 90/Die Grünen. Dieses Signal zu
verstärken, ist meine Absicht. Aus diesem Grund stimme
ich für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än-
derung des Atomgesetzes.
Dennoch fällt diese Entscheidung nicht leichten Her-
zens. Denn der vorgelegte Plan ist nicht der schnellst-
mögliche Ausstieg, sondern ein Kompromiss auf dem
Weg dahin. Ein Ausstiegsdatum zum Jahr 2017 ist mei-
ner Überzeugung nach möglich und hätte technisch
durchgesetzt werden können. Meine Positionen, unter
anderem zu Fragen der Sicherheit, zu den Hermesbürg-
schaften, zu Gorleben oder zu Gronau, zur Verankerung
im Grundgesetz, sind nicht im Gesetz aufgegriffen.
Doch die vielen persönlichen Debatten, auch in der grü-
nen Partei, zeigen, dass diesem Etappensieg im Rahmen
des Atomgesetzes zugestimmt werden kann.
Dem Ausstieg auf der einen Seite muss jetzt der Um-
stieg auf die erneuerbaren Energien gegenüberstehen.
Doch das Energiepaket der Bundesregierung überzeugt
in weiten Teilen ganz und gar nicht. Dies ist fahrlässig
und verantwortungslos. Daher werde ich der Überarbei-
tung der Energiegesetze nicht zustimmen. Hier geht der
Kampf weiter.
Die Geschichte der Atompolitik in Deutschland ist
nicht zu Ende. Sie vollzieht sich aber jetzt unter andere
Vorzeichen. Diese Zäsur ist auch international von größ-
ter Bedeutung. Das ist mir sehr wichtig.
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In Frankreich, den Niederlanden, Polen, Spanien,
ustralien und vielen anderen Ländern wird die heutige
ntscheidung des Bundestages als eine historische Ent-
cheidung mit enormer Signalwirkung wahrgenommen.
iele Menschen dort, die in den Bewegungen arbeiten,
eben uns die Rückmeldung, dass es sie in ihrer Arbeit
nterstützen würde, wenn ein breiter Konsens zwischen
llen Parteien in Deutschland für den Ausstieg besteht.
Leider wird in der Debatte über Atomkraft und die
ndlagerung oft vergessen, wo die Büchse der Pandora
eöffnet wird. Schon der Abbau von Uran geschieht un-
r Missachtung von Menschenrechten, mit tödlicher
efährdung für die Gesundheit und unter extremer Be-
stung der Natur. Die ökologischen und ökonomischen
osten dafür werden anderen Ländern, insbesondere in-
igenen Völkern, aufgebürdet. Schon beim Uranabbau
ntlarvt sich das Märchen von der sauberen Energie
tomkraft als Lüge. Damit muss Schluss sein.
Der Kampf geht weiter. Jetzt muss der Atomausstieg
ternational werden. Mit dem Umstieg auf erneuerbare
nergien muss gezeigt werden, dass wir Alternativen ha-
en.
Jutta Krellmann (DIE LINKE): Ich stimme dage-
en, weil ein Atomausstieg wesentlich schneller möglich
nd nötig ist, die Bundesregierung aber die vorgelegten
usstiegsszenarien mit früheren Zeitpunkten nicht zur
enntnis nimmt. Die Linke fordert den Atomausstieg bis
nde 2014. Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz
ur Änderung des Atomgesetzes nicht zu.
Hilde Mattheis (SPD): Der von der Bundesregierung
nd den Regierungsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf
ur Stilllegung von Atomkraftwerken in Deutschland ist
nzureichend. Dem Gesetzentwurf kann ich nur deshalb
ustimmen, weil die Fraktion der SPD zeitgleich einen
ntrag einbringt, in dem die Unzulänglichkeiten der
undesregierung benannt werden und der eine Perspek-
ve für einen weiter gehenden Atomausstieg benennt.
Das Dreizehnte Änderungsgesetz zum Atomgesetz
ieht vor, dass ein Großteil der Siedewasserreaktoren,
WR, in Deutschland mit sofortiger Wirkung vom Netz
ehen soll. Nur zwei der risikoreichen Reaktoren sollen
ach dem Willen der Bundesregierung bis Ende 2017
zw. Ende 2021 am Netz bleiben: die Meiler Gundrem-
ingen B und C.
Von Siedewasserreaktoren geht unbestritten ein noch
öheres Sicherheitsrisiko aus als von Druckwasserreak-
ren. Sie haben nur einen Hauptkreislauf; der Dampf
elangt von den Brennelementen unmittelbar zum Gene-
tor im Maschinenhaus. Dabei wird eine stärkere Ra-
ioaktivität freigesetzt als bei Druckwasserreaktoren.
uch die Abklingbecken der Siedewasserreaktoren sind
eutlich ungeschützter als in Druckwasserreaktoren, da
ie sich außerhalb des Reaktorsicherheitsbehälters befin-
en. Bei einer Explosion lägen sie ungekühlt völlig frei,
ie das beim Reaktor 4 in Fukushima passiert ist.
Es wäre geboten, alle Siedewasserreaktoren in
eutschland abzuschalten. Stattdessen sollen sie nach
13624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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)(B)
den Plänen der Bundesregierung noch bis 2017 bzw.
2021 und damit bis zu sechs Jahre länger laufen als im
Jahr 2001 bereits beschlossen. Das ist unverantwortlich
und nicht nachvollziehbar. Deshalb plädiere ich dafür,
beide Reaktoren in Gundremmingen sofort vom Netz zu
nehmen.
Meine Fraktion macht in ihrem Antrag „Die Ener-
giewende zukunftsfähig gestalten“ – Drucksache 17/6292 –
deutlich, dass eine Beschleunigung des Atomausstiegs
nötig und möglich ist. Die Ethik-Kommission hat dazu
den Vorschlag eines jährlichen Monitorings vorgelegt.
Ich bin überzeugt: Nur eine Energieversorgung, bei der
erneuerbare Energien dominieren, stellt eine wirkliche
Energiewende dar. Deshalb ist die Maxime der Bundes-
regierung, sich auf den Maximallaufzeiten auszuruhen,
falsch. Stattdessen ist jährlich zu prüfen, inwieweit die
noch laufenden Atomkraftwerke überhaupt zur Versor-
gung erforderlieh sind, und ob der Atomausstieg be-
schleunigt werden kann. Die Abschaltung der Reaktoren
Gundremmingen B und C muss angesichts des von ihnen
ausgehenden Sicherheitsrisikos dabei oberste Priorität
haben. Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen.
Jenseits des verantwortungslosen Umgangs der Bun-
desregierung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern
bin ich der Überzeugung, dass die Stilllegung alter Mei-
ler und die Rücknahme der Laufzeitverlängerung in ei-
nem ersten Schritt notwendig sind.
Dorothee Menzner (DIE LINKE): Ich stimme dage-
gen, weil in meiner Region in Niedersachsen schon jetzt
Tausende Tonnen hochradioaktiven Atommülls lagern.
Die Asse verseucht die Umwelt, das Endlager Morsle-
ben droht einzustürzen. Der Salzstock Gorleben und der
Schacht Konrad sind völlig ungeeignet zur sicheren La-
gerung von Atommüll. Jährliche Atommülltransporte
durch Niedersachsen machen ein normales Leben na-
hezu unmöglich. Daher muss die Produktion von weite-
rem Atommüll schnellstmöglich beendet werden. Mit
Verabschiedung der vorliegenden Gesetzesnovelle wird
hingegen die Grundlage für weitere Tausende Tonnen
Atommüll geschaffen.
Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
derung des Atomgesetzes nicht zu.
Cornelia Möhring (DIE LINKE): Ich stimme gegen
die Gesetzesnovelle der Bundesregierung zum Atomge-
setz, weil sie in der Praxis keine Laufzeitverkürzung der
Atomkraftwerke beinhaltet, sondern vielmehr eine ge-
setzliche Laufzeitgarantie bedeutet, weil kein unumkehr-
barer Ausstieg aus der Atomkraft stattfindet und die
Bundesregierung die Bevölkerung nicht sofort vor den
unkontrollierbaren Gefahren atomarer Strahlung schützt,
wie es die Linke fordert.
Das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgeset-
zes zieht keine ausreichenden Schlussfolgerungen aus
der Katastrophe von Fukushima, und deshalb stimme ich
ihm nicht zu.
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Yvonne Ploetz (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
eil der vorliegende Gesetzentwurf, der den Ausstieg
us der Atomenergie erst im Jahre 2022 vorsieht, eine
nverantwortliche Verlängerung des atomaren Restrisi-
os um mindestens weitere elf Jahre darstellt. Offen-
ichtlich haben alle Parteien außer der Linken das Risiko
er Kernenergie für Mensch und Umwelt immer noch
icht ausreichend begriffen – und das trotz der verhee-
nden Katastrophe in Fukushima. Als saarländische
bgeordnete ist mir die Gefahr, die von der Atomener-
ie ausgeht, ständig präsent, da sich das Saarland in di-
kter Umgebung des französischen Meilers Cattenom
efindet. Die Befürchtungen teilen mit mir unzählige
aarländerinnnen und Saarländer. Der Widerstand der
renzübergreifenden Bürgerinitiative des Dreiländerecks
aarLorLux „Cattenom non merci“ wird so lange weiter
eführt, bis das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet ist.
icht die Ankündigung des Ausstieges, sondern nur die
ahl der endgültig abgeschalteten AKW zählt.
Der Gesetzentwurf ist zudem kritikwürdig, da der an-
eblich festgeschriebene Ausstieg nicht wie bei einer
rundgesetzverankerung unumkehrbar ist, sondern durch
de neue Regierungsmehrheit zurückgenommen werden
ann. Es liegen mindestens drei Bundestagswahlen zwi-
chen der heutigen Entscheidung und dem Jahr 2022,
em heute noch anvisierten Ausstiegsjahr. Eine Kritik des
esetzes ist mit anderen Worten keine radikale Position,
ondern eine Haltung der Vernunft. Ich stimme deshalb
em Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes
icht zu.
Frank Schäffler (FDP): Die Änderung des Atomge-
etzes, über die hier abgestimmt wird, soll den Atomaus-
tieg bewirken. Sie ist das Herzstück der sogenannten
nergiewende, die uns seit dem bedauerlichen Unglück
Fukushima verordnet worden ist. Dieses Gesetzge-
ungsvorhaben ist aus mehreren Gründen kritikwürdig.
Ein Grund sollte uns alle in der Ablehnung der Ener-
iewende einen. Wir verordnen Deutschland im europäi-
chen Alleingang eine vollständige Reorganisation sei-
er Energieerzeugungsbranche. Das ist mit enormen
osten verbunden. Es sind viele Milliarden Euro für In-
estitionen notwendig, um die in Deutschland heute ver-
rauchte Energie morgen auf andere Art und Weise pro-
uzieren zu können. Wir zwingen die Energieerzeuger,
r sich ein anderes Geschäftsmodell zu entdecken. Wir
wingen viele Millionen Menschen zur Umstellung ihres
erhaltens beim Konsum von Energie. Wir greifen tief
die Eigentumsrechte der Unternehmen ein, indem wir
eren Investitionen mit einem Federstrich entwerten.
m die Überlandleitungen zu bauen, werden viele Land-
esitzer enteignet werden müssen. Durch die umfangrei-
here Einspeisevergütung belasten wir die privaten und
ewerblichen Stromverbraucher.
Die enorme Tragweite der Energiewende allein sollte
ns dazu anhalten, unsere Entscheidung wenigstens
urchdacht, überlegt und mit der gebotenen kühlen
ationalität zu treffen. Dies tun wir nicht. Das Paket zur
nergiewende war gestern im Ausschuss und ist heute
Parlament. Eine große Zahl mit heißer Nadel ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13625
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)(B)
strickter Gesetzentwürfe wird im Schweinsgalopp
durchs Parlament geritten, obwohl gleichzeitig andere
Entscheidungen höchster Wichtigkeit anstehen. Das
kann nicht richtig sein. Wir werden unserer Verantwor-
tung hier nicht gerecht, und das sollte jedem bewusst
sein.
Ein anderer Grund ist die Umgestaltung der Energie-
branche. Dadurch schaffen wir den Markt in der Strom-
erzeugung gänzlich ab und verordnen stattdessen einen
Zehn-Jahres-Plan, nach dem sich die Energieproduktion
künftig zu richten hat. Bereits jetzt ist die Produktion
von Strom aus Kernenergie eher als nationales industrie-
politisches Projekt zu betrachten denn als eine Lösung
des Marktes für das Problem der Knappheit von Energie.
Die marktwirtschaftliche Lösung bestünde darin, die
Energiebranche aus der politischen Umklammerung zu
befreien. Dazu gehörte, Kosten und Nutzen der Energie-
produktion zurück in die Hände der Unternehmer zu ge-
ben. Es wäre interessant zu wissen, ob und wie Kern-
energie in Deutschland produziert würde, wenn die
Unternehmer für ihre geschäftlichen Risiken bei Unfäl-
len und Abfallprodukten selbst und vollständig haften
müssten. Bedauerlicherweise werden wir dies nie erfah-
ren. Wir werden nie lernen, welche Lösung gefunden
worden wäre, hätte man sich des Entdeckungsverfahrens
des Marktes bedient. Dazu hätten wir die Kernenergie-
branche entpolitisieren müssen. Diese ist das wichtigste
Zugpferd vor dem staatlich gelenkten Karren, auf dem
die nationale Energiestrategie zur Herstellung der Ver-
sorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Energieim-
porten transportiert wird.
Stattdessen gehen wir den entgegengesetzten Weg.
Anstatt die Kernenergiebranche aus der ihr übertragenen
nationalen Aufgabe zu entlassen, politisieren wir sämtli-
che konkurrierenden Wege der Stromerzeugung. Anstatt
eines Ordnungsrahmen, der das erste Mal in der Ge-
schichte Marktpreise für die Erzeugung von Kernenergie
ermöglicht hätte, schreiben wir auch dem Rest der Bran-
che vor, wie er zu funktionieren hat. Wir planen von der
Spitze herab, wie viele Gaskraftwerke zu bauen und Ki-
lometer Überlandleitungen zu errichten sind. Wir greifen
ein in das Preisgefüge bei Strom aus sogenannter erneu-
erbarer Energie, indem wir umfangreiche Subventions-
tatbestände schaffen. Wir planen hier in Berlin, welcher
Anteil des Stroms aus welcher Quelle produziert werden
soll.
Wir ignorieren dabei sämtliche ökonomischen Ein-
sichten über das Funktionieren von Märkten und die
Wichtigkeit des Preissystems als Mechanismus zur Ver-
mittlung von Informationen. Wir planen einen komplet-
ten Wirtschaftszweig von oben herab und zentral. Wir
gehen einen langen Schritt in die überkommene Zentral-
verwaltungswirtschaft. An die Stelle der privaten und
dezentralen Pläne der Unternehmer und ihrer Kunden
setzen wir unsere angeblich überlegene Kenntnis, wie
sich Wirtschaft und Gesellschaft organisieren sollen.
Wenn der Mensch in seinem Bemühen, die Gesell-
schaftsordnung zu verbessern, nicht mehr Schaden
stiften soll als Nutzen, wird er lernen müssen, dass
er in diesem wie in anderen Gebieten, in denen in-
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härente Komplexität von organisierter Art besteht,
nicht volles Wissen erwerben kann, das die Beherr-
schung des Geschehens möglich machen würde.
(F. A. Hayek)
Die verhängnisvolle Anmaßung, dass man wissen
önne, wie zentrale Planung erfolgreich zu bewerkstelli-
en sei, hat letztendlich zum Scheitern aller Sozialismen
eführt. So wird auch die Energiewende letztlich schei-
rn.
Wir entscheiden heute nicht nur über ein mit einer
chönen Bezeichnung ausgestattetes Gesetzespaket, son-
ern nehmen auch dessen Folgen billigend in Kauf. Die
entralverwaltungswirtschaft führte im Sozialismus der
DR dazu, dass die Menschen Schlange standen, um
rangen und Bananen zu erhalten. Das oder die Benut-
ung des Schwarzmarkts waren die einzigen Wege, um
aren mit staatlich festgelegten Preisen zu erhalten. Die
ingriffe in die Energiewirtschaft werden zur Deindus-
ialisierung in energieintensiven Branchen und zur Zu-
ilung von Stromverbrauchszeiten führen. Wir werden
ie wohlstandsfeindlichen Folgen der zentral verwalte-
n Energiewirtschaft in Deutschland beobachten kön-
en; denn die ökonomischen Gesetze sind von der Poli-
k unbezwingbar.
Max Straubinger (CDU/CSU): Mit dem Gesetz wird
er schnelle Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der
ernenergie bis zum Jahr 2022 festgeschrieben und zu-
em geregelt, dass die bereits abgeschalteten sieben
ernkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel nicht
ieder in den Betrieb gehen. Damit werden in Deutsch-
nd circa 20 Prozent und für Bayern fast 60 Prozent der
tromerzeugung bis 2022 stillgelegt, welche der Grund-
stversorgung zuzurechnen sind.
Ich habe erhebliche Zweifel, ob diese Grundlast mit
insparungen im Stromverbrauch, mit dem Ausbau der
rneuerbaren Energien wie Photovoltaik, Wind, Bio-
asse, Geothermie und Wasserkraft und mit der Errich-
ng von weiteren Gaskraftwerken ausgeglichen werden
ann. Der Ausbau der regenerativen Energien und die
otwendigen Stromleitungen und Speichereinrichtun-
en für Strom setzen ein vielfältiges Engagement von
irtschaft und Staat, Kommunen und Bürgern voraus,
as schwer zu erreichen sein wird. Ich bin überzeugt,
ass das Energiekonzept, welches CDU/CSU und FDP
Herbst 2010 beschlossen haben, sachgerechter und
ostenneutraler für Bürger und Betriebe den Umstieg in
er Stromproduktion erbracht hätte. Zudem wären Net-
stromimporte vermieden und die Versorgungssicher-
eit gewährleistet worden.
Trotz dieser und weiterer Bedenken werde ich heute
em Gesetzentwurf auf Drucksache 17/6070 zustimmen,
a die Versorgungssicherheit mit Strom über den euro-
äischen Netzverbund gewährleistet ist und ich über-
eugt bin, dass bei Versorgungsproblemen eine politi-
che Neubewertung einer nationalen Stromversorgung
tattfinden wird.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU
13626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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)(B)
und FDP sowie der Bundesregierung stimme ich nicht
zu. Ich enthalte mich in der Abstimmung über die Atom-
gesetznovelle der Koalition. Ich stimme für das grüne
Gesetz mit AKW-Laufzeiten bis längstens 2017.
Die Nutzung der Kernenergie ist und bleibt ein unkal-
kulierbares Risiko für die Menschheit. Deshalb war die
gesetzliche Verlängerung der Laufzeiten der AKW um
Jahrzehnte in Deutschland vom vergangenen Herbst ver-
hängnisvoll und unverantwortlich. Die Rücknahme die-
ser Laufzeitverlängerung ist richtig und notwendig. Die
endgültige Abschaltung von acht AKW ist ein richtiger,
konsequenter Beitrag dazu. Dagegen bin ich deshalb
selbstverständlich nicht. Aber der Gesetzentwurf der
Koalition hält eines dieser AKW in unsinniger „Kaltre-
serve“. Das ist für mich und die Grünen nicht zu-
stimmungsfähig, genauso wenig wie die ungenügende
AKW-Sicherheit, das Fehlen der Regelung für die End-
lagersuche und eine wirkliche Energiewende hin zu er-
neuerbaren Ressourcen.
Auch die weiteren noch betriebenen AKW müssen
vom Netz, und das möglichst schnell. Mit dem Gesetz-
entwurf der Koalition werden die Laufzeiten dieser Re-
aktoren erheblich verkürzt. Auch diese Verbesserung der
bestehenden Rechtslage für die Nutzungsdauer ist
grundsätzlich richtig. Sie entspricht weitgehend der
2000/2001 durch die rot-grüne Koalition geschaffenen
Regelung, die bis zur Laufzeitverlängerung im letzten
Herbst galt. Für Erhaltung und Wiederherstellung dieser
erheblich kürzeren Laufzeiten hatten wir im Parlament,
auf den Straßen und Schienen lange gestritten. Deshalb
stimme ich jetzt nicht dagegen.
Aber nach dem Super-GAU in Fukushima ist alles an-
ders. Denn das Risiko der Nutzung der Kernenergie für
die Menschheit ist viel, viel größer als angenommen.
Daher kann ich doch nicht ohne Not einfach weiter dem
alten rot-grünen Kompromiss zustimmen. Nach Fuku-
shima muss alles neu gedacht werden. Alle haben dazu-
gelernt. Ich weiß seither, der schnellere Ausstieg ist un-
verzichtbar, und ein Ausstieg bis 2017 ist machbar ohne
Versorgungsengpässe. Das unerwartet schnelle Wachs-
tum der Energiegewinnung aus erneuerbaren Ressourcen
macht es möglich. Das haben Sachkundige immer wie-
der vorgerechnet. Seit Fukushima habe ich mich mit al-
len Grünen für das Abschalten bis 2017 eingesetzt und
mit Hundertausenden immer wieder dafür demonstriert.
Einen Gesetzentwurf mit diesem Ziel hat die grüne Frak-
tion in den Bundestag eingebracht. Für dieses Gesetz mit
dem Laufzeitenende bis spätestens 2017 stimme ich. Für
das Abschalten aller AKW bis 2017 kämpfe ich weiter.
Dem Gesetzentwurf der Koalition mit Laufzeiten bis
2022 dagegen stimme ich nicht zu. Er bedeutet fünf
lange Jahre mehr Überlebensrisiko für die Bevölkerung.
Fünf Jahre mehr, in denen sich die AKW-Betreiber viel
einfallen lassen können, um eine Laufzeitverlängerung
zu erreichen. Die Milliardenprofite sind zu verlockend,
Union und FDP traue ich zu, dass sie sich dem Begehren
der Konzerne auf Dauer nicht verweigern – wie schon
einmal im Herbst 2010.
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Abstimmungen mit Enthaltung sind in Überlebensfra-
en selten angemessen, aber wegen der Ambivalenz der
ntscheidungssituation diesmal schon.
Sabine Stüber (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
eil das vorliegende Gesetz zur Änderung des Atomge-
etzes durch die Hast und den aufgebauten Zeitdruck in
iner für unsere parlamentarische Arbeit unangemesse-
en Weise durch die Gremien gepeitscht wurde. Nach
einer Meinung ist der Ausstieg ohnehin früher, bis zum
ahre 2014, möglich.
Aus juristischer Sicht ist die Begründung für den
usstieg im Gesetz mangelhaft und eröffnet damit den
nergiekonzernen durchaus Chancen auf Erfolg bei ei-
er Schadenersatzklage. Wie immer ginge das zulasten
er Bevölkerung. Das werde ich nicht mit verantworten,
nd deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
erung des Atomgesetzes nicht zu.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Ich stimme
agegen, weil der Ausstieg aus dieser Risikotechnologie
eutlich schneller möglich und nach der Katastrophe von
ukushima auch dringend nötig wäre, um die Gefahr
urch die Atommeiler und die Atommüllproduktion un-
erzüglich zu reduzieren und eine bloße Rückkehr zum
amaligen rot-grünen Atomkonsens, den die PDS als ge-
etzliche Laufzeitgarantie abgelehnt hatte, unverant-
ortlich ist; weil der Atomausstieg mit einfacher Mehr-
eit wieder rückgängig gemacht werden kann, statt – wie
on der Linken beantragt – den Verzicht auf die fried-
che oder militärische Nutzung der Atomenergie im
rundgesetz festzuschreiben, das nur mit einer Zweidrit-
lmehrheit geändert werden kann; weil im gesamten
esetzespaket die marktbeherrschende Rolle der Strom-
onzerne nicht korrigiert wird und soziale Energietarife
icht abgesichert werden. Deshalb stimme ich dem Drei-
ehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes nicht
u.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Unsere Kern-
raftwerke produzieren sicher kostengünstige und CO2-
eutrale Energie, die für den Industrie- und Wirtschafts-
tandort Deutschland existenziell ist. Daran haben auch
ie fürchterlichen Ereignisse im Frühjahr in Fukushima
ichts geändert. Die deutsche Bevölkerung hatte schon
eit jeher eine diffuse Angst vor der Atomkraft. Damit
teht unsere Gesellschaft weitgehend allein in der Welt.
enn man nicht der Ansicht anhängt, dass am deutschen
esen die Welt genesen solle, so muss man zumindest
interfragen, warum einzig und allein Deutschland aus
en Ereignissen in Japan den Schluss gezogen hat, in
erart beschleunigtem Tempo aus der Kernenergie aus-
usteigen. Das mit dem großen Nutzen der Kernenergie
erbundene Restrisiko hat sich nicht verändert. Weder in
eutschland noch in Frankreich oder einem anderen eu-
päischen Land. Der deutsche Ausstieg aus der Kern-
raft ist ein internationaler Alleingang. Wir hätten zu-
indest auf europäischer Ebene versuchen sollen,
nsere Partner in der Europäischen Union mitzunehmen.
ass man auch bei anderen Fehlentscheidungen in der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13627
(A) )
)(B)
Lage ist, auf EU-Ebene einen Konsens herbeizuführen,
zeigt derzeit der Umgang mit der Euro-Schuldenkrise.
Wir haben mit einer massiv schrumpfenden Bevölke-
rung zu kämpfen. Den zukünftigen Generationen haben
wir bereits fast zwei Billionen Euro Schulden aufgebür-
det. Hinzu schreiten wir mit Siebenmeilenstiefeln einer
gigantischen Euro-Schuldenhaftungsunion entgegen.
Wenn uns schon leider keine demografische Trendwende
gelingt, so sollten wir den nachfolgenden Generationen
wenigstens eine volkswirtschaftliche Infrastruktur hin-
terlassen, die ihnen die Chance lässt, unsere gigantischen
Schulden zu bedienen und sich auch selbst einen ange-
messenen Lebensstandard zu erarbeiten. Diese Chance
haben wir verpasst, auch weil es uns nicht gelungen ist,
die Bevölkerung von der Richtigkeit unserer Energie-
politik zu überzeugen. Es ist leider immer leichter, auf
schwierige Fragen leichte Antworten zu geben. Unser
Energiekonzept vom Herbst letzten Jahres wäre die bes-
sere, aber auch komplexere Antwort gewesen.
Vermutlich ist den Menschen nicht bewusst, dass uns
die Energiewende im günstigsten Fall Investitionen in
drei- bis vierstelliger Milliardenhöhe kosten wird. Die
Antiatombewegung macht viel Wind, aber davon dreht
sich leider noch kein Windrad, ganz unabhängig von der
Frage, ob wir unser schönes Land zu einem gigantischen
Onshorewindpark machen sollen. Letztendlich wage ich
zu prophezeien, dass wir für das Fotoalbum die erneuer-
baren Energien ausbauen werden, klammheimlich aber
unsere Energie – zumindest in Süddeutschland – aus
Tschechien und Frankreich beziehen werden. Dass
Tschechien und Frankreich weiter auf Atomkraft setzen,
brauche ich nicht weiter auszuführen.
Nichtsdestoweniger muss man sich mit Unabwend-
barkeiten abfinden und nach vorne blicken. In der
Gesellschaft und auch in der Politik gibt es mittlerweile
einen sehr breiten Konsens zum Ausstieg aus der Kern-
energie. Zu einer Demokratie gehört es auch, dass man
aussichtslose Positionen räumt, um die Zukunft mitzuge-
stalten. Ein Hadern über Vergangenes fördert nur den
Verdruss und schafft keine positive Energie. Als Ob-
mann für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haus-
haltsausschuss werde ich aktiv daran mitarbeiten, die
Kosten für die Endenergieabnehmer so gering wie mög-
lich zu halten.
Johanna Voß (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
weil das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomge-
setzes ein Scheinausstiegsgesetz ist. IPPNW und andere
haben aufgezeigt, dass das Gesetz den Klagen der
Stromkonzerne nicht standhalten wird. Dann könnten
Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe auf die
Steuerzahler zukommen oder sogar zwischenzeitlich
ausgeschaltete Atommeiler weiterbetrieben werden.
Zu einem Ausstieg, der nicht nur ein Scheinausstieg
ist, gehören auch ein Ende von allen Geschäften mit
Uran, ein Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag, ein Ende
der Finanzierung von Reaktorprojekten weltweit. All das
ist nicht Teil des Atomausstiegs der Bundesregierung.
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Zu einem Ausstieg gehört auch die Sicherung der
tommülllager und das Vermeiden von weiteren un-
icheren Transporten von Atommüll. Weder die Regie-
ng noch die Jasager von SPD und Grünen haben aus
ukushima gelernt.
Zu einem endgültigen Ausstieg gehört auch die Ver-
nkerung im Grundgesetz – sonst bleibt der Ausstieg
mkehrbar. Mit diesem Ausstiegsgesetz, dass die Amor-
sation von Atommeilern garantiert, werden auch die
ligopolen Strukturen verfestigt, auf Kosten dezentraler
trukturen.
Ich stimme dagegen, weil die verbliebenen Atommei-
r nicht dem Stand von Sicherheit und Technik entspre-
hend nachgerüstet werden. So dürfte kein einziges
tomkraftwerk weiterlaufen. Das ist grob fahrlässig.
eshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Ände-
ng des Atomgesetzes nicht zu.
nlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ralph Lenkert und Jens
Petermann (beide DIE LINKE) zur namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines Drei-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgeset-
zes (Tagesordnungspunkt 4 a)
Wir stimmen dem Entwurf eines Dreizehnten Geset-
es zur Änderung des Atomgesetzes nicht zu, weil der
orliegende Entwurf nicht sicherstellt, dass der Ausstieg
us der Atomstromerzeugung zum frühestmöglichen
eitpunkt erfolgt und aufgrund der vorgesehenen Be-
tandsgarantie bis längstens 2022 die Bevölkerung unnö-
g lange den mit der Atomstromerzeugung einhergehen-
en tödlichen Risiken ausgesetzt wird.
Die Aufkündigung des sogenannten Atomkompro-
isses von Rot-Grün durch die schwarz-gelbe Regie-
ng hat gezeigt, dass eine einfachgesetzliche Regelung
icht ausreicht und der Atomausstieg nur durch eine
rundgesetzliche Verankerung unumkehrbar gestaltet
erden kann.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ekin Deligöz und Claudia
Roth (Augsburg) (beide BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über
den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur
Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungs-
punkt 4 a)
Die Atomkatastrophe von Fukushima markiert einen
agischen, einschneidenden Wendepunkt unserer Ener-
ie- und Klimapolitik. Vermeintliche Gewissheiten und
nverbrüchliche Überzeugungen der Atomkraftbefür-
orter sind der Einsicht gewichen, dass diese Technolo-
ie nicht beherrschbar und die Restrisiken eben nicht
ernachlässigbar sind. Der bisherige Atomkurs von
13628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Union und FDP hat sich als fachlich fragwürdig, ethisch
unverantwortlich und politisch unhaltbar erwiesen.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
haben das nun endlich auch erkennen und einräumen
müssen. Die Atomparteien Union und FDP wollen nun,
nachdem sie über Jahrzehnte die Atomindustrie hofiert
haben, den endgültigen Rückzug aus der Atomenergie
antreten. Das ist aus unserer Sicht zu unterstützen, auch
wenn es schon viel eher hätte passieren können und müs-
sen. Die bündnisgrüne Bundestagsfraktion hat sich
schon immer für einen breit getragenen Ausstieg einge-
setzt. Es ist richtig, für die Entscheidung zu einer radika-
len, unumkehrbaren Energiewende breite Mehrheiten im
Parlament, in der Politik und in der Gesellschaft zu mo-
bilisieren. Dem wollen wir uns deshalb nicht verwei-
gern, sondern die Rücknahme der Laufzeitverlängerung,
die endgültige Abschaltung der sieben ältesten Meiler
sowie des Reaktors in Krümmel und klar fixierte Aus-
stiegsdaten unterstützen. Wir werden deshalb dem Drei-
zehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes,
Drucksache 17/6070, im Deutschen Bundestag zustim-
men.
Diese Zustimmung bedeutet allerdings nicht, dass wir
keinen weitergehenden, dringenden Handlungsbedarf
hinsichtlich des Atomausstiegs oder auch der Umset-
zung der notwendigen Energiewende sehen. Wir werden
uns mit aller Kraft für weitere Änderungen und Verbes-
serungen beim Atomausstieg und bei den erforderlichen
atompolitischen Maßnahmen bis zur vollständigen Ab-
schaltung aller Reaktoren in Deutschland einsetzen. Es
sollte nichts unversucht gelassen werden, den Ausstieg
insgesamt zu beschleunigen. Die Sicherheitsanforderun-
gen für die noch laufenden Atomkraftwerke müssen
verschärft bzw. vorgenommene Verschlechterungen zu-
rückgenommen werden. Notwendig ist zudem, ein er-
gebnisoffenes, bundesweit vergleichendes Endlager-
suchverfahren zu starten.
Zu einem überzeugenden Sicherheitskonzept gehört
es auch, die beiden in unserer Heimatregion befindlichen
AKW-Blöcke Gundremmingen B und C – im Wesentli-
chen baugleich mit den Katastrophenreaktoren in Fuku-
shima – als Risikoanlagen früher als bislang geplant ab-
zuschalten. Die Anlagen stehen an der deutschen Spitze
bezüglich des anfallenden Strahlenmülls. Laut der Kin-
derkrebsstudie des Deutschen Kinderkrebsregisters ist in
der Umgebung der Meiler die Kinderkrebsrate signifi-
kant hoch.
Der Ausstieg aus der Atomkraft ist ein absolut not-
wendiger, aber nicht ausreichender Schritt. Er muss mit
einer konsequenten, nachhaltigen Energiewende einher-
gehen. Die Alternative liegt dann aber gerade nicht in
den fossilen Energieträgern, wie Union und FDP das fa-
vorisieren. Gefragt sind der konsequente Ausbau der er-
neuerbaren Energien sowie die Forcierung von Energie-
effizienz und -einsparungen. Das hierzu vorliegende
Gesetzespaket ist nicht einmal als halbherzig zu bezeich-
nen. Die schwarz-gelbe Koalition bleibt hier nicht nur
weit hinter dem Erforderlichen zurück, sondern unter-
nimmt auch grundsätzlich falsche Weichenstellungen.
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nlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Hermann Ott, Till Seiler,
Memet Kilic, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
und Monika Lazar (alle BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über
den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur
Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungs-
punkt 4 a)
Die Rücknahme der Laufzeitverlängerung für Atom-
raftwerke, von der Koalition erst vor wenigen Monaten
Eilverfahren durchgesetzt, ist notwendig und richtig,
benso die endgültige Abschaltung der sieben Alt-AKW
nd des Pannenreaktors Krümmel. Es ist zu begrüßen,
ass die Bundesregierung im Lichte der Katastrophe von
ukushima eine Kehrtwende in der Atompolitik vollzo-
en hat und in der Beurteilung der Atomkraft nun in die
ähe der Position gerückt ist, die die Grünen bereits seit
0 Jahren vertreten. Dies ist ein großer Erfolg der Grü-
en und der Antiatombewegung insgesamt.
Doch gerade im Lichte der Reaktorkatastrophe von
ukushima ist der Atomausstieg von CDU/CSU und
DP nicht ausreichend. Technisch und ökonomisch wäre
in Atomaustieg bereits bis 2017 möglich – und als Kon-
equenz der nach Tschernobyl nochmaligen Realisierung
es sogenannten Restrisikos auch nötig. Fünf Jahre län-
ere Laufzeiten bedeuten unzumutbare Gefahren im täg-
chen Betrieb und eine erhebliche Erhöhung der Menge
es insgesamt anfallenden Atommülls.
Die Bundesregierung unternimmt auch keinen Ver-
uch, die Endlagerfrage endlich einer sachgerechten Lö-
ung zuführen. Dazu würde gehören, die im letzten
erbst eingefügte Enteignungsgrundlage zurückzuneh-
en, einen Baustopp in Gorleben zu verhängen und eine
rgebnisoffene Endlagersuche einzuleiten. Absolut not-
endig wäre auch eine Beendigung des gesamten Atom-
rennstoffkreislaufs, also eine Schließung der Atom-
brik in Gronau.
Die Abschaltung der letzten sechs Atommeiler erst
nde 2021 bzw. Ende 2022 ist nicht nur viel zu spät un-
r dem Gesichtspunkt der Sicherheit, sie erfolgt auch zu
pät unter politischen Gesichtspunkten. Zwischen dem
t-grünen Atomausstieg und der Laufzeitverlängerung
urch Schwarz-Gelb im Oktober 2010 lagen drei Wah-
n. Zwischen dem jetzt geplanten Atomausstieg und
em Abschalten der letzten sechs AKW liegen bei nor-
alem Wahlzyklus ebenfalls drei Wahlen. Niemand
ann heute voraussagen, wie die Welt im Jahre 2021
ussehen wird, welche krisenhaften Entwicklungen es
eben mag und welche Höhe die Preise für fossile Ener-
ien dann haben werden.
Der Druck auf eine dann vielleicht wieder atom-
eundliche Bundesregierung bzw. Mehrheit im Bundes-
g, die Laufzeiten doch wieder zu verlängern, könnte
ehr stark sein. Dieses Risiko ist uns zu groß. Auch die
eibehaltung einer sogenannten Kalt-Reserve zeigt, dass
ine Hintertür offengehalten werden soll. Dabei ist diese
chon allein aus technischen Gründen völlig unsinnig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13629
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)(B)
Schließlich behindern die längeren Laufzeiten bis
2022 auch die Energiewende in Richtung einer solaren
Gesellschaft. Der Ausstieg aus der Atomkraft und der
Einstieg in die erneuerbaren Energien sind untrennbar
miteinander verbunden, auch wenn der Bundestag natür-
lich in verschieden Anträgen und Gesetzentwürfen dazu
Stellung nimmt. Die sogenannte Energiewende setzt auf
den Ausbau fossiler Energien und setzt die Erfolge bei
der Bekämpfung des Klimawandels aufs Spiel. Dies zu-
sammen mit der einseitigen Bevorzugung von Offshore-
windenergie zulasten der Windkraft an Land und andere
Regelungen zementiert die alten Strukturen und festigt
die Marktmacht der großen Energiekonzerne.
Die Bundesregierung und die schwarz-gelbe Koali-
tion machen mit der Rücknahme der Laufzeitverlänge-
rung und der Abschaltung der Alt-AKW das Richtige;
aber sie unterlassen das Notwendige. Das Gesamtpaket
stimmt nicht. Deshalb haben wir uns heute der Stimme
enthalten.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU)
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung
des Atomgesetzes und zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Rechtsrahmens für die Förderung der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
(Tagesordnungspunkt 4)
Michael Brand (CDU/CSU): Mein heutiges Ja zu
dem Gesetzespaket zur Energiewende ist ein Ja mit kla-
ren Bedingungen und ein paar offenen Bemerkungen
zum Verfahren.
Es ist eine 60/40-Entscheidung, weil neben den Chan-
cen auch Risiken gegeben sind. Als frei gewählter Abge-
ordneter ist es meine Pflicht, auf die Risiken hinzuweisen,
und es ist aus meiner Sicht zwingend, dass Bundestag,
Bundesregierung und unsere Gesellschaft sich über die
Risiken und die Kosten der Energiewende im Klaren sind.
Ich war, bin und werde dafür sein, dass die Atomener-
gie vor allem wegen der weltweit nicht gelösten Endla-
gerung so rasch wie möglich der Vergangenheit ange-
hört. Zudem bietet diese Entscheidung tatsächlich die
historische Chance für eine der leistungsfähigsten Volks-
wirtschaften der Welt: Wir haben die Chance, im global
kommenden Zeitalter der erneuerbaren Energien – also
weg vom Öl, weg von der Kohle und weg vom Gas –
von einer weltweiten Spitzenposition aus in Deutschland
und weltweit von diesem global angesteuerten Energie-
wandel zu profitieren.
Zur Energiewende zählt auch, dass wir für die abzu-
schaltenden Kernkraftwerke neue Kohle- und Gaskraft-
werke brauchen. Wir werden nicht nur mit Wind und
Sonne den Industriestandort Deutschland sichern, weder
bei der Beschäftigung noch bei den privaten Haushalten.
Wer Ja sagt zur Energiewende, der muss auch Ja sagen
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ur nötigen Infrastruktur für das neue Energiezeitalter.
as bedeutet konkret: Wenn zum Beispiel Planung und
au von Stromtrassen trotz weitreichender Prioritäten
r Erdkabel weiter blockiert werden, kommt die Ener-
iewende in Gefahr. Wenn wir den von vielen Experten
chon für diesen Herbst 2011 befürchteten Blackout bei
er Stromversorgung verhindern wollen, müssen wir die
lexibilität behalten, frühzeitig zum Schutz von privaten
aushalten, Krankenhäusern und Betrieben bis hin zu
entralen Internetknoten reagieren zu können.
So gibt es eine ganze Reihe von Problemen, die wir
icht politisch leugnen dürfen. Physik lässt sich nicht
olitisch beschließen. Wir haben als Politik die Pflicht,
um Wohle der Allgemeinheit in Kenntnis der Probleme
u organisieren. Dazu zählt, dass wir die Grundlage der
irtschaftlichen Stärke unseres Landes, die industrielle
asis mit Tausenden Betrieben und Millionen Arbeits-
lätzen, nicht um einer falschen Ideologie willen aufs
piel setzen dürfen. Zu Recht haben wir deshalb beson-
ere Regelungen zum Schutz der energieintensiven Be-
iche der deutschen Wirtschaft beschlossen. Und umso
ichtiger sind die beschlossenen Fördermaßnahmen für
eue Netz- und Speichertechnologien, die wir nun drin-
end benötigen.
Dazu muss bei Bundestag, Bundesregierung und in
er Gesellschaft die Bereitschaft offen bleiben; ansons-
n drohen Versorgungskrisen, die nicht per Beschluss
der Resolution von Parteitagen oder Parlamenten abzu-
enden sein werden.
Der Schock von Fukushima hat vieles in Bewegung
ebracht. Der Weg zum Zeitalter der erneuerbaren Ener-
ien ist schon seit Jahren parteiübergreifender Konsens
Deutschland und wurde konsequent beschritten. Nun
ird er deutlich beschleunigt. Wir müssen bei der Be-
chleunigung darauf achten, dass wir nicht durch allzu
roße Hektik ins Stolpern geraten – mit möglichenfalls
roßen Risiken.
Mein Ja ist auch deshalb mit Einschränkungen verse-
en, weil die harte Kritik unseres Bundespräsidenten an
em parlamentarischen Verfahren und der fehlenden
inbindung der Gesellschaft zum Erreichen eines echten
onsenses leider als voll zutreffend zu bezeichnen ist.
ngesichts der immensen Tragweite der Entscheidung
ind mangelhafte Offenheit, mangelhafte Beratungsmög-
chkeiten und ein für die Bedeutung viel zu schnell
urchgepeitschtes Verfahren aus der Sicht der Parlamen-
rier deutlich zu kritisieren. Diese Kritik richtet sich vor
llem gegen diejenigen in Fraktionen und Regierung, die
uf Solidarität pochen und diese Solidarität gegenüber
en eigenen Reihen nicht in genügendem Maße geübt
aben; hier sind die dafür Verantwortlichen dazu aufge-
rdert, diesen Stil zu ändern, um den Bogen nicht zu
berspannen. Gerade bei großen, weitreichenden Ent-
cheidungen gilt: Demokratie darf nicht mit Demoskopie
ertauscht werden.
Für die beschlossene große Energiewende wird es da-
uf ankommen, die ökologischen und ökonomischen
uswirkungen – auch auf Stromkosten und Steuergel-
er – genau zu beobachten. Werden alle notwendigen
lemente in ausreichender Weise beachtet, kann und
13630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
wird es gelingen, die großen Chancen zu nutzen und die
Risiken für unsere Bevölkerung gering zu halten.
Als direkt gewählter Abgeordneter werde ich die Ent-
wicklung genau verfolgen und nötigenfalls dazu auffor-
dern, dass wir im Notfall auch nachsteuern. Die Ener-
giewende wird von uns allen viel fordern, sie wird kein
Spaziergang, doch dass wir uns auf diesen schwierigen
Weg machen, bietet große Chancen für die Zukunft un-
seres Landes und für kommende Generationen – schon
deshalb lohnt sich der Weg.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): In der heutigen Ab-
stimmung über den sogenannten Atomausstieg habe ich
mich der Stimme enthalten. Trotz der Katastrophe von
Fukushima gelten meines Erachtens weiterhin die Argu-
mente der Abgeordneten Dr. Angela Merkel aus der
Ausstiegsdebatte vom 29. Juni 2000:
Erstens:
Für mich bleibt ein Rätsel, wie nach dem Ausstieg
aus der Kernenergie ein klimaverträglicher, CO2-
freier Ersatz für den 30-prozentigen Anteil der
Kernenergie an der Grundlast unserer Energieer-
zeugung geschaffen werden könnte.
Zweitens: Der Ausstieg erfolgt zulasten der interna-
tionalen Sicherheitsstandards.
Ich finde, man muss schon relativ ruhig schlafen
können, wenn man akzeptiert, dass in Russland
15 Reaktoren vom Typ Tschernobyl stehen und
Deutschland mutwillig und wissentlich aus dem
technologischen Know-how und aus der Verbesse-
rung der Sicherheitsvorschriften aussteigt.
Drittens:
Diese Vereinbarung geht zulasten des Klimaschut-
zes, zulasten der Ausbildungskapazitäten und gan-
zer Berufszweige sowie zulasten des technologi-
schen Fortschritts in der Bundesrepublik Deutsch-
land.
Diesen damaligen Worten von Dr. Angela Merkel ist
auch heute noch wenig hinzuzufügen.
Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Eine Reihe – auch
von mir – gestellter Fragen sind im Laufe des Gesetzge-
bungsverfahrens zum Gesetzespaket zur Energiewende
nicht geklärt worden. Insbesondere sind für mich fol-
gende Punkte von großer Bedeutung:
Erstens. Ein Ausstieg aus der Kernenergie in der nun
vorgegebenen Geschwindigkeit kann massive Strom-
preiserhöhungen für Unternehmen wie Verbraucher ver-
ursachen. Die vorgelegten Gesetze geben keine Antwort
darauf, wie der Preisanstieg zumindest gedämpft werden
kann. Schon durch das Abschalten der acht Kernkraft-
werke beim Moratorium sind die Stromgroßhandels-
preise um über 12 Prozent gestiegen. Das werden die
Verbraucher bei der nächsten Strompreiserhöhung im
Herbst auf ihren Stromrechnungen wiederfinden. Wei-
tere Erhöhungen ergeben sich, weil zum Beispiel bei der
kostspieligen Förderung der Photovoltaik keine wirk-
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ame Kostenbremse gezogen wird. Es steht zu befürch-
n, dass die EEG-Umlage über das heute schon hohe
iveau von 3,53 Cent pro Kilowattstunde ansteigen
ird. Weiterhin werden neue Gaskraftwerke, die zur
ersorgungssicherheit gebraucht werden, nur gebaut,
enn es dafür eine Förderung oder Unterstützung gibt,
eil potenzielle Investoren insbesondere die zukünftige
uslastung nicht kalkulieren können. Diese Förderung
uss letztlich vom Stromkunden oder Steuerzahler ge-
agen werden. Ferner werden die CO2-Zertifikatepreise
teigen, was Auswirkungen auf das Preisniveau haben
ird. Die CO2-Zertifikatepreise sind seit Beginn des
oratoriums jetzt schon um circa 8 Prozent gestiegen.
Zweitens. Hohe Strompreise schaden auch dem In-
ustriestandort Deutschland. Die anlässlich der Erarbei-
ng des Energiekonzepts der Bundesregierung im letz-
n Jahr aufwendig berechneten Energieszenarien haben
rgeben, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie in der
un vorgegebenen Geschwindigkeit große volkswirt-
chaftliche Risiken bedeutet: Erhebliche Abwanderungs-
ffekte im Bereich des produzierenden Gewerbes und
er Verlust Tausender Arbeitsplätze würden bei deutlich
nsteigenden Strompreisen voraussichtlich die Folge
ein.
Das deutsche Klimaschutzziel ist kurz- und mittelfris-
g gefährdet. So kann das Ziel der CO2-Minderung um
0 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 wegen des Ver-
ichts auf die Kernenergie praktisch nicht erreicht wer-
en. Die vorgesehenen CO2-Einsparungen durch zusätz-
che Maßnahmen bei der Gebäudesanierung können die
ehremissionen durch fossile Kraftwerke, die wegen
es Ausstiegs am Netz sein werden, nicht kompensieren.
isher sind die CO2-Emissionen in Deutschland seit
990 um circa 25 Prozent zurückgegangen.
Drittens. Deutschland ist bereits durch das Morato-
um vom Stromexport- zum Stromimportland gewor-
en. Seitdem importiert Deutschland täglich durch-
chnittlich rund 40 GWh, einen großen Teil davon aus
rankreich. Das zeigt aus meiner Sicht, dass der Aus-
tieg aus der Kernenergie zu schnell erfolgt. Schließlich
acht es keinen Sinn, wenn deutsche Kernkraftwerke
om Netz gehen und dafür Strom aus ausländischen
ernkraftwerken eingeführt wird.
Viertens. Die vorgelegte Novelle des Atomgesetzes
nthält erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Dies
at auch die Sachverständigenanhörung im Bundes-
gsumweltausschuss bestätigt. So verlangt der Gleich-
eitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz, dass der Gesetz-
eber nur bei Vorliegen eines sachlichen Grunds gleiche
achverhalte ungleich behandeln darf. Im vorgelegten
esetz werden aber zum Beispiel zwei baugleiche Kern-
raftwerke, die im Abstand von acht Monaten ans Netz
ingen – Gundremmingen B und C –, ohne sachlichen
rund unterschiedlich behandelt: Gundremmingen C
arf bis 2021, also vier Jahre länger als Gundremmin-
en B, am Netz bleiben. Ein weiteres Beispiel: Das
ernkraftwerk Krümmel, das abgeschaltet bleiben soll,
at nur eine Laufzeit von rund 27 Jahren gehabt; alle üb-
gen Kernkraftwerke haben mindestens 32 Jahre Lauf-
eit. 32 Jahre Laufzeit ist aber – so wurde es schon im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13631
(A) )
)(B)
rot-grünen Ausstiegsgesetz von 2002 festgestellt – die
verfassungsrechtliche Untergrenze, da ansonsten keine
vollständige Amortisation der Investitionen erreicht wer-
den kann. Ein Eingriff des Staates müsste sonst durch
Entschädigungen ausgeglichen werden. Eine Entschädi-
gung ist aber in der AtG-Novelle nicht vorgesehen.
Auch ist keine Entschädigung dafür vorgesehen, dass die
zugewiesenen Reststrommengen voraussichtlich nicht in
konzerneigenen Anlagen aufgebraucht werden können.
Aus den genannten Gründen ist aus meiner Sicht eine
umfassende Zustimmung zum Gesetzespaket zur Ener-
giewende nicht mit einer langfristig verantwortungsvol-
len Energiepolitik für Deutschland vereinbar. Außerdem
darf meiner Meinung nach der Gesetzgeber nicht sehen-
den Auges verfassungsrechtlich höchst zweifelhafte Re-
gelungen beschließen. Daher werde ich – anders als
meine Fraktion – den Entwurf des Dreizehnten Gesetzes
zur Änderung des Atomgesetzes in der Fassung der
Drucksachen 17/6070 und 17/6246 ablehnen.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Gitta Connemann (CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Atomgesetzes und zur Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes über Maßnah-
men zur Beschleunigung des Netzausbaus Elek-
trizitätsnetze (Tagesordnungspunkt 4 a und h)
Den vorliegenden Gesetzentwürfen stimme ich nach
sorgfältiger Abwägung des Für und Widers nicht zu.
Ich erkenne an, dass anders als beim seinerzeitigen
rot-grünen Ausstiegsbeschluss jetzt exakt angegeben
wird, wann und wie der Umstieg erfolgen soll. Ich er-
kenne an, dass durch die Einführung einer Marktprämie
erstmalig der Weg in die Marktorientierung auch für er-
neuerbare Energien gewählt wird. Ich erkenne an, dass
gerade im Bereich der Biomasse aufgrund der Interven-
tionen unserer Agrarpolitiker Überförderungen abgebaut
werden, Vertrauensschutz gewährt und stärkere Anfor-
derungen an die Wärmenutzung definiert werden.
Mir ist bewusst, dass fast alle meine Kolleginnen und
Kollegen, die sich ebenfalls intensiv mit den Gesetzent-
würfen auseinandergesetzt haben, zu einer zustimmen-
den Bewertung kommen. Ich respektiere und achte diese
Entscheidung. Über mein persönliches Abstimmungs-
verhalten in dieser für die Zukunft Deutschlands heraus-
ragend wichtigen Frage habe ich in den letzten Tagen
und Wochen lange mit mir gerungen. Ich komme für
mich zu dem Ergebnis, dass mir eine Zustimmung unter
den jetzigen Voraussetzungen nicht möglich ist.
Zur Begründung: Im Herbst 2010 hatte die Bundesre-
gierung ein Energiekonzept vorgelegt, das den drei An-
forderungen an eine nachhaltige Energiepolitik – sicher,
sauber und bezahlbar – Rechnung trägt. Die Kriterien
Verfügbarkeit, Umweltfreundlichkeit und Bezahlbarkeit
wurden dabei in einen harmonischen Dreiklang gestellt.
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o sollten bis zum Jahr 2050 80 Prozent des Stroms aus
rneuerbaren Energien gewonnen werden. Der Strom-
erbrauch insgesamt sollte im gleichen Zeitraum um
5 Prozent sinken. Der von den 17 deutschen Kernkraft-
erken erzeugte Strom sollte im Rahmen dieses Über-
angs die gesicherte Versorgung zu bezahlbaren Preisen
ewährleisten und gleichzeitig den Übergang in ein Zeit-
lter der erneuerbaren Energien ebnen. Der Ausstieg aus
er Kernkraft war damit bereits beschlossen. Diesem
nergiepolitischen Konzept, das zugleich Energiewende
ie auch Atomausstieg war, habe ich am 28. Oktober
010 im Deutschen Bundestag aus voller Überzeugung
ugestimmt.
Dem damaligen Beschluss lagen detaillierte, von un-
bhängigen Forschungsinstituten erstellte Gutachten zu-
runde. Der Beschluss des Deutschen Bundestages er-
lgte im Rahmen eines der Bedeutung der Entscheidung
ngemessenen Beratungszeitraums. Auf Parteitagen
atte zuvor die CDU ihre Position ausführlich diskutiert
nd einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss gefasst.
h unterstütze diesen Beschluss einschließlich des da-
it verbundenen Atomausstiegs nach wie vor. Darin be-
tätigt mich auch das am 16. Mai 2011 vorgelegte Gut-
chten der Reaktor-Sicherheitskommission, das den
ohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraft-
erke bestätigt.
Unter dem Eindruck des tragischen Reaktorunfalls
m 15. März 2011 in Fukushima, Japan, soll nun der
usstieg aus der Kernenergie in Deutschland deutlich
eschleunigt werden. Alle noch am Netz befindlichen
eutschen Kernkraftwerke sollen nach einem starren
eitplan abgeschaltet werden. Dafür sollen die erneuer-
aren Energien sowie die Energietransportnetze rasant
usgebaut werden. Dieses Vorhaben ist international
hne Beispiel. Die Herausforderungen für Gesellschaft,
irtschaft und Politik sind gewaltig.
Tatsächlich umsetzbar ist dieses Konzept allerdings
ur dann, wenn alle dem Ausstiegsszenario zugrunde ge-
gten Bedingungen tatsächlich eintreten. Diese Bedin-
ungen wiederum sind sowohl technischer als auch
chtlicher Natur.
So müssen sich die Anlagen zur Erzeugung der erneu-
rbaren Energien, insbesondere die Offshorewindkraft-
nlagen, erst noch unter Praxisbedingungen bewähren.
So müssen über 4 000 Kilometer neuer Hoch- und
öchstspannungsleitungen – in der Regel gegen den er-
itterten Widerstand von Anliegern – erst noch gebaut
erden.
So müssen neue Gas- und Kohlekraftwerke mit einem
erzeitigen Planungsvorlauf von im Schnitt zehn Jahren
ebenfalls gegen den erbitterten Widerstand von Anlie-
ern – erst noch errichtet werden.
Und so müssen neue Anlagen zur Speicherung des
generativ erzeugten Stroms erst noch erdacht und
ann – voraussichtlich ebenfalls gegen den erbitterten
iderstand von Anliegern – gebaut werden.
Ich halte aus heutiger Sicht die Erreichung sämtlicher
enannter Bedingungen, einschließlich des um 25 Pro-
13632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
zent gesenkten Stromverbrauchs, für unwahrscheinlich,
zumindest in dem starr vorgegebenen Zeitraum. Allein
ein politischer Wille – und sei die Parlamentsmehrheit
auch noch so groß – wird keine dieser technischen und
rechtlichen Hürden überspringen helfen oder gar Natur-
gesetze außer Kraft setzen können.
Eine ausführlichere Diskussion über Alternativen des
künftigen Energiekonzeptes nach Fukushima sowie eine
fundierte Abschätzung seiner Folgen wären aus meiner
Sicht erforderlich gewesen. So ist den Abgeordneten des
Deutschen Bundestages vor knapp vier Wochen ein
mehrere hundert Seiten starkes Gesetzespaket vorgelegt
worden, das in großer Eile geschnürt werden musste. Die
Erfahrung zeigt, dass Geschwindigkeit immer auf Kos-
ten von Sorgfalt geht. Voraussetzung für den Erfolg des
geplanten Ausstiegsszenarios ist aber, dass alle Maßnah-
men perfekt ineinandergreifen. Wir wären deshalb gut
beraten gewesen, uns mehr Zeit für eine Entscheidung
dieses Umfangs zu lassen. Aus meiner Sicht wäre eine
ausführlichere Debatte sowie der Beschluss eines Partei-
tages notwendig gewesen, zumal der Beschluss des
Deutschen Bundestags vom Oktober 2010 auf diese
Weise vorbereitet worden war.
Nicht zufällig ist das Unverständnis über den energie-
politischen Alleingang Deutschlands in unseren Nach-
barländern groß, auch wegen der Auswirkungen auf
diese Nachbarländer. Denn Deutschland ist Teil des eu-
ropäischen Stromverbundnetzes, dessen Stabilität jeder-
zeit sichergestellt sein muss. In diesem Rahmen bezieht
Deutschland im Übrigen bereits heute, nach der Sofort-
abschaltung von 8 der 17 Kernkraftwerke, ausländischen
Atomstrom, namentlich aus Tschechien und aus Frank-
reich. Sollte die mittelfristig befürchtete Versorgungs-
lücke eintreten, würde dieser Stromimport noch erhöht.
Die Möglichkeit dazu wird nicht ausgeschlossen. Bei
Versorgungslücken bleibt somit der Rückgriff auf aus-
ländischen Atomstrom. Damit verbindet sich allerdings
für mich die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit des
deutschen Atomausstiegs ohne Abstimmung mit den eu-
ropäischen Partnern. Ich habe diese Frage wie auch eine
Reihe anderer in den letzten Wochen im Gesetzgebungs-
verfahren wiederholt gestellt. Sie blieben in der Sache
unbeantwortet. Sie werden auch nicht durch die vorlie-
genden Gesetzentwürfe geklärt.
Dazu gehört auch die Frage nach der Erreichung des
CO2-Minderungsziels von 40 Prozent bis 2020 ge-
genüber 1990. Zwar sind CO2-Einsparungen durch
zusätzliche energetische Maßnahmen bei der Gebäudes-
anierung angesichts der vorgesehenen steuerlichen För-
derung zu erwarten. Völlig offen ist allerdings, ob diese
Minderungen die Mehremissionen durch fossile Kraft-
werke, die wegen des Atomausstiegs ans Netz gehen
müssen, kompensieren können.
Ebenfalls völlig unklar sind die Kosten, die das neue
Energiekonzept mit sich bringen wird. Die Stromgroß-
handelspreise sind bereits nach der Abschaltung der acht
Kernkraftwerke innerhalb weniger Wochen um über
12 Prozent gestiegen. Der Zubau von Photovoltaikanla-
gen wird weitere Kosten nach sich ziehen. Tatsächlich
benötigt die Photovoltaik heute 55 Prozent der gesamten
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EG-Beihilfen – und dies bei nur 3 Prozent der Stromer-
eugung. Die Chance zu einer Dämpfung dieses Preisan-
tieges, zum Beispiel durch einen festen Deckel, wird
urch den vorliegenden Gesetzentwurf zum EEG nicht
enutzt. Auch die zusätzlichen Kosten durch Netzaus-
au, Emissionshandel etc. sind nicht beziffert. Dabei
teht das Risiko hoher Entschädigungszahlungen für Be-
eiber von Kernkraftwerken aus rechtlichen Gründen
ulasten des Steuerzahlers nach wie vor im Raum.
Hohe Strompreise schaden insbesondere dem Indus-
iestandort Deutschland. Aus meinen Gesprächen mit
etrieben weiß ich, dass diese sich um die langfristige
ersorgungssicherheit mindestens ebenso sorgen wie um
as Energiepreisniveau. Bereits heute ist erkennbar, dass
as jetzt vorliegende Energiekonzept die internationale
ettbewerbsfähigkeit stromintensiver Unternehmen ge-
hrden wird. Diese sollen zwar über Härtefallregelun-
en entlastet werden, nicht aber die zahlreichen kleinen
nd mittelständischen Unternehmen, die sich ebenfalls
internationalen Wettbewerb befinden. Dabei ist der
ktuelle konjunkturelle Aufschwung nach der Wirt-
chafts- und Finanzkrise gerade diesen Unternehmen zu
erdanken.
Die Stromrechnung zahlt in jedem Fall der Verbrau-
her, und zwar unabhängig von seinem Einkommen. Die
ielen Familien in meiner ostfriesisch-emsländischen
eimat, die mit einem kleinen Einkommen auskommen
üssen, werden über Gebühr belastet werden. Bereits
tzt haben sich die Stromkosten an kalten Tagen zu ei-
er zweiten Miete entwickelt. Dies gilt auch für die
mpfänger kleiner Renten, deren Altersvorsorge in ei-
em Haus besteht. Von einer steuerlichen Förderung
nergetischer Sanierungsmaßnahmen können diese nicht
rofitieren.
Neben dieser persönlichen Betroffenheit wird der
ahlkreis Unterems, den ich als direkt gewählte Abge-
rdnete in Berlin vertrete, von dem jetzt neu vorgelegten
nergiekonzept in besonderem Maße auch landschaft-
ch und wirtschaftlich betroffen sein. Durch den geplan-
n forcierten Ausbau von Offshoreanlagen werden die
anggründe der ostfriesischen Fischer vor der Küste
assiv dezimiert. Allein in der Nordsee, vor der deut-
chen Küste, soll für Offshorewindkraft ein Ausbauvolu-
en von 20 000 bis 25 000 Megawatt realisiert werden.
ach Angaben des zuständigen Übertragungsnetzbetrei-
ers wird dies den Bau von bis zu insgesamt 30 weiteren
nschlussleitungen erforderlich machen. Diese werden
stfriesland sowie das nördliche Emsland zerschneiden,
nabhängig davon, ob sie als Erdkabel oder als Freilei-
ngen geführt werden.
Für einen fairen Ausgleich der Landeigentümer trägt
as neue Energiekonzept keine Sorge. Insoweit hätte in
em Gesetzentwurf für das Netzausbaubeschleunigungs-
esetz eine Regelung getroffen werden müssen, für die
eine Zeit war. Dies gilt auch für die Regulierung des
it dem Ausbau der erneuerbaren Energien verbunde-
en Flächenverbrauchs. So muss jede dieser Leitungen
urch Ausgleichsflächen kompensiert werden, die den
hnehin schon drastischen Flächenschwund in meiner
eimat verschärfen wird. Zusätzlich werden so bislang
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13633
(A) )
)(B)
von Landwirten und Gartenbauern genutzte Böden aus
der Nutzung herausgenommen werden.
Verschärft werden wird diese Tendenz durch den Bau
von Biogasanlagen. Eine Großanlage von zum Beispiel
5 Megawatt benötigt circa 2 000 Hektar Ackerland, um
darauf Energiepflanzen anzubauen. Die Vermaisung der
Landschaft ist bereits heute erkennbar. Der Zielkonflikt
zwischen traditioneller Landwirtschaft für die Lebens-
mittelproduktion und dem Anbau von Energiepflanzen
wird durch die vorliegenden Gesetzentwürfe nicht ge-
löst, sondern verschärft. Insoweit hätte über eine Ausset-
zung von naturschutzrechtlichen Ausgleichsregelungen
für den Netzausbau für regenerative Energien nachge-
dacht werden müssen wie auch über die Schaffung der
Möglichkeit einer finanziellen Ersatzleistung für Aus-
gleichsmaßnahmen. Auch dafür war keine Zeit.
Über mein persönliches Abstimmungsverhalten in
dieser für die Zukunft Deutschlands herausragend wich-
tigen Frage habe ich in den letzten Tagen und Wochen
lange mit mir gerungen. Ich hoffe, dass sich meine Be-
fürchtungen nicht bewahrheiten werden. Mir ist bewusst,
dass viele Bürgerinnen und Bürger sich nichts mehr
wünschen als den schnellstmöglichen Ausstieg aus der
Kernenergie. Ich teile diese Auffassung ausdrücklich.
Ich bin keine Anhängerin der Kernenergie. Der Ausstieg
aus dieser Energieform ist richtig, muss aber mit Augen-
maß erfolgen. Bei allen verständlichen und berechtigten
Sorgen und Ängsten sollten wir diesen Rückzug geord-
net antreten. Die Voraussetzungen dafür sind für mich in
der vorgesehenen kurzen Frist nicht gegeben. Ich werde
deshalb den vorgenannten Gesetzentwürfen nicht zu-
stimmen.
Anlage 9
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die
Förderung der Stromerzeugung aus erneuerba-
ren Energien (Tagesordnungspunkt 4 c)
Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Ich trete für eine
nachhaltige Energieversorgung ein: sicher, verlässlich,
ökonomisch und ökologisch vernünftig. Ausdrücklich
begrüße und unterstütze ich den Ausbau erneuerbarer
Energien. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeu-
gung aus erneuerbaren Energien enthält zahlreiche sinn-
volle Regelungen, um diesen Ausbau weiter zu beför-
dern. Daher werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen.
Gleichwohl enthält der Gesetzentwurf Regelungen
hinsichtlich der Vergütung von Strom aus Geothermie,
die ich als problematisch und als nicht richtig erachte.
Warum? Nach wie vor sehe ich in der Geothermie
grundsätzlich eine Zukunftschance. Die Geothermie hat
prinzipiell eine Reihe von Vorteilen gegenüber anderen
Formen der erneuerbaren Energien, zum Beispiel ihre
Grundlastfähigkeit. Allerdings muss die Geothermie
noch weiter erforscht werden.
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Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Technologie der
iefengeothermie leider noch nicht ausgereift ist. Im
usammenhang mit dem Projekt in Landau kam es bei-
pielsweise zu seismischen Ereignissen, die zu erhebli-
hen Akzeptanzproblemen dieser Energiegewinnungs-
rm geführt haben. Es ist offenkundig, dass im Bereich
er Tiefengeothermie nach wie vor Bedarf an anwen-
ungsorientierter Forschung besteht. Es wäre wichtig,
unächst den sicheren und effizienten Betrieb bestehen-
er bzw. weit fortgeschrittener Projekte zu gewährleis-
n. Aus den Forschungsaktivitäten sollten Erkenntnisse
ewonnen werden, die auch anderen Projekten zugute-
ämen. Klar ist, dass zunächst die Sicherheit Vorrang ha-
en muss. Die Sorgen der Bevölkerung müssen sehr
rnst genommen werden. Es muss auf die Akzeptanz der
aßnahmen vor Ort geachtet werden. Daher müsste die
eothermie meines Erachtens stärker unter dem For-
chungs- und Entwicklungsaspekt und weniger unter
em Aspekt der schnellen Markteinführung mittels er-
öhter Anreize durch das EEG gefördert werden.
Geothermie macht zudem vor allem dann Sinn, wenn
icht nur Strom erzeugt, sondern auch die Abwärme
innvoll genutzt wird. Die Abwärme lediglich über die
uft oder über das Wasser in die Umwelt abzugeben, ist
vielfacher Hinsicht unvernünftig. Deshalb halte ich es
r einen Fehler, den Wärmenutzungsbonus zu streichen
nd in die Grundvergütung zu integrieren. Dadurch wird
er Anreiz, Anlagen an Stellen zu planen, an denen die
hance auf eine Wärmeabnahme besteht, reduziert. Dies
alte ich für sachlich falsch.
Jens Koeppen (CDU/CSU): Der Ausstieg aus der
tomenergie ist richtig und wird von mir genauso wie
ie Zielstellung, den Anteil erneuerbarer Energien an der
nergieversorgung massiv zu steigern, uneingeschränkt
nterstützt, obwohl der schnelle Atomausstieg Risiken
r die Energieversorgung des Industrielands Deutsch-
nd in sich birgt.
Der vorgelegte Rechtsrahmen, der die Marktintegra-
on der erneuerbaren Energien vorantreiben soll, ist aus
einer Sicht leider wenig geeignet, um eine klima-
eundliche, bezahlbare und sichere Energieversorgung
Zukunft aufrechtzuerhalten. Daher verdient dieser Ge-
etzentwurf nicht meine uneingeschränkte Zustimmung.
m die Abkehr von der Atomenergie nicht zu gefähr-
en, habe ich daher sehr lange überlegt, ob es trotz mei-
er Bedenken möglich ist, dem Gesetzentwurf zuzustim-
en. Das Signal, dass die Koalition quasi geschlossen
ie Energiewende gestaltet, sah ich schließlich als wich-
ger an, als gegen ein Einzelgesetz zu stimmen – bei si-
her gegebener Parlamentsmehrheit.
Jedoch muss zum Gesetzentwurf angemerkt werden:
ie Marktintegration der neuen Energietechnologien
itt hinter Subventionszusagen über eine Dauer von
0 Jahren zurück. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
ird sich grundsätzlich von der Zielstellung verabschie-
et, die Energieversorgung durch einen Wettbewerbs-
arkt abzusichern. Hohe Renditen, die niemals in ande-
n Bereichen mit derart sicheren Investitionen erzielt
erden könnten, können zwar den Zubau mit vorhande-
13634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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ner Technik beschleunigen, treiben aber nicht Innovatio-
nen in diesem Bereich voran oder stellen sicher, dass die
erneuerbaren Energien ein zuverlässiger Hauptbestand-
teil unserer Energieversorgung werden. Das eigentliche
Ziel des EEG – Marktintegration – ist mit den vorgese-
henen Regelungen kaum erreichbar.
Hinzu kommt, dass die finanziellen Lasten des Zu-
baus von Erneuerbare-Energien-Anlagen, die in den Re-
gionen in Norddeutschland – wie im Land Brandenburg
und meiner uckermärkischen Heimat – überproportional
entstehen, nicht solidarisch durch die Einwohner im ge-
samten Bundesgebiet getragen werden. Der EEG-be-
dingte Ausbau des Verteilnetzes wird weiterhin nicht
bundesweit umgelegt, sondern belastet die Regionen mit
einem hohen Anteil an Solar- oder Windenergieanlagen,
wie es beispielweise in der Uckermark der Fall ist.
Änderungswünsche im EEG und EnWG, um diese
zunehmend standortbeeinträchtigenden Regelungen ab-
zuändern, wurden nicht aufgegriffen. Die fehlende ge-
samtstaatliche Finanzierungsverantwortung in diesem
Bereich konterkariert die Anstrengungen und schadet
ebenfalls der Akzeptanz der erneuerbaren Energien.
Die Debatte zur Marktintegration der erneuerbaren
Energien ist mit der Verabschiedung nicht abgeschlossen
oder für die nächsten vier Jahre ausgesetzt. Ich gehe da-
von aus, dass die Probleme, die ich benannt habe, in den
kommenden zwei Jahren ausgeräumt werden. Die Bran-
che ist dabei aufgefordert, von ihrer derzeitigen Diskus-
sionsstrategie zu einer konstruktiven Debatte zurückzu-
kehren. Die Branche kann angesichts der Erfolge der
vergangenen Jahre selbstbewusst auftreten und sollte
nicht weiter versuchen, sich schlechtzureden, um bessere
Vergütungssätze zu beanspruchen. Diese Strategie wird
auf Dauer nicht funktionieren. Es muss deutlich werden,
dass man bereit ist, Verantwortung für die Energiever-
sorgung in Deutschland zu übernehmen und Wind- und
Solaranlagen nicht vorwiegend als sehr erfolgreiche
Renditeobjekte gesehen werden. Marktintegration in den
Wettbewerbsmarkt darf nicht nur politisches Ziel sein,
sondern sollte auch von der Erneuerbare-Energien-Bran-
che selbst angestrebt werden. Ich erwarte von der Koali-
tion, zeitnah die wichtige Säule der Energiepolitik – die
erneuerbaren Energien – durch einen verbesserten
Rechtsrahmen zu stärken – und die angemessene parla-
mentarische Beteiligung bei den kommenden Debatten
abzusichern.
Anlage 10
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs und
Andreas G. Lämmel (beide CDU/CSU) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förde-
rung der Stromerzeugung aus erneuerbaren
Energien (Tagesordnungspunkt 4 c)
Den in der heutigen Sitzung des Bundestages zur Ab-
stimmung stehenden, von den Fraktionen CDU/CSU
und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten Ent-
würfen für ein Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrah-
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ens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneu-
rbaren Energien stimmen wir nicht zu. Deutschland ist
in wettbewerbsfähiges Industrieland und muss dies
leiben. Unsere Energieversorgung langfristig auf erneu-
rbare Energien umzustellen, ist richtig. Bei der Umge-
taltung unserer Energieversorgung sind die Gewährleis-
ng von Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähiger
reise für uns von hoher Bedeutung. Daher muss der
mstieg auf erneuerbare Energieträger mit wirtschaftli-
hem und technischem Augenmaß erfolgen. Die be-
chleunigte Energiewende darf den Industriestandort
icht gefährden.
An den nun anstehenden Entscheidungen haben wir
rhebliche Zweifel.
Erstens. Die Gewinnung von Elektrizität aus regene-
tiven Energieträgern ist viel teurer als die Nutzung der
isherigen Grundlastträger Gas, Kernenergie und Kohle.
rivate Verbraucher und die Unternehmen werden durch
en harten internationalen Wettbewerb höhere Strom-
reise zu tragen haben. Gerade Letzteres wird negative
olgen für die industrielle Basis, das verarbeitende Ge-
erbe und damit für den Wohlstand unseres Landes ha-
en.
Zweitens. Die notwendige Infrastruktur für die ange-
trebte Energiewende ist nicht ausreichend vorhanden.
b ein angemessener Ausbau wirklich gelingen wird,
ezweifeln wir. Das gilt für neue Stromtrassen und Spei-
her zur Kompensation der fluktuierenden erneuerbaren
nergieträger. Es birgt erhebliche Risiken für die Versor-
ungssicherheit, weil die Gefahr von Versorgungseng-
ässen und Stromausfällen droht. Zusätzlich ist uns nicht
rsichtlich, wie die notwendigen Investitionen finanziert
erden sollen.
Drittens. Die Neuregelung des Rechtsrahmens für die
örderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Ener-
ien ignoriert grundlegende ordnungspolitische, wirt-
chaftliche und technische Zusammenhänge. Sie setzt
nzureichende Anreize für Innovationen und Effizienz.
ie Photovoltaikanlagen als ineffizienter Kostentreiber
erden weiterhin deutlich überfördert. Die energieinten-
iven Unternehmen werden mit weiteren Kosten bela-
en, die ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit und
en Wohlstand Deutschlands bedrohen.
Wir akzeptieren den gesellschaftlichen Konsens und
ie Mehrheiten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in
ezug auf den Ausstieg aus der Kernenergie. An der Art
nd Weise der beschleunigten Energiewende, besonders
Bereich des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, haben
ir jedoch erhebliche Zweifel.
nlage 11
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Michael Luther (CDU/
CSU) zu den Abstimmungen:
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
Rechtsrahmens für die Förderung der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13635
(A) )
)(B)
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
– Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen
zur Beschleunigung des Netzausbaus Elek-
trizitätsnetze
(Tagesordnungspunkt 4 c, f und h)
Den in der heutigen Sitzung des Bundestages zur Ab-
stimmung stehenden und von den Fraktionen CDU/CSU
und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten Ent-
würfen für ein Gesetz über Maßnahmen zur Beschleuni-
gung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze, ein Gesetz zur
Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
und ein Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für
die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren
Energien stimme ich angesichts des breiten in der Bevöl-
kerung bestehenden Konsenses über den Ausstieg aus
der Atomenergie zu. Gleichwohl habe ich erhebliche Be-
denken gegen die jetzt geplante Art und Weise des Aus-
stiegs.
Sicherlich ist es unzweifelhaft richtig, die Basis unse-
rer Energieversorgung langfristig auf erneuerbare Ener-
gien umzustellen. Um jedoch die erneuerbaren Energien
als künftige Grundlage unserer Energieversorgung ent-
wickeln zu können, ohne dabei eine stabile und bezahl-
bare Stromversorgung in unserem Land infrage zu stel-
len, ist meines Erachtens ein längerer zeitlicher Vorlauf
erforderlich. Den jetzt gewählten Zeitrahmen halte ich
für unverantwortlich kurz.
Die Verstromung regenerativer Energieträger ist nach
heutigem Stand der Technik sehr viel teurer als die Nut-
zung von Kernenergie und Braunkohle als bisherige
Grundlastträger. Es ist zu bezweifeln, dass es gelingen
wird, in dem nun von uns gesetzten kurzen Zeitrahmen
unsere Energieversorgung von konventionellen Energie-
trägern vollständig auf erneuerbare Energieträger umzu-
stellen. Dies birgt erhebliche Risiken für die Grundver-
sorgungssicherheit. Erneuerbare Energien sind nicht
grundlastfähig.
Aufgrund der erheblichen Risiken für die Versor-
gungssicherheit mit grundlastfähigem Strom steht zu
befürchten, dass es zu Versorgungsengpässen und
Stromausfällen kommen wird. Infolgedessen kann es zu
einer Steigerung des Strompreises kommen. Neben der
Belastung von Privathaushalten wird dies auch erhebli-
che, heute noch nicht zu überschauende Folgen für die
industrielle Basis unseres Landes haben. Diese Folgen
sind bis heute weder ausreichend diskutiert noch im nöti-
gen Maße der Bevölkerung kommuniziert worden.
Ich sehe gleichwohl, dass der Ausstieg aus der Kern-
energie breiter gesellschaftlicher Konsens ist. Ich werbe
mit Nachdruck dafür, dass vor dem Hintergrund des sich
jetzt durch die heute verabschiedeten Gesetzentwürfe
konkretisierenden Ausstiegsszenarios die aufgeworfenen
Fragestellungen praxisnah diskutiert werden. Sofern bei
dem angestrebten Umbau unserer Energieversorgung
unvorhergesehene Schwierigkeiten auftreten, müssen die
nötigen Korrekturen an der Art und Weise und am Zeit-
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lan des Ausstiegs aus der Kernenergie vorgenommen
erden können.
nlage 12
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Arnold Vaatz (CDU/CSU) zu
den Abstimmungen über den Entwurf eines
Gesetzes zur steuerlichen Förderung von ener-
getischen Sanierungsmaßnahmen an Wohnge-
bäuden und über den Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung
in den Städten und Gemeinden (Tagesord-
nungspunkt 4 k und m)
Ich stimme beiden Gesetzentwürfen zu, obwohl ich
en beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung der Kern-
nergie ablehne und die Begründung beider Gesetzent-
ürfe darauf Bezug nimmt. Ich unterstütze dennoch die
diesen Gesetzen getroffenen Neuregelungen.
nlage 13
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/
CSU) zu den Abstimmungen:
– Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Än-
derung des Atomgesetzes
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
Rechtsrahmens für die Förderung der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
– Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen
zur Beschleunigung des Netzausbaus Elek-
trizitätsnetze
– Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen
Förderung von energetischen Sanierungs-
maßnahmen an Wohngebäuden
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes zur Errichtung eines Sondervermögens
„Energie- und Klimafonds“ (EKFG-ÄndG)
– Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der
klimagerechten Entwicklung in den Städten
und Gemeinden
– Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände-
rung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften
(Tagesordnungspunkt 4 a, c, f, h, k, l, m und n)
Ich stimme dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung
es Atomgesetzes (Drucksache 17/6246), dem Gesetz
ur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung
er Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (Druck-
ache 17/6247), dem Gesetz zur Neuregelung energie-
irtschaftsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/6248),
13636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
dem Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des
Netzausbaus Elektrizitätsnetze (Drucksache 17/6249),
dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energeti-
schen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden
(Drucksache 17/6251), dem Gesetz zur Änderung des
Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Ener-
gie- und Klimafonds“ (Drucksache 17/6252 (neu)), dem
Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in
den Städten und Gemeinden (Drucksache 17/6253) so-
wie dem Ersten Gesetz zur Änderung schifffahrtsrechtli-
cher Vorschriften zu, nachdem uns die Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel in verschiedenen Fraktionssitzungen
versichert hat, dass es durch diese Gesetze und Gesetzes-
änderungen zu keinen nennenswerten finanziellen Mehr-
belastungen für Industrie und Verbraucher in Deutsch-
land kommt.
Ferner wurde uns vonseiten der Bundesregierung zu-
gesichert, dass die zu beschließende Abschaltung der
deutschen Atomkraftwerke nur unter den fünf Rahmen-
bedingungen erfolgt, die die sogenannte Ethikkommis-
sion in ihrem Bericht aufgezeigt hat:
Bezahlbarkeit von Energie für Verbraucher und In-
dustrie erhalten. Keine Verschlechterung der Wettbe-
werbsfähigkeit für die deutsche Industrie. Einhaltung der
Klimaziele. Keinen Import von Kernenergie aus europäi-
schen Nachbarstaaten. Sicherung der Stabilität der deut-
schen Stromnetze.
Die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen wird
durch eine Projektgruppe überwacht.
Anlage 14
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Wolfgang Nešković (DIE
LINKE) zur Beratung des Entwurfs eines
Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes – Einführung eines
Ordnungsgeldes (Zusatztagesordnungspunkt 1)
Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Erstens. Die zur
Abstimmung stehenden Vorlagen ignorieren die funda-
mentale Bedeutung des Rede- und Abstimmungsrechts
der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Die ein-
bringenden Fraktionen von Union, SPD und FDP haben
sich verfassungsrechtlichen Bedenken vorsätzlich ver-
schlossen. Darin liegen eine Missachtung des Grundge-
setzes und eine unentschuldbare Ignoranz gegenüber
dem Bundesverfassungsgericht.
Zweitens. Die Initiativen von Union, SPD und FDP
haben eine Vorgeschichte: In der 60. Plenarsitzung des
17. Deutschen Bundestages am 17. September 2010 tru-
gen mehrere Abgeordnete der Fraktion Die Linke weiße
T-Shirts, die mit einem Aufdruck versehen waren, der
eine Ablehnung des Bahnprojektes „Stuttgart 21“ zum
Ausdruck brachte. Der Bundestagspräsident schloss die
Abgeordneten deswegen für die laufende Sitzung und
zwei Folgetage von den Beratungen des Deutschen Bun-
destages aus. Die Abgeordneten wehrten sich vor dem
Bundesverfassungsgericht und erreichten, dass der Bun-
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estagspräsident schließlich auf den Vollzug seiner Maß-
ahme verzichtete.
Drittens. Das Bundesverfassungsgericht hatte den an
em Organstreit Beteiligten ein Schreiben mit rechtli-
hen Hinweisen zukommen lassen. Neben kritischen Be-
erkungen in Bezug auf die Rechtsschutzmöglichkeiten
on ausgeschlossenen Abgeordneten – ein Einspruch ge-
en den Ausschluss hat keine aufschiebende Wirkung –
achte das Gericht auch Ausführungen zum Sitzungs-
usschluss von Abgeordneten. Das Gericht formulierte:
Im Extremfall könnte der Ausschluss von Abgeord-
neten erheblichen Einfluss auf die Willensbildung
im Parlament entfalten und Stimmenverhältnisse
wären durch Fehlgebrauch des Instrumentes „Sit-
zungsausschluss“ gar gezielt manipulierbar.
Viertens. Die zur Abstimmung stehenden Vorlagen
alten jedoch weiterhin daran fest, dass der Ausschluss
icht nur für den laufenden Sitzungstag, sondern auch
r künftige Sitzungstage erfolgen kann. Das ist nach
en Hinweisen des Verfassungsgerichts hochproblema-
sch und dürfte im Streitfall wohl keinen Bestand haben.
uch die Hinweise auf den mangelnden Rechtsschutz
Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung – sind
icht berücksichtigt worden.
Fünftens. Außerdem ist die Verwendung des Begrif-
s der „Würde des Bundestages“ in den zur Abstim-
ung stehenden Vorlagen nicht zielführend. Ordnungs-
aßnahmen können nur zur Aufrechterhaltung der
rbeitsfähigkeit des Parlaments verhängt werden. Der
egriff der „Würde“ ist darüber hinaus von vornherein
ur Menschen und nicht einem juristischen Konstrukt
ie dem Deutschen Bundestag vorbehalten. Schließlich
önnte die „Würde des Deutschen Bundestages“ auch
in inhaltlich niveauloser Redebeitrag oder auch ein ent-
prechender Zwischenruf beeinträchtigen. Dadurch wird
doch nicht die Arbeitsfähigkeit des Parlaments beein-
ächtigt, höchstens dessen Ansehen.
Sechstens. Schließlich bleibt in den Vorlagen unbe-
cksichtigt, dass das Ordnungsrecht als Maßnahme der
belszufügung strafrechtlichen Grundregeln folgen
uss. Danach muss – dem Schuldprinzip folgend – ein
ngemessenes Verhältnis zwischen der Veranlassung,
atbestandsseite, und der daran anknüpfenden Übelszu-
gung, Rechtsfolgenseite, bestehen: Das jeweils ge-
gte Verhalten muss in einem angemessenen Verhältnis
u der dadurch hervorgerufenen „Strafe“ stehen. In dem
ur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf wird jedoch
r alle denkbaren Fallgestaltungen, die von einer „nicht
ur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der
ürde des Bundestages“ bis zu einer „gröblichen Verlet-
ung der Ordnung oder der Würde des Bundestages“ rei-
hen, stets die gleiche „Strafhöhe“ festgesetzt. Das ist
ffenkundig mit dem verfassungsrechtlich geschützten
chuldprinzip unvereinbar. Nach der Rechtsprechung
es Bundesverfassungsgerichts setzt jede Strafe, nicht
ur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die
trafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht, Schuld vo-
us (BVerfG, NVwZ 2003, 1504). Offenkundig wollten
nion, FDP und SPD dem Präsidenten die Mühsal einer
chuldangemessenen Festsetzung des Ordnungsgeldes
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13637
(A) )
)(B)
ersparen. So verlegten sich die Entwurfsverfasser auf
pauschalierende Sanktionssätze ohne Wertungsmöglich-
keiten. Doch wer im Rechtsstaat strafen will, muss sich
– verfassungsrechtlich zwingend – dafür auch der Unbe-
quemlichkeit rechtsstaatlichen Abwägens stellen.
Siebtens. Diesen verfassungsrechtlichen Bedenken
haben sich die einbringenden Fraktionen vorsätzlich ver-
schlossen. Anträge von Linken und Grünen auf Durch-
führung einer Anhörung wurden abgelehnt. Nachdem
Union, FDP und SPD stattdessen wenigstens einem von
Linken und Grünen angeregten erweiterten Bericht-
erstattergespräch unter Einbeziehung von Sachverständi-
gen zugestimmt hatten, haben sie dann in diesem – ohne
Sachverständige einzuladen und ohne inhaltliche Befas-
sung mit der Sache – lediglich beschlossen, dass es
nichts zu diskutieren gibt. Sie haben damit das Bericht-
erstattergespräch zu einer Farce verkommen lassen und
auch erneute Anträge auf Durchführung einer Anhörung
abgelehnt.
Achtens. Die einbringenden Fraktionen fallen mit ih-
ren Vorstellungen von parlamentarischer Würde hinter
die demokratischen Errungenschaften des Norddeut-
schen Bundes aus dem Jahre 1869 zurück. In dessen Par-
lament gab es den Sitzungsausschluss nur für die lau-
fende Sitzung. Er stellte auch keine Strafmaßnahme dar,
sondern diente allein der Wiederherstellung der Ord-
nung. War diese wiederhergestellt, waren die Ausge-
schlossenen zurück in den Saal zu bitten und unklare
Abstimmungen unter ihrer Beteiligung nachzuholen.
Im Reichstag des zweiten Deutschen Kaiserreiches
gab es den Sitzungsausschluss lange Zeit überhaupt
nicht. Er wurde erst im Jahre 1895 eingeführt – für die
laufende Sitzung. Ein Jahr zuvor missachtete ein Abge-
ordneter die „Würde“ des Parlamentes. Der Mann wei-
gerte sich, aufzustehen, als ein Hochruf auf den Kaiser
ausgebracht wurde. Er hatte keine Achtung vor dem
Monarchen. Warum sollte er sich also benehmen, als sei
es anders? Es wäre würdelos gewesen.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung
ehebezogener Regelungen im öffentlichen
Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften
– Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung
der eingetragenen Lebenspartnerschaften
mit der Ehe im Bundesbeamtengesetz und in
weiteren Gesetzen (Tagesordnungspunkt 11)
Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Mit
dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz zur
Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen
Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften werden wir das
Dienstrecht modernisieren und an die aktuelle Lebens-
wirklichkeit anpassen. Wir werden also insbesondere
Lebenspartnerschaften im Bundesbesoldungsgesetz in
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ie Regelungen zum Familienzuschlag und zur Aus-
ndsbesoldung integrieren. Wir werden Lebenspartner
un auch im Beamtenversorgungsgesetz des Bundes so-
ie im Soldatenversorgungsgesetz bei der Hinterbliebe-
enversorgung einbeziehen. Wir werden Lebenspartner
Bundesbeamtengesetz bei der Beihilfe berücksichti-
en, und im Gesetz über den Auswärtigen Dienst werden
ir die Fürsorge auf den Lebenspartner der entsandten
eamtin oder des Beamten ausdehnen.
Dies alles soll rückwirkend zum 1. Januar 2009 einge-
hrt werden. Auf der Ebene von Rechtsverordnungen
erden wir dies in separaten Vorschriften umsetzen,
um Beispiel in der Auslandszuschlagsverordnung oder
der Bundesbeihilfeverordnung.
Die CDU/CSU-Fraktion verwirklicht mit dem vorlie-
enden Gesetzentwurf eine sehr weitgehende und ver-
ntwortbare Übertragung ehebezogener Regelungen.
ir kommen Ihnen da sehr weit entgegen, meine Damen
nd Herren der Opposition; aber der von Ihnen beantrag-
n vollständigen Gleichstellung stimmen wir nicht zu.
ir werden die Ehe auch weiterhin gegenüber anderen
eziehungsformen begünstigen, und ich möchte Ihnen
ies sowohl moralisch wie auch juristisch begründen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Lühmann, Sie betonten in
er ersten Lesung zum Beispiel die Situation der soge-
annten Regenbogenfamilien und forderten die völlige
leichstellung dieser Lebenspartnerschaften mit der
he. Hierfür ziehen Sie maßgeblich eine Studie der Uni-
ersität Bamberg aus dem Jahr 2009 als Beleg für Ihre
hesen heran. Projektleiterin dieser Studie war Frau
r. Marina Rupp. Frau Dr. Rupp äußert sich zu den di-
ergierenden Einschätzungen beim Thema Adoption in
us Politik und Zeitgeschichte im Jahr 2009 sehr diffe-
nziert, unter anderem zu der Meinung von Experten,
ie „den Kindern neben dem ‚Verlust‘ der eigenen Fami-
e nicht das Risiko der Diskriminierung zumuten“
öchten, „das beim Aufwachsen in einer gleichge-
chlechtlichen Lebenspartnerschaft nicht auszuschließen
ei.“
Für uns sollten das Wohl des Kindes an erster und die
ünsche der Eltern an zweiter Stelle stehen. Insgesamt
t die eher seltene Beziehungsform der Regenbogenfa-
ilie viel zu wenig erforscht, als dass wir im Bereich der
doption mit einer völligen Gleichstellung experimen-
eren sollten.
Am 6. Juni 2011 erfolgte eine öffentliche Sachver-
tändigenanhörung im Deutschen Bundestag zum Ge-
etzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur so-
enannten Fremdkindadoption durch gleichgeschlecht-
che Lebenspartner. Professor Dr. Klaus Gärditz von der
niversität Bonn kritisierte in dieser Anhörung, dass es
en Initiatoren der Sachverständigenanhörung nicht um
as Wohl des Kindes gehe, das im Adoptionsrecht ei-
entlich alleiniger Maßstab sei, sondern im Kern um die
teressen von Erwachsenen.
Die Adoption ist unserer Auffassung nach Hilfe für
ereits geborene Kinder, die aus unterschiedlichen Grün-
en Eltern und Familie verloren haben. Sie dient nicht
er Heilung einer Kinderlosigkeit von Paaren, insofern
13638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
kann auch kein Rechtsanspruch auf diese Elternschaft
bestehen. Solange wir nicht sicher ausschließen können,
dass Fremdkindadoptionen dem Wohl der betroffenen
Kinder zuwiderlaufen, sehe ich die Pflicht des Gesetzge-
bers, der Ehe auch weiterhin das grundgesetzlich mani-
festierte Exklusivrecht zur Fremdkindadoption zu erhal-
ten.
Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, die
Forderung der Linken, die Ehe insgesamt abzuschaffen,
ist grotesk; das werde ich nicht weiter kommentieren.
Ich kommentiere aber gerne Ihr gemeinsames Wunsch-
bild einer bunten Regenbogengesellschaft in Deutsch-
land: Wir wollen zugunsten beliebiger Beziehungsfor-
men nicht einfach alles fördern und damit das
traditionelle Familienbild als Fundament dieser Gesell-
schaft nach und nach entwerten. Die traditionelle Fami-
lie ist immer noch die stabilste Form sozialen Zusam-
menlebens, und das ist für uns Grund genug, auch
künftig vehement für die Privilegierung dieser Bezie-
hungsform einzutreten.
Währenddessen dürfen Sie sich gerne von Lesben-
und Schwulenverbänden als Initiatoren der Lebenspart-
nerschaft feiern lassen. Allerdings beschleicht mich der
Verdacht, dass auch der eine oder andere in Ihren Reihen
unsere moralische wie juristische Position nachvollzie-
hen kann. Anders ist für mich nicht zu erklären, dass die
rot-grüne Regierung die Gleichstellung nicht einmal in
der zweiten Amtsperiode bis 2005 eingeführt hat. Selbst
in Nordrhein-Westfalen wird die Umsetzung zum Unmut
von homosexuellen Medien nicht schnell genug voran-
getrieben. Insofern kann ich Ihre Aufgeregtheit schon
verstehen; immerhin sind Sie nur in der Beobachterrolle
in Bezug darauf, wie eine christlich-liberale Bundesre-
gierung eine maßgeschneiderte Modernisierung bei die-
sem Thema bewerkstelligt.
Ich möchte Ihnen abschließend auch unsere juristi-
sche Bewertung nicht schuldig bleiben: Das Bundesver-
fassungsgericht hat im Juli 2009 festgestellt, dass es dem
Gesetzgeber freisteht, die Ehe gegenüber anderen Bezie-
hungsformen zu begünstigen. Hierfür bedarf es gemäß
dem Urteil jenseits des Schutzes der Ehe aus Art. 6
Abs. 1 Grundgesetz eines hinreichend gewichtigen
Sachgrundes, der die Benachteiligung anderer Lebens-
formen rechtfertigt. Diese Sachgründe liegen für mich
auf der Hand:
Erstens. Ehepaarfamilien gewährleisten durch ihre
Form des Zusammenlebens immer noch die besten Be-
dingungen für das Wohl der Kinder; diese Einschätzung
hat der Gesetzgeber richtigerweise bisher nicht revidiert.
Zweitens. Die Vorgaben der Natur sind eine Richt-
schnur für die Logik unseres Lebens. So gibt es natürli-
cherweise bei der Funktion der Weitergabe des Lebens
bereits keine Gleichstellung einer heterosexuellen Ehe
mit einer homosexuellen Partnerschaft. Dass es Lebens-
partnerschaften gibt, wird damit nicht bestritten. Aus ih-
nen kann aber nie Elternschaft entstehen.
Deshalb werden wir Ehe und Familie nicht relativie-
ren, indem wir andere Formen menschlichen Zusam-
menlebens in gleicher Weise ordnen. Die gesetzliche
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nerkennung als gleichgeschlechtliche Ehe ist und
leibt für uns nicht verfassungsgemäß.
Es ist erklärtes Ziel der christlich-liberalen Koalition,
en öffentlichen Dienst zukunftsfähig zu gestalten. Die
ier eingebrachten Regelungen sind ein wichtiger Mosa-
stein, um die Attraktivität der Bundesverwaltung als
ffentlicher Arbeitgeber wieder ein Stück voranzubrin-
en.
Wir gewährleisten mit diesem Gesetzentwurf der
undesregierung unseren politischen Auftrag, Ehe und
amilie besonders zu schützen, erfüllen aber gleichzeitig
uch die Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern, im
ienstrecht bestimmte ehebezogene Regelungen auf Le-
enspartnerschaften im Einklang mit unserer Verfassung
u übertragen.
Deshalb stimmen wir für den Antrag der Bundesre-
ierung.
Norbert Geis (CDU/CSU): Im Gesetzentwurf der
undesregierung wird versucht, die vollständige Gleich-
tellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaf-
n mit der Ehe im Recht des öffentlichen Dienstes des
undes, soweit es sich um ehebezogene Regelungen
andelt, herzustellen. Der Vorschlag der Grünen, über
en ebenfalls heute entschieden wird, geht viel weiter.
ie Grünen möchten durch einfache Gesetzgebung die
tale Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der
he in unserer Rechtsordnung erreichen. Das halte ich
r verfassungswidrig. Man kann nicht die Verfassung
it einem einfachen Gesetz durch die Hintertür ändern.
er die Verfassung ändern oder ergänzen will, kann dies
ur mit der dafür notwendigen qualifizierten Mehrheit
nd in dem dafür notwendigen Verfahren erreichen. Ein
infaches Gesetz genügt nicht. Dies wäre ein Verstoß ge-
en Art. 79 GG.
Wir haben einen Verfassungsstaat. Unsere Verfassung
t die höchste Norm der staatlichen Rechtsordnung. Sie
at Vorrang vor allen anderen Normen. Sie hat Geltung
egenüber allen Organen des Staates. Sie hat einen be-
onderen Bestandsschutz und ist deshalb nur schwer ab-
nderbar – Art. 79 GG. Die Verfassung ist die Grundlage
nseres Staatswesens. Sie ist unmittelbar geltendes Ver-
ssungsrecht. Sie normiert höchste Rechtsgüter. Dazu
ählt auch Art. 6 GG, der Schutz von Ehe und Familie.
Es handelt sich bei Art. 6 GG nicht um eine unver-
indliche Deklaration, sondern um einen Befehl der Ver-
ssung an alle Staatsorgane, Ehe und Familie ganz be-
onders zu schützen. Die Verfassung hebt die Ehe und
ie Familie in besonderer Weise heraus und stellt sie als
ochrangiges Rechtsgut neben die Würde des Men-
chen, das Recht auf Freiheit und Leben, auf Gleichheit,
uf Glaubens- und Gewissensfreiheit und andere hoch-
ngige Rechtsgüter.
Durch die völlige Egalisierung von Ehe und gleichge-
chlechtlicher Lebensgemeinschaft wird die herausgeho-
ene Bedeutung von Ehe und Familie verletzt. Die Le-
enspartnerschaft soll gewissermaßen als eine weitere
orm der Ehe gelten und dieselbe Förderung und densel-
en Rechtsschutz haben wie die Ehe auch. Sie soll in un-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13639
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serer Rechtsordnung völlig gleichrangig neben der Ehe
stehen, mit denselben rechtlichen Regelungen. Wenn
zwei Institute in der Rechtsordnung völlig gleich behan-
delt werden, dann sind sie auch gleich. Das ist das Ziel
der Grünen und der gesamten Opposition. Damit aber
missachtet die Opposition nicht nur Art. 6 GG, sondern
auch Art. 79 GG.
Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
17. Juli 2002 noch anerkannt, dass es sich bei der Ehe
um ein Aliud handele, um etwas ganz anderes. Dennoch
war dieses Urteil der Beginn der Gleichstellung. Die Ar-
gumentation des Gerichtes war blauäugig. Wenn zwei
Gegenstände gleich behandelt werden, dann sind sie
auch gleich. Ungleiches kann man nicht gleich behan-
deln. Da hilft auch die Beteuerung nicht, die Ehe sei et-
was ganz anderes. Wer so argumentiert, macht sich un-
glaubwürdig.
Durch das Ergänzungsgesetz zum Lebenspartner-
schaftsgesetz vom Jahre 2005 wurde die rechtliche
Gleichstellung mit der Ehe sehr weit vorangetrieben. Die
Türe, die das Verfassungsgericht geöffnet hat, hat die
seinerzeitige Mehrheit mit großem Selbstbewusstsein
durchschritten. Mit dem Urteil vom 7. Juli 2009 hat das
Verfassungsgericht diese Richtung bestätigt. Das Gericht
leitet aus Art. 3 GG ab, beide Personengruppen, die Ehe-
leute und die gleichgeschlechtlichen Partner oder Partne-
rinnen, seien deshalb gleich zu behandeln, weil sie beide
eine sexuelle Orientierung hätten, wie unterschiedlich
diese auch sei. Das Gericht übergeht damit den eigentli-
chen Grund, weshalb in der Verfassung Ehe und Familie
als Höchstwert normiert sind. Ehe und Familie sind des-
halb als ein Höchstwert durch die Verfassung herausge-
stellt worden, weil sie die Generationenfolge sichern sol-
len. Aus diesem Grund wird sie im Vergleich zu anderen
menschlichen Vereinigungen in besonderer Weise privi-
legiert. Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft
kann dies naturgemäß nicht leisten. Deshalb kann sie der
Ehe auch nicht gleichgestellt werden. Sie kann nicht als
eine andere Form der Ehe mit dieser auf gleicher Höhe
stehen. Dadurch würde die Verfassung verändert, die in
diesem Zusammenhang nur die Ehe und Familie als
Höchstwert herausgestellt hat. Wer dies ändern will,
muss die Verfassung ändern. Der Versuch, über ein Ge-
setz die Verfassung zu ändern, verstößt gegen Art. 79
GG. Er ist verfassungswidrig. Der Antrag der Grünen ist
deshalb abzulehnen.
Das Bestreben, die Lebenspartnerschaft durch einfa-
ches Gesetz der Ehe gleichzustellen, verstößt gegen
Art. 6 GG und gegen Art. 79 GG. Zwar wird mit dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung keinesfalls die voll-
ständige Gleichstellung der beiden Institute erreicht. Das
Gesetzgebungsvorhaben ist deshalb für sich genommen
nicht verfassungswidrig. Es verstärkt aber die Tendenz
und ist deshalb verfassungspolitisch sehr bedenklich.
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Mit der
heutigen Debatte und Beschlussfassung über die Gleich-
stellung von Lebenspartnerschaften vollziehen wir einen
weiteren Schritt hin zu Akzeptanz und Normalität ge-
genüber homosexuellen Paaren in Deutschland. Das war
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berfällig und kommt keineswegs zu früh. Der Gesetz-
ntwurf ist aber nicht ausreichend, denn durch eine will-
ürliche Stichtagsregelung wird weiterhin echte Gleich-
tellung verweigert.
Im Jahr 2001 haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen
ndlich überhaupt erst die sogenannte Homo-Ehe einge-
hrt. Weil eben nicht die sexuelle Orientierung eines
enschen mehr oder weniger wertvoll ist, sondern die
ereitschaft, sich in Liebe zu binden und in guten wie in
chlechten Tagen füreinander einzustehen, war dies ein
ichtiger Baustein bei der Öffnung unserer Gesellschaft
r Menschen, die auch heute noch unter Vorurteilen und
ft genug auch unter Benachteiligungen zu leiden haben.
Nun hat uns das Verfassungsgericht aufgetragen, auch
öffentlichen Dienstrecht ehebezogene Regelungen
uf die Lebenspartnerschaften zu übertragen. Die Euro-
äische Union hat das Ihre unterstützend festgestellt.
as leider aus freien Stücken nicht gelang, wird so
urch unser höchstes Gericht erzwungen. Schade, dass
ies überhaupt notwendig war.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Koalition nun
nicht frei von zum Teil befremdlichen Kommentaren
nd geschmacklosen Bemerkungen – schließlich doch
eliefert hat. Wir bedauern, dass aber ein falscher Zeit-
unkt für die rückwirkende Geltung der Ansprüche defi-
iert wurde. Das einschlägige Gesetz gilt seit 2001. Aber
rst ab dem Januar 2009 will die Bundesregierung An-
prüche anerkennen. Das riecht nach Willkür und wirk-
ch nur widerwillig vollzogener Gleichstellung.
Soweit haushalterische Gründe geltend gemacht wer-
en, so überzeugen diese nicht. Denn es geht erstens um
leichstellung und nicht um Rechenschieberei, und es
andelt sich zweitens keineswegs um Unsummen, die
ier in Rede stehen. Wohl aber wäre das Symbol einer
irksamkeit von Anfang an ein wichtiges Signal der
ereitschaft zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher
indungen.
Was heute angesichts der aktuellen Mehrheitsverhält-
isse nicht gelingt, bleibt ein Auftrag für morgen. Wir
ehmen ihn an.
Michael Kauch (FDP): Schritt für Schritt zur
leichstellung von Lesben und Schwulen; heute setzen
ir ein weiteres Projekt der FDP-Fraktion um.
Auf Initiative der Liberalen wurden eingetragene Le-
enspartner bereits bei Erbschaftsteuer, Grunderwerb-
teuer und BAföG mit Ehegatten gleichgestellt. Dabei ist
nser Ziel die volle Gleichstellung eingetragener Le-
enspartnerschaften mit der Ehe.
Nun also folgt die Verabschiedung des Gesetzes zur
leichstellung von Lebenspartnern im Beamten-, Solda-
n- und Richterrecht sowie im Entwicklungshelfer-
esetz. Bereits vor Veröffentlichung der einschlägigen
erichtsurteile hatte die FDP in den Koalitionsverhand-
ngen dieses Projekt gegenüber der Union durchgesetzt.
Jetzt also beschließen wir, was längst überfällig war.
ährend gesetzlich Rentenversicherte beim Tod des Le-
enspartners seit 2005 eine Hinterbliebenenrente erhal-
13640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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ten, ging bisher der Lebenspartner eines Bundesbeamten
komplett leer aus. Eine himmelschreiende Ungerechtig-
keit – und eine soziale Härte, die der Dienstherr verur-
sacht hat, der doch eine besondere Fürsorgepflicht hat.
Außerdem erfolgt nun bei Besoldung und Beihilfe eben-
falls eine Gleichstellung mit verheirateten Kollegen. Das
ist nur recht und billig, denn bei den Pflichten sind die
eingetragenen Lebenspartner ja schon längst mit Ehegat-
ten gleichgestellt.
Wir Liberale meinen: Wer gleiche Pflichten hat, muss
auch gleiche Rechte bekommen. Mit diesem Gesetzent-
wurf wird ein weiterer Schritt zu diesem Prinzip ge-
macht.
Doch wir sind bei der Gleichstellung noch nicht am
Ende. Bei der Einkommensteuer und beim Adoptions-
recht werden eingetragene Lebenspartner noch immer
benachteiligt. Auch diese Diskriminierung muss ein
Ende haben. Gerade bei der Einkommensteuer erinnern
wir den Koalitionspartner an die Bestimmungen des Ko-
alitionsvertrages. Dort haben wir vereinbart, dass wir
auch im steuerlichen Bereich gleichheitswidrige Be-
nachteiligungen eingetragener Lebenspartner abbauen
werden.
Heute freuen wir uns aber zunächst einmal gemein-
sam darüber, dass der Staat seine lesbischen und schwu-
len Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair und gleichbe-
rechtigt behandelt. Zeit wurde es!
Dr. Stefan Ruppert (FDP): Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf werden wir heute abschließend die Be-
nachteiligung von Lebenspartnerschaften im öffent-
lichen Dienstrecht abschaffen. Besonders die FDP hat
lange für diese Gleichstellung gekämpft. Wir haben da-
mit einen wichtigen Punkt aus dem Koalitionsvertrag
umgesetzt.
Das vorliegende Gesetz steht im Einklang mit der
Richtlinie 2000/78/EG der Europäischen Union. Die
Richtlinie des Rates stammt vom 27. November 2000.
Ihr Ziel ist es, einen Rahmen für die Gleichbehandlung
in Beschäftigung und Beruf vorzugeben. Sie ist eines der
Kernstücke der Gleichstellungspolitik der Europäischen
Union.
Deutschland hat die Richtlinie durch das „Gesetz zur
Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ vom 4. August
2006 umgesetzt. Eine Reihe von Urteilen hat jedoch ge-
zeigt, dass bei der Gleichstellung im Arbeitsleben noch
Regelungsbedarf besteht. Ich möchte hier zwei Urteile
exemplarisch herausgreifen:
Der Europäische Gerichtshof stellte 2008 im Fall
Maruko eine Ungleichbehandlung von Lebenspartner-
schaften gegenüber den Ehen fest. Der Kläger Maruko
hatte geklagt, weil die „Versorgungsanstalt der Deut-
schen Bühnen“ sich weigerte, ihm eine Hinterbliebenen-
rente für seinen verstorbenen Lebenspartner zu zahlen.
Der Europäische Gerichtshof stellte abschließend einen
Verstoß gegen die erwähnte Richtlinie 2000/78/EG fest.
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Auch das Bundesverfassungsgericht zeigte mit sei-
em Urteil vom 7. Juli 2009 Handlungsbedarf auf. Aus-
angspunkt war eine Verfassungsbeschwerde, die die
ngleichbehandlung von Ehen und eingetragenen Le-
enspartnerschaften im Bereich der betrieblichen Hinter-
liebenenvorsorge für den öffentlichen Dienst, VBL,
ritisiert. Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem
chluss, dass diese Ungleichbehandlung mit Art. 3 des
rundgesetzes unvereinbar ist.
Dieses Urteil war ein Meilenstein auf dem Weg zu
ehr Gleichbehandlung. Bis 2009 hatte die Mehrheit der
eutschen Gerichte die Auffassung vertreten, dass das
echtsinstitut der Lebenspartnerschaft mit dem Rechts-
stitut der Ehe nicht vergleichbar ist. Die Gerichte gin-
en davon aus, dass der Gesetzgeber Ehen fördern darf,
eil sie typischerweise zur Gründung einer Familie füh-
n. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem
rteil zurückgewiesen. Die abstrakte Vermutung, dass
hen typischerweise zur Gründung einer Familie führen,
ichte nicht aus, um zahlreichen kinderlosen Ehen eine
ergünstigung zukommen zu lassen, die kinderlosen Le-
enspartnern vorenthalten blieb.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun eben-
lls einen „Gesetzentwurf zur Gleichstellung von einge-
agenen Lebenspartnerschaften im Bundesbeamtenge-
etz und in weiteren Gesetzen“ vorgelegt. Es wäre besser
ewesen, die Grünen hätte schon während ihrer Zeit an
er Regierung dafür gesorgt, dass diese Gleichstellung
Beamtenrecht vorangetrieben wird. Wir müssen nun
usbaden, was sie versäumt haben. Die christlich-libe-
le Bundesregierung ist wieder einmal der Reparaturbe-
ieb für die Versäumnisse während der rot-grünen Re-
ierungszeit.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
t inhaltlich sehr weitgehend und wurde auch von Ver-
änden explizit gelobt. Eine Gleichstellung erfolgt ins-
esondere durch folgende Maßnahmen: Im Bundesbe-
oldungsgesetz werden die ehebezogenen Regelungen
um Familienzuschlag und zur Auslandsbesoldung auf
ebenspartnerschaften ausgedehnt. Im Bundesbeamten-
esetz werden Lebenspartner in die Vorschrift über die
eihilfe aufgenommen. Im Beamtenversorgungsgesetz
nd im Soldatenversorgungsgesetz werden Lebenspart-
er in die Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung
inbezogen. Im Gesetz über den Auswärtigen Dienst
erden die Vorschriften über die Fürsorge des Auswärti-
en Amtes für die Ehegatten der ins Ausland entsandten
eamten auf Lebenspartner ausgedehnt.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir nun
inen weiteren Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung
on Lebenspartnerschaften. Es wird bestimmt nicht der
tzte Schritt sein. Das ist auch gut so, weil es immer
och Bereiche gibt, in denen gleichgeschlechtliche Le-
enspartnerschaften rechtlich benachteiligt sind. Von ge-
ellschaftlicher Benachteiligung möchte ich an dieser
telle ganz absehen.
Frank Tempel (DIE LINKE): Der vorliegende Ge-
etzentwurf ist eine notwendige Folge der EU-Antidis-
riminierungsrichtlinie, des Bundesverfassungsgerichts-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13641
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urteils vom 9. Juli 2010 und der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes. Denn bis heute hatte sich
Schwarz-Gelb zu einer Aufhebung der Benachteiligung
von Lebenspartnerschaften im Beamten-, Einkommens-
und Steuerrecht nicht durchringen können, obwohl dies
im eigenen Koalitionsvertrag steht. Für mich ist es un-
glaublich, dass diese rechtliche Gleichstellung bis heute
noch nicht erfolgt ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein richtiger
Schritt, doch hatte man bei der Umsetzung nicht den
Eindruck von besonderer Eile oder gar von Herzblut.
Es ist richtig, die ehebezogenen Regelungen des Bun-
desbesoldungsgesetzes, des Bundesbeamtengesetzes, des
Beamtenversorgungsgesetzes und des Soldatenversor-
gungsgesetzes auf die Lebenspartnerschaften auszudeh-
nen. Es ist aber nicht nachvollziehbar, die Rückwirkung
auf den 1. Januar 2009 zu legen. Richtiger ist der Ansatz
im Gesetzentwurf der Grünen und im entsprechenden
Änderungsantrag der SPD und der Linken. Der 1. August
2001 war der Termin der Einführung des Lebenspartner-
schaftsgesetzes. Es spricht also nichts gegen diesen Ter-
min.
Ich weiß nicht, ob es nur finanzielle Erwägungen sind,
die es der Koalition unmöglich machen, diesen Termin zu
setzen. Rechtlich wird sich der 1. Januar 2009 als Stich-
tag nicht halten lassen, und das wissen Sie. In einem Ant-
wortschreiben der Justizministerin an den Lesben- und
Schwulenverband Deutschlands vom 23. Juni 2011 hat
die Ministerin unumwunden zugegeben, dass der 3. De-
zember 2003 nach EU-Recht der Stichtag zur Gleichstel-
lung von homosexuellen Partnerschaften ist. Es bestehe
aber „keine Aussicht“, so die Ministerin, „hierüber im …
Gesetzgebungsverfahren mit dem Koalitionspartner eine
Einigung erzielen zu können“. Sie begeben sich sehenden
Auges in eine juristische Niederlage, und das, obwohl die
Bundesländer Berlin und Sachsen-Anhalt, als sie ihre
Landesbeamtinnen und -beamten gleichstellten, die
Rückwirkung auf 2003 legten.
Wenn wir uns anschauen, wie Sie beispielsweise die
Fristvorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Ände-
rung des Wahlrechts unterlaufen und damit eine mögli-
che Verfassungskrise in Kauf nehmen, wundert uns Ihr
Verhalten bei diesem Thema – Ihrer Meinung nach si-
cherlich ein Randthema – nicht.
Die Linke kann deshalb dem Entwurf in der vorlie-
genden Form nicht zustimmen und wird sich enthalten.
Vermutlich ist die inkonsequente Behandlung des
Problems auf ein nach wie vor konservatives Familien-
bild zurückzuführen. Familie ist für viele insbesondere
in der CDU/CSU der eigentliche Ort der Kindererzie-
hung. Alle anderen Formen werden geduldet, sollen aber
nicht unterstützt werden. Die Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts hat dem einen Strich durch die
Rechnung gemacht. Und das ist gut so!
Die Linke will die rechtliche Gleichstellung und ge-
sellschaftliche Akzeptanz der vielfältig vorhandenen Le-
bensweisen. Dazu gehört vor allem die vollständige
Überwindung der Ungleichbehandlung von heterosexu-
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llen Ehegatten und homosexuellen eingetragenen Le-
enspartnerinnen und -partnern. Bisher sind Ehe und Le-
enspartnerschaft in den Pflichten, beispielsweise den
egenseitigen Unterhaltspflichten, völlig gleichgestellt;
ie eingetragenen Lebenspartnerschaften werden aber in
ielen Bereichen des Rechts, etwa im Steuerrecht, im
doptionsrecht und bei der Sozialversicherung, weiter
enachteiligt. Die Linke setzt sich deshalb für die völlige
leichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft in allen
ereichen des Rechts ein.
Die Gleichberechtigung der Lebensweisen ist mit ei-
er bloßen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspart-
erschaft nicht erreicht. Denn es existiert eine Vielzahl
on Lebensweisen und Familienformen, für die eine
heschließung oder eine eingetragene Lebenspartner-
chaft nicht infrage kommt: Einelternfamilien, Singles,
usammenlebende Freunde, Verwandte, Patchworkfami-
en, Wahlverwandtschaften oder auch Paare, die sich
egen Ehe und Lebenspartnerschaft entschieden haben.
eshalb kann die Gleichbehandlung von Ehe und Le-
enspartnerschaft nur ein erster Schritt auf dem Weg zu
iner umfassenden Lebensweisenpolitik sein, in der die
nerkennung aller Lebensweisen zum Wohle der Be-
offenen, aber insbesondere der Kinder ein leitendes
rinzip ist.
Die Fraktion Die Linke will zum Beispiel das nicht
ehr zeitgemäße, aus dem Jahre 1957 stammende Ehe-
attensplitting überwinden. Heute kann man nicht mehr
avon ausgehen, dass nahezu alle Ehepaare Kinder ha-
en. Das Ehegattensplitting begünstigt aber Ehepaare
hne Rücksicht darauf, ob sie Kinder haben oder nicht.
s dient also nicht der Entlastung von Familien mit Kin-
ern. In nichtehelichen Lebensgemeinschaften und alter-
ativen Familienformen wird die Verantwortung für Le-
enspartner und Kinder genauso übernommen. An
ieser Realität geht das Ehegattensplitting vorbei.
Die Fraktion Die Linke fordert ein sozial gerechtes,
infaches und transparentes Steuersystem. Das bedeutet
onkret: Jede Frau und jeder Mann ist mit dem eigenen
inkommen unabhängig von der jeweiligen Lebens-
eise – verheiratet, alleinstehend, geschieden – zu be-
teuern. Steuerliche Mehreinnahmen, die aus der Strei-
hung des Ehegattensplittings resultieren, sind für die
rhöhung des Kindergeldes zu verwenden. Ehepaare mit
nterem oder/und mittlerem Einkommen werden durch
en Wegfall des Ehegattensplittings nicht zusätzlich be-
stet, wenn gleichzeitig der Einkommensteuertarif zu
ren Gunsten geändert wird.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungs-
oalition, diskriminieren Sie nicht weiter nichteheliche
emeinschaften, sondern stellen Sie sich den Realitäten
es 21. Jahrhunderts!
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ass die Koalitionsmehrheit heute den Gesetzentwurf
er Bundesregierung unverändert annimmt und den Ge-
etzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen ablehnt, kommt
iner rechtsstaatlichen Bankrotterklärung gleich. Für die
berale Rechtspolitik ist es ein Offenbarungseid, dass
ie Bundesjustizministerin bereits vor Verabschiedung
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des Gesetzes dazu ermunterte, gerichtlich dagegen vor-
zugehen.
Dem Gesetzentwurf zufolge sollen die verpartnerten
Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter, Sol-
datinnen und Soldaten und andere Versorgungsempfänger
des Bundes erst ab dem 1. Januar 2009 im Besoldungs-
und Versorgungsrecht mit Ehegatten gleichgestellt werden.
Das widerspricht dem bindenden Urteil des Europäischen
Gerichtshofs vom 10. Mai 2011 in der Rechtssache Römer.
Der EuGH hat entschieden, dass die Betroffenen ab dem
Ablauf der Umsetzungsfrist der arbeitsrechtlichen Antidis-
kriminierungsrichtlinie am 3. Dezember 2003 Anspruch
auf dasselbe Arbeitsentgelt wie ihre verheirateten Kolle-
gen haben, und zwar unabhängig davon, ob der deutsche
Gesetzgeber die Gesetze entsprechend ändert oder nicht.
Hierauf hat der Lesben- und Schwulenverband in
Deutschland die Bundesjustizministerin mit einem
Schreiben vom 10. Mai 2011 hingewiesen. Die Bundes-
justizministerin hat in ihrem Antwortschreiben vom
23. Juni 2011 die Rechtsauffassung des LSVD bestätigt.
Wörtlich schreibt sie:
Der Europäische Gerichtshof hat am 10. Mai 2011
entschieden, dass Betroffene das durch die Richtli-
nie 2000/78/EG gewährleistete Recht auf Gleichbe-
handlung ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist, also
ab dem 3. Dezember 2003, unmittelbar aus der
Richtlinie geltend machen können. Dabei müssen
sie nach der ausdrücklichen Feststellung des Ge-
richts gerade nicht abwarten, dass der nationale Ge-
setzgeber die maßgeblichen Vorschriften mit dem
Unionsrecht in Einklang bringt.
Dieser Gesetzentwurf ist also so eindeutig europa-
rechtswidrig, dass selbst Bundesjustizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger die Betroffenen damit
trösten möchte, sie könnten doch vor Gericht ziehen.
Das ist schlichtweg zynisch. Wie können die Bundesjus-
tizministerin und die FDP angesichts solch hochnotpein-
licher Gesetzgebung noch davon sprechen, für Gleichbe-
rechtigung und Bürgerrechte stehen zu wollen?
Das Dilemma ist schnell erkannt, denn in ihrem
Schreiben an den LSVD erklärt die Bundesjustizministe-
rin auch, sie sehe keine Aussicht, über das erkannte Pro-
blem im bereits seit längerer Zeit laufenden Gesetz-
gebungsverfahren mit dem Koalitionspartner eine
Einigung erzielen zu können. Die Koalition bricht also
ganz bewusst das Recht und ist in einem wesentlichen
menschenrechtlichen Aspekt tief gespalten. Die Union
will den Lesben und Schwulen ihre Rechte vorenthalten,
weil sie für sie offenbar keine vollwertigen Staatsbürge-
rinnen und Staatsbürger sind. Die FDP hingegen betreibt
nur verbale Imagepflege, will aber für die Rechte von
Lesben und Schwulen keinen Koalitionskrach riskieren.
Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare im Be-
amtenrecht wie in anderen Rechtsgebieten ist verfassungs-
und europarechtswidrig. Bündnis 90/Die Grünen wieder-
holen dies seit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschafts-
gesetzes 2001, und das wurde mehrmals gerichtlich festge-
stellt. Dennoch musste sich die Bundesrepublik nicht nur
vor den nationalen Gerichten, sondern auch auf der euro-
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äischen Ebene – vor dem Europäischen Gerichtshof in
uxemburg mit der Maruko-Entscheidung und vor der Eu-
päischen Kommission in einem Vertragsverletzungsver-
hren – mehrmals blamieren, bis sie sich zu einem Re-
rmschritt im Dienstrecht entschieden hat.
Dass nun endlich und viel zu spät ein Gesetzentwurf
ur Gleichstellung im Dienstrecht bei der Pension, beim
amilienzuschlag und bei der Beihilfe im Krankheitsfall
erabschiedet wird, ist positiv. Allerdings sollen die Le-
enspartnerinnen und Lebenspartner nach dem Willen der
chwarz-gelben Koalition erst ab dem 1. Januar 2009
leichgestellt sein. Das ist ein völlig willkürlich ausge-
ähltes Datum, das erneut den Diskriminierungsverboten
es Grundgesetzes und der EU-Antidiskriminierungs-
chtlinie nicht Rechnung trägt und im Widerspruch zur
echtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht. Es
erden also weitere Bedienstete des Bundes gegen das ei-
ene Land klagen müssen, um ihre Rechte zu bekommen,
nd die Bundesjustizministerin weiß dies bereits und er-
utigt sie dazu.
Die FDP-Fraktion und ihr stellvertretender Fraktions-
orsitzender Kauch kündigen „Wochen der schwul-les-
ischen Gleichstellung“ an, um vermeintliche Wohltaten
u feiern. Die Wahrheit ist: Die schwarz-gelbe Koalition
iskriminiert, wo sie nur kann. Und die eigene Ministe-
n darf die Suppe dann auslöffeln und wird bloßgestellt.
So demontiert man die eigenen Leute, so demontiert
an den eigenen Anspruch als Bürgerrechtspartei, und
o demontiert man die Gleichheitsrechte von Lesben und
chwulen.
nlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Ab-
satz 3 Satz 1) (Tagesordnungspunkt 12)
Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Die uns heute
ur Änderung des Art. 3 Abs. 3 unserer Verfassung vor-
egenden Anträge der Opposition stellen für mich in
weierlei Hinsicht etwas Besonderes dar:
Zum einen durfte ich zu den Anträgen, mit denen das
erkmal der sexuellen Identität ins Grundgesetz aufge-
ommen werden soll, meine erste Rede, meine Jungfern-
de in diesem Hohen Haus halten. Das bleibt einem
chon in Erinnerung.
Zum anderen sind diese Anträge für mich etwas Be-
onderes – und das ist noch wichtiger –, weil ich Abge-
rdneter des Wahlkreises Tempelhof-Schöneberg in Ber-
n bin. Der eine oder andere wird sich in Berlin
ielleicht etwas auskennen und wissen, dass der Stadtteil
chöneberg dafür bekannt ist, dass er neben Köln die
öchste Konzentration von Schwulen und Lesben in
anz Deutschland hat. Mein Bundestagswahlkreis ist
lso ein wirklich bunter und vielfältiger Wahlkreis, der
or allem für eines steht: für Toleranz.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13643
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Die Menschen in Tempelhof-Schöneberg und – wenn
ich das am Rande sagen darf – auch die Parteien gehen
ganz unbefangen mit Schwulen und Lesben um. Sie sind
mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil unserer Ge-
sellschaft. Und ich finde das auch gut und richtig so.
Aber wahr ist auch, dass es immer noch Diskriminie-
rungen von Schwulen und gewalttätige Übergriffe gegen
sie gibt. Leider ist auf vielen Schulhöfen das Schimpf-
wort „schwule Sau“ immer noch absolut gebräuchlich.
Und noch immer hat sich kein Spitzenfußballer offen zu
seiner Homosexualität bekannt. Diese Probleme, denen
Schwule und Lesben teilweise in der gesellschaftlichen
Realität ausgesetzt sind, nehme ich sehr ernst.
Deswegen sage ich an dieser Stelle für meine Fraktion
und auch ganz persönlich klar und unmissverständlich:
Deutschland ist ein modernes und weltoffenes Land. Die
Diskriminierung von Anderslebenden oder Anderslie-
benden ist nicht akzeptabel. Die Ziele und Anliegen, die
mit den vorgelegten Gesetzesanträgen verfolgt werden,
teile ich daher uneingeschränkt.
Die entscheidende Frage ist nun: Erreichen wir dieses
gemeinsame Ziel mit der von Ihnen vorgeschlagenen
Verfassungsänderung? Wird die tatsächliche Lebens-
situation von Schwulen danach wirklich anders sein?
Können wir Diskriminierungen damit wirksam begeg-
nen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns nicht
weiterhelfen wird, das Merkmal der sexuellen Identität
ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Deswegen
werden wir Ihre Anträge auch ablehnen.
Denn – auch das gehört zu einer ehrlichen Bestands-
aufnahme – unsere Verfassung bietet bereits einen um-
fassenden Schutz. Das Grundgesetz selbst gewährleistet
die sexuelle Selbstbestimmung, und das nicht nur durch
das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Es ist vor allen
Dingen der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes, der vor Diskriminierung
schützt.
Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts ist der Schutz vor Diskriminierungen aufgrund
der sexuellen Identität in den letzten Jahren konsequent
ausgebaut worden. Sie alle kennen die Urteile, mit denen
insbesondere die Gleichstellung von eingetragenen Le-
benspartnerschaften und der Ehe forciert wurde. Ohne in
die juristischen Details zu gehen, können wir unter dem
Strich festhalten, dass das Bundesverfassungsgericht den
Schutzinhalt von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz bereits jetzt
genau so bestimmt, als ob das Merkmal der sexuellen
Identität in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz ausdrücklich ge-
nannt wäre.
Insofern ist das, was Sie hier mit Ihren Anträgen er-
reichen wollen, nämlich dass der einfachrechtliche Ge-
setzgeber durch das Grundgesetz eine klare und verbind-
liche Vorgabe erhält, bereits immanenter Bestandteil der
Verfassung.
Was schlussfolgern wir daraus? Ich für meinen Teil
glaube, dass Sie mit Ihren Anträgen nichts weiter als
Symbolpolitik betreiben. Sie wissen sehr genau, dass mit
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iner solchen Verfassungsänderung unmittelbar gar
ichts bewirkt würde.
Das hat im Übrigen auch die Anhörung gezeigt, die
ir im Rechtsausschuss durchgeführt haben. Die ganz
berwiegende Auffassung der Sachverständigen war in
rem Meinungsbild klar: Es gibt bereits einen umfas-
enden verfassungsrechtlichen Schutz. Kein einziger
achverständiger hat ausgeführt, dass in den Bundeslän-
ern, in denen das Merkmal der sexuellen Orientierung
der Verfassung verankert ist, die rechtliche oder tat-
ächliche Situation von Homosexuellen besser ist. Wenn
as aber der Befund ist, wieso sollten wir dann das
rundgesetz ändern?
Was wir brauchen, sind nicht theoretische Debatten,
ondern praktische Ansätze. Gewalt beginnt mit Vorur-
ilen im Kopf; an die müssen wir heran und gerade bei
ngen Menschen und oftmals auch Menschen mit Mi-
rationshintergrund für Toleranz und Akzeptanz anderer
ebensweisen werben. Deswegen brauchen wir Aufklä-
ngsarbeit in den Schulen. Und wir müssen diejenigen
tärken, die Zivilcourage zeigen, wenn sie sich für Men-
chen erheben, die wegen ihrer sexuellen Identität ange-
indet werden.
Deswegen sind zum Beispiel auch Veranstaltungen
ie das lesbisch-schwule Stadtfest in Schöneberg, das
otzstraßenfest, so wichtig. Es spricht für sich, dass da-
n mehrere Hunderttausend Menschen teilgenommen
nd es damit zum größten homosexuellen Straßenfest in
uropa gemacht haben.
Auch der Christopher Street Day letztes Wochenende
it seinem Motto „Fairplay für Vielfalt“ – an dem ich
ie auch beim Motzstraßenfest selber teilgenommen
abe – war ein eindrucksvolles Signal für Gleichstellung
nd gegen Diskriminierung. Über eine halbe Million
enschen haben friedlich gemeinsam gefeiert, getanzt
nd diskutiert, und das waren bei weitem nicht nur
chwule.
Solche Veranstaltungen, die öffentlich auf bestehende
efizite hinwiesen und für Toleranz und Akzeptanz wer-
en, bewirken weit mehr, als es eine Verfassungsände-
ng jemals könnte.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Durch un-
ere Verfassung wird bereits ein umfangreicher Schutz
egen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität
ewährleistet. Es gibt eine Fülle von einfachrechtlichen
orschriften, mit denen solchen Diskriminierungen
irksam begegnet wird. Auch durch das Unionsrecht
erden Ungleichbehandlungen verbindlich verboten.
Wir haben unsere Verfassung seit ihrem Inkrafttreten
949 fast 60-mal geändert – manches Mal mit guten
ründen, aber nach meiner Auffassung insgesamt deut-
ch zu oft. Unser Grundgesetz ist immer noch eine sehr
ute, eine bewährte Verfassung. Die Union will, dass das
uch so bleibt. Wir wollen deshalb keine Verunklarung
es Verfassungstextes durch neue Inhalte, durch die kein
ehr an Schutz geboten wird und die daher nicht erfor-
erlich sind. Deswegen spricht sich die Union gegen die
orliegenden Gesetzesentwürfe zur Änderung des
rundgesetzes aus.
13644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Norbert Geis (CDU/CSU): Die Gesetzentwürfe wol-
len in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz nach den Wörtern „we-
gen seines Geschlechtes“ die Wörter „seiner sexuellen
Identität“ einfügen. Durch die Verankerung in der Ver-
fassung soll der Schutz vor Diskriminierung und Un-
gleichbehandlung verstärkt werden. Dieser Versuch ei-
ner Verfassungsänderung muss nach meiner Auffassung
scheitern, weil die Voraussetzungen für eine Verfas-
sungsänderung fehlen. Es besteht kein Regelungsbedarf.
Die Bestimmtheit des Begriffes „sexuelle Identität“ ist
nicht gegeben. Durch eine solche Verfassungsänderung
würde Art. 6 GG, der Schutz von Ehe und Familie, zu-
rückgedrängt.
Erstens: kein Regelungsbedarf. Die Verfassung ist
kein Instrument, um persönliche Befindlichkeiten einer
bestimmten Gruppe zu berücksichtigen. Sie ist kein Bil-
derbuch. Sie ist kein Sammelsurium von Wunschvorstel-
lungen. Die Verfassung ist die Grundlage unseres gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens. Sie
muss einen festen Rahmen geben, auf den Verlass ist, der
nicht ständig geändert werden kann. Es dürfen auch
nicht zu viele spezielle Regelungen in die Verfassung ge-
packt werden, weil sonst eine zu starke Beschränkung
des Gesetzgebers, der ausführenden Gewalt und der Jus-
tiz gegeben ist.
Die Verfassung bleibt nur dann Grundlage unseres ge-
sellschaftlichen und staatlichen Zusammenlebens, wenn
sie von einem großen Konsens getragen wird. Deshalb
muss bei jeder Verfassungsänderung die Frage gestellt
werden, ob dadurch nicht die Integrationsfunktion der
Verfassung, der Zusammenhalt der Gesellschaft, gestört
wird und ob dadurch nicht eine erhöhte Distanz weiter
Bevölkerungsteile zu der Verfassung geschaffen wird.
Diese Fragen sind an den vorliegenden Entwurf zu rich-
ten.
In der Bevölkerung besteht zweifellos eine große
Achtung vor der Privatsphäre und insbesondere vor dem
Intimbereich eines jeden Einzelnen. Deshalb reagiert die
Öffentlichkeit auch empfindlich auf Diskriminierungen.
Eine eigene Absicherung der Rechte der Homosexuellen
in der Verfassung ist daher nicht erforderlich. Der Schutz
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 2
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und im Gleichheitssatz
des Art. 3 Grundgesetz reicht aus. Dies betont ja auch
das Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. Juli
2009. Durch einfachrechtliche Regelungen ist es mög-
lich, das verständliche Bedürfnis der Homosexuellenbe-
wegung nach Sicherheit und Gleichheit zu erfüllen. Dies
ist ja auch schon weithin geschehen. Eine eigene Eintra-
gung in die Verfassung ist nicht erforderlich.
Dies bestätigen ja auch die fast gleichlautenden Be-
gründungen der drei Gesetzentwürfe. Dort wird ausge-
führt, dass die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Les-
ben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, transsexuel-
len und intersexuellen Menschen in den letzten Jahr-
zehnten deutlich zugenommen hat. Toleranz heißt aber
nicht Akzeptanz. In der Gesellschaft wird immer eine
gewisse Distanz zu dieser Gruppe bestehen bleiben,
gleichgültig, was in der Verfassung steht. Solche Aktio-
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en wie diese Gesetzesvorschläge vergrößern eher die
istanz, als dass sie sie verringern.
Es kann im Übrigen durchaus sein, dass viele die Ver-
nkerung in der Verfassung nicht nur als überflüssig,
ondern auch als aufdringlich empfinden. Der Bogen
ann auch überspannt werden. Das wäre kontraproduk-
v.
Zweitens: mangelhafte Bestimmtheit. Zu dem fehlen-
en Regelungsbedarf kommt die mangelhafte tatbe-
tandliche Bestimmtheit der Formulierung „sexuelle
entität“. Was heißt sexuelle Identität? Mit dieser For-
ulierung wird der Unterschied zwischen sexueller
rientierung und sexueller Identität vermischt. Die ge-
chlechtliche Identität ist durch die Natur vorgegeben.
s gibt die geschlechtliche Identität des Mannes und die
eschlechtliche Identität der Frau. Eine dritte ge-
chlechtliche Identität gibt es nicht. Das, was die Geset-
esentwürfe unter Identität meinen, ist als sexuelle
rientierung zu verstehen. Auch das Verfassungsgericht
erwendet in seinem Urteil vom 7. Juli 2009 nicht den
egriff der sexuellen Identität, sondern ausschließlich
en der sexuellen Orientierung. Der Schutz der sexuel-
n Identität ist schon in Art. 3 Abs. 3 gewährleistet. Der
chutz der sexuellen Orientierung dagegen ist schlech-
rdings in der Verfassung nicht regelbar. Dann würde
arunter ja auch die Pädophilie als eine Art sexueller
rientierung fallen. Dies aber wollen alle drei Entwürfe
icht. Sie wollen nicht alle sexuellen Orientierungen
urch die Verfassung geschützt wissen. Dies käme auch
icht einer Trivialisierung unserer Verfassung gleich.
ine klare, unmissverständliche Formulierung ist nicht
öglich.
Drittens: Verletzung von Art. 6 GG. Auch deshalb ist
ie geplante Verfassungsänderung abzulehnen, weil da-
urch der Schutz von Ehe und Familie und deren beson-
ere Förderung durch den Staat ins Hintertreffen geraten
önnten. Die schon jetzt gegebenen Abgrenzungs-
chwierigkeiten zwischen dem Gebot, Ehe und Familie
u fördern, und dem Diskriminierungsverbot würden zu-
sten von Ehe und Familie verstärkt. Das Urteil des Ver-
ssungsgerichtes vom 7. Juli 2009 hat dazu beigetragen,
ass die besondere Verpflichtung des Staates, Ehe und
amilie zu fördern, mehr und mehr nivelliert wird. Eine
eitere Egalisierung ist nicht hinnehmbar. Die Wertent-
cheidung der Verfassung zugunsten von Ehe und Fami-
e darf nicht konterkariert werden.
Aus diesen drei Gründen – der mangelnden Erforder-
chkeit, der fehlenden präzisen Formulierung und der
eschädigung der Wertentscheidung der Verfassung hin-
ichtlich von Ehe und Familie – sind diese Gesetzent-
ürfe abzulehnen.
Sonja Steffen (SPD): Nach Art. 3 Abs. 3 des Grund-
esetzes darf niemand wegen seines Geschlechtes, sei-
er Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
eimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen
der politischen Anschauungen oder wegen seiner Be-
inderung benachteiligt oder bevorzugt werden. Die An-
äge der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der
raktion der Grünen, über die wir heute reden, zielen da-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13645
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)(B)
rauf ab, Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes zu bereichern
um den Zusatz der sexuellen Identität. Wir wollen, dass
die sexuelle Identität zukünftig grundgesetzlich ge-
schützt wird.
Überall auf der Welt gibt es Menschen, die sich einem
anderen Geschlecht zugehörig fühlen als dem, das sie
mit ihrer Geburt erhalten haben. Und überall auf der
Welt gibt es Menschen, die mit Geschlechtsmerkmalen
geboren werden, die nicht eindeutig weiblich oder
männlich zuzuordnen sind. Es gibt überall Menschen,
die Menschen gleichen Geschlechts lieben und begeh-
ren.
Der Europarat veröffentlichte vor kurzem den wichti-
gen Bericht „Discrimination on grounds of sexual orien-
tation and gender identity in Europe“. Er liefert eine um-
fassende Übersicht zu tatsächlichen und rechtlichen
Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität in
Europa. Zudem enthält der Bericht konkrete Empfehlun-
gen an alle Mitgliedstaaten zur Beendigung der Diskri-
minierungen und zur Steigerung der Akzeptanz unter-
schiedlicher sexueller Orientierungen. Er macht
deutlich, dass das Recht auf sexuelle Identität ein Men-
schenrecht ist. Denn weltweit sind Menschen aufgrund
ihrer sexuellen Orientierung permanent Menschen-
rechtsverletzungen ausgesetzt, die in vielen Formen auf-
treten: der Aberkennung des Rechts auf Leben, der Fol-
ter, der Diskriminierung beim Zugang zu sozialen und
kulturellen Rechten wie Gesundheit, Unterkunft, Bildung
und Arbeit, der Nichtanerkennung persönlicher Bindun-
gen und Familienverhältnisse, der Unterdrückung ver-
schiedener Geschlechteridentitäten und dem gesellschaft-
lichen Zwang, still und unerkannt zu bleiben.
Sexuelle Identität darf in unserem Staat nicht länger ein
Grund für Diskriminierung sein. Auch Ingrid Sehrbrock,
die stellvertretende DGB-Vorsitzende, hat sich anlässlich
des Christopher Street Day dafür eingesetzt, den Art. 3
des Grundgesetzes entsprechend zu ändern. Sie wies da-
rauf hin, dass homosexuelle und transsexuelle Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer Diskriminierung am Ar-
beitsplatz erfahren – sei es in Form von Mobbing,
Versetzung oder gar Kündigung. Noch immer ver-
schweigen deshalb viele Menschen ihre sexuelle Identi-
tät im Beruf.
Ein weiteres Beispiel: Immer noch ist es in Deutsch-
land nicht möglich, dass gleichgeschlechtliche Paare
gemeinsam ein Kind adoptieren. Wir hatten hier im
Deutschen Bundestag erst vor kurzem eine Expertenan-
hörung, die – zumindest aus unserer Sicht – gezeigt hat,
dass es keine vernünftigen Gründe gibt, gleichge-
schlechtlichen Paaren dieses Recht zu verweigern.
Wichtiger Grund für die unterschiedliche Behandlung
von Eheleuten und Lebenspartnern scheint für konserva-
tive Verfassungsrechtler immer noch die unterschied-
liche Wertung im Grundgesetz zu sein.
Ich halte die These, das Grundgesetz sei nicht die
richtige Stelle für einen besonderen Schutz der sexuellen
Identität, für falsch. Richtig ist natürlich, dass wir tun-
lichst vermeiden sollten, das Grundgesetz mit Normen
zu überfrachten, die auch durch eine einfachgesetzliche
Regelung ausreichende Bedeutung erlangen.
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Aber: Das Grundgesetz erlaubt und ermöglicht, ja,
erlangt sogar von uns als Gesetzgeber eine behutsame
ortentwicklung und Fortschreibung der Grundrechte.
sbesondere dann, wenn die Menschenwürde und die
leiche Freiheit der Bürgerinnen und Bürger ganz grund-
ätzlich in Gefahr ist, ist die Verfassung genau die rich-
ge Ebene. Der Verfassungsgesetzgeber hat genau an
er Stelle des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes die
öglichkeit, grundlegende Zeichen zugunsten der Min-
erheiten zu setzen, also zugunsten derjenigen, die zur
eltendmachung ihrer Rechte nicht die erforderlichen
ehrheiten erreichen können.
Was das abgegriffene Argument betrifft, dass man mit
er Aufnahme der sexuellen Identität in den Art. 3 des
rundgesetzes der Pädophilie Tür und Tor öffnet: Der
egriff der „sexuellen Identität“ ist ein unbestimmter
echtsbegriff, der bereits heute juristische Verwendung
ndet. Hinsichtlich der Auslegung dieses Rechtsbegriffs
ürfen wir dem Verfassungsgericht und der rechtswis-
enschaftlichen Dogmatik vertrauen. Es ist im Übrigen
u erwarten, dass eine eher enge, konservative Deutung
es Grundrechts erfolgen wird.
Deutschland wäre keineswegs das erste Land, das ein
erbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Iden-
tät in seine Verfassung schriebe. Die EU-Grund-
chtecharta enthält in Art. 21 ein Diskriminierungsver-
ot aufgrund von sexueller Ausrichtung. In Kanada,
ortugal, Schweden, in der Schweiz und in Brasilien
chützen die Verfassungen Bürgerinnen und Bürger aus-
rücklich vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen
rientierung. Bereits fünf Bundesländer, zuletzt das
aarland im April 2011, haben den Schutz der sexuellen
entität in ihre Landesverfassungen aufgenommen.
Deshalb appelliere ich an dieser Stelle an die Regie-
ngskoalition: Schließen Sie sich dem Antrag an, berei-
hern wir gemeinsam das Grundgesetz um den Schutz
er sexuellen Identität! Wir würden damit ein wichtiges
eichen gegen die Diskriminierung der betroffenen Bür-
erinnen und Bürger und für eine moderne, offene und
lerante Gesellschaft setzen.
Marco Buschmann (FDP): Wir debattieren heute
arüber, ob es geboten ist, die sexuelle Identität in Art. 3
bs. 3 des Grundgesetzes aufzunehmen.
Die Debatte wird in diesen Tagen besonders aufmerk-
am verfolgt. In den Monaten Juni und Juli finden tradi-
onell die Christopher Street Days statt. Was in den
iebzigerjahren in den USA als kleine Protestdemons-
ation gegen die Diskriminierung von Homosexuellen
egonnen hat, ist mittlerweile in der Mitte der Gesell-
chaft angekommen. Zum Berliner CSD am letzten Wo-
henende kamen mehr als 700 000 Menschen. Beim
SD in Köln waren in den letzten Jahren jeweils zwi-
chen 650 000 und 1 Million Besucher. Im Vergleich
azu protestierten in Köln nach der Reaktorkatastrophe
on Fukushima circa 10 000 Menschen gegen die Atom-
raft. Und selbst in Stuttgart zählte der CSD 2010 über
00 000 Besucher. Damit ließ er die größte Demonstra-
on gegen Stuttgart 21 mit 50 000 Demonstranten klar
inter sich.
13646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Diese Zahlen zeigen eines sehr deutlich: Die kleinen
Protestveranstaltungen sind heute große Volksfeste. Hier
feiern Jung, Alt, Homo, Hetero und ihre Familien mitei-
nander. Das ist die Wirklichkeit in unserem Land. Aber
sie kommt nicht von ungefähr. Diese Offenheit baut auf
vielen Maßnahmen in der Rechts- und Gesellschaftspoli-
tik unseres Landes auf.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat für die Gleichstel-
lung von Schwulen und Lesben schon viel erreicht:
Wir haben 1973, zusammen mit der SPD, den An-
wendungsbereich des berüchtigten § 175 StGB mini-
miert und diesen dann 1994 mit der Union vollständig
abgeschafft.
Wir haben die volle Gleichstellung bei der Erb-
schafts- und Grunderwerbsteuer sowie beim BAföG er-
reicht.
Wir werden heute die Initiative der Koalition verab-
schieden, um die ehe- und familienrechtlichen Regelun-
gen im Beamtenrecht auf die gleichgeschlechtlichen Le-
benspartnerschaften zu übertragen.
Wir werden die Magnus-Hirschfeld-Stiftung einrich-
ten, die durch interdisziplinäre Forschung und Bildung
der Diskriminierung Homosexueller entgegenwirken
soll.
Und wir werden, wie im Koalitionsvertrag mit der
Union vereinbart, die Diskriminierung im Steuerrecht für
gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften abbauen.
All diese Initiativen der FDP-Fraktion sind Beiträge
dazu, dass Schwule und Lesben in unserem Land in ei-
nem toleranten und offenen Klima leben können. Welt-
weit gibt es wenige Länder, die eine solche Offenheit
und Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Vielfalt
sexueller Identitäten an den Tag legen. Für all diese
Dinge haben wir uns vehement und aus Überzeugung
eingesetzt, weil sie den Schwulen und Lesben in
Deutschland etwas gebracht und konkrete Diskriminie-
rungen abgebaut haben.
Zu diesem Klima haben viele kleine Schritte beigetra-
gen, ohne dass es dafür je einer Grundgesetzänderung
bedurfte. Bei aller Sympathie für das Anliegen müssen
wir uns alle die Frage stellen, was die beantragte Grund-
gesetzänderung denn konkret bringen soll? Wir müssen
uns fragen, ob es überhaupt eine Schutzlücke gibt, die
durch eine Grundgesetzänderung geschlossen werden
muss. Genau eine solche Schutzlücke gibt es aber nicht.
Denn in Deutschland fehlt es nicht am verfassungsrecht-
lichen Schutz der sexuellen Identität.
Sie alle kennen die entsprechende Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2009. Es leitet
aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz einen grundrechtlichen
Schutz der sexuellen Identität ab, und zwar auf demsel-
ben Schutzniveau wie bei Art. 3 Abs. 3. Diesen Befund
hat auch die Mehrheit der Sachverständigen in der öf-
fentlichen Anhörung des Rechtsausschusses bestätigt.
Kurzum: Die beantragte Grundgesetzänderung hätte
lediglich symbolische Wirkung. Wir wollen aber keine
Symbolpolitik, sondern das alltägliche Leben von Men-
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chen, ganz gleich welcher sexuellen Identität, verbes-
ern. Wir müssen eins tun: konkrete Diskriminierungen
entifizieren und beseitigen, damit Schwule und Lesben
ie gleichen Chancen in unserer Gesellschaft haben, wie
lle anderen auch!
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Es passiert selten,
ass die Oppositionsparteien drei nahezu gleichlautende
esetzentwürfe zur Grundgesetzerweiterung vorlegen.
ies ist gut so.
Die Linke, die SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen
ollen die Merkmale, die zu einer Diskriminierung füh-
n können, im Grundgesetz vervollständigen, damit sie
inem verfassungsrechtlichen Verbot unterliegen. Unser
esetzentwurf unterscheidet sich an einer kleinen, aber
ichtigen Stelle. Wir haben ausdrücklich betont, dass
er Schutz der sexuellen Identität keine pädophilen Ori-
ntierungen beinhaltet. Dies ist eigentlich eine Selbst-
erständlichkeit. Aber notwendig, denn von konservati-
er Seite wurde ein vermeintlicher Schutz dieses
riminellen Vergehens als Argument gegen die Grund-
esetzerweiterung ins Feld geführt.
Doch bei diesem gemeinsamen Anliegen geht es um
ine Kernfrage: Wer ist ein Mensch und welche Eigen-
chaften eines Menschen dürfen niemals zu einer Beein-
ächtigung seiner Würde führen? In Art. 3 Abs. 3 GG
eißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, sei-
er Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
eimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen
der politischen Anschauungen benachteiligt oder be-
orzugt werden.“ So lautet das Allgemeine Gleichbe-
andlungsgebot im Grundgesetz seit 1949.
Erst 1994 wurde noch das Verbot aufgrund einer Be-
inderung mit aufgenommen. Das Verbot aufgrund der
exuellen Identität wurde 1994 zwar bereits diskutiert,
ies war aber leider nicht mehrheitsfähig.
Auch die Anfänge der Demokratie, der Polis, be-
chäftigten sich mit der Frage, welche Menschen bzw.
elchen Bürgern verbriefte Rechte zukommen sollten.
ie griechische Polis schränkte die ersten demokrati-
chen Rechte auf freie, männliche Athener ein. Bürger-
chte, und damit einen Schutz vor Willkür, erhielt somit
ur eine sehr kleine Minderheit.
Die Französische Revolution trat mit der Losung an:
reiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Erst als Olympe de
ouges „Die Rechte der Frau und Bürgerin“ prokla-
ierte, wurde auch die Schwesterlichkeit zum Thema
er Bürgerrechte. Doch Olympe de Gouges sollte dies
uf das Schafott bringen.
In Deutschland sollte es lange dauern, bis Frauen glei-
he Rechte erhielten. Das Recht, zu wählen, zu studie-
n, oder auch die Gewalt des Ehemanns anzeigen zu
ürfen. Der berühmte Satz „Frauen und Männer sind
leichberechtigt“ in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes,
ar keine Selbstverständlichkeit. Die wenigen Frauen
Parlamentarischen Rat mussten ihn in einem harten
ingen durchsetzen. Doch bis 1957 konnten Männer ih-
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ren Ehefrauen die Aufnahme eines Jobs untersagen. Und
erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe strafbar.
Schauen wir nochmals zurück: Die französische Re-
volution trug trotz alledem den Wind der Freiheit in die
Welt: Bürgerrechte. Der Code Napoléon sorgte unter an-
derem für die Trennung von Kirche und Staat, für das
Eherecht, der Straflosigkeit homosexueller Handlungen
und vieles mehr. Am napoleonischen Vorbild orientierte
sich auch Bayern, und so waren von 1810 bis 1854,
nämlich bis zur Einführung des preußischen Strafgesetz-
buch in Bayern, einvernehmliche sexuelle Handlungen
zwischen Männern straflos.
Ab 1854 war die männliche Homosexualität dann in
ganz Deutschland strafbar. Die Nationalsozialisten ver-
schärften die Gesetzgebung gegen schwule Männer mas-
siv. Viele Tausend schwule Männer starben in Haft oder
in Konzentrationslagern. Diese Gesetzgebung, der § 175
in der Fassung der Nationalsozialisten, bestand in der
Bundesrepublik bis 1969. Erst 1994 wurde er endgültig
aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Die sexuelle Identität ist ein Merkmal, das jedem
Menschen eigen ist. Niemand kann sich dem entziehen.
Noch heute werden Menschen wegen ihrer sexuellen
Identität im Alltagsleben, auch hier in Deutschland, dis-
kriminiert. Lesben und Schwule sind selbst rechtlich
nicht gleichgestellt. Die Ehe wird ihnen verweigert. Die
Verpartnerung bleibt eine Ehe zweiter Klasse.
Aus dem Bewußtsein der Geschichte und in dem Wis-
sen, dass wir den Diskriminierungsschutz der Zeit fort-
während anpassen müssen, sollten wir ein deutliches
Zeichen gegen die Diskriminierung von Lesben, Schwu-
len, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen
setzen. Deshalb sollte der Bundestag in seiner Gesamt-
heit dieser Grundgesetzerweiterung zustimmen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Achtung vor der Würde des Menschen und die ge-
sellschaftliche Pluralität bedingen, dass die heterose-
xuelle Identität der Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr
länger als die einzige akzeptable Identität eines seine
Persönlichkeit frei entfaltenden Menschen angesehen
wird. Dennoch sind homosexuelle Frauen und Männer
ebenso wie bisexuelle, transsexuelle oder intersexuelle
Menschen weiterhin rechtlichen und gesellschaftlichen
Diskriminierungen ausgesetzt. Im Grundgesetz werden
sie aber mit ihrer sexuellen Identität ignoriert.
Als Konsequenz aus der nationalsozialistischen Ver-
folgungs- und Selektionspolitik hatte sich der Parlamen-
tarische Rat 1948/49 dafür entschieden, neben dem all-
gemeinen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG
in Art. 3 Abs. 3 zu verankern, welche persönlichen
Merkmale als Anknüpfungspunkt staatlicher Differen-
zierung schlechthin ausscheiden: „Niemand darf wegen
seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse,
seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines
Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauun-
gen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Zwei der im nationalsozialistischen Deutschland sys-
tematisch verfolgten Personengruppen fehlten in dieser
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ufzählung: Behinderte und Homosexuelle. Bei der Ver-
bschiedung des Grundgesetzes galt Homosexualität
och als sittenwidrig und war in § 175 StGB mit einem
trafrechtlichen Verbot belegt. Eine Anerkennung von
esben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, transse-
uellen und intersexuellen Menschen als verfassungs-
chtlich vor Benachteiligung zu schützenden Personen
ar zu dieser Zeit jenseits der Vorstellungswelt über alle
arteigrenzen hinweg.
Im Rahmen der Überarbeitung des Grundgesetzes
ach der deutschen Einheit wurde 1994 in Art. 3 Abs. 3
atz 2 Grundgesetz das Verbot der Benachteiligung auf-
rund der Behinderung aufgenommen. In der Gemeinsa-
en Verfassungskommission von Bundestag und Bun-
esrat sprach sich zwar eine Mehrheit für die Aufnahme
ines Diskriminierungsverbots aufgrund der sexuellen
entität aus, die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde
doch nicht erreicht, Bundestagsdrucksache 12/6000,
. 54.
Aber nicht nur aus Verantwortung vor der Geschichte
er Verfolgung und Unterdrückung vor und nach 1945
ollte der Katalog der Diskriminierungsverbote ergänzt
erden. Vielmehr würde damit auch die folgerichtige
onsequenz aus den Tendenzen der internationalen
enschenrechtspolitik gezogen und damit eine neue,
erfassungsrechtliche Grundlage und Legitimität für die
msetzung der Politik auf nationaler Ebene geschaffen.
achdem nichtheterosexuelle Menschen vom Schutz der
ternationalen Menschenrechtsübereinkommen jahre-
ng ausgeschlossen waren, widmet sich die aktive Men-
chenrechtspolitik seit den 90er-Jahren auch dem Pro-
lem der Diskriminierung aufgrund sexueller Identität.
er Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und die
unehmende Akzeptanz führten dazu, dass gerade auch
Europa die Bekämpfung der Diskriminierung auf-
rund sexueller Identität eine breitere Resonanz fand.
Und gerade vor zwei Wochen hat der UN-Menschen-
chtsrat in Genf in einem historischen Votum eine Re-
olution zu Menschenrechten und sexueller Identität
erabschiedet. Kriminalisierung und Diskriminierung
ufgrund der sexuellen Identität wurden dort klipp und
lar verurteilt. Eine deutsche Außenpolitik, die sich
eltweit für Minderheitenrechte einsetzen will, würde
urch die vorgeschlagene Grundgesetzänderung deutlich
n Glaubwürdigkeit gewinnen.
Die vorgeschlagene Ergänzung des Art. 3 Abs. 3
atz 1 würde ferner eine objektiv-rechtliche Funktion
aben. Die neue Formulierung würde dementsprechend
ine neue verfassungsrechtliche objektive Norm schaf-
n, die den Wert der Toleranz gegenüber Homo-, Bi-
nd Transsexuellen im Grundgesetz zum Ausdruck
ringt. Und nicht zuletzt würde sie eine Richtungsent-
cheidung für alle Bereiche des Rechts darstellen und
amit Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und nicht
uletzt Rechtsprechung geben.
Schließlich zeigen die deutschen sowie europäische
rfahrungen, dass Diskriminierungsverbote ein wesent-
cher Bestandteil einer wirksamen Strategie sein kön-
en, mit der ein Wandel der Einstellungen und Verhal-
nsweisen erreicht werden kann. Solche Leitlinien
13648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
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machen nämlich deutlich, welches Verhalten in der Ge-
sellschaft akzeptiert wird und welches nicht.
Deshalb rufe ich die Koalitionsfraktionen dazu auf:
Folgen Sie Ihren Parteikolleginnen und -kollegen aus
dem saarländischen Landtag und stimmen Sie der Ergän-
zung der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsver-
bote um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu. Ich bin
nämlich sicher, dass Sie, liebe CDU-Abgeordnete, Ihrem
Landtagskollegen Thomas Schmitt nicht widersprechen
werden, der in der Debatte über Ergänzung der Diskri-
minierungsverbote in der saarländischen Verfassung um
das Merkmal „sexuelle Identität“ feststellte: „Wir wollen
aber, dass unsere Verfassung eine klare Entscheidung für
eine tolerante und akzeptierende Gesellschaft zum Aus-
druck bringt. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine
solche Ergänzung mittlerweile gesellschaftlichen Kon-
sens wiedergibt. Sie wird auch Bestätigung für diejeni-
gen sein, die sich gegen Benachteiligungen einsetzen,
und sie wird ein Zeichen für Respekt und Anerkennung
sein.“ Genauso ist es.
Sie haben schon die Wehrpflicht abgeschafft, sie stei-
gen aus der Atomkraft aus, sie wollen die Hauptschule
abschaffen. Noch ein Richtungswechsel hin zu richtigen
Weichenstellungen kann Ihnen doch nicht mehr viel aus-
machen. Tun Sie das nicht zuletzt für die in der Union
engagierten Schwulen, Lesben und Transgender, die ge-
rade heute Abend in der Vertretung des Saarlands ein
Sommerfest veranstalten.
Anlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Barrierefreie Mobi-
lität und barrierefreies Wohnen – Vorausset-
zungen für Teilhabe und Gleichberechtigung
(Tagesordnungspunkt 14)
Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Mit ih-
rem Antrag zur barrierefreien Mobilität und zum barrie-
refreien Wohnen folgt die SPD in vielen Punkten dem,
was wir in der Regierungskoalition bereits konsequent
bearbeiten. Was uns unterscheidet, ist die Praktikabilität
der Herangehensweise durch die christlich-liberale Ko-
alition.
Doch erlauben Sie mir zunächst einen kurzen Blick
zurück: Wenn es um Mobilität und um eigenständiges
Handeln geht, dann gehören unsere Mitbürger mit einer
Behinderung mit Gewissheit zu den Gewinnern der deut-
schen Einheit. In kürzester Zeit war es dank besserer
technischer Hilfsmittel und dank der breiteren Schultern
der Sozialverbände möglich, dass behinderte Menschen
wieder am öffentlichen Leben teilnehmen konnten. So-
zialkassen und staatliche Fördersysteme flankierten die-
sen Prozess.
In kaum einem anderen sozialen Bereich wurde deut-
licher, dass das von manchen verherrlichte DDR-Sozial-
system tatsächlich nur die Grundversorgung sicherte und
oft die Verwahrung für unsere behinderten Mitbürger be-
deutete. Lediglich die Hilfsbereitschaft und die mensch-
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che Wärme des Pflegepersonals – und natürlich der
ngehörigen – konnten dies mildern. Breite Schultern in
orm vieler karitativer Einrichtungen haben hier gleich
nfang der 90er-Jahre Hervorragendes geleistet.
Für uns sind Barrierefreiheit und Zugänglichkeit und
ie Teilhabe von Menschen mit Behinderung an allen
ebensbereichen selbstverständliche Grundrechte. Darin
ind wir uns sicherlich alle einig. Das bedarf keiner Dis-
ussion. Gerade in den letzten 20 Jahren ist im Bereich
er Mobilitätsverbesserung für behinderte Menschen
uch durch unsere beiden Konjunkturprogramme sehr
iel geschehen, zum Beispiel die Schaffung der Barrie-
freiheit auf vielen kleinen Bahnhöfen.
Dennoch – auch darin sind wir uns einig – können wir
ns mit den Gegebenheiten nie zufrieden geben. Deshalb
rbeiten die christlich-liberale Koalition und die Bundes-
gierung intensiv an der ständigen Verbesserung der Si-
ation.
Welches sind nun die Herausforderungen für die Zu-
unft? Im Gegensatz zum Antrag der SPD muss man
ies einer differenzierten Betrachtung unterziehen: Wir
aben da zum einen den öffentlichen Bereich mit seinen
ffentlichen Einrichtungen und dem umfassenden Ver-
ehrsbereich und zum anderen den riesigen privaten Le-
ensbereich mit der eigenen Wohnung im Mittelpunkt.
Klar ist für uns, dass eine barrierefreie Nutzung der
ffentlichen Einrichtungen aus eigener Kraft – wo im-
er möglich – für die Menschen sichergestellt werden
uss. Das gilt übrigens nicht nur für die Bundesrepu-
lik; vielmehr muss Mobilität heute weltweit möglich
ein.
Anders sieht es in unserem privaten Bereich aus: Es
t klar, dass Barrierefreiheit mit einem hohen konstruk-
ven Aufwand und hohen Kosten verbunden ist. Das
önnen sich nur wenige leisten. Auch der Staat und die
ozialkassen können das nicht in Gänze ausgleichen.
er demografische Wandel führt dazu, dass mehr ältere
enschen mit körperlichen Gebrechen Wohnraum nut-
en. Deshalb sollten wir – mehr als bisher – Möglichkei-
n von barrierearmen und altersgerechten Wohnraum-
uschnitten in den Fokus setzen. Das ist finanziell
ünstiger und kann auch von Hauseigentümern mit klei-
em Geldbeutel und einer geringen staatlichen Unter-
tützung geschultert werden.
Bestes Beispiel hierfür ist das KfW-Programm „Al-
rsgerecht Umbauen“. Durch dieses Förderprogramm
rhalten vor allem ältere oder behinderte Menschen die
hance, dank reduzierter Wohnbarrieren so lange wie
öglich in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Das
rogramm definiert erstmals einen bundesweit einheitli-
hen Standard für Barrierereduzierung im Wohnungsbe-
tand. Es bietet wahlweise ein zinsgünstiges Darlehen
der einen Investitionszuschuss – sowohl für selbstge-
utztes als auch für vermietetes Wohneigentum.
Die KfW bietet durch ihre Förderprogramme ein gu-
s, nachahmenswertes Beispiel, wenn es darum geht, in-
lligent die Kopplungsfunktion zwischen Demografie-
andel – sprich Barrierearmut – und Energieeffizienz –
prich CO2-Gebäudesanierungsprogramm – herzustel-
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len. Die Nachhaltigkeit beim Bauen wird zukünftig eine
größere Rolle spielen. Das gilt für den öffentlichen Be-
reich ebenso wie für den privaten.
Die Betrachtung eines Gebäudes über den gesamten
Lebenszyklus hinweg muss auch mögliche Neunutzun-
gen berücksichtigen. Wer privat nicht von Anfang an
barrierearm baut, sollte, wenn möglich, zumindest die
Voraussetzung dafür schaffen, diesen Umbau später
nachholen zu können – vielleicht auch schon, wenn der
Kinderwagen zum Einsatz kommt.
Für mich hat es sich bewährt – und das vermisse ich
ebenfalls im Antrag der SPD –, engen Kontakt zu den
Verbänden aus dem Bereich der Behindertenbetreuung
zu halten. Es sind doch oftmals die kleinen Dinge des
Lebens und die einfachen Lösungen, die auch unseren
Mitmenschen mit Behinderung helfen, mobil zu bleiben.
Dieser Erfahrungsaustausch – dafür kann ich bei allen
Kollegen nur werben – sollte noch intensiver geführt
werden. Dasselbe gilt natürlich für die Architekten und
Bauplaner.
Nichtsdestotrotz wird nicht jedes Handicap im Ver-
kehrs- oder im Baubereich für unsere behinderten Mit-
bürger zu beseitigen sein. Wenn ich auf meine Eingangs-
worte zurückkommen darf, dann sprechen wir hier auch
stets von technischen Hilfsmitteln. Auch das kommt im
Antrag der SPD zu kurz, wird aber von der christlich-li-
beralen Koalition – weniger durch uns Verkehrs- und
Baupolitiker als vielmehr durch unsere Kollegen aus
dem sozialen Bereich – intensiv beackert. Denn die di-
rekte Hilfe für die Betroffenen durch ausgereifte Prothe-
tik, hochwertige Orthopädie und Hightechmedicare ist
die allerbeste Lösung, um mit den Gegebenheiten klar-
zukommen. In diesen Bereichen gehört Deutschland zu
den Weltmarktführern: Mittelständische Familienunter-
nehmen wie die Hans B. Bauerfeind AG aus dem thürin-
gischen Zeulenroda und die Duderstädter Otto Bock
HealthCare GmbH sowie viele weitere Global-Player-
Firmen spiegeln wider, dass sich soziales Empfinden
und wirtschaftliche Interessen eben nicht ausschließen
müssen.
Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen
werden niemals abschließend oder endgültig geregelt
werden können. Entgegen dem Antrag der SPD – der im
Übrigen viel Richtiges enthält, aber nichts, was wir nicht
bereits umsetzen – kommt es aus unserer Sicht darauf
an, den öffentlichen und privaten Bereich differenzierter
zu betrachten, einen engen Informationsaustausch zu
den entsprechenden Verbänden zu pflegen und neben
den organisatorischen und baulichen Umsetzungen die
direkte Hilfe für die Betroffenen durch moderne, innova-
tive Hilfsmittel nicht aus dem Fokus zu lassen.
Karl Holmeier (CDU/CSU): Liest man den hier zur
Diskussion stehenden Antrag der SPD-Fraktion, könnte
man den Eindruck gewinnen, die SPD sei selbst nie in
Regierungsverantwortung gewesen.
Viele der Forderungen des Antrages haben ja durch-
aus ihre Berechtigung, und tatsächlich besteht beim Aus-
bau der Barrierefreiheit noch vielerorts Nachholbedarf.
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ber mit der Länge und Ausführlichkeit ihrer Forderun-
en erwecken die Kollegen der SPD den Eindruck, in
en letzten Jahren sei kaum etwas geschehen.
Dies ist erstens nicht der Fall. Zweitens frage ich
ich, weshalb Sie in elf Jahren Regierungsverantwor-
ng nicht längst die hier von Ihnen aufgestellten zahlrei-
hen Forderungen für mehr Barrierefreiheit umgesetzt
aben. Insofern halte ich den Antrag der SPD-Fraktion
chlichtweg für scheinheilig.
Doch nun zur Sache. Ich habe bereits angedeutet, dass
ich, entgegen dem mit dem SPD-Antrag vermittelten
indruck, im Bereich Barrierefreiheit in den letzten Jah-
n durchaus viel getan hat.
Im Verkehrsbereich sind mit dem Gesetz zur Gleich-
tellung behinderter Menschen und zur Änderung ande-
r Gesetze wichtige gesetzliche Regelung getroffen
orden, die die Möglichkeiten der Teilhabe behinderter
nd mobilitätseingeschränkter Personen am gesellschaft-
chen Leben erhöhen. Dies gilt für den ÖPNV, den Ei-
enbahn- und Luftverkehr sowie den Straßenbau. Gerade
r die Erhöhung der Mobilität von Menschen mit Be-
inderungen gab es in den vergangenen Jahren erhebli-
he Verbesserungen. Es werden beispielsweise jedes
ahr rund 100 Bahnhöfe der Deutschen Bahn barrierefrei
estaltet. Dahinter steckt ein enormer Kosten-, Zeit- und
rganisationsaufwand.
Im Baubereich setzt die christlich-liberale Bundesre-
ierung mit dem KfW-Förderprogramm „Altersgerechtes
auen“ bereits seit 2009 gezielte Investitionsanreize zur
ltersgerechten und barrierefreien Anpassung der Woh-
ungen und des Wohnumfeldes. Darüber hinaus werden
undesweit Modellvorhaben für eine ganzheitliche Ver-
esserung des Wohnumfeldes älterer Menschen durchge-
hrt sowie wissenschaftlich begleitet. Über die soziale
ohnraumförderung der Länder, für die der Bund bis
019 jedes Jahr Ausgleichszahlungen in Höhe von
18,2 Millionen Euro zahlt, werden außerdem Maßnah-
en zur Barrierereduzierung im Wohnungsbestand ge-
rdert. Unterstützt wird die Beseitigung von Barrieren
Wohnbereich zudem durch die steuerliche Abzugs-
higkeit von Renovierungs-, Erhaltungs- und Moderni-
ierungsmaßnahmen mit bis zu 20 Prozent der Lohnkos-
n.
Die christlich-liberale Koalition ruht sich aber keines-
egs auf dem bisher Erreichten aus. Mit dem Nationalen
ktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenkon-
ention gehen wir einen wichtigen Schritt nach vorn und
etzen damit zugleich ein weiteres wichtiges Vorhaben
nseres Koalitionsvertrages um. Sollten Sie diesen Ak-
onsplan noch nicht kennen, meine sehr verehrten Op-
ositionskollegen, so kann ich Ihnen diesen sehr zur
ektüre empfehlen.
Mit dem Nationalen Aktionsplan haben wir ein In-
trument geschaffen, das die Umsetzung der UN-Behin-
ertenkonvention in den nächsten zehn Jahren systema-
sch vorantreiben soll. Er ist ein Maßnahmen-, kein
esetzespaket, mit dem bestehende Lücken zwischen
esetzeslage und Praxis geschlossen werden sollen.
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Der zentrale Leitgedanke des Nationalen Aktionspla-
nes und der UN-Behindertenkonvention ist die Inklusion
behinderter und mobilitätseingeschränkter Menschen in
allen Lebensbereichen. Eine der wesentlichen Heraus-
forderungen hierfür ist natürlich die Barrierefreiheit. In
diesem Rahmen greift zum Beispiel das Dachprogramm
„Soziales Wohnen“ von 2010 bis 2014 mit 3,85 Millio-
nen Euro Themen wie mobile Beratung, Qualifizierung
von Handwerksbetrieben, technikunterstütztes Wohnen
und inklusiver Sozialraum auf. Darüber hinaus plant die
Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und der
Ärzteschaft im nächsten Jahr ein Gesamtkonzept für ei-
nen barrierefreien Zugang und die barrierefreie Ausstat-
tung von Arztpraxen und Kliniken. Der weitere mobili-
tätsgerechte Ausbau des ÖPNV steht ebenfalls auf der
Agenda des Aktionsplanes. Hier werden wir dafür Sorge
tragen, dass die bisherigen Modernisierungsmaßnahmen
fortgeführt werden. Außerdem plant die Bundesregie-
rung, den Anspruch auf unentgeltliche Beförderung zu
erweitern und die im Nahverkehr geltende Einschrän-
kung auf 50 Kilometer um den Wohnort zu streichen.
Sie sehen, wir legen keinesfalls die Hände in den
Schoß. Wir haben nicht nur in den letzten Jahren bereits
viel zum Abbau von Barrieren für behinderte und mobi-
litätseingeschränkte Menschen getan, sondern wir wer-
den unsere erfolgreiche Arbeit auch weiter fortsetzen.
Ich lade die Kollegen von der Opposition selbstverständ-
lich recht herzlich ein, uns dabei zu unterstützen.
Kirsten Lühmann (SPD): Um die Bahngleise im
Bahnhof Unterlüß, in meinem Heimatort in Niedersach-
sen, zu erreichen, muss man 42 Stufen hoch- und herun-
tersteigen.
Ein Bekannter, der im Rollstuhl sitzt, wollte mich
schon öfters mit dem Metronom in Berlin besuchen. Lei-
der war das bisher jedoch nicht möglich, eben weil der
Bahnhof in Unterlüß nicht barrierefrei ist.
Das bedeutet, Menschen im Rollstuhl oder Eltern mit
Kindern im Kinderwagen können ohne fremde Hilfe
nicht mit dem Zug von Unterlüß aus fahren.
Die Regierungskoalition begründet das damit, dass
Bahnhöfe nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden
Haushaltsmittel barrierefrei gestaltet werden können.
Und da gibt es eben Bahnhöfe, für die das Geld nicht
reicht. Denn die Regierungskoalition gibt das Geld lie-
ber für andere Dinge aus: Steuersenkungen zum Bei-
spiel, die nur einigen wenigen wirklich etwas bringen
würden und angesichts der Haushaltslage sowieso um-
stritten sind. Barrierefreiheit dagegen ist für 100 Prozent
der Bevölkerung komfortabel, für 30 Prozent hilfreich
und für 10 Prozent zwingend erforderlich.
Die UN-Behindertenrechtskonvention, die im De-
zember 2008 mit den Stimmen aller Fraktionen im Bun-
destag verabschiedet wurde und damit auch für Deutsch-
land völkerrechtlich verbindlich geworden ist, fordert,
dass jedem Menschen der volle Genuss seiner Rechte
und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden
muss.
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Mobilität ist für alle da! Das sagen wir, und das sagt
uch die Regierungskoalition; aber sie sagt eben auch:
arrierefreiheit ja, aber bitte nur im Rahmen der zur Ver-
gung stehenden Haushaltsmittel. – Diese Aussage fin-
en Sie im Antrag der Regierungskoalition zur Umset-
ung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Das bedeutet also, dass 71 Prozent aller Bahnhöfe wie
Unterlüß weiterhin für viele Menschen nur sehr
chwer zugänglich bleiben werden und dass Mobilität
ben nicht für alle da ist. So können die Ziele der UN-
ehindertenrechtskonvention, der auch Sie verpflichtet
ind, nicht erreicht werden.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten füh-
n uns diesen Zielen verpflichtet. Als Regierungspartei
nd auch in der Opposition gilt der Teilhabe aller an un-
erer Gesellschaft unser besonderes Augenmerk. Denn
ir wollen Vielfalt von Anfang an.
Deutschland hat auf dem Weg zur barrierefreien Ge-
ellschaft in den letzten Jahren viel erreicht. Ich nenne
ier nur drei wichtige Meilensteine, die wir als Regie-
ngspartei beschlossen haben: das Neunte Buch Sozial-
esetzbuch, SGB IX, im Jahre 2001, das Behinderten-
leichstellungsgesetz des Bundes, BGG, im Jahre 2002
nd das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Jahre
006.
Wir sind der Meinung: Die Umsetzung von Men-
chenrechten darf nicht an dem Verweis auf die Belas-
ng der öffentlichen Haushalte scheitern. Barrierefrei-
eit ist ein Grundrecht. Sie bildet einen wichtigen
estandteil der Teilhabe von Menschen mit Behinderun-
en am gesellschaftlichen Leben und ist ein wichtiger
chritt auf dem Weg zu ihrer Gleichberechtigung.
In unserem Positionspapier zur Umsetzung der UN-
ehindertenrechtskonvention setzen wir uns als SPD-
undestagsfraktion klar dafür ein, notwendige und ange-
essene Vorkehrungen mittel- und langfristig zu etablie-
n. Dabei können viele notwendige Maßnahmen durch
ine Umstrukturierung oder Anpassung vorhandener
ittel finanziert werden. Schon heute ist beispielsweise
ie barrierefreie Planung von Bauvorhaben – ob Ge-
äude oder Straßen, Tief- oder Hochbau – keine notwen-
igerweise kostenintensive Maßnahme. Denn es geht
or allem darum, ein Bewusstsein zu schaffen, sowohl
r Bauprofis als auch in der Bevölkerung.
Unser Ziel ist: Barrierefreiheit muss selbstverständ-
ch werden! Bereits bei der Planung und Ausführung
uss sie mitberücksichtigt werden, genauso wie Statik
nd Brandschutz heute. Dies gilt ganz besonders für
aumaßnahmen der öffentlichen Hand.
In unserem Antrag „Barrierefreie Mobilität und bar-
erefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und
leichberechtigung“ fordern wir, dass die staatliche För-
erung auch im Rahmen der KfW-Programme zur CO2-
ebäudesanierung zum Beispiel stärker an die Kriterien
er Barrierefreiheit gekoppelt werden. Wir sind der Mei-
ung, dass die Förderung für Neubauten nur unter den
oraussetzungen der Barrierefreiheit gewährt werden
oll. Geschieht dies nicht, entstehen die Kosten im Nach-
inein. Dann muss der Staat Geld in die Hand nehmen
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und Förderprogramme auflegen oder weiterentwickeln,
um zum Beispiel den Wohnbestand, das Wohnumfeld
und die Infrastruktur altengerecht anzupassen. Denn
Wohnungen, die barrierefrei gebaut werden, kommen
nicht nur Menschen mit Behinderungen zugute, sondern
erleichtern oder ermöglichen älteren Personen, Familien
mit Kindern und zeitweise mobilitätseingeschränkten
Menschen den Alltag. Wohnungen, die barrierefrei ge-
baut werden, müssen also später nicht mit Fördergeldern
altengerecht umgebaut werden. Das ist nicht nur aus
grundsätzlichen Erwägungen anzustreben. Vielmehr ent-
lastet es die Sozialsysteme von Unterbringungskosten.
Angesichts des demografischen Wandels wird der Be-
darf an einem barrierefreien Umfeld stetig wachsen.
Heute sind nach Schätzungen der Wohnungswirtschaft
nur 1 Prozent des Wohnungsbestandes barrierefrei und
nur weitere 4 Prozent barrierearm ausgestaltet. Dabei ist
Barrierefreiheit für 10 Prozent der Bevölkerung zwin-
gend erforderlich, für über 30 Prozent hilfreich und für
100 Prozent komfortabel.
Wir fordern, dass Barrierefreiheit ein Standard in der
Ausbildung von Ingenieurinnen und Ingenieuren wird.
Bereits im Studium sollen angehende Bauprofis dieses
Thema verinnerlichen. Dafür werden wir uns gegenüber
der Wirtschaft, den Kammern und den Hochschulen ein-
setzen.
Wir wissen: Politik auf Bundesebene ist nicht unein-
geschränkt zuständig. Deshalb ist es sehr wichtig, dass
wir auf die zum Beispiel für die Bauüberwachung zu-
ständigen Länder einwirken, sich der Aufgabe zu stellen
und eindeutig zugunsten von Barrierefreiheit zu agieren.
Barrierefreie Mobilität erfolgt grundsätzlich auf zwei
Ebenen: Erstens sollen Menschen mit Behinderung dis-
kriminierungsfrei befördert werden; zweitens müssen
Verkehrsmittel barrierefrei gestaltet werden. Wir verste-
hen Mobilität nicht nur im Sinne räumlicher Mobilität,
sondern auch im Sinne der Erreichbarkeit von und des
Zugangs zu Arbeitsstätten, Einkaufsmöglichkeiten oder
zum Beispiel ärztlicher Versorgung.
Wir fordern daher einen integrierten Ansatz der
Raum-, Stadt- und Verkehrsplanung, der kompakte Sied-
lungsstrukturen mit einer verbesserten Nahversorgung
fördert, besonders im ländlichen Raum ergänzt durch
flexible und möglichst barrierefreie öffentliche Ver-
kehrsangebote. Im öffentlichen Personenverkehr muss
sich Barrierefreiheit auf die gesamte Reisekette bezie-
hen. Es reicht hier nicht aus, einzelne Stationen wie zum
Beispiel Haltestellen barrierefrei und familienfreundlich
zu gestalten, wenn es im Bus keine ausreichenden Plätze
für Rollstuhlfahrer gibt.
Wir fordern, dass von der Haustür bis zum Ziel der
gesamte Weg für mobilitätseingeschränkte Menschen
zugänglich gemacht wird. Dazu müssen sich die Akteure
besser vernetzen, und es muss das Bewusstsein geschaf-
fen werden, dass Barrierefreiheit niemandem schadet,
aber jedem Kunden zugutekommen wird.
Wir brauchen längere Grünphasen für Fußgänger, da-
mit ältere Menschen, Kinder und mobilitätseinge-
schränkte Menschen ohne Gefahr die Straße überqueren
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önnen, und ebenso brauchen wir Mindeststandards für
ie barrierefreie Gestaltung von Flugzeugen.
Wir müssen umdenken, um von Anfang an in der
tädteplanung, im Verkehrsmanagement, im Baubereich
nd im Ingenieurwesen das Recht behinderter Men-
chen, am Alltag teilzunehmen, zu berücksichtigen.
onst werden Menschen vom täglichen Leben ausge-
chlossen werden.
Herr Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für
ie Belange behinderter Menschen, schreibt im Vorwort
ur deutschen Übersetzung der UN-Behindertenkonven-
on:
Ich wünsche mir die Mithilfe aller, damit der Text
der UN-Konvention so schnell wie möglich Wirk-
lichkeit wird.
Dazu wird unser Antrag einen Beitrag leisten.
Petra Müller (Aachen) (FDP): Der Diskriminierung
on Menschen mit Behinderungen entgegenzutreten und
nen darüber hinaus die Teilhabe am öffentlichen, ge-
ellschaftlichen Leben zu ermöglichen, ist eine hohe und
elbstverständliche Verpflichtung aller politisch Han-
elnden in unserem Land. Deutschland setzt dabei hohe
ormative Standards: Seit 2002 gibt es das Behinderten-
leichstellungsgesetz; im selben Jahr trat das Allge-
eine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Ob in den
GB, im BGB oder in den Prozessordnungen, ob im Ur-
eberrechtsgesetz, im Allgemeinen Eisenbahn- oder im
uftverkehrsgesetz – ich könnte die Liste noch fortset-
en –: Deutschland wird der hohen Verantwortung für
enachteiligte und behinderte Menschen gerecht und
tellt diese Verantwortung auf eine breite und sichere ge-
etzgeberische Basis. Dabei handelt es sich nicht um ei-
en Gnadenakt der Politik, sondern uns leitet das Be-
achteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grund-
esetzes.
Den gesetzlichen Regelungen stehen immer die kon-
rete Umsetzung und Anwendung gegenüber. Die Barri-
refreiheit zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden einer-
eits festzuschreiben und andererseits umzusetzen, ist
weierlei. Das verlangt Planung und administrative Be-
chlussfassung, es verlangt finanzielle Investitionen
benso wie bauhandwerkliche Ausführung. Fragen der
entabilität und Haushaltsplanung sind ebenso zu be-
cksichtigen wie es gilt, die Verhältnismäßigkeit vor
em Hintergrund von Kosten-Nutzen-Relationen zu be-
chten. Kurz gesagt: Wollen ist nicht immer Können,
nd manche Dinge brauchen ihre Zeit.
Trotzdem ist Deutschland in den 17 Jahren seit der
erankerung des Benachteiligungsverbots gegenüber
enschen mit Behinderung im Grundgesetz weit voran-
ekommen. Sowohl im öffentlichen Bewusstsein als
uch in der administrativen Umsetzung beweist Deutsch-
nd auch im internationalen Vergleich ein hohes Ni-
eau. Aber Diskriminierung findet weiterhin statt; das
ehört zur Wahrheit dazu. Die meisten Fälle liegen nach
ie vor im Verborgenen. Die Beispiele, die in den Be-
chten der Bundesbeauftragten für die Belange behin-
erter Menschen beschrieben werden, reichen von der
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Verweigerung der Mitnahme in einem Taxi über die
Nichtbedienung in Restaurants bis hin zu schwerwiegen-
den und folgenreichen Diskriminierungen im Berufsle-
ben oder beim Abschluss privater Versicherungsver-
träge. Auch an der Arbeitslosenquote lässt sich leider
noch immer ein Missverhältnis für Menschen mit Behin-
derung ablesen.
Es sind also vor allem Beispiele aus dem direkten in-
terpersonellen Kontakt behinderter Menschen oder aus
dem Arbeitsleben, an denen sich akute soziale oder ge-
sellschaftliche Diskriminierung manifestiert und wo sie
bekämpft werden muss.
Auch in den Bereichen Mobilität und Wohnungsbau
ist sich die christlich-liberale Koalition der Bedeutung
der Themen Barrierefreiheit und Teilhabe bewusst. Zu
Recht beschreiben Sie in Ihrem Antrag ambitionierte
Ziele und bestehende Entwicklungspotenziale aus städ-
teplanerischer und wohnungsbaulicher Sicht. Die Aufga-
ben, die hier noch vor uns liegen, sind gewaltig, werden
jedoch kontinuierlich, nach Maßgabe der Verhältnismä-
ßigkeit und entsprechend den zur Verfügung stehenden
Haushaltsmitteln erfüllt.
Die Hauptlast tragen dabei die Länder und Kommu-
nen. Dem Bund obliegt es nach § 8 BGG, seine Neubau-
ten oder große Um- und Erweiterungsbauten seiner An-
stalten, Körperschaften etc. barrierefrei auszuführen. Da
aber ansonsten das Bauordnungsrecht nicht in die Zu-
ständigkeit des Bundes fällt, präzisieren die Landes-
gleichstellungsgesetze die Verpflichtungen für den Bau-
bereich und werden in den Ländern in unterschiedlichem
Umfang ausgestaltet, etwa durch Verordnungen, Einfüh-
rungserlasse oder Richtlinien, insbesondere aber durch
die bauaufsichtliche Einführung spezieller DIN-Nor-
men.
Weiterhin besteht sowohl im Miet- als auch im Eigen-
tumsrecht ein Anspruch auf Herstellung von Barriere-
freiheit. Im Wohnungseigentumsrecht haben behinderte
Wohnungseigentümer aufgrund ihres (Mit-)Eigentums
einen Anspruch auf Zustimmung der anderen Miteigen-
tümer zu Baumaßnahmen für einen barrierefreien Zu-
gang zu ihrer Wohnung. Eine ausdrückliche Regelung
gibt es im Wohnungseigentumsgesetz jedoch nicht, und
man könnte hier im Hohen Hause über einen entspre-
chenden Passus nachdenken.
Die Förderung des Wohnungsbaus, auch des Baus
oder Umbaus von Wohnungen für behinderte Menschen,
ist in Deutschland Sache der einzelnen Bundesländer.
Der Bund stellt diesen zwar im Rahmen des Wohnraum-
förderungsgesetzes sowohl für den Neubau als auch für
Modernisierungsmaßnahmen Finanzmittel zur Verfü-
gung; deren Vergabe sowie die Vergabe der landeseige-
nen Mittel sind jedoch Sache des einzelnen Landes. Im
Rahmen des KfW-Förderprogramms „Altersgerecht
Umbauen“ wird die Reduzierung von Barrieren im Miet-
und Eigentumswohnbereich ausdrücklich bezuschusst
und gefördert. Dieses Programm wird die christlich-libe-
rale Koalition erfolgreich fortführen. Für die FDP ist je-
doch eine quartiersbezogene Weiterung des Programms
unabdingbar. Damit lassen sich infrastrukturelle Ge-
samtlösungen anstreben und Fragen der Mobilität im ei-
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entlichen Wohnumfeld integrierter berücksichtigen.
as ist Ziel liberaler Stadtentwicklungspolitik unter be-
onderer Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse
ehinderter Mitbürger und einer insgesamt älter werden-
en Gesellschaft.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Errichtung neuer
arrieren muss – strafbewehrt! – verboten werden. Für
ie Beseitigung vorhandener Barrieren brauchen wir
örderprogramme. Der Allgemeine Behindertenver-
and in Deutschland, ABiD, schlug jüngst beispiels-
eise vor, ein spezielles zehnjähriges Konjunkturpro-
ramm von 1 Milliarde Euro pro Jahr allein für die
arrierenbeseitigung im Baubereich aufzulegen. Für den
erkehrsbereich wird nicht weniger nötig sein. Das wäre
innvolle Wirtschaftsförderung.
Was haben Franz Müntefering, Reinhard Klimmt,
urt Bodewig, Manfred Stolpe und Wolfgang Tiefensee
emeinsam? Drei Dinge: Erstens sind sie alle Mitglied
er SPD, zweitens waren sie von 1998 bis 2009 nachei-
ander als Bundesminister für die Verkehrs-, Bau- und
tadtentwicklungspolitik zuständig, und drittens haben
ich alle fünf hinsichtlich ihres Engagements für die Ver-
eidung neuer und die Beseitigung bestehender Barrie-
n in ihrem Verantwortungsbereich nicht mit Ruhm be-
leckert.
Hätten sie das Sozialgesetzbuch IX, das Behinderten-
leichstellungsgesetz, das Allgemeine Gleichbehand-
ngsgesetz und die 2006 in der UNO beschlossene Be-
indertenrechtskonvention zu ihrer Arbeitsgrundlage
emacht, wären viele der im nun vorliegenden SPD-An-
ag aufgeführten Punkte überflüssig bzw. erledigt. Wer
s nicht glaubt, sollte sich nur einmal die Antworten aus
em Bundesverkehrs- und -bauministerium auf meine in
orm von Anfragen gegebenen Denkanstöße in der Zeit
on 2005 bis 2009 noch einmal ansehen.
Ich sage das auch, weil Sie, liebe Kolleginnen und
ollegen von der SPD, in Ihrem Antrag im dritten Ab-
atz mit Verweis auf die einstimmig verabschiedete UN-
ehindertenrechtskonvention schreiben: „Dem muss die
olitik der Bundesregierung jetzt Rechnung tragen.“ Na-
rlich muss die Bundesregierung auch jetzt und heute
r die Schaffung einer barrierefreien Umwelt im Sinne
er UN-Behindertenrechtskonvention wirken, aber eben
icht erst ab jetzt. Insofern sind Sie an vielen bestehen-
en Barrieren mitschuldig.
Leider erweist sich der derzeitige Bundesminister
eter Ramsauer von der CSU auch nicht als Verfechter
iner barrierefreien Umwelt. 599 Presseerklärungen fin-
et man auf der Homepage des Bundesministeriums für
erkehr, Bau und Stadtentwicklung seit Amtsantritt von
errn Ramsauer vor 20 Monaten. Nur in zweien davon –
ier geht es um Bahnhöfe – spielen Fragen der Barriere-
eiheit eine Rolle. Schaut man sich seine Reden und
onstigen Aktivitäten an, kommt man auch hier zu dem
chluss, dass die Belange von Menschen mit Behinde-
ngen diesem Minister ziemlich gleichgültig sind.
Insofern unterstützt die Linke den Antrag der SPD –
nthält er doch eine Reihe von Denkanstößen für die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13653
(A) )
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Bundesregierung, um ihren salbungsvollen Worten zur
UN-Behindertenrechtskonvention auch konkrete Taten
zu deren Umsetzung im wirklichen Leben folgen zu las-
sen.
Leider erweckt der vorliegende Antrag wie schon der
vor drei Wochen diskutierte SPD-Antrag zum barriere-
freien Tourismus den Eindruck, dass hier im Schnellver-
fahren aufgeschrieben wurde, was einem gerade so ein-
fiel, egal, ob hier Bund, Länder, Kommunen oder andere
in der Verantwortung stehen. Und leider mogelt sich die
SPD auch in diesem Antrag um klare Positionen zu
wichtigen Verkehrsbereichen herum. Wird sich denn nun
die SPD – nachdem wir Linke vorangingen – für Barrie-
refreiheit bei Fernbuslinien und für barrierefreie Taxen
engagieren, zum Beispiel durch entsprechende verbind-
liche Regelungen bei der anstehenden Novellierung des
Personenbeförderungsgesetzes?
Zu Recht verweist die SPD in ihrem Antrag auf Art. 9
der Behindertenrechtskonvention, welcher korrekt über-
setzt „Barrierefreiheit“ und nicht „Zugänglichkeit“
heißt. Aber ich verweise für all diejenigen, die sich mit
der Konvention noch nicht so intensiv beschäftigt haben,
auch auf den Art. 3, in dem die „Barrierefreiheit“ als ei-
nes der Grundsätze der Konvention benannt wird, auf
Art. 4 „Allgemeine Verpflichtungen“, auf Art. 19 „Selbst-
bestimmt leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft“
und auf Art. 20 „Persönliche Mobilität“.
Seit 14 Tagen liegt uns auch der Nationale Aktions-
plan der Bundesregierung zur Umsetzung der Konven-
tion vor. Was hier hinsichtlich der Aufgaben für die
Schaffung barrierefreier Mobilität und Wohnungen vor-
geschlagen wird, ist – so auch die übereinstimmende Re-
aktion der Behindertenbewegung – äußerst dürftig.
Mit einem Weiter-so ohne verbindliche Regelungen
im Verkehrs- und Baurecht in Bund und Ländern und
ambitionierte Förderprogramme werden wir den riesigen
Mangel an barrierefreien Wohnungen nicht ernsthaft be-
seitigen. Ich war schon sehr erstaunt, als unlängst Ber-
lins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer,
SPD, auf einem Forum des Berliner Behindertenverban-
des zum Thema „Berlin barrierefrei“ auf die Frage nach
barrierefreien Wohnungen antwortete, dass sie erst aktiv
werden könne, wenn sie den Bedarf kenne. Einmal abge-
sehen davon, dass ich mehr Kenntnis von verantwortli-
chen Politikern erwarte, meine ich, dass langfristig der
Bedarf mit 100 Prozent zu definieren ist. Wenn das ge-
länge, muss niemand mehr aus seiner Wohnung auszie-
hen, weil bestehende Barrieren im Haus und/oder in der
Wohnung ein selbstbestimmtes und würdiges Leben un-
möglich machen, und man kann einander auch uneinge-
schränkt besuchen. Auch das gehört zur Teilhabe am Le-
ben in der Gesellschaft.
Dass dies nicht von heute auf morgen zu schaffen ist,
ist einleuchtend, zumal bestehende Barrieren zu beseiti-
gen aufwendig und teuer ist. Warum lassen wir aber zu,
dass täglich neue Gebäude mit Barrieren entstehen?
Auch hinsichtlich der Barrierefreiheit könnte man doch
im Baurecht ebenso verbindliche Regelungen treffen wie
zum Beispiel bezüglich der energetischen Ausstattung
oder des Brandschutzes.
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Wichtig ist eine engere Verzahnung von vorhandenen
rogrammen und Initiativen. Ich unterstütze ausdrück-
ch diesbezügliche ökologische Aktivitäten, zum Bei-
piel Programme zur energetischen Sanierung von Ge-
äuden und dem Einsatz erneuerbarer Energien. Aber
iese Programm sind bisher nicht bzw. kaum mit dem
iel der gleichzeitigen Schaffung von Barrierefreiheit
erbunden. Dass es geht und dass man es zusammenden-
en kann, wird unter anderem durch den Antrag der Lin-
en „Grundrecht auf Wohnen sozial, ökologisch und bar-
erefrei gestalten“ in der Bundestagsdrucksache 17/3433
om 26. Oktober 2010 deutlich. Diese Dreieinigkeit von
ozial, ökologisch und barrierefrei sollten wir als durch-
ängiges Prinzip in der Bau- und Verkehrspolitik be-
cksichtigen. Nur dann werden wir eine zukunftsfähige
olitik zum Wohle der Menschen mit und ohne Behinde-
ngen gestalten.
Die Beratung des vorliegenden Antrags in den Aus-
chüssen sollten wir nutzen, um über Sinn und Unsinn
er einzelnen Vorschläge zu diskutieren, ihn um weitere
otwendige Vorschläge ergänzen, um im Ergebnis wirk-
che Veränderungen im Alltagsleben zu erreichen.
Lassen Sie uns – wie es der ABiD vorschlägt – Teil-
abeermöglichung als Wirtschaftsförderung – Konjunk-
rprogramm, Investitionsförderung – gestalten.
Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
obilität ist ein entscheidender Faktor im Leben jedes
enschen: Wer mobil ist, hat mehr Möglichkeiten, kann
nabhängig sein. Er hat mehr Chancen bei der Arbeits-
latzwahl oder bei der Entscheidung, wie und wo er le-
en möchte. Viele Menschen sind hier eingeschränkt –
nd ihnen wird damit ein entscheidender Teil der persön-
chen Freiheit genommen. Nichts anderes sind deswe-
en die Barrieren, welche der SPD-Antrag behandelt:
ine Freiheitsbeschränkung zu vieler. Der demografische
andel gibt uns die Gewissheit, dass es immer mehr
erden.
Es ist deswegen richtig und wichtig, dass sich der
undestag mit der Barrierefreiheit im Alltag immer wie-
er beschäftigt. Zu viele Probleme sind hier noch unge-
st, und bei zu vielen Aspekten können wir noch nicht
bsehen, wie sich dies auf unsere Gesellschaft im Wan-
el auswirkt. Der SPD-Antrag geht auf vieles ein. Be-
onders hervorheben möchte ich die detaillierte Behand-
ng der Regelungen zum ÖPNV und zum Bahnverkehr.
ier muss in Zusammenhängen gedacht werden. Nach-
altige Mobilität bedeutet immer seltener, mit einem ein-
igen Verkehrsmittel von A nach B zu kommen. Die
obilität von morgen braucht die optimale Verbindung
erschiedener aufeinander abgestimmter Verkehrsträ-
er. Deswegen brauchen wir nicht nur einen deutsch-
ndweit getakteten Bahnfahrplan, sondern müssen auch
erücksichtigen, dass Menschen mit Mobilitätsein-
chränkungen diesen gesamten Weg in der gleichen
ualität nutzen können wie Menschen ohne Einschrän-
ungen. Nur wenn wir diese Beschränkungen und
arrieren abbauen, werden mehr Menschen öffentliche
erkehrsmittel nutzen.
13654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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)(B)
Der vorliegende Antrag macht viele und umfassende
Vorschläge. Hervorzuheben ist, dass der Antrag die Kon-
flikte nicht ausspart: Es ist gewiss nicht einfach, Barrie-
refreiheit, Denkmalschutz und Stadtbildpflege unter ei-
nen Hut zu bekommen. Gleichzeitig ist natürlich die
Frage berechtigt, was die Bundespolitik hier zur Befrie-
dung dieser Konflikte beitragen kann und soll. Notwen-
dig sind sicher vor allem lokale Ansätze, bei denen Bür-
gerinnen und Bürger frühzeitig – und auf die jeweilige
Maßnahme bezogen – mitentscheiden können.
Der Antrag verfolgt eine Linie, der wir Grünen sicher
grundsätzlich folgen können. Dennoch gibt es Punkte,
über die in den Ausschussberatungen noch debattiert
werden sollte. So wird sehr pauschal darauf hingewie-
sen, dass Billigflieger Behinderte abweisen. Es sind
zwar solche Fälle bekannt, jedoch sollten wir nicht so
weit gehen, darin ein System zu erkennen. Das führt
meines Erachtens zu einer unberechtigten Vorverurtei-
lung. Hier sollten wir die bekannten Fälle genau untersu-
chen und mit den Airlines nach einer Lösung suchen.
Zwei Aspekte will ich ansprechen, die nach meiner
Ansicht noch präzisiert werden sollten. Erstens. Der An-
trag fordert, dass sich die Barrierefreiheit im öffentli-
chen Personennahverkehr auf die gesamte Reisekette be-
ziehen soll. Hier müssen wir sicherstellen, dass nicht nur
die Verkehrsmittel, sondern auch die Fahrplangestaltung
gemeint ist. Bisher ist etwa für die Deutsche Bahn eine
Reise auch dann barrierefrei, wenn ein Rollstuhlfahrer
von A nach B kommt – obwohl er oder sie zum Beispiel
für eine Fahrt von Berlin nach Erfurt wegen der knappen
Umsteigezeit in Leipzig eine Stunde länger braucht.
Hierüber sollten wir gemeinsam nachdenken und Vor-
schläge erarbeiten.
Der zweite Punkt betrifft die Mobilität von Men-
schen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung die öffentli-
chen Verkehrsmittel auch dann nicht nutzen können,
wenn alle heute bekannten Rahmenbedingungen und
Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit umge-
setzt sind. Diese kleine Gruppe wird langfristig auf ei-
gene, speziell umgebaute Pkw angewiesen sein. Leider
steht diese Gruppe oft vor dem Problem, dass mögliche
Kostenträger die Finanzierung der Fahrzeuge und Um-
bauten verweigern. Hier ist bisher nicht absehbar, was
wir für diese Gruppe mobilitätseingeschränkter Personen
tun könnten.
Ich hoffe, dass wir diese Fragen in den Ausschussbe-
ratungen aufgreifen und Lösungen erarbeiten. Hier sind
auch unsere für Sozialpolitik zuständigen Kolleginnen
und Kollegen gefragt.
Anlage 18
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Effektive Regulie-
rung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise
(Tagesordnungspunkt 15)
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Gestern hat die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Kongress zum
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hema „Finanzmarktregulierung nach der Krise – Eine
wischenbilanz“ veranstaltet. Neben der Bundeskanzle-
n und dem Bundesfinanzminister haben sich der Bun-
esbankpräsident, nationale und internationale Aufseher,
anker und Wissenschaftler zu aktuellen Finanzmarkt-
agen geäußert. Es wurde ausführlich über die Dinge
iskutiert, die regulatorisch auf den Weg gebracht wor-
en sind. Es wurde festgestellt, dass die Finanzmarkt-
aßnahmen von Regierung und Parlament dazu beige-
agen haben, dass Deutschland schnell aus der
irtschaftkrise herausgekommen ist, und es wurden Lü-
ken in der Regulierung aufgezeigt sowie weitere Lö-
ungswege analysiert.
Fazit: Viel wurde getan – meistens das Richtige –,
ber es gibt auch noch sehr viel zu tun.
Genau darum geht es auch in unserem Antrag mit der
berschrift „Effektive Regulierung der Finanzmärkte
ach der Finanzkrise“. Zum einen ziehen wir damit eine
ilanz über die seit Bestehen der christlich-liberalen Ko-
lition geleistete Arbeit im Bereich Finanzmarktregulie-
ng. Zum anderen bringen wir aber auch zum Aus-
ruck, dass trotz aller gelungenen Aktivitäten und Maß-
ahmen im Regulierungsbereich noch ein weiter Weg
or uns liegt, um den Beschluss der G 20, dass zukünftig
ein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Fi-
anzmarktprodukt ohne angemessene Regulierung und
ufsicht sein darf, Realität werden zu lassen.
Im Einzelnen: Generalnorm unseres Handelns ist und
ar der soeben erwähnte Beschluss der G 20 und die
orgabe in unserem Koalitionsvertrag, dass kein Finanz-
arkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarkt-
rodukt ohne angemessene Regulierung und Aufsicht
ein darf. Deswegen haben wir in den letzten 18 Mona-
n folgende Projekte auf den Weg gebracht:
Erstes Stichwort: Fehlervermeidung. Eine Ursache
er Finanzkrise war, dass die Akteure auf dem Finanz-
arkt in ihren Instituten falsche Entscheidungen getrof-
n haben. Nun liegt es im Wesen der Marktwirtschaft,
ass in Unternehmen Entscheidungen getroffen werden
nd dass diese Entscheidungen auch falsch sein können.
enn aber falsche Entscheidungen dazu führen, dass ein
anzes Wirtschaftssystem gefährdet wird, dann besteht
andlungsbedarf. Aus diesen Gründen haben wir auf na-
onaler und europäischer Ebene folgende Regulierungs-
aßnahmen auf den Weg gebracht, die dazu beitragen
ollen, dass auf Institutsebene weniger Fehler gemacht
erden: Bessere Beaufsichtigung der Ratingagenturen;
ermeidung von Fehlanreizen in den institutsinternen
ergütungsstrukturen; Verbot bzw. Einschränkung von
eerverkäufen; erhöhte Anforderungen im Bereich der
erbriefungen; weitere Begrenzungen im Bereich der
roßkredite.
Zweites Stichwort: Fehlertragfähigkeit. In der Krise
at sich gezeigt, dass Finanzinstitute nicht stark genug
aren, um die Folgen einer falschen Entscheidung zu
bsorbieren. Deswegen haben wir – im Übrigen zusam-
en mit unseren europäischen Partnern – Maßnahmen
ur Erhöhung der Fehlertragfähigkeit von Instituten ein-
eführt bzw. werden sie einführen:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13655
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)(B)
Die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an
Institute wurden bzw. werden erhöht – im Rahmen der
Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie und in der ab
Sommer anstehenden Umsetzung von Basel III.
Der nicht über Börsen abgewickelte Derivatebereich,
der sogenannte OTC-Sektor, wird ab Herbst dieses Jah-
res grundsätzlich reformiert werden; die entsprechenden
europäischen Vorschläge liegen auf dem Tisch.
Offene Immobilienfonds wurden durch das Anleger-
schutzgesetz stabilisiert.
Drittes Stichwort: Finanzaufsicht. Wir haben aus der
Krise aber auch gelernt, dass die Finanzaufsicht nicht in
der Lage war, die Fehlentwicklungen rechtzeitig zu be-
nennen und diesen entgegenzusteuern. Das lag nach un-
serer Analyse zum einen an der Struktur und Organisa-
tion der Aufsicht, zum anderen aber auch daran, dass
wesentliche Bereiche des Finanzmarktes nicht oder nur
teilweise unter staatlicher Aufsicht standen. Darauf ha-
ben wir mit folgenden Regulierungsmaßnahmen rea-
giert:
Wir haben die europäischen Aufsichtsstrukturen kom-
plett neu organisiert und dadurch erheblich gestärkt.
Die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichten wird
durch das Umsetzungsgesetz zur Omnibus-I-Richtlinie,
das wir im Herbst verabschieden werden, erheblich in-
tensiviert.
Einen Vorschlag zur Neuordnung der deutschen Auf-
sichtsstrukturen wird die Bundesregierung noch im
Sommer dieses Jahres vorlegen.
Bisher nicht regulierte Bereiche wie zum Beispiel der
Bereich der geschlossenen Fonds und Hedgefonds wer-
den durch das Finanzanlagenvermittlergesetz bzw. durch
die Umsetzung der AIFM-Richtlinie erstmals in die Auf-
sicht einbezogen; beide Maßnahmen werden in den
nächsten Monaten abgeschlossen werden.
Viertes Stichwort: geordnete Abwicklung. Eine we-
sentliche Erkenntnis der Finanzkrise war, dass uns kein
Instrumentarium zur Verfügung stand, um große syste-
mische Finanzinstitute im Insolvenzfall so abzuwickeln,
dass nicht das gesamte Finanzsystem ins Wanken gerät.
Dieser Mechanismus ist aber dringend notwendig, denn
wir haben auch gesehen, dass trotz aller Regulierungs-
maßnahmen nicht verhindert werden kann – und im Üb-
rigen auch gar nicht verhindert werden soll –, dass Ban-
ken durch unternehmerische Fehlentscheidungen vom
Markt verschwinden. Wir haben darauf reagiert – in
Deutschland übrigens als eines der ersten Länder über-
haupt – und haben ein Restrukturierungsgesetz für Ban-
ken verabschiedet. Dieses Gesetz ist die Blaupause für
die Anstrengungen, einen europäischen Restrukturie-
rungsmechanismus für europaweit tätige systemische
Banken zu schaffen. Die Koalitionsfraktionen und die
Bundesregierung haben hier Pionierarbeit geleistet.
Fünftes Stichwort: Verbraucherschutz. Eine weitere
Erkenntnis aus der Finanzkrise war, dass wir im Finanz-
dienstleistungsbereich Defizite im Bereich des Verbrau-
cherschutzes haben. Wie gesagt, es war eine weitere Er-
kenntnis und nicht die große Erkenntnis. Ich sage das
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eswegen, weil ich darauf aufmerksam machen möchte,
ass wir aus gutem Grund den Schwerpunkt unserer Re-
ulierungsaktivitäten auf die Systemstabilisierung gelegt
aben; die Finanzkrise im Herbst 2008 war in erster Li-
ie eine Systemkrise und keine Verbraucherschutzkrise.
rotzdem konnten wir im Bereich des Verbraucherschut-
es in den letzten Monaten signifikante Verbesserungen
urchsetzen:
Im Anlegerschutzgesetz haben wir die Qualität der
nlageberatung im Bankenbereich verbessert.
Die Verbesserung der Beratungsqualität bei den freien
ermittlern ist Gegenstand des Finanzanlagenvermittler-
esetzes, das wir im Herbst auf den Weg bringen wer-
en.
Im Rahmen des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes ha-
en wir entsprechend den europäischen Vorgaben die
echte von Fondsanlegern gestärkt.
Wir verfolgen darüber hinaus mit großem Interesse
ie Ideen und Konzepte zur Stärkung von nachhaltigen
eldanlagen und sehen daher diesem Teil der Anhörung
m Montag mit Spannung entgegen.
Insgesamt haben wir im Bereich Finanzmarktregulie-
ng und Verbraucherschutz in den letzten 18 Monaten
cht Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen; das neunte
nd das zehnte sind bereits im parlamentarischen Ver-
hren. Weitere Vorhaben, wie zum Beispiel die Neuord-
ung der Finanzaufsicht, werden nach der Sommerpause
lgen. Nun ist Quantität alleine kein Erfolgskriterium;
ber ich möchte schon darauf hinweisen, dass wir mit
em Restrukturierungsgesetz oder dem Gesetz zur Vor-
eugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Deri-
ategeschäfte neue innovative Wege gegangen sind und
positiven Sinne auch im internationalen Vergleich
aßstäbe gesetzt haben.
Wir wissen aber auch, dass das noch nicht reicht, um
ie Finanzmärkte nachhaltig sicherer und stabiler zu ma-
hen. Deswegen arbeiten wir intensiv an weiteren von
ns als relevant identifizierten Themen.
Eines dieser Themen sind die großen, international
ernetzten Finanzinstitute, von denen wir annehmen,
ass sie für das gesamte System von Bedeutung sind.
iese Institute beherrschen wir als Regulatoren definitiv
och nicht. Ein Scheitern eines dieser Institute würde er-
eblichen Schaden verursachen. Letztlich müsste dafür
ieder der Steuerzahler geradestehen. Deswegen ist es
ichtig, dass an diese Institute besondere Maßstäbe an-
elegt werden. Wir begrüßen daher, dass im Rahmen des
asel-III-Prozesses von diesen Instituten höhere Eigen-
apitalbeträge als von nichtsystemrelevanten Instituten
achgewiesen werden müssen. Wir werden uns dafür
insetzen, dass dies schnell umgesetzt wird. Was noch
hlt – das habe ich bereits erläutert –, ist ein Restruktu-
erungsmechanismus für diese Institute – sozusagen das
uf internationale, mindestens aber auf europäische
bene erweiterte deutsche Restrukturierungsgesetz.
Wir sehen des Weiteren Handlungsbedarf bei den Ra-
ngagenturen. Sie waren zentraler Bestandteil der Krise.
s ist darüber hinaus bedenklich, dass der gesamte Ra-
13656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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)(B)
tingmarkt im Wesentlichen von drei nichteuropäischen
Agenturen beherrscht wird. Die Maßnahmen, die wir
bisher zur Regulierung der Ratingagenturen auf den Weg
gebracht haben, waren gut und zielführend; sie reichen
aber nicht. Weitere Maßnahmen, die darauf abzielen, die
Ratingqualität weiter zu verbessern, den Wettbewerb im
Ratingmarkt zu stärken sowie zivilrechtliche Haftungs-
regelungen für Ratingagenturen einzuführen, müssen
folgen.
Darüber hinaus haben wir in den letzten Monaten in-
tensiv darüber diskutiert, wie die Finanzmärkte an den
Kosten der Krise beteiligt werden können. Die EU-
Kommission hat hierzu Untersuchungen durchgeführt
und wird Vorschläge erarbeiten. Wir werden die Umset-
zung dieser Vorschläge auf europäischer Ebene, wie
auch in der Vergangenheit, unterstützen – so lange, wie
keine originäre EU-Steuer entsteht. Ich möchte in die-
sem Zusammenhang daran erinnern, dass es Vertreter
der Bundesregierung waren, die dafür gesorgt haben,
dass das Thema Finanztransaktionsteuer auf der europäi-
schen Agenda weiter vorangetrieben worden ist.
Zu einer Zwischenbilanz gehört aber auch eine kriti-
sche Analyse der Dinge, die noch nicht erreicht worden
sind, der Dinge, für die noch keine befriedigenden Lö-
sungen erarbeitet worden sind. Ich möchte an dieser
Stelle drei Punkte nennen:
Wir beobachten mit Sorge, dass parallel zur Anhe-
bung der Aufsichts- und Regulierungsstandards Finanz-
marktakteure Geschäftstätigkeiten in den nicht oder we-
nig regulierten Bereich auslagern. Hierzu zählen zum
Beispiel die Aktivitäten von Zweckgesellschaften, Geld-
marktfonds und Hedgefonds. Dabei gilt es zu vermeiden,
dass ein großer Teil der Kredit-, Fristen- und Liquiditäts-
intermediation außerhalb des Bankensektors stattfindet
und in diesem Bereich Risiken entstehen, denen gerade
mit den umgesetzten Regulierungsmaßnahmen im Ban-
kensektor entgegengewirkt wurde.
Wir sehen, dass es auch nach der Krise Länder gibt, in
denen keine oder nur eine schwache Regulierung des Fi-
nanzmarktes erfolgt. Es ist eine große Herausforderung,
die jeweiligen Regierungen davon zu überzeugen, das
nationale Regulierungswerk an internationale Standards
anzupassen, um hierdurch die Nutzung von Regulie-
rungsgefällen einzudämmen.
Der dritte Punkt, zu welchem wir noch keine ab-
schließende Lösung anbieten können, ist die Corporate
Governance im Finanzdienstleistungsbereich. Dabei
geht es nicht nur darum, dass die Kontrollorgane in den
Finanzinstituten genügend Sachkenntnis haben, um die
Produkte und das Risikoprofil des Unternehmens zu ver-
stehen und gegebenenfalls eingreifen zu können; das
lässt sich politisch und aufsichtsrechtlich lösen. Es geht
vielmehr darum, dass wir in vielen Teilen der Finanz-
dienstleistungsbranche eine andere Unternehmenskultur
brauchen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank
hat auf unserem Finanzmarktkongress gestern sinnge-
mäß gesagt, dass es kein Geschäft wert sei, der Reputa-
tion der Bank zu schaden. Das höre ich wohl, und ich
würde mich freuen, wenn das eine oder andere Institut
dies mehr als in der Vergangenheit beherzigen würde.
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amit meine ich weniger die regional tätigen Banken,
ei denen Mitarbeiter und Management mit ihren Kun-
en in engem Kontakt stehen, im gleichen Dorf wohnen
nd im gleichen Verein feiern. Die Akteure in der Fi-
anzwirtschaft haben neben ihren Verpflichtungen ge-
enüber ihren Kapitalgebern auch eine gesellschaftliche
erantwortung. Wenn ich dann aber auf den Konferen-
en und Kongressen, auf denen ich zu diesem Thema
preche, sinngemäß Aussagen höre wie: „Wenn ihr
ollt, dass wir etwas nicht tun, dann müsst ihr es explizit
erbieten, denn sonst sind wir es unseren Aktionären
chuldig, dass wir unser Ergebnis optimieren“, dann ist
ies nicht nur sehr kurzfristig gedacht, sondern nachhal-
g verantwortungslos. Regulierung wird zum bürokrati-
chen Monster; Regulierung wird nicht funktionieren,
olange viele intelligente Menschen ihre Zeit damit ver-
ringen, den ganzen Tag darüber nachzudenken, wie sie
iese Regulierung umgehen können. Um das klarzustel-
n: Dies ist kein Pauschalvorwurf an die Finanzindus-
ie. Wir wissen, dass dort der überwiegende Teil der
itarbeiter eine mehr als hervorragende Arbeit leistet;
ber der eine oder andere sollte sich schon angesprochen
hlen.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf:
Erstens: Bei der effektiven Regulierung der Finanz-
ärkte weiterhin konsequent und mit Augenmaß vorzu-
ehen und dauerhaft für ein stabileres und widerstands-
higeres Finanzsystem zu sorgen.
Zweitens: Die Einhaltung neuer regulatorischer Vor-
aben aufgrund bereits beschlossener Reformvorhaben
u überwachen und regelmäßig zu überprüfen, ob die an-
estrebten Regulierungsziele erreicht werden.
Drittens: Sich dafür einzusetzen, dass die auf interna-
onaler, europäischer und nationaler Ebene noch nicht
ollendeten Reformvorhaben zügig abgeschlossen wer-
en; insbesondere die Arbeiten der G 20 und des Finanz-
tabilitätsrates zu den systemrelevanten Instituten sowie
ur Regulierung des Schattenbankensystems müssen
eiter vorangetrieben werden.
Viertens: Sich dafür einzusetzen, dass die bereits ver-
bschiedeten internationalen Beschlüsse zur verstärkten
inanzmarktregulierung in allen beteiligten Staaten voll-
tändig und international konsistent umgesetzt werden,
m Wettbewerbsverzerrungen und die Nutzung von Re-
ulierungsgefällen zu vermeiden; dies betrifft unter an-
erem die Einführung der Beschlüsse des Baseler Aus-
chusses in weiteren Ländern und die Umsetzung der
ternationalen Vorgaben zu den Vergütungsstandards.
Fünftens: Unter Berücksichtigung der seit der Finanz-
rise und der Staatsschuldenkrise gewonnenen Erkennt-
isse eine umfassende und systematische Folgebewer-
ng der Ursachen für eingetretene und potenzielle
stabilitäten der Finanzmärkte vorzunehmen und die
isher umgesetzten und eingeleiteten Regulierungsmaß-
ahmen im Hinblick auf die Ergebnisse dieser Folgebe-
ertung zu evaluieren.
Der letzte Punkt ist mir dabei besonders wichtig. Er
t mir deswegen wichtig, weil es fast drei Jahre nach der
inanzkrise ein guter Zeitpunkt ist, zurückzuschauen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13657
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)(B)
unter Berücksichtigung von gegebenenfalls neuen Er-
kenntnissen die eingeleiteten Regulierungsmaßnahmen
zu bewerten und die entsprechenden Schlussfolgerungen
zu ziehen.
Viel getan, viel erreicht, noch viel zu tun – am besten
gemeinsam, gemeinsam mit der Opposition und, was
sehr hilfreich wäre, gemeinsam mit der Finanzindustrie.
Nehmen Sie das Angebot an!
Dr. Carsten Sieling (SPD): Gerade gestern Nach-
mittag hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem
Kongress geladen, der die Überschrift „Finanzmarktre-
gulierung nach der Krise – eine Zwischenbilanz“ trug. In
salbungsvollen Worten wird im Vorwort der Einladung
der Leserschaft offenbart, dass „nationale wie internatio-
nale Märkte einen stärkeren Ordnungsrahmen brau-
chen“. Ich vermute, man hat sich dort gegenseitig auf die
Schulter geklopft und versichert, dass ja alles nicht so
schlimm gewesen sei und man im Übrigen schon eine
Menge geschafft habe.
Nur leider ist dem nicht so. Weder war die Finanz-
und Wirtschaftskrise, die zu einer Staatsschuldenkrise
geworden ist, ein Betriebsunfall, noch reichen die bishe-
rigen Reformen im Finanzsektor nur ansatzweise aus,
um künftige Krisen zu verhindern.
Wer allerdings erwartet hat, mit dem vorliegenden
Antrag der Regierungsfraktionen ein Gesamtkonzept
oder zumindest einen Eindruck darüber zu bekommen,
mit welchem Anspruch sich die Regierungsfraktionen
der größten Volkswirtschaft Europas und eines G-8- und
G-20-Mitgliedes an den laufenden und harten internatio-
nalen Regulierungsdebatten einbringen wollen, der wird
bitter enttäuscht. Selten habe ich bei einem so wichtigen
Thema einen so nichtssagenden und unambitionierten
Text gelesen. Und auch der Umstand, dass wir diesen
Antrag nach Mitternacht beraten, spricht Bände. Aber
um die Finanzpolitik ist es eben ähnlich dunkel bestellt,
wie es im Moment draußen ist.
Aber nicht nur das. Weil man sich aufseiten der Ko-
alition wahrscheinlich durchaus der dürftigen Bilanz in
Sachen Finanzmarktregulierung bewusst ist, wird sich
einfach dreist mit fremden Federn geschmückt. Nicht
anders ist es sonst zu verstehen, dass sämtliche Regulie-
rungsvorhaben der europäischen Ebene, die Deutschland
sowieso umsetzen muss, hier als Erfolg dargestellt wer-
den. Das gilt zum Beispiel für die Regulierung der Ra-
tingagenturen, die Kapitaladäquanzrichtlinie, die Neure-
gelung der EU-Finanzaufsicht oder die geplante Deri-
vateneuregelung.
Im Bereich des Verbraucherschutzes ist es offenbar
allein die Quantität, die überzeugen soll. Denn nicht an-
ders ist es zu verstehen, dass das Anlegerschutz- und
Funktionsverbesserungsgesetz und das Finanzanlagen-
vermittler- und Vermögensanlagengesetz hier als zwei
getrennte Gesetzesinitiativen dargestellt werden. Was
dabei aber gern vergessen wird: Diese beiden Gesetze
– mit dem Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchli-
che Wertpapiergeschäfte – waren noch Anfang 2010 als
gemeinsamer Entwurf in einem Gesetz vorgelegt worden
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is Herr Brüderle mit der freien Vermittlerlobby sich
urchsetzte und ein neuer, eigener – und natürlich abge-
chwächter Vorschlag notwendig war.
Stichwort Bankenrestrukturierungsgesetz: Auch hier
at die Koalition dankbar auf die guten Vorarbeiten der
ozialdemokratischen Minister Steinbrück und Zypries
urückgegriffen. Und das in diesem Zusammenhang ei-
ene Vorhaben der Bankenabgabe stockt nach der Blo-
kade im Bundesrat.
Die Reihe ließe sich fortsetzen: Stockende Reform
er nationalen Finanzaufsicht oder ein fehlendes klares
otum zur Finanztransaktionsteuer: überall Stillstand.
Auch die Neuregelung der Vergütungsstrukturen bei
ktiengesellschaften hin zu einer stärkeren Ausrichtung
m langfristigen und nachhaltigen Unternehmenserfolg
at die SPD-Bundestagsfraktion gegen den massiven
iderstand des Koalitionspartners 2009 auf den Weg ge-
racht.
Ich sehe keinen Vorschlag, wie künftig das Problem
er systemrelevanten Banken, die „too big to fail“ sind,
u lösen ist. Die USA, die Schweiz und Großbritannien
ehen hier neue und eigene Wege. Deutschland bleibt
aungast.
Aber ich fürchte, der Anspruch ist schon gar nicht,
ier Akzente zu setzen. Das zeigt sich auch an dem For-
erungskatalog der Koalition am Ende des Antrags:
Prüfen, beobachten, evaluieren“ ist offensichtlich der
eformanspruch der Koalition, der mich verdächtig an
nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ erinnert.
Anders ist es auch zu verstehen, dass auf der gestrigen
inanzmarktkonferenz das „Who is who“ der deutschen
inanzlobby auftreten darf, von Verbraucherschützern
der geschädigten Anlegern dagegen weit und breit
ichts zu sehen ist.
Herr Ackermann darf dann mit dicken Krokodilsträ-
en davon berichten, dass ihn die mickrige Bankenab-
abe in Höhe von 70 Millionen doch angesichts eines
nternehmensgewinnes der Deutschen Bank für 2011 in
öhe von geplanten 10 Milliarden Euro hart trifft.
Herr Blessing von der Commerzbank darf darüber
lagen, dass die Öffentlichkeit gar nicht genug positiv
ahrnimmt, dass er immerhin einen Großteil der Stillen
inlage des Bundes in Höhe von 16,4 Milliarden Euro
urückgezahlt hat. Ohne dabei aber zu erwähnen, dass er
ie geplanten Zinsen darauf nie zahlen wird.
Und schließlich wird Herr Francioni im Namen der
eutschen Börse verkünden, dass sämtliche Bestrebun-
en, eine Finanztransaktionsteuer nur auf europäischer
bene einzuführen, zu nicht kompensierbaren Abwande-
ngsbewegungen führen wird.
Aber man muss sich auch nicht wundern, wenn man
ie Frösche fragt, ob man ihren Teich trockenlegen
ollte. So wird das nicht gelingen. Die SPD hat dazu eine
eihe eigener Vorschläge eingebracht.
Wir wollen eine Finanztransaktionsteuer. Gerade die
inanzmarktakteure haben in der Finanz- und Wirt-
13658 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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schaftskrise von umfangreichen Rettungsmaßnahmen
des Staates profitiert. Es ist somit ein Gebot der Gerech-
tigkeit, den Finanzsektor auch durch die Erhebung einer
Finanztransaktionsteuer höher zu besteuern. Dadurch
würden die Finanzmarktakteure nicht zuletzt auch an der
Finanzierung der von ihnen selbst wesentlich mit verur-
sachten Kosten zur Krisenbewältigung beteiligt.
Wir wollen höhere – weit über die Basel-III-Vor-
schläge hinausgehende Eigenkapitalzuschläge für sys-
temrelevante Finanzinstitute.
Wir kämpfen für eine Bankenabgabe, die sich an den
wirklichen Risiken des Geschäftsmodells einer Bank
orientiert und so aufkommensstark ist, damit nicht in der
nächsten Krise wieder die Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler zur Kasse gebeten werden.
Schließlich brauchen wir zwingend auch ein umfas-
sendes Maßnahmenpaket, das alle Akteure im Bereich
der Finanzdienstleistungen einschließt. Im Sinne eines
„Finanz-TÜV“ brauchen die Anleger baldmöglichst zu-
verlässige, detaillierte und verständliche Informationen
über die am Markt angebotenen, teilweise hochriskanten
Finanzprodukte. Nur so können die Verbraucherinnen
und Verbraucher bei ihrer Vermögensanlage die Sicher-
heit erreichen, die sie selbst für angemessen erachten.
Die nur kurze Reihe ließe sich fortsetzen. Und sie
zeigt, dass wir mehr brauchen als einen ziemlich lustlos
zusammengeschriebenen Antrag zur Finanzmarktregu-
lierung, den uns die Koalition hier heute vorlegt.
Björn Sänger (FDP): Mit dem vorliegenden Antrag
legt die christlich-liberale Koalition eine Zwischenbilanz
der Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise
vor, die sich sehen lassen kann. Selbstverständlich ist
das große Haus der neuen Rahmenbedingungen auf den
Finanzmärkten noch nicht vollständig errichtet. Wir sind
aber deutlich weiter als im Rohbau. Das Haus bietet
– selbst nach doch recht kurzer Bauzeit – Schutz, und es
wärmt.
Bei allen Regulierungsfragen, vor denen wir standen,
geht es im Kern um die Wiedereinführung der Prinzipien
der sozialen Marktwirtschaft. Es mussten – und
müssen – Sachverhalte geregelt werden, bei denen Pro-
bleme aufgetaucht sind, die es, würde das Prinzip des
„ehrbaren Kaufmanns“ konsequent durchgehalten wer-
den, nicht gegeben hätte. Als Liberaler bedauere ich
diese Tatsache, muss mich ihr jedoch stellen.
Was ist nun die Aufgabe einer effektiven Regulierung
der Finanzmärkte? Effektive Regulierung schafft einen
Rechtsrahmen, der mit marktwirtschaftlichen Mitteln
versucht, künftige Krisen – egal, woraus sie sich entwi-
ckeln können – zu vermeiden und ausgebrochene Krisen
lokal zu begrenzen. Das ist der christlich-liberalen Ko-
alition mit den hierzu bislang vorgelegten Gesetzen und
Initiativen gelungen, und damit sind wir deutlich weiter
als andere, die elf Jahre an den Schalthebeln des Bundes-
finanzministeriums sträflich untätig haben verstreichen
lassen.
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Gleichwohl gibt diese erfolgreiche Zwischenbilanz
einen Anlass, sich auf Erreichtem auszuruhen. Sie ist
ielmehr Motivation, den hohen qualitativen Level unse-
r nationalen Regulierung auch auf die anstehenden in-
rnationalen Regulierungsvorhaben auszudehnen. Denn
s gibt nach wie vor Baustellen, und der Bau geht nicht
der Geschwindigkeit voran, die wir uns als christlich-
berale Regierungskoalition wünschen.
Wir wollen die Finanzmärkte effektiv regulieren. Das
edingt, dass wir die Internationalität der Märkte beach-
n und daher zu globalen Lösungen kommen müssen.
leichzeitig müssen wir die Besonderheiten, die wir in
llen Bereichen im deutschen Markt haben, berücksich-
gen. Denn wir wären doch mit dem Klammerbeutel ge-
udert, wenn wir zum Beispiel das erfolgreiche Drei-
äulen-Modell unserer Bankenlandschaft, das uns – im
egensatz zu anderen Ländern – gut durch die Krise ge-
racht hat, durch unpassende Regulierung gefährden
ürden. Aber dieser Anspruch, den ja auch alle Fraktio-
en dieses Hauses glücklicherweise teilen, sorgt natür-
ch dafür, dass es mit der internationalen Regulierung
icht so schnell vorangeht, denn die notwendigen Ver-
andlungen brauchen Zeit.
Dabei haben wir Deutsche schon Rahmenbedingun-
en in Kraft gesetzt, die Vorbild für die internationale
egulierung sind – unser Bankenrestrukturierungsgesetz
twa, das es ermöglicht, Banken kontrolliert vom Markt
u nehmen und durch die Absicherung eines Fonds, den
ie Branche über die Bankenabgabe selbst speist, die
chockwellen, die auf den Märkten entstehen können,
bzublocken. Dieses Gesetz sollte meines Erachtens die
laupause für die EU-Regulierung werden. Und das be-
ifft ausdrücklich auch die Bankenabgabe, denn hier ist
ine Harmonisierung auf europäischer Ebene dringend
rforderlich, um unnötige Doppelzahlungen zu vermei-
en. Aber ich denke auch an unser Leerverkaufsverbot.
ür diese intelligente Lösung, die über eine zeitliche
rist die unerwünschten Effekte zielgerichteter Spekula-
on von den durchaus gewünschten Aspekten, wie zum
eispiel der Liquiditätssicherung oder der Information
ber Blasenbildung im Markt, trennt, interessieren sich
nsere amerikanischen Freunde.
Wir haben des Weiteren bei der Frage des Selbstbe-
alts bei Kreditverbriefungen eine von der EU-Regulie-
ng abweichende Lösung gewählt, weil wir – mit der
issenschaft – der Auffassung sind, dass ein höherer Ei-
enbehalt auch eine höhere Gewähr dagegen bietet, dass
ule Kredite über das Verbriefungsinstrument die
ärkte großflächig infizieren. Wir gehen davon aus,
ass es unserer Bundesregierung auch gelingt, über die
ereinbarte Evaluierung unsere europäischen Partner
on der hohen Güte unserer Lösung zu überzeugen, so
ass wir keine Regulierungsarbitrageverluste für den
eutschen Markt befürchten müssen.
Neben der Regulierung der Ratingagenturen und der
chaffung eines Rechtsrahmens, der an die Vergütung in
stituten schärfere Bedingungen stellt, haben wir auch
en Schutz der Anleger entscheidend gestärkt. Hierbei
ind die Produktinformationsblätter nur ein Aspekt. Ent-
cheidend sind die Erfassung der Anlageberater in einem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13659
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)(B)
Register und die Möglichkeit, dass die Aufsicht bei ge-
häuften Beschwerden eine weitere Tätigkeit untersagen
kann. Zukünftig wird dies auch die im sogenannten
Grauen Kapitalmarkt Tätigen betreffen, was ein Novum
in Deutschland darstellt. Wichtig ist, dass der Anleger
die wesentlichen Informationen, die für ihn und seine
Anlagen von entscheidender Bedeutung sind, direkt be-
kommt, ohne dass er auf die ergänzenden Informationen
verzichten muss, auf die er bei Bedarf zugreifen kann.
Diese Regelungen tragen zur Vereinfachung des Ver-
braucherschutzes bei, helfen, den Anleger nicht zu ver-
wirren, und dämpfen natürlich die Kosten, was am Ende
des Tages auch dem Anleger zugutekommt.
Neben all den Erfolgen, die die Bundesregierung mit
der Unterstützung der christlich-liberalen Regierungs-
koalition auch auf internationaler Ebene erreicht hat, in-
dem deutsche Interessen in die Vereinbarungen einge-
flossen sind, bleibt noch einiges zu tun. Ich denke hier
an die Regulierung der außerbörslichen Derivatemärkte,
den von Hedgefonds und Zweckgesellschaften domi-
nierten sogenannten Schattenbankensektor und die Spe-
kulation auf den Rohstoffmärkten. Es gilt bei all diesen
Fragen der von uns mit Nachdruck unterstützte Grund-
satz, dass kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und
kein Finanzmarktprodukt zukünftig unreguliert bleiben
soll! Dabei sollen bewährte Regeln, wie etwa unser deut-
sches Einlagensicherungssystem, nicht gefährdet, son-
dern in die neue Welt überführt werden. Ein solides und
festes Gebäude reißt man nicht ohne Not ab, sondern
nutzt es zur Stabilisierung des neuen Hauses.
Gleichzeitig nutzt die christlich-liberale Koalition die
Regulierung, um auch den Finanzplatz Deutschland zu
stärken. Ein sehr gutes Beispiel ist hier das Pension Poo-
ling, also die länderübergreifende Verwaltung von Al-
tersvorsorgeeinrichtungen. Hier können wir für die An-
leger und unseren heimischen Markt Gutes tun, und
daher freut es uns Liberale besonders, dass die Bundes-
regierung zugesagt hat, sehr zeitnah – wahrscheinlich
schon bis Ende dieses Jahres – einen ersten Gesetzent-
wurf zur Realisierung dessen vorzulegen.
Es freut mich, festzustellen, dass die christlich-libe-
rale Koalition und die von ihr getragene Bundesregie-
rung auf einem sehr guten Weg bei einer effektiven Re-
gulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise sind –
ein Weg, bei dem das Ziel erkennbar ist und der kraftvoll
beschritten wird. Die Geschwindigkeit ist angemessen.
Wir rennen nicht planlos durch die Gegend, nur um Ak-
tivität vorzutäuschen, wie das vom einen oder anderen
Antrag derer, die elf Jahre die Möglichkeit gehabt hät-
ten, gefordert wird. Nein, wir haben alle Regulierungs-
aktivitäten im Kopf und bedenken deren Auswirkung auf
die Finanzakteure. Denn die Summe der einzelnen Teile
ergibt erst den Mechanismus. Wir wollen, dass dieser
Mechanismus funktioniert und er Krisen vorbeugen
hilft, und nicht, dass er durch eine zu hohe Gesamtbelas-
tung krisenverursachend wirkt oder die Akteure aus dem
Land treibt. Damit wäre niemandem geholfen. Wir brau-
chen die dienende Rolle der Finanzwirtschaft für die Un-
ternehmen der Realwirtschaft. Dabei sind wir ganz
selbstverständlich bereit, nach einer Evaluierung an der
einen oder anderen Stelle Veränderungen vorzunehmen,
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enn wir feststellen, dass eine Maßnahme nicht so
irkt, wie angenommen. Aber dazu muss man die Maß-
ahmen auch erst mal wirken lassen. Das tun wir, die
hristlich-liberale Koalition, und wir tun dies erfolg-
ich, wie man in unserer Zwischenbilanz zweifelsfrei
sen kann.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem uns
orliegenden Antrag der Koalition, „Effektive
egulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise“,
ersucht die Bundesregierung den Eindruck zu
rwecken, dass erstens die Finanzkrise vorbei sei, was
ie nicht ist. Mit der Euro-Krise setzt sich die
inanzkrise fort. Laut jüngsten Pressemeldungen, wird
ine Reihe von Banken, darunter auch eine deutsche, den
uropäischen Bankenstresstest nicht bestehen. Auch sind
ie in die Bad Banks ausgelagerten Giftpapiere nicht
erkäuflich, das Risiko bleibt. Dass zweitens die
undesregierung bereits auf vielen Gebieten zahlreiche
nd natürlich allesamt richtige Maßnahmen ergriffen
ätte und drittens die Bundesregierung bitte so
eitermachen soll wie bisher, um, ich zitiere aus Ihrem
ntrag „bei der effektiven Regulierung der Finanz-
ärkte weiterhin konsequent und mit Augenmaß vorzu-
ehen und dauerhaft für ein stabiles und widerstandsfä-
iges Finanzsystem zu sorgen“.
Aber die Bundesregierung ist nicht konsequent
orgegangen und tut es bisher weiterhin auch nicht!
icher wurde unter dem Druck der ausgebrochenen
rise einiges eingeleitet, um die Finanzmärkte ein wenig
u regulieren, zum Beispiel das auf den Euro und
eutsche Aktien beschränkte Leerverkaufsverbot. Aber
sgesamt ist nicht viel passiert, was tatsächlich zukünf-
gen Krisen vorbeugt.
Immerhin sind Sie von ihrem neoliberalen Credo, der
lternativlosen Notwendigkeit die Finanzmärkte zu deregu-
eren, welches die Finanzpolitik aller Bundesregierungen
er letzten Jahrzehnte bestimmte, abgewichen. Aber dieses
mschwenken war und ist zögerlich und wird gerade nicht
en Anforderungen gerecht, um tatsächlich ein Bankensys-
m zurecht zu stutzen, welches seinen eigentlichen Aufga-
en gerecht wird, die ich Ihnen gerne nochmal ins Gedächt-
is rufe: erstens Sicherstellung eines zuverlässigen und
ostengünstigen Zahlungsverkehrs, zweitens Zurückfüh-
ng der Banken auf ihre Rolle als Kapitalsammelstellen
nd drittens Erfüllung ihrer Finanzierungsfunktion, indem
e die Investitionen der Unternehmen, der Privathaushalte
nd des Staates zu annehmbaren Bedingungen über Kredit
nanzieren.
Banken sind nicht zum Selbstzweck da. Diese eben
enannten Kernaufgaben können auch kleine und mittel-
roße Banken tun. Es braucht dazu keine gigantisch
roßen Finanzinstitute. Diese erreichen ihre Größe oft
ur unter anderem durch Spekulation, bei gleichzeitiger
ernachlässigung ihrer eigentlichen Kernaufgaben. Und
ie haben durch ihre Systemrelevanz das Potenzial, die
inanzmarktstabilität insgesamt zu gefährden und damit
uch die Funktionsweise ganzer Staaten zu bedrohen.
aher müssen diese systemrelevanten Banken, durch
gulatorische Maßnahmen, auf ein Maß zurechtgestutzt
erden, dass keine Gefahr mehr von ihnen auf die
13660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Finanzmarktstabilität ausgeht. Dies stünde noch nicht
einmal im Widerspruch zur europäischen Kapitalver-
kehrsfreiheit. Denn diese darf immer dann eingeschränkt
werden, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung gefährdet ist. Und systemrelevante Banken
stellen zweifelsohne eine Bedrohung der öffentlichen
Ordnung dar. Auch sollten Privatbanken in einen gegen-
seitigen Haftungsverbund gezwungen werden, wie ihn
Sparkassen und Genossenschaftsbanken längst haben.
Das würde Risiken wirklich deutlich minimieren und im
Falle eines Crashs müsste nicht die Allgemeinheit für
den Schaden geradestehen.
Wichtig ist auch das Thema Ratingagenturen. Die
EU-Ratingverordnung ist kaum das Papier wert, auf das
sie geschrieben wurde. Wir alle kennen das Problem mit
den wenigen, nicht unabhängig agierenden Ratingagen-
turen und ihren oft falschen Bewertungen, welche durch
fehlende Transparenz der angewendeten Verfahren über-
haupt nicht nachvollziehbar sind. Sie versuchen ernst-
haft die bloße Registrierung dieser Orakel als Regulie-
rung zu verkaufen.
Was wir brauchen ist eine europäische, öffentliche
Ratingagentur, deren Finanzierung durch eine Gebüh-
renordnung – vergleichbar mit Notaren – sichergestellt
wird. Wo ist da Ihre Initiative, frage ich Sie?
Sie haben ein Restrukturierungsgesetz installiert, das
nicht mehr als Blendwerk ist. Sogar die Kanzlei
Freshfields, die bisweilen selbst Gesetzentwürfe für Sie
formuliert, bezeichnet das Sanierungsverfahren als zahn-
los. Dazu kommt, dass das Restrukturierungsverfahren
nicht auf das Insolvenzrecht anderer Staaten abgestimmt
ist und es darf bezweifelt, dass bei seiner Einleitung die
Gläubiger die Füße still halten. Für die Restrukturierung
einer großen systemrelevanten Bank wird auf Jahrzehnte
hinaus schlicht das Geld fehlen, weil sie eine Bankenab-
gabe eingeführt haben, die viel zu gering ausfällt. Bei
Beibehaltung der mickrigen Bankenabgabe dürfte eine
nächste Krise erst wieder in einigen Jahrzehnten auftre-
ten, das wissen Sie, trauen sich aber nicht eine angemes-
sene Bankenabgabe durchzusetzen.
Auch ich frage Sie, wo Ihr Engagement für eine Fi-
nanztransaktionsteuer ist? Und die Frage der Kosten der
jetzigen Krise wird von Ihnen überhaupt nicht, oder nur
sehr zaghaft gestellt.
Das Problem ist, es bleibt bei Ihnen bei alten
neoliberalen Denkmustern und Leitbildern. So auch
beim Thema Finanzaufsicht. Zwar halten auch wir Linke
die Errichtung verbindlicher europäischer Aufsichts-
strukturen für richtig und wichtig. An allen Institutionen
des neuen EU-Aufsichtssystems ist aber gemeinsam zu
kritisieren, das ihnen keine makroökonomischen und
makroprudenziellen Leitsätze auferlegt wurden, um die
von den Finanzmärkten ausgehenden Risiken wirkungs-
voll zu bekämpfen. Es wird immer noch die Effektivität
der Finanzmärkte hervorgehoben, die es zu gewähr-
leisten gilt. Die Folge wird sein: Die Banken kassieren
und wenn Not am Mann ist, dann hilft doch wieder der
Staat. All das, was weiter geschehen soll, soll mit
„Augenmaß“ geschehen. Genau das heißt im Klartext,
die Banken und diejenigen zu verschonen, die zulasten
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er Steuerzahlerinnen und Steuerzahler spekulieren. Ich
age Ihnen: mit uns nicht! Wenn Sie hier nicht endlich
mdenken und Ihre alten und überholten neoliberalen
eitsätze effizienter Kapitalmärkte über Bord werfen,
ann kommt die nächste Krise sicherlich.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ls unbedarfter Leser könnte man bei der Lektüre des
ntrags der Regierungsfraktionen beinahe zu dem Ein-
ruck gelangen: alles kein Problem mehr mit den Ban-
en und den Finanzmärkten. Das ist leider überhaupt
icht so. Ihr Antrag ist in vielen Bereichen schlicht Lob-
udelei. Er vermittelt ein falsches Bild vom Stand der
inanzmarktregulierung und den ungelösten Problemen,
or denen wir heute, nach vier Jahren Krise, noch immer
tehen.
So ist das sogenannte Too-big-to-fail-Problem noch
mer ungelöst. Anders als etwa die Schweiz oder
roßbritannien traut sich Deutschland noch nicht einmal
n eine ernste und ehrliche Diskussion heran, wie das
roblem der impliziten Staatsgarantie für Großbanken
elöst werden kann. Diese kostenlose Staatsgarantie ist
nvereinbar mit einer Marktwirtschaft. Die Steuerzahle-
nnen und Steuerzahler werden zwangsweise zu Bürgen
nd Versicherern ohne Prämienzahlung für Finanzinsti-
te, die aufgrund ihrer Größe eine staatliche Rettungs-
arantie besitzen. Zugleich haben solche Institute Wett-
ewerbsvorteile, weil sie infolge der staatlichen
ettungsgarantie ein besseres Rating und somit bessere
efinanzierungsbedingungen erhalten. So verstärkt sich
as Problem selbst.
Leider ist überhaupt nicht in Sicht, dass Sie oder die
undesregierung sich ernsthaft um eine Lösung der Too-
ig-to-fail-Problematik bemühen, im Gegenteil: Basel III
ird derzeit auch auf deutsche Initiative in der europäi-
chen Umsetzung in entscheidenden Bereichen verwäs-
ert. So wird nach allem, was wir aus Brüssel hören, eine
chuldenbremse für Banken, die ihre risikoungewichtete
ilanzsumme in Relation zum Eigenkapital begrenzt,
icht eingeführt, obwohl die Basel-III-Vereinbarung das
och vorsah. Dabei müsste gerade Banken, die bei der
reditvergabe an Unternehmen sehr genau auf die Ei-
enkapitalausstattung achten, klar sein: Mit weniger als
Prozent Eigenkapital zu wirtschaften ist kein seriöses
ankgeschäft. Das wird bis heute aber vom Staat akzep-
ert, obwohl man Banken mit einer Leverage Ratio viel
tabiler machen könnte, wie beispielsweise die Erfah-
ngen in Kanada zeigen.
Auch fehlt bis heute ein echtes EU-Insolvenzrecht für
anken und ein europäischer Bankenrettungsfonds, mit
enen sich Banken ohne gravierende Marktverwerfun-
en abwickeln ließen. Dabei ist allen Experten schon
eute klar, dass mit nationalen Abwicklungsregimen wie
em deutschen es unmöglich ist, grenzüberschreitend
gierende Banken abzuwickeln, ohne dass es zu Panik-
aktionen an den Märkten kommt. Den Kennern Ihrer
olitik und Brüsseler Interventionen ist ebenso klar, dass
ie versuchen werden, die dringende Delegation echter
ompetenz auf die europäische Ebene im Bereich des
risenmanagements zu verhindern.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13661
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Kein Produkt, keine Region und kein Akteur außer-
halb der Aufsicht, hieß es vor beinahe drei Jahren beim
G-20-Treffen in Washington. Erst gestern hat Ihre Kanz-
lerin diesen Spruch bei Ihrer Finanzmarktkonferenz wie-
derholt, und Ihr Antrag verklärt dieses ja richtige Motto
gar zum Leitmotiv Ihrer Finanzmarktregulierung. Doch
bis heute sind billionenschwere Märkte für Derivate wie
Kreditversicherungen nicht nur unbeaufsichtigt, son-
dern auch nach wie vor völlig intransparent. So ist es bis
heute für die deutsche Aufsicht nicht möglich, eigen-
ständig in Erfahrung zu bringen, welche deutschen Ban-
ken zu welchen Volumina Sicherungsgeber oder -neh-
mer für Kreditausfallversicherungen beispielsweise auf
griechische Anleihen sind. Ich bin vor diesem Hinter-
grund sehr gespannt auf die Umsetzung und Durchfüh-
rungsbestimmungen zu den neuen EU-Regulierungen zu
Derivaten und den Marktinfrastrukturen. Die Gretchen-
frage, an der auch Sie sich werden messen lassen müs-
sen, lautet, welcher Anteil von Derivaten letztlich tat-
sächlich auf regulierte Handelsplätze überführt wird,
oder anders ausgedrückt: wie hoch der Anteil an Deriva-
ten sein wird, der auch künftig unreguliert ablaufen wird,
weil bestimmte Industrien daran ein massives finanziel-
les Interesse haben und weil Sie dem dann nachgegeben
haben. Spätestens dann werden Sie Ihr ja richtiges Motto
von der lückenlosen Regulierung aller Finanzprodukte
korrigieren müssen.
Ihr Antrag ist an mancher Stelle ausgesprochen wi-
dersprüchlich. So loben Sie auf der einen Seite die neue
Versicherungsregulierung Solvency II und die darin vor-
genommene „Modernisierung der Risikomanagement-
vorschriften“. Das passt aber überhaupt nicht zu Ihrer
Kritik an den Ratingagenturen und ihrem Einfluss. Sie
begrüßen vor diesem Hintergrund, dass die EU-Kom-
mission derzeit eine Konsultation durchführt, wie die
Verwendung externer Ratings in der Regulierung gemin-
dert werden kann, und Sie fordern dringend Maßnahmen
zur Verminderung des Einflusses der Ratingnoten ein. Ist
Ihnen eigentlich klar, dass Solvency II die Bedeutung
von Ratings in der Versicherungsregulierung nochmals
deutlich stärken wird und dass deshalb Ihre Positionen
und Forderungen an dieser Stelle einfach nicht zusam-
menpassen?
Ja, es sind viele Gesetze erlassen worden. Ja, es sind
weitere Gesetze auf dem Weg. Aber es ist nicht die
Masse an Regeln, die Länge der Gesetze, die einen stabi-
len Finanzmarkt ausmachen, sondern ihr Inhalt und ins-
besondere ihr Zusammenwirken. Viele Wissenschaftler
beklagen, dass die entscheidenden Regeln nicht gesetzt
werden. Selbst der IWF warnt davor, dass die Risiken
für eine Finanzkrise eher zu- als abgenommen hätten.
Nehmen Sie das eigentlich überhaupt zur Kenntnis? Na-
türlich geht es um die Durchsetzung der Regeln. Was Sie
zum Thema Aufsicht aufgeschrieben haben, erstaunt
vielleicht am meisten. Glauben Sie wirklich, Sie können
Ihr klägliches Scheitern bei der Reform der Finanzauf-
sicht schönreden? Im Koalitionsvertrag wollten Sie noch
die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht un-
ter das Dach der Bundesbank packen. Damit sind Sie ge-
scheitert. Jetzt machen Sie nur noch Kleinkram, den Sie
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elbst noch vor wenigen Monaten als kläglich bezeichnet
ätten. So viel Ehrlichkeit muss schon sein.
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Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Keine zusätzlichen finanziellen Mittel des
Bundes oder der Bahn AG für Stuttgart 21
– Stuttgart 21 – kein Weiterbau ohne Nach-
weis der Leistungsfähigkeit und ohne Klä-
rung der Kosten und Risiken
(Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord-
nungspunkt 10)
Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Eigentlich
urde schon heute Mittag in der Aktuellen Stunde alles
ichtige zum Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 in mei-
em Wahlkreis gesagt. Winfried Hermann ist zum Ver-
ehrsminister in Baden-Württemberg und nicht zum
tuttgart-21-Verhinderungsminister gewählt worden. An
einem Amtsverständnis dürfen erhebliche Zweifel an-
emeldet werden.
Der Umgang von Grünen und Linken mit dem Thema
tuttgart 21 ist aber generell unredlich. Mit Mutmaßun-
en und Tricksereien versuchen Sie, das für Stuttgart
nd Baden-Württemberg so wichtige Projekt zu diskre-
itieren. Ihre Argumente werden dabei immer schwä-
her, wie das Lavieren von Verkehrsminister Winfried
ermann in den letzten Wochen bei Stuttgart 21 zeigt.
Auch die beiden uns hier zur Diskussion vorliegenden
nträge sind in ihren Begründungen gespickt mit Speku-
tionen und einer unredlichen Interpretation des
chlichterspruchs von Heiner Geißler. Mit der Wahrheit
ehmen Sie es in Ihren Anträgen nicht ganz so genau.
Das möchte ich gerne zunächst zum Antrag der Grü-
en genauer ausführen: Jeder Lokaljournalist in Stuttgart
ennt den Schlichterspruch inzwischen besser, als Sie es
ns in Ihrer Antragsbegründung weismachen wollen:
irgendwo im Schlichterspruch ist festgehalten, dass die
ahn zu irgendeinem Zeitpunkt die Bauarbeiten zu un-
rbrechen hätte, weder während noch nach dem Stress-
st. Der Stresstest dient im Übrigen nicht dazu, das Pro-
kt zu verhindern, sondern es zu optimieren. Nach
llem, was wir bisher wissen, wird dies auch mit über-
chaubaren Ergänzungen funktionieren.
Es war ein Entgegenkommen der Bahn, die Bauarbei-
n nach dem Regierungswechsel in Baden-Württem-
erg zunächst ruhen zu lassen, bis sich die neue Regie-
ng konstituiert hat. Eine Verlängerung des Baustopps
is zu einer möglichen Volksabstimmung im Herbst kos-
t 410 Millionen Euro. Nach Ihrem Antrag müsste der
teuerzahler diese Summe zahlen, weil sich SPD und
rüne in Baden-Württemberg nicht einig sind und sich
uf eine verfassungswidrige Volksabstimmung geeinigt
aben, um dieses Dilemma zu lösen. Die Kosten müsste
ann aber bitte schön auch die baden-württembergische
13662 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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Landesregierung tragen. Dazu ist sie natürlich nicht be-
reit.
Über die angeblichen Detailforderungen des Schlich-
ters Heiner Geißler, die Sie in der Begründung Ihres An-
trags auflisten, wundere ich mich doch sehr: Entweder
Sie haben den Schlichterspruch nicht gelesen oder Sie
versuchen, mit Ihrem Antrag darüber hinwegzutäuschen,
dass die meisten angemahnten Verbesserungen nur dann
erforderlich werden, wenn das Ergebnis des Stresstests
dies notwendig macht. Heiner Geißler hat eben nicht ge-
fordert, dass es zwangsläufig zu einer Erweiterung des
Tiefbahnhofs um ein neuntes und zehntes Gleis, zu einer
zweigleisigen westlichen Anbindung des Flughafens an
die Neubaustrecke, zu einer Anbindung der bestehenden
Ferngleise von Zuffenhausen an den neuen Tunnel von
Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof sowie zu einer Aus-
rüstung aller Strecken von Stuttgart 21 bis Wendlingen
zusätzlich mit konventioneller Leit- und Sicherungstech-
nik kommen muss.
Absolut unglaubwürdig wird Ihre Antragsbegründung
aber dann, wenn Sie befürchten, dass die Überführung
der frei werdenden Flächen in eine Stiftung Mehrkosten
für das Projekt verursacht. Diese frei werdenden Flächen
gehören der Stadt Stuttgart und haben rein gar nichts mit
den Projektkosten zu tun. Also wird es auch nicht zu
Mehrkosten kommen, wenn man weniger für diese Flä-
chen einnimmt. Das weiß inzwischen jede Stuttgarterin
und jeder Stuttgarter. Sie wissen das wohl nicht!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen:
Auch für Sie wird es Zeit, den Tatsachen ins Auge zu se-
hen. Bei einem erfolgreichen Testat des Stresstests durch
die SMA geht Ihnen Ihr zentrales Argument verloren:
die angeblich mangelhafte Leistungsfähigkeit von Stutt-
gart 21, die nur mit derart teuren Nachbesserungen zu lö-
sen sei, dass der 4,5 Milliarden Euro Kostenrahmen ge-
sprengt wird.
Dann werden Sie Ihren Wählern in Baden-Württem-
berg erklären müssen, warum Sie im Wahlkampf trotz
der allseits bekannten Vorbehalte den Eindruck erweckt
haben, Sie könnten als baden-württembergische Regie-
rungspartei Stuttgart 21 stoppen.
Zum Antrag der Linken möchte ich nur eine kurze
Bemerkung abgeben: Sie beziehen sich auf den Stern-
Journalisten Arno Luik. Seit Monaten zitiert Herr Luik
beim Thema Stuttgart 21 aus angeblichen Geheimdoku-
menten der Bahn, aus denen hervorgeht, dass das Projekt
wahlweise viel teurer wird, Tunnelwände einstürzen
werden oder das Stuttgarter Mineralwasser versiegen
wird. Leider haben die Öffentlichkeit und auch ich selbst
bisher nicht eines dieser Geheimdokumente auch nur in
Ansätzen zu Gesicht bekommen, so auch beim Artikel,
auf dem Ihr neuerlicher Antrag beruht. Es handelt sich
also um reine Spekulation, unterfüttert mit Mutmaßun-
gen eines offensichtlich übermotivierten, möglicher-
weise aber auch überforderten Stern-Journalisten.
Aber wenn Sie ehrlich sind, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Linken: Eigentlich interessiert Sie das
doch auch gar nicht. Ihnen geht es sowieso weniger um
Stuttgart 21 an sich als um den Protest dagegen. Und wo
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leibt eigentlich Ihre Distanzierung von der Gewalt am
ergangenen Montag?
Abschließen möchte ich mit einem Zitat des Ulmer
berbürgermeisters Ivo Gönner – übrigens mit einem
PD-Parteibuch ausgestattet. Er sagte im Zuge der Er-
ignisse der vergangenen Wochen: „Die Zeichen stehen
ach allem, was zu hören ist, auf Realisierung des Ge-
amtprojektes Stuttgart–Ulm. Deshalb sollte der Ver-
ehrsminister des Landes seine peinlich anmutenden
ersuche einstellen, das Projekt zu hintertreiben.“
Zunächst einmal würde es mich sehr freuen, wenn
ehr Sozialdemokraten den Mut aufbringen würden,
olche deutlichen Worte zu finden. Die Sozialdemokratie
ndet aber auch beim Thema Stuttgart 21 nicht statt –
ie bei vielen anderen Themen in ganz Deutschland
uch. Offiziell zwar für Stuttgart 21, taucht die SPD seit
onaten ab.
Den Appell Ivo Gönners an den ehrenwerten Ver-
ehrsminister in Baden-Württemberg richte ich heute
udem auch an die Fraktionen von Grünen und Linken:
tellen Sie auch hier im Bundestag Ihre peinlich anmu-
nden Versuche ein, das Projekt zu hintertreiben! Ba-
en-Württemberg und Stuttgart haben etwas Besseres
erdient.
Ich schließe mit der Wiederholung meines Appells
on heute Nachmittag: Setzen Sie sich dafür ein, dass
tuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart–Ulm ge-
aut werden, und sichern Sie damit die Zukunft unseres
andes! Stuttgart 21 ist ein Infrastrukturprojekt von na-
onaler Bedeutung und darf nicht grüner Parteitaktik
der linker Technologiefeindlichkeit zum Opfer fallen.
Wir lehnen Ihre Anträge daher ab.
Ulrich Lange (CDU/CSU): Eigentlich hatte ich er-
artet, dass die Linken ihren Antrag zu Stuttgart 21 zu-
ckziehen würden, einmal angesichts des Ergebnisses
es Stresstests und zum anderen angesichts der durchge-
hrten Aktuellen Stunde zum Stresstest zu Stuttgart 21.
ber vielleicht ist es auch noch nicht zu Ihnen durchge-
rungen: Auch wenn es noch nicht von der Gutachter-
rma SMA bestätigt wurde, sieht alles danach aus, dass
er Stresstest für S 21 positiv ausgegangen ist.
Das allein ist eine sehr positive Nachricht. Wichtig ist
ber auch, dass der Tiefbahnhof Stuttgart 21 ohne grö-
ere Veränderungen funktionieren wird, vor allem ohne
as ins Spiel gebrachte neunte und zehnte Gleis. Damit
ann der Tiefbahnhof ohne erhebliche Mehrkosten ge-
aut werden. Damit wird der Kostenrahmen von bis zu
,5 Milliarden Euro eingehalten.
Spätestens mit diesem Wissen müssten Sie Ihren An-
ag zurückziehen, weil er überholt ist. Aber es geht Ih-
en ja nicht um die Sache an und für sich. Dass Sie
chlecht und schlampig recherchieren, ist offensichtlich.
ie begründen Ihren Antrag damit, dass viele Unsicher-
eitsfaktoren beim Bau bestehen würden und befürch-
n, dass der Kostenrahmen von 4,5 Milliarden Euro im
chlechtesten Fall um zusätzliche Kosten von 2 Milliar-
en Euro erhöht wird. Sie kommen dann zu dem
chluss, dass „die Steuerzahler dann über 7 Milliarden
uro aufbringen“ müssten. 4,5 Milliarden Euro plus
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13663
(A) )
)(B)
2 Milliarden Euro sind 6,5 Milliarden Euro und nicht
über 7 Milliarden Euro. Mit solchen Finanzierungsküns-
ten haben Sie schon die DDR ruiniert.
Aber nicht nur die Linken, sondern auch und beson-
ders die Grünen haben fest damit gerechnet, dass es
nicht gelingen wird, die Effektivität des neuen Tiefbahn-
hofs um 30 Prozent auf 49 Züge pro Stunde in den
Hauptverkehrszeiten zu steigern. Damit ist das letzte Ar-
gument gegen den Tiefbahnhof gefallen. Aber leider
sind die Grünen schlechte Verlierer. Vielleicht haben sie
sich auch in ihrer populistischen Art und Weise zu weit
aus dem Fenster gelehnt, als sie angekündigt haben, mit
ihnen sei der Tiefbahnhof auf keinen Fall zu machen.
Der Stresstest hat, auch wenn es noch nicht offiziell
von der Gutachterfirma SMA bestätigt wurde, gezeigt,
dass der Tiefbahnhof die geforderte Leistungssteigerung
von 30 Prozent erreicht, und zwar ohne neuntes und zeh-
netes Gleis, ohne gravierende Mehrkosten. Fachleute ge-
hen davon aus, dass das positive Ergebnis darauf zurück-
zuführen ist, dass die Zu- und Abfahrten wie in einem
Kreisverkehr stattfinden, sodass Züge dicht getaktet ein-
und ausfahren können, ohne sich gegenseitig zu behin-
dern: ein Meisterstück deutscher Planung. Dank an die
DB AG für diese Leistung.
Die Verwirrung, ja Verzweiflung bei den Grünen wird
in dem jetzigen Antrag deutlich, in dem gefordert wird:
kein Weiterbau ohne Nachweis der Leistungsfähigkeit
und ohne Klärung der Kosten und Risiken. Meine lieben
grünen Kolleginnen und Kollegen, mit dem erfolgreich
durchgeführten Stresstest sind diese Forderungen erfüllt,
auch wenn Sie dies wie ein trotziges Kind einfach nicht
wahrhaben wollen.
Die Modalitäten des Stresstests waren festgeschrie-
ben: anerkannte Standards des Bahnverkehrs für Zugfol-
gen, Haltezeiten und Fahrzeiten müssen angewendet
werden. Selbst für den Fall, dass der S-Bahn-Tunnel
oder der Fildertunnel gesperrt werden, muss ein funktio-
nierendes Notfallkonzept vorgelegt werden. Der Leis-
tungstest betraf nicht nur die Kapazität der Schienen und
Gleise, sondern auch die der sonstigen Infrastruktur wie
Signale und Leit- und Sicherungstechnik. Auf Wunsch
der neuen – ich betonte: der neuen – grün-roten Landes-
regierung hatte die Bahn Ende Mai noch mehr als
70 Signale, 30 Weichen und 55 Kilometer Gleise zusätz-
lich in das System eingegeben.
Den Stresstest hat die Gutachterfirma SMA entwi-
ckelt, ihm liegt der vom Land Baden-Württemberg ge-
forderte Fahrplan zugrunde. Die Arbeiten werden von
der Deutschen Bahn AG durchgeführt. Die SMA beglei-
tet die Simulation und bewertet das Ergebnis. Dabei
führt sie eine detaillierte Reisezeitanalyse durch, um den
heutigen Fahrplan mit dem zu simulierenden Fahrplan
zu vergleichen.
Insgesamt wurden 100 Betriebstage simuliert. Offi-
ziell will die Bahn die Ergebnisse den Projektpartnern
am 11. Juli 2011 zur Verfügung stellen und am 14. Juli in
einer unter der Leitung von Schlichter Heiner Geißler
geplanten öffentlichen Sitzung diskutieren.
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Auch wenn das Endgutachten der Firma SMA noch
icht vorliegt, gehe ich fest davon aus, dass S 21 reali-
iert werden wird. Beenden Sie Ihre destruktive Kritik,
it der Sie gewaltbereite Demonstranten zu Krawallbür-
ern aufstacheln. Verwenden Sie Ihre Energie nicht ge-
en Stuttgart 21, sondern geben Sie beim kommenden
au Tipps und Ratschläge, bringen Sie Ihr Fachwissen
in, damit wir in Stuttgart einen zukunftsorientierten
iefbahnhof erhalten, der weltweit Anerkennung findet.
Ute Kumpf (SPD): Die heute zur Debatte stehenden
nträge der Linken und Grünen kommen zu einer Zeit,
u der man in Stuttgart gespannt auf das Ergebnis des
tresstests wartet. Am 14. Juli 2011 wird er vorgestellt,
anach erst wird sich zeigen, ob der Stresstest bestanden
t und wie es weitergeht mit Stuttgart 21.
Je näher die Entscheidung um das heftig umstrittene
ahnprojekt rückt, umso mehr ändert sich die Stimmung
der Stadt. Man spürt dieser Tage die Anspannung in
tuttgart. Nicht zuletzt die Eskalation nach der Montags-
emonstration am 20. Juni, bei der es erstmals gewalttä-
ge Ausschreitungen einiger weniger gab, zeigt, wie viel
uf dem Spiel steht.
Die Gegner glauben, dass der politische Protest Tau-
ender Bürger nur dann ein Erfolg war, wenn der Tief-
ahnhof nicht gebaut wird. Es besteht die Gefahr, dass
er offene, kritische Austausch von Argumenten, den die
chlichtung ermöglicht hat, als gescheitert angesehen
ird, wenn der unterirdische Durchgangsbahnhof gebaut
ird.
Schwarz-Weiß-Denken, ein Automatismus, der in den
öpfen vieler entstanden ist. Richtig oder falsch, gut
der schlecht, Befürworter oder Gegner, auch das gehört
um Konflikt um Stuttgart 21. Auch das hat sich in den
ergangenen Monaten in öffentlichen Äußerungen und
ressemitteilungen festgesetzt. Für Stuttgart ist es wich-
g, dass dieser Automatismus aufgebrochen wird.
S 21 ist ein Infrastrukturprojekt. Es geht bei der Aus-
inandersetzung um unterschiedliche Auffassungen, wie
Stuttgart und Baden-Württemberg Stadtentwicklung
nd Mobilität nachhaltig gestaltet werden.
Es geht darum, wie wir in Zukunft mehr Verkehr von
er Straße auf ein modernes europäisches Schienen-Ver-
undnetz bringen. Wie wir die Verkehrsträger besser
iteinander vernetzen, wie wir neu gewonnene Fläche
Stuttgart in ein nachhaltiges Innenstadtquartier entwi-
keln.
Die Faktenlage für die Finanzierungsbeteiligung des
undes ist klar: Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um
in Projekt des Bedarfsplans des Bundes. Es ist ein ei-
enwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG.
Der Bund übernimmt mit einem Festbetrag in Höhe
on 563,8 Millionen Euro aus Mitteln des Bedarfsplans
r das Projekt Stuttgart 21 den Anteil, der für die Ein-
indung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm in den
noten Stuttgart auch ohne Verwirklichung von Stutt-
art 21 erforderlich gewesen wäre.
13664 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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)(B)
Über den genannten Betrag hinaus übernimmt der
Bund keine Kostensteigerungen. Das wurde bisher im-
mer wieder betont. Der Antrag der Linken geht daher
völlig in die falsche Richtung. Weitere Mittel des Bun-
des für Stuttgart 21 standen und stehen nicht zur De-
batte.
Der Antrag der Grünen greift Punkte auf, die man
richtig finden kann. Aber es muss auch klargestellt wer-
den, wer die Kosten für einen Baustopp trägt. Wer be-
stellt, der hat auch zu bezahlen. Und das wäre die Lan-
desregierung und nicht der Bund, daher lehnen wir den
Antrag ab.
Heiner Geissler hat in seinem Schlichterspruch am
30. November Folgendes deutlich gemacht: „Dennoch
halte ich die Entscheidung, Stuttgart 21 fortzuführen, für
richtig.“ Und weiter: „Bei einem Ausstieg aus
Stuttgart 21 entstünden den Projektträgern [...] hohe
Kosten. Eine der (Wirtschaftsprüfungs-)Gesellschaften
kommt zu der Auffassung, dass ein Ausstieg rund
1 Milliarde Euro kosten würde, die beiden anderen ge-
hen sogar von Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro
aus. Das ist viel Geld dafür, dass man am Ende nichts
bekommt.“
Sicher ist: Die Entscheidung über den Erfolg des
Stresstests hängt vom Gutachten der SMA ab. Die
Schweizer Firma, die von Projektbefürwortern und Pro-
jektgegnern als Instanz benannt wurde, gibt den Prü-
fungsbericht ab.
Alle – Gegner und Befürworter, die Bahn und die
Landesregierung in Baden-Württemberg – müssen Inte-
resse daran haben und die Verantwortung dafür überneh-
men, dass die Situation in Stuttgart nicht erneut eskaliert.
Dass das Ergebnis des Stresstests nicht im Krawall en-
det, nicht erneut Menschen bei Demonstrationen verletzt
werden.
„Stresstest“ und „Wutbürger“ sind inzwischen bun-
desweit Inbegriff für den Protest. Wir alle sind gut bera-
ten, neue Wege der Beteiligung zu gehen und dafür die
rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Wir müssen Ant-
worten auf die Frage geben, wie wir künftig Bürgerbe-
teiligung bei Großprojekten gestalten.
Zustimmung zu Großprojekten kann gewonnen wer-
den, wenn frühzeitig, umfassend und nachvollziehbar in-
formiert wird, Beteiligungsformen neu entwickelt und
die Vorschläge aus der Bevölkerung aufgenommen wer-
den.
Die SPD nimmt die Einwendungen und Sorgen der
Bürgerinnen und Bürger ernst. Gerade als überzeugte
Projektbefürworter. Für uns bietet Stuttgart 21 in Verbin-
dung mit der Neubaustrecke nach wie vor einmalige
Chancen zur Stärkung des Fernbahnverkehrs gegenüber
dem Flugzeug, enorme Potenziale im Regionalverkehr,
100 Hektar für nachhaltige Stadtentwicklung und neue
Arbeitsplatzressourcen.
Wir wissen, dass wir die Menschen mit diesen
Schlagworten nicht überfordern dürfen, sondern sie mit
guten Argumenten überzeugen müssen. Und wir sie di-
rekt beteiligen müssen. Dafür stehen wir als SPD. Und
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ir stehen zum Volksentscheid, wenn er notwendig
ird.
Uwe Beckmeyer (SPD): Zum zweiten Mal wird
eute über Stuttgart 21 debattiert, heute Nachmittag auf
ntrag der Koalition in einer aktuellen Stunde und heute
bend aufgrund der Anträge von den Fraktionen Die
inke und Bündnis 90/Die Grünen.
Mit Verlaub, die beiden heutigen Debatten sind über-
üssig wie ein Kropf. Denn: Erinnern wir uns noch ein-
al an die Vereinbarung des Schlichtungsspruchs von
einer Geißler vom 30. November 2011. Darin wurde
ie Deutsche Bahn verpflichtet, einen Stresstest für den
eplanten Bahnknotenpunkt Stuttgart 21 anhand einer
imulation durchzuführen. Sie muss dabei den Nach-
eis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungs-
uwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität
öglich ist. Vereinbart wurde auch, dass erst nach der
berprüfung der gewonnen Daten aus dem Stresstest
urch das Schweizer Verkehrsplanungsbüro SMA das
rgebnis durch Herrn Geißler vorgestellt wird.
Ich habe mich persönlich bei Bahnchef Dr. Grube
ber die Ergebnisse des Stresstests informiert. Über den
orstand für den Bereich Technik, Herrn Dr. Kefer,
urde mir schriftlich ausgerichtet, dass die Ausarbeitun-
en zu dem Projekt Stuttgart 21 plangemäß am 21. Juni
011 in elektronischer Form an SMA zur Begutachtung
berspielt wurden. Des Weiteren wurde mir mitgeteilt,
ass die Fachdokumentation dazu in Papierform am
0. Juni 2011 an das Land Baden-Württemberg überge-
en wurde und die Beraterfirma SMA die Begutachtung
is zum 11. Juli 2011 fertigstellen und im Anschluss al-
n Beteiligten überreichen wird.
Die abschließende öffentliche Diskussion der Ergeb-
isse des Stresstests und der Zertifizierung durch die
MA erfolge in einer gemeinsamen Sitzung am 14. Juli
011.
Irgendwelche Vorabmeldungen, Zwischenergebnisse
onseiten der Deutschen Bahn AG, aus dem Büro des ba-
en-württembergischen Verkehrsministers oder des Ver-
ehrsplanungsbüros SMA sind hier völlig irrelevant und
agen nur zur weiteren Verunsicherung bei. Wer auch
mer vorab bewusst Infos an die Medien streut, darf
icht auch noch damit belohnt werden, dass man soge-
annten Sensationsmeldungen Aufmerksamkeit schenkt.
as sollten Sie, meine Damen und Herren, von der Ko-
lition, einmal beherzigen.
Das, was ich heute Nachmittag in der aktuellen
tunde erwähnt habe, kann man nur oft genug wiederho-
n: Entemotionalisierung ist angesagt! Das gilt sowohl
r Demonstranten und Polizei, aber auch für vorlaute
olitiker, die damit die Stimmung nur noch anheizen.
Gerade die Auseinandersetzungen im letzten Jahr,
ber auch vor einigen Wochen lassen nur einen Appell
u: Die gewalttätigen Ausschreitungen müssen unver-
üglich aufhören, und es muss alles unternommen wer-
en, um bereits im Vorfeld zu deeskalieren und verant-
ortungsvoll zu handeln.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13665
(A) )
)(B)
Fazit: Lassen Sie uns die Ergebnisse des 14. Juli ab-
warten. Danach muss die Deutsche Bahn AG die Ergeb-
nisse respektieren und entsprechende Entscheidungen
treffen.
Zu dem Antrag der Linken. Ihre Forderungen nach ei-
nem Kostenstopp für den Bund gehen in die falsche
Richtung. Das stand und steht ohnehin nicht zur Debatte
und verunsichert nur die Bevölkerung. Vereinbart war,
dass der Bund sich lediglich an den Sowieso-Kosten von
563,8 Milliarden Euro für die Einbindung der Neubau-
strecke Wendlingen–Ulm in den Knoten Stuttgart betei-
ligt. Über den genannten Betrag hinaus übernimmt der
Bund keine Kostensteigerungen. Der Antrag der Linken
geht daher völlig in die falsche Richtung. Weitere Mittel
des Bundes für Stuttgart 21 standen nie zur Debatte.
In dem Antrag der Grünen sind einige akzeptable
Punkte genannt. Die Frage der Finanzierung eines Bau-
stopps bleibt aber für sie ungeklärt. Da können wir nicht
zustimmen. Wir fordern für das gesamte Projekt eine
Kostentransparenz und einen seriösen Finanzierungs-
plan. Dies muss natürlich auch für Einzelmaßnahmen
gelten.
Auch ist wenig hilfreich, dass immer wieder vonsei-
ten der Grünen suggeriert wird, dass das Land Baden-
Württemberg seine Kosten notfalls auf den Bund abwäl-
zen könnte. Auch die Audienz von Ministerpräsident
Kretschmann beim Bundesverkehrsminister zur Abla-
dung der Sorgen, die das Projekt Stuttgart 21 so im All-
tagsgeschäft mit sich bringt, war hier fehl am Platz.
Dabei sind einige Punkte im Antrag der Grünen
durchaus akzeptabel, wie die Offenlegung der Kostenri-
siken in einem transparenten Verfahren. Die SPD-Bun-
destagsfraktion hat hierzu bereits im letzten Jahr in ih-
rem Antrag „Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur
Volksabstimmung“ (Drucksache 17/2933) gefordert,
dass die Bundesregierung als Eigentümer der Deutschen
Bahn AG umfassend über die Planungsstände und
Kostenentwicklungen informiert.
Dies ist bislang unterblieben. Die Bundesverkehr-
minister duckt sich grundsätzlich weg, als ob ihn dieses
Thema überhaupt nichts angeht. Nur einmal ergriff er
aus Sao Paulo doch das Wort. Darin droht er nach der
Wahlniederlage in Baden-Württemberg, den Geldhahn
für wichtige Verkehrsprojekte in den Ländern Rhein-
land-Pfalz und Baden-Württemberg zuzudrehen (Spiegel
Online, 28. März). Beleidigt sein und nicht verlieren
können ist keine hilfreiche Politik, mit der Infrastruktur-
projekte in allen Regionen Deutschlands gemeistert wer-
den können. Auch hier ist Augenmaß angesagt.
Werner Simmling (FDP): Wir befinden uns nicht im
baden-württembergischen Landtag, dennoch befassen
wir uns heute mit zwei Anträgen, die besser im dortigen
Landtag aufgehoben wären.
Wenn ich im Antrag der Grünen lese, dass die DB AG
bis zur Volksabstimmung nicht weiterbauen soll, der
Weiterbau bei nicht bestandenem Stresstest nicht durch-
geführt wird oder der Bund keine Kostensteigerungen
übernehmen soll, dann muss ich sagen: Das sind As-
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ekte, die mit der Landesregierung in Baden-Württem-
erg diskutiert werden sollten und nicht mit uns hier.
Zum Thema Baustopp lassen Sie mich ausführen:
Das Land Baden-Württemberg hatte in der Lenkungs-
reissitzung am 10. Juni 2011 die Möglichkeit, im Len-
ungskreis einen Antrag auf einen Baustopp zu stellen.
as hat es nicht getan! Da muss ich mich schon fragen:
as soll dann der Deutsche Bundestag mit diesem An-
ag?
Zudem sind auch die weiteren Forderungen wie
keine Beteiligung des Bundes an den Mehrkosten“ hier
eplatziert. Der Bund hat mit eventuellen Kostensteige-
ngen bei S 21 überhaupt nichts zu tun. Der Bund ist
it einem Festbetrag von 563,8 Millionen Euro beteiligt.
ehrkosten bzw. Kostensteigerungen werden vom Bund
icht übernommen. Derzeit wird der Kostenrahmen ein-
ehalten. Es gibt sogar noch einen Risikofonds von
38 Millionen Euro.
Was die Kostenrisiken betrifft, erinnere ich an die
usschusssitzung vom 11. Mai 2011, in der Herr
r. Volker Kefer von der DB AG persönlich zu den Kos-
nrisiken Stellung bezogen hat. Er hat genau diese Fra-
en erläutert. Die DB AG führt für die Projektkosten
ine kontinuierliche Überprüfung durch, um dann die in-
rnen Auftraggeber über mögliche Risiken zu informie-
n. Natürlich werden alle erdenklichen Risiken in dem
usammenhang aufgeführt, auch Risiken, deren Ein-
ittswahrscheinlichkeit weit unter 50 Prozent liegen
ird. Die Risiken werden so lange als Risiken geführt,
is deren Umsetzung gesichert ist. Es besteht aus jetzi-
er Sicht kein Anlass, dass der noch verbleibende Risi-
opuffer von 438 Millionen Euro überschritten wird.
Auch beim Thema Stresstest bin ich über Ihren An-
ag sehr verwundert. Sie stellen den Stresstest als etwas
ar, dass sich allein die DB AG ausgedacht hätte. Fakt
t aber, dass der Stresstest das Ergebnis des Schlich-
ngsverfahrens ist und er sich an den in der Schlichtung
ereinbarten Regeln orientiert. Auch dass die Firma
MA den Stresstest im Nachhinein kontrolliert, war aus-
rücklich Wunsch der Grünen. Und der Schlichterspruch
at auch besagt, dass, wenn der Stresstest positiv aus-
eht, das heißt die gewünschte Steigerung um 30 Pro-
ent der Leistungsfähigkeit gegenüber der des heutigen
ahnhofs erbracht wird, der neue Tiefbahnhof gebaut
ird. Nun lese ich, dass Verkehrsminister Winfried
ermann den Stresstest komplett ignorieren will. Das er-
taunt mich sehr. Diese Haltung interpretiere ich als
robe Missachtung gegenüber dem sehr erfolgreichen
chlichtungsverfahren und der Leistung des Schlichters
r. Geißler. Dieses Verhalten enttäuscht und lässt mich
ehr und mehr an dem Verantwortungsbewusstsein der
rünen in der BW-Landesregierung zweifeln.
Den Antrag der Linken schließe ich in die vorange-
angene Kritik mit ein. Aus diesen Gründen erübrigt
ich eine weitere Debatte zu dem Antrag der Linken. Wir
hnen daher beide Anträge ab.
Nachdem in der öffentlichen Debatte eher eine Gut-
chterschlacht um die Kosten und Risiken von S 21
tattfindet, möchte ich an dieser Stelle einmal mehr die
13666 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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Vorteile des Bahnhofprojektes S 21 hervorheben. Natür-
lich sind 4,1 Milliarden Euro eine gewaltige Summe,
aber wir dürfen nicht vergessen, dass der Umbau des Ei-
senbahnknotens eine Investition für die nächsten Jahr-
zehnte, ja, wenn nicht für die nächsten 100 Jahre ist. Un-
ter dieser Betrachtungsweise ist dies ein sehr gutes
Investment. Wenn ich dann daran denke, dass allein der
Ausstieg 1,5 Milliarden Euro kosten und nichts erreicht
würde, dann muss ich mich schon fragen, wie das be-
triebswirtschaftliche Verständnis der Grünen ist.
Wir haben derzeit einen Bahnhof, der im Jahr 2020
fast 93 Jahre alt ist, und alle, die jemals in Stuttgart wa-
ren, werden mir beipflichten, dass das, was wir dort ha-
ben, eine Bausünde ist. Dieser Bahnhof teilt die Stadt,
verschandelt durch sein Gleisbett den Blick in die Stadt
und ist darüber hinaus nicht leistungsfähig.
Ich für meine Person und die überwiegende Zahl der
600 000 Stuttgarter freuen sich, dass nach einer erfolg-
reichen Präsentation des Stresstests mit dem Bau des
neuen Bahnhofs in Stuttgart endlich begonnen werden
kann. Die Gesamtarchitektur, die im Zusammenhang mit
dem neuen Bahnhof entsteht, wird ein Schmuckstück
werden, um das uns viele andere Städte beneiden wer-
den.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
In Stuttgart stehen seit über einem Jahr jeden Montag
Tausende auf der Straße, um gegen das Bahnhofsprojekt
Stuttgart 21 zu demonstrieren. Und sie werden es wohl
weiter tun. Kein Wunder, denn Stuttgart 21 ist das um-
strittenste Infrastrukturprojekt der DB AG und des Bun-
des. Bis heute hat die Deutsche Bahn AG (DB AG) nicht
den Nachweis der höheren eisenbahntechnischen Leis-
tungsfähigkeit von Stuttgart 21 gegenüber dem beste-
henden Kopfbahnhof erbringen können. Das gilt auch
für alle prüfbaren Kosten- und Baurisiken. Denn nach
wie vor ist Stuttgart 21 ein Projekt mit tausend Unbe-
kannten. Bereits frühere Schätzungen der Bahn mussten
immer wieder nach oben korrigiert werden. Einen über-
prüfbaren Projektbericht über Kosten- und Risikenent-
wicklung hat die DB AG bis heute nicht vorgelegt und
damit den Nachweis verweigert, dass das Kostenlimit
von 4,5 Milliarden überhaupt eingehalten werden kann.
Stattdessen wurde ein interner Bericht mit 121 Kosten-
risiken bekannt, die sich auf deutlich über eine Milliarde
Euro summieren.
Die Entwicklung der letzten Tage und Wochen hat die
Situation weiter verschärft. Bereits Anfang Juni hat die
DB AG deutlich gezeigt, dass sie dem Stresstest keine
Bedeutung beimisst. Laut Schlichterspruch muss dieser
belegen, dass durch den geplanten Tiefbahnhof zur Spit-
zenzeit ein Drittel mehr Züge fahren können als im letz-
ten Fahrplanjahr im Kopfbahnhof fuhren. Dass der
Kopfbahnhof vor mehr als vier Jahrzehnten schon fast
das Doppelte an Zügen bewältigte, belegen alte Fahr-
pläne. Ein Drittel mehr Züge ist also eine sehr moderate
Anforderung und doch scheint sie es in sich zu haben.
Nicht umsonst wurde vereinbart, die Leistungsfähigkeit
des geplanten Tiefbahnhofes und die Kapazität der
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chienen per Computersimulation zu testen; dem soge-
annten Stresstest.
Zu den Behauptungen, der Stresstest läge dem Minis-
rium für Verkehr und Infrastruktur in Stuttgart vor: Of-
nsichtlich haben einige Landtagsabgeordnete in Ba-
en-Württemberg den Unterschied zwischen dem
rgebnis des Stresstests und den Eingabedaten sowie
rbeitsständen zu dem Stresstest nicht verstanden. Nach
en gestrigen Aussagen der Landesregierung liegt ein
rgebnis bis heute nur der Bahn selbst und der Bera-
ngsfirma SMA und Partner zur Bewertung vor.
Ungeachtet des ausstehenden Ergebnisses hat die DB
G die Arbeiten zur Tieflegung des Stuttgarter Bahnho-
s wieder aufgenommen. Am letzten Wochenende ist
ann – unwidersprochen durch die DB AG – bekannt ge-
orden, dass die Bahn den Stresstest angeblich bestan-
en habe, ohne dass dieses von der unabhängigen Bahn-
eratungsfirma SMA und Partner testiert worden ist, wie
s in der Schlichtung vereinbart worden war. Auch eine
iskussion mit den Projekt- und Vertragspartnern über
ie Bewertung der Ergebnisse ist offensichtlich nicht ge-
ünscht, denn schon am 15. Juli 2011, einen Tag nach
er offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse des Stress-
sts, will die DB AG Großaufträge im Volumen von
50 Millionen Euro für Tunnelarbeiten vergeben. Die
ee der Schlichtung, Transparenz zu schaffen und in ei-
em offenen und fairen Prozess mit allen Projektbetei-
gten einen Stresstest durchzuführen, wird damit von
er DB AG massiv hintertrieben. Es ist einfach schlicht-
eg falsch, wenn Bahnchef Grube immer wieder ver-
ucht, den Eindruck zu erwecken, als handele es sich
eim Stresstest nur um eine lästige Formalie, die nur
arginale Änderungen am Projekt zur Folge hat. Nein,
er Stresstest muss – unabhängig überprüft – erstmalig
en Nachweis erbringen, dass Stuttgart 21 auch ein klei-
es bisschen zukunftsfähig ist und wenigstens ein Drittel
ehr Züge abgefertigt werden können. Und dabei geht
s um einen qualitätsvollen Fahrplan. Denn es kann doch
iemand ernsthaft wollen, dass Milliarden Euro für ei-
en neuen Bahnhof ausgegeben werden, der keine we-
entlichen Verbesserungen für die Fahrgäste bringt. Von
aher geht es um das „Ob“ und nicht nur um das „Wie“
on Stuttgart 21.
Stuttgart braucht einen qualitätsvollen Fahrplan. Das
edeutet Änderungen, die sich auf die bisherigen Pläne
nd Genehmigungen für Stuttgart 21 auswirken. Nicht
ergessen darf man dabei, dass auch die laufenden bzw.
nstehenden Planänderungsverfahren im Grundwasser-
anagement und Tunnelvortrieb zu weiteren Projektver-
ögerungen führen werden. Eine präzise Darlegung der
ostenentwicklung einschließlich aller Risiken muss
eshalb oberste Priorität haben. Wir fordern die Bundes-
gierung und die DB AG auf, mit Abschluss des Stress-
sts darzulegen, welche Planungen sie ergänzend durch-
hren, welche Genehmigungen sie beantragten und von
elchen realen Mehrkosten auszugehen ist. Solange dies
icht geschehen ist und eventuell erforderliche Geneh-
igungen nicht erteilt sind, lässt sich nicht feststellen,
b die genannten Verbesserungen im Rahmen der beste-
enden Planungen überhaupt möglich und finanziell ab-
esichert sind.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13667
(A) )
)(B)
Anlage 20
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Moratorium jetzt –
Dringliche Fragen zu Mehrkosten des ITER-
Projekts (Tagesordnungspunkt 18)
Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Heute diskutie-
ren wir wieder einmal einen Dagegen-Antrag der Grü-
nen. Diesmal wird ein Moratorium für das ITER-Projekt
verlangt – letztlich mit dem Ziel, einen unilateralen Aus-
stieg Deutschlands aus ITER vorzubereiten. Warum?
Weil es teurer wird als geplant und weil es technische
Probleme gibt. Anders formuliert: Es wird gerade ein
bisschen holprig, und die grüne Reaktion folgt prompt:
Raus aus dem Projekt. Weglaufen. In die Büsche.
Wer jedoch in der Regierung ist, der muss Verantwor-
tung übernehmen und sich an geschlossene Verträge hal-
ten. Diesen Zusammenhang, liebe Grüne, lernen Sie ge-
rade in meiner Heimatstadt Stuttgart kennen.
Dass Sie sich Ihrer Verantwortung nicht stellen, zeigt
schon Ihr Antrag. Darin heißt es, der ITER-Vertrag sei
im Oktober 2007 in Kraft getreten. Das ist richtig. So
lange hat die Ratifikation durch die zahlreichen Partner-
länder gedauert. Ausverhandelt wurde der Vertrag je-
doch vor 2006, also unter rot-grüner Regierungszeit. Sie
hätten damals Ihre Chance zum Ausstieg gehabt. Zumin-
dest aber hätten Sie verhindern können, dass der Vertrag
gar keine Ausstiegsmöglichkeiten für EURATOM vor-
sieht. Stattdessen haben Sie diesem Vertrag zugestimmt.
Heute wollen Sie nichts mehr von ihm wissen. So geht
es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen!
Mit Ihrer Forderung nach einem Moratorium für das
ITER-Projekt wären vier Konsequenzen verbunden:
Erstens. Sie verunsichern die Partnerländer des Pro-
jektes und fördern Zweifel an der Zuverlässigkeit
Deutschlands als internationalem Partner. Dass Sie sich
innerhalb Deutschlands mit der Ablehnung vieler Pro-
jekte als Dagegen-Partei profilieren wollen, ist eine Sa-
che; aber dass Sie jetzt auch international vereinbarte
Kooperationen wieder rückgängig machen wollen und
damit die Glaubwürdigkeit Deutschlands aufs Spiel set-
zen, das ist auch uns neu.
Zweitens. Mit der Forderung nach einem Moratorium
versuchen Sie den Eindruck zu vermitteln, dass Deutsch-
land mit einem kurzen Telefonanruf aus dem ITER-Pro-
jekt aussteigen könne und damit alle Probleme gelöst
seien. Dabei wissen Sie sehr genau, dass dies nicht mög-
lich ist. Es handelt sich also um ein weiteres Projekt, bei
dem Sie einen Ausstieg niemals werden durchsetzen
können. Sie selbst, Frau Sager, nennen in einer Presse-
mitteilung gleich zwei Gründe, die Ihrem Ausstiegs-
wunsch widersprechen: Deutschland ist nur mittelbar an
dem ITER-Projekt beteiligt, Vertragspartner ist EURATOM.
Das heißt, ein einseitiger Ausstieg Deutschlands ist gar
nicht möglich.
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Außerdem schreiben Sie:
Auch die innerhalb der EU verbreiteten Annahmen
ber die Ausstiegskosten in Höhe von 4,5 Milliarden
irken natürlich abschreckend.
Wie Sie dennoch einen Ausstieg ermöglichen bzw.
chtfertigen wollen, ist nicht nachvollziehbar.
Es scheint mir eher, dass hier wieder einmal Ankündi-
ungen gemacht werden, die Sie in der Regierung nicht
alten könnten. Deshalb ist folgender Satz Ihres Frak-
onsvorsitzenden Jürgen Trittin zum ITER-Projekt un-
eiwillig komisch:
Wir können es uns nicht leisten, soviel Geld in einen
ereich zu stecken, der bisher nur versprochen und nicht
ehalten hat.
Was haben Sie uns nicht schon alles versprochen?
Drittens: die Nebenwirkungen. Auf die Nebenwirkun-
en Ihrer Forderungen gehen Sie in Ihrem Antrag mit
einem Wort ein. Auch das Projekt „Wendelstein 7-X“
Greifswald wäre von dem Moratorium betroffen – und
amit mehrere Hundert Spitzenarbeitsplätze in einem
trukturschwachen Umfeld. Auch die deutsche Fusions-
rschung insgesamt wäre durch einen Ausstieg
eutschlands nachhaltig beeinträchtigt. Verantwortliche
olitik sieht für uns anders aus.
Viertens. Ein Moratorium für das ITER-Projekt wäre
ichts anderes als eine weitere Kostensteigerung. Ein
rojekt zu verzögern, spart nie Geld; im Gegenteil, es
ird nur immer teurer.
Statt sich also falschen Illusionen hinzugeben, ist es
rundsätzlich hilfreich, sich nüchtern und sachlich mit
em Thema auseinanderzusetzen. Gibt es Probleme
eim ITER-Projekt? Ja, definitiv. Der Ansatz der CDU/
SU-Fraktion besteht aber nicht darin, vor den Proble-
en wegzulaufen, sondern darin, sich der Probleme an-
unehmen und diese zu lösen.
Seit Bekanntwerden der erheblichen Kostensteigerun-
en beim ITER-Projekt ist viel passiert. Es wurde eine
ostendeckelung für den EURATOM-Anteil auf
,6 Milliarden Euro beschlossen, und es wurden zahlrei-
he Verbesserungen in der Struktur und beim Kostenma-
agement erreicht. Das Management von ITER wird ab
tzt regelmäßig evaluiert. Strenge Aufsichtskommissio-
en wurden eingerichtet, die die Finanzsituation kritisch
eobachten und alle Prüfungsberichte kritisch begleiten
ollen. Treibende Kraft hinter diesen Verbesserungen ist
ie deutsche Bundesregierung. Dementsprechend laufen
ie mit Ihrem Antrag der Regierung hinterher.
Berechtigt sind dagegen die Fragen nach den Auswir-
ungen der Erdbebenkatastrophe in Japan auf den Zeit-
lan für das ITER-Projekt und die Vergabepraxis durch
ie europäische Agentur Fusion for Energy (F4E). Der-
eit wird versucht, die Verzögerung des ITER-Projektes
urch die Erdbebenkatastrophe in Japan zu minimieren.
ie Lieferung und Produktion der Magnetspulen soll
um Beispiel nicht mehr abwechselnd zwischen Japan
nd Europa erfolgen, sondern nacheinander, das heißt,
uropa liefert zunächst neun Spulen und anschließend
13668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Japan die anderen neun. Dadurch können die Zeitverzö-
gerungen deutlich reduziert werden.
Bei der Vergabepraxis durch die europäische Agentur
Fusion for Energy sind wir leider noch ein ganzes Stück
von transparenten und offenen Verfahren entfernt. Aber
auch hier konnten zuletzt die Ausschreibungsbedingun-
gen für deutsche Unternehmen zum Beispiel in Haf-
tungsfragen verbessert werden. Die Strategie der Bun-
desregierung, die Defizite konstruktiv zu beseitigen, ist
allemal erfolgversprechender als die der Grünen, gleich
alles hinzuschmeißen.
Folglich ist das von Ihnen geforderte Moratorium ab-
zulehnen.
Wer regieren will, der muss gestalten, Chancen nut-
zen und Zukunft ermöglichen. Immer nur dagegen sein,
Moratorien verhängen und neue Technologien abzuleh-
nen, damit, meine Damen und Herren von den Grünen,
lässt sich kein Staat machen.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind davon über-
zeugt, dass die Fusionstechnologie viele Zukunftschan-
cen bietet, und wollen sie daher zum Erfolg führen. Las-
sen Sie uns deshalb weiter konstruktiv, aber kritisch das
ITER-Projekt begleiten.
Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Liebe Frau
Sager, Sie rufen die Bundesregierung in Ihrem Antrag zu
einem sofortigen Moratorium des ITER-Projektes auf.
Macht das zu diesem Zeitpunkt wirklich Sinn? Wie rea-
listisch ist solch ein Vorstoß? Dient er der Sache?
Ich glaube, man muss sich diesen Fragestellungen
von drei Seiten nähern:
Die erste Frage dazu: Wie stehen wir zur Kernfusion?
Wollen wir an der Fusionsforschung grundsätzlich fest-
halten?
Nun, die Vorteile der Kernfusion sind uns allen – oder
zumindest den meisten – bis auf einige wenige Grüne,
die immer noch meinen, es handele sich hier um eine
„Art Atomkraft“ – wohlbekannt. Wenn diese Technik
Marktreife erlangt, ist die Kernfusion eine sichere, sau-
bere, nahezu unerschöpfliche und nachhaltige Energie-
quelle, die zudem noch grundlastfähig ist.
Dies ist eine großartige Chance. Auch wenn es wahr-
scheinlich noch einige Zeit brauchen wird, bis dieser
Zeitpunkt erreicht ist, so sind wir es unseren Kindern
schuldig, diese Technologie so lange zu erforschen, so-
lange wir die Chance sehen, diese eines Tages als si-
chere, saubere und bezahlbare Energiequelle nutzen zu
können. Denn für unsere Kinder und Kindeskinder
könnte die Kernfusion tatsächlich einen wichtigen Bei-
trag zu ihrer Energieversorgung leisten.
Deswegen ist es mir absolut unverständlich, wenn
Grüne wie zum Beispiel auch Ihr ehemaliger Parteivor-
sitzender Herr Bütikofer, aber auch andere, die Kernfu-
sion per se als „absurd“ bezeichnen. Ich meine, das ist
verantwortungslos und generationenungerecht.
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Nein, wir in der CDU/CSU sehen in der Fusionsfor-
chung eine wichtige Chance und wollen diese weiter er-
rschen.
Nun zur zweiten Frage: Sollen wir weiterhin ein ver-
sslicher und respektierter ITER-Partner bleiben, oder
ollen wir einseitig aussteigen – und mit Ihrem Antrag
ollen sie ja gerade einen ersten großen Schritt zum
usstieg machen.
Der ITER-Forschungsreaktor ist ein weltweit einma-
ges Projekt, an dem Deutschland im Übrigen ja nur in-
irekt beteiligt ist, nämlich über seine Beteiligung an
URATOM.
Wir arbeiten hier also nicht nur mit unseren europäi-
chen Partnern zusammen, sondern auch mit Russland,
hina, Indien, Japan, Korea und den USA. In den Län-
ern der sieben Vertragsparteien leben mehr als
,6 Milliarden Menschen.
Natürlich wird die Fusionstechnologie auch anderen
ändern zur Verfügung stehen. Wir sind ein Partner im
eam. Das ist doch auch in unserem nationalen Inte-
sse. Schließlich sind wir eine führende Industrie- und
xportnation.
Das ITER-Projekt ist auch ein wichtiger Meilenstein
Bereich internationaler Forschung und Entwicklung.
ir Europäer sind aufgefordert, dieses Projekt verant-
ortungsvoll zu führen. Dabei kommt Deutschland tat-
ächlich eine wichtige Rolle zu, die von der Bundesre-
ierung auch wahrgenommen wird.
Denn es war unsere Ministerin Schavan, die schon
ühzeitig auf ein stärkeres Projektmanagement und hö-
ere Transparenz gedrängt und sich dabei auch durchge-
etzt hat.
Aber eine Strategie nach dem Motto „rein in die Kar-
ffeln – Moratorium – raus aus den Kartoffeln“ wäre fa-
l. Denn wir sind hier Partner – und Partnerschaft
raucht Verlässlichkeit.
Das Übereinkommen für ITER hat eine Laufzeit von
5 Jahren und trat erst vor etwas mehr als drei Jahren in
raft. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
a kann ich Ihnen nur eines sagen: Kooperative Grundla-
enforschung ist kein Sprint. Kooperative Grundlagen-
rschung ist ein gemeinsamer Marathonlauf, und ich
age Ihnen eines: Wenn Deutschland – und damit auch
uropa – sich aus dem Projekt zurückzieht, dann werden
ie Chinesen und die Koreaner alleine weitermachen.
nsere Kinder werden uns dann eines Tages fragen: Was
abt ihr da gemacht?
Die deutschen Forschungseinrichtungen sind welt-
eit – noch – führend auf dem Gebiet der Fusionsfor-
chung. Wir sollten alles daransetzen, damit das so
leibt.
Nun aber zur dritten Frage – und ich gebe zu, diese ist
erzeit nicht einfach zu beantworten –: Können wir uns
ER heute leisten?
Natürlich dürfen wir nicht die Augen davor verschlie-
en, dass beim ITER-Projekt und dabei vor allem bei
en Kosten nicht alles nach Wunsch läuft. Man kann
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13669
(A) )
)(B)
nicht damit zufrieden sein, wenn Kostenrahmen nicht
eingehalten werden können.
Das ist bei Großprojekten leider immer wieder einmal
der Fall, denn die Kosten der Zukunft sind eben schwer
abzuschätzen, noch dazu wenn es sich um vielfältige
Forschungsleistungen handelt, um neue Materialien, um
neue Methoden und eben um einen sehr langen Zeit-
raum.
Ich habe im Plenum schon einmal deutlich gemacht,
dass auch wir ITER nicht um jeden Preis haben können.
Das ist doch klar. Aber ein Moratorium hilft da nicht
weiter. Im Gegenteil, es schwächt unsere Position, um
die Dinge voranzutreiben.
Die polnische EU-Präsidentschaft wird im Herbst in-
tensiv an der ITER-Finanzierung arbeiten und sich um
eine einvernehmliche Lösung bemühen. Wir sollten ihr
dazu eine Chance geben.
Ich bin tatsächlich zuversichtlich, dass wir durch
ITER in der nächsten Dekade die Kraftwerktauglichkeit
der Kernfusion demonstrieren können, und das aus zwei
Gründen.
Die kritischen technischen und wissenschaftlichen
Herausforderungen sind bereits gelöst worden.
Seit den 1970er-Jahren ist die Leistung aus der Kern-
fusion um mehr als das Milliardenfache gestiegen und
damit deutlich schneller als etwa die Zahl der Schalt-
kreise auf Computerchips, die sich nach dem
Moore’schen Gesetz etwa alle 18 Monate verdoppeln.
Zum Schluss bleibt uns also die Bewertung der Er-
gebnisse der drei Fragen und was daraus folgen sollte:
Erstens. Es lohnt sich, die Kernfusion zu erforschen,
denn Sie kann große Chancen für die nächsten Generatio-
nen eröffnen.
Zweitens. Partnerschaft braucht Verlässlichkeit, auch
bei ITER. Eine einseitige „Anstiftung zum Ausstieg“ be-
lastet die Kooperation. Es müssen gemeinschaftliche Lö-
sungen gesucht und gefunden werden.
Drittens müssen die Kosten weiterhin eng betrachtet
und verfolgt werden. Das Projektmanagement muss wei-
ter verbessert, und der Anteil deutscher Lieferungen und
Leistungen muss erhöht werden. Die Bundesregierung
muss hier weiterhin eng am Ball bleiben und hat dafür
unser vollstes Vertrauen.
Wir, die christlich-liberale Koalition, begreifen For-
schung und Entwicklung als Chance für Deutschland
und für Europa. Wir sind offen für neue Dinge und wir
haben die Kraft und Inspiration, diese auch anzugehen.
Wir meinen es ernst mit der „Bildungs- und For-
schungsrepublik Deutschland“. Das ist gut für den Inno-
vations- und Technologiestandort Deutschland und da-
mit auch gut für unsere heimische Wirtschaft.
Ich kann Ihnen von den Grünen nur raten: Seien Sie
nicht ideologisch. Haben Sie Mut und zeigen Sie Verant-
wortungsbewusstsein.
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René Röspel (SPD): Wieder einmal dürfen wir uns
ier im Bundestag mit dem Thema ITER beschäftigen.
abei handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der
U, Japans, Russlands, der USA, Chinas, Indiens und
üdkoreas zum Bau und Unterhalt eines Fusionsfor-
chungsreaktors. In diesem Reaktor sollen Abläufe, die
der Sonne stattfinden, in einem Kraftwerk nachemp-
nden werden. Als Standort wurde das französische
adarache gewählt. Die EU trägt 45,5 Prozent der Kos-
n. Nach letzten Informationen werden die Baukosten
r ITER auf über 15 Milliarden Euro steigen, was eine
erdreifachung der ursprünglichen Kosten bedeutet. Ein
eil der Mehrkosten ist durch Inflation und steigende
ohstoffpreise bedingt. Weitere Gründe für die Kosten-
teigerungen sind neue Erkenntnisse, insbesondere zur
teigerung der Sicherheit des ITER, sowie die Komple-
ität der internationalen Kooperation. Für die EU heißt
ies einen Kostenanstieg auf circa 7,2 Milliarden Euro,
Vergleich zu den 2,7 Milliarden Euro, die bei Ver-
agsunterzeichnung vereinbart waren. Woher innerhalb
es europäischen Haushalts diese Gelder kommen, da-
ber wird in Brüssel bereits seit Monaten gestritten.
Für uns Sozialdemokraten ist die Fusionsforschung
in spannendes Forschungsthema der Grundlagenfor-
chung. Ob und, wenn ja, wann jemals mit dieser Tech-
ologie kommerziell Energie gewonnen werden kann, ist
och komplett unklar.
Selbst wenn, wie angekündigt, 2050 ein erster Kern-
sionsreaktor zur Strombereitstellung in Betrieb ge-
ommen werden könnte, wovon bereits jetzt immer we-
iger Experten ausgehen, käme dies als Beitrag für
nsere Energieversorgung viel zu spät. Denn die Ener-
iewende müssen wir bis dahin längst geschafft haben.
sofern müssen wir uns schon fragen, wie viel Geld wir
diesen Forschungszweig geben wollen und können.
ktuell besteht leider die Gefahr, dass Finanzmittel aus
nderen Forschungsbereichen, wie zum Beispiel der er-
euerbaren Energien, abgezogen werden, um die ständig
rößer werdenden Haushaltslöcher bei ITER zu stopfen.
as halten wir Sozialdemokraten für falsch.
Zu den bisher bekannten Kostenexplosionen kommt
ei ITER jetzt ein weiteres Problem. Das diesjährige
chwere Erdbeben in Japan hat auch eine Testanlage der
panischen Atomenergiebehörde in Naka beschädigt.
ier sollten supraleitende Magnete und eine Vorrichtung
ur Heizung des Plasmas für ITER getestet werden. Der-
eit sind die Forschungsgebäude nicht betretbar. Laut
resseberichten rechnet der technische Direktor von
ER aufgrund dieser Beschädigungen bereits jetzt mit
iner Verzögerung des ITER-Projekts um weitere zwei
ahre. Welche Folgekosten das haben könnte, ist bisher
och unklar. Eine Arbeitsgruppe soll jetzt bis November
lären, welche genauen finanziellen und wissenschaftli-
hen Auswirkungen die Folgen des Erdbebens auf das
ER-Projekt haben werden.
Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
lgenabschätzung diskutieren wir die Probleme bei
ER regelmäßig. Im Antrag „Für eine Stärkung der
reit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung –
eine finanziellen Einschnitte beim Europäischen For-
13670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
schungsrat zugunsten des Einzelprojekts ITER“ haben
wir als SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema bereits
klar Stellung bezogen. Der uns jetzt vorliegende Antrag
der Grünen fasst nun den aktuellen Informationstand gut
zusammen und greift offene Fragen auf.
Auch wird dort unter anderem die Verhängung eines
Moratoriums gefordert. Das klingt bei all den beschrie-
benen Problemen beim Bau von ITER erst einmal ein-
leuchtend. Offen lässt der Antrag aber, was denn mit
Moratorium gemeint ist und wie das genau umgesetzt
werden soll. Denn Deutschland ist gar kein direkter Ver-
tragspartner, sondern allein über seine Mitgliedschaft in
EURATOM an ITER beteiligt. Jegliche Vertragsände-
rung benötigt aber erst einmal einen Konsens zwischen
allen europäischen Mitgliedstaaten. Und danach muss
eine Einigung mit den internationalen Partnern gefunden
werden. All dies wird ziemlich schwierig und langwierig
werden, wenngleich wir große Sympathie dafür haben.
Unklar ist, welche Auswirkung ein solches Morato-
rium im Detail haben kann und soll. Auch in Deutsch-
land arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
im Bereich der Fusionstechnologie. Deren Erkenntnisse
und Produkte sollen ebenfalls in das Projekt von ITER
fließen. Bedeutet Moratorium, dass diese Arbeiten ein-
gestellt werden sollen? Sollen Arbeiten auf der Baustelle
in Cadarache dann unterbrochen werden? Ist das recht-
lich überhaupt machbar? Leider bleibt der Antrag der
Grünen bei den Lösungsansätzen zeimlich schwammig.
Deshalb zusammenfassend: Liebe Kolleginnen und
Kollegen der Grünen, Ihre Analyse zu ITER teilen wir
weitgehend. Aber bei ITER handelt es sich um ein inter-
nationales Projekt, aus dem man leider eben nicht ein-
fach ein- bzw. aussteigen kann. Auch wenn ich mit Ihren
Lösungsansätzen durchaus sympathisiere, so halte ich
sie doch leider für nicht praktikabel. Dennoch sollten
sich alle Interessierten zusammensetzen und überlegen,
auf welchem Weg und mit welchen Konsequenzen die
weitere Kostensteigerung begrenzt werden kann.
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Das ITER-
Projekt ist Teil der weltweiten Fusionsforschung, die
sich in den letzten Jahrzehnten aus der plasmaphysikali-
schen Grundlagenforschung heraus mit der Klärung der
Frage beschäftigt, ob die Fusion unter kraftwerksähnli-
chen Bedingungen Energie liefern kann. Dabei waren
das ITER-Projekt und der Bau des Experimentalreaktors
bei der Vertragsschließung keineswegs ausgeplant. Viel-
mehr stand der Bau noch vor einigen zu lösenden For-
schungs- und Entwicklungsaufgaben. Unterschiedlichste
Wissenschaftsdisziplinen, angefangen von der Elektro-
technik über das Bauingenieurwesen bis zum Maschi-
nenbau, mussten auf ganz neue Weise kombiniert wer-
den. Dieser Umstand führte zu neuen Erkenntnissen und
Standards, die in das laufende Projekt eingearbeitet wer-
den mussten, und trug wiederum dazu bei, dass die Pla-
nungen im Prozess ausgefertigt wurden. Neben der
Kostensteigerung der Baumaterialien im Zuge der Welt-
wirtschaftskrise war dies sicherlich ein Hauptaspekt, der
zu der erheblichen Kostensteigerung des ITER-Projekts
beitrug. Doch ein Moratorium kann nicht die Antwort
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arauf sein, wie man die Mehrkosten und die Belastung
r den EU-Haushalt bewältigt. Gerade die Verlängerung
on Projekt- und Bauphasen sowie ein Aussetzen und
erschieben von Aufträgen würde erst recht zu einer
eiteren Kostensteigerung führen. Der anspruchsvolle
mfang wie auch die hohe Komplexität des ITER-Pro-
kts bedürfen ein Handeln, dass das Projekt nicht in Ge-
hr bringt. Dass Sie, geehrte Kolleginnen und Kollegen
on Bündnis 90/Die Grünen, aber genau die Gefährdung
es Projekts mit Ihrem Antrag in den Blick nehmen wol-
n, zeigen die Argumente und die Punkte, die Sie zur
egründung und als Forderung vorbringen.
Als besonders unredlich empfinde ich dabei die von
nen konstruierte Verbindung zwischen dem Erdbeben
it der folgenden nuklearen Katastrophe von Fukushima
nd der Sicherheit des Fusionsreaktors ITER und der Fu-
ionsforschung im Allgemeinen. Es dürfte auch Ihnen
ekannt sein, dass katastrophale Unfälle wie bei der Fis-
ion bei der Fusion unmöglich sind. So hat die europäi-
che Kraftwerksstudie „European Fusion Power Plant
onceptional Study“ 2005 festgestellt, dass bei einem
ofortigen und totalen Ausfall der Kühlung sowie ohne
as Einsetzen einer Gegenmaßnahme der Brennvorgang
ofort zum Erliegen kommt und ein Schmelzen ausge-
chlossen ist. Diese unabhängige Studie, erstellt von
ber 100 Experten aus Europa, bestätigt damit die Si-
herheitseigenschaften von Fusionsreaktoren aus frühe-
n Studien. Insofern halte ich es für eine Verirrung,
inen Vergleich zu Sicherheitsanforderungen bei Fis-
ionskraftwerken zu ziehen.
Leider ist Ihr gesamter Antrag, sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in der
umme lediglich eine Zusammenfassung der im Aus-
chuss für Bildung und Forschung bereits besprochenen
nd erörterten Fragen, die darüber hinaus nicht nur wei-
stgehend von den Sachstandsberichten und Unterrich-
ngen durch die Bundesregierung beantwortet wurden,
ondern die auch von der Bundesregierung aufgenom-
en wurden und mit denen sie sich auseinandergesetzt
at. Ein Moratorium halte ich auch in diesem Zusam-
enhang für verfehlt, setzt sich die Bundesregierung
och bereits mit der Problematik auseinander. Die Fra-
en bezüglich der angesprochenen noch strittigen Finan-
ierung zwischen Rat und EP sowie die Etablierung von
ontrollmechanismen werden nicht gelöst, indem man
in Moratorium verhängt und die Arbeit am Projekt un-
rbricht. Die Probleme und Lösungsvorschläge sind be-
annt und erfordern von den direkten ITER-Partnern ein
emeinsames Handeln.
Das ITER-Projekt, in dem die Europäische Atomge-
einschaft EURATOM als ein einheitlicher europäi-
chen Partner vertreten ist, wird für die zukünftige wis-
enschaftliche Zusammenarbeit in der EU und mit
ußereuropäischen Staaten zum Prüfstein. Meiner Auf-
ssung nach wird Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen
nd Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dem nicht
erecht, weil er der internationalen und insbesondere der
uropäischen Verpflichtung nicht Rechnung trägt. Im
usschuss können wir die Fragen gerne nochmals inten-
iv diskutieren, die Sie uns in Ihrem Antrag vorgelegt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13671
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)(B)
haben. In der jetzigen Form können wir Ihrem Antrag in
keiner Weise zustimmen.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Debatte um den
Fusionsreaktor ITER ist im Bundestag etwa so ein Dau-
erbrenner, wie das Plasmafeuer im Reaktor in ferner Zu-
kunft einmal werden soll.
Während die Debatte mit einer notwendigen und in
greifbare Nähe gerückten Energiewende in diesem Land
verknüpft werden muss, kann der Fusionsreaktor damit
nicht verknüpft werden. Er vermag dazu in absehbarer
Zeit keinen Beitrag zu leisten. Stattdessen entzieht das
gesamte Projekt Jahr um Jahr dem Energieumstieg Mil-
liarden an dringend benötigten Mitteln. Dieses Geld
fehlt sowohl bei der Forschung an Speichertechnologien
als auch in Bezug auf Energieeffizienzsteigerung und
neuen Erzeugungsformen.
Dieses Mal diskutieren wir das ITER-Projekt unter
verschärften Rahmenbedingungen, nicht nur, weil im-
mer noch keiner genau weiß, zu wessen Lasten die pro-
gnostizierten Mehrkosten zu decken sind, nicht nur, weil
das Management diesem Megaprojekt nicht gewachsen
scheint, nicht nur, weil immer neue Forschungsergeb-
nisse die Realisierung des Projektes nach hinten ver-
schieben, nicht nur, weil unklar ist, welchen Nutzen die
Gesellschaft daraus ziehen wird, nachdem sie ja mit den
steuerfinanzierten Forschungsmilliarden in Vorleistung
gegangen ist, nicht nur, weil dieses Projekt eine erhebli-
che Zentralisierung von Energieerzeugungsstrukturen
bedingt; vielmehr steht die Gesamtrechnung, die ITER
verursacht, in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu dem
heute Machbaren und Notwendigen.
Die Zeit drängt, wenn man dem Klimawandel erfolg-
reich und verantwortbar für nachfolgende Generationen
begegnen will. Aber eines verträgt ITER nun ganz und
gar nicht: Zeitdruck. Im Gegenteil, ITER wird mehr Zeit
beanspruchen, weil Japan als eines der beteiligten Län-
der nach Fukushima eben nicht mehr in der Lage ist, in
den geplanten Zeitfenstern seine Zulieferungen zu reali-
sieren, was zugleich zu weiteren Kostensteigerungen
führen wird.
Das ist der Ausgangspunkt der verschärften Rahmen-
bedingungen. Nach Fukushima darf ITER aber auch
nicht mehr mit Atomkraftwerken verglichen werden.
Dieser Maßstab hat sich definitiv überlebt! Zudem
kommt zu den Kosten von ITER auch eine milliarden-
schwere staatliche Begleitfinanzierung für die Sicherung
sowie den Rückbau von Kernkraftwerken und die Er-
schließung von Endlagern.
Der gesellschaftliche Nutzen von ITER muss sich an
den Möglichkeiten erneuerbarer Energien messen lassen,
insbesondere zu einem Zeitpunkt, da ganz Europa von
einer Krise der öffentlichen Haushalte erschüttert wird.
Es geht also vor diesem Hintergrund auch um nichts Ge-
ringeres als um das Bestimmen von Ausgabeprioritäten
im Energieforschungsbereich. Damit steht auch die Exis-
tenz von EURATOM infrage. Meine Fraktion hat dazu
einen Antrag gestellt.
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Die geplanten 15 Milliarden Euro Gesamtkosten für
inen noch nicht einmal gebauten Testreaktor stehen in
inem krassen Missverhältnis zu bereits praktizierten Er-
eugungsformen erneuerbarer Energien wie auch zu rea-
stischen Forschungsoptionen in diesem Bereich. So
ann es auch nicht verwundern, dass erste, aber deutli-
he Absetzbewegungen stattfinden. Österreich fordert
ine Neuorientierung des EURATOM-Programms, des-
en Budget großteils in die Fusionsforschung fließt.
och will Österreich bisherige Kompromisse nicht
änzlich infrage stellen. Aber so weitermachen wie bis-
er will es auch nicht. Das übrigens spürt man auch bei
ositionen anderer Länder wie etwa Luxemburg. Jetzt for-
ert unser südlicher Nachbar Österreich, die EURATOM-
ittel sollen auf Strahlenschutz, Nuklearmedizin, Risi-
oforschung und Non-Proliferation konzentriert werden.
ndere europäische Länder gehen noch nicht so weit.
h halte das allerdings nur für eine Frage der Zeit.
Der Bundesrat seinerseits hat in seiner Stellungnahme
ie Kostensteigerungen bei ITER erneut höchst kritisch
ewertet. Auch er lehnt die Kostensteigerung zulasten
ichtiger Zukunftsinvestitionen aus dem nationalen und
uropäischen Forschungsetat ab. Wie das gehen soll, ist
benso unklar wie der Erfolg des Fusionsprojektes. Wir
nterstützen die Forderung nach einem Moratorium,
enn wir müssen unsere drängenden energiepolitischen
ufgaben von heute und morgen lösen, eben weil wir
eine Zeit mehr haben, schon gar nicht bis nach 2050. In
er Verantwortung der heute lebenden Generationen ste-
en zeitnah umsetzbare Alternativen zu einer ökono-
isch, ökologisch und sozial zerstörerisch wirkenden
nergieproduktion. ITER kann dazu keinen Beitrag leis-
n.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er Deutsche Bundestag hat heute, als Antwort auf Fu-
ushima, den deutschen Atomausstieg – diesmal inklu-
ive schwarz-gelb – beschlossen. Der nächste Schritt
uss sein, die Förderung der Atomindustrie durch deut-
ches Steuergeld europaweit einzudämmen. Bündnis 90/
ie Grünen schlagen, mit unserem nunmehr dritten
ER-Antrag, in dieser Legislatur vor, damit beim
ER-Projekt anzufangen und die weitere Geldver-
chwendung durch Euratom infrage zu stellen. Mag die
usrichtung des EURATOM-Vertrages von 1957 mit
em Ziel der „Entwicklung einer mächtigen Kernindus-
ie“ im Nachkriegsdeutschland gesellschaftlich zustim-
ungsfähig gewesen sein – im Lichte von Naturkata-
trophen und Staatskrisen ist eine ernsthafte Überprü-
ng und Neubewertung auch hier notwendig.
Die Hoffnung den Forschungsreaktor im erdbebenge-
hrdeten französischen Cadarache mit einem europäi-
chem Anteil von gedeckelten 6,6 Milliarden Euro
auen zu können, hat sich abermals durch die Verzöge-
ng bei der Bereitstellung der japanischen Komponen-
n zerschlagen. Die Forschungsgebäude im Naka Fu-
ion Institute nördlich von Tokio wurden nach schweren
eschädigungen gesperrt, die Magnete für den ITER
önnen frühestens mit einem Jahr Verzögerung geliefert
erden. Schon vor Fukushima war der ITER das nach
er internationalen Raumstation ISS weltweit teuerste
13672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Kooperationsprojekt. Die Finanzierung ist nach wie vor
nicht gesichert, der Großteil der Finanzlücke zum Wei-
terbau soll mit Mitteln aus dem Etat für ländliche Raume
gestopft werden, die ansonsten an die Mitgliedstaaten
zurückflössen.
Die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima las-
sen die Mär vom „billigen Atomstrom“ zynisch erschei-
nen. Atomunfälle zeigen weltweit, dass alle Anstrengun-
gen auf Risikobeherrschung und auf den Umgang mit
den Folgeproblemen der Atomkraft umzulenken sind.
Auch aus Gründen des effektiven und verantwortungs-
vollen Umgangs mit Steuergeldern müssen die Mittel,
die bislang für den ITER vorgesehen sind, dringlicher
für Sicherheitsaspekte, die Folgenbewältigung der Kern-
kraft, aber auch vorausschauend für die Klimaforschung,
die erneuerbaren Energien und die Energiewende einge-
setzt werden. Deutschland alleine finanziert den ITER
über die EURATOM-Verträge mit etwa 1,32 Milliarden
Euro. Es kann nicht sein, dass die europäische Atom-
industrie nach dem deutschen Atomausstieges-Beschluss
mit neuen, staatsfinanzierten Großprojekten befriedet
wird. Das betrifft auch die 960 Millionen Euro EU-Gel-
der, die für die Transmutationsforschung vorgesehen
sind, zumal diese Atomtechnologie neue Partitionie-
rungs- und Wiederaufbereitungsanlagen in bisher unbe-
kannten Größenordnungen notwendig machen würde.
Immer weitere Verzögerungen und Baukostensteige-
rungen werden auch neue Zeitpläne und Finanzrahmen
sprengen – die Höhe der Kosten für den europäischen
Fusionstraum sind nicht absehbar. Klaffende Finanzie-
rungslücken werden sich angesichts der Finanzkrise in
einigen Mitgliedstaaten der EU nur schmerzlich füllen
lassen. Die Entnahmen aus dem Etat für natürliche Res-
sourcen und ländliche Räume werden bis an die Grenze
des Erträglichen schmerzen. Alleine das Versprechen,
dass ein Super-Gau bei der Kernfusion nicht passieren
könne, hilft wenig. Auch die Kernfusion – sollte sie ein-
mal tatsächlich funktionieren – produziert Atommüll,
der Jahrtausende endgelagert werden muss. Höchste Zeit
also aus dem Projekt auszusteigen, da die Kernfusion
auch nach optimistischen Prognosen vor 2060 keinen
Strom wird liefern können. Bis dahin aber decken die
Erneuerbaren längst europaweit den Strombedarf.
In der am 29. Juni 2011 ohne Debatte verabschiedeten
Erklärung des Rates der Europäischen Union heißt es,
das EURATOM-Rahmenprogramm für Forschungs- und
Ausbildungsmaßnahmen, das den zusätzlichen ITER-Fi-
nanzbedarf decken soll, sei überdies „als Beitrag zur
Neuausrichtung der Forschung im Nuklearbereich“ zu
sehen, das einer „stärkeren Betonung der nuklearen Si-
cherheit“ bedürfe. Im Jahr 2013 soll ein „Symposium …
zu der Debatte über Nutzen und Grenzen der Kernspal-
tungsenergie in einer emissionsarmen Wirtschaft“ statt-
finden. Darüber hinaus wird die „Europäische Gruppe
für Ethik der Naturwissenschaften und der neuen Tech-
nologien“ ersucht, „eine Studie über die ethischen Aus-
wirkungen der Energieforschung auf das menschliche
Wohlbefinden … durchzuführen.“
Es ist zu hoffen, dass die Risiken und das Leid durch
Atomkraft bis dahin nicht in Vergessenheit geraten.
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nlage 21
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge
– Übermittlung von Fluggastdaten nur nach
europäischen Grundrechts- und Daten-
schutzmaßstäben
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4
EUZBBG zum Richtlinienvorschlag
KOM(2011) 32 endgültig
– Gutachten über die geplanten EU-Fluggast-
datenabkommen mit den USA und Austra-
lien beim Gerichtshof der Europäischen
Union einholen
(Tagesordnungspunkt 21 und Zusatztagesord-
nungspunkt 13)
Clemens Binninger (CDU/CSU): Wir diskutieren
as Thema Fluggastdaten wahrlich nicht zum ersten
al. Und wir sind uns weitestgehend einig, dass erstens
r die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ne-
en Informationen zu Finanztransaktionen und zum
ommunikationsverhalten von Terrorverdächtigen auch
enntnisse über deren Reisebewegungen unverzichtbar
ind. Zweitens dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass
ir den internationalen Terrorismus – das gilt genauso
uch für grenzüberschreitende organisierte Kriminalität –
ur in Kooperation mit unseren ausländischen Partnern
rfolgreich verfolgen und bekämpfen können. Genau
eshalb sprechen wir über eine EU-Richtlinie zur Ver-
endung von Fluggastdatensätzen.
Die Europäische Kommission hat dazu einen Entwurf
ur Weitergabe, Speicherung und Nutzung von Fluggast-
aten vorgelegt, der nach Meinung von SPD und Grünen
einesfalls tragbar ist, weil er die hier geforderten Da-
nschutzstandards nicht einmal im Ansatz erfüllen
ann. Trotzdem haben SPD und Grüne genau einem sol-
hen Entwurf zugestimmt. Dabei handelt es sich nicht
m die aktuell vorliegenden Entwürfe, sondern um das
NR-Abkommen mit den USA aus dem Mai 2004, das
ie rot-grüne Bundesregierung seinerzeit im Rat unter-
tützt hat. Verglichen mit diesem Abkommen haben wir
either zahlreiche Verbesserungen beim Datenschutz er-
icht, die auch in der Praxis bei der Nutzung von Flug-
astdatensätzen eingehalten werden. Die Entwürfe der
uropäischen Kommission für eine PNR-Richtlinie und
ie Abkommen mit Australien und auch mit den USA
nthalten weitere Fortschritte beim Datenschutz, die
uch auf die Initiative der CDU-geführten Bundesregie-
ng zurückzuführen sind.
Vielleicht hätten die Grünen vor mehr als sieben Jah-
n ihre eigene Regierung einmal auffordern sollen,
eim Datenschutz und den EU-Grundrechten etwas ge-
auer hinzuschauen oder ein Gutachten beim Europäi-
chen Gerichtshof einzuholen.
Wir waren uns bereits bei der Debatte über den letzten
rünen-Antrag zum Thema PNR im April einig, dass im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13673
(A) )
)(B)
Rahmen der Verhandlungen und Nachverhandlungen auf
europäischer und internationaler Ebene Fragen des Da-
tenschutz- und Grundrechtsstandards weiterhin groß ge-
schrieben werden müssen.
Das PNR-Abkommen, wie es jetzt im Entwurf vor-
liegt, soll einen einheitlichen Rahmen innerhalb der EU
schaffen. Die Verhandlungen dazu sind noch lange nicht
abgeschlossen. Die Richtlinie hat drei wesentliche Ziele.
Erstens: Es soll – ich glaube, noch nicht einmal die
Opposition ist da anderer Meinung – verhindert werden,
dass Terrorverdächtige, die einen Anschlag planen, über-
haupt erst ein Flugzeug besteigen. Gegen die Forderung
kann es keine ernsthaften Einwände geben.
Zweitens: Es soll gelingen, schwere Straftaten auf-
zuklären.
Drittens: Es soll gelingen, durch die Auswertung
der Daten Verdächtige zu erkennen. Wenn wir den Ent-
wurf der Richtlinie bewerten, stellen sich natürlich
einige – auch datenschutzrechtliche – Fragen, die im
Laufe der Verhandlungen noch geklärt werden müssen.
Eine Frage, die sich für mich stellt, ist, ob die Spei-
cherdauer – 30 Tage offen, dann pseudonymisiert für
fünf Jahre – notwendig oder zu lang ist. Dieses Thema
spricht auch der SPD-Antrag an. Ich bin durchaus der
Auffassung, dass sehr genau überlegt und begründet
werden muss, ob es fünf Jahre sein sollen. Aus meiner
Sicht könnten es auch weniger sein. Ehrlicherweise ist
aber auch festzuhalten: Diese Daten werden nicht ge-
speichert, weil der Staat es will. Diese Daten sind alle
schon heute bei den Fluggesellschaften vorhanden und
werden dort auch heute schon mehrere Jahre gespei-
chert. Es geht also in erster Linie um die Frage, ob wir
unter bestimmten Voraussetzungen den Sicherheits-
behörden diese Daten zur Verfügung stellen, um An-
schläge zu verhindern, schwere Straftaten aufzuklären
oder Verdächtige zu identifizieren. Wem die Sicherheit
der Bürger etwas wert ist, der kann diese Frage nicht mit
Nein beantworten.
Eine weitere Frage: Sollen nur Flüge von außerhalb in
die EU erfasst werden oder auch Flüge innerhalb der
EU? Der Antrag der SPD spricht sich hier gegen eine
Ausweitung aus. Diese Argumentation ist unlogisch;
denn wir müssen uns darüber klar sein, dass die Gefähr-
lichkeit von Terrorverdächtigen nicht geringer wird, weil
sie von Barcelona nach Berlin fliegen statt von Beirut
nach Berlin. Die Beantwortung dieser Frage muss sich
meiner Einschätzung nach an der Gefährlichkeit der Per-
sonen orientieren. Aus gutem Grund fordern das Verei-
nigte Königreich, unterstützt von einer ganzen Reihe
EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spanien, Italien,
Tschechien, Irland, Niederlande, Estland oder Dänemark
und Zypern, eine sofortige Einbeziehung innereuro-
päischer Flüge.
Für mich ganz persönlich stellt sich auch eine dritte
Frage, bei der ich auch Bedenken, die in den beiden
Anträgen angesprochen werden, ein Stück weit aufgrei-
fen möchte. Das oberste Ziel ist, zu verhindern, dass ein
Terrorverdächtiger ein Flugzeug besteigt. Daran kann es
keinen Zweifel geben. Wer das ablehnt, macht keine
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eriöse Sicherheitspolitik. Auch schwere Straftaten auf-
uklären, halte ich für absolut berechtigt. Deshalb ist es
ine wesentliche Zielrichtung bei der Nutzung von Flug-
astdaten, Kriterien zu erkennen, mit denen Verdächtige
entifiziert werden können, was am Ende einer Art Ras-
rfahndung gleichkommt. Hier hat uns das Bundesver-
ssungsgericht ganz klar aufgegeben: Die Rasterfahn-
ung ist zulässig, sie muss aber an eine konkrete Gefahr
eknüpft sein. Das heißt, eine pauschale Ermächtigung,
iese Daten quasi jede Woche auf irgendwelche
uffälligkeiten hin zu durchleuchten, ist rechtlich nach
nserem Verständnis schwer abzubilden. Deshalb ist es
otwendig, dass ein Bezug zu einer konkreten Gefahr,
em begründeten Verdacht auf Terrorismus oder
chwere Straftaten besteht.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass auf ein Instrument
ie die Nutzung von PNR-Daten nicht verzichtet wer-
en kann, wenn wir Sicherheit im Luftverkehr wollen,
enn wir verhindern wollen, dass Passagiermaschinen
u Waffen und zu Zielen von Anschlägen werden, und
enn wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden in der
age sind, schwere Verbrechen aufzuklären und
riminelle Strukturen zu erkennen. Wer fordert, dass
ine Warnlampe angeht, braucht eine Speicherung und
uswertung von Passagierdatensätzen. Alles andere ist
nfug und Sand, der den Leuten in die Augen gestreut
ird.
Durch die PNR-Richtlinie wird ein einheitlicher Rah-
en geschaffen. Es gab und gibt zurzeit zwischen ein-
elnen Staaten einen Wildwuchs bilateraler Abkommen.
s war in der Vergangenheit und teilweise bis heute
öllig unklar, wer wie viele Daten aus welchen EU-
taaten bekommt, wie lange sie gespeichert werden, wie
ie genutzt werden und ob sie an Dritte weitergegeben
erden. Insofern ist die Richtlinie, durch die Einheitlich-
eit hergestellt wird, sehr zu begrüßen.
Wir sind noch nicht am Ende der Verhandlungen für
ine europäische PNR-Richtlinie angelangt. Über man-
hes wird noch zu sprechen sein. Wir müssen akzeptie-
n, dass unsere Partner in Europa dabei teilweise unter-
chiedlicher Ansicht sind. An den Grundzielen der PNR-
ichtlinie gibt es aber nichts mehr zu rütteln.
Wolfgang Gunkel (SPD): Bereits vor zwei Monaten
aben wir den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission
iskutiert. Inhaltlich hat sich für die SPD-Bundestags-
aktion wenig geändert. Unsere Bedenken haben wir
un in dem heute vorliegenden Antrag formuliert.
Ich will es gleich vorwegschicken: Als realistischer
ensch weiß ich, dass ein völliger Verzicht auf die Wei-
rgabe von Fluggastdaten in der Europäischen Union
erzeit nicht durchsetzbar ist. Zudem wird ein legitimes
nliegen verfolgt: Die Mitgliedstaaten der Europäischen
nion müssen terroristische und strafrechtliche Bedro-
ungen abwehren. Doch müssen sie dabei die grund-
nd menschenrechtlichen Garantien beachten, die zu den
echtstraditionen der Mitgliedstaaten zählen und in der
rundrechtecharta der Europäischen Union verankert
ind. Dies ist durch die im Entwurf vorgesehenen Rege-
ngen noch nicht ausreichend gewährleistet.
13674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Die SPD fordert deshalb die Bundesregierung auf, un-
ter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes einige Punkte
in den Beratungen zu dem Richtlinienentwurf dringend
nachzuverhandeln.
Insbesondere spielt die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung bei der
Bewertung der Richtlinie eine wichtige Rolle. Das Bun-
desverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 2. März
2010 (1 BvR 256/08) hohe Anforderungen an die soge-
nannte Vorratsdatenspeicherung gestellt. Hierzu zählt
das Gericht die Datenspeicherung „ohne Anknüpfung an
ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur
abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte
Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf All-
tagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar
und für die Teilnahme am sozialen Leben in der moder-
nen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“ (BVerfG, a.a.O.,
Rn. 210).
Diese Definition trifft auf die Speicherung von PNR-
Daten zu. Sie werden allein deshalb erhoben, weil Rei-
sende das Flugzeug wählen, also ein sozial ebenso gebil-
ligtes wie unverzichtbares Alltagshandeln an den Tag le-
gen.
Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts ergeben sich auch im Hinblick auf den Umfang
der abzurufenden Daten verfassungsrechtliche Grenzen
(BVerfG, a.a.O., Rn. 237).
Vor drei Jahren war beim Thema europäische PNR
schon klar, dass man umfangreichere PNR nicht braucht,
wenn die bisher genutzten Datenspeicher sinnvoll einge-
setzt werden. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise
die API-Daten den gleichen Zweck erfüllen könnten.
Auch diese Daten werden von Fluggästen erhoben.
Zweck der Speicherung ist die Verbesserung der Grenz-
kontrolle und die Bekämpfung der illegalen Migration.
In Paragraf 31 a Bundespolizeigesetz ist ausführlich ge-
regelt, welche Daten erhoben werden. Es handelt sich
hier um zehn Datensätze; dazu gehören persönliche An-
gaben, aber auch Abflugsort und -zeit sowie Details über
die Reisedokumente. Gespeichert werden diese Daten
24 Stunden, es sei denn, sie werden für Grenzkontrollen
oder zur Strafverfolgung wegen illegaler Einreise benö-
tigt.
Diese Daten können ohne Weiteres auch für die Ter-
rorismusbekämpfung oder Fälle schwerer Kriminalität
verwendet werden.
Die Europäische Kommission hat nicht ausreichend
begründet, warum dieser Datenbestand ungenügend sein
soll. Zwar erlaubten es die API-Daten der KOM zufolge
nicht, „,unbekannte‘ Verdächtige so zu identifizieren,
wie dies mit einer Auswertung von PNR-Daten möglich
ist“ (KOM(2011) 32 endg., S. 5). Diese Aussage wird je-
doch nicht näher belegt.
Ich dagegen denke nicht, dass der Verwendung der
API-Daten ein plausibler Grund entgegensteht. So ist
auch der Bundesrat in seinem Beschluss zum Richtli-
nienvorschlag vom 18. März 2011 zu dieser Schlussfol-
gerung gekommen.
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Die Speicherfrist ist zu lang und sollte ebenfalls drin-
end nachverhandelt werden. Sie beträgt grundsätzlich
0 Tage und soll dann noch einmal mit Verschlüsselung
m fünf Jahre verlängert werden. Tatsächlich kann aber
uf diese Daten unter bestimmten Voraussetzungen im
lartext zugegriffen werden.
Die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der auf
uropäischer Ebene erfolgten Evaluierung haben erge-
en, dass eine Speicherfrist von sechs Monaten zur
trafverfolgung nicht erforderlich ist. Circa 70 Prozent
er Abfragen von Daten erfolgen in den ersten drei Mo-
aten; der Anteil steigt auf 85 Prozent, wenn die Daten
aximal sechs Monate alt sind. Dieses Ergebnis deckt
ich mit den Erfahrungen auf nationaler Ebene.
In den USA, wo die Speicherung der PNR-Daten nun
chon seit gut drei Jahren erfolgt, gab es genau einen
all, in dem die Überprüfung sämtlicher Passagiere zu
inem Gerichtsverfahren führte. Wenn man das an den
illionen Daten misst, die seitdem abgespeichert wur-
en und weiterhin werden, muss man die Sinnhaftigkeit
ieses Verfahrens stark bezweifeln.
Die Speicherdauer muss deshalb dringend überarbei-
t werden, um die Verhältnismäßigkeit der Richtlinie zu
ahren.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert weiterhin, dass
ein automatisierter Datenabgleich stattfindet und dass
ie Daten nur bei einem begründeten Verdacht auf
chwere oder terroristische Straftaten erfolgen. Weiter-
in darf der Abruf nur unter Richtervorbehalt erfolgen.
Auch hinsichtlich der Weitergabe der Daten an Dritt-
nder gilt es dringend nachzubessern. Art. 8 RL-E er-
ubt die Weitergabe der Daten an Drittstaaten. Neben
nderen Voraussetzungen müssen sich diese bereiterklä-
n, die Daten ausschließlich zu den im RL-E vorgesehe-
en Zwecken zu nutzen. Darüber hinaus ist eine Weiter-
abe an einen weiteren Drittstaat durch den Drittstaat
öglich, sofern der übermittelnde Mitgliedstaat zu-
timmt. Diese Ermächtigung ist ebenso unbestimmt wie
eitreichend. Die Weitergabe darf hier nur zulässig sein,
ofern dies in internationalen Abkommen, die ein ausrei-
hendes Datenschutzniveau gewährleisten, vorgesehen
t.
Ich bitte die Bundesregierung, diese Punkte bei den
nstehenden Beratungen umfassend zu beachten.
Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den
ir an dieser Stelle mitberaten, greift einen wichtigen
unkt auf. Der Europäische Gerichtshof hat bereits ein-
al ein PNR-Abkommen gestoppt. Wenn bei den ge-
lanten Abkommen mit den USA und Australien die da-
nschutzrechtlichen Bedenken so umfassend sind, dann
ind auch hier unbedingt Nachbesserungen vorzuneh-
en.
Gisela Piltz (FDP): In der Antwort auf eine Kleine
nfrage meiner Fraktion antwortete die damalige rot-
rüne Bundesregierung am 15. Januar 2004 auf die
rage:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13675
(A) )
)(B)
Zu welchem Zeitpunkt soll eine Pflicht zur Weiter-
gabe von Passagierdaten auch innerhalb der EU
eingeführt werden?
Und nun die Antwort:
Innerhalb der Europäischen Union hat Spanien eine
Ratsinitiative eingebracht. Das von der Bundesre-
gierung unterstützte Ziel dieser Initiative ist eine
verbesserte Kontrolle der Zuwanderungsströme und
die Bekämpfung der illegalen Einwanderung. An-
gestrebt wird der Erlass einer Richtlinie des Rates,
auf deren Grundlage die Mitgliedstaaten gesetzli-
che Regelungen schaffen sollen, mit denen Beför-
derungsunternehmen, insbesondere Fluggesell-
schaften, verpflichtet werden können, bestimmte
Passagierdaten vorab den Grenz- und Einwande-
rungsbehörden des jeweiligen EU-Ziellandes zu
übermitteln.
In Ihrem Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, fordern Sie nun eine „Beschränkung
auf terroristische und schwere Straftaten“. Ich frage Sie
jetzt lieber nicht, ob „eine verbesserte Kontrolle der Zu-
wanderungsströme“ unter Ihre Definition von „terroristi-
schen und schweren Straftaten“ fällt. Die Antwort
könnte – so oder so – ohnehin nur eines beweisen: Die
SPD irrlichtert in der Innen- und Rechtspolitik zwischen
Law and Order und dem untauglichen Versuch, sich den
Anstrich einer Rechtsstaatspartei zu geben.
Ich kann hier nur wiederholen, was ich schon in der
Debatte zu dem Grünen-Antrag zu dem Vorschlag der
EU-Kommission gesagt habe: Wer hat’s erfunden? Das
waren nämlich SPD und Grüne. Unter der rot-grünen
Bundesregierung hat Joschka Fischer im Rat dem Ab-
kommen zwischen EU und USA zur Übermittlung von
Fluggastdaten zugestimmt. Ich rufe hier noch einmal in
Erinnerung, dass in diesem Abkommen damals das Wort
„Datenschutz“ ein absolutes Fremdwort war. Zum Glück
hatte das Europäische Parlament damals die Notbremse
gezogen; SPD und Grüne hier im Bundestag waren es je-
denfalls nicht, ebenso wenig die damaligen Minister von
SPD und Grünen.
Wenn genau diese beiden Fraktionen jetzt heute hier
so tun, als wäre der von der EU-Kommission vorge-
schlagene Speicherzeitraum von 30 Tagen unverhältnis-
mäßig lang, dann zeugt das nur davon, dass jedenfalls
Ihre Erinnerung eher kurz ist: Beim ersten PNR-Abkom-
men mit den USA hat Rot-Grün eine Speicherfrist von
dreieinhalb Jahren ohne Pseudonymisierung und ohne
besondere Datensicherung und mit dem Zugriff von
zahllosen Sicherheitsbehörden in den USA als daten-
schutzrechtlichen Erfolg gefeiert.
Sie wissen und es ist kein Geheimnis, dass die FDP-
Fraktion ein EU-System zur Nutzung von Fluggastdaten
sehr kritisch sieht. Dasselbe gilt für die Übermittlung
von Fluggastdaten in die USA. Es ist aber leider so, dass
weder gegen ein EU-PNR-System noch gegen ein Ab-
kommen mit den USA oder anderen Ländern im Rat eine
Mehrheit vorhanden ist. Im Gegenteil. Hier gilt jetzt lei-
der nur noch, zu retten, was zu retten ist. Deshalb unter-
stützt die FDP-Fraktion die Bemühung der Bundesregie-
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ng, sich im Rat für einen hohen Datenschutzstandard
inzusetzen – und zwar sowohl was die PNR-Richtlinie
ngeht als auch was die Abkommen zu PNR angeht.
Noch ein Wort an die SPD: Sie fordern ja, dass die
ammlung von Fluggastdaten sich insbesondere an den
rundsätzen zur Vorratsdatenspeicherung orientieren
üsse. Nachdem Sie ja die Vorratsdatenspeicherung in
glich lauter werdender Endlosschleife wieder einfor-
ern, nachdem das Gesetz Ihrer damaligen Bundesjustiz-
inisterin mit Pauken und Trompeten untergegangen ist,
erstehe ich natürlich auch, dass Sie hier nicht so sensi-
el sind. In Ihrem Antrag habe ich nämlich vergeblich
ach einem Satz aus dem Urteil des Bundesverfassungs-
erichts gesucht:
Umgekehrt darf die Speicherung der Telekommuni-
kationsverkehrsdaten nicht als Schritt hin zu einer
Gesetzgebung verstanden werden, die auf eine
möglichst flächendeckende vorsorgliche Speiche-
rung aller für die Strafverfolgung oder Gefahren-
prävention nützlichen Daten zielte. Eine solche Ge-
setzgebung wäre, unabhängig von der Gestaltung
der Verwendungsregelungen, von vornherein mit
der Verfassung unvereinbar. Die verfassungsrechtli-
che Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslo-
sen Speicherung der Telekommunikationsverkehrs-
daten setzt vielmehr voraus, dass diese eine
Ausnahme bleibt.
Damit setzen Sie sich überhaupt nicht auseinander –
ie Sie sich generell nicht so sehr mit den rechtlichen
nd verfassungsrechtlichen Fragen herumplagen. Da
uss ich hier ja einmal die Grünen wenigstens dafür lo-
en, dass sie in ihrem Antrag die Gutachten des juristi-
chen Dienstes sowohl des Rates zu dem Vorschlag der
ommission für ein EU-PNR-System als auch des juris-
schen Dienstes der Kommission zu dem Abkommens-
ntwurf mit den USA aufgreifen. Die aufgeworfenen
ragen, gerade im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der
rundrechtecharta, müssen von der Bundesregierung
rnst genommen werden. Ich bin ganz sicher, dass un-
ere liberale Bundesjustizministerin hier sehr viel ge-
auer hinschauen wird, als die SPD-Bundesjustizminis-
rin das damals getan hat.
Auch der Bundesrat hat – auf Initiative der Länder
aden-Württemberg, wohlgemerkt noch zu Zeiten der
chwarz-gelben Koalition im Ländle, und Hessen – ei-
en Beschluss gefasst, in dem die Kommission aufgefor-
ert wird, die Verhältnismäßigkeit des Vorschlags für
ine PNR-Richtlinie erneut gründlich zu prüfen. Daran
önnen Sie sehen, dass bei schwarz-gelben Regierungen
iese Frage in guten Händen ist.
Die FDP-Fraktion hier im Bundestag wird daher wie
chon bisher auch künftig gemeinsam mit der Bundesre-
ierung und der liberalen Fraktion im Europaparlament
ie Entwicklungen in Sachen Fluggastdaten kritisch und
enau betrachten. Zugleich unterstützt sie aber auch die
undesregierung darin, im Falle einer Mehrheit in
uropa – die es, wie schon gesagt, auf jeden Fall für
NR in der EU und in Abkommen mit Drittstaaten gibt –
ich mit aller Kraft für ein hohes Niveau an Datenschutz
nd Rechtsschutz einzusetzen und so wenigstens das,
13676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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was nach dem rot-grünen Sündenfall in Sachen PNR
noch zu retten ist, auch tatsächlich im Sinne unseres
Rechtsstaates zu retten.
Jan Korte (DIE LINKE): Die Vizeministerin für Hei-
matschutz der USA, Jane Holl Lute, hat kürzlich in Ber-
lin massiv für das amerikanisch-europäische Abkommen
zur Übermittlung von Fluggastdaten geworben. Mit dem
Abkommen, so Frau Lute, sollen angeblich nicht Sicher-
heitsbestrebungen der Vereinigten Staaten über Daten-
schutzbedenken der Europäer gestellt werden, sondern
der US-Administration gehe es einzig „um das Wohl al-
ler Reisenden“. Die USA respektierten die europäische
Sicht, erwarteten aber auch Respekt für ihren Stand-
punkt. Die Vizeministerin sicherte einen verantwor-
tungsvollen Umgang mit den Daten zu.
Britische Datenschutzexperten kommen in einer Ana-
lyse der geplanten EU-Richtlinie zur Auswertung und
Weitergabe von Fluggastdaten – Passenger Name Re-
cord, PNR – allerdings zu dem Ergebnis, dass die Richt-
linie wenig bis überhaupt keinen Datenschutz garantiere.
Die Daten würden stattdessen völlig unkontrolliert und
intransparent verbreitet werden. Die britischen Experten
von Amberhawk gelangen in ihrem Bericht insgesamt zu
einem höchst negativen Ergebnis. Ausreichender Schutz
besteht eigentlich nur, solange die Fluglinien über die
Daten verfügen, denn dann kämen die eher strengen Da-
tenschutzstandards der EU zum Tragen. Jede Weitergabe
hebe hingegen Teile des Datenschutzes auf. Wenn das
Abkommen so in Kraft treten würde, dürfte beim Export
der Daten in die USA auch das letzte bisschen Schutz im
wahrsten Sinne des Wortes über Bord gehen. Denn was
die jeweiligen Empfänger mit den Daten anstellen und
wohin sie diese als Nächstes transferieren, kann keiner
der Passagiere mehr kontrollieren, ebenso wenig wie
Datenschützer.
Die Fachjuristen von Amberhawk beschreiben die
Auswirkungen der PNR-Richtlinie als bizarr: Je unkriti-
scher die Erhebung und Verwendung von Passagierdaten
ist, wie zum Beispiel bei der Nutzung der Angaben zur
Essens- und Sitzplatzbuchung bei der Fluggesellschaft,
desto höher ist der Schutz der Daten. Je kritischer die
Verwendung der Passagierdaten ist, zum Beispiel zur
Sammlung und Speicherung zu Strafverfolgungszwe-
cken, desto niedriger wird der Schutz der Daten. Und das
ist nicht das einzige Absurde an diesem Abkommen.
Man muss sich hier wirklich einmal die Frage stellen,
wer hier die Verhandlungen seitens der EU geführt hat
und ob diese Leute noch ein paar Wochenenden Zeit für
Weiterbildungsseminare haben.
Wenn wir überhaupt irgendeinen Wert auf Daten-
schutz legen, können wir einem solchen Abkommen
nicht zustimmen. Da ist sich die Opposition offenbar
einmal einig. Es wäre tatsächlich einmal etwas ganz Be-
sonderes, die Bundesregierung dazu zu bringen, in
Europa etwas für den Datenschutz und für die Einhal-
tung europäischer Datenschutzstandards zu tun. Das war
bislang vergebene Liebesmüh. Es lief eher genau anders-
herum: Das, was die letzten Bundesregierungen national
nicht umsetzen konnten, haben sie über den Umweg
Europa hinzubekommen versucht.
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Letztendlich bleibt das PNR-Abkommen mit den
SA in den Gedanken vieler nur ein erster Schritt zu ei-
er EU-weiten Vorratsdatenspeicherung von Flugpassa-
ierdaten. Wenn es nach dem Willen der Europäischen
ommission ginge, würden künftig sämtliche Passagier-
aten zu Flügen zwischen Drittstaaten und EU-Mit-
liedsländern gespeichert. Eine Mehrheit der EU-
itgliedstaaten will außerdem auch Daten über alle in-
ereuropäischen Flüge sammeln und analysieren. Diese
aten sollen nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch
ur präventiven Erstellung von „Risikoprofilen“ heran-
ezogen werden. Grundsätzlich ist demnach jeder Flug-
ast verdächtig und muss überwacht werden. Manche
ntasieren schon über die Erfassung der Reisedaten von
ahnpassagieren und Schiffsreisenden. Das konterka-
ert die europäische Idee eines Raumes der Demokratie
nd der Freizügigkeit.
Die Linke lehnt das Fluggastdatenabkommen mit den
SA genauso ab wie das mit Australien. Die Linke wird
eiter gegen EU-weite Vorratsdatenspeicherungen und
ie Überwachung der Bevölkerung kämpfen. Darauf
önnen Sie sich verlassen.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Es ist der Bedeutung der geplanten Speicherun-
en von Fluggastdaten angemessen, dass wir hier zum
weiten Mal innerhalb eines Vierteljahres darüber debat-
eren. Denn was hier in der Pipeline ist, stellt die Vorga-
en des deutschen Grundgesetzes und auch der EU-
rundrechte auf den Kopf!
Das Drama hat zwei Teile, die später aneinanderge-
gt werden sollen. Der erste Teil ist die geplante Richt-
nie über die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten.
azu gibt es von uns den Antrag vom April und den
eutigen der SPD. Der zweite Teil sind die geplanten
bkommen der EU mit den USA und Australien über
ie Weiterleitung von Fluggastdaten. Dazu liegt unser
eutiger Antrag vor.
Zum ersten Teil, der geplanten Richtlinie über die
orratsspeicherung von Fluggastdaten: Ich habe das an
ieser Stelle bereits im April dieses Jahres gesagt: so
eht es nicht! Mittlerweile sind ein Gutachten der EU-
rundrechteagentur und eines des juristischen Dienstes
es Rates zum gleichen Ergebnis gekommen: Es sind
eine behebbaren Kleinigkeiten, die im Richtlinienent-
urf falsch liegen, es ist das Gesamtkonzept des Vorha-
ens, das völlig konträr zu deutschen und europäischen
rundrechten liegt.
Ohne den Nachweis der Erforderlichkeit für die Be-
ämpfung schwerer Verbrechen sollen nun Fluggastdaten
ämtlicher internationaler und EU-interner Flüge auf
orrat für über 5 Jahre gespeichert werden. Und zwar bei
inem staatlichen Datenpool, aus dem sich dann unzäh-
ge Polizei- und Strafverfolgungsbehörden aus ganz
uropa bedienen dürfen. Profilbildung und Rasterung
ind ausdrücklich Zweck dieser Vorratsspeicherung. Je-
es einzelne der genannten Elemente der geplanten Da-
nspeicherung würde beim Bundesverfassungsgericht
it Pauken und Trompeten durchfallen.
Ich freue mich daher, dass auch die Kolleginnen und
ollegen von der SPD mit ihrem Antrag verdeutlicht ha-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13677
(A) )
)(B)
ben, dass wir hier mehr Grundrechte und mehr Daten-
schutz brauchen. Aber, meine Damen und Herren der
SPD, es reicht hier leider nicht aus, nur einzelne daten-
schutzrechtliche Verbesserungen einzufordern. Denn es
fehlt gewissermaßen schon der Grundstein jeglicher ver-
fassungsrechtlicher Zulässigkeit: es fehlt an der Erfor-
derlichkeit der geplanten Vorratsspeicherung von Flug-
gastdaten.
Das muss nun doch endlich zu allen durchgedrungen
sein: nicht nur die europäischen Datenschutzbeauftrag-
ten und die EU-Grundrechteagentur, selbst der juristi-
sche Dienst des Rates der EU, also genau des Organes
der EU, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten ver-
treten sind, kommt in seiner Stellungnahme zum Richtli-
nienentwurf im April zu diesem Ergebnis – ich zitiere:
„In Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung ist die
systematische und automatische Vorabverarbeitung, […
sprich: Profilbildung und Rasterung] des Vorschlags […]
äußerst problematisch, was die Verhältnismäßigkeit be-
trifft. Damit liefe die Richtlinie (wenn sie in dieser Form
angenommen würde, und noch mehr, wenn Flüge zwi-
schen Mitgliedstaaten einbezogen würden) nach Ansicht
des juristischen Dienstes eindeutig Gefahr, in einem Ver-
fahren nicht nur vor dem Gerichtshof, sondern auch vor
den nationalen Verfassungsgerichten oder obersten Ge-
richtshöfen beanstandet zu werden, insbesondere deswe-
gen, weil nicht hinreichend dargelegt wird, weshalb die
Maßnahmen notwendig sind.“
Ganz Europa argumentiert – politisch und rechtlich –
mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Und genau dieses Bundesverfassungsgericht hat uns un-
missverständlich aufgegeben, uns auf europäischer
Ebene für die Wahrung der verfassungsrechtlichen Da-
tenschutzstandards einzusetzen.
Wie sich aus den Verhandlungsergebnissen der rele-
vanten Ratsarbeitsgruppe vom 11. Mai 2011 ergibt,
zweifelt eine ganze Reihe nationaler Parlamente an der
Erforderlichkeit der Vorratsspeicherung von Fluggastda-
ten.
Wir Grüne lehnen die Vorratsspeicherung von Flug-
gastdaten auch weiterhin entschieden ab. Denn eine sol-
che Datensammlung ins Blaue hinein löst sich zu weit
von den verfassungsrechtlichen Vorgaben und würde ei-
nen Paradigmenwechsel im Sicherheitsrecht zulasten der
Bürgerrechte einläuten.
Nun zum zweiten Teil, den geplanten Abkommen mit
den USA und Australien über die Weitergabe von Passa-
gierdaten zu Zwecken der Strafverfolgung:
Die Verhandlungen mit Australien und den USA sind
seit kurzem vorläufig abgeschlossen. Die Abkommen
sollen den Behörden erlauben, die Daten auf Vorrat zu
speichern. Sie setzen also auf die EU-interne Vorrats-
speicherung noch eine weitere Vorratsspeicherung in den
USA und Australien drauf. Beide Staaten verfügen aner-
kanntermaßen nicht annähernd über Datenschutzstan-
dards, die den deutschen oder europäischen vergleichbar
wären. Es wurden uferlose Speicherfristen von 5,5 Jah-
ren für Australien und 15 Jahren für die USA ausgehan-
delt. Auch die in die USA und nach Australien weiterge-
leiteten Fluggastdaten dürfen dann für Risikoanalysen
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erwendet werden. Dabei sollen die Passagiere aufgrund
icht nachvollziehbarer Risiko-Profile der Sicherheits-
ehörden elektronisch in Schubladen sortiert werden.
Ebenso wie bei der Vorratsspeicherung von Fluggast-
aten in der EU widerspricht ein solches Vorgehen klar
en Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbe-
ondere seiner Rechtsprechung zur Rasterfahndung und
ur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbin-
ungsdaten.
Aber nicht nur das. Der juristische Dienst der Europä-
chen Kommission, ja genau, das ist das Organ der EU,
as selbst für die Aushandlung dieser Abkommen zu-
tändig ist, hat in einem Gutachten vom 18. Mai 2011
ie Auffassung vertreten, dass die geplanten Abkommen
it den Grundrechten unvereinbar sind. Angesprochen
ird hier insbesondere Art. 8 der EU-Grundrechtecharta:
as EU-Grundrecht auf Datenschutz, über dessen Ein-
altung der EuGH wacht.
Dass wir als Parlament die verfassungsrechtliche
flicht haben, uns auf europäischer Ebene für die Wah-
ng unserer verfassungsrechtlichen Datenschutzstan-
ards einzusetzen, habe ich bereits gesagt. Das ist eine
arlamentarische Selbstverständlichkeit! Wir haben aber
uch die Möglichkeit und die Instrumente dazu. Mit un-
erem Antrag fordern wir die Bundesregierung noch ein-
al dazu auf, beim EuGH ein Gutachten über die ge-
lanten Flugastdaten-Abkommen mit dem USA und
ustralien einzuholen.
Der EuGH hätte dann gemäß Art. 218 Absatz 11 des
ertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
EUV, die Möglichkeit, die Vereinbarkeit dieser geplan-
n Abkommen vorab mit dem EU-Primärrecht und so
uch mit den EU-Grundrechten zu überprüfen. Die
echtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Teil
er deutschen Verfassungstradition ist Rechtserkenntnis-
uelle für den EuGH. Deutsche Verfassungsrechtspre-
hung hat auf diesem Weg bereits vielfach Eingang in
ie EuGH-Rechtsprechung gefunden. Deutschland sollte
urch die Einholung des Gutachtens beim EuGH seine
uroparechtlichen Möglichkeiten und Pflichten zur För-
erung des europäischen Grundrechteschutzes wahrneh-
en.
Wir dürfen hier nicht sehenden Auges eine Situation
ntstehen lassen, in dem die EU grundrechtswidrige Ab-
ommen abschließt.
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
nlage 22
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Besonderheiten der
nationalen Finanzmärkte bei Umsetzung von
Basel III berücksichtigen (Tagesordnungs-
punkt 23)
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Die neuen interna-
onalen Standards des Baseler Ausschusses für Banken-
ufsicht müssen in europäisches Recht umgesetzt wer-
en. Dabei wird es nicht zu einer starren, schematischen
13678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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Umsetzung kommen. Vielmehr wird aufbauend auf den
Baseler Vereinbarungen und unter Berücksichtigung
europäischer und deutscher Besonderheiten eine Umset-
zung in europäisches Recht erfolgen. Die Kommission
wird dazu voraussichtlich einen Legislativvorschlag vor-
legen, der aus einer Verordnung und einer Richtlinie be-
steht.
Die Verordnung soll Regelungen zum Eigenkapital,
zur Liquidität sowie zur Transparenz enthalten. In der
Richtlinie sollen Regelungen für die Zulassung und Be-
aufsichtigung von Instituten, Anforderungen an die in-
terne Organisation sowie aufsichtsrechtliche Maßnah-
men festgeschrieben werden.
Die Kommission möchte, soweit wir wissen, den Weg
der Regelung durch eine Verordnung gehen, um sicher-
zustellen, dass in den Bereichen Eigenkapital, Liquidität
und Transparenz ein europäisches Level Playing Field
für Banken erreicht wird – also einheitliche Bedingun-
gen für alle in Europa tätigen Kreditinstitute. Denn eine
EU-Verordnung gilt unmittelbar für alle Kreditinstitute,
während eine EU-Richtlinie erst durch den deutschen
– und 26 weitere – Gesetzgeber in nationales Recht um-
gesetzt werden muss. Der aufsichtsrechtliche Teil des
Regelwerkes muss zwingend im Rahmen einer Richt-
linie umgesetzt werden, da er an nationales Verwaltungs-
recht anknüpft.
Die Tatsache, dass so wichtige Felder wie Eigenkapi-
tal, Liquidität und Transparenz im Rahmen einer EU-
Verordnung und nicht im Rahmen einer Richtlinie gere-
gelt werden sollen, stößt in Teilen der deutschen Kredit-
wirtschaft auf erhebliche Bedenken:
Es wird befürchtet, dass die mangelnde Beteiligung
des Deutschen Bundestages dazu führt, dass „nationale
Besonderheiten“ zu wenig berücksichtigt werden.
Es wird befürchtet, dass sich die EU-Kommission bei
der Formulierung der Verordnung nicht am deutschen, in
erheblichen Teilen mittelständischen und durch Sparkas-
sen und Volksbanken geprägten Bankensystem, sondern
am angelsächsischen, von kapitalmarktorientierten Insti-
tuten geprägten Bankensystem orientiert.
Es wird befürchtet, dass auf EU-Ebene keine Diffe-
renzierung zwischen kleinen, regionalen und großen,
internationalen Instituten vorgesehen ist und allen Insti-
tuten, unabhängig von ihrer Größe, die gleichen bürokra-
tischen Lasten auferlegt werden.
Diese Befürchtungen haben gute Gründe. Wir neh-
men sie daher sehr ernst. Für die weitere Diskussion ist
es, so denke ich, aber hilfreich und wichtig, noch einmal
die Unterschiede zwischen einer Verordnung und einer
Richtlinie detailliert zu erörtern. Ich halte dies deswegen
für notwendig, weil in der Diskussion mit einigen Unge-
nauigkeiten argumentiert wird.
Beginnen wir mit der Richtlinie:
Die Richtlinie richtet sich an den nationalen Gesetz-
geber. Dieser hat die Vorgaben der Richtlinie in nationa-
les Recht umzusetzen. Je nach Ausgestaltung der Richt-
linie hat er dabei die Möglichkeit, Wahlrechte
wahrzunehmen und die europäischen Regelungen unter
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erücksichtigung nationaler Besonderheiten in seine na-
onale Rechtsordnung einzupassen. Er hat gegebenen-
lls auch die Möglichkeit, über den Regelungsinhalt der
ichtlinie hinauszugehen – im Fall von Basel III zum
eispiel erhöhte Eigenkapitalanforderungen zu stellen;
ie gesagt, je nach Ausgestaltung, denn es gibt Richtli-
ien, die so formuliert sind, dass viele Freiräume beste-
en, es gibt aber auch Richtlinien, die sehr eng formu-
ert sind und die die oben skizzierten Freiräume nicht
inräumen.
Die Kritiker der Rechtssetzung durch Richtlinien wei-
en darauf hin, dass die nationalen Wahlrechte und
pielräume dazu führen, dass europaweit 27 unter-
chiedliche Regelungen entstehen – 27 Regelungen, in
enen Wahlrechte unterschiedlich wahrgenommen wer-
en, 27 Regelungen, bei denen es gegebenenfalls zu be-
ussten oder unbewussten Umsetzungsfehlern kommt.
ie führen weiter an, dass die Rechtssetzung umso un-
inheitlicher wird, je größer die Wahlrechte und je zahl-
icher die Fehler sind. Eine uneinheitliche Umsetzung
ürde dazu führen, dass Geschäfte in die Länder verla-
ert werden, in denen die Regulierung am schwächsten
t; man nennt dies Regulierungsarbitrage.
Eine Verordnung richtet sich dagegen unmittelbar an
ie nationalen Finanzinstitute; es bedarf keiner Umset-
ung in nationales Recht, mit all den daraus resultieren-
en Schwierigkeiten.
Kritikpunkt an der Umsetzung durch eine Verordnung
t, dass keine weiteren Modifikationen durch nationale
arlamente mehr möglich sind. Eine Berücksichtigung
ationaler Besonderheiten durch die nationalen Parla-
ente ist nicht mehr vorgesehen; sie müssen bereits in
ie Verordnung eingearbeitet werden.
Die Befürworter einer Verordnung führen dagegen an,
ass Institute, die in mehreren europäischen Ländern tä-
g sind, entlastet werden, da Bürokratiekosten für die
efolgung von unterschiedlichen nationalen Regelungen
ntfallen. Rein national und regional tätige Institute ha-
en den Vorteil, dass auch sie von einer gesteigerten
uropaweiten Systemstabilität und einem einheitlichen
ettbewerbsumfeld profitieren.
Sowohl eine Richtlinie als auch eine Verordnung ge-
en einen Rahmen vor. Dieser Rahmen wird dann mit
etailregelungen gefüllt, den sogenannten technischen
tandards. Die Bedeutung dieser technischen Standards
r die praktische Anwendung der neuen Regeln darf
icht unterschätzt werden. Sie sind der Hebel, mit denen
Zweifel Politik gemacht werden kann.
Auf europäischer Ebene werden diese technischen
tandards, deren Erlass als delegierte Rechtsakte sowohl
urch Ermächtigung in einer Verordnung als auch in ei-
er Richtlinie vorgesehen werden kann, von der EBA,
er Europäischen Bankenaufsichtsbehörde, vorgegeben.
ier bestehen erhebliche Defizite, und zwar deswegen,
eil die parlamentarische Kontrolle über die technischen
tandards faktisch sehr eingeschränkt ist; das heißt, Poli-
k wird durch Beamte gestaltet.
Bei der Abwägung, ob eher eine Richtlinie oder eine
erordnung zur Umsetzung von Basel III geeignet ist,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13679
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)(B)
sind diese Vor- und Nachteile zu berücksichtigen. Eine
Richtlinie bietet vermeintlich mehr Spielraum für den
nationalen Gesetzgeber. Letztlich hängt das aber sehr
von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab. So
kann auch eine Richtlinie keinen oder nur sehr wenig
Umsetzungsspielraum lassen. Auf der anderen Seite
kann auch eine Verordnung durchaus Wahlrechte belas-
sen. Das heißt, wenn eine Richtlinie die entscheidenden
Punkte abschließend regelt, kann auch im Rahmen der
Umsetzung durch den Bundestag keine Anpassung an
nationale Besonderheiten mehr erfolgen.
Wesentlich entscheidender als die Form ist daher der
Inhalt. Wir müssen deshalb daran arbeiten, dass alle uns
in Deutschland wichtigen Regelungen und Wahlrechte in
dem europäischen Rechtsakt – sei es eine Verordnung
oder eine Richtlinie – verankert werden. Folgende
Punkte sind dabei besonders wichtig:
Erstens. Wir brauchen eine rechtsformunabhängige
Definition der Eigenkapitalinstrumente, also Prinzipien
für die Zurechnung von Finanzinstrumenten zum auf-
sichtsrechtlichen Eigenkapital unabhängig von der
Rechtsform des jeweiligen Instituts. Dabei darf bei-
spielsweise genossenschaftliches Kapital nicht schlech-
ter gestellt werden als Aktienkapital.
Zweitens. Es ist besorgniserregend, dass auf nationa-
ler, aber insbesondere auf europäischer Ebene der Ge-
setzgeber immer mehr Regelungsinhalte an die Exeku-
tive, an die Verwaltung, im Fall von Basel III an die
EBA delegiert. Denn die technischen Standards im Zu-
sammenhang mit der Umsetzung von Basel III werden
eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Qualität des
Regelwerkes spielen. Die EBA als neugegründete Be-
hörde muss gerade in Deutschland noch viel Vertrauen
aufbauen. Das Vorgehen der EBA bei der Implementie-
rung der Bankenstresstests wurde von wesentlichen
Marktteilnehmern jedenfalls nicht als glücklich empfun-
den.
Drittens. Wir müssen verhindern, dass kleine und
mittlere Privatbanken, Regionalbanken, Sparkassen und
Genossenschaftsbanken vom Umfang der Regulierung
überfordert werden. Es wäre nicht nachvollziehbar,
wenn an die Sparkasse Rietberg der gleiche Maßstab an-
gelegt würde wie an die Deutsche Bank. Gerade kleinere
Institute beklagen in letzter Zeit sehr glaubwürdig, dass
der bürokratische Aufwand der Regulierungsanforderun-
gen in keinem Verhältnis mehr zu ihrer Institutsgröße
und ihrem Institutsrisiko steht. Regulierung darf nicht
dazu führen, dass große Einheiten gegenüber kleinen
Einheiten gestärkt werden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, die Art und
Weise, wie die Aufsicht geführt wird, adäquat zu gestal-
ten. Denn auch im Bereich der nach dem Entwurf durch
Verordnung geregelten Rechtsgebiete wird Raum für
Auslegung bestehen und werden Rundschreiben – wie
bisher – erforderlich sein. Neben den Vorgaben durch die
europäische Rechtssetzung werden daher die Art und
Weise der Kontrolle der Regeln durch BaFin und Bun-
desbank ganz besonders für die kleineren Institute eine
entscheidende Rolle spielen. Hier liegt meines Erachtens
ein wichtiger Hebel für weniger Bürokratie.
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Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Die Frage
Basel III – Richtlinie oder Verordnung?“ bewegt zu
echt viele – gerade kleinere – Kreditinstitute in
eutschland. Die Kommission scheint sehr entschlossen
u sein, den Weg über eine Verordnung zu gehen. Unsere
ositionierung zu dieser Frage wird maßgeblich vom In-
alt des Regelwerkes inklusive der an dem Regelwerk
ängenden technischen Standards abhängen.
Das heißt, jetzt ist die Kommission am Zug: Wir wer-
en den Prozess auf europäischer Ebene sehr genau
eobachten. Der Deutsche Bundestag hat mit dem ge-
einsamen Entschließungsantrag vom 8. Juli 2010 in-
altliche Positionen formuliert. Die Kommission muss
eigen, dass sie es schafft, ein einheitliches Regulie-
ngsniveau zu schaffen und dabei die Besonderheiten
er Bankenmärkte der Mitgliedstaaten zu berücksichti-
en. Der Finanzplatz Deutschland mit all seinen Facet-
n, mit den starken Säulen Genossenschaftsbanken und
parkassen muss sich in der Basel-III-Umsetzung der
ommission wiederfinden. Eine Regulierung zulasten
nserer Finanzwirtschaft darf es nicht geben, weder in
iner Richtlinie noch in einer Verordnung.
Wir sollten daher die Diskussion – auch und gerade
uf europäischer Ebene – insbesondere anhand der In-
alte führen und nicht allein anhand des formalen Rah-
ens.
Zum Abschluss gestatten Sie mir noch eine Anmer-
ung: Beim Studium der Stellungnahmen zu diesem
hema und bei vielen Gesprächen, die ich in dieser Sa-
he geführt habe, ist mir wieder einmal klar geworden,
ie wenig Vertrauen den europäischen Institutionen ent-
egengebracht wird. Wir sollten wirklich einmal die
rage beantworten, woran das liegt. Denn die Tatsache,
ass – ob nun in der Sache gut begründet oder nicht –
arteien, Verbände und Unternehmen eine Richtlinie
rdern, weil sie nicht glauben, dass die EU-Kommis-
ion eine Verordnung vorlegt, die ihnen gerecht wird,
nd damit in Parlament und Rat auch noch durchkommt,
t ein großes Misstrauensvotum gegenüber den europäi-
chen Institutionen.
Hier liegt das eigentliche Problem. Es gilt vorrangig,
ieses Problem zu lösen, bevor die anderen in dieser
ede aufgeworfenen – ebenfalls sehr wichtigen – Fragen
rörtert werden.
Manfred Zöllmer (SPD): Die Europäische Kommis-
ion wird in Kürze Entwürfe für Rechtsakte vorlegen,
it denen sie die Vorschläge des Baseler Ausschusses
r Bankenaufsicht zur Neuregelung der Eigenkapital-
nd Liquiditätsanforderungen für Kreditinstitute – das
ogenannte Basel III – in europäisches Recht umsetzt.
it diesen Neuregelungen sollen Konsequenzen aus den
der Finanzkrise offenbar gewordenen Lücken in der
inanzmarktregulierung gezogen werden.
Die ersten länderübergreifenden Eigenmittelstandards
r Banken, Basel I, sind bereits 1988 verabschiedet
orden. Im Jahr 2004 folgte Basel II, das neue Risikoka-
gorien einführte, aber den großen, international tätigen
13680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
Instituten erlaubte, die jeweiligen Risiken mit eigenen
Modellen zu bewerten und zu gewichten.
Diese Regelung nutzten die Banken aus, um ihre Ei-
genkapitalausstattung anzupassen. Vom Ergebnis hielten
sie in der Folge nicht mehr, sondern weniger Eigenkapi-
tal. Dies geschah offenbar in der Überzeugung, die zur
Umsetzung von Basel II geschaffene Risikomanagement-
infrastruktur mache es möglich, Risiken so zuverlässig zu
erfassen, dass auch eine Bank mit geringerem Eigenkapi-
tal gut geschützt sei.
Die Finanzkrise hat diese Haltung als Illusion ent-
larvt, und deshalb ist es gut, wenn unter anderem an die-
sem Punkt nachjustiert wird.
Der Großteil der geplanten Basel-III-Änderungen soll
nach dem Willen der Europäischen Kommission mittels
einer Verordnung und nicht, wie bisher bei solchen Re-
gelungen üblich, durch eine Richtlinie vorgenommen
werden.
Wir Sozialdemokraten sind davon überzeugt, dass
eine Umsetzung von Basel III durch eine Verordnung
mit großen Nachteilen verbunden wäre. Eine Verord-
nung stellt gemäß Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag unions-
weit unmittelbar geltendes Recht dar – die sogenannte
Verbindlichkeit in allen Teilen. Diese grenzt die Verord-
nung von der Richtlinie ab. Die Verordnung ist gänzlich
geltendes Recht, während die Richtlinie nur hinsichtlich
der Zielbestimmung verbindlich ist. Die Umsetzung der
Zielbestimmung bei Richtlinien bleibt jedem einzelnen
Mitgliedstaat vorbehalten.
Dem Deutschen Bundestag würden somit seine Mit-
wirkungsmöglichkeiten genommen, und nationale Be-
sonderheiten könnten nicht berücksichtigt werden. Eine
Richtlinie eröffnet Spielräume bei der Ausfüllung und
Konkretisierung der europäischen Vorgaben durch die
Mitgliedstaaten, was bei der Bankenregulierung einen
wichtigen Punkt darstellt.
Die Wahl des Rechtsinstrumentes ist insoweit eine
zentrale Weichenstellung, da sie die Beteiligungsmög-
lichkeiten nicht nur hinsichtlich der aktuellen Reform,
sondern auch hinsichtlich der künftigen Regulierungs-
vorhaben bestimmt.
Der Deutsche Bundestag muss die neuen Regelwerke
zu Basel III angesichts ihrer hohen Bedeutung sowohl
für die Kreditwirtschaft als auch für die Unternehmen
und Anleger aktiv mitgestalten können. Eine bloße Be-
gleitung des europäischen Rechtssetzungsprozesses
würde der Verantwortung des Deutschen Bundestages
für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Lan-
des nicht gerecht.
Die Mitwirkung der Parlamente bietet die beste Ge-
währ, dass bei der Anwendung der globalen Basel-III-
Vorschriften den spezifischen Bedingungen der jeweili-
gen Finanzmärkte ausreichend Rechnung getragen wird.
Es steht fest, dass zwischen den Finanzmärkten erheb-
liche Unterschiede bestehen. Für den deutschen Finanz-
markt sind eine langfristige Orientierung, eine bankba-
sierte Unternehmensfinanzierung und ein dezentral
ausgerichtetes mehrgliedriges Bankensystem signifikant.
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Dem stehen Finanzmärkte mit einer kurzfristigen
rientierung, einer kapitalmarktorientierten Finanzie-
ng und einem stärker zentralisierten Bankensystem ge-
enüber.
Eine Umsetzung der Basel-III-Vorschriften ohne
ücksicht auf diese Unterschiede wäre gerade für den
eutschen Bankenmarkt mit seinem hohen Anteil kleiner
nd regionaler Institute nicht angemessen. Es bestünde
ie Gefahr, dass die auf international tätige und kapital-
arktorientierte Bankkonzerne ausgerichteten Vorga-
en die Kreditvergabefähigkeit von Sparkassen und Ge-
ossenschaftsbanken über Gebühr einschränken und so
u einer Verringerung und Verteuerung der Kreditversor-
ung für den Mittelstand führen. Das Ergebnis wäre
icht mehr Wettbewerbsgleichheit, sondern eine Verzer-
ng des Wettbewerbs zulasten vieler deutscher Institute.
Eine effektive Finanzmarktregulierung setzt gleich-
ertige, aber keine uniformen europäischen Vorgaben
r alle Mitgliedstaaten voraus. Es darf keine Regulie-
ngsarbitrage zwischen den Mitgliedstaaten geben.
leichwertige Wettbewerbsbedingungen lassen sich
ber auch bei einer Umsetzung der Basel-III-Vorschrif-
n mittels einer Richtlinie erreichen.
Uniforme Regelungen würden sich auf verschieden
trukturierten Märkten sehr unterschiedlich auswirken.
ie bei einer Richtlinie vorhandenen Entscheidungs-
pielräume ließen es zu, sich den spezifischen Gegeben-
eiten entsprechend anzupassen und dadurch eine wett-
ewerbsneutrale Wirkung zu erreichen. Dabei kann es
ich in bestimmten Fällen als erforderlich erweisen, über
ie europäischen Vorgaben hinaus höhere Standards an-
uwenden. Ein Level Playing Field wäre gesichert.
Hierbei gehen wir davon aus, dass eine in Rede ste-
ende Richtlinie hinsichtlich ihrer Zielsetzung strikt for-
uliert sein muss. Den Mitgliedstaaten muss aber die
ahl der Mittel zu ihrer Umsetzung überlassen bleiben.
Wir fordern daher mit unserem Antrag die Bundesre-
ierung auf, sich gegenüber der Europäischen Kommis-
ion und den Mitgliedstaaten für eine Umsetzung der
asel-III-Vorschriften durch eine Richtlinie einzusetzen;
ei den Beratungen über die Richtlinie für eine Berück-
ichtigung der Besonderheiten des deutschen Finanz-
arktes einzutreten, insbesondere bezüglich der lang-
istigen Finanzierungsorientierung, der bankbasierten
nternehmensfinanzierung und der dezentralen Banken-
truktur; dem Bundestag frühzeitig und regelmäßig über
en Stand der Beratungen auf europäischer Ebene zu be-
chten.
Björn Sänger (FDP): Die uneinheitlichen Auf-
ichtsregelungen und Eigenkapitalvorschriften für Kre-
itinstitute haben die Finanzkrise begünstigt.
Deshalb begrüßt die FDP-Fraktion die vom Baseler
usschuss für Bankenaufsicht vorgesehenen, umfassen-
en Verbesserungen der Finanzmarktregulierung hin-
ichtlich der Anforderungen an Kapital, Liquidität und
everage und spricht sich für eine möglichst zeitnahe
nd effiziente Umsetzung der neugefassten internationa-
n Standards aus.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13681
(A) )
)(B)
Um nun ein möglichst weitreichendes regulatorisches
Umfeld mit denselben Anforderungen an alle zu errei-
chen, müssen die neuen Bankenstandards so einheitlich
wie möglich implementiert werden.
Daher stellt sich die Frage, ob dafür eine EU-Verord-
nung oder eine Richtlinie der optimale Weg wäre. Eine
EU-Verordnung hat sofort rechtsverbindliche Wirkung
in den einzelnen Mitgliedstaaten. Das Ziel einer einheit-
lichen Bankenregulierung hätte man bei abschließenden
Regelungen dann wohl erreicht, aber um den Preis einer
„one size fits all“-Regulierung. Nun ist bekannt, dass das
deutsche Finanzsystem einige Besonderheiten aufweist.
Von verschiedenen Seiten werden Befürchtungen geäu-
ßert, dass die Eigenheiten und Strukturen der Finanzsys-
teme in einzelnen Ländern, besonders in Deutschland, in
einer Verordnung nicht ausreichend Berücksichtigung
finden. Dies lässt sich nicht bestätigen. Im Gegenteil,
eine Verordnung lässt durchaus Raum für eine Anpas-
sung der Vorschriften an nationale Besonderheiten. Au-
ßerdem besteht auch die Möglichkeit, nur einen Teil der
Vorgaben in einer Verordnung umzusetzen. So ist es
grundsätzlich sachgerecht, die unmittelbar an die Insti-
tute gerichteten Bestimmungen für aufsichtsrechtliches
Eigenkapital, Liquidität und Transparenz über eine EU-
weit geltende Verordnung zu regeln. Die an die Mit-
gliedstaaten gerichteten Vorgaben hingegen, etwa hin-
sichtlich nationaler Aufsicht, können über eine EU-
Richtlinie umgesetzt werden.
Die von der EU-Kommission geplante Umsetzung
von Basel III über eine Verordnung statt über eine Richt-
linie erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll. Eine
Verordnung ist die schnellere Lösung, und ein einheitli-
ches Regelwerk liegt im Interesse aller Mitgliedstaaten.
Entscheidend ist, dass bei der Umsetzung die interna-
tionalen Wettbewerbsbedingungen gewahrt bleiben und
Regulierungsarbitrage weitgehend vermieden wird, was
auch die sozialdemokratischen Kollegen in ihrem Antrag
fordern. Es überrascht mich, dass den Kollegen dieses
Wort geläufig ist, und sicherheitshalber möchte ich kurz
die Gelegenheit nutzen, Regulierungsarbitrage einmal zu
erklären. Arbitrage kann man durch Preisunterschiede an
verschiedenen Märkten erzielen. Kauft man beispiels-
weise ein beliebiges Produkt in London, das in Frankfurt
teurer ist, lässt sich ein Gewinn erzielen, wenn man die-
ses Produkt bei Deckung der sonstigen Kosten in Lon-
don kauft und in Frankfurt wieder verkauft.
Gleichermaßen handelt es sich bei Regulierungsarbi-
trage um Geschäfte, deren Teilnehmer von Unterschie-
den in regulatorischen Bestimmungen profitieren. Wenn
Unternehmen beispielsweise nach den in diesem Land
geltenden Vorschriften weniger Steuern zahlen müssen,
bietet dies vielen Unternehmen einen Anreiz, dort die
Geschäfte abzuwickeln. Führt man nun eine auf
Deutschland und wenige europäische Länder be-
schränkte Finanztransaktionsteuer ein, ermöglicht man
Unternehmen Regulierungsarbitrage, die diese Märkte
meiden oder ihre Geschäfte von dort in das nichtbetrof-
fene Ausland verlagern. Ich hoffe, ich konnte den Kolle-
gen damit endlich die Augen öffnen, dass ihre bisherigen
Forderungen nicht gerade sinnvoll sind.
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Aber nun zurück zum Thema Basel-III-Umsetzung.
h möchte an die Adresse der antragstellenden SPD an-
erken: Selbstverständlich muss sichergestellt werden,
ass die Basel-III-Regelungen die Gegebenheiten des
eutschen Bankensektors ausreichend berücksichtigen.
uch wollen wir als christlich-liberale Koalition die
msetzung der Regelungen aktiv mitgestalten.
Der Deutsche Bundestag hat, auf die Initiative der
hristlich-liberalen Koalition und unter Ihrer Mitwir-
ung, schon im Mai 2010 einen Entschließungsantrag zu
asel III verabschiedet, der klar absteckt, welche Ver-
andlungsziele wir seitens der Bundesregierung auf EU-
bene erwarten. Die Verhandlungen beobachten wir nun
ehr genau und warten ab, wie der Entwurf der Capital
equirements Directive IV, den die EU-Kommission bis
nde Juli vorstellen wird, aussieht.
Da wir die von den Sozialdemokraten angesprochene
erantwortung des Deutschen Bundestages für die wirt-
chaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes, für
ie auch die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors nicht
nerheblich ist, sehr ernst nehmen, behalten wir uns na-
rlich vor, dann durch einen neuen Entschließungsan-
ag den Rechtssetzungsprozess in Brüssel zu begleiten
nd gegebenenfalls darauf hinzusteuern, dass die Umset-
ung doch durch eine Richtlinie erfolgt, sollte eine Ver-
rdnung sich nicht als tauglich für den deutschen Markt
rweisen.
Vorher wollen wir nicht über ungelegte Eier grübeln
der über ohnehin – für uns zumindest – Selbstverständ-
ches debattieren und lehnen den Antrag der SPD-Frak-
on ab.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wir debattieren heute
ber Basel III, also neue Eigenkapitalvorschriften für
anken und damit einen Baustein bei der Verhinderung
ünftiger Finanzkrisen. Ein abgestimmtes internationa-
s Vorgehen ist dabei sinnvoll, vor allem um Regulie-
ngsarbitrage zu verhindern. Aber ein abgestimmtes in-
rnationales Vorgehen sollte nicht bedeuten, dass der
aseler Ausschuss für Bankenaufsicht einen Vorschlag
achen kann, der dann weitgehend unverändert von der
U-Kommission in eine Verordnung gegossen wird und
ann ohne weitere Mitsprache des Bundestags und ande-
r nationaler Parlamente nur noch rechtlich umgesetzt
erden kann. Das ist demokratietheoretisch fragwürdig.
afür bräuchte es also einer besonderen Begründung,
ie in diesem Fall nicht gegeben wurde.
Wir wissen, dass Banken wie Lehman Brothers vor
er Krise auf dem Papier gut kapitalisiert waren und
urchaus Eigenkapitalquoten in Höhe von etwa 10 Pro-
ent aufwiesen. Dennoch gab es die Pleite von Lehman
rothers. Basel III allein ist also nur ein Teilbeitrag, um
ine erneute Finanzkrise zu verhindern. Derzeit wird der
indruck erweckt, als ob es bei der ganzen Diskussion
ber Basel III um die Frage der Wettbewerbsgleichheit
Europa ginge. Darum geht es aber gar nicht, sondern
s geht schlicht und einfach darum, Banken sicherer zu
achen. Nun gibt es riesige Regelungsvorschriften für
ie kleinen Volksbanken und Sparkassen, die nie Ursa-
13682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
(A) )
)(B)
che des ganzen Problems gewesen sind, jetzt aber eben
auch unter diesen europäischen Dampfzug geraten.
Die Krise war in Deutschland primär eine Krise der
Privat- und Landesbanken. Nun orientieren sich die Ei-
genkapitalvorschriften nach Basel III am Prototyp sol-
cher Banken. Wegen dieser Grundausrichtung ist abzu-
sehen, dass die Eigenheiten anderer Banktypen nicht
angemessen berücksichtigt werden. Dies schwächt dann
unser dezentralisiertes Bankensystem und schadet wie-
derum unnötigerweise der Systemstabilität.
Wenn wir nun Hinweise bekommen, dass die Staats-
und insbesondere Kommunalfinanzierung durch be-
stimmte Bestandteile von Basel III gefährdet wird, müs-
sen wir diesen nachgehen. Wir sollten ebenfalls regeln
dürfen, wie in Basel III deutsche Besonderheiten wie
stille Einlagen, stille Reserven oder Pfandbriefe behan-
delt werden. Theoretisch ginge dieses natürlich auch
durch Einflussnahme auf die Inhalte einer Verordnung.
Eine Verordnung mit Wahlmöglichkeiten kann mögli-
cherweise sogar mehr Freiräume enthalten als eine eng
gefasste Richtlinie. Solange uns aber kein Entwurf vor-
liegt, haben wir Grund zur Skepsis und halten die Ein-
flussmöglichkeiten des Bundestags bei einer Richtlinie
für größer. Wir sollten jedenfalls nicht davon ausgehen,
dass die Europäische Kommission die Besonderheiten
des dezentralen Bankensystems in Deutschland ausrei-
chend berücksichtigt. Das war in der Vergangenheit
kaum der Fall und ist bei einer EU mit 27 Mitgliedstaa-
ten illusorisch. Deswegen ist für uns der Weg über eine
Richtlinie momentan der deutlich vielversprechendere.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Auch wenn vieles noch nicht überzeugt: Die Basel-III-
Vereinbarungen enthalten wichtige und richtige Be-
schlüsse, die dazu beitragen können, das Finanzsystem
stabiler und widerstandsfähiger als bisher zu machen.
Neben den höheren Kapitalanforderungen gehört hierzu
ganz besonders die Einführung einer Leverage Ratio,
also die risikoungewichtete Begrenzung der Bilanz-
summe in Relation zum harten Eigenkapital einer Bank.
Für uns Grüne gehört die Einführung einer solchen
Leverage Ratio – also einer Schuldenbremse für Banken
– zu den wichtigsten Lektionen aus der Krise: Zum einen
darf es nicht länger so sein, dass Banken mit weniger als
3 Prozent Eigenkapital bezogen auf die Bilanzsumme
wirtschaften. Das ist schlicht viel zu riskant für die Sys-
temstabilität und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
und darf nicht länger praktiziertes Geschäftsmodell von
Banken sein.
Zum anderen: Das bankaufsichtliche Regelwerk, Auf-
seher und die Risikomodelle der Banken haben im Vor-
feld der Krise wesentliche Risiken im System gar nicht
erkannt oder dramatisch unterschätzt, so zum Beispiel
bei den US-Immobiliendarlehen, die trotz minderer Qua-
lität nicht als hochrisikoreiche Investitionen identifiziert
wurden – mit dramatischen und bis heute andauernden
Folgen, wie wir alle wissen. Und heute, in Zeiten einer
sehr ernsten Schuldenkrise in Europa, erleben wir, dass
die aufsichtsrechtliche Einstufung von europäischen
Staatsanleihen als risikolose Investments mit der Wirk-
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chkeit nichts tun hat. Vor diesem Hintergrund ist es da-
it aus unserer Sicht unverantwortlich, darauf zu ver-
auen, dass Risiken in der Zukunft stets und aufs
omma genau gemessen und danach die Eigenkapital-
nterlegung berechnet werden kann. Eine Leverage Ra-
o, wie sie auch der Basel-III-Beschluss vorsieht, verste-
en wir insofern als elementar wichtige sicherheits- und
tabilitätspolitische Ergänzung zum derzeitigen System
er Eigenkapitalunterlegung von Banken.
Doch nach allem, was wir aus Brüssel hören, wird die
U-Kommission auch auf Druck aus Deutschland bei
er Basel-III-Umsetzung darauf verzichten, die Leve-
ge Ratio in verbindliche Finanzmarktregulierung zu
berführen. Das kann und darf nicht sein: Wenn die
unst der Stunde nicht genutzt wird und die Lehren aus
er Krise heute nicht in Gesetzestext gegossen werden,
ann werden wir auch in ferner Zukunft diesen Schritt
icht schaffen und uns gegen mächtige Bankeninteres-
en durchsetzen können.
Auch in anderen Punkten verwässert die EU-Kom-
ission den Basel-III-Beschluss, zum Beispiel bei den
euen Liquiditätsregeln, wie aus diversen Presseberich-
n zu entnehmen war. Wie wir alle wissen, handelt es
ich bei der globalen Finanzmarktkrise auch um eine
ravierende Liquiditätskrise: Die ersten Einschläge der
rise im außerbilanziellen deutschen Landesbankensek-
r im Sommer 2007 zeigten sich im Wesentlichen im
lötzlichen Versiegen von bis dahin nahezu unbegrenzt
erfügbarer kurzfristiger Liquidität. Und nach der Leh-
an-Insolvenz im September 2008 verschwand über
acht die Möglichkeit für sehr viele Banken, sich am In-
rbankenmarkt mit Liquidität eindecken zu können. In-
ofern ist es richtig und wichtig, dass sich der Baseler
ankenausschuss darangesetzt hat, erstmals überhaupt
seiner Geschichte Liquiditätsregeln zu verfassen. Im
etail mag ja an diesen neuen Regeln noch das eine oder
ndere mit guten Argumenten zu diskutieren sein. Was
ber nicht sein kann und darf, ist, dass die EU-Kommis-
ion auch an dieser Stelle Basel III einfach ignoriert und
ich – wie bei der Leverage Ratio – offenhält, ob be-
timmte Liquiditätsregeln überhaupt eines Tages ver-
indlich eingeführt werden.
Auch teile ich die Sorge vieler Finanzminister in Eu-
pa, die sich im Mai an die Kommission wandten und
ahnten, es könne nicht sein, dass die EU-Umsetzung
ls Maximalharmonisierung gestaltet werde, dass es also
ünftig nicht mehr möglich sein solle, in einzelnen Län-
ern höhere Standards in der Bankenregulierung anzu-
enden, als es der EU-Rahmen vorsieht. Für mich ist
lar: Wir brauchen nach unten europaweite Mindeststan-
ards. Aber nach oben muss es auch künftig den Län-
ern möglich sein, härtere Standards durchzusetzen. Für
eutschland beispielsweise wünschte ich mir ein solches
orgehen. Die Schweiz zeigt, dass eben auch national
ach oben ganz erheblich härtere Standards gesetzt wer-
en können, ohne dass daraus Massenabwanderungen
er Finanzinstitute resultieren.
Was kleinere und regional agierende Institute wie
parkassen und Genossenschaftsbanken betrifft, so soll-
n wir darauf achtgeben, sie vor allem mit den bürokra-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13683
(A) (C)
(D)(B)
tischen Anforderungen der EU-Umsetzung von Basel III
nicht zu überfordern. Die in Brüssel verabschiedeten Re-
geln müssen möglich machen, dass Spezifika der jewei-
ligen Bankensysteme berücksichtigt werden, ohne dass
es wie im Vorfeld der Finanzkrise zu einem Regulie-
rungswettbewerb nach unten kommen kann.
Für uns Grüne steht der Inhalt des Kommissionsvor-
schlags zur Basel-III-Umsetzung im Vordergrund und
die Frage, ob an den richtigen Stellen zusätzliche Regeln
national möglich sind und für regional tätige Banken
passende Regelungen gefunden werden können. Danach
sollte sich die gesetzestechnische Frage richten, ob der
Kommissionsvorschlag als Richtlinie oder als Verord-
nung erfolgen sollte. Die SPD entscheidet sich für die
Variante Richtlinie, weil hierin mehr Chancen gesehen
werden, nationale Spezifika durch nationale Gesetzge-
bung zu regeln. Ich tendiere ebenfalls zu dieser Ein-
schätzung. Was aber keinesfalls geschehen darf, ist, dass
alles, was wir aus Brüssel zur Basel-III-Umsetzung der-
zeit hören, immer darauf hinausläuft, Basel III abzu-
schwächen – ob bei der Leverage Ratio, den neuen Li-
quiditätsregeln oder auch der künftigen Hinzurechnung
von stillen Einlagen zum harten Eigenkapital. In diesen
Chor sollten wir nicht einstimmen.
117. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
Anlage 19
Anlage 20
Anlage 21
Anlage 22