Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13615
        (A) )
        )(B)
        deutsche Kraftwerke aufgrund der hohen Standards und senschaften mit all ihren Risiken für viele Generationen.
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Albert Rupprecht (Weiden)
        (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
        über den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes
        zur Änderung des Atomgesetzes und zu den Ab-
        stimmungen zu weiteren Energiegesetzen (Ta-
        gesordnungspunkt 4 und Zusatztagesordnungs-
        punkte 3 und 4)
        Ich respektiere den offensichtlich in der deutschen
        Bevölkerung nach dem Reaktorunglück in Japan vor-
        handenen Wunsch, schneller aus der Kernenergie in
        Deutschland auszusteigen. Ohne Zweifel gibt es bei der
        Kernenergie ein Restrisiko. Dies gilt auch für deutsche
        Anlagen – wenngleich das Eintreten dieses Risikos für
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Ahrendt, Christian FDP 30.06.2011
        Aigner, Ilse CDU/CSU 30.06.2011
        Beck (Bremen),
        Marieluise
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        30.06.2011
        Becker, Dirk SPD 30.06.2011
        Brand, Michael CDU/CSU 30.06.2011
        Dağdelen, Sevim DIE LINKE 30.06.2011
        Dr. Danckert, Peter SPD 30.06.2011
        Dr. Friedrich (Hof),
        Hans-Peter
        CDU/CSU 30.06.2011
        Hardt, Jürgen CDU/CSU 30.06.2011
        Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        30.06.2011
        Höger, Inge DIE LINKE 30.06.2011
        Homburger, Birgit FDP 30.06.2011
        Nietan, Dietmar SPD 30.06.2011
        Nink, Manfred SPD 30.06.2011
        Nord, Thomas DIE LINKE 30.06.2011
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        er Expertise der deutschen Betreiber sehr unwahr-
        cheinlich ist.
        Ich respektiere den mehrheitlichen Wunsch der Be-
        ölkerung und stimme den heute in den Deutschen Bun-
        estag eingebrachten Energiegesetzen zu. Ich stimme zu,
        bwohl ich erhebliche Bedenken habe. Der Wunsch zum
        usstieg muss einhergehen mit erstens der Fähigkeit und
        weitens der Bereitschaft, den Umstieg auch zu schul-
        rn.
        Ich bezweifle, dass die den Gesetzentwürfen zu-
        runde gelegten Maßnahmen den Ausstieg im angestreb-
        n Zeitrahmen ermöglichen. Ich befürchte, dass die
        unschziele mit den Maßnahmen nicht zu erreichen
        ind. So sehe ich zum Beispiel beim Ausbau der Ener-
        iegewinnung aus Wind und Sonne das Speicherpro-
        lem nicht ansatzweise gelöst.
        Ich habe nach vielen Gesprächen mit Bürgerinnen
        nd Bürgern auch nicht den Eindruck, dass die Bevölke-
        ng mehrheitlich bereit ist, die damit verbundenen Be-
        stungen zu tragen: Belastungen durch höhere Kosten,
        urch den Ausbau des Leitungssystems, durch den Bau
        on Windkraftanlagen in ihrer unmittelbaren Nähe usw.
        unktionieren kann der Zeitplan nur, wenn der Wunsch
        um Ausstieg gedeckt ist durch die Fähigkeit zum Um-
        tieg und die Bereitschaft, die Belastungen des Umstiegs
        uch zu tragen.
        Ich befürchte daher, dass der Zeitplan nicht zu halten
        t und im Ergebnis die absurde Situation auftreten kann,
        ass deutsche Kernkraftwerke abgeschaltet werden, der
        hlende Strom aus den Nachbarländern importiert wird
        nd dann auch Strom aus Kernkraftwerken, zum Bei-
        piel aus Tschechien – Temelin – oder Frankreich, nach
        eutschland importiert wird.
        nlage 3
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
        wurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung
        des Atomgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 a)
        Karin Binder (DIE LINKE): Ich stimme dem Drei-
        ehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes nicht
        u.
        Ich stimme dagegen, weil ein zügigerer Ausstieg aus
        er Atomenergie machbar wäre. Da jedoch die Regie-
        ng wirtschaftlichen Interessen der Kraftwerksbetreiber
        bsoluten Vorrang einräumt, werden die Interessen der
        enschen nach Gesundheit, Sicherheit und Nachhaltig-
        eit in den Hintergrund gedrängt. Spätestens mit den Ka-
        strophen von Tschernobyl und Fukushima wurde deut-
        ch, welches Erbe wir nachfolgenden Generationen
        interlassen. Jeder Tag längere Laufzeit für Kernkraft-
        erke verlängert das Risiko und vermehrt die Hinterlas-
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        Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme da-
        gegen, weil die Dreizehnte AtG-Novelle keine Laufzeit-
        verkürzung ist, wenn man den sogenannten rot-grünen
        Atomkonsens zur Basis nimmt. Die Regierungskoalition
        – und mit ihr SPD und Grüne – ziehen keine Konsequen-
        zen aus der Nuklearkatastrophe von Fukushima, denn es
        findet sich im Vergleich zur rot-grünen Regelung von
        2001 keine Verbesserung der Atomgesetzgebung.
        Die Linke im Bundestag fordert den Atomausstieg bis
        Ende 2014. Wie dieser ohne Einschränkungen in der
        Stromversorgung und ohne Strompreisexplosionen mög-
        lich ist, hat sie dezidiert dargestellt und auch mit einer
        Reihe von Anträgen untermauert. Und deshalb stimme
        ich dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomge-
        setzes nicht zu.
        Klaus Brähmig (CDU/CSU): Persönlich habe ich
        meine berechtigten Zweifel an der Geschwindigkeit des
        Atomausstiegs und der praktischen Umsetzung, dennoch
        möchte ich mich als direkt gewählter Bundestagsabge-
        ordneter dem überragenden Wunsch der Menschen in
        unserem Land nicht entziehen. Meine Bedenken bei
        meiner Zustimmung zum Atomausstieg möchte ich im
        Folgenden aber kurz erläutern: Gerade beim Umbau des
        Energienetzes weg vom Atomstrom hin zu alternativen
        Energien der habe ich persönlich große Zweifel, was die
        konkrete Umsetzung anbelangt. Eine große Mehrheit der
        Bevölkerung will nach den Vorfällen in Japan so schnell
        wie möglich aus der Atomenergie aussteigen. Aber der
        Bürger muss sich langfristig damit abfinden, dass die
        von ihm gewünschte Energiewende auch eine hässliche
        Seite hat; denn sie könnte mit einer dramatischen Verän-
        derung des Landschaftsbildes einhergehen. Derzeit dre-
        hen sich mehr als 21 300 Windräder zwischen Passau
        und Westerland. Bei einem Schnellausstieg in den nächs-
        ten zehn Jahren ist eine Verzehnfachung der Windräder
        in Deutschland realistisch. Riesengroße Rotoren werden
        in der Landschaft stehen. Neue Überlandleitungen und
        Bodenkabel werden gebaut bzw. durchs Land verlegt.
        Gleiches gilt für Solaranlagen. Insofern wird schon bald
        der gleiche Bürger, der jetzt den schnellen Ausstieg will,
        häufig sagen: alternative Energien aus der Steckdose ja,
        aber nicht vor meiner Haustür.
        Die Öffentlichkeit muss erst davon überzeugt werden
        und verstehen, dass der Bau von Windkraft-, Biogas-
        und Solarkraftanlagen wesentlich mehr Raum einnimmt
        als Kernkraftwerke. Deshalb rechne ich mit ungeahnten
        Verärgerungswellen von betroffenen Anwohnern und
        Gemeinden. Zudem hängt die Zukunftsfähigkeit von al-
        ternativen Energieträgern davon ab, ob wir schnell Spei-
        cherkapazitäten schaffen können; denn für die Grund-
        lastabsicherung sind sie sonst nicht in dem Maße
        verwertbar. Hier sind noch einige Fragen offen, und ich
        bin mir nicht sicher, ob wir die gewünschte Substitution
        der Grundlast durch alternative Energien in so kurzer
        Zeit schaffen.
        Unabhängig davon stimme ich den Gesetzentwürfen
        auf Drucksachen 17/6246 und 17/6070 zu.
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        Marco Bülow (SPD): Ich begrüße, dass Union und
        DP nach jahrzehntelanger verfehlter Atompolitik sich
        un endlich dazu entschlossen haben, aus dieser Risiko-
        chnologie auszusteigen. Dies erkenne ich als Chance
        r eine wirkliche Energiewende und als Fortschritt in
        er bisherigen Energiedebatte an. Ich verstehe die Posi-
        on meiner Fraktion, die sich trotz aller bleibenden Be-
        enken dazu entschlossen hat, der Gesetzesvorlage zum
        tomausstieg zuzustimmen. Die SPD möchte nicht den
        indruck vermitteln, die späte Einsicht der Regierung zu
        lockieren.
        Nach langer Abwägung und der Auseinandersetzung
        it dem Thema und dem vorliegenden Gesetzentwurf
        soweit dies in der Kürze der parlamentarischen Bera-
        ngszeit überhaupt möglich war – bin ich zu dem
        chluss gekommen, der Regierungsvorlage nicht zu-
        timmen zu können. Das möchte ich in dieser persönli-
        hen Erklärung näher darlegen.
        Es gibt eine Reihe von inhaltlichen und handwerkli-
        hen Einzelpunkten, die ich für bedenklich halte. Ich bin
        or allem fest davon überzeugt, dass man ohne die Ver-
        orgungssicherheit zu gefährden und ohne große
        reisanstiege zu riskieren, früher aussteigen könnte. Ich
        alte es zudem nicht für ratsam, sechs AKW erst in den
        tzten beiden Jahren, 2021 und 2022, des Ausstiegs-
        lans vom Netz zu nehmen. Es gibt weitere Kritikpunkte
        nd Versäumnisse, die aber alle ausreichend in den An-
        ägen meiner Fraktion dargelegt wurden. Es gibt aber
        arüber hinaus drei Hauptkritikpunkte, die für mich be-
        onders zentral sind und die ich hier deshalb darlegen
        öchte:
        Erstens. Der Ausstieg wird nicht durch einen Staats-
        ertrag oder eine Grundgesetzänderung manifestiert.
        ach der plötzlichen Kehrtwende von Union und FDP in
        er Atompolitik und nachdem sich eine Reihe von Politi-
        ern der Regierungsparteien bereits wieder vom Aus-
        tieg distanzieren, kann eine erneute Umpositionierung
        icht ausgeschlossen werden.
        Zweitens. Viele Experten bezweifeln, dass der Aus-
        tiegsvertrag rechtssicher gestaltet wurde. Klagen der
        etreiber könnten demnach milliardenschwere Scha-
        ensersatzforderungen nach sich ziehen. Die Zeitpunkte
        r die Abschaltungen der AKW sind teilweise willkür-
        ch gewählt, und sie berücksichtigen nicht ausreichend
        ie Ergebnisse der Reaktor-Sicherheitskommission.
        onseiten der Regierung wurde kaum auf diese Beden-
        en eingegangen, erst Recht konnten sie nicht ausge-
        umt werden. Dies ist nicht nur nachlässig, sondern un-
        erzeihlich, wenn man den Staatshaushalt nicht noch
        usätzlich und sehenden Auges belasten will.
        Drittens. Auch wenn ein Ausstiegsdatum für jedes
        KW festgelegt wird, kann dies nicht zu Abstrichen bei
        er Sicherheit führen, denn immerhin sechs AKW sollen
        och etwa zehn Jahre laufen. Diese Schwachstelle hätte
        usgeräumt werden können, wenn die Regierung der
        orderung der SPD-Bundestagsfraktion nachgekommen
        äre und endlich das neue Kerntechnische Regelwerk in
        raft setzen und eine unabhängige und umfassendere Si-
        herheitsüberprüfung veranlassen würde. Die Sicherheit
        uss trotz Ausstieg immer an erster Stelle stehen und es
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13617
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        ist nicht akzeptabel, dass dort Kompromisse gemacht
        wurden.
        Wenn man als Abgeordneter sein gutes Recht in An-
        spruch nimmt, eine Gewissensentscheidung zu treffen,
        sollte man diese auch gut begründen können. Sicher sind
        die von mir aufgeführten einzelnen Bedenken schwer-
        wiegend, aber sie bekommen vor allem deshalb eine
        hohe Priorität, weil Unfälle in der Atomenergie verhee-
        rende und unkalkulierbare Folgen haben können. Jedes
        einzelne Jahr, das ein Atomkraftwerk früher vom Netz
        geht, jede Sicherheitsnachrüstung könnten daher einen
        entscheidenden Faktor darstellen.
        Mein letzter wichtiger Kritikpunkt, der dazu führt,
        dass mir eine Zustimmung unmöglich ist, ist die Art und
        Weise, wie das Atomgesetz zustande gekommen ist und
        durchgesetzt wurde. Weil in erster Linie nur die beteilig-
        ten Fachpolitiker die ganze Vorgeschichte direkt miter-
        lebt haben, möchte ich hier die Abläufe und meine Be-
        gründung etwas detaillierter darstellen. Der Bundestag
        und seine Abgeordneten sollten dem Anspruch gerecht
        werden „die zentrale Rolle im politischen Willensbil-
        dungs- und Entscheidungsprozess“ einzunehmen. Genau
        dies habe ich zumindest bei den beiden Entscheidungen
        zur Änderung des Atomgesetzes im letzten Herbst
        – siehe meine persönliche Erklärung im Plenarprotokoll
        17/68 – infrage gestellt. Das Parlament und seine Abge-
        ordneten gelangen durch eine immer schnellere Abfolge
        von umfangreichen Gesetzesvorlagen zunehmend an die
        Belastungsgrenzen. Ist die Zeitnot, mit der wichtige Ge-
        setze mit nachhaltigen Konsequenzen durch das Parla-
        ment gejagt werden, in Einzelfällen eventuell berechtigt,
        gilt dies sicher nicht für die jetzigen Energiegesetze.
        Im Eilverfahren hat die Bundeskanzlerin Angela
        Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima
        zwei unlegitimierte Kommissionen eingesetzt. Dort ka-
        men ohne Zweifel angesehene Fachleute zusammen. Sie
        agierten allerdings ohne gewählte Abgeordnete und in
        einer Zusammensetzung, die willkürlich allein von der
        Kanzlerin festgelegt wurde. Völlig abgekoppelt vom
        Parlament legten diese Kommissionen innerhalb von
        sechs bzw. acht Wochen ihre Berichte und Empfehlun-
        gen vor. In dieser Zeit gab es keinen Austausch zwischen
        den beiden Kommissionen und dem zuständigen Bun-
        destag. Das Parlamentsverfahren wurde in der kürzest-
        möglichen Zeit durchgezogen, obwohl die Vorlage von
        14 Einzelgesetzen nicht nur sehr umfangreich ist, son-
        dern diese auch weitreichende Wirkung entfalten. Wün-
        sche der Opposition nach längerer Beratungszeit, nach
        frühzeitigen Anhörungen, damit daraus resultierende Er-
        kenntnisse überhaupt eine Chance haben, noch im Ge-
        setzesverfahren einbezogen zu werden, wiesen die Re-
        gierungsfraktionen mit Mehrheitsbeschlüssen ab.
        Am Montag, den 6. Juni, beschloss das Kabinett die
        Vorlage zu den Gesetzen, die zu einem Gesamtpaket ge-
        schnürt wurden. Am Mittwoch, den 8. Juni, bekamen die
        Fachpolitiker vom Leiter der Ethikkommission, Klaus
        Töpfer, in etwa 30 Minuten die Ergebnisse der Arbeit
        der Ethikkommission präsentiert. Kaum Zeit für wenige
        Fragen, geschweige denn zum Verarbeiten von Erkennt-
        nissen und Beseitigen von Bedenken. Danach fand eine
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        erkürzte Ausschusssitzung statt, dicht gefolgt von zwei
        nhörungen zum Atom- und zum Erneuerbare-Ener-
        ien-Gesetz – dies alles geballt in zwölf Stunden, anstatt
        ausreichender Zeit verteilt über einen längeren Zeit-
        um. Somit war es kaum möglich, wirklich aufmerksam
        nd sachlich über die Gesetze zu diskutieren. Die Anhö-
        ngen müssen deshalb als reine „Showveranstaltungen“
        ezeichnet werden. Auch hier fehlte wieder die Zeit, re-
        ultierende Erkenntnis noch zu verwerten. Am Donners-
        g, den 8. Juni, erreichen die Gesetze das Plenum in der
        rsten Lesung. Bereits in der darauffolgenden Sitzungs-
        oche werden die Gesetze dann zur Abstimmung ge-
        tellt.
        Nachdem die Vertreter der Länder noch Änderungen
        Verfahren bei den Atomgesetzen bewirken konnten,
        am es im parlamentarischen Verfahren zu keinen sub-
        tanziellen inhaltlichen Veränderungen. Der Gestal-
        ngsanspruch des Bundestages konzentrierte sich aus-
        chließlich auf die Oppositionsfraktionen, die intern
        iskutierten und Änderungsvorschläge formulierten.
        enn aber die Regierungsfraktionen – egal welche Par-
        ien sie gerade bilden – ihren Gestaltungsanspruch, ihre
        igentliche Entscheidungskompetenz aufgeben, halte ich
        ies für äußerst bedenklich.
        Der künstlich erzeugte Zeitdruck und die Kompetenz-
        erlagerung von den Abgeordneten auf unlegitimierte
        ommissionen führen zur Abwertung und Missachtung
        es demokratischen parlamentarischen Verfahrens. Ge-
        ählte demokratische Abgeordnete können und dürfen
        in solches Vorgehen nicht zulassen. Ich jedenfalls kann
        ies nicht akzeptieren und möchte mit einer Zustimmung
        as fragwürdige Vorgehen im Nachhinein nicht legiti-
        ieren.
        Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Ich stimme dage-
        en, weil es noch nie eine sichere Endlagerung des ato-
        aren Mülls gab und auch nicht gibt. Jeder weitere Tag
        rhöht das ungelöste Strahlenproblem. Die Bürgerinitia-
        ve in Lüchow-Dannenberg wird weiter protestieren,
        nd ich werde sie unterstützen. Auch gegen den nächs-
        n Castortransport werden wir protestieren.
        Die nukleare Katastrophe von Fukushima mahnt uns,
        ie Atomkraftwerke abzuschalten, zurückzubauen, und
        war unumkehrbar! Deshalb müssen ein Verbot der
        tomkraftwerke und ein endgültiger Ausstieg ins
        rundgesetz. Bis 2022 bedeutet, weitere elf Jahre die
        ngst vor einer atomaren Katastrophe zu haben. Ich be-
        enne, dass ich Angst vor einem Atomunfall habe, dass
        h Angst habe um meine Kinder und meine Freunde.
        ie werden uns im Bundestag fragen: Warum habt ihr
        as nicht verhindert?
        Die Menschen dürfen nicht dem Profitinteresse der
        ier Energiekonzerne geopfert werden. Jeder Tag län-
        ere Laufzeit eines Atomkraftwerks erhöht die Wahr-
        cheinlichkeit einer atomaren Katastrophe. Verantwor-
        ng bedeutet, nicht für die Profite verantwortlich zu
        ein, sondern für die Gesundheit der Bevölkerung und
        ukünftiger Generationen.
        13618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ich stimme gegen das
        Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes,
        denn allen Mitgliedern des Bundestages ist bewusst,
        dass ein Reaktorunglück nicht völlig ausgeschlossen
        werden kann. Allen ist bewusst, dass die Risiken für die
        Gesundheit und das Leben von Millionen von Menschen
        im Falle eines Unglücks unkalkulierbar sind. Ich halte es
        deshalb für unverantwortlich, den Ausstieg aus der
        Atomenergie über ein Jahrzehnt zu verschleppen und
        Hintertüren offenzuhalten. Das Votum der Menschen in
        Deutschland ist eindeutig. Sie wollen das Ende der
        Atomkraft. Die Politik hat kein Recht, sich darüber hin-
        wegzusetzen.
        Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
        derung des Atomgesetzes nicht zu.
        Annette Groth (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
        weil ich gemeinsam mit der Mehrheit der Menschen in
        Deutschland für einen sofortigen Atomausstieg bin und
        nicht verantworten kann, dass Phillipsburg 2 noch bis
        2019 und Neckarwestheim 2 bis 2022 weiterbetrieben
        werden sollen und damit die Gefahr eines atomaren Un-
        falls für die Menschen in Baden-Württemberg für wei-
        tere elf Jahre gesetzlich festgeschrieben wird. Spätestens
        Fukushima hat gezeigt, dass auch in hochtechnisierten
        Ländern ein Atomunfall jederzeit droht. Auch wird wei-
        terhin jedes Jahr zusätzlicher hochradioaktiver Atom-
        müll produziert, der eine unverantwortliche Hypothek
        für die nächsten Generationen darstellt. Dies ist mit einer
        verantwortbaren Energiepolitik nicht zu vertreten. Des-
        halb stimme ich dem Entwurf eines Dreizehnten Geset-
        zes zur Änderung des Atomgesetzes nicht zu.
        Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ich stimme unter Hint-
        anstellung größter nachfolgender Bedenken dem Gesetz
        zur Änderung des Atomgesetzes, Drucksache 17/6070,
        zu:
        Erstens. Obwohl ich einen schnellstmöglichen unum-
        kehrbaren Ausstieg aus der Kernenergie will, bin ich ge-
        gen das feste Ausstiegsdatum 2022, weil ich befürchte,
        dass der Umbau gegebenenfalls länger dauert und dann
        Strom aus Kernkraftwerken benachbarter Länder wie
        Tschechien oder Frankreich bezogen werden muss.
        Zweitens. Zudem liegen keine genauen Angaben da-
        rüber vor, was der Umstieg in der Energieversorgung
        Verbraucher, Unternehmen und Steuerzahler kostet. Da-
        bei darf insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der
        deutschen Wirtschaft nicht durch stark steigende Strom-
        preise gefährdet werden. Bei Versorgungsproblemen
        muss Sorge getragen werden, dass eine politische Neu-
        bewertung der nationalen Stromversorgung erfolgen
        wird.
        Drittens. Darüber hinaus betrachte ich es als Fehler,
        die Endlagersuche erneut aufzunehmen. In Gorleben
        sind in den zurückliegenden 35 Jahren bereits 1,5 Mil-
        liarden Euro für Erkundungen und Überprüfungen inves-
        tiert worden. Es ist nicht nachvollziehbar, an anderen
        Orten jetzt nochmals von vorn zu beginnen
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        Viertens. Die Kernenergiefrage muss meiner Meinung
        ach im internationalen, zumindest im europäischen und
        icht nur im nationalen Rahmen gelöst werden. Schließ-
        ch sind rund um Deutschland 37 Kernkraftwerke in
        lanung oder im Bau. Falls dort etwas passieren sollte,
        acht die Strahlenbelastung nicht an unseren Grenzen
        alt.
        Die Bundesregierung ist aufgefordert, ihre diesbezüg-
        chen Aktivitäten aufrechtzuhalten und alle Möglichkei-
        n der Einflussnahme zum Ausstieg aus der Kernener-
        ie auch in anderen Ländern zu nutzen.
        Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Ich habe grund-
        ätzlich Verständnis dafür, dass die SPD-Bundestags-
        aktion ihre Unterstützung zum Gesetzentwurf der
        undesregierung zur Änderung des Atomgesetzes signa-
        siert hat. Nach diesem Gesetz würde das Atomkraft-
        erk, AKW, Grafenrheinfeld in meinem Wahlkreis je-
        och erst im Jahr 2015 abgeschaltet. Nach dem
        tomkonsens von Rot-Grün wäre das AKW Grafen-
        einfeld immerhin ein Jahr früher, nämlich 2014, vom
        etz genommen worden.
        Ich kann dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn
        ufgrund der Vorfälle in den Jahren 2010 und 2011 ist es
        icht länger verantwortbar, das AKW Grafenrheinfeld
        eiter zu betreiben. Die bayerische Atomaufsicht hat im
        nschluss an einen bei der Revision 2010 festgestellten
        öglichen Riss an einem Rohr im Primärkreislauf des
        KW Grafenrheinfeld nicht ordnungsgemäß gehandelt.
        s ist unverantwortlich, dass die bayerische Atomauf-
        icht aufgrund ihrer oberflächlichen und dilettantischen
        orgehensweise weiterhin die Verantwortung für das
        KW Grafenrheinfeld hat.
        Deshalb muss Grafenrheinfeld am besten sofort, aber
        uf jeden Fall so bald wie möglich vom Netz. Nach vor-
        egenden seriösen alternativen Berechnungen müsste es
        öglich sein, Grafenrheinfeld sofort abzuschalten. Ein
        bwarten bis Ende 2015 ist der Bevölkerung unter die-
        en Umständen jedenfalls nicht zuzumuten.
        Bei der Revision 2010 wurde festgestellt, dass im
        KW Grafenrheinfeld möglicherweise ein Riss an ei-
        em Rohr im Primärkreislauf vorhanden ist. Dieser Vor-
        ll sollte erst bei der Revision 2012 erneut überprüft
        erden. Der Vorschlag kam von Eon, wurde von der be-
        utachtenden Stelle TÜV Süd befürwortet und die baye-
        sche Atomaufsicht hat sich dem so angeschlossen.
        Das Bundesumweltministerium, BMU, wurde über
        iesen Sachverhalt nicht informiert, weil die oben ge-
        annten Beteiligten der Meinung waren, der Befund sei
        ein meldepflichtiges Ereignis. Das BMU erfuhr bei
        achgesprächen von dem Vorfall, stufte diesen eindeutig
        ls meldepflichtiges Ereignis ein und bestand auf einer
        rdnungsgemäßen Meldung, die aus Sicht des Ministe-
        ums sofort nach der Entdeckung notwendig gewesen
        äre, siehe auch weiter unten. Die Meldung erging dann
        in halbes Jahr nach Feststellung des Risses im Dezem-
        er 2010 an das BMU. Es wurde daraufhin festgelegt,
        ass bereits bei der Revision 2011 und nicht erst 2012
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13619
        (A) )
        )(B)
        das Rohr erneut zu untersuchen und gegebenenfalls aus-
        zutauschen ist.
        Im Bezug auf den Schutz der Bevölkerung hätte die
        bayerische Atomaufsicht bereits im Juni 2010 eine Mel-
        dung an das BMU machen müssen. Die Behörde besteht
        aber noch heute darauf, dass sie dazu nicht verpflichtet
        gewesen sei und auch künftig so weiter verfahren will.
        Der zuständige bayerische Minister Söder erklärte auf
        eine Anfrage aus dem Landtag, ein eventueller Austritt
        von Radioaktivität an diesem Rohr wäre beherrschbar
        gewesen. Wie mir das BMU auf meine Nachfrage er-
        klärte, heißt beherrschbar, dass laut § 49 Strahlenschutz-
        verordnung in der Umgebung des AKW Grafenrheinfeld
        Radioaktivität austreten kann mit einer Körperdosis von
        bis zu 50 Millisievert oder einer Organdosisbelastung bis
        150 Millisievert.
        Minister Söder und die bayerische Atomaufsicht wa-
        ren bereit, die Gesundheit der Bevölkerung zu gefähr-
        den, um dem Kraftwerksbetreiber Unannehmlichkeiten
        zu ersparen. Diese Haltung kann in Bezug auf eine se-
        riöse Gefahrenabwehr unter keinen Umständen akzep-
        tiert werden. Man stelle sich vor, die Polizei würde bei
        der Entschärfung von Bomben aus dem Zweiten Welt-
        krieg auf Evakuierungen verzichten und dies damit be-
        gründen, es sei ja bisher nichts Gravierendes passiert.
        Mein scharfes Urteil über die Arbeitsweise der baye-
        rischen Atomaufsicht habe ich mir nicht aus den Fingern
        gesogen. Es beruht auf den Widersprüchlichkeiten und
        unterschiedlichen Bewertungen des Staatsministeriums
        für Umwelt und Gesundheit, StMUG, und des Bundes-
        ministeriums für Umwelt.
        Die Widersprüchlichkeiten der Antworten des Bayeri-
        schen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit,
        StMUG, und des Bundesministeriums für Umwelt,
        BMU, in Bezug auf den ungeklärten Befund an einer
        Rohrleitung des AKW Grafenrheinfeld während der Re-
        vision 2010 zeige ich im Folgenden auf:
        Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und
        Gesundheit, StMUG
        Quellen: Bayerischer Landtag/16. WP – 16/8066,
        8067, 806B, 8069, 8070, 8072. Fragen der Abgeordne-
        ten Ludwig Hartmann, Simone Tolle, BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN.
        Bayerischer Landtag/16. WP – 16/8206. Schriftliche
        Anfragen des SPD-Abgeordneten Ludwig Wörner.
        Frage:
        Wann wurde das Bundesumweltministerium zum
        ersten Mal durch die Bayerische Atomaufsicht über
        den Befund informiert?
        Antwort:
        Es bestand keine Berichtspflicht gegenüber dem
        BMU, da es sich bei der Ultraschallanzeige nicht
        um ein meldepflichtiges Ereignis gemäß der Atom-
        (C
        (D
        rechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Meldever-
        ordnung des Bundes handelt …
        Frage:
        Welche Argumente begründeten die Entscheidung,
        dass der Befund nicht unter die Kriterien des Punk-
        tes 2.2. (Kriterium N 2.2.1 Zitat: „Schäden, insbe-
        sondere Risse, Verformungen oder Unterschreitun-
        gen von Sollwandstärken …“) der Anlage 1 der
        AtSM (Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten
        und Meldeverordnung) fällt?
        Antwort:
        Der Befund an der Volumenausgleichsleitung des
        KKW Grafenrheinfeld war nicht meldepflichtig,
        weil die Voraussetzungen der Atomrechtlichen
        Sicherheitsbeauftragten und Meldeverordnung
        (AtSMV) nicht gegeben sind. Das gilt bis heute.
        Das Kriterium N 2.2.1 der Anlage 1 der AtSMV ist
        nichterfüllt, weil ein Riss nicht festgestellt wurde
        …
        Frage:
        Wieso hat es die Bayerische Atomaufsicht zugelas-
        sen, dass der Reaktor des Kernkraftwerkes Grafen-
        rheinfeld am Ende der Revision im Juni 2010 wie-
        der hochgefahren werden durfte, obwohl – wie ein
        Vertreter der Staatsregierung in der Sitzung des Um-
        weltausschusses am 27. Januar 2011 einräumte – die
        Ursachen der veränderten Ultraschallanzeige bis
        heute nicht bekannt ist?
        Antwort:
        Das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit
        hat die Ultraschallanzeige an der Volumenaus-
        gleichsleitung im Bereich des Thermoschutzrohres
        des Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld noch bei An-
        lagenstillstand zusammen mit dem TÜV Süd auf
        der Grundlage materialwissenschaftlicher Berech-
        nungen eingehend geprüft und bewertet. Das Er-
        gebnis des TÜV Süd vom 15. Juni 2010 war ein-
        deutig: Die Integrität der Rohrleitung ist voll
        gewährleistet, der Befund ist damit sicherheitstech-
        nisch unbedenklich.
        Der TÜV Süd hat bei seinen Bewertungen alle ge-
        mäß Stand von Wissenschaft und Technik zu be-
        trachtenden Ursachen berücksichtigt. Auch die
        Reaktorsicherheitskommission (RSK) und ihr Aus-
        schuss „Druckführende Komponenten und Werk-
        stoffe“ haben sich mit der Frage der Ursachen be-
        fasst. Das Ergebnis von TÜV Süd und RSK war
        eindeutig: Keine der denkbaren Ursachen stellte die
        Sicherheit der Anlage in Frage.
        Frage:
        Wer traf wann und aufgrund welcher Erkenntnisse
        die Entscheidung, obwohl weitergehende Untersu-
        chungen angeblich den Verdacht auf einen Riss
        nicht erhärten konnten, dass der Befund am 16. De-
        zember doch noch als meldepflichtiges Ereignis an-
        gezeigt wird?
        13620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Antwort:
        Mit der eindeutigen Stellungnahme des TÜV Süd
        vom 15.06.2010 wurde die sicherheitstechnische
        Unbedenklichkeit bestätigt. Der Befund war im
        Juni 2010 nicht meldepflichtig, weil die Vorausset-
        zungen der Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftrag-
        ten- und Meldeverordnung (AtSMV) des Bundes
        nicht erfüllt sind. Das gilt bis heute. Die RSK hat
        einhellig die Integrität des Rohrstücks – wie zuvor
        bereits der TÜV Süd – bestätigt …
        Frage:
        Warum wird als Ereignisdatum der 16.12.2010 um
        17 Uhr gemeldet?
        Antwort:
        Aufgrund der Befassung der RSK am 16.12.2010
        hat der Betreiber „rein vorsorglich“ und „vorläu-
        fig“, also ohne Anerkennung einer Rechtspflicht,
        eine formelle Meldung erstattet. Im vorliegenden
        Fall handelt es sich um eine Meldung der Meldeka-
        tegorie N (Normalmeldung) der INES-Stufe „0“
        (keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Be-
        deutung).
        Frage:
        Warum akzeptiert die Bayerische Atomaufsicht die-
        ses Ereignisdatum, obwohl offensichtlich der Be-
        fund im Juni 2010 festgestellt wurde?
        Antwort:
        Der Befund ist nicht meldepflichtig gemäß der
        Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Mel-
        deverordnung. Das StMUG hat die vorläufige Mel-
        dung des Betreibers entgegengenommen, auch
        wenn es sich nach Überzeugung des StMUG nicht
        um ein meldepflichtiges Ereignis handelt …
        Frage:
        Aufgrund welcher Erkenntnisse kann die Bayeri-
        sche Atomaufsicht jeglichen Zusammenhang des
        Befundes mit dem Lastfolgebetrieb ausschließen?
        Antwort:
        Das KKW Grafenrheinfeld ist für den Lastfolgebe-
        trieb ausgelegt. In die sicherheitstechnischen Über-
        prüfungen ist der Lastfolgebetrieb mit einbezogen
        worden. Eindeutiges Ergebnis: Die Integrität der
        Rohrleitung ist nicht infrage gestellt …
        Bundesministerium für Umwelt, BMU
        Quelle: Deutscher Bundestag/17. WP – 17/5734. Fra-
        gen der SPD-Abgeordneten Frank Hofmann, Marianne
        Schieder, Martin Burkert, Dr. Matthias Miersch,
        Susanne Kastner.
        Frage:
        Welche Ergebnisse hat die aktuelle Revision im
        Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, insbesondere hin-
        sichtlich des möglicherweise schadhaften Thermo-
        schutzrohrs, ergeben?
        (C
        (D
        Antwort:
        Im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld wurde während
        der Revision im Sommer 2010 bei einer Ultra-
        schalluntersuchung an der Volumenausgleichslei-
        tung ein im Sinne des kerntechnischen Regelwerks
        bewertungspflichtiger Befund festgestellt. Auf-
        grund dieser Untersuchung war ein Riss von bis zu
        2,7 mm auf einer Länge von 33 cm (30 Prozent des
        Umfangs) anzunehmen.
        Dem Betreiber des Kernkraftwerkes wurde aufer-
        legt, bis März 2011 die Schadensursache und den
        Schadensmechanismus plausibel und nachvollzieh-
        bar darzulegen und den spezifikationsgerechten Zu-
        stand herzustellen.
        Am 6. April 2011 wurde in der 109. Sitzung des
        Ausschusses der Reaktor-Sicherheitskommission
        (RSK) „Druckführende Komponenten und Werk-
        stoffe“ in einem Bericht des Betreibers mitgeteilt,
        dass sich die Messergebnisse und die Befundlage
        nach erneuter Prüfung mittels Ultraschall seit der
        letzten Messung in der Revision 2010 nicht verän-
        dert haben. Die Schadensursache konnte nicht ge-
        klärt werden, so dass nunmehr ein Heraustrennen
        des befundbehafteten Bereichs zu weiteren Unter-
        suchungen erforderlich wurde.
        Frage:
        Ist es richtig, dass eine Risswachstumsberechnung
        nach dem Stand von Wissenschaft und Technik be-
        lastbar nur durchgeführt werden kann, wenn der
        Schädigungsmechanismus bekannt ist, und falls ja,
        um welche Art von Schadensmechanismus handelt
        es sich?
        Antwort:
        Zur Durchführung einer Risswachstumsberechnung
        ist die Kenntnis aller auf die Komponente wirken-
        den Einwirkungen, deren Häufigkeit, Art, Größe,
        Temperatur, Medium, Werkstoff, Fertigung, Maß-
        abweichungen sowie die Kenntnis über den zu un-
        terstellenden Schädigungsmechanismus erforder-
        lich. Die Schadensursache ist bisher nicht bekannt.
        Nach dem inzwischen erfolgten Heraustrennen des
        befundbehafteten Bereichs zu weiteren Untersu-
        chungen während der aktuellen Revision und nach
        den zerstörenden Materialuntersuchungen in dafür
        geeigneten heißen Zellen ist Mitte 2011 mit ersten
        Ergebnissen bezüglich des Schädigungsmechanis-
        mus zu rechnen.
        Frage:
        Welche Unterlagen lagen der Reaktor-Sicherheits-
        kommission in der Sitzung am 16. Dezember 2010
        zur Beurteilung des Schadensmechanismus in der
        Volumenausgleichsleitung vor, und wurde den
        RSK-Mitgliedern insbesondere das einschlägige
        Schreiben des TÜV Bayern zur Verfügung gestellt?
        Antwort:
        In der RSK-Sitzung am 16. Dezember 2010 hat der
        Vorsitzende des RSK-Ausschusses „Druckfüh-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13621
        (A) )
        )(B)
        rende Komponenten und Werkstoffe“ unter dem Ta-
        gesordnungspunkt Verschiedenes über die voraus-
        gegangenen Beratungen in diesem Ausschuss
        berichtet. Die Gutachten des TÜV Bayern lagen
        dem RSK-Ausschuss vor. Die RSK hat keine Beur-
        teilung des Schadensmechanismus vorgenommen,
        sondern es wurde ein Meinungsbild darüber abge-
        fragt, ob ein sicherer Betrieb der Anlage bis zur an-
        stehenden Revision im März 2011 mit der darge-
        stellten Befundlage gewährleistet sein wird. Hierzu
        empfahl die RSK, im Zuge der nächsten anstehen-
        den Revision im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld
        Ende März 2011 den in Frage stehenden Quer-
        schnitt erneut gezielt zerstörungsfrei zu prüfen und
        die Schadensursache zu ermitteln.
        Frage:
        Ist das Ereignis im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld
        vom Juni 2010 ein nach der Meldeverordnung mel-
        depflichtiges Ereignis oder wurde es erst durch die
        Beratung in der Reaktor-Sicherheitskommission
        meldepflichtig?
        Antwort:
        Der Befund an der Volumenausgleichsleitung, der
        während der Revision 2010 festgestellt wurde, war
        nach Auffassung des BMU gemäß Meldeverord-
        nung mit einer vorläufigen Meldung (Ereignisursa-
        che ist noch unbekannt) meldepflichtig. Nach den
        Beratungen in der Reaktorsicherheitskommission
        – 16.12.2010 –
        hat der Betreiber eine Meldung abgegeben.
        Frage:
        Handelt es sich bei der Befundanzeige am Rohr im
        Primärkreislauf des Atomkraftwerks Grafenrhein-
        feld um eine registrierpflichtige oder nicht regis-
        trierpflichtige Anzeige, und wie lang ist dieser Be-
        fund bzw. erstreckt er sich über den gesamten
        Umfang des Rohres?
        Antwort:
        Im Rahmen der wiederkehrenden Prüfung wurde in
        der Revision 2010 der Verrundungsbereich des
        Thermoschutzrohres am Anschluss der Volumen-
        ausgleichsleitung an die Hauptkühlmittelleitung ei-
        ner mechanisierten Ultraschallprüfung unterzogen.
        Bei der Prüfung wurde eine bewertungspflichtige
        Anzeige festgestellt. Die Anzeige befindet sich am
        oberen Ende der Verrundung … Die Anzeige ist
        über ihre Echohöhe registrierpflichtig und wird auf-
        grund ihrer Ausdehnung bewertungspflichtig.
        Frage:
        Wie ist die Steigerung des Befundes an einem Rohr
        im Primärkreislauf des Kernkraftwerks Grafen-
        rheinfeld von 2001 bis 2010 mit den vom TÜV
        Bayern durchgeführten Berechnungen, insbeson-
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        dere im Hinblick auf die in der Anlage tatsächlich
        stattgefundenen Lastwechsel, erklärbar?
        Antwort:
        In der Revision 2010 wurde im Rahmen der wieder-
        kehrenden zerstörungsfreien Prüfung im Vergleich
        mit der Prüfung im Jahr 2001 eine veränderte An-
        zeige, die als Befund zu bewerten ist, festgestellt.
        Mit den bisher dokumentierten Lastwechselzahlen
        ist die Veränderung der Anzeige ohne Ermittlung
        der Schadenursache nicht erklärbar.
        Frage:
        Hat der TÜV Bayern bei seinen Risswachstumsbe-
        rechnungen die nach dem Stand von Wissenschaft
        und Technik zu unterstellenden Auslegungsstörfälle
        berücksichtigt, und wurde bei der Risswachstums-
        berechnung auch berücksichtigt, dass das Werk-
        stoffverhalten auch durch das Medium Kühlwasser
        mit ca. 310 Grad Celsius beeinflusst wird?
        Antwort:
        Der TÜV Bayern hat bei seinen Risswachstumsbe-
        rechnungen die Auswertungen der tatsächlichen
        Temperaturschwankungen und die maximal maß-
        geblichen Belastungen durch Auslegungsstörfälle
        sowie für Volllast und Flugzeugabsturz konservativ
        – das heißt sicherheitsgerichtet –
        berücksichtigt.
        Andrej Hunko (DIE LINKE): Ich stimme aus folgen-
        en Gründen gegen diesen Gesetzentwurf der Bundesre-
        ierung:
        Erstens. Die Verschiebung des Atomausstieges auf
        as Jahr 2022 ist wissenschaftlich nicht begründbar. Ein
        tomausstieg wäre erheblich früher möglich, wie zahl-
        iche Gutachten bestätigen. Es geht hierbei offensicht-
        ch darum, den Ausstieg für die vier großen Energie-
        onzerne rentabel zu machen.
        Zweitens. Die Bundesregierung verzichtet darauf, das
        erbot der industriellen und militärischen Nutzung der
        tomenergie ins Grundgesetz aufzunehmen und damit
        ine künftige Wiederaufnahme der Nutzung der Atom-
        nergie zumindest erheblich zu erschweren. Damit
        önnte – ähnlich wie beim von der SPD und Grünen ver-
        bschiedeten Atomgesetz aus dem Jahre 2001 – der Aus-
        tieg aus dem Ausstieg mit einfacher Mehrheit im Bun-
        estag beschlossen werden.
        Drittens. Die Bundesregierung verzichtet auch darauf,
        ternationale Initiativen zu starten, die auf einen welt-
        eiten Ausstieg aus der Atomenergie zielen. Insbeson-
        ere verzichtet sie darauf, auf die Auflösung und den
        usstieg aus dem EURATOM-Vertrag hinzuarbeiten,
        er die milliardenschwere Förderung der Atomenergie
        ber die EU festschreibt. Atomare Strahlung macht aber
        icht an nationalen Grenzen halt.
        All das ist aus meiner Sicht nicht verantwortbar; des-
        alb stimme ich gegen den Gesetzentwurf der Bundesre-
        ierung.
        13622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Der 11. März 2011 wird in die Geschichte der
        Menschheit eingehen. Nach dem verheerenden Erdbe-
        ben und Tsunami in Japan hat in dem Atomkraftwerk
        Fukushima ein nuklearer Super-GAU stattgefunden.
        Dieses Ereignis hat die ganze Welt bewegt. Auch mich
        hat dies tief betroffen gemacht. Wie ganz viele Men-
        schen war ich voller Traurigkeit und großer Sorge. Mit
        meinen Gedanken bin ich bei den Menschen in Japan,
        wo die nukleare Katastrophe weiter anhält und Hundert-
        tausende Menschen noch Jahrzehnte von den tödlichen
        Konsequenzen betroffen sein werden.
        Als der Atomreaktor in Tschernobyl 1986 explo-
        dierte, war ich gerade mal ein Jahr alt. Jetzt bin ich mitt-
        lerweile 26 Jahre alt, und während meines Lebens haben
        sich zwei Super-GAUs ereignet. Das sogenannte Rest-
        risiko ist leider verdammt real. Die Wahnsinnstechnolo-
        gie Atomkraft ist nicht beherrschbar. Die Konsequenz
        25 Jahre nach Tschernobyl und im Jahr von Fukushima
        kann nur lauten: Atomkraft endgültig und so schnell wie
        möglich abschalten!
        Dafür habe ich mit Hunderttausenden Menschen in
        der Bundesrepublik Deutschland auf den Straßen de-
        monstriert: bei den Mahnwachen vor dem Kanzlerinnen-
        amt in Berlin, bei der Umzingelung des Atomkraftwer-
        kes Grohnde, bei der Großdemonstration in Hannover.
        Der 28. Oktober 2010 – an dem hat die schwarz-gelbe
        Koalition die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke
        durch das Parlament gebracht – war für mich bisher der
        schwärzeste Tag als Bundestagsabgeordneter. Deswegen
        freue ich mich ausdrücklich, dass nun mit dieser vorlie-
        genden Dreizehnten Novelle des Atomgesetzes, AtG, die
        sieben ältesten Schrottreaktoren und der Pannenreaktor
        Krümmel abgeschaltet werden und die verheerende
        schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung zurückgenommen
        wird. Das ist ein großer Erfolg.
        Diese Atomgesetz-Novelle der schwarz-gelben Bun-
        desregierung zieht meines Erachtens aber nicht alle not-
        wendigen Lehren und Konsequenzen aus dem katastro-
        phalen Super-GAU in Fukushima. Die letzten sechs
        Atomkraftwerke sollen erst in über zehn Jahren, am
        31. Dezember 2021 bzw. am 31. Dezember 2022, abge-
        schaltet werden. Nach Fukushima ist es aus meiner Sicht
        geboten, so schnell wie nur irgendwie machbar aus der
        tödlichen Gefahr Atomkraft auszusteigen. Dass diese
        Lehre aus dem Super-GAU in Japan gezogen wurde,
        kann ich bei den festgelegten Laufzeiten nicht erkennen.
        Technisch und rechtlich wäre eine Abschaltung aller
        Atomkraftwerke in Deutschland schon deutlich vor 2022
        möglich. Deswegen werde ich mit aller Kraft mit den
        Umweltverbänden, der Antiatombewegung und vielen
        Zehntausenden Bürgerinnen und Bürgern für einen deut-
        lich schnelleren Atomausstieg kämpfen.
        Das Atomkraftwerk Grohnde in meiner Region, rund
        40 Kilometer von meinem Zuhause entfernt, soll noch
        mehr als zehn Jahre, bis zum 31. Dezember 2021, am
        Netz bleiben. Damit würde der Meiler insgesamt
        37 Jahre in Betrieb sein. Je länger ein Atomkraftwerk
        läuft, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Unfäl-
        len. Das AKW Grohnde ist mit 223 meldepflichtigen
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        wischenfällen seit Inbetriebnahme sehr störanfällig. Si-
        herheitsverschärfungen für die am Netz bleibenden
        KW sind nach der Dreizehnten AtG-Novelle nicht vor-
        esehen. Nicht einmal die schwarz-gelben Sicherheits-
        ufweichungen aus dem Herbst 2010 sollen zurückge-
        ommen werden. § 7 d des Atomgesetzes führt weiterhin
        u einer Absenkung des Sicherheitsstandards für Atom-
        raftwerke. Dass es nach Fukushima weiterhin Rabatt
        ei der Sicherheit für Atomkraftwerke gibt, ist für mich
        öllig unverständlich. Meine Fraktion klagt deswegen
        egen den § 7 d vor dem Bundesverfassungsgericht.
        Bei der Bewertung der vorliegenden AtG-Novelle ist
        udem für mich die Endlagerung des nuklearen Mülls
        ine entscheidende Frage. Hier gibt es bisher überhaupt
        einen Fortschritt. Gemeinsam mit vielen Freundinnen
        nd Freunden aus dem Wendland wehre ich mich seit
        ielen Jahren dagegen, dass in Gorleben weiter Fakten
        eschaffen werden und ein ungeeigneter Endlagerstand-
        rt zementiert wird. Aus diesem Grund habe ich auch
        eit vielen Jahren gegen die Castortransporte im Wend-
        nd auf der Straße und der Schiene, auf Sitzblockaden
        nd Demonstrationen friedlich und entschlossen protes-
        ert. Der Salzstock Gorleben ist geologisch ungeeignet,
        olitisch verbrannt und gehört endgültig aufgegeben.
        ie schwarz-gelbe Bundesregierung hat 2010 das Mora-
        rium für eine Erkundung aufgehoben. Bundeskanzle-
        n Angela Merkel und Norbert Röttgen haben am
        . Juni 2011 in der Debatte zur Atom- und Energiepolitik
        ngekündigt, „ergebnisoffen“ in Gorleben weiter erkun-
        en zu wollen. Das heißt übersetzt: Der Schwarzbau in
        orleben soll einfach so weitergehen. Dagegen wehren
        ich zu Recht die Menschen im Wendland und Tausende
        tomkraftgegner und -gegnerinnen. Absolut notwendig
        äre stattdessen ein Baustopp in Gorleben, die Strei-
        hung der Enteignungsklausel, „Lex Bernstorff“, aus
        em Atomgesetz und eine neue bundesweite ergebnisof-
        ne, vergleichende Endlagersuche mit umfangreicher
        ürgerbeteiligung nach den wissenschaftlichen Kriterien
        es AK End. Gorleben kann genauso wenig Standort im
        ergleichsverfahren werden, wie die gescheiterten
        tandorte Asse und Morsleben solchen Kriterien stand-
        ehalten hätten. Gorleben soll leben, nicht strahlen.
        Ich habe über die Entscheidung über mein Abstim-
        ungsverhalten zu der Dreizehnten AtG-Novelle sehr
        nge nachgedacht und persönlich stark mit mir gerun-
        en. Der Beschluss der außerordentlichen Bundesdele-
        iertenkonferenz meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen,
        er AtG-Novelle trotz substanzieller Kritik zuzustim-
        en, war für mich dabei eine sehr entscheidende Grund-
        ge. Trotzdem ist das eine äußerst schwierige Situation
        nd stellt für mich ein Dilemma dar. Ich kritisiere wei-
        rhin scharf, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung
        ach dem Super-GAU in Fukushima nicht den schnellst-
        öglichen Atomausstieg vollziehen will, es keine Ver-
        esserungen bei der Sicherheit gibt, in Gorleben weiter
        chwarz gebaut wird und die Urananreicherungsanlage
        Gronau und die Brennelementeproduktion in Lingen
        eiter betrieben werden sollen. Doch auch wenn das
        tomgesetz bei diesen Punkten weiter völlig unzurei-
        hend bleibt, muss ich mich zu der konkret vorliegenden
        reizehnten AtG-Novelle verhalten. Diese sieht die Ab-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13623
        (A) )
        )(B)
        schaltung von acht alten Schrottreaktoren vor und nimmt
        die Laufzeitverlängerung aus dem Herbst 2010 zurück.
        Für diese deutliche Verbesserung des Status quo werde
        ich insgesamt nach einer langen, intensiven Gesamtab-
        wägung mit Ja stimmen. Das ist ein wichtiger Schritt auf
        dem Weg zum Atomausstieg, der Kampf geht jedoch un-
        vermindert weiter: gegen Castortransporte und ein End-
        lager Gorleben, für massive Sicherheitsverschärfungen
        und für einen schnellen Atomausstieg, nicht nur in
        Deutschland, sondern weltweit.
        Harald Koch (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
        weil man beim Atomausstieg keine Hintertüren geöffnet
        lassen darf und er eben nicht erst 2022, sondern schon
        2014 erfolgen muss und auch kann. Jeder zusätzliche
        Tag setzt die Menschen unnötigen Risiken aus; die
        Amortisation für die Energieriesen darf nicht länger im
        Vordergrund stehen. Um den Atomausstieg unumkehr-
        bar zu machen, fordere ich eine Aufnahme des Verbots
        der Atomstromnutzung ins Grundgesetz. Die Ener-
        giewende muss sozial ausgewogen sein; dazu dienen
        Strompreisregulierung und Stromsozialtarife.
        Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
        derung des Atomgesetzes nicht zu.
        Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist die
        Atomkatastrophe in Fukushima, die die Wende in der
        Atompolitik der schwarz-gelben Koalition herbeigeführt
        hat. Deutschland beginnt heute mit dem endgültigen
        Ausstieg aus dieser unbeherrschbaren Risikotechnolo-
        gie. Dieses Signal ist auch international von großer Be-
        deutung. Es ist ein historischer Sieg der vielen Men-
        schen in der Anti-AKW-Bewegung, der Umweltverbän-
        de und von Bündnis 90/Die Grünen. Dieses Signal zu
        verstärken, ist meine Absicht. Aus diesem Grund stimme
        ich für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än-
        derung des Atomgesetzes.
        Dennoch fällt diese Entscheidung nicht leichten Her-
        zens. Denn der vorgelegte Plan ist nicht der schnellst-
        mögliche Ausstieg, sondern ein Kompromiss auf dem
        Weg dahin. Ein Ausstiegsdatum zum Jahr 2017 ist mei-
        ner Überzeugung nach möglich und hätte technisch
        durchgesetzt werden können. Meine Positionen, unter
        anderem zu Fragen der Sicherheit, zu den Hermesbürg-
        schaften, zu Gorleben oder zu Gronau, zur Verankerung
        im Grundgesetz, sind nicht im Gesetz aufgegriffen.
        Doch die vielen persönlichen Debatten, auch in der grü-
        nen Partei, zeigen, dass diesem Etappensieg im Rahmen
        des Atomgesetzes zugestimmt werden kann.
        Dem Ausstieg auf der einen Seite muss jetzt der Um-
        stieg auf die erneuerbaren Energien gegenüberstehen.
        Doch das Energiepaket der Bundesregierung überzeugt
        in weiten Teilen ganz und gar nicht. Dies ist fahrlässig
        und verantwortungslos. Daher werde ich der Überarbei-
        tung der Energiegesetze nicht zustimmen. Hier geht der
        Kampf weiter.
        Die Geschichte der Atompolitik in Deutschland ist
        nicht zu Ende. Sie vollzieht sich aber jetzt unter andere
        Vorzeichen. Diese Zäsur ist auch international von größ-
        ter Bedeutung. Das ist mir sehr wichtig.
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        In Frankreich, den Niederlanden, Polen, Spanien,
        ustralien und vielen anderen Ländern wird die heutige
        ntscheidung des Bundestages als eine historische Ent-
        cheidung mit enormer Signalwirkung wahrgenommen.
        iele Menschen dort, die in den Bewegungen arbeiten,
        eben uns die Rückmeldung, dass es sie in ihrer Arbeit
        nterstützen würde, wenn ein breiter Konsens zwischen
        llen Parteien in Deutschland für den Ausstieg besteht.
        Leider wird in der Debatte über Atomkraft und die
        ndlagerung oft vergessen, wo die Büchse der Pandora
        eöffnet wird. Schon der Abbau von Uran geschieht un-
        r Missachtung von Menschenrechten, mit tödlicher
        efährdung für die Gesundheit und unter extremer Be-
        stung der Natur. Die ökologischen und ökonomischen
        osten dafür werden anderen Ländern, insbesondere in-
        igenen Völkern, aufgebürdet. Schon beim Uranabbau
        ntlarvt sich das Märchen von der sauberen Energie
        tomkraft als Lüge. Damit muss Schluss sein.
        Der Kampf geht weiter. Jetzt muss der Atomausstieg
        ternational werden. Mit dem Umstieg auf erneuerbare
        nergien muss gezeigt werden, dass wir Alternativen ha-
        en.
        Jutta Krellmann (DIE LINKE): Ich stimme dage-
        en, weil ein Atomausstieg wesentlich schneller möglich
        nd nötig ist, die Bundesregierung aber die vorgelegten
        usstiegsszenarien mit früheren Zeitpunkten nicht zur
        enntnis nimmt. Die Linke fordert den Atomausstieg bis
        nde 2014. Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz
        ur Änderung des Atomgesetzes nicht zu.
        Hilde Mattheis (SPD): Der von der Bundesregierung
        nd den Regierungsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf
        ur Stilllegung von Atomkraftwerken in Deutschland ist
        nzureichend. Dem Gesetzentwurf kann ich nur deshalb
        ustimmen, weil die Fraktion der SPD zeitgleich einen
        ntrag einbringt, in dem die Unzulänglichkeiten der
        undesregierung benannt werden und der eine Perspek-
        ve für einen weiter gehenden Atomausstieg benennt.
        Das Dreizehnte Änderungsgesetz zum Atomgesetz
        ieht vor, dass ein Großteil der Siedewasserreaktoren,
        WR, in Deutschland mit sofortiger Wirkung vom Netz
        ehen soll. Nur zwei der risikoreichen Reaktoren sollen
        ach dem Willen der Bundesregierung bis Ende 2017
        zw. Ende 2021 am Netz bleiben: die Meiler Gundrem-
        ingen B und C.
        Von Siedewasserreaktoren geht unbestritten ein noch
        öheres Sicherheitsrisiko aus als von Druckwasserreak-
        ren. Sie haben nur einen Hauptkreislauf; der Dampf
        elangt von den Brennelementen unmittelbar zum Gene-
        tor im Maschinenhaus. Dabei wird eine stärkere Ra-
        ioaktivität freigesetzt als bei Druckwasserreaktoren.
        uch die Abklingbecken der Siedewasserreaktoren sind
        eutlich ungeschützter als in Druckwasserreaktoren, da
        ie sich außerhalb des Reaktorsicherheitsbehälters befin-
        en. Bei einer Explosion lägen sie ungekühlt völlig frei,
        ie das beim Reaktor 4 in Fukushima passiert ist.
        Es wäre geboten, alle Siedewasserreaktoren in
        eutschland abzuschalten. Stattdessen sollen sie nach
        13624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        den Plänen der Bundesregierung noch bis 2017 bzw.
        2021 und damit bis zu sechs Jahre länger laufen als im
        Jahr 2001 bereits beschlossen. Das ist unverantwortlich
        und nicht nachvollziehbar. Deshalb plädiere ich dafür,
        beide Reaktoren in Gundremmingen sofort vom Netz zu
        nehmen.
        Meine Fraktion macht in ihrem Antrag „Die Ener-
        giewende zukunftsfähig gestalten“ – Drucksache 17/6292 –
        deutlich, dass eine Beschleunigung des Atomausstiegs
        nötig und möglich ist. Die Ethik-Kommission hat dazu
        den Vorschlag eines jährlichen Monitorings vorgelegt.
        Ich bin überzeugt: Nur eine Energieversorgung, bei der
        erneuerbare Energien dominieren, stellt eine wirkliche
        Energiewende dar. Deshalb ist die Maxime der Bundes-
        regierung, sich auf den Maximallaufzeiten auszuruhen,
        falsch. Stattdessen ist jährlich zu prüfen, inwieweit die
        noch laufenden Atomkraftwerke überhaupt zur Versor-
        gung erforderlieh sind, und ob der Atomausstieg be-
        schleunigt werden kann. Die Abschaltung der Reaktoren
        Gundremmingen B und C muss angesichts des von ihnen
        ausgehenden Sicherheitsrisikos dabei oberste Priorität
        haben. Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen.
        Jenseits des verantwortungslosen Umgangs der Bun-
        desregierung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern
        bin ich der Überzeugung, dass die Stilllegung alter Mei-
        ler und die Rücknahme der Laufzeitverlängerung in ei-
        nem ersten Schritt notwendig sind.
        Dorothee Menzner (DIE LINKE): Ich stimme dage-
        gen, weil in meiner Region in Niedersachsen schon jetzt
        Tausende Tonnen hochradioaktiven Atommülls lagern.
        Die Asse verseucht die Umwelt, das Endlager Morsle-
        ben droht einzustürzen. Der Salzstock Gorleben und der
        Schacht Konrad sind völlig ungeeignet zur sicheren La-
        gerung von Atommüll. Jährliche Atommülltransporte
        durch Niedersachsen machen ein normales Leben na-
        hezu unmöglich. Daher muss die Produktion von weite-
        rem Atommüll schnellstmöglich beendet werden. Mit
        Verabschiedung der vorliegenden Gesetzesnovelle wird
        hingegen die Grundlage für weitere Tausende Tonnen
        Atommüll geschaffen.
        Deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
        derung des Atomgesetzes nicht zu.
        Cornelia Möhring (DIE LINKE): Ich stimme gegen
        die Gesetzesnovelle der Bundesregierung zum Atomge-
        setz, weil sie in der Praxis keine Laufzeitverkürzung der
        Atomkraftwerke beinhaltet, sondern vielmehr eine ge-
        setzliche Laufzeitgarantie bedeutet, weil kein unumkehr-
        barer Ausstieg aus der Atomkraft stattfindet und die
        Bundesregierung die Bevölkerung nicht sofort vor den
        unkontrollierbaren Gefahren atomarer Strahlung schützt,
        wie es die Linke fordert.
        Das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgeset-
        zes zieht keine ausreichenden Schlussfolgerungen aus
        der Katastrophe von Fukushima, und deshalb stimme ich
        ihm nicht zu.
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        Yvonne Ploetz (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
        eil der vorliegende Gesetzentwurf, der den Ausstieg
        us der Atomenergie erst im Jahre 2022 vorsieht, eine
        nverantwortliche Verlängerung des atomaren Restrisi-
        os um mindestens weitere elf Jahre darstellt. Offen-
        ichtlich haben alle Parteien außer der Linken das Risiko
        er Kernenergie für Mensch und Umwelt immer noch
        icht ausreichend begriffen – und das trotz der verhee-
        nden Katastrophe in Fukushima. Als saarländische
        bgeordnete ist mir die Gefahr, die von der Atomener-
        ie ausgeht, ständig präsent, da sich das Saarland in di-
        kter Umgebung des französischen Meilers Cattenom
        efindet. Die Befürchtungen teilen mit mir unzählige
        aarländerinnnen und Saarländer. Der Widerstand der
        renzübergreifenden Bürgerinitiative des Dreiländerecks
        aarLorLux „Cattenom non merci“ wird so lange weiter
        eführt, bis das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet ist.
        icht die Ankündigung des Ausstieges, sondern nur die
        ahl der endgültig abgeschalteten AKW zählt.
        Der Gesetzentwurf ist zudem kritikwürdig, da der an-
        eblich festgeschriebene Ausstieg nicht wie bei einer
        rundgesetzverankerung unumkehrbar ist, sondern durch
        de neue Regierungsmehrheit zurückgenommen werden
        ann. Es liegen mindestens drei Bundestagswahlen zwi-
        chen der heutigen Entscheidung und dem Jahr 2022,
        em heute noch anvisierten Ausstiegsjahr. Eine Kritik des
        esetzes ist mit anderen Worten keine radikale Position,
        ondern eine Haltung der Vernunft. Ich stimme deshalb
        em Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes
        icht zu.
        Frank Schäffler (FDP): Die Änderung des Atomge-
        etzes, über die hier abgestimmt wird, soll den Atomaus-
        tieg bewirken. Sie ist das Herzstück der sogenannten
        nergiewende, die uns seit dem bedauerlichen Unglück
        Fukushima verordnet worden ist. Dieses Gesetzge-
        ungsvorhaben ist aus mehreren Gründen kritikwürdig.
        Ein Grund sollte uns alle in der Ablehnung der Ener-
        iewende einen. Wir verordnen Deutschland im europäi-
        chen Alleingang eine vollständige Reorganisation sei-
        er Energieerzeugungsbranche. Das ist mit enormen
        osten verbunden. Es sind viele Milliarden Euro für In-
        estitionen notwendig, um die in Deutschland heute ver-
        rauchte Energie morgen auf andere Art und Weise pro-
        uzieren zu können. Wir zwingen die Energieerzeuger,
        r sich ein anderes Geschäftsmodell zu entdecken. Wir
        wingen viele Millionen Menschen zur Umstellung ihres
        erhaltens beim Konsum von Energie. Wir greifen tief
        die Eigentumsrechte der Unternehmen ein, indem wir
        eren Investitionen mit einem Federstrich entwerten.
        m die Überlandleitungen zu bauen, werden viele Land-
        esitzer enteignet werden müssen. Durch die umfangrei-
        here Einspeisevergütung belasten wir die privaten und
        ewerblichen Stromverbraucher.
        Die enorme Tragweite der Energiewende allein sollte
        ns dazu anhalten, unsere Entscheidung wenigstens
        urchdacht, überlegt und mit der gebotenen kühlen
        ationalität zu treffen. Dies tun wir nicht. Das Paket zur
        nergiewende war gestern im Ausschuss und ist heute
        Parlament. Eine große Zahl mit heißer Nadel ge-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13625
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        strickter Gesetzentwürfe wird im Schweinsgalopp
        durchs Parlament geritten, obwohl gleichzeitig andere
        Entscheidungen höchster Wichtigkeit anstehen. Das
        kann nicht richtig sein. Wir werden unserer Verantwor-
        tung hier nicht gerecht, und das sollte jedem bewusst
        sein.
        Ein anderer Grund ist die Umgestaltung der Energie-
        branche. Dadurch schaffen wir den Markt in der Strom-
        erzeugung gänzlich ab und verordnen stattdessen einen
        Zehn-Jahres-Plan, nach dem sich die Energieproduktion
        künftig zu richten hat. Bereits jetzt ist die Produktion
        von Strom aus Kernenergie eher als nationales industrie-
        politisches Projekt zu betrachten denn als eine Lösung
        des Marktes für das Problem der Knappheit von Energie.
        Die marktwirtschaftliche Lösung bestünde darin, die
        Energiebranche aus der politischen Umklammerung zu
        befreien. Dazu gehörte, Kosten und Nutzen der Energie-
        produktion zurück in die Hände der Unternehmer zu ge-
        ben. Es wäre interessant zu wissen, ob und wie Kern-
        energie in Deutschland produziert würde, wenn die
        Unternehmer für ihre geschäftlichen Risiken bei Unfäl-
        len und Abfallprodukten selbst und vollständig haften
        müssten. Bedauerlicherweise werden wir dies nie erfah-
        ren. Wir werden nie lernen, welche Lösung gefunden
        worden wäre, hätte man sich des Entdeckungsverfahrens
        des Marktes bedient. Dazu hätten wir die Kernenergie-
        branche entpolitisieren müssen. Diese ist das wichtigste
        Zugpferd vor dem staatlich gelenkten Karren, auf dem
        die nationale Energiestrategie zur Herstellung der Ver-
        sorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Energieim-
        porten transportiert wird.
        Stattdessen gehen wir den entgegengesetzten Weg.
        Anstatt die Kernenergiebranche aus der ihr übertragenen
        nationalen Aufgabe zu entlassen, politisieren wir sämtli-
        che konkurrierenden Wege der Stromerzeugung. Anstatt
        eines Ordnungsrahmen, der das erste Mal in der Ge-
        schichte Marktpreise für die Erzeugung von Kernenergie
        ermöglicht hätte, schreiben wir auch dem Rest der Bran-
        che vor, wie er zu funktionieren hat. Wir planen von der
        Spitze herab, wie viele Gaskraftwerke zu bauen und Ki-
        lometer Überlandleitungen zu errichten sind. Wir greifen
        ein in das Preisgefüge bei Strom aus sogenannter erneu-
        erbarer Energie, indem wir umfangreiche Subventions-
        tatbestände schaffen. Wir planen hier in Berlin, welcher
        Anteil des Stroms aus welcher Quelle produziert werden
        soll.
        Wir ignorieren dabei sämtliche ökonomischen Ein-
        sichten über das Funktionieren von Märkten und die
        Wichtigkeit des Preissystems als Mechanismus zur Ver-
        mittlung von Informationen. Wir planen einen komplet-
        ten Wirtschaftszweig von oben herab und zentral. Wir
        gehen einen langen Schritt in die überkommene Zentral-
        verwaltungswirtschaft. An die Stelle der privaten und
        dezentralen Pläne der Unternehmer und ihrer Kunden
        setzen wir unsere angeblich überlegene Kenntnis, wie
        sich Wirtschaft und Gesellschaft organisieren sollen.
        Wenn der Mensch in seinem Bemühen, die Gesell-
        schaftsordnung zu verbessern, nicht mehr Schaden
        stiften soll als Nutzen, wird er lernen müssen, dass
        er in diesem wie in anderen Gebieten, in denen in-
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        härente Komplexität von organisierter Art besteht,
        nicht volles Wissen erwerben kann, das die Beherr-
        schung des Geschehens möglich machen würde.
        (F. A. Hayek)
        Die verhängnisvolle Anmaßung, dass man wissen
        önne, wie zentrale Planung erfolgreich zu bewerkstelli-
        en sei, hat letztendlich zum Scheitern aller Sozialismen
        eführt. So wird auch die Energiewende letztlich schei-
        rn.
        Wir entscheiden heute nicht nur über ein mit einer
        chönen Bezeichnung ausgestattetes Gesetzespaket, son-
        ern nehmen auch dessen Folgen billigend in Kauf. Die
        entralverwaltungswirtschaft führte im Sozialismus der
        DR dazu, dass die Menschen Schlange standen, um
        rangen und Bananen zu erhalten. Das oder die Benut-
        ung des Schwarzmarkts waren die einzigen Wege, um
        aren mit staatlich festgelegten Preisen zu erhalten. Die
        ingriffe in die Energiewirtschaft werden zur Deindus-
        ialisierung in energieintensiven Branchen und zur Zu-
        ilung von Stromverbrauchszeiten führen. Wir werden
        ie wohlstandsfeindlichen Folgen der zentral verwalte-
        n Energiewirtschaft in Deutschland beobachten kön-
        en; denn die ökonomischen Gesetze sind von der Poli-
        k unbezwingbar.
        Max Straubinger (CDU/CSU): Mit dem Gesetz wird
        er schnelle Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der
        ernenergie bis zum Jahr 2022 festgeschrieben und zu-
        em geregelt, dass die bereits abgeschalteten sieben
        ernkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel nicht
        ieder in den Betrieb gehen. Damit werden in Deutsch-
        nd circa 20 Prozent und für Bayern fast 60 Prozent der
        tromerzeugung bis 2022 stillgelegt, welche der Grund-
        stversorgung zuzurechnen sind.
        Ich habe erhebliche Zweifel, ob diese Grundlast mit
        insparungen im Stromverbrauch, mit dem Ausbau der
        rneuerbaren Energien wie Photovoltaik, Wind, Bio-
        asse, Geothermie und Wasserkraft und mit der Errich-
        ng von weiteren Gaskraftwerken ausgeglichen werden
        ann. Der Ausbau der regenerativen Energien und die
        otwendigen Stromleitungen und Speichereinrichtun-
        en für Strom setzen ein vielfältiges Engagement von
        irtschaft und Staat, Kommunen und Bürgern voraus,
        as schwer zu erreichen sein wird. Ich bin überzeugt,
        ass das Energiekonzept, welches CDU/CSU und FDP
        Herbst 2010 beschlossen haben, sachgerechter und
        ostenneutraler für Bürger und Betriebe den Umstieg in
        er Stromproduktion erbracht hätte. Zudem wären Net-
        stromimporte vermieden und die Versorgungssicher-
        eit gewährleistet worden.
        Trotz dieser und weiterer Bedenken werde ich heute
        em Gesetzentwurf auf Drucksache 17/6070 zustimmen,
        a die Versorgungssicherheit mit Strom über den euro-
        äischen Netzverbund gewährleistet ist und ich über-
        eugt bin, dass bei Versorgungsproblemen eine politi-
        che Neubewertung einer nationalen Stromversorgung
        tattfinden wird.
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        EN): Dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU
        13626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        und FDP sowie der Bundesregierung stimme ich nicht
        zu. Ich enthalte mich in der Abstimmung über die Atom-
        gesetznovelle der Koalition. Ich stimme für das grüne
        Gesetz mit AKW-Laufzeiten bis längstens 2017.
        Die Nutzung der Kernenergie ist und bleibt ein unkal-
        kulierbares Risiko für die Menschheit. Deshalb war die
        gesetzliche Verlängerung der Laufzeiten der AKW um
        Jahrzehnte in Deutschland vom vergangenen Herbst ver-
        hängnisvoll und unverantwortlich. Die Rücknahme die-
        ser Laufzeitverlängerung ist richtig und notwendig. Die
        endgültige Abschaltung von acht AKW ist ein richtiger,
        konsequenter Beitrag dazu. Dagegen bin ich deshalb
        selbstverständlich nicht. Aber der Gesetzentwurf der
        Koalition hält eines dieser AKW in unsinniger „Kaltre-
        serve“. Das ist für mich und die Grünen nicht zu-
        stimmungsfähig, genauso wenig wie die ungenügende
        AKW-Sicherheit, das Fehlen der Regelung für die End-
        lagersuche und eine wirkliche Energiewende hin zu er-
        neuerbaren Ressourcen.
        Auch die weiteren noch betriebenen AKW müssen
        vom Netz, und das möglichst schnell. Mit dem Gesetz-
        entwurf der Koalition werden die Laufzeiten dieser Re-
        aktoren erheblich verkürzt. Auch diese Verbesserung der
        bestehenden Rechtslage für die Nutzungsdauer ist
        grundsätzlich richtig. Sie entspricht weitgehend der
        2000/2001 durch die rot-grüne Koalition geschaffenen
        Regelung, die bis zur Laufzeitverlängerung im letzten
        Herbst galt. Für Erhaltung und Wiederherstellung dieser
        erheblich kürzeren Laufzeiten hatten wir im Parlament,
        auf den Straßen und Schienen lange gestritten. Deshalb
        stimme ich jetzt nicht dagegen.
        Aber nach dem Super-GAU in Fukushima ist alles an-
        ders. Denn das Risiko der Nutzung der Kernenergie für
        die Menschheit ist viel, viel größer als angenommen.
        Daher kann ich doch nicht ohne Not einfach weiter dem
        alten rot-grünen Kompromiss zustimmen. Nach Fuku-
        shima muss alles neu gedacht werden. Alle haben dazu-
        gelernt. Ich weiß seither, der schnellere Ausstieg ist un-
        verzichtbar, und ein Ausstieg bis 2017 ist machbar ohne
        Versorgungsengpässe. Das unerwartet schnelle Wachs-
        tum der Energiegewinnung aus erneuerbaren Ressourcen
        macht es möglich. Das haben Sachkundige immer wie-
        der vorgerechnet. Seit Fukushima habe ich mich mit al-
        len Grünen für das Abschalten bis 2017 eingesetzt und
        mit Hundertausenden immer wieder dafür demonstriert.
        Einen Gesetzentwurf mit diesem Ziel hat die grüne Frak-
        tion in den Bundestag eingebracht. Für dieses Gesetz mit
        dem Laufzeitenende bis spätestens 2017 stimme ich. Für
        das Abschalten aller AKW bis 2017 kämpfe ich weiter.
        Dem Gesetzentwurf der Koalition mit Laufzeiten bis
        2022 dagegen stimme ich nicht zu. Er bedeutet fünf
        lange Jahre mehr Überlebensrisiko für die Bevölkerung.
        Fünf Jahre mehr, in denen sich die AKW-Betreiber viel
        einfallen lassen können, um eine Laufzeitverlängerung
        zu erreichen. Die Milliardenprofite sind zu verlockend,
        Union und FDP traue ich zu, dass sie sich dem Begehren
        der Konzerne auf Dauer nicht verweigern – wie schon
        einmal im Herbst 2010.
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        Abstimmungen mit Enthaltung sind in Überlebensfra-
        en selten angemessen, aber wegen der Ambivalenz der
        ntscheidungssituation diesmal schon.
        Sabine Stüber (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
        eil das vorliegende Gesetz zur Änderung des Atomge-
        etzes durch die Hast und den aufgebauten Zeitdruck in
        iner für unsere parlamentarische Arbeit unangemesse-
        en Weise durch die Gremien gepeitscht wurde. Nach
        einer Meinung ist der Ausstieg ohnehin früher, bis zum
        ahre 2014, möglich.
        Aus juristischer Sicht ist die Begründung für den
        usstieg im Gesetz mangelhaft und eröffnet damit den
        nergiekonzernen durchaus Chancen auf Erfolg bei ei-
        er Schadenersatzklage. Wie immer ginge das zulasten
        er Bevölkerung. Das werde ich nicht mit verantworten,
        nd deshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Än-
        erung des Atomgesetzes nicht zu.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Ich stimme
        agegen, weil der Ausstieg aus dieser Risikotechnologie
        eutlich schneller möglich und nach der Katastrophe von
        ukushima auch dringend nötig wäre, um die Gefahr
        urch die Atommeiler und die Atommüllproduktion un-
        erzüglich zu reduzieren und eine bloße Rückkehr zum
        amaligen rot-grünen Atomkonsens, den die PDS als ge-
        etzliche Laufzeitgarantie abgelehnt hatte, unverant-
        ortlich ist; weil der Atomausstieg mit einfacher Mehr-
        eit wieder rückgängig gemacht werden kann, statt – wie
        on der Linken beantragt – den Verzicht auf die fried-
        che oder militärische Nutzung der Atomenergie im
        rundgesetz festzuschreiben, das nur mit einer Zweidrit-
        lmehrheit geändert werden kann; weil im gesamten
        esetzespaket die marktbeherrschende Rolle der Strom-
        onzerne nicht korrigiert wird und soziale Energietarife
        icht abgesichert werden. Deshalb stimme ich dem Drei-
        ehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes nicht
        u.
        Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Unsere Kern-
        raftwerke produzieren sicher kostengünstige und CO2-
        eutrale Energie, die für den Industrie- und Wirtschafts-
        tandort Deutschland existenziell ist. Daran haben auch
        ie fürchterlichen Ereignisse im Frühjahr in Fukushima
        ichts geändert. Die deutsche Bevölkerung hatte schon
        eit jeher eine diffuse Angst vor der Atomkraft. Damit
        teht unsere Gesellschaft weitgehend allein in der Welt.
        enn man nicht der Ansicht anhängt, dass am deutschen
        esen die Welt genesen solle, so muss man zumindest
        interfragen, warum einzig und allein Deutschland aus
        en Ereignissen in Japan den Schluss gezogen hat, in
        erart beschleunigtem Tempo aus der Kernenergie aus-
        usteigen. Das mit dem großen Nutzen der Kernenergie
        erbundene Restrisiko hat sich nicht verändert. Weder in
        eutschland noch in Frankreich oder einem anderen eu-
        päischen Land. Der deutsche Ausstieg aus der Kern-
        raft ist ein internationaler Alleingang. Wir hätten zu-
        indest auf europäischer Ebene versuchen sollen,
        nsere Partner in der Europäischen Union mitzunehmen.
        ass man auch bei anderen Fehlentscheidungen in der
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13627
        (A) )
        )(B)
        Lage ist, auf EU-Ebene einen Konsens herbeizuführen,
        zeigt derzeit der Umgang mit der Euro-Schuldenkrise.
        Wir haben mit einer massiv schrumpfenden Bevölke-
        rung zu kämpfen. Den zukünftigen Generationen haben
        wir bereits fast zwei Billionen Euro Schulden aufgebür-
        det. Hinzu schreiten wir mit Siebenmeilenstiefeln einer
        gigantischen Euro-Schuldenhaftungsunion entgegen.
        Wenn uns schon leider keine demografische Trendwende
        gelingt, so sollten wir den nachfolgenden Generationen
        wenigstens eine volkswirtschaftliche Infrastruktur hin-
        terlassen, die ihnen die Chance lässt, unsere gigantischen
        Schulden zu bedienen und sich auch selbst einen ange-
        messenen Lebensstandard zu erarbeiten. Diese Chance
        haben wir verpasst, auch weil es uns nicht gelungen ist,
        die Bevölkerung von der Richtigkeit unserer Energie-
        politik zu überzeugen. Es ist leider immer leichter, auf
        schwierige Fragen leichte Antworten zu geben. Unser
        Energiekonzept vom Herbst letzten Jahres wäre die bes-
        sere, aber auch komplexere Antwort gewesen.
        Vermutlich ist den Menschen nicht bewusst, dass uns
        die Energiewende im günstigsten Fall Investitionen in
        drei- bis vierstelliger Milliardenhöhe kosten wird. Die
        Antiatombewegung macht viel Wind, aber davon dreht
        sich leider noch kein Windrad, ganz unabhängig von der
        Frage, ob wir unser schönes Land zu einem gigantischen
        Onshorewindpark machen sollen. Letztendlich wage ich
        zu prophezeien, dass wir für das Fotoalbum die erneuer-
        baren Energien ausbauen werden, klammheimlich aber
        unsere Energie – zumindest in Süddeutschland – aus
        Tschechien und Frankreich beziehen werden. Dass
        Tschechien und Frankreich weiter auf Atomkraft setzen,
        brauche ich nicht weiter auszuführen.
        Nichtsdestoweniger muss man sich mit Unabwend-
        barkeiten abfinden und nach vorne blicken. In der
        Gesellschaft und auch in der Politik gibt es mittlerweile
        einen sehr breiten Konsens zum Ausstieg aus der Kern-
        energie. Zu einer Demokratie gehört es auch, dass man
        aussichtslose Positionen räumt, um die Zukunft mitzuge-
        stalten. Ein Hadern über Vergangenes fördert nur den
        Verdruss und schafft keine positive Energie. Als Ob-
        mann für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haus-
        haltsausschuss werde ich aktiv daran mitarbeiten, die
        Kosten für die Endenergieabnehmer so gering wie mög-
        lich zu halten.
        Johanna Voß (DIE LINKE): Ich stimme dagegen,
        weil das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomge-
        setzes ein Scheinausstiegsgesetz ist. IPPNW und andere
        haben aufgezeigt, dass das Gesetz den Klagen der
        Stromkonzerne nicht standhalten wird. Dann könnten
        Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe auf die
        Steuerzahler zukommen oder sogar zwischenzeitlich
        ausgeschaltete Atommeiler weiterbetrieben werden.
        Zu einem Ausstieg, der nicht nur ein Scheinausstieg
        ist, gehören auch ein Ende von allen Geschäften mit
        Uran, ein Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag, ein Ende
        der Finanzierung von Reaktorprojekten weltweit. All das
        ist nicht Teil des Atomausstiegs der Bundesregierung.
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        Zu einem Ausstieg gehört auch die Sicherung der
        tommülllager und das Vermeiden von weiteren un-
        icheren Transporten von Atommüll. Weder die Regie-
        ng noch die Jasager von SPD und Grünen haben aus
        ukushima gelernt.
        Zu einem endgültigen Ausstieg gehört auch die Ver-
        nkerung im Grundgesetz – sonst bleibt der Ausstieg
        mkehrbar. Mit diesem Ausstiegsgesetz, dass die Amor-
        sation von Atommeilern garantiert, werden auch die
        ligopolen Strukturen verfestigt, auf Kosten dezentraler
        trukturen.
        Ich stimme dagegen, weil die verbliebenen Atommei-
        r nicht dem Stand von Sicherheit und Technik entspre-
        hend nachgerüstet werden. So dürfte kein einziges
        tomkraftwerk weiterlaufen. Das ist grob fahrlässig.
        eshalb stimme ich dem Dreizehnten Gesetz zur Ände-
        ng des Atomgesetzes nicht zu.
        nlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Ralph Lenkert und Jens
        Petermann (beide DIE LINKE) zur namentli-
        chen Abstimmung über den Entwurf eines Drei-
        zehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgeset-
        zes (Tagesordnungspunkt 4 a)
        Wir stimmen dem Entwurf eines Dreizehnten Geset-
        es zur Änderung des Atomgesetzes nicht zu, weil der
        orliegende Entwurf nicht sicherstellt, dass der Ausstieg
        us der Atomstromerzeugung zum frühestmöglichen
        eitpunkt erfolgt und aufgrund der vorgesehenen Be-
        tandsgarantie bis längstens 2022 die Bevölkerung unnö-
        g lange den mit der Atomstromerzeugung einhergehen-
        en tödlichen Risiken ausgesetzt wird.
        Die Aufkündigung des sogenannten Atomkompro-
        isses von Rot-Grün durch die schwarz-gelbe Regie-
        ng hat gezeigt, dass eine einfachgesetzliche Regelung
        icht ausreicht und der Atomausstieg nur durch eine
        rundgesetzliche Verankerung unumkehrbar gestaltet
        erden kann.
        nlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Ekin Deligöz und Claudia
        Roth (Augsburg) (beide BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über
        den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur
        Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungs-
        punkt 4 a)
        Die Atomkatastrophe von Fukushima markiert einen
        agischen, einschneidenden Wendepunkt unserer Ener-
        ie- und Klimapolitik. Vermeintliche Gewissheiten und
        nverbrüchliche Überzeugungen der Atomkraftbefür-
        orter sind der Einsicht gewichen, dass diese Technolo-
        ie nicht beherrschbar und die Restrisiken eben nicht
        ernachlässigbar sind. Der bisherige Atomkurs von
        13628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Union und FDP hat sich als fachlich fragwürdig, ethisch
        unverantwortlich und politisch unhaltbar erwiesen.
        Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
        haben das nun endlich auch erkennen und einräumen
        müssen. Die Atomparteien Union und FDP wollen nun,
        nachdem sie über Jahrzehnte die Atomindustrie hofiert
        haben, den endgültigen Rückzug aus der Atomenergie
        antreten. Das ist aus unserer Sicht zu unterstützen, auch
        wenn es schon viel eher hätte passieren können und müs-
        sen. Die bündnisgrüne Bundestagsfraktion hat sich
        schon immer für einen breit getragenen Ausstieg einge-
        setzt. Es ist richtig, für die Entscheidung zu einer radika-
        len, unumkehrbaren Energiewende breite Mehrheiten im
        Parlament, in der Politik und in der Gesellschaft zu mo-
        bilisieren. Dem wollen wir uns deshalb nicht verwei-
        gern, sondern die Rücknahme der Laufzeitverlängerung,
        die endgültige Abschaltung der sieben ältesten Meiler
        sowie des Reaktors in Krümmel und klar fixierte Aus-
        stiegsdaten unterstützen. Wir werden deshalb dem Drei-
        zehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes,
        Drucksache 17/6070, im Deutschen Bundestag zustim-
        men.
        Diese Zustimmung bedeutet allerdings nicht, dass wir
        keinen weitergehenden, dringenden Handlungsbedarf
        hinsichtlich des Atomausstiegs oder auch der Umset-
        zung der notwendigen Energiewende sehen. Wir werden
        uns mit aller Kraft für weitere Änderungen und Verbes-
        serungen beim Atomausstieg und bei den erforderlichen
        atompolitischen Maßnahmen bis zur vollständigen Ab-
        schaltung aller Reaktoren in Deutschland einsetzen. Es
        sollte nichts unversucht gelassen werden, den Ausstieg
        insgesamt zu beschleunigen. Die Sicherheitsanforderun-
        gen für die noch laufenden Atomkraftwerke müssen
        verschärft bzw. vorgenommene Verschlechterungen zu-
        rückgenommen werden. Notwendig ist zudem, ein er-
        gebnisoffenes, bundesweit vergleichendes Endlager-
        suchverfahren zu starten.
        Zu einem überzeugenden Sicherheitskonzept gehört
        es auch, die beiden in unserer Heimatregion befindlichen
        AKW-Blöcke Gundremmingen B und C – im Wesentli-
        chen baugleich mit den Katastrophenreaktoren in Fuku-
        shima – als Risikoanlagen früher als bislang geplant ab-
        zuschalten. Die Anlagen stehen an der deutschen Spitze
        bezüglich des anfallenden Strahlenmülls. Laut der Kin-
        derkrebsstudie des Deutschen Kinderkrebsregisters ist in
        der Umgebung der Meiler die Kinderkrebsrate signifi-
        kant hoch.
        Der Ausstieg aus der Atomkraft ist ein absolut not-
        wendiger, aber nicht ausreichender Schritt. Er muss mit
        einer konsequenten, nachhaltigen Energiewende einher-
        gehen. Die Alternative liegt dann aber gerade nicht in
        den fossilen Energieträgern, wie Union und FDP das fa-
        vorisieren. Gefragt sind der konsequente Ausbau der er-
        neuerbaren Energien sowie die Forcierung von Energie-
        effizienz und -einsparungen. Das hierzu vorliegende
        Gesetzespaket ist nicht einmal als halbherzig zu bezeich-
        nen. Die schwarz-gelbe Koalition bleibt hier nicht nur
        weit hinter dem Erforderlichen zurück, sondern unter-
        nimmt auch grundsätzlich falsche Weichenstellungen.
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        nlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Hermann Ott, Till Seiler,
        Memet Kilic, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
        und Monika Lazar (alle BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über
        den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur
        Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungs-
        punkt 4 a)
        Die Rücknahme der Laufzeitverlängerung für Atom-
        raftwerke, von der Koalition erst vor wenigen Monaten
        Eilverfahren durchgesetzt, ist notwendig und richtig,
        benso die endgültige Abschaltung der sieben Alt-AKW
        nd des Pannenreaktors Krümmel. Es ist zu begrüßen,
        ass die Bundesregierung im Lichte der Katastrophe von
        ukushima eine Kehrtwende in der Atompolitik vollzo-
        en hat und in der Beurteilung der Atomkraft nun in die
        ähe der Position gerückt ist, die die Grünen bereits seit
        0 Jahren vertreten. Dies ist ein großer Erfolg der Grü-
        en und der Antiatombewegung insgesamt.
        Doch gerade im Lichte der Reaktorkatastrophe von
        ukushima ist der Atomausstieg von CDU/CSU und
        DP nicht ausreichend. Technisch und ökonomisch wäre
        in Atomaustieg bereits bis 2017 möglich – und als Kon-
        equenz der nach Tschernobyl nochmaligen Realisierung
        es sogenannten Restrisikos auch nötig. Fünf Jahre län-
        ere Laufzeiten bedeuten unzumutbare Gefahren im täg-
        chen Betrieb und eine erhebliche Erhöhung der Menge
        es insgesamt anfallenden Atommülls.
        Die Bundesregierung unternimmt auch keinen Ver-
        uch, die Endlagerfrage endlich einer sachgerechten Lö-
        ung zuführen. Dazu würde gehören, die im letzten
        erbst eingefügte Enteignungsgrundlage zurückzuneh-
        en, einen Baustopp in Gorleben zu verhängen und eine
        rgebnisoffene Endlagersuche einzuleiten. Absolut not-
        endig wäre auch eine Beendigung des gesamten Atom-
        rennstoffkreislaufs, also eine Schließung der Atom-
        brik in Gronau.
        Die Abschaltung der letzten sechs Atommeiler erst
        nde 2021 bzw. Ende 2022 ist nicht nur viel zu spät un-
        r dem Gesichtspunkt der Sicherheit, sie erfolgt auch zu
        pät unter politischen Gesichtspunkten. Zwischen dem
        t-grünen Atomausstieg und der Laufzeitverlängerung
        urch Schwarz-Gelb im Oktober 2010 lagen drei Wah-
        n. Zwischen dem jetzt geplanten Atomausstieg und
        em Abschalten der letzten sechs AKW liegen bei nor-
        alem Wahlzyklus ebenfalls drei Wahlen. Niemand
        ann heute voraussagen, wie die Welt im Jahre 2021
        ussehen wird, welche krisenhaften Entwicklungen es
        eben mag und welche Höhe die Preise für fossile Ener-
        ien dann haben werden.
        Der Druck auf eine dann vielleicht wieder atom-
        eundliche Bundesregierung bzw. Mehrheit im Bundes-
        g, die Laufzeiten doch wieder zu verlängern, könnte
        ehr stark sein. Dieses Risiko ist uns zu groß. Auch die
        eibehaltung einer sogenannten Kalt-Reserve zeigt, dass
        ine Hintertür offengehalten werden soll. Dabei ist diese
        chon allein aus technischen Gründen völlig unsinnig.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13629
        (A) )
        )(B)
        Schließlich behindern die längeren Laufzeiten bis
        2022 auch die Energiewende in Richtung einer solaren
        Gesellschaft. Der Ausstieg aus der Atomkraft und der
        Einstieg in die erneuerbaren Energien sind untrennbar
        miteinander verbunden, auch wenn der Bundestag natür-
        lich in verschieden Anträgen und Gesetzentwürfen dazu
        Stellung nimmt. Die sogenannte Energiewende setzt auf
        den Ausbau fossiler Energien und setzt die Erfolge bei
        der Bekämpfung des Klimawandels aufs Spiel. Dies zu-
        sammen mit der einseitigen Bevorzugung von Offshore-
        windenergie zulasten der Windkraft an Land und andere
        Regelungen zementiert die alten Strukturen und festigt
        die Marktmacht der großen Energiekonzerne.
        Die Bundesregierung und die schwarz-gelbe Koali-
        tion machen mit der Rücknahme der Laufzeitverlänge-
        rung und der Abschaltung der Alt-AKW das Richtige;
        aber sie unterlassen das Notwendige. Das Gesamtpaket
        stimmt nicht. Deshalb haben wir uns heute der Stimme
        enthalten.
        Anlage 7
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU)
        zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
        wurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung
        des Atomgesetzes und zur Abstimmung über
        den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
        des Rechtsrahmens für die Förderung der
        Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
        (Tagesordnungspunkt 4)
        Michael Brand (CDU/CSU): Mein heutiges Ja zu
        dem Gesetzespaket zur Energiewende ist ein Ja mit kla-
        ren Bedingungen und ein paar offenen Bemerkungen
        zum Verfahren.
        Es ist eine 60/40-Entscheidung, weil neben den Chan-
        cen auch Risiken gegeben sind. Als frei gewählter Abge-
        ordneter ist es meine Pflicht, auf die Risiken hinzuweisen,
        und es ist aus meiner Sicht zwingend, dass Bundestag,
        Bundesregierung und unsere Gesellschaft sich über die
        Risiken und die Kosten der Energiewende im Klaren sind.
        Ich war, bin und werde dafür sein, dass die Atomener-
        gie vor allem wegen der weltweit nicht gelösten Endla-
        gerung so rasch wie möglich der Vergangenheit ange-
        hört. Zudem bietet diese Entscheidung tatsächlich die
        historische Chance für eine der leistungsfähigsten Volks-
        wirtschaften der Welt: Wir haben die Chance, im global
        kommenden Zeitalter der erneuerbaren Energien – also
        weg vom Öl, weg von der Kohle und weg vom Gas –
        von einer weltweiten Spitzenposition aus in Deutschland
        und weltweit von diesem global angesteuerten Energie-
        wandel zu profitieren.
        Zur Energiewende zählt auch, dass wir für die abzu-
        schaltenden Kernkraftwerke neue Kohle- und Gaskraft-
        werke brauchen. Wir werden nicht nur mit Wind und
        Sonne den Industriestandort Deutschland sichern, weder
        bei der Beschäftigung noch bei den privaten Haushalten.
        Wer Ja sagt zur Energiewende, der muss auch Ja sagen
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        ur nötigen Infrastruktur für das neue Energiezeitalter.
        as bedeutet konkret: Wenn zum Beispiel Planung und
        au von Stromtrassen trotz weitreichender Prioritäten
        r Erdkabel weiter blockiert werden, kommt die Ener-
        iewende in Gefahr. Wenn wir den von vielen Experten
        chon für diesen Herbst 2011 befürchteten Blackout bei
        er Stromversorgung verhindern wollen, müssen wir die
        lexibilität behalten, frühzeitig zum Schutz von privaten
        aushalten, Krankenhäusern und Betrieben bis hin zu
        entralen Internetknoten reagieren zu können.
        So gibt es eine ganze Reihe von Problemen, die wir
        icht politisch leugnen dürfen. Physik lässt sich nicht
        olitisch beschließen. Wir haben als Politik die Pflicht,
        um Wohle der Allgemeinheit in Kenntnis der Probleme
        u organisieren. Dazu zählt, dass wir die Grundlage der
        irtschaftlichen Stärke unseres Landes, die industrielle
        asis mit Tausenden Betrieben und Millionen Arbeits-
        lätzen, nicht um einer falschen Ideologie willen aufs
        piel setzen dürfen. Zu Recht haben wir deshalb beson-
        ere Regelungen zum Schutz der energieintensiven Be-
        iche der deutschen Wirtschaft beschlossen. Und umso
        ichtiger sind die beschlossenen Fördermaßnahmen für
        eue Netz- und Speichertechnologien, die wir nun drin-
        end benötigen.
        Dazu muss bei Bundestag, Bundesregierung und in
        er Gesellschaft die Bereitschaft offen bleiben; ansons-
        n drohen Versorgungskrisen, die nicht per Beschluss
        der Resolution von Parteitagen oder Parlamenten abzu-
        enden sein werden.
        Der Schock von Fukushima hat vieles in Bewegung
        ebracht. Der Weg zum Zeitalter der erneuerbaren Ener-
        ien ist schon seit Jahren parteiübergreifender Konsens
        Deutschland und wurde konsequent beschritten. Nun
        ird er deutlich beschleunigt. Wir müssen bei der Be-
        chleunigung darauf achten, dass wir nicht durch allzu
        roße Hektik ins Stolpern geraten – mit möglichenfalls
        roßen Risiken.
        Mein Ja ist auch deshalb mit Einschränkungen verse-
        en, weil die harte Kritik unseres Bundespräsidenten an
        em parlamentarischen Verfahren und der fehlenden
        inbindung der Gesellschaft zum Erreichen eines echten
        onsenses leider als voll zutreffend zu bezeichnen ist.
        ngesichts der immensen Tragweite der Entscheidung
        ind mangelhafte Offenheit, mangelhafte Beratungsmög-
        chkeiten und ein für die Bedeutung viel zu schnell
        urchgepeitschtes Verfahren aus der Sicht der Parlamen-
        rier deutlich zu kritisieren. Diese Kritik richtet sich vor
        llem gegen diejenigen in Fraktionen und Regierung, die
        uf Solidarität pochen und diese Solidarität gegenüber
        en eigenen Reihen nicht in genügendem Maße geübt
        aben; hier sind die dafür Verantwortlichen dazu aufge-
        rdert, diesen Stil zu ändern, um den Bogen nicht zu
        berspannen. Gerade bei großen, weitreichenden Ent-
        cheidungen gilt: Demokratie darf nicht mit Demoskopie
        ertauscht werden.
        Für die beschlossene große Energiewende wird es da-
        uf ankommen, die ökologischen und ökonomischen
        uswirkungen – auch auf Stromkosten und Steuergel-
        er – genau zu beobachten. Werden alle notwendigen
        lemente in ausreichender Weise beachtet, kann und
        13630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
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        wird es gelingen, die großen Chancen zu nutzen und die
        Risiken für unsere Bevölkerung gering zu halten.
        Als direkt gewählter Abgeordneter werde ich die Ent-
        wicklung genau verfolgen und nötigenfalls dazu auffor-
        dern, dass wir im Notfall auch nachsteuern. Die Ener-
        giewende wird von uns allen viel fordern, sie wird kein
        Spaziergang, doch dass wir uns auf diesen schwierigen
        Weg machen, bietet große Chancen für die Zukunft un-
        seres Landes und für kommende Generationen – schon
        deshalb lohnt sich der Weg.
        Manfred Kolbe (CDU/CSU): In der heutigen Ab-
        stimmung über den sogenannten Atomausstieg habe ich
        mich der Stimme enthalten. Trotz der Katastrophe von
        Fukushima gelten meines Erachtens weiterhin die Argu-
        mente der Abgeordneten Dr. Angela Merkel aus der
        Ausstiegsdebatte vom 29. Juni 2000:
        Erstens:
        Für mich bleibt ein Rätsel, wie nach dem Ausstieg
        aus der Kernenergie ein klimaverträglicher, CO2-
        freier Ersatz für den 30-prozentigen Anteil der
        Kernenergie an der Grundlast unserer Energieer-
        zeugung geschaffen werden könnte.
        Zweitens: Der Ausstieg erfolgt zulasten der interna-
        tionalen Sicherheitsstandards.
        Ich finde, man muss schon relativ ruhig schlafen
        können, wenn man akzeptiert, dass in Russland
        15 Reaktoren vom Typ Tschernobyl stehen und
        Deutschland mutwillig und wissentlich aus dem
        technologischen Know-how und aus der Verbesse-
        rung der Sicherheitsvorschriften aussteigt.
        Drittens:
        Diese Vereinbarung geht zulasten des Klimaschut-
        zes, zulasten der Ausbildungskapazitäten und gan-
        zer Berufszweige sowie zulasten des technologi-
        schen Fortschritts in der Bundesrepublik Deutsch-
        land.
        Diesen damaligen Worten von Dr. Angela Merkel ist
        auch heute noch wenig hinzuzufügen.
        Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Eine Reihe – auch
        von mir – gestellter Fragen sind im Laufe des Gesetzge-
        bungsverfahrens zum Gesetzespaket zur Energiewende
        nicht geklärt worden. Insbesondere sind für mich fol-
        gende Punkte von großer Bedeutung:
        Erstens. Ein Ausstieg aus der Kernenergie in der nun
        vorgegebenen Geschwindigkeit kann massive Strom-
        preiserhöhungen für Unternehmen wie Verbraucher ver-
        ursachen. Die vorgelegten Gesetze geben keine Antwort
        darauf, wie der Preisanstieg zumindest gedämpft werden
        kann. Schon durch das Abschalten der acht Kernkraft-
        werke beim Moratorium sind die Stromgroßhandels-
        preise um über 12 Prozent gestiegen. Das werden die
        Verbraucher bei der nächsten Strompreiserhöhung im
        Herbst auf ihren Stromrechnungen wiederfinden. Wei-
        tere Erhöhungen ergeben sich, weil zum Beispiel bei der
        kostspieligen Förderung der Photovoltaik keine wirk-
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        ame Kostenbremse gezogen wird. Es steht zu befürch-
        n, dass die EEG-Umlage über das heute schon hohe
        iveau von 3,53 Cent pro Kilowattstunde ansteigen
        ird. Weiterhin werden neue Gaskraftwerke, die zur
        ersorgungssicherheit gebraucht werden, nur gebaut,
        enn es dafür eine Förderung oder Unterstützung gibt,
        eil potenzielle Investoren insbesondere die zukünftige
        uslastung nicht kalkulieren können. Diese Förderung
        uss letztlich vom Stromkunden oder Steuerzahler ge-
        agen werden. Ferner werden die CO2-Zertifikatepreise
        teigen, was Auswirkungen auf das Preisniveau haben
        ird. Die CO2-Zertifikatepreise sind seit Beginn des
        oratoriums jetzt schon um circa 8 Prozent gestiegen.
        Zweitens. Hohe Strompreise schaden auch dem In-
        ustriestandort Deutschland. Die anlässlich der Erarbei-
        ng des Energiekonzepts der Bundesregierung im letz-
        n Jahr aufwendig berechneten Energieszenarien haben
        rgeben, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie in der
        un vorgegebenen Geschwindigkeit große volkswirt-
        chaftliche Risiken bedeutet: Erhebliche Abwanderungs-
        ffekte im Bereich des produzierenden Gewerbes und
        er Verlust Tausender Arbeitsplätze würden bei deutlich
        nsteigenden Strompreisen voraussichtlich die Folge
        ein.
        Das deutsche Klimaschutzziel ist kurz- und mittelfris-
        g gefährdet. So kann das Ziel der CO2-Minderung um
        0 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 wegen des Ver-
        ichts auf die Kernenergie praktisch nicht erreicht wer-
        en. Die vorgesehenen CO2-Einsparungen durch zusätz-
        che Maßnahmen bei der Gebäudesanierung können die
        ehremissionen durch fossile Kraftwerke, die wegen
        es Ausstiegs am Netz sein werden, nicht kompensieren.
        isher sind die CO2-Emissionen in Deutschland seit
        990 um circa 25 Prozent zurückgegangen.
        Drittens. Deutschland ist bereits durch das Morato-
        um vom Stromexport- zum Stromimportland gewor-
        en. Seitdem importiert Deutschland täglich durch-
        chnittlich rund 40 GWh, einen großen Teil davon aus
        rankreich. Das zeigt aus meiner Sicht, dass der Aus-
        tieg aus der Kernenergie zu schnell erfolgt. Schließlich
        acht es keinen Sinn, wenn deutsche Kernkraftwerke
        om Netz gehen und dafür Strom aus ausländischen
        ernkraftwerken eingeführt wird.
        Viertens. Die vorgelegte Novelle des Atomgesetzes
        nthält erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Dies
        at auch die Sachverständigenanhörung im Bundes-
        gsumweltausschuss bestätigt. So verlangt der Gleich-
        eitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz, dass der Gesetz-
        eber nur bei Vorliegen eines sachlichen Grunds gleiche
        achverhalte ungleich behandeln darf. Im vorgelegten
        esetz werden aber zum Beispiel zwei baugleiche Kern-
        raftwerke, die im Abstand von acht Monaten ans Netz
        ingen – Gundremmingen B und C –, ohne sachlichen
        rund unterschiedlich behandelt: Gundremmingen C
        arf bis 2021, also vier Jahre länger als Gundremmin-
        en B, am Netz bleiben. Ein weiteres Beispiel: Das
        ernkraftwerk Krümmel, das abgeschaltet bleiben soll,
        at nur eine Laufzeit von rund 27 Jahren gehabt; alle üb-
        gen Kernkraftwerke haben mindestens 32 Jahre Lauf-
        eit. 32 Jahre Laufzeit ist aber – so wurde es schon im
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13631
        (A) )
        )(B)
        rot-grünen Ausstiegsgesetz von 2002 festgestellt – die
        verfassungsrechtliche Untergrenze, da ansonsten keine
        vollständige Amortisation der Investitionen erreicht wer-
        den kann. Ein Eingriff des Staates müsste sonst durch
        Entschädigungen ausgeglichen werden. Eine Entschädi-
        gung ist aber in der AtG-Novelle nicht vorgesehen.
        Auch ist keine Entschädigung dafür vorgesehen, dass die
        zugewiesenen Reststrommengen voraussichtlich nicht in
        konzerneigenen Anlagen aufgebraucht werden können.
        Aus den genannten Gründen ist aus meiner Sicht eine
        umfassende Zustimmung zum Gesetzespaket zur Ener-
        giewende nicht mit einer langfristig verantwortungsvol-
        len Energiepolitik für Deutschland vereinbar. Außerdem
        darf meiner Meinung nach der Gesetzgeber nicht sehen-
        den Auges verfassungsrechtlich höchst zweifelhafte Re-
        gelungen beschließen. Daher werde ich – anders als
        meine Fraktion – den Entwurf des Dreizehnten Gesetzes
        zur Änderung des Atomgesetzes in der Fassung der
        Drucksachen 17/6070 und 17/6246 ablehnen.
        Anlage 8
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Gitta Connemann (CDU/
        CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
        Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-
        rung des Atomgesetzes und zur Abstimmung
        über den Entwurf eines Gesetzes über Maßnah-
        men zur Beschleunigung des Netzausbaus Elek-
        trizitätsnetze (Tagesordnungspunkt 4 a und h)
        Den vorliegenden Gesetzentwürfen stimme ich nach
        sorgfältiger Abwägung des Für und Widers nicht zu.
        Ich erkenne an, dass anders als beim seinerzeitigen
        rot-grünen Ausstiegsbeschluss jetzt exakt angegeben
        wird, wann und wie der Umstieg erfolgen soll. Ich er-
        kenne an, dass durch die Einführung einer Marktprämie
        erstmalig der Weg in die Marktorientierung auch für er-
        neuerbare Energien gewählt wird. Ich erkenne an, dass
        gerade im Bereich der Biomasse aufgrund der Interven-
        tionen unserer Agrarpolitiker Überförderungen abgebaut
        werden, Vertrauensschutz gewährt und stärkere Anfor-
        derungen an die Wärmenutzung definiert werden.
        Mir ist bewusst, dass fast alle meine Kolleginnen und
        Kollegen, die sich ebenfalls intensiv mit den Gesetzent-
        würfen auseinandergesetzt haben, zu einer zustimmen-
        den Bewertung kommen. Ich respektiere und achte diese
        Entscheidung. Über mein persönliches Abstimmungs-
        verhalten in dieser für die Zukunft Deutschlands heraus-
        ragend wichtigen Frage habe ich in den letzten Tagen
        und Wochen lange mit mir gerungen. Ich komme für
        mich zu dem Ergebnis, dass mir eine Zustimmung unter
        den jetzigen Voraussetzungen nicht möglich ist.
        Zur Begründung: Im Herbst 2010 hatte die Bundesre-
        gierung ein Energiekonzept vorgelegt, das den drei An-
        forderungen an eine nachhaltige Energiepolitik – sicher,
        sauber und bezahlbar – Rechnung trägt. Die Kriterien
        Verfügbarkeit, Umweltfreundlichkeit und Bezahlbarkeit
        wurden dabei in einen harmonischen Dreiklang gestellt.
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        o sollten bis zum Jahr 2050 80 Prozent des Stroms aus
        rneuerbaren Energien gewonnen werden. Der Strom-
        erbrauch insgesamt sollte im gleichen Zeitraum um
        5 Prozent sinken. Der von den 17 deutschen Kernkraft-
        erken erzeugte Strom sollte im Rahmen dieses Über-
        angs die gesicherte Versorgung zu bezahlbaren Preisen
        ewährleisten und gleichzeitig den Übergang in ein Zeit-
        lter der erneuerbaren Energien ebnen. Der Ausstieg aus
        er Kernkraft war damit bereits beschlossen. Diesem
        nergiepolitischen Konzept, das zugleich Energiewende
        ie auch Atomausstieg war, habe ich am 28. Oktober
        010 im Deutschen Bundestag aus voller Überzeugung
        ugestimmt.
        Dem damaligen Beschluss lagen detaillierte, von un-
        bhängigen Forschungsinstituten erstellte Gutachten zu-
        runde. Der Beschluss des Deutschen Bundestages er-
        lgte im Rahmen eines der Bedeutung der Entscheidung
        ngemessenen Beratungszeitraums. Auf Parteitagen
        atte zuvor die CDU ihre Position ausführlich diskutiert
        nd einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss gefasst.
        h unterstütze diesen Beschluss einschließlich des da-
        it verbundenen Atomausstiegs nach wie vor. Darin be-
        tätigt mich auch das am 16. Mai 2011 vorgelegte Gut-
        chten der Reaktor-Sicherheitskommission, das den
        ohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraft-
        erke bestätigt.
        Unter dem Eindruck des tragischen Reaktorunfalls
        m 15. März 2011 in Fukushima, Japan, soll nun der
        usstieg aus der Kernenergie in Deutschland deutlich
        eschleunigt werden. Alle noch am Netz befindlichen
        eutschen Kernkraftwerke sollen nach einem starren
        eitplan abgeschaltet werden. Dafür sollen die erneuer-
        aren Energien sowie die Energietransportnetze rasant
        usgebaut werden. Dieses Vorhaben ist international
        hne Beispiel. Die Herausforderungen für Gesellschaft,
        irtschaft und Politik sind gewaltig.
        Tatsächlich umsetzbar ist dieses Konzept allerdings
        ur dann, wenn alle dem Ausstiegsszenario zugrunde ge-
        gten Bedingungen tatsächlich eintreten. Diese Bedin-
        ungen wiederum sind sowohl technischer als auch
        chtlicher Natur.
        So müssen sich die Anlagen zur Erzeugung der erneu-
        rbaren Energien, insbesondere die Offshorewindkraft-
        nlagen, erst noch unter Praxisbedingungen bewähren.
        So müssen über 4 000 Kilometer neuer Hoch- und
        öchstspannungsleitungen – in der Regel gegen den er-
        itterten Widerstand von Anliegern – erst noch gebaut
        erden.
        So müssen neue Gas- und Kohlekraftwerke mit einem
        erzeitigen Planungsvorlauf von im Schnitt zehn Jahren
        ebenfalls gegen den erbitterten Widerstand von Anlie-
        ern – erst noch errichtet werden.
        Und so müssen neue Anlagen zur Speicherung des
        generativ erzeugten Stroms erst noch erdacht und
        ann – voraussichtlich ebenfalls gegen den erbitterten
        iderstand von Anliegern – gebaut werden.
        Ich halte aus heutiger Sicht die Erreichung sämtlicher
        enannter Bedingungen, einschließlich des um 25 Pro-
        13632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        zent gesenkten Stromverbrauchs, für unwahrscheinlich,
        zumindest in dem starr vorgegebenen Zeitraum. Allein
        ein politischer Wille – und sei die Parlamentsmehrheit
        auch noch so groß – wird keine dieser technischen und
        rechtlichen Hürden überspringen helfen oder gar Natur-
        gesetze außer Kraft setzen können.
        Eine ausführlichere Diskussion über Alternativen des
        künftigen Energiekonzeptes nach Fukushima sowie eine
        fundierte Abschätzung seiner Folgen wären aus meiner
        Sicht erforderlich gewesen. So ist den Abgeordneten des
        Deutschen Bundestages vor knapp vier Wochen ein
        mehrere hundert Seiten starkes Gesetzespaket vorgelegt
        worden, das in großer Eile geschnürt werden musste. Die
        Erfahrung zeigt, dass Geschwindigkeit immer auf Kos-
        ten von Sorgfalt geht. Voraussetzung für den Erfolg des
        geplanten Ausstiegsszenarios ist aber, dass alle Maßnah-
        men perfekt ineinandergreifen. Wir wären deshalb gut
        beraten gewesen, uns mehr Zeit für eine Entscheidung
        dieses Umfangs zu lassen. Aus meiner Sicht wäre eine
        ausführlichere Debatte sowie der Beschluss eines Partei-
        tages notwendig gewesen, zumal der Beschluss des
        Deutschen Bundestags vom Oktober 2010 auf diese
        Weise vorbereitet worden war.
        Nicht zufällig ist das Unverständnis über den energie-
        politischen Alleingang Deutschlands in unseren Nach-
        barländern groß, auch wegen der Auswirkungen auf
        diese Nachbarländer. Denn Deutschland ist Teil des eu-
        ropäischen Stromverbundnetzes, dessen Stabilität jeder-
        zeit sichergestellt sein muss. In diesem Rahmen bezieht
        Deutschland im Übrigen bereits heute, nach der Sofort-
        abschaltung von 8 der 17 Kernkraftwerke, ausländischen
        Atomstrom, namentlich aus Tschechien und aus Frank-
        reich. Sollte die mittelfristig befürchtete Versorgungs-
        lücke eintreten, würde dieser Stromimport noch erhöht.
        Die Möglichkeit dazu wird nicht ausgeschlossen. Bei
        Versorgungslücken bleibt somit der Rückgriff auf aus-
        ländischen Atomstrom. Damit verbindet sich allerdings
        für mich die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit des
        deutschen Atomausstiegs ohne Abstimmung mit den eu-
        ropäischen Partnern. Ich habe diese Frage wie auch eine
        Reihe anderer in den letzten Wochen im Gesetzgebungs-
        verfahren wiederholt gestellt. Sie blieben in der Sache
        unbeantwortet. Sie werden auch nicht durch die vorlie-
        genden Gesetzentwürfe geklärt.
        Dazu gehört auch die Frage nach der Erreichung des
        CO2-Minderungsziels von 40 Prozent bis 2020 ge-
        genüber 1990. Zwar sind CO2-Einsparungen durch
        zusätzliche energetische Maßnahmen bei der Gebäudes-
        anierung angesichts der vorgesehenen steuerlichen För-
        derung zu erwarten. Völlig offen ist allerdings, ob diese
        Minderungen die Mehremissionen durch fossile Kraft-
        werke, die wegen des Atomausstiegs ans Netz gehen
        müssen, kompensieren können.
        Ebenfalls völlig unklar sind die Kosten, die das neue
        Energiekonzept mit sich bringen wird. Die Stromgroß-
        handelspreise sind bereits nach der Abschaltung der acht
        Kernkraftwerke innerhalb weniger Wochen um über
        12 Prozent gestiegen. Der Zubau von Photovoltaikanla-
        gen wird weitere Kosten nach sich ziehen. Tatsächlich
        benötigt die Photovoltaik heute 55 Prozent der gesamten
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        EG-Beihilfen – und dies bei nur 3 Prozent der Stromer-
        eugung. Die Chance zu einer Dämpfung dieses Preisan-
        tieges, zum Beispiel durch einen festen Deckel, wird
        urch den vorliegenden Gesetzentwurf zum EEG nicht
        enutzt. Auch die zusätzlichen Kosten durch Netzaus-
        au, Emissionshandel etc. sind nicht beziffert. Dabei
        teht das Risiko hoher Entschädigungszahlungen für Be-
        eiber von Kernkraftwerken aus rechtlichen Gründen
        ulasten des Steuerzahlers nach wie vor im Raum.
        Hohe Strompreise schaden insbesondere dem Indus-
        iestandort Deutschland. Aus meinen Gesprächen mit
        etrieben weiß ich, dass diese sich um die langfristige
        ersorgungssicherheit mindestens ebenso sorgen wie um
        as Energiepreisniveau. Bereits heute ist erkennbar, dass
        as jetzt vorliegende Energiekonzept die internationale
        ettbewerbsfähigkeit stromintensiver Unternehmen ge-
        hrden wird. Diese sollen zwar über Härtefallregelun-
        en entlastet werden, nicht aber die zahlreichen kleinen
        nd mittelständischen Unternehmen, die sich ebenfalls
        internationalen Wettbewerb befinden. Dabei ist der
        ktuelle konjunkturelle Aufschwung nach der Wirt-
        chafts- und Finanzkrise gerade diesen Unternehmen zu
        erdanken.
        Die Stromrechnung zahlt in jedem Fall der Verbrau-
        her, und zwar unabhängig von seinem Einkommen. Die
        ielen Familien in meiner ostfriesisch-emsländischen
        eimat, die mit einem kleinen Einkommen auskommen
        üssen, werden über Gebühr belastet werden. Bereits
        tzt haben sich die Stromkosten an kalten Tagen zu ei-
        er zweiten Miete entwickelt. Dies gilt auch für die
        mpfänger kleiner Renten, deren Altersvorsorge in ei-
        em Haus besteht. Von einer steuerlichen Förderung
        nergetischer Sanierungsmaßnahmen können diese nicht
        rofitieren.
        Neben dieser persönlichen Betroffenheit wird der
        ahlkreis Unterems, den ich als direkt gewählte Abge-
        rdnete in Berlin vertrete, von dem jetzt neu vorgelegten
        nergiekonzept in besonderem Maße auch landschaft-
        ch und wirtschaftlich betroffen sein. Durch den geplan-
        n forcierten Ausbau von Offshoreanlagen werden die
        anggründe der ostfriesischen Fischer vor der Küste
        assiv dezimiert. Allein in der Nordsee, vor der deut-
        chen Küste, soll für Offshorewindkraft ein Ausbauvolu-
        en von 20 000 bis 25 000 Megawatt realisiert werden.
        ach Angaben des zuständigen Übertragungsnetzbetrei-
        ers wird dies den Bau von bis zu insgesamt 30 weiteren
        nschlussleitungen erforderlich machen. Diese werden
        stfriesland sowie das nördliche Emsland zerschneiden,
        nabhängig davon, ob sie als Erdkabel oder als Freilei-
        ngen geführt werden.
        Für einen fairen Ausgleich der Landeigentümer trägt
        as neue Energiekonzept keine Sorge. Insoweit hätte in
        em Gesetzentwurf für das Netzausbaubeschleunigungs-
        esetz eine Regelung getroffen werden müssen, für die
        eine Zeit war. Dies gilt auch für die Regulierung des
        it dem Ausbau der erneuerbaren Energien verbunde-
        en Flächenverbrauchs. So muss jede dieser Leitungen
        urch Ausgleichsflächen kompensiert werden, die den
        hnehin schon drastischen Flächenschwund in meiner
        eimat verschärfen wird. Zusätzlich werden so bislang
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13633
        (A) )
        )(B)
        von Landwirten und Gartenbauern genutzte Böden aus
        der Nutzung herausgenommen werden.
        Verschärft werden wird diese Tendenz durch den Bau
        von Biogasanlagen. Eine Großanlage von zum Beispiel
        5 Megawatt benötigt circa 2 000 Hektar Ackerland, um
        darauf Energiepflanzen anzubauen. Die Vermaisung der
        Landschaft ist bereits heute erkennbar. Der Zielkonflikt
        zwischen traditioneller Landwirtschaft für die Lebens-
        mittelproduktion und dem Anbau von Energiepflanzen
        wird durch die vorliegenden Gesetzentwürfe nicht ge-
        löst, sondern verschärft. Insoweit hätte über eine Ausset-
        zung von naturschutzrechtlichen Ausgleichsregelungen
        für den Netzausbau für regenerative Energien nachge-
        dacht werden müssen wie auch über die Schaffung der
        Möglichkeit einer finanziellen Ersatzleistung für Aus-
        gleichsmaßnahmen. Auch dafür war keine Zeit.
        Über mein persönliches Abstimmungsverhalten in
        dieser für die Zukunft Deutschlands herausragend wich-
        tigen Frage habe ich in den letzten Tagen und Wochen
        lange mit mir gerungen. Ich hoffe, dass sich meine Be-
        fürchtungen nicht bewahrheiten werden. Mir ist bewusst,
        dass viele Bürgerinnen und Bürger sich nichts mehr
        wünschen als den schnellstmöglichen Ausstieg aus der
        Kernenergie. Ich teile diese Auffassung ausdrücklich.
        Ich bin keine Anhängerin der Kernenergie. Der Ausstieg
        aus dieser Energieform ist richtig, muss aber mit Augen-
        maß erfolgen. Bei allen verständlichen und berechtigten
        Sorgen und Ängsten sollten wir diesen Rückzug geord-
        net antreten. Die Voraussetzungen dafür sind für mich in
        der vorgesehenen kurzen Frist nicht gegeben. Ich werde
        deshalb den vorgenannten Gesetzentwürfen nicht zu-
        stimmen.
        Anlage 9
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die
        Förderung der Stromerzeugung aus erneuerba-
        ren Energien (Tagesordnungspunkt 4 c)
        Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Ich trete für eine
        nachhaltige Energieversorgung ein: sicher, verlässlich,
        ökonomisch und ökologisch vernünftig. Ausdrücklich
        begrüße und unterstütze ich den Ausbau erneuerbarer
        Energien. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
        des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeu-
        gung aus erneuerbaren Energien enthält zahlreiche sinn-
        volle Regelungen, um diesen Ausbau weiter zu beför-
        dern. Daher werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen.
        Gleichwohl enthält der Gesetzentwurf Regelungen
        hinsichtlich der Vergütung von Strom aus Geothermie,
        die ich als problematisch und als nicht richtig erachte.
        Warum? Nach wie vor sehe ich in der Geothermie
        grundsätzlich eine Zukunftschance. Die Geothermie hat
        prinzipiell eine Reihe von Vorteilen gegenüber anderen
        Formen der erneuerbaren Energien, zum Beispiel ihre
        Grundlastfähigkeit. Allerdings muss die Geothermie
        noch weiter erforscht werden.
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        Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Technologie der
        iefengeothermie leider noch nicht ausgereift ist. Im
        usammenhang mit dem Projekt in Landau kam es bei-
        pielsweise zu seismischen Ereignissen, die zu erhebli-
        hen Akzeptanzproblemen dieser Energiegewinnungs-
        rm geführt haben. Es ist offenkundig, dass im Bereich
        er Tiefengeothermie nach wie vor Bedarf an anwen-
        ungsorientierter Forschung besteht. Es wäre wichtig,
        unächst den sicheren und effizienten Betrieb bestehen-
        er bzw. weit fortgeschrittener Projekte zu gewährleis-
        n. Aus den Forschungsaktivitäten sollten Erkenntnisse
        ewonnen werden, die auch anderen Projekten zugute-
        ämen. Klar ist, dass zunächst die Sicherheit Vorrang ha-
        en muss. Die Sorgen der Bevölkerung müssen sehr
        rnst genommen werden. Es muss auf die Akzeptanz der
        aßnahmen vor Ort geachtet werden. Daher müsste die
        eothermie meines Erachtens stärker unter dem For-
        chungs- und Entwicklungsaspekt und weniger unter
        em Aspekt der schnellen Markteinführung mittels er-
        öhter Anreize durch das EEG gefördert werden.
        Geothermie macht zudem vor allem dann Sinn, wenn
        icht nur Strom erzeugt, sondern auch die Abwärme
        innvoll genutzt wird. Die Abwärme lediglich über die
        uft oder über das Wasser in die Umwelt abzugeben, ist
        vielfacher Hinsicht unvernünftig. Deshalb halte ich es
        r einen Fehler, den Wärmenutzungsbonus zu streichen
        nd in die Grundvergütung zu integrieren. Dadurch wird
        er Anreiz, Anlagen an Stellen zu planen, an denen die
        hance auf eine Wärmeabnahme besteht, reduziert. Dies
        alte ich für sachlich falsch.
        Jens Koeppen (CDU/CSU): Der Ausstieg aus der
        tomenergie ist richtig und wird von mir genauso wie
        ie Zielstellung, den Anteil erneuerbarer Energien an der
        nergieversorgung massiv zu steigern, uneingeschränkt
        nterstützt, obwohl der schnelle Atomausstieg Risiken
        r die Energieversorgung des Industrielands Deutsch-
        nd in sich birgt.
        Der vorgelegte Rechtsrahmen, der die Marktintegra-
        on der erneuerbaren Energien vorantreiben soll, ist aus
        einer Sicht leider wenig geeignet, um eine klima-
        eundliche, bezahlbare und sichere Energieversorgung
        Zukunft aufrechtzuerhalten. Daher verdient dieser Ge-
        etzentwurf nicht meine uneingeschränkte Zustimmung.
        m die Abkehr von der Atomenergie nicht zu gefähr-
        en, habe ich daher sehr lange überlegt, ob es trotz mei-
        er Bedenken möglich ist, dem Gesetzentwurf zuzustim-
        en. Das Signal, dass die Koalition quasi geschlossen
        ie Energiewende gestaltet, sah ich schließlich als wich-
        ger an, als gegen ein Einzelgesetz zu stimmen – bei si-
        her gegebener Parlamentsmehrheit.
        Jedoch muss zum Gesetzentwurf angemerkt werden:
        ie Marktintegration der neuen Energietechnologien
        itt hinter Subventionszusagen über eine Dauer von
        0 Jahren zurück. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
        ird sich grundsätzlich von der Zielstellung verabschie-
        et, die Energieversorgung durch einen Wettbewerbs-
        arkt abzusichern. Hohe Renditen, die niemals in ande-
        n Bereichen mit derart sicheren Investitionen erzielt
        erden könnten, können zwar den Zubau mit vorhande-
        13634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        ner Technik beschleunigen, treiben aber nicht Innovatio-
        nen in diesem Bereich voran oder stellen sicher, dass die
        erneuerbaren Energien ein zuverlässiger Hauptbestand-
        teil unserer Energieversorgung werden. Das eigentliche
        Ziel des EEG – Marktintegration – ist mit den vorgese-
        henen Regelungen kaum erreichbar.
        Hinzu kommt, dass die finanziellen Lasten des Zu-
        baus von Erneuerbare-Energien-Anlagen, die in den Re-
        gionen in Norddeutschland – wie im Land Brandenburg
        und meiner uckermärkischen Heimat – überproportional
        entstehen, nicht solidarisch durch die Einwohner im ge-
        samten Bundesgebiet getragen werden. Der EEG-be-
        dingte Ausbau des Verteilnetzes wird weiterhin nicht
        bundesweit umgelegt, sondern belastet die Regionen mit
        einem hohen Anteil an Solar- oder Windenergieanlagen,
        wie es beispielweise in der Uckermark der Fall ist.
        Änderungswünsche im EEG und EnWG, um diese
        zunehmend standortbeeinträchtigenden Regelungen ab-
        zuändern, wurden nicht aufgegriffen. Die fehlende ge-
        samtstaatliche Finanzierungsverantwortung in diesem
        Bereich konterkariert die Anstrengungen und schadet
        ebenfalls der Akzeptanz der erneuerbaren Energien.
        Die Debatte zur Marktintegration der erneuerbaren
        Energien ist mit der Verabschiedung nicht abgeschlossen
        oder für die nächsten vier Jahre ausgesetzt. Ich gehe da-
        von aus, dass die Probleme, die ich benannt habe, in den
        kommenden zwei Jahren ausgeräumt werden. Die Bran-
        che ist dabei aufgefordert, von ihrer derzeitigen Diskus-
        sionsstrategie zu einer konstruktiven Debatte zurückzu-
        kehren. Die Branche kann angesichts der Erfolge der
        vergangenen Jahre selbstbewusst auftreten und sollte
        nicht weiter versuchen, sich schlechtzureden, um bessere
        Vergütungssätze zu beanspruchen. Diese Strategie wird
        auf Dauer nicht funktionieren. Es muss deutlich werden,
        dass man bereit ist, Verantwortung für die Energiever-
        sorgung in Deutschland zu übernehmen und Wind- und
        Solaranlagen nicht vorwiegend als sehr erfolgreiche
        Renditeobjekte gesehen werden. Marktintegration in den
        Wettbewerbsmarkt darf nicht nur politisches Ziel sein,
        sondern sollte auch von der Erneuerbare-Energien-Bran-
        che selbst angestrebt werden. Ich erwarte von der Koali-
        tion, zeitnah die wichtige Säule der Energiepolitik – die
        erneuerbaren Energien – durch einen verbesserten
        Rechtsrahmen zu stärken – und die angemessene parla-
        mentarische Beteiligung bei den kommenden Debatten
        abzusichern.
        Anlage 10
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs und
        Andreas G. Lämmel (beide CDU/CSU) zur Ab-
        stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
        Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förde-
        rung der Stromerzeugung aus erneuerbaren
        Energien (Tagesordnungspunkt 4 c)
        Den in der heutigen Sitzung des Bundestages zur Ab-
        stimmung stehenden, von den Fraktionen CDU/CSU
        und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten Ent-
        würfen für ein Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrah-
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        ens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneu-
        rbaren Energien stimmen wir nicht zu. Deutschland ist
        in wettbewerbsfähiges Industrieland und muss dies
        leiben. Unsere Energieversorgung langfristig auf erneu-
        rbare Energien umzustellen, ist richtig. Bei der Umge-
        taltung unserer Energieversorgung sind die Gewährleis-
        ng von Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähiger
        reise für uns von hoher Bedeutung. Daher muss der
        mstieg auf erneuerbare Energieträger mit wirtschaftli-
        hem und technischem Augenmaß erfolgen. Die be-
        chleunigte Energiewende darf den Industriestandort
        icht gefährden.
        An den nun anstehenden Entscheidungen haben wir
        rhebliche Zweifel.
        Erstens. Die Gewinnung von Elektrizität aus regene-
        tiven Energieträgern ist viel teurer als die Nutzung der
        isherigen Grundlastträger Gas, Kernenergie und Kohle.
        rivate Verbraucher und die Unternehmen werden durch
        en harten internationalen Wettbewerb höhere Strom-
        reise zu tragen haben. Gerade Letzteres wird negative
        olgen für die industrielle Basis, das verarbeitende Ge-
        erbe und damit für den Wohlstand unseres Landes ha-
        en.
        Zweitens. Die notwendige Infrastruktur für die ange-
        trebte Energiewende ist nicht ausreichend vorhanden.
        b ein angemessener Ausbau wirklich gelingen wird,
        ezweifeln wir. Das gilt für neue Stromtrassen und Spei-
        her zur Kompensation der fluktuierenden erneuerbaren
        nergieträger. Es birgt erhebliche Risiken für die Versor-
        ungssicherheit, weil die Gefahr von Versorgungseng-
        ässen und Stromausfällen droht. Zusätzlich ist uns nicht
        rsichtlich, wie die notwendigen Investitionen finanziert
        erden sollen.
        Drittens. Die Neuregelung des Rechtsrahmens für die
        örderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Ener-
        ien ignoriert grundlegende ordnungspolitische, wirt-
        chaftliche und technische Zusammenhänge. Sie setzt
        nzureichende Anreize für Innovationen und Effizienz.
        ie Photovoltaikanlagen als ineffizienter Kostentreiber
        erden weiterhin deutlich überfördert. Die energieinten-
        iven Unternehmen werden mit weiteren Kosten bela-
        en, die ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit und
        en Wohlstand Deutschlands bedrohen.
        Wir akzeptieren den gesellschaftlichen Konsens und
        ie Mehrheiten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in
        ezug auf den Ausstieg aus der Kernenergie. An der Art
        nd Weise der beschleunigten Energiewende, besonders
        Bereich des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, haben
        ir jedoch erhebliche Zweifel.
        nlage 11
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Dr. Michael Luther (CDU/
        CSU) zu den Abstimmungen:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
        Rechtsrahmens für die Förderung der
        Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13635
        (A) )
        )(B)
        – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
        energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
        – Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen
        zur Beschleunigung des Netzausbaus Elek-
        trizitätsnetze
        (Tagesordnungspunkt 4 c, f und h)
        Den in der heutigen Sitzung des Bundestages zur Ab-
        stimmung stehenden und von den Fraktionen CDU/CSU
        und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten Ent-
        würfen für ein Gesetz über Maßnahmen zur Beschleuni-
        gung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze, ein Gesetz zur
        Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
        und ein Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für
        die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren
        Energien stimme ich angesichts des breiten in der Bevöl-
        kerung bestehenden Konsenses über den Ausstieg aus
        der Atomenergie zu. Gleichwohl habe ich erhebliche Be-
        denken gegen die jetzt geplante Art und Weise des Aus-
        stiegs.
        Sicherlich ist es unzweifelhaft richtig, die Basis unse-
        rer Energieversorgung langfristig auf erneuerbare Ener-
        gien umzustellen. Um jedoch die erneuerbaren Energien
        als künftige Grundlage unserer Energieversorgung ent-
        wickeln zu können, ohne dabei eine stabile und bezahl-
        bare Stromversorgung in unserem Land infrage zu stel-
        len, ist meines Erachtens ein längerer zeitlicher Vorlauf
        erforderlich. Den jetzt gewählten Zeitrahmen halte ich
        für unverantwortlich kurz.
        Die Verstromung regenerativer Energieträger ist nach
        heutigem Stand der Technik sehr viel teurer als die Nut-
        zung von Kernenergie und Braunkohle als bisherige
        Grundlastträger. Es ist zu bezweifeln, dass es gelingen
        wird, in dem nun von uns gesetzten kurzen Zeitrahmen
        unsere Energieversorgung von konventionellen Energie-
        trägern vollständig auf erneuerbare Energieträger umzu-
        stellen. Dies birgt erhebliche Risiken für die Grundver-
        sorgungssicherheit. Erneuerbare Energien sind nicht
        grundlastfähig.
        Aufgrund der erheblichen Risiken für die Versor-
        gungssicherheit mit grundlastfähigem Strom steht zu
        befürchten, dass es zu Versorgungsengpässen und
        Stromausfällen kommen wird. Infolgedessen kann es zu
        einer Steigerung des Strompreises kommen. Neben der
        Belastung von Privathaushalten wird dies auch erhebli-
        che, heute noch nicht zu überschauende Folgen für die
        industrielle Basis unseres Landes haben. Diese Folgen
        sind bis heute weder ausreichend diskutiert noch im nöti-
        gen Maße der Bevölkerung kommuniziert worden.
        Ich sehe gleichwohl, dass der Ausstieg aus der Kern-
        energie breiter gesellschaftlicher Konsens ist. Ich werbe
        mit Nachdruck dafür, dass vor dem Hintergrund des sich
        jetzt durch die heute verabschiedeten Gesetzentwürfe
        konkretisierenden Ausstiegsszenarios die aufgeworfenen
        Fragestellungen praxisnah diskutiert werden. Sofern bei
        dem angestrebten Umbau unserer Energieversorgung
        unvorhergesehene Schwierigkeiten auftreten, müssen die
        nötigen Korrekturen an der Art und Weise und am Zeit-
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        lan des Ausstiegs aus der Kernenergie vorgenommen
        erden können.
        nlage 12
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Arnold Vaatz (CDU/CSU) zu
        den Abstimmungen über den Entwurf eines
        Gesetzes zur steuerlichen Förderung von ener-
        getischen Sanierungsmaßnahmen an Wohnge-
        bäuden und über den Entwurf eines Gesetzes
        zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung
        in den Städten und Gemeinden (Tagesord-
        nungspunkt 4 k und m)
        Ich stimme beiden Gesetzentwürfen zu, obwohl ich
        en beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung der Kern-
        nergie ablehne und die Begründung beider Gesetzent-
        ürfe darauf Bezug nimmt. Ich unterstütze dennoch die
        diesen Gesetzen getroffenen Neuregelungen.
        nlage 13
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/
        CSU) zu den Abstimmungen:
        – Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Än-
        derung des Atomgesetzes
        – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
        Rechtsrahmens für die Förderung der
        Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
        – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
        energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
        – Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen
        zur Beschleunigung des Netzausbaus Elek-
        trizitätsnetze
        – Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen
        Förderung von energetischen Sanierungs-
        maßnahmen an Wohngebäuden
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
        setzes zur Errichtung eines Sondervermögens
        „Energie- und Klimafonds“ (EKFG-ÄndG)
        – Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der
        klimagerechten Entwicklung in den Städten
        und Gemeinden
        – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände-
        rung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften
        (Tagesordnungspunkt 4 a, c, f, h, k, l, m und n)
        Ich stimme dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung
        es Atomgesetzes (Drucksache 17/6246), dem Gesetz
        ur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung
        er Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (Druck-
        ache 17/6247), dem Gesetz zur Neuregelung energie-
        irtschaftsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/6248),
        13636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        dem Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des
        Netzausbaus Elektrizitätsnetze (Drucksache 17/6249),
        dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energeti-
        schen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden
        (Drucksache 17/6251), dem Gesetz zur Änderung des
        Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Ener-
        gie- und Klimafonds“ (Drucksache 17/6252 (neu)), dem
        Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in
        den Städten und Gemeinden (Drucksache 17/6253) so-
        wie dem Ersten Gesetz zur Änderung schifffahrtsrechtli-
        cher Vorschriften zu, nachdem uns die Bundeskanzlerin
        Dr. Angela Merkel in verschiedenen Fraktionssitzungen
        versichert hat, dass es durch diese Gesetze und Gesetzes-
        änderungen zu keinen nennenswerten finanziellen Mehr-
        belastungen für Industrie und Verbraucher in Deutsch-
        land kommt.
        Ferner wurde uns vonseiten der Bundesregierung zu-
        gesichert, dass die zu beschließende Abschaltung der
        deutschen Atomkraftwerke nur unter den fünf Rahmen-
        bedingungen erfolgt, die die sogenannte Ethikkommis-
        sion in ihrem Bericht aufgezeigt hat:
        Bezahlbarkeit von Energie für Verbraucher und In-
        dustrie erhalten. Keine Verschlechterung der Wettbe-
        werbsfähigkeit für die deutsche Industrie. Einhaltung der
        Klimaziele. Keinen Import von Kernenergie aus europäi-
        schen Nachbarstaaten. Sicherung der Stabilität der deut-
        schen Stromnetze.
        Die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen wird
        durch eine Projektgruppe überwacht.
        Anlage 14
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Wolfgang Nešković (DIE
        LINKE) zur Beratung des Entwurfs eines
        Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
        des Abgeordnetengesetzes – Einführung eines
        Ordnungsgeldes (Zusatztagesordnungspunkt 1)
        Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Erstens. Die zur
        Abstimmung stehenden Vorlagen ignorieren die funda-
        mentale Bedeutung des Rede- und Abstimmungsrechts
        der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Die ein-
        bringenden Fraktionen von Union, SPD und FDP haben
        sich verfassungsrechtlichen Bedenken vorsätzlich ver-
        schlossen. Darin liegen eine Missachtung des Grundge-
        setzes und eine unentschuldbare Ignoranz gegenüber
        dem Bundesverfassungsgericht.
        Zweitens. Die Initiativen von Union, SPD und FDP
        haben eine Vorgeschichte: In der 60. Plenarsitzung des
        17. Deutschen Bundestages am 17. September 2010 tru-
        gen mehrere Abgeordnete der Fraktion Die Linke weiße
        T-Shirts, die mit einem Aufdruck versehen waren, der
        eine Ablehnung des Bahnprojektes „Stuttgart 21“ zum
        Ausdruck brachte. Der Bundestagspräsident schloss die
        Abgeordneten deswegen für die laufende Sitzung und
        zwei Folgetage von den Beratungen des Deutschen Bun-
        destages aus. Die Abgeordneten wehrten sich vor dem
        Bundesverfassungsgericht und erreichten, dass der Bun-
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        estagspräsident schließlich auf den Vollzug seiner Maß-
        ahme verzichtete.
        Drittens. Das Bundesverfassungsgericht hatte den an
        em Organstreit Beteiligten ein Schreiben mit rechtli-
        hen Hinweisen zukommen lassen. Neben kritischen Be-
        erkungen in Bezug auf die Rechtsschutzmöglichkeiten
        on ausgeschlossenen Abgeordneten – ein Einspruch ge-
        en den Ausschluss hat keine aufschiebende Wirkung –
        achte das Gericht auch Ausführungen zum Sitzungs-
        usschluss von Abgeordneten. Das Gericht formulierte:
        Im Extremfall könnte der Ausschluss von Abgeord-
        neten erheblichen Einfluss auf die Willensbildung
        im Parlament entfalten und Stimmenverhältnisse
        wären durch Fehlgebrauch des Instrumentes „Sit-
        zungsausschluss“ gar gezielt manipulierbar.
        Viertens. Die zur Abstimmung stehenden Vorlagen
        alten jedoch weiterhin daran fest, dass der Ausschluss
        icht nur für den laufenden Sitzungstag, sondern auch
        r künftige Sitzungstage erfolgen kann. Das ist nach
        en Hinweisen des Verfassungsgerichts hochproblema-
        sch und dürfte im Streitfall wohl keinen Bestand haben.
        uch die Hinweise auf den mangelnden Rechtsschutz
        Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung – sind
        icht berücksichtigt worden.
        Fünftens. Außerdem ist die Verwendung des Begrif-
        s der „Würde des Bundestages“ in den zur Abstim-
        ung stehenden Vorlagen nicht zielführend. Ordnungs-
        aßnahmen können nur zur Aufrechterhaltung der
        rbeitsfähigkeit des Parlaments verhängt werden. Der
        egriff der „Würde“ ist darüber hinaus von vornherein
        ur Menschen und nicht einem juristischen Konstrukt
        ie dem Deutschen Bundestag vorbehalten. Schließlich
        önnte die „Würde des Deutschen Bundestages“ auch
        in inhaltlich niveauloser Redebeitrag oder auch ein ent-
        prechender Zwischenruf beeinträchtigen. Dadurch wird
        doch nicht die Arbeitsfähigkeit des Parlaments beein-
        ächtigt, höchstens dessen Ansehen.
        Sechstens. Schließlich bleibt in den Vorlagen unbe-
        cksichtigt, dass das Ordnungsrecht als Maßnahme der
        belszufügung strafrechtlichen Grundregeln folgen
        uss. Danach muss – dem Schuldprinzip folgend – ein
        ngemessenes Verhältnis zwischen der Veranlassung,
        atbestandsseite, und der daran anknüpfenden Übelszu-
        gung, Rechtsfolgenseite, bestehen: Das jeweils ge-
        gte Verhalten muss in einem angemessenen Verhältnis
        u der dadurch hervorgerufenen „Strafe“ stehen. In dem
        ur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf wird jedoch
        r alle denkbaren Fallgestaltungen, die von einer „nicht
        ur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der
        ürde des Bundestages“ bis zu einer „gröblichen Verlet-
        ung der Ordnung oder der Würde des Bundestages“ rei-
        hen, stets die gleiche „Strafhöhe“ festgesetzt. Das ist
        ffenkundig mit dem verfassungsrechtlich geschützten
        chuldprinzip unvereinbar. Nach der Rechtsprechung
        es Bundesverfassungsgerichts setzt jede Strafe, nicht
        ur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die
        trafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht, Schuld vo-
        us (BVerfG, NVwZ 2003, 1504). Offenkundig wollten
        nion, FDP und SPD dem Präsidenten die Mühsal einer
        chuldangemessenen Festsetzung des Ordnungsgeldes
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13637
        (A) )
        )(B)
        ersparen. So verlegten sich die Entwurfsverfasser auf
        pauschalierende Sanktionssätze ohne Wertungsmöglich-
        keiten. Doch wer im Rechtsstaat strafen will, muss sich
        – verfassungsrechtlich zwingend – dafür auch der Unbe-
        quemlichkeit rechtsstaatlichen Abwägens stellen.
        Siebtens. Diesen verfassungsrechtlichen Bedenken
        haben sich die einbringenden Fraktionen vorsätzlich ver-
        schlossen. Anträge von Linken und Grünen auf Durch-
        führung einer Anhörung wurden abgelehnt. Nachdem
        Union, FDP und SPD stattdessen wenigstens einem von
        Linken und Grünen angeregten erweiterten Bericht-
        erstattergespräch unter Einbeziehung von Sachverständi-
        gen zugestimmt hatten, haben sie dann in diesem – ohne
        Sachverständige einzuladen und ohne inhaltliche Befas-
        sung mit der Sache – lediglich beschlossen, dass es
        nichts zu diskutieren gibt. Sie haben damit das Bericht-
        erstattergespräch zu einer Farce verkommen lassen und
        auch erneute Anträge auf Durchführung einer Anhörung
        abgelehnt.
        Achtens. Die einbringenden Fraktionen fallen mit ih-
        ren Vorstellungen von parlamentarischer Würde hinter
        die demokratischen Errungenschaften des Norddeut-
        schen Bundes aus dem Jahre 1869 zurück. In dessen Par-
        lament gab es den Sitzungsausschluss nur für die lau-
        fende Sitzung. Er stellte auch keine Strafmaßnahme dar,
        sondern diente allein der Wiederherstellung der Ord-
        nung. War diese wiederhergestellt, waren die Ausge-
        schlossenen zurück in den Saal zu bitten und unklare
        Abstimmungen unter ihrer Beteiligung nachzuholen.
        Im Reichstag des zweiten Deutschen Kaiserreiches
        gab es den Sitzungsausschluss lange Zeit überhaupt
        nicht. Er wurde erst im Jahre 1895 eingeführt – für die
        laufende Sitzung. Ein Jahr zuvor missachtete ein Abge-
        ordneter die „Würde“ des Parlamentes. Der Mann wei-
        gerte sich, aufzustehen, als ein Hochruf auf den Kaiser
        ausgebracht wurde. Er hatte keine Achtung vor dem
        Monarchen. Warum sollte er sich also benehmen, als sei
        es anders? Es wäre würdelos gewesen.
        Anlage 15
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
        – Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung
        ehebezogener Regelungen im öffentlichen
        Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften
        – Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung
        der eingetragenen Lebenspartnerschaften
        mit der Ehe im Bundesbeamtengesetz und in
        weiteren Gesetzen (Tagesordnungspunkt 11)
        Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Mit
        dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz zur
        Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen
        Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften werden wir das
        Dienstrecht modernisieren und an die aktuelle Lebens-
        wirklichkeit anpassen. Wir werden also insbesondere
        Lebenspartnerschaften im Bundesbesoldungsgesetz in
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        ie Regelungen zum Familienzuschlag und zur Aus-
        ndsbesoldung integrieren. Wir werden Lebenspartner
        un auch im Beamtenversorgungsgesetz des Bundes so-
        ie im Soldatenversorgungsgesetz bei der Hinterbliebe-
        enversorgung einbeziehen. Wir werden Lebenspartner
        Bundesbeamtengesetz bei der Beihilfe berücksichti-
        en, und im Gesetz über den Auswärtigen Dienst werden
        ir die Fürsorge auf den Lebenspartner der entsandten
        eamtin oder des Beamten ausdehnen.
        Dies alles soll rückwirkend zum 1. Januar 2009 einge-
        hrt werden. Auf der Ebene von Rechtsverordnungen
        erden wir dies in separaten Vorschriften umsetzen,
        um Beispiel in der Auslandszuschlagsverordnung oder
        der Bundesbeihilfeverordnung.
        Die CDU/CSU-Fraktion verwirklicht mit dem vorlie-
        enden Gesetzentwurf eine sehr weitgehende und ver-
        ntwortbare Übertragung ehebezogener Regelungen.
        ir kommen Ihnen da sehr weit entgegen, meine Damen
        nd Herren der Opposition; aber der von Ihnen beantrag-
        n vollständigen Gleichstellung stimmen wir nicht zu.
        ir werden die Ehe auch weiterhin gegenüber anderen
        eziehungsformen begünstigen, und ich möchte Ihnen
        ies sowohl moralisch wie auch juristisch begründen.
        Sehr geehrte Frau Kollegin Lühmann, Sie betonten in
        er ersten Lesung zum Beispiel die Situation der soge-
        annten Regenbogenfamilien und forderten die völlige
        leichstellung dieser Lebenspartnerschaften mit der
        he. Hierfür ziehen Sie maßgeblich eine Studie der Uni-
        ersität Bamberg aus dem Jahr 2009 als Beleg für Ihre
        hesen heran. Projektleiterin dieser Studie war Frau
        r. Marina Rupp. Frau Dr. Rupp äußert sich zu den di-
        ergierenden Einschätzungen beim Thema Adoption in
        us Politik und Zeitgeschichte im Jahr 2009 sehr diffe-
        nziert, unter anderem zu der Meinung von Experten,
        ie „den Kindern neben dem ‚Verlust‘ der eigenen Fami-
        e nicht das Risiko der Diskriminierung zumuten“
        öchten, „das beim Aufwachsen in einer gleichge-
        chlechtlichen Lebenspartnerschaft nicht auszuschließen
        ei.“
        Für uns sollten das Wohl des Kindes an erster und die
        ünsche der Eltern an zweiter Stelle stehen. Insgesamt
        t die eher seltene Beziehungsform der Regenbogenfa-
        ilie viel zu wenig erforscht, als dass wir im Bereich der
        doption mit einer völligen Gleichstellung experimen-
        eren sollten.
        Am 6. Juni 2011 erfolgte eine öffentliche Sachver-
        tändigenanhörung im Deutschen Bundestag zum Ge-
        etzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur so-
        enannten Fremdkindadoption durch gleichgeschlecht-
        che Lebenspartner. Professor Dr. Klaus Gärditz von der
        niversität Bonn kritisierte in dieser Anhörung, dass es
        en Initiatoren der Sachverständigenanhörung nicht um
        as Wohl des Kindes gehe, das im Adoptionsrecht ei-
        entlich alleiniger Maßstab sei, sondern im Kern um die
        teressen von Erwachsenen.
        Die Adoption ist unserer Auffassung nach Hilfe für
        ereits geborene Kinder, die aus unterschiedlichen Grün-
        en Eltern und Familie verloren haben. Sie dient nicht
        er Heilung einer Kinderlosigkeit von Paaren, insofern
        13638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        kann auch kein Rechtsanspruch auf diese Elternschaft
        bestehen. Solange wir nicht sicher ausschließen können,
        dass Fremdkindadoptionen dem Wohl der betroffenen
        Kinder zuwiderlaufen, sehe ich die Pflicht des Gesetzge-
        bers, der Ehe auch weiterhin das grundgesetzlich mani-
        festierte Exklusivrecht zur Fremdkindadoption zu erhal-
        ten.
        Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, die
        Forderung der Linken, die Ehe insgesamt abzuschaffen,
        ist grotesk; das werde ich nicht weiter kommentieren.
        Ich kommentiere aber gerne Ihr gemeinsames Wunsch-
        bild einer bunten Regenbogengesellschaft in Deutsch-
        land: Wir wollen zugunsten beliebiger Beziehungsfor-
        men nicht einfach alles fördern und damit das
        traditionelle Familienbild als Fundament dieser Gesell-
        schaft nach und nach entwerten. Die traditionelle Fami-
        lie ist immer noch die stabilste Form sozialen Zusam-
        menlebens, und das ist für uns Grund genug, auch
        künftig vehement für die Privilegierung dieser Bezie-
        hungsform einzutreten.
        Währenddessen dürfen Sie sich gerne von Lesben-
        und Schwulenverbänden als Initiatoren der Lebenspart-
        nerschaft feiern lassen. Allerdings beschleicht mich der
        Verdacht, dass auch der eine oder andere in Ihren Reihen
        unsere moralische wie juristische Position nachvollzie-
        hen kann. Anders ist für mich nicht zu erklären, dass die
        rot-grüne Regierung die Gleichstellung nicht einmal in
        der zweiten Amtsperiode bis 2005 eingeführt hat. Selbst
        in Nordrhein-Westfalen wird die Umsetzung zum Unmut
        von homosexuellen Medien nicht schnell genug voran-
        getrieben. Insofern kann ich Ihre Aufgeregtheit schon
        verstehen; immerhin sind Sie nur in der Beobachterrolle
        in Bezug darauf, wie eine christlich-liberale Bundesre-
        gierung eine maßgeschneiderte Modernisierung bei die-
        sem Thema bewerkstelligt.
        Ich möchte Ihnen abschließend auch unsere juristi-
        sche Bewertung nicht schuldig bleiben: Das Bundesver-
        fassungsgericht hat im Juli 2009 festgestellt, dass es dem
        Gesetzgeber freisteht, die Ehe gegenüber anderen Bezie-
        hungsformen zu begünstigen. Hierfür bedarf es gemäß
        dem Urteil jenseits des Schutzes der Ehe aus Art. 6
        Abs. 1 Grundgesetz eines hinreichend gewichtigen
        Sachgrundes, der die Benachteiligung anderer Lebens-
        formen rechtfertigt. Diese Sachgründe liegen für mich
        auf der Hand:
        Erstens. Ehepaarfamilien gewährleisten durch ihre
        Form des Zusammenlebens immer noch die besten Be-
        dingungen für das Wohl der Kinder; diese Einschätzung
        hat der Gesetzgeber richtigerweise bisher nicht revidiert.
        Zweitens. Die Vorgaben der Natur sind eine Richt-
        schnur für die Logik unseres Lebens. So gibt es natürli-
        cherweise bei der Funktion der Weitergabe des Lebens
        bereits keine Gleichstellung einer heterosexuellen Ehe
        mit einer homosexuellen Partnerschaft. Dass es Lebens-
        partnerschaften gibt, wird damit nicht bestritten. Aus ih-
        nen kann aber nie Elternschaft entstehen.
        Deshalb werden wir Ehe und Familie nicht relativie-
        ren, indem wir andere Formen menschlichen Zusam-
        menlebens in gleicher Weise ordnen. Die gesetzliche
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        nerkennung als gleichgeschlechtliche Ehe ist und
        leibt für uns nicht verfassungsgemäß.
        Es ist erklärtes Ziel der christlich-liberalen Koalition,
        en öffentlichen Dienst zukunftsfähig zu gestalten. Die
        ier eingebrachten Regelungen sind ein wichtiger Mosa-
        stein, um die Attraktivität der Bundesverwaltung als
        ffentlicher Arbeitgeber wieder ein Stück voranzubrin-
        en.
        Wir gewährleisten mit diesem Gesetzentwurf der
        undesregierung unseren politischen Auftrag, Ehe und
        amilie besonders zu schützen, erfüllen aber gleichzeitig
        uch die Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern, im
        ienstrecht bestimmte ehebezogene Regelungen auf Le-
        enspartnerschaften im Einklang mit unserer Verfassung
        u übertragen.
        Deshalb stimmen wir für den Antrag der Bundesre-
        ierung.
        Norbert Geis (CDU/CSU): Im Gesetzentwurf der
        undesregierung wird versucht, die vollständige Gleich-
        tellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaf-
        n mit der Ehe im Recht des öffentlichen Dienstes des
        undes, soweit es sich um ehebezogene Regelungen
        andelt, herzustellen. Der Vorschlag der Grünen, über
        en ebenfalls heute entschieden wird, geht viel weiter.
        ie Grünen möchten durch einfache Gesetzgebung die
        tale Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der
        he in unserer Rechtsordnung erreichen. Das halte ich
        r verfassungswidrig. Man kann nicht die Verfassung
        it einem einfachen Gesetz durch die Hintertür ändern.
        er die Verfassung ändern oder ergänzen will, kann dies
        ur mit der dafür notwendigen qualifizierten Mehrheit
        nd in dem dafür notwendigen Verfahren erreichen. Ein
        infaches Gesetz genügt nicht. Dies wäre ein Verstoß ge-
        en Art. 79 GG.
        Wir haben einen Verfassungsstaat. Unsere Verfassung
        t die höchste Norm der staatlichen Rechtsordnung. Sie
        at Vorrang vor allen anderen Normen. Sie hat Geltung
        egenüber allen Organen des Staates. Sie hat einen be-
        onderen Bestandsschutz und ist deshalb nur schwer ab-
        nderbar – Art. 79 GG. Die Verfassung ist die Grundlage
        nseres Staatswesens. Sie ist unmittelbar geltendes Ver-
        ssungsrecht. Sie normiert höchste Rechtsgüter. Dazu
        ählt auch Art. 6 GG, der Schutz von Ehe und Familie.
        Es handelt sich bei Art. 6 GG nicht um eine unver-
        indliche Deklaration, sondern um einen Befehl der Ver-
        ssung an alle Staatsorgane, Ehe und Familie ganz be-
        onders zu schützen. Die Verfassung hebt die Ehe und
        ie Familie in besonderer Weise heraus und stellt sie als
        ochrangiges Rechtsgut neben die Würde des Men-
        chen, das Recht auf Freiheit und Leben, auf Gleichheit,
        uf Glaubens- und Gewissensfreiheit und andere hoch-
        ngige Rechtsgüter.
        Durch die völlige Egalisierung von Ehe und gleichge-
        chlechtlicher Lebensgemeinschaft wird die herausgeho-
        ene Bedeutung von Ehe und Familie verletzt. Die Le-
        enspartnerschaft soll gewissermaßen als eine weitere
        orm der Ehe gelten und dieselbe Förderung und densel-
        en Rechtsschutz haben wie die Ehe auch. Sie soll in un-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13639
        (A) )
        )(B)
        serer Rechtsordnung völlig gleichrangig neben der Ehe
        stehen, mit denselben rechtlichen Regelungen. Wenn
        zwei Institute in der Rechtsordnung völlig gleich behan-
        delt werden, dann sind sie auch gleich. Das ist das Ziel
        der Grünen und der gesamten Opposition. Damit aber
        missachtet die Opposition nicht nur Art. 6 GG, sondern
        auch Art. 79 GG.
        Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
        17. Juli 2002 noch anerkannt, dass es sich bei der Ehe
        um ein Aliud handele, um etwas ganz anderes. Dennoch
        war dieses Urteil der Beginn der Gleichstellung. Die Ar-
        gumentation des Gerichtes war blauäugig. Wenn zwei
        Gegenstände gleich behandelt werden, dann sind sie
        auch gleich. Ungleiches kann man nicht gleich behan-
        deln. Da hilft auch die Beteuerung nicht, die Ehe sei et-
        was ganz anderes. Wer so argumentiert, macht sich un-
        glaubwürdig.
        Durch das Ergänzungsgesetz zum Lebenspartner-
        schaftsgesetz vom Jahre 2005 wurde die rechtliche
        Gleichstellung mit der Ehe sehr weit vorangetrieben. Die
        Türe, die das Verfassungsgericht geöffnet hat, hat die
        seinerzeitige Mehrheit mit großem Selbstbewusstsein
        durchschritten. Mit dem Urteil vom 7. Juli 2009 hat das
        Verfassungsgericht diese Richtung bestätigt. Das Gericht
        leitet aus Art. 3 GG ab, beide Personengruppen, die Ehe-
        leute und die gleichgeschlechtlichen Partner oder Partne-
        rinnen, seien deshalb gleich zu behandeln, weil sie beide
        eine sexuelle Orientierung hätten, wie unterschiedlich
        diese auch sei. Das Gericht übergeht damit den eigentli-
        chen Grund, weshalb in der Verfassung Ehe und Familie
        als Höchstwert normiert sind. Ehe und Familie sind des-
        halb als ein Höchstwert durch die Verfassung herausge-
        stellt worden, weil sie die Generationenfolge sichern sol-
        len. Aus diesem Grund wird sie im Vergleich zu anderen
        menschlichen Vereinigungen in besonderer Weise privi-
        legiert. Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft
        kann dies naturgemäß nicht leisten. Deshalb kann sie der
        Ehe auch nicht gleichgestellt werden. Sie kann nicht als
        eine andere Form der Ehe mit dieser auf gleicher Höhe
        stehen. Dadurch würde die Verfassung verändert, die in
        diesem Zusammenhang nur die Ehe und Familie als
        Höchstwert herausgestellt hat. Wer dies ändern will,
        muss die Verfassung ändern. Der Versuch, über ein Ge-
        setz die Verfassung zu ändern, verstößt gegen Art. 79
        GG. Er ist verfassungswidrig. Der Antrag der Grünen ist
        deshalb abzulehnen.
        Das Bestreben, die Lebenspartnerschaft durch einfa-
        ches Gesetz der Ehe gleichzustellen, verstößt gegen
        Art. 6 GG und gegen Art. 79 GG. Zwar wird mit dem
        Gesetzentwurf der Bundesregierung keinesfalls die voll-
        ständige Gleichstellung der beiden Institute erreicht. Das
        Gesetzgebungsvorhaben ist deshalb für sich genommen
        nicht verfassungswidrig. Es verstärkt aber die Tendenz
        und ist deshalb verfassungspolitisch sehr bedenklich.
        Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Mit der
        heutigen Debatte und Beschlussfassung über die Gleich-
        stellung von Lebenspartnerschaften vollziehen wir einen
        weiteren Schritt hin zu Akzeptanz und Normalität ge-
        genüber homosexuellen Paaren in Deutschland. Das war
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        berfällig und kommt keineswegs zu früh. Der Gesetz-
        ntwurf ist aber nicht ausreichend, denn durch eine will-
        ürliche Stichtagsregelung wird weiterhin echte Gleich-
        tellung verweigert.
        Im Jahr 2001 haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen
        ndlich überhaupt erst die sogenannte Homo-Ehe einge-
        hrt. Weil eben nicht die sexuelle Orientierung eines
        enschen mehr oder weniger wertvoll ist, sondern die
        ereitschaft, sich in Liebe zu binden und in guten wie in
        chlechten Tagen füreinander einzustehen, war dies ein
        ichtiger Baustein bei der Öffnung unserer Gesellschaft
        r Menschen, die auch heute noch unter Vorurteilen und
        ft genug auch unter Benachteiligungen zu leiden haben.
        Nun hat uns das Verfassungsgericht aufgetragen, auch
        öffentlichen Dienstrecht ehebezogene Regelungen
        uf die Lebenspartnerschaften zu übertragen. Die Euro-
        äische Union hat das Ihre unterstützend festgestellt.
        as leider aus freien Stücken nicht gelang, wird so
        urch unser höchstes Gericht erzwungen. Schade, dass
        ies überhaupt notwendig war.
        Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Koalition nun
        nicht frei von zum Teil befremdlichen Kommentaren
        nd geschmacklosen Bemerkungen – schließlich doch
        eliefert hat. Wir bedauern, dass aber ein falscher Zeit-
        unkt für die rückwirkende Geltung der Ansprüche defi-
        iert wurde. Das einschlägige Gesetz gilt seit 2001. Aber
        rst ab dem Januar 2009 will die Bundesregierung An-
        prüche anerkennen. Das riecht nach Willkür und wirk-
        ch nur widerwillig vollzogener Gleichstellung.
        Soweit haushalterische Gründe geltend gemacht wer-
        en, so überzeugen diese nicht. Denn es geht erstens um
        leichstellung und nicht um Rechenschieberei, und es
        andelt sich zweitens keineswegs um Unsummen, die
        ier in Rede stehen. Wohl aber wäre das Symbol einer
        irksamkeit von Anfang an ein wichtiges Signal der
        ereitschaft zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher
        indungen.
        Was heute angesichts der aktuellen Mehrheitsverhält-
        isse nicht gelingt, bleibt ein Auftrag für morgen. Wir
        ehmen ihn an.
        Michael Kauch (FDP): Schritt für Schritt zur
        leichstellung von Lesben und Schwulen; heute setzen
        ir ein weiteres Projekt der FDP-Fraktion um.
        Auf Initiative der Liberalen wurden eingetragene Le-
        enspartner bereits bei Erbschaftsteuer, Grunderwerb-
        teuer und BAföG mit Ehegatten gleichgestellt. Dabei ist
        nser Ziel die volle Gleichstellung eingetragener Le-
        enspartnerschaften mit der Ehe.
        Nun also folgt die Verabschiedung des Gesetzes zur
        leichstellung von Lebenspartnern im Beamten-, Solda-
        n- und Richterrecht sowie im Entwicklungshelfer-
        esetz. Bereits vor Veröffentlichung der einschlägigen
        erichtsurteile hatte die FDP in den Koalitionsverhand-
        ngen dieses Projekt gegenüber der Union durchgesetzt.
        Jetzt also beschließen wir, was längst überfällig war.
        ährend gesetzlich Rentenversicherte beim Tod des Le-
        enspartners seit 2005 eine Hinterbliebenenrente erhal-
        13640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        ten, ging bisher der Lebenspartner eines Bundesbeamten
        komplett leer aus. Eine himmelschreiende Ungerechtig-
        keit – und eine soziale Härte, die der Dienstherr verur-
        sacht hat, der doch eine besondere Fürsorgepflicht hat.
        Außerdem erfolgt nun bei Besoldung und Beihilfe eben-
        falls eine Gleichstellung mit verheirateten Kollegen. Das
        ist nur recht und billig, denn bei den Pflichten sind die
        eingetragenen Lebenspartner ja schon längst mit Ehegat-
        ten gleichgestellt.
        Wir Liberale meinen: Wer gleiche Pflichten hat, muss
        auch gleiche Rechte bekommen. Mit diesem Gesetzent-
        wurf wird ein weiterer Schritt zu diesem Prinzip ge-
        macht.
        Doch wir sind bei der Gleichstellung noch nicht am
        Ende. Bei der Einkommensteuer und beim Adoptions-
        recht werden eingetragene Lebenspartner noch immer
        benachteiligt. Auch diese Diskriminierung muss ein
        Ende haben. Gerade bei der Einkommensteuer erinnern
        wir den Koalitionspartner an die Bestimmungen des Ko-
        alitionsvertrages. Dort haben wir vereinbart, dass wir
        auch im steuerlichen Bereich gleichheitswidrige Be-
        nachteiligungen eingetragener Lebenspartner abbauen
        werden.
        Heute freuen wir uns aber zunächst einmal gemein-
        sam darüber, dass der Staat seine lesbischen und schwu-
        len Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair und gleichbe-
        rechtigt behandelt. Zeit wurde es!
        Dr. Stefan Ruppert (FDP): Mit dem vorliegenden
        Gesetzentwurf werden wir heute abschließend die Be-
        nachteiligung von Lebenspartnerschaften im öffent-
        lichen Dienstrecht abschaffen. Besonders die FDP hat
        lange für diese Gleichstellung gekämpft. Wir haben da-
        mit einen wichtigen Punkt aus dem Koalitionsvertrag
        umgesetzt.
        Das vorliegende Gesetz steht im Einklang mit der
        Richtlinie 2000/78/EG der Europäischen Union. Die
        Richtlinie des Rates stammt vom 27. November 2000.
        Ihr Ziel ist es, einen Rahmen für die Gleichbehandlung
        in Beschäftigung und Beruf vorzugeben. Sie ist eines der
        Kernstücke der Gleichstellungspolitik der Europäischen
        Union.
        Deutschland hat die Richtlinie durch das „Gesetz zur
        Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung
        des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ vom 4. August
        2006 umgesetzt. Eine Reihe von Urteilen hat jedoch ge-
        zeigt, dass bei der Gleichstellung im Arbeitsleben noch
        Regelungsbedarf besteht. Ich möchte hier zwei Urteile
        exemplarisch herausgreifen:
        Der Europäische Gerichtshof stellte 2008 im Fall
        Maruko eine Ungleichbehandlung von Lebenspartner-
        schaften gegenüber den Ehen fest. Der Kläger Maruko
        hatte geklagt, weil die „Versorgungsanstalt der Deut-
        schen Bühnen“ sich weigerte, ihm eine Hinterbliebenen-
        rente für seinen verstorbenen Lebenspartner zu zahlen.
        Der Europäische Gerichtshof stellte abschließend einen
        Verstoß gegen die erwähnte Richtlinie 2000/78/EG fest.
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        Auch das Bundesverfassungsgericht zeigte mit sei-
        em Urteil vom 7. Juli 2009 Handlungsbedarf auf. Aus-
        angspunkt war eine Verfassungsbeschwerde, die die
        ngleichbehandlung von Ehen und eingetragenen Le-
        enspartnerschaften im Bereich der betrieblichen Hinter-
        liebenenvorsorge für den öffentlichen Dienst, VBL,
        ritisiert. Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem
        chluss, dass diese Ungleichbehandlung mit Art. 3 des
        rundgesetzes unvereinbar ist.
        Dieses Urteil war ein Meilenstein auf dem Weg zu
        ehr Gleichbehandlung. Bis 2009 hatte die Mehrheit der
        eutschen Gerichte die Auffassung vertreten, dass das
        echtsinstitut der Lebenspartnerschaft mit dem Rechts-
        stitut der Ehe nicht vergleichbar ist. Die Gerichte gin-
        en davon aus, dass der Gesetzgeber Ehen fördern darf,
        eil sie typischerweise zur Gründung einer Familie füh-
        n. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem
        rteil zurückgewiesen. Die abstrakte Vermutung, dass
        hen typischerweise zur Gründung einer Familie führen,
        ichte nicht aus, um zahlreichen kinderlosen Ehen eine
        ergünstigung zukommen zu lassen, die kinderlosen Le-
        enspartnern vorenthalten blieb.
        Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun eben-
        lls einen „Gesetzentwurf zur Gleichstellung von einge-
        agenen Lebenspartnerschaften im Bundesbeamtenge-
        etz und in weiteren Gesetzen“ vorgelegt. Es wäre besser
        ewesen, die Grünen hätte schon während ihrer Zeit an
        er Regierung dafür gesorgt, dass diese Gleichstellung
        Beamtenrecht vorangetrieben wird. Wir müssen nun
        usbaden, was sie versäumt haben. Die christlich-libe-
        le Bundesregierung ist wieder einmal der Reparaturbe-
        ieb für die Versäumnisse während der rot-grünen Re-
        ierungszeit.
        Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
        t inhaltlich sehr weitgehend und wurde auch von Ver-
        änden explizit gelobt. Eine Gleichstellung erfolgt ins-
        esondere durch folgende Maßnahmen: Im Bundesbe-
        oldungsgesetz werden die ehebezogenen Regelungen
        um Familienzuschlag und zur Auslandsbesoldung auf
        ebenspartnerschaften ausgedehnt. Im Bundesbeamten-
        esetz werden Lebenspartner in die Vorschrift über die
        eihilfe aufgenommen. Im Beamtenversorgungsgesetz
        nd im Soldatenversorgungsgesetz werden Lebenspart-
        er in die Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung
        inbezogen. Im Gesetz über den Auswärtigen Dienst
        erden die Vorschriften über die Fürsorge des Auswärti-
        en Amtes für die Ehegatten der ins Ausland entsandten
        eamten auf Lebenspartner ausgedehnt.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir nun
        inen weiteren Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung
        on Lebenspartnerschaften. Es wird bestimmt nicht der
        tzte Schritt sein. Das ist auch gut so, weil es immer
        och Bereiche gibt, in denen gleichgeschlechtliche Le-
        enspartnerschaften rechtlich benachteiligt sind. Von ge-
        ellschaftlicher Benachteiligung möchte ich an dieser
        telle ganz absehen.
        Frank Tempel (DIE LINKE): Der vorliegende Ge-
        etzentwurf ist eine notwendige Folge der EU-Antidis-
        riminierungsrichtlinie, des Bundesverfassungsgerichts-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13641
        (A) )
        )(B)
        urteils vom 9. Juli 2010 und der Rechtsprechung des
        Europäischen Gerichtshofes. Denn bis heute hatte sich
        Schwarz-Gelb zu einer Aufhebung der Benachteiligung
        von Lebenspartnerschaften im Beamten-, Einkommens-
        und Steuerrecht nicht durchringen können, obwohl dies
        im eigenen Koalitionsvertrag steht. Für mich ist es un-
        glaublich, dass diese rechtliche Gleichstellung bis heute
        noch nicht erfolgt ist.
        Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein richtiger
        Schritt, doch hatte man bei der Umsetzung nicht den
        Eindruck von besonderer Eile oder gar von Herzblut.
        Es ist richtig, die ehebezogenen Regelungen des Bun-
        desbesoldungsgesetzes, des Bundesbeamtengesetzes, des
        Beamtenversorgungsgesetzes und des Soldatenversor-
        gungsgesetzes auf die Lebenspartnerschaften auszudeh-
        nen. Es ist aber nicht nachvollziehbar, die Rückwirkung
        auf den 1. Januar 2009 zu legen. Richtiger ist der Ansatz
        im Gesetzentwurf der Grünen und im entsprechenden
        Änderungsantrag der SPD und der Linken. Der 1. August
        2001 war der Termin der Einführung des Lebenspartner-
        schaftsgesetzes. Es spricht also nichts gegen diesen Ter-
        min.
        Ich weiß nicht, ob es nur finanzielle Erwägungen sind,
        die es der Koalition unmöglich machen, diesen Termin zu
        setzen. Rechtlich wird sich der 1. Januar 2009 als Stich-
        tag nicht halten lassen, und das wissen Sie. In einem Ant-
        wortschreiben der Justizministerin an den Lesben- und
        Schwulenverband Deutschlands vom 23. Juni 2011 hat
        die Ministerin unumwunden zugegeben, dass der 3. De-
        zember 2003 nach EU-Recht der Stichtag zur Gleichstel-
        lung von homosexuellen Partnerschaften ist. Es bestehe
        aber „keine Aussicht“, so die Ministerin, „hierüber im …
        Gesetzgebungsverfahren mit dem Koalitionspartner eine
        Einigung erzielen zu können“. Sie begeben sich sehenden
        Auges in eine juristische Niederlage, und das, obwohl die
        Bundesländer Berlin und Sachsen-Anhalt, als sie ihre
        Landesbeamtinnen und -beamten gleichstellten, die
        Rückwirkung auf 2003 legten.
        Wenn wir uns anschauen, wie Sie beispielsweise die
        Fristvorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Ände-
        rung des Wahlrechts unterlaufen und damit eine mögli-
        che Verfassungskrise in Kauf nehmen, wundert uns Ihr
        Verhalten bei diesem Thema – Ihrer Meinung nach si-
        cherlich ein Randthema – nicht.
        Die Linke kann deshalb dem Entwurf in der vorlie-
        genden Form nicht zustimmen und wird sich enthalten.
        Vermutlich ist die inkonsequente Behandlung des
        Problems auf ein nach wie vor konservatives Familien-
        bild zurückzuführen. Familie ist für viele insbesondere
        in der CDU/CSU der eigentliche Ort der Kindererzie-
        hung. Alle anderen Formen werden geduldet, sollen aber
        nicht unterstützt werden. Die Rechtsprechung des Bun-
        desverfassungsgerichts hat dem einen Strich durch die
        Rechnung gemacht. Und das ist gut so!
        Die Linke will die rechtliche Gleichstellung und ge-
        sellschaftliche Akzeptanz der vielfältig vorhandenen Le-
        bensweisen. Dazu gehört vor allem die vollständige
        Überwindung der Ungleichbehandlung von heterosexu-
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        llen Ehegatten und homosexuellen eingetragenen Le-
        enspartnerinnen und -partnern. Bisher sind Ehe und Le-
        enspartnerschaft in den Pflichten, beispielsweise den
        egenseitigen Unterhaltspflichten, völlig gleichgestellt;
        ie eingetragenen Lebenspartnerschaften werden aber in
        ielen Bereichen des Rechts, etwa im Steuerrecht, im
        doptionsrecht und bei der Sozialversicherung, weiter
        enachteiligt. Die Linke setzt sich deshalb für die völlige
        leichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft in allen
        ereichen des Rechts ein.
        Die Gleichberechtigung der Lebensweisen ist mit ei-
        er bloßen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspart-
        erschaft nicht erreicht. Denn es existiert eine Vielzahl
        on Lebensweisen und Familienformen, für die eine
        heschließung oder eine eingetragene Lebenspartner-
        chaft nicht infrage kommt: Einelternfamilien, Singles,
        usammenlebende Freunde, Verwandte, Patchworkfami-
        en, Wahlverwandtschaften oder auch Paare, die sich
        egen Ehe und Lebenspartnerschaft entschieden haben.
        eshalb kann die Gleichbehandlung von Ehe und Le-
        enspartnerschaft nur ein erster Schritt auf dem Weg zu
        iner umfassenden Lebensweisenpolitik sein, in der die
        nerkennung aller Lebensweisen zum Wohle der Be-
        offenen, aber insbesondere der Kinder ein leitendes
        rinzip ist.
        Die Fraktion Die Linke will zum Beispiel das nicht
        ehr zeitgemäße, aus dem Jahre 1957 stammende Ehe-
        attensplitting überwinden. Heute kann man nicht mehr
        avon ausgehen, dass nahezu alle Ehepaare Kinder ha-
        en. Das Ehegattensplitting begünstigt aber Ehepaare
        hne Rücksicht darauf, ob sie Kinder haben oder nicht.
        s dient also nicht der Entlastung von Familien mit Kin-
        ern. In nichtehelichen Lebensgemeinschaften und alter-
        ativen Familienformen wird die Verantwortung für Le-
        enspartner und Kinder genauso übernommen. An
        ieser Realität geht das Ehegattensplitting vorbei.
        Die Fraktion Die Linke fordert ein sozial gerechtes,
        infaches und transparentes Steuersystem. Das bedeutet
        onkret: Jede Frau und jeder Mann ist mit dem eigenen
        inkommen unabhängig von der jeweiligen Lebens-
        eise – verheiratet, alleinstehend, geschieden – zu be-
        teuern. Steuerliche Mehreinnahmen, die aus der Strei-
        hung des Ehegattensplittings resultieren, sind für die
        rhöhung des Kindergeldes zu verwenden. Ehepaare mit
        nterem oder/und mittlerem Einkommen werden durch
        en Wegfall des Ehegattensplittings nicht zusätzlich be-
        stet, wenn gleichzeitig der Einkommensteuertarif zu
        ren Gunsten geändert wird.
        Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungs-
        oalition, diskriminieren Sie nicht weiter nichteheliche
        emeinschaften, sondern stellen Sie sich den Realitäten
        es 21. Jahrhunderts!
        Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ass die Koalitionsmehrheit heute den Gesetzentwurf
        er Bundesregierung unverändert annimmt und den Ge-
        etzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen ablehnt, kommt
        iner rechtsstaatlichen Bankrotterklärung gleich. Für die
        berale Rechtspolitik ist es ein Offenbarungseid, dass
        ie Bundesjustizministerin bereits vor Verabschiedung
        13642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        des Gesetzes dazu ermunterte, gerichtlich dagegen vor-
        zugehen.
        Dem Gesetzentwurf zufolge sollen die verpartnerten
        Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter, Sol-
        datinnen und Soldaten und andere Versorgungsempfänger
        des Bundes erst ab dem 1. Januar 2009 im Besoldungs-
        und Versorgungsrecht mit Ehegatten gleichgestellt werden.
        Das widerspricht dem bindenden Urteil des Europäischen
        Gerichtshofs vom 10. Mai 2011 in der Rechtssache Römer.
        Der EuGH hat entschieden, dass die Betroffenen ab dem
        Ablauf der Umsetzungsfrist der arbeitsrechtlichen Antidis-
        kriminierungsrichtlinie am 3. Dezember 2003 Anspruch
        auf dasselbe Arbeitsentgelt wie ihre verheirateten Kolle-
        gen haben, und zwar unabhängig davon, ob der deutsche
        Gesetzgeber die Gesetze entsprechend ändert oder nicht.
        Hierauf hat der Lesben- und Schwulenverband in
        Deutschland die Bundesjustizministerin mit einem
        Schreiben vom 10. Mai 2011 hingewiesen. Die Bundes-
        justizministerin hat in ihrem Antwortschreiben vom
        23. Juni 2011 die Rechtsauffassung des LSVD bestätigt.
        Wörtlich schreibt sie:
        Der Europäische Gerichtshof hat am 10. Mai 2011
        entschieden, dass Betroffene das durch die Richtli-
        nie 2000/78/EG gewährleistete Recht auf Gleichbe-
        handlung ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist, also
        ab dem 3. Dezember 2003, unmittelbar aus der
        Richtlinie geltend machen können. Dabei müssen
        sie nach der ausdrücklichen Feststellung des Ge-
        richts gerade nicht abwarten, dass der nationale Ge-
        setzgeber die maßgeblichen Vorschriften mit dem
        Unionsrecht in Einklang bringt.
        Dieser Gesetzentwurf ist also so eindeutig europa-
        rechtswidrig, dass selbst Bundesjustizministerin
        Leutheusser-Schnarrenberger die Betroffenen damit
        trösten möchte, sie könnten doch vor Gericht ziehen.
        Das ist schlichtweg zynisch. Wie können die Bundesjus-
        tizministerin und die FDP angesichts solch hochnotpein-
        licher Gesetzgebung noch davon sprechen, für Gleichbe-
        rechtigung und Bürgerrechte stehen zu wollen?
        Das Dilemma ist schnell erkannt, denn in ihrem
        Schreiben an den LSVD erklärt die Bundesjustizministe-
        rin auch, sie sehe keine Aussicht, über das erkannte Pro-
        blem im bereits seit längerer Zeit laufenden Gesetz-
        gebungsverfahren mit dem Koalitionspartner eine
        Einigung erzielen zu können. Die Koalition bricht also
        ganz bewusst das Recht und ist in einem wesentlichen
        menschenrechtlichen Aspekt tief gespalten. Die Union
        will den Lesben und Schwulen ihre Rechte vorenthalten,
        weil sie für sie offenbar keine vollwertigen Staatsbürge-
        rinnen und Staatsbürger sind. Die FDP hingegen betreibt
        nur verbale Imagepflege, will aber für die Rechte von
        Lesben und Schwulen keinen Koalitionskrach riskieren.
        Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare im Be-
        amtenrecht wie in anderen Rechtsgebieten ist verfassungs-
        und europarechtswidrig. Bündnis 90/Die Grünen wieder-
        holen dies seit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschafts-
        gesetzes 2001, und das wurde mehrmals gerichtlich festge-
        stellt. Dennoch musste sich die Bundesrepublik nicht nur
        vor den nationalen Gerichten, sondern auch auf der euro-
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        äischen Ebene – vor dem Europäischen Gerichtshof in
        uxemburg mit der Maruko-Entscheidung und vor der Eu-
        päischen Kommission in einem Vertragsverletzungsver-
        hren – mehrmals blamieren, bis sie sich zu einem Re-
        rmschritt im Dienstrecht entschieden hat.
        Dass nun endlich und viel zu spät ein Gesetzentwurf
        ur Gleichstellung im Dienstrecht bei der Pension, beim
        amilienzuschlag und bei der Beihilfe im Krankheitsfall
        erabschiedet wird, ist positiv. Allerdings sollen die Le-
        enspartnerinnen und Lebenspartner nach dem Willen der
        chwarz-gelben Koalition erst ab dem 1. Januar 2009
        leichgestellt sein. Das ist ein völlig willkürlich ausge-
        ähltes Datum, das erneut den Diskriminierungsverboten
        es Grundgesetzes und der EU-Antidiskriminierungs-
        chtlinie nicht Rechnung trägt und im Widerspruch zur
        echtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht. Es
        erden also weitere Bedienstete des Bundes gegen das ei-
        ene Land klagen müssen, um ihre Rechte zu bekommen,
        nd die Bundesjustizministerin weiß dies bereits und er-
        utigt sie dazu.
        Die FDP-Fraktion und ihr stellvertretender Fraktions-
        orsitzender Kauch kündigen „Wochen der schwul-les-
        ischen Gleichstellung“ an, um vermeintliche Wohltaten
        u feiern. Die Wahrheit ist: Die schwarz-gelbe Koalition
        iskriminiert, wo sie nur kann. Und die eigene Ministe-
        n darf die Suppe dann auslöffeln und wird bloßgestellt.
        So demontiert man die eigenen Leute, so demontiert
        an den eigenen Anspruch als Bürgerrechtspartei, und
        o demontiert man die Gleichheitsrechte von Lesben und
        chwulen.
        nlage 16
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes
        zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Ab-
        satz 3 Satz 1) (Tagesordnungspunkt 12)
        Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Die uns heute
        ur Änderung des Art. 3 Abs. 3 unserer Verfassung vor-
        egenden Anträge der Opposition stellen für mich in
        weierlei Hinsicht etwas Besonderes dar:
        Zum einen durfte ich zu den Anträgen, mit denen das
        erkmal der sexuellen Identität ins Grundgesetz aufge-
        ommen werden soll, meine erste Rede, meine Jungfern-
        de in diesem Hohen Haus halten. Das bleibt einem
        chon in Erinnerung.
        Zum anderen sind diese Anträge für mich etwas Be-
        onderes – und das ist noch wichtiger –, weil ich Abge-
        rdneter des Wahlkreises Tempelhof-Schöneberg in Ber-
        n bin. Der eine oder andere wird sich in Berlin
        ielleicht etwas auskennen und wissen, dass der Stadtteil
        chöneberg dafür bekannt ist, dass er neben Köln die
        öchste Konzentration von Schwulen und Lesben in
        anz Deutschland hat. Mein Bundestagswahlkreis ist
        lso ein wirklich bunter und vielfältiger Wahlkreis, der
        or allem für eines steht: für Toleranz.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13643
        (A) )
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        Die Menschen in Tempelhof-Schöneberg und – wenn
        ich das am Rande sagen darf – auch die Parteien gehen
        ganz unbefangen mit Schwulen und Lesben um. Sie sind
        mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil unserer Ge-
        sellschaft. Und ich finde das auch gut und richtig so.
        Aber wahr ist auch, dass es immer noch Diskriminie-
        rungen von Schwulen und gewalttätige Übergriffe gegen
        sie gibt. Leider ist auf vielen Schulhöfen das Schimpf-
        wort „schwule Sau“ immer noch absolut gebräuchlich.
        Und noch immer hat sich kein Spitzenfußballer offen zu
        seiner Homosexualität bekannt. Diese Probleme, denen
        Schwule und Lesben teilweise in der gesellschaftlichen
        Realität ausgesetzt sind, nehme ich sehr ernst.
        Deswegen sage ich an dieser Stelle für meine Fraktion
        und auch ganz persönlich klar und unmissverständlich:
        Deutschland ist ein modernes und weltoffenes Land. Die
        Diskriminierung von Anderslebenden oder Anderslie-
        benden ist nicht akzeptabel. Die Ziele und Anliegen, die
        mit den vorgelegten Gesetzesanträgen verfolgt werden,
        teile ich daher uneingeschränkt.
        Die entscheidende Frage ist nun: Erreichen wir dieses
        gemeinsame Ziel mit der von Ihnen vorgeschlagenen
        Verfassungsänderung? Wird die tatsächliche Lebens-
        situation von Schwulen danach wirklich anders sein?
        Können wir Diskriminierungen damit wirksam begeg-
        nen?
        Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns nicht
        weiterhelfen wird, das Merkmal der sexuellen Identität
        ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Deswegen
        werden wir Ihre Anträge auch ablehnen.
        Denn – auch das gehört zu einer ehrlichen Bestands-
        aufnahme – unsere Verfassung bietet bereits einen um-
        fassenden Schutz. Das Grundgesetz selbst gewährleistet
        die sexuelle Selbstbestimmung, und das nicht nur durch
        das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Es ist vor allen
        Dingen der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3
        Abs. 1 des Grundgesetzes, der vor Diskriminierung
        schützt.
        Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
        gerichts ist der Schutz vor Diskriminierungen aufgrund
        der sexuellen Identität in den letzten Jahren konsequent
        ausgebaut worden. Sie alle kennen die Urteile, mit denen
        insbesondere die Gleichstellung von eingetragenen Le-
        benspartnerschaften und der Ehe forciert wurde. Ohne in
        die juristischen Details zu gehen, können wir unter dem
        Strich festhalten, dass das Bundesverfassungsgericht den
        Schutzinhalt von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz bereits jetzt
        genau so bestimmt, als ob das Merkmal der sexuellen
        Identität in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz ausdrücklich ge-
        nannt wäre.
        Insofern ist das, was Sie hier mit Ihren Anträgen er-
        reichen wollen, nämlich dass der einfachrechtliche Ge-
        setzgeber durch das Grundgesetz eine klare und verbind-
        liche Vorgabe erhält, bereits immanenter Bestandteil der
        Verfassung.
        Was schlussfolgern wir daraus? Ich für meinen Teil
        glaube, dass Sie mit Ihren Anträgen nichts weiter als
        Symbolpolitik betreiben. Sie wissen sehr genau, dass mit
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        iner solchen Verfassungsänderung unmittelbar gar
        ichts bewirkt würde.
        Das hat im Übrigen auch die Anhörung gezeigt, die
        ir im Rechtsausschuss durchgeführt haben. Die ganz
        berwiegende Auffassung der Sachverständigen war in
        rem Meinungsbild klar: Es gibt bereits einen umfas-
        enden verfassungsrechtlichen Schutz. Kein einziger
        achverständiger hat ausgeführt, dass in den Bundeslän-
        ern, in denen das Merkmal der sexuellen Orientierung
        der Verfassung verankert ist, die rechtliche oder tat-
        ächliche Situation von Homosexuellen besser ist. Wenn
        as aber der Befund ist, wieso sollten wir dann das
        rundgesetz ändern?
        Was wir brauchen, sind nicht theoretische Debatten,
        ondern praktische Ansätze. Gewalt beginnt mit Vorur-
        ilen im Kopf; an die müssen wir heran und gerade bei
        ngen Menschen und oftmals auch Menschen mit Mi-
        rationshintergrund für Toleranz und Akzeptanz anderer
        ebensweisen werben. Deswegen brauchen wir Aufklä-
        ngsarbeit in den Schulen. Und wir müssen diejenigen
        tärken, die Zivilcourage zeigen, wenn sie sich für Men-
        chen erheben, die wegen ihrer sexuellen Identität ange-
        indet werden.
        Deswegen sind zum Beispiel auch Veranstaltungen
        ie das lesbisch-schwule Stadtfest in Schöneberg, das
        otzstraßenfest, so wichtig. Es spricht für sich, dass da-
        n mehrere Hunderttausend Menschen teilgenommen
        nd es damit zum größten homosexuellen Straßenfest in
        uropa gemacht haben.
        Auch der Christopher Street Day letztes Wochenende
        it seinem Motto „Fairplay für Vielfalt“ – an dem ich
        ie auch beim Motzstraßenfest selber teilgenommen
        abe – war ein eindrucksvolles Signal für Gleichstellung
        nd gegen Diskriminierung. Über eine halbe Million
        enschen haben friedlich gemeinsam gefeiert, getanzt
        nd diskutiert, und das waren bei weitem nicht nur
        chwule.
        Solche Veranstaltungen, die öffentlich auf bestehende
        efizite hinwiesen und für Toleranz und Akzeptanz wer-
        en, bewirken weit mehr, als es eine Verfassungsände-
        ng jemals könnte.
        Lassen Sie mich abschließend festhalten: Durch un-
        ere Verfassung wird bereits ein umfangreicher Schutz
        egen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität
        ewährleistet. Es gibt eine Fülle von einfachrechtlichen
        orschriften, mit denen solchen Diskriminierungen
        irksam begegnet wird. Auch durch das Unionsrecht
        erden Ungleichbehandlungen verbindlich verboten.
        Wir haben unsere Verfassung seit ihrem Inkrafttreten
        949 fast 60-mal geändert – manches Mal mit guten
        ründen, aber nach meiner Auffassung insgesamt deut-
        ch zu oft. Unser Grundgesetz ist immer noch eine sehr
        ute, eine bewährte Verfassung. Die Union will, dass das
        uch so bleibt. Wir wollen deshalb keine Verunklarung
        es Verfassungstextes durch neue Inhalte, durch die kein
        ehr an Schutz geboten wird und die daher nicht erfor-
        erlich sind. Deswegen spricht sich die Union gegen die
        orliegenden Gesetzesentwürfe zur Änderung des
        rundgesetzes aus.
        13644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Norbert Geis (CDU/CSU): Die Gesetzentwürfe wol-
        len in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz nach den Wörtern „we-
        gen seines Geschlechtes“ die Wörter „seiner sexuellen
        Identität“ einfügen. Durch die Verankerung in der Ver-
        fassung soll der Schutz vor Diskriminierung und Un-
        gleichbehandlung verstärkt werden. Dieser Versuch ei-
        ner Verfassungsänderung muss nach meiner Auffassung
        scheitern, weil die Voraussetzungen für eine Verfas-
        sungsänderung fehlen. Es besteht kein Regelungsbedarf.
        Die Bestimmtheit des Begriffes „sexuelle Identität“ ist
        nicht gegeben. Durch eine solche Verfassungsänderung
        würde Art. 6 GG, der Schutz von Ehe und Familie, zu-
        rückgedrängt.
        Erstens: kein Regelungsbedarf. Die Verfassung ist
        kein Instrument, um persönliche Befindlichkeiten einer
        bestimmten Gruppe zu berücksichtigen. Sie ist kein Bil-
        derbuch. Sie ist kein Sammelsurium von Wunschvorstel-
        lungen. Die Verfassung ist die Grundlage unseres gesell-
        schaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens. Sie
        muss einen festen Rahmen geben, auf den Verlass ist, der
        nicht ständig geändert werden kann. Es dürfen auch
        nicht zu viele spezielle Regelungen in die Verfassung ge-
        packt werden, weil sonst eine zu starke Beschränkung
        des Gesetzgebers, der ausführenden Gewalt und der Jus-
        tiz gegeben ist.
        Die Verfassung bleibt nur dann Grundlage unseres ge-
        sellschaftlichen und staatlichen Zusammenlebens, wenn
        sie von einem großen Konsens getragen wird. Deshalb
        muss bei jeder Verfassungsänderung die Frage gestellt
        werden, ob dadurch nicht die Integrationsfunktion der
        Verfassung, der Zusammenhalt der Gesellschaft, gestört
        wird und ob dadurch nicht eine erhöhte Distanz weiter
        Bevölkerungsteile zu der Verfassung geschaffen wird.
        Diese Fragen sind an den vorliegenden Entwurf zu rich-
        ten.
        In der Bevölkerung besteht zweifellos eine große
        Achtung vor der Privatsphäre und insbesondere vor dem
        Intimbereich eines jeden Einzelnen. Deshalb reagiert die
        Öffentlichkeit auch empfindlich auf Diskriminierungen.
        Eine eigene Absicherung der Rechte der Homosexuellen
        in der Verfassung ist daher nicht erforderlich. Der Schutz
        des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 2
        in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und im Gleichheitssatz
        des Art. 3 Grundgesetz reicht aus. Dies betont ja auch
        das Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. Juli
        2009. Durch einfachrechtliche Regelungen ist es mög-
        lich, das verständliche Bedürfnis der Homosexuellenbe-
        wegung nach Sicherheit und Gleichheit zu erfüllen. Dies
        ist ja auch schon weithin geschehen. Eine eigene Eintra-
        gung in die Verfassung ist nicht erforderlich.
        Dies bestätigen ja auch die fast gleichlautenden Be-
        gründungen der drei Gesetzentwürfe. Dort wird ausge-
        führt, dass die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Les-
        ben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, transsexuel-
        len und intersexuellen Menschen in den letzten Jahr-
        zehnten deutlich zugenommen hat. Toleranz heißt aber
        nicht Akzeptanz. In der Gesellschaft wird immer eine
        gewisse Distanz zu dieser Gruppe bestehen bleiben,
        gleichgültig, was in der Verfassung steht. Solche Aktio-
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        en wie diese Gesetzesvorschläge vergrößern eher die
        istanz, als dass sie sie verringern.
        Es kann im Übrigen durchaus sein, dass viele die Ver-
        nkerung in der Verfassung nicht nur als überflüssig,
        ondern auch als aufdringlich empfinden. Der Bogen
        ann auch überspannt werden. Das wäre kontraproduk-
        v.
        Zweitens: mangelhafte Bestimmtheit. Zu dem fehlen-
        en Regelungsbedarf kommt die mangelhafte tatbe-
        tandliche Bestimmtheit der Formulierung „sexuelle
        entität“. Was heißt sexuelle Identität? Mit dieser For-
        ulierung wird der Unterschied zwischen sexueller
        rientierung und sexueller Identität vermischt. Die ge-
        chlechtliche Identität ist durch die Natur vorgegeben.
        s gibt die geschlechtliche Identität des Mannes und die
        eschlechtliche Identität der Frau. Eine dritte ge-
        chlechtliche Identität gibt es nicht. Das, was die Geset-
        esentwürfe unter Identität meinen, ist als sexuelle
        rientierung zu verstehen. Auch das Verfassungsgericht
        erwendet in seinem Urteil vom 7. Juli 2009 nicht den
        egriff der sexuellen Identität, sondern ausschließlich
        en der sexuellen Orientierung. Der Schutz der sexuel-
        n Identität ist schon in Art. 3 Abs. 3 gewährleistet. Der
        chutz der sexuellen Orientierung dagegen ist schlech-
        rdings in der Verfassung nicht regelbar. Dann würde
        arunter ja auch die Pädophilie als eine Art sexueller
        rientierung fallen. Dies aber wollen alle drei Entwürfe
        icht. Sie wollen nicht alle sexuellen Orientierungen
        urch die Verfassung geschützt wissen. Dies käme auch
        icht einer Trivialisierung unserer Verfassung gleich.
        ine klare, unmissverständliche Formulierung ist nicht
        öglich.
        Drittens: Verletzung von Art. 6 GG. Auch deshalb ist
        ie geplante Verfassungsänderung abzulehnen, weil da-
        urch der Schutz von Ehe und Familie und deren beson-
        ere Förderung durch den Staat ins Hintertreffen geraten
        önnten. Die schon jetzt gegebenen Abgrenzungs-
        chwierigkeiten zwischen dem Gebot, Ehe und Familie
        u fördern, und dem Diskriminierungsverbot würden zu-
        sten von Ehe und Familie verstärkt. Das Urteil des Ver-
        ssungsgerichtes vom 7. Juli 2009 hat dazu beigetragen,
        ass die besondere Verpflichtung des Staates, Ehe und
        amilie zu fördern, mehr und mehr nivelliert wird. Eine
        eitere Egalisierung ist nicht hinnehmbar. Die Wertent-
        cheidung der Verfassung zugunsten von Ehe und Fami-
        e darf nicht konterkariert werden.
        Aus diesen drei Gründen – der mangelnden Erforder-
        chkeit, der fehlenden präzisen Formulierung und der
        eschädigung der Wertentscheidung der Verfassung hin-
        ichtlich von Ehe und Familie – sind diese Gesetzent-
        ürfe abzulehnen.
        Sonja Steffen (SPD): Nach Art. 3 Abs. 3 des Grund-
        esetzes darf niemand wegen seines Geschlechtes, sei-
        er Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
        eimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen
        der politischen Anschauungen oder wegen seiner Be-
        inderung benachteiligt oder bevorzugt werden. Die An-
        äge der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der
        raktion der Grünen, über die wir heute reden, zielen da-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13645
        (A) )
        )(B)
        rauf ab, Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes zu bereichern
        um den Zusatz der sexuellen Identität. Wir wollen, dass
        die sexuelle Identität zukünftig grundgesetzlich ge-
        schützt wird.
        Überall auf der Welt gibt es Menschen, die sich einem
        anderen Geschlecht zugehörig fühlen als dem, das sie
        mit ihrer Geburt erhalten haben. Und überall auf der
        Welt gibt es Menschen, die mit Geschlechtsmerkmalen
        geboren werden, die nicht eindeutig weiblich oder
        männlich zuzuordnen sind. Es gibt überall Menschen,
        die Menschen gleichen Geschlechts lieben und begeh-
        ren.
        Der Europarat veröffentlichte vor kurzem den wichti-
        gen Bericht „Discrimination on grounds of sexual orien-
        tation and gender identity in Europe“. Er liefert eine um-
        fassende Übersicht zu tatsächlichen und rechtlichen
        Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität in
        Europa. Zudem enthält der Bericht konkrete Empfehlun-
        gen an alle Mitgliedstaaten zur Beendigung der Diskri-
        minierungen und zur Steigerung der Akzeptanz unter-
        schiedlicher sexueller Orientierungen. Er macht
        deutlich, dass das Recht auf sexuelle Identität ein Men-
        schenrecht ist. Denn weltweit sind Menschen aufgrund
        ihrer sexuellen Orientierung permanent Menschen-
        rechtsverletzungen ausgesetzt, die in vielen Formen auf-
        treten: der Aberkennung des Rechts auf Leben, der Fol-
        ter, der Diskriminierung beim Zugang zu sozialen und
        kulturellen Rechten wie Gesundheit, Unterkunft, Bildung
        und Arbeit, der Nichtanerkennung persönlicher Bindun-
        gen und Familienverhältnisse, der Unterdrückung ver-
        schiedener Geschlechteridentitäten und dem gesellschaft-
        lichen Zwang, still und unerkannt zu bleiben.
        Sexuelle Identität darf in unserem Staat nicht länger ein
        Grund für Diskriminierung sein. Auch Ingrid Sehrbrock,
        die stellvertretende DGB-Vorsitzende, hat sich anlässlich
        des Christopher Street Day dafür eingesetzt, den Art. 3
        des Grundgesetzes entsprechend zu ändern. Sie wies da-
        rauf hin, dass homosexuelle und transsexuelle Arbeit-
        nehmerinnen und Arbeitnehmer Diskriminierung am Ar-
        beitsplatz erfahren – sei es in Form von Mobbing,
        Versetzung oder gar Kündigung. Noch immer ver-
        schweigen deshalb viele Menschen ihre sexuelle Identi-
        tät im Beruf.
        Ein weiteres Beispiel: Immer noch ist es in Deutsch-
        land nicht möglich, dass gleichgeschlechtliche Paare
        gemeinsam ein Kind adoptieren. Wir hatten hier im
        Deutschen Bundestag erst vor kurzem eine Expertenan-
        hörung, die – zumindest aus unserer Sicht – gezeigt hat,
        dass es keine vernünftigen Gründe gibt, gleichge-
        schlechtlichen Paaren dieses Recht zu verweigern.
        Wichtiger Grund für die unterschiedliche Behandlung
        von Eheleuten und Lebenspartnern scheint für konserva-
        tive Verfassungsrechtler immer noch die unterschied-
        liche Wertung im Grundgesetz zu sein.
        Ich halte die These, das Grundgesetz sei nicht die
        richtige Stelle für einen besonderen Schutz der sexuellen
        Identität, für falsch. Richtig ist natürlich, dass wir tun-
        lichst vermeiden sollten, das Grundgesetz mit Normen
        zu überfrachten, die auch durch eine einfachgesetzliche
        Regelung ausreichende Bedeutung erlangen.
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        Aber: Das Grundgesetz erlaubt und ermöglicht, ja,
        erlangt sogar von uns als Gesetzgeber eine behutsame
        ortentwicklung und Fortschreibung der Grundrechte.
        sbesondere dann, wenn die Menschenwürde und die
        leiche Freiheit der Bürgerinnen und Bürger ganz grund-
        ätzlich in Gefahr ist, ist die Verfassung genau die rich-
        ge Ebene. Der Verfassungsgesetzgeber hat genau an
        er Stelle des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes die
        öglichkeit, grundlegende Zeichen zugunsten der Min-
        erheiten zu setzen, also zugunsten derjenigen, die zur
        eltendmachung ihrer Rechte nicht die erforderlichen
        ehrheiten erreichen können.
        Was das abgegriffene Argument betrifft, dass man mit
        er Aufnahme der sexuellen Identität in den Art. 3 des
        rundgesetzes der Pädophilie Tür und Tor öffnet: Der
        egriff der „sexuellen Identität“ ist ein unbestimmter
        echtsbegriff, der bereits heute juristische Verwendung
        ndet. Hinsichtlich der Auslegung dieses Rechtsbegriffs
        ürfen wir dem Verfassungsgericht und der rechtswis-
        enschaftlichen Dogmatik vertrauen. Es ist im Übrigen
        u erwarten, dass eine eher enge, konservative Deutung
        es Grundrechts erfolgen wird.
        Deutschland wäre keineswegs das erste Land, das ein
        erbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Iden-
        tät in seine Verfassung schriebe. Die EU-Grund-
        chtecharta enthält in Art. 21 ein Diskriminierungsver-
        ot aufgrund von sexueller Ausrichtung. In Kanada,
        ortugal, Schweden, in der Schweiz und in Brasilien
        chützen die Verfassungen Bürgerinnen und Bürger aus-
        rücklich vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen
        rientierung. Bereits fünf Bundesländer, zuletzt das
        aarland im April 2011, haben den Schutz der sexuellen
        entität in ihre Landesverfassungen aufgenommen.
        Deshalb appelliere ich an dieser Stelle an die Regie-
        ngskoalition: Schließen Sie sich dem Antrag an, berei-
        hern wir gemeinsam das Grundgesetz um den Schutz
        er sexuellen Identität! Wir würden damit ein wichtiges
        eichen gegen die Diskriminierung der betroffenen Bür-
        erinnen und Bürger und für eine moderne, offene und
        lerante Gesellschaft setzen.
        Marco Buschmann (FDP): Wir debattieren heute
        arüber, ob es geboten ist, die sexuelle Identität in Art. 3
        bs. 3 des Grundgesetzes aufzunehmen.
        Die Debatte wird in diesen Tagen besonders aufmerk-
        am verfolgt. In den Monaten Juni und Juli finden tradi-
        onell die Christopher Street Days statt. Was in den
        iebzigerjahren in den USA als kleine Protestdemons-
        ation gegen die Diskriminierung von Homosexuellen
        egonnen hat, ist mittlerweile in der Mitte der Gesell-
        chaft angekommen. Zum Berliner CSD am letzten Wo-
        henende kamen mehr als 700 000 Menschen. Beim
        SD in Köln waren in den letzten Jahren jeweils zwi-
        chen 650 000 und 1 Million Besucher. Im Vergleich
        azu protestierten in Köln nach der Reaktorkatastrophe
        on Fukushima circa 10 000 Menschen gegen die Atom-
        raft. Und selbst in Stuttgart zählte der CSD 2010 über
        00 000 Besucher. Damit ließ er die größte Demonstra-
        on gegen Stuttgart 21 mit 50 000 Demonstranten klar
        inter sich.
        13646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        Diese Zahlen zeigen eines sehr deutlich: Die kleinen
        Protestveranstaltungen sind heute große Volksfeste. Hier
        feiern Jung, Alt, Homo, Hetero und ihre Familien mitei-
        nander. Das ist die Wirklichkeit in unserem Land. Aber
        sie kommt nicht von ungefähr. Diese Offenheit baut auf
        vielen Maßnahmen in der Rechts- und Gesellschaftspoli-
        tik unseres Landes auf.
        Die FDP-Bundestagsfraktion hat für die Gleichstel-
        lung von Schwulen und Lesben schon viel erreicht:
        Wir haben 1973, zusammen mit der SPD, den An-
        wendungsbereich des berüchtigten § 175 StGB mini-
        miert und diesen dann 1994 mit der Union vollständig
        abgeschafft.
        Wir haben die volle Gleichstellung bei der Erb-
        schafts- und Grunderwerbsteuer sowie beim BAföG er-
        reicht.
        Wir werden heute die Initiative der Koalition verab-
        schieden, um die ehe- und familienrechtlichen Regelun-
        gen im Beamtenrecht auf die gleichgeschlechtlichen Le-
        benspartnerschaften zu übertragen.
        Wir werden die Magnus-Hirschfeld-Stiftung einrich-
        ten, die durch interdisziplinäre Forschung und Bildung
        der Diskriminierung Homosexueller entgegenwirken
        soll.
        Und wir werden, wie im Koalitionsvertrag mit der
        Union vereinbart, die Diskriminierung im Steuerrecht für
        gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften abbauen.
        All diese Initiativen der FDP-Fraktion sind Beiträge
        dazu, dass Schwule und Lesben in unserem Land in ei-
        nem toleranten und offenen Klima leben können. Welt-
        weit gibt es wenige Länder, die eine solche Offenheit
        und Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Vielfalt
        sexueller Identitäten an den Tag legen. Für all diese
        Dinge haben wir uns vehement und aus Überzeugung
        eingesetzt, weil sie den Schwulen und Lesben in
        Deutschland etwas gebracht und konkrete Diskriminie-
        rungen abgebaut haben.
        Zu diesem Klima haben viele kleine Schritte beigetra-
        gen, ohne dass es dafür je einer Grundgesetzänderung
        bedurfte. Bei aller Sympathie für das Anliegen müssen
        wir uns alle die Frage stellen, was die beantragte Grund-
        gesetzänderung denn konkret bringen soll? Wir müssen
        uns fragen, ob es überhaupt eine Schutzlücke gibt, die
        durch eine Grundgesetzänderung geschlossen werden
        muss. Genau eine solche Schutzlücke gibt es aber nicht.
        Denn in Deutschland fehlt es nicht am verfassungsrecht-
        lichen Schutz der sexuellen Identität.
        Sie alle kennen die entsprechende Entscheidung des
        Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2009. Es leitet
        aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz einen grundrechtlichen
        Schutz der sexuellen Identität ab, und zwar auf demsel-
        ben Schutzniveau wie bei Art. 3 Abs. 3. Diesen Befund
        hat auch die Mehrheit der Sachverständigen in der öf-
        fentlichen Anhörung des Rechtsausschusses bestätigt.
        Kurzum: Die beantragte Grundgesetzänderung hätte
        lediglich symbolische Wirkung. Wir wollen aber keine
        Symbolpolitik, sondern das alltägliche Leben von Men-
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        chen, ganz gleich welcher sexuellen Identität, verbes-
        ern. Wir müssen eins tun: konkrete Diskriminierungen
        entifizieren und beseitigen, damit Schwule und Lesben
        ie gleichen Chancen in unserer Gesellschaft haben, wie
        lle anderen auch!
        Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Es passiert selten,
        ass die Oppositionsparteien drei nahezu gleichlautende
        esetzentwürfe zur Grundgesetzerweiterung vorlegen.
        ies ist gut so.
        Die Linke, die SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen
        ollen die Merkmale, die zu einer Diskriminierung füh-
        n können, im Grundgesetz vervollständigen, damit sie
        inem verfassungsrechtlichen Verbot unterliegen. Unser
        esetzentwurf unterscheidet sich an einer kleinen, aber
        ichtigen Stelle. Wir haben ausdrücklich betont, dass
        er Schutz der sexuellen Identität keine pädophilen Ori-
        ntierungen beinhaltet. Dies ist eigentlich eine Selbst-
        erständlichkeit. Aber notwendig, denn von konservati-
        er Seite wurde ein vermeintlicher Schutz dieses
        riminellen Vergehens als Argument gegen die Grund-
        esetzerweiterung ins Feld geführt.
        Doch bei diesem gemeinsamen Anliegen geht es um
        ine Kernfrage: Wer ist ein Mensch und welche Eigen-
        chaften eines Menschen dürfen niemals zu einer Beein-
        ächtigung seiner Würde führen? In Art. 3 Abs. 3 GG
        eißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, sei-
        er Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
        eimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen
        der politischen Anschauungen benachteiligt oder be-
        orzugt werden.“ So lautet das Allgemeine Gleichbe-
        andlungsgebot im Grundgesetz seit 1949.
        Erst 1994 wurde noch das Verbot aufgrund einer Be-
        inderung mit aufgenommen. Das Verbot aufgrund der
        exuellen Identität wurde 1994 zwar bereits diskutiert,
        ies war aber leider nicht mehrheitsfähig.
        Auch die Anfänge der Demokratie, der Polis, be-
        chäftigten sich mit der Frage, welche Menschen bzw.
        elchen Bürgern verbriefte Rechte zukommen sollten.
        ie griechische Polis schränkte die ersten demokrati-
        chen Rechte auf freie, männliche Athener ein. Bürger-
        chte, und damit einen Schutz vor Willkür, erhielt somit
        ur eine sehr kleine Minderheit.
        Die Französische Revolution trat mit der Losung an:
        reiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Erst als Olympe de
        ouges „Die Rechte der Frau und Bürgerin“ prokla-
        ierte, wurde auch die Schwesterlichkeit zum Thema
        er Bürgerrechte. Doch Olympe de Gouges sollte dies
        uf das Schafott bringen.
        In Deutschland sollte es lange dauern, bis Frauen glei-
        he Rechte erhielten. Das Recht, zu wählen, zu studie-
        n, oder auch die Gewalt des Ehemanns anzeigen zu
        ürfen. Der berühmte Satz „Frauen und Männer sind
        leichberechtigt“ in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes,
        ar keine Selbstverständlichkeit. Die wenigen Frauen
        Parlamentarischen Rat mussten ihn in einem harten
        ingen durchsetzen. Doch bis 1957 konnten Männer ih-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13647
        (A) )
        )(B)
        ren Ehefrauen die Aufnahme eines Jobs untersagen. Und
        erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe strafbar.
        Schauen wir nochmals zurück: Die französische Re-
        volution trug trotz alledem den Wind der Freiheit in die
        Welt: Bürgerrechte. Der Code Napoléon sorgte unter an-
        derem für die Trennung von Kirche und Staat, für das
        Eherecht, der Straflosigkeit homosexueller Handlungen
        und vieles mehr. Am napoleonischen Vorbild orientierte
        sich auch Bayern, und so waren von 1810 bis 1854,
        nämlich bis zur Einführung des preußischen Strafgesetz-
        buch in Bayern, einvernehmliche sexuelle Handlungen
        zwischen Männern straflos.
        Ab 1854 war die männliche Homosexualität dann in
        ganz Deutschland strafbar. Die Nationalsozialisten ver-
        schärften die Gesetzgebung gegen schwule Männer mas-
        siv. Viele Tausend schwule Männer starben in Haft oder
        in Konzentrationslagern. Diese Gesetzgebung, der § 175
        in der Fassung der Nationalsozialisten, bestand in der
        Bundesrepublik bis 1969. Erst 1994 wurde er endgültig
        aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
        Die sexuelle Identität ist ein Merkmal, das jedem
        Menschen eigen ist. Niemand kann sich dem entziehen.
        Noch heute werden Menschen wegen ihrer sexuellen
        Identität im Alltagsleben, auch hier in Deutschland, dis-
        kriminiert. Lesben und Schwule sind selbst rechtlich
        nicht gleichgestellt. Die Ehe wird ihnen verweigert. Die
        Verpartnerung bleibt eine Ehe zweiter Klasse.
        Aus dem Bewußtsein der Geschichte und in dem Wis-
        sen, dass wir den Diskriminierungsschutz der Zeit fort-
        während anpassen müssen, sollten wir ein deutliches
        Zeichen gegen die Diskriminierung von Lesben, Schwu-
        len, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen
        setzen. Deshalb sollte der Bundestag in seiner Gesamt-
        heit dieser Grundgesetzerweiterung zustimmen.
        Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die Achtung vor der Würde des Menschen und die ge-
        sellschaftliche Pluralität bedingen, dass die heterose-
        xuelle Identität der Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr
        länger als die einzige akzeptable Identität eines seine
        Persönlichkeit frei entfaltenden Menschen angesehen
        wird. Dennoch sind homosexuelle Frauen und Männer
        ebenso wie bisexuelle, transsexuelle oder intersexuelle
        Menschen weiterhin rechtlichen und gesellschaftlichen
        Diskriminierungen ausgesetzt. Im Grundgesetz werden
        sie aber mit ihrer sexuellen Identität ignoriert.
        Als Konsequenz aus der nationalsozialistischen Ver-
        folgungs- und Selektionspolitik hatte sich der Parlamen-
        tarische Rat 1948/49 dafür entschieden, neben dem all-
        gemeinen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG
        in Art. 3 Abs. 3 zu verankern, welche persönlichen
        Merkmale als Anknüpfungspunkt staatlicher Differen-
        zierung schlechthin ausscheiden: „Niemand darf wegen
        seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse,
        seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines
        Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauun-
        gen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
        Zwei der im nationalsozialistischen Deutschland sys-
        tematisch verfolgten Personengruppen fehlten in dieser
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        ufzählung: Behinderte und Homosexuelle. Bei der Ver-
        bschiedung des Grundgesetzes galt Homosexualität
        och als sittenwidrig und war in § 175 StGB mit einem
        trafrechtlichen Verbot belegt. Eine Anerkennung von
        esben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, transse-
        uellen und intersexuellen Menschen als verfassungs-
        chtlich vor Benachteiligung zu schützenden Personen
        ar zu dieser Zeit jenseits der Vorstellungswelt über alle
        arteigrenzen hinweg.
        Im Rahmen der Überarbeitung des Grundgesetzes
        ach der deutschen Einheit wurde 1994 in Art. 3 Abs. 3
        atz 2 Grundgesetz das Verbot der Benachteiligung auf-
        rund der Behinderung aufgenommen. In der Gemeinsa-
        en Verfassungskommission von Bundestag und Bun-
        esrat sprach sich zwar eine Mehrheit für die Aufnahme
        ines Diskriminierungsverbots aufgrund der sexuellen
        entität aus, die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde
        doch nicht erreicht, Bundestagsdrucksache 12/6000,
        . 54.
        Aber nicht nur aus Verantwortung vor der Geschichte
        er Verfolgung und Unterdrückung vor und nach 1945
        ollte der Katalog der Diskriminierungsverbote ergänzt
        erden. Vielmehr würde damit auch die folgerichtige
        onsequenz aus den Tendenzen der internationalen
        enschenrechtspolitik gezogen und damit eine neue,
        erfassungsrechtliche Grundlage und Legitimität für die
        msetzung der Politik auf nationaler Ebene geschaffen.
        achdem nichtheterosexuelle Menschen vom Schutz der
        ternationalen Menschenrechtsübereinkommen jahre-
        ng ausgeschlossen waren, widmet sich die aktive Men-
        chenrechtspolitik seit den 90er-Jahren auch dem Pro-
        lem der Diskriminierung aufgrund sexueller Identität.
        er Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und die
        unehmende Akzeptanz führten dazu, dass gerade auch
        Europa die Bekämpfung der Diskriminierung auf-
        rund sexueller Identität eine breitere Resonanz fand.
        Und gerade vor zwei Wochen hat der UN-Menschen-
        chtsrat in Genf in einem historischen Votum eine Re-
        olution zu Menschenrechten und sexueller Identität
        erabschiedet. Kriminalisierung und Diskriminierung
        ufgrund der sexuellen Identität wurden dort klipp und
        lar verurteilt. Eine deutsche Außenpolitik, die sich
        eltweit für Minderheitenrechte einsetzen will, würde
        urch die vorgeschlagene Grundgesetzänderung deutlich
        n Glaubwürdigkeit gewinnen.
        Die vorgeschlagene Ergänzung des Art. 3 Abs. 3
        atz 1 würde ferner eine objektiv-rechtliche Funktion
        aben. Die neue Formulierung würde dementsprechend
        ine neue verfassungsrechtliche objektive Norm schaf-
        n, die den Wert der Toleranz gegenüber Homo-, Bi-
        nd Transsexuellen im Grundgesetz zum Ausdruck
        ringt. Und nicht zuletzt würde sie eine Richtungsent-
        cheidung für alle Bereiche des Rechts darstellen und
        amit Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und nicht
        uletzt Rechtsprechung geben.
        Schließlich zeigen die deutschen sowie europäische
        rfahrungen, dass Diskriminierungsverbote ein wesent-
        cher Bestandteil einer wirksamen Strategie sein kön-
        en, mit der ein Wandel der Einstellungen und Verhal-
        nsweisen erreicht werden kann. Solche Leitlinien
        13648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        machen nämlich deutlich, welches Verhalten in der Ge-
        sellschaft akzeptiert wird und welches nicht.
        Deshalb rufe ich die Koalitionsfraktionen dazu auf:
        Folgen Sie Ihren Parteikolleginnen und -kollegen aus
        dem saarländischen Landtag und stimmen Sie der Ergän-
        zung der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsver-
        bote um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu. Ich bin
        nämlich sicher, dass Sie, liebe CDU-Abgeordnete, Ihrem
        Landtagskollegen Thomas Schmitt nicht widersprechen
        werden, der in der Debatte über Ergänzung der Diskri-
        minierungsverbote in der saarländischen Verfassung um
        das Merkmal „sexuelle Identität“ feststellte: „Wir wollen
        aber, dass unsere Verfassung eine klare Entscheidung für
        eine tolerante und akzeptierende Gesellschaft zum Aus-
        druck bringt. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine
        solche Ergänzung mittlerweile gesellschaftlichen Kon-
        sens wiedergibt. Sie wird auch Bestätigung für diejeni-
        gen sein, die sich gegen Benachteiligungen einsetzen,
        und sie wird ein Zeichen für Respekt und Anerkennung
        sein.“ Genauso ist es.
        Sie haben schon die Wehrpflicht abgeschafft, sie stei-
        gen aus der Atomkraft aus, sie wollen die Hauptschule
        abschaffen. Noch ein Richtungswechsel hin zu richtigen
        Weichenstellungen kann Ihnen doch nicht mehr viel aus-
        machen. Tun Sie das nicht zuletzt für die in der Union
        engagierten Schwulen, Lesben und Transgender, die ge-
        rade heute Abend in der Vertretung des Saarlands ein
        Sommerfest veranstalten.
        Anlage 17
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Barrierefreie Mobi-
        lität und barrierefreies Wohnen – Vorausset-
        zungen für Teilhabe und Gleichberechtigung
        (Tagesordnungspunkt 14)
        Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Mit ih-
        rem Antrag zur barrierefreien Mobilität und zum barrie-
        refreien Wohnen folgt die SPD in vielen Punkten dem,
        was wir in der Regierungskoalition bereits konsequent
        bearbeiten. Was uns unterscheidet, ist die Praktikabilität
        der Herangehensweise durch die christlich-liberale Ko-
        alition.
        Doch erlauben Sie mir zunächst einen kurzen Blick
        zurück: Wenn es um Mobilität und um eigenständiges
        Handeln geht, dann gehören unsere Mitbürger mit einer
        Behinderung mit Gewissheit zu den Gewinnern der deut-
        schen Einheit. In kürzester Zeit war es dank besserer
        technischer Hilfsmittel und dank der breiteren Schultern
        der Sozialverbände möglich, dass behinderte Menschen
        wieder am öffentlichen Leben teilnehmen konnten. So-
        zialkassen und staatliche Fördersysteme flankierten die-
        sen Prozess.
        In kaum einem anderen sozialen Bereich wurde deut-
        licher, dass das von manchen verherrlichte DDR-Sozial-
        system tatsächlich nur die Grundversorgung sicherte und
        oft die Verwahrung für unsere behinderten Mitbürger be-
        deutete. Lediglich die Hilfsbereitschaft und die mensch-
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        che Wärme des Pflegepersonals – und natürlich der
        ngehörigen – konnten dies mildern. Breite Schultern in
        orm vieler karitativer Einrichtungen haben hier gleich
        nfang der 90er-Jahre Hervorragendes geleistet.
        Für uns sind Barrierefreiheit und Zugänglichkeit und
        ie Teilhabe von Menschen mit Behinderung an allen
        ebensbereichen selbstverständliche Grundrechte. Darin
        ind wir uns sicherlich alle einig. Das bedarf keiner Dis-
        ussion. Gerade in den letzten 20 Jahren ist im Bereich
        er Mobilitätsverbesserung für behinderte Menschen
        uch durch unsere beiden Konjunkturprogramme sehr
        iel geschehen, zum Beispiel die Schaffung der Barrie-
        freiheit auf vielen kleinen Bahnhöfen.
        Dennoch – auch darin sind wir uns einig – können wir
        ns mit den Gegebenheiten nie zufrieden geben. Deshalb
        rbeiten die christlich-liberale Koalition und die Bundes-
        gierung intensiv an der ständigen Verbesserung der Si-
        ation.
        Welches sind nun die Herausforderungen für die Zu-
        unft? Im Gegensatz zum Antrag der SPD muss man
        ies einer differenzierten Betrachtung unterziehen: Wir
        aben da zum einen den öffentlichen Bereich mit seinen
        ffentlichen Einrichtungen und dem umfassenden Ver-
        ehrsbereich und zum anderen den riesigen privaten Le-
        ensbereich mit der eigenen Wohnung im Mittelpunkt.
        Klar ist für uns, dass eine barrierefreie Nutzung der
        ffentlichen Einrichtungen aus eigener Kraft – wo im-
        er möglich – für die Menschen sichergestellt werden
        uss. Das gilt übrigens nicht nur für die Bundesrepu-
        lik; vielmehr muss Mobilität heute weltweit möglich
        ein.
        Anders sieht es in unserem privaten Bereich aus: Es
        t klar, dass Barrierefreiheit mit einem hohen konstruk-
        ven Aufwand und hohen Kosten verbunden ist. Das
        önnen sich nur wenige leisten. Auch der Staat und die
        ozialkassen können das nicht in Gänze ausgleichen.
        er demografische Wandel führt dazu, dass mehr ältere
        enschen mit körperlichen Gebrechen Wohnraum nut-
        en. Deshalb sollten wir – mehr als bisher – Möglichkei-
        n von barrierearmen und altersgerechten Wohnraum-
        uschnitten in den Fokus setzen. Das ist finanziell
        ünstiger und kann auch von Hauseigentümern mit klei-
        em Geldbeutel und einer geringen staatlichen Unter-
        tützung geschultert werden.
        Bestes Beispiel hierfür ist das KfW-Programm „Al-
        rsgerecht Umbauen“. Durch dieses Förderprogramm
        rhalten vor allem ältere oder behinderte Menschen die
        hance, dank reduzierter Wohnbarrieren so lange wie
        öglich in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Das
        rogramm definiert erstmals einen bundesweit einheitli-
        hen Standard für Barrierereduzierung im Wohnungsbe-
        tand. Es bietet wahlweise ein zinsgünstiges Darlehen
        der einen Investitionszuschuss – sowohl für selbstge-
        utztes als auch für vermietetes Wohneigentum.
        Die KfW bietet durch ihre Förderprogramme ein gu-
        s, nachahmenswertes Beispiel, wenn es darum geht, in-
        lligent die Kopplungsfunktion zwischen Demografie-
        andel – sprich Barrierearmut – und Energieeffizienz –
        prich CO2-Gebäudesanierungsprogramm – herzustel-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13649
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        len. Die Nachhaltigkeit beim Bauen wird zukünftig eine
        größere Rolle spielen. Das gilt für den öffentlichen Be-
        reich ebenso wie für den privaten.
        Die Betrachtung eines Gebäudes über den gesamten
        Lebenszyklus hinweg muss auch mögliche Neunutzun-
        gen berücksichtigen. Wer privat nicht von Anfang an
        barrierearm baut, sollte, wenn möglich, zumindest die
        Voraussetzung dafür schaffen, diesen Umbau später
        nachholen zu können – vielleicht auch schon, wenn der
        Kinderwagen zum Einsatz kommt.
        Für mich hat es sich bewährt – und das vermisse ich
        ebenfalls im Antrag der SPD –, engen Kontakt zu den
        Verbänden aus dem Bereich der Behindertenbetreuung
        zu halten. Es sind doch oftmals die kleinen Dinge des
        Lebens und die einfachen Lösungen, die auch unseren
        Mitmenschen mit Behinderung helfen, mobil zu bleiben.
        Dieser Erfahrungsaustausch – dafür kann ich bei allen
        Kollegen nur werben – sollte noch intensiver geführt
        werden. Dasselbe gilt natürlich für die Architekten und
        Bauplaner.
        Nichtsdestotrotz wird nicht jedes Handicap im Ver-
        kehrs- oder im Baubereich für unsere behinderten Mit-
        bürger zu beseitigen sein. Wenn ich auf meine Eingangs-
        worte zurückkommen darf, dann sprechen wir hier auch
        stets von technischen Hilfsmitteln. Auch das kommt im
        Antrag der SPD zu kurz, wird aber von der christlich-li-
        beralen Koalition – weniger durch uns Verkehrs- und
        Baupolitiker als vielmehr durch unsere Kollegen aus
        dem sozialen Bereich – intensiv beackert. Denn die di-
        rekte Hilfe für die Betroffenen durch ausgereifte Prothe-
        tik, hochwertige Orthopädie und Hightechmedicare ist
        die allerbeste Lösung, um mit den Gegebenheiten klar-
        zukommen. In diesen Bereichen gehört Deutschland zu
        den Weltmarktführern: Mittelständische Familienunter-
        nehmen wie die Hans B. Bauerfeind AG aus dem thürin-
        gischen Zeulenroda und die Duderstädter Otto Bock
        HealthCare GmbH sowie viele weitere Global-Player-
        Firmen spiegeln wider, dass sich soziales Empfinden
        und wirtschaftliche Interessen eben nicht ausschließen
        müssen.
        Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen
        werden niemals abschließend oder endgültig geregelt
        werden können. Entgegen dem Antrag der SPD – der im
        Übrigen viel Richtiges enthält, aber nichts, was wir nicht
        bereits umsetzen – kommt es aus unserer Sicht darauf
        an, den öffentlichen und privaten Bereich differenzierter
        zu betrachten, einen engen Informationsaustausch zu
        den entsprechenden Verbänden zu pflegen und neben
        den organisatorischen und baulichen Umsetzungen die
        direkte Hilfe für die Betroffenen durch moderne, innova-
        tive Hilfsmittel nicht aus dem Fokus zu lassen.
        Karl Holmeier (CDU/CSU): Liest man den hier zur
        Diskussion stehenden Antrag der SPD-Fraktion, könnte
        man den Eindruck gewinnen, die SPD sei selbst nie in
        Regierungsverantwortung gewesen.
        Viele der Forderungen des Antrages haben ja durch-
        aus ihre Berechtigung, und tatsächlich besteht beim Aus-
        bau der Barrierefreiheit noch vielerorts Nachholbedarf.
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        ber mit der Länge und Ausführlichkeit ihrer Forderun-
        en erwecken die Kollegen der SPD den Eindruck, in
        en letzten Jahren sei kaum etwas geschehen.
        Dies ist erstens nicht der Fall. Zweitens frage ich
        ich, weshalb Sie in elf Jahren Regierungsverantwor-
        ng nicht längst die hier von Ihnen aufgestellten zahlrei-
        hen Forderungen für mehr Barrierefreiheit umgesetzt
        aben. Insofern halte ich den Antrag der SPD-Fraktion
        chlichtweg für scheinheilig.
        Doch nun zur Sache. Ich habe bereits angedeutet, dass
        ich, entgegen dem mit dem SPD-Antrag vermittelten
        indruck, im Bereich Barrierefreiheit in den letzten Jah-
        n durchaus viel getan hat.
        Im Verkehrsbereich sind mit dem Gesetz zur Gleich-
        tellung behinderter Menschen und zur Änderung ande-
        r Gesetze wichtige gesetzliche Regelung getroffen
        orden, die die Möglichkeiten der Teilhabe behinderter
        nd mobilitätseingeschränkter Personen am gesellschaft-
        chen Leben erhöhen. Dies gilt für den ÖPNV, den Ei-
        enbahn- und Luftverkehr sowie den Straßenbau. Gerade
        r die Erhöhung der Mobilität von Menschen mit Be-
        inderungen gab es in den vergangenen Jahren erhebli-
        he Verbesserungen. Es werden beispielsweise jedes
        ahr rund 100 Bahnhöfe der Deutschen Bahn barrierefrei
        estaltet. Dahinter steckt ein enormer Kosten-, Zeit- und
        rganisationsaufwand.
        Im Baubereich setzt die christlich-liberale Bundesre-
        ierung mit dem KfW-Förderprogramm „Altersgerechtes
        auen“ bereits seit 2009 gezielte Investitionsanreize zur
        ltersgerechten und barrierefreien Anpassung der Woh-
        ungen und des Wohnumfeldes. Darüber hinaus werden
        undesweit Modellvorhaben für eine ganzheitliche Ver-
        esserung des Wohnumfeldes älterer Menschen durchge-
        hrt sowie wissenschaftlich begleitet. Über die soziale
        ohnraumförderung der Länder, für die der Bund bis
        019 jedes Jahr Ausgleichszahlungen in Höhe von
        18,2 Millionen Euro zahlt, werden außerdem Maßnah-
        en zur Barrierereduzierung im Wohnungsbestand ge-
        rdert. Unterstützt wird die Beseitigung von Barrieren
        Wohnbereich zudem durch die steuerliche Abzugs-
        higkeit von Renovierungs-, Erhaltungs- und Moderni-
        ierungsmaßnahmen mit bis zu 20 Prozent der Lohnkos-
        n.
        Die christlich-liberale Koalition ruht sich aber keines-
        egs auf dem bisher Erreichten aus. Mit dem Nationalen
        ktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenkon-
        ention gehen wir einen wichtigen Schritt nach vorn und
        etzen damit zugleich ein weiteres wichtiges Vorhaben
        nseres Koalitionsvertrages um. Sollten Sie diesen Ak-
        onsplan noch nicht kennen, meine sehr verehrten Op-
        ositionskollegen, so kann ich Ihnen diesen sehr zur
        ektüre empfehlen.
        Mit dem Nationalen Aktionsplan haben wir ein In-
        trument geschaffen, das die Umsetzung der UN-Behin-
        ertenkonvention in den nächsten zehn Jahren systema-
        sch vorantreiben soll. Er ist ein Maßnahmen-, kein
        esetzespaket, mit dem bestehende Lücken zwischen
        esetzeslage und Praxis geschlossen werden sollen.
        13650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        Der zentrale Leitgedanke des Nationalen Aktionspla-
        nes und der UN-Behindertenkonvention ist die Inklusion
        behinderter und mobilitätseingeschränkter Menschen in
        allen Lebensbereichen. Eine der wesentlichen Heraus-
        forderungen hierfür ist natürlich die Barrierefreiheit. In
        diesem Rahmen greift zum Beispiel das Dachprogramm
        „Soziales Wohnen“ von 2010 bis 2014 mit 3,85 Millio-
        nen Euro Themen wie mobile Beratung, Qualifizierung
        von Handwerksbetrieben, technikunterstütztes Wohnen
        und inklusiver Sozialraum auf. Darüber hinaus plant die
        Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und der
        Ärzteschaft im nächsten Jahr ein Gesamtkonzept für ei-
        nen barrierefreien Zugang und die barrierefreie Ausstat-
        tung von Arztpraxen und Kliniken. Der weitere mobili-
        tätsgerechte Ausbau des ÖPNV steht ebenfalls auf der
        Agenda des Aktionsplanes. Hier werden wir dafür Sorge
        tragen, dass die bisherigen Modernisierungsmaßnahmen
        fortgeführt werden. Außerdem plant die Bundesregie-
        rung, den Anspruch auf unentgeltliche Beförderung zu
        erweitern und die im Nahverkehr geltende Einschrän-
        kung auf 50 Kilometer um den Wohnort zu streichen.
        Sie sehen, wir legen keinesfalls die Hände in den
        Schoß. Wir haben nicht nur in den letzten Jahren bereits
        viel zum Abbau von Barrieren für behinderte und mobi-
        litätseingeschränkte Menschen getan, sondern wir wer-
        den unsere erfolgreiche Arbeit auch weiter fortsetzen.
        Ich lade die Kollegen von der Opposition selbstverständ-
        lich recht herzlich ein, uns dabei zu unterstützen.
        Kirsten Lühmann (SPD): Um die Bahngleise im
        Bahnhof Unterlüß, in meinem Heimatort in Niedersach-
        sen, zu erreichen, muss man 42 Stufen hoch- und herun-
        tersteigen.
        Ein Bekannter, der im Rollstuhl sitzt, wollte mich
        schon öfters mit dem Metronom in Berlin besuchen. Lei-
        der war das bisher jedoch nicht möglich, eben weil der
        Bahnhof in Unterlüß nicht barrierefrei ist.
        Das bedeutet, Menschen im Rollstuhl oder Eltern mit
        Kindern im Kinderwagen können ohne fremde Hilfe
        nicht mit dem Zug von Unterlüß aus fahren.
        Die Regierungskoalition begründet das damit, dass
        Bahnhöfe nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden
        Haushaltsmittel barrierefrei gestaltet werden können.
        Und da gibt es eben Bahnhöfe, für die das Geld nicht
        reicht. Denn die Regierungskoalition gibt das Geld lie-
        ber für andere Dinge aus: Steuersenkungen zum Bei-
        spiel, die nur einigen wenigen wirklich etwas bringen
        würden und angesichts der Haushaltslage sowieso um-
        stritten sind. Barrierefreiheit dagegen ist für 100 Prozent
        der Bevölkerung komfortabel, für 30 Prozent hilfreich
        und für 10 Prozent zwingend erforderlich.
        Die UN-Behindertenrechtskonvention, die im De-
        zember 2008 mit den Stimmen aller Fraktionen im Bun-
        destag verabschiedet wurde und damit auch für Deutsch-
        land völkerrechtlich verbindlich geworden ist, fordert,
        dass jedem Menschen der volle Genuss seiner Rechte
        und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden
        muss.
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        Mobilität ist für alle da! Das sagen wir, und das sagt
        uch die Regierungskoalition; aber sie sagt eben auch:
        arrierefreiheit ja, aber bitte nur im Rahmen der zur Ver-
        gung stehenden Haushaltsmittel. – Diese Aussage fin-
        en Sie im Antrag der Regierungskoalition zur Umset-
        ung der UN-Behindertenrechtskonvention.
        Das bedeutet also, dass 71 Prozent aller Bahnhöfe wie
        Unterlüß weiterhin für viele Menschen nur sehr
        chwer zugänglich bleiben werden und dass Mobilität
        ben nicht für alle da ist. So können die Ziele der UN-
        ehindertenrechtskonvention, der auch Sie verpflichtet
        ind, nicht erreicht werden.
        Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten füh-
        n uns diesen Zielen verpflichtet. Als Regierungspartei
        nd auch in der Opposition gilt der Teilhabe aller an un-
        erer Gesellschaft unser besonderes Augenmerk. Denn
        ir wollen Vielfalt von Anfang an.
        Deutschland hat auf dem Weg zur barrierefreien Ge-
        ellschaft in den letzten Jahren viel erreicht. Ich nenne
        ier nur drei wichtige Meilensteine, die wir als Regie-
        ngspartei beschlossen haben: das Neunte Buch Sozial-
        esetzbuch, SGB IX, im Jahre 2001, das Behinderten-
        leichstellungsgesetz des Bundes, BGG, im Jahre 2002
        nd das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Jahre
        006.
        Wir sind der Meinung: Die Umsetzung von Men-
        chenrechten darf nicht an dem Verweis auf die Belas-
        ng der öffentlichen Haushalte scheitern. Barrierefrei-
        eit ist ein Grundrecht. Sie bildet einen wichtigen
        estandteil der Teilhabe von Menschen mit Behinderun-
        en am gesellschaftlichen Leben und ist ein wichtiger
        chritt auf dem Weg zu ihrer Gleichberechtigung.
        In unserem Positionspapier zur Umsetzung der UN-
        ehindertenrechtskonvention setzen wir uns als SPD-
        undestagsfraktion klar dafür ein, notwendige und ange-
        essene Vorkehrungen mittel- und langfristig zu etablie-
        n. Dabei können viele notwendige Maßnahmen durch
        ine Umstrukturierung oder Anpassung vorhandener
        ittel finanziert werden. Schon heute ist beispielsweise
        ie barrierefreie Planung von Bauvorhaben – ob Ge-
        äude oder Straßen, Tief- oder Hochbau – keine notwen-
        igerweise kostenintensive Maßnahme. Denn es geht
        or allem darum, ein Bewusstsein zu schaffen, sowohl
        r Bauprofis als auch in der Bevölkerung.
        Unser Ziel ist: Barrierefreiheit muss selbstverständ-
        ch werden! Bereits bei der Planung und Ausführung
        uss sie mitberücksichtigt werden, genauso wie Statik
        nd Brandschutz heute. Dies gilt ganz besonders für
        aumaßnahmen der öffentlichen Hand.
        In unserem Antrag „Barrierefreie Mobilität und bar-
        erefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und
        leichberechtigung“ fordern wir, dass die staatliche För-
        erung auch im Rahmen der KfW-Programme zur CO2-
        ebäudesanierung zum Beispiel stärker an die Kriterien
        er Barrierefreiheit gekoppelt werden. Wir sind der Mei-
        ung, dass die Förderung für Neubauten nur unter den
        oraussetzungen der Barrierefreiheit gewährt werden
        oll. Geschieht dies nicht, entstehen die Kosten im Nach-
        inein. Dann muss der Staat Geld in die Hand nehmen
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13651
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        und Förderprogramme auflegen oder weiterentwickeln,
        um zum Beispiel den Wohnbestand, das Wohnumfeld
        und die Infrastruktur altengerecht anzupassen. Denn
        Wohnungen, die barrierefrei gebaut werden, kommen
        nicht nur Menschen mit Behinderungen zugute, sondern
        erleichtern oder ermöglichen älteren Personen, Familien
        mit Kindern und zeitweise mobilitätseingeschränkten
        Menschen den Alltag. Wohnungen, die barrierefrei ge-
        baut werden, müssen also später nicht mit Fördergeldern
        altengerecht umgebaut werden. Das ist nicht nur aus
        grundsätzlichen Erwägungen anzustreben. Vielmehr ent-
        lastet es die Sozialsysteme von Unterbringungskosten.
        Angesichts des demografischen Wandels wird der Be-
        darf an einem barrierefreien Umfeld stetig wachsen.
        Heute sind nach Schätzungen der Wohnungswirtschaft
        nur 1 Prozent des Wohnungsbestandes barrierefrei und
        nur weitere 4 Prozent barrierearm ausgestaltet. Dabei ist
        Barrierefreiheit für 10 Prozent der Bevölkerung zwin-
        gend erforderlich, für über 30 Prozent hilfreich und für
        100 Prozent komfortabel.
        Wir fordern, dass Barrierefreiheit ein Standard in der
        Ausbildung von Ingenieurinnen und Ingenieuren wird.
        Bereits im Studium sollen angehende Bauprofis dieses
        Thema verinnerlichen. Dafür werden wir uns gegenüber
        der Wirtschaft, den Kammern und den Hochschulen ein-
        setzen.
        Wir wissen: Politik auf Bundesebene ist nicht unein-
        geschränkt zuständig. Deshalb ist es sehr wichtig, dass
        wir auf die zum Beispiel für die Bauüberwachung zu-
        ständigen Länder einwirken, sich der Aufgabe zu stellen
        und eindeutig zugunsten von Barrierefreiheit zu agieren.
        Barrierefreie Mobilität erfolgt grundsätzlich auf zwei
        Ebenen: Erstens sollen Menschen mit Behinderung dis-
        kriminierungsfrei befördert werden; zweitens müssen
        Verkehrsmittel barrierefrei gestaltet werden. Wir verste-
        hen Mobilität nicht nur im Sinne räumlicher Mobilität,
        sondern auch im Sinne der Erreichbarkeit von und des
        Zugangs zu Arbeitsstätten, Einkaufsmöglichkeiten oder
        zum Beispiel ärztlicher Versorgung.
        Wir fordern daher einen integrierten Ansatz der
        Raum-, Stadt- und Verkehrsplanung, der kompakte Sied-
        lungsstrukturen mit einer verbesserten Nahversorgung
        fördert, besonders im ländlichen Raum ergänzt durch
        flexible und möglichst barrierefreie öffentliche Ver-
        kehrsangebote. Im öffentlichen Personenverkehr muss
        sich Barrierefreiheit auf die gesamte Reisekette bezie-
        hen. Es reicht hier nicht aus, einzelne Stationen wie zum
        Beispiel Haltestellen barrierefrei und familienfreundlich
        zu gestalten, wenn es im Bus keine ausreichenden Plätze
        für Rollstuhlfahrer gibt.
        Wir fordern, dass von der Haustür bis zum Ziel der
        gesamte Weg für mobilitätseingeschränkte Menschen
        zugänglich gemacht wird. Dazu müssen sich die Akteure
        besser vernetzen, und es muss das Bewusstsein geschaf-
        fen werden, dass Barrierefreiheit niemandem schadet,
        aber jedem Kunden zugutekommen wird.
        Wir brauchen längere Grünphasen für Fußgänger, da-
        mit ältere Menschen, Kinder und mobilitätseinge-
        schränkte Menschen ohne Gefahr die Straße überqueren
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        önnen, und ebenso brauchen wir Mindeststandards für
        ie barrierefreie Gestaltung von Flugzeugen.
        Wir müssen umdenken, um von Anfang an in der
        tädteplanung, im Verkehrsmanagement, im Baubereich
        nd im Ingenieurwesen das Recht behinderter Men-
        chen, am Alltag teilzunehmen, zu berücksichtigen.
        onst werden Menschen vom täglichen Leben ausge-
        chlossen werden.
        Herr Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für
        ie Belange behinderter Menschen, schreibt im Vorwort
        ur deutschen Übersetzung der UN-Behindertenkonven-
        on:
        Ich wünsche mir die Mithilfe aller, damit der Text
        der UN-Konvention so schnell wie möglich Wirk-
        lichkeit wird.
        Dazu wird unser Antrag einen Beitrag leisten.
        Petra Müller (Aachen) (FDP): Der Diskriminierung
        on Menschen mit Behinderungen entgegenzutreten und
        nen darüber hinaus die Teilhabe am öffentlichen, ge-
        ellschaftlichen Leben zu ermöglichen, ist eine hohe und
        elbstverständliche Verpflichtung aller politisch Han-
        elnden in unserem Land. Deutschland setzt dabei hohe
        ormative Standards: Seit 2002 gibt es das Behinderten-
        leichstellungsgesetz; im selben Jahr trat das Allge-
        eine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Ob in den
        GB, im BGB oder in den Prozessordnungen, ob im Ur-
        eberrechtsgesetz, im Allgemeinen Eisenbahn- oder im
        uftverkehrsgesetz – ich könnte die Liste noch fortset-
        en –: Deutschland wird der hohen Verantwortung für
        enachteiligte und behinderte Menschen gerecht und
        tellt diese Verantwortung auf eine breite und sichere ge-
        etzgeberische Basis. Dabei handelt es sich nicht um ei-
        en Gnadenakt der Politik, sondern uns leitet das Be-
        achteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grund-
        esetzes.
        Den gesetzlichen Regelungen stehen immer die kon-
        rete Umsetzung und Anwendung gegenüber. Die Barri-
        refreiheit zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden einer-
        eits festzuschreiben und andererseits umzusetzen, ist
        weierlei. Das verlangt Planung und administrative Be-
        chlussfassung, es verlangt finanzielle Investitionen
        benso wie bauhandwerkliche Ausführung. Fragen der
        entabilität und Haushaltsplanung sind ebenso zu be-
        cksichtigen wie es gilt, die Verhältnismäßigkeit vor
        em Hintergrund von Kosten-Nutzen-Relationen zu be-
        chten. Kurz gesagt: Wollen ist nicht immer Können,
        nd manche Dinge brauchen ihre Zeit.
        Trotzdem ist Deutschland in den 17 Jahren seit der
        erankerung des Benachteiligungsverbots gegenüber
        enschen mit Behinderung im Grundgesetz weit voran-
        ekommen. Sowohl im öffentlichen Bewusstsein als
        uch in der administrativen Umsetzung beweist Deutsch-
        nd auch im internationalen Vergleich ein hohes Ni-
        eau. Aber Diskriminierung findet weiterhin statt; das
        ehört zur Wahrheit dazu. Die meisten Fälle liegen nach
        ie vor im Verborgenen. Die Beispiele, die in den Be-
        chten der Bundesbeauftragten für die Belange behin-
        erter Menschen beschrieben werden, reichen von der
        13652 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Verweigerung der Mitnahme in einem Taxi über die
        Nichtbedienung in Restaurants bis hin zu schwerwiegen-
        den und folgenreichen Diskriminierungen im Berufsle-
        ben oder beim Abschluss privater Versicherungsver-
        träge. Auch an der Arbeitslosenquote lässt sich leider
        noch immer ein Missverhältnis für Menschen mit Behin-
        derung ablesen.
        Es sind also vor allem Beispiele aus dem direkten in-
        terpersonellen Kontakt behinderter Menschen oder aus
        dem Arbeitsleben, an denen sich akute soziale oder ge-
        sellschaftliche Diskriminierung manifestiert und wo sie
        bekämpft werden muss.
        Auch in den Bereichen Mobilität und Wohnungsbau
        ist sich die christlich-liberale Koalition der Bedeutung
        der Themen Barrierefreiheit und Teilhabe bewusst. Zu
        Recht beschreiben Sie in Ihrem Antrag ambitionierte
        Ziele und bestehende Entwicklungspotenziale aus städ-
        teplanerischer und wohnungsbaulicher Sicht. Die Aufga-
        ben, die hier noch vor uns liegen, sind gewaltig, werden
        jedoch kontinuierlich, nach Maßgabe der Verhältnismä-
        ßigkeit und entsprechend den zur Verfügung stehenden
        Haushaltsmitteln erfüllt.
        Die Hauptlast tragen dabei die Länder und Kommu-
        nen. Dem Bund obliegt es nach § 8 BGG, seine Neubau-
        ten oder große Um- und Erweiterungsbauten seiner An-
        stalten, Körperschaften etc. barrierefrei auszuführen. Da
        aber ansonsten das Bauordnungsrecht nicht in die Zu-
        ständigkeit des Bundes fällt, präzisieren die Landes-
        gleichstellungsgesetze die Verpflichtungen für den Bau-
        bereich und werden in den Ländern in unterschiedlichem
        Umfang ausgestaltet, etwa durch Verordnungen, Einfüh-
        rungserlasse oder Richtlinien, insbesondere aber durch
        die bauaufsichtliche Einführung spezieller DIN-Nor-
        men.
        Weiterhin besteht sowohl im Miet- als auch im Eigen-
        tumsrecht ein Anspruch auf Herstellung von Barriere-
        freiheit. Im Wohnungseigentumsrecht haben behinderte
        Wohnungseigentümer aufgrund ihres (Mit-)Eigentums
        einen Anspruch auf Zustimmung der anderen Miteigen-
        tümer zu Baumaßnahmen für einen barrierefreien Zu-
        gang zu ihrer Wohnung. Eine ausdrückliche Regelung
        gibt es im Wohnungseigentumsgesetz jedoch nicht, und
        man könnte hier im Hohen Hause über einen entspre-
        chenden Passus nachdenken.
        Die Förderung des Wohnungsbaus, auch des Baus
        oder Umbaus von Wohnungen für behinderte Menschen,
        ist in Deutschland Sache der einzelnen Bundesländer.
        Der Bund stellt diesen zwar im Rahmen des Wohnraum-
        förderungsgesetzes sowohl für den Neubau als auch für
        Modernisierungsmaßnahmen Finanzmittel zur Verfü-
        gung; deren Vergabe sowie die Vergabe der landeseige-
        nen Mittel sind jedoch Sache des einzelnen Landes. Im
        Rahmen des KfW-Förderprogramms „Altersgerecht
        Umbauen“ wird die Reduzierung von Barrieren im Miet-
        und Eigentumswohnbereich ausdrücklich bezuschusst
        und gefördert. Dieses Programm wird die christlich-libe-
        rale Koalition erfolgreich fortführen. Für die FDP ist je-
        doch eine quartiersbezogene Weiterung des Programms
        unabdingbar. Damit lassen sich infrastrukturelle Ge-
        samtlösungen anstreben und Fragen der Mobilität im ei-
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        entlichen Wohnumfeld integrierter berücksichtigen.
        as ist Ziel liberaler Stadtentwicklungspolitik unter be-
        onderer Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse
        ehinderter Mitbürger und einer insgesamt älter werden-
        en Gesellschaft.
        Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Errichtung neuer
        arrieren muss – strafbewehrt! – verboten werden. Für
        ie Beseitigung vorhandener Barrieren brauchen wir
        örderprogramme. Der Allgemeine Behindertenver-
        and in Deutschland, ABiD, schlug jüngst beispiels-
        eise vor, ein spezielles zehnjähriges Konjunkturpro-
        ramm von 1 Milliarde Euro pro Jahr allein für die
        arrierenbeseitigung im Baubereich aufzulegen. Für den
        erkehrsbereich wird nicht weniger nötig sein. Das wäre
        innvolle Wirtschaftsförderung.
        Was haben Franz Müntefering, Reinhard Klimmt,
        urt Bodewig, Manfred Stolpe und Wolfgang Tiefensee
        emeinsam? Drei Dinge: Erstens sind sie alle Mitglied
        er SPD, zweitens waren sie von 1998 bis 2009 nachei-
        ander als Bundesminister für die Verkehrs-, Bau- und
        tadtentwicklungspolitik zuständig, und drittens haben
        ich alle fünf hinsichtlich ihres Engagements für die Ver-
        eidung neuer und die Beseitigung bestehender Barrie-
        n in ihrem Verantwortungsbereich nicht mit Ruhm be-
        leckert.
        Hätten sie das Sozialgesetzbuch IX, das Behinderten-
        leichstellungsgesetz, das Allgemeine Gleichbehand-
        ngsgesetz und die 2006 in der UNO beschlossene Be-
        indertenrechtskonvention zu ihrer Arbeitsgrundlage
        emacht, wären viele der im nun vorliegenden SPD-An-
        ag aufgeführten Punkte überflüssig bzw. erledigt. Wer
        s nicht glaubt, sollte sich nur einmal die Antworten aus
        em Bundesverkehrs- und -bauministerium auf meine in
        orm von Anfragen gegebenen Denkanstöße in der Zeit
        on 2005 bis 2009 noch einmal ansehen.
        Ich sage das auch, weil Sie, liebe Kolleginnen und
        ollegen von der SPD, in Ihrem Antrag im dritten Ab-
        atz mit Verweis auf die einstimmig verabschiedete UN-
        ehindertenrechtskonvention schreiben: „Dem muss die
        olitik der Bundesregierung jetzt Rechnung tragen.“ Na-
        rlich muss die Bundesregierung auch jetzt und heute
        r die Schaffung einer barrierefreien Umwelt im Sinne
        er UN-Behindertenrechtskonvention wirken, aber eben
        icht erst ab jetzt. Insofern sind Sie an vielen bestehen-
        en Barrieren mitschuldig.
        Leider erweist sich der derzeitige Bundesminister
        eter Ramsauer von der CSU auch nicht als Verfechter
        iner barrierefreien Umwelt. 599 Presseerklärungen fin-
        et man auf der Homepage des Bundesministeriums für
        erkehr, Bau und Stadtentwicklung seit Amtsantritt von
        errn Ramsauer vor 20 Monaten. Nur in zweien davon –
        ier geht es um Bahnhöfe – spielen Fragen der Barriere-
        eiheit eine Rolle. Schaut man sich seine Reden und
        onstigen Aktivitäten an, kommt man auch hier zu dem
        chluss, dass die Belange von Menschen mit Behinde-
        ngen diesem Minister ziemlich gleichgültig sind.
        Insofern unterstützt die Linke den Antrag der SPD –
        nthält er doch eine Reihe von Denkanstößen für die
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13653
        (A) )
        )(B)
        Bundesregierung, um ihren salbungsvollen Worten zur
        UN-Behindertenrechtskonvention auch konkrete Taten
        zu deren Umsetzung im wirklichen Leben folgen zu las-
        sen.
        Leider erweckt der vorliegende Antrag wie schon der
        vor drei Wochen diskutierte SPD-Antrag zum barriere-
        freien Tourismus den Eindruck, dass hier im Schnellver-
        fahren aufgeschrieben wurde, was einem gerade so ein-
        fiel, egal, ob hier Bund, Länder, Kommunen oder andere
        in der Verantwortung stehen. Und leider mogelt sich die
        SPD auch in diesem Antrag um klare Positionen zu
        wichtigen Verkehrsbereichen herum. Wird sich denn nun
        die SPD – nachdem wir Linke vorangingen – für Barrie-
        refreiheit bei Fernbuslinien und für barrierefreie Taxen
        engagieren, zum Beispiel durch entsprechende verbind-
        liche Regelungen bei der anstehenden Novellierung des
        Personenbeförderungsgesetzes?
        Zu Recht verweist die SPD in ihrem Antrag auf Art. 9
        der Behindertenrechtskonvention, welcher korrekt über-
        setzt „Barrierefreiheit“ und nicht „Zugänglichkeit“
        heißt. Aber ich verweise für all diejenigen, die sich mit
        der Konvention noch nicht so intensiv beschäftigt haben,
        auch auf den Art. 3, in dem die „Barrierefreiheit“ als ei-
        nes der Grundsätze der Konvention benannt wird, auf
        Art. 4 „Allgemeine Verpflichtungen“, auf Art. 19 „Selbst-
        bestimmt leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft“
        und auf Art. 20 „Persönliche Mobilität“.
        Seit 14 Tagen liegt uns auch der Nationale Aktions-
        plan der Bundesregierung zur Umsetzung der Konven-
        tion vor. Was hier hinsichtlich der Aufgaben für die
        Schaffung barrierefreier Mobilität und Wohnungen vor-
        geschlagen wird, ist – so auch die übereinstimmende Re-
        aktion der Behindertenbewegung – äußerst dürftig.
        Mit einem Weiter-so ohne verbindliche Regelungen
        im Verkehrs- und Baurecht in Bund und Ländern und
        ambitionierte Förderprogramme werden wir den riesigen
        Mangel an barrierefreien Wohnungen nicht ernsthaft be-
        seitigen. Ich war schon sehr erstaunt, als unlängst Ber-
        lins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer,
        SPD, auf einem Forum des Berliner Behindertenverban-
        des zum Thema „Berlin barrierefrei“ auf die Frage nach
        barrierefreien Wohnungen antwortete, dass sie erst aktiv
        werden könne, wenn sie den Bedarf kenne. Einmal abge-
        sehen davon, dass ich mehr Kenntnis von verantwortli-
        chen Politikern erwarte, meine ich, dass langfristig der
        Bedarf mit 100 Prozent zu definieren ist. Wenn das ge-
        länge, muss niemand mehr aus seiner Wohnung auszie-
        hen, weil bestehende Barrieren im Haus und/oder in der
        Wohnung ein selbstbestimmtes und würdiges Leben un-
        möglich machen, und man kann einander auch uneinge-
        schränkt besuchen. Auch das gehört zur Teilhabe am Le-
        ben in der Gesellschaft.
        Dass dies nicht von heute auf morgen zu schaffen ist,
        ist einleuchtend, zumal bestehende Barrieren zu beseiti-
        gen aufwendig und teuer ist. Warum lassen wir aber zu,
        dass täglich neue Gebäude mit Barrieren entstehen?
        Auch hinsichtlich der Barrierefreiheit könnte man doch
        im Baurecht ebenso verbindliche Regelungen treffen wie
        zum Beispiel bezüglich der energetischen Ausstattung
        oder des Brandschutzes.
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        Wichtig ist eine engere Verzahnung von vorhandenen
        rogrammen und Initiativen. Ich unterstütze ausdrück-
        ch diesbezügliche ökologische Aktivitäten, zum Bei-
        piel Programme zur energetischen Sanierung von Ge-
        äuden und dem Einsatz erneuerbarer Energien. Aber
        iese Programm sind bisher nicht bzw. kaum mit dem
        iel der gleichzeitigen Schaffung von Barrierefreiheit
        erbunden. Dass es geht und dass man es zusammenden-
        en kann, wird unter anderem durch den Antrag der Lin-
        en „Grundrecht auf Wohnen sozial, ökologisch und bar-
        erefrei gestalten“ in der Bundestagsdrucksache 17/3433
        om 26. Oktober 2010 deutlich. Diese Dreieinigkeit von
        ozial, ökologisch und barrierefrei sollten wir als durch-
        ängiges Prinzip in der Bau- und Verkehrspolitik be-
        cksichtigen. Nur dann werden wir eine zukunftsfähige
        olitik zum Wohle der Menschen mit und ohne Behinde-
        ngen gestalten.
        Die Beratung des vorliegenden Antrags in den Aus-
        chüssen sollten wir nutzen, um über Sinn und Unsinn
        er einzelnen Vorschläge zu diskutieren, ihn um weitere
        otwendige Vorschläge ergänzen, um im Ergebnis wirk-
        che Veränderungen im Alltagsleben zu erreichen.
        Lassen Sie uns – wie es der ABiD vorschlägt – Teil-
        abeermöglichung als Wirtschaftsförderung – Konjunk-
        rprogramm, Investitionsförderung – gestalten.
        Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        obilität ist ein entscheidender Faktor im Leben jedes
        enschen: Wer mobil ist, hat mehr Möglichkeiten, kann
        nabhängig sein. Er hat mehr Chancen bei der Arbeits-
        latzwahl oder bei der Entscheidung, wie und wo er le-
        en möchte. Viele Menschen sind hier eingeschränkt –
        nd ihnen wird damit ein entscheidender Teil der persön-
        chen Freiheit genommen. Nichts anderes sind deswe-
        en die Barrieren, welche der SPD-Antrag behandelt:
        ine Freiheitsbeschränkung zu vieler. Der demografische
        andel gibt uns die Gewissheit, dass es immer mehr
        erden.
        Es ist deswegen richtig und wichtig, dass sich der
        undestag mit der Barrierefreiheit im Alltag immer wie-
        er beschäftigt. Zu viele Probleme sind hier noch unge-
        st, und bei zu vielen Aspekten können wir noch nicht
        bsehen, wie sich dies auf unsere Gesellschaft im Wan-
        el auswirkt. Der SPD-Antrag geht auf vieles ein. Be-
        onders hervorheben möchte ich die detaillierte Behand-
        ng der Regelungen zum ÖPNV und zum Bahnverkehr.
        ier muss in Zusammenhängen gedacht werden. Nach-
        altige Mobilität bedeutet immer seltener, mit einem ein-
        igen Verkehrsmittel von A nach B zu kommen. Die
        obilität von morgen braucht die optimale Verbindung
        erschiedener aufeinander abgestimmter Verkehrsträ-
        er. Deswegen brauchen wir nicht nur einen deutsch-
        ndweit getakteten Bahnfahrplan, sondern müssen auch
        erücksichtigen, dass Menschen mit Mobilitätsein-
        chränkungen diesen gesamten Weg in der gleichen
        ualität nutzen können wie Menschen ohne Einschrän-
        ungen. Nur wenn wir diese Beschränkungen und
        arrieren abbauen, werden mehr Menschen öffentliche
        erkehrsmittel nutzen.
        13654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        Der vorliegende Antrag macht viele und umfassende
        Vorschläge. Hervorzuheben ist, dass der Antrag die Kon-
        flikte nicht ausspart: Es ist gewiss nicht einfach, Barrie-
        refreiheit, Denkmalschutz und Stadtbildpflege unter ei-
        nen Hut zu bekommen. Gleichzeitig ist natürlich die
        Frage berechtigt, was die Bundespolitik hier zur Befrie-
        dung dieser Konflikte beitragen kann und soll. Notwen-
        dig sind sicher vor allem lokale Ansätze, bei denen Bür-
        gerinnen und Bürger frühzeitig – und auf die jeweilige
        Maßnahme bezogen – mitentscheiden können.
        Der Antrag verfolgt eine Linie, der wir Grünen sicher
        grundsätzlich folgen können. Dennoch gibt es Punkte,
        über die in den Ausschussberatungen noch debattiert
        werden sollte. So wird sehr pauschal darauf hingewie-
        sen, dass Billigflieger Behinderte abweisen. Es sind
        zwar solche Fälle bekannt, jedoch sollten wir nicht so
        weit gehen, darin ein System zu erkennen. Das führt
        meines Erachtens zu einer unberechtigten Vorverurtei-
        lung. Hier sollten wir die bekannten Fälle genau untersu-
        chen und mit den Airlines nach einer Lösung suchen.
        Zwei Aspekte will ich ansprechen, die nach meiner
        Ansicht noch präzisiert werden sollten. Erstens. Der An-
        trag fordert, dass sich die Barrierefreiheit im öffentli-
        chen Personennahverkehr auf die gesamte Reisekette be-
        ziehen soll. Hier müssen wir sicherstellen, dass nicht nur
        die Verkehrsmittel, sondern auch die Fahrplangestaltung
        gemeint ist. Bisher ist etwa für die Deutsche Bahn eine
        Reise auch dann barrierefrei, wenn ein Rollstuhlfahrer
        von A nach B kommt – obwohl er oder sie zum Beispiel
        für eine Fahrt von Berlin nach Erfurt wegen der knappen
        Umsteigezeit in Leipzig eine Stunde länger braucht.
        Hierüber sollten wir gemeinsam nachdenken und Vor-
        schläge erarbeiten.
        Der zweite Punkt betrifft die Mobilität von Men-
        schen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung die öffentli-
        chen Verkehrsmittel auch dann nicht nutzen können,
        wenn alle heute bekannten Rahmenbedingungen und
        Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit umge-
        setzt sind. Diese kleine Gruppe wird langfristig auf ei-
        gene, speziell umgebaute Pkw angewiesen sein. Leider
        steht diese Gruppe oft vor dem Problem, dass mögliche
        Kostenträger die Finanzierung der Fahrzeuge und Um-
        bauten verweigern. Hier ist bisher nicht absehbar, was
        wir für diese Gruppe mobilitätseingeschränkter Personen
        tun könnten.
        Ich hoffe, dass wir diese Fragen in den Ausschussbe-
        ratungen aufgreifen und Lösungen erarbeiten. Hier sind
        auch unsere für Sozialpolitik zuständigen Kolleginnen
        und Kollegen gefragt.
        Anlage 18
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Effektive Regulie-
        rung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise
        (Tagesordnungspunkt 15)
        Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Gestern hat die
        CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Kongress zum
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        hema „Finanzmarktregulierung nach der Krise – Eine
        wischenbilanz“ veranstaltet. Neben der Bundeskanzle-
        n und dem Bundesfinanzminister haben sich der Bun-
        esbankpräsident, nationale und internationale Aufseher,
        anker und Wissenschaftler zu aktuellen Finanzmarkt-
        agen geäußert. Es wurde ausführlich über die Dinge
        iskutiert, die regulatorisch auf den Weg gebracht wor-
        en sind. Es wurde festgestellt, dass die Finanzmarkt-
        aßnahmen von Regierung und Parlament dazu beige-
        agen haben, dass Deutschland schnell aus der
        irtschaftkrise herausgekommen ist, und es wurden Lü-
        ken in der Regulierung aufgezeigt sowie weitere Lö-
        ungswege analysiert.
        Fazit: Viel wurde getan – meistens das Richtige –,
        ber es gibt auch noch sehr viel zu tun.
        Genau darum geht es auch in unserem Antrag mit der
        berschrift „Effektive Regulierung der Finanzmärkte
        ach der Finanzkrise“. Zum einen ziehen wir damit eine
        ilanz über die seit Bestehen der christlich-liberalen Ko-
        lition geleistete Arbeit im Bereich Finanzmarktregulie-
        ng. Zum anderen bringen wir aber auch zum Aus-
        ruck, dass trotz aller gelungenen Aktivitäten und Maß-
        ahmen im Regulierungsbereich noch ein weiter Weg
        or uns liegt, um den Beschluss der G 20, dass zukünftig
        ein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Fi-
        anzmarktprodukt ohne angemessene Regulierung und
        ufsicht sein darf, Realität werden zu lassen.
        Im Einzelnen: Generalnorm unseres Handelns ist und
        ar der soeben erwähnte Beschluss der G 20 und die
        orgabe in unserem Koalitionsvertrag, dass kein Finanz-
        arkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarkt-
        rodukt ohne angemessene Regulierung und Aufsicht
        ein darf. Deswegen haben wir in den letzten 18 Mona-
        n folgende Projekte auf den Weg gebracht:
        Erstes Stichwort: Fehlervermeidung. Eine Ursache
        er Finanzkrise war, dass die Akteure auf dem Finanz-
        arkt in ihren Instituten falsche Entscheidungen getrof-
        n haben. Nun liegt es im Wesen der Marktwirtschaft,
        ass in Unternehmen Entscheidungen getroffen werden
        nd dass diese Entscheidungen auch falsch sein können.
        enn aber falsche Entscheidungen dazu führen, dass ein
        anzes Wirtschaftssystem gefährdet wird, dann besteht
        andlungsbedarf. Aus diesen Gründen haben wir auf na-
        onaler und europäischer Ebene folgende Regulierungs-
        aßnahmen auf den Weg gebracht, die dazu beitragen
        ollen, dass auf Institutsebene weniger Fehler gemacht
        erden: Bessere Beaufsichtigung der Ratingagenturen;
        ermeidung von Fehlanreizen in den institutsinternen
        ergütungsstrukturen; Verbot bzw. Einschränkung von
        eerverkäufen; erhöhte Anforderungen im Bereich der
        erbriefungen; weitere Begrenzungen im Bereich der
        roßkredite.
        Zweites Stichwort: Fehlertragfähigkeit. In der Krise
        at sich gezeigt, dass Finanzinstitute nicht stark genug
        aren, um die Folgen einer falschen Entscheidung zu
        bsorbieren. Deswegen haben wir – im Übrigen zusam-
        en mit unseren europäischen Partnern – Maßnahmen
        ur Erhöhung der Fehlertragfähigkeit von Instituten ein-
        eführt bzw. werden sie einführen:
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13655
        (A) )
        )(B)
        Die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an
        Institute wurden bzw. werden erhöht – im Rahmen der
        Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie und in der ab
        Sommer anstehenden Umsetzung von Basel III.
        Der nicht über Börsen abgewickelte Derivatebereich,
        der sogenannte OTC-Sektor, wird ab Herbst dieses Jah-
        res grundsätzlich reformiert werden; die entsprechenden
        europäischen Vorschläge liegen auf dem Tisch.
        Offene Immobilienfonds wurden durch das Anleger-
        schutzgesetz stabilisiert.
        Drittes Stichwort: Finanzaufsicht. Wir haben aus der
        Krise aber auch gelernt, dass die Finanzaufsicht nicht in
        der Lage war, die Fehlentwicklungen rechtzeitig zu be-
        nennen und diesen entgegenzusteuern. Das lag nach un-
        serer Analyse zum einen an der Struktur und Organisa-
        tion der Aufsicht, zum anderen aber auch daran, dass
        wesentliche Bereiche des Finanzmarktes nicht oder nur
        teilweise unter staatlicher Aufsicht standen. Darauf ha-
        ben wir mit folgenden Regulierungsmaßnahmen rea-
        giert:
        Wir haben die europäischen Aufsichtsstrukturen kom-
        plett neu organisiert und dadurch erheblich gestärkt.
        Die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichten wird
        durch das Umsetzungsgesetz zur Omnibus-I-Richtlinie,
        das wir im Herbst verabschieden werden, erheblich in-
        tensiviert.
        Einen Vorschlag zur Neuordnung der deutschen Auf-
        sichtsstrukturen wird die Bundesregierung noch im
        Sommer dieses Jahres vorlegen.
        Bisher nicht regulierte Bereiche wie zum Beispiel der
        Bereich der geschlossenen Fonds und Hedgefonds wer-
        den durch das Finanzanlagenvermittlergesetz bzw. durch
        die Umsetzung der AIFM-Richtlinie erstmals in die Auf-
        sicht einbezogen; beide Maßnahmen werden in den
        nächsten Monaten abgeschlossen werden.
        Viertes Stichwort: geordnete Abwicklung. Eine we-
        sentliche Erkenntnis der Finanzkrise war, dass uns kein
        Instrumentarium zur Verfügung stand, um große syste-
        mische Finanzinstitute im Insolvenzfall so abzuwickeln,
        dass nicht das gesamte Finanzsystem ins Wanken gerät.
        Dieser Mechanismus ist aber dringend notwendig, denn
        wir haben auch gesehen, dass trotz aller Regulierungs-
        maßnahmen nicht verhindert werden kann – und im Üb-
        rigen auch gar nicht verhindert werden soll –, dass Ban-
        ken durch unternehmerische Fehlentscheidungen vom
        Markt verschwinden. Wir haben darauf reagiert – in
        Deutschland übrigens als eines der ersten Länder über-
        haupt – und haben ein Restrukturierungsgesetz für Ban-
        ken verabschiedet. Dieses Gesetz ist die Blaupause für
        die Anstrengungen, einen europäischen Restrukturie-
        rungsmechanismus für europaweit tätige systemische
        Banken zu schaffen. Die Koalitionsfraktionen und die
        Bundesregierung haben hier Pionierarbeit geleistet.
        Fünftes Stichwort: Verbraucherschutz. Eine weitere
        Erkenntnis aus der Finanzkrise war, dass wir im Finanz-
        dienstleistungsbereich Defizite im Bereich des Verbrau-
        cherschutzes haben. Wie gesagt, es war eine weitere Er-
        kenntnis und nicht die große Erkenntnis. Ich sage das
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        eswegen, weil ich darauf aufmerksam machen möchte,
        ass wir aus gutem Grund den Schwerpunkt unserer Re-
        ulierungsaktivitäten auf die Systemstabilisierung gelegt
        aben; die Finanzkrise im Herbst 2008 war in erster Li-
        ie eine Systemkrise und keine Verbraucherschutzkrise.
        rotzdem konnten wir im Bereich des Verbraucherschut-
        es in den letzten Monaten signifikante Verbesserungen
        urchsetzen:
        Im Anlegerschutzgesetz haben wir die Qualität der
        nlageberatung im Bankenbereich verbessert.
        Die Verbesserung der Beratungsqualität bei den freien
        ermittlern ist Gegenstand des Finanzanlagenvermittler-
        esetzes, das wir im Herbst auf den Weg bringen wer-
        en.
        Im Rahmen des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes ha-
        en wir entsprechend den europäischen Vorgaben die
        echte von Fondsanlegern gestärkt.
        Wir verfolgen darüber hinaus mit großem Interesse
        ie Ideen und Konzepte zur Stärkung von nachhaltigen
        eldanlagen und sehen daher diesem Teil der Anhörung
        m Montag mit Spannung entgegen.
        Insgesamt haben wir im Bereich Finanzmarktregulie-
        ng und Verbraucherschutz in den letzten 18 Monaten
        cht Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen; das neunte
        nd das zehnte sind bereits im parlamentarischen Ver-
        hren. Weitere Vorhaben, wie zum Beispiel die Neuord-
        ung der Finanzaufsicht, werden nach der Sommerpause
        lgen. Nun ist Quantität alleine kein Erfolgskriterium;
        ber ich möchte schon darauf hinweisen, dass wir mit
        em Restrukturierungsgesetz oder dem Gesetz zur Vor-
        eugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Deri-
        ategeschäfte neue innovative Wege gegangen sind und
        positiven Sinne auch im internationalen Vergleich
        aßstäbe gesetzt haben.
        Wir wissen aber auch, dass das noch nicht reicht, um
        ie Finanzmärkte nachhaltig sicherer und stabiler zu ma-
        hen. Deswegen arbeiten wir intensiv an weiteren von
        ns als relevant identifizierten Themen.
        Eines dieser Themen sind die großen, international
        ernetzten Finanzinstitute, von denen wir annehmen,
        ass sie für das gesamte System von Bedeutung sind.
        iese Institute beherrschen wir als Regulatoren definitiv
        och nicht. Ein Scheitern eines dieser Institute würde er-
        eblichen Schaden verursachen. Letztlich müsste dafür
        ieder der Steuerzahler geradestehen. Deswegen ist es
        ichtig, dass an diese Institute besondere Maßstäbe an-
        elegt werden. Wir begrüßen daher, dass im Rahmen des
        asel-III-Prozesses von diesen Instituten höhere Eigen-
        apitalbeträge als von nichtsystemrelevanten Instituten
        achgewiesen werden müssen. Wir werden uns dafür
        insetzen, dass dies schnell umgesetzt wird. Was noch
        hlt – das habe ich bereits erläutert –, ist ein Restruktu-
        erungsmechanismus für diese Institute – sozusagen das
        uf internationale, mindestens aber auf europäische
        bene erweiterte deutsche Restrukturierungsgesetz.
        Wir sehen des Weiteren Handlungsbedarf bei den Ra-
        ngagenturen. Sie waren zentraler Bestandteil der Krise.
        s ist darüber hinaus bedenklich, dass der gesamte Ra-
        13656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        tingmarkt im Wesentlichen von drei nichteuropäischen
        Agenturen beherrscht wird. Die Maßnahmen, die wir
        bisher zur Regulierung der Ratingagenturen auf den Weg
        gebracht haben, waren gut und zielführend; sie reichen
        aber nicht. Weitere Maßnahmen, die darauf abzielen, die
        Ratingqualität weiter zu verbessern, den Wettbewerb im
        Ratingmarkt zu stärken sowie zivilrechtliche Haftungs-
        regelungen für Ratingagenturen einzuführen, müssen
        folgen.
        Darüber hinaus haben wir in den letzten Monaten in-
        tensiv darüber diskutiert, wie die Finanzmärkte an den
        Kosten der Krise beteiligt werden können. Die EU-
        Kommission hat hierzu Untersuchungen durchgeführt
        und wird Vorschläge erarbeiten. Wir werden die Umset-
        zung dieser Vorschläge auf europäischer Ebene, wie
        auch in der Vergangenheit, unterstützen – so lange, wie
        keine originäre EU-Steuer entsteht. Ich möchte in die-
        sem Zusammenhang daran erinnern, dass es Vertreter
        der Bundesregierung waren, die dafür gesorgt haben,
        dass das Thema Finanztransaktionsteuer auf der europäi-
        schen Agenda weiter vorangetrieben worden ist.
        Zu einer Zwischenbilanz gehört aber auch eine kriti-
        sche Analyse der Dinge, die noch nicht erreicht worden
        sind, der Dinge, für die noch keine befriedigenden Lö-
        sungen erarbeitet worden sind. Ich möchte an dieser
        Stelle drei Punkte nennen:
        Wir beobachten mit Sorge, dass parallel zur Anhe-
        bung der Aufsichts- und Regulierungsstandards Finanz-
        marktakteure Geschäftstätigkeiten in den nicht oder we-
        nig regulierten Bereich auslagern. Hierzu zählen zum
        Beispiel die Aktivitäten von Zweckgesellschaften, Geld-
        marktfonds und Hedgefonds. Dabei gilt es zu vermeiden,
        dass ein großer Teil der Kredit-, Fristen- und Liquiditäts-
        intermediation außerhalb des Bankensektors stattfindet
        und in diesem Bereich Risiken entstehen, denen gerade
        mit den umgesetzten Regulierungsmaßnahmen im Ban-
        kensektor entgegengewirkt wurde.
        Wir sehen, dass es auch nach der Krise Länder gibt, in
        denen keine oder nur eine schwache Regulierung des Fi-
        nanzmarktes erfolgt. Es ist eine große Herausforderung,
        die jeweiligen Regierungen davon zu überzeugen, das
        nationale Regulierungswerk an internationale Standards
        anzupassen, um hierdurch die Nutzung von Regulie-
        rungsgefällen einzudämmen.
        Der dritte Punkt, zu welchem wir noch keine ab-
        schließende Lösung anbieten können, ist die Corporate
        Governance im Finanzdienstleistungsbereich. Dabei
        geht es nicht nur darum, dass die Kontrollorgane in den
        Finanzinstituten genügend Sachkenntnis haben, um die
        Produkte und das Risikoprofil des Unternehmens zu ver-
        stehen und gegebenenfalls eingreifen zu können; das
        lässt sich politisch und aufsichtsrechtlich lösen. Es geht
        vielmehr darum, dass wir in vielen Teilen der Finanz-
        dienstleistungsbranche eine andere Unternehmenskultur
        brauchen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank
        hat auf unserem Finanzmarktkongress gestern sinnge-
        mäß gesagt, dass es kein Geschäft wert sei, der Reputa-
        tion der Bank zu schaden. Das höre ich wohl, und ich
        würde mich freuen, wenn das eine oder andere Institut
        dies mehr als in der Vergangenheit beherzigen würde.
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        amit meine ich weniger die regional tätigen Banken,
        ei denen Mitarbeiter und Management mit ihren Kun-
        en in engem Kontakt stehen, im gleichen Dorf wohnen
        nd im gleichen Verein feiern. Die Akteure in der Fi-
        anzwirtschaft haben neben ihren Verpflichtungen ge-
        enüber ihren Kapitalgebern auch eine gesellschaftliche
        erantwortung. Wenn ich dann aber auf den Konferen-
        en und Kongressen, auf denen ich zu diesem Thema
        preche, sinngemäß Aussagen höre wie: „Wenn ihr
        ollt, dass wir etwas nicht tun, dann müsst ihr es explizit
        erbieten, denn sonst sind wir es unseren Aktionären
        chuldig, dass wir unser Ergebnis optimieren“, dann ist
        ies nicht nur sehr kurzfristig gedacht, sondern nachhal-
        g verantwortungslos. Regulierung wird zum bürokrati-
        chen Monster; Regulierung wird nicht funktionieren,
        olange viele intelligente Menschen ihre Zeit damit ver-
        ringen, den ganzen Tag darüber nachzudenken, wie sie
        iese Regulierung umgehen können. Um das klarzustel-
        n: Dies ist kein Pauschalvorwurf an die Finanzindus-
        ie. Wir wissen, dass dort der überwiegende Teil der
        itarbeiter eine mehr als hervorragende Arbeit leistet;
        ber der eine oder andere sollte sich schon angesprochen
        hlen.
        Wir fordern daher die Bundesregierung auf:
        Erstens: Bei der effektiven Regulierung der Finanz-
        ärkte weiterhin konsequent und mit Augenmaß vorzu-
        ehen und dauerhaft für ein stabileres und widerstands-
        higeres Finanzsystem zu sorgen.
        Zweitens: Die Einhaltung neuer regulatorischer Vor-
        aben aufgrund bereits beschlossener Reformvorhaben
        u überwachen und regelmäßig zu überprüfen, ob die an-
        estrebten Regulierungsziele erreicht werden.
        Drittens: Sich dafür einzusetzen, dass die auf interna-
        onaler, europäischer und nationaler Ebene noch nicht
        ollendeten Reformvorhaben zügig abgeschlossen wer-
        en; insbesondere die Arbeiten der G 20 und des Finanz-
        tabilitätsrates zu den systemrelevanten Instituten sowie
        ur Regulierung des Schattenbankensystems müssen
        eiter vorangetrieben werden.
        Viertens: Sich dafür einzusetzen, dass die bereits ver-
        bschiedeten internationalen Beschlüsse zur verstärkten
        inanzmarktregulierung in allen beteiligten Staaten voll-
        tändig und international konsistent umgesetzt werden,
        m Wettbewerbsverzerrungen und die Nutzung von Re-
        ulierungsgefällen zu vermeiden; dies betrifft unter an-
        erem die Einführung der Beschlüsse des Baseler Aus-
        chusses in weiteren Ländern und die Umsetzung der
        ternationalen Vorgaben zu den Vergütungsstandards.
        Fünftens: Unter Berücksichtigung der seit der Finanz-
        rise und der Staatsschuldenkrise gewonnenen Erkennt-
        isse eine umfassende und systematische Folgebewer-
        ng der Ursachen für eingetretene und potenzielle
        stabilitäten der Finanzmärkte vorzunehmen und die
        isher umgesetzten und eingeleiteten Regulierungsmaß-
        ahmen im Hinblick auf die Ergebnisse dieser Folgebe-
        ertung zu evaluieren.
        Der letzte Punkt ist mir dabei besonders wichtig. Er
        t mir deswegen wichtig, weil es fast drei Jahre nach der
        inanzkrise ein guter Zeitpunkt ist, zurückzuschauen,
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13657
        (A) )
        )(B)
        unter Berücksichtigung von gegebenenfalls neuen Er-
        kenntnissen die eingeleiteten Regulierungsmaßnahmen
        zu bewerten und die entsprechenden Schlussfolgerungen
        zu ziehen.
        Viel getan, viel erreicht, noch viel zu tun – am besten
        gemeinsam, gemeinsam mit der Opposition und, was
        sehr hilfreich wäre, gemeinsam mit der Finanzindustrie.
        Nehmen Sie das Angebot an!
        Dr. Carsten Sieling (SPD): Gerade gestern Nach-
        mittag hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem
        Kongress geladen, der die Überschrift „Finanzmarktre-
        gulierung nach der Krise – eine Zwischenbilanz“ trug. In
        salbungsvollen Worten wird im Vorwort der Einladung
        der Leserschaft offenbart, dass „nationale wie internatio-
        nale Märkte einen stärkeren Ordnungsrahmen brau-
        chen“. Ich vermute, man hat sich dort gegenseitig auf die
        Schulter geklopft und versichert, dass ja alles nicht so
        schlimm gewesen sei und man im Übrigen schon eine
        Menge geschafft habe.
        Nur leider ist dem nicht so. Weder war die Finanz-
        und Wirtschaftskrise, die zu einer Staatsschuldenkrise
        geworden ist, ein Betriebsunfall, noch reichen die bishe-
        rigen Reformen im Finanzsektor nur ansatzweise aus,
        um künftige Krisen zu verhindern.
        Wer allerdings erwartet hat, mit dem vorliegenden
        Antrag der Regierungsfraktionen ein Gesamtkonzept
        oder zumindest einen Eindruck darüber zu bekommen,
        mit welchem Anspruch sich die Regierungsfraktionen
        der größten Volkswirtschaft Europas und eines G-8- und
        G-20-Mitgliedes an den laufenden und harten internatio-
        nalen Regulierungsdebatten einbringen wollen, der wird
        bitter enttäuscht. Selten habe ich bei einem so wichtigen
        Thema einen so nichtssagenden und unambitionierten
        Text gelesen. Und auch der Umstand, dass wir diesen
        Antrag nach Mitternacht beraten, spricht Bände. Aber
        um die Finanzpolitik ist es eben ähnlich dunkel bestellt,
        wie es im Moment draußen ist.
        Aber nicht nur das. Weil man sich aufseiten der Ko-
        alition wahrscheinlich durchaus der dürftigen Bilanz in
        Sachen Finanzmarktregulierung bewusst ist, wird sich
        einfach dreist mit fremden Federn geschmückt. Nicht
        anders ist es sonst zu verstehen, dass sämtliche Regulie-
        rungsvorhaben der europäischen Ebene, die Deutschland
        sowieso umsetzen muss, hier als Erfolg dargestellt wer-
        den. Das gilt zum Beispiel für die Regulierung der Ra-
        tingagenturen, die Kapitaladäquanzrichtlinie, die Neure-
        gelung der EU-Finanzaufsicht oder die geplante Deri-
        vateneuregelung.
        Im Bereich des Verbraucherschutzes ist es offenbar
        allein die Quantität, die überzeugen soll. Denn nicht an-
        ders ist es zu verstehen, dass das Anlegerschutz- und
        Funktionsverbesserungsgesetz und das Finanzanlagen-
        vermittler- und Vermögensanlagengesetz hier als zwei
        getrennte Gesetzesinitiativen dargestellt werden. Was
        dabei aber gern vergessen wird: Diese beiden Gesetze
        – mit dem Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchli-
        che Wertpapiergeschäfte – waren noch Anfang 2010 als
        gemeinsamer Entwurf in einem Gesetz vorgelegt worden
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        is Herr Brüderle mit der freien Vermittlerlobby sich
        urchsetzte und ein neuer, eigener – und natürlich abge-
        chwächter Vorschlag notwendig war.
        Stichwort Bankenrestrukturierungsgesetz: Auch hier
        at die Koalition dankbar auf die guten Vorarbeiten der
        ozialdemokratischen Minister Steinbrück und Zypries
        urückgegriffen. Und das in diesem Zusammenhang ei-
        ene Vorhaben der Bankenabgabe stockt nach der Blo-
        kade im Bundesrat.
        Die Reihe ließe sich fortsetzen: Stockende Reform
        er nationalen Finanzaufsicht oder ein fehlendes klares
        otum zur Finanztransaktionsteuer: überall Stillstand.
        Auch die Neuregelung der Vergütungsstrukturen bei
        ktiengesellschaften hin zu einer stärkeren Ausrichtung
        m langfristigen und nachhaltigen Unternehmenserfolg
        at die SPD-Bundestagsfraktion gegen den massiven
        iderstand des Koalitionspartners 2009 auf den Weg ge-
        racht.
        Ich sehe keinen Vorschlag, wie künftig das Problem
        er systemrelevanten Banken, die „too big to fail“ sind,
        u lösen ist. Die USA, die Schweiz und Großbritannien
        ehen hier neue und eigene Wege. Deutschland bleibt
        aungast.
        Aber ich fürchte, der Anspruch ist schon gar nicht,
        ier Akzente zu setzen. Das zeigt sich auch an dem For-
        erungskatalog der Koalition am Ende des Antrags:
        Prüfen, beobachten, evaluieren“ ist offensichtlich der
        eformanspruch der Koalition, der mich verdächtig an
        nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ erinnert.
        Anders ist es auch zu verstehen, dass auf der gestrigen
        inanzmarktkonferenz das „Who is who“ der deutschen
        inanzlobby auftreten darf, von Verbraucherschützern
        der geschädigten Anlegern dagegen weit und breit
        ichts zu sehen ist.
        Herr Ackermann darf dann mit dicken Krokodilsträ-
        en davon berichten, dass ihn die mickrige Bankenab-
        abe in Höhe von 70 Millionen doch angesichts eines
        nternehmensgewinnes der Deutschen Bank für 2011 in
        öhe von geplanten 10 Milliarden Euro hart trifft.
        Herr Blessing von der Commerzbank darf darüber
        lagen, dass die Öffentlichkeit gar nicht genug positiv
        ahrnimmt, dass er immerhin einen Großteil der Stillen
        inlage des Bundes in Höhe von 16,4 Milliarden Euro
        urückgezahlt hat. Ohne dabei aber zu erwähnen, dass er
        ie geplanten Zinsen darauf nie zahlen wird.
        Und schließlich wird Herr Francioni im Namen der
        eutschen Börse verkünden, dass sämtliche Bestrebun-
        en, eine Finanztransaktionsteuer nur auf europäischer
        bene einzuführen, zu nicht kompensierbaren Abwande-
        ngsbewegungen führen wird.
        Aber man muss sich auch nicht wundern, wenn man
        ie Frösche fragt, ob man ihren Teich trockenlegen
        ollte. So wird das nicht gelingen. Die SPD hat dazu eine
        eihe eigener Vorschläge eingebracht.
        Wir wollen eine Finanztransaktionsteuer. Gerade die
        inanzmarktakteure haben in der Finanz- und Wirt-
        13658 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
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        schaftskrise von umfangreichen Rettungsmaßnahmen
        des Staates profitiert. Es ist somit ein Gebot der Gerech-
        tigkeit, den Finanzsektor auch durch die Erhebung einer
        Finanztransaktionsteuer höher zu besteuern. Dadurch
        würden die Finanzmarktakteure nicht zuletzt auch an der
        Finanzierung der von ihnen selbst wesentlich mit verur-
        sachten Kosten zur Krisenbewältigung beteiligt.
        Wir wollen höhere – weit über die Basel-III-Vor-
        schläge hinausgehende Eigenkapitalzuschläge für sys-
        temrelevante Finanzinstitute.
        Wir kämpfen für eine Bankenabgabe, die sich an den
        wirklichen Risiken des Geschäftsmodells einer Bank
        orientiert und so aufkommensstark ist, damit nicht in der
        nächsten Krise wieder die Steuerzahlerinnen und Steuer-
        zahler zur Kasse gebeten werden.
        Schließlich brauchen wir zwingend auch ein umfas-
        sendes Maßnahmenpaket, das alle Akteure im Bereich
        der Finanzdienstleistungen einschließt. Im Sinne eines
        „Finanz-TÜV“ brauchen die Anleger baldmöglichst zu-
        verlässige, detaillierte und verständliche Informationen
        über die am Markt angebotenen, teilweise hochriskanten
        Finanzprodukte. Nur so können die Verbraucherinnen
        und Verbraucher bei ihrer Vermögensanlage die Sicher-
        heit erreichen, die sie selbst für angemessen erachten.
        Die nur kurze Reihe ließe sich fortsetzen. Und sie
        zeigt, dass wir mehr brauchen als einen ziemlich lustlos
        zusammengeschriebenen Antrag zur Finanzmarktregu-
        lierung, den uns die Koalition hier heute vorlegt.
        Björn Sänger (FDP): Mit dem vorliegenden Antrag
        legt die christlich-liberale Koalition eine Zwischenbilanz
        der Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise
        vor, die sich sehen lassen kann. Selbstverständlich ist
        das große Haus der neuen Rahmenbedingungen auf den
        Finanzmärkten noch nicht vollständig errichtet. Wir sind
        aber deutlich weiter als im Rohbau. Das Haus bietet
        – selbst nach doch recht kurzer Bauzeit – Schutz, und es
        wärmt.
        Bei allen Regulierungsfragen, vor denen wir standen,
        geht es im Kern um die Wiedereinführung der Prinzipien
        der sozialen Marktwirtschaft. Es mussten – und
        müssen – Sachverhalte geregelt werden, bei denen Pro-
        bleme aufgetaucht sind, die es, würde das Prinzip des
        „ehrbaren Kaufmanns“ konsequent durchgehalten wer-
        den, nicht gegeben hätte. Als Liberaler bedauere ich
        diese Tatsache, muss mich ihr jedoch stellen.
        Was ist nun die Aufgabe einer effektiven Regulierung
        der Finanzmärkte? Effektive Regulierung schafft einen
        Rechtsrahmen, der mit marktwirtschaftlichen Mitteln
        versucht, künftige Krisen – egal, woraus sie sich entwi-
        ckeln können – zu vermeiden und ausgebrochene Krisen
        lokal zu begrenzen. Das ist der christlich-liberalen Ko-
        alition mit den hierzu bislang vorgelegten Gesetzen und
        Initiativen gelungen, und damit sind wir deutlich weiter
        als andere, die elf Jahre an den Schalthebeln des Bundes-
        finanzministeriums sträflich untätig haben verstreichen
        lassen.
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        Gleichwohl gibt diese erfolgreiche Zwischenbilanz
        einen Anlass, sich auf Erreichtem auszuruhen. Sie ist
        ielmehr Motivation, den hohen qualitativen Level unse-
        r nationalen Regulierung auch auf die anstehenden in-
        rnationalen Regulierungsvorhaben auszudehnen. Denn
        s gibt nach wie vor Baustellen, und der Bau geht nicht
        der Geschwindigkeit voran, die wir uns als christlich-
        berale Regierungskoalition wünschen.
        Wir wollen die Finanzmärkte effektiv regulieren. Das
        edingt, dass wir die Internationalität der Märkte beach-
        n und daher zu globalen Lösungen kommen müssen.
        leichzeitig müssen wir die Besonderheiten, die wir in
        llen Bereichen im deutschen Markt haben, berücksich-
        gen. Denn wir wären doch mit dem Klammerbeutel ge-
        udert, wenn wir zum Beispiel das erfolgreiche Drei-
        äulen-Modell unserer Bankenlandschaft, das uns – im
        egensatz zu anderen Ländern – gut durch die Krise ge-
        racht hat, durch unpassende Regulierung gefährden
        ürden. Aber dieser Anspruch, den ja auch alle Fraktio-
        en dieses Hauses glücklicherweise teilen, sorgt natür-
        ch dafür, dass es mit der internationalen Regulierung
        icht so schnell vorangeht, denn die notwendigen Ver-
        andlungen brauchen Zeit.
        Dabei haben wir Deutsche schon Rahmenbedingun-
        en in Kraft gesetzt, die Vorbild für die internationale
        egulierung sind – unser Bankenrestrukturierungsgesetz
        twa, das es ermöglicht, Banken kontrolliert vom Markt
        u nehmen und durch die Absicherung eines Fonds, den
        ie Branche über die Bankenabgabe selbst speist, die
        chockwellen, die auf den Märkten entstehen können,
        bzublocken. Dieses Gesetz sollte meines Erachtens die
        laupause für die EU-Regulierung werden. Und das be-
        ifft ausdrücklich auch die Bankenabgabe, denn hier ist
        ine Harmonisierung auf europäischer Ebene dringend
        rforderlich, um unnötige Doppelzahlungen zu vermei-
        en. Aber ich denke auch an unser Leerverkaufsverbot.
        ür diese intelligente Lösung, die über eine zeitliche
        rist die unerwünschten Effekte zielgerichteter Spekula-
        on von den durchaus gewünschten Aspekten, wie zum
        eispiel der Liquiditätssicherung oder der Information
        ber Blasenbildung im Markt, trennt, interessieren sich
        nsere amerikanischen Freunde.
        Wir haben des Weiteren bei der Frage des Selbstbe-
        alts bei Kreditverbriefungen eine von der EU-Regulie-
        ng abweichende Lösung gewählt, weil wir – mit der
        issenschaft – der Auffassung sind, dass ein höherer Ei-
        enbehalt auch eine höhere Gewähr dagegen bietet, dass
        ule Kredite über das Verbriefungsinstrument die
        ärkte großflächig infizieren. Wir gehen davon aus,
        ass es unserer Bundesregierung auch gelingt, über die
        ereinbarte Evaluierung unsere europäischen Partner
        on der hohen Güte unserer Lösung zu überzeugen, so
        ass wir keine Regulierungsarbitrageverluste für den
        eutschen Markt befürchten müssen.
        Neben der Regulierung der Ratingagenturen und der
        chaffung eines Rechtsrahmens, der an die Vergütung in
        stituten schärfere Bedingungen stellt, haben wir auch
        en Schutz der Anleger entscheidend gestärkt. Hierbei
        ind die Produktinformationsblätter nur ein Aspekt. Ent-
        cheidend sind die Erfassung der Anlageberater in einem
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13659
        (A) )
        )(B)
        Register und die Möglichkeit, dass die Aufsicht bei ge-
        häuften Beschwerden eine weitere Tätigkeit untersagen
        kann. Zukünftig wird dies auch die im sogenannten
        Grauen Kapitalmarkt Tätigen betreffen, was ein Novum
        in Deutschland darstellt. Wichtig ist, dass der Anleger
        die wesentlichen Informationen, die für ihn und seine
        Anlagen von entscheidender Bedeutung sind, direkt be-
        kommt, ohne dass er auf die ergänzenden Informationen
        verzichten muss, auf die er bei Bedarf zugreifen kann.
        Diese Regelungen tragen zur Vereinfachung des Ver-
        braucherschutzes bei, helfen, den Anleger nicht zu ver-
        wirren, und dämpfen natürlich die Kosten, was am Ende
        des Tages auch dem Anleger zugutekommt.
        Neben all den Erfolgen, die die Bundesregierung mit
        der Unterstützung der christlich-liberalen Regierungs-
        koalition auch auf internationaler Ebene erreicht hat, in-
        dem deutsche Interessen in die Vereinbarungen einge-
        flossen sind, bleibt noch einiges zu tun. Ich denke hier
        an die Regulierung der außerbörslichen Derivatemärkte,
        den von Hedgefonds und Zweckgesellschaften domi-
        nierten sogenannten Schattenbankensektor und die Spe-
        kulation auf den Rohstoffmärkten. Es gilt bei all diesen
        Fragen der von uns mit Nachdruck unterstützte Grund-
        satz, dass kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und
        kein Finanzmarktprodukt zukünftig unreguliert bleiben
        soll! Dabei sollen bewährte Regeln, wie etwa unser deut-
        sches Einlagensicherungssystem, nicht gefährdet, son-
        dern in die neue Welt überführt werden. Ein solides und
        festes Gebäude reißt man nicht ohne Not ab, sondern
        nutzt es zur Stabilisierung des neuen Hauses.
        Gleichzeitig nutzt die christlich-liberale Koalition die
        Regulierung, um auch den Finanzplatz Deutschland zu
        stärken. Ein sehr gutes Beispiel ist hier das Pension Poo-
        ling, also die länderübergreifende Verwaltung von Al-
        tersvorsorgeeinrichtungen. Hier können wir für die An-
        leger und unseren heimischen Markt Gutes tun, und
        daher freut es uns Liberale besonders, dass die Bundes-
        regierung zugesagt hat, sehr zeitnah – wahrscheinlich
        schon bis Ende dieses Jahres – einen ersten Gesetzent-
        wurf zur Realisierung dessen vorzulegen.
        Es freut mich, festzustellen, dass die christlich-libe-
        rale Koalition und die von ihr getragene Bundesregie-
        rung auf einem sehr guten Weg bei einer effektiven Re-
        gulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise sind –
        ein Weg, bei dem das Ziel erkennbar ist und der kraftvoll
        beschritten wird. Die Geschwindigkeit ist angemessen.
        Wir rennen nicht planlos durch die Gegend, nur um Ak-
        tivität vorzutäuschen, wie das vom einen oder anderen
        Antrag derer, die elf Jahre die Möglichkeit gehabt hät-
        ten, gefordert wird. Nein, wir haben alle Regulierungs-
        aktivitäten im Kopf und bedenken deren Auswirkung auf
        die Finanzakteure. Denn die Summe der einzelnen Teile
        ergibt erst den Mechanismus. Wir wollen, dass dieser
        Mechanismus funktioniert und er Krisen vorbeugen
        hilft, und nicht, dass er durch eine zu hohe Gesamtbelas-
        tung krisenverursachend wirkt oder die Akteure aus dem
        Land treibt. Damit wäre niemandem geholfen. Wir brau-
        chen die dienende Rolle der Finanzwirtschaft für die Un-
        ternehmen der Realwirtschaft. Dabei sind wir ganz
        selbstverständlich bereit, nach einer Evaluierung an der
        einen oder anderen Stelle Veränderungen vorzunehmen,
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        enn wir feststellen, dass eine Maßnahme nicht so
        irkt, wie angenommen. Aber dazu muss man die Maß-
        ahmen auch erst mal wirken lassen. Das tun wir, die
        hristlich-liberale Koalition, und wir tun dies erfolg-
        ich, wie man in unserer Zwischenbilanz zweifelsfrei
        sen kann.
        Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem uns
        orliegenden Antrag der Koalition, „Effektive
        egulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise“,
        ersucht die Bundesregierung den Eindruck zu
        rwecken, dass erstens die Finanzkrise vorbei sei, was
        ie nicht ist. Mit der Euro-Krise setzt sich die
        inanzkrise fort. Laut jüngsten Pressemeldungen, wird
        ine Reihe von Banken, darunter auch eine deutsche, den
        uropäischen Bankenstresstest nicht bestehen. Auch sind
        ie in die Bad Banks ausgelagerten Giftpapiere nicht
        erkäuflich, das Risiko bleibt. Dass zweitens die
        undesregierung bereits auf vielen Gebieten zahlreiche
        nd natürlich allesamt richtige Maßnahmen ergriffen
        ätte und drittens die Bundesregierung bitte so
        eitermachen soll wie bisher, um, ich zitiere aus Ihrem
        ntrag „bei der effektiven Regulierung der Finanz-
        ärkte weiterhin konsequent und mit Augenmaß vorzu-
        ehen und dauerhaft für ein stabiles und widerstandsfä-
        iges Finanzsystem zu sorgen“.
        Aber die Bundesregierung ist nicht konsequent
        orgegangen und tut es bisher weiterhin auch nicht!
        icher wurde unter dem Druck der ausgebrochenen
        rise einiges eingeleitet, um die Finanzmärkte ein wenig
        u regulieren, zum Beispiel das auf den Euro und
        eutsche Aktien beschränkte Leerverkaufsverbot. Aber
        sgesamt ist nicht viel passiert, was tatsächlich zukünf-
        gen Krisen vorbeugt.
        Immerhin sind Sie von ihrem neoliberalen Credo, der
        lternativlosen Notwendigkeit die Finanzmärkte zu deregu-
        eren, welches die Finanzpolitik aller Bundesregierungen
        er letzten Jahrzehnte bestimmte, abgewichen. Aber dieses
        mschwenken war und ist zögerlich und wird gerade nicht
        en Anforderungen gerecht, um tatsächlich ein Bankensys-
        m zurecht zu stutzen, welches seinen eigentlichen Aufga-
        en gerecht wird, die ich Ihnen gerne nochmal ins Gedächt-
        is rufe: erstens Sicherstellung eines zuverlässigen und
        ostengünstigen Zahlungsverkehrs, zweitens Zurückfüh-
        ng der Banken auf ihre Rolle als Kapitalsammelstellen
        nd drittens Erfüllung ihrer Finanzierungsfunktion, indem
        e die Investitionen der Unternehmen, der Privathaushalte
        nd des Staates zu annehmbaren Bedingungen über Kredit
        nanzieren.
        Banken sind nicht zum Selbstzweck da. Diese eben
        enannten Kernaufgaben können auch kleine und mittel-
        roße Banken tun. Es braucht dazu keine gigantisch
        roßen Finanzinstitute. Diese erreichen ihre Größe oft
        ur unter anderem durch Spekulation, bei gleichzeitiger
        ernachlässigung ihrer eigentlichen Kernaufgaben. Und
        ie haben durch ihre Systemrelevanz das Potenzial, die
        inanzmarktstabilität insgesamt zu gefährden und damit
        uch die Funktionsweise ganzer Staaten zu bedrohen.
        aher müssen diese systemrelevanten Banken, durch
        gulatorische Maßnahmen, auf ein Maß zurechtgestutzt
        erden, dass keine Gefahr mehr von ihnen auf die
        13660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Finanzmarktstabilität ausgeht. Dies stünde noch nicht
        einmal im Widerspruch zur europäischen Kapitalver-
        kehrsfreiheit. Denn diese darf immer dann eingeschränkt
        werden, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen
        Ordnung gefährdet ist. Und systemrelevante Banken
        stellen zweifelsohne eine Bedrohung der öffentlichen
        Ordnung dar. Auch sollten Privatbanken in einen gegen-
        seitigen Haftungsverbund gezwungen werden, wie ihn
        Sparkassen und Genossenschaftsbanken längst haben.
        Das würde Risiken wirklich deutlich minimieren und im
        Falle eines Crashs müsste nicht die Allgemeinheit für
        den Schaden geradestehen.
        Wichtig ist auch das Thema Ratingagenturen. Die
        EU-Ratingverordnung ist kaum das Papier wert, auf das
        sie geschrieben wurde. Wir alle kennen das Problem mit
        den wenigen, nicht unabhängig agierenden Ratingagen-
        turen und ihren oft falschen Bewertungen, welche durch
        fehlende Transparenz der angewendeten Verfahren über-
        haupt nicht nachvollziehbar sind. Sie versuchen ernst-
        haft die bloße Registrierung dieser Orakel als Regulie-
        rung zu verkaufen.
        Was wir brauchen ist eine europäische, öffentliche
        Ratingagentur, deren Finanzierung durch eine Gebüh-
        renordnung – vergleichbar mit Notaren – sichergestellt
        wird. Wo ist da Ihre Initiative, frage ich Sie?
        Sie haben ein Restrukturierungsgesetz installiert, das
        nicht mehr als Blendwerk ist. Sogar die Kanzlei
        Freshfields, die bisweilen selbst Gesetzentwürfe für Sie
        formuliert, bezeichnet das Sanierungsverfahren als zahn-
        los. Dazu kommt, dass das Restrukturierungsverfahren
        nicht auf das Insolvenzrecht anderer Staaten abgestimmt
        ist und es darf bezweifelt, dass bei seiner Einleitung die
        Gläubiger die Füße still halten. Für die Restrukturierung
        einer großen systemrelevanten Bank wird auf Jahrzehnte
        hinaus schlicht das Geld fehlen, weil sie eine Bankenab-
        gabe eingeführt haben, die viel zu gering ausfällt. Bei
        Beibehaltung der mickrigen Bankenabgabe dürfte eine
        nächste Krise erst wieder in einigen Jahrzehnten auftre-
        ten, das wissen Sie, trauen sich aber nicht eine angemes-
        sene Bankenabgabe durchzusetzen.
        Auch ich frage Sie, wo Ihr Engagement für eine Fi-
        nanztransaktionsteuer ist? Und die Frage der Kosten der
        jetzigen Krise wird von Ihnen überhaupt nicht, oder nur
        sehr zaghaft gestellt.
        Das Problem ist, es bleibt bei Ihnen bei alten
        neoliberalen Denkmustern und Leitbildern. So auch
        beim Thema Finanzaufsicht. Zwar halten auch wir Linke
        die Errichtung verbindlicher europäischer Aufsichts-
        strukturen für richtig und wichtig. An allen Institutionen
        des neuen EU-Aufsichtssystems ist aber gemeinsam zu
        kritisieren, das ihnen keine makroökonomischen und
        makroprudenziellen Leitsätze auferlegt wurden, um die
        von den Finanzmärkten ausgehenden Risiken wirkungs-
        voll zu bekämpfen. Es wird immer noch die Effektivität
        der Finanzmärkte hervorgehoben, die es zu gewähr-
        leisten gilt. Die Folge wird sein: Die Banken kassieren
        und wenn Not am Mann ist, dann hilft doch wieder der
        Staat. All das, was weiter geschehen soll, soll mit
        „Augenmaß“ geschehen. Genau das heißt im Klartext,
        die Banken und diejenigen zu verschonen, die zulasten
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        er Steuerzahlerinnen und Steuerzahler spekulieren. Ich
        age Ihnen: mit uns nicht! Wenn Sie hier nicht endlich
        mdenken und Ihre alten und überholten neoliberalen
        eitsätze effizienter Kapitalmärkte über Bord werfen,
        ann kommt die nächste Krise sicherlich.
        Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ls unbedarfter Leser könnte man bei der Lektüre des
        ntrags der Regierungsfraktionen beinahe zu dem Ein-
        ruck gelangen: alles kein Problem mehr mit den Ban-
        en und den Finanzmärkten. Das ist leider überhaupt
        icht so. Ihr Antrag ist in vielen Bereichen schlicht Lob-
        udelei. Er vermittelt ein falsches Bild vom Stand der
        inanzmarktregulierung und den ungelösten Problemen,
        or denen wir heute, nach vier Jahren Krise, noch immer
        tehen.
        So ist das sogenannte Too-big-to-fail-Problem noch
        mer ungelöst. Anders als etwa die Schweiz oder
        roßbritannien traut sich Deutschland noch nicht einmal
        n eine ernste und ehrliche Diskussion heran, wie das
        roblem der impliziten Staatsgarantie für Großbanken
        elöst werden kann. Diese kostenlose Staatsgarantie ist
        nvereinbar mit einer Marktwirtschaft. Die Steuerzahle-
        nnen und Steuerzahler werden zwangsweise zu Bürgen
        nd Versicherern ohne Prämienzahlung für Finanzinsti-
        te, die aufgrund ihrer Größe eine staatliche Rettungs-
        arantie besitzen. Zugleich haben solche Institute Wett-
        ewerbsvorteile, weil sie infolge der staatlichen
        ettungsgarantie ein besseres Rating und somit bessere
        efinanzierungsbedingungen erhalten. So verstärkt sich
        as Problem selbst.
        Leider ist überhaupt nicht in Sicht, dass Sie oder die
        undesregierung sich ernsthaft um eine Lösung der Too-
        ig-to-fail-Problematik bemühen, im Gegenteil: Basel III
        ird derzeit auch auf deutsche Initiative in der europäi-
        chen Umsetzung in entscheidenden Bereichen verwäs-
        ert. So wird nach allem, was wir aus Brüssel hören, eine
        chuldenbremse für Banken, die ihre risikoungewichtete
        ilanzsumme in Relation zum Eigenkapital begrenzt,
        icht eingeführt, obwohl die Basel-III-Vereinbarung das
        och vorsah. Dabei müsste gerade Banken, die bei der
        reditvergabe an Unternehmen sehr genau auf die Ei-
        enkapitalausstattung achten, klar sein: Mit weniger als
        Prozent Eigenkapital zu wirtschaften ist kein seriöses
        ankgeschäft. Das wird bis heute aber vom Staat akzep-
        ert, obwohl man Banken mit einer Leverage Ratio viel
        tabiler machen könnte, wie beispielsweise die Erfah-
        ngen in Kanada zeigen.
        Auch fehlt bis heute ein echtes EU-Insolvenzrecht für
        anken und ein europäischer Bankenrettungsfonds, mit
        enen sich Banken ohne gravierende Marktverwerfun-
        en abwickeln ließen. Dabei ist allen Experten schon
        eute klar, dass mit nationalen Abwicklungsregimen wie
        em deutschen es unmöglich ist, grenzüberschreitend
        gierende Banken abzuwickeln, ohne dass es zu Panik-
        aktionen an den Märkten kommt. Den Kennern Ihrer
        olitik und Brüsseler Interventionen ist ebenso klar, dass
        ie versuchen werden, die dringende Delegation echter
        ompetenz auf die europäische Ebene im Bereich des
        risenmanagements zu verhindern.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13661
        (A) )
        )(B)
        Kein Produkt, keine Region und kein Akteur außer-
        halb der Aufsicht, hieß es vor beinahe drei Jahren beim
        G-20-Treffen in Washington. Erst gestern hat Ihre Kanz-
        lerin diesen Spruch bei Ihrer Finanzmarktkonferenz wie-
        derholt, und Ihr Antrag verklärt dieses ja richtige Motto
        gar zum Leitmotiv Ihrer Finanzmarktregulierung. Doch
        bis heute sind billionenschwere Märkte für Derivate wie
        Kreditversicherungen nicht nur unbeaufsichtigt, son-
        dern auch nach wie vor völlig intransparent. So ist es bis
        heute für die deutsche Aufsicht nicht möglich, eigen-
        ständig in Erfahrung zu bringen, welche deutschen Ban-
        ken zu welchen Volumina Sicherungsgeber oder -neh-
        mer für Kreditausfallversicherungen beispielsweise auf
        griechische Anleihen sind. Ich bin vor diesem Hinter-
        grund sehr gespannt auf die Umsetzung und Durchfüh-
        rungsbestimmungen zu den neuen EU-Regulierungen zu
        Derivaten und den Marktinfrastrukturen. Die Gretchen-
        frage, an der auch Sie sich werden messen lassen müs-
        sen, lautet, welcher Anteil von Derivaten letztlich tat-
        sächlich auf regulierte Handelsplätze überführt wird,
        oder anders ausgedrückt: wie hoch der Anteil an Deriva-
        ten sein wird, der auch künftig unreguliert ablaufen wird,
        weil bestimmte Industrien daran ein massives finanziel-
        les Interesse haben und weil Sie dem dann nachgegeben
        haben. Spätestens dann werden Sie Ihr ja richtiges Motto
        von der lückenlosen Regulierung aller Finanzprodukte
        korrigieren müssen.
        Ihr Antrag ist an mancher Stelle ausgesprochen wi-
        dersprüchlich. So loben Sie auf der einen Seite die neue
        Versicherungsregulierung Solvency II und die darin vor-
        genommene „Modernisierung der Risikomanagement-
        vorschriften“. Das passt aber überhaupt nicht zu Ihrer
        Kritik an den Ratingagenturen und ihrem Einfluss. Sie
        begrüßen vor diesem Hintergrund, dass die EU-Kom-
        mission derzeit eine Konsultation durchführt, wie die
        Verwendung externer Ratings in der Regulierung gemin-
        dert werden kann, und Sie fordern dringend Maßnahmen
        zur Verminderung des Einflusses der Ratingnoten ein. Ist
        Ihnen eigentlich klar, dass Solvency II die Bedeutung
        von Ratings in der Versicherungsregulierung nochmals
        deutlich stärken wird und dass deshalb Ihre Positionen
        und Forderungen an dieser Stelle einfach nicht zusam-
        menpassen?
        Ja, es sind viele Gesetze erlassen worden. Ja, es sind
        weitere Gesetze auf dem Weg. Aber es ist nicht die
        Masse an Regeln, die Länge der Gesetze, die einen stabi-
        len Finanzmarkt ausmachen, sondern ihr Inhalt und ins-
        besondere ihr Zusammenwirken. Viele Wissenschaftler
        beklagen, dass die entscheidenden Regeln nicht gesetzt
        werden. Selbst der IWF warnt davor, dass die Risiken
        für eine Finanzkrise eher zu- als abgenommen hätten.
        Nehmen Sie das eigentlich überhaupt zur Kenntnis? Na-
        türlich geht es um die Durchsetzung der Regeln. Was Sie
        zum Thema Aufsicht aufgeschrieben haben, erstaunt
        vielleicht am meisten. Glauben Sie wirklich, Sie können
        Ihr klägliches Scheitern bei der Reform der Finanzauf-
        sicht schönreden? Im Koalitionsvertrag wollten Sie noch
        die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht un-
        ter das Dach der Bundesbank packen. Damit sind Sie ge-
        scheitert. Jetzt machen Sie nur noch Kleinkram, den Sie
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        elbst noch vor wenigen Monaten als kläglich bezeichnet
        ätten. So viel Ehrlichkeit muss schon sein.
        nlage 19
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Keine zusätzlichen finanziellen Mittel des
        Bundes oder der Bahn AG für Stuttgart 21
        – Stuttgart 21 – kein Weiterbau ohne Nach-
        weis der Leistungsfähigkeit und ohne Klä-
        rung der Kosten und Risiken
        (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord-
        nungspunkt 10)
        Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Eigentlich
        urde schon heute Mittag in der Aktuellen Stunde alles
        ichtige zum Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 in mei-
        em Wahlkreis gesagt. Winfried Hermann ist zum Ver-
        ehrsminister in Baden-Württemberg und nicht zum
        tuttgart-21-Verhinderungsminister gewählt worden. An
        einem Amtsverständnis dürfen erhebliche Zweifel an-
        emeldet werden.
        Der Umgang von Grünen und Linken mit dem Thema
        tuttgart 21 ist aber generell unredlich. Mit Mutmaßun-
        en und Tricksereien versuchen Sie, das für Stuttgart
        nd Baden-Württemberg so wichtige Projekt zu diskre-
        itieren. Ihre Argumente werden dabei immer schwä-
        her, wie das Lavieren von Verkehrsminister Winfried
        ermann in den letzten Wochen bei Stuttgart 21 zeigt.
        Auch die beiden uns hier zur Diskussion vorliegenden
        nträge sind in ihren Begründungen gespickt mit Speku-
        tionen und einer unredlichen Interpretation des
        chlichterspruchs von Heiner Geißler. Mit der Wahrheit
        ehmen Sie es in Ihren Anträgen nicht ganz so genau.
        Das möchte ich gerne zunächst zum Antrag der Grü-
        en genauer ausführen: Jeder Lokaljournalist in Stuttgart
        ennt den Schlichterspruch inzwischen besser, als Sie es
        ns in Ihrer Antragsbegründung weismachen wollen:
        irgendwo im Schlichterspruch ist festgehalten, dass die
        ahn zu irgendeinem Zeitpunkt die Bauarbeiten zu un-
        rbrechen hätte, weder während noch nach dem Stress-
        st. Der Stresstest dient im Übrigen nicht dazu, das Pro-
        kt zu verhindern, sondern es zu optimieren. Nach
        llem, was wir bisher wissen, wird dies auch mit über-
        chaubaren Ergänzungen funktionieren.
        Es war ein Entgegenkommen der Bahn, die Bauarbei-
        n nach dem Regierungswechsel in Baden-Württem-
        erg zunächst ruhen zu lassen, bis sich die neue Regie-
        ng konstituiert hat. Eine Verlängerung des Baustopps
        is zu einer möglichen Volksabstimmung im Herbst kos-
        t 410 Millionen Euro. Nach Ihrem Antrag müsste der
        teuerzahler diese Summe zahlen, weil sich SPD und
        rüne in Baden-Württemberg nicht einig sind und sich
        uf eine verfassungswidrige Volksabstimmung geeinigt
        aben, um dieses Dilemma zu lösen. Die Kosten müsste
        ann aber bitte schön auch die baden-württembergische
        13662 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Landesregierung tragen. Dazu ist sie natürlich nicht be-
        reit.
        Über die angeblichen Detailforderungen des Schlich-
        ters Heiner Geißler, die Sie in der Begründung Ihres An-
        trags auflisten, wundere ich mich doch sehr: Entweder
        Sie haben den Schlichterspruch nicht gelesen oder Sie
        versuchen, mit Ihrem Antrag darüber hinwegzutäuschen,
        dass die meisten angemahnten Verbesserungen nur dann
        erforderlich werden, wenn das Ergebnis des Stresstests
        dies notwendig macht. Heiner Geißler hat eben nicht ge-
        fordert, dass es zwangsläufig zu einer Erweiterung des
        Tiefbahnhofs um ein neuntes und zehntes Gleis, zu einer
        zweigleisigen westlichen Anbindung des Flughafens an
        die Neubaustrecke, zu einer Anbindung der bestehenden
        Ferngleise von Zuffenhausen an den neuen Tunnel von
        Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof sowie zu einer Aus-
        rüstung aller Strecken von Stuttgart 21 bis Wendlingen
        zusätzlich mit konventioneller Leit- und Sicherungstech-
        nik kommen muss.
        Absolut unglaubwürdig wird Ihre Antragsbegründung
        aber dann, wenn Sie befürchten, dass die Überführung
        der frei werdenden Flächen in eine Stiftung Mehrkosten
        für das Projekt verursacht. Diese frei werdenden Flächen
        gehören der Stadt Stuttgart und haben rein gar nichts mit
        den Projektkosten zu tun. Also wird es auch nicht zu
        Mehrkosten kommen, wenn man weniger für diese Flä-
        chen einnimmt. Das weiß inzwischen jede Stuttgarterin
        und jeder Stuttgarter. Sie wissen das wohl nicht!
        Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen:
        Auch für Sie wird es Zeit, den Tatsachen ins Auge zu se-
        hen. Bei einem erfolgreichen Testat des Stresstests durch
        die SMA geht Ihnen Ihr zentrales Argument verloren:
        die angeblich mangelhafte Leistungsfähigkeit von Stutt-
        gart 21, die nur mit derart teuren Nachbesserungen zu lö-
        sen sei, dass der 4,5 Milliarden Euro Kostenrahmen ge-
        sprengt wird.
        Dann werden Sie Ihren Wählern in Baden-Württem-
        berg erklären müssen, warum Sie im Wahlkampf trotz
        der allseits bekannten Vorbehalte den Eindruck erweckt
        haben, Sie könnten als baden-württembergische Regie-
        rungspartei Stuttgart 21 stoppen.
        Zum Antrag der Linken möchte ich nur eine kurze
        Bemerkung abgeben: Sie beziehen sich auf den Stern-
        Journalisten Arno Luik. Seit Monaten zitiert Herr Luik
        beim Thema Stuttgart 21 aus angeblichen Geheimdoku-
        menten der Bahn, aus denen hervorgeht, dass das Projekt
        wahlweise viel teurer wird, Tunnelwände einstürzen
        werden oder das Stuttgarter Mineralwasser versiegen
        wird. Leider haben die Öffentlichkeit und auch ich selbst
        bisher nicht eines dieser Geheimdokumente auch nur in
        Ansätzen zu Gesicht bekommen, so auch beim Artikel,
        auf dem Ihr neuerlicher Antrag beruht. Es handelt sich
        also um reine Spekulation, unterfüttert mit Mutmaßun-
        gen eines offensichtlich übermotivierten, möglicher-
        weise aber auch überforderten Stern-Journalisten.
        Aber wenn Sie ehrlich sind, liebe Kolleginnen und
        Kollegen von der Linken: Eigentlich interessiert Sie das
        doch auch gar nicht. Ihnen geht es sowieso weniger um
        Stuttgart 21 an sich als um den Protest dagegen. Und wo
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        leibt eigentlich Ihre Distanzierung von der Gewalt am
        ergangenen Montag?
        Abschließen möchte ich mit einem Zitat des Ulmer
        berbürgermeisters Ivo Gönner – übrigens mit einem
        PD-Parteibuch ausgestattet. Er sagte im Zuge der Er-
        ignisse der vergangenen Wochen: „Die Zeichen stehen
        ach allem, was zu hören ist, auf Realisierung des Ge-
        amtprojektes Stuttgart–Ulm. Deshalb sollte der Ver-
        ehrsminister des Landes seine peinlich anmutenden
        ersuche einstellen, das Projekt zu hintertreiben.“
        Zunächst einmal würde es mich sehr freuen, wenn
        ehr Sozialdemokraten den Mut aufbringen würden,
        olche deutlichen Worte zu finden. Die Sozialdemokratie
        ndet aber auch beim Thema Stuttgart 21 nicht statt –
        ie bei vielen anderen Themen in ganz Deutschland
        uch. Offiziell zwar für Stuttgart 21, taucht die SPD seit
        onaten ab.
        Den Appell Ivo Gönners an den ehrenwerten Ver-
        ehrsminister in Baden-Württemberg richte ich heute
        udem auch an die Fraktionen von Grünen und Linken:
        tellen Sie auch hier im Bundestag Ihre peinlich anmu-
        nden Versuche ein, das Projekt zu hintertreiben! Ba-
        en-Württemberg und Stuttgart haben etwas Besseres
        erdient.
        Ich schließe mit der Wiederholung meines Appells
        on heute Nachmittag: Setzen Sie sich dafür ein, dass
        tuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart–Ulm ge-
        aut werden, und sichern Sie damit die Zukunft unseres
        andes! Stuttgart 21 ist ein Infrastrukturprojekt von na-
        onaler Bedeutung und darf nicht grüner Parteitaktik
        der linker Technologiefeindlichkeit zum Opfer fallen.
        Wir lehnen Ihre Anträge daher ab.
        Ulrich Lange (CDU/CSU): Eigentlich hatte ich er-
        artet, dass die Linken ihren Antrag zu Stuttgart 21 zu-
        ckziehen würden, einmal angesichts des Ergebnisses
        es Stresstests und zum anderen angesichts der durchge-
        hrten Aktuellen Stunde zum Stresstest zu Stuttgart 21.
        ber vielleicht ist es auch noch nicht zu Ihnen durchge-
        rungen: Auch wenn es noch nicht von der Gutachter-
        rma SMA bestätigt wurde, sieht alles danach aus, dass
        er Stresstest für S 21 positiv ausgegangen ist.
        Das allein ist eine sehr positive Nachricht. Wichtig ist
        ber auch, dass der Tiefbahnhof Stuttgart 21 ohne grö-
        ere Veränderungen funktionieren wird, vor allem ohne
        as ins Spiel gebrachte neunte und zehnte Gleis. Damit
        ann der Tiefbahnhof ohne erhebliche Mehrkosten ge-
        aut werden. Damit wird der Kostenrahmen von bis zu
        ,5 Milliarden Euro eingehalten.
        Spätestens mit diesem Wissen müssten Sie Ihren An-
        ag zurückziehen, weil er überholt ist. Aber es geht Ih-
        en ja nicht um die Sache an und für sich. Dass Sie
        chlecht und schlampig recherchieren, ist offensichtlich.
        ie begründen Ihren Antrag damit, dass viele Unsicher-
        eitsfaktoren beim Bau bestehen würden und befürch-
        n, dass der Kostenrahmen von 4,5 Milliarden Euro im
        chlechtesten Fall um zusätzliche Kosten von 2 Milliar-
        en Euro erhöht wird. Sie kommen dann zu dem
        chluss, dass „die Steuerzahler dann über 7 Milliarden
        uro aufbringen“ müssten. 4,5 Milliarden Euro plus
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13663
        (A) )
        )(B)
        2 Milliarden Euro sind 6,5 Milliarden Euro und nicht
        über 7 Milliarden Euro. Mit solchen Finanzierungsküns-
        ten haben Sie schon die DDR ruiniert.
        Aber nicht nur die Linken, sondern auch und beson-
        ders die Grünen haben fest damit gerechnet, dass es
        nicht gelingen wird, die Effektivität des neuen Tiefbahn-
        hofs um 30 Prozent auf 49 Züge pro Stunde in den
        Hauptverkehrszeiten zu steigern. Damit ist das letzte Ar-
        gument gegen den Tiefbahnhof gefallen. Aber leider
        sind die Grünen schlechte Verlierer. Vielleicht haben sie
        sich auch in ihrer populistischen Art und Weise zu weit
        aus dem Fenster gelehnt, als sie angekündigt haben, mit
        ihnen sei der Tiefbahnhof auf keinen Fall zu machen.
        Der Stresstest hat, auch wenn es noch nicht offiziell
        von der Gutachterfirma SMA bestätigt wurde, gezeigt,
        dass der Tiefbahnhof die geforderte Leistungssteigerung
        von 30 Prozent erreicht, und zwar ohne neuntes und zeh-
        netes Gleis, ohne gravierende Mehrkosten. Fachleute ge-
        hen davon aus, dass das positive Ergebnis darauf zurück-
        zuführen ist, dass die Zu- und Abfahrten wie in einem
        Kreisverkehr stattfinden, sodass Züge dicht getaktet ein-
        und ausfahren können, ohne sich gegenseitig zu behin-
        dern: ein Meisterstück deutscher Planung. Dank an die
        DB AG für diese Leistung.
        Die Verwirrung, ja Verzweiflung bei den Grünen wird
        in dem jetzigen Antrag deutlich, in dem gefordert wird:
        kein Weiterbau ohne Nachweis der Leistungsfähigkeit
        und ohne Klärung der Kosten und Risiken. Meine lieben
        grünen Kolleginnen und Kollegen, mit dem erfolgreich
        durchgeführten Stresstest sind diese Forderungen erfüllt,
        auch wenn Sie dies wie ein trotziges Kind einfach nicht
        wahrhaben wollen.
        Die Modalitäten des Stresstests waren festgeschrie-
        ben: anerkannte Standards des Bahnverkehrs für Zugfol-
        gen, Haltezeiten und Fahrzeiten müssen angewendet
        werden. Selbst für den Fall, dass der S-Bahn-Tunnel
        oder der Fildertunnel gesperrt werden, muss ein funktio-
        nierendes Notfallkonzept vorgelegt werden. Der Leis-
        tungstest betraf nicht nur die Kapazität der Schienen und
        Gleise, sondern auch die der sonstigen Infrastruktur wie
        Signale und Leit- und Sicherungstechnik. Auf Wunsch
        der neuen – ich betonte: der neuen – grün-roten Landes-
        regierung hatte die Bahn Ende Mai noch mehr als
        70 Signale, 30 Weichen und 55 Kilometer Gleise zusätz-
        lich in das System eingegeben.
        Den Stresstest hat die Gutachterfirma SMA entwi-
        ckelt, ihm liegt der vom Land Baden-Württemberg ge-
        forderte Fahrplan zugrunde. Die Arbeiten werden von
        der Deutschen Bahn AG durchgeführt. Die SMA beglei-
        tet die Simulation und bewertet das Ergebnis. Dabei
        führt sie eine detaillierte Reisezeitanalyse durch, um den
        heutigen Fahrplan mit dem zu simulierenden Fahrplan
        zu vergleichen.
        Insgesamt wurden 100 Betriebstage simuliert. Offi-
        ziell will die Bahn die Ergebnisse den Projektpartnern
        am 11. Juli 2011 zur Verfügung stellen und am 14. Juli in
        einer unter der Leitung von Schlichter Heiner Geißler
        geplanten öffentlichen Sitzung diskutieren.
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        Auch wenn das Endgutachten der Firma SMA noch
        icht vorliegt, gehe ich fest davon aus, dass S 21 reali-
        iert werden wird. Beenden Sie Ihre destruktive Kritik,
        it der Sie gewaltbereite Demonstranten zu Krawallbür-
        ern aufstacheln. Verwenden Sie Ihre Energie nicht ge-
        en Stuttgart 21, sondern geben Sie beim kommenden
        au Tipps und Ratschläge, bringen Sie Ihr Fachwissen
        in, damit wir in Stuttgart einen zukunftsorientierten
        iefbahnhof erhalten, der weltweit Anerkennung findet.
        Ute Kumpf (SPD): Die heute zur Debatte stehenden
        nträge der Linken und Grünen kommen zu einer Zeit,
        u der man in Stuttgart gespannt auf das Ergebnis des
        tresstests wartet. Am 14. Juli 2011 wird er vorgestellt,
        anach erst wird sich zeigen, ob der Stresstest bestanden
        t und wie es weitergeht mit Stuttgart 21.
        Je näher die Entscheidung um das heftig umstrittene
        ahnprojekt rückt, umso mehr ändert sich die Stimmung
        der Stadt. Man spürt dieser Tage die Anspannung in
        tuttgart. Nicht zuletzt die Eskalation nach der Montags-
        emonstration am 20. Juni, bei der es erstmals gewalttä-
        ge Ausschreitungen einiger weniger gab, zeigt, wie viel
        uf dem Spiel steht.
        Die Gegner glauben, dass der politische Protest Tau-
        ender Bürger nur dann ein Erfolg war, wenn der Tief-
        ahnhof nicht gebaut wird. Es besteht die Gefahr, dass
        er offene, kritische Austausch von Argumenten, den die
        chlichtung ermöglicht hat, als gescheitert angesehen
        ird, wenn der unterirdische Durchgangsbahnhof gebaut
        ird.
        Schwarz-Weiß-Denken, ein Automatismus, der in den
        öpfen vieler entstanden ist. Richtig oder falsch, gut
        der schlecht, Befürworter oder Gegner, auch das gehört
        um Konflikt um Stuttgart 21. Auch das hat sich in den
        ergangenen Monaten in öffentlichen Äußerungen und
        ressemitteilungen festgesetzt. Für Stuttgart ist es wich-
        g, dass dieser Automatismus aufgebrochen wird.
        S 21 ist ein Infrastrukturprojekt. Es geht bei der Aus-
        inandersetzung um unterschiedliche Auffassungen, wie
        Stuttgart und Baden-Württemberg Stadtentwicklung
        nd Mobilität nachhaltig gestaltet werden.
        Es geht darum, wie wir in Zukunft mehr Verkehr von
        er Straße auf ein modernes europäisches Schienen-Ver-
        undnetz bringen. Wie wir die Verkehrsträger besser
        iteinander vernetzen, wie wir neu gewonnene Fläche
        Stuttgart in ein nachhaltiges Innenstadtquartier entwi-
        keln.
        Die Faktenlage für die Finanzierungsbeteiligung des
        undes ist klar: Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um
        in Projekt des Bedarfsplans des Bundes. Es ist ein ei-
        enwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG.
        Der Bund übernimmt mit einem Festbetrag in Höhe
        on 563,8 Millionen Euro aus Mitteln des Bedarfsplans
        r das Projekt Stuttgart 21 den Anteil, der für die Ein-
        indung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm in den
        noten Stuttgart auch ohne Verwirklichung von Stutt-
        art 21 erforderlich gewesen wäre.
        13664 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Über den genannten Betrag hinaus übernimmt der
        Bund keine Kostensteigerungen. Das wurde bisher im-
        mer wieder betont. Der Antrag der Linken geht daher
        völlig in die falsche Richtung. Weitere Mittel des Bun-
        des für Stuttgart 21 standen und stehen nicht zur De-
        batte.
        Der Antrag der Grünen greift Punkte auf, die man
        richtig finden kann. Aber es muss auch klargestellt wer-
        den, wer die Kosten für einen Baustopp trägt. Wer be-
        stellt, der hat auch zu bezahlen. Und das wäre die Lan-
        desregierung und nicht der Bund, daher lehnen wir den
        Antrag ab.
        Heiner Geissler hat in seinem Schlichterspruch am
        30. November Folgendes deutlich gemacht: „Dennoch
        halte ich die Entscheidung, Stuttgart 21 fortzuführen, für
        richtig.“ Und weiter: „Bei einem Ausstieg aus
        Stuttgart 21 entstünden den Projektträgern [...] hohe
        Kosten. Eine der (Wirtschaftsprüfungs-)Gesellschaften
        kommt zu der Auffassung, dass ein Ausstieg rund
        1 Milliarde Euro kosten würde, die beiden anderen ge-
        hen sogar von Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro
        aus. Das ist viel Geld dafür, dass man am Ende nichts
        bekommt.“
        Sicher ist: Die Entscheidung über den Erfolg des
        Stresstests hängt vom Gutachten der SMA ab. Die
        Schweizer Firma, die von Projektbefürwortern und Pro-
        jektgegnern als Instanz benannt wurde, gibt den Prü-
        fungsbericht ab.
        Alle – Gegner und Befürworter, die Bahn und die
        Landesregierung in Baden-Württemberg – müssen Inte-
        resse daran haben und die Verantwortung dafür überneh-
        men, dass die Situation in Stuttgart nicht erneut eskaliert.
        Dass das Ergebnis des Stresstests nicht im Krawall en-
        det, nicht erneut Menschen bei Demonstrationen verletzt
        werden.
        „Stresstest“ und „Wutbürger“ sind inzwischen bun-
        desweit Inbegriff für den Protest. Wir alle sind gut bera-
        ten, neue Wege der Beteiligung zu gehen und dafür die
        rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Wir müssen Ant-
        worten auf die Frage geben, wie wir künftig Bürgerbe-
        teiligung bei Großprojekten gestalten.
        Zustimmung zu Großprojekten kann gewonnen wer-
        den, wenn frühzeitig, umfassend und nachvollziehbar in-
        formiert wird, Beteiligungsformen neu entwickelt und
        die Vorschläge aus der Bevölkerung aufgenommen wer-
        den.
        Die SPD nimmt die Einwendungen und Sorgen der
        Bürgerinnen und Bürger ernst. Gerade als überzeugte
        Projektbefürworter. Für uns bietet Stuttgart 21 in Verbin-
        dung mit der Neubaustrecke nach wie vor einmalige
        Chancen zur Stärkung des Fernbahnverkehrs gegenüber
        dem Flugzeug, enorme Potenziale im Regionalverkehr,
        100 Hektar für nachhaltige Stadtentwicklung und neue
        Arbeitsplatzressourcen.
        Wir wissen, dass wir die Menschen mit diesen
        Schlagworten nicht überfordern dürfen, sondern sie mit
        guten Argumenten überzeugen müssen. Und wir sie di-
        rekt beteiligen müssen. Dafür stehen wir als SPD. Und
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        ir stehen zum Volksentscheid, wenn er notwendig
        ird.
        Uwe Beckmeyer (SPD): Zum zweiten Mal wird
        eute über Stuttgart 21 debattiert, heute Nachmittag auf
        ntrag der Koalition in einer aktuellen Stunde und heute
        bend aufgrund der Anträge von den Fraktionen Die
        inke und Bündnis 90/Die Grünen.
        Mit Verlaub, die beiden heutigen Debatten sind über-
        üssig wie ein Kropf. Denn: Erinnern wir uns noch ein-
        al an die Vereinbarung des Schlichtungsspruchs von
        einer Geißler vom 30. November 2011. Darin wurde
        ie Deutsche Bahn verpflichtet, einen Stresstest für den
        eplanten Bahnknotenpunkt Stuttgart 21 anhand einer
        imulation durchzuführen. Sie muss dabei den Nach-
        eis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungs-
        uwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität
        öglich ist. Vereinbart wurde auch, dass erst nach der
        berprüfung der gewonnen Daten aus dem Stresstest
        urch das Schweizer Verkehrsplanungsbüro SMA das
        rgebnis durch Herrn Geißler vorgestellt wird.
        Ich habe mich persönlich bei Bahnchef Dr. Grube
        ber die Ergebnisse des Stresstests informiert. Über den
        orstand für den Bereich Technik, Herrn Dr. Kefer,
        urde mir schriftlich ausgerichtet, dass die Ausarbeitun-
        en zu dem Projekt Stuttgart 21 plangemäß am 21. Juni
        011 in elektronischer Form an SMA zur Begutachtung
        berspielt wurden. Des Weiteren wurde mir mitgeteilt,
        ass die Fachdokumentation dazu in Papierform am
        0. Juni 2011 an das Land Baden-Württemberg überge-
        en wurde und die Beraterfirma SMA die Begutachtung
        is zum 11. Juli 2011 fertigstellen und im Anschluss al-
        n Beteiligten überreichen wird.
        Die abschließende öffentliche Diskussion der Ergeb-
        isse des Stresstests und der Zertifizierung durch die
        MA erfolge in einer gemeinsamen Sitzung am 14. Juli
        011.
        Irgendwelche Vorabmeldungen, Zwischenergebnisse
        onseiten der Deutschen Bahn AG, aus dem Büro des ba-
        en-württembergischen Verkehrsministers oder des Ver-
        ehrsplanungsbüros SMA sind hier völlig irrelevant und
        agen nur zur weiteren Verunsicherung bei. Wer auch
        mer vorab bewusst Infos an die Medien streut, darf
        icht auch noch damit belohnt werden, dass man soge-
        annten Sensationsmeldungen Aufmerksamkeit schenkt.
        as sollten Sie, meine Damen und Herren, von der Ko-
        lition, einmal beherzigen.
        Das, was ich heute Nachmittag in der aktuellen
        tunde erwähnt habe, kann man nur oft genug wiederho-
        n: Entemotionalisierung ist angesagt! Das gilt sowohl
        r Demonstranten und Polizei, aber auch für vorlaute
        olitiker, die damit die Stimmung nur noch anheizen.
        Gerade die Auseinandersetzungen im letzten Jahr,
        ber auch vor einigen Wochen lassen nur einen Appell
        u: Die gewalttätigen Ausschreitungen müssen unver-
        üglich aufhören, und es muss alles unternommen wer-
        en, um bereits im Vorfeld zu deeskalieren und verant-
        ortungsvoll zu handeln.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13665
        (A) )
        )(B)
        Fazit: Lassen Sie uns die Ergebnisse des 14. Juli ab-
        warten. Danach muss die Deutsche Bahn AG die Ergeb-
        nisse respektieren und entsprechende Entscheidungen
        treffen.
        Zu dem Antrag der Linken. Ihre Forderungen nach ei-
        nem Kostenstopp für den Bund gehen in die falsche
        Richtung. Das stand und steht ohnehin nicht zur Debatte
        und verunsichert nur die Bevölkerung. Vereinbart war,
        dass der Bund sich lediglich an den Sowieso-Kosten von
        563,8 Milliarden Euro für die Einbindung der Neubau-
        strecke Wendlingen–Ulm in den Knoten Stuttgart betei-
        ligt. Über den genannten Betrag hinaus übernimmt der
        Bund keine Kostensteigerungen. Der Antrag der Linken
        geht daher völlig in die falsche Richtung. Weitere Mittel
        des Bundes für Stuttgart 21 standen nie zur Debatte.
        In dem Antrag der Grünen sind einige akzeptable
        Punkte genannt. Die Frage der Finanzierung eines Bau-
        stopps bleibt aber für sie ungeklärt. Da können wir nicht
        zustimmen. Wir fordern für das gesamte Projekt eine
        Kostentransparenz und einen seriösen Finanzierungs-
        plan. Dies muss natürlich auch für Einzelmaßnahmen
        gelten.
        Auch ist wenig hilfreich, dass immer wieder vonsei-
        ten der Grünen suggeriert wird, dass das Land Baden-
        Württemberg seine Kosten notfalls auf den Bund abwäl-
        zen könnte. Auch die Audienz von Ministerpräsident
        Kretschmann beim Bundesverkehrsminister zur Abla-
        dung der Sorgen, die das Projekt Stuttgart 21 so im All-
        tagsgeschäft mit sich bringt, war hier fehl am Platz.
        Dabei sind einige Punkte im Antrag der Grünen
        durchaus akzeptabel, wie die Offenlegung der Kostenri-
        siken in einem transparenten Verfahren. Die SPD-Bun-
        destagsfraktion hat hierzu bereits im letzten Jahr in ih-
        rem Antrag „Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur
        Volksabstimmung“ (Drucksache 17/2933) gefordert,
        dass die Bundesregierung als Eigentümer der Deutschen
        Bahn AG umfassend über die Planungsstände und
        Kostenentwicklungen informiert.
        Dies ist bislang unterblieben. Die Bundesverkehr-
        minister duckt sich grundsätzlich weg, als ob ihn dieses
        Thema überhaupt nichts angeht. Nur einmal ergriff er
        aus Sao Paulo doch das Wort. Darin droht er nach der
        Wahlniederlage in Baden-Württemberg, den Geldhahn
        für wichtige Verkehrsprojekte in den Ländern Rhein-
        land-Pfalz und Baden-Württemberg zuzudrehen (Spiegel
        Online, 28. März). Beleidigt sein und nicht verlieren
        können ist keine hilfreiche Politik, mit der Infrastruktur-
        projekte in allen Regionen Deutschlands gemeistert wer-
        den können. Auch hier ist Augenmaß angesagt.
        Werner Simmling (FDP): Wir befinden uns nicht im
        baden-württembergischen Landtag, dennoch befassen
        wir uns heute mit zwei Anträgen, die besser im dortigen
        Landtag aufgehoben wären.
        Wenn ich im Antrag der Grünen lese, dass die DB AG
        bis zur Volksabstimmung nicht weiterbauen soll, der
        Weiterbau bei nicht bestandenem Stresstest nicht durch-
        geführt wird oder der Bund keine Kostensteigerungen
        übernehmen soll, dann muss ich sagen: Das sind As-
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        ekte, die mit der Landesregierung in Baden-Württem-
        erg diskutiert werden sollten und nicht mit uns hier.
        Zum Thema Baustopp lassen Sie mich ausführen:
        Das Land Baden-Württemberg hatte in der Lenkungs-
        reissitzung am 10. Juni 2011 die Möglichkeit, im Len-
        ungskreis einen Antrag auf einen Baustopp zu stellen.
        as hat es nicht getan! Da muss ich mich schon fragen:
        as soll dann der Deutsche Bundestag mit diesem An-
        ag?
        Zudem sind auch die weiteren Forderungen wie
        keine Beteiligung des Bundes an den Mehrkosten“ hier
        eplatziert. Der Bund hat mit eventuellen Kostensteige-
        ngen bei S 21 überhaupt nichts zu tun. Der Bund ist
        it einem Festbetrag von 563,8 Millionen Euro beteiligt.
        ehrkosten bzw. Kostensteigerungen werden vom Bund
        icht übernommen. Derzeit wird der Kostenrahmen ein-
        ehalten. Es gibt sogar noch einen Risikofonds von
        38 Millionen Euro.
        Was die Kostenrisiken betrifft, erinnere ich an die
        usschusssitzung vom 11. Mai 2011, in der Herr
        r. Volker Kefer von der DB AG persönlich zu den Kos-
        nrisiken Stellung bezogen hat. Er hat genau diese Fra-
        en erläutert. Die DB AG führt für die Projektkosten
        ine kontinuierliche Überprüfung durch, um dann die in-
        rnen Auftraggeber über mögliche Risiken zu informie-
        n. Natürlich werden alle erdenklichen Risiken in dem
        usammenhang aufgeführt, auch Risiken, deren Ein-
        ittswahrscheinlichkeit weit unter 50 Prozent liegen
        ird. Die Risiken werden so lange als Risiken geführt,
        is deren Umsetzung gesichert ist. Es besteht aus jetzi-
        er Sicht kein Anlass, dass der noch verbleibende Risi-
        opuffer von 438 Millionen Euro überschritten wird.
        Auch beim Thema Stresstest bin ich über Ihren An-
        ag sehr verwundert. Sie stellen den Stresstest als etwas
        ar, dass sich allein die DB AG ausgedacht hätte. Fakt
        t aber, dass der Stresstest das Ergebnis des Schlich-
        ngsverfahrens ist und er sich an den in der Schlichtung
        ereinbarten Regeln orientiert. Auch dass die Firma
        MA den Stresstest im Nachhinein kontrolliert, war aus-
        rücklich Wunsch der Grünen. Und der Schlichterspruch
        at auch besagt, dass, wenn der Stresstest positiv aus-
        eht, das heißt die gewünschte Steigerung um 30 Pro-
        ent der Leistungsfähigkeit gegenüber der des heutigen
        ahnhofs erbracht wird, der neue Tiefbahnhof gebaut
        ird. Nun lese ich, dass Verkehrsminister Winfried
        ermann den Stresstest komplett ignorieren will. Das er-
        taunt mich sehr. Diese Haltung interpretiere ich als
        robe Missachtung gegenüber dem sehr erfolgreichen
        chlichtungsverfahren und der Leistung des Schlichters
        r. Geißler. Dieses Verhalten enttäuscht und lässt mich
        ehr und mehr an dem Verantwortungsbewusstsein der
        rünen in der BW-Landesregierung zweifeln.
        Den Antrag der Linken schließe ich in die vorange-
        angene Kritik mit ein. Aus diesen Gründen erübrigt
        ich eine weitere Debatte zu dem Antrag der Linken. Wir
        hnen daher beide Anträge ab.
        Nachdem in der öffentlichen Debatte eher eine Gut-
        chterschlacht um die Kosten und Risiken von S 21
        tattfindet, möchte ich an dieser Stelle einmal mehr die
        13666 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Vorteile des Bahnhofprojektes S 21 hervorheben. Natür-
        lich sind 4,1 Milliarden Euro eine gewaltige Summe,
        aber wir dürfen nicht vergessen, dass der Umbau des Ei-
        senbahnknotens eine Investition für die nächsten Jahr-
        zehnte, ja, wenn nicht für die nächsten 100 Jahre ist. Un-
        ter dieser Betrachtungsweise ist dies ein sehr gutes
        Investment. Wenn ich dann daran denke, dass allein der
        Ausstieg 1,5 Milliarden Euro kosten und nichts erreicht
        würde, dann muss ich mich schon fragen, wie das be-
        triebswirtschaftliche Verständnis der Grünen ist.
        Wir haben derzeit einen Bahnhof, der im Jahr 2020
        fast 93 Jahre alt ist, und alle, die jemals in Stuttgart wa-
        ren, werden mir beipflichten, dass das, was wir dort ha-
        ben, eine Bausünde ist. Dieser Bahnhof teilt die Stadt,
        verschandelt durch sein Gleisbett den Blick in die Stadt
        und ist darüber hinaus nicht leistungsfähig.
        Ich für meine Person und die überwiegende Zahl der
        600 000 Stuttgarter freuen sich, dass nach einer erfolg-
        reichen Präsentation des Stresstests mit dem Bau des
        neuen Bahnhofs in Stuttgart endlich begonnen werden
        kann. Die Gesamtarchitektur, die im Zusammenhang mit
        dem neuen Bahnhof entsteht, wird ein Schmuckstück
        werden, um das uns viele andere Städte beneiden wer-
        den.
        Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        In Stuttgart stehen seit über einem Jahr jeden Montag
        Tausende auf der Straße, um gegen das Bahnhofsprojekt
        Stuttgart 21 zu demonstrieren. Und sie werden es wohl
        weiter tun. Kein Wunder, denn Stuttgart 21 ist das um-
        strittenste Infrastrukturprojekt der DB AG und des Bun-
        des. Bis heute hat die Deutsche Bahn AG (DB AG) nicht
        den Nachweis der höheren eisenbahntechnischen Leis-
        tungsfähigkeit von Stuttgart 21 gegenüber dem beste-
        henden Kopfbahnhof erbringen können. Das gilt auch
        für alle prüfbaren Kosten- und Baurisiken. Denn nach
        wie vor ist Stuttgart 21 ein Projekt mit tausend Unbe-
        kannten. Bereits frühere Schätzungen der Bahn mussten
        immer wieder nach oben korrigiert werden. Einen über-
        prüfbaren Projektbericht über Kosten- und Risikenent-
        wicklung hat die DB AG bis heute nicht vorgelegt und
        damit den Nachweis verweigert, dass das Kostenlimit
        von 4,5 Milliarden überhaupt eingehalten werden kann.
        Stattdessen wurde ein interner Bericht mit 121 Kosten-
        risiken bekannt, die sich auf deutlich über eine Milliarde
        Euro summieren.
        Die Entwicklung der letzten Tage und Wochen hat die
        Situation weiter verschärft. Bereits Anfang Juni hat die
        DB AG deutlich gezeigt, dass sie dem Stresstest keine
        Bedeutung beimisst. Laut Schlichterspruch muss dieser
        belegen, dass durch den geplanten Tiefbahnhof zur Spit-
        zenzeit ein Drittel mehr Züge fahren können als im letz-
        ten Fahrplanjahr im Kopfbahnhof fuhren. Dass der
        Kopfbahnhof vor mehr als vier Jahrzehnten schon fast
        das Doppelte an Zügen bewältigte, belegen alte Fahr-
        pläne. Ein Drittel mehr Züge ist also eine sehr moderate
        Anforderung und doch scheint sie es in sich zu haben.
        Nicht umsonst wurde vereinbart, die Leistungsfähigkeit
        des geplanten Tiefbahnhofes und die Kapazität der
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        chienen per Computersimulation zu testen; dem soge-
        annten Stresstest.
        Zu den Behauptungen, der Stresstest läge dem Minis-
        rium für Verkehr und Infrastruktur in Stuttgart vor: Of-
        nsichtlich haben einige Landtagsabgeordnete in Ba-
        en-Württemberg den Unterschied zwischen dem
        rgebnis des Stresstests und den Eingabedaten sowie
        rbeitsständen zu dem Stresstest nicht verstanden. Nach
        en gestrigen Aussagen der Landesregierung liegt ein
        rgebnis bis heute nur der Bahn selbst und der Bera-
        ngsfirma SMA und Partner zur Bewertung vor.
        Ungeachtet des ausstehenden Ergebnisses hat die DB
        G die Arbeiten zur Tieflegung des Stuttgarter Bahnho-
        s wieder aufgenommen. Am letzten Wochenende ist
        ann – unwidersprochen durch die DB AG – bekannt ge-
        orden, dass die Bahn den Stresstest angeblich bestan-
        en habe, ohne dass dieses von der unabhängigen Bahn-
        eratungsfirma SMA und Partner testiert worden ist, wie
        s in der Schlichtung vereinbart worden war. Auch eine
        iskussion mit den Projekt- und Vertragspartnern über
        ie Bewertung der Ergebnisse ist offensichtlich nicht ge-
        ünscht, denn schon am 15. Juli 2011, einen Tag nach
        er offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse des Stress-
        sts, will die DB AG Großaufträge im Volumen von
        50 Millionen Euro für Tunnelarbeiten vergeben. Die
        ee der Schlichtung, Transparenz zu schaffen und in ei-
        em offenen und fairen Prozess mit allen Projektbetei-
        gten einen Stresstest durchzuführen, wird damit von
        er DB AG massiv hintertrieben. Es ist einfach schlicht-
        eg falsch, wenn Bahnchef Grube immer wieder ver-
        ucht, den Eindruck zu erwecken, als handele es sich
        eim Stresstest nur um eine lästige Formalie, die nur
        arginale Änderungen am Projekt zur Folge hat. Nein,
        er Stresstest muss – unabhängig überprüft – erstmalig
        en Nachweis erbringen, dass Stuttgart 21 auch ein klei-
        es bisschen zukunftsfähig ist und wenigstens ein Drittel
        ehr Züge abgefertigt werden können. Und dabei geht
        s um einen qualitätsvollen Fahrplan. Denn es kann doch
        iemand ernsthaft wollen, dass Milliarden Euro für ei-
        en neuen Bahnhof ausgegeben werden, der keine we-
        entlichen Verbesserungen für die Fahrgäste bringt. Von
        aher geht es um das „Ob“ und nicht nur um das „Wie“
        on Stuttgart 21.
        Stuttgart braucht einen qualitätsvollen Fahrplan. Das
        edeutet Änderungen, die sich auf die bisherigen Pläne
        nd Genehmigungen für Stuttgart 21 auswirken. Nicht
        ergessen darf man dabei, dass auch die laufenden bzw.
        nstehenden Planänderungsverfahren im Grundwasser-
        anagement und Tunnelvortrieb zu weiteren Projektver-
        ögerungen führen werden. Eine präzise Darlegung der
        ostenentwicklung einschließlich aller Risiken muss
        eshalb oberste Priorität haben. Wir fordern die Bundes-
        gierung und die DB AG auf, mit Abschluss des Stress-
        sts darzulegen, welche Planungen sie ergänzend durch-
        hren, welche Genehmigungen sie beantragten und von
        elchen realen Mehrkosten auszugehen ist. Solange dies
        icht geschehen ist und eventuell erforderliche Geneh-
        igungen nicht erteilt sind, lässt sich nicht feststellen,
        b die genannten Verbesserungen im Rahmen der beste-
        enden Planungen überhaupt möglich und finanziell ab-
        esichert sind.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13667
        (A) )
        )(B)
        Anlage 20
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Moratorium jetzt –
        Dringliche Fragen zu Mehrkosten des ITER-
        Projekts (Tagesordnungspunkt 18)
        Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Heute diskutie-
        ren wir wieder einmal einen Dagegen-Antrag der Grü-
        nen. Diesmal wird ein Moratorium für das ITER-Projekt
        verlangt – letztlich mit dem Ziel, einen unilateralen Aus-
        stieg Deutschlands aus ITER vorzubereiten. Warum?
        Weil es teurer wird als geplant und weil es technische
        Probleme gibt. Anders formuliert: Es wird gerade ein
        bisschen holprig, und die grüne Reaktion folgt prompt:
        Raus aus dem Projekt. Weglaufen. In die Büsche.
        Wer jedoch in der Regierung ist, der muss Verantwor-
        tung übernehmen und sich an geschlossene Verträge hal-
        ten. Diesen Zusammenhang, liebe Grüne, lernen Sie ge-
        rade in meiner Heimatstadt Stuttgart kennen.
        Dass Sie sich Ihrer Verantwortung nicht stellen, zeigt
        schon Ihr Antrag. Darin heißt es, der ITER-Vertrag sei
        im Oktober 2007 in Kraft getreten. Das ist richtig. So
        lange hat die Ratifikation durch die zahlreichen Partner-
        länder gedauert. Ausverhandelt wurde der Vertrag je-
        doch vor 2006, also unter rot-grüner Regierungszeit. Sie
        hätten damals Ihre Chance zum Ausstieg gehabt. Zumin-
        dest aber hätten Sie verhindern können, dass der Vertrag
        gar keine Ausstiegsmöglichkeiten für EURATOM vor-
        sieht. Stattdessen haben Sie diesem Vertrag zugestimmt.
        Heute wollen Sie nichts mehr von ihm wissen. So geht
        es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
        nen!
        Mit Ihrer Forderung nach einem Moratorium für das
        ITER-Projekt wären vier Konsequenzen verbunden:
        Erstens. Sie verunsichern die Partnerländer des Pro-
        jektes und fördern Zweifel an der Zuverlässigkeit
        Deutschlands als internationalem Partner. Dass Sie sich
        innerhalb Deutschlands mit der Ablehnung vieler Pro-
        jekte als Dagegen-Partei profilieren wollen, ist eine Sa-
        che; aber dass Sie jetzt auch international vereinbarte
        Kooperationen wieder rückgängig machen wollen und
        damit die Glaubwürdigkeit Deutschlands aufs Spiel set-
        zen, das ist auch uns neu.
        Zweitens. Mit der Forderung nach einem Moratorium
        versuchen Sie den Eindruck zu vermitteln, dass Deutsch-
        land mit einem kurzen Telefonanruf aus dem ITER-Pro-
        jekt aussteigen könne und damit alle Probleme gelöst
        seien. Dabei wissen Sie sehr genau, dass dies nicht mög-
        lich ist. Es handelt sich also um ein weiteres Projekt, bei
        dem Sie einen Ausstieg niemals werden durchsetzen
        können. Sie selbst, Frau Sager, nennen in einer Presse-
        mitteilung gleich zwei Gründe, die Ihrem Ausstiegs-
        wunsch widersprechen: Deutschland ist nur mittelbar an
        dem ITER-Projekt beteiligt, Vertragspartner ist EURATOM.
        Das heißt, ein einseitiger Ausstieg Deutschlands ist gar
        nicht möglich.
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        Außerdem schreiben Sie:
        Auch die innerhalb der EU verbreiteten Annahmen
        ber die Ausstiegskosten in Höhe von 4,5 Milliarden
        irken natürlich abschreckend.
        Wie Sie dennoch einen Ausstieg ermöglichen bzw.
        chtfertigen wollen, ist nicht nachvollziehbar.
        Es scheint mir eher, dass hier wieder einmal Ankündi-
        ungen gemacht werden, die Sie in der Regierung nicht
        alten könnten. Deshalb ist folgender Satz Ihres Frak-
        onsvorsitzenden Jürgen Trittin zum ITER-Projekt un-
        eiwillig komisch:
        Wir können es uns nicht leisten, soviel Geld in einen
        ereich zu stecken, der bisher nur versprochen und nicht
        ehalten hat.
        Was haben Sie uns nicht schon alles versprochen?
        Drittens: die Nebenwirkungen. Auf die Nebenwirkun-
        en Ihrer Forderungen gehen Sie in Ihrem Antrag mit
        einem Wort ein. Auch das Projekt „Wendelstein 7-X“
        Greifswald wäre von dem Moratorium betroffen – und
        amit mehrere Hundert Spitzenarbeitsplätze in einem
        trukturschwachen Umfeld. Auch die deutsche Fusions-
        rschung insgesamt wäre durch einen Ausstieg
        eutschlands nachhaltig beeinträchtigt. Verantwortliche
        olitik sieht für uns anders aus.
        Viertens. Ein Moratorium für das ITER-Projekt wäre
        ichts anderes als eine weitere Kostensteigerung. Ein
        rojekt zu verzögern, spart nie Geld; im Gegenteil, es
        ird nur immer teurer.
        Statt sich also falschen Illusionen hinzugeben, ist es
        rundsätzlich hilfreich, sich nüchtern und sachlich mit
        em Thema auseinanderzusetzen. Gibt es Probleme
        eim ITER-Projekt? Ja, definitiv. Der Ansatz der CDU/
        SU-Fraktion besteht aber nicht darin, vor den Proble-
        en wegzulaufen, sondern darin, sich der Probleme an-
        unehmen und diese zu lösen.
        Seit Bekanntwerden der erheblichen Kostensteigerun-
        en beim ITER-Projekt ist viel passiert. Es wurde eine
        ostendeckelung für den EURATOM-Anteil auf
        ,6 Milliarden Euro beschlossen, und es wurden zahlrei-
        he Verbesserungen in der Struktur und beim Kostenma-
        agement erreicht. Das Management von ITER wird ab
        tzt regelmäßig evaluiert. Strenge Aufsichtskommissio-
        en wurden eingerichtet, die die Finanzsituation kritisch
        eobachten und alle Prüfungsberichte kritisch begleiten
        ollen. Treibende Kraft hinter diesen Verbesserungen ist
        ie deutsche Bundesregierung. Dementsprechend laufen
        ie mit Ihrem Antrag der Regierung hinterher.
        Berechtigt sind dagegen die Fragen nach den Auswir-
        ungen der Erdbebenkatastrophe in Japan auf den Zeit-
        lan für das ITER-Projekt und die Vergabepraxis durch
        ie europäische Agentur Fusion for Energy (F4E). Der-
        eit wird versucht, die Verzögerung des ITER-Projektes
        urch die Erdbebenkatastrophe in Japan zu minimieren.
        ie Lieferung und Produktion der Magnetspulen soll
        um Beispiel nicht mehr abwechselnd zwischen Japan
        nd Europa erfolgen, sondern nacheinander, das heißt,
        uropa liefert zunächst neun Spulen und anschließend
        13668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Japan die anderen neun. Dadurch können die Zeitverzö-
        gerungen deutlich reduziert werden.
        Bei der Vergabepraxis durch die europäische Agentur
        Fusion for Energy sind wir leider noch ein ganzes Stück
        von transparenten und offenen Verfahren entfernt. Aber
        auch hier konnten zuletzt die Ausschreibungsbedingun-
        gen für deutsche Unternehmen zum Beispiel in Haf-
        tungsfragen verbessert werden. Die Strategie der Bun-
        desregierung, die Defizite konstruktiv zu beseitigen, ist
        allemal erfolgversprechender als die der Grünen, gleich
        alles hinzuschmeißen.
        Folglich ist das von Ihnen geforderte Moratorium ab-
        zulehnen.
        Wer regieren will, der muss gestalten, Chancen nut-
        zen und Zukunft ermöglichen. Immer nur dagegen sein,
        Moratorien verhängen und neue Technologien abzuleh-
        nen, damit, meine Damen und Herren von den Grünen,
        lässt sich kein Staat machen.
        Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind davon über-
        zeugt, dass die Fusionstechnologie viele Zukunftschan-
        cen bietet, und wollen sie daher zum Erfolg führen. Las-
        sen Sie uns deshalb weiter konstruktiv, aber kritisch das
        ITER-Projekt begleiten.
        Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Liebe Frau
        Sager, Sie rufen die Bundesregierung in Ihrem Antrag zu
        einem sofortigen Moratorium des ITER-Projektes auf.
        Macht das zu diesem Zeitpunkt wirklich Sinn? Wie rea-
        listisch ist solch ein Vorstoß? Dient er der Sache?
        Ich glaube, man muss sich diesen Fragestellungen
        von drei Seiten nähern:
        Die erste Frage dazu: Wie stehen wir zur Kernfusion?
        Wollen wir an der Fusionsforschung grundsätzlich fest-
        halten?
        Nun, die Vorteile der Kernfusion sind uns allen – oder
        zumindest den meisten – bis auf einige wenige Grüne,
        die immer noch meinen, es handele sich hier um eine
        „Art Atomkraft“ – wohlbekannt. Wenn diese Technik
        Marktreife erlangt, ist die Kernfusion eine sichere, sau-
        bere, nahezu unerschöpfliche und nachhaltige Energie-
        quelle, die zudem noch grundlastfähig ist.
        Dies ist eine großartige Chance. Auch wenn es wahr-
        scheinlich noch einige Zeit brauchen wird, bis dieser
        Zeitpunkt erreicht ist, so sind wir es unseren Kindern
        schuldig, diese Technologie so lange zu erforschen, so-
        lange wir die Chance sehen, diese eines Tages als si-
        chere, saubere und bezahlbare Energiequelle nutzen zu
        können. Denn für unsere Kinder und Kindeskinder
        könnte die Kernfusion tatsächlich einen wichtigen Bei-
        trag zu ihrer Energieversorgung leisten.
        Deswegen ist es mir absolut unverständlich, wenn
        Grüne wie zum Beispiel auch Ihr ehemaliger Parteivor-
        sitzender Herr Bütikofer, aber auch andere, die Kernfu-
        sion per se als „absurd“ bezeichnen. Ich meine, das ist
        verantwortungslos und generationenungerecht.
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        Nein, wir in der CDU/CSU sehen in der Fusionsfor-
        chung eine wichtige Chance und wollen diese weiter er-
        rschen.
        Nun zur zweiten Frage: Sollen wir weiterhin ein ver-
        sslicher und respektierter ITER-Partner bleiben, oder
        ollen wir einseitig aussteigen – und mit Ihrem Antrag
        ollen sie ja gerade einen ersten großen Schritt zum
        usstieg machen.
        Der ITER-Forschungsreaktor ist ein weltweit einma-
        ges Projekt, an dem Deutschland im Übrigen ja nur in-
        irekt beteiligt ist, nämlich über seine Beteiligung an
        URATOM.
        Wir arbeiten hier also nicht nur mit unseren europäi-
        chen Partnern zusammen, sondern auch mit Russland,
        hina, Indien, Japan, Korea und den USA. In den Län-
        ern der sieben Vertragsparteien leben mehr als
        ,6 Milliarden Menschen.
        Natürlich wird die Fusionstechnologie auch anderen
        ändern zur Verfügung stehen. Wir sind ein Partner im
        eam. Das ist doch auch in unserem nationalen Inte-
        sse. Schließlich sind wir eine führende Industrie- und
        xportnation.
        Das ITER-Projekt ist auch ein wichtiger Meilenstein
        Bereich internationaler Forschung und Entwicklung.
        ir Europäer sind aufgefordert, dieses Projekt verant-
        ortungsvoll zu führen. Dabei kommt Deutschland tat-
        ächlich eine wichtige Rolle zu, die von der Bundesre-
        ierung auch wahrgenommen wird.
        Denn es war unsere Ministerin Schavan, die schon
        ühzeitig auf ein stärkeres Projektmanagement und hö-
        ere Transparenz gedrängt und sich dabei auch durchge-
        etzt hat.
        Aber eine Strategie nach dem Motto „rein in die Kar-
        ffeln – Moratorium – raus aus den Kartoffeln“ wäre fa-
        l. Denn wir sind hier Partner – und Partnerschaft
        raucht Verlässlichkeit.
        Das Übereinkommen für ITER hat eine Laufzeit von
        5 Jahren und trat erst vor etwas mehr als drei Jahren in
        raft. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
        a kann ich Ihnen nur eines sagen: Kooperative Grundla-
        enforschung ist kein Sprint. Kooperative Grundlagen-
        rschung ist ein gemeinsamer Marathonlauf, und ich
        age Ihnen eines: Wenn Deutschland – und damit auch
        uropa – sich aus dem Projekt zurückzieht, dann werden
        ie Chinesen und die Koreaner alleine weitermachen.
        nsere Kinder werden uns dann eines Tages fragen: Was
        abt ihr da gemacht?
        Die deutschen Forschungseinrichtungen sind welt-
        eit – noch – führend auf dem Gebiet der Fusionsfor-
        chung. Wir sollten alles daransetzen, damit das so
        leibt.
        Nun aber zur dritten Frage – und ich gebe zu, diese ist
        erzeit nicht einfach zu beantworten –: Können wir uns
        ER heute leisten?
        Natürlich dürfen wir nicht die Augen davor verschlie-
        en, dass beim ITER-Projekt und dabei vor allem bei
        en Kosten nicht alles nach Wunsch läuft. Man kann
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13669
        (A) )
        )(B)
        nicht damit zufrieden sein, wenn Kostenrahmen nicht
        eingehalten werden können.
        Das ist bei Großprojekten leider immer wieder einmal
        der Fall, denn die Kosten der Zukunft sind eben schwer
        abzuschätzen, noch dazu wenn es sich um vielfältige
        Forschungsleistungen handelt, um neue Materialien, um
        neue Methoden und eben um einen sehr langen Zeit-
        raum.
        Ich habe im Plenum schon einmal deutlich gemacht,
        dass auch wir ITER nicht um jeden Preis haben können.
        Das ist doch klar. Aber ein Moratorium hilft da nicht
        weiter. Im Gegenteil, es schwächt unsere Position, um
        die Dinge voranzutreiben.
        Die polnische EU-Präsidentschaft wird im Herbst in-
        tensiv an der ITER-Finanzierung arbeiten und sich um
        eine einvernehmliche Lösung bemühen. Wir sollten ihr
        dazu eine Chance geben.
        Ich bin tatsächlich zuversichtlich, dass wir durch
        ITER in der nächsten Dekade die Kraftwerktauglichkeit
        der Kernfusion demonstrieren können, und das aus zwei
        Gründen.
        Die kritischen technischen und wissenschaftlichen
        Herausforderungen sind bereits gelöst worden.
        Seit den 1970er-Jahren ist die Leistung aus der Kern-
        fusion um mehr als das Milliardenfache gestiegen und
        damit deutlich schneller als etwa die Zahl der Schalt-
        kreise auf Computerchips, die sich nach dem
        Moore’schen Gesetz etwa alle 18 Monate verdoppeln.
        Zum Schluss bleibt uns also die Bewertung der Er-
        gebnisse der drei Fragen und was daraus folgen sollte:
        Erstens. Es lohnt sich, die Kernfusion zu erforschen,
        denn Sie kann große Chancen für die nächsten Generatio-
        nen eröffnen.
        Zweitens. Partnerschaft braucht Verlässlichkeit, auch
        bei ITER. Eine einseitige „Anstiftung zum Ausstieg“ be-
        lastet die Kooperation. Es müssen gemeinschaftliche Lö-
        sungen gesucht und gefunden werden.
        Drittens müssen die Kosten weiterhin eng betrachtet
        und verfolgt werden. Das Projektmanagement muss wei-
        ter verbessert, und der Anteil deutscher Lieferungen und
        Leistungen muss erhöht werden. Die Bundesregierung
        muss hier weiterhin eng am Ball bleiben und hat dafür
        unser vollstes Vertrauen.
        Wir, die christlich-liberale Koalition, begreifen For-
        schung und Entwicklung als Chance für Deutschland
        und für Europa. Wir sind offen für neue Dinge und wir
        haben die Kraft und Inspiration, diese auch anzugehen.
        Wir meinen es ernst mit der „Bildungs- und For-
        schungsrepublik Deutschland“. Das ist gut für den Inno-
        vations- und Technologiestandort Deutschland und da-
        mit auch gut für unsere heimische Wirtschaft.
        Ich kann Ihnen von den Grünen nur raten: Seien Sie
        nicht ideologisch. Haben Sie Mut und zeigen Sie Verant-
        wortungsbewusstsein.
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        René Röspel (SPD): Wieder einmal dürfen wir uns
        ier im Bundestag mit dem Thema ITER beschäftigen.
        abei handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der
        U, Japans, Russlands, der USA, Chinas, Indiens und
        üdkoreas zum Bau und Unterhalt eines Fusionsfor-
        chungsreaktors. In diesem Reaktor sollen Abläufe, die
        der Sonne stattfinden, in einem Kraftwerk nachemp-
        nden werden. Als Standort wurde das französische
        adarache gewählt. Die EU trägt 45,5 Prozent der Kos-
        n. Nach letzten Informationen werden die Baukosten
        r ITER auf über 15 Milliarden Euro steigen, was eine
        erdreifachung der ursprünglichen Kosten bedeutet. Ein
        eil der Mehrkosten ist durch Inflation und steigende
        ohstoffpreise bedingt. Weitere Gründe für die Kosten-
        teigerungen sind neue Erkenntnisse, insbesondere zur
        teigerung der Sicherheit des ITER, sowie die Komple-
        ität der internationalen Kooperation. Für die EU heißt
        ies einen Kostenanstieg auf circa 7,2 Milliarden Euro,
        Vergleich zu den 2,7 Milliarden Euro, die bei Ver-
        agsunterzeichnung vereinbart waren. Woher innerhalb
        es europäischen Haushalts diese Gelder kommen, da-
        ber wird in Brüssel bereits seit Monaten gestritten.
        Für uns Sozialdemokraten ist die Fusionsforschung
        in spannendes Forschungsthema der Grundlagenfor-
        chung. Ob und, wenn ja, wann jemals mit dieser Tech-
        ologie kommerziell Energie gewonnen werden kann, ist
        och komplett unklar.
        Selbst wenn, wie angekündigt, 2050 ein erster Kern-
        sionsreaktor zur Strombereitstellung in Betrieb ge-
        ommen werden könnte, wovon bereits jetzt immer we-
        iger Experten ausgehen, käme dies als Beitrag für
        nsere Energieversorgung viel zu spät. Denn die Ener-
        iewende müssen wir bis dahin längst geschafft haben.
        sofern müssen wir uns schon fragen, wie viel Geld wir
        diesen Forschungszweig geben wollen und können.
        ktuell besteht leider die Gefahr, dass Finanzmittel aus
        nderen Forschungsbereichen, wie zum Beispiel der er-
        euerbaren Energien, abgezogen werden, um die ständig
        rößer werdenden Haushaltslöcher bei ITER zu stopfen.
        as halten wir Sozialdemokraten für falsch.
        Zu den bisher bekannten Kostenexplosionen kommt
        ei ITER jetzt ein weiteres Problem. Das diesjährige
        chwere Erdbeben in Japan hat auch eine Testanlage der
        panischen Atomenergiebehörde in Naka beschädigt.
        ier sollten supraleitende Magnete und eine Vorrichtung
        ur Heizung des Plasmas für ITER getestet werden. Der-
        eit sind die Forschungsgebäude nicht betretbar. Laut
        resseberichten rechnet der technische Direktor von
        ER aufgrund dieser Beschädigungen bereits jetzt mit
        iner Verzögerung des ITER-Projekts um weitere zwei
        ahre. Welche Folgekosten das haben könnte, ist bisher
        och unklar. Eine Arbeitsgruppe soll jetzt bis November
        lären, welche genauen finanziellen und wissenschaftli-
        hen Auswirkungen die Folgen des Erdbebens auf das
        ER-Projekt haben werden.
        Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
        lgenabschätzung diskutieren wir die Probleme bei
        ER regelmäßig. Im Antrag „Für eine Stärkung der
        reit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung –
        eine finanziellen Einschnitte beim Europäischen For-
        13670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        schungsrat zugunsten des Einzelprojekts ITER“ haben
        wir als SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema bereits
        klar Stellung bezogen. Der uns jetzt vorliegende Antrag
        der Grünen fasst nun den aktuellen Informationstand gut
        zusammen und greift offene Fragen auf.
        Auch wird dort unter anderem die Verhängung eines
        Moratoriums gefordert. Das klingt bei all den beschrie-
        benen Problemen beim Bau von ITER erst einmal ein-
        leuchtend. Offen lässt der Antrag aber, was denn mit
        Moratorium gemeint ist und wie das genau umgesetzt
        werden soll. Denn Deutschland ist gar kein direkter Ver-
        tragspartner, sondern allein über seine Mitgliedschaft in
        EURATOM an ITER beteiligt. Jegliche Vertragsände-
        rung benötigt aber erst einmal einen Konsens zwischen
        allen europäischen Mitgliedstaaten. Und danach muss
        eine Einigung mit den internationalen Partnern gefunden
        werden. All dies wird ziemlich schwierig und langwierig
        werden, wenngleich wir große Sympathie dafür haben.
        Unklar ist, welche Auswirkung ein solches Morato-
        rium im Detail haben kann und soll. Auch in Deutsch-
        land arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
        im Bereich der Fusionstechnologie. Deren Erkenntnisse
        und Produkte sollen ebenfalls in das Projekt von ITER
        fließen. Bedeutet Moratorium, dass diese Arbeiten ein-
        gestellt werden sollen? Sollen Arbeiten auf der Baustelle
        in Cadarache dann unterbrochen werden? Ist das recht-
        lich überhaupt machbar? Leider bleibt der Antrag der
        Grünen bei den Lösungsansätzen zeimlich schwammig.
        Deshalb zusammenfassend: Liebe Kolleginnen und
        Kollegen der Grünen, Ihre Analyse zu ITER teilen wir
        weitgehend. Aber bei ITER handelt es sich um ein inter-
        nationales Projekt, aus dem man leider eben nicht ein-
        fach ein- bzw. aussteigen kann. Auch wenn ich mit Ihren
        Lösungsansätzen durchaus sympathisiere, so halte ich
        sie doch leider für nicht praktikabel. Dennoch sollten
        sich alle Interessierten zusammensetzen und überlegen,
        auf welchem Weg und mit welchen Konsequenzen die
        weitere Kostensteigerung begrenzt werden kann.
        Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Das ITER-
        Projekt ist Teil der weltweiten Fusionsforschung, die
        sich in den letzten Jahrzehnten aus der plasmaphysikali-
        schen Grundlagenforschung heraus mit der Klärung der
        Frage beschäftigt, ob die Fusion unter kraftwerksähnli-
        chen Bedingungen Energie liefern kann. Dabei waren
        das ITER-Projekt und der Bau des Experimentalreaktors
        bei der Vertragsschließung keineswegs ausgeplant. Viel-
        mehr stand der Bau noch vor einigen zu lösenden For-
        schungs- und Entwicklungsaufgaben. Unterschiedlichste
        Wissenschaftsdisziplinen, angefangen von der Elektro-
        technik über das Bauingenieurwesen bis zum Maschi-
        nenbau, mussten auf ganz neue Weise kombiniert wer-
        den. Dieser Umstand führte zu neuen Erkenntnissen und
        Standards, die in das laufende Projekt eingearbeitet wer-
        den mussten, und trug wiederum dazu bei, dass die Pla-
        nungen im Prozess ausgefertigt wurden. Neben der
        Kostensteigerung der Baumaterialien im Zuge der Welt-
        wirtschaftskrise war dies sicherlich ein Hauptaspekt, der
        zu der erheblichen Kostensteigerung des ITER-Projekts
        beitrug. Doch ein Moratorium kann nicht die Antwort
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        arauf sein, wie man die Mehrkosten und die Belastung
        r den EU-Haushalt bewältigt. Gerade die Verlängerung
        on Projekt- und Bauphasen sowie ein Aussetzen und
        erschieben von Aufträgen würde erst recht zu einer
        eiteren Kostensteigerung führen. Der anspruchsvolle
        mfang wie auch die hohe Komplexität des ITER-Pro-
        kts bedürfen ein Handeln, dass das Projekt nicht in Ge-
        hr bringt. Dass Sie, geehrte Kolleginnen und Kollegen
        on Bündnis 90/Die Grünen, aber genau die Gefährdung
        es Projekts mit Ihrem Antrag in den Blick nehmen wol-
        n, zeigen die Argumente und die Punkte, die Sie zur
        egründung und als Forderung vorbringen.
        Als besonders unredlich empfinde ich dabei die von
        nen konstruierte Verbindung zwischen dem Erdbeben
        it der folgenden nuklearen Katastrophe von Fukushima
        nd der Sicherheit des Fusionsreaktors ITER und der Fu-
        ionsforschung im Allgemeinen. Es dürfte auch Ihnen
        ekannt sein, dass katastrophale Unfälle wie bei der Fis-
        ion bei der Fusion unmöglich sind. So hat die europäi-
        che Kraftwerksstudie „European Fusion Power Plant
        onceptional Study“ 2005 festgestellt, dass bei einem
        ofortigen und totalen Ausfall der Kühlung sowie ohne
        as Einsetzen einer Gegenmaßnahme der Brennvorgang
        ofort zum Erliegen kommt und ein Schmelzen ausge-
        chlossen ist. Diese unabhängige Studie, erstellt von
        ber 100 Experten aus Europa, bestätigt damit die Si-
        herheitseigenschaften von Fusionsreaktoren aus frühe-
        n Studien. Insofern halte ich es für eine Verirrung,
        inen Vergleich zu Sicherheitsanforderungen bei Fis-
        ionskraftwerken zu ziehen.
        Leider ist Ihr gesamter Antrag, sehr geehrte Kollegin-
        en und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in der
        umme lediglich eine Zusammenfassung der im Aus-
        chuss für Bildung und Forschung bereits besprochenen
        nd erörterten Fragen, die darüber hinaus nicht nur wei-
        stgehend von den Sachstandsberichten und Unterrich-
        ngen durch die Bundesregierung beantwortet wurden,
        ondern die auch von der Bundesregierung aufgenom-
        en wurden und mit denen sie sich auseinandergesetzt
        at. Ein Moratorium halte ich auch in diesem Zusam-
        enhang für verfehlt, setzt sich die Bundesregierung
        och bereits mit der Problematik auseinander. Die Fra-
        en bezüglich der angesprochenen noch strittigen Finan-
        ierung zwischen Rat und EP sowie die Etablierung von
        ontrollmechanismen werden nicht gelöst, indem man
        in Moratorium verhängt und die Arbeit am Projekt un-
        rbricht. Die Probleme und Lösungsvorschläge sind be-
        annt und erfordern von den direkten ITER-Partnern ein
        emeinsames Handeln.
        Das ITER-Projekt, in dem die Europäische Atomge-
        einschaft EURATOM als ein einheitlicher europäi-
        chen Partner vertreten ist, wird für die zukünftige wis-
        enschaftliche Zusammenarbeit in der EU und mit
        ußereuropäischen Staaten zum Prüfstein. Meiner Auf-
        ssung nach wird Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen
        nd Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dem nicht
        erecht, weil er der internationalen und insbesondere der
        uropäischen Verpflichtung nicht Rechnung trägt. Im
        usschuss können wir die Fragen gerne nochmals inten-
        iv diskutieren, die Sie uns in Ihrem Antrag vorgelegt
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13671
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        haben. In der jetzigen Form können wir Ihrem Antrag in
        keiner Weise zustimmen.
        Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Debatte um den
        Fusionsreaktor ITER ist im Bundestag etwa so ein Dau-
        erbrenner, wie das Plasmafeuer im Reaktor in ferner Zu-
        kunft einmal werden soll.
        Während die Debatte mit einer notwendigen und in
        greifbare Nähe gerückten Energiewende in diesem Land
        verknüpft werden muss, kann der Fusionsreaktor damit
        nicht verknüpft werden. Er vermag dazu in absehbarer
        Zeit keinen Beitrag zu leisten. Stattdessen entzieht das
        gesamte Projekt Jahr um Jahr dem Energieumstieg Mil-
        liarden an dringend benötigten Mitteln. Dieses Geld
        fehlt sowohl bei der Forschung an Speichertechnologien
        als auch in Bezug auf Energieeffizienzsteigerung und
        neuen Erzeugungsformen.
        Dieses Mal diskutieren wir das ITER-Projekt unter
        verschärften Rahmenbedingungen, nicht nur, weil im-
        mer noch keiner genau weiß, zu wessen Lasten die pro-
        gnostizierten Mehrkosten zu decken sind, nicht nur, weil
        das Management diesem Megaprojekt nicht gewachsen
        scheint, nicht nur, weil immer neue Forschungsergeb-
        nisse die Realisierung des Projektes nach hinten ver-
        schieben, nicht nur, weil unklar ist, welchen Nutzen die
        Gesellschaft daraus ziehen wird, nachdem sie ja mit den
        steuerfinanzierten Forschungsmilliarden in Vorleistung
        gegangen ist, nicht nur, weil dieses Projekt eine erhebli-
        che Zentralisierung von Energieerzeugungsstrukturen
        bedingt; vielmehr steht die Gesamtrechnung, die ITER
        verursacht, in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu dem
        heute Machbaren und Notwendigen.
        Die Zeit drängt, wenn man dem Klimawandel erfolg-
        reich und verantwortbar für nachfolgende Generationen
        begegnen will. Aber eines verträgt ITER nun ganz und
        gar nicht: Zeitdruck. Im Gegenteil, ITER wird mehr Zeit
        beanspruchen, weil Japan als eines der beteiligten Län-
        der nach Fukushima eben nicht mehr in der Lage ist, in
        den geplanten Zeitfenstern seine Zulieferungen zu reali-
        sieren, was zugleich zu weiteren Kostensteigerungen
        führen wird.
        Das ist der Ausgangspunkt der verschärften Rahmen-
        bedingungen. Nach Fukushima darf ITER aber auch
        nicht mehr mit Atomkraftwerken verglichen werden.
        Dieser Maßstab hat sich definitiv überlebt! Zudem
        kommt zu den Kosten von ITER auch eine milliarden-
        schwere staatliche Begleitfinanzierung für die Sicherung
        sowie den Rückbau von Kernkraftwerken und die Er-
        schließung von Endlagern.
        Der gesellschaftliche Nutzen von ITER muss sich an
        den Möglichkeiten erneuerbarer Energien messen lassen,
        insbesondere zu einem Zeitpunkt, da ganz Europa von
        einer Krise der öffentlichen Haushalte erschüttert wird.
        Es geht also vor diesem Hintergrund auch um nichts Ge-
        ringeres als um das Bestimmen von Ausgabeprioritäten
        im Energieforschungsbereich. Damit steht auch die Exis-
        tenz von EURATOM infrage. Meine Fraktion hat dazu
        einen Antrag gestellt.
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        Die geplanten 15 Milliarden Euro Gesamtkosten für
        inen noch nicht einmal gebauten Testreaktor stehen in
        inem krassen Missverhältnis zu bereits praktizierten Er-
        eugungsformen erneuerbarer Energien wie auch zu rea-
        stischen Forschungsoptionen in diesem Bereich. So
        ann es auch nicht verwundern, dass erste, aber deutli-
        he Absetzbewegungen stattfinden. Österreich fordert
        ine Neuorientierung des EURATOM-Programms, des-
        en Budget großteils in die Fusionsforschung fließt.
        och will Österreich bisherige Kompromisse nicht
        änzlich infrage stellen. Aber so weitermachen wie bis-
        er will es auch nicht. Das übrigens spürt man auch bei
        ositionen anderer Länder wie etwa Luxemburg. Jetzt for-
        ert unser südlicher Nachbar Österreich, die EURATOM-
        ittel sollen auf Strahlenschutz, Nuklearmedizin, Risi-
        oforschung und Non-Proliferation konzentriert werden.
        ndere europäische Länder gehen noch nicht so weit.
        h halte das allerdings nur für eine Frage der Zeit.
        Der Bundesrat seinerseits hat in seiner Stellungnahme
        ie Kostensteigerungen bei ITER erneut höchst kritisch
        ewertet. Auch er lehnt die Kostensteigerung zulasten
        ichtiger Zukunftsinvestitionen aus dem nationalen und
        uropäischen Forschungsetat ab. Wie das gehen soll, ist
        benso unklar wie der Erfolg des Fusionsprojektes. Wir
        nterstützen die Forderung nach einem Moratorium,
        enn wir müssen unsere drängenden energiepolitischen
        ufgaben von heute und morgen lösen, eben weil wir
        eine Zeit mehr haben, schon gar nicht bis nach 2050. In
        er Verantwortung der heute lebenden Generationen ste-
        en zeitnah umsetzbare Alternativen zu einer ökono-
        isch, ökologisch und sozial zerstörerisch wirkenden
        nergieproduktion. ITER kann dazu keinen Beitrag leis-
        n.
        Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        er Deutsche Bundestag hat heute, als Antwort auf Fu-
        ushima, den deutschen Atomausstieg – diesmal inklu-
        ive schwarz-gelb – beschlossen. Der nächste Schritt
        uss sein, die Förderung der Atomindustrie durch deut-
        ches Steuergeld europaweit einzudämmen. Bündnis 90/
        ie Grünen schlagen, mit unserem nunmehr dritten
        ER-Antrag, in dieser Legislatur vor, damit beim
        ER-Projekt anzufangen und die weitere Geldver-
        chwendung durch Euratom infrage zu stellen. Mag die
        usrichtung des EURATOM-Vertrages von 1957 mit
        em Ziel der „Entwicklung einer mächtigen Kernindus-
        ie“ im Nachkriegsdeutschland gesellschaftlich zustim-
        ungsfähig gewesen sein – im Lichte von Naturkata-
        trophen und Staatskrisen ist eine ernsthafte Überprü-
        ng und Neubewertung auch hier notwendig.
        Die Hoffnung den Forschungsreaktor im erdbebenge-
        hrdeten französischen Cadarache mit einem europäi-
        chem Anteil von gedeckelten 6,6 Milliarden Euro
        auen zu können, hat sich abermals durch die Verzöge-
        ng bei der Bereitstellung der japanischen Komponen-
        n zerschlagen. Die Forschungsgebäude im Naka Fu-
        ion Institute nördlich von Tokio wurden nach schweren
        eschädigungen gesperrt, die Magnete für den ITER
        önnen frühestens mit einem Jahr Verzögerung geliefert
        erden. Schon vor Fukushima war der ITER das nach
        er internationalen Raumstation ISS weltweit teuerste
        13672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        Kooperationsprojekt. Die Finanzierung ist nach wie vor
        nicht gesichert, der Großteil der Finanzlücke zum Wei-
        terbau soll mit Mitteln aus dem Etat für ländliche Raume
        gestopft werden, die ansonsten an die Mitgliedstaaten
        zurückflössen.
        Die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima las-
        sen die Mär vom „billigen Atomstrom“ zynisch erschei-
        nen. Atomunfälle zeigen weltweit, dass alle Anstrengun-
        gen auf Risikobeherrschung und auf den Umgang mit
        den Folgeproblemen der Atomkraft umzulenken sind.
        Auch aus Gründen des effektiven und verantwortungs-
        vollen Umgangs mit Steuergeldern müssen die Mittel,
        die bislang für den ITER vorgesehen sind, dringlicher
        für Sicherheitsaspekte, die Folgenbewältigung der Kern-
        kraft, aber auch vorausschauend für die Klimaforschung,
        die erneuerbaren Energien und die Energiewende einge-
        setzt werden. Deutschland alleine finanziert den ITER
        über die EURATOM-Verträge mit etwa 1,32 Milliarden
        Euro. Es kann nicht sein, dass die europäische Atom-
        industrie nach dem deutschen Atomausstieges-Beschluss
        mit neuen, staatsfinanzierten Großprojekten befriedet
        wird. Das betrifft auch die 960 Millionen Euro EU-Gel-
        der, die für die Transmutationsforschung vorgesehen
        sind, zumal diese Atomtechnologie neue Partitionie-
        rungs- und Wiederaufbereitungsanlagen in bisher unbe-
        kannten Größenordnungen notwendig machen würde.
        Immer weitere Verzögerungen und Baukostensteige-
        rungen werden auch neue Zeitpläne und Finanzrahmen
        sprengen – die Höhe der Kosten für den europäischen
        Fusionstraum sind nicht absehbar. Klaffende Finanzie-
        rungslücken werden sich angesichts der Finanzkrise in
        einigen Mitgliedstaaten der EU nur schmerzlich füllen
        lassen. Die Entnahmen aus dem Etat für natürliche Res-
        sourcen und ländliche Räume werden bis an die Grenze
        des Erträglichen schmerzen. Alleine das Versprechen,
        dass ein Super-Gau bei der Kernfusion nicht passieren
        könne, hilft wenig. Auch die Kernfusion – sollte sie ein-
        mal tatsächlich funktionieren – produziert Atommüll,
        der Jahrtausende endgelagert werden muss. Höchste Zeit
        also aus dem Projekt auszusteigen, da die Kernfusion
        auch nach optimistischen Prognosen vor 2060 keinen
        Strom wird liefern können. Bis dahin aber decken die
        Erneuerbaren längst europaweit den Strombedarf.
        In der am 29. Juni 2011 ohne Debatte verabschiedeten
        Erklärung des Rates der Europäischen Union heißt es,
        das EURATOM-Rahmenprogramm für Forschungs- und
        Ausbildungsmaßnahmen, das den zusätzlichen ITER-Fi-
        nanzbedarf decken soll, sei überdies „als Beitrag zur
        Neuausrichtung der Forschung im Nuklearbereich“ zu
        sehen, das einer „stärkeren Betonung der nuklearen Si-
        cherheit“ bedürfe. Im Jahr 2013 soll ein „Symposium …
        zu der Debatte über Nutzen und Grenzen der Kernspal-
        tungsenergie in einer emissionsarmen Wirtschaft“ statt-
        finden. Darüber hinaus wird die „Europäische Gruppe
        für Ethik der Naturwissenschaften und der neuen Tech-
        nologien“ ersucht, „eine Studie über die ethischen Aus-
        wirkungen der Energieforschung auf das menschliche
        Wohlbefinden … durchzuführen.“
        Es ist zu hoffen, dass die Risiken und das Leid durch
        Atomkraft bis dahin nicht in Vergessenheit geraten.
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        nlage 21
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge
        – Übermittlung von Fluggastdaten nur nach
        europäischen Grundrechts- und Daten-
        schutzmaßstäben
        hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
        regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
        Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4
        EUZBBG zum Richtlinienvorschlag
        KOM(2011) 32 endgültig
        – Gutachten über die geplanten EU-Fluggast-
        datenabkommen mit den USA und Austra-
        lien beim Gerichtshof der Europäischen
        Union einholen
        (Tagesordnungspunkt 21 und Zusatztagesord-
        nungspunkt 13)
        Clemens Binninger (CDU/CSU): Wir diskutieren
        as Thema Fluggastdaten wahrlich nicht zum ersten
        al. Und wir sind uns weitestgehend einig, dass erstens
        r die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ne-
        en Informationen zu Finanztransaktionen und zum
        ommunikationsverhalten von Terrorverdächtigen auch
        enntnisse über deren Reisebewegungen unverzichtbar
        ind. Zweitens dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass
        ir den internationalen Terrorismus – das gilt genauso
        uch für grenzüberschreitende organisierte Kriminalität –
        ur in Kooperation mit unseren ausländischen Partnern
        rfolgreich verfolgen und bekämpfen können. Genau
        eshalb sprechen wir über eine EU-Richtlinie zur Ver-
        endung von Fluggastdatensätzen.
        Die Europäische Kommission hat dazu einen Entwurf
        ur Weitergabe, Speicherung und Nutzung von Fluggast-
        aten vorgelegt, der nach Meinung von SPD und Grünen
        einesfalls tragbar ist, weil er die hier geforderten Da-
        nschutzstandards nicht einmal im Ansatz erfüllen
        ann. Trotzdem haben SPD und Grüne genau einem sol-
        hen Entwurf zugestimmt. Dabei handelt es sich nicht
        m die aktuell vorliegenden Entwürfe, sondern um das
        NR-Abkommen mit den USA aus dem Mai 2004, das
        ie rot-grüne Bundesregierung seinerzeit im Rat unter-
        tützt hat. Verglichen mit diesem Abkommen haben wir
        either zahlreiche Verbesserungen beim Datenschutz er-
        icht, die auch in der Praxis bei der Nutzung von Flug-
        astdatensätzen eingehalten werden. Die Entwürfe der
        uropäischen Kommission für eine PNR-Richtlinie und
        ie Abkommen mit Australien und auch mit den USA
        nthalten weitere Fortschritte beim Datenschutz, die
        uch auf die Initiative der CDU-geführten Bundesregie-
        ng zurückzuführen sind.
        Vielleicht hätten die Grünen vor mehr als sieben Jah-
        n ihre eigene Regierung einmal auffordern sollen,
        eim Datenschutz und den EU-Grundrechten etwas ge-
        auer hinzuschauen oder ein Gutachten beim Europäi-
        chen Gerichtshof einzuholen.
        Wir waren uns bereits bei der Debatte über den letzten
        rünen-Antrag zum Thema PNR im April einig, dass im
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13673
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        Rahmen der Verhandlungen und Nachverhandlungen auf
        europäischer und internationaler Ebene Fragen des Da-
        tenschutz- und Grundrechtsstandards weiterhin groß ge-
        schrieben werden müssen.
        Das PNR-Abkommen, wie es jetzt im Entwurf vor-
        liegt, soll einen einheitlichen Rahmen innerhalb der EU
        schaffen. Die Verhandlungen dazu sind noch lange nicht
        abgeschlossen. Die Richtlinie hat drei wesentliche Ziele.
        Erstens: Es soll – ich glaube, noch nicht einmal die
        Opposition ist da anderer Meinung – verhindert werden,
        dass Terrorverdächtige, die einen Anschlag planen, über-
        haupt erst ein Flugzeug besteigen. Gegen die Forderung
        kann es keine ernsthaften Einwände geben.
        Zweitens: Es soll gelingen, schwere Straftaten auf-
        zuklären.
        Drittens: Es soll gelingen, durch die Auswertung
        der Daten Verdächtige zu erkennen. Wenn wir den Ent-
        wurf der Richtlinie bewerten, stellen sich natürlich
        einige – auch datenschutzrechtliche – Fragen, die im
        Laufe der Verhandlungen noch geklärt werden müssen.
        Eine Frage, die sich für mich stellt, ist, ob die Spei-
        cherdauer – 30 Tage offen, dann pseudonymisiert für
        fünf Jahre – notwendig oder zu lang ist. Dieses Thema
        spricht auch der SPD-Antrag an. Ich bin durchaus der
        Auffassung, dass sehr genau überlegt und begründet
        werden muss, ob es fünf Jahre sein sollen. Aus meiner
        Sicht könnten es auch weniger sein. Ehrlicherweise ist
        aber auch festzuhalten: Diese Daten werden nicht ge-
        speichert, weil der Staat es will. Diese Daten sind alle
        schon heute bei den Fluggesellschaften vorhanden und
        werden dort auch heute schon mehrere Jahre gespei-
        chert. Es geht also in erster Linie um die Frage, ob wir
        unter bestimmten Voraussetzungen den Sicherheits-
        behörden diese Daten zur Verfügung stellen, um An-
        schläge zu verhindern, schwere Straftaten aufzuklären
        oder Verdächtige zu identifizieren. Wem die Sicherheit
        der Bürger etwas wert ist, der kann diese Frage nicht mit
        Nein beantworten.
        Eine weitere Frage: Sollen nur Flüge von außerhalb in
        die EU erfasst werden oder auch Flüge innerhalb der
        EU? Der Antrag der SPD spricht sich hier gegen eine
        Ausweitung aus. Diese Argumentation ist unlogisch;
        denn wir müssen uns darüber klar sein, dass die Gefähr-
        lichkeit von Terrorverdächtigen nicht geringer wird, weil
        sie von Barcelona nach Berlin fliegen statt von Beirut
        nach Berlin. Die Beantwortung dieser Frage muss sich
        meiner Einschätzung nach an der Gefährlichkeit der Per-
        sonen orientieren. Aus gutem Grund fordern das Verei-
        nigte Königreich, unterstützt von einer ganzen Reihe
        EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spanien, Italien,
        Tschechien, Irland, Niederlande, Estland oder Dänemark
        und Zypern, eine sofortige Einbeziehung innereuro-
        päischer Flüge.
        Für mich ganz persönlich stellt sich auch eine dritte
        Frage, bei der ich auch Bedenken, die in den beiden
        Anträgen angesprochen werden, ein Stück weit aufgrei-
        fen möchte. Das oberste Ziel ist, zu verhindern, dass ein
        Terrorverdächtiger ein Flugzeug besteigt. Daran kann es
        keinen Zweifel geben. Wer das ablehnt, macht keine
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        eriöse Sicherheitspolitik. Auch schwere Straftaten auf-
        uklären, halte ich für absolut berechtigt. Deshalb ist es
        ine wesentliche Zielrichtung bei der Nutzung von Flug-
        astdaten, Kriterien zu erkennen, mit denen Verdächtige
        entifiziert werden können, was am Ende einer Art Ras-
        rfahndung gleichkommt. Hier hat uns das Bundesver-
        ssungsgericht ganz klar aufgegeben: Die Rasterfahn-
        ung ist zulässig, sie muss aber an eine konkrete Gefahr
        eknüpft sein. Das heißt, eine pauschale Ermächtigung,
        iese Daten quasi jede Woche auf irgendwelche
        uffälligkeiten hin zu durchleuchten, ist rechtlich nach
        nserem Verständnis schwer abzubilden. Deshalb ist es
        otwendig, dass ein Bezug zu einer konkreten Gefahr,
        em begründeten Verdacht auf Terrorismus oder
        chwere Straftaten besteht.
        Insgesamt bleibt festzuhalten, dass auf ein Instrument
        ie die Nutzung von PNR-Daten nicht verzichtet wer-
        en kann, wenn wir Sicherheit im Luftverkehr wollen,
        enn wir verhindern wollen, dass Passagiermaschinen
        u Waffen und zu Zielen von Anschlägen werden, und
        enn wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden in der
        age sind, schwere Verbrechen aufzuklären und
        riminelle Strukturen zu erkennen. Wer fordert, dass
        ine Warnlampe angeht, braucht eine Speicherung und
        uswertung von Passagierdatensätzen. Alles andere ist
        nfug und Sand, der den Leuten in die Augen gestreut
        ird.
        Durch die PNR-Richtlinie wird ein einheitlicher Rah-
        en geschaffen. Es gab und gibt zurzeit zwischen ein-
        elnen Staaten einen Wildwuchs bilateraler Abkommen.
        s war in der Vergangenheit und teilweise bis heute
        öllig unklar, wer wie viele Daten aus welchen EU-
        taaten bekommt, wie lange sie gespeichert werden, wie
        ie genutzt werden und ob sie an Dritte weitergegeben
        erden. Insofern ist die Richtlinie, durch die Einheitlich-
        eit hergestellt wird, sehr zu begrüßen.
        Wir sind noch nicht am Ende der Verhandlungen für
        ine europäische PNR-Richtlinie angelangt. Über man-
        hes wird noch zu sprechen sein. Wir müssen akzeptie-
        n, dass unsere Partner in Europa dabei teilweise unter-
        chiedlicher Ansicht sind. An den Grundzielen der PNR-
        ichtlinie gibt es aber nichts mehr zu rütteln.
        Wolfgang Gunkel (SPD): Bereits vor zwei Monaten
        aben wir den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission
        iskutiert. Inhaltlich hat sich für die SPD-Bundestags-
        aktion wenig geändert. Unsere Bedenken haben wir
        un in dem heute vorliegenden Antrag formuliert.
        Ich will es gleich vorwegschicken: Als realistischer
        ensch weiß ich, dass ein völliger Verzicht auf die Wei-
        rgabe von Fluggastdaten in der Europäischen Union
        erzeit nicht durchsetzbar ist. Zudem wird ein legitimes
        nliegen verfolgt: Die Mitgliedstaaten der Europäischen
        nion müssen terroristische und strafrechtliche Bedro-
        ungen abwehren. Doch müssen sie dabei die grund-
        nd menschenrechtlichen Garantien beachten, die zu den
        echtstraditionen der Mitgliedstaaten zählen und in der
        rundrechtecharta der Europäischen Union verankert
        ind. Dies ist durch die im Entwurf vorgesehenen Rege-
        ngen noch nicht ausreichend gewährleistet.
        13674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        Die SPD fordert deshalb die Bundesregierung auf, un-
        ter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes einige Punkte
        in den Beratungen zu dem Richtlinienentwurf dringend
        nachzuverhandeln.
        Insbesondere spielt die Entscheidung des Bundesver-
        fassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung bei der
        Bewertung der Richtlinie eine wichtige Rolle. Das Bun-
        desverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 2. März
        2010 (1 BvR 256/08) hohe Anforderungen an die soge-
        nannte Vorratsdatenspeicherung gestellt. Hierzu zählt
        das Gericht die Datenspeicherung „ohne Anknüpfung an
        ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur
        abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte
        Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf All-
        tagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar
        und für die Teilnahme am sozialen Leben in der moder-
        nen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“ (BVerfG, a.a.O.,
        Rn. 210).
        Diese Definition trifft auf die Speicherung von PNR-
        Daten zu. Sie werden allein deshalb erhoben, weil Rei-
        sende das Flugzeug wählen, also ein sozial ebenso gebil-
        ligtes wie unverzichtbares Alltagshandeln an den Tag le-
        gen.
        Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        richts ergeben sich auch im Hinblick auf den Umfang
        der abzurufenden Daten verfassungsrechtliche Grenzen
        (BVerfG, a.a.O., Rn. 237).
        Vor drei Jahren war beim Thema europäische PNR
        schon klar, dass man umfangreichere PNR nicht braucht,
        wenn die bisher genutzten Datenspeicher sinnvoll einge-
        setzt werden. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise
        die API-Daten den gleichen Zweck erfüllen könnten.
        Auch diese Daten werden von Fluggästen erhoben.
        Zweck der Speicherung ist die Verbesserung der Grenz-
        kontrolle und die Bekämpfung der illegalen Migration.
        In Paragraf 31 a Bundespolizeigesetz ist ausführlich ge-
        regelt, welche Daten erhoben werden. Es handelt sich
        hier um zehn Datensätze; dazu gehören persönliche An-
        gaben, aber auch Abflugsort und -zeit sowie Details über
        die Reisedokumente. Gespeichert werden diese Daten
        24 Stunden, es sei denn, sie werden für Grenzkontrollen
        oder zur Strafverfolgung wegen illegaler Einreise benö-
        tigt.
        Diese Daten können ohne Weiteres auch für die Ter-
        rorismusbekämpfung oder Fälle schwerer Kriminalität
        verwendet werden.
        Die Europäische Kommission hat nicht ausreichend
        begründet, warum dieser Datenbestand ungenügend sein
        soll. Zwar erlaubten es die API-Daten der KOM zufolge
        nicht, „,unbekannte‘ Verdächtige so zu identifizieren,
        wie dies mit einer Auswertung von PNR-Daten möglich
        ist“ (KOM(2011) 32 endg., S. 5). Diese Aussage wird je-
        doch nicht näher belegt.
        Ich dagegen denke nicht, dass der Verwendung der
        API-Daten ein plausibler Grund entgegensteht. So ist
        auch der Bundesrat in seinem Beschluss zum Richtli-
        nienvorschlag vom 18. März 2011 zu dieser Schlussfol-
        gerung gekommen.
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        Die Speicherfrist ist zu lang und sollte ebenfalls drin-
        end nachverhandelt werden. Sie beträgt grundsätzlich
        0 Tage und soll dann noch einmal mit Verschlüsselung
        m fünf Jahre verlängert werden. Tatsächlich kann aber
        uf diese Daten unter bestimmten Voraussetzungen im
        lartext zugegriffen werden.
        Die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der auf
        uropäischer Ebene erfolgten Evaluierung haben erge-
        en, dass eine Speicherfrist von sechs Monaten zur
        trafverfolgung nicht erforderlich ist. Circa 70 Prozent
        er Abfragen von Daten erfolgen in den ersten drei Mo-
        aten; der Anteil steigt auf 85 Prozent, wenn die Daten
        aximal sechs Monate alt sind. Dieses Ergebnis deckt
        ich mit den Erfahrungen auf nationaler Ebene.
        In den USA, wo die Speicherung der PNR-Daten nun
        chon seit gut drei Jahren erfolgt, gab es genau einen
        all, in dem die Überprüfung sämtlicher Passagiere zu
        inem Gerichtsverfahren führte. Wenn man das an den
        illionen Daten misst, die seitdem abgespeichert wur-
        en und weiterhin werden, muss man die Sinnhaftigkeit
        ieses Verfahrens stark bezweifeln.
        Die Speicherdauer muss deshalb dringend überarbei-
        t werden, um die Verhältnismäßigkeit der Richtlinie zu
        ahren.
        Die SPD-Bundestagsfraktion fordert weiterhin, dass
        ein automatisierter Datenabgleich stattfindet und dass
        ie Daten nur bei einem begründeten Verdacht auf
        chwere oder terroristische Straftaten erfolgen. Weiter-
        in darf der Abruf nur unter Richtervorbehalt erfolgen.
        Auch hinsichtlich der Weitergabe der Daten an Dritt-
        nder gilt es dringend nachzubessern. Art. 8 RL-E er-
        ubt die Weitergabe der Daten an Drittstaaten. Neben
        nderen Voraussetzungen müssen sich diese bereiterklä-
        n, die Daten ausschließlich zu den im RL-E vorgesehe-
        en Zwecken zu nutzen. Darüber hinaus ist eine Weiter-
        abe an einen weiteren Drittstaat durch den Drittstaat
        öglich, sofern der übermittelnde Mitgliedstaat zu-
        timmt. Diese Ermächtigung ist ebenso unbestimmt wie
        eitreichend. Die Weitergabe darf hier nur zulässig sein,
        ofern dies in internationalen Abkommen, die ein ausrei-
        hendes Datenschutzniveau gewährleisten, vorgesehen
        t.
        Ich bitte die Bundesregierung, diese Punkte bei den
        nstehenden Beratungen umfassend zu beachten.
        Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den
        ir an dieser Stelle mitberaten, greift einen wichtigen
        unkt auf. Der Europäische Gerichtshof hat bereits ein-
        al ein PNR-Abkommen gestoppt. Wenn bei den ge-
        lanten Abkommen mit den USA und Australien die da-
        nschutzrechtlichen Bedenken so umfassend sind, dann
        ind auch hier unbedingt Nachbesserungen vorzuneh-
        en.
        Gisela Piltz (FDP): In der Antwort auf eine Kleine
        nfrage meiner Fraktion antwortete die damalige rot-
        rüne Bundesregierung am 15. Januar 2004 auf die
        rage:
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13675
        (A) )
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        Zu welchem Zeitpunkt soll eine Pflicht zur Weiter-
        gabe von Passagierdaten auch innerhalb der EU
        eingeführt werden?
        Und nun die Antwort:
        Innerhalb der Europäischen Union hat Spanien eine
        Ratsinitiative eingebracht. Das von der Bundesre-
        gierung unterstützte Ziel dieser Initiative ist eine
        verbesserte Kontrolle der Zuwanderungsströme und
        die Bekämpfung der illegalen Einwanderung. An-
        gestrebt wird der Erlass einer Richtlinie des Rates,
        auf deren Grundlage die Mitgliedstaaten gesetzli-
        che Regelungen schaffen sollen, mit denen Beför-
        derungsunternehmen, insbesondere Fluggesell-
        schaften, verpflichtet werden können, bestimmte
        Passagierdaten vorab den Grenz- und Einwande-
        rungsbehörden des jeweiligen EU-Ziellandes zu
        übermitteln.
        In Ihrem Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
        gen von der SPD, fordern Sie nun eine „Beschränkung
        auf terroristische und schwere Straftaten“. Ich frage Sie
        jetzt lieber nicht, ob „eine verbesserte Kontrolle der Zu-
        wanderungsströme“ unter Ihre Definition von „terroristi-
        schen und schweren Straftaten“ fällt. Die Antwort
        könnte – so oder so – ohnehin nur eines beweisen: Die
        SPD irrlichtert in der Innen- und Rechtspolitik zwischen
        Law and Order und dem untauglichen Versuch, sich den
        Anstrich einer Rechtsstaatspartei zu geben.
        Ich kann hier nur wiederholen, was ich schon in der
        Debatte zu dem Grünen-Antrag zu dem Vorschlag der
        EU-Kommission gesagt habe: Wer hat’s erfunden? Das
        waren nämlich SPD und Grüne. Unter der rot-grünen
        Bundesregierung hat Joschka Fischer im Rat dem Ab-
        kommen zwischen EU und USA zur Übermittlung von
        Fluggastdaten zugestimmt. Ich rufe hier noch einmal in
        Erinnerung, dass in diesem Abkommen damals das Wort
        „Datenschutz“ ein absolutes Fremdwort war. Zum Glück
        hatte das Europäische Parlament damals die Notbremse
        gezogen; SPD und Grüne hier im Bundestag waren es je-
        denfalls nicht, ebenso wenig die damaligen Minister von
        SPD und Grünen.
        Wenn genau diese beiden Fraktionen jetzt heute hier
        so tun, als wäre der von der EU-Kommission vorge-
        schlagene Speicherzeitraum von 30 Tagen unverhältnis-
        mäßig lang, dann zeugt das nur davon, dass jedenfalls
        Ihre Erinnerung eher kurz ist: Beim ersten PNR-Abkom-
        men mit den USA hat Rot-Grün eine Speicherfrist von
        dreieinhalb Jahren ohne Pseudonymisierung und ohne
        besondere Datensicherung und mit dem Zugriff von
        zahllosen Sicherheitsbehörden in den USA als daten-
        schutzrechtlichen Erfolg gefeiert.
        Sie wissen und es ist kein Geheimnis, dass die FDP-
        Fraktion ein EU-System zur Nutzung von Fluggastdaten
        sehr kritisch sieht. Dasselbe gilt für die Übermittlung
        von Fluggastdaten in die USA. Es ist aber leider so, dass
        weder gegen ein EU-PNR-System noch gegen ein Ab-
        kommen mit den USA oder anderen Ländern im Rat eine
        Mehrheit vorhanden ist. Im Gegenteil. Hier gilt jetzt lei-
        der nur noch, zu retten, was zu retten ist. Deshalb unter-
        stützt die FDP-Fraktion die Bemühung der Bundesregie-
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        ng, sich im Rat für einen hohen Datenschutzstandard
        inzusetzen – und zwar sowohl was die PNR-Richtlinie
        ngeht als auch was die Abkommen zu PNR angeht.
        Noch ein Wort an die SPD: Sie fordern ja, dass die
        ammlung von Fluggastdaten sich insbesondere an den
        rundsätzen zur Vorratsdatenspeicherung orientieren
        üsse. Nachdem Sie ja die Vorratsdatenspeicherung in
        glich lauter werdender Endlosschleife wieder einfor-
        ern, nachdem das Gesetz Ihrer damaligen Bundesjustiz-
        inisterin mit Pauken und Trompeten untergegangen ist,
        erstehe ich natürlich auch, dass Sie hier nicht so sensi-
        el sind. In Ihrem Antrag habe ich nämlich vergeblich
        ach einem Satz aus dem Urteil des Bundesverfassungs-
        erichts gesucht:
        Umgekehrt darf die Speicherung der Telekommuni-
        kationsverkehrsdaten nicht als Schritt hin zu einer
        Gesetzgebung verstanden werden, die auf eine
        möglichst flächendeckende vorsorgliche Speiche-
        rung aller für die Strafverfolgung oder Gefahren-
        prävention nützlichen Daten zielte. Eine solche Ge-
        setzgebung wäre, unabhängig von der Gestaltung
        der Verwendungsregelungen, von vornherein mit
        der Verfassung unvereinbar. Die verfassungsrechtli-
        che Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslo-
        sen Speicherung der Telekommunikationsverkehrs-
        daten setzt vielmehr voraus, dass diese eine
        Ausnahme bleibt.
        Damit setzen Sie sich überhaupt nicht auseinander –
        ie Sie sich generell nicht so sehr mit den rechtlichen
        nd verfassungsrechtlichen Fragen herumplagen. Da
        uss ich hier ja einmal die Grünen wenigstens dafür lo-
        en, dass sie in ihrem Antrag die Gutachten des juristi-
        chen Dienstes sowohl des Rates zu dem Vorschlag der
        ommission für ein EU-PNR-System als auch des juris-
        schen Dienstes der Kommission zu dem Abkommens-
        ntwurf mit den USA aufgreifen. Die aufgeworfenen
        ragen, gerade im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der
        rundrechtecharta, müssen von der Bundesregierung
        rnst genommen werden. Ich bin ganz sicher, dass un-
        ere liberale Bundesjustizministerin hier sehr viel ge-
        auer hinschauen wird, als die SPD-Bundesjustizminis-
        rin das damals getan hat.
        Auch der Bundesrat hat – auf Initiative der Länder
        aden-Württemberg, wohlgemerkt noch zu Zeiten der
        chwarz-gelben Koalition im Ländle, und Hessen – ei-
        en Beschluss gefasst, in dem die Kommission aufgefor-
        ert wird, die Verhältnismäßigkeit des Vorschlags für
        ine PNR-Richtlinie erneut gründlich zu prüfen. Daran
        önnen Sie sehen, dass bei schwarz-gelben Regierungen
        iese Frage in guten Händen ist.
        Die FDP-Fraktion hier im Bundestag wird daher wie
        chon bisher auch künftig gemeinsam mit der Bundesre-
        ierung und der liberalen Fraktion im Europaparlament
        ie Entwicklungen in Sachen Fluggastdaten kritisch und
        enau betrachten. Zugleich unterstützt sie aber auch die
        undesregierung darin, im Falle einer Mehrheit in
        uropa – die es, wie schon gesagt, auf jeden Fall für
        NR in der EU und in Abkommen mit Drittstaaten gibt –
        ich mit aller Kraft für ein hohes Niveau an Datenschutz
        nd Rechtsschutz einzusetzen und so wenigstens das,
        13676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        was nach dem rot-grünen Sündenfall in Sachen PNR
        noch zu retten ist, auch tatsächlich im Sinne unseres
        Rechtsstaates zu retten.
        Jan Korte (DIE LINKE): Die Vizeministerin für Hei-
        matschutz der USA, Jane Holl Lute, hat kürzlich in Ber-
        lin massiv für das amerikanisch-europäische Abkommen
        zur Übermittlung von Fluggastdaten geworben. Mit dem
        Abkommen, so Frau Lute, sollen angeblich nicht Sicher-
        heitsbestrebungen der Vereinigten Staaten über Daten-
        schutzbedenken der Europäer gestellt werden, sondern
        der US-Administration gehe es einzig „um das Wohl al-
        ler Reisenden“. Die USA respektierten die europäische
        Sicht, erwarteten aber auch Respekt für ihren Stand-
        punkt. Die Vizeministerin sicherte einen verantwor-
        tungsvollen Umgang mit den Daten zu.
        Britische Datenschutzexperten kommen in einer Ana-
        lyse der geplanten EU-Richtlinie zur Auswertung und
        Weitergabe von Fluggastdaten – Passenger Name Re-
        cord, PNR – allerdings zu dem Ergebnis, dass die Richt-
        linie wenig bis überhaupt keinen Datenschutz garantiere.
        Die Daten würden stattdessen völlig unkontrolliert und
        intransparent verbreitet werden. Die britischen Experten
        von Amberhawk gelangen in ihrem Bericht insgesamt zu
        einem höchst negativen Ergebnis. Ausreichender Schutz
        besteht eigentlich nur, solange die Fluglinien über die
        Daten verfügen, denn dann kämen die eher strengen Da-
        tenschutzstandards der EU zum Tragen. Jede Weitergabe
        hebe hingegen Teile des Datenschutzes auf. Wenn das
        Abkommen so in Kraft treten würde, dürfte beim Export
        der Daten in die USA auch das letzte bisschen Schutz im
        wahrsten Sinne des Wortes über Bord gehen. Denn was
        die jeweiligen Empfänger mit den Daten anstellen und
        wohin sie diese als Nächstes transferieren, kann keiner
        der Passagiere mehr kontrollieren, ebenso wenig wie
        Datenschützer.
        Die Fachjuristen von Amberhawk beschreiben die
        Auswirkungen der PNR-Richtlinie als bizarr: Je unkriti-
        scher die Erhebung und Verwendung von Passagierdaten
        ist, wie zum Beispiel bei der Nutzung der Angaben zur
        Essens- und Sitzplatzbuchung bei der Fluggesellschaft,
        desto höher ist der Schutz der Daten. Je kritischer die
        Verwendung der Passagierdaten ist, zum Beispiel zur
        Sammlung und Speicherung zu Strafverfolgungszwe-
        cken, desto niedriger wird der Schutz der Daten. Und das
        ist nicht das einzige Absurde an diesem Abkommen.
        Man muss sich hier wirklich einmal die Frage stellen,
        wer hier die Verhandlungen seitens der EU geführt hat
        und ob diese Leute noch ein paar Wochenenden Zeit für
        Weiterbildungsseminare haben.
        Wenn wir überhaupt irgendeinen Wert auf Daten-
        schutz legen, können wir einem solchen Abkommen
        nicht zustimmen. Da ist sich die Opposition offenbar
        einmal einig. Es wäre tatsächlich einmal etwas ganz Be-
        sonderes, die Bundesregierung dazu zu bringen, in
        Europa etwas für den Datenschutz und für die Einhal-
        tung europäischer Datenschutzstandards zu tun. Das war
        bislang vergebene Liebesmüh. Es lief eher genau anders-
        herum: Das, was die letzten Bundesregierungen national
        nicht umsetzen konnten, haben sie über den Umweg
        Europa hinzubekommen versucht.
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        Letztendlich bleibt das PNR-Abkommen mit den
        SA in den Gedanken vieler nur ein erster Schritt zu ei-
        er EU-weiten Vorratsdatenspeicherung von Flugpassa-
        ierdaten. Wenn es nach dem Willen der Europäischen
        ommission ginge, würden künftig sämtliche Passagier-
        aten zu Flügen zwischen Drittstaaten und EU-Mit-
        liedsländern gespeichert. Eine Mehrheit der EU-
        itgliedstaaten will außerdem auch Daten über alle in-
        ereuropäischen Flüge sammeln und analysieren. Diese
        aten sollen nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch
        ur präventiven Erstellung von „Risikoprofilen“ heran-
        ezogen werden. Grundsätzlich ist demnach jeder Flug-
        ast verdächtig und muss überwacht werden. Manche
        ntasieren schon über die Erfassung der Reisedaten von
        ahnpassagieren und Schiffsreisenden. Das konterka-
        ert die europäische Idee eines Raumes der Demokratie
        nd der Freizügigkeit.
        Die Linke lehnt das Fluggastdatenabkommen mit den
        SA genauso ab wie das mit Australien. Die Linke wird
        eiter gegen EU-weite Vorratsdatenspeicherungen und
        ie Überwachung der Bevölkerung kämpfen. Darauf
        önnen Sie sich verlassen.
        Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        EN): Es ist der Bedeutung der geplanten Speicherun-
        en von Fluggastdaten angemessen, dass wir hier zum
        weiten Mal innerhalb eines Vierteljahres darüber debat-
        eren. Denn was hier in der Pipeline ist, stellt die Vorga-
        en des deutschen Grundgesetzes und auch der EU-
        rundrechte auf den Kopf!
        Das Drama hat zwei Teile, die später aneinanderge-
        gt werden sollen. Der erste Teil ist die geplante Richt-
        nie über die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten.
        azu gibt es von uns den Antrag vom April und den
        eutigen der SPD. Der zweite Teil sind die geplanten
        bkommen der EU mit den USA und Australien über
        ie Weiterleitung von Fluggastdaten. Dazu liegt unser
        eutiger Antrag vor.
        Zum ersten Teil, der geplanten Richtlinie über die
        orratsspeicherung von Fluggastdaten: Ich habe das an
        ieser Stelle bereits im April dieses Jahres gesagt: so
        eht es nicht! Mittlerweile sind ein Gutachten der EU-
        rundrechteagentur und eines des juristischen Dienstes
        es Rates zum gleichen Ergebnis gekommen: Es sind
        eine behebbaren Kleinigkeiten, die im Richtlinienent-
        urf falsch liegen, es ist das Gesamtkonzept des Vorha-
        ens, das völlig konträr zu deutschen und europäischen
        rundrechten liegt.
        Ohne den Nachweis der Erforderlichkeit für die Be-
        ämpfung schwerer Verbrechen sollen nun Fluggastdaten
        ämtlicher internationaler und EU-interner Flüge auf
        orrat für über 5 Jahre gespeichert werden. Und zwar bei
        inem staatlichen Datenpool, aus dem sich dann unzäh-
        ge Polizei- und Strafverfolgungsbehörden aus ganz
        uropa bedienen dürfen. Profilbildung und Rasterung
        ind ausdrücklich Zweck dieser Vorratsspeicherung. Je-
        es einzelne der genannten Elemente der geplanten Da-
        nspeicherung würde beim Bundesverfassungsgericht
        it Pauken und Trompeten durchfallen.
        Ich freue mich daher, dass auch die Kolleginnen und
        ollegen von der SPD mit ihrem Antrag verdeutlicht ha-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13677
        (A) )
        )(B)
        ben, dass wir hier mehr Grundrechte und mehr Daten-
        schutz brauchen. Aber, meine Damen und Herren der
        SPD, es reicht hier leider nicht aus, nur einzelne daten-
        schutzrechtliche Verbesserungen einzufordern. Denn es
        fehlt gewissermaßen schon der Grundstein jeglicher ver-
        fassungsrechtlicher Zulässigkeit: es fehlt an der Erfor-
        derlichkeit der geplanten Vorratsspeicherung von Flug-
        gastdaten.
        Das muss nun doch endlich zu allen durchgedrungen
        sein: nicht nur die europäischen Datenschutzbeauftrag-
        ten und die EU-Grundrechteagentur, selbst der juristi-
        sche Dienst des Rates der EU, also genau des Organes
        der EU, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten ver-
        treten sind, kommt in seiner Stellungnahme zum Richtli-
        nienentwurf im April zu diesem Ergebnis – ich zitiere:
        „In Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung ist die
        systematische und automatische Vorabverarbeitung, […
        sprich: Profilbildung und Rasterung] des Vorschlags […]
        äußerst problematisch, was die Verhältnismäßigkeit be-
        trifft. Damit liefe die Richtlinie (wenn sie in dieser Form
        angenommen würde, und noch mehr, wenn Flüge zwi-
        schen Mitgliedstaaten einbezogen würden) nach Ansicht
        des juristischen Dienstes eindeutig Gefahr, in einem Ver-
        fahren nicht nur vor dem Gerichtshof, sondern auch vor
        den nationalen Verfassungsgerichten oder obersten Ge-
        richtshöfen beanstandet zu werden, insbesondere deswe-
        gen, weil nicht hinreichend dargelegt wird, weshalb die
        Maßnahmen notwendig sind.“
        Ganz Europa argumentiert – politisch und rechtlich –
        mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
        Und genau dieses Bundesverfassungsgericht hat uns un-
        missverständlich aufgegeben, uns auf europäischer
        Ebene für die Wahrung der verfassungsrechtlichen Da-
        tenschutzstandards einzusetzen.
        Wie sich aus den Verhandlungsergebnissen der rele-
        vanten Ratsarbeitsgruppe vom 11. Mai 2011 ergibt,
        zweifelt eine ganze Reihe nationaler Parlamente an der
        Erforderlichkeit der Vorratsspeicherung von Fluggastda-
        ten.
        Wir Grüne lehnen die Vorratsspeicherung von Flug-
        gastdaten auch weiterhin entschieden ab. Denn eine sol-
        che Datensammlung ins Blaue hinein löst sich zu weit
        von den verfassungsrechtlichen Vorgaben und würde ei-
        nen Paradigmenwechsel im Sicherheitsrecht zulasten der
        Bürgerrechte einläuten.
        Nun zum zweiten Teil, den geplanten Abkommen mit
        den USA und Australien über die Weitergabe von Passa-
        gierdaten zu Zwecken der Strafverfolgung:
        Die Verhandlungen mit Australien und den USA sind
        seit kurzem vorläufig abgeschlossen. Die Abkommen
        sollen den Behörden erlauben, die Daten auf Vorrat zu
        speichern. Sie setzen also auf die EU-interne Vorrats-
        speicherung noch eine weitere Vorratsspeicherung in den
        USA und Australien drauf. Beide Staaten verfügen aner-
        kanntermaßen nicht annähernd über Datenschutzstan-
        dards, die den deutschen oder europäischen vergleichbar
        wären. Es wurden uferlose Speicherfristen von 5,5 Jah-
        ren für Australien und 15 Jahren für die USA ausgehan-
        delt. Auch die in die USA und nach Australien weiterge-
        leiteten Fluggastdaten dürfen dann für Risikoanalysen
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        erwendet werden. Dabei sollen die Passagiere aufgrund
        icht nachvollziehbarer Risiko-Profile der Sicherheits-
        ehörden elektronisch in Schubladen sortiert werden.
        Ebenso wie bei der Vorratsspeicherung von Fluggast-
        aten in der EU widerspricht ein solches Vorgehen klar
        en Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbe-
        ondere seiner Rechtsprechung zur Rasterfahndung und
        ur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbin-
        ungsdaten.
        Aber nicht nur das. Der juristische Dienst der Europä-
        chen Kommission, ja genau, das ist das Organ der EU,
        as selbst für die Aushandlung dieser Abkommen zu-
        tändig ist, hat in einem Gutachten vom 18. Mai 2011
        ie Auffassung vertreten, dass die geplanten Abkommen
        it den Grundrechten unvereinbar sind. Angesprochen
        ird hier insbesondere Art. 8 der EU-Grundrechtecharta:
        as EU-Grundrecht auf Datenschutz, über dessen Ein-
        altung der EuGH wacht.
        Dass wir als Parlament die verfassungsrechtliche
        flicht haben, uns auf europäischer Ebene für die Wah-
        ng unserer verfassungsrechtlichen Datenschutzstan-
        ards einzusetzen, habe ich bereits gesagt. Das ist eine
        arlamentarische Selbstverständlichkeit! Wir haben aber
        uch die Möglichkeit und die Instrumente dazu. Mit un-
        erem Antrag fordern wir die Bundesregierung noch ein-
        al dazu auf, beim EuGH ein Gutachten über die ge-
        lanten Flugastdaten-Abkommen mit dem USA und
        ustralien einzuholen.
        Der EuGH hätte dann gemäß Art. 218 Absatz 11 des
        ertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
        EUV, die Möglichkeit, die Vereinbarkeit dieser geplan-
        n Abkommen vorab mit dem EU-Primärrecht und so
        uch mit den EU-Grundrechten zu überprüfen. Die
        echtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Teil
        er deutschen Verfassungstradition ist Rechtserkenntnis-
        uelle für den EuGH. Deutsche Verfassungsrechtspre-
        hung hat auf diesem Weg bereits vielfach Eingang in
        ie EuGH-Rechtsprechung gefunden. Deutschland sollte
        urch die Einholung des Gutachtens beim EuGH seine
        uroparechtlichen Möglichkeiten und Pflichten zur För-
        erung des europäischen Grundrechteschutzes wahrneh-
        en.
        Wir dürfen hier nicht sehenden Auges eine Situation
        ntstehen lassen, in dem die EU grundrechtswidrige Ab-
        ommen abschließt.
        Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
        nlage 22
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Besonderheiten der
        nationalen Finanzmärkte bei Umsetzung von
        Basel III berücksichtigen (Tagesordnungs-
        punkt 23)
        Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Die neuen interna-
        onalen Standards des Baseler Ausschusses für Banken-
        ufsicht müssen in europäisches Recht umgesetzt wer-
        en. Dabei wird es nicht zu einer starren, schematischen
        13678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
        )(B)
        Umsetzung kommen. Vielmehr wird aufbauend auf den
        Baseler Vereinbarungen und unter Berücksichtigung
        europäischer und deutscher Besonderheiten eine Umset-
        zung in europäisches Recht erfolgen. Die Kommission
        wird dazu voraussichtlich einen Legislativvorschlag vor-
        legen, der aus einer Verordnung und einer Richtlinie be-
        steht.
        Die Verordnung soll Regelungen zum Eigenkapital,
        zur Liquidität sowie zur Transparenz enthalten. In der
        Richtlinie sollen Regelungen für die Zulassung und Be-
        aufsichtigung von Instituten, Anforderungen an die in-
        terne Organisation sowie aufsichtsrechtliche Maßnah-
        men festgeschrieben werden.
        Die Kommission möchte, soweit wir wissen, den Weg
        der Regelung durch eine Verordnung gehen, um sicher-
        zustellen, dass in den Bereichen Eigenkapital, Liquidität
        und Transparenz ein europäisches Level Playing Field
        für Banken erreicht wird – also einheitliche Bedingun-
        gen für alle in Europa tätigen Kreditinstitute. Denn eine
        EU-Verordnung gilt unmittelbar für alle Kreditinstitute,
        während eine EU-Richtlinie erst durch den deutschen
        – und 26 weitere – Gesetzgeber in nationales Recht um-
        gesetzt werden muss. Der aufsichtsrechtliche Teil des
        Regelwerkes muss zwingend im Rahmen einer Richt-
        linie umgesetzt werden, da er an nationales Verwaltungs-
        recht anknüpft.
        Die Tatsache, dass so wichtige Felder wie Eigenkapi-
        tal, Liquidität und Transparenz im Rahmen einer EU-
        Verordnung und nicht im Rahmen einer Richtlinie gere-
        gelt werden sollen, stößt in Teilen der deutschen Kredit-
        wirtschaft auf erhebliche Bedenken:
        Es wird befürchtet, dass die mangelnde Beteiligung
        des Deutschen Bundestages dazu führt, dass „nationale
        Besonderheiten“ zu wenig berücksichtigt werden.
        Es wird befürchtet, dass sich die EU-Kommission bei
        der Formulierung der Verordnung nicht am deutschen, in
        erheblichen Teilen mittelständischen und durch Sparkas-
        sen und Volksbanken geprägten Bankensystem, sondern
        am angelsächsischen, von kapitalmarktorientierten Insti-
        tuten geprägten Bankensystem orientiert.
        Es wird befürchtet, dass auf EU-Ebene keine Diffe-
        renzierung zwischen kleinen, regionalen und großen,
        internationalen Instituten vorgesehen ist und allen Insti-
        tuten, unabhängig von ihrer Größe, die gleichen bürokra-
        tischen Lasten auferlegt werden.
        Diese Befürchtungen haben gute Gründe. Wir neh-
        men sie daher sehr ernst. Für die weitere Diskussion ist
        es, so denke ich, aber hilfreich und wichtig, noch einmal
        die Unterschiede zwischen einer Verordnung und einer
        Richtlinie detailliert zu erörtern. Ich halte dies deswegen
        für notwendig, weil in der Diskussion mit einigen Unge-
        nauigkeiten argumentiert wird.
        Beginnen wir mit der Richtlinie:
        Die Richtlinie richtet sich an den nationalen Gesetz-
        geber. Dieser hat die Vorgaben der Richtlinie in nationa-
        les Recht umzusetzen. Je nach Ausgestaltung der Richt-
        linie hat er dabei die Möglichkeit, Wahlrechte
        wahrzunehmen und die europäischen Regelungen unter
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        erücksichtigung nationaler Besonderheiten in seine na-
        onale Rechtsordnung einzupassen. Er hat gegebenen-
        lls auch die Möglichkeit, über den Regelungsinhalt der
        ichtlinie hinauszugehen – im Fall von Basel III zum
        eispiel erhöhte Eigenkapitalanforderungen zu stellen;
        ie gesagt, je nach Ausgestaltung, denn es gibt Richtli-
        ien, die so formuliert sind, dass viele Freiräume beste-
        en, es gibt aber auch Richtlinien, die sehr eng formu-
        ert sind und die die oben skizzierten Freiräume nicht
        inräumen.
        Die Kritiker der Rechtssetzung durch Richtlinien wei-
        en darauf hin, dass die nationalen Wahlrechte und
        pielräume dazu führen, dass europaweit 27 unter-
        chiedliche Regelungen entstehen – 27 Regelungen, in
        enen Wahlrechte unterschiedlich wahrgenommen wer-
        en, 27 Regelungen, bei denen es gegebenenfalls zu be-
        ussten oder unbewussten Umsetzungsfehlern kommt.
        ie führen weiter an, dass die Rechtssetzung umso un-
        inheitlicher wird, je größer die Wahlrechte und je zahl-
        icher die Fehler sind. Eine uneinheitliche Umsetzung
        ürde dazu führen, dass Geschäfte in die Länder verla-
        ert werden, in denen die Regulierung am schwächsten
        t; man nennt dies Regulierungsarbitrage.
        Eine Verordnung richtet sich dagegen unmittelbar an
        ie nationalen Finanzinstitute; es bedarf keiner Umset-
        ung in nationales Recht, mit all den daraus resultieren-
        en Schwierigkeiten.
        Kritikpunkt an der Umsetzung durch eine Verordnung
        t, dass keine weiteren Modifikationen durch nationale
        arlamente mehr möglich sind. Eine Berücksichtigung
        ationaler Besonderheiten durch die nationalen Parla-
        ente ist nicht mehr vorgesehen; sie müssen bereits in
        ie Verordnung eingearbeitet werden.
        Die Befürworter einer Verordnung führen dagegen an,
        ass Institute, die in mehreren europäischen Ländern tä-
        g sind, entlastet werden, da Bürokratiekosten für die
        efolgung von unterschiedlichen nationalen Regelungen
        ntfallen. Rein national und regional tätige Institute ha-
        en den Vorteil, dass auch sie von einer gesteigerten
        uropaweiten Systemstabilität und einem einheitlichen
        ettbewerbsumfeld profitieren.
        Sowohl eine Richtlinie als auch eine Verordnung ge-
        en einen Rahmen vor. Dieser Rahmen wird dann mit
        etailregelungen gefüllt, den sogenannten technischen
        tandards. Die Bedeutung dieser technischen Standards
        r die praktische Anwendung der neuen Regeln darf
        icht unterschätzt werden. Sie sind der Hebel, mit denen
        Zweifel Politik gemacht werden kann.
        Auf europäischer Ebene werden diese technischen
        tandards, deren Erlass als delegierte Rechtsakte sowohl
        urch Ermächtigung in einer Verordnung als auch in ei-
        er Richtlinie vorgesehen werden kann, von der EBA,
        er Europäischen Bankenaufsichtsbehörde, vorgegeben.
        ier bestehen erhebliche Defizite, und zwar deswegen,
        eil die parlamentarische Kontrolle über die technischen
        tandards faktisch sehr eingeschränkt ist; das heißt, Poli-
        k wird durch Beamte gestaltet.
        Bei der Abwägung, ob eher eine Richtlinie oder eine
        erordnung zur Umsetzung von Basel III geeignet ist,
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13679
        (A) )
        )(B)
        sind diese Vor- und Nachteile zu berücksichtigen. Eine
        Richtlinie bietet vermeintlich mehr Spielraum für den
        nationalen Gesetzgeber. Letztlich hängt das aber sehr
        von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab. So
        kann auch eine Richtlinie keinen oder nur sehr wenig
        Umsetzungsspielraum lassen. Auf der anderen Seite
        kann auch eine Verordnung durchaus Wahlrechte belas-
        sen. Das heißt, wenn eine Richtlinie die entscheidenden
        Punkte abschließend regelt, kann auch im Rahmen der
        Umsetzung durch den Bundestag keine Anpassung an
        nationale Besonderheiten mehr erfolgen.
        Wesentlich entscheidender als die Form ist daher der
        Inhalt. Wir müssen deshalb daran arbeiten, dass alle uns
        in Deutschland wichtigen Regelungen und Wahlrechte in
        dem europäischen Rechtsakt – sei es eine Verordnung
        oder eine Richtlinie – verankert werden. Folgende
        Punkte sind dabei besonders wichtig:
        Erstens. Wir brauchen eine rechtsformunabhängige
        Definition der Eigenkapitalinstrumente, also Prinzipien
        für die Zurechnung von Finanzinstrumenten zum auf-
        sichtsrechtlichen Eigenkapital unabhängig von der
        Rechtsform des jeweiligen Instituts. Dabei darf bei-
        spielsweise genossenschaftliches Kapital nicht schlech-
        ter gestellt werden als Aktienkapital.
        Zweitens. Es ist besorgniserregend, dass auf nationa-
        ler, aber insbesondere auf europäischer Ebene der Ge-
        setzgeber immer mehr Regelungsinhalte an die Exeku-
        tive, an die Verwaltung, im Fall von Basel III an die
        EBA delegiert. Denn die technischen Standards im Zu-
        sammenhang mit der Umsetzung von Basel III werden
        eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Qualität des
        Regelwerkes spielen. Die EBA als neugegründete Be-
        hörde muss gerade in Deutschland noch viel Vertrauen
        aufbauen. Das Vorgehen der EBA bei der Implementie-
        rung der Bankenstresstests wurde von wesentlichen
        Marktteilnehmern jedenfalls nicht als glücklich empfun-
        den.
        Drittens. Wir müssen verhindern, dass kleine und
        mittlere Privatbanken, Regionalbanken, Sparkassen und
        Genossenschaftsbanken vom Umfang der Regulierung
        überfordert werden. Es wäre nicht nachvollziehbar,
        wenn an die Sparkasse Rietberg der gleiche Maßstab an-
        gelegt würde wie an die Deutsche Bank. Gerade kleinere
        Institute beklagen in letzter Zeit sehr glaubwürdig, dass
        der bürokratische Aufwand der Regulierungsanforderun-
        gen in keinem Verhältnis mehr zu ihrer Institutsgröße
        und ihrem Institutsrisiko steht. Regulierung darf nicht
        dazu führen, dass große Einheiten gegenüber kleinen
        Einheiten gestärkt werden.
        Wichtig ist in diesem Zusammenhang, die Art und
        Weise, wie die Aufsicht geführt wird, adäquat zu gestal-
        ten. Denn auch im Bereich der nach dem Entwurf durch
        Verordnung geregelten Rechtsgebiete wird Raum für
        Auslegung bestehen und werden Rundschreiben – wie
        bisher – erforderlich sein. Neben den Vorgaben durch die
        europäische Rechtssetzung werden daher die Art und
        Weise der Kontrolle der Regeln durch BaFin und Bun-
        desbank ganz besonders für die kleineren Institute eine
        entscheidende Rolle spielen. Hier liegt meines Erachtens
        ein wichtiger Hebel für weniger Bürokratie.
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        Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Die Frage
        Basel III – Richtlinie oder Verordnung?“ bewegt zu
        echt viele – gerade kleinere – Kreditinstitute in
        eutschland. Die Kommission scheint sehr entschlossen
        u sein, den Weg über eine Verordnung zu gehen. Unsere
        ositionierung zu dieser Frage wird maßgeblich vom In-
        alt des Regelwerkes inklusive der an dem Regelwerk
        ängenden technischen Standards abhängen.
        Das heißt, jetzt ist die Kommission am Zug: Wir wer-
        en den Prozess auf europäischer Ebene sehr genau
        eobachten. Der Deutsche Bundestag hat mit dem ge-
        einsamen Entschließungsantrag vom 8. Juli 2010 in-
        altliche Positionen formuliert. Die Kommission muss
        eigen, dass sie es schafft, ein einheitliches Regulie-
        ngsniveau zu schaffen und dabei die Besonderheiten
        er Bankenmärkte der Mitgliedstaaten zu berücksichti-
        en. Der Finanzplatz Deutschland mit all seinen Facet-
        n, mit den starken Säulen Genossenschaftsbanken und
        parkassen muss sich in der Basel-III-Umsetzung der
        ommission wiederfinden. Eine Regulierung zulasten
        nserer Finanzwirtschaft darf es nicht geben, weder in
        iner Richtlinie noch in einer Verordnung.
        Wir sollten daher die Diskussion – auch und gerade
        uf europäischer Ebene – insbesondere anhand der In-
        alte führen und nicht allein anhand des formalen Rah-
        ens.
        Zum Abschluss gestatten Sie mir noch eine Anmer-
        ung: Beim Studium der Stellungnahmen zu diesem
        hema und bei vielen Gesprächen, die ich in dieser Sa-
        he geführt habe, ist mir wieder einmal klar geworden,
        ie wenig Vertrauen den europäischen Institutionen ent-
        egengebracht wird. Wir sollten wirklich einmal die
        rage beantworten, woran das liegt. Denn die Tatsache,
        ass – ob nun in der Sache gut begründet oder nicht –
        arteien, Verbände und Unternehmen eine Richtlinie
        rdern, weil sie nicht glauben, dass die EU-Kommis-
        ion eine Verordnung vorlegt, die ihnen gerecht wird,
        nd damit in Parlament und Rat auch noch durchkommt,
        t ein großes Misstrauensvotum gegenüber den europäi-
        chen Institutionen.
        Hier liegt das eigentliche Problem. Es gilt vorrangig,
        ieses Problem zu lösen, bevor die anderen in dieser
        ede aufgeworfenen – ebenfalls sehr wichtigen – Fragen
        rörtert werden.
        Manfred Zöllmer (SPD): Die Europäische Kommis-
        ion wird in Kürze Entwürfe für Rechtsakte vorlegen,
        it denen sie die Vorschläge des Baseler Ausschusses
        r Bankenaufsicht zur Neuregelung der Eigenkapital-
        nd Liquiditätsanforderungen für Kreditinstitute – das
        ogenannte Basel III – in europäisches Recht umsetzt.
        it diesen Neuregelungen sollen Konsequenzen aus den
        der Finanzkrise offenbar gewordenen Lücken in der
        inanzmarktregulierung gezogen werden.
        Die ersten länderübergreifenden Eigenmittelstandards
        r Banken, Basel I, sind bereits 1988 verabschiedet
        orden. Im Jahr 2004 folgte Basel II, das neue Risikoka-
        gorien einführte, aber den großen, international tätigen
        13680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        (A) )
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        Instituten erlaubte, die jeweiligen Risiken mit eigenen
        Modellen zu bewerten und zu gewichten.
        Diese Regelung nutzten die Banken aus, um ihre Ei-
        genkapitalausstattung anzupassen. Vom Ergebnis hielten
        sie in der Folge nicht mehr, sondern weniger Eigenkapi-
        tal. Dies geschah offenbar in der Überzeugung, die zur
        Umsetzung von Basel II geschaffene Risikomanagement-
        infrastruktur mache es möglich, Risiken so zuverlässig zu
        erfassen, dass auch eine Bank mit geringerem Eigenkapi-
        tal gut geschützt sei.
        Die Finanzkrise hat diese Haltung als Illusion ent-
        larvt, und deshalb ist es gut, wenn unter anderem an die-
        sem Punkt nachjustiert wird.
        Der Großteil der geplanten Basel-III-Änderungen soll
        nach dem Willen der Europäischen Kommission mittels
        einer Verordnung und nicht, wie bisher bei solchen Re-
        gelungen üblich, durch eine Richtlinie vorgenommen
        werden.
        Wir Sozialdemokraten sind davon überzeugt, dass
        eine Umsetzung von Basel III durch eine Verordnung
        mit großen Nachteilen verbunden wäre. Eine Verord-
        nung stellt gemäß Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag unions-
        weit unmittelbar geltendes Recht dar – die sogenannte
        Verbindlichkeit in allen Teilen. Diese grenzt die Verord-
        nung von der Richtlinie ab. Die Verordnung ist gänzlich
        geltendes Recht, während die Richtlinie nur hinsichtlich
        der Zielbestimmung verbindlich ist. Die Umsetzung der
        Zielbestimmung bei Richtlinien bleibt jedem einzelnen
        Mitgliedstaat vorbehalten.
        Dem Deutschen Bundestag würden somit seine Mit-
        wirkungsmöglichkeiten genommen, und nationale Be-
        sonderheiten könnten nicht berücksichtigt werden. Eine
        Richtlinie eröffnet Spielräume bei der Ausfüllung und
        Konkretisierung der europäischen Vorgaben durch die
        Mitgliedstaaten, was bei der Bankenregulierung einen
        wichtigen Punkt darstellt.
        Die Wahl des Rechtsinstrumentes ist insoweit eine
        zentrale Weichenstellung, da sie die Beteiligungsmög-
        lichkeiten nicht nur hinsichtlich der aktuellen Reform,
        sondern auch hinsichtlich der künftigen Regulierungs-
        vorhaben bestimmt.
        Der Deutsche Bundestag muss die neuen Regelwerke
        zu Basel III angesichts ihrer hohen Bedeutung sowohl
        für die Kreditwirtschaft als auch für die Unternehmen
        und Anleger aktiv mitgestalten können. Eine bloße Be-
        gleitung des europäischen Rechtssetzungsprozesses
        würde der Verantwortung des Deutschen Bundestages
        für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Lan-
        des nicht gerecht.
        Die Mitwirkung der Parlamente bietet die beste Ge-
        währ, dass bei der Anwendung der globalen Basel-III-
        Vorschriften den spezifischen Bedingungen der jeweili-
        gen Finanzmärkte ausreichend Rechnung getragen wird.
        Es steht fest, dass zwischen den Finanzmärkten erheb-
        liche Unterschiede bestehen. Für den deutschen Finanz-
        markt sind eine langfristige Orientierung, eine bankba-
        sierte Unternehmensfinanzierung und ein dezentral
        ausgerichtetes mehrgliedriges Bankensystem signifikant.
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        Dem stehen Finanzmärkte mit einer kurzfristigen
        rientierung, einer kapitalmarktorientierten Finanzie-
        ng und einem stärker zentralisierten Bankensystem ge-
        enüber.
        Eine Umsetzung der Basel-III-Vorschriften ohne
        ücksicht auf diese Unterschiede wäre gerade für den
        eutschen Bankenmarkt mit seinem hohen Anteil kleiner
        nd regionaler Institute nicht angemessen. Es bestünde
        ie Gefahr, dass die auf international tätige und kapital-
        arktorientierte Bankkonzerne ausgerichteten Vorga-
        en die Kreditvergabefähigkeit von Sparkassen und Ge-
        ossenschaftsbanken über Gebühr einschränken und so
        u einer Verringerung und Verteuerung der Kreditversor-
        ung für den Mittelstand führen. Das Ergebnis wäre
        icht mehr Wettbewerbsgleichheit, sondern eine Verzer-
        ng des Wettbewerbs zulasten vieler deutscher Institute.
        Eine effektive Finanzmarktregulierung setzt gleich-
        ertige, aber keine uniformen europäischen Vorgaben
        r alle Mitgliedstaaten voraus. Es darf keine Regulie-
        ngsarbitrage zwischen den Mitgliedstaaten geben.
        leichwertige Wettbewerbsbedingungen lassen sich
        ber auch bei einer Umsetzung der Basel-III-Vorschrif-
        n mittels einer Richtlinie erreichen.
        Uniforme Regelungen würden sich auf verschieden
        trukturierten Märkten sehr unterschiedlich auswirken.
        ie bei einer Richtlinie vorhandenen Entscheidungs-
        pielräume ließen es zu, sich den spezifischen Gegeben-
        eiten entsprechend anzupassen und dadurch eine wett-
        ewerbsneutrale Wirkung zu erreichen. Dabei kann es
        ich in bestimmten Fällen als erforderlich erweisen, über
        ie europäischen Vorgaben hinaus höhere Standards an-
        uwenden. Ein Level Playing Field wäre gesichert.
        Hierbei gehen wir davon aus, dass eine in Rede ste-
        ende Richtlinie hinsichtlich ihrer Zielsetzung strikt for-
        uliert sein muss. Den Mitgliedstaaten muss aber die
        ahl der Mittel zu ihrer Umsetzung überlassen bleiben.
        Wir fordern daher mit unserem Antrag die Bundesre-
        ierung auf, sich gegenüber der Europäischen Kommis-
        ion und den Mitgliedstaaten für eine Umsetzung der
        asel-III-Vorschriften durch eine Richtlinie einzusetzen;
        ei den Beratungen über die Richtlinie für eine Berück-
        ichtigung der Besonderheiten des deutschen Finanz-
        arktes einzutreten, insbesondere bezüglich der lang-
        istigen Finanzierungsorientierung, der bankbasierten
        nternehmensfinanzierung und der dezentralen Banken-
        truktur; dem Bundestag frühzeitig und regelmäßig über
        en Stand der Beratungen auf europäischer Ebene zu be-
        chten.
        Björn Sänger (FDP): Die uneinheitlichen Auf-
        ichtsregelungen und Eigenkapitalvorschriften für Kre-
        itinstitute haben die Finanzkrise begünstigt.
        Deshalb begrüßt die FDP-Fraktion die vom Baseler
        usschuss für Bankenaufsicht vorgesehenen, umfassen-
        en Verbesserungen der Finanzmarktregulierung hin-
        ichtlich der Anforderungen an Kapital, Liquidität und
        everage und spricht sich für eine möglichst zeitnahe
        nd effiziente Umsetzung der neugefassten internationa-
        n Standards aus.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13681
        (A) )
        )(B)
        Um nun ein möglichst weitreichendes regulatorisches
        Umfeld mit denselben Anforderungen an alle zu errei-
        chen, müssen die neuen Bankenstandards so einheitlich
        wie möglich implementiert werden.
        Daher stellt sich die Frage, ob dafür eine EU-Verord-
        nung oder eine Richtlinie der optimale Weg wäre. Eine
        EU-Verordnung hat sofort rechtsverbindliche Wirkung
        in den einzelnen Mitgliedstaaten. Das Ziel einer einheit-
        lichen Bankenregulierung hätte man bei abschließenden
        Regelungen dann wohl erreicht, aber um den Preis einer
        „one size fits all“-Regulierung. Nun ist bekannt, dass das
        deutsche Finanzsystem einige Besonderheiten aufweist.
        Von verschiedenen Seiten werden Befürchtungen geäu-
        ßert, dass die Eigenheiten und Strukturen der Finanzsys-
        teme in einzelnen Ländern, besonders in Deutschland, in
        einer Verordnung nicht ausreichend Berücksichtigung
        finden. Dies lässt sich nicht bestätigen. Im Gegenteil,
        eine Verordnung lässt durchaus Raum für eine Anpas-
        sung der Vorschriften an nationale Besonderheiten. Au-
        ßerdem besteht auch die Möglichkeit, nur einen Teil der
        Vorgaben in einer Verordnung umzusetzen. So ist es
        grundsätzlich sachgerecht, die unmittelbar an die Insti-
        tute gerichteten Bestimmungen für aufsichtsrechtliches
        Eigenkapital, Liquidität und Transparenz über eine EU-
        weit geltende Verordnung zu regeln. Die an die Mit-
        gliedstaaten gerichteten Vorgaben hingegen, etwa hin-
        sichtlich nationaler Aufsicht, können über eine EU-
        Richtlinie umgesetzt werden.
        Die von der EU-Kommission geplante Umsetzung
        von Basel III über eine Verordnung statt über eine Richt-
        linie erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll. Eine
        Verordnung ist die schnellere Lösung, und ein einheitli-
        ches Regelwerk liegt im Interesse aller Mitgliedstaaten.
        Entscheidend ist, dass bei der Umsetzung die interna-
        tionalen Wettbewerbsbedingungen gewahrt bleiben und
        Regulierungsarbitrage weitgehend vermieden wird, was
        auch die sozialdemokratischen Kollegen in ihrem Antrag
        fordern. Es überrascht mich, dass den Kollegen dieses
        Wort geläufig ist, und sicherheitshalber möchte ich kurz
        die Gelegenheit nutzen, Regulierungsarbitrage einmal zu
        erklären. Arbitrage kann man durch Preisunterschiede an
        verschiedenen Märkten erzielen. Kauft man beispiels-
        weise ein beliebiges Produkt in London, das in Frankfurt
        teurer ist, lässt sich ein Gewinn erzielen, wenn man die-
        ses Produkt bei Deckung der sonstigen Kosten in Lon-
        don kauft und in Frankfurt wieder verkauft.
        Gleichermaßen handelt es sich bei Regulierungsarbi-
        trage um Geschäfte, deren Teilnehmer von Unterschie-
        den in regulatorischen Bestimmungen profitieren. Wenn
        Unternehmen beispielsweise nach den in diesem Land
        geltenden Vorschriften weniger Steuern zahlen müssen,
        bietet dies vielen Unternehmen einen Anreiz, dort die
        Geschäfte abzuwickeln. Führt man nun eine auf
        Deutschland und wenige europäische Länder be-
        schränkte Finanztransaktionsteuer ein, ermöglicht man
        Unternehmen Regulierungsarbitrage, die diese Märkte
        meiden oder ihre Geschäfte von dort in das nichtbetrof-
        fene Ausland verlagern. Ich hoffe, ich konnte den Kolle-
        gen damit endlich die Augen öffnen, dass ihre bisherigen
        Forderungen nicht gerade sinnvoll sind.
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        Aber nun zurück zum Thema Basel-III-Umsetzung.
        h möchte an die Adresse der antragstellenden SPD an-
        erken: Selbstverständlich muss sichergestellt werden,
        ass die Basel-III-Regelungen die Gegebenheiten des
        eutschen Bankensektors ausreichend berücksichtigen.
        uch wollen wir als christlich-liberale Koalition die
        msetzung der Regelungen aktiv mitgestalten.
        Der Deutsche Bundestag hat, auf die Initiative der
        hristlich-liberalen Koalition und unter Ihrer Mitwir-
        ung, schon im Mai 2010 einen Entschließungsantrag zu
        asel III verabschiedet, der klar absteckt, welche Ver-
        andlungsziele wir seitens der Bundesregierung auf EU-
        bene erwarten. Die Verhandlungen beobachten wir nun
        ehr genau und warten ab, wie der Entwurf der Capital
        equirements Directive IV, den die EU-Kommission bis
        nde Juli vorstellen wird, aussieht.
        Da wir die von den Sozialdemokraten angesprochene
        erantwortung des Deutschen Bundestages für die wirt-
        chaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes, für
        ie auch die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors nicht
        nerheblich ist, sehr ernst nehmen, behalten wir uns na-
        rlich vor, dann durch einen neuen Entschließungsan-
        ag den Rechtssetzungsprozess in Brüssel zu begleiten
        nd gegebenenfalls darauf hinzusteuern, dass die Umset-
        ung doch durch eine Richtlinie erfolgt, sollte eine Ver-
        rdnung sich nicht als tauglich für den deutschen Markt
        rweisen.
        Vorher wollen wir nicht über ungelegte Eier grübeln
        der über ohnehin – für uns zumindest – Selbstverständ-
        ches debattieren und lehnen den Antrag der SPD-Frak-
        on ab.
        Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wir debattieren heute
        ber Basel III, also neue Eigenkapitalvorschriften für
        anken und damit einen Baustein bei der Verhinderung
        ünftiger Finanzkrisen. Ein abgestimmtes internationa-
        s Vorgehen ist dabei sinnvoll, vor allem um Regulie-
        ngsarbitrage zu verhindern. Aber ein abgestimmtes in-
        rnationales Vorgehen sollte nicht bedeuten, dass der
        aseler Ausschuss für Bankenaufsicht einen Vorschlag
        achen kann, der dann weitgehend unverändert von der
        U-Kommission in eine Verordnung gegossen wird und
        ann ohne weitere Mitsprache des Bundestags und ande-
        r nationaler Parlamente nur noch rechtlich umgesetzt
        erden kann. Das ist demokratietheoretisch fragwürdig.
        afür bräuchte es also einer besonderen Begründung,
        ie in diesem Fall nicht gegeben wurde.
        Wir wissen, dass Banken wie Lehman Brothers vor
        er Krise auf dem Papier gut kapitalisiert waren und
        urchaus Eigenkapitalquoten in Höhe von etwa 10 Pro-
        ent aufwiesen. Dennoch gab es die Pleite von Lehman
        rothers. Basel III allein ist also nur ein Teilbeitrag, um
        ine erneute Finanzkrise zu verhindern. Derzeit wird der
        indruck erweckt, als ob es bei der ganzen Diskussion
        ber Basel III um die Frage der Wettbewerbsgleichheit
        Europa ginge. Darum geht es aber gar nicht, sondern
        s geht schlicht und einfach darum, Banken sicherer zu
        achen. Nun gibt es riesige Regelungsvorschriften für
        ie kleinen Volksbanken und Sparkassen, die nie Ursa-
        13682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
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        che des ganzen Problems gewesen sind, jetzt aber eben
        auch unter diesen europäischen Dampfzug geraten.
        Die Krise war in Deutschland primär eine Krise der
        Privat- und Landesbanken. Nun orientieren sich die Ei-
        genkapitalvorschriften nach Basel III am Prototyp sol-
        cher Banken. Wegen dieser Grundausrichtung ist abzu-
        sehen, dass die Eigenheiten anderer Banktypen nicht
        angemessen berücksichtigt werden. Dies schwächt dann
        unser dezentralisiertes Bankensystem und schadet wie-
        derum unnötigerweise der Systemstabilität.
        Wenn wir nun Hinweise bekommen, dass die Staats-
        und insbesondere Kommunalfinanzierung durch be-
        stimmte Bestandteile von Basel III gefährdet wird, müs-
        sen wir diesen nachgehen. Wir sollten ebenfalls regeln
        dürfen, wie in Basel III deutsche Besonderheiten wie
        stille Einlagen, stille Reserven oder Pfandbriefe behan-
        delt werden. Theoretisch ginge dieses natürlich auch
        durch Einflussnahme auf die Inhalte einer Verordnung.
        Eine Verordnung mit Wahlmöglichkeiten kann mögli-
        cherweise sogar mehr Freiräume enthalten als eine eng
        gefasste Richtlinie. Solange uns aber kein Entwurf vor-
        liegt, haben wir Grund zur Skepsis und halten die Ein-
        flussmöglichkeiten des Bundestags bei einer Richtlinie
        für größer. Wir sollten jedenfalls nicht davon ausgehen,
        dass die Europäische Kommission die Besonderheiten
        des dezentralen Bankensystems in Deutschland ausrei-
        chend berücksichtigt. Das war in der Vergangenheit
        kaum der Fall und ist bei einer EU mit 27 Mitgliedstaa-
        ten illusorisch. Deswegen ist für uns der Weg über eine
        Richtlinie momentan der deutlich vielversprechendere.
        Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Auch wenn vieles noch nicht überzeugt: Die Basel-III-
        Vereinbarungen enthalten wichtige und richtige Be-
        schlüsse, die dazu beitragen können, das Finanzsystem
        stabiler und widerstandsfähiger als bisher zu machen.
        Neben den höheren Kapitalanforderungen gehört hierzu
        ganz besonders die Einführung einer Leverage Ratio,
        also die risikoungewichtete Begrenzung der Bilanz-
        summe in Relation zum harten Eigenkapital einer Bank.
        Für uns Grüne gehört die Einführung einer solchen
        Leverage Ratio – also einer Schuldenbremse für Banken
        – zu den wichtigsten Lektionen aus der Krise: Zum einen
        darf es nicht länger so sein, dass Banken mit weniger als
        3 Prozent Eigenkapital bezogen auf die Bilanzsumme
        wirtschaften. Das ist schlicht viel zu riskant für die Sys-
        temstabilität und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
        und darf nicht länger praktiziertes Geschäftsmodell von
        Banken sein.
        Zum anderen: Das bankaufsichtliche Regelwerk, Auf-
        seher und die Risikomodelle der Banken haben im Vor-
        feld der Krise wesentliche Risiken im System gar nicht
        erkannt oder dramatisch unterschätzt, so zum Beispiel
        bei den US-Immobiliendarlehen, die trotz minderer Qua-
        lität nicht als hochrisikoreiche Investitionen identifiziert
        wurden – mit dramatischen und bis heute andauernden
        Folgen, wie wir alle wissen. Und heute, in Zeiten einer
        sehr ernsten Schuldenkrise in Europa, erleben wir, dass
        die aufsichtsrechtliche Einstufung von europäischen
        Staatsanleihen als risikolose Investments mit der Wirk-
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        chkeit nichts tun hat. Vor diesem Hintergrund ist es da-
        it aus unserer Sicht unverantwortlich, darauf zu ver-
        auen, dass Risiken in der Zukunft stets und aufs
        omma genau gemessen und danach die Eigenkapital-
        nterlegung berechnet werden kann. Eine Leverage Ra-
        o, wie sie auch der Basel-III-Beschluss vorsieht, verste-
        en wir insofern als elementar wichtige sicherheits- und
        tabilitätspolitische Ergänzung zum derzeitigen System
        er Eigenkapitalunterlegung von Banken.
        Doch nach allem, was wir aus Brüssel hören, wird die
        U-Kommission auch auf Druck aus Deutschland bei
        er Basel-III-Umsetzung darauf verzichten, die Leve-
        ge Ratio in verbindliche Finanzmarktregulierung zu
        berführen. Das kann und darf nicht sein: Wenn die
        unst der Stunde nicht genutzt wird und die Lehren aus
        er Krise heute nicht in Gesetzestext gegossen werden,
        ann werden wir auch in ferner Zukunft diesen Schritt
        icht schaffen und uns gegen mächtige Bankeninteres-
        en durchsetzen können.
        Auch in anderen Punkten verwässert die EU-Kom-
        ission den Basel-III-Beschluss, zum Beispiel bei den
        euen Liquiditätsregeln, wie aus diversen Presseberich-
        n zu entnehmen war. Wie wir alle wissen, handelt es
        ich bei der globalen Finanzmarktkrise auch um eine
        ravierende Liquiditätskrise: Die ersten Einschläge der
        rise im außerbilanziellen deutschen Landesbankensek-
        r im Sommer 2007 zeigten sich im Wesentlichen im
        lötzlichen Versiegen von bis dahin nahezu unbegrenzt
        erfügbarer kurzfristiger Liquidität. Und nach der Leh-
        an-Insolvenz im September 2008 verschwand über
        acht die Möglichkeit für sehr viele Banken, sich am In-
        rbankenmarkt mit Liquidität eindecken zu können. In-
        ofern ist es richtig und wichtig, dass sich der Baseler
        ankenausschuss darangesetzt hat, erstmals überhaupt
        seiner Geschichte Liquiditätsregeln zu verfassen. Im
        etail mag ja an diesen neuen Regeln noch das eine oder
        ndere mit guten Argumenten zu diskutieren sein. Was
        ber nicht sein kann und darf, ist, dass die EU-Kommis-
        ion auch an dieser Stelle Basel III einfach ignoriert und
        ich – wie bei der Leverage Ratio – offenhält, ob be-
        timmte Liquiditätsregeln überhaupt eines Tages ver-
        indlich eingeführt werden.
        Auch teile ich die Sorge vieler Finanzminister in Eu-
        pa, die sich im Mai an die Kommission wandten und
        ahnten, es könne nicht sein, dass die EU-Umsetzung
        ls Maximalharmonisierung gestaltet werde, dass es also
        ünftig nicht mehr möglich sein solle, in einzelnen Län-
        ern höhere Standards in der Bankenregulierung anzu-
        enden, als es der EU-Rahmen vorsieht. Für mich ist
        lar: Wir brauchen nach unten europaweite Mindeststan-
        ards. Aber nach oben muss es auch künftig den Län-
        ern möglich sein, härtere Standards durchzusetzen. Für
        eutschland beispielsweise wünschte ich mir ein solches
        orgehen. Die Schweiz zeigt, dass eben auch national
        ach oben ganz erheblich härtere Standards gesetzt wer-
        en können, ohne dass daraus Massenabwanderungen
        er Finanzinstitute resultieren.
        Was kleinere und regional agierende Institute wie
        parkassen und Genossenschaftsbanken betrifft, so soll-
        n wir darauf achtgeben, sie vor allem mit den bürokra-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011 13683
        (A) (C)
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        tischen Anforderungen der EU-Umsetzung von Basel III
        nicht zu überfordern. Die in Brüssel verabschiedeten Re-
        geln müssen möglich machen, dass Spezifika der jewei-
        ligen Bankensysteme berücksichtigt werden, ohne dass
        es wie im Vorfeld der Finanzkrise zu einem Regulie-
        rungswettbewerb nach unten kommen kann.
        Für uns Grüne steht der Inhalt des Kommissionsvor-
        schlags zur Basel-III-Umsetzung im Vordergrund und
        die Frage, ob an den richtigen Stellen zusätzliche Regeln
        national möglich sind und für regional tätige Banken
        passende Regelungen gefunden werden können. Danach
        sollte sich die gesetzestechnische Frage richten, ob der
        Kommissionsvorschlag als Richtlinie oder als Verord-
        nung erfolgen sollte. Die SPD entscheidet sich für die
        Variante Richtlinie, weil hierin mehr Chancen gesehen
        werden, nationale Spezifika durch nationale Gesetzge-
        bung zu regeln. Ich tendiere ebenfalls zu dieser Ein-
        schätzung. Was aber keinesfalls geschehen darf, ist, dass
        alles, was wir aus Brüssel zur Basel-III-Umsetzung der-
        zeit hören, immer darauf hinausläuft, Basel III abzu-
        schwächen – ob bei der Leverage Ratio, den neuen Li-
        quiditätsregeln oder auch der künftigen Hinzurechnung
        von stillen Einlagen zum harten Eigenkapital. In diesen
        Chor sollten wir nicht einstimmen.
        117. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2011
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12
        Anlage 13
        Anlage 14
        Anlage 15
        Anlage 16
        Anlage 17
        Anlage 18
        Anlage 19
        Anlage 20
        Anlage 21
        Anlage 22