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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/114 Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 16, 28, 34 o sowie 35 c und d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung des Außenministers der Republik Kosovo, Herrn Enver Hoxhaj, und des Bot- schafters der Republik Kosovo, Herrn Dr. Vilson Mirdita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Der Weg zur Ener- gie der Zukunft b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- eines Gesetzes zur Neuregelung energie- wirtschaftsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/6072) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Be- schleunigung des Netzaubaus Elektrizitäts- netze (Drucksache 17/6073) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 12955 C 12957 D 12957 D 13089 C 12958 D 12958 D Deutscher B Stenografisc 114. Si Berlin, Donnerstag I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Ulla Jelpke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Till Seiler und Tobias Lindner . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Rainer Brüderle zum ordentlichen Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss und zum stellvertretenden Mit- glied im Vermittlungsausschuss . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Birgit Homburger als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsa- men Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Herrn Dr. Jörg Bentmann als stell- vertretendes Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöh- nung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12955 A 12955 B 12955 B 12955 B 12955 B wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Drucksache 17/6070) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12958 C undestag her Bericht tzung , den 9. Juni 2011 l t : in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts- rahmens für die Förderung der Stromer- zeugung aus erneuerbaren Energien (Drucksache 17/6071) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs 12958 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Fraktionen d CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwur er fs II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden (Drucksache 17/6074) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG- ÄndG) (Drucksache 17/6075) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der klimage- rechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden (Drucksache 17/6076) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung schiff- fahrtsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/6077) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- setzes zur Änderung des Atomgesetzes (Beendigung der Nutzung von Atom- kraftwerken zur kommerziellen Ener- gieerzeugung in Deutschland) (Drucksache 17/5931) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dorothee Menzner, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling- Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Atomausstieg bis 2014 – Für eine erneuerbare und demo- kratische Energieversorgung (Drucksache 17/6092) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 12959 A 12959 A 12959 A 12959 B 12959 B 12959 C Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD: Die Energiewende gelingt nur mit KWK (Drucksache 17/6084) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückstellungen der Atomwirt- schaft in Ökowandel-Fonds überführen – Sicherheit, Transparenz und ökologischen Nutzen schaffen, statt an Wettbewerbsver- zerrung und Ausfallrisiko festzuhalten (Drucksache 17/6119) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versorgungssicherheit transpa- rent machen – Keine Experimente mit ato- marer „Kaltreserve“ (Drucksache 17/6109) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12959 C 12959 C 12959 D 12960 A 12964 B 12967 A 12969 A 12971 C 12973 C 12975 A 12976 D 12978 D 12978 D 12981 A 12981 D 12982 C 12983 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 III Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing- Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Finanztransaktionsteuer in Europa einführen – Gesetzesinitiative jetzt vorlegen (Drucksache 17/6086) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung aufenthaltsrechtli- cher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visa- kodex (Drucksache 17/6053) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 und zur Anpassung 12984 D 12987 B 12988 A 12988 B 12988 B 12989 D 12991 B 12993 A 12993 A 12994 D 12996 A 12996 D 12997 D 12999 C 13000 A 13001 D 13003 A 13004 D 13005 D 13007 A 13009 B 13010 C 13012 B des Chemikaliengesetzes und anderer Gesetze im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon (Drucksache 17/6054) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 5. April 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien über den Sitz des IRENA-Innovations- und Technologiezentrums (Drucksache 17/6039) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Meeresstrategie- Rahmenrichtlinie und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes (Drucksache 17/6055) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 9. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung und der Steuerverkür- zung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 17/6056) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 4. Juni 2010 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Turks- und Caicosinseln über den steuerlichen Informationsaus- tausch (Drucksache 17/6057) . . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 21. Juni 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik San Ma- rino über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informa- tionsaustausch (Drucksache 17/6058) . . . . . . . . . . . . . . . h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 5. Oktober 2010 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Britischen Jungferninseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informations- austausch (Drucksache 17/6059) . . . . . . . . . . . . . . . i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines 13012 B 13012 C 13012 C 13012 C 13012 D 13012 D 13012 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Februar 2011 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Republik Ungarn zur Vermeidung der Doppelbe- steuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen (Drucksache 17/6060) . . . . . . . . . . . . . . . . j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Vierten, Fünften und Sechsten Änderung des Europäischen Überein- kommens vom 1. Juli 1970 über die Ar- beit des im internationalen Straßenver- kehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) (Drucksache 17/6061) . . . . . . . . . . . . . . . . k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Über- einkommens vom 4. August 1963 zur Errichtung der Afrikanischen Entwick- lungsbank (Drucksache 17/6062) . . . . . . . . . . . . . . . . l) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Übereinkommens vom 29. November 1972 über die Er- richtung des Afrikanischen Entwick- lungsfonds (Drucksache 17/6063) . . . . . . . . . . . . . . . . m) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Ulrike Höfken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Essen spielt man nicht – Spekulation mit Agrarrohstoffen eindämmen (Drucksache 17/5934) . . . . . . . . . . . . . . . . n) Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Aussagekräfti- gen Abschlussbericht zur beendeten Be- teiligung deutscher Streitkräfte an der Operation Enduring Freedom vorlegen (Drucksache 17/6123) . . . . . . . . . . . . . . . . p) Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion Ethik und Recht der modernen Medi- zin: Organlebendspende (Drucksache 15/5050) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese, Rüdiger Veit, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Die Integration der Sinti und Roma in Europa verbessern (Drucksache 17/6090) . . . . . . . . . . . . . . . . 13013 A 13013 A 13013 A 13013 B 13013 B 13013 C 13013 C 13013 C b) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klare Regelungen für Inten- sivtierhaltung (Drucksache 17/6089) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Auf die Einführung des Betreuungsgel- des verzichten (Drucksache 17/6088) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Wolfgang Wieland, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: DDR-Altübersiedler und -Flücht- linge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI veran- kern (Drucksache 17/6108) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Bericht zum Ri- sikomanagement bei Lebensmittelkri- sen vorlegen (Drucksache 17/6107) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung (Drucksachen 17/5804, 17/6106) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Eckhardt Rehberg, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Torsten Staffeldt, Dr. Martin Lindner (Berlin), Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Zukunftsfähigkeit der ma- ritimen Wirtschaft als nationale Auf- gabe (Drucksachen 17/5770, 17/6028 Buch- stabe a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e)–m) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276 und 277 zu Petitionen (Drucksachen 17/5919, 17/5920, 17/5921, 17/5922, 17/5923, 17/5924, 17/5925, 17/5926, 17/5927) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13013 D 13013 D 13014 A 13014 A 13013 B 13014 C 13014 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 V Zusatztagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Agnes Malczak, Sylvia Kotting- Uhl, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufnahme Indiens in die Nuclear Suppliers Group verhindern – Keine weitere Erosion des nuklearen Nichtverbreitungsregimes (Drucksachen 17/5374, 17/6139) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 14: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Ergebnisse der Maritimen Konfe- renz und die Aufkündigung des Maritimen Bündnisses durch die Bundesregierung Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011 (Drucksachen 17/5125, 17/5196, 17/6105, 17/6146) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/6121) . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 13015 D 13016 A 13017 A 13018 A 13019 C 13020 D 13022 A 13023 A 13024 A 13025 A 13025 D 13027 A 13028 D 13030 A 13031 B 13031 B 13031 C 13033 C 13036 A 13037 C 13039 A 13040 C Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Ägyp- ten endgültig stoppen (Drucksache 17/5935) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Libyen endgültig stoppen (Drucksache 17/5936) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Syrien endgültig stoppen (Drucksache 17/5937) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Tune- sien endgültig stoppen (Drucksache 17/5938) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Oman stoppen (Drucksache 17/5939) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in den Jemen stoppen (Drucksache 17/5940) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in die Verei- nigten Arabischen Emirate stoppen (Drucksache 17/5941) . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Saudi- Arabien stoppen (Drucksache 17/5942) . . . . . . . . . . . . . . . 13042 B 13042 B 13042 C 13042 C 13042 C 13042 D 13042 D 13043 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 i) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Israel stoppen (Drucksache 17/5943) . . . . . . . . . . . . . . . . j) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Ma- rokko stoppen (Drucksache 17/5944) . . . . . . . . . . . . . . . . k) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in den Liba- non stoppen (Drucksache 17/5945) . . . . . . . . . . . . . . . . l) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Kuwait stoppen (Drucksache 17/5946) . . . . . . . . . . . . . . . . m) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Jorda- nien stoppen (Drucksache 17/5947) . . . . . . . . . . . . . . . . n) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Bahrain stoppen (Drucksache 17/5948) . . . . . . . . . . . . . . . . o) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Katar stoppen (Drucksache 17/5949) . . . . . . . . . . . . . . . . p) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gregor Gysi, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Alge- rien stoppen (Drucksache 17/5950) . . . . . . . . . . . . . . . . q) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag 13043 A 13043 A 13043 B 13043 B 13043 C 13043 C 13043 D 13043 D der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rüstungsexporte in Staaten des Nahen Ostens einstellen – Militärische Zusammenarbeit beenden – Atomwaf- fenfreie Zone befördern (Drucksachen 17/2481, 17/4508) . . . . . . . r) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Mit Transparenz und parlamentari- scher Beteiligung gegen die Auswei- tung von Rüstungsexporten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Hans-Christian Ströbele, Agnes Malczak, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genehmigung für Waffenexporte bei Unzuverlässig- keit konsequent aussetzen (Drucksachen 17/5054, 17/5039, 17/5204, 17/5823) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Elisabeth Winkelmeier- Becker, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU, der Abgeordneten Marlene Rupprecht, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD, der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Christian Ahrendt, Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP sowie der Abgeordneten Katja 13043 D 13044 A 13044 B 13045 B 13046 A 13047 D 13049 A 13049 B 13050 A 13050 B 13050 C 13051 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 VII Dörner, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen (Drucksache 17/6143) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Heidrun Dittrich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unterstützung für Opfer der Heimerzie- hung – Angemessene Entschädigung für ehemalige Heimkinder umsetzen (Drucksache 17/6093) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Straf- rechtsänderungsgesetzes – Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten (Drucksache 17/5933) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen der Ver- einten Nationen gegen Korruption (Drucksache 17/5932) . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13053 C 13053 D 13054 A 13055 A 13056 C 13058 B 13058 C 13059 C 13060 C 13061 D 13062 A 13062 A 13062 D 13063 C 13066 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Inte- rim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Re- solutionen, zuletzt 1937 (2010) vom 30. August 2010 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/5864, 17/6133) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/6134) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Fraktion der SPD: Die UN- Leitlinien für menschenrechtlich ver- antwortliches unternehmerisches Han- deln aktiv unterstützen (Drucksache 17/6087) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Die Chance zur Stärkung des UN-Menschenrechtsrates nutzen (Drucksachen 17/5482, 17/6078) . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 13066 C 13067 C 13069 B 13070 D 13071 B 13071 C 13072 C 13072 C 13072 D 13073 D 13075 A 13076 A 13076 D 13077 C 13078 D 13080 D 13078 D 13079 A 13079 A VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicher- heitspräsenz (KFOR) und den Regie- rungen der Bundesrepublik Jugosla- wien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksachen 17/5706, 17/6135) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/6136) . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller- Ohm, Silvia Schmidt (Eisleben), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Barrierefreier Touris- mus für alle (Drucksache 17/5913) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Infek- 13083 A 13084 C 13085 B 13086 B 13087 A 13088 B 13083 C 13083 D 13089 D 13091 A 13091 D 13092 D 13093 D 13095 A 13114 C 13095 B tionsschutzgesetzes und weiterer Ge- setze (Drucksachen 17/5178, 17/6141) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze (Drucksachen 17/5708, 17/6141) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Bas, Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Besserer Schutz vor Krankenhaus- infektionen durch mehr Fachperso- nal für Hygiene und Prävention – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kran- kenhausinfektionen vermeiden – Tödliche und gefährliche Keime be- kämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Prävention gegen Kranken- hausinfektionen verbessern (Drucksachen 17/4452, 17/4489, 17/5203, 17/6141) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wirksamen Verbraucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen (Drucksache 17/5917) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf (Drucksache 17/6000) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verein- barkeit von Pflege, Familie und Beruf verbessern – Pflegende Bezugspersonen wirksam entlasten und unterstützen (Drucksache 17/1434) . . . . . . . . . . . . . . . 13095 C 13095 C 13095 C 13096 B 13096 C 13096 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 IX c) Antrag der Abgeordneten Kathrin Senger- Schäfer, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bezahlte Pflegezeit einführen – Organisation der Pflege si- cherstellen (Drucksache 17/1754) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszu- gehörigkeit (ÄVFGG) (Drucksache 17/2211) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Cornelia Möhring, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sexuelle Men- schenrechte für Transsexuelle, Trans- gender und Intersexuelle gewährleisten – Transsexuellengesetz aufheben (Drucksache 17/5916) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für die Fortentwick- lung des Emissionshandels (Drucksachen 17/5296, 17/5711, 17/6124) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/6125) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermitt- ler- und Vermögensanlagenrechts (Drucksache 17/6051) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13096 D 13097 A 13097 A 13097 C 13097 D 13098 A 13099 B 13100 D 13102 C 13104 B Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Lambrecht, Petra Crone, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Öffnung der Ehe (Drucksachen 17/2113, 17/2023, 17/4516) . . Tagesordnungspunkt 20: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ein- richtung einer Interparlamentarischen Konferenz zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Gemeinsa- men Sicherheits- und Verteidigungs- politik der Europäischen Union (Drucksachen 17/5903, 17/6140) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Gloser, Dietmar Nietan, Johannes Pflug, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine wirkungsvolle interparlamentari- sche Begleitung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik im Geiste des Vertrages von Lissabon – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kriterien und Anforderungen für eine parlamentarische Beteiligung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (Drucksachen 17/5389, 17/5771, 17/6137, 17/6138) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Lothar Binding (Heidelberg), Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion 13105 B 13105 C 13105 D X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte in- digener Völker stärken - ILO-Konven- tion 169 ratifizieren (Drucksache 17/5915) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Ver- bot von Koka-Blättern – Für die völker- rechtliche Anerkennung als schützens- werte Kultur der indigenen Völker im Anden-Raum (Drucksache 17/6120) . . . . . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP). . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 16: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Belarus nach den Wahlen – Repressionen beenden (Drucksache 17/6144) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Sevim Dağdelen, Alexander Ulrich, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für die Demo- kratisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei (Drucksachen 17/1101, 17/2025) . . . . . . . . . . Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 13106 B 13106 C 13106 D 13108 C 13109 B 13111 A 13112 A 13113 A 13116 B 13116 D 13117 A 13117 C 13118 C 13119 B 13120 A 13121 A Durchsetzung und Evaluation des Reise- rechts verbessern (Drucksachen 17/4041, 17/5562) . . . . . . . . . . Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Alphabetisierung und Grund- bildung in Deutschland fördern (Drucksache 17/5914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Adulte Stammzellforschung ausweiten, Forschung in der regenerativen Medizin voranbringen und Deutschlands Spitzen- position ausbauen (Drucksachen 17/908, 17/3618) . . . . . . . . . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Annette Groth, Sevim Dağdelen, weiterer 13122 B 13122 C 13124 A 13125 B 13126 A 13126 C 13127 C 13127 D 13128 C 13129 C 13131 A 13132 A 13132 D 13133 D 13135 A 13135 B 13135 D 13137 C 13138 C 13139 C 13140 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 XI Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbeuterische Kinderarbeit weltweit bekämpfen (Drucksache 17/5759) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Katrin Werner, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbot der Ein- fuhr, des Handels und der Verwendung von Steinprodukten, die durch ausbeu- terische Kinderarbeit hergestellt wur- den (Drucksache 17/5803) . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Barrierefreier Tourismus für alle (Tagesordnungspunkt 12 ) Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Besserer Schutz vor Krankenhausinfektio- nen durch mehr Fachpersonal für Hygiene und Prävention 13141 D 13141 D 13142 A 13143 C 13144 B 13145 D 13147 A 13148 A 13149 A 13150 C 13151 A 13151 C 13152 D 13154 B 13155 C 13156 D 13157 D – Krankenhausinfektionen vermeiden – Töd- liche und gefährliche Keime bekämpfen – Prävention gegen Krankenhausinfektionen verbessern (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP). . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wirksamen Verbraucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen (Tagesordnungs- punkt 14) Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE). . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – Antrag: Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf verbessern – Pflegende Bezugs- personen wirksam entlasten und unterstüt- zen – Antrag: Bezahlte Pflegezeit einführen – Organisation der Pflege sicherstellen (Tagesordnungspunkt 15 a bis c) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13158 D 13160 B 13161 B 13162 D 13164 B 13164 C 13165 C 13166 D 13167 D 13168 D 13169 C 13170 C 13171 C 13172 C 13173 B 13174 B 13175 A 13175 D 13176 C 13177 A XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für die Fortentwicklung des Emissionshandels (Tagesordnungspunkt 17) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . . – Kriterien und Anforderungen für eine parlamentarische Beteiligung an der Gemeinsamen Außen- und Sicher- heitspolitik der EU (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU . . . . . . . . .13178 A 13190 A Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Gleichstellung eingetragener Lebenspart- nerschaften – Öffnung der Ehe (Tagesordnungspunkt 19) Ute Granold (CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE). . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Einrichtung einer Interparlamen- tarischen Konferenz zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Ge- meinsamen Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik der Europäischen Union – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Für eine wirkungsvolle interparlamen- tarische Begleitung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik im Geiste des Vertrages von Lissabon 13179 B 13180 C 13182 B 13182 D 13183 D 13184 C 13186 C 13187 D 13188 B 13189 A Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit (ÄVFGG) – Antrag: Sexuelle Menschenrechte für Transsexuelle, Transgender und Inter- sexuelle gewährleisten – Transsexuellen- gesetz aufheben (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Belarus nach den Wahlen – Re- pressionen beenden (Zusatztagesordnungs- punkt 16) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13191 B 13192 B 13194 B 13195 B 13196 C 13197 B 13199 A 13200 B 13201 A 13201 C 13202 B 13203 A 13203 D 13204 D 13205 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 12955 (A) (C) (D)(B) 114. Si Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13151 (A) (C) (D)(B) Vielerorts ist die Zugänglichkeit von Freizeit- und Kultureinrichtungen deutlich verbessert worden. Auch Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Danckert, Peter SPD 09.06.2011 Friedhoff, Paul K. FDP 09.06.2011 Gleicke, Iris SPD 09.06.2011 Goldmann, Hans- Michael FDP 09.06.2011 Gruß, Miriam FDP 09.06.2011 Gunkel, Wolfgang SPD 09.06.2011 Höger, Inge DIE LINKE 09.06.2011 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.06.2011 Kopp, Gudrun FDP 09.06.2011 Kramme, Anette SPD 09.06.2011 Kressl, Nicolette SPD 09.06.2011 Dr. Lotter, Erwin FDP 09.06.2011 Möller, Kornelia DIE LINKE 09.06.2011 Nahles, Andrea SPD 09.06.2011 Nink, Manfred SPD 09.06.2011 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.06.2011 Özoğuz, Aydan SPD 09.06.2011 Reichenbach, Gerold SPD 09.06.2011 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 09.06.2011 Schlecht, Michael DIE LINKE 09.06.2011 Thönnes, Franz SPD 09.06.2011 Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 09.06.2011 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 09.06.2011 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Barrierefreier Tou- rismus für alle (Tagesordnungspunkt 12) Marlene Mortler (CDU/CSU): Barrierefreiheit ist eine Grundvoraussetzung für die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinde- rungen am gesellschaftlichen Leben. Diesen Satz kön- nen wir bestimmt alle dick unterstreichen. Und trotz- dem: Barrierefreies Reisen für alle ist und bleibt unser großes, noch unerreichtes Ziel. Dazu gehört die Zugäng- lichkeit von Gebäuden, öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln. Denn wir wollen, dass möglichst alle Menschen selbstständig reisen können. Wer verbirgt sich hinter „alle“? Wir meinen Gehbehinderte und Rollstuhl- fahrer, Gehörlose, Sehbehinderte, Blinde und Menschen mit anderen Sinneseinschränkungen oder mit Lern- oder geistiger Behinderung. Barrierefreie Angebote kommen nicht nur Menschen mit dauerhaften Behinderungen zugute, sondern ebenso Familien mit kleinen Kindern und Kinderwagen, Men- schen mit vorübergehend eingeschränkter Mobilität so- wie älteren Menschen. Angesichts des demografischen Wandels wird dieser Aspekt noch weiter an Bedeutung gewinnen. Denn der Anteil älterer Menschen in unserem Land wird zahlenmäßig stark wachsen. Viele Tourismusanbieter und Verkehrsunternehmen haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend auf mo- bilitätseingeschränkte Gäste eingestellt und beispielhafte Angebote geschaffen. Viele Tourismusverbände und die Deutsche Zentrale für Tourismus weisen auf solche An- gebote hin. Das heißt wir beginnen nicht bei „null“. Eine gute Arbeit leistet auch die Nationale Koordinie- rungsstelle Tourismus für alle, NatKo. Sie legt großen Wert auf eine durchgehend barrierefreie touristische Ser- vicekette: von der Information und Buchung über die Anreise, Unterkunft bis zu Freizeit- und Kulturangebo- ten am Zielort. Gerade für Menschen mit Behinderungen ist eine detaillierte Reiseplanung mit verlässlichen Infor- mationen unverzichtbar. Wir setzen uns dafür ein, dass die Bundesregierung Projekte der NatKo auch weiterhin fördert und die NatKo bei ihrer Arbeit intensiv unter- stützt und begleitet. Besonders hervorheben möchte ich auch die Arbeits- gemeinschaft Barrierefreie Reiseziele in Deutschland, ein Verbund von Städten und Tourismusregionen, die ihre Angebote gemeinsam vermarkten und sich mit ihren Er- fahrungen für die Weiterentwicklung des barrierefreien Tourismus in ganz Deutschland einsetzen. Auch meine Heimat, das Fränkische Seenland, ist eine dieser Regio- nen mit Vorbildcharakter, ja sie gehört sogar zu den sechs Gründungsmitgliedern der Arbeitsgemeinschaft. 13152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Nationalparks und Naturparke richten sich auf behinderte Gäste ein. Dennoch haben Menschen mit Behinderungen es nach wie vor nicht einfach, wenn sie ihre Reisen planen und durchführen. Trotz vielfältiger Investitionen und In- formationen gibt es immer noch Handlungsbedarf bei den einzelnen Verkehrsträgern, touristischen Leistungsanbie- tern, im Gastgewerbe, bei der Vernetzung, Koordinierung und Vermarktung bestehender Angebote und trotz geziel- ter Qualifizierung auch noch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Bundesregierung hat sich in ihren Tourismuspoli- tischen Leitlinien im Dezember 2008 zum umfassenden Ausbau der Barrierefreiheit bekannt und in den letzten Jahren auch mehrere Untersuchungen in Auftrag gege- ben. Dabei wurden die große wirtschaftliche Bedeutung und die enormen Potenziale dieses Marktsegmentes deutlich. So werden jährlich circa 2,5 Milliarden Euro Umsatz durch Urlaube von behinderten Menschen er- wirtschaftet. Wir wollen, dass Barrierefreiheit zu einem Qualitäts- merkmal des Deutschlandtourismus wird. Hier gibt es bereits viele gute beispielhafte Ansätze in ganz Deutsch- land, die wir weiter ausbauen müssen. Die Entscheidungsträger auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie bei den Leistungsanbietern ha- ben ihre Verantwortung erkannt und arbeiten an der Um- setzung der vielfältigen Verbesserungsmöglichkeiten. Wir erleben in jeder Sitzung des Tourismusausschusses, dass jeder Fraktion dieses Thema eine Herzensangelegenheit ist. Darüber freue ich mich sehr. Das sage ich auch aus ei- gener Erfahrung. Ich bin mit meinem Zwillingsbruder aufgewachsen, und wir beide waren schwer an Kinderlähmung erkrankt. Ich hatte Glück und die Erkrankung war eines Tages ein- fach wieder weg. Was geblieben ist, ist der Einblick in die Situation und die Sorge, wie ich helfen und unterstüt- zen kann. Geblieben ist auch das Bedürfnis, meinen Bei- trag für Verbesserungen zu leisten. Geprägt durch meine eigene Kindheit kann ich mich viel intensiver in die Lage von behinderten Menschen hineinversetzen. Der vorliegende Antrag der SPD spricht viele richtige Punkte an. Wir hätten uns aber auch eine stärkere Würdi- gung der umfangreichen Anstrengungen und Ergebnisse gewünscht, die wir doch alle täglich selbst im Alltag er- leben. Es zeigt sich wieder einmal, dass man es sich in der Opposition sehr leicht machen kann mit Forderun- gen, ohne sich gleichzeitig wirklich ernsthaft Gedanken um die Finanzierung zu machen. Beispielsweise ignoriert die Forderung nach einer um- fassenden Barrierefreiheit im Bahnverkehr, dass die Deutsche Bahn AG bereits seit längerem intensiv daran arbeitet: Von insgesamt 5 700 Bahnhöfen sind bisher 2 000 Bahnhöfe barrierefrei umgebaut, pro Jahr kommen weitere 100 Bahnhöfe dazu. Aus lokaler oder touristi- scher Sicht kann man sich sicherlich manchmal eine an- dere Priorität der Maßnahmen im Einzelfall vorstellen. Auch ich wünschte mir, dass es viel schneller ginge. Aber man muss auch die finanziellen Grenzen realistisch se- hen. Ich habe mich selbst immer wieder für den zügigen Umbau der Bahnhöfe in meinem Wahlkreis eingesetzt. Am Ende zählen aber nur das Ganze und die Realität. Dies gilt auch für die Forderung, dass in allen Zügen eine fahrzeuggebundene Ein- und Ausstiegstechnik vor- handen sein soll. Das teile ich. Eine Umrüstung aller jet- zigen Züge ist aber finanziell nicht zu stemmen. Bei den nächsten Zuggenerationen, die voraussichtlich in weni- gen Jahren zum Einsatz kommen werden, sind solche Ein- stiegshilfen dann ganz selbstverständlich. Das ist doch auch eine gute Botschaft. Seit dem März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskon- vention auch für Deutschland verbindlich. Diese Konven- tion und der zur Umsetzung von der Bundesregierung entwickelte nationale Aktionsplan sollte auch in Land- kreisen und Kommunen beachtet und ernst genommen werden. Fragen Sie doch einmal vor Ort nach, was in Ih- ren Kommunen zur Umsetzung getan wird. In meinem Landkreis ist das vorbildlich. Alle Akteure ziehen an ei- nem Strang. Hier ist das Bewusstsein unten angekom- men. Dabei geht es nicht immer nur um neue Gesetze, Ver- ordnungen, Regulierungen und teure Investitionen. Häu- fig ist schon sehr viel mit einer klaren und gut lesbaren Kennzeichnung und einer deutlich sichtbaren Ausschil- derung der vorhandenen Möglichkeiten geholfen. Immer wieder zeigt sich, dass erst eine Einbindung von behin- derten Menschen und ihrer Interessenverbände Schwach- stellen vor Ort auch in kleinen, aber entscheidenden De- tails aufdeckt, die man nur aus eigener Erfahrung erkennen kann. Deshalb ist die Funktion der Behinderten- beauftragten zum Beispiel in meinem Landkreis ein gro- ßer Gewinn für alle, im Sinne eines barrierefreien Touris- mus für alle. Wir werden uns in den Ausschussberatungen intensi- ver mit dem Antrag und den einzelnen Forderungen be- schäftigen. Ich bin mir sicher, dass wir in vielen Punkten und Zielen eine große Übereinstimmung haben. Ich glaube auch, dass wir dabei zum Ergebnis kommen wer- den, dass oftmals die Weichen bereits richtig gestellt sind. Lassen Sie uns diese Fragen realistisch angehen, vorhandene Initiativen weiter unterstützen und stärken und gemeinsam für mehr Barrierfreiheit für alle kämp- fen. Christian Hirte (CDU/CSU): Als Mitglied im Um- weltausschuss muss ich gestehen: Nach all den hekti- schen und aufgeregten Debatten dieser Tage freue ich mich, dass wir jetzt über ein Thema reden, bei dem es im Grunde etwas ruhiger zugeht und bei dem wir über alle Parteigrenzen hinweg immer sehr sachorientiert und oft gemeinsam Ziele verfolgen. Bei vielleicht keinem ande- ren Thema tun wir das so intensiv wie bei der Frage des barrierefreien Tourismus. Ich bin seit jetzt ziemlich ge- nau drei Jahren im Bundestag und auch Mitglied im Tou- rismusausschuss, und ich kann mich eigentlich an keine touristische Initiative erinnern, bei der wir nicht ganz be- sonders auch darauf hingewiesen hätten, dass Barriere- freiheit bei den Angeboten zu berücksichtigen sei. Ich denke da nur an den Antrag aus dem letzten Jahr, den Kulturtourismus zu fördern, oder auch an unsere Initiati- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13153 (A) (C) (D)(B) ven im Rahmen der Lutherdekade. Oder denken Sie an die Expertenanhörungen in unserem Ausschuss: Immer wieder adressieren Abgeordnete aller Fraktionen an die Vertreter, bei Barrierefreiheit weiter voranzugehen. Das zeigt doch, dass bei uns allen das Thema angekommen ist. Barrierefreiheit ist ein wichtiges Thema, und es ge- winnt immer weiter an Bedeutung. Das sehen und erle- ben wir alle miteinander täglich. Barrierfreiheit geht uns alle an. Wir haben Kinder oder Enkel, mit denen wir die Barrieren des Alltags zu meistern haben, etwa mit einem Kinderwagen. Als Vater zweier kleiner Kinder kann ich davon ein Lied singen. Wir werden alle aber auch ir- gendwann einmal älter und sind nicht mehr so mobil, hö- ren schlechter, sehen schlechter. All das baut Barrieren auf. Die demografische Entwicklung kommt hinzu und macht uns deutlich, dass das Thema immer mehr an Fahrt gewinnt und weiter gewinnen wird. Deshalb finde ich es im Grunde auch begrüßenswert, wenn wir nun einen konkreten Antrag diskutieren, der sich mit dem Thema auseinandersetzt. Denn uns allen ist klar, dass es immer noch viel zu tun gibt, nicht zuletzt deshalb – ich habe es erwähnt –, weil die Zahl der Be- troffenen größer wird. Ich muss allerdings auch sagen: Mein erster Eindruck beim Lesen Ihres Antrages, liebe Kollegen von der SPD, war: Das ist ein Steinbruch von allem, was man sich so wünscht und wie man sich die Welt gern zurechtzim- mern möchte. Vor ungefähr einem Jahr gab es aus der Fraktion der SPD eine Kleine Anfrage zum Thema „Her- stellung umfassender Barrierefreiheit“. Dort haben Sie einen Schwerpunkt bei Fragen zum Bauen und Wohnen gelegt. Deshalb kommen diese Aspekte wahrscheinlich auch nicht ganz zufällig jetzt hier recht prominent vor. Ich will aber gleich an dieser Stelle sagen: Ich halte es für etwas überambitioniert, was Sie alles gern durchge- setzt hätten. Wir werden dann im Ausschuss genügend Zeit haben, im Einzelnen Ihre Punkte zu beleuchten. Deshalb will ich es auf wenige Bemerkungen begrenzen. Sie haben einige Forderungen bezüglich des barriere- freien Reisens aufgestellt. Die Bahn solle etwa die An- gebote beim Einsteige-, Umsteige- und Ausstiegsservice ausbauen. Ich muss Ihnen sagen, meine Privatempirie ist eine andere. Wir beurteilen ja immer Politik und Bedarf nach dem, was an uns herangetragen wird und was wir so im Alltag erleben. Daher will ich Ihnen gern von einer Zusammenkunft in meinem Wahlkreis in der letzten Wo- che berichten. Es ging um einen barrierefreien Weg zu einem Bahnhof in meiner Heimatstadt Bad Salzungen. Seit vielen Jahren wird dort auf eine Lösung gedrängt; die Bahn wird jetzt bis 2013 einen Aufzug bauen. Das würde ich mir auch gern schneller denken, aber immer- hin, nun geht es endlich los. Unter anderem wurde auch gefordert, die Bahn solle mit mehr Personal beim Um- steigen helfen. Viele Politiker haben diskutiert und la- mentiert, und am Ende stand die Behindertenbeauftragte des Landkreises auf und sagte: „Seien wir doch froh, dass es nun endlich losgeht. Im Übrigen hat die Bahn bisher immer für jeden ein Hilfsangebot bieten können, wenn man sich vorher angemeldet hat.“ Ich will damit nicht sagen, dass alles super und per- fekt läuft, aber mitunter legen wir vielleicht auch einen Aktionismus an den Tag, der gar nicht angebracht ist, weil alle Beteiligten sich in der Praxis und im Alltag längst auch praktikable Lösungen ausgedacht haben. Wir wollen immer Bürokratieabbau, aber gleichzeitig fallen uns immer wieder tausend Dinge ein, bei denen der Staat handeln soll, bei denen neue Gesetze hermüssen, die dann natürlich auch wieder kontrolliert werden müssen. Manchmal ist es aber vielleicht tatsächlich ausreichend, auf die Kreativität und die Intelligenz der Menschen in der Praxis zu vertrauen. Dann fordern Sie zum Beispiel, die Regierung solle sich gegenüber den Ländern einsetzen, dass Kommunen Wege zu Haltestellen und Taxiständen barrierefrei hal- ten. Ich bin sehr für barrierefreie Wege überall. Aber das ist am Ende nicht mein Verständnis von Politik. Der Bund soll an die Länder herantreten, die an ihre Kom- munen, und dann soll was passieren? Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung sehen für mich anders aus. Im Übrigen gibt es doch vor Ort in den Kommunen zum Beispiel Behindertenbeauftragte, die genau diese Dinge im Blick haben, viel besser, als wir das hier vom grünen Tisch aus je haben können. Mir ist kein Bauprojekt be- kannt, bei dem man in den letzten Jahren bei Um- oder Neubau nicht genau auf diese Barrierefreiheiten geachtet hat. Dann fordern Sie zum Beispiel die Abstimmung „zwischen allen Akteuren aus Betroffenengruppen, Poli- tik, Tourismuswirtschaft und Verkehrsunternehmen“ – im Idealfall durch Runde Tische. Da muss ich doch sa- gen: Einbindung ist ja richtig und wichtig. Dafür haben wir Anhörungen, Stellungnahmen usw. Aber wir sollten auch die Kirche im Dorf lassen und Runde Tische nicht zur neuen Allzweckwaffe erklären. Was ist denn dann am Ende eigentlich noch die Aufgabe eines Parlaments? Die Regierung moderiert Runde Tische, und das Parla- ment steht noch bei der Einladung auf dem Briefbogen? Das ist einer der Punkte, bei denen Sie doch übers Ziel hinausschießen in Ihrem Antrag. Aber zurück zur Barrierefreiheit. Denken Sie doch gerade im Bereich des Bahnverkehrs an die Sonderpro- gramme im Rahmen des Konjunkturpaketes. Sie müssen nur einmal hier in Berlin schauen, an wie vielen Stellen gerade S- und U-Bahnhöfe mit Aufzügen versehen wer- den. Zeit wird es ja auch, aber in diesem Umfang mög- lich wurde es erst dank des Anstoßes der Bundesregie- rung und des Bundestags. Gerade für diese Beispiele möchte ich auch gern einmal Danke sagen an dieser Stelle, dass das auf den Weg gebracht werden konnte. Jeder von uns hat sicher weitere Beispiele aus dem ei- genen Wahlkreis, bei dem Bahnhöfe im Rahmen des Konjunkturpaketes ein Stück barrierefreier gemacht wurden. Wie gesagt, nichts, was nicht auch noch besser werden könnte. Aber alles auf einmal, alles möglichst ganz schnell geht eben leider auch nicht. Denn wir haben auch noch ein paar andere Aufgaben, vor denen wir ste- hen, in die wir investieren müssen. Den Haushalt wollen wir auch noch konsolidieren. Deshalb muss alles eben auch mit dem nötigen Augenmaß geschehen. 13154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Barrierefreiheit ist aber mehr als nur ebenerdiger Zu- gang und breite Wege für Rollstühle. Wir dürfen dann auch nicht andere Einschränkungen vergessen: Sehbe- hinderungen oder Hörgeschädigte. Ich will ganz offen sagen, dass ich mir insgesamt mehr Vorbildprojekte wünschen würde für wirklich umfassende Barrierefrei- heit. Im Tourismus würde das auch heißen, wir müssen die gesamte Leistungskette in den Blick nehmen, so wie es die Bundesregierung in ihren „Tourismuspolitischen Leitlinien“ 2009 benannt hat. Sie haben die Leistungs- kette in Ihrem Antrag auch erwähnt. Wir müssten also anfangen bei den Internetseiten, die barrierefrei sein müssten, über Ankunftsorte wie Bahnhöfe, Hotels, Mu- seen, Beschilderungen, Gehwege, Ausstellungsräume und und und. Sie sehen, das ist eine wirkliche Mammut- aufgabe. Deshalb gilt hier noch mehr: Nicht alles geht, nicht alles kann sofort passieren. Gerade der Tourismus lebt von Erfahrungen toller Best-Practice-Beispiele. Vielleicht schaffen wir es ja, in diesem Bereich eines wirklich umfassenden barriere- freien Tourismus einige Best-Practice-Beispiele auf den Weg zu bringen: Vorbilder schaffen, Modelle entwi- ckeln, die mit ihrem Erfolg dann andere anstecken kön- nen. „Wegweisende Modellprojekte fördern“ schreiben Sie am Ende Ihres Antrages. Das fände ich zum Beispiel spannend. Ich war am Montag gerade auf der Wartburg; dort wurde verkündet, dass 2017 im Jubiläumsjahr der Refor- mation eine nationale Ausstellung auf der Wartburg stattfinden wird. Auch in Berlin und Wittenberg wird es Ausstellungen geben. Auch Torgau zum Beispiel wird eine wichtige Rolle spielen, und viele andere Orte auch. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir im Rahmen der vielen Projekte in der Lutherdekade – hier gibt der Bund auch jährlich 5 Millionen Euro – genau solche Projekte herausstellen: Ausstellungen, die zum Beispiel auch für Seh- und Hörgeschädigte barrierefrei sind, Wege von den Bahnhöfen in die Museen und Ausstellungsorte, die von allen Barrieren frei sind? So ein großes und langfris- tiges Ereignis wie die Lutherdekade wäre vielleicht ein tolles Vorzeigeprojekt wie vielleicht auch die vielen Kul- tureinrichtungen, die unter anderem vom Bund gefördert werden. Vielleicht kann es gelingen, dort einmal exem- plarisch an ein, zwei Beispielen solche vollumfassende Barrierefreiheit zu entwickeln. Der Antrag enthält einige Punkte, die ich wirklich spannend finde, bei denen eine Diskussion lohnt. Ich glaube aber, dass Sie an vielen Stellen zu viel zu schnell einfordern und auch manches unausgegoren ist. Beim Ziel Barrierefreiheit sind wir uns sicher völlig einig. Lassen Sie uns die Diskussion im Ausschuss nutzen, die Punkte einzeln durchzusprechen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Es ist sehr bedauerlich, dass wir unsere Reden zu diesem wichtigen Tagesord- nungspunkt heute wegen der fortgeschrittenen Zeit zu Protokoll geben müssen. Barrierefreiheit muss uns alle interessieren; denn jeder und jede von uns kann von ei- ner zur nächsten Minute hierauf angewiesen sein. Die SPD-Fraktion hat ein umfassendes Positions- papier mit Menschen mit Behinderungen und ihren Ver- einen und Verbänden erarbeitet, um Barrieren im tägli- chen Leben und in den Köpfen einzureißen. Heute debattieren wir über barrierefreien Tourismus. Wie kann Deutschland zum Reiseland für alle werden? Wie erreichen wir es, dass alle Menschen, ob alt oder jung, körperlich oder geistig eingeschränkt oder nicht, Urlaub in Deutschland machen können? Auf diese Fra- gen müssen wir Antworten geben. Die Herausforderun- gen sind gewaltig. Wir packen sie an und zeigen mit un- serer parlamentarischen Initiative Lösungswege auf. Urlaub in Deutschland wird immer beliebter, und der Tourismus bleibt Wirtschaftsmotor. Die aktuellen Zahlen des ersten Quartals 2011 machen das deutlich: 5,5 Pro- zent mehr Gästeankünfte und über 3 Prozent Zuwachs an Übernachtungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Aber viele Menschen, die gerne Urlaub machen würden, können es nicht, weil ihnen Wege oder Gebäude ver- sperrt sind, sie nicht in die Bahn kommen oder sich auf Plätzen und Bahnhöfen nicht orientieren können. Ich spreche von den rund 8 Millionen Menschen mit Behin- derungen in Deutschland – aber auch aus dem Ausland – und von Senioren und Kindern, die vor den unterschied- lichsten Barrieren stehen. Wir haben die Aufgabe, allen Menschen zu ermögli- chen, in unserem Land Urlaub zu machen. Das gibt auch die seit 2009 für Deutschland geltende UN-Behinderten- rechtskonvention vor. Sie ist ein Meilenstein auf dem Weg, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Die UN-Konvention zeigt gewaltigen Handlungsbedarf für den Tourismus auf. Um die Art. 9 und 30 der Konven- tion zu erfüllen und allen Menschen barrierefreien Zu- gang und die Teilhabe an Kultur, Erholung und Freizeit zu gewähren, müssen wir mehr als bisher leisten. Die vielen positiven Beispiele, die es schon gibt, ge- ben die Richtung vor. Vor einem Monat wurde der barrie- refreie Naturerlebnisraum des Nationalparks Eifel eröff- net. Unter Mithilfe der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle, NatKo, wurde ein 4 Kilometer langer barrierefreier Rundwanderweg geschaffen: mit geringen Steigungen, die für Rollstuhlfahrer geeignet sind, Leit- streifen für blinde Menschen und Schulungen für Wald- führer. Auch Vorabinformationen sind für die Betroffe- nen wichtig. In meinem Wahlkreis Lübeck gibt es dazu seit letzter Woche einen Behindertenwegweiser, der online Piktogramme und weitere Informationen über Barrierefreiheit zu allen öffentlichen Einrichtungen be- reithält. Davon profitieren Ortsansässige und Touristen gleichermaßen. Solche Anstrengungen brauchen wir flä- chendeckend in der gesamten touristischen Servicekette. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam mit der Tourismuswirtschaft und den Verkehrsunterneh- men sorgen. Das Potenzial eines barrierefreien Deutschlandtouris- mus ist längst bekannt. Die 2003 unter Rot-Grün vorge- stellte Leitstudie zeigt, dass mit dem Abbau von Barrie- ren im Deutschlandtourismus fast 5 Milliarden Euro zusätzlicher Umsatz möglich sind. Rund 90 000 Voll- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13155 (A) (C) (D)(B) zeitarbeitsplätze könnten damit geschaffen werden. Das Potenzial wird infolge des demografischen Wandels noch deutlich wachsen. Denn ältere Menschen mit Mo- bilitäts-, Seh- oder Hörproblemen profitieren ebenfalls von gut erreichbaren Hotels und Gaststätten, Museen und barrierefreien Verkehrsmitteln. Leider hinkt die Bundesregierung – wie in so vielen wichtigen politischen Fragen – hinterher. Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts- konvention ist bis heute nicht verabschiedet, obwohl er bereits im März dieses Jahres vorliegen sollte. Der Ent- wurf des Aktionsplans lässt nicht viel Gutes hoffen für die Betroffenen, schon gar nicht im Bereich Tourismus. Dazu verliert der Entwurf gerade einmal neun magere Sätze. Die Bundesregierung verweist auf die Arbeit der Na- tionalen Koordinationsstelle Tourismus für alle. Gleich- zeitig lässt sie diese wichtige Institution für barriere- freien Tourismus offenbar am langen Arm verhungern. So wurden Projektanträge, auf die die NatKo angewie- sen ist, seit Herbst letzten Jahres weder bewilligt noch abgelehnt. Die SPD-Fraktion hat schon im Mai dieses Jahres ihr umfassendes Positionspapier vorgelegt, das im Gegen- satz zum Aktionsplan der Bundesregierung konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte von Men- schen mit Behinderungen vorsieht. Wir machen Nägel mit Köpfen und legen heute mit unserem Antrag einen Maßnahmenkatalog vor, um touristische Angebote für alle Menschen nutzbar zu machen. Wir brauchen einen vom Bund koordinierten Master- plan für barrierefreien Tourismus in Zusammenarbeit mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden. Dabei ist die Einbindung der Betroffenen bzw. ihrer Ver- bände unerlässlich. Die NatKo wollen wir zu einer ent- sprechenden Kompetenzstelle ausbauen. Wir wollen zu- dem mehr Verbindlichkeit, um barrierefreies Bauen zu gewährleisten. So sollte auch bei der Inneneinrichtung Barrierefreiheit berücksichtigt werden. Generell muss die Einhaltung durch unabhängige Stellen kontrolliert werden; denn Planungen werden oft verändert. Um schon von vornherein dafür zu sensibilisieren, sollte Barrierefreiheit Grundlage der Ausbildung von Architekten, Ingenieuren und Handwerkern werden. Bei Großveranstaltungen wie Messen und Kongressen kommt es darauf an, nicht nur den eigentlichen bauli- chen und den Servicebereich barrierefrei zu gestalten, sondern auch das Umfeld von der An- und Abreise bis zur Unterkunft. Wir müssen die Länder ins Boot holen, um zu erreichen, dass auch bestehende Gaststätten barri- erefrei werden. Um Gastwirte, Hotelbetriebe und andere touristische Anbieter beim barrierefreien Umbau zu un- terstützen, fordern wir ein entsprechendes Programm der KfW. Um die Anreize für die Wirtschaft zu erhöhen, muss Barrierefreiheit zu einem Vergabekriterium für Förder- mittel des Bundes bestimmt werden. Zudem sind mehr Anstrengungen und Verbindlichkeit für Barrierefreiheit im Schienenfernverkehr und ÖPNV notwendig. Die DB AG muss ihre Bahnhöfe generell barrierefrei umbauen. In allen Zügen muss fahrzeuggebundene Ein- und Aus- stiegstechnik vorhanden sein. Auch Dienstleistungen wie Fahrkartenkauf oder Reisebuchungen müssen barri- erefrei angeboten werden. Die Anbieter von barriere- freiem Tourismus benötigen ein effektives Marketing. Menschen mit Behinderungen müssen gute Informatio- nen finden, wo sie ihren Bedürfnissen entsprechend am besten Urlaub machen können. Deshalb setzen wir uns für ein bundesweit qualitätsgeprüftes Gütesiegel „Barri- erefreier Tourismus für alle“ ein und fordern eine stär- kere Vermarktung durch die Deutsche Zentrale für Tou- rismus. Der Einsatz für einen barrierefreien Tourismus in un- serem Land lohnt sich. Denn Barrierefreiheit ist für 10 Prozent der Bevölkerung zwingend erforderlich, für über 30 Prozent hilfreich und für 100 Prozent komforta- bel. Diese Erkenntnis muss zum Maßstab der Förderung von barrierefreiem Tourismus werden. Jens Ackermann (FDP): In Deutschland leben 8,7 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Diese Menschen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft, und ihre aktive Teilhabe am Leben in unserem Land hat für uns oberste Priorität. Es ist für uns eine absolute Selbstverständlichkeit. Daher freue ich mich, heute zum Thema barrierefreier Tourismus sprechen zu dürfen. Schon im Koalitionsver- trag haben wir klargestellt: „Wir treten für eine tatsächli- che Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rah- menbedingungen für Menschen mit und ohne Behinde- rungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist un- ter anderem die Barrierefreiheit in allen Bereichen.“ Aber nicht nur daran kann man erkennen, wie wichtig dieses Thema schon früh für uns war und auch weiterhin ist. Deshalb ist es auch nur konsequent, dass wir die Be- rücksichtigung der Barrierefreiheit bei allen Projekten und Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Tourismuspolitik im Arbeitsprogramm des Beauf- tragten der Bundesregierung für den Tourismus, dem Kollegen und Parlamentarischen Staatssekretär Ernst Burgbacher, verankert haben. Das Signal ist klar: Der Bundesregierung ist dieses Thema ernst und wichtig. Sie hat zudem in zwei Studien aus den vergangenen Jahren die ökonomische Bedeutung des barrierefreien Touris- mus für alle in Deutschland untersucht und Erfolgsfakto- ren und Maßnahmen zu dessen Qualitätsverbesserung herausgearbeitet. Zu erwähnen ist aber auch die Arbeitsgemeinschaft „Barrierefreie Reiseziele in Deutschland“. Sie hat von 2008 bis heute mehrere Modellregionen in sich vereint und engagiert sich für die Entwicklung von Angeboten für behinderte Gäste in den Regionen. Die Bundesregierung wird die Entwicklung und Ver- marktung barrierefreier Tourismusangebote und Dienst- leistungen durch geeignete Projekte fördern. Dabei geht es unter anderem um Fragen der Kennzeichnung, der 13156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Entwicklung von Qualitätskriterien, der Schulung von Mitarbeitern entlang der gesamten touristischen Service- kette und der geeigneten Vermarktung. Es ist bereits deutlich geworden, aber ich will es nochmals betonen: Das Thema liegt uns am Herzen, es ist wichtig. Gerade deshalb ist es bedauerlich, dass der hier vorliegende Antrag der SPD nicht nur positiv zu be- trachten ist. So möchte die SPD – wie so oft – mit staat- lichen Sanktionen und Zwang ihre Ziele erreichen. Das kann und darf nicht unser Anspruch sein. Wir als Libe- rale setzen auf die Eigenverantwortung der Menschen – auch der Tourismuswirtschaft. Jedem kleinen Gastwirt ist doch klar, dass er keinen Nachteil davon hat, wenn er auf die stetig wachsende Bevölkerungsgruppe der Älte- ren und Behinderten eingeht. Dennoch ist es unbestritten, dass öffentliche Bereiche zukünftig mindestens barrierearm sein müssen. So for- dern wir auch, bei den Bundesländern dafür zu werben, dass die Zielsetzung Barrierearmut bei Bestandsbauten und Barrierefreiheit bei Neubauten verwirklicht wird. Denn der öffentliche Bereich kann und muss Beispiel für den privaten wirtschaftlichen Sektor sein. Daher sind wir im privaten Bereich auch für weichere Kriterien und Richtlinien. Besser fänden wir es, Anreize zu schaffen. Wichtig dabei ist aber auch der konsequente Wechsel vom staatlichen Fürsorgeprinzip hin zum Recht auf um- fassende gesellschaftliche Teilhabe. Denn wirkliche Be- dürfnisse können nicht über den Kopf der Menschen mit Behinderungen konkretisiert werden. So spielen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit die im Bundesgleichstellungsgesetz verankerten Zielverein- barungen eine große Rolle. Behindertenverbände kön- nen mit Verbänden und Unternehmen der Wirtschaft da- rin die Ziele zur Herstellung von Barrierefreiheit vereinbaren. Schon im Jahr 2005 hat der DEHOGA mit den Behindertenverbänden eine entsprechende Zielver- einbarung zur Erfassung, Bewertung und Darstellung barrierefreier Angebote im Gastgewerbe unterzeichnet. Barrierefreiheit wird auch bei der Hotelklassifizie- rung thematisiert. Bereits 1999 wurde die Nationale Ko- ordinationsstelle Tourismus für Alle e. V. – die soge- nannte NatKo – gegründet. Im Rahmen einer Projektförderung durch das Bundesministerium für Ge- sundheit und zum Teil auch durch das Bundesministe- rium für Wirtschaft und Technologie steht sie Reisever- anstaltern, Verkehrsunternehmen, Tourismusregionen, Hoteliers und weiteren Anbietern als Ansprechpartner und Berater zur Verfügung, um die Gestaltung barriere- freier Angebote zu unterstützen. Beide Angebote bieten so eine gute Grundlage, Wünsche und Bedürfnisse zu er- fassen und deren Umsetzung gemeinsam voranzubrin- gen. Problematisch sehe ich aber im Antrag auch die For- derung nach Initiativen, die in die Kompetenz der Län- der fallen. Die konkrete Planung, Ausgestaltung, Ent- wicklung und unmittelbare Förderung des Tourismus liegen nämlich generell in der Verantwortung der Bun- desländer auf der Basis der allgemein bekannten Subsi- diarität. Der Bund übernimmt nur die Aufgabe, gemein- sam mit den Ländern für geeignete Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Tourismuswirtschaft zu sorgen. Die Bundesregierung kann vielfach nur Anstöße geben, umsetzen müssen die Maßnahmen dann aber die Akteure in den Ländern, Städten, Regionen und Gemeinden. Gemeinsam mit den Ländern wurde auch schon viel erreicht. Dennoch stehen wir zum Beispiel der konkreten Forderung kritisch gegenüber, wonach die Aufnahme von Barrierefreiheitskriterien in die Denkmalschutzge- setze der Länder von der Bundesregierung geprüft wer- den sollte. Ich muss Ihnen wohl nicht erklären, dass dies einen Eingriff in die Zuständigkeit der Länder bedeuten würde, was sowohl verfassungsrechtliche als auch ange- sichts der Zielsetzungen der Behindertenpolitik beunru- higende Probleme nach sich ziehen kann. Zu all diesen Punkten weise ich auf den Nationalen Aktionsplan als Leitlinie hin. Dieser wird eine umfassende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention darstellen. Wir er- warten ihn schon im Sommer dieses Jahres, und er wird die Grundlage weiterer Handlungsschritte auch und ge- rade im touristischen Bereich sein. Ich denke, wir alle in diesem hohen Hause sind uns darin einig, dass Barrierefreiheit zu einem Markenzei- chen des Tourismus in Deutschland werden sollte und vor allem werden kann. Dieses Ziel können wir aber nur gemeinsam erreichen. In diesem Sinne empfehle ich den Antragstellern, anstatt für übereilte Normierungsbedarfe sich lieber für Anwendung der schon bereits vorhande- nen Regelung sowie für die Weiterführung der gesell- schaftlichen Diskussion stark zu machen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Das Thema Barriere- freiheit könnte – nein: sollte! – eines der Leitthemen je- der Regierungspolitik für die nächsten Jahre sein. Es be- trifft alle Lebensbereiche, also auch jedes einzelne Ministerium. Barrierefreiheit im touristischen Bereich – also in der gesamten touristischen Kette – ist ein wich- tiger Teilbereich einer solchen auf Langfristigkeit ange- legten Politik. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtete die Politik ja eigentlich sogar dazu. Leider nimmt die Bundesregierung diese Menschenrechtskon- vention nicht ernst. Insofern könnte der vorliegende SPD-Antrag hilfreich sein, ein Stückchen voranzukom- men. Immerhin gibt es ja Tourismuspolitische Leitlinien der Bundesregierung. Sie wurden in der vergangenen Wahlperiode erarbeitet und verabschiedet. Aber auch ihre eigenen Dokumente nimmt die Regierung nicht ernst. So muss mit Bedauern konstatiert werden, dass auch diese Leitlinien, in denen Barrierefreiheit als tou- ristisches Markenzeichen verstanden wird, das große Po- tenzen – und einen Nutzen-für-alle-Effekt – in sich birgt, bis heute nicht viel mehr als Augenauswischerei waren. Immerhin hatte die Linke bereits am 24. September 2008 einen Antrag „Barrierefreier Tourismus für alle in Deutschland“, Drucksache 16/10317, in den Bundestag eingebracht. Um dem etwas entgegenzusetzen, schob die damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD, am 4. März 2009 ihren Antrag „Barrierefreien Tourismus weiter för- dern“, Drucksache 16/12101, hinterher. Inhaltlich unter- schieden sich die beiden Anträge kaum. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13157 (A) (C) (D)(B) Was passierte dann damit? Der Antrag der Linken wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP abgelehnt. Auf meinen Vorschlag, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten, antwortete die SPD: „Ein gemein- samer Antrag mit der Fraktion Die Linke werde aus praktischen Gründen nicht für zielführend gehalten.“ – nachzulesen in der Beschlussempfehlung vom 14. Mai 2009, Drucksache 16/13046. Wir stimmten dem Koali- tionsantrag trotzdem zu, während die FDP sich der Stimme enthielt, unter anderem mit der Begründung: „Die NatKo (Nationale Koordinierungsstelle für Barrie- refreien Tourismus) sei mit ihrem Etat beim Gesund- heitsministerium angesiedelt. Die Fraktion der FDP ver- trete seit langem die Auffassung, dass Haushaltstitel, die den Tourismus beträfen, mit in den Haushalt des Wirt- schaftsministeriums aufgenommen werden müssten.“ – siehe oben genannte Beschlussempfehlung. Nun also ein Antrag der SPD. Vergleicht man diesen mit den beiden Anträgen aus der vorherigen Wahlperiode, stellt man – obwohl es keine Quellenhinweise gibt – große, teil- weise wörtliche Übereinstimmungen fest. Das finde ich einerseits – inhaltlich – gut, andererseits wird damit auch das Problem deutlich: Es wird mehr geredet als getan. Die Bundesregierung nimmt weder den Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2009 noch ihre eigenen Tou- rismuspolitischen Leitlinien noch ihre in der Koalitions- vereinbarung erklärten Ziele hinsichtlich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der Förderung des barrierefreien Tourismus ernst. Dazu hier nur zwei aktuelle Beispiele: Erstens. Die NatKo ist immer noch im Bundeshaus- halt des Gesundheitsministeriums angesiedelt, obwohl dieses und das Wirtschaftsministerium von FDP-Minis- tern geführt werden. Auch bekommt die NatKo von Jahr zu Jahr weniger Geld, obwohl angesichts der von ihr er- warteten Arbeit deutlich mehr gebraucht würde. Zweitens. In der vor wenigen Tagen veröffentlichten Verordnung der Bundesregierung über das neue Berufs- bild der Tourismuskauffrau/des Tourismuskaufmannes steht wieder nichts zum Thema barrierefreier Tourismus als Ausbildungsinhalt. Als besonders beratungsresistent gebärden sich seit jeher die Bundesbau- und Verkehrs- minister. Schon die vielen SPD-Minister von 1998 bis 2009 haben sich hinsichtlich ihres Engagements für die Schaffung von Barrierefreiheit nicht mit Ruhm bekle- ckert. Bundesminister Ramsauer von der CSU will nun anscheinend all seine Vorgänger noch übertreffen: Barrie- refreiheit ist bei ihm weder bei Fernbuslinien ein Thema noch stört ihn die Tatsache, dass es in Deutschland fast keine barrierefreien Taxen gibt. Aber genau an diesen Stellen – und auch in Bezug auf Reisebusse – wären im Personenbeförderungsgesetz entsprechende, verbindli- che Regelungen vonnöten. Aber dieser Bauminister hat auch keine Übersicht über bestehende Barrieren in sei- nem Verantwortungsbereich oder von ihm geförderte UNESCO-Welterbestätten. Veränderungen im Bundes- baugesetz, in Förderrichtlinien oder bei KfW-Förderpro- grammen? Fehlanzeige! Hier, liebe Kollegin Marlene Mortler und lieber Kollege Ernst Hinsken, empfehle ich Ihnen, ihrem Parteifreund Nachhilfeunterricht zu geben. Vielleicht hülfe es ja? Den Antrag der SPD unterstützt die Linke grundsätzlich. Wir sollten aber bei der Bera- tung in den Ausschüssen schauen, wie wir ihn an der ei- nen oder anderen Stelle noch verbessern können. So feh- len zum Beispiel bei Ihnen ebenfalls die Fernlinien- und Reisebusse sowie die Taxen und Schiffe. Wenn wir über den Schienenpersonenverkehr sprechen, müssen wir be- achten, dass nicht mehr alle Bahnhöfe und Züge der Deutschen Bahn AG unterstehen. Für die Linke hat bar- rierefreier Tourismus neben der wirtschaftspolitischen Dimension vor allem eine menschenrechtliche und soziale Dimension. Wir wollen, auch mit Blick auf die UN- Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 1948, die UN- Behindertenrechtskonvention – insbesondere Art. 30 – und den Ehrenkodex der Welttourismusorganisation, „Tourismus für alle“ in die alltägliche Praxis überführen. Das nützt Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in ihren Kommunen, beim öffentlichen Personenverkehr, beim Einkaufen, bei Theater-, Sport- oder anderen Frei- zeitveranstaltungen, schaffte neue, moderne Arbeits- plätze – auch für Menschen mit Behinderungen – und ist nachhaltig innovativ. Wir müssen mehr zur Förderung des sozialen Tourismus tun, in Deutschland und auch in- ternational. Auch dies ist ein guter Grund für eine Mit- gliedschaft unseres Landes in der Internationalen Orga- nisation für Sozialen Tourismus, OITS, wie es die Linke mit ihrem Antrag zu Beginn dieses Jahres vorgeschlagen hat. Die Diskussion des vorliegenden SPD-Antrags sollte uns – allen im Tourismus Engagierten – Anlass für eine wirkliche Überführung der vielen bekannten Vor- schläge ins Alltagsleben sein. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der wesentlichste Aspekt des Reisens ist die Mobilität. Für viele von uns ist das eine Selbstverständlichkeit. Die An- und Abreise mit der Bahn, die Fahrt mit dem Auto oder der Flug gehören zu fast jedem Urlaub dazu. Eine Reise ohne einen Ortswechsel ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Für circa 20 Millionen Menschen mit einge- schränkter Mobilität in Deutschland ist genau dies aber nach wie vor mit enormen Hindernissen verbunden. Ich spreche hier nicht nur über die körperliche Bewegungs- einschränkung; auch Einschränkungen beim Hören und Sehen, Allergien und viele weitere Beeinträchtigungen können die Mobilität erschweren. Dabei spielen nicht nur die eigenen körperlichen Voraussetzungen eine Rolle, sondern auch die Frage, wie viel Mobilität uns un- sere Umwelt überhaupt ermöglicht. Die Antwort fällt ernüchternd aus: Der touristische Alltag in Deutschland zeigt, dass fast 50 Prozent aller Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Wahl ihres Reiseziels nicht nur von eigenen Wünschen und Vorstel- lungen abhängig machen können, sondern die Wahl auf- grund unzureichender Angebote eingeschränkt wird. Da- mit wird all diesen Menschen die freie Entscheidung, wohin die Reise denn gehen soll, deutlich erschwert. Dieser Zustand ist nicht in unserem Sinne. Hier gilt es, schnell zu handeln und Rahmenbedingungen zu schaf- fen, die allen Menschen eine Reiseentscheidung unab- hängig von Einschränkungen in ihrer Mobilität ermög- licht. Deshalb stellen wir uns hinter den Antrag der SPD- Fraktion. 13158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Der Antrag ist äußerst umfassend. Er greift viele Punkte auf und zeigt damit, wie umfassend das Thema behandelt werden muss. Genau hier hat der Antrag aber auch einige kleine Schwächen. Ein Zuschussprogramm der KfW ist nie sektorspezifisch, sprich: es kann sich nicht explizit und exklusiv an touristische Betriebe wen- den. Bei jeder finanziellen Forderung sollte man auch sagen, wie sie sich gegenfinanzieren lässt oder wo dafür gespart werden sollte. Gerade wenn es sich an die Län- der richtet, also keine Bundeskompetenzen betrifft, sto- ßen wir da auf Probleme. Es gibt noch einen ganz anderen Aspekt, der neben der sozialen Gerechtigkeit für den Abbau von Barrieren im Tourismus spricht. Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist ein Ausbau des barrierefreien Tourismus unumgänglich. Der Tourismus steht in den nächsten Jahrzehnten vor gro- ßen Herausforderungen; so viel ist sicher. Neben Klima- änderungen wird dem demografischen Wandel der be- deutendste Einfluss auf den Tourismus von morgen attestiert. Der Durchschnitt der Touristen wird immer äl- ter, dabei sinkt gleichzeitig die Mobilität. Im Jahr 2020 wird die Zahl der Urlaubsreisenden in Deutschland zwi- schen 65 und 75 auf über 40 Prozent steigen. Es wird deutlich, dass in Zukunft viele Reisende besondere Be- dingungen im Hinblick auf Barrierefreiheit an die Desti- nation ihrer Wahl stellen werden. Die Weichenstellung, wie das Reiseland Deutschland mit diesen Veränderun- gen auf der Nachfrageseite umgeht, muss jedoch schon heute erfolgen. Wie kann sich unsere Tourismuswirtschaft auf diesen Anstieg der Zahl älterer Reisender mit ganz anderen Be- dürfnissen als heute vorbereiten? Neben einer zielgrup- pengerechten Ansprache und auf Senioren abgestimmten Angeboten wird auch hier die Barrierefreiheit eine be- deutende Rolle spielen, um den Senioren von morgen Deutschland als attraktives Reiseziel zu präsentieren. Diese Senioren werden reiseerfahren und deshalb an- spruchsvoll bei der Ausstattung ihrer Wunschdestination sein. Der uneingeschränkte Zugang zu touristischer In- frastruktur darf deshalb in Zukunft nicht die Ausnahme sein, sondern muss zur Selbstverständlichkeit werden. Fernreisen und Anfahrten mit dem eigenen Pkw wer- den mit zunehmendem Alter immer beschwerlicher, wes- halb die Erreichbarkeit von Destinationen mit dem öf- fentlichen Nahverkehr sichergestellt werden muss. Im barrierefreien Tourismus geht es aber nicht nur um die Mobilität. Das komplette touristische Produkt muss nach- haltig und barrierefrei gestaltet werden. Dies schließt alle Teilbereiche der Reisevorbereitung und Reisedurchfüh- rung mit ein. Dazu gehören unter anderem lesbare Reise- informationen, Möglichkeiten des Gepäcktransports, eine adäquate Gesundheitsversorgung vor Ort und vieles mehr. Wenn hier vorausschauend gehandelt wird, kann ein großer Wachstumsmarkt erschlossen werden, der im Moment noch zu einem erheblichen Teil brachliegt. Schätzungen gehen von einem Potenzial, von einer tou- ristischen Wertschöpfung in Höhe von 5 Milliarden Euro und rund 90 000 Stellen aus, die geschaffen werden kön- nen. Auch im internationalen Vergleich ist es für Deutsch- land wichtig, sich als barrierefreie Tourismusdestination zu positionieren. Der demografische Wandel findet nicht nur in Deutschland statt. Mit einem Ausbau des barriere- freien Tourismus können wir für Deutschland im euro- päischen Vergleich ein bedeutendes Alleinstellungs- merkmal schaffen und damit auch internationale, mobilitätseingeschränkte Gäste ansprechen. Gleichzeitig kann ein barrierefreier Deutschlandtourismus als Indika- tor für Innovationsbereitschaft und soziale Nachhaltig- keit stehen und ebenso als Vorbild für den Tourismus des 21. Jahrhunderts dienen. Ich fasse zusammen: Der Ausbau eines nachhaltigen, barrierefreien Tourismus ist heute schon das Recht jedes Betroffenen sowie gleichzeitig eine Notwendigkeit und enorme ökonomische Chance für die Tourismusindustrie in Deutschland. Die Erleichterungen kommen dabei im Endeffekt allen zugute. Die Nationale Koordinations- stelle Tourismus für Alle, NatKo, bringt den gesell- schaftlichen Gewinn mit dem Satz „Für 10 Prozent zwingend erforderlich, für über 30 Prozent hilfreich, für 100 Prozent komfortabel“ auf den Punkt. Hierbei han- delt es sich nur um die aktuellen Zahlen; die Tendenz ist sogar, wie gezeigt, steigend. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um der Tourismus- industrie diesen notwendigen Umbau möglichst schnell zu ermöglichen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Ge- setze – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Besserer Schutz vor Krankenhausinfekti- onen durch mehr Fachpersonal für Hy- giene und Prävention – Krankenhausinfektionen vermeiden – Tödliche und gefährliche Keime bekämp- fen – Prävention gegen Krankenhausinfektio- nen verbessern (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Die Ehec-Ausbrü- che führen derzeit zu einer erheblichen Belastungsprobe unseres Gesundheitssystems. Aber entgegen mancher Unkenrufe und Besserwisserei zeigt sich: Wir haben ein sehr leistungsfähiges Gesundheitssystem. Eine Vielzahl von Instituten, Forschungseinrichtungen und Wissen- schaftlern arbeitet mit den Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern zusammen, um Infektionswege of- fenzulegen und die Quelle zu lokalisieren. Und ange- sichts der Vielfalt der Produkte und Produzenten, von of- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13159 (A) (C) (D)(B) fenen Grenzen und freiem Warenverkehr kann das schon zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen werden. Gleichzeitig leisten Ärzte und Pflegekräfte gerade in Krankenhäusern Großartiges, um den Erkrankten zu hel- fen. Ihnen zollen wir Dank und Anerkennung für ihren Einsatz für die Patientinnen und Patienten! Unsäglich hingegen ist es, wenn durch die unproduk- tive Besserwisserei unser Gesundheitssystem grundsätz- lich infrage gestellt oder gar das Leid von Menschen vor den eigenen politischen Karren gespannt wird. Das ist in der Sache kontraproduktiv und politisch schäbig. Das ändert nichts an der Dramatik der Ereignisse. Menschen sind gestorben. Infektionskrankheiten, auch mit tödlichen Folgen, wird es immer geben. Auch das ist – im wahrsten Sinne des Wortes – menschlich. Aber wir müssen alles tun, um unser gutes Gesundheitssystem noch besser zu machen. Und das machen wir in der christlich-liberalen Koalition an vielen Stellen. Die Än- derungen im Infektionsschutzgesetz sind dafür ein gutes Beispiel. Pläne für einen verbesserten Umgang mit der Gefahr von Infektionskrankheiten gibt es schon lange, schon vor den jüngsten Ehec-Fällen. Insbesondere die multiresis- tenten Erreger sind eine eher stille, aber dafür besonders verheerende Bedrohung. Vor allem im medizinischen Bereich selbst – von Ambulanzen über Krankenhäuser bis hin zu Pflegeheimen – ist die Ansteckungsgefahr be- sonders groß, da sich hier jeden Tag Kranke und Ge- sunde, frisch Operierte und Besucher von draußen be- gegnen. Etwa 400 000 bis 600 000 Patientinnen und Patienten – exakte Zahlen zu nennen, ist gar nicht mög- lich – erkranken in Deutschland jährlich an sogenannten Krankenhausinfektionen. Und etwa 7 500 bis 15 000 sterben daran. Nicht alle Infektionen und Todesfälle können auch mit dem besten Willen, den besten Geset- zen und dem besten Einsatz von Ärzten und Pflegekräf- ten verhindert werden. Aber dem Teil, der vermeidbar ist, muss unsere ganze Aufmerksamkeit gelten. Der Beschluss, den der Deutsche Bundestag heute mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Regelungen fassen wird, zeigt, dass es so ist: Das hoch renommierte Robert-Koch-Institut wird weiter gestärkt. Zur bewährten Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, KRINKO, die sich ja um be- trieblich-organisatorische und baulich-funktionelle Fra- gen in Krankenhäusern und anderen medizinischen Ein- richtungen kümmert, erhält das RKI ein weiteres Standbein. Eine Kommission „Antiinfektiva, Resistenz und Therapie“, ART, wird allgemeine Grundsätze im Bereich der Diagnostik und Therapie, insbesondere bei Infektionen mit resistenten Krankheitserregern erstel- len. Das ist ein wichtiger und logischer Schritt, denn Ärztinnen und Ärzte benötigen für ihr Engagement auch klare und wissenschaftlich abgesicherte Leitlinien. Die Sitzungen erfolgen im Beisein des RKI selbst, aber auch im Beisein von Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit, der obersten Landesgesundheitsbehörden und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizin- produkte. Das gewährleistet eine noch bessere Abstim- mung. Die rechtliche Bedeutung der Empfehlungen, die so- wohl von der KRINKO- als auch der ART-Kommission erstellt werden, sind für die Leiterinnen und Leiter von Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtun- gen, aber auch in ambulanten Praxen unmittelbar gel- tend. Der verbesserte Infektionsschutz erstreckt sich da- mit deutlich über den stationären Bereich hinaus. Im Gegenzug wird bei der vertragsärztlichen Versor- gung eine Vergütungsregelung für die Sanierung von MRSA-besiedelten Patienten und für die diagnostische Untersuchung von Risikopatienten geschaffen. Das ist gerechtfertigt, weil MRSA besonders häufig vorkommt und bereits bei Hautkontakt übertragen werden kann. Mittelfristig ist so auch eine Reduzierung der MRSA-Be- siedlung in Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen zu erwarten. Aber auch Krankenhäuser werden entlastet, denn die meisten Krankenhausaufenthalte sind ja keine Notaufnahmen, sondern geplante Eingriffe nach einer Überweisung. Die Länder wiederum werden verpflichtet, Hygieneverordnungen zu erlassen. Entsprechende Rege- lungen gibt es derzeit leider nur bei weniger als der Hälfte der Länder. Diese Verordnungen richten sich wie- derum an eine Bandbreite medizinischer Einrichtungen, und zwar mit inhaltlichen Kriterien von der Bauart und Ausstattung über Personalfragen bis hin zu Strukturen und Methoden der Infektionserkennung und -dokumenta- tion. Und schließlich halte ich auch die Beteiligung des Gemeinsamen Bundesausschusses als Selbstverwal- tungsgremium für einen entscheidenden Schritt. Der GBA wird insbesondere verpflichtet, in seinen Richtli- nien zur Sicherung der Hygienequalität geeignete Indi- katoren zur Vergleichbarkeit der Einrichtungen zu be- stimmen. So ist gewährleistet, dass sich im Vergleich auch regionale Besonderheiten widerspiegeln – etwa eine besonders hohe Fluktuation in der Einrichtung oder eine Bevölkerungsstruktur, bei der ein statistisch signifi- kantes Auftreten von Risikogruppen festzustellen ist. Denn erst diese Vergleichbarkeit sorgt für die notwen- dige Transparenz und Aussagekraft bei der Bewertung einer Einrichtung. Auch der Gesetzgebungsprozess hat zu einem weite- ren Feinschliff und zu weiteren Verbesserungen der Ge- setzesvorlage geführt. Auf einige Punkte will ich beson- ders eingehen: erstens auf die Frist, die den Ländern zur Verfügung steht, um eine Hygieneverordnung zu erlas- sen. Ursprünglich war eine solche Frist nicht vorgese- hen. Zwar wird es sich kein Land leisten können, untätig zu sein. Aber so wird nochmals der Handlungsbedarf un- terstrichen, und die Länder haben mit dem Stichtag 31. März 2012 auch hinreichend Zeit. Zweitens. Dass das Aufstellen von Hygieneplänen auch für Arztpraxen, Zahnarztpraxen und Praxen sonsti- ger humanmedizinischer Heilberufe gilt, ist ebenfalls ein gutes Ergebnis des Gesetzgebungsprozesses. Drittens – das ist für die medizinischen Einrichtungen besonders wichtig –: Eine weitere Übergangsfrist bis Ende 2016 sorgt dafür, dass medizinische Einrichtungen genügend Zeit bekommen, das notwendige Hygiene- fachpersonal auch wirklich aufbauen zu können. Denn 13160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) insbesondere Fachärzte im Bereich Hygiene, Infektions- epidemiologie und Umweltmedizin, aber auch Mikro- biologen oder Virologen werden noch nicht so bald in ausreichender Zahl auf dem Arbeitsmarkt sein. Wir spre- chen immer vom Fachkräftemangel, oft aufgrund der de- mografischen Entwicklung. Hier haben wir einen echten Vorgeschmack, und dem werden wir begegnen – alleine schon deswegen, weil Hygienefachkräfte durch das Ge- setz eine neue, größere Bedeutung gewinnen. Weitere Verbesserungen des Gesetzgebungsprozesses betreffen die stetige Weiterentwicklung der RKI-Veröffentlichun- gen sowie die Evaluation der heute zu verabschiedenden Maßnahmen bis Ende 2014 in einer förmlichen Unter- richtung durch die Bundesregierung. Mit dem uns nun vorliegenden Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen sorgen wir für bessere Hygienestan- dards – sowohl im engeren Sinn in den Gesundheitsein- richtungen als auch im weiteren Sinn bei der Resistenz- prävention. Unsere Debatten im Bundestag sind in der Regel ja geprägt vom Bemühen, der Kostenentwicklung Herr zu werden und einen gerechten Ausgleich zwischen Leistungsempfängern und Hauptfinanzierern, zwischen Gesunden und Kranken, aber auch zwischen Arm und Reich herzustellen. Mit dem heutigen Beschluss lösen wir zwar die Kostenfrage nicht, verschaffen aber etwas Luft. Denn die beste Kostendämpfung ist immer noch die Infektionsvermeidung. Aber lassen Sie mich darum abschließend noch eine Anmerkung machen – zum Alltag in Kliniken und Arzt- praxen, aber auch mit Blick auf die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten: Auch das beste Gesetz kann die zahlreichen Desinfektionsmaßnahmen bis hin zum einfachen Händewaschen nicht ersetzen. Und kein Gesetz der Welt kann den verantwortungsbewussten und auch disziplinierten Umgang der Patienten etwa bei der Einnahme von Antibiotika erzwingen. Das geht nur, wenn auch das entsprechende Bewusstsein – nicht zu- letzt das Verantwortungsbewusstsein – vorhanden ist. Aber mit dem vorliegenden Gesetz haben wir die Struk- turen und die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheits- systems so verbessert, dass die Grundlage für dieses Be- wusstsein bei den Verantwortungsträgern entscheidend gestärkt wird. Das zeigt: Die Gesundheitspolitik ist bei uns in guten Händen. Stephan Stracke (CDU/CSU): Ganz Deutschland redet momentan über Ehec. Die Quelle des Erregers konnte trotz intensiver Bemühungen bisher nicht gefun- den werden. Dies zeigt: Keime und Bakterien sind tü- ckisch, denn wir können sie nicht sehen. Sie sind der un- sichtbare Feind, dem wir uns entschlossen stellen müssen. Dies gilt ganz besonders auch für Krankenhaus- infektionen. Denn jede Infektion bedeutet persönliches Leid für die Patienten und ihre Angehörigen. Daher sind der christlich-liberalen Koalition der Erhalt und die stete Verbesserung der Hygienesituation an unseren Kranken- häusern ein so wichtiges Anliegen. Dabei ist es nicht so, dass Deutschland bisher nichts getan hätte. Im Gegenteil: Das Infektionsschutzgesetz des Bundes enthält bereits heute sachgerechte Verfahren zur Infektionsbehandlung. Auch die Länder haben in Krankenhausgesetzen und teilweise in Krankenhaushy- gieneverordnungen spezifische Regelungen getroffen. Daneben hat die Bundesregierung weitere Maßnahmen getroffen, um die Hygienequalität in Krankenhäusern zu verbessern. Dazu gehören zum Beispiel die „AKTION Saubere Hände“, die Deutsche Antibiotika-Resistenz- strategie und das Krankenhaus-Infektions-Surveillance- System (KISS). All dies sind notwendige und sinnvolle Maßnahmen, die schon heute für eine bessere Kranken- haushygiene sorgen. Trotzdem haben wir in Deutschland immer noch eine viel zu hohe Infektionsrate. Folgende Zahlen verdeutli- chen das eindrücklich: Nach Schätzungen infizieren sich jährlich zwischen 400 000 und 600 000 Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern, bis zu 40 000 sterben daran. Im Vergleich dazu lag die Zahl der Ver- kehrstoten in Deutschland im Jahr 2010 bei 3 657. Das Risiko, an einer Krankenhausinfektion zu sterben, ist also rund zehnmal höher als das Risiko, im Straßenver- kehr tödlich zu verunglücken. Dabei liegt das Grundproblem der hohen Infektions- raten in Deutschland nicht an einem Mangel an geeigne- ten Vorschriften und Empfehlungen. Es mangelt auch nicht an entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnis- sen. Nein, es ist vor allem ein Problem der unzureichen- den Umsetzung. Bei Einhaltung der bekannten Hygiene- regeln ließen sich viele Infektionen vermeiden. Entscheidend sind dabei die ganz alltäglichen Dinge wie regelmäßiges Waschen und Desinfizieren der Hände. Wir müssen eine Hygienekultur etablieren, die dem me- dizinischen Personal in Fleisch und Blut übergeht. Denn für die Patienten gilt: Bessere Krankenhaushygiene ist unter Umständen lebensrettend. Aber die Patienten kön- nen sich nicht selber schützen. Sie sind auf die berufli- che Routine, Sorgfalt und Verantwortung der im Kran- kenhaus Tätigen angewiesen. Dies müssen wir noch mehr ins Bewusstsein der Menschen rufen. Deshalb werden wir mit dem vorliegenden Gesetz da- für sorgen, dass die bestehenden Empfehlungen und Vor- schriften zur Hygiene besser beachtet und umgesetzt werden. Wir werden auch dafür sorgen, dass der ratio- nale Einsatz von Antibiotika gefördert wird. Ich freue mich, dass diese Lösung grundsätzlich von allen Fraktio- nen in diesem Haus mitgetragen wird. Nun fordert die Opposition weitere bundeseinheitli- che Vorgaben. Dies halte ich für nicht gerechtfertigt. Denn eines ist klar: Die Verantwortung für die Kranken- häuser liegt bei den Bundesländern, und dort sollte sie auch grundsätzlich verbleiben. Wir wahren mit unserem Gesetz die Balance zwischen dem, was bundeseinheit- lich notwendig ist, und dem, was sinnvollerweise von den Ländern in eigener Verantwortung ausgefüllt werden muss. Wir geben den Rahmen vor. Dieser ist sachgerecht und ausreichend. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält als sogenann- tes Omnibusgesetz noch weitere Regelungen. Eine da- von betrifft im Bereich der Pflege die Anpassung der Transparenzvereinbarungen nach § 115 SGB XI. Dies ist inhaltlich zunächst die Aufgabe der Selbstverwaltung. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13161 (A) (C) (D)(B) Allerdings hat sich gezeigt, dass die bisherigen gesetzli- chen Rahmenbedingungen einen Schwachpunkt aufwei- sen: Durch die für Änderungen geforderte Einstimmig- keit konnten zwei kleine Vereinbarungspartner bis zum Schluss eine Einigung blockieren. Mit der Möglichkeit, die Schiedsstelle anzurufen, schaffen wir nun einen dau- erhaften Konfliktlösungsmechanismus zur Klärung von Streitpunkten, die von den Vereinbarungspartnern auf dem Verhandlungswege nicht zu lösen sind. Dies ist aber unter Umständen nur ein erster Schritt. Denn ich sage es hier ganz deutlich: Wir haben die klare Erwartungshaltung, dass die Vereinbarungspartner bei der Weiterentwicklung der Transparenzvereinbarungen jetzt möglichst schnell zu tragfähigen Lösungen kom- men. Insbesondere bei der Frage der Stichprobenaus- wahl und der Bewertungssystematik gibt es dringenden Änderungsbedarf. Ich fordere daher, dass diese Punkte jetzt zügig angegangen und gelöst werden. Denn es geht hier um die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Diese haben das Recht und das Bedürfnis, sich über die Qualität der Pflegeeinrichtungen zu informieren. Sinn- voll ist das aber nur, wenn die veröffentlichten Ergeb- nisse auch aussagekräftig sind. Darum geht es. Jetzt ist die Selbstverwaltung gefordert, zu zeigen, dass sie fähig ist, gute Lösungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen zu finden. Ihre eigenen Interessen haben zwingend dahinter zurückzustehen. Die Politik wird die Entwicklung genau beobachten. Sollte es zu keiner ver- nünftigen Lösung kommen, werde ich mich für klare ge- setzliche Vorgaben einsetzen. Das vorliegende Gesetz zur Änderung des Infektions- schutzgesetzes macht klar: Wir, die christlich-liberale Koalition, stellen den Menschen in den Mittelpunkt un- seres politischen Handelns. Das zeigt sich auch bei unse- ren weiteren Vorhaben: Erstens haben wir ein Versorgungsgesetz auf den Weg gebracht, das auch in Zukunft die ärztliche Versorgung gerade im ländlichen Raum gewährleistet und die Be- dürfnisse und Interessen vom Patienten her definiert. Zweitens werden wir ein Patientenrechtegesetz erar- beiten, das Transparenz über die bereits heute bestehen- den, umfangreichen Rechte der Patientinnen und Patien- ten herstellt und die tatsächliche Durchsetzung dieser Rechte erleichtert. Drittens werden wir eine Reform der Pflegeversiche- rung angehen, die die Demenz und die pflegenden Ange- hörigen in das Zentrum stellt und eine generationenge- rechte Finanzierung auf den Weg bringt. Das ist unser Ansatz und unser Verständnis von richti- ger Gesundheitspolitik. Ich lade alle dazu ein, uns hier- bei zu begleiten und zu unterstützen. Bärbel Bas (SPD): Bevor ich mich dem Gesetzent- wurf und den Anträgen widme, möchte ich mich bei zwei alten Damen bedanken, zwei alten Damen aus mei- ner Heimatstadt Duisburg, die ich für ihre Energie und ihren Einsatz bewundere. Die beiden Damen sind Wit- wen. Sie haben ihre Männer durch eine Infektion im Krankenhaus, ausgelöst durch den MRSA-Keim, verlo- ren. Sie haben getrauert, und sie haben eine Selbsthilfe- gruppe für MRSA-Opfer und Angehörige gegründet. Diese Selbsthilfegruppe hat enormen Zuspruch, und ihre Veranstaltungen erhalten großen öffentlichen Zulauf. Die beiden Duisburger Damen haben mich – lange bevor ich in den Bundestag gewählt wurde – in ihre Selbsthil- fegruppe eingeladen. Die Tragik, das Leid und die Hilf- losigkeit der Betroffenen, aber auch die Energie der Überlebenden, MRSA und den ihn unterstützenden Um- ständen in unserem Gesundheitssystem den Kampf an- zusagen, haben mich sehr beeindruckt. Diesen Mut und diesen Einsatz habe ich mir immer wieder in Erinnerung gerufen, wenn wir die Verbesserung der Krankenhaus- hygiene oder wie es nun heißt, die Änderung des Infek- tionsschutzgesetzes beraten haben. Ausdrücklich danke ich allen Kolleginnen und Kolle- gen im Ausschuss für Gesundheit, dass wir uns zu die- sem Thema mit der nötigen Sorgfalt und der notwendi- gen Sachlichkeit intensiv auseinandergesetzt haben. Geholfen hat dabei, dass wir uns grundsätzlich darin ei- nig waren, welches Ziel wir erreichen wollten. Dass es dorthin unterschiedliche Wege gibt, die mit unterschied- licher Geschwindigkeit begangen werden können, da- rauf komme ich gleich zurück. Es hat auch geholfen, dass sich alle Fraktionen und die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer im Bundesrat mit zahlreichen fachlichen Beiträgen kon- struktiv an der Beratung beteiligt haben. Ich danke auch den Expertinnen und Experten, die sich an den Beratungen und insbesondere an der Anhö- rung beteiligt haben. Ich bin noch nicht allzu lange da- bei, aber diese war fachlich und inhaltlich eine der bes- ten und interessantesten, an denen ich bisher teilnehmen durfte. Im Herbst des vergangenen Jahres hat die SPD-Bun- destagsfraktion der Koalition und der Bundesregierung hier an dieser Stelle angeboten, gemeinsam die Kranken- haushygiene in Deutschland zu verbessern. Wir haben kurz darauf einen Vorschlag unterbreitet, der im Aus- schuss von allen Fraktionen begrüßt wurde: einheitliche Hygieneverordnungen für alle Bundesländer und ausrei- chend Hygienefachpersonal in Krankenhäusern. Im End- ergebnis – und das sage ich heute mit großem Bedauern – ist es der Bundesregierung nicht gelungen, diese Steilvor- lage an inhaltlicher Einigkeit und politischem Willen in ein Gesetz umzusetzen, das auch die Zustimmung aller findet. Nicht mehr und nicht weniger hätten die Betroffe- nen verdient. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, den in der Folge die Koalitionsfraktionen übernommen haben, erfüllt gerade einmal die Mindestanforderungen an eine wirkliche Verbesserung des Infektionsschutzes. Er bleibt in vielen Punkten hinter dem kleinsten gemein- samen Nenner zurück. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass die Bundes- regierung immer zwei Schritte vorangeht und dann ängstlich anderthalb Schritte zurückzuckt. Sie wollen den Bundesländern Krankenhaushygieneverordnungen vorschreiben. Sie sagen aber nicht deutlich, welche kon- kreten qualitativen und quantitativen Mindeststandards diese enthalten sollen. Sie scheuen auch davor zurück, 13162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) bundeseinheitliche Vorgaben zu machen. Sie erklären ei- nerseits die Empfehlungen der KRINKO für verbindlich und trauen sich andererseits nicht, bei Hygienemängeln wirkungsvolle finanzielle Sanktionen zuzulassen. Wir wissen alle, dass längst nicht alle Empfehlungen der KRINKO den aktuellen Forschungsstand widerspie- geln. Ihre Überarbeitung braucht Zeit und Engagement von guten Hygienikern und Mikrobiologen. Wir hätten uns daher gewünscht, dass in Ihrem Gesetzentwurf auch etwas dazu stehen würde, wie man diese zur Mitarbeit in der KRINKO und nun auch der ART-Kommission ge- winnen kann. Sie schaffen eine Abrechnungsziffer für eine fragwür- dige ambulante MRE-Sanierung vor einer Krankenhaus- einweisung, lassen es aber an klaren Vorschriften für die ambulante Nachbehandlung von MRE-Patienten man- geln. In der Anhörung wurde es uns deutlich gesagt: Wenn eine im Krankenhaus begonnene MRE-Sanierung nach der Entlassung vom Hausarzt oder von einem Arzt im Pflegeheim nicht weitergeführt wird, weil dieser sie nicht abrechnen kann, dann hätte man sich auch den Aufwand im Krankenhaus sparen können. Eine solche Verschwendung von knappen Mitteln können wir uns nicht leisten. Überhaupt machen Sie einen großen Bogen um das Thema die Hygiene in der ambulanten und stationären Pflege. Sie fordern den Gemeinsamen Bundesausschuss auf, Indikatoren zur Qualitätssicherung zu entwerfen, scheuen aber davor zurück, die Ergebnisse dieser Indika- toren in den jeweiligen Einrichtungen für die Patientin- nen und Patienten aktuell, nachvollziehbar und transpa- rent zugänglich zu machen. Naheliegend wäre es auch gewesen, wenn Sie diese Indikatoren zum Gegenstand der Vergütungsverhandlungen zwischen Krankenhäu- sern und Krankenkassen machen würden. Erfüllt ein Krankenhaus die Anforderungen gut oder hat sogar be- sondere Erfolge vorzuweisen, dann könnte es dafür auch besser bezahlt werden. Das wiederum würde Anreize schaffen, neue Wege zu gehen und die Abläufe zu ver- bessern. Aber es findet sich kein Wort über qualitätsori- entierte Vergütung in ihrem Entwurf. Ein Thema ist mir persönlich besonders wichtig: Die Eingangsscreenings. Sie sind international das erfolg- reichste Instrument zur Bekämpfung der MRE-Epide- mie. Sie sind das Mittel der Wahl für jede ernst zu neh- mende Anti-MRE-Strategie. Dort, wo in Deutschland bereits Patienten bei der Aufnahme auf MRE gescreent werden, sinken die Infektionszahlen und sparen die Kli- niken Geld. In der Anhörung schwärmte uns der Vertre- ter vom MRSA-net Münster geradezu vor, wie erfolg- reich unsere niederländischen Nachbarn mit ihrer rigorosen Umsetzung von Screenings sind. Und Ihr Ge- setzentwurf? Mit keinem Wort erwähnen Sie dort Ein- gangsscreenings. Auch um eine weitere Kernfrage drückt sich der Ent- wurf der Bundesregierung herum: Wie viele Hygiene- fachkräfte brauchen wir, um eine wirksame MRE-Strate- gie zu entwickeln und umzusetzen? Wo und wie sollen diese ausgebildet werden, und wie werden sie bezahlt? Hier belassen Sie es bei schwammigen Übergangsrege- lungen, aus denen man höchstens mit viel gutem Willen ableiten kann, dass irgendwoher neues Fachpersonal kommen soll. Herr Minister, die Maßnahmen Ihres Gesetzentwurfes haben aus unserer Sicht zu wenig Substanz, um einen deutlichen Schritt nach vorne für bessere Hygienebedin- gungen in unserem Land zu schaffen. Etwas mehr Mut ihrerseits, und wir könnten ihrem Gesetz zustimmen. So werden wir uns enthalten, um in der Krankenhaushygi- ene wenigstens einen kleinen Schritt voranzukommen. Denn immerhin enthält Ihr Gesetzentwurf eine Evalua- tionsklausel – den besten Artikel des ganzen Gesetzes. So ist sichergestellt, dass wir uns schon bald wieder mit dem Thema beschäftigen können. Dann hoffentlich mit einer Bundesregierung, die eine solche Einigkeit in der Sache auch in einen wahren Fortschritt umzusetzen weiß. Ich nenne Ihnen heute schon die Maßnahmen, die wir dann zu entscheiden haben: mehr Fachpersonal, verbind- liche Eingangsscreenings und Nachbehandlung, restrik- tiver Antibiotikaeinsatz in der Human- und der Veteri- närmedizin, qualitätsorientierte Vergütung und vor allem noch mehr Transparenz. Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzent- wurf auch deshalb nicht zustimmen können, weil die Bundesregierung der Versuchung nicht widerstehen konnte, diesen Entwurf zu einem Omnibus zu machen. Die Verbesserung des Infektionsschutzes muss somit da- für herhalten, Nachbesserungen aufzunehmen, die die Bundesregierung versäumt hat, schon vorher zu regeln. Wir glauben nicht, dass Sie mit Ihren Vorschlägen zur Schiedsstelle bei den Pflegetransparenzvereinbarungen und dem eigenständigen Prüfrecht der PKV in der Pflege das gewünschte Ziel erreichen werden. Ihre Kopfpau- schale samt sogenanntem Sozialausgleich wird auch nicht dadurch besser, dass Sie jetzt bei erstbester Gele- genheit schon wieder nachjustieren müssen. Hätten Sie beim Infektionsschutz so viel Einsatz gezeigt, wie Sie es bei den Versuchen, die U1/U2-Umlage umzugestalten, an den Tag legen, wäre mein Fazit heute vielleicht etwas besser ausgefallen. So bleibt mir nur übrig, der vertanen Chance nachzutrauern. Wir hätten viel mehr erreichen können, hätten Sie den Mut dazu gehabt. Wir hätten gerne jeder noch so kleinen Verbesserung zugestimmt, aber in der Summe haben Sie es uns unmöglich gemacht. Unser Angebot, an der Sache orientiert die Kranken- haushygiene in Deutschland voranzubringen, steht wei- terhin. Das bin ich nicht nur den beiden alten Damen aus Duisburg schuldig, sondern allen, die immer noch unnö- tig leiden. Jens Ackermann (FDP): Heute ist ein guter Tag für die Patienten in Deutschland, es ist ein wichtiger Tag für die Angehörigen, die Arbeitgeber und die Solidar- gemeinschaft. Denn wir werden heute endlich konkret damit beginnen, die Hygiene in Krankenhäusern und an- deren medizinischen Einrichtungen zu verbessern. Wer ins Krankenhaus geht oder wer eine andere medi- zinische Einrichtung aufsucht, möchte Hilfe. Es geht dann in erster Linie darum, aufgrund von Krankheiten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13163 (A) (C) (D)(B) fachlich gut versorgt zu werden, Leiden zu verringern oder ganz zu beheben. Aber eines möchten diese Men- schen nicht: Kränker das Krankenhaus verlassen, als sie hineingegangen sind. Natürlich sind die deutschen Kran- kenhäuser gut – keine Frage. Die Leistungen sind um- fangreich und professionell. Doch bei allen positiven Nachrichten im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung in Deutschland gibt es eben einen Bereich, der den Menschen und uns Politikern immer wieder Sor- gen bereitet hat: Die Infektion mit multiresistenten Kei- men. Denn bislang mangelt es an der Umsetzung von notwendigen Hygienestandards für Krankenhäuser und Pflegeheime. Studien zu Infektionen mit MRE gibt es viele. Eine lässt vermuten, dass in Deutschland fast zehnmal so viele Menschen durch mangelnde Krankenhaushygiene sterben, als im Straßenverkehr. Die Rede ist von 40 000 Toten, Fälle, die womöglich vermeidbar wären. Doch an dieser Stelle muss gesagt werden, dass es keine abschlie- ßend genauen Zahlen gibt, dass wir hier im Nebel sto- chern. Doch dieser Missstand soll künftig behoben wer- den: Durch eine Meldepflicht wollen wir endlich Klarheit über das Auftreten nosokomialer Infektionen schaffen. Dass eine Verbesserung der mangelhaften Situation möglich ist, zeigen die Niederlande: Während in Deutschland die gefährliche Keim-Mutante MRSA über 20 Prozent aller isolierten Keime dieser Art ausmacht, ist der Anteil in unserem Nachbarland unter 1 Prozent. Dieser Vergleich macht deutlich, dass wir Nachholbedarf haben, dass wir handeln müssen. Es macht deutlich, dass wir deshalb richtig daran tun, die Hygiene in Deutsch- land zu verbessern. Wir brauchen die Änderung des In- fektionenschutzgesetzes. Ich glaube, dass wir in diesem Punkt unbestreitbar alle einer Meinung sind – und dies ist ja gerade in Sa- chen Gesundheitspolitik nicht immer der Fall. Alleine dieser Umstand zeigt uns aber auch: Die Koalitionsfrak- tionen greifen die Sorgen und Nöte der Menschen auf. Wir wissen, wo jahrelang wichtige Impulse ausgeblieben sind und geben endlich Antworten auf die dringende Frage, wie wir die Hygiene im Land verbessern können. Die Infektionen mit gefährlichen Keimen führen zu unerträglichem Leid für die Betroffenen und verur- sachen erhebliche ökonomische Belastungen für die So- lidargemeinschaft der Versicherten und den deutschen Arbeitsmarkt. Das muss aber nicht so sein, das ist ver- meidbar. Mit dem Gesetz wollen wir nun konkret dieses Leid vermindern, Infektionen mit solchen multiresisten- ten Keimen reduzieren und Tod vermeiden. Damit uns dies gelingen kann, müssen wir den Anfängen wehren. Denn besonders tragisch bei Infektionen mit multiresis- tenten Keimen ist die Tatsache, dass diese nahezu unbe- handelbar sind. Wer infiziert ist, leidet – und das oft über Jahre – oder stirbt. Viele Menschen haben die Keime auf der Haut, doch zur Gefahr werden sie erst bei den Kranken und Schwa- chen. Ein weiteres Problem ist eine Zunahme antimikro- bieller Resistenzen bei bestimmten, insbesondere „be- handlungsassoziierten“ Krankheitserregern. Besonders schlimm ist, dass wir hier mit stillem Leid konfrontiert sind. Denn die betroffenen Patienten haben nicht die Lobby, die sie bräuchten – bislang. Deshalb ist es gut, dass die Initiative zur Verbesserung der Hygiene in me- dizinischen Einrichtungen auch direkt von den Abgeord- neten selbst ausgegangen ist. Mit den folgenden Maßnahmen wollen wir Hygiene verbessern und Leid verringern: Zum einen wollen wir die Zahl der nosokomialen In- fektionen, insbesondere jene mit resistenten Erregern, durch eine bessere Einhaltung von Hygieneregeln, eine sachgerechte Verordnung von Antibiotika sowie durch die Berücksichtigung von sektorenübergreifenden Prä- ventionsansätzen senken. Das heißt, dass wir letztlich Qualität und Transparenz der Hygiene in medizinischen Einrichtungen stärken möchten. Deshalb fordern wir letztlich auch und gerade klare, verbindliche Zuständigkeiten. Da die Behandlung von Infektionen mit MRE also na- hezu unmöglich, langwierig ist und generell mit erheb- lichen Problemen einhergeht, sind Prävention und Hy- giene so wichtig. Unsere Lösungsansätze im Kampf gegen multiresis- tente Erreger sehen dabei zunächst eine Verpflichtung der Länder zum Erlass von Rechtsverordnungen vor. Diese sollen beispielsweise Regelungen umfassen zur personellen Ausstattung der Krankenhäuser mit Hy- gienefachkräften, aber auch Schulungen des Personals oder hygienische Mindestanforderungen an Bau, Aus- stattung und Betrieb der Einrichtungen sind hier zu nen- nen. Uns war im Übrigen wichtig, dass den Ländern eine Frist gesetzt wird, denn wir wollen schnell und zügig, dass gewisse Hygienestandards bundesweit erreicht wer- den, denn eine MRE-Infektion ist in München genauso gefährlich wie in Berlin oder Hamburg. Künftig wird die sogenannte „Kommission für Kran- kenhaushygiene und Infektionsprävention“ – kurz KRINKO – beim Robert-Koch-Institut Empfehlungen und Richtlinien zur Infektionshygiene erarbeiten. Dabei war es uns vonseiten der FDP ein klares Anliegen, dass diese Empfehlungen kontinuierlich weiterentwickelt wer- den und dass diese Empfehlungen auch veröffentlicht werden müssen. Denn eines ist klar: Wir wollen im Kampf gegen die Keime auf dem aktuellsten Stand sein, wir wollen nicht veraltete Empfehlungen, sondern mit neuesten Erkenntnissen den Menschen helfen. Zwischen der Multiresistenz und der Verschreibung von Antibiotika besteht ein signifikanter Zusammen- hang. Wir wollen diese unglückselige Spirale durchbre- chen. Deshalb wird beim RKI die „Kommission Anti- infektiva, Resistenz und Therapie“ – kurz ART – eingerichtet. Ihre Aufgabe: Die Erstellung von Empfeh- lungen mit allgemeinen Grundsätzen für Diagnostik und antimikrobielle Therapie. 13164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Und wir brauchen Daten über das bundesweite Auf- treten von MRE, ein Lagebild, um eben konkret Zunah- men von MRE-Fällen in einzelnen Regionen frühzeitig zu erkennen, um entsprechend zu handeln zu können. An all diesen unterschiedlichen Punkten wird eines deutlich: Mit dem von uns angestoßenen Gesetz haben wir die Gefahren erkannt und für unterschiedliche He- rausforderungen entsprechende Antworten gefunden, um die Hygiene in Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen zu verbessern. Wir sind sicher, dass wir mit den von uns angestoßenen Maßnahmen gewiss Er- folg haben werden. Doch wir wollen auch hier sicher- gehen. Deshalb werden die von uns eingeleiteten Maß- nahmen rückwirkend vom RKI und unabhängigen Sachverständigen evaluiert. Abschließend bleibt festzu- halten, dass uns im Gesundheitswesen oft sogenannte Scheininnovationen begegnen. Ich bin sicher, dass die Regierungsfraktionen hier In- novatives für Deutschland vorgelegt haben, um künftig MRE zu verringern und den Menschen tausendfach Leid zu ersparen. Die vorangegangenen Diskussionen haben gezeigt, dass es immer noch an einzelnen Stellschrauben zwischen den Fraktionen unterschiedliche Bewertungen gibt, doch es ist zudem deutlich geworden, dass es keine offene Ablehnung gibt. Dies zeigt, dass dieses Thema generell unverzichtbar ist, dass es die Menschen über Parteigrenzen hinweg berührt und – das hoffe ich nun natürlich – dass es auch erfolgreich sein wird. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Gut, dass das Ge- setz zur Krankenhaushygiene endlich kommt. Ich kann es Ihnen aus den anderen Fraktionen aber auch heute nicht ersparen: Dieser Gesetzentwurf kommt mindestens zwei Jahre zu spät oder – um es drastisch zu sagen –: bis zu 80 000 Tote zu spät. Alles, was wir heute wissen, war spätestens im Januar 2009 nach der Anhörung zu unserem Antrag in der letz- ten Legislaturperiode bekannt. Alles, was nun in dem Gesetzentwurf und in den Anträgen der Fraktionen steht, hätte ebenso vor zwei Jahren eingebracht werden kön- nen. Die Linke hatte wie ein Rufer in der Wüste als ein- zige Fraktion einen Antrag vorgelegt. Es war verantwor- tungslos von allen anderen Fraktionen, unseren Antrag vom Tisch zu wischen und nichts Eigenes vorzulegen. Ich weiß, dass Sie keine Lust haben, das zu hören. Aber ich bringe das hier noch einmal ein, weil ich in- ständig hoffe, dass Sie künftig Themen oder Anträge nicht schon deshalb für Blödsinn und nebensächlich er- klären, weil sie von der Linken kommen. Das kann näm- lich Menschen das Leben kosten. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung geht in die richtige Richtung. Es wäre aber mehr zum Schutz vor Krankenhauskeimen nötig und möglich ge- wesen. So fordert die Linke, die Antibiotikaverwendung in der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf das wirklich medizinisch erforderliche Maß zu beschränken. Gerade jetzt bei Ehec sehen wir erneut, wie wichtig das ist. An- sonsten nimmt die Zahl resistenter Keime und der Muta- tionen weiter unnötig zu. Aber Sie ignorieren solche Er- kenntnisse. Wir fordern auch, den wahnsinnigen Personalabbau in den Kliniken zu stoppen und umzukeh- ren. Jedem Bürger ist klar, dass die permanente Kürzung von Personal in den Krankenhäusern die hygienischen Bedingungen verschlechtert hat. Ohne genügend und gut qualifiziertes Personal gibt es keine gute Gesundheits- versorgung. Das sollte auch in der Regierung ankom- men. Ich hoffe auch, dass diese und künftige Regierungen begriffen haben, dass dieses Thema nicht mit einem Ge- setz geregelt sein wird. Wir müssen zeitnah neue Er- kenntnisse zur Krankenhaushygiene einbinden, wie zum Beispiel aus dem Greifswalder Projekt, das sektoren- übergreifend eine ganze Region betrachtet. Sie nutzen dieses Gesetz als trojanisches Pferd für sachfremde Gesetzesänderungen. Verwerflich ist, dass Sie ermöglichen, dass sensibelste persönliche Daten weiter an private Abrechungsstellen gehen. Sie setzen sich damit über ein Urteil des Bundessozialgerichts hin- weg. Das ist schlicht ein datenschutzrechtlicher Skandal, den Sie so nebenbei verabschieden wollen. Wegen benannter Versäumnisse und falscher Rege- lungen können wir Ihrem Gesetz nicht zustimmen und werden uns enthalten. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sollen heute einen Gesetzentwurf der Bundesregie- rung beschließen, der das weitverbreitete Problem der multiresistenten Erreger und gefährlichen Krankenhaus- infektionen endlich angehen will. Nachdem es im ver- gangenen Sommer an einem Mainzer Klinikum Todes- fälle von Säuglingen gegeben hatte, bei denen der Verdacht der Nichtbeachtung von Hygienevorschriften im Raume stand, forderten die Kollegin Flach und der Kollege Spahn flugs wirksame bundeseinheitliche Rege- lungen zur Hygiene in stationären Einrichtungen. Gemessen daran ist der Gesetzentwurf, der heute be- schlossen werden soll, nur ein Placebo. Denn bei genauer Betrachtung entpuppen sich die Vorschläge der Koalition als allenfalls halbherzig. Ich kann mir beispielsweise nicht erklären, warum darauf verzichtet wird, das zu re- geln, was der Bund ohne Weiteres regeln könnte. Statt- dessen belässt man es bei ein paar unkonkreten Vorgaben, der Gründung einer neuen Kommission und allgemeinen Aufforderungen an die Länder und verzichtet darauf, sich wirkungsvoll um das Problem der zu häufigen Antibioti- kaverschreibungen zu kümmern. Der Gesetzentwurf ist dadurch gekennzeichnet, dass er in den entschiedenen Fragen die Verantwortung wieder auf die Länder ab- schiebt. Die Länder werden verpflichtet, Krankenhaushy- gieneverordnungen zu erlassen. Was aber in diesen Ver- ordnungen drinstehen soll, bleibt wieder deren Ermessen überlassen. Das Gesetz, das Sie uns heute als umfassende bundes- weite Lösung verkaufen, ist bei genauerem Hinsehen doch wieder nur der gute alte Flickenteppich. Sie halten es noch nicht einmal für nötig, die Länder an einen Tisch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13165 (A) (C) (D)(B) zu holen und ein gemeinsames Vorgehen in dieser Frage zu verabreden. Noch besser wäre es, wenn Sie die Ge- setzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des In- fektionsschutzes wirklich ausgenutzt hätten, anstatt sich hinter den Ländern zu verstecken. Warum schreiben Sie nicht selbst konkrete Maßnahmen im Gesetz fest? Wa- rum verpflichten Sie nicht einfach – wie wir Grünen das in unserem Antrag fordern – stationäre Einrichtungen per Gesetz, Risikopatienten vor der Aufnahme auf resis- tente Erreger zu testen? Der Nutzen solcher Maßnahmen ist vielfach belegt; die Niederlande machen es uns vor. Selbst die Expertenkommission des Robert-Koch-Insti- tuts fordert ein solches Screening. Und trotzdem sucht man diese Maßnahmen in Ihrem Gesetzesvorschlag ver- gebens. Auf der anderen Seite führen Sie eine Abrechnungs- möglichkeit für niedergelassene Ärzte ein, die der gesetz- lichen Krankenversicherung zusätzliche Kosten beschert – ohne zu wissen, ob die abgerechneten Maßnahmen das Problem wirksam lösen können. Ich weiß nicht, was der Grund dafür ist, dass Sie an dieser Stelle plötzlich eine solche Entschlusskraft an den Tage legen, während Sie bei anderen Maßnahmen im Vagen bleiben. An der Wirk- samkeit dieser neuen Abrechnungsmöglichkeit kann es nicht liegen, denn die ist, um es vorsichtig auszudrücken, umstritten. Absolut mager sind auch Ihre Vorschläge zum Um- gang mit Antibiotika. Die Einrichtung einer neuen Kom- mission beim Robert-Koch-Institut, die Empfehlungen für die Praxis ausarbeitet, kann sinnvoll sein. Aber doch nur als ein Baustein unter vielen. Wir sehen bei der Kom- mission für Krankenhaushygiene seit Jahren, wie wenig selbst sinnvolle Empfehlungen in der Praxis beachtet werden. Was macht Sie so sicher, dass das in Sachen An- tibiotika anders sein wird? Auch Ihr Vorschlag, ein Mo- nitoring für den Antibiotikaverbrauch einzuführen, bleibt nichts weiter als ein halbherziger Versuch. Es erfasst nämlich nur die Verordnungszahlen in stationären Ein- richtungen – dabei erfolgen die meisten unnötigen Anti- biotikaverschreibungen im ambulanten Bereich. Uns reichen Ihre Vorschläge bei weitem nicht aus. Das Problem der falschen Antibiotikavergabe muss auf allen Ebenen angegangen werden. Übrigens auch in der Tiermast. Dort haben wir ebenfalls mit multiresistenten Erregern zu kämpfen, die dann von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Das Problem wird bei Ihnen überhaupt nicht erwähnt – geschweige denn, dass Sie hierzu irgendwelche Maßnahmen ergreifen. Natürlich macht man sich mit einer restriktiveren An- tibiotikapolitik bei der pharmazeutischen Industrie und in der industriellen Tiermast nicht gerade beliebt. Aber gerade aus den Niederlanden wissen wir, dass dies der Schlüssel zu geringen Infektions- und Resistenzraten ist. Im europäischen Vergleich sind die Länder, in denen An- tibiotika frei verkäuflich sind, auch diejenigen, die mit hohen Resistenzraten zu kämpfen haben. Einen etwas breiteren Ansatz hätten wir uns von der Bundesregierung daher schon gewünscht – zumal auch die Deutsche Anti- biotika-Resistenzstrategie bislang noch keine wirkliche Wirkung entfaltet hat. All die hier genannten Kritikpunkte haben wir Grü- nen in unserem Antrag aufgezeigt. Sie haben keinen da- von angenommen. Ich bezweifle, dass Ihr Gesetz in der Praxis wirklich zu nachhaltigen Veränderungen führen wird. Es bekämpft weder die zentralen Ursachen des Problems noch wird es dazu führen, dass die Länder das Problem einheitlich angehen. Sie gaukeln der Öffentlich- keit vor, dass Sie mit diesem Gesetz wirksame Maßnah- men gegen Krankenhausinfektionen und multiresistente Erreger ergreifen. Doch das tun Sie nicht wirklich. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wirksamen Ver- braucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen (Tagesordnungspunkt 14) Mechthild Heil (CDU/CSU): Nanotechnologien sind die Zukunftstechnologie! Die vielfältigen Bereiche, in denen Nanostoffe eingesetzt werden können, verspre- chen Lösungen für viele Herausforderungen unserer Zeit. Nanostoffe können uns helfen, Ressourcenknapp- heit, Umweltverschmutzung und Krankheiten besser in den Griff zu bekommen. Die Partikel, die im Verhältnis zu einem Fußball so winzig sind wie der Fußball im Ver- hältnis zur Erdkugel, versprechen Großes. Medizinische Instrumente können durch die Mini- partikel besser keimfrei gehalten werde, ebenso wie die Kleidung von medizinischem Personal oder von Land- wirten, die mit Pestiziden arbeiten. Wandfarbe, die mit Nanopartikeln angereichert ist, verhindert Schimmelbil- dung im Innenraum und Algenwachstum an Fassaden. Im Kosmetikbereich werden die Partikel in Sonnencre- mes gemischt, weil sie die Haut besser vor UV-Licht schützen als herkömmliche Sonnenschutzmittel. Auch in der Zahnpasta schaffen sie einen Mehrwert. Sie können angegriffenen Zahnschmelz wieder aufbauen, weil sie vom chemischen Aufbau her identisch sind. Sehr viel- versprechend ist auch die Forschung zur Effizienzver- besserung im Energiebereich. Solarzellen auf Basis or- ganischer Halbleiter könnten sehr viel leistungsfähiger werden, sodass sie Wirkungsgrade wie andere erneuer- bare Energieformen erreichen. Mir ist bewusst, dass wir noch nicht alles über Nano- stoffe wissen. Forscher müssen noch herausfinden, wie sich Nanostoffe im Detail verhalten: Wie verhalten sich diese winzigen Partikel, wenn sie physikalischen, chemi- schen oder biologischen Prozessen in der Umwelt ausge- setzt sind? Dies zu wissen, ist umso wichtiger, je näher Nanoprodukte an den Körper des Menschen herankom- men: von Oberflächenbeschichtungen über Textilien und Kosmetika bis hin zu Lebensmitteln. Auch die Auswir- kungen auf das Ökosystem müssen weiter untersucht werden. Aber wir sollten uns hier nicht von Angst leiten las- sen. Angst ist ein schlechter Ratgeber, da sie die Sicht auf die Chancen dieser segensreichen Technologie ver- stellt. Nur weil unser Wissen über die Wirkungsweise 13166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) von Nanostoffen noch nicht umfassend ist, ist es zu früh, ihren Einsatz umfassend infrage zu stellen und wegzure- glementieren. Wieder einmal ist für die Linke die einzige Antwort, das einzige Allheilmittel: mehr Staat. Ich plä- diere hier dafür, im Rahmen der bereits bestehenden ge- setzlichen Strukturen zu handeln, diese zu nutzen und gegebenenfalls auszubauen. Bisher regeln die gesetzlichen Vorschriften sinnvoller- weise die einzelnen Produktgruppen. So müssten zum Beispiel Lebensmittel, die nanotechnisch hergestellt wur- den, den allgemeinen lebensmittelrechtlichen Vorschrif- ten entsprechen. Sie dürfen die Gesundheit von Verbrau- cherinnen und Verbrauchern nicht gefährden. Nach meinem derzeitigen Wissensstand werden Lebensmittel in Deutschland bisher nicht nanotechnisch hergestellt. Ent- sprechende Regelungen gibt es für Lebensmittelzusatz- stoffe, Lebensmittelkontaktmaterialien, Kosmetik und technische Arbeitsmittel sowie Verbraucherprodukte. Ich bin auch der Meinung, dass wir weiter forschen müssen, um besser zu verstehen, wie der Mensch auf Nanomaterialien reagiert. In diesem Zusammenhang will ich auf die Risikobewertung des Bundesamtes für Risikobewertung und des Umweltbundesamtes kurz eingehen: Beide Institute sprechen nicht von „ernst zu nehmenden Befunden hinsichtlich krebserregender Wirkungen“, wie es die Linke darstellt, sondern von möglicherweise krebsauslösenden Wirkungen einiger Nanomaterialien. Wahr ist eben: Die derzeit vorlie- genden Daten reichen nicht aus, um diese Materialien als „potenziell krebserzeugend für den Menschen“ ein- zustufen. Erwähnen sollte man in diesem Zusammenhang auch: Wissenschaftler hegen große Hoffnungen, mit Nanoteil- chen in Zukunft Krebszellen zu besiegen. Recht weit ist man bereits jetzt im Einsatz von winzigen Eisenoxidteil- chen, die als Kontrastmittel bei der Kernspintomografie benutzt werden. Leberschäden, aber auch Herz- oder Lymphfunktionen können auf diese Weise hochsensibel untersucht werden. Wir von der Union lassen deshalb die Ideologie außen vor und setzen lieber auf Wissenschaft und Forschung. Für 2011 stellen das Bundesforschungsministerium und andere Ressorts auf Bundesebene circa 230 Millionen Euro für die Forschung und Risikoanalyse sowie weitere circa 170 Millionen Euro für die Grundlagen- und Be- gleitforschung zur Verfügung. Auch die chemische In- dustrie erforscht mögliche Risiken von Nanoprodukten intensiv, denn sie verspricht sich enormes Wachstums- potenzial von dieser Technologie. Der Vorwurf der Lin- ken, die Förderungen der Produzenten von Nanoproduk- ten seien hauptsächlich kostensenkend und würden kaum der Erforschung der Risiken für Mensch, Umwelt und Klima dienen, geht damit ins Leere. Ein Großteil der Forderungen, die die Linken in ihrem Antrag vom 25. Mai stellen, läuft ins Leere, da die Bun- desregierung diese bereits in ihrem Aktionsplan Nano- technologie 2015, der schon am 12. Januar 2011 vom Kabinett verabschiedet wurde, festgeschrieben hat. Der Aktionsplan treibt die Erforschung einer nachhaltigen und sicheren Nutzung der Nanotechnologie weiter vo- ran. Die Risiken für Mensch und Umwelt werden weiter erforscht, und die intensive Kommunikation und der Dialog mit der Öffentlichkeit werden weiter ausgebaut. Darüber hinaus will die Bundesregierung insbeson- dere die Rahmenbedingungen für die Nanotechnologie verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der Unterneh- men in Deutschland sichern. Deutschland hat in diesem Bereich weltweit eine Spitzenposition und wird diese durch internationale Kooperationen weiter ausbauen. 63 000 Mitarbeiter arbeiten hier, und der Umsatz der deutschen Unternehmen betrug 2007 bereits circa 33 Milliarden Euro. Und er wächst weiter. Für Nanopro- dukte wird im Jahr 2015 insgesamt ein Weltmarktvolu- men von 1,5 bis 3 Billionen Euro prognostiziert. Was die Einführung eines branchenübergreifenden Nanoproduktregisters anbelangt: Dieses befindet sich sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene schon seit längerem im Gespräch. Es erscheint mir der- zeit allerdings sinnvoller, weiterhin jeweils sektor- bzw. produktbezogen zusätzliche Meldepflichten zu prüfen, anstatt einen übergreifenden Ansatz in Form eines um- fassenden Nanomelderegisters voranzutreiben. Wir werden als Gesetzgeber darauf achten, dass Risi- ken und Chancen dieser Technologie ausgewogen disku- tiert und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Potenziale, die die Nanotechnik birgt, gilt es zu entwi- ckeln, zum Vorteil von uns Menschen. Carola Stauche (CDU/CSU): Wir beraten heute ei- nen Antrag, der sich der Überschrift nach mit dem Thema Verbraucherschutz beschäftigt. Das ist modern, das kommt gut an. Wenn sich ein solcher Antrag dann auch noch inhaltlich komplett mit der Überschrift deckte, wäre das wünschenswert, ist aber, wie wir am Beispiel des vorliegenden Antrags sehen, nicht unbe- dingt notwendig. Gespickt mit der üblichen Kapitalis- muskritik, Unterstellungen und Halbwahrheiten scheint der Antrag vor allem eines im Sinn zu haben – den Ver- braucherinnen und Verbrauchern Angst zu machen. Der Antrag geht zwar kurz auf die Chancen ein, die durch die Nanotechnologien entstehen, aber in der Hauptsache werden mögliche Risiken aufgezählt, die es durch die Bundesregierung zu regulieren gilt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Weder die CDU/CSU- und die FDP- Bundestagsfraktionen noch die Bundesregierung möch- ten Verbraucherinnen und Verbraucher in Gefahr brin- gen. Bereits der ressortübergreifende „Aktionsplan Na- notechnologie 2015“ zeigt, dass die Gefahren, aber vor allem die Potenziale, die in den Nanotechnologien ste- cken, von uns erkannt werden. Ich möchte einige Schwerpunkte des „Aktionsplans 2015“ noch einmal kurz vorstellen. In Anbetracht des hier diskutierten Antrags sind diese von Interesse, zeigen sie uns doch, dass wir uns der Erwartungen, die Verbrau- cherinnen und Verbraucher an uns stellen, durchaus be- wusst sind. Der Aktionsplan möchte die Forschung fördern und den Technologietransfer intensivieren; weiterhin soll die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13167 (A) (C) (D)(B) Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland gesi- chert werden. Einen Schwerpunkt bildet die Erforschung der Risiken, welche durch Nanotechnologien entstehen können; das soll einen sicheren und verantwortlichen Umgang mit diesen Zukunftstechnologien gewährleis- ten. Jedoch wird hier nicht – wie in Ihrem Antrag – auf die vollständige staatliche Kontrolle gesetzt. Vielmehr sind wir der Auffassung, dass auch die Unternehmen ein Interesse daran haben, möglichst früh eine Nutzen- und Risikoabschätzung neuer technologischer Anwendungen vorzunehmen. Nicht ein Unternehmen möchte nur an- satzweise in den Verdacht geraten, ein Produkt zu ver- treiben, welches eine Gefahr für Leib und Leben dar- stellt. So setzt der „Aktionsplan 2015“ hinsichtlich der Risikoforschung auf gemeinsame Forschungs-pro- gramme mit der Industrie, etwa das Programm Nano Care. Hier werden die Auswirkungen bei der Herstel- lung, Verarbeitung und Anwendung von synthetischen Nanomaterialien untersucht. NanoNature untersucht den Eintrag, die Verteilung, den Verbleib und die Wirkung von synthetischen Nanopartikeln und Nanomaterialien in der Umwelt und entwickelt dazu angepasste Messme- thoden. Natürlich beschäftigt sich der „Aktionsplan 2015“ auch mit Produkten, welche Nanomaterialien enthalten, mit denen Verbraucher und Berufstätige im täglichen Le- ben Kontakt haben. Diese Produkte werden durch ein be- sonderes Forschungsprogramm begleitet. Früher durch- geführte Begleitforschungsprojekte haben gezeigt, dass die Konzentration auf die Nanoskaligkeit von Partikeln allein keine Rückschlüsse auf mögliche Risiken zulässt. Fragen hinsichtlich des Arbeits-, Umwelt- und des Ver- braucherschutzes richten sich daher zukünftig verstärkt auf Langzeitstudien und Einzelfallanalysen, die durch die Ressortforschungseinrichtungen des BMELV-Geschäfts- bereichs wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, das Umweltbundesamt und das Bundes- institut für Risikobewertung, die Bundesanstalt für Mate- rialforschung und die Physikalisch-Technische Bundes- anstalt durchgeführt und koordiniert werden. Ein weiterer wichtiger Punkt wird durch den „Ak- tionsplan 2015“ aufgenommen, der sich von den Vorstel- lungen der Antragsteller weit unterscheidet. Das hat aber mehr mit Politikverständnis zu tun. Wir sind der Mei- nung, Verbraucherinnen und Verbraucher müssen nicht bevormundet werden, wie die Linke das tut. Wir sind der Meinung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auf- geklärt werden müssen und dann selbst entscheiden sol- len, was gut oder eben schlecht für sie ist. Dadurch grei- fen sie aktiv in das Marktgeschehen ein und entwickeln mit ihrer Nachfrage das Angebot. Das im Aktionsplan gesetzte Ziel ist es, die Ergebnisse von Grundlagenfor- schung, Informationen zum Technologietransfer und das Fazit begleitender Studien durch Dialogmaßnahmen ei- nem möglichst umfassenden Interessentenkreis transpa- rent zu vermitteln und sich darüber auszutauschen. Es gibt verschiedene Angebote, die den Bürgerdialog zum Thema Nanotechnologien fördern sollen. So etwa im be- reits erwähnten Programm NanoCare, durch mobile Wissenschaftsausstellungen wie den NanoTruck und be- darfsgruppengerechte Informationsangebote in den neuen und traditionellen Medien. All diese Angebote sollen helfen, die komplexen wissenschaftlichen Inhalte für die interessierte Öffentlichkeit zu übermitteln. Die Bundesregierung arbeitet bereits auf europäischer Ebene daran, Regulierungsmöglichkeiten zu definieren, welche den Bedürfnissen der Verbraucher entgegenkom- men und gleichzeitig den Innovationsprozess nicht be- hindern. Eine Aufforderung durch die Linke ist dafür nicht notwendig. Bereits vorhandene und somit umge- hend zur Verfügung stehende Regulierungselemente werden bereits verantwortungsbewusst weiterentwickelt. So werden etwa das europäische Chemikalienregister REACH, die allgemeinen lebensmittelrechtlichen Vor- schriften und die ab 2013 geltende umfassende Kenn- zeichnungspflicht für Kosmetika, Zulassungsrichtlinien für Futtermittel, Pflanzenschutzmittel und Arzneimittel und Medizinprodukte bearbeitet. Diese Verteilung er- möglicht eine der Breite der Technologie angemessene, individuelle und tiefgreifende Berücksichtigung aller Bereiche nanotechnologischer Materialien. Die Strategie der Bundesregierung beinhaltet auch, die führende Rolle Deutschlands als Innovationsstandort durch den Ausbau internationaler Kooperationen und die Steigerung der Attraktivität zu sichern. So beteiligt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene an der Mit- gestaltung der Förderprogramme des 8. Forschungsrah- menprogramms und an der Diskussion über Regulie- rungsprozesse und innovationsfreundliche Rahmenbe- dingungen der Nanotechnologien. Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass durch die Bundesregierung 230 Millionen Euro für die Forschungsförderung und Risikoanalyse ausgegeben werden und 170 Millionen Euro für die Grundlagen- und Begleitforschung an den außeruniversitären Forschungs- instituten bereitgestellt werden. Die nationale Wissen- schaftsförderung im Bereich Nanotechnologie orientiert sich projektbezogen an den von der Bundesregierung de- finierten Bedarfsfeldern. Die begleitenden Risikovor- sorge- und Risikomanagementmaßnahmen befassen sich mit den Fragen des Umwelt-, Arbeits- und Verbraucher- schutzes. Genauso wenig wie die Verbraucherinnen und Verbraucher benötigt die Regierungskoalition die Bevor- mundung durch die Linke. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Immer noch ge- ben Nanoteilchen viele Rätsel auf. Immer noch sind Un- tersuchungsmethoden und Regulierung zu wenig weiter- entwickelt. Immer noch sind Chancen und Risiken für Mensch und Umwelt nicht hinreichend abgeklärt. Die vielen Rätsel und Unklarheiten führen dazu, dass die Verbraucherin und der Verbraucher in zunehmendem Maße verwirrt und ratlos bleiben und die vielen neuen Produkte, die mit den Vorteilen von Nanotechnologie werben, nicht einschätzen können. Für den Verbraucher ist es immer noch kaum ersichtlich, ob ein Produkt mit- tels Nanotechnologie hergestellt wurde oder Nanomate- rialien enthält. Den vermeintlichen Vorteil sowie die eventuellen Risiken kann er nicht einschätzen. 13168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Verbraucherschutz und Verbraucheraufklärung bei verbrauchernahen Nanoprodukten müssen ernst genom- men werden. Dazu brauchen wir schnellstmöglich ein staatliches öffentliches Produkteregister. Bisher verweist das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf die Datenbank „A Nanotech- nology Consumer Products Inventory“, die ein Projekt des Woodrow Wilson International Center for Scholars ist. Diese sehr umfassende Datenbank ist nur in engli- scher Sprache vorhanden und nicht für jeden Verbrau- cher zur Information geeignet. Auch der Bund für Um- welt und Naturschutz sammelt auf seiner Website Produkte mit Nanoteilchen, kann aber nur Produkte in die Datenbank aufnehmen, bei denen der Hersteller auf die Verwendung von Nanomaterialien hinweist und kennzeichnet. Diese informative Sammlung kann aber nicht ein staatliches Register ersetzen. Das Produkteregister, welches unter Beteiligung der Verbraucherverbände errichtet werden soll, muss Infor- mationen über den Hersteller oder Importeur, die Identi- tät des Produktes sowie weitere Informationen über die im Produkt enthaltenen Nanomaterialen sammeln. Alle Produkte, die auf dem Markt sind oder auf den Markt kommen wollen, müssen an eine öffentliche Stelle ge- meldet und dort registriert werden. Damit der Verbrau- cher sich wirklich informieren kann, müssen alle Infor- mationen in allgemein verständlicher Form aufbereitet werden. Schon 2006 forderten die Teilnehmer der Verbraucher- konferenz Nanotechnologie des Bundesinstituts für Risi- kobewertung: eine verständliche Kennzeichnung, klare Definitionen, Begrifflichkeiten und Standards sowie mehr Forschung zu potenziellen Risiken. Fünf Jahre spä- ter sind wir nicht viel weiter gekommen. Es gibt bisher keine Kennzeichnung von Nanobestandteilen. Die erste verpflichtende Kennzeichnung innerhalb der Europäi- schen Union kommt 2013 für Kosmetika. Die EU-Parla- mentarier beraten derzeit in zweiter Lesung eine EU-Ver- ordnung, nach der technisch hergestellte Nanomaterialien in Lebensmitteln gekennzeichnet werden sollen. Dem- nach sollen Lebensmittelproduzenten, die Partikel in na- noskaligen Abmessungen zusetzen, verpflichtet werden, in der Liste der Inhaltsstoffe den Zusatz „(nano)“ hinzu- zufügen. Wir fordern eine generelle und sichtbare Kennzeich- nung von Nanostoffen in sämtlichen verbrauchernahen Produkten. Das bedeutet, dass auch bei Lebensmittelver- packungen, Wasch- und Haushaltmitteln, Medizinpro- dukten, Arzneimitteln, Kleidung usw. ein Hinweis auf Nanopartikel vorgeschrieben werden muss. Die Verbrau- cherin/der Verbraucher braucht diese Kennzeichnung, um ihre/seine Kaufentscheidung in Abwägung der Vor- und Nachteile treffen zu können. Neben der Kennzeichnung, dass Nanostoffe enthalten sind, brauchen sie mindestens zwei weitere Informatio- nen um eine bewusste Konsumentscheidung treffen zu können, erstens die Information, welchen Mehrwert die- ses Produkt verspricht. Verbraucher erkennen oft wenig Vorteile und haben den Verdacht, dass bei vielerlei An- wendungen speziell bei Lebensmitteln und -verpackun- gen der Nutzen von Nanoteilchen vorrangig aufseiten der Hersteller zu finden ist. Eine proaktive Kommunika- tion der Chancen und unmittelbaren Vorteile ist daher notwendig. Verbraucher wollen drei Kernfragen beant- wortet wissen: Warum Nanotechnologie? Wer wird da- von profitieren? Was habe ich davon, bei welchem Ri- siko? – Zweitens brauchen die Verbraucher verlässliche Informationen darüber, ob gesundheitliche Schäden dro- hen, wenn das Produkt mit Nanopartikelen verwendet wird. Nanomaterialien sind in Bezug auf ihre gesund- heitlichen Wirkungen umstritten. Die Warnung des Bun- desinstituts für Risikobewertung, BfR, auf die Verwen- dung von nanoskaligem Silber oder nanoskaligen Silberverbindungen in Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs zu verzichten, bis die Datenlage eine abschließende gesundheitliche Risikobewertung zulässt und die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Produk- ten sichergestellt werden kann, ist ernst zu nehmen. Transparenz bei der Risikoregulierung ist aus Verbrau- chersicht zwingend notwendig, um Vertrauen in Nanoin- novationen zu erringen. Akzeptanzunterstützend ist die Beteiligung von Ver- brauchern mit Verbraucherkonferenzen oder über ein Citizen Forum, Bürgerforum. In England hat die Food Standards Agency ein Bürgerforum zu „Nanotechnology and Food“ durchführen lassen. Ziel war es, die Einstel- lungen der Verbraucherinnen und Verbraucher zum Ein- satz von Nanotechnologie bei Lebensmitteln nachvoll- ziehen zu können, um Informationen zu verbessern. Im Ergebnis zu dem Bürgerforum wurde festgestellt, dass die Verbraucher eine große Skepsis empfinden bezüglich der Frage, wem Nanotechnologie bei Lebensmitteln wirklich nützt. Die Beteiligten vermuteten, dass mehr Vorteile für die Hersteller vorhanden sind und der Ver- braucher eher die Nachteile zu tragen hat, sei es durch erhöhte Lebensmittelpreise, niedrigere Qualität oder er- höhte Gesundheitsrisiken. Die dauerhafte Akzeptanz von Nanoprodukten bei den Verbrauchern wird stark da- von abhängen, inwieweit vermutete Potenziale für Mensch und Umwelt und mögliche Risiken bestätigt bzw. widerlegt werden können. Auf Antrag der Oppositionsfraktionen wird der Aus- schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz im Oktober dieses Jahres eine öffentliche Anhö- rung zum Thema Nanotechnologien durchführen. Mit der Unterstützung der Experten erwarten wir einen wei- teren Erkenntnisgewinn, der dann auch die Bundesregie- rung zum Handeln führen wird. René Röspel (SPD): Im aktuellen Science-Maga- zine findet sich ein Artikel mit dem Titel „DNA Nano- technology Grows Up“. Frei übersetzen könnte man dies auch mit: Die DNA-Nanotechnologie wird erwachsen. In der DNA-Nanotechnologie, einer Untergruppe der Nanotechnologien, ordnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler DNA-Moleküle neu und entwerfen so Strukturen. Bekannt sind zum Beispiel die nanometer- kleinen Smileys. Dies amüsiert die Betrachter, eine An- wendung für diese Technik fehlte aber lange Zeit. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13169 (A) (C) (D)(B) In dem zitierten Artikel wird nun beschrieben, wie in- nerhalb der letzten zwanzig Jahre aus dieser zu Beginn nicht ernstgenommenen Technologie langsam reale Pro- dukte entstehen. So werden damit heute Strukturen von Proteinen abgebildet und das Innenleben von Zellen nachvollzogen. Für die nahe Zukunft erwartet man au- ßerdem weitere Anwendungen im Medizinbereich. An diesem Teilbereich zeigt sich exemplarisch, wie aus der Nanotechnologie-Grundlagenforschung mittler- weile Anwendungen und Produkte entstehen. Als For- schungspolitiker werde ich mich in meiner Rede aber auf den Forschungsteil des hier vorliegenden Linken-An- trags konzentrieren. Die Chancen der Nanotechnologie sind in Deutsch- land früh erkannt worden. Bereits mit Beginn der 90er- Jahre förderte das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Nanotechnologie. Heute steht Deutsch- land mit circa 400 Millionen Euro im Jahr bei den öf- fentlichen Forschungsförderungen weltweit auf Platz vier, hinter den USA, China und Russland. Uns war aber von vornherein klar, dass diese neue Technologie nur Akzeptanz erfahren kann, wenn transpa- rent und nachvollziehbar Chancen und Risiken untersucht und thematisiert werden. Unter sozialdemokratischer Re- gierungsbeteiligung haben wir 2009 beschlossen, dass bis 2012 10 Prozent der Bundesförderung für Nanotechnolo- gien in die Sicherheitsforschung fließen sollen. Mit einem aktuellen Anteil von über 6 Prozent ist diese Forderung noch nicht erreicht. Wir liegen im internationalen Ver- gleich aber selbst mit dem aktuellen Prozentsatz klar an der Spitze. Richtig ist, worauf auch die Linken in ihrem Antrag verweisen, dass wir im Bereich der Nanowissen- schaften immer noch über große Wissensdefizite verfü- gen. Insbesondere die Sicherheitsforschung muss deshalb kontinuierlich gefördert bzw. ausgebaut werden. Notwendig ist auch, endlich eine Einigung auf eine gemeinsame Definition für Nanomaterialien zu errei- chen. Insbesondere zur Etablierung einheitlicher Stan- dards und Messmethoden sowie zur Umsetzung von Richtlinien ist dies unabdingbar. Wenn man sich die be- reits existierenden Definitionen der ISO, der OECD oder der EU-Kosmetikverordnung anschaut, fällt auf, dass dort fast immer von einer Partikelgröße zwischen 1 bis 100 Nanometern gesprochen wird. Die im Antrag der Linken geforderten 0,5 bis 300 Nanometer erscheinen mir zur Etablierung einer einheitlichen Definition des- halb wenig hilfreich. Hier ist aber die Bundesregierung in der Bringschuld, einen Bundestagsbeschluss umzusetzen. Die Forderung, eine einheitliche Definition voranzubrin- gen, haben wir bereits in unserem Antrag 16/12695 ge- stellt. Die Forderung der Linken nach einer stärkeren Priori- sierung der Forschungsförderung auf die Themen Klima, Energie und Gesundheit mag erst einmal einleuchten. Wir halten die Einteilung aber für nicht praktikabel. Nicht eindeutig abgrenzbare Bereiche wie „Klima“ oder „Gesundheit“ mit fließenden Übergängen in andere The- men mit einer starren Mindestquote zu versehen macht keinen Sinn. Außerdem fällt bei der starren Einteilung der Linken auf jeweils 25 Prozent der Mittel die so wich- tige Grundlagenforschung vollkommen unter den Tisch, die sich eben nicht per se einem Thema zuordnen lässt. Auf dem letzten Leibniz-Abend berichtete ein Wissen- schaftler zum Beispiel über die Entwicklung einer neuen Klebetechnik. Obwohl die Forschung auf ganz andere Bereiche abzielte, wird diese Erkenntnis heute im Ge- sundheitsbereich eingesetzt. Liebe Kolleginnen und Kol- legen der Linken, diese Entwicklung wäre nach Ihren Überlegungen vielleicht nie entstanden. Anwendungsbe- zug in der Forschung ist wichtig. Dies erzielen wir aber nur, wenn wir den Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern in der Grundlagenforschung die nötigen Frei- heiten und Mittel zukommen lassen. Die starke Regle- mentierung im Antrag der Linken halte ich deshalb für eher kontraproduktiv. Eine Reihe von Forderungen aus dem Linken-Antrag wie zum Beispiel ein öffentliches Register für Nanopro- dukte oder -materialien ist nachvollziehbar und unter- stützenswert, aber eben auch nicht neu. Um sichere Pro- dukte zu erhalten, müssen wir weiter kontinuierlich in die Forschung investieren. Insbesondere für die Grund- lagenforschung ist die staatliche Unterstützung unab- dingbar. Wir als Sozialdemokraten werden dies auch weiterhin fördern und einfordern. Dr. Erik Schweickert (FDP): Der deutsche Physiker Georg Christoph Lichtenberg hat einmal gesagt: Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wich- tig zu halten, hat sehr viel Großes hervorgebracht. Dabei konnte auch er nicht ahnen, wie klein die Dinge werden, die die Menschen heute für wichtig halten. Und wir halten die Nanotechnologie für eminent wichtig. Bis heute gibt es keine Anhaltspunkte, dass die Nano- technologie gesundheitsschädlich ist. Und wenn Sie da- von sprechen, die Erforschung und Bewertung technisch bewusst erzeugter Nanostoffe sei bisher stark vernach- lässigt worden, so ist das schlichtweg falsch. Es gibt zahlreiche Studien die belegen, dass die Forschung ge- rade nicht vernachlässigt worden ist. Sie beziehen sich doch sogar selbst auf eine Studie des Bundesamtes für Risikobewertung. Eine weitere Studie der Universität Manchester, auf die sich im Übrigen auch das Umwelt- bundesamt beruft, betont bezüglich einer konkreten Ge- fährdung von Produkten mit Nanostoffen, dass die Mor- phologie und nicht die Größe eine entscheidende Rolle spiele. Trotzdem fordern Sie umfassende Regulierungs- maßnahmen und Auflagen bezüglich der Verwendung von Nanomaterialien: Ein Register zur Erfassung und Regulierung von Nanostoffen sowie die Kenntlichma- chung von Produkten, die Nanopartikel enthalten. Zu Ihrem ersten Punkt: Ihre geforderte Erfassung von Nanostoffen in einer Art Register ist in meinen Augen übertriebener Bürokra- tismus. Bei Ihrer Überlegung, ein eigenständiges Regis- ter für Nanostoffe zu schaffen, ist wohl in Vergessenheit geraten, dass wir bereits eine europäische Chemikalien- richtline REACH haben, die auch die Nanopartikel er- fasst. Nach dieser Verordnung muss bereits jetzt schon jeder Stoff bei der Europäischen Chemikalienagentur 13170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) – ECHA – registriert werden. Und in Art. 1 – Ziel und Geltungsbereich – der Verordnung wird auch ausgeführt, dass den Bestimmungen der REACH-VO das Vorsorge- prinzip zugrunde liegt. Mit einer weiteren Erfassung von Daten kämen wir zu einer Doppelung zahlreicher, bereits bestehender stoff- und produktrechtlicher Regelungen. Darüber gelten bereits schon jetzt die allgemeinen und spezifischen Anforderungen des Lebensmittel- und Fut- termittelgesetzbuches auch im Hinblick auf die poten- zielle Anwendung nanoskaliger Materialien und Verfah- ren unter Einsatz der Nanotechnologie sowie andere Regelungen im sektoralen Produktrecht der EU, wie zum Beispiel die EU-Kosmetikverordnung. Zu Ihrem zweiten Punkt: Meinen Sie denn allen Ernstes, dass man die Unsi- cherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher mittels einer Kennzeichnungspflicht von Nanoprodukten aus der Welt schaffen kann? Eine Kennzeichnungspflicht kann auch irreführend sein. Ich sehe in einer solchen Pflicht sogar das Potenzial einer aktiven Verunsicherung der Verbraucherinnen und Verbraucher; ein Schüren von Ängsten, es handle sich um ein Produkt, welches Gefahrenpotenzial berge, vor dem man durch spezifische Kennzeichnung warnen müsse. Ich kann Ihre Vorsicht zwar teilweise nachvollziehen, Ihre Argumente sind aber pure Zukunftsangst. Die Nano- technologie bietet für Wissenschaft und Wirtschaft zahl- reiche Einsatzmöglichkeiten und nimmt somit einen ho- hen Stellenwert ein. Denn wir genießen bereits heute einen Zusatznutzen durch Nanomaterialien: zum Bei- spiel UV-Schutz in Sonnencreme und Kosmetika, wir haben einen Zusatznutzen durch schmutzresistente Tex- tilien, leistungsfähigere Computer, kratzfeste Brillenglä- ser, effizientere Wärmedämmung und einen Zusatznut- zen in der Medizin, zum Beispiel bei zahnärztlichen Füllungsmaterialien. Mithilfe der Nanotechnologie sind uns bereits heute große Fortschritte – sei es in der Medi- zin oder im Bereich der modernen Lack- oder Kunst- stoffe – gelungen und wir tanzen daher nicht mehr auf der Stelle. Und da muss ich Sie schon fragen: Erklären Sie mir doch einmal, wie Sie zu der Vermutung kom- men, Nanostoffe hätten eine „entzündliche, krebserre- gende und fortpflanzungsgefährdende Wirkung“. Ich gebe Ihnen die Antwort: Genau das Gegenteil ist der Fall. Mithilfe der Nanotechnologie können für die Hei- lung von Krebs schon große Fortschritte erreicht wer- den. Auch Ihre Behauptung, die Bürger seien nicht aus- reichend informiert, ist schlichtweg falsch. Eine Studie der Verbraucherzentrale Bundesverband, vzbv, hat ge- zeigt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr gut informiert sind. Hier heißt es wörtlich: Die Ergebnisse waren für das Forschungsteam überraschend, denn sie zeigen einen unerwartet ho- hen Wissensstand. Wir als FDP sind eine Fortschrittspartei. Wir dürfen uns daher nicht in der Gegenwart, im erreichten Wohl- stand gemütlich einrichten und Fortschritt ablehnen. Wir brauchen die Bereitschaft für Fortschritt und neue Tech- nologien. Das Streben nach Fortschritt und Innovation macht auch den Standort Deutschland aus, macht ihn at- traktiv und schafft Arbeitsplätze. Wenn man aber jeder vielversprechenden, neuartigen Technologie Steine in den Weg gelegt und ihr den Saft abgedreht hätte, so wie Sie es heute versuchen, dann würden wir heute noch in Höhlen leben und nicht die Vorzüge unseres modernen Lebens genießen. Ein Produktregister ist schon deshalb obsolet, da es für gefährliche Produkte schon Register wie zum Bei- spiel RAPEX gibt. Und dabei ist es dann unerheblich, ob ein Produkt Nanomaterialien beinhaltet oder nicht. Karin Binder (DIE LINKE): Verbraucherschutz kommt bei der Nanotechnologie derzeit nicht vor. Das ist die Erkenntnis aus der Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai 2011 auf unsere Kleine Anfrage zu diesem Thema. Es ist die fatale Folge einer einseitigen und fehlgeleiteten Förderpolitik der Bundesregierung. Zunächst standen die Verbraucherinnen und Verbraucher der Technologie auf- geschlossen gegenüber. Aber die Skepsis nimmt zu – und das aus gutem Grund: Informationsmangel und fehlende Hinweise für Verbraucherinnen und Verbraucher machen zu Recht misstrauisch. Die Hersteller reagieren auf ihre Weise: Sie verschleiern Nanobestandteile in Lebensmit- teln und Bedarfsgegenständen. Um es deutlich zu sagen: Verbraucherinnen und Ver- braucher erwarten zu Recht, dass Behörden und Indus- trie die Fragen nach den Risiken der Nanotechnologie beantworten können. Der Gesetzgeber muss eine Kennt- lichmachung aller nanobehafteten Produkte sicherstel- len. Der Zusatznutzen und die Unbedenklichkeit müssen belegt werden und in verständlicher Weise erläutert sein. Dabei reicht ein kleiner Hinweis auf der Verpackungs- rückseite nicht aus. Derzeit findet eine gesetzliche Regulierung der Nano- technologie nur auf EU-Ebene statt. Die Bundesregierung ist weitgehend untätig. Hinzu kommt: Die in Brüssel auf- gegriffenen Teilbereiche erfassen die gesundheitlichen und umweltbezogenen Risiken nur unzureichend. Die Bundesregierung muss deshalb auch auf nationaler Ebene eine generelle Regelung und Kontrolle der Nanotechnolo- gie auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips umsetzen. Nur so kann den offenkundigen Risiken gegenüber Mensch und Umwelt angemessen begegnet und nur so können un- berechtigte Ängste abgebaut werden. Klare gesetzliche Vorgaben würden auch betriebswirtschaftliche Risiken der Unternehmen mindern, die sich mit Nanotechnologien befassen. Voraussetzung wäre, die Förderstruktur zuguns- ten von Vorsorge und Verbraucherschutz neu zu struktu- rieren. Die Durchsetzung von Verbraucherschutz bei Nano- stoffen ist dennoch schwierig, schon allein deshalb, weil es bisher keine anerkannte Definition des Begriffs Nano- technologie gibt. Sowohl über die Größe als auch über die Nanoeffekte besteht keine Einigkeit. Die Folge: Dem Gesetzgeber wird die Festlegung eines Regulierungsrah- mens erschwert. Auch führt die bisherige sehr einge- grenzte und willkürliche Definition bei Unternehmen zur Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13171 (A) (C) (D)(B) „Regulierungsflucht“ auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich frage: Wie soll ein Nanoprodukt si- cher sein, wenn man nicht einmal sicher ist, was „Nano“ eigentlich ist? Die Linke sagt: Die Bestimmung eines Materials als Nanostoff darf nicht allein über die Größe erfolgen. Ent- scheidend ist vielmehr, unter welchen Bedingungen ein nanotechnischer Effekt erzielt wird. Neben einem Grö- ßenraster von etwa 0,5 bis 300 Nanometern müssen nanotypische Wirkungsweisen in die Betrachtung einbe- zogen werden. Das sind gegenüber der natürlichen Stoff- form vor allem stark veränderte physikalische, chemi- sche und biologische Eigenschaften sowie elektrische, optische und katalytische Effekte. Weist ein Stoff mindestens eine dieser nanospezifi- schen Eigenschaften auf, muss er behördlich erfasst und eingeordnet werden. Jedes Material im nanoskaligen Be- reich, das bewusst künstlich, technisch erzeugt wird, muss eine unabhängige gesundheits- und umweltbezo- gene Risikobewertung durchlaufen, bevor es als Roh- stoff oder Produkt auf den Markt gelangen darf. Die In- formationen zu erfassten und bewerteten Stoffen müssen öffentlich zugänglich sein. Ohne Frage: Die Nanotechnologie bietet in manchen Bereichen gute wirtschaftliche Chancen für Unterneh- men in Deutschland. Sie kann industrielle Prozesse er- leichtern und Verfahren verbessern. Produkte können weiterentwickelt und mit neuen Eigenschaften versehen werden. Ein wichtiger Nutzen ergibt sich in der Medizin, wo die Diagnose und Therapie sowie das hygienische Umfeld verbessert werden können. Für Verbraucherin- nen und Verbraucher hingegen ist der Mehrwert bisher begrenzt. Ob ein nanospezifischer Zusatznutzen bei Le- bensmitteln und Bedarfsgegenständen in einem vernünf- tigen Verhältnis zu möglichen Risiken und Mehrkosten stehen wird, ist derzeit völlig offen. Die Förderpraxis der Bundesregierung geht an den Versprechungen vorbei. Vorrangig werden die Förder- mittel von der Industrie bei der Verbesserung vorhande- ner Verfahren, Prozesse und Produkte eingesetzt. Haupt- interesse der Unternehmen an der Nanoförderung ist meist die Kostensenkung in der Produktion. Wichtige gesellschaftliche Fragestellungen wie Energie- und Kli- maschutz sowie Ressourcen- und Umweltschonung tre- ten in den Hintergrund und haben einen verschwindend geringen Anteil an der Förderung. Die Erforschung und Bewertung von gesundheitli- chen und umweltbezogenen Risiken, die von Nanostof- fen ausgehen können, sind bisher sträflich vernachlässigt worden. Der Gesetzgeber ist derzeit gar nicht in der Lage, wirksame Maßnahmen zur Gesundheits- und Um- weltvorsorge zu treffen, da es keine ausreichende Daten- basis gibt. Viele Ergebnisse von Untersuchungen zu Ri- siken, die mit Fördergeldern der Nanoinitiative des Bundes finanziert wurden, sind nicht relevant, da sie durch die Unternehmen vorrangig zur Abschätzung be- triebswirtschaftlicher Risiken vorgenommen wurden. Zu welchen ungewollten Effekten Nanostoffe durch ihre geringe Größe und die hohe Reaktionsfähigkeit bei- tragen, wenn sie mit dem menschlichen Körper in Be- rührung kommen oder in die Umwelt gelangen, ist der- zeit nicht absehbar. Zur Verbreitung, Giftigkeit und Umweltwirkung der unterschiedlichen Nanostoffe liegen kaum Erkenntnisse vor. Derzeit gibt es erstzunehmende Befunde zu entzündlichen, krebserregenden und fort- pflanzungsgefährdenden Wirkungen beim Menschen. Im Ökosystem sind Störungen bei Kleinstlebewesen und im Pflanzenwachstum nachgewiesen. Manche Nanostoffe sind daher für die breite Verwendung bei Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen ungeeignet. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass die Industrie mögliche Ri- siken in der öffentlichen Kommunikation herunterspielt. Das kann nicht das Ziel der Nanostrategie sein. Wenn der Bund Steuermittel in Milliardenhöhe zur Förderung der Nanotechnologie ausschüttet, müssen mögliche Folgen der Technologie ernsthaft in die Be- trachtungen einbezogen werden. Das hat die Bundesre- gierung bisher weitestgehend vernachlässigt. Mit unse- rem Antrag wollen wir die Nanoinitiative des Bundes im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher befördern. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Nanotechnologie ist eine komplexe und in ihrem An- wendungsbereich vielfältigst einsetzbare Technologie. Die Erwartungen und bisherigen Einsatzgebiete vor al- lem in der Medizin lassen nach dem bisherigen Kennt- nisstand auf eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten schließen. Nanotechnologie wird aber auch in einer Viel- zahl von verbrauchernahen Produkten eingesetzt, ohne dass die Konsumentinnen und Konsumenten dies immer wahrnehmen. Bisher sind Verbraucherinnen und Verbraucher aufge- schlossen gegenüber dieser neuen Technologie. Doch es mehren sich kritische Stimmen von Fachleuten, unter anderem auch der NanoKommission des Bundestages. Denn wir wissen bis heute noch zu wenig über Risiken und Folgen für Mensch und Natur. Das Prinzip des vor- sorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes wird beim Umgang mit nanoskaligen Stoffen sträflich vernachläs- sigt, obwohl es eindeutige Hinweise auf Gesundheitsge- fahren und Umweltschäden gibt. Eine aktuelle Studie der Universität Koblenz zeigt, dass Nanopartikel im Wasser, eingebracht durch Son- nenmilch, Wasserflöhe töten können. Studien des BfR haben ebenfalls deutliche Hinweise erbracht, dass Nano- silber zu krankhaften Veränderungen in Leber und Lunge führen kann. Hier besteht weiterhin die Gefahr, dass die großflächige Verbreitung von Nanosilber resis- tente Keime entstehen lässt und damit Silber als wirk- same Waffe gegen antibiotikaresistente Keime für die Medizin verloren geht. Wir müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen. Daher benötigen wir eine ausführliche Risiko- bewertung zu den Folgen und Risiken des Einsatzes von Nanotechnologie in allen Bereichen – Produkt für Pro- dukt und Material für Material. Wo Gesundheitsgefahren drohen, wie beim genannten Nanosilber, plädieren wir für ein Verbot in verbrauchernahen Produkten, bis Klar- 13172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) heit über die Unbedenklichkeit besteht. Hierzu gehört ebenfalls eine umfassende verbraucherfreundliche Kennzeichnungspflicht aller nanohaltigen Produkte, welche wir bis heute nicht haben. Dies nimmt den Ver- brauchern und Verbraucherinnen die Wahlmöglichkeit, auf Produkte mit Nanoteilchen zu verzichten. Wir schließen uns der Forderung der NanoKommis- sion und der Linken an, den Dialog über Nano, seine Anwendungsbereiche, Potenziale, aber auch Risiken mit der Gesellschaft stärker zu fördern. Die Verbraucherin- nen und Verbraucher wünschen sich Aufklärung und Entscheidungsmöglichkeiten, welche sie bisher nur un- ter größtem Aufwand wahrnehmen können. Deshalb brauchen wir ein europaweites, öffentlich einsehbares Produktregister, in dem alle Produkte und Studien hierzu umfassend dargestellt sind. Hierzu gehört, wie auch von der Linken vorgeschlagen, eine Definition zu Nanoteil- chen. Bis heute gibt es hierzu nur Vorschläge oder von Unternehmen willkürlich festgelegte Definitionen. Die bisherige Förderpraxis der Bundesregierung im Be- reich Nanotechnologie vernachlässigt den Bereich Risiko- und Begleitforschung. Dies hat auch der Vorsitzende der NanoKommission Catenhusen scharf kritisiert. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Umwelt- und Verbraucher- schutz und die Risikoforschung zu einem Schwerpunkt ih- rer Forschungsförderung im Bereich Nanotechnologie zu machen. Der im Antrag eingebrachte Vorschlag, mindestens 25 Prozent der jährlichen Fördermittel für Nanotechno- logie aus dem Bundeshaushalt in die Bereiche Energie und Klimaschutz sowie Ressourcen- und Umweltscho- nung fließen zu lassen, ist ein richtiger Ansatz, die gro- ßen Potenziale der Hightechtechnologie zu nutzen. Gleichzeitig gehört hierzu eine begleitende Risikofor- schung, die ebenfalls einen wesentlich größeren Anteil in der Förderpraxis der Bundesregierung als bisher er- halten muss. Die Einsatzgebiete der Nanotechnologie werden in den unterschiedlichsten rechtlichen Bereichen geregelt. Dementsprechend unübersichtlich ist, ob und – wenn ja – in welcher Form bestehende Regelungen Nanomate- rialien bereits umfassen oder nicht. Hier muss Klarheit für alle, Produzenten und Verbraucher, geschaffen wer- den. Wir plädieren für eine gemeinsame Regelung auf europäischer Ebene. Der von der EU-Kommission vorgeschlagene „inte- grierte, sichere und verantwortungsvolle Ansatz“ zur Nanotechnologie, bisher nur auf dem Papier, und der Ansatz eines freiwilligen „Verhaltenskodex“ sind defini- tiv nicht ausreichend für einen umfassenden Umwelt- und Verbraucherschutz. Hier muss sich die Bundesregie- rung in Brüssel für verbindliche rechtliche Regelungen einsetzen, die die Konsumentinnen und Konsumenten schützen und der Industrie klare Vorgaben geben. Der Antrag der Linken fordert eine nationale Regelung der Nanotechnologie. Sinnvoller ist eine Regelung auf euro- päischer Ebene, zum Beispiel durch eine Erweiterung der Chemikalienrichtlinie REACH. Die Bundesregie- rung ist hier gefordert, sich für eine Erweiterung von REACH auf europäischer Ebene einzusetzen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – Antrag: Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf verbessern – Pflegende Bezugs- personen wirksam entlasten und unterstüt- zen – Antrag: Bezahlte Pflegezeit einführen – Or- ganisation der Pflege sicherstellen (Tagesordnungspunkt 15 a bis c) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Pflegebedürftigkeit ist ein Thema, das im Alltag gern verdrängt wird. Zwar ist sich jeder bewusst, dass die Eltern wohl irgendwann ein- mal auf Hilfe angewiesen sein werden, aber meist setzt man sich erst dann ernsthaft mit dem Thema Pflege aus- einander, wenn der Ernstfall eintritt und ein Angehöriger plötzlich zum Pflegefall wird: Ein Unfall, ein Schlagan- fall, eine schwere Krankheit oder eben das Alter können der Grund dafür sein, dass Menschen pflegebedürftig werden. Meist liegt der Wunsch nahe, die Pflege seines Angehörigen selbst leisten zu können, ohne finanzielle und berufliche Nachteile fürchten zu müssen. Zudem entspricht es auch fast immer dem dringenden Wunsch der Pflegebedürftigen, in vertrauter Umgebung gepflegt zu werden. Mit dem heute in erster Lesung beratenen Modell der Familienpflegezeit kommen wir dem im Koalitionsver- trag verankerten Ziel der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nach. Pflegende Angehörige haben zukünftig die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren auf bis zu 50 Prozent zu reduzie- ren, ihr Gehalt wird in dieser Zeit auf 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens gekürzt. Nach der zweijährigen Familienpflegezeit werden die Beschäftigten dann wieder voll arbeiten, beziehen in die- sem Fall aber weiterhin 75 Prozent des Gehalts – so lange, bis das persönliche Zeitkonto im Unternehmen wieder ausgeglichen ist. Während dieser Jahre zahlt der Arbeitgeber die Beiträge zur Rentenversicherung auf der Basis des abgesenkten Arbeitsentgeltes. Für die ge- leistete Pflege überweist die Pflegeversicherung der Rentenversicherung zusätzlich eine Pflegezeitvergütung. Beitragszahlungen in der Familienpflegezeit und die Leistungen der Pflegeversicherung zur gesetzlichen Rente bewirken somit zusammen den ungeschmälerten Erhalt der Rentenansprüche. Diese Ansprüche steigen mit der Höhe der Pflegestufe des Angehörigen. Damit erhalten pflegende Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer trotz Ausübung der Pflege die Rentenansprüche etwa auf dem Niveau der Vollzeitbeschäftigung. Perso- nen mit geringem Einkommen werden sogar besser ge- stellt. So trägt das Modell der Familienpflegezeit zur Ver- ringerung der Altersarmut bei, die oftmals gerade bei Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13173 (A) (C) (D)(B) Frauen Folge einer Pflegeauszeit ist. Berufstätigen wird somit ermöglicht, Arbeit und Pflege besser in Einklang zu bringen, ohne dass ihnen daraus später Nachteile er- wachsen. Dass im Bereich der Pflege ein solches Modell ge- braucht wird, verdeutlichen die folgenden Zahlen: Rund 2,3 Millionen Menschen sind in Deutschland auf Pflege angewiesen. Etwa 1,5 Millionen werden zu Hause ver- sorgt, gut eine Million allein durch Angehörige, der Rest durch ambulante Dienste. In den nächsten Jahrzehnten wird die Zahl der Pflegebedürftigen merklich steigen. Die Notwendigkeit für die Familienpflegezeit ist gerade angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land groß, und dies ist auch der Bevölkerung bewusst: Die Bereitschaft und das Interesse sind vorhanden. Denn die überwiegende Mehrheit der Berufstätigen möchte ihre Angehörigen so weit wie möglich selbst betreuen – was auch von den Pflegebedürftigen so gewünscht wird –, stößt aber häufig auf große Schwierigkeiten. Schon heute gibt es die Möglichkeit einer halbjährigen Freistel- lung. Aber diese Freistellung ist unbezahlt; viele fürchteten daher die finanziellen und beruflichen Folgen. Die vom Kabinett im März beschlossene Familien- pflegezeit gibt den Menschen Zeit für die Übernahme von Verantwortung im Pflegefall, ohne dass sie ihre Er- werbstätigkeit aufgeben müssen. Damit ist es uns gelun- gen, ein modernes Modell zu entwickeln, von dem alle profitieren: die pflegebedürftigen Angehörigen, die im vertrauten Umfeld verbleiben können, die pflegenden Beschäftigten, die finanziell abgesichert sind und auch während der Pflegezeit den Kontakt zum Unternehmen wahren können, und eben auch die Unternehmen – schließlich gelingt der Erhalt qualifizierter Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter. Sie haben Planungssicherheit und keinen finanziellen Mehraufwand. Wir sind überzeugt, dass das von uns vorgestellte Mo- dell der Familienpflegezeit – ähnlich wie die Altersteil- zeit – ein Erfolgsmodell wird; denn die Familienpflege- zeit ist nach einem ähnlichen Muster organisiert. Hier hat es geklappt, weil die Betriebe und die Beschäftigten ein Interesse daran hatten. Dieses Interesse und der Bedarf sind auch bei der der Pflege vorhanden: Die meisten Menschen wollen die Be- treuung ihrer betagten Eltern oder krebskranker An- gehöriger nicht vollständig anderen überlassen. Tatsache ist jedoch, dass es für Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer, die einen Angehörigen pflegen, nicht leicht ist, Beruf und Pflege zu vereinbaren. Mit der Familienpfle- gezeit haben wir im „Jahr der Pflege“ diesem Problem Rechnung getragen. Die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden Ihnen für Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf danken. Caren Marks (SPD): Eine bessere Unterstützung von Menschen mit Betreuungs- und Pflegebedarf sowie eine stärkere Entlastung von pflegenden Angehörigen sind wichtige Zukunftsthemen. Angesichts der steigen- den Zahlen von Menschen mit Betreuungs- und Pflege- bedarf werden sie immer drängender. Bis zum Jahr 2030 ist mit einem Anstieg von heute 2,37 Millionen Men- schen auf 3,27 Millionen Menschen zu rechnen. Auch die Zahl der demenziell erkrankten Menschen steigt. Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzent- wurf aus dem Hause Schröder, der viel verspricht, aber nichts hält. Warum ist das so? Die Bundesfamilienministerin hat bereits im vergan- genen Jahr groß angekündigt, pflegende Angehörige besser zu unterstützen und zu entlasten. Doch nun legt sie im „Jahr der Pflege“ einen mehr als dürftigen Gesetzentwurf vor. Eine Entlastung für pfle- gende und betreuende Angehörige wird damit in der Pra- xis nicht erreicht. Im Gegenteil: Die schwarz-gelbe Bun- desregierung verlagert die Verantwortung für Pflege in den privaten Bereich. Ein schwerer „Konstruktionsfehler“ ist der fehlende Rechtsanspruch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer. Die Ministerin schlägt ein Arbeitszeitmodell vor, bei dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber freiwillig eine zweijährige Freistellungs- phase vereinbaren können. Hat Bundesministerin Schröder noch Ende vergangenen Jahres vollmundig einen Rechtsanspruch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer auf Familienpflegezeit angekündigt, findet sich ein solcher Anspruch in dem nun vorliegenden Gesetzent- wurf nicht mehr. Sie ist eingeknickt vor der FDP und der Wirtschaft. Deshalb ist das Gesetz nur eine reine Mogel- packung. Das haben bereits zahlreiche Sozialverbände scharf kritisiert. Sehr problematisch ist zudem die von Bundesministe- rin Schröder geplante Versicherungspflicht für pflegende Angehörige, die das geplante Familienpflegezeitmodell in Anspruch nehmen wollen. Ich sage klar: Das ist ein weiterer Schritt in Richtung Individualisierung und Pri- vatisierung des Pflegerisikos. In der Regel wird der Ar- beitnehmer oder die Arbeitnehmerin die Versicherung auf eigene Kosten abschließen müssen. Weitere Punkte sind problematisch: Reduzieren die Pflegenden nach diesem Modell die Arbeitsstunden, müssen sie alleine die finanziellen Lasten schultern. Überwiegend sind es Frauen, die Pflege im häuslichen Bereich leisten. Nehmen sie dieses Modell in Anspruch, dann verschlechtert sich ihre finanzielle Situation noch mehr. Denn Frauen sind wesentlich häufiger als Männer in Teilzeit oder im Niedriglohnsektor beschäftigt und verdienen im Durchschnitt ein Viertel weniger als Män- ner. Welche Verkäuferin im Einzelhandel oder welche Er- zieherin kann sich einen Verzicht auf das ohnehin be- scheidene Einkommen leisten? Dieses Gesetz geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Frauen vorbei, Frau Ministerin. Auch verfestigt dieser Gesetzentwurf das konserva- tive Leitbild einer Pflege, in der Frauen weiter die Hauptlast tragen sollen. Die Pflegearbeit muss dringend besser zwischen den Geschlechtern verteilt werden. Wer die bisherige Arbeit der Ministerin Schröder kennt, wun- dert sich nicht, dass sie bei der Lösung dieser Frage kei- nerlei Ambitionen hat. 13174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Die SPD will älteren Menschen ein menschenwürdi- ges Altern ermöglichen und dafür sorgen, dass Angehö- rige nicht aufgrund von Pflegearbeit aus dem Beruf aus- steigen. Wir brauchen deshalb vor allem eine Stärkung der pflegerischen Infrastruktur und der professionellen Pflege. Angehörige brauchen zudem flexible Zeitmo- delle, um pflegebedürftigen Menschen Zuwendung zu schenken und Pflege zu organisieren. Die SPD hat bereits in der letzten Legislaturperiode deutliche Verbesserungen für betroffene Familienange- hörige durch eine umfassende Pflegereform und das neu eingeführte Pflegezeitgesetz erreicht. Dieses Gesetz ent- hält klare und verbindliche Regelungen, auf die sich die Menschen verlassen können. Dafür hat sich insbe- sondere die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt eingesetzt. Das Pflegezeitgesetz würde pflegende Angehörige noch besser unterstützen, wenn der darin vereinbarte 10-tägige Freistellungsanspruch auch wie das Kinder- krankengeld bezahlt würde. Aber ein solcher Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit im akuten Pfle- gefall ist in der Großen Koalition am Widerstand der CDU/CSU gescheitert. Die SPD wird diese Forderung in Regierungsverantwortung umsetzen, denn die meisten Menschen können sich eine 10-tägige unbezahlte Pflege- zeit nicht leisten. Für die Entlastung und Unterstützung von pflegebe- dürftigen Menschen und ihren Angehörigen ist eine ent- sprechende Pflegeinfrastruktur außerordentlich wichtig. Hier hat die Pflegereform 2008 große Fortschritte ge- bracht. Dabei nenne ich nur die Verbesserung der Ange- bote für Menschen mit Demenz, den Aufbau von Pflege- stützpunkten und die Einführung des Rechtsanspruchs auf Pflegeberatung. Doch die schwarz-gelbe Bundesregierung unter- nimmt nichts, um diese Strukturen nachhaltig zu stärken. Von einem FDP-geführten Bundesgesundheitsministe- rium, das muss ich an dieser Stelle sagen, erwarte ich auch nichts. Die SPD hingegen will weitere Verbesserungen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige: Wir for- dern ein Rückkehrrecht von Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern auf einen Vollzeitarbeitsplatz bei Arbeits- zeitreduzierung wegen der Übernahme von familiärer Verantwortung. Menschen mit Pflegebedarf und pflegende Angehö- rige brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. Sie brauchen keine schwarz-gelbe Bundesregierung, die wirkungs- lose Gesetze vorlegt. Von den vollmundigen Ankündi- gungen letzten Herbst ist nichts übrig geblieben. Petra Crone (SPD): 2 Millionen Menschen sind der- zeit in Deutschland pflegebedürftig. 70 Prozent von ih- nen werden zu Hause gepflegt. 75 Prozent der Pflegen- den sind weiblich und zwei Drittel stehen mitten im Berufsleben. Und noch eine Zahl: Im Jahr 2020 wird es 3 Millionen Pflegebedürftige geben. Diese Zahlen haben es in sich. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Die bishe- rigen Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Be- ruf reichen nicht aus. Ulla Schmidt hat ganz richtig das Pflegezeitgesetz mit dem gesetzlichen Anspruch auf zehn Tage bezahlte Pflegezeit bei Eintreten eines akuten Pflegefalles und sechs Monate unbezahlte Pflegezeit auf den Weg gebracht. Doch jetzt brauchen wir mit Blick in die Zukunft deutlich mehr Maßnahmen. Die Betroffenen brauchen flexible Lösungen für ihre individuellen pfle- gerischen und beruflichen Herausforderungen. Auch die Kolleginnen und Kollegen, die heute in der Regierungsverantwortung stehen, nehmen sich des The- mas an – das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung und als Überschrift geeignet, Beifall zu bekommen. Aber was bleibt von den vollmundigen Versprechungen der Ministerin? Ein fehlender Rechtsanspruch und jede Menge Kleingedrucktes. Ein groß angekündigtes Projekt soll in nur 30 Minuten debattiert werden und geht – da spät angesetzt – letztendlich zu Protokoll. Das hat etwas von Wegducken und wird dem Thema ganz und gar nicht gerecht. Etwas mehr Ernsthaftigkeit und Leiden- schaft wären wünschenswert gewesen. Wir Sozialdemokraten wollen soziale Gerechtigkeit unter realistischen Bedingungen – das unterscheidet uns von den anderen Parteien. Wir nehmen deshalb nicht hin, dass Arbeitnehmer einseitig belastet werden. Wir wollen nicht, dass sie das Risiko ihrer ohnehin schon schweren Aufgaben unter finanziellen Einbußen alleine tragen. Die Versicherungsbranche lacht sich ins Fäust- chen und die Arbeitgeber lehnen sich entspannt zurück. Zudem ist die starre Zeitregelung im Vorschlag der Bun- desregierung eher hinderlich und kommt, wenn über- haupt, nur für sehr wenige Arbeitnehmer infrage. Ich rate der Regierungskoalition, mit den großen Wohl- fahrtsverbänden, mit Kirchen und mit den Betroffenen zu sprechen. Unisono wird das Gesetz als zu kurzsichtig abgelehnt, denn es fördert keine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, nein, ohne Rechtsanspruch liegt vor uns bestenfalls ein Papiertiger. Wichtig und richtig ist der Vorschlag der Grünen. Sie wollen den Kreis der Berechtigten auch auf Nichtver- wandte ausweiten. Denn das entspricht unserer heutigen Realität. Wie oft wohnen die Kinder einfach nicht in der Nähe? Wie oft sind Pflegebedürftige alleinstehend? Ge- nauso könnten dann der Nachbar oder Freunde diese Menschen versorgen. Außerdem darf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht mehr ein reines Frauenpro- blem sein, nicht das Problem von Töchtern und Schwie- gertöchtern. Kaum haben sie die Hürden der Vereinbar- keit von Beruf und Familie gemeistert, werden sie – häufig im nahtlosen Übergang – mit der nächsten Hürde, der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, konfrontiert. Auch unterstütze ich die Forderung der Grünen, eine unabhängige und individuelle Beratung für Pflegebe- dürftige und Pflegende sicherzustellen. Denn oft liegt die Überforderung von Pflegenden auch daran, dass sie keine Informationen über ihnen zustehende Leistungen haben. Pflegestützpunkte benötigen wir flächendeckend als zentral gelegene und allseits bekannte Anlaufstellen. Die Linke hat ebenfalls einen interessanten Vorschlag vorgelegt, der zwar in die richtige Richtung zeigt, mir aber aufgrund der Beschränkung auf einen einzelnen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13175 (A) (C) (D)(B) Punkt zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht um- fassend genug erscheint. Ich fordere alle Kollegen und Kolleginnen auf, statt dieses vorgelegte Gesetz zu beschließen, Möglichkeiten für Arbeitnehmer zu schaffen, kurzfristig und ohne große finanzielle Verluste Pflege zu organisieren, die sie dann womöglich selbst oder teilweise übernehmen können. Lassen Sie uns ebenso die Voraussetzung für eine an- gemessene Sterbebegleitung schaffen. Und vor allem lassen Sie uns den Pflegebedürftigen – sofern es ihren Wünschen entspricht – so lange wie möglich zu einem Aufenthalt in ihren eigenen Wohnun- gen verhelfen. Dafür braucht es Investitionen vor allem in barrierefreien Wohnraum, gute Beratung und eine aus- reichende Infrastruktur von Hilfsangeboten vor Ort. Da- mit schaffen wir eine echte Wahlmöglichkeit für meh- rere Generationen und halten am Prinzip ambulant vor stationär fest. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Nur 5 Prozent der Deutschen wollen ins Pflegeheim. Gut jeder zweite 18- bis 70-Jährige möchte zu Hause gepflegt werden, sollte er im Alter auf Unterstützung angewiesen sein. Laut ei- ner Forsa-Studie möchte jeder Dritte dann durch Ange- hörige betreut werden. 18 Prozent durch eine Pflege- kraft. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, eine nahestehende Person im Ernstfall zu Hause zu pflegen, laut Umfrage relativ hoch. 44 Prozent der Befragten würden sich in je- dem Fall um einen Pflegebedürftigen kümmern. Viele fürchten aber, dass dies aus Zeitmangel und beruflichen Gründen nicht möglich wäre. Das Ergebnis dieser Um- frage zeigt, dass die Koalition mit dem Gesetz zur besse- ren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege genau das ver- folgt, was die Menschen wollen. Wer einmal einen Angehörigen daheim gepflegt hat, weiß, wie schwierig der Spagat zwischen Beruf und Pflege ist. Bislang ist das oft gar nicht machbar. In vielen Fällen müssen die pfle- genden Angehörigen kündigen. Die Rückkehr in den Be- ruf später ist häufig schwierig. Das neue Gesetz ist ein wichtiger Schritt für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn Beschäftigte ihre Arbeitszeit auf bis zu 50 Prozent reduzieren können – und das bei einem Ge- halt von 75 Prozent des Bruttoeinkommens – ist das in- novativ und zeitgemäß. Arbeitgeber, die ihren Beschäf- tigten während der Familienpflegezeit das Arbeitsentgelt aufstocken, erhalten diese Vorschussleistung durch ein zinsloses Bundesdarlehen des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben refinanziert. Das ist eine unbürokratische Lösung. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt dieses Ge- setz. In einer Zeit des demografischen Wandels ist es un- verzichtbar, neue Wege zu beschreiten. Die Politik ist in der Pflicht, gerade den Männern und Frauen den Rücken zu stärken, die aufopferungsvoll Familienangehörige pflegen. Wir wollen eine Politik, die dem pflegebedürfti- gen Menschen den Wunsch erfüllt, zu Hause in den eige- nen vier Wänden zu bleiben anstatt in einem Pflegeheim. Dennoch können und wollen wir keinen Arbeitgeber dazu verpflichten, dieses neue Arbeitszeitmodell auch anzubieten. Das muss jeder Betrieb selber entscheiden. Dies war für uns Liberale in der Debatte um dieses neue Gesetz entscheidend. Ein Rechtsanspruch wäre mit der FDP nicht zu machen gewesen. Es gibt jetzt schon gute flexible und freiwillige Ver- einbarungen, die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus- reichend und bedarfsgerecht sind. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sind hier häufig sehr of- fen und flexibel, wenn bei Mitarbeitern plötzlich ein Pflegefall auftritt. Ein Rechtsanspruch könnte auch ge- rade Frauen bei der Jobsuche benachteiligen, weil Ar- beitgeber von vornherein Ausfallzeiten einprogrammie- ren würden. Denn Pflege von Angehörigen wird immer noch – und ich sage hier: bedauerlicherweise – vor allem von Frauen übernommen. Die FDP-Fraktion ist deshalb zufrieden mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf, weil er auf freiwillige Vereinbarungen in den Betrieben setzt. Ich bin sicher, dass die Wirtschaft von der neuen Pfle- gezeitregelung Gebrauch macht. Die Wirtschaft weiß ganz genau, dass familienfreundliche Angebote bei den Mitarbeitern ganz oben auf dem Wunschzettel stehen. Im Wettbewerb um Fachkräfte wird dies künftig sicher- lich eine wichtige Rolle spielen. Familienfreundlich heißt nicht nur flexible Arbeitszeiten für junge Eltern, sondern auch Spielraum und Flexibilität für pflegende Beschäftigte. Das Familienpflegezeitgesetz ist außerdem ein wich- tiger Schritt bei der Neuausrichtung der Pflege. In Deutschland beziehen heute 2,25 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mehr als 1,5 Millionen Menschen werden zu Hause versorgt. Ein Großteil der anfallenden Pflege- und Betreuungsaufga- ben wird heute in den Familien geleistet. Von den 25- bis 49-jährigen Berufstätigen haben 22 Prozent einen oder mehrere Pflegebedürftige zu versorgen. Und weitere 30 Prozent der Beschäftigten gehen davon aus, dass die- ser Fall innerhalb der nächsten zehn Jahre eintreffen wird. Das ergab eine Umfrage des Instituts für Demo- skopie Allensbach. Dieselbe Umfrage ergab allerdings auch: Für 79 Prozent lassen sich Beruf und Pflege nicht gut vereinbaren. Genau hier setzt das Modell der Fami- lienpflegezeit an. Mit dem Gesetz kommen wir unserem Ziel der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein großes Stück näher. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Da rufen die wechselnden Gesundheitsminister der FDP 2011 vollmundig zum Jahr der Pflege auf, um dann still und leise zu erklären: ist nicht, geht nicht, schaffen wir nicht. Die Begründung lautet: Der Ausstieg aus der Atomener- gie bindet alle Kräfte. Doch die Bürgerinnen und Bürger wissen: Pflegereformen werden nicht im Umweltminis- terium beschlossen. Der Grund liegt woanders. Sie strei- ten wie die Kesselflicker über Eckpunkte und Details. Währenddessen geht der Pflegenotstand munter weiter. Auch bei der Familienpflegezeit braucht das Gesund- heitsministerium Amtshilfe aus dem Ministerium für Fa- milien, Senioren, Frauen und Jugend. Der Berg kreißte 13176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) und gebar eine Maus. Der Gesetzentwurf zeigt deutlich: Ihnen geht es nicht um die Verbesserung der Situation der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen, Ihnen geht es einzig und allein um ihr Klientel. Das Gesetz för- dert die Arbeitgeber, nicht die pflegenden Angehörige – das sind meist Frauen. Und eine schöne private Fami- lienpflegezeitversicherung haben Sie auch noch im An- gebot für die angeschlagene Assekuranz. Das Gesetz löst weder das Problem der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf noch das der sozialen Ungleichheit von Versorgungschancen. Nach wie vor wünschen sich viele Menschen, bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit in ihrer vertrauen Umgebung bleiben zu können. Das be- deutet aber nicht, unbedingt von ihren Angehörigen ge- pflegt zu werden. Der Gesetzentwurf setzt allein auf die Bereitschaft der Angehörigen. Die soziale Pflegeversi- cherung wird außen vor gelassen, statt sie zukunftsfest zu machen. Die Schwachpunkte: Sie bieten pflegenden Angehörigen keinen Rechtsanspruch auf bezahlte Pfle- gezeit. Angestellte müssen mit ihrem Arbeitgeber über eine freiwillige und individuelle Vereinbarung verhan- deln. Ja wo leben Sie denn? Wie soll das in kleinen und mittleren Unternehmen funktionieren? Ein weiterer Schwachpunkt: Zu Beginn der Familien- pflegezeit wird festgelegt, wie lange diese dauern soll. Auch das ist weltfremd, denn Pflege ist nicht planbar. Was ist, wenn die Pflege länger als 24 Monate dauert? Frau Schröder setzt auf den „fliegenden Wechsel“. Da muss dann eben das nächste Familienmitglied Familien- pflegezeit beantragen. Ob das realistisch ist, bezweifeln wir entschieden. Wir wissen seit der Affäre Guttenberg, dass Schwarz- Gelb es mit der wissenschaftlichen Redlichkeit nicht allzu genau nimmt. Frau Schröder bezieht sich auf Un- tersuchungen, nach denen die Lebenserwartung der Pfle- gebedürftigen unter 24 Monaten liegt. Wie sollen wir das verstehen? Setzen Sie auf „biologische Lösungen“? Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass Pflege viel länger dauert. In diesen Fällen lassen Sie die pflegenden Angehörigen im Regen stehen. Sie sind noch dazu ver- antwortlich ihrem Arbeitgeber gegenüber und haften für das erhaltende Gehalt. Familienpflege nach Ihrer Fasson geht zulasten der Frauen. Menschen, die schon in Teil- zeit arbeiten – das sind meist Frauen – können ihre Ar- beitszeit aus finanziellen Gründen nicht noch weiter re- duzieren. Apropos Frauen: Der Gesetzentwurf lässt ein vorsintflutliches Frauen- und Menschenbild erkennen. Sie arbeiten mit dem schlechten Gewissen nahestehen- der Menschen nach dem Motto: Wer einen Angehörigen in ein Heim „abschiebt“ ist eine Rabentochter. Sie wollen den Vorrang der häuslichen Pflege stärken, damit dauerhafte Einsparungen in der sozialen Pflege- versicherung erzielt werden. Das sagen sie klipp und klar. Die Frauen bleiben auf der Strecke, sie sollen neben Job und Familie mal eben noch ehrenamtlich pflegen. Damit verlagern Sie die Pflege in das private Lebensum- feld. Wir sehen das anders: Pflege und die Betreuung al- ter oder kranker Menschen, die ohne Hilfe die Anforde- rungen des Alltags nicht mehr bewältigen können, sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir fordern: Die von Anfang an unterfinanzierte soziale Pflegeversiche- rung ist auszubauen, und die Verteilung der Pflege- und Assistenzaufgaben zwischen Staat und Familie zuguns- ten einer stärkeren öffentlichen Verantwortung zu ver- schieben. Das Gesetz bringt keine wirkliche Verbesserung, son- dern weicht bestehende Regelungen auf. Bereits heute können Beschäftigte nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeiten Arbeitszeitkonten für Pflege in Anspruch nehmen. Die Linke setzt auf professionelle Pflege und begleitende Angebote zur Unterstützung Angehöriger. Damit wird die pflegerische Versorgung von Angehöri- gen gewährleistet. Wir fordern eine sechswöchige be- zahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, die der Organisation der Pflege und der ersten pflegerischen Versorgung dient. Darüber hinaus sind die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung anzuheben. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mehr Schein als Sein. Unter diesem Motto kommt nicht nur das von der Bundesregierung so voll- mundig angekündigte „Jahr der Pflege 2011“ daher. Auch der uns vorliegende Gesetzentwurf zur Familien- pflegezeit steht ganz in diesem Zeichen. Einen Rechts- anspruch auf diese Familienpflegezeit wird es nicht geben. Stattdessen mutiert der ohnehin stark verbesse- rungswürdige Versuch zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu einem zahnlosen Tiger. Wenn der Arbeitgeber die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht als oberstes Ziel seiner Firmenphilosophie sieht, dann muss er nicht handeln. Es bleibt jedem freiwillig überlassen. Unver- bindlicher geht’s nimmer. Den Pflegenden in diesem Lande nutzt dieses Gesetz damit überhaupt nichts, wenn der Arbeitgeber nicht mitspielt. Wie naiv aber ist es, an- zunehmen, dass die Mehrheit der Arbeitgeber nun frei- willig die Familienpflegezeit anbieten? Da nutzen auch die im Gesetz vorgesehenen KfW-Darlehen als Anreiz nichts. Es ist schon ein starkes Stück, wenn sich der Par- lamentarische Staatssekretär, Herr Kues, in der Frage- stunde am 6. April erdreistet zu sagen, dass doch eine Art von Rechtsanspruch bestehe – allein wenn Arbeitge- ber und Beschäftigte eine Vereinbarung über eine Fa- milienpflegezeit treffen. Wortwörtlich Herr Kues – ich zitiere –: „Das ist eine bestimmte Art von Rechtsan- spruch.“ Solche Vereinbarungen oder Aushandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren bereits vor dem Amtsantritt von Schwarz-Gelb und vor diesem Gesetz möglich. Diesen Spielraum haben einzelne Un- ternehmen auch vorher schon genutzt. Dafür brauchen wir kein Gesetz. Wir brauchen auch keine vollmundigen Ankündigungen in den Medien zur Entlastung pflegen- der Angehöriger, wenn diese dann doch die Hauptlast tragen müssen. Frau Ministerin Schröder, Sie sind nicht die Ministe- rin für Unternehmensberatung. Sie sind auch nicht Ministerin für wohlklingende, aber nichtsnutzige Appelle. Sondern Sie haben als Ministerin die Aufgabe, für die Bürgerinnen und Bürger, die die verantwortungs- volle Pflege eines Angehörigen übernehmen, konkrete Unterstützung und Entlastung zu erwirken. Auf die kön- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13177 (A) (C) (D)(B) nen sie allerdings lange warten: Denn wer, bitte schön, kann schon auf 25 Prozent seines Gehaltes verzichten? Und das auch noch bis zu vier Jahre lang: maximal zwei Jahre für die Pflegezeit und dann weitere zwei Jahre, in denen die Beschäftigten gleichsam den KfW-Kredit zu- rückzahlen müssen. Der Arbeitnehmer, und zwar nur der Arbeitnehmer, trägt das volle Risiko: Er muss sich in dieser ganzen Zeit gegen den Ausfall einer möglichen Rückzahlung pflichtversichern. Freuen wird sich dage- gen die Versicherungswirtschaft. Für die tut sich ein völ- lig neues Geschäftsfeld auf. Wir sind schon sehr ge- spannt, welche Policen und Beiträge hier angeboten werden. Denn der Gesetzentwurf lässt völlig offen, wie viel eine solche Prämie kosten soll, und setzt damit den Versicherungsunternehmen kaum Grenzen. Aber Ver- braucherschutz ist ja ohnehin nicht die Stärke dieser Re- gierung. Dieses Gesetz ist ein einziger familienpoliti- scher Fehlschlag. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Erstens. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Antwort auf die Bedürfnisse vieler Menschen in Deutschland: Wir wissen, dass kranke und ältere Menschen so lange wie möglich zuhause bei der Familie bleiben wollen. Wir wis- sen, dass viele Menschen ihre betagten Angehörigen gerne zuhause pflegen möchten. Wir wissen, dass diese Menschen dabei große Opfer bringen. Wir wissen, dass die meisten dieser Menschen berufstätig sind, dass sie ihr Einkommen brauchen und dass es mit Mitte, Ende 50 der sichere Weg in die Arbeitslosigkeit wäre, länger oder ganz aus dem Beruf auszusteigen. Weil wir all das wissen, wollen Union und FDP Men- schen mit der Doppelbelastung Pflege und Beruf nicht allein lassen. Menschen, die ein Leben lang viel geleistet haben, verdienen einen würdigen Lebensabend. Men- schen, die ihren Angehörigen einen würdigen Lebens- abend schenken, verdienen unsere Unterstützung. Des- halb brauchen wir die Familienpflegezeit. Zweitens. Rund 90 Prozent der Bevölkerung halten es für „sehr wichtig“ oder „wichtig“, dass es Berufstätigen erleichtert wird, Angehörige zu pflegen. Genau hier setzt unser Gesetzentwurf an. Die Familienpflegezeit schafft die Voraussetzungen dafür, dass Menschen endlich die Chance bekommen, Beruf und die Pflege eines Angehö- rigen zu vereinbaren. Ich skizziere kurz die wichtigsten Eckpunkte des Gesetzentwurfs: Arbeitgeber und Arbeitnehmer können eine Reduzie- rung der wöchentlichen Arbeitszeit für die Dauer von höchstens zwei Jahren zur häuslichen Pflege eines Ange- hörigen vereinbaren. Pflegende Angehörige können ihre Arbeitszeit in der Pflegephase zwei Jahre lang auf bei- spielsweise 50 Prozent reduzieren, erhalten aber den- noch 75 Prozent ihres Gehalts. Anschließend arbeiten die Beschäftigten in der sogenannten Nachpflegephase wieder so viel wie vor der Pflegephase, erhalten aber zwei Jahre nur 75 Prozent ihres Gehalts, bis die Zeitdif- ferenz nachgearbeitet ist. Die Entgeltaufstockung erfolgt zulasten eines Wertguthabens, das die Beschäftigten nach Beendigung der Familienpflegezeit in der Nach- pflegephase wieder auffüllen. Das Ausfallrisiko deckt eine Familienpflegezeitversicherung ab, die mit der Ver- einbarung einer Familienpflegezeit abgeschlossen wer- den muss. Diese Regelungen werden vielen Menschen in Deutschland – pflegebedürftigen genauso wie pflegen- den – das Leben erleichtern. Schon heute werden ja mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen – gut 1,6 Millionen Menschen – zu Hause versorgt. Drittens. Neben der Entlastung der pflegenden Be- schäftigten hat unser Vorschlag weitere wichtige Vor- teile: Zum einen: Das Modell ist auch für die Wirtschaft hoch attraktiv. Wir greifen damit die Interessen der Un- ternehmen auf, Beschäftigte in Zeiten des Fachkräfte- mangels in den Betrieben zu halten. Bereits jetzt haben demografische Entwicklungen zur Folge, dass jedes dritte Unternehmen Rekrutierungsprobleme hat. Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern Zeit für Verantwortung zu ermöglichen, zahlt sich im Wettbewerb um die besten Köpfe und die qualifiziertesten Kräfte aus. Zum anderen: Die Familienpflegezeit ist ein wichti- ges Instrument beim Kampf gegen die Altersarmut. Die Pflegenden können Verantwortung für ihre Angehörigen übernehmen, ohne ihre Arbeitsstelle und Rentenansprü- che zu verlieren. Das hilft gerade Beziehern geringer Einkommen. Denn während der Familienpflegezeit be- kommen Arbeitnehmer Rentenpunkte für ihren Arbeits- lohn und für die mit der Familienpflegezeit erweiterte Lohnzahlung. Zusätzlich bekommen sie noch Renten- punkte durch die Leistungen der Pflegeversicherung zur Rente der pflegenden Angehörigen. Im Ergebnis ist das gerade bei Arbeitnehmern in den unteren Einkommens- gruppen mehr, als sie in dieser Zeit im Angestelltenver- hältnis bekämen. Mit der Familienpflegezeit verhindern wir also, dass die pflegenden Angehörigen von heute die Sozialfälle von morgen werden, deren Rente dann wiederum auf Kosten der Steuerzahler aufgestockt werden muss. Einen weiteren Vorteil möchte ich noch erwähnen: Die Familienpflegezeit ist besonders für diejenigen ein attraktives Angebot, die einen Vollzeitjob mit der Pflege eines Angehörigen vereinbaren müssen. Das sind vor al- lem Männer, weil Frauen in der relevanten Altersgruppe viel häufiger Teilzeit arbeiten. Insofern trägt die Fami- lienpflegezeit dazu bei, dass die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht länger nur als Aufgabe von Frauen wahrgenommen wird. Viertens. Mit der Familienpflegezeit schaffen wir also ein innovatives Modell, das die Bedürfnisse der Men- schen trifft und das die Bürgerinnen und Bürger entlas- tet, ohne die Sozialsysteme zusätzlich zu belasten. Ich bin überzeugt: Die Familienpflegezeit wird eine Erfolgsgeschichte – so wie die Altersteilzeit. Auch da- rauf gab es keinen Rechtsanspruch. Trotzdem wurde sie dankbar in Anspruch genommen. Nach wenigen Jahren waren es über 100 000 Fälle. Wir brauchen machbare und vor allem konkrete Lö- sungen für die vielen pflegenden und pflegebedürftigen 13178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Menschen in Deutschland. Heute sind es etwa 2,38 Mil- lionen Menschen, die als Pflegebedürftige Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Nach derzeitigen Hochrechnungen werden es in 20 Jahren mehr als 3,2 Millionen, bis zum Jahr 2050 sogar über 4,3 Mil- lionen sein. Wenn Sie wie ich der Meinung sind, dass wir die Fol- gen dieser Entwicklung nicht allein den Sozialkassen aufbürden können, und wenn Sie wie ich der Meinung sind, dass es richtig ist, Menschen zu unterstützen, die sich Zeit für Verantwortung nehmen wollen, dann stim- men Sie für unseren Gesetzentwurf. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für die Fort- entwicklung des Emissionshandels (Tagesord- nungspunkt 17) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Die Novelle zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, TEHG, ist ein großer Fortschritt in unseren Bemühungen beim Kli- maschutz. Wir schaffen damit die Grundlagen für die eu- ropaweite Weiterentwicklung des Emissionshandels. Neu ist, dass wir zukünftig nicht mehr 27 verschie- dene Allokationspläne haben werden. Die einzelnen na- tionalen Regelungen werden dahin gehend harmonisiert, dass die Emissionsberichterstattung, die Versteigerung und insbesondere die Regelungen für die Zuteilung der Emissionszertifikate europaweit einheitlich erfolgen. Damit erreichen wir ein noch stärker einheitliches Vor- gehen beim Klimaschutz und gleiche Wettbewerbsbe- dingungen in der Europäischen Union. Neu ist auch, dass ab dem kommenden Jahr der Luftverkehr und ab 2013 weitere emissionsintensive Industriebranchen und Treibhausgase in den Emissionshandel einbezogen wer- den. Damit werden ab 2013 in Deutschland 2 000 Anla- gen und 200 Fluggesellschaften am Emissionshandel teilnehmen. Worüber ich mich besonders freue, ist, dass die Versteigerungserlöse in den Energie- und Klima- fonds einfließen und damit die Umsetzung des Energie- konzeptes sowie unsere Bemühungen beim Klimaschutz unterstützen helfen. Die TEHG-Novelle ist ein Bekennt- nis zu einem engagierten Klimaschutz und zum Indus- triestandort gleichermaßen. Der Beitrag zum Klima- schutz wird neben der 100-prozentigen Versteigerung durch die Absenkung der Gesamtmenge an Berechtigun- gen deutlich. Das Bekenntnis zum Industriestandort kommt dadurch zum Ausdruck, dass Industriebranchen, die in einem intensiven internationalen Wettbewerb ste- hen, von der Versteigerung ausgenommen sind. Außer- dem haben wir Entlastungen für kleine und mittlere Un- ternehmen vorgesehen. Deren Anlagen stoßen im Vergleich zur Gesamtmenge geringe Mengen an CO2 aus; dennoch werden sie durch die Kosten des Emissi- onshandels im Verhältnis zu ihrer Emissionsmenge über- proportional belastet. Das haben wir in entsprechenden Regelungen berücksichtigt. Als Ergebnis der parlamen- tarischen Beratungen haben wir uns auf einige Änderun- gen des Gesetzentwurfes geeinigt: Die Erweiterung der Ausnahmeregelung für Müllver- brennungsanlagen – § 2 „Anwendungsbereich“ – sieht einen Verzicht auf das Heizwertkriterium zur Abgren- zung von Siedlungsabfällen vor. Die Änderung von Abs. 5 Nr. 3 setzt die Bereichsausnahme für Anlagen zur Verbrennung von gefährlichen Abfällen oder Siedlungs- abfällen aus der Emissionshandelsrichtlinie unmittelbar in deutsches Recht um. Nach der Änderung obliegt es nunmehr im Zweifel den für die Erteilung der Emissi- onsgenehmigung zuständigen Landesbehörden, aus dem Kreis der Abfallverbrennungsanlagen diejenigen Anla- gen festzulegen, deren Hauptzweck auf die Verbrennung von gefährlichen Abfällen oder Siedlungsabfällen ge- richtet ist. Mit der Einführung einer Härtefallregelung bei der kostenlosen Zuteilung – § 9 „Zuteilung von kos- tenlosen Berechtigungen an Anlagenbetreiber“ – knüp- fen wir an die bestehende Härtefallregelung im ZuG 2012 an. In der dritten Handelsperiode werden die Zuteilungs- regeln durch den Beschluss 2011/278/EU der Kommis- sion vom 27. April 2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kosten- losen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Art. 10 a der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 130 vom 17. Mai 2011, Seite 1, europarechtlich determiniert. Dabei ist nicht auszuschließen, dass ein Anlagenbetreiber in ei- nem atypischen Sonderfall nach den nationalen Zutei- lungsregeln zur Umsetzung dieses Beschlusses eine Zu- teilung erhalten würde, die so gering ist, dass dadurch auch unter Berücksichtigung der Zeitdauer seit Einfüh- rung des EU-Emissionshandels eine verfassungsrecht- lich unverhältnismäßige Härte entstünde. Nach den eu- ropäischen Grundrechten und dem europäischen Grund- satz der Verhältnismäßigkeit hätte der Anlagenbetreiber unter diesen Voraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufstockung der Zuteilung auf ein Niveau, durch das eine unverhältnismäßige Härte vermieden wird. Die Rechtsverordnung – § 10 Rechtsverordnung über Zuteilungsregeln – bedarf jetzt der Zustimmung des Bundestages und entspricht damit der Regelung in § 65 Abs. 5 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in der Fas- sung des Europarechtsanpassungsgesetzes Erneuerbare Energien. Für die Benutzung elektronischer Formatvorlagen – § 23 „Elektronische Kommunikation“ – ist zukünftig die Übermittlung zusätzlicher Dokumente als Ergänzung der Formatvorlagen unter Beachtung von Formvorschrif- ten möglich. Die Ergänzung trägt dem Umstand Rech- nung, dass es in Einzelfällen erforderlich sein kann, nicht von einem Formular erfasste Angaben zu übermitteln oder klarstellend das Anliegen zu erläutern. Mit der vor- geschlagenen Öffnung wird die Möglichkeit für die Be- treiber zwar an die Nutzung der elektronischen Format- vorlagen gekoppelt, aber als deren Ergänzung erlaubt. Mit der Einbeziehung von Weiterverarbeitungsanla- gen der Stahlindustrie – § 24 „Einheitliche Anlage“ – in die einheitliche Anlage wird die Rechtslage aus der Han- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13179 (A) (C) (D)(B) delsperiode 2008 bis 2012 mit dem erweiterten Anwen- dungsbereich in der Handelsperiode 2013 bis 2020 fort- geführt. Umfangreiche Änderungen haben wir auch bei den Kleinemittenten vorgenommen – § 27 „Befreiung für Kleinemittenten“. Durch die Erweiterung der Kleinanla- genregelung werden jetzt alle Effizienzverbesserungen der Kleinanlagen anteilig auf den zu zahlenden Aus- gleichsbetrag angerechnet. Die geänderte Fassung von § 27 Abs. 3 stellt sicher, dass bei der Selbstverpflichtung zur Minderung des anlagenspezifischen Emissionswer- tes die tatsächlich erbrachten Minderungsleistungen an- teilig auf den Ausgleichsbetrag angerechnet werden. Die Änderung trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die administrativen Kosten des Emissionshandels auch für Kleinanlagen mit einer Befreiung nach § 27 im Verhält- nis zur produzierten Emissionsmenge überproportional hoch sind. Um den Anwendungsbereich der Erleichterungen für Kleinanlagen auf dem Gebiet der Berichterstattung zu erweitern, wird die Höchstschwelle aus § 27 Abs. 5 Satz 1 von 15 000 auf 20 000 heraufgesetzt. Diese Kleinanla- gen decken weiterhin nur einen sehr geringen Anteil der Treibhausgasemissionen in Deutschland ab. Gerade die Kosten für die Emissionsberichterstattung stehen bei diesen Anlagen in einem ungünstigeren Verhältnis zu den erzielten Emissionsminderungen als bei größeren Anlagen. Die Anforderungen an die Emissionsberichter- stattung werden deshalb vereinfacht. Auf diese Weise werden sie vom bürokratischen Aufwand, den das Emis- sionshandelssystem mit sich bringt, entlastet. Außerdem haben wir klargestellt, dass ein Anlagenbetreiber, der nach Überschreiten der Emissionsschwelle für Kleinan- lagen wieder der Pflicht zur Abgabe von Emissionsbe- rechtigungen unterliegt, eine Zuteilung kostenloser Be- rechtigungen nach § 9 erhält. Eine Änderung haben wir auch bei den „Bußgeldvor- schriften – § 32 „Bußgeldvorschriften“ – vorgenommen. Hier ist jetzt geregelt, dass ordnungswidrig handelt, wer eine in Abs. 1 bezeichnete Handlung fahrlässig begeht. Für fahrlässig begangene Handlungen ist im angepassten Abs. 3 eine wesentlich geringere Geldbuße vorgesehen als bei vorsätzlicher Begehungsweise. Ich teile die Einschätzung von Bundesumweltminister Dr. Röttgen, der den Emissionshandel als das zentrale Instrument zur Reduzierung von Treibhausgasen be- zeichnet hat. Nicht nur, dass wir Treibhausgasemissio- nen reduzieren; durch die Vereinheitlichung erreichen wir gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa, und un- sere Unternehmen werden zur Entwicklung neuer und besserer Technologien angehalten – das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass andere Länder genau verfol- gen, wie wir in Europa den Emissionshandel regeln und wie unsere Unternehmen mit den veränderten Rahmen- bedingungen umgehen. Das europäische Emissionshan- delssystem hat Vorbildcharakter. Josef Göppel (CDU/CSU): Wir sind Zeugen eines sich wandelnden Weltklimas. Mit dem Klima ändern sich die Lebensbedingungen auch in Deutschland. Wenn es nicht gelingt, den globalen Klimawandel in Grenzen zu halten, wird das weitreichende Folgen für die Natur als unsere Lebensgrundlage und damit für unsere Gesell- schaft und unser Wirtschaften haben. Eine erfolgverspre- chende Klimapolitik braucht deshalb zwei Säulen: Ers- tens die Vermeidung von Treibhausgasen und zweitens die Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die schon heute nicht mehr vermeidbar sind. Der Emissions- handel ist dabei ein zentrales Instrument zur Reduzie- rung von Treibhausgasen, die den Motor für den Klima- wandel darstellen. Die Bundesregierung hat am 16. Februar 2011 auf der Grundlage der reformierten europäischen Richtlinie zum Emissionshandel die Novelle des Treibhausgas-Emis- sionshandelsgesetzes beschlossen. Diese Entscheidung dient der Weiterentwicklung des Emissionshandels für die bevorstehende Handelsperiode 2013 bis 2020 und setzt zugleich die europäische Richtlinie in nationales Recht um. Die Novelle stellt einen wesentlichen Fortschritt für den Klimaschutz dar: Ab dem Jahr 2013 gibt es damit ein einheitliches EU-Emissionshandelssystem und nicht wie bisher 27 Einzelsysteme. Erstmals wird eine gesamt- europäische Obergrenze für die Emissionsmenge festge- legt. Die Harmonisierung des Emissionshandelssystems trägt ganz wesentlich dazu bei, dass Wettbewerbsverzer- rungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten beseitigt werden können. Ab 2013 werden in Deutschland 2 000 Anlagen am Emissionshandel teilnehmen. Bisher waren es in Deutschland nur 1 665 Anlagen. Ich sehe es als Erfolg der Politik, dass ab 2012 auch der Luftverkehr und ab 2013 weitere emissionsintensive Industriebranchen in den Emissionshandel einbezogen werden. In keinem anderen Sektor steigen die Emissionen so schnell an wie im Luftverkehr. Die Treibhausgasemissio- nen aus dem Flugverkehr haben sich seit 1990 in Europa fast verdoppelt. Ab 2012 fallen alle Flüge, die von euro- päischen Flughäfen abgewickelt werden, unter das Emis- sionshandelsrecht der Europäischen Union. Hier ist es nach meiner Auffassung richtig, am Verursacherprinzip festzuhalten: Europa sollte sich nicht durch die Drohun- gen Chinas, bei Einführung des Emissionshandels im Flugverkehr Zwangsabgaben für europäische Fluggesell- schaften einzuführen, vom richtigen Weg abbringen las- sen. Hier kann und muss Europa als Vorbild vorangehen. Ich teile die Auffassung von Klimaschutzkommissarin Hedegaard, dass es bei der beschlossenen europäischen Gesetzgebung zum Flugverkehr keinen Rückzieher ge- ben darf. Neben dem Flugverkehr gibt es aber auch andere Wirtschaftsbereiche, die eventuell in den Emissionshan- del einzubeziehen sind. Hier sind die Landwirtschaft und der Straßen- und Schiffsverkehr zu nennen. Die Regierung in Neuseeland will zum Beispiel die Landwirtschaft ab 2015 in den Emissionshandel einbe- ziehen. Viele Landwirte erhoffen sich daraus sogar Ein- nahmen. 13180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Die internationale Seeschifffahrt ist genauso wie der Flugverkehr ein stark wachsender Sektor. Eine aktuelle Studie des Öko-Instituts hat gezeigt, dass die Einbin- dung des Seeverkehrs in das europäische Emissionshan- delssystem problemlos vollzogen werden könnte. Da- rüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass mehr Klimaschutz im Straßenverkehr notwendig und möglich ist. Der Emissionshandel kann die effizienteste Form sein, die verschiedenen Emissionen des Verkehrs- und Transportsektors einheitlich zu behandeln. Der zukünftige Erfolg des europäischen Emissions- handelssystems steht und fällt mit dem Wert der Zertifi- kate. Ich habe große Sorge, dass es mit der Beibehaltung des 20-Prozent-Minderungszieles zu einem Preisverfall bei den Zertifikaten kommt. Mit dem Erreichen des 20-Prozent-Zieles verlieren die Zertifikate an Wert. Der Bundesrat hat sich mit der Novelle des Treib- hausgas-Emissionshandelsgesetzes ebenfalls befasst. Die Änderungsanträge der Regierungsfraktionen zum Entwurf vom Februar 2011 tragen den Wünschen des Bundesrates in weiten Teilen Rechnung. Das betrifft ins- besondere die Entlastung für kleinere und mittlere Un- ternehmen; denn gerade kleine Anlagen mit geringen Emissionen würden von den Verwaltungskosten des Emissionshandels im Verhältnis zu ihren Emissionsmen- gen überdurchschnittlich belastet. Mit der Kleinanlagen- regelung werden zukünftig alle Effizienzverbesserun- gen anteilig auf den zu zahlenden Ausgleichsbetrag angerechnet. Zudem wird es eine Härtefallregelung bei der kostenlosen Zuteilung für Zertifikate geben. Mit einer erweiterten Ausnahmeregelung für Müll- verbrennungsanlagen – konkret dem Verzicht von Heiz- wertkriterien zur Abgrenzung von Siedlungsabfällen – kommen die Änderungsanträge der Regierungsfraktio- nen ebenfalls den Bundesländern entgegen. Es könnte allerdings sein, dass die Kommission die Ausnahmen nicht als ausreichende Umsetzung der euro- päischen ETS-Richtlinie akzeptiert. Beim Vollzug des Emissionshandels in Deutschland wird die Aufgabenver- teilung zwischen Bund und Ländern eindeutig geregelt. Die Landesbehörden werden für die Emissionsgenehmi- gungen zuständig sein. Den gesamten Bereich der Emis- sionsüberwachung übernimmt zukünftig das Umwelt- bundesamt. Der Forderung des Bundesrates nach einer Beteili- gung der Länder an den Versteigerungserlösen können wir nicht nachkommen. Die Weiterentwicklung des europäischen Emissions- handels stellt einen wesentlichen Fortschritt dar und schafft ein vorbildliches System zur Treibhausgasredu- zierung. Zugleich werden Wettbewerbsverzerrungen zwi- schen den Mitgliedstaaten, die durch unterschiedliche Zuteilungsregelungen entstehen konnten, beseitigt. Mit den Erlösen aus dem Emissionshandel werden weitere Klimaschutzmaßnahmen finanziert. Frank Schwabe (SPD): Thema der heutigen Diskus- sion ist die Weiterentwicklung des Emissionshandels. Die Emissionshandelsrichtlinie der EU wurde geändert und muss nun in nationales Recht umgesetzt werden. Der Emissionshandel wird ab 2013 europaweit stärker har- monisiert. Das betrifft vor allem die Regeln für die kos- tenlose Zuteilung der Emissionszertifikate und für die Versteigerung. Bisher konnten die 27 Mitgliedstaaten je- weils eigene Regeln für die kostenlose Zuteilung festle- gen. Für die Zeit ab 2013 werden für alle Mitgliedstaaten einheitliche EU-Zuteilungsregeln Grundlage für die Zu- teilung sein. Für die Produktion von Strom wird es ab 2013 keine kostenlosen Emissionszertifikate mehr ge- ben. Kraftwerksbetreiber müssen also die benötigten Emissionszertifikate ersteigern. Eine Begründung für Anhebungen der Strompreise ist dies jedoch nicht, da die Kraftwerksbetreiber bereits seit 2005 die Preise der Emissionszertifikate an die Stromkunden weitergeben, auch wenn sie diese Zertifikate kostenlos erhalten haben. Dennoch ist absehbar, dass ab 2013 die Stromversorger die Preise erhöhen und den Emissionshandel als Grund angeben werden. Höhere Strompreise dürfen nicht dafür sorgen, dass energieintensive Unternehmen aus Deutsch- land abwandern und in Weltregionen ziehen, in denen es keine oder sehr wenig Klimaschutzpolitik gibt, und dort die gleichen Produkte herstellen, wahrscheinlich mit ei- nem höheren CO2-Ausstoß als hierzulande. Damit ist we- der dem Klimaschutz noch den Arbeitsplätzen gedient. Wie dringend entschlossenes Handeln im Klima- schutz ist, zeigen die neuesten Zahlen der Internationa- len Energieagentur. Laut Internationaler Energieagentur sind die Kohlendioxidemissionen im Jahr 2010 auf ein Rekordhoch gestiegen und lagen sogar um 5 Prozent hö- her als im bisherigen Rekordjahr 2008. Weltweit wurden im vergangenen Jahr 30,6 Gigatonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Diese Entwicklung ist alarmierend. Viele Experten haben nun große Sorge, dass das Ziel der Erd- erwärmung um weniger als 2 Grad gegenüber dem Wert des Jahres 1990 nicht erreicht werden kann, wenn die Emissionen in Zukunft genauso rasant steigen werden. Um das 2-Grad-Ziel noch zu erreichen, dürfen im Jahr 2020 nicht mehr als 32 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden. Das bedeutet, dass die Emissionen in den kom- menden 10 Jahren langsamer steigen müssten als zwi- schen 2009 und 2010. Klimapolitik ist wichtiger denn je. Alle Techniken für den Klimaschutz sind vorhanden, wirtschaftlich ist Klimaschutz ein Erfolgsmodell. Wir müssen nur handeln, und zwar schnell! Doch das scheinen nicht alle hier im Bundestag so zu sehen. Thomas Bareiß, der Koordinator für Energiepoli- tik der CDU/CSU-Fraktion, erklärte diesen Montag, dass die Klimaschutzziele, die sich Deutschland gesetzt hat, infrage zu stellen seien. Diese Aussage zeigt die Konfu- sion, die in der CDU herrscht. Nach der dramatischen Niederlage der gesamten Fachpolitiker der Union in der Atomfrage kommt jetzt der dreiste Angriff auf die Kli- mapolitik. Richtig ist das genaue Gegenteil. Der Aus- stieg aus der Atomtechnologie gekoppelt mit den richti- gen Anreizen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz macht gerade ein Mehr an Klimaschutz möglich. Deshalb macht das nationale 40-Pro- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13181 (A) (C) (D)(B) zent-CO2-Minderungsziel weiterhin großen Sinn. Da- rüber hinaus muss das 30-Prozent-Ziel in der EU endlich durchgesetzt werden. Umweltminister Röttgen hat sich dazu mehrfach positioniert. Die CDU muss ihre Position auch hier klären. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch die gemein- same Sitzung des Umweltausschusses mit dem Umwelt- ausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel er- wähnen. Schwerpunkt war die europäische Klimapolitik. Diese gemeinsame Sitzung war sehr wichtig, und ich denke, dass wir als Umweltausschuss ein wichtiges Si- gnal für das 30-Prozent-Ziel setzen konnten. Es ist gut, dass der ENVI, der Umweltausschuss der Europäischen Parlaments, sich einen Tag später für das 30-Prozent- Ziel ausgesprochen hat; ein Votum, dem sich das Plenum des Europäischen Parlaments hoffentlich anschließen wird. Jedoch legt die Novelle des TEHG, über die wir heute reden, zurzeit nur die Grundlagen für einen Emissions- handel für das 20-Prozent-Ziel der EU. Das TEHG regelt die Grundlagen der Zuteilung. Weitere Details werden in der Zuteilungsverordnung geregelt, die das BMU gerade erarbeitet. Das TEHG setzt die geänderte Emissionshan- delsrichtlinie um. Insoweit hatte die Bundesregierung geringen Gestaltungsspielraum, da die Richtlinie die Än- derungen des Emissionshandels sehr detailreich geregelt hat. Nicht allen Regelungen, mit denen die Bundesregie- rung die Richtlinie umgesetzt hat, können wir zustim- men. Die Koalition hat Änderungsanträge zum TEHG vorgelegt. In diesen Änderungen werden Punkte er- wähnt, denen wir zustimmen können, jedoch auch fal- sche Regelungen angeführt. Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern wer- den uns enthalten. Von großer Wichtigkeit ist die Verwendung der Erlöse des Emissionshandels. Im TEHG wird geregelt, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel dem Bund zuste- hen. Weitergehende Vorgaben macht das TEHG nicht. Es gelten jedoch die Bestimmungen der EU-Emissionshan- delsrichtlinie, dass „diese Einkünfte verwendet werden sollten, um den Klimawandel in der EU und in Drittlän- dern zu bekämpfen.“ Aus den Einnahmen des Emissions- handels sollen nach aktuellen Vorstellungen sowohl aus der Koalition als auch der SPD neben nationalen und in- ternationalen Klimaschutzprojekten unter anderem auch Projekte der Gebäudesanierung, des Marktanreizpro- gramms, der Elektromobilität und der Kompensation möglicher Strompreiserhöhungen für die energieinten- sive Industrie finanziert werden. Ab 2012 wird auch der Luftverkehr in den Emissionshandel einbezogen und soll einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wenn der Luft- verkehr in dieser Weise verpflichtet wird, so sollten auch Lösungen für mehr Klimaschutz im Luftverkehr unter- stützt werden. Mit den Erlösen sollen auch mögliche Strompreiser- höhungen ausgeglichen werden, die die Wettbewerbsfä- higkeit der energieintensiven Industrie bedrohen könn- ten. Nach Art. 10 a Abs. 6 der ETS-Richtlinie können die Mitgliedstaaten finanzielle Ausgleichsmaßnahmen für von Carbon Leakage, also vom nachweislich durch den Emissionshandel verursachten Strompreisanstieg, betroffene Industriebranchen einführen. Diese Kompen- sation sollte gemäß der ETS-Richtlinie nur dann gewährt werden, wenn sie erforderlich und verhältnismäßig ist. In dem Beschluss „Neue Energie“ von SPD-Vorstand und Parteirat wurde beschlossen, dass wir für energiein- tensive Unternehmen, die vor allem Strom benötigen, ei- nen Ausgleich unter eng gefassten Voraussetzungen aus den Einnahmen des Emissionshandels ab 2013 prüfen werden. Um Beihilfen dieser Art zu ermöglichen, muss auf EU-Ebene zuerst der Rahmen für Umweltschutzbei- hilfen geändert werden. Die EU-Kommission wertet zur- zeit die Eingaben des Konsultationsprozesses für staatli- che Beihilfen im Emissionshandel aus. Bis Ende des Jahres möchte die EU-Kommission eine Regelung tref- fen, wie diese Beihilfen ausgestaltet werden können. Wichtig wird dabei, dass denen geholfen wird, die an- sonsten den Wirtschaftsstandort Deutschland verlassen würden. Es kann jedoch nicht sein, dass Emissionshan- delsgelder für alle mit der Gießkanne ausgeschüttet werden. Für einen eng gefassten Kreis an betroffenen Unternehmen sollte die Differenz zwischen dem Durch- schnittspreis der Emissionsberechtigungen der jetzigen Zuteilungsperiode und dem durchschnittlichen Preis der Zertifikate in der nächsten Handelsperiode erstattet wer- den. Weitere wichtige Themen im TEHG sind der Umgang mit Abfallverbrennungsanlagen, die Diskussion, ob Raum für eine Härtefallregelung besteht, wie mit Zünd- und Stützfeuerung umzugehen ist und wie die Regelung für Kleinemittenten verbessert werden kann. Die Koalition hat in ihrem Änderungsantrag beschlossen, das Kriterium des durchschnittlichen Heizwertes der eingesetzten Ab- fälle abzuschaffen. Damit werden auch Ersatzbrennstoff- kraftwerke aus dem Emissionshandel ausgenommen. Nun kann man trefflich darüber diskutieren, ob 13 000 Kilo- joule pro Kilogramm Abfall der einzig richtige Grenzwert ist. Es kann jedoch nicht sein, dass jeglicher Einsatz von Ersatzbrennstoffen in den entsprechenden Anlagen ausge- nommen wird, da es auch hier Mitnahme- und Vertei- lungseffekte gibt. Ersatzbrennstoffe sind kommerzielle Brennstoffe. Sie sind auf dem Markt käuflich zu erwerben und haben einen gewissen Heizwert und werden zum Bei- spiel in Zementwerken eingesetzt, wo sie andere Brenn- stoffe ersetzen. Sie werden auch in spezifischen Anlagen eingesetzt, in denen sie andere Brennstoffe ersetzen. Von daher sollten Ersatzbrennstoffanlagen anders behandelt werden als Abfallverbrennungsanlagen. Auch die Regelung für Kleinanlagen ist der Koalition nicht gelungen. Zwar wird die Berechnungsformel für den Ausgleichsbetrag anders gestaltet. Dies führt jedoch nicht dazu, dass nun eine brauchbare Kleinanlagenrege- lung vorliegen würde. Im Übrigen war es der Sachver- ständige, den die FDP für die Anhörung zum TEHG ge- laden hatte, der meinte, dass die Kleinanlagenregelung zu streichen sei. Sie würde den Anlagenbetreibern kei- nen wirklichen Vorteil bringen, schaffe aber zusätzliche Bürokratie und schwäche das generelle System, so die- ser Sachverständige in der Anhörung. Die eigentliche Hoffnung, die einige Industrievertreter hatten, war, dass sich kleine Emittenten ganz und gar ohne kostenträch- 13182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) tige Ersatzmaßnahmen vom Treibhausgas-Emissions- handels-Gesetz befreien lassen können. Das war von vornherein eine Illusion. Solch eine Regelung hätte die EU-Kommission niemals akzeptiert. Die Kommission hat immer wieder deutlich gemacht, dass sie gegebenen- falls die Gleichwertigkeit streng und eher restriktiv prü- fen würde. Die von der Bundesregierung hierzu recht kreativ entwickelten gleichwertigen Maßnahmen führen dennoch nicht zu einer sinnvollen Regelung. Im Gegensatz dazu unterstützen wir, dass nun die Zünd- und Stützfeuerung erwähnt ist. Auch begrüßen wir, dass in der elektronischen Kommunikation nun die Übermittlung zusätzlicher Dokumente als Ergänzung der Formatvorla- gen erlaubt ist. Ansonsten kann man an jeder Änderungen der Bundesregierung erkennen, welcher Lobbyist sie ein- gebracht hat. Die Bundesregierung hat nun in § 9 eine Här- tefallregelung eingefügt. Zwar kann man argumentieren, dass Konstellationen denkbar sind, in denen eine beson- dere Härte auftreten kann. Auch aus dem Verfassungs- grundsatz der Verhältnismäßigkeit könnte man eine Härte- fallregelung herleiten. Ich bin jedoch sehr skeptisch, ob die Kommission das genauso sieht. Die Kommission hat sich eher dahin gehend geäußert, dass die Decision abschlie- ßend ist und kein Raum für eine Härtefallregelung besteht. Interessant sind die Änderungen, die Sie einführen muss- ten, weil Sie Ihren eigenen Zeitplan nicht einhalten konn- ten. Wegen der missratenen Kleinanlagenregelung hat das BMWi das TEHG monatelang aufgehalten, sodass es erst dieses Frühjahr ins Kabinett kam. Nun werden die beiden Fristen nicht eingehalten, die in der Richtlinie festgelegt worden sind. Das hätte nicht passieren dürfen. Es darf nicht sein, dass die Folgen der schwarz-gelben Streitereien auf dem Rücken der deutschen Wirtschaft ausgetragen wer- den. Die Wirtschaft muss nun in kürzester Zeit ziemlich komplexe Zuteilungsanträge stellen, die für die nächsten sieben Jahre regeln, wer wie viele Zertifikate erhält. Dies ist ein unzumutbarer Zustand. Wer sich einmal mit den Guidances und den Zuteilungsregeln beschäftigt hat, weiß, wie kompliziert diese sind und wovon ich spreche. Zusammenfassend kommen wir zu dem Schluss, dass wir dem Änderungsantrag der Koalition nicht zustim- men können. Bei der eigentlichen Gesetzesnovelle wer- den wir uns enthalten. Michael Kauch (FDP): Das heute abschließend zu beratende Gesetz dient der Fortentwicklung des Emis- sionshandels für künftige Handelsperioden in der EU. Mit der Vorlage setzen wir die Emissionshandelsrichtli- nie eins zu eins in deutsches Recht um. Es hat sich viel bewegt auf der europäischen Ebene in den vergangenen drei Jahren seit der letzten Fassung des TEHG: Ab dem kommenden Jahr bezieht die Richtlinie den Luftverkehr und ab 2013 weitere emissionsintensive Industriebran- chen in den Emissionshandel ein. 200 Fluggesellschaften werden künftig am Emissionshandel teilnehmen. Dies ist für uns ein Schritt hin zu einem sektorübergreifenden Kohlenstoffmarkt. Ein solch umfassender CO2-Markt wäre aus klimapolitischer und aus wirtschaftspolitischer Sicht sinnvoll; denn die Klimaziele werden wirksam und zu geringstmöglichen Kosten erreicht. Außerdem bekom- men wir ab 2013 ein einheitliches EU-Emissionshandels- system und nicht 27 Einzelsysteme wie bisher. Umso wichtiger war es uns, der FDP in dieser Bundesregierung, auch bei diesem Gesetz sorgfältig darauf zu achten, dass einheitliche Spielregeln für den Emissionshandel nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten führen. Dies haben wir genauso erreicht, wie wir bei den Beratungen über die hier vorliegenden Änderungsanträge des Regierungsentwurfs dafür gesorgt haben, dass Ar- beitsplätze im industriellen Mittelstand entlastet werden. Bei den Regeln für den Emissionshandel ab 2013 haben wir die Bürokratie für mittelständische Unternehmen deutlich abgebaut. Die vereinfachte Kleinanlagenrege- lung wurde ausgeweitet und eine Härtefallregelung bei wirtschaftlicher Überforderung eingeführt. Weiterhin können integrierte Unternehmen, zum Beispiel in der Stahlindustrie, mehrere Anlagen zu einer zusammenfas- sen, was den Verwaltungsaufwand verringert. Die For- mularvorgaben für die Unternehmen sind flexibler gere- gelt worden. Um die umfangreichen Lobbyversuche abzuwehren, bis zu welchem Heizwert die Mitverbrennung von Abfall emissionshandelsfrei ist, haben wir uns entschlossen, das Heizwertkriterium ganz zu streichen. Die Abgrenzung im Gesetz zwischen emissionshandelspflichtigen und emissionshandelsfreien Anlagen folgt jetzt exakt der EU-Richtlinie. Die Verbrennung von Siedlungsabfällen und giftigen Abfällen unterliegt dem Emissionshandel nicht. Für die Verbrennung von Gewerbeabfall sind da- gegen Emissionsrechte erforderlich. Insgesamt haben wir erhebliche Entlastungen vor allem für kleine und mittlere Unternehmen erwirkt. Denn gerade solche An- lagen mit geringen Emissionen werden von den adminis- trativen Kosten des Emissionshandels im Verhältnis zu ihrer Emissionsmenge überproportional belastet. Wir sind zuversichtlich, dass das Gesetz auch auf der Länderebene positiv aufgenommen wird. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Wie sie wis- sen, ist über die eigentlichen Kernpunkte dessen, was wir heute beraten, bereits 2008 auf europäischer Ebene ent- schieden worden. Die positive Nachricht war seinerzeit die Versteigerung der Emisisonsrechte an die Stromwirt- schaft ab 2013. Damit wird endlich die Praxis beendet werden, die wertvollen Zertifikate an die Energiekon- zerne zu verschenken. Das bringt denen schließlich jedes Jahr Milliarden an Extraprofiten ein. Die schlechte Nachricht bestand 2008 darin, dass es im Industriesektor bei der weitgehend kostenlosen Zutei- lung bleiben soll, auch wenn diese jetzt wenigstens euro- paweit harmonisiert stattfindet. Über die Produkt- Benchmarks werden viel zu viele Branchen mit kosten- losen Zertifikaten beschenkt, also nicht nur die, die im internationalen Wettbewerb mit energieintensiv herge- stellten Produkten stehen, sondern auch viele, die eine solche Unterstützung eigentlich gar nicht brauchen. Die Koalition hat jetzt noch eine Härtefallregelung ins Gesetz geschrieben. Ich frage mich, wofür? Die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13183 (A) (C) (D)(B) Benchmarks federn doch schon jetzt fast jegliche um- weltpolitische Lenkungswirkung ab. Zusätzlich wollen Union und FDP für die Industrie noch indirekte Effekte des Emissionshandels kompen- sieren. Es geht um Milliarden an Ausgleichzahlungen für emissionshandelsbedingte Strompreiserhöhungen für die Unternehmen. Da sind wir der Meinung, dass diese nur einem sehr engen Kreis zugutekommen sollen, wirk- lichen Härtefällen. Das Gros der Gelder sollte lieber dazu verwandt werden, die Energiewende bei ärmeren Haushalten abzufedern. Zudem sollten die Mittel für die energetische Gebäudesanierung weiter aufgestockt wer- den. Denn diese wird ansonsten für Mieterinnen und Mieter unbezahlbar. In der TEHG-Novelle sollen in Deutschland Kleinan- lagen unter 25 000 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr vom Emissionshandel befreit werden, wenn sie entweder eine Kompensationssumme zahlen oder wenn ihre An- lage eine spezifische CO2-Minderung von mindestens 1,74 Prozent im Jahr erbringt. Spezifisch heißt aber, dass sie bei Produktionsausdehnung absolut mehr ausstoßen können – trotz Einsparung je Produkt. Wir meinen, da- mit wird das Prinzip der festen Obergrenze für Emissio- nen, des berühmten „Deckels“ beim Emissionshandel, durchbrochen. Das lehnen wir ab. Der BDE und andere setzten sich bei der Anhörung mit Stellungnahmen dafür ein, Ersatzbrennstoff-Kraft- werke, EBS-Kraftwerke, weiterhin als Abfallanlagen zu behandeln, also weiterhin vom Emissionshandel zu be- freien. Auch der Bundesrat plädierte dafür. Wir denken jedoch, dies wäre eine Besserstellung gegenüber den emissionshandelspflichtigen Anlagen der Stromerzeu- gung. Schließlich ist der Hauptzweck von Ersatzbrenn- stoff-Kraftwerken offensichtlich die Produktion von Strom und Wärme und eben nicht die Abfallentsorgung. Der Name Ersatzbrennstoff-Kraftwerk deutet schon da- rauf hin. Die Einbeziehung der Abfallentsorgung in den Emissionshandel ist also richtig. Ab nächstes Jahr wird der Flugverkehr in den Emis- sionshandel einbezogen. Auch hier gilt: Die Messen wurden bereits auf EU-Ebene gesungen. Allerdings ist es wenig ermutigend: Die zugeteilte Gesamtmenge wird im Jahr 2020 nur 95 Prozent des Durchschnitts der Jahre 2004 bis 2006 betragen. Ambitionierter Klimaschutz sieht anders aus. Zudem sollen gerade einmal 15 Prozent der Rechte versteigert werden. Ferner ignoriert das System die indi- rekten Effekte des Flugverkehrs, wie NOx und Wasser- dampf, die die Treibhauswirkung je Tonne ausgestoße- nen CO2 um den Faktor 2 bis 4 erhöhen. Gerade wurde ja eine Studie veröffentlicht, die eine Klimawirksamkeit von mindestens Faktor 2 in Bezug auf die in der Höhe ausgestoßene CO2-Menge nahelegt. Auch die Verzahnung des Flugverkehrs mit dem EU- Emissionshandel sowie mit CDM und JI wird dazu füh- ren, dass der Flugverkehr fast ungezügelt weiter wach- sen kann. Auch darum lehnt die Linke dieses Gesetz ab. Noch ein Wort zu den steuerlichen Auswirkungen der künftigen Versteigerung. Dies war ja auch ein Thema der Stellungnahme des Bundesrates. Die kommunalen Spitzenverbände sehen, dass mit der geplanten Versteigerung von CO2-Zertifikaten dem Bund Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zufließen werden. Da diese Mehreinnahmen des Bundes bei den Unternehmen spiegelbildlich als Betriebsausgaben zu Buche schlügen, würden im Gegenzug die steuerlichen Bemessungs- grundlagen der Ertragsteuern in entsprechender Größen- relation sinken, so die Verbände. Die Kommunen seien über die Gewerbesteuer in besonders dramatischer Weise von den daraus unmittelbar resultierenden Steuerausfäl- len betroffen. Nun hat die Bundesregierung einer ähnlichen Argu- mentation des Bundesrates in ihrer Gegenäußerung be- gründet, aber eher knapp und ohne Zahlenmaterial, widersprochen. So seien die Mehreinnahmen für zusätz- liche gesamtstaatliche Klimaschutzausgaben vorgese- hen. Vor allem aber müssten die steuerlichen Gesamtef- fekte des Emissionshandels seit seiner Einführung 2005 gesehen werden. Tatsächlich werden mit der Versteige- rung nur jene leistungslos erzielten Extraprofite be- schnitten, die die Energieversorger durch die bislang kostenlose Vergabe der Emissionsrechte erzielt haben. Die Kommunen haben an diesen Gewinnen mit zusätzli- chen Steuereinahmen partizipiert. Jetzt wird eigentlich nur der „Normalzustand“ wieder hergestellt. Für uns ist aber noch nicht ganz klar, wie die Netto- wirkungen tatsächlich aussehen. Darum fordern wir die Bundesregierung auf, hier einmal eine Bilanz mit kon- kreten Zahlen vorzulegen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir diskutierten heute über die Weiterentwicklung eines zen- tralen Instruments des Klimaschutzes. Es geht um das europäische System zur Begrenzung von Treibhausgas- emissionen und zum Handel mit Emissionszertifikaten. Gerade vor dem Hintergrund der Energiewende, die wir in Deutschland wollen, mit dem beschleunigten Ausstieg aus der Atomkraft und dem Umstieg auf erneuerbare Energien kommt dem Emissionshandel eine bedeutende Rolle zu. Denn er verhindert, dass Atomausstieg und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt und dass alte ge- fährliche Atomkraftwerke einfach durch neue klima- schädliche Kohlekraftwerke ersetzt werden. Deshalb sollte unser gemeinsames Ziel sein, den Emissionshan- del weiter zu stärken und bestehende Schlupflöcher zu schließen. Die vorliegende Novelle des Treibhausgas-Emis- sionshandelsgesetzes ist auf diesem Weg ein wichtiger Schritt nach vorn. Sie setzt europäische Richtlinien in deutsches Recht um und bringt dabei vor allem drei Ver- besserungen: Erstens wird das bisherige Nebeneinander von 30 na- tionalen Emissionshandelssystemen mit eigenen Regeln und Emissionsobergrenzen in ein gemeinsames europäi- sches System überführt. Damit entstehen gleiche und 13184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) faire Bedingungen. Und damit entfällt für die Mitglied- staaten die Versuchung, der eigenen Wirtschaft bei der Festlegung der nationalen Regeln Standortvorteile zulas- ten des Klimaschutzes zu verschaffen. Zweitens werden die Emissionszertifikate für die Ener- giewirtschaft ab 2013 zu 100 Prozent versteigert und nicht mehr kostenlos zugeteilt. Das ist ein großer Fort- schritt. Denn dadurch werden die Kosten klimaschäd- licher Kraftwerke für Betreiber und Investoren deutlich spürbarer. Und es ist endlich Schluss mit einer beispiel- losen Abzocke, die den Stromkonzernen in den letzten Jahren Milliarden auf Kosten der Verbraucher einge- bracht hat. Für die Zertifikate, die sie kostenlos beka- men, haben die Stromversorger ihren Kunden nämlich den vollen Börsenpreis berechnet. Das war ein Skandal. Das haben wir immer kritisiert. Und 2013 ist endlich Schluss damit. Drittens wird ab 2012 der Flugverkehr neu in den Emissionshandel einbezogen. Damit gibt es zum ersten Mal echte Klimaschutzvorgaben für diese wichtige und schnell wachsende Emissionsquelle. Das sind wesentliche Verbesserungen, die aus den Änderungen der europäischen Emissionshandelsricht- linie folgen und die wir Grüne voll unterstützen. Dane- ben gibt es in der vorliegenden Gesetzesnovelle aber auch Regelungen, die wir ablehnen. Dazu gehört die von CDU/CSU und FDP vorgeschlagene Vorschrift zur Mit- verbrennung von Abfällen, die missbrauchsanfällig ist und zu einer Ausweitung der fragwürdigen Praxis der Mitverbrennung von Abfällen in fossilen Kraftwerken führen kann. Dazu zählt die sogenannte Härtefallrege- lung, die klare, objektive Kriterien vermissen lässt und im Ergebnis lobbystarke Unternehmen gegenüber ihren Mitbewerbern bevorzugt. Und dazu gehört die in ihrem Anwendungsbereich erweiterte Kleinanlagenregelung, die wenig für den Bürokratieabbau leistet, aber das Emis- sionshandelssystem insgesamt schwächt. Durch diese Regelungen werden neue Ausnahmetatbestände und Schlupflöcher geschaffen. Deshalb können wir Grüne dem Gesetzentwurf als Ganzem nicht zustimmen. Lassen sie mich zum Schluss noch einen Blick nach vorn werfen. Trotz der Verbesserungen, die ich eingangs erwähnt habe, ist der europäische Emissionshandel alles andere als perfekt. Wir müssen deshalb auf europäischer Ebene zu weiteren Verbesserungen kommen. Das gilt zum Beispiel für die Reform der Anrechnung von Kli- maschutzprojekten außerhalb Europas, die einge- schränkt und an höhere ökologische Standards geknüpft werden muss. Das gilt für die weitgehend kostenlose Zu- teilung von Emissionszertifikaten an Industrie und Flug- gesellschaften, an deren Stelle mehr Versteigerung treten muss. Und es gilt für die dringend notwendige Absen- kung der Emissionsobergrenze für 2020, die unverzicht- bar ist, um die europäischen und deutschen Klima- schutzziele zu erreichen. Wir brauchen ein ehrgeizigeres Klimaschutzziel in der EU: 30 Prozent Emissionsminde- rung bis 2020. Und dieses Ziel muss sich in einer deut- lich niedrigeren Emissionsobergrenze des Emissions- handelssystems niederschlagen. Lassen sie uns dafür gemeinsam als Deutscher Bundestag eintreten! Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Gleichstellung eingetragener Lebenspart- nerschaften – Öffnung der Ehe (Tagesordnungspunkt 19) Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute ab- schließend über zwei Anträge zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Der Antrag der SPD zielt darauf ab, ein- getragene Partnerschaften in rechtlicher Hinsicht voll- ständig mit der Ehe gleichzustellen. Das betrifft insbe- sondere das Steuer- und Adoptionsrecht. Die Fraktion Die Linke geht sogar noch einen Schritt weiter und will das Institut der Ehe, das der Verbindung von Mann und Frau vorbehalten ist, auch für gleichgeschlechtliche Paare öffnen. Ich habe bereits in der ersten Lesung dieser Anträge vor ziemlich genau einem Jahr angeregt, dass auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ein- mal innehalten und positiv zur Kenntnis nehmen, was in diesem Bereich in den vergangenen zehn Jahren für eine einzelne, relativ kleine Bevölkerungsgruppe erreicht wurde: die Schaffung eines zivilrechtlichen Instituts, das diese Form des Zusammenlebens rechtlich absichert, und die inzwischen fast vollständige rechtliche Gleich- stellung mit der Ehe. Jetzt hat die christlich-liberale Koalition, wie im Ko- alitionsvertrag auch vereinbart, die vollständige Gleich- stellung im öffentlichen Dienstrecht auf den Weg ge- bracht. Auch hier wird es also bald keine Unterschiede mehr geben. Diese entsprechende Forderung im SPD- Antrag hat sich somit erübrigt. Es verbleiben im Wesent- lichen nur noch zwei Bereiche, bei denen es Differenzie- rungen zwischen der Ehe und einer eingetragenen Part- nerschaft gibt: in Teilen des Steuerrechts und bei der gemeinsamen Fremdkindadoption, die weiterhin Ehe- paaren vorbehalten ist. Erlauben Sie mir zunächst einige kurze Anmerkungen zum Steuerrecht: Im Bereich der Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuer haben wir bereits eine Gleich- stellung vollzogen. Unterschiede gibt es somit nur noch beim Einkommensteuerrecht und hier speziell beim Ehe- gattensplitting. Nach dem Willen der SPD sollen künftig auch eingetragene Lebenspartnerschaften die Möglich- keit des Splittings erhalten. Diese Forderung lehnen wir jedoch entschieden ab. Bereits in der ersten Beratung vor einem Jahr hatte ich meine Verwunderung darüber zum Ausdruck ge- bracht, dass ausgerechnet jene die Ausweitung des Ehe- gattensplittings auf eingetragene Lebenspartnerschaften fordern, die in dieser Regelung seit eh und je einen ana- chronistischen Fehlanreiz sehen, der Frauen von der Er- werbstätigkeit abhalte, sie auf die Rolle der Hausfrau re- duziere und daher abgeschafft gehöre. Man kann es nur Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13185 (A) (C) (D)(B) als paradox bezeichnen, wenn jetzt entgegen langjähri- gen Forderungen nicht die Abschaffung, sondern viel- mehr die Ausweitung dieser Reglung gefordert wird. Leider ist es den Antragstellern auch in den Ausschuss- beratungen nicht gelungen, diesen Widerspruch aufzu- klären. Unabhängig davon muss aber auch von Ihnen, sehr ge- ehrten Kolleginnen und Kollegen der Opposition, zur Kenntnis genommen werden, dass die deutsche Rechts- ordnung den verschiedenen Formen des familiären Zusammenlebens eben gerade nicht wertneutral gegen- übersteht. Der Verfassungsgeber hat vielmehr eine Grundentscheidung zugunsten der Ehe als Leitbild des familiären Zusammenlebens getroffen, indem er über Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz diese unter den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz gestellt hat. Ob wir wollen oder nicht, als Gesetzgeber haben wir die damit verbun- denen Grenzen unseres Gestaltungsspielraums zu respek- tieren. Das Ehegattensplitting als steuerliches Privileg ist Ausdruck der gezielten staatlichen Förderung ebendieser speziellen Form des Zusammenlebens, das als solches auch weiterhin verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Unabhängig davon plädiere ich dafür, das geltende System im Steuerrecht, das als Ausdruck der steuerlichen Leistungsgleichheit bestimmte zivilrechtliche Einstands- pflichten steuerlich freistellt, systematisch zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszutarieren. Meines Erachtens darf sich die Überprüfung jedoch nicht auf das Verhältnis von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft be- schränken, sondern sollte vielmehr alle Unterhaltspflich- ten, die aus einer familiären Beziehung resultieren, be- inhalten. In diesem Sinne plädiert die CDU in ihrem Grundsatzprogramm dafür, zu prüfen, ob und, wenn ja, wie das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting weiterentwickelt werden kann. Hier sind wir also schon einen entscheidenden Schritt weiter als die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen bzw. Parteien. Kurzfristige und so weitreichende Änderungen zuguns- ten lediglich einer einzelnen Gruppe innerhalb des gelten- den Einkommensteuersystems, wie dies vorliegend mit der Forderung nach einer Ausweitung des Ehegattensplit- tings auf eingetragene Lebenspartnerschaften geschehen soll, lehnen wir hingegen ab. Gleiches gilt für den Bereich des Adoptionsrechts. Die Forderung der SPD, die Möglichkeit, gemeinsam ein fremdes Kind zu adoptieren, auch eingetragenen Le- benspartnerschaften zu ermöglichen, lehnen wir aus Gründen des Kindeswohls ab. Es trifft sich in diesem Zusammenhang gut, dass wir gerade in dieser Woche im Rechtsausschuss zur Frage des Adoptionsrechts eine, wie ich denke, sehr interes- sante und aufschlussreiche Anhörung durchgeführt ha- ben, die uns wertvolle Erkenntnisse geliefert hat. Der vorliegende Antrag geht bekanntlich davon aus, eine ge- meinsame Fremdkindadoption laufe den Interessen der betroffenen Kinder nicht zuwider und sei zudem sogar verfassungsrechtlich geboten. Diese Behauptung wurde jedoch von den Experten aus verschiedenen wissen- schaftlichen Disziplinen klar und überzeugend wider- legt. Den Befürwortern einer Gesetzesänderung geht es – so auch die Aussage der Experten – gerade nicht um das Kindeswohl, das im Adoptionsrecht der zentrale und alleinige Maßstab ist, sondern einzig um die Interessen der Erwachsenen. Das halte ich für im höchsten Maße problematisch. Eine Politik, die darauf abzielt, beste- hende Diskriminierungen abzubauen, darf niemals auf dem Rücken von Kindern ausgetragen werden. Ich hoffe, dass wir in Zukunft zumindest in diesem Punkt Einigkeit erzielen können. Nun wird teilweise unter Verweis auf Entwicklungen in der Rechtsprechung argumentiert, eine Angleichung auch im Bereich des Adoptionsrechts sei nicht nur zuläs- sig, sondern sogar verfassungsrechtlich geboten. Dan- kenswerterweise konnten die Experten auch diesbezüg- lich für Klarheit sorgen und einige Missverständnisse, die dieser Argumentation ganz offensichtlich zugrunde liegen, beseitigen: Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den be- sonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Rechtsord- nung hat daher eine Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft zu machen, wenn es um die Elternschaft für Kinder geht. Eine Differenzierung ist – so auch die in Bezug genommenen gerichtlichen Ent- scheidungen – immer dann zulässig, wenn es sachliche Gründe gibt, die eine Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft rechtfertigen. Und eben einen solchen sachlichen Grund stellt das Kindes- wohl dar. Anders gesagt: Die Interessen der von einer Adoption betroffenen Kinder rechtfertigen es, dass nur Ehepartner die Möglichkeit haben, ein fremdes Kind ge- meinsam zu adoptieren. Anders als bei Gleichstellungen in jenen Bereichen, die ausschließlich die Rechtsbeziehungen zwischen den erwachsenen Partnern selbst betreffen, also zum Beispiel das öffentliche Dienstrecht, sind im Adoptionsrecht die Rechte Dritter, nämlich der Kinder, tangiert. Dies wird in der Diskussion leider allzu oft vergessen. Es muss daher an dieser Stelle nochmals an den Sinn und Zweck von Fremdkindadoptionen erinnert werden: Die Adoption ist eine mögliche Hilfe für bereits geborene Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen Eltern und Familie verloren haben und für die deshalb eine neue Familie gesucht werden muss. Hingegen ist Adoption keine Maßnahme zur Heilung der Kinderlosigkeit von kinderlosen Paaren. Genauso wenig begründet das Adoptionsrecht einen Rechtsanspruch auf Elternschaft. In der Anhörung haben die Experten aus der Adop- tionspraxis und der Kinderpsychologie, die auch Mitglie- der des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesjustizmi- nisteriums bei der Untersuchung der Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wa- ren, zu Recht darauf hingewiesen, dass die betroffenen Kinder, über die wir heute reden, bereits mit der – aus kin- despsychologischer Sicht – schwierigen Situation leben müssen, ihre leiblichen Eltern in Gänze verloren zu ha- ben. Deshalb benötigen diese Kinder ein Umfeld, das nicht noch in seiner Besonderheit eine zweite, zusätzliche Herausforderung oder Belastung für sie darstellt. Gerade das wäre aber die unvermeidbare Folge einer gemeinsa- men Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare, weil 13186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Kinder aus diesen Familien häufiger Stigmatisierungen erfahren und Opfer von Mobbing werden. Diesen Ein- wand halte ich für zentral. Der Staat hat gegenüber den betroffenen Kindern eine Schutzpflicht. Sofern wir als Gesetzgeber nicht mit Si- cherheit ausschließen können, dass eine Fremdkind- adoption dem Wohl der betroffenen Kinder zuwiderliefe, müssen wir im Zweifel von Gesetzesänderungen abse- hen, die den rechtlichen Status der Kinder ändern und in- sofern einen Eingriff in deren Freiheitsrechte darstellen würden. Auch darauf haben die Experten zu Recht hin- gewiesen. Eine Gesetzesänderung darf es – wenn über- haupt – nur auf Grundlage wirklich belastbarer Erkennt- nisse über die familiäre und soziale Lebenssituation der betroffenen Kinder geben. Diesem Anspruch werden je- doch weder die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie noch etwaige Untersuchungen aus dem Ausland gerecht. Auch das wurde in der Anhörung deut- lich. Die Union lehnt vor diesem Hintergrund jede weiter gehende Gleichstellung im Bereich des Adoptionsrechts ab. Wie ich bereits in der ersten Beratung ausgeführt habe, halten wir die Forderung der Fraktion Die Linke, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, alleine schon aus verfassungsrechtlichen Gründen für völlig abwegig. Offensichtlich gibt es hier bei den Oppositionsparteien ei- nen regelrechten Profilierungswettbewerb. Eine einfache Lektüre der Gesetze und einschlägigen gerichtlichen Ent- scheidungen würde aber helfen. So hat das Bundesverfas- sungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2002 ganz eindeutig und missverständlich festgestellt, – ich zi- tiere: Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des ge- sellschaftlichen Wandels und der damit einherge- henden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung ei- nes Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer ange- legten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates … in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partner- schaft zueinander stehen … und über die Ausgestal- tung ihres Zusammenlebens frei entscheiden kön- nen. Mit anderen Worten: Die Ehe ist von Verfassung we- gen der Beziehung von Frau und Mann vorbehalten. Und da sich auch diesbezüglich in den Ausschussberatungen das eine oder andere Missverständnis offenbart hat, er- laube ich mir abschließend eine kurze Anmerkung zur sogenannten Transsexuellenentscheidung des Bundes- verfassungsgerichts, die in diesem Zusammenhang von einigen Kolleginnen und Kollegen angesprochen wurde. Das Gericht hat in besagter Entscheidung lediglich die geltende Fassung des Transsexuellengesetzes insofern für verfassungswidrig erklärt, als ein Transsexueller, der die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Geschlechter- wechsel erfüllt, zur rechtlichen Absicherung seiner gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur dann eine ein- getragene Lebenspartnerschaft begründen kann, wenn er sich zuvor im Wege der sogenannten großen Lösung einer medizinischen Geschlechtsumwandlung unterzogen und infolgedessen auch personenstandsrechtlich das Ge- schlecht gewechselt hat. Explizit nicht beanstandet hat das Gericht hingegen, dass die Ehe grundsätzlich ver- schiedengeschlechtlichen Paaren und die eingetragene Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlichen Paaren vor- behalten ist, wobei wiederum alleine auf die personen- standsrechtliche Geschlechtszugehörigkeit abgestellt wird. Insofern bleibt es also dabei: Eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Beziehungen wäre evident verfas- sungswidrig. Ich denke, dass damit alles gesagt ist. Aus vorgenannten Gründen lehnen wir die beiden heute zur Abstimmung stehenden Anträge ab. Johannes Kahrs (SPD): Wir debattieren hier über die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- schaften mit der Ehe. Das Institut selbst haben wir in der letzten rot-grünen Koalition beschlossen. Damals schei- terte eine vollkommene Gleichstellung am Widerstand der schwarz-gelben Länder im Bundesrat. In der Großen Koalition konnten wir Sozialdemokraten der CDU/CSU unter anderem das Antidiskriminierungsgesetz abringen. Wir als SPD sagen: Unser Ziel ist die völlige Gleichstel- lung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe, da gleiche Pflichten auch gleiche Rechte bedeuten. Mein eigener Landesverband in Hamburg hat überdies beschlossen, die Öffnung der Ehe anzustreben, womit mit einem Schlag sämtliche Ungleichbehandlungen und Ungerech- tigkeiten beseitigt wären. Die Gleichstellung ist in vielen Bereichen noch nicht vollendet. Das liegt in erster Linie am Widerstand der CDU/CSU. Da die Union so gerne ihre Familienfreund- lichkeit herausstreicht, möchte ich besonders einen As- pekt des Themas behandeln, nämlich die ausstehende Gleichstellung der Lebenspartnerschaften im Adoptions- recht. Bereits heute leben in jeder achten eingetragenen Le- benspartnerschaft Kinder. Neben den leiblichen Kindern eines der Partner aus einer früheren Beziehung, für die es die Möglichkeit der Stiefkindadoption gibt, handelt es sich dabei auch oft um Adoptiv- oder Pflegekinder eines der beiden Partner. Den Kindern der letztgenannten Gruppe verwehren CDU und CSU wesentliche Rechte. Sie sollen weder Unterhaltsansprüche gegenüber beiden Elternteilen haben noch von beiden Eltern erben dürfen. Hunderte Kinder sollen nach dem Willen von CDU/ CSU schlechter behandelt werden als andere, weil ihre Eltern nicht ins Schema althergebrachter Konventionen passen. Um ihren Eltern klarzumachen, dass sie Bürger zweiter Klasse sind, enthält die Union Kindern wesentli- che Rechte vor. Die Schutzbedürftigsten der Gesell- schaft müssen für konservative Symbolpolitik auf recht- liche Absicherung verzichten. Dies geht jedenfalls aus den Argumenten der Kollegen von CDU/CSU in den Be- ratungen des Rechtsausschusses zum vorliegenden An- trag der SPD-Bundestagsfraktion hervor. Dort heißt es, „namentlich eine Volladoption durch Lebenspartner komme nicht in Betracht“. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13187 (A) (C) (D)(B) Die rechtliche Schlechterstellung von Kindern wird mit atemberaubender Dreistigkeit mit dem Kindeswohl begründet. Vor einem Jahr wurde hier ebenfalls ein An- trag über die Gleichstellung eingetragener Lebenspart- nerschaften beraten. Damals agitierte die Kollegin Granold von der CDU vehement gegen jede Anglei- chung im Adoptionsrecht. Ich zitiere: „Vieles spricht da- für, dass Kinder von gleichgeschlechtlichen Ehen“ – ja, Frau Granold verwendete tatsächlich das Wort Ehe – „häufiger Stigmatisierungen erfahren als andere.“ Es mag sein, dass dem so ist. Nur: Woran liegt es denn, wenn diese Kinder stigmatisiert werden? An den Vorurteilen in Teilen der Bevölkerung. Und wer schürt diese Vorurteile? Nicht zuletzt die CDU und die CSU. Diese Partei hat es immer abgelehnt, Schwulen und Les- ben die gleichen Rechte zuzugestehen wie anderen Bür- gern dieses Landes. Wenn es in den letzten Jahren homo- phobe Äußerungen von Politikern gab, dann konnte man sicher sein, dass diejenigen der Union angehörten. Mit jeder dieser Äußerungen trugen und tragen Sie, liebe Kollegen von CDU und CSU, dazu bei, dass sich Vorur- teile bilden und verfestigen. Am Ende stellen sie sich dann hin und nehmen Kindern, die aufgrund Ihres Ver- haltens erst stigmatisiert werden, auch noch die Hälfte ihrer rechtlichen Absicherung weg. Das noch mit dem Kindeswohl zu begründen, ist nicht mehr bloß dreist, es ist zynisch. Eine Adoption wird nur Paaren gestattet, die vorher intensiv behördlich überprüft wurden. Es gibt aus Sicht der Wissenschaft keinen Anhaltspunkt dafür, dass zwei Frauen oder zwei Männer schlechtere Eltern sind als ein heterosexuelles Paar. Auch weiß man aus zahlreichen Studien, dass Kindern mit gleichgeschlechtlichen Eltern aus dieser Tatsache keine psychischen und sozialen Schäden entstehen. Sehr wohl weiß man, dass adoptierte Kinder überdurchschnittlich häufig in wohlhabenderen Haushalten aufwachsen. Vor allem sind adoptierte Kin- der stets Wunschkinder. Stigmatisierungen und Hänse- leien durch vorurteilsbelastete Mitmenschen können al- lein kein Grund sein, eine Adoption zu verweigern; denn dann müsste man konsequent jeden Lebensumstand der Adoptiveltern auf ein „Stigmatisierungspotenzial“ hin untersuchen. Kinder könnten beispielsweise auch für die Herkunft ihrer Eltern gehänselt werden. Dennoch würde es doch niemandem einfallen, den Rassismus der einen zum Adoptionshindernis für die anderen zu machen. Sie, liebe Kollegen von der Union, machen aber genau das. Weil es Homophobie gibt – nicht zuletzt dank Ihnen – müssen deren Opfer auf Rechte verzichten. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zulasten von Kindern ginge. Abgesehen vom Adoptionsrecht steht die Gleichstel- lung von Ehe und Lebenspartnerschaften weiterhin in vielen anderen Rechtsbereichen aus. Steuer-, Soldaten- und Beamtenrecht sind hier zu nennen. Auch hier versu- chen Sie, auf dem Rücken einer Minderheit das, was von Ihrem konservativen Markenkern noch übrig ist, zu ret- ten. Die Unionskollegen im Rechtsausschuss haben in ih- rer Stellungnahme die vielen Verbesserungen, die es im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung der eingetra- genen Lebenspartnerschaften in den letzten Jahren gege- ben hat und die aufgrund des schwarz-gelben Koalitions- vertrages noch geplant seien, aufgezählt. So weit, so gut, liebe Kollegen von der Union. Nur: Musste all dies denn nicht gegen Ihren erbitterten Widerstand erkämpft wer- den? Waren es nicht im Wesentlichen der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht, die Sie zu etwas zwingen mussten, was sämtliche anderen Frak- tionen im Bundestag schon lange gefordert hatten? Sie befinden sich auf dem Gebiet der Gleichstellung schon seit Jahren in einem Rückzugsgefecht. Die Zeit arbeitet gegen Sie. Begreifen Sie endlich, dass diese Schlacht verloren ist. Sie können Ihre Position nicht halten. Zu den Kollegen der FDP kann man nur sagen: Wir wissen ja, dass Sie in der Sache voll und ganz auf unse- rer Seite stehen. Dementsprechend hätten Sie sich ruhig einmal einen Ruck geben und dem Koalitionspartner, der sowohl hier im Parlament als auch in der Gesellschaft in der Minderheit ist, Paroli bieten können. Leider sind Sie dann doch eingeknickt. Ihr Einwand, eine Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft sei nur durch eine Ver- fassungsänderung machbar, ist Augenwischerei. Eine Änderung von Art. 6 des Grundgesetzes ist durch eine einfache Mehrheit machbar, die Sie hier im Bundestag sofort fänden. In dieser Sache hätte ich nicht das ge- ringste Problem damit, mit der FDP zusammenzuarbei- ten. Aber leider geht es Ihnen hier wie aktuell in allen anderen Politikfeldern: Sie geben jede Ihrer Positionen preis, solange Sie sich damit an der Macht halten kön- nen. Ich habe bereits in meiner letzten Rede zu diesem Thema meine Zuversicht ausgedrückt, dass man in zehn Jahren über die heutige Haltung der Union nur noch milde lächeln wird. Ich bin weiterhin zuversichtlich. Die Gleichstellung wird kommen. CDU und CSU können diesen Kampf nicht gewinnen. Glückauf! Stephan Thomae (FDP): Die Liberalen setzen sich seit jeher dafür ein, dass alle Menschen ihre Lebensent- würfe frei verwirklichen können. Dazu gehört auch die sexuelle Orientierung. Niemandem darf aufgrund seiner sexuellen Orientierung ein Nachteil entstehen. Für uns gilt ein klarer Grundsatz: Wer gleiche Pflich- ten hat, verdient auch gleiche Rechte. Lebenspartner- schaften müssen mit der Ehe gleichgestellt werden. Die- ses Ziel haben wir fest im Auge, und wir nähern uns ihm kontinuierlich an. Dabei verstellen wir uns nicht politi- schen Realitäten, sondern setzen das um, was politisch machbar ist. Mit dem am 14. Dezember 2010 in Kraft getretenen Jahressteuergesetz 2010 haben wir die eingetragenen Le- benspartner mit Ehegatten bei Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer gleichgestellt. In Kürze werden wir auch das Gesetzgebungsverfahren zur Gleichstellung im Be- amten-, Soldaten- und Richterrecht umsetzen. Aus Sicht der FDP muss dann die Gleichstellung bei der Einkom- mensteuer folgen. Wir setzen uns zudem für die gesellschaftliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen ein. Sabine 13188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Leutheusser-Schnarrenberger setzt das langjährige Pro- jekt der FDP um: die Magnus-Hirschfeld-Stiftung des Bundes. Im Bundeshaushalt 2011 sind bis zu 15 Milli- onen Euro für die Errichtung der Stiftung vorgesehen. Diese soll durch Bildung und Forschung die Diskrimi- nierung von Homosexuellen bekämpfen. Die Magnus- Hirschfeld-Stiftung ist ein Projekt, das seit dem Jahr 2000 vom Bundestag versprochen wurde, aber von den rot-grünen und schwarz-roten Vorgängerregierungen nicht umgesetzt wurde. Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass der An- trag der SPD einige sehr gute Ansätze enthält. So fordert auch die FDP für eingetragene Lebenspart- nerschaften ein volles Adoptionsrecht – wie bei Ehegat- ten. Die Anhörung im Rechtsausschuss vom 6. Juni 2011 zu diesem Thema hat uns in unserer Auffassung bestä- tigt, dass kein sachlich gerechtfertigter Grund für eine Differenzierung zwischen Eheleuten und eingetragenen Lebenspartnerschaften besteht. Allerdings muss man an dieser Stelle auch nicht weiter drum herumreden, dass die Union einen anderen Standpunkt vertritt und deshalb eine entsprechende Regelung mit der Union derzeit nicht realisierbar ist. Hier wäre es aber ein sinnvoller Schritt, zumindest das revidierte Europäische Abkommen über die Adoption von Kindern vom 27. November 2008 zu zeichnen. Dafür wird sich die FDP einsetzen. Die SPD muss sich bei allen guten Ansätzen aber fra- gen lassen, warum sie ihre jetzt vorgebrachten Ideen nicht schon im Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz von 2005 umgesetzt hat. Damals war die SPD selbst in Regierungsverantwortung und hat sich nur zur Stief- kindadoption durchringen können. Maximalforderun- gen wie die der Linken nach einer Öffnung der Ehe für alle Lebensformen wären wohl nur über eine Verfas- sungsänderung umsetzbar. Das ist unrealistisch. In Deutschland haben wir uns für einen anderen Weg entschieden. Mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft haben wir ein eigenes Rechtsinstitut geschaffen. Dies wurde und wird von der Mehrheit der Fraktionen im Deutschen Bundestag unterstützt und vom Verfassungs- gericht abgesichert. Wir wollen nun unseren eingeschla- genen Weg fortsetzen und die rechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe Schritt für Schritt auf einfachgesetzlicher Ebene errei- chen. Die Öffnung der Ehe kann am Ende dieses Prozes- ses stehen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Im August dieses Jahres können wir auf zehn Jahre Lebenspartnerschaft- gesetz zurückblicken. Seitdem ist die Akzeptanz der sexuellen Vielfalt in der Gesellschaft gestiegen. Damals wollte der Gesetzgeber mit dem formulierten Ziel der „Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtli- cher Gemeinschaften“ ein eigenständiges Rechtsinstitut für Lesben und Schwule schaffen. Dieses Ziel ist leider nicht erreicht worden. Die Verpartnerung ist weiter eine Ehe zweiter Klasse. Im Beamtenrecht, im Steuerrecht und im Adoptionsrecht sind verpartnerte lesbische oder schwule Paare immer noch nicht gleichgestellt. Das gemeinsame Adoptions- recht bleibt ihnen versagt, obwohl dies eklatant dem Kindeswohl widerspricht, wie die Sachverständigen am 6. Juni 2011 mehrheitlich in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss bestätigten. In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Rechtslagen bezüglich der Verpartnerung. So müssen zum Beispiel in Thüringen und Sachsen Verpartnerte hö- here Gebühren für den Bund fürs Leben entrichten. Auch im Beamtenrecht und in den Versorgungswerken werden sie unterschiedlich behandelt. Einzig der rot-rote Senat von Berlin hat bislang die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft soweit möglich vollständig und rückwirkend vollzogen. Dennoch, das Manko bleibt. Es bleibt ein Flickentep- pich rechtlicher Regelungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Die Linke will diesen Flickenteppich nicht weiter ausbessern. Was gleich ist, muss gleich behandelt wer- den. Deshalb fordert die Fraktion Die Linke, konsequent heterosexuelle und schwule sowie lesbische Paare, die ihre Beziehung durch den Bund fürs Leben auf eine rechtliche Grundlage stellen wollen, gleichzustellen. Deshalb fordern wir die Öffnung der Ehe. Dies ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsge- richt stellte im Jahre 2009 klar, dass der besondere Schutz des Grundgesetzes dem Zusammenleben mit Kindern gilt, unabhängig von der Familienform. Eine Privilegierung der Ehe, weil aus ihr Kinder hervorgehen können, ist verfassungsrechtlich in erster Linie Gegen- stand des Grundrechtsschutzes der Familie und nicht auf verheiratete Eltern beschränkt. Damit hat das höchste deutsche Gericht der gesellschaftlichen Realität sehr deutlich Rechnung getragen. Wir sollten dies nun auch als Gesetzgeber tun. In Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Belgien, den Niederlanden und Island haben wir in Europa bereits die Ehe für Lesben und Schwule. Meine Damen und Herren von der SPD, die SPD-ge- führten Bundesländer Brandenburg und Berlin haben eine Bundesratsinitiative zur Öffnung der Ehe vorgelegt. Die Lesben und Schwulen in der SPD, die Schwusos, fordern die Öffnung der Ehe. Schließen Sie sich als Fraktion dieser Forderung an. Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grü- nen, Sie scheinen noch uneins zu sein. Wollten Sie in der letzten Legislaturperiode noch die Öffnung der Ehe, so machte einer Ihrer Abgeordneten im Rechtsausschuss deutlich, dass er dies nicht für geboten hält. Das ist eine inkonsequente Haltung. Es gibt auch in unserem Land noch Homophobie. Doch so wie die Einführung des Rechtsinstituts der Le- benspartnerschaft vor zehn Jahren die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber der sexuellen Vielfalt wesentlich erhöht hat, wird die Öffnung der Ehe ein weiterer wichti- ger Meilenstein sein, um die Würde aller Menschen un- abhängig von ihrer sexuellen Identität und Orientierung zu wahren. Seien Sie mutig! Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13189 (A) (C) (D)(B) Die Bevölkerung ist weiter als Sie denken. Nach einer Emnid-Studie befürworten 66 Prozent der Befragten eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Partner- schaften mit der Ehe. Lassen Sie uns diese vollziehen, indem wir die Ehe für alle Menschen öffnen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute liegen zwei Anträge vor, die die rechtliche Si- tuation von homosexuellen Paaren mit der von hetero- sexuellen Eheleuten gleichstellen wollen. Dieses Ziel verfolgt meine Fraktion seit 1990 – wir werden des- wegen beiden Anträgen zustimmen. Ich freue mich ins- besondere, dass die SPD-Fraktion in ihrem Antrag ein klares Bekenntnis für die vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe ablegt. Aus unserer gemeinsamen Regierungszeit habe ich in dieser Frage noch schwierige Diskussionen mit SPD- Spitzenpolitikern in Erinnerung. Daher begrüße ich die Klarstellung, die dieser Antrag für die zukünftige Zu- sammenarbeit mit sich bringt. Die Gleichstellung ist politisch, aber auch verfas- sungsrechtlich geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Grundsatzentscheidungen deutlich gemacht, dass eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung nicht zu rechtfertigen ist. Die schwarz-gelbe Koalition ignoriert die Entscheidungen jedoch und verweigert die Umsetzung. Erst in der gestrigen Sitzung des Innenaus- schusses wurde beispielsweise die von meiner Fraktion beantragte Gleichstellung im Beamtenrecht erneut von der Koalitionsmehrheit vertagt. Anderthalb Jahre nach dem Gerichtsentscheid schaffen Sie von der Koalition es nicht, wenigstens diesen relativ kleinen Schritt zu gehen. Die dramatischen Ungerechtigkeiten bei der Einkom- mensteuer und beim Adoptionsrecht vertagen Sie. Aber für beide Themen gibt es aktuell Vorlagen beim Bundes- verfassungsgericht. Meine Prophezeiung: Noch vor Ende dieser Legislaturperiode werden Sie erneut zwei kräftige Ohrfeigen aus Karlsruhe erhalten. Frau Justiz- ministerin, ist es Ihnen nicht peinlich, sehenden Auges und trotz besseren Wissens an verfassungswidrigen Re- gelungen festzuhalten? Meine Damen und Herren von der FDP, wo ist Ihr Engagement für Bürgerrechte? Ent- scheidungen des Verfassungsgerichtes nachzuvollziehen ist keine Politik – das ist ihre und unsere gemeinsame Pflicht! Wir werden Sie deswegen weiterhin mit Anträ- gen und Gesetzentwürfen konfrontieren, in denen wir Schritt für Schritt die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe ermöglichen. Herr Rösler hat auf dem FDP-Parteitag vollmundig verspro- chen, die FDP werde jetzt liefern. Lesben und Schwule warten darauf: beim Adoptionsrecht, Beamten- und Steuerrecht. Oder wollte die FDP umsatteln und einen Pizzalieferservice eröffnen? Das politische Ziel von Bündnis 90/Die Grünen bleibt die Öffnung der Ehe für lesbische und schwule Paare, wie wir dies bereits in der letzten Legislaturperiode be- antragt haben. Die Öffnung der Ehe bleibt unser Ziel, selbst wenn wir eines – hoffentlich nahen – Tages die vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebens- partnerschaft erreicht haben. Denn natürlich besteht eine fortgesetzte Diskriminierung, wenn das Institut der Ehe nicht allen Paaren offensteht. Das Eingehen einer einge- tragenen Lebenspartnerschaft bedeutet immer auch ein Outing gegenüber Behörden und zum Beispiel Arbeitge- bern. Solange die gesellschaftliche – aber im Hinblick etwa auf kirchliche Arbeitgeber, auch rechtliche – Dis- kriminierung nicht beseitigt ist, wird es deswegen auch Menschen geben, die aus Angst vor Benachteiligung darauf verzichten, eine rechtliche Absicherung ihrer Partnerschaft vorzunehmen. Dies stellt aus meiner Sicht einen unzumutbaren Eingriff in die persönliche Lebens- gestaltung und damit in den Schutzbereich des Art. 2 un- seres Grundgesetzes dar. Gerade die SPD-Fraktion argumentiert mit verfas- sungsrechtlichen Bedenken bei der Forderung nach der Öffnung der Ehe für lesbische und schwule Paare. Sie verkennt dabei, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1993, als es sich zuletzt mit dieser Frage beschäftigt hat, vor allem darauf verwiesen hat, dass die Beschwer- deführer nicht substanziiert vorgetragen hätten, dass sich der Ehebegriff gewandelt habe. Heute – 17 Jahre später – ist dieser Wandel evident. Laut einer repräsentativen Studie des Meinungsforschungsinstituts Infratest für die Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem April dieses Jahres fin- den 60,3 Prozent der Deutschen es richtig, Ehen zwi- schen zwei Frauen oder zwei Männern zuzulassen. Fragt man die Menschen, so wissen sie häufig gar nicht, dass das Institut der Ehe nicht für lesbische und schwule Paare offensteht. Der Volksmund spricht ohnehin seit der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft von der „Homoehe“. Zudem gibt es bereits mindestens eine Ehe mit gleich- geschlechtlichen Partnern – vom Deutschen Bundestag selbst genehmigt. Aufgrund der Änderung des Trans- sexuellengesetzes vom 19. Juni 2009 gibt es jetzt in Deutschland Ehen, in denen zwei Frauen bzw. zwei Männer miteinander verheiratet sind. Das Bundesverfas- sungsgericht hatte diese Variante im Vorfeld explizit als mögliche Lösung genannt. Nicht zuletzt zeigt auch die internationale Rechtsent- wicklung, dass die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben in den demokratischen Staaten eher die Regel denn die Ausnahme ist. Die Niederlande, Belgien, Schweden, Norwegen – aber auch Südafrika, Mexiko- Stadt oder Argentinien – sie alle haben die Ehe für lesbi- sche und schwule Paare geöffnet. Selbst die katholischen Staaten Portugal und Spanien stehen hier vornan. Dabei gibt es auch juristische Beispiele in den nordischen Staa- ten, in denen die Rechtsentwicklung ähnlich wie in Deutschland verlief: zunächst eine eingetragene Lebens- partnerschaft mit geringeren Rechten und Pflichten, dann die schrittweise Gleichstellung und schließlich trotz der erfolgten Gleichstellung die Öffnung der Ehe. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist vorhanden, recht- liche Bedenken können ausgeräumt werden. Es ist an der Zeit, ein gemeinsames Rechtsinstitut für alle Paare zu schaffen und die Öffnung der Ehe für Schwule und Les- ben zu beschließen. 13190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Einrichtung einer Interparlamenta- rischen Konferenz zur Gemeinsamen Au- ßen- und Sicherheitspolitik bzw. Gemeinsa- men Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Für eine wirkungsvolle interparlamen- tarische Begleitung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik im Geiste des Vertrages von Lissabon – Kriterien und Anforderungen für eine parlamentarische Beteiligung an der Ge- meinsamen Außen- und Sicherheitspoli- tik der EU (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Seit dem Ver- trag von Maastricht ist in Sachen der Gemeinsamen Au- ßen- und Sicherheitspolitik, GASP, viel passiert. Als Meilensteine auf dem Weg zu einer kollektiven europäi- schen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gel- ten – um nur einige herauszugreifen – die Gründung der ESVP 1999, der Stabilitätspakt für Südosteuropa 1999, die vollzogenen Erweiterungsrunden und die Definition strategischer Leitlinien durch die Europäische Sicher- heitsstrategie 2003. Die jüngsten Vorgänge um den Libyen-Einsatz zeigen jedoch, wie weit Europa noch von einem konsolidierten und abgestimmten Vorgehen entfernt ist. Die gemein- same europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik ist ein zartes Pflänzchen, das wir mit den heute hier zu diskutierenden Anträgen wieder aufgreifen und stärken wollen. Im Mai dieses Jahres hat die WEU ihre Tätigkeit be- endet. Das bedeutet auch das Ende der Parlamentarier- versammlung der WEU. Wir von der Union halten eine parlamentarische Kontrolle der GASP und der GSVP durch ein europäisches Gremium aus Vertretern nationa- ler Parlamente und des Europäischen Parlaments jedoch auch nach dem Ende der WEU für zwingend notwendig. Die langfristige Übergabe von Souveränitätsrechten macht die parlamentarische Begleitung dieses Prozesses umso wichtiger. Der von uns eingebrachte Antrag spricht sich deshalb für die Einrichtung einer Interparlamentarischen Konfe- renz zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union aus, welche die Vernetzung der wichtigsten Akteure der Außen- und Sicherheitspolitik der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlamentes sicherstellt. Die parlamentarische Kontrolle dieser Politikbereiche muss dabei federführend durch die nationalen Parla- mente erfolgen. Denn auch wenn die Rechte des Euro- päischen Parlaments durch den Vertrag von Lissabon weiter gestärkt wurden, gehören GASP und GSVP wei- terhin zu den Kernkompetenzen der Mitgliedstaaten. Anders als die SPD, die eine nah an den „Strukturen und Arbeitsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments an- gegliederte interparlamentarischen Struktur“ möchte, se- hen wir das Europäische Parlament – noch – nicht in der Lage, die parlamentarische Kontrolle hier federführend auszuüben. Im Sinne einer starken Stellung des Europäischen Parlaments fordern die Grünen, dass die Gesamtzahl der Delegationsmitglieder des EP nicht weniger als ein Drit- tel der Gesamtzahl der Mitglieder der Konferenz be- trage. Auch dies lehnen wir ab. Stattdessen schlagen wir vor, die Mitgliedszahl proportional an den Schlüssel der Parlamentarischen Versammlung des Europarats anzu- lehnen. Die Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments sollte die Anzahl der Vertreter des größten Mitgliedslandes nicht übersteigen, um auch hier die Fe- derführung der nationalen Parlamente weiter deutlich zu machen. Ich begrüße ausdrücklich, dass unser Antrag Brüssel als Tagungsort vorsieht. Allerdings sollten die Tagungen nicht im Europaparlament stattfinden. Denn nur so do- kumentieren wir die Unabhängigkeit des Gremiums und den intergouvernementalen Charakter von GASP und ESVP. Das Gremium sollte – wie im Antrag steht – jährlich zweimal tagen, wobei anzudenken wäre, auch die Mög- lichkeit von „Ad-hoc-Treffen“ nach Bedarf einzurichten. So könnte weiter sichergestellt werden, dass das Gre- mium kein zahnloser Tiger bleibt, sondern die unabhän- gige parlamentarische Begleitung von GASP und GSVP gewährleistet. Anlass der hier diskutierten Anträge ist unter anderem die Auflösung der WEU. Lassen Sie mich deshalb die Gelegenheit nutzen, einige grundlegende Anmerkungen zur Zukunft der GSVP zu machen. Was wir auf europäischer Ebene in den nächsten Jah- ren brauchen, sind mutige Schritte gestalterischer Poli- tik – als Antwort auf neuartige Bedrohungen und als Konsequenz der Finanz- und Wirtschaftskrise, die uns immer noch in Atem hält. Im Koalitionsvertrag von 2009 wird als langfristiges Ziel der Aufbau einer europäischen Armee unter voller parlamentarischer Kontrolle genannt. Dies wäre nicht nur ein sichtbares Zeichen der Stärkung der GSVP, son- dern ist angesichts schrumpfender europäischer Verteidi- gungsbudgets der nächste logische Schritt. Denn unter dem Druck der Wirtschafts- und Finanzkrise sind in al- len Staaten der EU die Anteile für Verteidigungsausga- ben zurückgegangen. Eine Umkehr dieses Trends ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Demgegenüber finden sich stetig steigende Anforde- rungen an den Verteidigungsbereich. Wir können sagen, die Zeit voll ausgerüsteter Armeen in Europa gehört der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13191 (A) (C) (D)(B) Vergangenheit an. Wollen wir, dass die EU handlungsfä- hig und wirksam ihre eigene Sicherheit und ihre Interes- sen stärken kann, braucht es europäische Streitkräfte. Es geht uns darum, dass wir alles daran setzen, nationale Fä- higkeiten besser zu bündeln und eine zweckmäßige Auf- gabenteilung unter den Partnern zu erreichen – die GENT-Initiative zielt hier in die richtige Richtung. Es gilt also, bisher Erreichtes in der wechselseitigen Zusammen- arbeit zu vertiefen. Mir kommt es zudem darauf an, die Rollenspezialisierung, das heißt Zuordnung bestimmter Fähigkeiten zu einzelnen Ländern, intensiv voranzutrei- ben. Die von unseren Partnern Frankreich und Großbri- tannien unlängst im November 2010 vereinbarte Vertie- fung weiterer sicherheitspolitischer Zusammenarbeit in konkreten Rüstungsprojekten ist ein berechtigter Warnruf an alle EU-Mitgliedstaaten für mehr Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU. Es muss gerade im Interesse Deutschlands liegen, dass wir keine EU der 2, sondern auch in der Außen- und Sicherheits- politik eine EU möglichst der 27 haben. Dabei geht es um Werte und Interessen, um Glaubwürdigkeit und erst in zweiter Linie um die notwendige Kosteneffizienz. Eine europäische Armee ist kein Selbstzweck, sie dient der gemeinsamen europäischen Sicherheitsvor- sorge. Dazu muss sie auf einer Risikoanalyse fußen und klare Aussagen zur transatlantischen Partnerschaft ein- schließlich der Zusammenarbeit mit der NATO treffen. Das Ziel einer europäischen Armee ist notwendig und hilfreich: Notwendig, um Europas strategische Bedeu- tung als Wohlfahrts-, Kultur- und Wissenschaftsregion, aber auch als Vorkämpfer für Menschenrechte weltweit zu erhalten. Hilfreich, weil dieses Ziel einer gemeinsa- men besonders ideellen Anstrengung Europas nach Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion dienen kann. Europa braucht Visionen, die sich in Ziele umset- zen lassen und die Jugend begeistern. Die europäische Armee ist heute noch Vision, aber ein erreichbares und erstrebenswertes Ziel. Zugleich besteht die Chance, die zivilen, krisenprä- ventiven Fähigkeiten der EU noch besser mit ihren mili- tärischen Fähigkeiten im Sinne einer umfassenden Si- cherheitsvorsorge zu verknüpfen. Gemeinsame Werte brauchen mehr als nur eine gemeinsame militärische Verteidigungsidentität. Aber ohne eine europäische Ar- mee, schlagkräftig, einsatzbereit, innovativ und vom europäischen „Staatsbürger“ in Uniform geprägt, wäre die Europäische Union weniger glaubwürdig. Es geht um den Beweis, diese Werte zu erhalten, und um die Be- reitschaft, sie glaubhaft zu verteidigen. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Deutschland und die Europäische Union sind wichtige Akteure in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Verteidigungs- politik. Verantwortungsvolles Handeln in Europa, aber auch in allen anderen Regionen dieser Welt bedarf einer gemeinsamen, strategisch fundierten und abgestimmten Vorgehensweise mit seinen Partnern und Verbündeten. Dies ist erforderlich für ein gedeihliches Zusammenleben in Sicherheit und Frieden. Diese Erkenntnis haben wir je- doch nicht erst seit den Ereignissen der vergangenen Mo- nate in der arabischen Welt, insbesondere in Libyen. Die Europäische Union hat mit der Integration der „Westeuropäischen Union“, WEU, 1998 den Grundstein für ihre Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungs- politik gelegt. Die WEU selbst verlor jedoch damit ein- hergehend schon an Bedeutung. Mit dem im Jahr 2009 geschlossenen Vertrag von Lissabon wurde schließlich das endgültige Ende der WEU zum Ende Juni dieses Jahres beschlossen. Die Parlamentarische Versammlung der WEU, deren Aufgabe darin bestehen sollte, als inter- parlamentarisches Gremium die Gemeinsame Sicher- heits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union zu kontrollieren, wird damit ebenso beendet. Der Vertrag von Lissabon eröffnet wiederum neue Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspoli- tik der Europäischen Union – GASP. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind zwar fest im Bereich der Kernkompetenzen der EU-Mitgliedstaaten verankert. Auch die parlamentarische Kontrolle über diese Politikbereiche wird von den nationalen Parlamen- ten ausgeübt. Das Europäische Parlament wird dabei le- diglich im Rahmen von Informations- und Anhörungs- rechten beteiligt. Der intergouvernementale Charakter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bleibt insofern erhalten. Die Koalitionsfraktionen sind sich einig, dass eine politische Begleitung und Kontrolle der GASP und GSVP auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments in einem gemeinsamen Gre- mium erforderlich ist. Übrigens herrscht in diesem Punkt auch Übereinstimmung mit den Oppositionsfraktionen von SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, die ebenfalls eigene Anträge eingebracht haben, genauso wie die CDU/CSU-Fraktion zusammen mit der FDP. Eine solche Aufgabe sollte eine Interparlamentarische Konferenz zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Ge- meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union übernehmen. Diese würde gewähr- leisten, dass alle wichtigen Informationen und Institutio- nen dieser Politikfelder zusammengeführt und eine koor- dinierte Politik betrieben werden könnten. Der ebenfalls durch den Lissabonner Vertrag neu geschaffene Europäi- sche Auswärtige Dienst, EAD, soll dabei im Wege von Anhörungen ebenso mit einbezogen werden wie die Eu- ropäische Kommission, der Rat und das Politische und Sicherheitspolitische Komitee, PSK. Wie wir im EU-Ausschuss festgestellt haben, liegen die Vorstellungen der einzelnen Fraktionen im Hinblick auf dieses Ziel recht nahe beieinander. Auch was die Un- abhängigkeit dieser Einrichtung, ihren Tagungsort Brüs- sel und ihre fachliche Kompetenz betrifft, herrscht vom Grundsatz her eine große interfraktionelle Übereinstim- mung. Lediglich in den Fragen der personellen Zusam- mensetzung und des Vorsitzes gehen die einzelnen Mei- nungen noch auseinander. Ich bin aber zuversichtlich, dass Sie für unsere Positionen auch zugänglich sind. 13192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) So sehen auch wir als CDU/CSU durchaus die Not- wendigkeit, die hier in Rede stehende Politik auch auf europäischer Ebene zu etablieren und gerade im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine europäi- sche Handlungsfähigkeit mehr und mehr herzustellen. Allerdings wollen wir auch nicht die Befugnisse, die der Vertrag von Lissabon im Bereich der Gemeinsamen Au- ßen- und Sicherheitspolitik bzw. Gemeinsamen Sicher- heits- und Verteidigungspolitik den Mitgliedstaaten ein- räumt, unterlaufen. Eine „gleiche Augenhöhe“ bei der Delegationsstärke von Europäischem Parlament und Mitgliedstaaten, die sich in „einem angemessenen Ver- hältnis“ zueinander verhalten sollen, widerspricht ein- deutig dem Sinn und Zweck der Lissabonner Regelun- gen. Ebenso steht die Forderung nach einer mindestens zu einem Drittel von Vertretern des Europäischen Parla- ments besetzten Gremiums dem vertraglich festgelegten Kompetenzgefüge auf diesem Gebiet entgegen. Aus die- sem Grund halten wir eine Entsendung von Vertretern des Europäischen Parlaments in einer Stärke entspre- chend der Anzahl der Vertreter des größten Mitgliedstaa- tes für richtig. Die nationalen Delegationen sollten sich am Schlüssel der Parlamentarischen Versammlung des Europarats orientieren. In diesem Punkt besteht ja be- reits breiter Konsens. Damit würde die deutsche Delega- tion 18 Mitglieder umfassen. Bei der Frage, wie der Vorsitz einer solchen Interpar- lamentarischen Konferenz ausgestaltet sein sollte, finden wir hingegen denselben Widerspruch wie bei den Vor- stellungen zur Delegationsstärke des Europäischen Par- laments. Eine bipartite Besetzung des Vorsitzes mit Ver- tretern aus dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten verkennt erneut die Zuteilung von Kompetenzen. So fordern wir an dieser Stelle kon- sequenterweise eine Besetzung durch Vertreter derjeni- gen nationalen Parlamente, die jeweils zu den Troika- Ländern innerhalb der EU-Ratspräsidentschaften gehö- ren. Die nun endlich angestoßene Debatte zur Gemeinsa- men Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union ist der erste Grundstein auf dem Weg zur Einrich- tung einer Interparlamentarischen Konferenz. Lassen Sie uns eine gemeinsame Lösung für dieses wichtige Thema finden. Ich hoffe, dass ich Sie bereits mit unseren guten Argumenten überzeugen konnte. Dietmar Nietan (SPD): „Völker, die nicht die Gabe der Voraussicht haben, sind dem Untergang geweiht.“ Dieses Zitat stammt von Jean Monnet, einem der wichti- gen Gründerväter der Europäischen Union, und es ist heute so richtig wie vor 40 Jahren. Das Themenfeld der Außen- und Sicherheitspolitik liegt nach wie vor in der hauptsächlichen Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten, ihrer Regierungen und Parla- mente. Daran hat auch der Vertrag von Lissabon nichts geändert, auch wenn er mit Art. 18 endlich einen Hohen Vertreter bzw. eine Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik vorsieht. Seit dem 1. Dezember 2009 ist dies die Britin Catherine Ashton. Zu meinem tiefen Bedauern darf sie sich offiziell nicht als „Außenministe- rin der EU“ bezeichnen, was ausgerechnet von unseren Freunden des Vereinigten Königreiches verhindert wurde. Aber der Titel ist vielleicht mehr eine Formalität, denn als Hohe Vertreterin ist sie zugleich Vizepräsiden- tin der Europäischen Kommission, Vorsitzende des Ra- tes für Auswärtige Angelegenheiten und Außenbeauf- tragte des Europäischen Rates und konzentriert somit durchaus wesentlich mehr Kompetenzen unter einem Dach, als dies vorher der Fall war. Seit dem 1. Januar 2011 steht Catherine Ashton nun auch dem neugeschaffenen Europäischen Auswärtigen Dienst, EAD, als Quasi-EU-Außenministerium zur Seite. Auch dies ist eine fundamentale und positive Neuerung, die mittel- und langfristig dazu beitragen wird, das Stim- mengewicht der EU in der Welt zu verstärken. Vorausset- zung dafür ist aber, dass auch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten sich dem Ziel eines einheitlichen, ko- härenten und wirksamen außen- und sicherheitspoliti- schen Handelns der EU verschreiben. Denn formal be- trachtet ist der EAD und mit ihm die Position der Hohen Vertreterin natürlich „nur“ eine neue Institution im Orga- nisationsaufbau der EU. Wenn es jedoch in den kommen- den Jahren gelänge, ihn als Dienst im Dienste aller EU-Institutionen aufzubauen, könnte er auch als neues, identifikationsstiftendes Element einer Europäischen Union betrachtet werden, die endlich im 21. Jahrhundert angekommen ist: als echtes Gemeinschaftsprodukt der Europäischen Kommission, des Rates der EU und auch des Europäischen Parlamentes. Ausschlaggebend hierfür ist maßgeblich der aufrichtige politische Wille der Mit- gliedstaaten. Damit auch wir als Vertreterinnen und Vertreter der nationalen Parlamente entsprechend unserer landesge- mäßen Kompetenzen im geltenden Verfassungsrahmen adäquat beteiligt werden, schlägt Ihnen die SPD-Bun- destagsfraktion mit dem vorliegenden Antrag „Für eine wirkungsvolle interparlamentarische Begleitung der Eu- ropäischen Außen- und Sicherheitspolitik im Geiste des Vertrages von Lissabon“ eine neue Struktur zur parla- mentarischen Kontrolle der GASP/GSVP vor, die darauf abzielt die alte parlamentarische Versammlung der WEU zu ersetzen. Übergeordnetes Ziel der SPD ist und bleibt es, eine Stärkung der parlamentarischen Beteiligungs- rechte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu bewirken. Wichtig ist mir in diesem Kontext eine Feststellung, mit der ich auf das eingangs erwähnte Zitat von Jean Monnet zurückkomme: Wenn wir uns dem Thema Euro- päische Außenpolitik mit Voraussicht und Verstand zu- wenden und wir der EU aufrichtig mehr Gewicht in der Welt verleihen wollen, müssen wir in der Außenpolitik aufhören, zuerst in nationalen Kategorien zu denken, be- vor wir uns mit den Interessen von und Auswirkungen auf Europa befassen. Wir brauchen eine „Europäisierung der Außen- und Sicherheitspolitik“, nicht im verfas- sungsrechtlichen Sinne, sondern im Sinne eines Paradig- menwechsel im Denken. Deutschlands Außenpolitik wird auch weiterhin von nationalen Interessen bestimmt werden, aber unser internationales Handeln lässt sich schon lange nicht mehr von Europa lösen. Außenpoliti- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13193 (A) (C) (D)(B) sche Entscheidungen, wie jüngst die deutsche Enthal- tung im UN-Sicherheitsrat bei der Libyen-Resolution 1973, haben dies wohl allen deutlich vor Augen geführt. Als überzeugter Transatlantiker sind für mich die Aus- wirkungen auf das deutsch-amerikanische Verhältnis schon an sich verheerend genug gewesen, die gleichzei- tige Abwendung von unseren europäischen Partnern Frankreich, Großbritannien und Portugal macht diese Entscheidung für mich weiterhin zu einem der größten strategischen Fehler, die eine Bundesregierung in der deutschen Außenpolitik seit 1949 jemals begangen hat. Diese in meinen Augen notwendige und unausweich- liche fortschreitende Europäisierung der Außen- und Sicherheitspolitik muss sich daher auch in den zu eta- blierenden parlamentarischen Kontrollstrukturen wie- derfinden, die sich für uns an zwei entscheidenden Punk- ten manifestieren: Erstens. Die neue interparlamentarische Struktur muss auf die formellen und informellen Kontroll- und Einfluss- möglichkeiten des Europäischen Parlamentes gegenüber der EU-Kommission, der Hohen Vertreterin und dem EAD zurückgreifen können, um wirklich europäisch, das heißt kooperativ gegenüber den Institutionen der EU und den Mitgliedstaaten agieren zu können. Zweitens. Deshalb muss die zu erarbeitende neue in- terparlamentarische Struktur sicherstellen, dass sich die Abgeordneten des EP und der nationalen Parlamente auf gleicher Augenhöhe begegnen. Eine neue interparlamentarische Kontrollstruktur muss den oben genannten Kriterien einer „Europäisierung“ ge- recht werden. Ziel muss es sein, die Parlamentarier, die auf der nationalen Ebene in die Entscheidungsfindung in den Bereichen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs- politik eingebunden sind, mit denen für diese Bereiche zuständigen Abgeordneten des Europäischen Parlamen- tes zusammenzubringen. Ziel ist eine neue Allianz der EU-Parlamentarier und der Abgeordneten der Parlamente der Mitgliedstaaten. Ein solches Bündnis ermöglicht auch uns als Abgeord- neten des Bundestages die Nutzbarmachung der Mög- lichkeiten des europäischen Parlamentes. Denn täuschen Sie sich bitte nicht, nicht alle nationa- len Abgeordneten haben in den Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik vergleichbare Kontroll- und Ein- flussmöglichkeiten wie wir deutschen Bundestagsabge- ordneten. Deshalb sollten wir als Parlamentarier jetzt die Chance nutzen, gemeinsam für eine neue Allianz aus na- tionalen und europäischen Abgeordneten einzutreten. Dies eröffnet uns doch die einmalige Chance, die Rolle der Parlamente im Prozess der Europäisierung der Au- ßen- und Sicherheitspolitik langfristig zu stärken. Schließlich hat gerade der Verfassungskonvent in der Zeit vor Lissabon sehr deutlich gezeigt, dass eine Stär- kung der parlamentarischen Ebene innerhalb der EU-Po- litiken viel effizienter und zielgerichteter die Europäi- sche Integration voranbringen kann als die Regierungen der Mitgliedstaaten alleine. Unser Vorschlag zur Schaffung einer neuen interpar- lamentarischen Konferenz bedeutet jedoch nicht, dass wir eine weitere Entscheidungsebene oder gar eine neue, eigenständige Institution schaffen wollen. Wir wollen auch keine Kompetenzen des Deutschen Bundestages in der Außen- und Sicherheitspolitik „durch die Hintertür“ nach Brüssel transferieren. Aber wir sind fest davon überzeugt, dass eine nah an den Strukturen und Arbeits- möglichkeiten des EP angegliederte interparlamentari- sche Struktur sowohl zu effektiveren „Kontrollmöglich- keiten“ der GASP/GSVP durch die Parlamente in den Mitgliedstaaten führt als auch am besten dazu geeignet ist, im Geiste des Vertrages von Lissabon zu einer Euro- päisierung der Außen- und Sicherheitspolitik beizutra- gen. Unsere Vorschläge lassen sich konkret in folgende Punkte aufteilen: Erstens. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten. Die von EP und nationalen Parlamenten gemeinsam wahrzu- nehmende parlamentarische Kontrolle der GASP/GSVP muss sich – bis auf die Ausnahme der Entsendung, Fi- nanzierung und Mandatierung bzw. Strukturierung mili- tärischer Operationen – auf alle Bereiche der EU-Außen- und Sicherheitspolitik beziehen. Der Parlamentsvorbe- halt bei Einsätzen der Bundeswehr darf durch die GASP/ GSVP jedoch nicht ausgehöhlt werden! Zweitens. Die Zusammensetzung. Wir schlagen eine Interparlamentarische GASP/GSVP-Konferenz vor, die sich aus den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschuss (AFET), seines Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) und des Menschenrechtsausschuss (DROI) des EP auf der einen und Delegierten der natio- nalen Parlamenten auf der anderen Seite zusammensetzt. Parlamente der Staaten, die durch die Erweiterungs- oder Nachbarschaftspolitik mit der EU in einer besonde- ren Beziehung stehen, können Beobachter zur Interpar- lamentarischen GASP/GSVP-Konferenz entsenden. Die Zahl der Delegierten aus den nationalen Parla- menten sollte sich an der Größe anderer, bereits vorhan- dender interparlamentarischer Versammlungen – wie zum Beispiel der zum Europarat – orientieren und sollte in einem angemessener Verhältnis zur Anzahl der Mit- glieder aus dem EP stehen. Die Delegierten aus den na- tionalen Parlamenten sollten sich aus den Mitgliedern folgender Parlamentsausschüsse zusammensetzen: Aus- wärtiger Ausschuss, Verteidigungsausschuss, Menschen- rechtsausschuss, Ausschuss für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung sowie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union beziehungs- weise deren Äquivalenten. Drittens: Die Arbeitsweise. Die Interparlamentarische GASP/GSVP-Konferenz sollte halbjährlich tagen. Der ständige Tagungsort soll das EP in Brüssel sein. Bei ent- sprechenden dringlichen Anlässen kann die Interparla- mentarische GASP/GSVP-Konferenz auch ad-hoc einbe- rufen werden. Die Federführung sollte beim AFET des EP und beim Auswärtigen Ausschuss des nationalen Par- laments der aktuellen Ratspräsidentschaft liegen. Ange- gliedert an den AFET soll ein eigenständiges, ständiges Sekretariat der Interparlamentarischen GASP/GSVP- 13194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Konferenz in Brüssel eingerichtet werden. Auf der Ar- beitsebene soll es einen ständigen Austausch mit den Sekretariaten der Auswärtigen Ausschüsse der Mitglied- staaten geben, die als federführendes Sekretariat die Kommunikation mit den Sekretariaten der anderen einbe- zogenen Fachausschüsse der nationalen Parlamente sicherstellen. Die Interparlamentarische GASP/GSVP- Konferenz soll das Recht erhalten, von der Hohen Vertre- terin jederzeit Berichte zur GASP/GSVP einfordern zu können. Die Kooperation des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente ist in unseren Augen schon jetzt unerlässlich. Die bisherigen Verhandlungen über die Einrichtung einer solchen Konferenz haben deutlich gemacht, dass sich in einigen Mitgliedstaaten Parla- mentsfraktionen bereits jetzt in einer Art „prophylakti- schen Containments“ gegen eine stärkere Einbeziehung des EP bei der parlamentarischen Kontrolle der GASP/ GSVP aussprechen. Deshalb muss sich der Deutsche Bundestag zügig und deutlich gegen solche Formen der parlamentarischen Renationalisierung der Außen- und Sicherheitspolitik positionieren! In Art. 9 und 10 des Protokolls zum Lissabon-Vertrag über die Rolle der nationalen Parlamente in der EU heißt es ausdrücklich: Das EP und die nationalen Parlamente legen gemeinsam fest, wie eine effiziente und regelmä- ßige Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten inner- halb der Union gestaltet und gefördert werden kann. (Art. 9) … Sie – die Konferenz der Europa-Ausschüsse – kann auch interparlamentarische Konferenzen zu Ein- zelthemen organisieren, insbesondere zur Erörterung von Fragen der GASP einschließlich der GSVP. Die Bei- träge der Konferenz binden nicht die nationalen Parla- mente und greifen ihrem Standpunkt nicht vor. (Art. 10) Ganz im Geiste dieser Artikel des Protokolls zum Ver- trag von Lissabon über die Rolle der nationalen Parla- mente in der EU setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für eine enge Abstimmung des Deutschen Bundestages und seiner Gremien mit dem EP ein, um so möglichst zu einer gemeinsamen Position in allen Fragen der Einrich- tung einer Interparlamentarischen GASP/GSVP-Konfe- renz zu gelangen. Es liegt an uns Bundestagsabgeordneten, Deutschland zu einem Vorreiter, nicht zu einem Hemmschuh auf dem Weg zu einer zukunftsweisenden, gemeinsamen europäi- schen Außen- und Sicherheitspolitik zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam den Weg der Europäisierung der par- lamentarischen Kontrolle der GASP beschreiten. So wa- gen wir ein großes Stück Voraussicht. Jean Monnet wäre stolz auf uns! Joachim Spatz (FDP): Die Europäische Union ist im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik auf viel- fältige Art und Weise aktiv. Einer breiten Öffentlichkeit ist dieses Engagement spätestens seit dem Beginn der Antipirateriemission ATALANTA am Horn von Afrika im Dezember 2008 bekannt. Allerdings stellen die mili- tärischen EU-Missionen nur einen kleinen Ausschnitt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dar. Der Aufbau ziviler und militärischer Kapazitäten auf EU-Ebene hat maßgeblich dazu beigetragen, die Euro- päische Union im Bereich der internationalen Konflikt- verhütung und Krisenbewältigung als maßgeblichen Ak- teur zu etablieren. Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon haben sich große Fortschritte in den Politikbereichen GASP und GSVP ergeben. Neben der Schaffung des Amtes der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und dem Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes hat vor allem die Etablierung der wechselseitigen Beistands- klausel im EU-Vertragswerk einen großen Schritt in Richtung Integration im Bereich der Außen-, Sicher- heits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union bewirkt. Wir begrüßen diese Entwicklung ausdrücklich. Sie ist Grundlage dafür, dass das außen- und sicherheitspoliti- sche Engagement der EU auch in Zukunft weiter wach- sen kann. Die Rolle der EU als internationaler Akteur wird sowohl aus qualitativer als auch quantitativer Sicht weiter steigen. Um den Integrationsprozess in dem hoch- sensiblen Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik schrittweise gestalten zu können, ist es angebracht, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen, wie die Ent- wicklungen mit den Bürgern rückgekoppelt werden kön- nen, geht es letztlich doch um die Perzeption elementa- rer Sicherheitsbedürfnisse. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehen noch – teilweise we- sentliche – Unterschiede bei der Definition dessen, was in Europa als Sicherheitsinteresse zu gelten hat und wel- che Mittel zur Deckung dieser Interessen vonnöten sind. Daher muss parallel zu den sich vollziehenden Schritten der Integration ein politischer Prozess in Gang gesetzt werden, der am Ende ein gesamteuropäisches Sicher- heitsbewusstsein schafft. Dabei muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Erst wenn es uns gelingt, ge- meinsame sicherheitspolitische Interessen politisch zu definieren, und diese auch von der Bevölkerung wahrge- nommen und akzeptiert werden, kann Europa sein Po- tenzial in der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik komplett entfalten. So wünschenswert die fortschreitende Integration im Bereich der GASP ist, stellt sich für uns als FDP gleich- wohl die Frage, wie die Beteiligung der nationalen Par- lamente an diesem bedeutenden Prozess gewährleistet werden kann. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheits- politik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik der Europäischen Union gehören auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zu den Kernkompetenzen der Mitgliedstaaten. Wenn sich die nationalen Regierungen in Brüssel im Sinne der fort- schreitenden Integration im Bereich der GASP – sinn- vollerweise – auf weitergehende Maßnahmen verständi- gen, die mindestens indirekt Auswirkungen auf die nationale Außen- und Sicherheitspolitik haben, ist aus unserer Sicht eine intensive parlamentarische Begleitung durch die nationalen Parlamente dringend erforderlich. Die im vorliegenden Antrag von CDU/CSU und FDP skizzierte Interparlamentarische Konferenz ist ein erster wichtiger Schritt hierfür. Die parlamentarische Beglei- tung der GASP und GSVP ist nach den neuen Vertrags- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13195 (A) (C) (D)(B) bestimmungen nicht auf das Europäische Parlament übergegangen. Vielmehr wurde eine bewusste Entschei- dung dahingehend getroffen, dass beide Materien als zwischenstaatliche Aufgabe wahrzunehmen sind und in maßgeblicher Verantwortung der Mitgliedstaaten ver- bleiben. Dies gilt insbesondere für Deutschland, wo bei- spielsweise für Auslandseinsätze der Bundeswehr auch weiterhin die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich bleibt. Der Schlüssel liegt mei- ner Ansicht nach in der ebenenübergreifenden Vernet- zung der parlamentarischen Akteure im Bereich der Au- ßen- und Sicherheitspolitik. Wir benötigen diese parla- mentarische Dimension im Bereich der GASP und GSVP. Sie ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine tiefgreifende Integration des bislang nicht verge- meinschafteten Politikfeldes gelingen kann. Diese wird umso effizienter, je stärker nationale Parlamente und das Europäische Parlament miteinander verknüpft werden. Unser Ziel ist es daher, die wichtigsten parlamentari- schen Akteure der nationalen Parlamente mit den Kolle- gen aus dem Europäischen Parlament in einer Interparla- mentarischen Konferenz zu vernetzen. Wir sind der Überzeugung, dass das Gremium in seiner Zusammen- setzung die Vielfalt der nationalen Parlamente wider- spiegeln sollte, und schlagen vor, dass die Mitglieder- zahl sich proportional am Schlüssel der Parlamen- tarischen Versammlung des Europarates orientiert. Die Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments sollte dabei der Anzahl der Mitglieder des größten Mit- gliedslandes entsprechen. Bei der Besetzung der Delega- tionen sollten die beteiligten Parlamente unserer Ansicht nach frei sein, um zu gewährleisten, dass den Themen entsprechend wechselnde Mitgliedschaften möglich sind. So schaffen wir ein hinreichendes Maß an Flexibi- lität, das dazu geeignet ist, die thematische Bandbreite der GASP und GSVP zu reflektieren. Nachdem die Parlamentspräsidenten im Frühjahr un- ter belgischem Vorsitz das Thema erstmals diskutiert ha- ben, wird es im nächsten Jahr nun Aufgabe des polni- schen Parlamentspräsidenten sein, eine Einigung über Ausgestaltung und Etablierung der Interparlamentari- schen Konferenz zu erzielen. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit dem vorliegenden Antrag eine sehr gelun- gene Grundlage für die weiteren Verhandlungen vorge- legt haben; wir werden aktiv bei unseren europäischen Nachbarn für unseren Vorschlag und die damit verbun- denen Vorstellungen werben. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): In Bezug auf die eu- ropäische Außenpolitik gilt den deutschen Regierungen die Geheimhaltung als ein Vorzeichen des Erfolges, die Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit dagegen als ein Vorzeichen des Verderbens. So schmücken sich die politischen Eliten in Europa gerne mit dem „Volkswil- len“, wenn es ihren Interessen entspricht, und empfinden bürgerliches Engagement als unverträglich mit der De- mokratie, wo sie als herrschende politische Klasse in- frage gestellt werden. Es überrascht mich nicht, wie in diesem Haus die eta- blierten Parteien von CDU/CSU und FDP über die SPD bis hin zu Bündnis 90/Die Grünen mit dem Kernthema der Europäischen Union, der europäischen Gemeinsa- men Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, und der Ge- meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, GSVP, umgehen. Woher kommt Ihre Angst vor den kritischen Blicken der Öffentlichkeit und einer Kontrolle der bisherigen Ar- kanpolitik in außenpolitischen Fragen? Meine Kollegin- nen und Kollegen von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ich frage Sie: Worauf gründet die von Ihnen ge- teilte Notwendigkeit, mit demokratischen Nebelbomben und inhaltsleeren Worthülsen die Struktur- und Demo- kratiedefizite des Lissabonner Vertrages im Bereich der GASP gemeinsam mit der Regierungskoalition beibehal- ten zu wollen? Die Erklärung ist einfach: Die europäi- sche Sicherheitspolitik nahm seit ihren modernen Anfän- gen eine bis heute nachwirkende Sonderentwicklung als rein intergouvernementale Zusammenarbeit der Mit- gliedstaaten ein. Sie steht als Eindämmung konkurrie- render und als gefährlich empfundener alternativer Ge- sellschaftsvorstellungen für die Restauration im Innern Europas. Nach außen begründet sie dagegen die militäri- sche Komponente zur Durchsetzung ihrer wirtschafts- politischen Interessen. An diesem Zustand wollen Sie nichts ändern, was auch die Anträge der SPD und der Grünen nicht anders als die der CDU/CSU- und FDP- Fraktionen beweisen. Die derzeitige rechtliche Form der GASP und GSVP ist geschaffen worden, um die politische Verantwortung zu verschleiern und dabei ohne die Notwendigkeit einer innerstaatlichen Umsetzung im Einklang mit nationalem Recht die Mitgliedstaaten dennoch zu binden. Im Unter- schied zum Gemeinschaftsrecht besteht auch keine ge- richtliche Überprüfungsinstanz, da sich die Zuständig- keit des EuGH nicht auf Fragen der GASP und GSVP erstreckt. Die Mitgliedstaaten haben auch keine Zustän- digkeit des IGH hierfür anerkannt. Diese Immunität ist kein Zufall, sondern Leitmotiv, um eine weitestgehende Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten, die Vertragsbe- stimmungen nach Gusto interpretieren zu können, ohne dabei ein Verfahren befürchten zu müssen. Der von der Linksfraktion als erster in den Deutschen Bundestag Anfang April eingebrachte Antrag zur wirk- samen Kontrolle der GASP und GSVP hat die Heilige Allianz des Stillschweigens über die GASP aufge- scheucht und sichtbar ins Unbehagen gestürzt. Wider- sprüche zwischen basisdemokratischen Lippenbekennt- nissen und dem Unwillen, eine effektive Kontrolle der Auslandseinsätze, der Kriegstreiberei und der Militari- sierung der EU zu gewährleisten, traten unmissverständ- lich an die Oberfläche. Es ist kein Zufall, dass die SPD in ihrem Antrag explizit „die Entsendung, Finanzierung und Mandatierung bzw. Strukturierung militärischer Operationen“ von der parlamentarischen Kontrolle aus- nehmen will. Was bleibt denn dann noch übrig, was kon- trolliert werden könnte? Nicht anders die Grünen: Alles soll beim alten bleiben; es soll lediglich ein zusätzlicher Escort-Service zur Konferenz der Europa-Ausschüsse, COSAC, eingerichtet werden. Meine Kolleginnen und Kollegen in der Grünen-Fraktion wissen natürlich, dass diese gemäß ihrer Geschäftsordnung lediglich zum Zwe- cke regelmäßigen Meinungsaustausches eingerichtet 13196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) wurden und nicht einer effektiven Kontrolle dienen sol- len. Es ist irritierend. Während Sie in Ihren Anträgen zur GASP das Hohelied auf den Parlamentarismus in der EU anstimmen, haben Sie – aus Sicht der Linksfraktion in skandalöser Weise – alles unternommen, um eine Be- schäftigung mit der parlamentarischen Kontrolle von GASP und GSVP von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Statt eine möglichst breite Debatte über die zukünftige Ausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik im Bundestag zu erreichten, überwiesen die Grünen und die SPD ihre sehr wichtigen Vorschläge zur Einrichtung ei- ner „parlamentarischen Begleitung der GASP“ im ver- einfachten Verfahren, also ohne Debatte, an die Aus- schüsse, damit diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen können. Heute haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP sowie SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dem Vorgang noch eins draufgesetzt, insofern sie der GASP so großes Gewicht beimessen, dass Sie zu- nächst eine Debatte nach Mitternacht anberaumten, ver- mutlich um eine möglichst breite Öffentlichkeit herzu- stellen, und sich schließlich einigten, das Thema als Protokollnotiz in den Drucksachenarchiven zu begraben. Eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, meine Da- men und Herren von der SPD und den Grünen: Ihnen fällt von sich aus zum Thema Kontrolle der GASP nicht viel ein, wohl deshalb haben Sie stichpunktartig von un- serem Antrag abzuschreiben versucht, jedoch vergessen, dass unsere Forderung zur Einrichtung einer Interparla- mentarischen Versammlung nicht im luftleeren Raum steht, sondern erst dann eine effektive Kontrollinstanz wird, wenn sie mit konkreten Befugnissen ausgestattet wird. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, Sie wissen ganz genau, dass die bestehen- den EU-Verträge keine Kontrollrechte für das Europäi- sche Parlament in Bezug auf die GASP vorsehen. In die- sem Bereich können die einzelstaatlichen Parlamente auch nicht mitreden. Wohl in Kenntnis dieser Tatsache fordert die SPD in ihrem Antrag die „Nutzbarmachung der Möglichkeiten des Europäischen Parlaments für die nationalen Parlamentarier“. Nur welche? Sie wissen bes- ser als ich, dass sich der Einfluss des Europäischen Par- laments auf die GASP in der Zustimmung zur Ernen- nung des Hohen Vertreters und einer einmal im Jahr gegebenenfalls stattfindenden Aussprache über Anfra- gen und Empfehlungen an den Rat erschöpfen. Was die vorliegenden Anträge angeht, setzten die Ko- alitionsfraktionen wie auch Grüne und SPD leider ihren europapolitischen Grundfehler, die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon, fort. Während sich ja im ökono- mischen Bereich mittlerweile die Erkenntnis durchsetzt – EZB-Präsident Trichet ist da nur das jüngste Beispiel –, dass der Vertrag von Lissabon einfach nur großer Mist ist, sind Sie im Bereich der GASP und GSVP leider noch nicht so weit. Obwohl ich sagen muss, alleine Ihre An- träge weisen ja daraufhin, dass auch nach Ihrer Auffas- sung mit dem Vertrag von Lissabon in diesen Bereichen große Demokratiedefizite bestehen bleiben, wollen sie dennoch eine Lösung des Problems nicht ernsthaft ange- hen. Deshalb werden wir auch ihre Anträge alle ableh- nen. Denn um eine wirksame parlamentarische Kon- trolle zu gewährleisten, brauchen wir schlicht und ergreifend eine Komplettrevision der europäischen Ver- träge. Und ich hoffe, dass Sie dies baldmöglichst erken- nen und sich nicht auf ewig diesen notwendigen Ver- tragsänderungen verschließen werden. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Deutsche Bundestag verpasst heute seine Chance, zu einem für Europa durchaus wichtigen Thema, der Außen und Sicherheitspolitik, der möglichen Einrichtung einer Interparlamentarischen Konferenz, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. So gut wie alle unsere europäischen Nachbarn sind uns hier meilenweit voraus, weil sie fristgerecht national abgestimmte Vor- schläge eingereicht haben. Bei uns erfolgt die Positions- bestimmung über das Niederstimmen der Oppositions- anträge und Durchsetzen der Koalitionsmeinung. Eine national abgestimmte Position sieht anders aus. Dabei haben wir mit unserem starken Parlamentsvorbehalt in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik das größte In- teresse daran, die Art und Weise der Zusammenarbeit der Parlamente mitzugestalten. Aber durch die bornierte und provinzielle Haltung einiger Kollegeninnen und Kollegen der Koalition, die sich leider gegen die Ver- nünftigen durchgesetzt haben, wurde eine gemeinsame deutsche Position verhindert. Bundestagspräsident Lammert musste ohne eine gesamtdeutsche Position zur Konferenz der Parlamentspräsidenten fahren. Warum ha- ben Sie von der Koalition denn die Mediationsbemühun- gen Ihres eigenen Kollegen Polenz torpediert? Wir hat- ten doch fast eine Einigung – bis auf zwei kleinere Punkte, und da ging es um Posten und Bürokratie. Mit dem viel zu späten Reagieren auf eine auf euro- päischer Ebene längst stattfindende Debatte, gefolgt von einem hektischen Rumgemurkse seitens der Koalition, die unabgestimmt ihre Meinung zur einzig gültigen ma- chen wollte, hat sich der Bundestag ein schlechtes Zeug- nis für seine Europafähigkeit ausgestellt. Unsere Brüsse- ler Kolleginnen und Kollegen, aber auch die anderen nationalen Parlamente, werden daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, waren nicht imstande, über ihren eigenen Schatten zu springen und sich ernsthaft um einen inter- fraktionellen Antrag zu einer Interparlamentarischen Konferenz zu bemühen. Zu sicher waren Sie sich wohl, dass wir Ihren antieuropäischen Kurs nicht mittragen wür- den. Ihr Antrag ist eine Rolle rückwärts in der so dringend erforderlichen Europäisierung der Außen- und Sicher- heitspolitik und wird der Aufforderung des Lissabonner Vertrages nicht gerecht. Dabei braucht die Außen-, Si- cherheits- und Verteidigungspolitik der EU mehr Gemein- samkeiten. Wir setzen bei der möglichen Einsetzung einer inter- parlamentarischen Konferenz auf eine praktikable und kosteneffiziente Lösung in Zusammenarbeit mit dem Eu- ropaparlament, vor dem wir – anders als Sie – keine Angst haben. Unser Reformvorschlag setzt auf ein Mehr an eu- ropäischer Integration und eine Beteiligung des EU-Parla- ments als gleichwertiger Partner. Wir wollen ein kleines Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13197 (A) (C) (D)(B) und effizientes Gremium, bei dem die Fragen der Propor- tionalität in Anlehnung an den Europaratsschlüssel ge- wahrt werden, aber gleichzeitig bessere und zügigere Ent- scheidungen getroffen werden können. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass unser Vorschlag mit den Brüsseler Kolleginnen und Kollegen der grünen EP- Fraktion abgestimmt ist. Er stößt auch auf große Sympa- thie bei wichtigen Kolleginnen und Kollegen der CDU- Fraktion im Europaparlament, wie zum Beispiel Elmar Brok. Und er lehnt sich im Wesentlichen an den belgi- schen Entwurf an, bis auf den Entsendeschlüssel natür- lich. Dieser ist ja auch im Ergebnis bei der Konferenz der Präsidenten weiter als Verhandlungsgrundlage herausge- kommen. Sie wollen zur Organisation einer solchen Interparla- mentarischen Konferenz das WEU-Sekretariat erhalten. Aber die WEU hat sich nicht umsonst überlebt. Die von Ihnen vorgeschlagene Einrichtung eines separaten, ei- genständigen Sekretariats ist nichts weiter als die Fort- führung der alten Bürokratie, die im Juni dieses Jahres nicht ohne Grund aufgelöst werden soll. Die FDP ist doch angeblich für Entbürokratisierung? Alles nur Ge- rede, wenn’s konkret wird. Sie wollen hier einen Schein- toten wiederbeleben. Da liegt es nahe, anzunehmen, dass es Ihnen im Kern eigentlich nur darum geht, Pfründe und Posten zu sichern. Uns geht es um die Stärkung und Nut- zung der bestehenden parlamentarischen Rechte. Europa hat bereits eine Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir wollen uns als Parlament da- ran beteiligen. Das geht nur, wenn wir Mittel und Wege finden, die diesen Prozess fruchtbar und gewinnbringend für alle zu gestalten. Wäre das große deutsche Parlament mit einer derarti- gen Position zur Konferenz der Präsidenten im April ge- fahren, wäre das sicherlich ein Signal an die anderen ge- wesen. Diese Chance wurde verpasst. Aber auch die heutige Debatte und die vorliegenden Anträge zeigen, dass wir noch sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Nutzen und von den Synergieeffekten mit Europa haben. Wir hätten das letzte Jahr für eine Debatte darüber nut- zen sollen, statt in Klüngelrunden Europa gestalten zu wollen. So kommen wir in Europa bestimmt nicht voran. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Ge- schlechtszugehörigkeit (ÄVFGG) – Antrag: Sexuelle Menschenrechte für Trans- sexuelle, Transgender und Intersexuelle ge- währleisten – Transsexuellengesetz aufheben (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir beraten heute über einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes über die Än- derung der Vornamen und die Feststellung der Ge- schlechtszugehörigkeit“ sowie den Antrag der Fraktion Die Linke „Sexuelle Menschenrechte für Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle gewährleisten – Transse- xuellengesetz aufheben“. Das geltende Transsexuellengesetz, TSG, ist inzwi- schen mehr als dreißig Jahre alt. Es entspricht nicht mehr in jeder Hinsicht aktuellen medizinisch-wissenschaftli- chen Erkenntnissen. Außerdem hat das Bundesverfas- sungsgericht in mehreren Entscheidungen, zuletzt in sei- nem Beschluss vom 11. Januar dieses Jahres, die Unver- einbarkeit einiger Vorschriften des Transsexuellengeset- zes mit dem in Art. 2 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz verankerten Grundsatz des Rechts auf freie Selbstbestimmung in Verbindung mit der allgemeinen Menschenwürde erklärt. Eine erste Än- derung haben wir bereits im Jahre 2009 vorgenommen, als wir auf das in § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG enthaltenen Er- fordernis der Ehelosigkeit verzichtet haben. Außerdem hat das Bundesinnenministerium 2009 einen Entwurf zur Reform des Transsexuellenrechts vorgelegt, der jedoch aufgrund der sich zum Ende neigenden Legislaturpe- riode nicht mehr in das Gesetzgebungsverfahren einge- bracht werden konnte. Zusammen mit der Bundesregierung beabsichtigen wir, das Transsexuellengesetz in der laufenden Wahlpe- riode gemäß den im Koalitionsvertrag enthaltenen Fest- legungen an die Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts sowie die neueren medizinischen Erkennt- nisse und gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Die erforderlichen Änderungen des Transsexuellenge- setzes, die auch den Beschluss des Bundesverfassungs- gerichts vom 11. Januar 2011 berücksichtigen, sollen durch ein Reformgesetz, TSRRG, umgesetzt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf befindet sich derzeit in der Vorbereitung. Insgesamt bedarf das Vorhaben auf- grund der familienrechtlichen Auswirkungen einer be- sonderen Abstimmung und sorgfältigen Prüfung. Hier darf sprichwörtlich nichts übers Knie gebrochen werden. Im Interesse einer verfassungsrechtlichen Grundsät- zen dauerhaft entsprechenden Lösung wäre es nicht för- derlich, das Transsexuellengesetz durch den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetz- entwurf abzulösen oder die im Antrag der Fraktion Die Linke vorgesehenen Eckpunkte in vollem Umfang in das Transsexuellengesetz zu übernehmen. Im Einzelnen sprechen folgende Punkte gegen eine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf beziehungsweise dem Antrag: Entwurf eines ÄVFGG der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Erstens. Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Ver- lagerung der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Vornamensänderung und die Geschlechtsänderung von den Amtsgerichten auf die Standesämter (§§ 1 und 3 des Entwurfs) hat offensichtlich den Zweck, die Wahl der Vornamen und der Geschlechtszugehörigkeit lediglich von der Abgabe einer familienrechtlichen Erklärung ab- hängig zu machen. Bei einer Vornamensänderung nach dem Transsexuellengesetz handelt es sich bisher – und nach meiner Auffassung auch zu Recht – um eine der öf- fentlich-rechtlichen Namensänderung vergleichbaren 13198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Entscheidung, für die in den Ländern die Ordnungsämter der Gemeinden oder Landkreise zuständig sind. Soweit Transsexuellen eine Vornamensänderung quasi durch Abgabe einer Erklärung gegenüber dem Standesamt ein- geräumt würde, wären nichttranssexuelle Personen be- nachteiligt, weil diese ihre Namensänderung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens durchsetzen können. Diese Un- gleichbehandlung verstieße gegen Art. 3 Grundgesetz. Zweitens. Die Entscheidung über die Geschlechtszu- gehörigkeit sollte wegen der damit verbundenen Auswir- kungen auf die Rechtsposition des Betroffenen und sei- ner Angehörigen weiterhin in einem gerichtlichen Verfahren erfolgen. Dies dient letztlich dem Schutz des Betroffenen selbst und seiner Angehörigen. Drittens. Der Gesetzentwurf räumt dem Standesamt keinerlei Ermessen ein und ordnet nach Antragszugang die Registeränderung als gebundene Entscheidung ohne weitere Sachverhaltsaufklärung oder behördliche Prü- fung an. Das Standesamt soll offensichtlich weder die Vorlage weiterer Unterlagen verlangen noch eine Ableh- nung des Antrags vornehmen können. Diese Verfahrens- vorgaben würden im standesamtlichen Verfahren zu er- heblichen Verwerfungen führen, weil bei anderen Personenstandsfällen zu Recht eine Sachverhaltsaufklä- rung stattfindet und die Beurkundung nur nach Vorlage entsprechender Urkunden und Nachweise durch den An- tragsteller erfolgt. Als Grundlage für eine Beurkundung im Personenstandsregister ist dieses Verfahren meines Erachtens nach nicht erstrebenswert. Auch hier wird die Schutzfunktion einer Antragsprüfung zugunsten der An- tragsteller verkannt. Viertens. Nach dem Gesetzentwurf reicht das indivi- duelle Empfinden des Betroffenen, dass die bisherigen Vornamen oder der bisherige Geschlechtseintrag nicht seinem Geschlechtsempfinden entspricht, für die ent- sprechende Registeränderung aus. Ein Nachweis über das Bestehen oder die Unumkehrbarkeit des transsexuel- len Empfindens – zum Beispiel psychotherapeutisches oder fachärztliches Zeugnis, Bescheinigungen, Bera- tungsschein etc. – wird nicht verlangt. Dies erscheint im Hinblick auf die gravierenden Auswirkungen eines Per- sonenstandswechsels nicht sachgerecht. Auch hier fehlt es an der notwendigen Schutzfunktion zugunsten des Antragstellers. Fünftens. Der Gesetzentwurf sieht keine Beschrän- kung hinsichtlich eines erneuten Vornamens- oder Ge- schlechtswechsels vor. Der demgemäß mehrfach mögli- che Wechsel der Vornamen und der Geschlechts- zugehörigkeit führt zu einem erheblichen Verwaltungs- aufwand und einer Besserstellung gegenüber nichttrans- sexuellen Personen, die an ihre familienrechtlichen Er- klärungen in der Regel gebunden sind. Eine solche Beliebigkeit ist nicht hinnehmbar. Sechstens. Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit des gleitenden Übergangs von der Ehe in die Lebens- partnerschaft und umgekehrt auf Antrag vor, ohne die versorgungsrechtlichen Auswirkungen eines solchen Wechsels zu regeln. Eine solche Regelung verstößt in eklatanter Weise gegen Art. 6 Grundgesetz. Antrag der Fraktion Die Linke: Erstens. Eine Einbeziehung von Transgendern und In- tersexuellen in einen Gesetzentwurf erscheint mir pro- blematisch, da es sich um verschiedene Gruppen von Betroffenen handelt. Während Transsexuelle sich dem anderen als ihrem biologischen Geschlecht angehörend fühlen, umfasst der Begriff „Intersexualität“ eine Viel- zahl biologisch-somatisch gegebener Uneindeutigkeiten oder Mehrdeutigkeiten der Geschlechtszugehörigkeit. Die ohnehin schwierige persönliche Lage der Trans- sexuellen und ihre Probleme mit dem rechtlichen Ver- fahrensablauf für einen Vornamens- oder Geschlechts- wechsel sollten – auch nach Ansicht vieler Betroffener und auf diesem Gebiet tätiger Sachverständiger – nicht mit der ganz anders gearteten Situation Intersexueller vermischt werden. Dies würde auch den Interessen und Zielvorstellungen beider Betroffenengruppen zuwider- laufen. Zweitens. Die Eintragung der Geschlechtszugehörig- keiten „intersexuell“ und „transgender“ ist sowohl aus verfassungsrechtlichen als auch aus gesellschaftspoliti- schen Gründen problematisch. Das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung gehen nur von zwei Geschlech- tern aus. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Men- schen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst wird. Hierzu gehört, dass der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal ei- genverantwortlich gestalten kann. Nach BVerfGE 49, 286, 298 gebieten Menschenwürde und das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung daher, den Personen- stand des Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem er nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört. Dabei gehen unsere Rechtsordnung und unser soziales Leben im Grundsatz von dem Prinzip aus, dass jeder Mensch entweder männlichen oder weiblichen Ge- schlechts ist. Eine Notwendigkeit der Schaffung eines quasi dritten Geschlechtes sehe ich nicht und halte dies auch nicht für wünschenswert. Drittens. Speziell im Hinblick auf eine gesetzliche Verfahrensregelung für intersexuelle Kinder ist zu be- merken, dass nach der deutschen Rechtsordnung jeder Mensch dem männlichen oder dem weiblichen Ge- schlecht zugeordnet werden kann. Die Frage, ob es dane- ben noch eine dritte Form gibt, die gesellschaftliche An- erkennung und in unserer Rechtsordnung Berück- sichtigung finden sollte, kann nur aus gesellschafts- und gesundheitspolitischer Sicht beurteilt werden. An dieser Stelle sei auf das Diskursverfahren Intersexualität des Deutschen Ethikrates verwiesen. Im Auftrag der Bun- desregierung erarbeitet der Deutsche Ethikrat derzeit eine Stellungnahme zur Situation von Menschen mit In- tersexualität. Erst gestern hat hier eine öffentliche Anhö- rung stattgefunden. Die Ergebnisse dieses Diskursver- fahrens müssen abgewartet werden. Erst dann können Überlegungen auf gesicherter Grundlage zu einer gesetz- lichen Regelung führen. Viertens. In dem Antrag werden als „Transgender“ Personen bezeichnet, die sich nicht in den Kategorien männlich oder weiblich wiederfinden. Der Begriff Transgender wird aber seit den 1980er-Jahren fast aus- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13199 (A) (C) (D)(B) schließlich als genderpolitischer Oberbegriff gebraucht, der insbesondere Transsexuelle umfasst. In dieser Hin- sicht ist bereits der betroffene Personenkreis durch den Antrag nicht eindeutig bezeichnet und in dieser Form keiner gesetzlichen Verfahrensregelung zugänglich. Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grü- nen und von der Linken, lassen Sie mich eines noch ab- schließend sagen: Uns allen ist klar, dass das Transsexu- ellengesetz in seiner jetzigen Form die Betroffenen benachteiligt und ihnen nicht gerecht wird. Nicht um- sonst hat das Bundesverfassungsgericht in seinem letz- ten Beschluss die Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG bis auf weiteres ausgesetzt. Die Bundesregierung wird deshalb noch in dieser Legislaturperiode einen Ent- wurf für ein Reformgesetz des Transsexuellengesetzes vorlegen, der den Vorgaben des Bundesverfassungsge- richts entsprechen wird. Bis dahin sollten Sie Ihre An- träge beziehungsweise Gesetzesvorlagen ruhen lassen. Gabriele Fograscher (SPD): Wir beraten heute, 2011, in erster Lesung einen Gesetzentwurf über die Än- derung der Vornamen und die Feststellung der Ge- schlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen. Hinter dem Titel verbirgt sich die Novellierung des Transsexuellen- gesetzes. Leider sind wir seit 2009 nicht zu einer längst überfälligen Lösung gekommen. Das Transexuellengesetz ist gut 30 Jahre alt und ent- spricht weder der Lebenswirklichkeit von Transsexuel- len noch dem Stand der Wissenschaft. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in inzwischen sechs Entschei- dungen einzelne Vorschriften des Transsexuellengeset- zes für verfassungswidrig erklärt. Weil hier enorme Rechtsunsicherheit besteht, ist es dringend geboten, dass dieses Gesetz überarbeitet wird, besser noch durch ein ganz neues Gesetz ersetzt wird. Unser Ziel ist es, das Leben und den Alltag der Betroffe- nen zu erleichtern. Bereits in der vergangenen Wahlperiode haben wir in- tensive Gespräche mit dem damaligen Koalitionspartner geführt. Doch leider kam es dabei zu keiner Einigung, und außer einer dürren Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage von mir, liegt uns bislang nichts aus den Koalitionsfraktionen vor. Ich selbst habe, auch in dieser Wahlperiode, Gesprä- che mit Betroffenen geführt. Sie haben ihr Unverständ- nis über dieses veraltete, teils verfassungswidrige Gesetz zum Ausdruck gebracht, ebenso wie ihre Verzweiflung, dass die Bundesregierung auf diesem Gebiet, trotz der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, völlig untätig ist. Transsexuelle Menschen haben das Gefühl, im fal- schen Körper zu leben. Transsexualität ist aber keine Krankheit. Die Ursachen sind unklar, und den typischen Transsexuellen gibt es nicht. Auch ist die Bezeichnung Transsexualität falsch; denn diese Menschen haben kein Problem mit ihrer Sexualität, sie haben ein Problem mit ihrer Identität. Deshalb schlage ich vor, dass wir die Bezeichnung des Gesetzes ändern. Bei einer Novellierung sollten wir den Titel von „Gesetz zur Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in beson- deren Fällen“ in „Transidentitätsgesetz“ ändern. Die Betroffenen leiden unter gesellschaftlicher Aus- grenzung, fühlen sich anders, sind psychischen Belas- tungen ausgesetzt. Das ist schon schlimm genug. Des- halb sollten wir als Gesetzgeber die rechtlichen Hürden, damit ein Transsexueller oder eine Transsexuelle in dem von ihm bzw. ihr empfundenen Geschlecht leben kann, nicht höher hängen, als unbedingt nötig. Wir sollten das Verfahren zur Vornamensänderung straffen. Derzeit muss ein Antragsteller mindestens seit drei Jahren in dem anderen Geschlecht, dem er sich zu- gehörig fühlt, leben, und es muss mit hoher Wahrschein- lichkeit angenommen werden, dass sich das Zugehörig- keitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändert. Es sind zwei medizinische Gutachten erforder- lich; ich meine, ein Gutachten des behandelnden Arztes reicht aus. Auch kann im Verfahren auf den Vertreter des öffentlichen Interesses durchaus verzichtet werden. Diese hohen Hürden sind eine große psychische Belas- tung für die Antragsteller und führen dazu, dass sich die Verfahren bis zu zwei Jahre hinziehen können. Bisher heißt es in § 1 Abs. 1 TSG, dass die innere Überzeugung eines Transsexuellen oder einer Transse- xuellen fortdauernd und unumkehrbar sein muss, um den Vornamen ändern zu können. Im neuen Gesetz sollte „fortdauernd“ bestehen bleiben, aber „unumkehrbar“? Das kann weder der oder die Betroffene noch ein ärztli- ches Gutachten feststellen. Wir sollten das unnötig komplizierte Verfahren für die Vornamensänderung vereinfachen und auf Doppel- oder Mehrfachbegutachtungen verzichten. Vorstellbar ist für uns, die Vornamensänderung durch die nach Landesrecht für das Personenstandswesen zu- ständigen Behörden vornehmen zu lassen, also dem Standesamt. Voraussetzung für eine Personenstandsänderung, also der Wechsel von männlich zu weiblich oder von weib- lich zu männlich, ist derzeit die Durchführung einer ge- schlechtsangleichenden Operation. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Autoren des Transsexuellengesetzes gingen da- mals davon aus, dass die Vornamensänderung, also die sogenannte kleine Lösung, nur ein Durchgangsstadium sei und es Ziel aller Transsexuellen sei, die „große Lö- sung“, also die Personenstandsänderung und die ge- schlechtsangleichende Operation, zu erreichen. Diese Annahme ist falsch, denn, so eine fachwissen- schaftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, etwa 20 bis 30 Prozent der Trans- sexuellen wollen keine geschlechtsangleichende Opera- tion. Diese Regelung in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG hat das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig einge- stuft. 13200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Dazu heißt es in der Pressemitteilung des Bundesver- fassungsgerichts zum Beschluss vom 11. Januar 2011: „Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit dieser Vorausset- zung das berechtigte Anliegen, auszuschließen, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Perso- nen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Ge- schlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechtsverständnis widerspräche und weitrei- chende Folgen für die Rechtsordnung hätte. Diese Gründe vermögen aber im Rahmen der gebotenen Ab- wägung die erhebliche Grundrechtsbeeinträchtigung der Betroffenen nicht zu rechtfertigen, weil dem Recht der Transsexuellen auf sexuelle Selbstbestimmung unter Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit größeres Ge- wicht beizumessen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fälle des Auseinanderfallens von rechtlicher Ge- schlechtszuordnung und Erzeuger- beziehungsweise Ge- bärendenrolle angesichts der kleinen Gruppe transsexu- eller Menschen nur selten vorkommen werden.“ Auf diese Regelung können und müssen wir bei einer Novel- lierung verzichten. Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Gesetzent- wurf, dass sowohl die Vornamensänderung als auch die Personenstandsänderung bei den Standesämtern angesie- delt werden soll. Ich halte diese Regelung für die Perso- nenstandsänderung nicht für sinnvoll, und das sehen auch viele Betroffene selbst so. Eine Personenstandsänderung bringt viele weitere Verwaltungsakte und Rechtsfolgen mit sich, wie das Umschreiben von Zeugnissen und Urkunden. Deshalb halten wir es für angemessen, dass diese Än- derungen weiterhin vom zuständigen Gericht vorgenom- men werden. Dies würde die Ernsthaftigkeit des Anliegens unter- streichen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion und ich als Berichterstatterin sind bereit, auf Grundlage des vorge- legten Gesetzentwurfes der Grünen zu prüfen, ob wir nicht zu einer gemeinsamen Neugestaltung eines Trans- identitätsgesetzes kommen können. Noch ein paar Worte zum Antrag der Linksfraktion. Die Vorschläge gehen weit über die vom Bundesver- fassungsgericht als erforderlich angesehenen Neurege- lungen hinaus. Zum Beispiel würde die Einstufung in drei Merkmale, nämlich männlich, weiblich und interse- xuell große Widerstände hervorrufen. Der Vorschlag ist nicht mehrheitsfähig. Im Interesse der Betroffenen, die zwar nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung sind, aber einen großen Lei- densdruck haben, und aufgrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, sollten wir uns ernsthaft be- mühen, zu Lösungen zu kommen. Manuel Höferlin (FDP): Mit großem Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass nach den Grünen nun auch die Linke sich mit der Thematik der Änderung der Vornamen und der Feststellung der Geschlechtszugehö- rigkeit in besonderen Fällen befasst. Was Sie da aller- dings fabrizieren, liebe Kollegen von der Linken, halte ich für wenig hilfreich. Ihr Antrag geht glatt am Ziel vor- bei. Sie beschäftigen sich vorrangig mit der Frage, wie intersexuelle Menschen und Transgender in Deutschland behandelt werden sollten. Das ist eine wichtige Frage, und ich würde mich sehr freuen, wenn wir auch an dieser Stelle Fortschritte erzielen können. Aber Ihre Vorschläge für das Personenstandsrecht halte ich an dieser Stelle für absolut unbrauchbar, ja geradezu unsinnig. So fordern Sie die Eintragungsmöglichkeit „Trans- gender“ für Personenstandsregister. Soll das bedeuten, dass in ein Geburtenregister für einen Säugling die Ein- tragung „Transgender“ gewählt werden kann? Wieso möchten Sie, dass die sozial gelebte Geschlechtsidentität im Personenstandsregister erfasst werden soll? Wieso halten Sie es überhaupt für erforderlich, das soziale Ge- schlecht einer Person zu erfassen? Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Regelungswut stößt mir als Liberalem immer wieder sauer auf. Aber das geht nun wirklich zu weit. Mit solchen Regelungen beflügeln Sie nur die Diskriminierung von Menschen, indem Sie ihr Sozialverhalten aktenkundig machen. Das Sozialverhal- ten von Menschen – dazu gehört auch deren sozial ge- lebtes Geschlecht – geht den Staat zunächst einmal über- haupt nichts an. An der Stelle mischen Sie sich in die Privatsphäre anderer Menschen ein. Das finde ich uner- hört! Auch der Gesetzentwurf der Grünen ist mehr gut ge- meint als gut gemacht. So fordern Sie, dass die §§ 1591 und 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuches geändert wer- den. Aus Vätern und Müttern werden dann Elternteile. Das BGB macht die Unterscheidung von Vater und Mut- ter nicht grundlos. Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes lau- tet: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“ Liebe Grüne, das Grundge- setz ist eindeutig. Hier steht Mutter und nicht Elternteil! Wie möchten Sie, liebe Kollegen der Grünen, den Müt- tern in diesem Land erklären, dass sie keines besonderen Schutzes mehr bedürfen, weil sie mittlerweile nurmehr Elternteile sind? Die christlich-liberale Koalition hat sich in ihrem Ver- trag das Ziel gesetzt, das Transsexuellengesetz auf eine moderne, zeitgemäße Grundlage zu stellen, und dieses Ziel werden wir auch erreichen. Wir wollen, dass trans- idente Menschen ihre Geschlechtszugehörigkeit oder ih- ren Vornamen möglichst unbürokratisch ändern können. Sie sollen ein freies und selbstbestimmtes Leben führen dürfen und sollten dabei nicht mit unnötigen bürokrati- schen Hürden konfrontiert werden. Ihre Privatsphäre muss ebenso geschützt werden wie ihre Lebensum- stände. Hier sollte man beim Transsexuellengesetz die Hebel ansetzen, anstatt sich in sinnlosen Spielereien an Personenstandsregistern zu ergehen. Wenn ich mir ihre Anträge anschaue, habe ich den Eindruck, dass die lie- ben Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei und den Grünen transidente Menschen in ihren Werbeblock für ein anderes Weltbild eingebaut haben, weil es sich so leichter verkaufen lässt. Mit der FDP-Bundestagsfrak- tion werden Sie das nicht machen können. Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich in die Debatte um ein modernes Transsexuellengesetz einbringen. Wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13201 (A) (C) (D)(B) möchten, dass die Sorgen und Probleme dieser Men- schen ernst genommen werden. Wir möchten, dass sie sich nicht Gedanken über den Fortbestand ihrer Lebens- partnerschaft oder Ehe machen müssen. Wir möchten, dass sie sich nicht operativen Maßnahmen unterwerfen müssen, um in dem für sie richtigen Geschlecht zu leben. Das sind die zentralen Punkte für ein modernes und zeit- gemäßes Transsexuellengesetz. Die Anträge, die wir hier heute beraten, verfehlen diese Ziele ganz klar. Daher würde ich es sehr begrüßen, wenn die Antragsteller sie zurückziehen würden. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): „Man setzte den Transsexuellengutachter Herrn Dr. A. vom medizini- schen Dienst der Krankenkasse auf mich an. Nachdem der vorherige medizinische Gutachter meiner Kranken- kasse sich wohl mit der Sachlage überfordert fühlte, war nun Herr Dr. A. für mich zuständig. Er rief mich unver- mittelt eines Nachmittags an und begann, mir Fragen zu stellen: Wie lange ich mich schon als Frau fühlen würde, ob ich belegen könne, wie mein Alltag aussehe. Zu- nächst antwortete ich ganz freundlich, ich war ja froh, wenn nun Bewegung in die Sache kam. Aber nach und nach wurde mir klar, dass da offenbar wieder jemand keine Zeile von dem gelesen oder verstanden hatte be- ziehungsweise nicht verstehen wollte, was in meinen Unterlagen stand.“ So berichtete die Intersexuelle Christiane Völling in ihrem erschreckenden Erfahrungsbericht über ihren Ver- such, ihr Geschlecht anerkennen zu lassen. Thomas Völling stellte im Alter von 49 Jahren fest, dass er ei- gentlich früher weibliche Geschlechtsmerkmale besaß, ihm diese jedoch ohne sein Wissen entfernt wurden. Bei dem Versuch, diese Geschlechtsmerkmale wiederher- stellen zu lassen und nun ihr Geschlecht auch als weibli- ches anerkennen zu lassen, musste sie das Verfahren des Transsexuellengesetzes durchlaufen, um als weiblich an- erkannt und den Vornamen Thomas in Christiane verän- dern zu dürfen. So wie Christiane Völling erging und ergeht es noch vielen Intersexuellen. Ihnen ist schreckliches Leid wie- derfahren. Bei ihrem Versuch, sich rechtlich anerkennen zu lassen, scheitern sie häufig am Recht und an den Ver- fahrensvorschriften. Das Recht kennt keine Intersexuel- len. Aber auch Transsexuelle verzweifeln oftmals an dem für sie geschaffenen Transsexuellengesetz. Medizi- nische Gutachter verschleppen die Begutachtung, Ge- richte ziehen Verfahren in die Länge, Krankenkassen be- willigen die notwendigen operativen Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung nicht. Das Transsexuellenge- setz ist drei Jahrzehnte alt. Es wurde mehrfach vom Bun- desverfassungsgericht für nicht verfassungskonform er- klärt. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Das geltende Trans- sexuellengesetz ist in seinen wesentlichen Grundzügen inzwischen fast dreißig Jahre alt. Es entspricht nicht mehr in jeder Hinsicht aktuellen medizinisch-wissen- schaftlichen Erkenntnissen. Wir werden das Transsexu- ellengesetz deshalb unter Berücksichtigung der Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichts auf eine neue zeitgemäße Grundlage stellen, um den betroffenen Men- schen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermögli- chen.“ Die Betroffenen warten bislang vergebens. Die Linke begrüßt den Gesetzentwurf der Grünen. Aller- dings geht unser Antrag, der Ihnen hier vorliegt, weiter. Wir wollen das Transsexuellengesetz aufheben. Wir wollen das Personenstands- und Vornamensrecht und die dementsprechenden Verwaltungsvorschriften dahin ge- hend reformieren, dass Transsexuelle, Intersexuelle und Transgender im Recht berücksichtigt sind. Ihre sexuellen Menschenrechte sind im Recht nicht berücksichtigt. Wir fordern keine Operation an Intersexuellen vor der Ein- willigungsfähigkeit. Wir fordern umfangreiche Unter- stützung für Transsexuelle, Transgender und Intersexu- elle. Wir fordern die Erweiterung der Möglichkeiten des Geschlechtseintrags, damit Transsexuelle, Intersexuelle und Transgender berücksichtigt werden. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Kolleg_innen, es gibt mehr Geschlechter, als unsere Schulweisheit sich träumt. Wir wissen heute, dass es Menschen gibt, die sich im falschen Körper ge- boren fühlen, die dem anderen biologischen Geschlecht angehören wollen. Es gibt aber auch Menschen, die sich gar nicht in die Schubladen von Mann und Frau einsor- tieren können und wollen. Es gibt eine Vielfalt von Ge- schlechtern, Lebensformen und Identitäten in unserem Land – aber das Gesetz kennt nur zwei zulässige. Das bestehende Transsexuellenrecht beruht auf der Angst vor Uneindeutigkeit. „Was bist du eigentlich“ – ist eine Frage, die Transsexuelle oder Transgender oft hö- ren. Für viele Menschen ist es offenbar unerträglich, wenn offizielles Geschlecht und das Aussehen oder der Körper eines Menschen vermeintlich nicht zueinander passen. Zu viele Geschlechterklischees und -vorurteile hängen an dieser Einschätzung. Viele Menschen reagie- ren unbeholfen, weil sie ihr eigenes Verhalten davon ab- hängig machen, welches Geschlecht das Gegenüber hat. Uneindeutigkeit nimmt ihnen das Gefühl von Sicherheit, welches im geübten Umgang mit Klischees begründet ist. Das bestehende Transsexuellenrecht versucht, diese Geschlechterordnung zu zementieren. Der Gesetzgeber anerkennt zwar, dass Menschen ihr Geschlecht ändern können, aber nur, wenn hochdotierte Gutachter bestäti- gen, dass der Leidensdruck der Betroffenen hoch genug ist, und, nach dem Wortlaut des gültigen Gesetztes, nur, wenn die Geschlechtsumwandlung vollständig vollzo- gen wird – inklusive umfangreicher geschlechtsanglei- chender Operationen und Hormonbehandlungen. So soll sichergestellt werden, dass am Grundsatz der zwei Ge- schlechter festgehalten werden kann. Damit ignoriert das Gesetz die gesellschaftliche Wirklichkeit – das kann auf Dauer nicht gelingen. Und es widerspricht der Bezie- hung von Bürger und Staat in einer freiheitlichen Gesell- schaft. Der Bürger oder die Bürgerin müssen es sich nicht gefallen lassen, dass der Staat in ihre Freiheits- rechte eingreift, ohne dass dies der Schutz wichtiger Rechtsgüter anderer erfordert. 13202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Unser Gesetzentwurf, den wir heute diskutieren, be- endet diese Praxis. Denn die Aufgabe des Gesetzgebers kann es nicht sein, die Rechte von Minderheiten zu be- schneiden, um der Mehrheit irritierende Fragen oder Momente zu ersparen. Nach Art. 2 des Grundgesetzes sind alle Menschen frei darin, ihre Persönlichkeit zu ent- falten. Art. 1 unseres Grundgesetzes schützt die Würde des Menschen in seiner Individualität, wie er sich selbst begreift. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Ent- scheidung im Januar dieses Jahres zum wiederholten Male deutlich gemacht, dass auch die Geschlechtszuge- hörigkeit inbegriffen ist. Das Gericht hat in diesem Ur- teil zudem entschieden, dass der Passus des Gesetzes, der die zwangsweise operative Geschlechtsänderung vorschreibt, nicht notwendig ist, um vor dem Gesetz als dem anderen Geschlecht zugehörig zu gelten. Diese Entscheidung des Verfassungsgerichts haben wir in unserem Gesetzentwurf bereits vorweggenommen und berücksichtigt. Wir wollen die Änderung des Vorna- mens und der Geschlechtszugehörigkeit nur vom erklär- ten Willen der Betroffenen abhängig machen. Eine medi- zinische Überprüfung entfällt. Wir gestehen den Menschen mit diesem Entwurf die Selbstbestimmung über sich und ihr Leben zu. „In dubio pro libertate“ – im Zweifel für die Freiheit. Wir wollen damit erreichen, dass sich der Staat aus der Privatsphäre des Menschen, aus seiner geschlechtlichen Selbstbestimmung, zurückzieht und geben das Primat dem wahren Geschlechtsempfin- den, über das nur das Individuum Auskunft geben kann. Die Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, eigene Vorschläge für die Reform des Transsexuellenrechts zu machen. Zur Halbzeit ihrer Re- gierungszeit liegt kein Entwurf vor. Wir wollen mit un- serem Gesetzentwurf die notwendige Debatte in Gang bringen. Die Fraktion der Linken hat diese Einladung bereits angenommen und heute einen Antrag vorgelegt, der in vielen Punkten in dieselbe Richtung tendiert. Ich hoffe auf eine konstruktive Debatte in den zuständigen Ausschüssen – im Interesse der betroffenen Menschen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Belarus nach den Wahlen – Repressionen beenden (Zusatztages- ordnungspunkt 16) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Wir sind einig in der Verurteilung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Wahl im Dezember 2010. Zu den Wahlen selbst hat die OSZE das Erforderliche gesagt. Das brutale Vorge- hen der Polizei am Wahlabend gegen Demonstranten ist ebenso unangemessen wie abstoßend. Das gilt erst recht für die Verurteilung oppositioneller Politiker zu hohen Zuchthausstrafen. Dieses Vorgehen der belarussischen Regierung hat etwas der europäischen Moderne Ins-Ge- sicht-Schlagendes. Wir interpretieren dieses nicht als Zeichen der Stärke. Die belarussische Opposition war weder stark noch besonders gut organisiert. Wer es nötig hat, derart auf eine Opposition einzuschlagen, lässt Schwäche erkennen. Was die belarussische Gesellschaft braucht, ist Ver- söhnung, Versöhnung mit sich selbst und mit den Anfor- derungen der modernen Welt. Die gegenwärtigen Zu- stände sind nicht kompatibel mit diesen Anforderungen. Die Vorwürfe einer Verschwörung von außen sind ab- surd. Niemand innerhalb der Europäischen Union ver- schwört sich gegen Belarus und niemand hat Interesse an chaotischen Zuständen. Vielmehr sind wir interessiert an einem geordneten Übergang in die europäische Moderne und die europäische Normalität. Wir wissen, dass die Bundeskanzlerin kürzlich in Deauville mit dem russischen Ministerpräsidenten Medwedjew auch über Belarus gesprochen hat. Dem Vernehmen nach hat es keine Differenzen gegeben. Russland ist an der guten Beziehung zu Deutschland und zur Europäischen Union interessiert. Dieses Interesse ist sowohl politisch als auch ökonomisch motiviert. Für uns ist das Verhalten Moskaus ein Indikator, wie ernst die europäischen Werte von Russland genommen werden. Belarus ist in einer schweren strukturellen Krise. Diese Krise ist nicht mit einzelnen Krediten zu lösen. Wir haben schon in der Vergangenheit gesehen, dass Kredite nur zeitweise helfen. In kurzer Zeit ist das Land wieder am selben schwierigen Punkt angelangt, hat aber jetzt noch mehr Schulden und muss noch mehr Zinsen bezahlen. Das Land bedarf struktureller Reformen im wirtschaftlichen und politischen Bereich. Die belarussi- sche Gesellschaft bringt alle Voraussetzungen hierfür mit, nämlich gut ausgebildete, motivierte und diszipli- nierte Bürger und eine gut vorgebildete junge Genera- tion. Die Nachbarn von Belarus haben vorgemacht, wie es geht. Insbesondere Polen ist ein ausgezeichnetes Bei- spiel der Transformation eines Landes von einem stali- nistischen System hin zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie. Die baltischen Staaten sind auf dem glei- chen Weg und die Ukraine ist im Begriff, sich auf diesen Weg zu machen. Wir wünschen uns, dass wir auch Bela- rus unterstützen können, diesen Weg zu gehen. Die Si- tuation im Lande verschärft sich rapide und zeigt sich in einer galoppierenden Geldentwertung und ersten Anzei- chen einer Versorgungsknappheit. Wir wollen Belarus helfen, aus dieser Abwärtsspirale herauszukommen. Dazu müssen wir das Gespräch su- chen. Wenn es hilft, auch auf diskreten Wegen. Es ist al- lerdings nicht vorstellbar, dass substanzielle Gespräche und Verhandlungen geführt werden, solange die Straf- urteile gegen die Oppositionellen vollzogen werden. Es ist also an der belarussischen Regierung, die Vorausset- zungen für eine Normalisierung zu schaffen. Im Herbst vergangenen Jahres waren wir schon viel weiter. Die Eu- ropäische Union hatte Belarus einen konkreten Fahrplan vorgelegt. Die Außenminister Polens und Deutschlands hatten im November in Minsk konkrete Vorschläge für eine Unterstützung des Landes vorgelegt. Sofern Belarus die Voraussetzungen hierfür schafft, sind wir und die Eu- ropäische Union bereit, diesen Weg wieder einzuschla- gen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13203 (A) (C) (D)(B) Uta Zapf (SPD): Es ist erfreulich, dass es uns gelun- gen ist, einen überfraktionellen Antrag zwischen CDU/ CSU, FDP und SPD, Bündnis 90/Die Grünen einzubrin- gen. Es ist ja noch nicht lange her, da ist es nicht gelun- gen, fast wortgleiche Anträge unter einen Hut zu brin- gen. Warum nach so kurzer Zeit eine neue Resolution? Zwei Gründe: Auf der bevorstehenden Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE wird es eine Belarus-Debatte geben. Zu dieser Debatte ruft die deutsche Delegation mit einer Resolution auf, die von der Delegation verfasst wurde. Ein Beschluss des Bun- destages stärkt der deutschen Delegation den Rücken und verleiht unserem Anliegen Gewicht. Das Europäi- sche Parlament und die Parlamentarische Versammlung des Europarates haben sich auch mehrfach zu Wort ge- meldet. Dies zeigt, wie sehr die europäischen Staaten an Belarus und einer demokratischen Entwicklung dieses Landes interessiert sind. Jetzt zu diesem Zeitpunkt stehen die Menschenrechte im Vordergrund. Wir verfolgen jeden Tag mit Entsetzen neue Nachrichten von Schandurteilen, Repression, Ver- folgung und Foltervorwürfen. Die so wichtige Mission der OSZE ist rausgeworfen worden aus Belarus, das Büro ist geschlossen. Täglich wird die Repression auf Menschenrechtsgruppen und freie Presse erhöht. Angst und Schrecken sollen um sich greifen. Viele der Angeklagten nach den niedergeknüppelten Demonstrationen vom 19. Dezember 2010 sind zu hohen Haftstrafen verurteilt worden, die Präsidentschaftskandi- daten Sannikow und Statkevich zum Beispiel zu fünf und sechs Jahren schwerer Haft, ihre Unterstützer im Wahlkampf ebenso. Was haben sie getan? Sie haben ih- ren Unmut über gefälschte Wahlen in einer spontanen friedlichen Demonstration Ausdruck verliehen. In den Augen des autoritären Regimes ist dies „Aufruf zum Aufruhr, zum Umsturz des Regimes“. Die angeblichen Angriffe auf das Parlamentsgebäude waren vermutlich Provokationen, wie man auch auf Vi- deoaufnahmen feststellen konnte. Eine neutrale Untersu- chung lässt Präsident Lukaschenko nicht zu. Er verhöhnt die OSZE, deren Grundsätze er beim Gipfel in Astana Anfang Dezember 2010 feierlich bekräftigt und unter- schrieben hat. Er erklärt ihre Arbeit für erfolgreich been- det; dies nach gefälschten Wahlen, während fast die komplette Opposition im Gefängnis sitzt, während Men- schenrechtsgruppen mit Razzien und Verhaftungen über- zogen werden und die freie Presse zunehmend unter Druck gesetzt wird. Rechtsstaatlichkeit ist Fehlanzeige. Hatte Lukaschenko früher zynisch darauf hingewiesen, die Justiz hielte sich ja an – völlig inakzeptable – Gesetze, hält heute kein Ge- richt, keine Polizei die vorgeschriebenen Verfahren ein. Willkürherrschaft breitet sich aus. Es gibt zunehmend Berichte von Folterpraktiken in den Gefängnissen. Wir werden nicht aufhören, die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern. Die politische Situation ist am Boden. Aber auch die ökonomische Lage ist im Sink- flug. Hatte Präsident Lukaschenko noch vor den Wahlen die Löhne erhöht, so musste jetzt die Währung abgewer- tet werden. Die Verschlechterung des Lebensstandards nimmt dramatische Formen an. Die Preise steigen, die Lebensmittel werden knapp. Die Inflation wird auf 33 bis 39 Prozent für 2011 geschätzt. Es gibt Kleindemon- strationen vor Tankstellen und Autokorsos gegen stei- gende Benzinpreise, Salz und Zucker sind Mangelware, in den Supermärkten gähnen leere Regale. Und wie reagiert der Despot? Er droht dem Premier- minister und dem Notenbankchef mit Entlassung, wenn die Preise weiter steigen. Er verfolgt Medien, die über die wirtschaftliche Situation berichten, weil sie Panik- käufe provozierten. Er fordert mehr Disziplin von Arbei- tern und Angestellten, sie sollen arbeiten und nicht wäh- rend der Arbeitszeit Hamsterkäufe machen. Beamten droht er Prügel an. Dies klingt nach Kabarett, ist aber bitterer Ernst. Belarus braucht dringend neue Kredite, die die Eurasian Economic Community geben will – ge- gen Verkauf des Tafelsilbers Staatsbesitz. Auch der IWF soll Kredite geben. Die Situation in Belarus erscheint ausweglos. Sowohl die politische wie die wirtschaftliche Lage bröckeln. Ein Grund dafür ist die Abwendung von Europa, die Lukaschenko mit seinen Repressionen zementiert und mit denen er sich in eine Sackgasse manövriert hat. Ich bin der Ansicht, dass das demokratische Europa der rich- tige Rahmen für Belarus ist. Dafür wäre aber eine nach- haltige Wende in der Politik des Landes notwendig. Bis- her hat Lukaschenko jeden Dialog nach den Wahlen zurückgewiesen und verhindert. Um der Menschen wil- len sind wir zum Dialog bereit. Wir fordern daher die so- fortige Freilassung aller politischen Gefangenen. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Ich freue mich, dass wir hier einen interfraktionellen Antrag einbringen, um die unhaltbaren politischen Zustände in Belarus zu themati- sieren; er zeigt unsere Geschlossenheit gegenüber Alexander Lukaschenko; er sendet ein deutliches Signal der Entschlossenheit an die Adresse Minsk. Wir erinnern uns: Vor knapp einem halben Jahr – am 19. Dezember 2010 – war die Präsidentschaftswahl in Belarus. Statt einer fairen und freien Wahl gab es eine durch Manipulation entschiedene Wahl und einen von Gewalt begleiteten Wahlnachgang. Die Protestdemon- strationen führten zu Hunderten von Festnahmen; in von Willkür statt Gerechtigkeit geprägten, geradezu grotes- ken Schauprozessen wurden und werden nach wie vor zum Teil jahrelange Haftstrafen verhängt. Durch Gespräche mit Menschen aus Belarus in Berlin konnte ich mir in den vergangenen Wochen und Mona- ten ein Bild von der Situation aus der Sicht der Betroffe- nen machen. Die Beschreibungen der gewaltsamen Übergriffe vonseiten der Sicherheitskräfte und der bruta- len Methoden des KGB, der in Belarus bezeichnender- weise übrigens immer noch so heißt, in den Gefängnis- sen wurden unter anderem von Alexander Milinkiewicz bestätigt. 13204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) Das Regime macht auch nicht davor halt, aufgrund absurder Anschuldigungen brutal gegen prominente Dis- sidenten vorzugehen. Dies betrifft auch einige der Präsi- dentschaftskandidaten der Opposition. Besonderes scho- ckierend ist der Fall von Andrej Sannikow, dem populärsten Präsidentschaftsbewerber der Opposition. Er wurde noch am Abend der Demonstration gegen die Wahlfälschung krankenhausreif geschlagen und festge- nommen. Ihm wie auch vielen anderen wurde angemes- sene ärztliche Versorgung verweigert. Das erinnert an stalinistische Methoden. Inzwischen wurde Sannikow zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach Redaktions- schluss unseres Antrags sind übrigens schon wieder zwei Journalisten verhaftet worden, und es ist derzeit kein Ende der Repression absehbar. Wir verurteilen entschieden das absolut unverhältnis- mäßige Vorgehen der Regierung gegen die Demonstran- ten. Am Werk war und ist eine klassische Unterdrü- ckungsmaschinerie aus längst vergangener Zeit. Während sich in Nordafrika eine Bewegung hin zur De- mokratie und politischen Teilhabe der Bevölkerung Bahn bricht, haben wir hier in Europa noch einen ana- chronistisch agierenden Despoten, der es immer wieder versteht, mit zum Teil ungeheuerlich brutalen Methoden seinen Machterhalt zu sichern. Es gibt zwei wichtige Verträge, die Belarus unter- schrieben hat, in denen es sich zur Einhaltung der grund- legenden Bürger- und Menschenrechte verpflichtet hat: Zum einen ist Belarus Mitglied in der OSZE. Zum ande- ren hat Minsk den UN-Zivilpakt unterschrieben. Aber Lukaschenko hat diese Verträge trotzdem x-fach gebro- chen. In Belarus gibt es keine Wahrung der Menschen- rechte und keine Einhaltung der Presse-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit. Kritiker werden eingeschüchtert, Verhaftungen ohne vorherige Anklageerhebung sind an der Tagesordnung. Für uns stellt sich die Frage: Welche Hebel können wir jetzt ansetzen, um der Forderung nach wirklich nachprüfbaren Verbesserungen hinsichtlich der Men- schenrechte in Belarus Nachdruck zu verleihen? Das geht nur, wie so oft, übers Geld. Lukaschenko hat sich im Zuge der Wahl die Loyalität von Sicherheitskräften und Beamten durch großzügige Gehaltserhöhungen er- kauft. Diese finanziellen Wohltaten sind ein wesentlicher Grund für die Inflation in Belarus. Neben einer unzu- mutbaren Menschenrechtssituation herrscht in Belarus auch eine desolate Wirtschaftslage mit steigenden Ener- giepreisen und ebenso steigenden Staatsschulden. Die Währung wurde kürzlich massiv abgewertet: Der weiß- russische Rubel verlor im Vergleich zum amerikanischen Dollar mehr als ein Drittel seines Werts. Lukaschenko geht also das Geld aus, und er braucht dringend Geld und Kredite. Endlich hat die internationale Staatenge- meinschaft einen Hebel. Erst wenn Minsk den Forderun- gen nach spürbaren Reformen eindeutig nachgekommen ist, darf der Geldhahn aufgedreht werden. Es stellt sich für den Präsidenten nun die Frage, wel- chen Preis er in Form von Zugeständnissen für die Kre- dite zu zahlen bereit ist. Russland hat am Wochenende ein Kreditangebot von über 3,15 Milliarden Dollar ge- macht, allerdings unter der Bedingung privater Investi- tionen in Belarus. Das heißt, Lukaschenko müsste sein Einverständnis geben, dass die letzten Filetstücke der belarussischen Wirtschaft – wie beispielsweise Trakto- renfabriken und Ölpipelines – von russischen Investoren gekauft werden könnten. Dies ist auch nicht im Interesse Lukaschenkos. Denn auch wenn Lukaschenko dem Zer- fall der UdSSR nachtrauert und insgeheim von einem Staatenbund von Belarus und Russland unter seiner Re- gentschaft träumt, ist ihm mittlerweile klargeworden, dass der Kreml seine eigenen Ziele verfolgt. Daher will sich Minsk nicht von Moskau vereinnahmen lassen. Bleibt also die Alternative des Geldes aus dem Wes- ten. Belarus hat einen Kreditantrag an den Internationa- len Währungsfonds in Höhe von über 8 Milliarden Euro gestellt. Dies ist nun der Moment, in dem Alexander Lukaschenko Zugeständnisse machen muss, wenn er sich nicht Russland ausliefern will. Daher muss Deutschland jetzt gemeinsam mit seinen Partnern beim IWF darauf hinwirken, dass dem Regime in Minsk kein frisches Geld zur Verfügung gestellt wird ohne knallharte Auflagen. Ich betone also noch einmal: keine neuen IWF-Kredite, solange Lukaschenko keine eindeutig nachprüfbaren Reformen hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte zulässt. Er hat die Wahl: Will er das Geld des Westens, muss er die Zügel locker lassen; nimmt er den Kredit von Russland, wird er die „Kronjuwelen“ der belarussischen Wirtschaft verkaufen müssen. Leider hat sich Lukaschenko in den vergangenen Jah- ren stets als Meister des Taktierens und des politischen Pokerns entpuppt. Lange ist es ihm gelungen, durch wechselseitige Annäherungsavancen eine Art Schaukel- stuhlpolitik zwischen der EU und Moskau zu verfolgen, nur um im letzten Moment eine erneute Kehrtwende zu vollziehen. Diesmal steht das Regime jedoch wirtschaftlich derart mit dem Rücken zur Wand, dass er zu ernsthaften Ent- scheidungen gezwungen scheint. Der Moment der Wahr- heit scheint gekommen. Solange nicht klar ist, für wel- chen Kurs der Machthaber in Minsk sich entscheidet, müssen Deutschland und die EU ihre Haltung weiterhin deutlich machen. Der Antrag, den wir heute debattieren, ist dazu ein ge- eignetes Mittel der politischen Kommunikation. Er sen- det ein deutliches Signal der Geschlossenheit der deut- schen Politik an Lukaschenko. Es bleibt zu hoffen, dass er die Zeichen der Zeit endlich versteht und sich im Inte- resse der belarussischen Bürger für die längst überfälli- gen politischen Reformen entscheidet. Stefan Liebich (DIE LINKE): Seit unserer letzten Debatte über die Situation in Belarus nach den Wahlen vom Dezember 2010 haben sich in den entscheidenden Kritikpunkten gegenüber der belarussischen Politik keine nennenswert positiven Entwicklungen ergeben. Dass die Anklagepunkte gegenüber den aus unserer Sicht politisch motiviert verurteilten demokratischen Kräften teilweise herabgestuft wurden oder dass die Be- hörden in Visafragen teilweise mit der OSZE kooperier- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 13205 (A) (C) (D)(B) ten, kann die nach wie vor kritikwürdige Gesamtsitua- tion nicht relativieren. Im Kern bleibt es dabei, dass friedlich demonstrie- rende demokratische Kräfte politisch motivierter Straf- verfolgung ausgesetzt sind, dass ehemalige Präsident- schaftskandidaten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, dass Angst vor dem Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes bei Anhängern oppositioneller Kräfte be- steht. Die Linke fordert die Freilassung der nach den De- zemberwahlen politisch motiviert Verhafteten und Ver- urteilten. Ich bedaure, dass sich auch in einigen weiteren Fra- gen keine konstruktive Lösung ergeben hat. Das OSZE- Büro in Minsk hätte, wie die Entwicklungen der letzten Monate und die noch relevanten Fragen seines Arbeits- gegenstandes zeigen, durchaus weiter sinnvolle Arbeit im Interesse des Landes und im Interesse guter interna- tionaler Zusammenarbeit leisten können. Dass die wei- tere Arbeit durch die belarussische Seite nicht ermög- licht wurde, ist bedauerlich und wirft ein fragwürdiges Licht auf die dahinter stehenden Intentionen. Einige schwierige Punkte im Dialog sind noch hinzu- gekommen. Die Vorwürfe über Folter und erniedrigende Behandlung in KGB-Gefängnissen müssen untersucht werden. Und eine ungehinderte Arbeit des nach dem Moskauer Mechanismus ausgewählten OSZE-Experten ist unbedingt erforderlich. Ich betone noch einmal, dass Deutschland aus unserer Sicht ein Interesse an guter Kooperation mit Belarus hat. Dieses große Land gehört zu Europa, ist Nachbar der Europäischen Union, Wirtschaftspartner und könnte eine Brücke hin zu Russland bilden. Die Menschen in Bela- rus haben ein Recht auf ihre eigenen Entscheidungen über die Entwicklungen in ihrem Land. Die müssen sie aber auch frei treffen können. In diesem Zusammenhang ist leider klar, dass Belarus derzeit die Standards der OSZE, die es wiederholt anerkannt hat, selbst im Lande nicht verwirklicht. Nach etwas hoffnungsvollen Ent- wicklungen im Vorfeld der Wahlen sind hier leider pro- blematische Rückschritte zu verzeichnen. Die Linksfrak- tion ist solidarisch mit jenen, die sich gegen Repression richten, die um politische Freiheiten ringen und sich da- bei auf anerkannte internationale Standards berufen kön- nen. Zu Ihrem Antrag: Er ist stark in der Kritik und formu- liert ein wenig Interesse am Dialog. Letzteres ist uns aber auch sehr wichtig. Durch eine zugeschlagene Tür verhandelt es sich schlecht. Ein kleines Problem besteht in der Formulierung am Ende des Feststellungsteils des vorliegenden Antrages, in dem auch auf die EU verwie- sen wird. Wir sollten uns doch darüber einig sein, dass wir von anderen Staaten zwar viel erwarten können, aber nur das konsequent einfordern sollten, was sie auch rechtlich anerkannt haben. Und das betrifft eben die OSZE-Standards und nicht die der EU. Schließlich bleiben wir bei unserer skeptischen Hal- tung zu Sanktionen, die im letzten Bundestagsbeschluss als Option enthalten waren. Wir sehen darin keinen sinn- vollen Beitrag, gleichermaßen Einfluss auf die belarussi- sche Regierung zu nehmen und zugleich die Bevölke- rung von Schaden freizuhalten. Lassen Sie mich zum Schluss eine generell kritische Bemerkung machen. Ich kann Ihnen die Verfahrenskritik nicht ersparen. Seit Monaten besteht hier im Hause große Einigkeit in der Kritik am Agieren der Lukaschenko-Administration, in der Unterstützung der politisch Verfolgten und in dem Einfordern rechtsstaatli- cher und Menschenrechtsstandards. Es bleibt absurd, die Linksfraktion dennoch aus gemeinsamen Anträgen he- rauszuhalten. Das ist kein Vorbild für demokratisches parlamentarisches Agieren, das ist kein Dienst an den Betroffenen, das ist kein Beitrag für ein angemessenes Auftreten des Deutschen Bundestages in internationalen Fragen. Die Ausgrenzung der Linken bleibt kleinkarier- tes und peinliches Agieren der Konservativen und ein Duckmäusertum bei Sozialdemokraten und Grünen, die dieses unwürdige Spiel wieder und wieder mitmachen. Dessen ungeachtet geht es uns um die Sache, um die Freiheit von Demokratinnen und Demokraten in Bela- rus. Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Antrag zu. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Situation in Belarus ist weiterhin un- fassbar dramatisch, und deswegen ist es wichtig, dass wir uns im Deutschen Bundestag erneut mit dem Thema befassen. Am vergangenen Freitag traf ich Dr. Irina Bogdanowa, für deren Bruder Andrej Sannikow ich die Patenschaft übernommen habe. Frau Bogdanowa hatte sich bis zum 19. Dezember 2010 aus der Politik heraus- gehalten. Sie war auch von ihrem Bruder Andrej zu ih- rem eigenen Schutz herausgehalten worden. Durch die Ereignisse des 19. Dezember wurde sie jedoch plötzlich hineinkatapultiert in die Solidaritätsarbeit. Seitdem en- gagiert sie sich intensiv für die zahlreichen politischen Häftlinge, unter denen sich auch ihr Bruder befindet. Sie beklagt sich, dass bei zivilgesellschaftlichen Grup- pen die versprochen EU-Finanzhilfen nicht greifen. Das gilt insbesondere auch für die Gruppen, die nicht in Bela- rus, sondern im Ausland politische Arbeit machen. Hier müssen wir und hier muss die EU das Angebot an Hilfs- geldern deutlich verbessern. Eine schnellere, unbürokra- tische und effektivere Vergabe von Mitteln scheint drin- gend notwendig. Die Schicksale der einzelnen Gefangenen, die sie mir geschildert hat, sind kaum zu fassen. Zum Teil sitzen blutjunge Menschen in Tbc- und HIV-verseuchten Zuchthäusern und Lagern des Lukaschenko-Regimes ein. Dort werden sie erniedrigt und gequält. Einer von ihnen ist der erst 21 Jahre alte Mikita Lichawid. Er wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, nur weil er sein Recht auf gewaltlose Demonstration wahrgenom- men hat. Gelandet ist er im Lager in Novopolotsk. Die Stadt ist Standort einer Erdölraffinerie und die Gefäng- nisinsassen leiden – wie die Bewohner – unter den gifti- gen Dämpfen der Fabrik. Der junge Nikita Lichawid weigert sich bis heute, sich schuldig im Sinne der An- klage zu bekennen. Mutig beharrt er darauf, nur von sei- 13206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 (A) (C) (D)(B) nen Grundrechten Demonstrations- und Versammlungs- freiheit Gebrauch gemacht zu haben. Wegen dieser Haltung wird er von der Anstaltsleitung und den Wärtern schikaniert. Er landete bereits zweimal in Einzelhaft, einmal für zehn, einmal für fünfzehn Tage. Auch seinen 21. Geburtstag musste er in einer Einzelzelle verbringen. Seine Mutter durfte ihn in den vergangenen drei Mona- ten ein einziges Mal besuchen und war erschüttert über seinen schlechten körperlichen Zustand. Leider ist Nikita Lichawid kein Einzelfall. Wir wissen von Andrej Sannikow, Ales Michalewitsch und anderen Häftlingen, die misshandelt und gefoltert wurden. Dmitry Bandarenka, einem engen Mitarbeiter von Andrej Sannikow, wird trotz mehrfacher Bandscheiben- vorfälle die medizinische Versorgung verweigert. Ihm droht, für immer gelähmt zu sein. Es ist zu befürchten, dass diese Schicksale nur die Spitze des Eisbergs zeigen, immerhin schmoren seit dem 19. Dezember immer noch mehr als 30 Oppositionelle in Haft, unter ihnen fünf Prä- sidentschaftskandidaten, die zu Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren verurteilt wurden. Deswegen muss weiterhin gelten: Die Freilassung der politischen Häftlinge muss die Vorbedingung für jegli- Es könne keine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Weißrussland geben, so- lange Oppositionelle im Gefängnis säßen oder unter Hausarrest gestellt würden und solange in Belarus eklatante Menschenrechtsverletzungen an der Ta- gesordnung seien. Dies muss die Prämisse unserer Politik sein, und wir dürfen hier keinen Millimeter nachgeben. Das sind wir den politischen Gefangenen und ihren Angehörigen schuldig. Ich möchte an dieser Stelle nicht die aktuell immer dramatischer werdende wirtschaftliche Lage Weißruss- lands außer Acht lassen. Die brenzlige finanzielle Ent- wicklung, die rasende Inflation und der drohende Staats- bankrott bringen nun Alexander Lukaschenko dazu, den IWF um Kredite zu bitten. Auch wenn der IWF nicht ex- plizit politisch, sondern ökonomisch ausgerichtet ist, ist es kaum vorstellbar, dass wir einen Diktator, der bru- talste Menschenrechtsverletzungen begeht, mit Steuer- geldern stützen. Aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten erscheint eine Mittelvergabe an Lukaschenko vollkommen absurd. Schließlich hatte die- che Überlegung zur Wiederaufnahme eines Dialogs mit dem autoritären Regime in Minsk sein. Der Westen muss hier standhaft bleiben. Das fordern auch die Inhaftierten selbst; denn sie wollen nicht von Lukaschenko als Gei- seln beziehungsweise als Verhandlungsmasse miss- braucht werden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir diese Forderung in unserem gemeinsamen Antrag auch in dieser Klarheit formuliert hätten. Schließlich entspricht diese Haltung auch der der Bundesregierung. So forderte Regierungs- sprecher Steffen Seibert am 14. Mai 2011 im Namen der Bundesregierung die sofortige Freilassung aller Gefan- genen und stellte anschließend klar – ich zitiere –: Offsetdruc sellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Kö ser im Vorfeld der Wahlen die Mindestlöhne um 50 Pro- zent heraufgesetzt und die Gehälter der Staatsdiener drastisch erhöht. Das bedeutet nicht nur, dass jegliches Geld, das Lukaschenko in die Hand gegeben wird, allein der Stabilisierung seines diktatorischen Regimes dient, sondern auch, dass ein derartiges Verteilen von Wahlge- schenken das genaue Gegenteil einer soliden Haushalts- politik darstellt, die ein wichtiges Kriterium für die Mittelvergabe des IWF bildet. Deutschland sollte sich innerhalb des IWF einer Vergabe von Mitteln so lang entgegenstellen, bis neben der Erfüllung der ökonomi- schen Erfordernisse politische Freiheiten wieder einge- führt werden und die Häftlinge freigekommen sind. kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 ln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 114. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2011 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Patrick Döring


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Der uns vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/

    Die Grünen mag den redlichen Ansatz verfolgen, die
    Durchsetzung der Rechte von Reisenden in Deutschland
    zu verbessern. Doch wie bei so vielem gilt auch hier:
    Der Teufel steckt im Detail. Lassen Sie mich daher nur
    kurz auf zwei kleine, jedoch nicht minder wichtige
    Punkte eingehen.

    Der erste Punkt ist die Datenbasis. Entgegen der An-
    nahme meines geschätzen Kollegen Tressel haben wir
    mit der Deutschen Flugsicherung, DFS, und dem Cen-
    tral Office for Delay Analysis, CODA, einer Abteilung
    von Eurocontrol, längst Institutionen, die uns Monat für
    Monat umfangsreichstes Datenmaterial zur Verfügung
    stellen. Auf Grundlage der Meldungen von Piloten, die
    jede Verspätung einer von 76 möglichen Ursachen zu-
    Zu Protokoll
    ordnen und an die Flugsicherung melden müssen, wird
    in Europa jede einzelne Abweichung vom geplanten
    Flugablauf minutengenau erfasst. Vor diesem Hinter-
    grung erschließt es sich mir nicht, warum wir darüber
    hinaus noch eine weitere, rein nationale Statistik brau-
    chen sollten.

    Ich gebe allerdings zu: Wirft man einen ersten, flüch-
    tigen Blick in diese Daten, so könnte man den Eindruck
    erhalten, die Anzahl der Verspätungen und Annullierun-
    gen hätte in den vergangenen Jahren dramatisch zuge-
    nommen. Lag die durchschnittliche Verspätung aller in
    Europa startenden und landenden Flüge im Jahr 2009
    noch bei zehn Minuten, so schnellte sie binnen eines
    Jahres um 40 Prozent nach oben. Da die Fluggesell-
    schaften nach Angaben von Eurocontrol 2010 für jede
    zweite Verspätung verantwortlich waren, wäre es nun
    einfach, ihnen den Schwarzen Peter zuzuschieben, wie
    es vonseiten der Opposition auch gerne und häufig ge-
    tan wird. Völlig unberücksichtigt bleiben bei einer solch
    simplen Betrachtungsweise jedoch die durchaus kom-
    plexen Wirkungszusammenhänge.

    Denn die nähere Analyse der Daten zeigt, dass ein
    wesentlicher Teil der Verspätungen, die den Fluggesell-
    schaften zugerechnet werden, Folgeverspätungen sind.
    Dabei wird allerdings nicht danach unterschieden, wel-
    chen Grund die ursprüngliche Verspätung hat. Es kön-
    nen sowohl endogene Faktoren, etwa Verzögerungen im
    Betriebsablauf oder technische Probleme am Flugzeuge
    auf die die Fluggesellschaften mehr oder minder direk-
    ten Einfluss haben, wie auch exogene Faktoren sein. Für
    das Jahr 2010 sind hier insbesondere die massiven Ar-
    beitskampfmaßnahmen der Fluglotsen in Europa und
    das schlechte Wetter zu Beginn und zum Ende des Jahres
    2010 zu nennen. Folglich müssen die in Deutschland
    dargestellten Verspätungen weder zwangsläufig hier
    entstanden sein, noch in der Verantwortung der Flugge-
    sellschaften liegen.

    Würde man, wie im Antrag gefordert, nun eine wei-
    tere Differenzierung anstreben, würden sich für die Luft-
    verkehrswirtschaft zusätzliche Informationspflichten
    ergeben, die sicherlich nicht dem Ziel des Bürokratieab-
    baus dienen.

    Darüber hinaus sei angemerkt, dass über 90 Prozent
    aller Flüge in Deutschland verzögerungsfrei ihr Ziel er-
    reichten – bei rund 1,7 Millionen gewerblichen Flügen
    und circa 160 Millionen beförderten Passagieren im
    Jahr eine aus meiner Sicht durchaus beeindruckende
    Leistung.

    Der zweite Punkte der aus Sicht der FDP-Bundes-
    tagsfraktion stets wachsam und kritisch begleitet werden
    sollte, ist die Durchsetzung der Verbraucherrechte. Wie
    im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP ver-
    einbart, werden wir hierzu eine unabhängige und ver-
    kehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle einrichten.
    Derzeit finden noch letzte Abstimmungsgespräche zwi-
    schen den verschiedenen Facheben statt, doch ich bin
    zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr einen kon-
    sensfähigen Vorschlag auf den Tisch legen werden, der
    allen Interessen gerecht wird – denen der Verbraucher



    gegebene Reden

    Patrick Döring


    (A) (C)



    (D)(B)

    und denen der Industrie. Einen Schlichtungszwang leh-
    nen wir jedoch ab.

    Generell halte ich es daher für sinnvoll, zunächst
    nach schlanken und praxisnahen Lösungen zu suchen,
    um die berechtigten Verbraucherinteressen durchzuset-
    zen, anstatt durch einen weiteren Wust an Daten und In-
    formationen Bürger wie auch Wirtschaft zusätzlich zu
    belasten.



Rede von Herbert Behrens
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

Die Linke im Bundestag unterstützt den Antrag der

Grünen. Wir sehen ihn als Ergänzung zu unserem eige-
nen Antrag „Fluggastrechte stärken“. Die fehlende
Durchsetzung von Passagierrechten im Luftverkehr
stellt immer noch ein Problem dar, das gelöst werden
muss. In der Koalitionsvereinbarung der Bundesregie-
rung war noch die Rede von einer „Einrichtung einer
unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die
Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff“. Sie exis-
tiert bis heute nur auf dem Papier, obgleich täglich Hun-
derte von Passagieren Anspruch auf Entschädigung,
Ausgleich oder sonstige Leistungen haben.

Das Luftfahrt-Bundesamt ist in Deutschland offizielle
Durchsetzungs- und Beschwerdestelle für die Rechte der
Fluggäste. Nach unserer Auffassung kommt das Amt sei-
ner Aufgabe nicht genügend nach. Beschwerden nimmt
das LBA zwar entgegen, aber nachgewiesene Verstöße
werden selten ordnungsrechtlich gegenüber den Unter-
nehmen verfolgt.

Auch im Fall des Vulkanausbruchs Eyjafjallajökull
2010 sind die europäischen und deutschen Fluggesell-
schaften ihren Zahlungsverpflichtungen nur zögernd
und nicht zufriedenstellend nachgekommen. Klagen zum
Beispiel gegen Air Berlin sind anhängig. Ein Passagier,
der ein Problem mit einem konkreten Flug hat, ist heute
in Deutschland der Willkür der Fluggesellschaften aus-
geliefert, weil Beschwerden abgewiesen werden und ge-
rechtfertigte Ansprüche eingeklagt werden müssen. So
stellt sich die Linke Mobilität nicht vor. Gerechtigkeit
und Teilhabe müssen auch in der Mitte der Gesellschaft
möglich sein. Es kann nicht angehen, dass man bei Flug-
buchungen eine Rechtsschutzversicherung mit abschlie-
ßen muss.

Selbstverständlich ist eine genaue statistische Erhe-
bung der Verspätungen, Annullierungen, Fälle der Nicht-
beförderung und Herabstufung im Hinblick auf die Flug-
gastrechteverordnungen dringend erforderlich. Die
Ergebnisse dieser Evaluation sollten regelmäßig offen-
gelegt werden. Allerdings reicht eine solche Evaluierung
allein bei weitem nicht aus. Die Linke fordert die Einfüh-
rung einer verbindlichen, unabhängigen und verkehrs-
trägerübergreifenden Schlichtungsstelle. Eine Anbin-
dung an die bestehende Schiedsstelle öffentlicher
Personenverkehr ist denkbar, da oft mehrere Verkehrs-
träger Gegenstand einer Beschwerde sind. Eine Schlich-
tungsstelle, die allein von den Fluggesellschaften finan-
ziert und getragen wird, für deren Tätigwerden der
Fluggast erst einmal 50 Euro Eigenbeteiligung zahlen
muss, lehnen wir ab.
Zu Protokoll
Mobilität muss ökologisch, sozial gerecht, barriere-
frei und demokratisch sein. Mit der Evaluation von Be-
schwerden im Luftverkehrsbereich beschreiten wir den
richtigen Weg.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Markus Tressel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Passend zur gestrigen Debatte in den Ausschüssen

    über die Mitteilung der Europäischen Kommission zur
    Fluggastrechteverordnung haben wir heute diesen An-
    trag im Plenum. Wenn Sie mich fragen: Das war eine
    schallende Ohrfeige für die Bundesregierung. Selten
    habe ich in einem offiziellen Papier der EU-Kommission
    so deutliche Kritik gelesen. Das will ich Ihnen auch an
    einigen Punkten verdeutlichen. Sanktionen seien „nicht
    wirksam, verhältnismäßig und abschreckend genug“.
    Die Durchsetzung erfolge „zu komplex, zu langsam oder
    praktisch gar nicht“, heißt es wenig später. Die nationa-
    len Durchsetzungsstellen seien „nicht in der Lage, eine
    immer größer werdende Zahl von Beschwerden inner-
    halb einer angemessenen Frist ordnungsgemäß zu bear-
    beiten“. Deshalb werden beispielsweise kollektive
    Rechtsmittel und Schlichtungsstellen gefordert. Auch
    dieser Antrag von uns lag Ihnen bereits vor.

    Aber das ist ja noch lange nicht genug: In Antworten
    auf zahlreiche Kleine Anfragen stellte die Bundesregie-
    rung erstaunlicherweise fest, dass Parameter wie Ver-
    spätungen, Annullierungen und Nichtbeförderung gar
    nicht erhoben würden. Die Zahlen sind sehr wohl vor-
    handen und werden bisher allein aus betriebswirtschaft-
    lichen Gründen erhoben. So hat jede Airline, jeder Flug-
    hafen und auch die Deutsche Flugsicherung diese
    Daten. Selbst die Auskunft erteilende Behörde, das LBA,
    hat Statistiken, die beispielsweise Piloten einsehen kön-
    nen.

    Das Problem: Das LBA bewertet lediglich die einge-
    henden Beschwerden. Dabei wissen wir doch alle: Die
    Beschwerden bilden nur einen Bruchteil des Problems.
    Denn: Welcher Fluggast kennt die Funktion des LBA?
    Nur 23 Prozent der Passagiere haben überhaupt einmal
    von der Fluggastrechteverordnung“ gehört. Wer von de-
    nen wendet sich bei einem Problem an das LBA? 86 Pro-
    zent der Passagiere geben an, durch die Fluggesell-
    schaften nicht informiert zu werden. Wir alle haben das
    schon einmal erfahren. Was schlägt die Europäische
    Kommission neben einer besseren Aufklärung der Flug-
    passagiere vor? Ich zitiere einmal wieder aus meiner
    Lieblingslektüre der vergangen Tage:

    Die Verordnung würde größere Wirkung erzielen,

    (unter Einhaltung der Richtlinie 95/46/EG)

    zungsstellen mehr Informationen übermitteln wür-
    den, die für die Veröffentlichung von Informationen
    bezüglich zum Beispiel Pünktlichkeit, Zahl der von
    Störungen betroffenen Flüge und angewendeten
    Maßnahmen in Bezug auf Fluggastrechte hilfreich
    sind.

    Wir haben deshalb die laut Bundesregierung angeb-
    lich „nicht erhobenen“ Daten akquiriert und für
    Deutschland auswerten lassen. Dabei sind wir auf eine
    Dimension gestoßen, die zeigt, wie groß die Diskrepanz



    gegebene Reden

    Markus Tressel


    (A) (C)



    (D)(B)

    zwischen Rechtsanspruch und Rechtsdurchsetzung für
    die Verbraucherinnen und Verbraucher ist. So sehr die
    einzelnen Verordnungen auch zu kritisieren sind, das
    Problem liegt keineswegs auf europäischer Ebene. Das
    Problem sind die Durchsetzungsstellen; in Deutschland
    also das LBA und damit eine Behörde des Verkehrs-
    ministeriums.

    Solange hier keine offiziellen Daten gegenüber ent-
    sprechenden Tatbeständen, wie Verspätungen und An-
    nullierungen etc., vorliegen, die die Probleme in der
    Umsetzung der einzelnen Verordnungen verdeutlichen,
    wird hier auch kein Problembewusstsein entstehen. Eine
    Evaluation dieser Daten ist letztlich der nächste Schritt
    in einer konsequenten Rechtsdurchsetzung. Bislang gilt
    beim BMVBS die Devise: keine Rechtsgrundlage für Sta-
    tistiken, keine Daten, kein Problem. Aus den Antworten,
    die wir bislang erhalten haben, kann man nur eines fol-
    gern: Die Bundesregierung und allen voran Staatssekre-
    tär Mücke und Minister Ramsauer scheren sich nicht um
    Verbraucherrechte im Reisebereich. Einzig im Verbrau-
    cherministerium ist noch ein zartes Aufbegehren vor-
    handen, welches regelmäßig von Ramsauer und
    Leutheusser-Schnarrenberger im Keim erstickt wird.

    Die Rechtsdurchsetzung wird nicht allein durch Sta-
    tistiken besser. Die bestehenden Probleme zwischen
    Norm und Praxis werden jedoch offensichtlich. Das wol-
    len wir mit dem vorliegenden Antrag ändern. Eine Eva-
    luation mit entsprechenden Lösungsansätzen darf man
    von den Fachbehörden durchaus erwarten. Die Passivi-
    tät, die die Antworten der Bundesregierung zeigen, ist
    absolut unangemessen.

    Die ungenaue oder irreführende Information der
    Fluggäste durch Vertragsbedingungen der Luft-
    fahrtunternehmen, durch deren allgemeine Infor-
    mationen in Werbung und Presseerklärungen und
    durch spezifische Angaben in ihren Antworten auf
    Fluggastansprüche

    – lieber Herr Ramsauer –

    stellt ein erhebliches Übel dar, das in jedem Fall
    geahndet werden sollte, auch wenn keine entspre-
    chenden Beschwerden eingelegt wurden.

    Herr Ramsauer, Sie sollten sich einmal überlegen, ob
    Sie und Ihre Behörde weiter an Ihrer Lobbypolitik fest-
    halten wollen. Die Rechtsdurchsetzung ist nationale An-
    gelegenheit und nicht die der EU.

    Der vorliegende Antrag bedeutet letztlich nur eine
    Anpassung der Rechtslage an den ohnehin zu erfüllen-
    den Anspruch. Selten bedeutet ein Antrag so wenig
    Mehraufwand für Behörden bei so viel mehr Erfolg.
    Man könnte also von einer optimalen Kosten-Nutzen-
    Bilanz sprechen. Die Beschlussempfehlung, diesen An-
    trag abzulehnen, ist nicht nachvollziehbar. Wenn in den
    Ausschüssen Kolleginnen und Kollegen der Koalition
    das Gleiche beklagen, jetzt aber gegen unseren Antrag
    stimmen, ist das noch unverständlicher. Reisende wür-
    den Ihnen eine Zustimmung danken.
    Zu Protokoll