Anlage 11
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12111
        (A) )
        )(B)
        kohlebergwerke einen Stilllegungsplan und einen kon-
        ferecht bei der EU-Kommission in Brüssel zu erwirken,
        folgte ein schlechter Kompromiss, nachdem nun die Re-
        visionsklausel ersatzlos gestrichen werden soll. Damit
        müssen die wenigen noch bestehenden deutschen Stein-
        DIE GRÜNEN
        Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Anlage 1
        Liste der entschuldigte
        *
        A
        B
        k
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Arnold, Rainer SPD 14.04.2011
        Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Becker, Dirk SPD 14.04.2011
        Binding (Heidelberg),
        Lothar
        SPD 14.04.2011
        Bonde, Alexander BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Brinkmann (Hildesheim),
        Bernhard
        SPD 14.04.2011
        Dr. Danckert, Peter SPD 14.04.2011
        Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Friedhoff, Paul K. FDP 14.04.2011
        Friedrich, Peter SPD 14.04.2011
        Gerster, Martin SPD 14.04.2011
        Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Kampeter, Steffen CDU/CSU 14.04.2011
        Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        Lange (Backnang),
        Christian
        SPD 14.04.2011
        Leutert, Michael DIE LINKE 14.04.2011
        Möller, Kornelia DIE LINKE 14.04.2011
        Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ 14.04.2011
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        n Abgeordneten
        für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
        lung des Europarates
        nlage 2
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Änderung des Steinkohlefinanzierungs-
        gesetzes (Tagesordnungspunkt 18)
        Michael Groß (SPD): Nach den Versäumnissen der
        undesregierung, rechtzeitig für den deutschen Stein-
        ohlebergbau eine Regulierung im europäischen Beihil-
        oth (Esslingen), Karin SPD 14.04.2011
        r. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 14.04.2011
        chmidt (Eisleben),
        Silvia
        SPD 14.04.2011
        chuster, Marina FDP 14.04.2011*
        üßmair, Alexander DIE LINKE 14.04.2011
        r. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        lrich, Alexander DIE LINKE 14.04.2011
        agner, Daniela BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        einberg, Harald DIE LINKE 14.04.2011
        ellmann, Karl-Georg CDU/CSU 14.04.2011*
        erner, Katrin DIE LINKE 14.04.2011*
        r. Westerwelle, Guido FDP 14.04.2011
        inkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        14.04.2011
        olff (Wolmirstedt),
        Waltraud
        SPD 14.04.2011
        bgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        12112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        kreten Stilllegungszeitpunkt vorlegen, damit weiterhin
        Beihilfen gewährt werden können. Mit der jetzigen Lö-
        sung der derzeitigen Regierungspolitik müssen Stein-
        kohlebergwerke nicht nur rentabel und beihilfefrei arbei-
        ten wie andere Unternehmen, sondern sind zusätzlich
        verpflichtet, die Beihilfen aus den vergangenen Jahren
        zurückzuzahlen.
        Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass ange-
        sichts weltweiter Rohstoffknappheit, steigenden Ener-
        giebedarfs und des Ausstiegs aus der Atomkraft in
        Deutschland die Rentabilität deutscher Steinkohleberg-
        werke durchaus in naher Zukunft realistisch sein kann.
        Die deutschen Bergbaumaschinentechnologie ist welt-
        marktführend und genießt hohes internationales Anse-
        hen. Der Technologieexport kann einen sinnvollen Bei-
        trag zur Wirtschaftlichkeit unserer Steinkohlebergwerke
        leisten. Die Sicherheitsstandards sind weltweit vorbild-
        lich.
        Die heimische Steinkohleförderung liegt zurzeit bei
        23 Prozent des bundesweiten Verbrauchs. Zukünftig
        wird dieser Bedarf ausschließlich durch Importkohle ge-
        deckt werden, die über weite klimaschädliche Transport-
        wege nach Deutschland gelangt, Kohle, die billiger auf
        den Markt gelangt, da sie in vielen Förderländern unter
        menschenunwürdigen und unsicheren Lebens- und Ar-
        beitsbedingungen gefördert wird. Die heimische Stein-
        kohle weist Lagerstätten hochwertiger Kokskohle auf. In
        der Stahlerzeugung ist Kokskohle nicht zu substituieren.
        Etwa 18 Prozent des deutschen Stroms wird mit Stein-
        kohle produziert. Als Brücke in das Zeitalter der erneu-
        erbaren Energien sind hocheffiziente, lastflexible Kohle-
        kraftwerke derzeit nicht verzichtbar, bis die Maßnahmen
        zu Energieeffizienz greifen und der Strombedarf aus er-
        neuerbaren Energien vollständig abdeckt wird.
        Im Bergbau und in der Wertschöpfungskette des Stein-
        kohlebergbaus bestehen mehr als 10 000 Arbeitsplätze
        und kaum ersetzbare Ausbildungsplätze, hauptsächlich
        im Kreis Recklinghausen, die jetzt infrage gestellt sind.
        Die Änderung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes wird
        automatisch zu massiven weiteren sozial- und arbeits-
        marktpolitischen Verwerfungen im Kreis Recklinghau-
        sen führen.
        Dieter Jasper (CDU/CSU): Ich erkläre hiermit, dass
        ich dem Gesetz zur Änderung des Steinkohlefinanzie-
        rungsgesetzes in der vorliegenden Form nicht zustimme.
        Dies möchte ich folgendermaßen begründen:
        Mit dem heutigen Gesetzentwurf erfüllt die christlich-
        liberale Koalition eine normative Voraussetzung, damit
        aus europäischer Sicht in Deutschland ein subventionier-
        ter Steinkohlenbergbau bis ins Jahr 2018 ermöglicht
        wird und sichergestellt werden kann. Inhaltlich bedeutet
        dieser Gesetzentwurf, dass die sogenannte Revisions-
        klausel ersatzlos gestrichen wird.
        Zum Hintergrund:
        Im Jahr 2007 wurde eine kohlepolitische Verständi-
        gung getroffen, in der die Bundesregierung, das Land
        NRW, das Saarland, die RAG und die IGBCE den sozial-
        verträglichen und geordneten Ausstieg aus dem subven-
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        onierten Steinkohlebergbau bis zum Jahr 2018 regelten.
        iese Vereinbarung beinhaltete auch die sogenannte Re-
        isionsklausel, die festlegte, dass dieser Beschluss im
        ahr 2012 noch einmal überprüft werden sollte. Völlig
        berraschend forderte die Europäische Kommission im
        tzten Jahr einen früheren Ausstieg aus der Kohleförde-
        ng bis zum Jahr 2014.
        Dies hätte für Deutschland und gerade auch für meine
        eimatregion dramatische wirtschaftliche und soziale
        onsequenzen gehabt. In Ibbenbüren im Tecklenburger
        and liegt eine der letzten Steinkohlenzechen in Deutsch-
        nd. Hier wird schon seit langer Zeit hochwertige An-
        razitkohle gefördert. Diese wird zu einem großen Teil
        direkt anliegenden hocheffizienten Kohlekraftwerk
        erfeuert und zum anderen Teil für den regionalen Wär-
        emarkt verwendet.
        Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Berg-
        aus für die Stadt Ibbenbüren und die umliegenden Berg-
        augemeinden Mettingen, Recke, Hopsten, Hörstel und
        esterkappeln ist enorm. In der Bevölkerung und über
        lle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg herrscht
        ine hohe Akzeptanz. Im Bergbau sind derzeit direkt über
        300 Menschen beschäftigt, im Bereich der Zulieferbe-
        iebe sind im Laufe der Zeit mehrere Tausend Arbeits-
        lätze entstanden. Auch im Bereich der Ausbildung leis-
        t die Zeche ganz hervorragende und unverzichtbare
        rbeit.
        Als der Vorschlag der EU-Kommission bekannt wurde,
        hrte dies natürlich zu großer Unruhe und Irritation in
        nserer Region. Ein Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau
        ereits im Jahr 2014 hätte dazu geführt, dass es zu be-
        iebsbedingten Kündigungen gekommen wäre und auch
        onst massive wirtschaftliche und soziale Probleme ent-
        tanden wären.
        In dieser Situation habe ich mich unmittelbar an un-
        ere Bundeskanzlerin gewandt und um Hilfe und Unter-
        tützung gebeten. Unter Einsatz aller Kräfte und durch
        tkräftige Unterstützung des Parlamentarischen Staats-
        ekretärs Peter Hintze konnte erreicht werden, dass der
        eschluss der EU revidiert wurde. Die Unterstützung
        er heimischen Steinkohlenförderung bis ins Jahr 2018
        urde unter bestimmten Bedingungen auf europäischer
        bene akzeptiert.
        Eine dieser Bedingungen für die notwendige europäi-
        che Regelung war, dass die Revisionsklausel aus dem
        ationalen Gesetz gestrichen und der Ausstieg somit un-
        mkehrbar gemacht wird. Dieser Forderung wird mit
        em heutigen Gesetzentwurf Genüge getan. Aus euro-
        äischer Sicht darf es nach 2018 keinen subventionierten
        teinkohlenbergbau in Deutschland mehr geben, sodass
        s auch keiner weiteren Prüfung im Jahr 2012 bedarf.
        Hier handelt die christlich-liberale Regierungskoali-
        on konsequent und richtig, da es an vorderster Stelle
        arum geht, die auf europäischer Ebene gefundene Eini-
        ung nicht zu gefährden, die nur unter größten Mühen
        efunden werden konnte.
        Für mich persönlich stellt sich die Situation aber et-
        as komplexer dar: Die Revisionsklausel ist juristisch
        berflüssig geworden, und ihre Streichung dient dem
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12113
        (A) )
        )(B)
        Zweck der Bestandssicherung auch des Steinkohlen-
        bergbaus bei uns im Tecklenburger Land. Politisch ge-
        hört sie aber meines Erachtens auf die Tagesordnung der
        zukünftigen Energiepolitik, und deshalb kann ich einer
        Streichung nicht zustimmen.
        Ich möchte ein deutliches Signal setzen, dass die Zu-
        kunftschancen der Steinkohle nicht nur jetzt, sondern
        auch nach 2018 erkannt und genutzt werden müssen.
        Dazu müssen wir die weitere Entwicklung im Fokus ha-
        ben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die heimi-
        sche Steinkohle weiterhin als nationale Energiereserve
        benötigen und somit den Zugang zu den Lagerstätten er-
        halten sollten.
        In einem zukunftsorientierten Energiemix brauchen
        wir neben den regenerativen Energien auch hochmo-
        derne und effiziente Kohlekraftwerke, in denen dann
        auch die heimische Steinkohle verströmt werden kann.
        Gerade jetzt, wo alle möglichen Energieformen auf
        dem Prüfstand stehen und wir uns fragen müssen, wie
        eine sichere und bezahlbare Energieversorgung für unser
        Land zukünftig gestaltet werden kann, dürfen wir uns
        diese Möglichkeit eines heimischen Energieträgers nicht
        verbauen.
        Grundsätzlich ist es richtig, die jetzt gefundene euro-
        päische Vereinbarung endgültig zu ratifizieren.
        Aber wir dürfen die weitere wirtschaftliche Entwick-
        lung nicht aus den Augen verlieren und müssen uns be-
        wusst sein, dass wir in unserem rohstoffarmen Land mit
        der Steinkohle einen der ganz wenigen grundlastfähigen
        Energieträger verfügbar haben. Diesen sollten wir nicht
        vorschnell aufgeben.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Prä-
        implantationsdiagnostik (PID)
        – Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zu-
        lassung der Präimplantationsdiagnostik (Prä-
        implantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)
        – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der
        Präimplantationsdiagnostik (Präimplanta-
        tionsdiagnostikgesetz – PräimpG)
        (Tagesordnungspunkt 3 a bis c)
        Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Angesichts der anspruchsvollen Debatte will ich nur
        kurz mit einigen Bemerkungen begründen, warum ich
        ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik ethisch und
        verfassungsrechtlich für geboten halte.
        In der Debatte wurden gewichtige Gesichtspunkte
        vorgetragen, wie zuvörderst der Wunsch der Eltern nach
        einem gesunden Kind oder die Gefahr eines Rutsch-
        bahneffektes, wenn wir die PID bei bestimmten Erb-
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        rankheiten zulassen. Gerade das Schicksal der betroffe-
        en Familien treibt uns alle um.
        Verfassungsrechtlich und ethisch muss aber meines
        rachtens der Schutz des menschlichen Lebens im Mit-
        lpunkt stehen und die Frage beurteilt werden, ob er
        gf. mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden muss.
        Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle ent-
        teht menschliches Leben und ist genetisch die Identität
        ines Menschen individuell festgelegt. Und jedes
        enschliche Leben ist zu schützen. Dies entspricht nicht
        ur christlicher Überzeugung, es entspricht – und darauf
        ommt es hier an – meines Erachtens der Logik der ers-
        n drei Artikel unserer Verfassung und der Logik der
        isherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        chtes hierzu.
        Oft wird ja die PID-Problematik mit der Abtreibung
        erglichen. Dies verbietet sich hier genauso wie bei der
        iskussion um embryonale Stammzellen. Die PID ist
        ie bewusste und gewollte künstliche Erzeugung von
        cht Embryonen zum Zwecke des Aussortierens und
        ein existenzieller Konflikt.
        In meiner Rede zur Stichtagsregelung für den Import
        mbryonaler Stammzellen hatte ich ausgeführt:
        Bei der Frage der Abtreibung steht das Leben der
        Mutter mit dem Leben des Kindes in einem direk-
        ten, unauflösbaren Konflikt. … Die Abtreibung
        bleibt auch nach dem Urteil des Bundesverfas-
        sungsgerichts zum § 218 StGB Unrecht, auch wenn
        sie nicht in jedem Fall strafrechtlich verfolgt wird.
        Das ist eine ganz klare ethische Linie. Lediglich bei
        den Instrumenten, also dabei, wie wir das menschli-
        che Leben in diesen Situationen schützen, hat das
        Bundesverfassungsgericht uns, dem Gesetzgeber,
        erlaubt, nicht in jedem Fall zum Mittel des Straf-
        rechts zu greifen.
        Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
        und die Vorgabe des Grundgesetzes sind klar. Beim
        Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungs-
        gericht uns als Gesetzgeber noch einmal ermahnt:
        Leben ist nicht gegen Leben abzuwägen; nicht ein-
        mal Leben, das wir dem Tod geweiht glauben, darf
        geopfert werden, um anderes menschliches Leben
        zu retten.
        Nun geht es aber bei der PID um eine Abwägung Le-
        en gegen Leben Es geht eben nicht um Paare, die ihren
        indern das Leid durch eine von ihnen vererbte Krank-
        eit ersparen. PID ist keine Diagnose, die eine Behand-
        ng zum Ziel hat. Sie wendet nicht Leid von Eltern oder
        rem Kind ab, sondern wendet das Kind selbst ab.
        Es geht um den Wunsch eines Paares oder einer Frau,
        in Kind zu bekommen, das bestimmte genetische Anla-
        en nicht aufweist. Es geht um den Wunsch und nicht
        as Recht auf ein Kind. Dieser Wunsch verdient unseren
        espekt, und die Situation der Betroffenen hat unser al-
        r Mitgefühl. Dieser Wunsch darf aber nicht um jeden
        reis realisiert werden, nicht um den Preis, dass mensch-
        ches Leben zur Disposition gestellt wird und Men-
        chen, die Abgeordneten, die Ärzte oder Mitglieder von
        12114 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        Ethikkommissionen darüber entscheiden, welches men-
        schliche Leben noch gelebt werden kann und welches
        nicht. Menschen dürfen sich nicht zum Richter über das
        Lebensrecht anderer aufschwingen. Wir dürfen nicht
        eine Debatte über lebenswertes und weniger lebenswer-
        tes Leben bekommen. Deshalb bin ich dafür, die PID ge-
        nerell nicht zuzulassen.
        Ich verkenne nicht, dass es im Antrag von Priska Hinz
        und René Röspel unter anderem um einen anderen An-
        satz geht. Man hat dort versucht, die PID auf nicht le-
        bensfähiges Leben zu beschränken. Gesetzgeberisch ist
        der Vorschlag meines Erachtens in dieser Hinsicht aber
        nicht ganz gelungen, und es erscheint mir auch nicht ge-
        klärt, ob diese Unterscheidung medizinisch so überhaupt
        möglich ist.
        Michael Brand (CDU/CSU): Weil wir heute eine
        Debatte über eine sehr zentrale Grundsatzfrage mit gro-
        ßem Engagement führen, muss es um Klarheit auch bei
        den Grundsätzen gehen. Die Argumente werden nach
        bestem Wissen und Gewissen vorgetragen.
        Dies tue ich heute in großer Klarheit und mit großem
        Engagement, weil wir doch alle um uns herum sehen,
        was sich aus einer sogenannten begrenzten Ausnahmere-
        gelung entwickeln kann. Wer sich heute mit Hinweis auf
        die derzeit noch nicht flächendeckenden Risiken in Eu-
        ropa optimistisch zeigt, der muss nur einen Blick in die
        Prospekte von Reproduktionskliniken mit der Darstel-
        lung von Wunschmerkmalen der gewünschten Kinder
        werfen. Dort erhält man einen Blick in die Zukunft, und
        es ist ein sehr skeptischer Blick.
        Es ist zweifelsfrei eine große Belastung, einen Kin-
        derwunsch nicht gefahrlos erfüllt zu bekommen. Es ist
        aber eine weit größere Belastung, ein Menschenleben
        abzutöten, weil es Risiken in sich birgt, und zwar solche,
        die entweder in dessen Lebenszyklus geheilt werden
        können oder teils gar nicht eintreten, während dieses Le-
        ben eben auch mit diesen Merkmalen ein ebenso wert-
        volles ist wie das eines jeden Einzelnen von uns.
        Wir sprechen bei der PID über jährlich 200 bis
        300 Fälle bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen.
        Wollen wir einen Grundpfeiler des Schutzes für
        menschliches Leben für Millionen von ungeborenen
        Kindern aufweichen, hier sozusagen als Einfallstor für
        die Selektion menschlichen Lebens, mit dem Risiko,
        dass dies schwere Folgen hinsichtlich einer weiteren
        Verschlechterung des Schutzes von menschlichem Le-
        ben bedeuten kann? Finden wir keine anderen Optionen,
        zum Beispiel die Erleichterung von Adoptionen, Hilfe
        für Menschen mit Behinderung, psychologische Hilfe
        und weitere Ansätze, um diesem Personenkreis zu hel-
        fen, eben ohne die Büchse der Pandora zu öffnen, mit al-
        len großen Risiken?
        Es wird hier immer wieder verlangt, das medizinisch
        Mögliche zu unternehmen. Ja, es stimmt, und das gehört
        zu einer modernen und menschlichen Gesellschaft: Wir
        wollen, wir sollten das medizinisch Mögliche ermögli-
        chen. Aber nie, ich wiederhole: nie dürfen wir das mora-
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        sch-ethisch Unmögliche nur deshalb möglich machen,
        eil es inzwischen medizinisch möglich geworden ist.
        Dabei geht es nicht nur um den Druck auf die Frauen,
        ich vor einem möglicherweise behinderten Kind durch
        essen Selektion zu schützen – übrigens oftmals unter
        anften oder auch massiven Druck gesetzt aus dem eige-
        en Umfeld oder auch vom Partner. Das gilt auch für den
        echtfertigungsdruck nach der Geburt eines behinderten
        indes.
        Es geht auch um die Frage, ob wir unsere Kinderwün-
        che über alles stellen und dabei noch die Kinder nach
        ewünschten Eigenschaften auswählen. Niemand ver-
        ennt das Leid von Eltern. Unser Respekt, unsere Zunei-
        ung geht aber auch zu den Eltern, die sich ihrer Kinder
        o annehmen, wie diese Kinder sind, die sie im echten
        inne bedingungslos, das heißt ohne Anspruch auf Voll-
        ommenheit lieben. Wir dürfen aus behinderten Kindern
        ie ein solches Problem machen, dass gar die Selektion
        ieser Kinder in Kauf genommen wird.
        Es bleibt unverrückbar, dass mit einer weiteren Zulas-
        ung der Selektion und der damit unvermeidlich, ich
        iederhole: unvermeidlich verbundenen Tötung des
        icht zum Überleben ausgewählten menschlichen Le-
        ens eine Büchse der Pandora nicht mehr geschlossen
        ird. Wir haben als Parlamentarier, als Christen, als
        enschen die Möglichkeit, diese Büchse der Pandora
        ieder zu schließen. Wir sollten diese Kraft aufbringen.
        Jeder hier hat sicher Kontakt mit behinderten Mit-
        enschen, mehr oder weniger. Ich selbst habe diesen
        ontakt regelmäßig. Haben Sie sich vor diese Menschen
        chon mal hingestellt und ihnen gesagt, dass sie eventu-
        ll in einer nicht allzu fernen Zukunft zu einer kleiner
        erdenden Minderheit zählen werden, weil es immer
        ehr Menschen geben wird, deren Leben vor der Geburt
        eendet werden wird, weil ihre Nachteile unerwünscht
        ind?
        Es gibt die Warnungen der Ethiker, der Kirchen, von
        rzten, Wissenschaftlern, Verbänden wie Lebenshilfe,
        dK, von Betroffenen selbst, in der Tat viele warnende
        tellungnahmen – und es gibt die normalen, menschli-
        hen Reaktionen. Zu den zutiefst menschlichen Eigen-
        chaften und Reflexen gehört, menschliches Leben
        chützen zu wollen, retten zu wollen. Dieser zutiefst
        enschliche Reflex würde durch die Aufweichung die-
        er Schutzfunktion für das menschliche Leben bedroht,
        nd wir brauchen diesen Reflex und diesen Schutz.
        Ob dies, wie bei mir, auch aus christlichem Funda-
        ent oder von anderen Quellen her gespeist wird, das ist
        icht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass wir die
        chtung vor uns Menschen nicht verlieren. Das ge-
        chieht nicht mit einem lauten Knall, es geschieht meist
        tück für Stück. Die Relativierung ist bereits unterwegs,
        nd wir müssen uns ihr mit Kraft entgegenstemmen, um
        ie Achtung vor dem menschlichen Leben und seinen
        chutz aktiv zu bewahren. Nicht nur wir Christen wis-
        en: Der Mensch wird nicht, er ist es von Anfang an. Er
        at uneingeschränkte Würde von Anfang bis zum Ende,
        hne jede Einschränkung.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12115
        (A) )
        )(B)
        Die Diagnostik soll helfen, um zu heilen, nicht um zu
        töten. In meiner Heimat treffe ich vielfach Menschen mit
        Behinderung, die mit all ihrer Verschiedenheit uns alle
        sehr bereichern. Wir beschließen die UN-Konvention für
        Inklusion, um Behinderte nicht aus unserem Alltag aus-
        zuschließen.
        Wer hier bei PID mit Kriterien eingrenzt, der grenzt
        auf der anderen Seite natürlich auch aus. Diese Verant-
        wortung kann man nicht wegdrücken auf Kommissio-
        nen; das ist unsere Verantwortung hier im Parlament,
        dies zu entscheiden und das Leben zu schützen. Wir ha-
        ben mit dem Embryonenschutzgesetz bewusst eine be-
        sonders hohe Hürde gesetzt; die dürfen wir nicht reißen.
        Denn es muss auch hier deutlich gesagt werden: Die Öff-
        nung würde nicht beim ersten Schritt stehen bleiben, es
        würde – wie immer bisher – ausgeweitet. Wir müssen
        das Ende bedenken, bevor wir den Beginn der Einfüh-
        rung der PID beschließen können.
        Ich will, dass wir mit allen Menschen zusammenle-
        ben. Ich will, dass auch behinderte Menschen in ihrem
        menschlichen Reichtum, ihrer Passion und ihrem unver-
        äußerlichen Recht von uns allen als Gesellschaft ange-
        nommen werden. Ich verkenne das Leid des Personen-
        kreises von 200 bis 300 Personen nicht. Aber ich kann
        und ich will lieber diese um Verzicht bitten, als die Se-
        lektion behinderter Menschen zuzulassen.
        Der Gesetzgeber würde mit der Zulassung der PID
        den fatalen Weg nach unten, zu immer weniger Schutz
        des menschlichen Lebens weiter fortsetzen. Der frühere
        Bundespräsident Johannes Rau hat 2001 zu Recht ge-
        sagt: „Wer anfängt, zwischen lebenswert und lebensun-
        wert zu unterscheiden, ist in Wirklichkeit auf einer Bahn
        ohne Halt.“
        Gerade in den großen Grundfragen müssen wir es uns
        zu Recht sehr schwer machen. Das habe ich getan. Und
        eine schwere, eine schwerwiegende Entscheidung ge-
        troffen habe ich auch: Die Würde des Menschen ist un-
        antastbar, auch von großem Leid anderer unantastbar.
        Schützen wir die Würde von uns Menschen, lassen
        wir hier keine Ausnahmen zu! In voller Kenntnis und
        Anerkenntnis des Dilemmas schützen wir die elementa-
        ren Rechte von uns Menschen. Und wir sollten uns auch
        hier nicht zum Richter über Leben und Tod aufschwin-
        gen. Denn wir sollten nicht und dürfen nicht Gott spie-
        len.
        Norbert Geis (CDU/CSU): Das menschliche Leben
        beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzel-
        len, unabhängig davon, ob sich die Verschmelzung in der
        natürlichen Begegnung von Mann und Frau ereignet
        oder ob sie im Reagenzglas künstlich herbeigeführt
        wird. Die Technizität des Vorganges ändert nichts am Er-
        gebnis: Beide Male beginnt das Leben des Menschen mit
        der Vereinigung von Ei- und Samenzellen.
        Es gibt den Einwand, der Embryo im Reagenzglas be-
        ginne sein menschliches Leben erst dann, wenn die Im-
        plantation und die Einnistung erfolgt sei. Diese Behaup-
        tung, die Einnistung sei neben der Vereinigung von Ei-
        und Samenzellen gleichrangig kausal für den Beginn des
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        ebens, ist nicht zu halten. Das wird an der Situation der
        eihmutter deutlich. Sie gilt nach unserer Rechtsord-
        ung nicht als Mutter des Kindes. Mutter bleibt die Frau,
        ie das Ei „spendet“. Ebenso bleibt Vater, der den Samen
        spendet“. Allein von diesen beiden kommt die gene-
        sche Bestimmung des neuen menschlichen Lebens. Die
        ene sind es, die den einzelnen Mensch von jedem an-
        eren unterscheiden und ihn sein Leben lang bestimmen.
        ass viele weitere Schritte dazukommen müssen, damit
        er Mensch heranwachsen kann, steht außer Frage. Für
        en Embryo sind diese ersten Schritte die Implantation
        nd die Einnistung. Diese sind aber nicht der Ursprung
        es Lebens.
        Wir alle haben als Embryo begonnen. Wären wir in
        iesem Stadium getötet worden, wären wir heute nicht
        a. Uns gäbe es nicht.
        Das hat zur Folge, dass dieses menschliche Leben,
        as in einer besonderen Weise schutzbedürftig ist, auch
        eschützt werden muss.
        In der Tat steht der Mensch von Anfang an, ab der
        ereinigung von Ei- und Samenzelle, unter dem Schutz
        er Verfassung. Im ersten Urteil zum Abtreibungsrecht
        om 25. Februar 1975 stellt das Bundesverfassungsge-
        cht klar, dass der Schutz der Verfassung dort gilt, „wo
        enschliches Leben existiert“. Von Anfang an, so stellt
        as Verfassungsgericht fest, kommt dem Menschen
        ürde zu. Dies, weil er Mensch ist, unabhängig davon,
        b er sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst auch
        ahren kann. Die Wahrung der Würde des Menschen
        eißt, dass der Mensch im innersten Kern seines Wesens
        nantastbar und unverfügbar ist. Der Mensch kann nicht
        ls Sache behandelt werden.
        Weil der Embryo Mensch ist, hat er das Recht auf Le-
        en und körperliche Unversehrtheit. Nach Art. 2 Abs. 2
        rundgesetz hat jeder Mensch, auch der ungeborene
        ensch und der Embryo im Reagenzglas dieses Recht.
        uch dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
        rteil vom 25. Februar 1975 klargestellt, dass nämlich
        er Staat unabhängig vom Status des Menschen ver-
        flichtet ist, dieses Leben zu schützen, vom Anfang bis
        um Ende.
        Auch der Schutz vor Diskriminierung gemäß Art. 3
        bs. 3 Grundgesetz gilt nicht nur für jeden Erwachse-
        en, sondern auch für den Embryo. Die Tötung des Em-
        ryos verstößt also auch unter diesem Gesichtspunkt ge-
        en die Verfassung.
        Weil der Staat verpflichtet ist, die Grundrechte zu
        ahren, hat er mit dem Embryonenschutzgesetz Rege-
        ngen getroffen, die das Leben und die Integrität des
        mbryos schützen sollen.
        Die PID verstößt gegen die Regelungen des Embryo-
        enschutzgesetzes. Mit der PID wird danach geforscht,
        elche der im Reagenzglas befruchteten Eizellen gene-
        sch belastet sind. Es geht dabei allein darum, die mit
        enetischen Fehlern behafteten Embryonen auszusortie-
        n und sie nicht in den Uterus der Frau zu übertragen,
        ondern sie zu vernichten oder sonst wie dem Untergang
        nheimzugeben. Zu keinem anderen Zweck wird die
        ID eingesetzt. Sie ist, wenn sie Erbkrankheiten fest-
        12116 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        stellt, das Todesurteil für den Embryo. Deshalb galt die
        PID in Deutschland gemäß dem Embryonenschutzgesetz
        als verboten.
        Der Bundesgerichtshof hat jedoch mit seinem Urteil
        vom 6. Juli 2010 entschieden, dass die PID nicht gegen
        das Embryonenschutzgesetz verstößt. Die PID sei viel-
        mehr darauf gerichtet, eine Schwangerschaft herbeizu-
        führen. Dies ist jedoch eine völlige Verkennung der Ab-
        sicht, mit der die PID durchgeführt wird. Sie hat keinen
        anderen Sinn und Zweck, als die „schlechten Embryo-
        nen“ von den „guten“ zu trennen und sie dann zu ver-
        nichten. Es ist völlig unerklärlich, wie die Richter zu ei-
        ner solchen Verkennung der Logik der PID kommen
        können. Ein falsches Urteil!
        Ebenso ist der Hinweis des Gerichtes, dass es, weil es
        nach dem Embryonenschutzgesetz auch erlaubt sei, Sa-
        menzellen auszusondern, wenn Erbkrankheiten festge-
        stellt wurden, deshalb auch erlaubt sein müsse, Embryo-
        nen mit Erbfehlern auszusondern, nicht nachvollziehbar.
        Die Samenzelle ist kein Embryo. Zu dieser Unterschei-
        dung müsste der BGH eigentlich fähig sein.
        Das Urteil des BGH zwingt aber dazu, gesetzlich
        klarzustellen, dass die PID in Deutschland verboten ist.
        Dabei kann aus Achtung vor dem Leben des Embryos im
        Reagenzglas nur ein striktes Verbot der PID infrage
        kommen. Durch die PID wird das Tor zu einer Qualitäts-
        kontrolle eröffnet. Am Ende geht es dann nicht mehr nur
        um die Aussonderung von erbkranken Embryonen, son-
        dern der Weg führt dann hin zur Geschlechtskontrolle
        oder zur Frage, welches Baby mit welchem Design es
        denn sein darf.
        Sicherlich will keiner der vorgelegten Gesetzentwürfe
        eine solch abartige Entwicklung gestatten. Man sollte je-
        doch den Anfängen wehren.
        Das gilt auch für den Gesetzentwurf, der für eine eng
        begrenzte Zulassung der PID plädiert, wie von dem Gut-
        achten der Leopoldina vom 18. Januar 2011 vorgeschla-
        gen wird. Wer die Tötung zulässt, auch nur im begrenz-
        ten Umfang, öffnet das Tor, wie dies die Erfahrung aus
        der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch lehrt.
        Dann ist kein Halten mehr. Was heißt schon „eng be-
        grenzte“ Zulassung der PID! Wo ist die Zulassung be-
        grenzt, und wo geht sie zu weit? Aber selbst wenn die
        Fälle der möglichen Zulassung gesetzlich genau festge-
        schrieben werden könnten, bliebe doch die Tatsache,
        dass ein unschuldiges menschliches Leben getötet wird.
        Niemandem aber darf das Leben genommen werden, nur
        weil er behindert ist.
        Das Argument wird immer wieder bemüht, zwischen
        dem Verbot der PID und dem Abtreibungsstrafrecht be-
        stehe ein „Wertungswiderspruch“. Der Embryo im Re-
        agenzglas werde besser geschützt als das Kind im Mut-
        terleib. Diese Argumentation ist falsch. Nach dem
        Abtreibungsrecht existiert, wie bei dem Verbot der PID
        auch, keine Erlaubnis, ein Kind, nur weil es behindert
        ist, abzutreiben. Außerdem ist es sehr fraglich, ob die
        sehr problematische Abtreibungsregelung als Maßstab
        herangezogen werden darf.
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        Die Tötung eines unschuldigen Kindes durch Abtrei-
        ung kann nicht in irgendeiner Weise als ein „Wert“ an-
        esehen werden, zu dem der Schutz des Embryos im
        eagenzglas im Wertungswiderspruch stehen kann. Die
        ötung eines unschuldigen Menschen und der Schutz
        es Lebens sind unüberbrückbare Gegensätze, die sich
        ihrem „Wert“ nicht widersprechen können, weil die
        ötung eines Unschuldigen unter keinem Aspekt ein
        ert ist. Dies wäre sonst ein Widerspruch zu unserer ge-
        amten Rechtsordnung.
        Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Paare wün-
        chen sich eigene gesunde Kinder. Wir sollten respektie-
        n, dass dies auch für Paare gilt, bei denen ein Partner
        berträger einer schweren Erbkrankheit ist. Die Prä-
        plantationsdiagnostik (PID) kann für diese Paare eine
        ilfe darstellen, gesunde Kindern zu bekommen. Sie ist
        leichwohl keine Garantie dafür, denn niemand kann ge-
        unde Kinder garantieren.
        Der Bundesgerichtshof hat im Sommer des vergange-
        en Jahres entschieden, dass in Deutschland nach dem
        is jetzt noch geltenden Recht die Präimplantations-
        iagnostik zulässig ist. Gleichzeitig hat der Gerichtshof
        en Bundestag aufgefordert, eine eigenständige recht-
        che Regelung zu verabschieden. Das Gericht hatte auf-
        rund der Selbstanzeige eines Berliner Arztes entschie-
        en. Dieser hatte in 2005 bei drei Paaren, die mit dem
        unsch nach einem gesunden Kind zu ihm gekommen
        aren, eine Präimplantationsdiagnostik durchgeführt.
        inem Paar konnte er helfen.
        Die Selbstanzeige des Berliner Arztes war ein Hilfe-
        f im Namen von Paaren, bei denen ein Partner Über-
        äger einer schweren Erbkrankheit ist. Ich bin froh, dass
        er Deutsche Bundestag jetzt auf dem Weg ist, über den
        ukünftigen Umgang mit der PID zu entscheiden. Ich
        etze mich dafür ein, dass klare rechtliche Regelungen
        ur Zulassung der PID in begründeten Einzelfällen for-
        uliert werden. Die seit der Verabschiedung des Em-
        ryonenschutzgesetzes erfolgten Entwicklungen der Re-
        roduktionsmedizin müssen im Gesetz berücksichtigt
        erden.
        Im Jahr 2009 wurden in Deutschland etwa 650 000
        inder geboren und 110 000 Schwangerschaftsabbrüche
        orgenommen, darunter einige Hundert Spätabtreibun-
        en als Folge der Ergebnisse der genetischen Pränatal-
        iagnostik. Schon 1999 hat die Bioethik-Kommission
        on Rheinland-Pfalz ausgeführt:
        Es wäre ein Wertungswiderspruch, den Paaren, bei
        denen das Risiko der Übertragung eines Gendefekts
        festgestellt wurde, die PID aus Rechtsgründen zu
        verwehren und dann diesen Paaren gleichwohl die
        Durchführung der Pränataldiagnostik zu erlauben,
        die im Fall einer festgestellten Indikationslage zum
        Schwangerschaftsabbruch führen kann.
        Eine humangenetische Beratung von Paaren hat es
        chon gegeben, als noch niemand an Untersuchungsme-
        oden, die auf der Analyse des Genoms beruhen, über-
        aupt gedacht hat. Mit der Methode der Stammbaum-
        ntersuchung ist schon vor mehreren Jahrzehnten
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12117
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        festgestellt worden, dass bestimmte Krankheiten vererbt
        werden und welcher Erbgang ihnen zugrunde liegt.
        Menschen aus Familien, in denen eine solche Disposi-
        tion gegeben ist, wissen in aller Regel darüber Bescheid.
        Deshalb meine ich, dass es keinen grundsätzlichen Un-
        terschied gibt zwischen der Entscheidung eines Paares,
        nach einer Pränataldiagnostik aufgrund einer festgestell-
        ten Erbkrankheit einen Schwangerschaftsabbruch durch-
        zuführen, und seiner Entscheidung, zur Vermeidung ei-
        nes erbkranken Kindes eine PID durchzuführen.
        Die befruchtete Eizelle, die Zygote, kann sich nur
        dann zu einem Menschen entwickeln, wenn sie sich er-
        folgreich in der Gebärmutter einnistet. Menschliches Le-
        ben entsteht nur in enger Beziehung mit seiner Mutter.
        Die Zygote allein ist nicht lebensfähig, sie ist nicht auto-
        nom. Nur etwa 30 Prozent der menschlichen Zygoten
        überleben unter natürlichen Bedingungen, die übrigen
        sterben ab. Eine Zygote, die sich noch nicht in der Ge-
        bärmutter eingenistet hat, ganz unabhängig davon, ob sie
        unter natürlichen Bedingungen oder in der Petrischale
        entstanden ist, kann daher nicht mit der Würde des
        Grundgesetzes ausgestattet sein.
        In Großbritannien, Frankreich, Belgien und Polen ist
        die PID erlaubt. Dortige Erfahrungen zeigen, dass die
        Furcht vor dem Designerbaby unbegründet ist. Ich kann
        nicht erkennen, warum dies in Deutschland anders sein
        sollte.
        Menschen mit Behinderung sind in unserer Gesell-
        schaft willkommen und sollen auch in Zukunft willkom-
        men sein. Daran hat die Nutzung der Pränataldiagnostik
        nichts geändert und wird auch der Einsatz der Prä-
        implantationsdiagnostik nichts ändern.
        Ich sehe keinen Grund, warum wir die PID verbieten
        sollten. Ich meine, wir sollten die PID auch in Deutsch-
        land unter bestimmten Bedingungen zulassen. Ange-
        sichts der emotionalen Not von Paaren mit einer erb-
        lichen Belastung, die sich eigene Kinder wünschen,
        sollten wir für die Anwendung der PID einen rechtlichen
        Rahmen schaffen. Die Eingrenzung der Zulassung der
        PID ist schwierig, aber diese Schwierigkeit kann keine
        Begründung für ein vollständiges Verbot sein. Ich bin
        vielmehr dafür, mit dieser inzwischen entwickelten me-
        dizinischen Möglichkeit Paaren einen Weg zu öffnen,
        auf dem sie gesunde Kinder bekommen können, auch
        wenn sie Überträger schwerer Erbkrankheiten sind. Ich
        meine, wir können Vertrauen in den verantwortungsvol-
        len Umgang von Eltern und Ärzten mit der PID haben.
        Deshalb gehöre ich zu den Mitunterzeichnern des Ge-
        setzentwurfs zur Regelung der Präimplantationsdiagnos-
        tik (Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG).
        Maria Michalk (CDU/CSU): Die Präimplantations-
        diagnostik ist ein Verfahren zur technischen Optimie-
        rung der künstlichen Befruchtung. Medizinisch gesehen
        würde die PID nach meinem Verständnis zu einem In-
        strument der Qualitätskontrolle für Embryonen werden
        und zur Selektion führen – gewollt oder ungewollt.
        Gesunde Kinder zu haben, ist ein uralter Mensch-
        heitswunsch. Deshalb hat sich medizinischer Fortschritt
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        on jeher auch mit Fragen der Optimierung von Schwan-
        erschaft und Geburt befasst. Diesem Streben verdanken
        ir grundsätzlich auch heute noch unseren gewohnten
        ehr hohen Standard in all diesen Fragen.
        Doch der Mensch will immer mehr. Ich bin fest davon
        berzeugt, dass die Entscheidung für oder gegen PID ein
        eilenstein für das Leben von uns Menschen hier auf
        ieser Erde sein wird.
        Das Ringen um die bestmögliche Lösung wird strittig
        eführt. Das ist gut so. Es geht letztlich darum, ob eine
        esellschaft, in der der Staat darüber entscheidet oder
        ndere, letztlich Fachleute, darüber entscheiden lässt,
        elches Leben gelebt werden darf und welches nicht,
        re Menschlichkeit verliert. Deshalb steht auch die
        rage dahinter, ob medizinischem Optimierungsbestre-
        en Grenzen gesetzt werden müssen oder nicht.
        4 bis 5 Prozent aller Kinder, die geboren werden,
        ommen mit einer chronischen Erkrankung oder Behin-
        erung zur Welt. Deren Existenzberechtigung verhan-
        eln wir hier. Diese Kinder würden bei einer einge-
        chränkten Zulassung der PID keine Chance haben, das
        icht der Welt zu erblicken. Ich kann mir gut vorstellen,
        ass Menschen, die mit einer Behinderung zur Welt ge-
        ommen sind und vielleicht heute unsere Debatte verfol-
        en, unsere Argumente nicht nachvollziehen können.
        enn sie müssen sich die Frage stellen, ob sie selbst un-
        r diesen Umständen überhaupt auf dieser Welt wären
        nd nicht vorher aussortiert worden wären. Diese Frage
        t nicht nur schmerzhaft, sondern schlichtweg diskrimi-
        ierend.
        Ich bin für die Positionierung des Deutschen Behinder-
        nrates dankbar, denn wir wissen, dass auch unter den
        enschen mit Behinderung eine sehr ernste und differen-
        ierte Diskussion geführt wird. Es darf keine Einteilung
        lebenswertes und lebensunwertes Leben geben. Leben
        it Behinderungen oder chronischen Erkrankungen ist
        ine selbstverständliche Lebenswirklichkeit. Behinderung
        t kein persönliches Problem. Deshalb darf es keine
        chuldzuschreibungen und Diskriminierungen von Men-
        chen mit Behinderung geben, auch nicht gegenüber den
        ltern.
        Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von
        enschen mit Behinderung in unserer Gemeinschaft
        uss Selbstverständlichkeit werden und geht uns alle an.
        amilien mit behinderten Kindern, behinderte, chronisch
        ranke und alte Menschen müssen selbstverständlich
        re selbstbestimmte Lebensführung haben und dabei
        nterstützt werden. Ihr Leben muss deutlich einfacher
        erden. Notwendige Hilfen müssen individuell, passge-
        au und vor allem ohne bürokratischen Aufwand erfol-
        en. Auf diese Themen müssen wir uns noch viel mehr
        onzentrieren.
        Eine offene, tolerante Gesellschaft, die Menschen mit
        ehinderung von Anfang an in alle Lebensbereiche ein-
        ezieht – und das ist in Deutschland durchaus Realität –,
        uss am Ende dieser Debatte die Frage, ob und wie die
        eburt von Kindern mit einer möglichen Behinderung
        ühzeitig verhindert wird, nach meiner festen Auffas-
        ung mit einem eindeutigen Nein beantworten.
        12118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        Für mich persönlich steht das Nein zur PID fest. Ich
        lasse mich davon leiten, dass Leben mit der Verschmel-
        zung von Ei- und Samenzelle beginnt. Deshalb sind Ex-
        perimente ab diesem Stadium nach meiner christlichen
        Überzeugung unzulässig. Trotzdem bleibt für die Wis-
        senschaft und Medizin ein großes Feld für mögliche Er-
        kenntnisse zum Wohl des Menschen.
        Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Der Mann ist
        schwerstkrank. Die Krankheit ALS zerfrisst sein Ner-
        vensystem. Die Gliedmaßen sind wie nutzlose Gewichte.
        Ein Luftröhrenschnitt nahm ihm die Stimme. Mimik und
        Gestik sind erlahmt. Professor Stephen Hawking ist der
        bekannteste Astrophysiker der Welt. Sein gefesselter
        Leib ist ein schwerer Pflegefall. Aber sein Geist kann
        mühelos fliegen. Viele Millionen Menschen verehren
        ihn weltweit.
        Mediziner vermuten hinter ALS eine Erbkrankheit.
        Sie nehmen an, dass mehrere defekte Genabschnitte für
        das Leiden verantwortlich zeichnen. Hawking wurde im
        Jahre 1942 geboren. Zu jener Zeit war die Weitergabe
        von Erbinformationen noch nicht ausreichend begriffen.
        Niemand konnte wissen, dass Hawking einmal ALS be-
        kommen würde. Keiner wollte das verhindern. Zum
        Glück. Was wüssten wir heute über das Weltall, wenn
        man Hawkings Erbanlagen aus einer Petrischale in den
        Müll geworfen hätte?
        Genau das geschieht bei der Präimplantationsdiag-
        nostik (PID), über deren Zulässigkeit derzeit der Deut-
        sche Bundestag berät. Fraktionsübergreifend hat dies
        derzeit zu zwei Gruppenanträgen geführt. Der eine wirbt
        für eine beschränkte Zulassung. Der zweite, den auch
        der Verfasser unterstützt, strebt ein Verbot der PID an.
        Viele Paare sehnen die Legalisierung des PID-Verfah-
        rens herbei. Manche von ihnen haben bereits ein krankes
        oder behindertes Kind. Die PID kann ihnen den Wunsch
        nach gesundem Nachwuchs erfüllen. Bei dem Verfahren
        werden mehrere Eizellen der Mutter künstlich mit den
        Spermien des Vaters befruchtet und dann nach drei Ta-
        gen untersucht. Nur die gesunden „Wunscheizellen“
        werden dann der Mutter zur Austragung verpflanzt. Al-
        les andere landet im Abfall. Befürworter des Verfahrens
        finden dafür Argumente: Der Embryo sei in seiner Ur-
        form nicht mehr als ein Zellhäuflein. Doch das war Pro-
        fessor Hawking im Jahre 1941 auch. Jeder Mensch ist
        schon am Anfang ein unersetzbares Unikat. Könnte er
        sich schon wehren, würde er sich Urteile über seinen
        Wert und Unwert gefälligst verbitten.
        Ein weiteres Argument lautet: Die PID sei gegenüber
        einer späteren Abtreibung der wesentlich schonerende
        Weg. Die Mutter erhalte eine ziemliche Gewissheit auf
        ein gesundes Kind und müsse später nicht ein krankes
        abtreiben. Das Argument ist kraftvoll, aber unlogisch.
        Dass Abtreibungen rechtlich möglich sein müssen, liegt
        an der notwendigen Abwägung zwischen dem seelischen
        Leid der schwangeren Mutter und der staatlichen
        Schutzpflicht gegenüber dem Embryo. Doch bei einer
        Vorfelduntersuchung liegt noch gar keine Schwanger-
        schaft vor, die eine Frau belasten könnte. In der Petri-
        schale herrscht damit allein das ethische Gebot, das wer-
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        ende Leben zu schützen. Wer die PID mit den
        btreibungsregeln des Strafgesetzbuches rechtfertigen
        ill, begründet ein vermeidbares ethisches Desaster mit
        iner ganz anderen, unvermeidbaren ethischen Konflikt-
        ge. Ethik funktioniert anders. Sie strebt nach einer
        tärkung des ethischen Verhaltens, nicht nach der Recht-
        rtigung von mehr „Unethik“.
        Befürworter der PID argumentieren schließlich, die
        chtlichen Grenzen des Verfahrens seien in ihrem Ent-
        urf klar abgesteckt. Die PID sei nur zulässig bei einer
        hohen Wahrscheinlichkeit“ einer „schweren Erbkrank-
        eit“ oder im Falle der Verhinderung einer Tot- oder
        ehlgeburt. Doch offene Rechtsbegriffe sind die natür-
        chen Feinde klarer ethischer Grenzen. Was ist eine
        schwere“ Erbkrankheit? Wann ist eine Wahrscheinlich-
        eit „hoch“? Rechtsbegriffe, die man nur begreift, wenn
        an über ihren Inhalt streitet, führen nicht selten zu
        ammbrüchen. Ist die PID einmal legal, wird sich „ge-
        nge Wahrscheinlichkeit“ zu „ausreichender Wahr-
        cheinlichkeit“ aufschwingen. Was heute keine
        schwere“ Erbkrankheit ist, wird morgen noch eine wer-
        en. Aus dem „Wunschkind“ wird schrittweise das „er-
        ünschte Kind“. Mit der Pipette gestaltet der Mensch
        ie Evolution.
        Alle Eltern wünschen sich starke, kluge, gutausse-
        ende und intelligente Kinder. Wir alle meinen zu wissen,
        as wir damit meinen. Dabei sind unsere Vorstellungen
        on „unseren“ Kindern kulturell geprägt. Kultur ist dem
        andel unterworfen. Viele Jahrhunderte dominierte die
        anuelle Arbeit. Folglich wünschten sich Eltern starken
        nd männlichen Nachwuchs. Heute schätzen wir weibli-
        hen und männlichen Nachwuchs gleichermaßen mit ho-
        er Intelligenz und Einfühlungsvermögen. Ein Jahrhun-
        ert zuvor wäre Hawking vermutlich verhungert. Heute
        utzt er modernste Technik, um der Welt von seinen Ideen
        u berichten.
        Dazu kommt: Unser Wissen von den Erbanlagen ist
        estenfalls lückenhaft. Gene tragen in ihren Kombinatio-
        en immer viele verschiedene Informationen. Jeder
        angel kann eine Stärke zur Kehrseite haben. Mitunter
        endeln sich diese Stärken erst in vielen Folgegenera-
        onen heraus – es sei denn, wir bewirken, dass schon
        re ersten Träger nie das Licht der Welt erblicken.
        Der Maler und Dichter Khalil Gibran schrieb: „Deine
        inder sind nicht Deine Kinder. Sie sind die Söhne und
        öchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie
        ommen durch Dich, aber nicht von Dir, und obwohl sie
        ei Dir sind, gehören sie Dir nicht. (…) Du bist [nur] der
        ogen, von dem Deine Kinder als lebende Pfeile ausge-
        chickt werden.“
        Jeder Embryo, der eine PID-Untersuchung nicht über-
        teht, ist wie ein zerbrochener Pfeil.
        Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): In der heutigen
        rsten Lesung wird das Gesetz zur Präimplantationsdia-
        nostik beraten. Nachdem der BGH am 6. Juli 2010 ent-
        chieden hat, dass die gesetzliche Regelung im Embryo-
        enschutzgesetz nicht hinreichend konkret ist, um eine
        trafrechtliche Verurteilung herbeizuführen – über ein
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12119
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        generelles Verbot der Präimplantationsdiagnostik konnte
        der BGH gar nicht entscheiden –, hat der Gesetzgeber
        nun die Verpflichtung, eine hinreichend konkrete Rege-
        lung zu schaffen. Bis zu dem Urteil des BGH war die
        herrschende Meinung der Rechtswissenschaft, aber auch
        der Medizin und der Politik davon ausgegangen, dass die
        Präimplantationsdiagnostik in Deutschland verboten ist.
        Wenn dies nun nicht mehr klar ist, kann nach meiner
        Meinung eine Klärung dieser Situation nur durch ein
        Verbot der Präimplantationsdiagnostik im Embryonen-
        schutzgesetz erfolgen, denn die Präimplantationsdia-
        gnostik ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.
        Das Recht auf Leben beginnt schon vor der Geburt,
        nämlich mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle.
        Ein Embryo ist selbstverständlich als Mensch anzuse-
        hen, ob im Mutterleib oder vor der Einschwemmung.
        Wer dies bezweifelt, zettelt eine Diskussion an, die
        ethisch und moralisch nach meiner Meinung unhaltbar
        ist, da sie in Bezug auf den Wert von Menschenleben
        differenziert. Für mich darf es keine Abstufung zwi-
        schen dem Wert menschlichen Lebens geben.
        Art. 1 Abs. 1 GG verbietet, einen Menschen wie eine
        Sache zu behandeln. Der Artikel gilt auch für ungebore-
        nes Leben. Damit gilt die Menschenwürdegarantie
        ebenso für Embryonen. Durch die Bevorzugung von
        Embryonen mit passenderen Eigenschaften werden diese
        als bloßes Objekt behandelt, was mit der Menschenwür-
        degarantie nicht vereinbar ist. Erst recht werden die Em-
        bryonen zur Sache gemacht, die nicht genutzt wird, son-
        dern – wie es dann heißt – verworfen wird. Gemeint ist,
        sie wird vernichtet.
        Weiterhin wird nicht nur gegen das Recht auf Leben
        und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1
        GG verstoßen, sondern auch gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der
        das Diskriminierungsverbot von Behinderten festlegt:
        Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
        werden. Dabei dient die Präimplantationsdiagnostik dem
        Zweck, Embryos, bei denen eine Krankheit oder Behin-
        derung festgestellt wurde, zu verwerfen und ihnen das
        Recht auf Leben zu verwehren. Lebenswertes und ver-
        meintlich lebensunwertes Leben werden bewusst un-
        gleich behandelt. Diese offenkundige Ungleichbehand-
        lung von gesunden und behinderten Menschen sowie die
        Diskriminierung von Behinderten ist nicht mit unserem
        Grundgesetz vereinbar.
        Somit bleibt für die Beantwortung der Frage, ob Prä-
        implantationsdiagnostik verboten werden soll oder nicht,
        aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Spielraum. Denn
        letztlich treffen die Eltern und die verantwortlichen Me-
        diziner eine unumkehrbare Entscheidung über das Leben
        oder den Tod eines Kindes. Wenn wir der Präimplanta-
        tionsdiagnostik die Tür auch nur einen Spalt öffnen, se-
        lektieren wir Leben nach seiner Qualität und werden ein
        Ausdehnen der Selektion auch in zukünftigen Diskussio-
        nen nicht mehr verhindern können.
        Wenn die Präimplantationsdiagnostik zugelassen
        wird, bedeutet dies ein Legalisieren der Unterscheidung
        menschlichen Lebens aufgrund einer Behinderung. Ein
        Schwangerschaftsabbruch allein aufgrund einer Behin-
        derung ist nach der Reform des § 218 a StGB im Jahre
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        995 verboten worden, um eine solche Diskriminierung
        u verhindern. Der Gesetzgeber hat auch im Stammzell-
        esetz festgelegt, dass es untersagt ist, embryonale
        tammzellen einzuführen und zu verwenden, wenn der
        erdacht einer genetischen Auswahl besteht und diese
        mbryonen verworfen werden.
        Die Spirale, die „Pille danach“ und Schwanger-
        chaftsabbrüche generell werden häufig mit der Präim-
        lantationsdiagnostik verglichen. Dabei gibt es einen
        indeutigen Unterschied: Die Spirale, die „Pille danach“
        nd der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf
        ochen selektieren nicht. Sie beenden eine Schwanger-
        chaft nicht aufgrund der möglichen Behinderung des
        indes. Eine Gleichsetzung dieser unterschiedlichen Le-
        enssachverhalte ist einfach falsch, genauso wie ein sol-
        hes „Erst-recht-Argument“ insgesamt falsch ist. Es
        ürde schließlich bedeuten, wenn schon Abtreibungen
        öglich sein sollen, dann ist es auch egal, dass Embryo-
        en erzeugt werden, um einen erheblichen Teil von ih-
        en zu töten. Statistische Erhebungen haben nämlich
        ezeigt, dass bei Anwendung der Präimplantationsdia-
        nostik 33,7 Embryonen selektiert und verworfen wer-
        en und nur ein Embryo tatsächlich geboren wird.
        Genauso bei Spätabbrüchen. Diese dürfen nicht auf-
        rund der Behinderung des Kindes durchgeführt werden,
        ondern werden nur noch in akuten Notsituationen
        urchgeführt. Besteht zum Beispiel akute körperliche
        nd seelische Gefahr für die Mutter, so ist ein Spätab-
        ruch der Schwangerschaft erlaubt. Diese Konfliktsitua-
        on – Mutter oder Kind – ist im Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG
        den Vordergrund gerückt. Das ist keineswegs ver-
        leichbar mit der Unterscheidung, wie sie bei der Prä-
        plantationsdiagnostik durchgeführt wird.
        Wenn wir die Präimplantationsdiagnostik verbieten,
        ann werden die Forscher und Mediziner andere Wege
        nden, um Familien die Geburt eines gesunden Kindes
        u ermöglichen, etwa über die Polkörperchendiagnostik,
        ei der nicht Embryos, sondern Eizellen untersucht und
        elektiert werden.
        Das ist ein Unterschied, denn dann würde kein Em-
        ryo – und damit ein Mensch im frühen Stadium – ver-
        orfen, also zerstört. Ich sehe hier eine vergleichbare
        ntwicklung wie bei der embryonalen Stammzellfor-
        chung, die nun auch keiner in der Wissenschaft mehr
        wingend fordert.
        Ich werbe aus all diesen Gründen nachdrücklich für
        in Verbot der Präimplantationsdiagnostik. Unterstützen
        ie daher bitte mit mir den entsprechenden Antrag.
        Jens Spahn (CDU/CSU): Ich weiß, dass es – wie
        erade deutlich geworden ist – in diesem Hause ganz un-
        rschiedliche Auffassungen zum Thema Präimplanta-
        onsdiagnostik gibt. Daher bin ich dankbar dafür, dass
        ir uns dafür mit der nötigen Zeit darüber austauschen
        önnen und diese Debatte auch mit der nötigen Ernsthaf-
        gkeit führen.
        Wer mit Paaren, mit Frauen und Männern, die eine
        enetische Veranlagung zu schwersten Erkrankungen
        aben, über ihren Kinderwunsch, ihr Schicksal, ihre Ver-
        12120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
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        zweiflung gesprochen hat, der kann und der darf sich
        eine solche Entscheidung heute nicht leicht machen. Er
        wird, er muss fast mit dieser Entscheidung hadern. Er
        weiß aber auch, dass er um diese Entscheidung nicht he-
        rumkommt, dass er diese Entscheidung treffen muss.
        Aus meiner Sicht muss der über allem stehende
        Grundsatz dabei sein, dass im Zweifel für das Leben ent-
        schieden wird und bei Unsicherheit größtmögliche Si-
        cherheit für das Leben gesucht wird.
        Hier gibt es viele Zweifel. Einige sind schon ange-
        sprochen worden, Ich habe zum einen Zweifel, dass es
        bei dem einmal definierten Ausnahmekatalog bleibt. Es
        ist ja schon gefragt worden: Wer soll ihn definieren? Der
        Bundestag? Oder soll dieser die Entscheidung auslagern
        und an andere delegieren? Sich für bestimmte Kriterien
        zu entscheiden, heißt, andere auszuschließen. Ich unter-
        stelle niemandem – ich glaube, darum geht es auch
        nicht –, dass es ihm um Designbabys, um die Frage der
        Augenfarbe oder ähnliche Dinge geht. Ich habe aber
        schon die Sorge, dass eine positive Entscheidung zwar
        nicht zu einem Dammbruch, aber doch zu einem lang-
        sam anschwellenden Fluss führt, sodass wir, wenn wir
        heute einmal das Tor geöffnet haben, die Dinge am Ende
        nicht mehr werden aufhalten können.
        Ich habe zum Zweiten Zweifel – das ist auch schon
        angeklungen – weil auch die PID keine hundertprozen-
        tige Sicherheit bringt. Trotz PID besteht das Risiko, dass
        das Kind später krank ist. Ist der Druck, ist das Leid in
        einem solchen Fall nicht noch viel größer und noch viel
        stärker?
        Ich habe auch Zweifel, weil für eine PID bis zu
        40 Embryonen gebraucht werden. Was passiert mit den
        anderen, die nicht eingepflanzt werden? Wer wollte da-
        rüber entscheiden?
        Ich bin der Überzeugung: Was manchmal als Zell-
        klumpen bezeichnet wird, das hat das Potenzial, ja, das
        ist aus meiner Sicht menschliches Leben, und wer wollte
        über die Chance, die Wertigkeit dieses Lebens entschei-
        den? Ich jedenfalls – egal, was andere Länder da ent-
        schieden haben – will das nicht, und ich denke, es ist ei-
        nem anderen, Höheren vorbehalten, das zu entscheiden.
        Im Übrigen denke ich auch, dass gerade der Embryo
        in der Petrischale, weil sein Potenzial, sein Leben-Sein
        eben nicht augenfällig ist, vielleicht nicht auf den ersten
        Blick zu erkennen ist, einen noch höheren Schutz
        braucht, ein noch größeres Maß an Sicherheit und Zu-
        rückhaltung in der Frage, was wir regeln. Gerade deswe-
        gen sollten wir an die PID mit größter Bedachtheit he-
        rangehen.
        Auch sehe ich da keinen Wertungswiderspruch zur
        Abtreibung, wie er hier schon mehrfach angesprochen
        worden ist. Bei der PID geht es voll und ganz und unmit-
        telbar um den Schutz des Embryos in der Petrischale,
        dessen Leben-Sein – ich habe es schon gesagt – nicht au-
        genfällig ist. Beim Schwangerschaftsabbruch geht es im
        Kern um die konflikthafte Situation, um die schwierige
        Lebenslage der Mutter, wo der Embryo natürlich mittel-
        bar auch eine Rolle spielt; aber es ist eine andere Aus-
        gangslage. Muss nicht eigentlich die Entwicklung, die
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        ir beim Schwangerschaftsabbruch haben, die ja auch
        inmal mit strengsten und striktesten Kriterien begonnen
        at, muss nicht diese Praxis, wie wir sie heute beim
        chwangerschaftsabbruch zum Teil haben, weniger
        uchtendes Beispiel als vielmehr Mahnmal dafür sein,
        as passiert, wenn man einmal bei der Entscheidung, die
        ir heute treffen, die Tür geöffnet hat?
        Deswegen: In dubio pro vita, im Zweifel für das Le-
        en. Ich möchte Sie bitten, heute für ein Verbot der PID
        u stimmen.
        Stephan Thomae (FDP): In der ethisch heiklen
        rage der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, treffen
        diesem Hohen Hause gegensätzliche Auffassungen
        ufeinander. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom
        . Juli 2010 macht deutlich, dass die PID nicht notwen-
        igerweise gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt.
        h möchte ausdrücklich den Antrag unterstützen, den
        aßgeblich meine Fraktionskollegin Ulrike Flach auf
        en Weg gebracht hat, und der insbesondere von den
        olleginnen Dr. Carola Reimann (SPD), Dr. Petra Sitte
        inke) und den Kollegen Staatssekretär Peter Hintze
        DU) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Grüne) mitgetra-
        en wird. Bei allem Respekt vor anderen Standpunkten
        prechen viele Gründe für diese Position:
        Ziel der PID ist, was das Embryonenschutzgesetz for-
        ert, nämlich eine Schwangerschaft herbeizuführen. In-
        ofern fördert die Zulassung der PID den Entschluss von
        ltern, die sich ohne eine solche Untersuchungsmethode
        egen ein Kind oder – weil sie vielleicht bereits ein Kind
        it einer ererbten Krankheit oder Behinderung haben
        der aufgrund dessen bereits ein Kind verloren haben –
        egen ein weiteres Kind entscheiden würden. Viele
        aare, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, aber auf-
        rund erblicher Vorbelastung Angst vor einer Tot- oder
        ehlgeburt oder vor der Geburt eines todkranken Kindes
        aben, sehen in der PID eine Chance. Bislang konnten
        olche Paare allenfalls auf dem Wege der Pränataldia-
        nostik, kurz PND, feststellen, ob der Embryo im Mut-
        rleib an einem genetischen Defekt leidet. In solchen
        ällen waren die Eltern vor die Wahl gestellt, die
        chwangerschaft abzubrechen oder nicht. Ein Schwan-
        erschaftsabbruch aufgrund einer PND-Diagnose ist ins-
        esondere für die Schwangere jedoch mit wesentlich
        chwereren psychischen und physischen Belastungen
        erbunden als die Verwerfung einer Blastozyste in der
        etrischale. Bislang bot sich allenfalls für solche Paare,
        ie es sich leisten können, die Möglichkeit zur PID im
        usland. Die Zulassung der PID beseitigt deshalb auch
        en Widerspruch, dass zwar Präimplantationsdiagnose
        iner Blastozyste in der Petrischale verboten, aber der
        chwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Schwanger-
        chaftswoche und unter bestimmten Voraussetzungen
        ogar die Spätabtreibung nach einer Pränataldiagnose
        ulässig ist. Dieser Widerspruch kann weder moralisch
        och juristisch aufgelöst werden.
        Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes ungebo-
        nen Lebens ist es nicht die PID, die einem Lebenskeim
        as Lebensrecht entzieht oder zu einer Verschlechterung
        es Embryonenschutzes führt. Die Blastozyste ist außer-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12121
        (A) )
        )(B)
        halb des Mutterleibes nicht in der Lage, sich zu einem
        Embryo weiterzuentwickeln. Schon heute aber steht es
        der Mutter auch ohne PID frei, zu entscheiden, ob sie
        sich die Blastozyste einpflanzen lässt oder den Keim
        verwirft.
        Genauso wenig kann Bedenken gefolgt werden, die
        PID gefährde die Bereitschaft der Gesellschaft, Kinder
        mit Behinderungen zu akzeptieren. Weder ist eine solche
        Entwicklung in Ländern zu beobachten, welche die PID
        kennen, noch hat in Deutschland die Zulassung des
        Schwangerschaftsabbruchs nach einer PND eine solche
        Wirkung hervorgerufen. Die Integration und Inklusion
        von Menschen mit Behinderungen war – trotz PID und
        PND – nie so groß wie heute.
        Erlauben Sie mir abschließend eine höchstpersönliche
        Schlussbemerkung: Neben diesen eher vernunftgeleite-
        ten Überlegungen wurde ich selbst nicht zuletzt beim
        Besuch eines Kinderhospizes in meiner eigenen All-
        gäuer Heimat in meinem Entschluss bestärkt. Das Kin-
        derhospiz begleitet Kinder und deren Familien ab dem
        Zeitpunkt der Todesdiagnose eines Kindes oder Jugend-
        lichen bis zu dessen Tod. In einigen Fällen müssen El-
        tern schon das zweite, in einigen wenigen Fällen sogar
        gleichzeitig zwei todgeweihte Kinder dort auf ihrem
        letzten, manchmal langen Weg begleiten. Ich bin der tie-
        fen Überzeugung, dass das Recht Paaren mit erblicher
        Belastung zumindest die Möglichkeit einräumen muss,
        Ja oder erneut Ja zu einem Kind zu sagen, ohne ihnen
        dieses Leid und diesen Schmerz zuzumuten oder ein
        weiteres Mal zuzumuten.
        Bei allem Respekt vor jeder anderen Überzeugung
        habe ich mich aus diesen rechtlichen und ethischen
        Überlegungen entschieden, für den Entwurf eines Geset-
        zes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik nach
        dem Entwurf meiner Fraktionskollegin Ulrike Flach zu
        stimmen.
        Johanna Voß (DIE LINKE): Meine grundsätzliche
        Überzeugung besteht darin, dass jedes Leben, auch das
        „behinderte“, ein Recht darauf hat, beschützt zu werden.
        Bei der PID geht es aber nicht um das Recht auf Le-
        ben. Vor allem geht es auch nicht um die Abwägung ver-
        schiedener Rechtsgüter, wie zum Beispiel den Schutz
        der Mutter, so wie das bei einem Schwangerschafts-
        abbruch der Fall wäre. Und selbst beim Schwanger-
        schaftsabbruch dürfen mit Recht eventuelle Behinderun-
        gen des Kindes nicht die entscheidende alleinige Rolle
        spielen. Da geht es nur um die Abwägung der Rechte der
        Mutter gegenüber dem Kind.
        Die Präimplantationsdiagnostik ist die extremste
        Form der Selektion, da möglichst viele Embryonen er-
        zeugt werden, um wenigstens einige transplantierbare
        auslesen zu können. Der einzige Zweck der PID ist aber,
        Leben zu eliminieren, das weniger wert zu sein scheint;
        wir hatten in der deutschen Geschichte dafür schon ein-
        mal den Begriff des „unwerten Lebens“. Die PID spie-
        gelt wider, wie Leben heute in der Gesellschaft bewertet
        wird: Den vollen Wert hat da nur der Mensch, der im
        Vollbesitz aller nutzbaren Kräfte ist. Für Behinderungen
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        t kein Platz, und dementsprechend miserabel ist auch
        ie Fürsorge und Hilfe für Behinderte und deren Eltern.
        Insofern geht die PID von der völlig falschen Seite an
        ie Problematik heran. Ja, für Eltern, die sich gegen PID
        ntscheiden und für ein eventuell behindertes oder kran-
        es Kind, wird das Leben noch schwerer werden. Zu den
        hnehin zu erwartenden Einschränkungen wird starker
        ozialer Druck hinzukommen: Man hätte das Leben die-
        es Kindes ja schon in der Petrischale beenden können.
        ie Folge wird sein: noch weniger Mittel und Hilfen,
        och größere Ausgrenzung für Kinder und deren Eltern.
        Andere negative Aspekte der PID will ich hier nur
        urz erwähnen. Die Beteuerung der Befürworter, PID
        ur in Ausnahmefällen zulassen zu wollen, ist längst von
        er Realität überholt worden. In der Praxis werden ganz
        ndere Bedürfnisse als die ursprünglich behaupteten ge-
        chürt. In Fachzeitschriften wie Human Reproduction ist
        achzulesen (Nr. 1 von 2002), dass PID zum Beispiel
        ehr häufig allein der Geschlechtsbestimmung dient,
        hne dass ein erhöhtes Risiko zur Übertragung einer
        ererbbaren Krankheit vorlag. Man nennt das „social
        exing“. Die Begehrlichkeiten der Industrie zeigen sich
        tzt schon in den weiterentwickelten Verfahren von
        ID, wenn untersuchte Zellen mit „entkernten“ Maus-
        izellen geklont werden. Es fehlt nur noch die Herstel-
        ng von Embryonen als „Ersatzteillager“. Selbst wenn
        orscher nur die Gesundheit des Kindes im Auge haben,
        ann vergessen sie zu leicht, dass die PID und die Wei-
        rentwicklung des „therapeutischen Klonens“ den Men-
        chen aufs Gröbste instrumentalisiert. Selbst wenn das
        iel ethisch zu rechtfertigen wäre, der Weg ist es auf kei-
        en Fall.
        Wir müssen völlig neu bedenken, welchen Irrweg wir
        it dieser Bevorzugung des perfekten Menschen be-
        chreiten, und dann auch mehr Hilfe bereitstellen für die,
        ie Hilfe brauchen; denn jeder Mensch, der in die
        enschliche Gesellschaft hineingeboren wird, hat An-
        cht auf ihren Schutz und auf ihre Hilfe.
        Die PID scheint mir nur ein weiterer Schritt zu sein
        uf dem Weg, sich aus der besonderen Verantwortung
        r den Menschen, nicht nur für den behinderten, zu ver-
        bschieden.
        Wolfgang Zöller (CDU/CSU): In der Frage über den
        ünftigen Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik,
        ID, geht es um eine politische Grundsatzentscheidung.
        s geht vor allem um die Frage, ob wir ein elementares
        enschenrecht, das Recht auf Leben auch für ungebo-
        ne Kinder, zur Disposition stellen – aber auch darum,
        ass wir den staatlichen Schutzauftrag gegen die Diskri-
        inierung von Menschen mit Behinderung infrage stel-
        n. Mit einer Zulassung der PID würde dies meiner
        einung nach geschehen. Es würde unser Wertgefüge
        achhaltig beschädigen. Nicht alles technisch Machbare
        ient letztendlich einer menschlichen Gesellschaft.
        Ich setze mich seit vielen Jahren für den Schutz des
        ngeborenen Lebens ein. Denn für mich ist das sich ent-
        ickelnde Leben von Anfang an schützenswert. Und
        ach meiner Auffassung hat niemand das Recht, über die
        12122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        Existenz eines ungeborenen Kindes zu entscheiden, auch
        nicht wenn eine genetische Erkrankung droht.
        Jeder Abgeordnete steht in der Tat vor einer Gewis-
        sensentscheidung. Als zweifacher Familienvater und
        dreifacher Großvater verstehe ich den verständlichen
        Wunsch betroffener Paare nach einem eigenen gesunden
        Kind nur zu gut. Für mich hat jedoch das uneinge-
        schränkte Lebensrecht eines jeden Menschen, ob gebo-
        ren oder ungeboren, ganz klar Vorrang.
        Wer die PID zulässt – und sei es auch nur begrenzt –,
        der eröffnet zwangsläufig damit eine Diskussion über le-
        benswertes und nicht lebenswertes Leben. Für mich gibt
        es jedoch kein lebensunwertes Leben – egal ob vor der
        Geburt, ob als behinderter, ob als alter oder schwerkran-
        ker Mensch.
        Eine Öffnung der PID für bestimmte Diagnosen ist
        keine Lösung. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen
        die dann einsetzende Ausweitung der Anwendungsberei-
        che der PID.
        Eine solche Bewertung würde sich erheblich auf das
        gesamte gesellschaftliche Zusammenleben und auf die
        Einstellung anderer Menschen auswirken. Es wird
        höchste Zeit, dass wir uns wieder mehr auf christliche
        Grundwerte besinnen und auch danach handeln.
        Die durch Legalisierung der PID gesetzlich legiti-
        mierte Selektion vor Beginn der Schwangerschaft wäre
        ein Paradigmenwechsel. Die Akzeptanz für das Verfah-
        ren, auf Probe erzeugte Embryos mit einer bestimmten
        Erkrankung oder Behinderung aussortieren zu können,
        stellt damit einen Angriff auf die Würde eines jeden
        Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen dar.
        Eine Zulassung der PID würde auf potenzielle Eltern
        großen sozialen Druck ausüben, diese Möglichkeit in
        Anspruch zu nehmen. Ansonsten müssten sie sich ja zu-
        nehmend rechtfertigen, wenn sie die PID zunächst ab-
        lehnen und dann ihr Kind mit Beeinträchtigungen zur
        Welt kommt. Bereits jetzt berichten Eltern von schwer
        kranken oder behinderten Kindern von Diskriminierun-
        gen, mit denen sie konfrontiert sind.
        Krankheiten sowie körperliche und geistige Beein-
        trächtigungen sind jedoch ein Bestandteil des Lebens
        und werden dies auch künftig sein. Der Staat hat die
        Pflicht, vor Diskriminierung zu schützen und das Le-
        bensrecht zu verteidigen.
        Aus all diesen Gründen werde ich für ein striktes
        PID-Verbot stimmen.
        Willi Zylajew (CDU/CSU): Jede und jeder in diesem
        Hohen Haus ist sich der Tragweite unserer heutigen De-
        batte und der anstehenden Abstimmung in einigen Wo-
        chen bewusst. Einleitend möchte ich sagen, dass ich in
        der Sache eine klare Position habe, die ich vor meinem
        Gewissen, vor Gott und den Menschen, dem geborenen
        und ungeborenen Leben verantworten kann. Diese feste
        Position in einer bedeutenden Entscheidung schmälert
        aber nicht meinen Respekt vor den Mitmenschen, die
        sich in der Sache anders entscheiden.
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        Meine Einstellung wurde untermauert in Gesprächen
        it Eltern von Kindern mit Behinderungen, Ärzten,
        eistlichen und Fachkräften aus der Schwangerschafts-
        eratung. Seit einigen Jahrzehnten beschäftigt mich als
        amilienvater und Sozialarbeiter, Politiker und Christ
        ie Frage der Verschiebung von Werten beim Schutz des
        ngeborenen Lebens. Diese Verschiebung von Werten,
        ie Verschiebung von gesetzlichen Schutzvorschriften
        t ein bedeutendes Thema, vor allem, wenn ein Teil der
        etroffenen seine Position nicht darstellen kann. Wie
        enschen mit Behinderungen zu den Änderungsvorstel-
        ngen stehen, die auf Grundlage einer Reduzierung von
        chutzvorschriften für ungeborenes Leben, wie es nun
        ur Beratung steht, nicht das Licht der Welt erblickt hät-
        n, bleibt weitgehend unberücksichtigt.
        Wir stehen in der Pflicht, das ungeborene Leben vor
        er Verringerung seiner Rechte zu schützen. Die Selek-
        on von menschlichem Leben ist für mich völlig inak-
        eptabel, weder in einem frühen Stadium noch in einem
        päteren. Daher stimme ich für ein umfassendes gesetzli-
        hes Verbot der Präimplantationsdiagnostik.
        Dabei bin ich mir des Leidensdrucks von Paaren mit
        er individuellen Erfahrung einer eigenen Erkrankung
        der von Tot- oder Fehlgeburten bewusst. Aber eine Le-
        alisierung der PID ermöglicht eine gesetzlich legiti-
        ierte Selektion bereits vor Beginn der Schwanger-
        chaft. Unsere Gesellschaft verliert ihre Menschlichkeit,
        enn sie einen Paradigmenwechsel zulässt, der darüber
        ntscheidet, welches Leben gelebt werden darf und wel-
        hes nicht.
        Das medizinisch Machbare zur Gesundung von kran-
        en und behinderten Mitmenschen ist das eine, das me-
        izinisch Mögliche als Grundlage für die Auswahl von
        benswerten und nicht lebenswerten Embryonen das an-
        ere. Und genau dort liegt für mich die Grenze. Eine
        renze, die wir nicht überschreiten dürfen.
        Lassen Sie uns mit der gebotenen Ruhe und Sachlich-
        eit das Für und Wider bedenken. Es mag sein, dass die
        ID für manch einen nur ein kleiner Schritt bei der wei-
        ren Nutzung medizinischer Möglichkeiten zu sein
        cheint. Für mich wäre eine Zulassung der PID, auch un-
        r engen Beschränkungen, ein überaus großer Verstoß
        egen den Wert und die Unversehrtheit menschlichen
        ebens. Ich wiederhole, es wäre der Schritt über eine
        renze, die bislang von Staat und Gesellschaft bis zum
        ommer letzten Jahres anerkannt wurde. Ist diese
        renze einmal überschritten, wird dies weitere Wünsche
        nd Ansprüche zur Beseitigung von Lebensschutz zur
        olge haben.
        Meine Position möchte ich abschließend mit einem
        itat meines Kreisdechanten Achim Brennecke aus dem
        hein-Erft-Kreis zusammenfassen:
        Bereits seit meiner Schulzeit in den 60er Jahren hat
        sich mir der erste Satz unseres Grundgesetzes tief
        eingeprägt: „Die Würde des Menschen ist unantast-
        bar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
        aller staatlichen Gewalt.“ (Art. 1 GG) Diese Würde
        des Menschen beginnt nicht irgendwann, sondern
        besteht bei allen Menschen seit Beginn des Lebens,
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12123
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        wenn Ei und Samenzelle verschmelzen und zu ei-
        nem Menschen werden. Diese Würde behält der
        Mensch auch bis zum Ende seines Lebens. Deshalb
        gilt es für Kirchen, Gesellschaft und Staat, diese
        Würde von Anfang bis Ende zu schützen. Eine Prä-
        implantationsdiagnostik macht den Menschen zum
        Objekt und öffnet einer Selektion, gewollt oder un-
        gewollt, Tor und Tür, was die Würde des Menschen
        mehr als antastet. Es wäre ein Dammbruch, dessen
        Auswirkungen nicht abzusehen sind. Aus christli-
        chem Verständnis des Menschen als Ebenbild Got-
        tes lehne ich die zur Verhandlung stehende PID ab
        und setze mich für die Verteidigung der Würde des
        Menschen ein.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Beschlussempfehlung und Bericht: Stärkung
        der humanitären Lage in Afghanistan und
        der partnerschaftlichen Kooperation mit
        Nichtregierungsorganisationen
        – Beschlussempfehlung und Bericht: Für ei-
        nen nachhaltigen Ausbau des Bildungs- und
        Hochschulsystems in Afghanistan
        (Tagesordnungspunkt 13 a und b)
        Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Am 26. Februar 2010
        hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit ein
        neues Mandat für den Afghanistan-Einsatz erteilt. Mit
        diesem Mandat war ein Strategiewechsel verbunden, der
        die zivilen Anstrengungen in Afghanistan besser einbettet
        und aufwertet. Dies ging einher mit einer Quasiverdoppe-
        lung der Gelder, die wir für den zivilen Aufbau Afghani-
        stans im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit
        zur Verfügung stellen. Dadurch wird sehr deutlich, wir
        meinen es ernst.
        Dies alles ist eingebettet in die Vereinbarungen der
        Londoner Afghanistan-Konferenz vom Januar 2010, auf
        der sich die internationale Gemeinschaft zu einem besser
        abgestimmten und stärkeren Engagement beim langfris-
        tigen zivilen Aufbau Afghanistans verständigt hat.
        Für diesen Strategiewechsel gab es gute Gründe. Af-
        ghanistans Entwicklung leidet unter den schwachen Or-
        ganisationsstrukturen, ausufernder Korruption, mangeln-
        den Monitoringinstrumenten und schwach ausgeprägtem
        Verantwortungsbewusstsein einiger Spitzen der Adminis-
        tration. Vieles von dem hatte ich bereits in meiner Rede
        zur Regierungserklärung zum Fortschrittsbericht zur
        Lage in Afghanistan am 21. Januar 2011 bemängelt; all
        das wird auch im vorliegenden Antrag von der SPD be-
        mängelt, und dem stimmen wir natürlich zu.
        Darüber hinaus finden sich im Antrag viele Allgemein-
        plätze und Forderungen, die von der Bundesregierung oh-
        nehin schon umgesetzt werden, wie beispielsweise zum
        Provincial Development Fund.
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        Und leider finden sich im Antrag auch einige Forde-
        ngen, die linker Ideologie geschuldet sind, aber mit der
        ealität in Afghanistan nichts zu tun haben. Im Gegen-
        il: Sie sind für die Betroffenen vor Ort brandgefährlich!
        o heißt es im Antrag: „Eine erzwungene Vermischung
        on humanitärer Hilfe und militärischem Einsatz lehnen
        ir ab.“ Oder an anderer Stelle: „Kontraproduktiv für die
        ntwicklungszusammenarbeit [ist es]…, zivile Aufbau-
        rbeit und Militär stärker zu verknüpfen“.
        Solche Vorwürfe sind polemisch, und Bundesminister
        iebel weist sie zurecht als „Desinformation“ zurück.
        er so etwas fordert, will damit in der Öffentlichkeit nur
        illig punkten, hat aber nicht begriffen, worum es in Af-
        hanistan eigentlich geht: Es geht darum, dass wir es
        chaffen müssen, dass Hilfsorganisationen schneller dort
        or Ort sind, wo militärische Operationen zur Sicherung
        on Gebieten stattgefunden haben. Nur so spüren die
        enschen in den geschützten Regionen eine Friedens-
        ividende, die ihnen hilft, mittel- und langfristig zu sta-
        ilen und gesicherten Lebensverhältnissen zu kommen.
        as gelingt nur, wenn die NGOs auch über die entspre-
        henden Operationen frühzeitig informiert werden, da-
        it sie ihre Programme darauf ausrichten und in den ge-
        icherten Gebiete arbeiten können.
        Dieses Konzept wird von den NGOs nicht nur mitge-
        agen, sondern auch angenommen und umgesetzt. Das
        ird allein schon daran deutlich, dass die 10 Millionen
        uro, die für private Träger im Rahmen des vernetzten
        nsatzes ausgeschrieben waren, schnell ausgeschöpft
        urden. Daher werden für dieses Jahr weitere 10 Millio-
        en Euro zur Verfügung gestellt, um diesen erfolgver-
        prechenden Ansatz weiter zu unterstützen. Das sind wir
        icht nur den Afghanen schuldig, sondern auch den Ent-
        icklungshelfern selbst. Sie brauchen für eine erfolgrei-
        he Arbeit ein sicheres Umfeld. Daher ist die Entkoppe-
        ng von zivilem Aufbau und militärischem Engagement
        in denkbar schlechter Ansatz, um eine nachhaltige Ent-
        icklung in Afghanistan zu unterstützen.
        Noch mehr: Ich wüsste nicht, ob unser Land mit gutem
        ewissen das Engagement von Aufbauhelfern in Afgha-
        istan weiter in Anspruch nehmen könnte, ohne die ohne-
        in schon riskanten Arbeitsbedingungen unnötig zu ver-
        chärfen. Wie prekär diese sind, zeigt allein der Anschlag
        uf das UN-Hauptquartier im nordafghanischen Mazar-i-
        charif, dem am vorletzten Freitag elf Menschen zum
        pfer gefallen sind.
        Daher sollten wir alles tun, was erforderlich ist, um
        ie Sicherheit unserer Entwicklungsfachkräfte sicherzu-
        tellen. Realitätsferne und ideologiebeladene Debatten
        ber das Verhältnis unserer Soldaten und Entwicklungs-
        xperten in Afghanistan bringen uns nicht weiter – im
        egenteil: Wir tragen als Parlamentarier auch für die Si-
        herheit unserer Fachkräfte vor Ort Verantwortung –,
        nd mit solchen Debatten werden wir ihr nicht gerecht.
        Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Wie ich an die-
        er Stelle bereits mehrfach ausgeführt habe, ist die enge
        erzahnung ziviler und militärischer Mittel der Schlüs-
        el zum Erfolg in Afghanistan. Beide sind zwei Seiten
        iner Medaille, die ohne einander nicht denkbar sind.
        12124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
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        Wenn wir die Voraussetzung dafür schaffen wollen, die
        Verantwortung nach und nach in afghanische Hände zu
        legen, müssen wir den zivilen Aufbau weiterhin unter-
        stützen. Wir können unser militärisches Engagement nur
        dann zurückfahren, wenn wir unser ziviles Engagement
        verstärken. Darauf kommt es zunehmend an.
        Der heute unter TOP 13 zur Debatte stehende Antrag
        der SPD-Fraktion zur „Stärkung der humanitären Lage
        in Afghanistan und der partnerschaftlichen Kooperation
        mit Nichtregierungsorganisationen“ und der Antrag der
        Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für einen nachhalti-
        gen Ausbau des Bildungs- und Hochschulsystems in Af-
        ghanistan“ behandeln beide die zivile Seite des Wieder-
        aufbaus. Da Kollegin Pfeiffer auf den Antrag der SPD-
        Fraktion eingeht, beschränke ich mich hier auf den An-
        trag von Bündnis 90/Die Grünen.
        Ihr Antrag verlangt eine erhebliche Verstärkung des
        deutschen Engagements in der Bildungsförderung. Sie
        bemängeln, das deutsche Engagement bleibe in seinem
        Umfang hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück. Des-
        halb fordern Sie eine Fülle von umfangreichen und kos-
        tenintensiven Einzelmaßnahmen zum Ausbau des Bil-
        dungs- und Hochschulsystems.
        Lassen Sie mich dazu kurz festhalten: Ich stimme ab-
        solut mit Ihnen überein, dass Bildung der Schlüssel für
        Prosperität, Wachstum, Versöhnung und Stabilität in Af-
        ghanistan ist. Darüber sind wir uns alle einig.
        Ihr Versuch, mit dem Antrag Defizite deutscher Poli-
        tik herbeizureden, geht jedoch an der Realität vorbei. Ich
        teile überhaupt nicht Ihre Ansicht, dass unser Engage-
        ment im Bildungsbereich defizitär ist.
        Wir sollten uns noch einmal vor Augen führen, dass
        das afghanische Bildungswesen in den Jahren des Bür-
        gerkriegs und unter den bildungsfeindlichen Taliban
        weitgehend kollabiert war. Zahlreiche Schulen wurden
        zerstört. Mädchen und Frauen waren fast vollständig
        vom Zugang zu Bildungseinrichtungen ausgeschlossen.
        Dies hat sich grundlegend geändert. Seit dem Ende der
        Talibanherrschaft zeigen sich insbesondere im Bereich
        der Grundbildung beachtenswerte Erfolge.
        Erlauben Sie mir den Verweis auf den Fortschrittsbe-
        richt der Bundesregierung zu Afghanistan: Die Einschu-
        lungsrate hat zwischen 2005 und 2007/08 von 37 Prozent
        auf 52 Prozent zugenommen, die Alphabetisierungsrate
        bei den 15- bis 24-Jährigen von 31 Prozent auf 39 Pro-
        zent. Neben der Versiebenfachung der Anzahl der afgha-
        nischen Schülerinnen und Schüler von rund 1 Million im
        Jahr 2001 auf rund 7 Millionen 2010 stieg der Anteil der
        Schülerinnen in Grundschulen von 0 Prozent im Jahr
        2001 auf 38 Prozent 2008. Der Frauenanteil der an allge-
        meinbildenden Schulen unterrichtenden Lehrkräfte liegt
        mittlerweile bei 29 Prozent. Sie finden heute Frauen in
        afghanischen Universitäten, im Parlament und im Kabi-
        nett.
        Natürlich gibt es immer noch erhebliche Defizite.
        Dennoch sind die bislang erreichten Erfolge viel besser
        als erwartet und umfassendem internationalen Engage-
        ment zu verdanken. Gerade unser deutsches Engagement
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        at zu diesen Erfolgen in entscheidendem Maße beige-
        agen.
        Die Bundesregierung engagiert sich unter anderem im
        chulsektor, bei der Lehrerausbildung, bei der Förde-
        ng von Deutsch als Fremdsprache und bei der Alpha-
        etisierung und Erwachsenenbildung. Es gibt zahlreiche
        artnerschaften zwischen deutschen und afghanischen
        niversitäten. Der Deutsche Akademische Austausch-
        ienst, DAAD, hat seit 2002 etwa 950 Stipendien verge-
        en.
        Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass
        ir unser Engagement in Afghanistan als eine Aufgabe
        on besonderem nationalem Interesse verstehen. Dies
        ilt auch für unser Engagement im Bildungsbereich, das
        ir uns bereits heute einiges kosten lassen. Ich verdeutli-
        he Ihnen dies anhand folgender Zahlen:
        Das BMZ hat von 2002 bis 2010 insgesamt rund
        0,5 Millionen Euro in die Grundbildung und rund
        9,5 Millionen Euro in die berufliche Bildung in Afgha-
        istan investiert. Das AA hat seit 2002 über 30 Schulen
        us Mitteln des Stabilitätspakts neu gebaut und Hunderte
        on Schulen mit Ausstattungsmaterial, Zelten sowie klei-
        en Baumaßnahmen unterstützt. Allein im Jahr 2010
        onnte durch die Erhöhung der Mittel im Bildungsbe-
        ich der Bau von über 20 Schulen begonnen werden.
        009 wurden dafür rund 1,15 Millionen Euro für die Aus-
        ildung afghanischer Lehrer bereitgestellt, zwischen
        002 und 2009 insgesamt 12,4 Millionen Euro. Das BMZ
        at im Zeitraum 2009 bis 2010 einen signifikanten Bei-
        ag zum nationalen Bildungsprogramm der afghanischen
        egierung in Höhe von 20 Millionen Euro geleistet. Der
        ochschulbereich wurde zwischen 2002 und 2009 mit
        nd 17 Millionen Euro aus dem Stabilitätspakt des AA
        nterstützt. 2010 sind es annähernd 4 Millionen Euro.
        as sind keine Peanuts, sondern substanzielle Summen.
        So wie Heidegger sagte, Sprache ist das Gehäuse des
        enschen, gestaltet Bildung dieses Gehäuse aus. Gerade
        ir Deutschen mit unserer großen bildungspolitischen
        ompetenz sind in der Verantwortung, an die jahrzehn-
        lang andauernde deutsch-afghanische Bildungspartner-
        chaft anzuknüpfen. Genau das machen wir aber bereits
        urch unser Engagement. Wir folgen deshalb der Be-
        chlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses und
        hnen Ihren Antrag ab.
        Burkhard Lischka (SPD): Wir befassen uns heute
        it einem Antrag, den wir als SPD-Bundestagsfraktion
        ereits vor zehn Monaten in den Deutschen Bundestag
        ingebracht haben. Der zivile Aufbau Afghanistans, Ge-
        undheit, Bildung, Beschäftigung, Lebensperspektiven,
        enschen- und Frauenrechte, all das thematisiert dieser
        ntrag. Und wir wissen: All das sind Schlüsselbegriffe,
        enn es um die Zukunft Afghanistans geht. Es waren
        chlüsselbegriffe vor knapp einem Jahr, als wir diesen
        ntrag gestellt haben, und sie sind es bis heute geblie-
        en.
        Ja, es gibt Fortschritte in Afghanistan: bei der Infra-
        truktur, in der Bildung, bei der Gesundheitsversorgung.
        ber wir treten eben auch in vielen Bereichen seit Jahren
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12125
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        auf der Stelle. Und – wer wollte das leugnen? – es gibt
        auch Rückschritte.
        Herr Niebel, als Sie vor einigen Wochen hier im
        Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung zu Af-
        ghanistan abgegeben haben, da sagten Sie: „Wer heute
        an den Hindukusch kommt, der sieht: Die Kinder lassen
        wieder Drachen steigen.“ Die Lebensfreude fasse wieder
        Fuß in Afghanistan, meinten Sie.
        Ich weiß nicht, Herr Niebel, was Sie gedacht haben,
        als vor wenigen Tagen sieben UN-Mitarbeiter in Mazar-
        i-Scharif gelyncht wurden, als ein deutscher Entwick-
        lungshelfer Ende des vergangenen Jahres bei seiner Ar-
        beit getötet wurde. Ich weiß nicht, was Sie empfunden
        haben, als wir vor einigen Wochen erfahren mussten,
        dass im vergangenen Jahr fast 3 000 Zivilisten – mehr
        als je zuvor – in Afghanistan ums Leben gekommen
        sind. Mit „einer Fuß fassenden Lebensfreude“ hat all das
        sicherlich nichts zu tun.
        Herr Niebel, ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie auch
        auf die Fortschritte, die wir in Afghanistan haben, ver-
        weisen. Nochmals: Ja, die gibt es. Ich verlange aber von
        Ihnen als verantwortlicher Minister, dass Sie schonungs-
        los und offen auch die Probleme und die Rückschritte
        benennen, mit denen wir es auch in Afghanistan zu tun
        haben, und dass Sie Strategien und Konzepte entwickeln
        und hier im Deutschen Bundestag vorlegen, wie wir
        diese Probleme überwinden können. Das ist Ihre Auf-
        gabe als zuständiger Minister, Herr Niebel. Und da sind
        Sie in der Vergangenheit leider vieles, vieles schuldig
        geblieben. Wo ist Ihre zukunftsfeste Strategie, Herr
        Niebel? Ich sehe sie nicht.
        Zehn Jahre nach Beginn des Einsatzes wissen wir:
        Viele Hoffnungen, die weite Teile der afghanischen Be-
        völkerung mit dem Beginn des Einsatzes verknüpft hat-
        ten, wurden enttäuscht. Die anfängliche Begeisterung ist
        viel zu oft inzwischen umgeschlagen in Frustration, Ab-
        lehnung, teilweise sogar offene Feindschaft. Woran liegt
        das? Was für Fehler haben wir in der Vergangenheit ge-
        macht? Wie können wir aus diesen Fehlern für die Zu-
        kunft lernen? Welche Maßnahmen und Projekte haben
        sich demgegenüber als erfolgreich herausgestellt? Wie
        können wir diese Ansätze verstärken und ausbauen?
        Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend,
        wenn wir mithelfen wollen, dass die Menschen in Af-
        ghanistan wieder Perspektiven für sich und ihre Kinder
        sehen sollen, wenn sie wieder Hoffnung schöpfen sollen,
        wenn sie an ihre Zukunft denken.
        Deshalb brauchen wir eine unabhängige und fachkun-
        dige Analyse und Evaluation unseres bisherigen Engage-
        ments. Das aber verweigern Sie bis zum heutigen Tag.
        Das werden Sie auch heute Abend wieder verweigern,
        wenn Sie unseren Antrag ablehnen, der genau dies ein-
        fordert. Angesichts der Rückschläge und der Probleme,
        die wir in Afghanistan haben, ist das unverständlich.
        Und ich sage deutlich: Es ist auch politisch verantwor-
        tungslos.
        Politisch verantwortungslos ist es auch, Herr Niebel,
        wenn Sie jetzt immer noch einfordern, die in Afghanistan
        tätigen Hilfsorganisationen müssten näher an das Militär
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        eranrücken und würden nur dann unterstützt, wenn sie
        it dem Militär zusammenarbeiten. Wissen Sie, Herr
        iebel, ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn eine Or-
        anisation aus freien Stücken für sich die Entscheidung
        ifft, mit dem Militär zu kooperieren. Ich habe aber etwas
        agegen, wenn Sie auch alle anderen Organisationen in
        ieses Korsett zwingen wollen, selbst dann, wenn diese
        agen: Das gefährdet unsere Projekte. Das gefährdet un-
        ere Mitarbeitet. Das gefährdet diejenigen Afghanen, die
        ei uns Hilfe suchen. – Und wenn Sie dann Hilfsorgani-
        ationen, die ihre Sorge öffentlich machen, auch noch
        esinformation vorwerfen, dann ist das ein starkes Stück.
        Desinformation, Herr Niebel, ist es, wenn Sie dieser
        age im Tagesspiegel behaupten, Hilfsorganisationen,
        ie frühzeitig über militärische Operationen informiert
        eien, könnten ihre Planungen darauf einstellen und
        ann schneller in Gebieten tätig werden, in denen vorher
        ampfhandlungen stattgefunden haben. So aber funktio-
        iert Entwicklungshilfe nicht, Herr Niebel, weil die
        ilfsorganisationen gerade dann als Partei eines Bürger-
        rieges wahrgenommen werden und nicht als neutrale,
        nabhängige Helfer. Ihr Vorhaben, die Hilfsorganisatio-
        en unter ein sicherheitspolitisches Primat zu stellen, ist
        lsch, Herr Niebel. Deshalb geben Sie es auf!
        Wenn ein Antrag wie dieser fast ein Jahr durch die
        remien des Deutschen Bundestags unterwegs ist, dann
        ann zweierlei passieren:
        Erste Möglichkeit: Der Antrag setzt Staub an. Oder,
        weite Möglichkeit: Er kann – quasi unfreiwillig – sehr
        eutlich machen, wie lange eine Sache schon im Argen
        egt. So wie hier, wo Sie seit einem Jahr versuchen, un-
        bhängige Hilfsorganisationen in eine politische und mi-
        tärische Gesamtstrategie einzubinden. Nur, Herr Niebel:
        as ist gefährlich. Denn die Hilfsorganisationen werden
        uch dann noch auf Jahre und Jahrzehnte in Afghanistan
        rbeiten, wenn sich die Militärs längst zurückgezogen ha-
        en. Aber sie sind dann darauf angewiesen, dass ihre Ar-
        eit in puncto Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit
        icht vorher diskreditiert wurde.
        Deshalb: Hören Sie auf mit dieser Politik! Sie be-
        chwert und behindert den Aufbau Afghanistans über
        014 hinaus, also in einer Zeit, wo Sie keine Verantwor-
        ng mehr tragen.
        Harald Leibrecht (FDP): Die Bundesregierung hat
        it Unterstützung der Koalitionsfraktionen eine Neujus-
        erung des deutschen Afghanistan-Engagements vorge-
        ommen. Wir haben einen Wechsel hin zu einem stärke-
        n zivilen Wiederaufbau vollzogen und haben uns auch
        uf internationaler Ebene mit dem Ansatz durchgesetzt,
        ass der Afghanistan-Einsatz nicht rein militärisch zu
        ewinnen ist. Unser militärisches Engagement wird nur
        achhaltig erfolgreich sein, wenn wir es mit größeren
        nstrengungen zur Entwicklung des Landes verbinden.
        Afghanistan ist ein Land, das jahrzehntelang von
        riegen gebeutelt wurde, in dem staatliche Strukturen
        ur schwach ausgeprägt sind und das durch die Wirren
        es Krieges in seiner Entwicklung weit zurückgeworfen
        urde. Afghanistan belegt im aktuellen Index zur
        12126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen,
        HDI, den vorletzten Platz von 182 Ländern. Ein Großteil
        der Bevölkerung lebt in Armut. Deshalb kann ich Ihnen
        nur zustimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
        SPD, wenn Sie in Ihrem Antrag darauf aufmerksam ma-
        chen, dass die Herausforderungen in Afghanistan enorm
        sind.
        Deutschland stellt sich seiner Verantwortung für Af-
        ghanistan und die internationale Sicherheit. Wir haben
        die Mittel für das zivile Engagement in Afghanistan auf
        insgesamt 430 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt und
        damit im Vergleich zum Jahr 2008 verdoppelt. Wir sollten
        die Herausforderungen und Probleme in Afghanistan
        nicht kleinreden, aber wir sollten auch die Fortschritte
        nicht ausblenden, die für viele Menschen spürbare Ver-
        besserungen in ihrem Alltag mit sich bringen. Die Kin-
        dersterblichkeit ist signifikant gesunken, und wir müssen
        uns weiter engagieren, damit sie weiter sinkt. Die Anzahl
        der Kinderheiraten (unter 15 Jahre) ist von 11 Prozent auf
        3 Prozent zurückgegangen. 7 Millionen Mädchen und
        Jungen wurden eingeschult, darunter ein Drittel Mäd-
        chen. In den nordafghanischen Provinzen, wo die deut-
        sche Entwicklungszusammenarbeit schwerpunktmäßig
        tätig ist, haben wir die höchsten Einschulungsraten in
        ganz Afghanistan. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen
        hat sich seit Beginn des internationalen Einsatzes von
        rund 175 auf circa 460 US-Dollar erhöht. Um diese Er-
        folge nicht zu gefährden, wird die deutsche Entwick-
        lungszusammenarbeit selbstverständlich auch nach Ab-
        zug der Bundeswehr weiter in Afghanistan aktiv sein.
        Die Bundesregierung hat ihr Engagement in Afgha-
        nistan spürbar verstärkt, aber sie stellt auch Anforderun-
        gen an die afghanische Regierung, was beispielsweise
        die Bekämpfung von Korruption und gute Regierungs-
        führung angeht. Der Bundesminister für wirtschaftliche
        Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel hat bei
        seinem Besuch in Afghanistan vor knapp zwei Wochen
        zunächst nur Zusagen über die erste Hälfte der für 2011
        im BMZ-Haushalt vorgesehen Mittel in Höhe von
        240 Millionen Euro gemacht. Die Auszahlung der zwei-
        ten Tranche hat Dirk Niebel an messbare Fortschritte bei
        der Regierungsführung geknüpft. Der Bundesentwick-
        lungsminister hat die ausdrückliche Unterstützung mei-
        ner Fraktion. Denn wir dürfen im Sinne der hilfebedürf-
        tigen Menschen in Afghanistan und der deutschen
        Steuerzahler Misswirtschaft und Korruption nicht dul-
        den.
        Der hier vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist in
        einigen Punkten bereits überholt. So haben wir mit dem
        Provincial Development Fund mittlerweile ein Instru-
        ment, das sich dem Thema ländliche Entwicklung wid-
        met und gleichzeitig lokale demokratische Entschei-
        dungsverfahren fördert.
        Ein weiterer Grund, weshalb die FDP-Fraktion dem
        Antrag nicht zustimmen kann, ist, dass er sich grundsätz-
        lich gegen das Konzept der vernetzten Sicherheit aus-
        spricht. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
        unterstützen dieses Konzept, weil die Entwicklungser-
        folge nachweislich dort am größten sind, wo die Sicher-
        heitslage stabil ist. Die SPD-Fraktion kommt ja selbst zu
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        em Schluss, dass sich Sicherheit und Entwicklung ge-
        enseitig bedingen.
        Nichtregierungsorganisationen leisten einen wichti-
        en Beitrag zum Aufbau des Landes. Ihre Arbeit ist da-
        ei mit großen Risiken behaftet. Die Bundesregierung
        rdert deren Tätigkeiten deshalb vorrangig dort, wo der
        chwerpunkt des deutschen Engagements liegt, also im
        orden. Dabei geht es nicht um eine Unterordnung zivi-
        r Kompetenzen unter militärische Prämissen, sondern
        m eine bessere Zusammenarbeit und Abstimmung von
        ivilem und militärischem Engagement. Es gibt Organi-
        ationen, die dieses Potenzial erkannt haben, wie zum
        eispiel die Stuttgarter Initiative Kinderberg Internatio-
        al.
        Die Bundesregierung hat die Unterstützung von Nicht-
        gierungsorganisationen im Jahr 2010 deutlich gestärkt.
        it dem NRO-Fazilitätsfonds wurden im Jahr 2010
        0 Millionen Euro für die Förderung von Projekten pri-
        ater deutscher Träger zur Verfügung gestellt. Im letzten
        ahr wurden die bereitgestellten Mittel vollständig abge-
        fen. Ich denke, dies zeigt, dass wir der Kooperation mit
        ichtregierungsorganisationen eine hohe Bedeutung zu-
        essen. Auch 2011 stellen wir erneut 10 Millionen Euro
        r die NRO-Fazilität zur Verfügung.
        Um in Afghanistan nachhaltige Erfolge zu bewirken,
        üssen alle beteiligten Akteure koordiniert und ziel-
        rientiert zusammenarbeiten. Dies gilt für die staatliche
        ntwicklungszusammenarbeit, für die Bundeswehr und
        r nichtstaatliche Akteure gleichermaßen. Wenn alle an
        inem Strang ziehen, können wir in Afghanistan konkrete
        ortschritte erzielen, die den Menschen vor Ort zugute
        ommen.
        Heike Hänsel (DIE LINKE): Im Parlament und in
        er Öffentlichkeit werden die Demokratiebewegungen
        Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Ländern
        it viel Sympathie begleitet. Kaum jemand aber spricht
        ber die politische Situation in Afghanistan. Es wird in
        er Öffentlichkeit und den Medien übersehen und auch
        ezielt ignoriert, dass es auch in Afghanistan demokrati-
        che und soziale zivilgesellschaftliche Kräfte gibt, die
        ich gegen das Karzai-Regime und die NATO-Besatzung
        enden und dafür auch in immer größerer Zahl auf die
        traße gehen. So zum Beispiel Ende Februar, als in der
        rovinz Kunar durch eine NATO-Bombardierung
        3 Menschen getötet wurden, darunter 50 Zivilisten. Sie
        ind davon überzeugt, dass diese Befreiung nur von den
        fghaninnen und Afghanen selbst kommen kann und
        icht durch Bomben. Diese zivilgesellschaftlichen
        räfte sind keine bezahlten NGOs, sondern größtenteils
        hrenamtliche Organisationen, Frauenrechtsbewegun-
        en, Studentengruppen, Menschenrechtsgruppen und
        pfervertreter und -vertreterinnen.
        Im Januar dieses Jahres hatte die Fraktion Die Linke
        ehn Afghaninnen und Afghanen in Berlin zu Gast, um
        uf der Konferenz „Das andere Afghanistan“ Perspekti-
        en für eine friedliche und demokratische Entwicklung
        u diskutieren. Sie kritisierten, dass die westlichen Regie-
        ngen seit 2001 einseitig prowestliche fundamentalisti-
        che Kräfte in ihrem Land gestärkt haben, die nach mili-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12127
        (A) )
        )(B)
        tärischen und geostrategischen Interessen ausgesucht
        wurden. Bei der Petersberger Konferenz 2001 und der
        Kabuler Konferenz 2010 waren maßgeblich Kriegsver-
        brecher, Warlords und andere Personen eingeladen, die
        Blut an den Händen haben; kritische zivilgesellschaftli-
        che Kräfte aber waren nicht beteiligt. Sie erfahren auch
        keinen Schutz und keine Unterstützung, sondern sind Op-
        fer von Anschlägen, müssen oft im Geheimen agieren
        und bleiben bei wichtigen politischen Verhandlungen au-
        ßen vor. Dies ist ein Skandal!
        Deshalb werden wir gemeinsam mit Friedensgruppen
        im Herbst anlässlich der zweiten Petersberger Konferenz
        diese kriegskritischen Stimmen aus Afghanistan sichtbar
        machen.
        Seit zehn Jahren herrscht Krieg in Afghanistan, Mil-
        liarden von Euro fließen in diesen Krieg. Nach Berech-
        nungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
        von 2010 kostet die Fortsetzung des Bundeswehreinsat-
        zes in Afghanistan Deutschland rund 3 Milliarden Euro
        pro Jahr. Insgesamt dürfte dem DIW zufolge die deut-
        sche Beteiligung am Afghanistan-Krieg etwa 36 Milliar-
        den Euro kosten.
        Währenddessen ist die humanitäre Lage in Afghanistan
        gleichbleibend schlecht. Afghanistan liegt auf Platz 181
        und damit auf dem vorletzten Platz des Human Develop-
        ment Index (HDI). Rund 80 Prozent der Frauen und
        60 Prozent der Männer sind Analphabeten, weniger als
        19 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu medizini-
        scher Versorgung und sauberem Wasser. Laut Weltbank
        liegt die Säuglingssterblichkeit bei 199 Kinder pro 1 000
        Geburten. Sie ist damit 50-mal so hoch wie in Deutsch-
        land. Die Armut wächst, Hunger bedroht mehr als ein
        Drittel der afghanischen Bevölkerung.
        Erfolge in der Entwicklungszusammenarbeit werden
        durch den Krieg konterkariert. Die Zahl der zivilen Op-
        fer steigt seit 2006 dramatisch an. Auch die Zahl der
        Menschen, die vor den Kriegshandlungen fliehen, steigt
        weiter an. Im Human Development Index heißt es, dass
        sich 2,8 Millionen Afghaninnen und Afghanen – das ist
        jeder zehnte Einwohner – auf der Flucht befinden, oft
        ohne ausreichende humanitäre und gesundheitliche Ver-
        sorgung. Auch ein Bericht der International Crisis Group
        bemängelt, dass der Krieg den Zugang der afghanischen
        Bevölkerung zu Gesundheitsversorgung, Bildung und
        anderen sozialen Dienstleistungen stark eingeschränkt
        hat. Angriffe auf Schulen, zum Beispiel das Abbrennen
        oder erzwungene Schließen von Schulen, die Verwen-
        dung von Schulen für militärische Zwecke sowie Dro-
        hungen gegen das Lehrerpersonal und Schülerinnen und
        Schüler nehmen zu.
        In ihrem Antrag fordern die Grünen, dass der Aufbau
        des afghanischen Bildungssystems unterstützt werden
        soll und Mittel für Bildungsprojekte verdoppelt werden
        sollen.
        Unsere Fraktion lehnt diesen Antrag ab. Der Bil-
        dungsansatz entspricht eher einer Elitenbildung und ist
        damit weit entfernt von dem Grundsatz „Bildung für
        alle“. Zudem wird der militärische Schutz von Bildungs-
        einrichtungen erwogen und trägt so zur gefährlichen
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        ermischung zwischen Zivilem und Militärischem bei.
        ach Angaben von NGOs sind zivile Projekte und Schu-
        n nämlich durch die Nähe des Militärs eher gefährdet
        enn geschützt.
        Die SPD-Fraktion kommt in ihrem Antrag zu der fa-
        len Fehleinschätzung, dass der ISAF-Einsatz dazu bei-
        age, in Afghanistan ein sicheres Umfeld für den zivilen
        ufbau und Entwicklung zu schaffen. Das Gegenteil ist
        chtig: Der Militäreinsatz muss beendet werden, damit
        ich überhaupt erst eine Perspektive für eine friedliche
        nd soziale Entwicklung eröffnen kann. Mit dem ISAF-
        insatz sind Wiederaufbau, Demokratie und Sicherheit
        weite Ferne gerückt. Wir teilen allerdings die Forde-
        ng des SPD-Antrags, die humanitäre Hilfe stärker auf
        ndliche Räume auszurichten und nicht nur auf die Re-
        ionen mit militärischer Bedeutung für die NATO-Trup-
        en zu konzentrieren. Seit langem fordern wir: Entwick-
        ngshilfe muss dort stattfinden, wo Bedarf für die
        evölkerung besteht, nicht für die Bundeswehr! Es freut
        ns, dass mittlerweile auch die SPD-Fraktion zu dieser
        rkenntnis gekommen ist.
        Die NATO ist ein Unsicherheitsfaktor in Afghanistan.
        er Bombenangriff bei Kunduz im Jahr 2009 hat dies in
        ller Deutlichkeit gezeigt. Die Linke fordert deshalb den
        ofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
        ur wenn die Waffen schweigen und die afghanischen
        onfliktparteien in einen politischen Friedens- und Aus-
        öhnungsprozess eingebunden werden, kann der Wieder-
        ufbau erfolgreich sein.
        Wir fordern dazu auf, die friedlichen zivilgesell-
        chaftlichen Kräfte endlich wahrzunehmen und ihre For-
        erungen zu unterstützen. Die Bundesregierung samt ih-
        r Vorgängerregierungen hat jahrelang zahlreiche
        iktatorische Regime im arabischen Raum unterstützt
        nd militärisch aufgerüstet. Jetzt werden sie aufgrund
        es starken Drucks aus der Bevölkerung nach und nach
        llengelassen. Doch gleichzeitig geht die Unterstützung
        r das korrupte Karzai-Regime und zahlreiche krimi-
        elle Kriegsfürsten in Afghanistan weiter. Diese Politik
        t in höchstem Masse unglaubwürdig.
        Wer also eine wirkliche Verbesserung der humanitä-
        n Lage in Afghanistan erreichen will und die Interes-
        en der Bevölkerung ernst nimmt, muss diesen Krieg be-
        nden und die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen,
        icht erst 2014 sondern sofort.
        Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie
        önnen sich vorstellen, wie mich der Angriff auf die UN
        m vergangenen 1. April getroffen hat. Als ich dort gear-
        eitet habe, war es mein schlimmster Alptraum, dass ge-
        au das passieren könnte, was jetzt in Mazar-i-Scharif
        assiert ist. Ich trauere um meine ermordeten Kollegin-
        en und Kollegen, die zivilen UN-Mitarbeiter und ihre
        pferen nepalesischen Guards. Mein Beileid gilt ihren
        amilien und Freunden, mein Respekt allen Kollegen
        er UNAMA-Mission, die sich trotz allem weiter in Af-
        hanistan für Menschenrechte und Frieden einsetzen.
        Ich habe in Afghanistan und anderen UN-Missionen
        iele Reformen begleitet: Polizeiaufbau, Verwaltungs-
        12128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        aufbau, Justizreformen. Es gab auch viele Erfolge, aber
        die Erfolge, die nachhaltig Wirkung erzielt hatten, waren
        alle Bildungserfolge. Das gilt auch in Afghanistan: Fast
        alles, was die Sowjets in ihren 20 Jahren Einfluss und
        zehn Jahren Besetzung errichtet haben, ist zertrümmert.
        Aber wenn man heute in Kabul einen Kinderarzt trifft,
        dann ist er in aller Regel unter den Sowjets ausgebildet
        worden. Von den vielen Modernisierungsprojekten der
        Sowjets ist nur das geblieben.
        Es ist nicht alles schlecht in Afghanistan. Wir haben
        immer betont, was gut ist. Wer von den guten Dingen in
        Afghanistan spricht, der spricht von den Schulen. Das ist
        ein Ansatz, der gerade in der Grundbildung gelungen ist,
        der wichtig ist, der von uns erwartet wird und bei dem
        wir Expertise bieten können. Ich kann nicht verstehen,
        dass wir diesem Ansatz nicht stärker und konsequenter
        verfolgen. Warum haben wir ein großes schönes
        EU-POL-Headquarter gebaut, aber in der Schule gegen-
        über ist seit Jahren das Dach undicht? Wie kann es sein,
        dass zwei von fünf Schülerinnen im Freien unterrichtet
        werden müssen?
        Wie erklären wir, dass wir für die Förderung der af-
        ghanischen Sekundarschulen von 2002 bis 2009 ebenso
        viel Geld ausgegeben haben, wie wir im Monat für den
        Erhalt des Wehrmaterials? Warum lassen wir zu, dass
        das Goethe-Institut und die Amani-Oberrealschule in
        Kabul verfallen? In dieser Schule saßen seit 1924 die
        Kinder der Elite Afghanistans – und nicht nur die wirt-
        schaftliche, auch die intellektuelle Elite – auf der Schul-
        bank; jetzt verfällt das Gebäude. Andere Staaten reno-
        vieren und vergrößern ihre Bildungsinstitutionen in
        Afghanistan, wir machen nichts. Warum ist das Büro des
        Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Kabul
        seit Monaten unbesetzt? Warum wird es jetzt offenbar
        ganz geschlossen?
        Warum kürzen wir die wenigen Stipendien- und Aus-
        tauschprogramme zwischen deutschen und afghanischen
        Universitäten? Warum geben wir 430 Millionen Euro für
        zivile Hilfe in Afghanistan aus, aber nur 2,3 Millionen
        für die Hochschulförderung? Allein die University of
        Massachusetts erhält von den USA 6,8 Millionen Euro
        für die Austauschprogramme mit Afghanistan – also das
        Dreifache von dem, was wir für die gesamte Universi-
        tätskooperation ausgeben. Gerade bei den Universitäten
        ist die deutsche Zurückhaltung unbegreiflich. Dort, an
        den Universitäten, wird die Bildungs- und Verwaltungs-
        elite Afghanistans ausgebildet. Von dort kommen die
        Menschen, die bald den Staat lenken und die Gesell-
        schaft prägen werden. Doch auch zehn Jahre nach dem
        Fall der Taliban sind die Universitäten in einem erbärm-
        lichen Zustand. Laut dem zuständigem Ministerium sind
        nur 134 der 2 572 Lehrenden promoviert. Warum haben
        wir denen nicht schon längst Stipendien angeboten? An-
        dere Staaten sind da aktiver, der Iran allen voran.
        Es gibt einzelne gute deutsche Projekte: zum Beispiel
        die Ausbildungsprogramme von Professor Wilhelm
        Löwenstein, die Kooperationen zur Curriculum-Reform
        oder die IT-Projekte von Dr. Peroz. Warum man solche
        Ansätze nicht vervielfältigt hat, das will ich nicht verste-
        hen. Dass man aber selbst diese Erfolgsprojekte nicht
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        ngemessen finanziert, ist einfach empörend. Sie sind
        euchttürme, die das Elend der deutschen Hochschulför-
        erung beleuchten. Sie zeigen, was alles möglich wäre,
        enn der politische Wille vorhanden wäre.
        Jedes Mal, wenn ich in Afghanistan bin, fragt man
        ich, worauf wir eigentlich warten. Nicht nur die
        GOs, die Studentinnen und Studenten, die Lehrenden,
        ondern auch das Ministerium wünscht sich mehr Enga-
        ement Deutschlands. Wir gelten dort als Vorbild für das
        kademische System, von uns will man lernen, wie man
        niversitäten organisiert. Es geht dabei nicht nur um
        eld. Die Afghanen wollen vor allem Beratung und Ex-
        ertise. Warum sträuben wir uns? Seit zehn Jahren wol-
        n wir in Afghanistan einen Staat, in dem die Menschen
        ehr Zeit in Schulen und Universitäten verbringen als in
        asernen. Dieses Ziel sollte auch darin deutlich werden,
        ie wir unsere Förderungen gewichten. Der Erfolg der
        fghanistan-Mission hängt nicht so sehr davon ab, ob
        enug und ausreichend qualifiziertes Personal für Armee
        nd Polizei vorhanden ist. Wichtiger ist, dass die Afgha-
        en Tag für Tag friedlich und gerecht miteinander umge-
        en – auch dann, wenn kein Polizist in der Nähe ist. Bil-
        ung ist hierfür eine entscheidende Voraussetzung.
        Aus drei Gründen sind wir in Afghanistan aktiv: Wir
        ollen dort Frieden und Demokratie. Wir wollen verhin-
        ern, dass Terror wächst. Und wir wollen die Beziehun-
        en zu unseren Bündnispartnern pflegen. Für alle drei
        iele ist Bildung ein sehr gutes Mittel. Wenn wir da wei-
        r zaudern und knausern, bleibt nach 2014, dem Abzug
        nserer Kampftruppen, vom deutschen Engagement in
        fghanistan so wenig wie von den großen Staudamm-
        rojekten der 1930er- und 1960er-Jahre – nämlich
        ichts.
        nlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen
        den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz
        (Holzhandels-Sicherungs-Gesetz – HolzSiG) (Ta-
        gesordnungspunkt 12)
        Alois Gerig (CDU/CSU): Die weltweite Zerstörung
        er Wälder nimmt dramatische Ausmaße an: Jährlich ge-
        en auf unserer Erde rund 13 Millionen Hektar Wald
        erloren; das entspricht mehr als der gesamten Waldflä-
        he Deutschlands. Durch Waldzerstörungen verschwin-
        en nicht nur wertvolle Lebensräume für Tiere und
        flanzen; auch die für den Klimaschutz notwenige Koh-
        nstoffspeicherung der Wälder wird erheblich abge-
        enkt. Waldzerstörungen tragen mit rund 20 Prozent zu
        en globalen Emissionen von Treibhausgasen bei.
        Eine wichtige Ursache für die weltweiten Waldzerstö-
        ngen ist der illegale Holzeinschlag insbesondere in den
        ropen. In Deutschland und anderen Ländern Europas
        t der illegale Holzeinschlag in der Regel kein ausge-
        rägtes Problem. Wahr ist aber auch, dass Europa ein
        ichtiger Markt für Holz aus anderen Teilen Welt ist –
        uch für Holz aus illegalem Einschlag. Das Johann-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12129
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        Heinrich-von-Thünen-Institut hat ermittelt, dass 10 bis
        18 Prozent des Holzes, das zwischen der EU und Dritt-
        ländern gehandelt wird, aus illegalem Einschlag stammt.
        Für Deutschland wird davon ausgegangen, dass 3 bis
        6 Prozent aller Holzeinfuhren illegaler Herkunft sind.
        Damit unsere Nachfrage nach Holz nicht zu Waldzer-
        störungen anderswo beiträgt, müssen wir dem Handel
        mit illegal geschlagenem Holz einen Riegel vorschieben.
        Aufgrund der überragenden Bedeutung der Wälder für
        die Biodiversität und den Klimaschutz muss der Wald-
        zerstörung Einhalt geboten werden. Die Europäische
        Union hat sich dieser Aufgabe angenommen: Mit dem
        Aktionsplan „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und
        Handel im Forstsektor“, Forest Law Enforcement, Go-
        vernance and Trade – FLEGT, will die EU Holzimporte
        besser kontrollieren und den illegalen Holzeinschlag be-
        kämpfen.
        Zentrale Bausteine des FLEGT-Aktionsplans sind
        zwei Verordnungen: Im vergangenen Jahr wurde vom
        Europäischen Parlament und vom Rat die EU-Holzhan-
        delsverordnung beschlossen, die das Inverkehrbringen
        von illegal geschlagenem Holz verbietet. Zudem werden
        den Marktteilnehmern bestimmte Sorgfaltspflichten vor-
        geschrieben.
        Bereits aus dem Jahr 2005 stammt eine weitere Ver-
        ordnung, die Holzeinfuhren aus den Partnerländern der
        EU regelt. Um die letztgenannte Verordnung in Deutsch-
        land umzusetzen, hat die Bundesregierung das Holzhan-
        dels-Sicherungs-Gesetz vorgelegt, das wir heute ab-
        schließend beraten.
        Mit dem Holzhandels-Sicherungs-Gesetz wollen wir
        die erforderlichen Regelungen schaffen, damit deutsche
        Behörden Holzlieferungen aus den Partnerländern der
        EU kontrollieren können. Partnerländer sind derzeit
        Ghana, Kamerun, Kongo und die Zentralafrikanische
        Republik. Im Rahmen von freiwilligen Partnerschaftsab-
        kommen hilft die EU den Partnerländern dabei, dass nur
        legal geschlagenes Holz auf den Markt gelangen kann
        und die Forstwirtschaft an den Prinzipien der Nachhal-
        tigkeit ausgerichtet wird. Im Gegenzug können die Part-
        nerländer nur noch Holz in die EU einführen, das legal
        geschlagen wurde. Die Legalität wird durch eine soge-
        nannte FLEGT-Genehmigung nachgewiesen, die bei der
        Einfuhr in die EU von den zuständigen Behörden der
        Mitgliedstaaten kontrolliert wird. Das Holzhandels-Si-
        cherungs-Gesetz sieht vor, dass die Kontrollen in
        Deutschland vom Bundesamt für Landwirtschaft und Er-
        nährung, BLE, und von den Zollbehörden durchgeführt
        werden.
        Aus meiner Sicht sind die freiwilligen Partnerschafts-
        abkommen und die Einführung des FLEGT-Genehmi-
        gungssystems der richtige Ansatz: Europa stellt nicht
        einseitige Gebote auf, sondern leistet Hilfestellung, um
        vor Ort eine legale und nachhaltige Waldbewirtschaf-
        tung aufzubauen. Dies ist eine wichtige Maßnahme ge-
        gen den Raubbau am Wald. Nur wenn sich eine legale
        und nachhaltige Waldnutzung wirtschaftlich lohnt, be-
        stehen auch Anreize, die Wälder auf Dauer zu erhalten.
        Ziel muss es sein, dass die Holzwirtschaft in den Part-
        nerländern langfristig zur Existenzsicherung der Men-
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        chen beitragen kann, die im und vom Wald leben. Für
        andel, Holzverarbeiter und Endverbraucher in Europa
        ringt die Einführung der FLEGT-Genehmigung mehr
        icherheit, dass Holz aus den Partnerländern legal ge-
        chlagen wurde.
        Damit möglichst viele Holzeinfuhren in die EU unter
        ie FLEGT-Genehmigung fallen, ist es wünschenswert,
        ass mit mehr Holzlieferländern Partnerschaftsabkom-
        en geschlossen werden. Die Partnerschaftsabkommen
        it Ghana, Kamerun, Kongo und der Zentralafrikani-
        chen Republik können nur ein Anfang sein. Sicher ist
        icht zu erwarten, dass mit allen Holzlieferländern Part-
        erschaftsabkommen vereinbart werden können. Aus
        iesem Grund ist es äußerst wichtig, die bereits ange-
        prochene EU-Holzhandelsverordnung auch umzuset-
        en. Um den illegalen Holzeinschlag einzudämmen,
        chreibt diese Verordnung den Marktteilnehmern in der
        U bestimmte Sorgfaltspflichten vor, und zwar unab-
        ängig vom Herkunftsland des Holzes.
        Neben der Hilfe zum Aufbau einer legalen und nach-
        altigen Waldbewirtschaftung bieten die Partnerschafts-
        bkommen auch den Vorteil, dass durch die FLEGT-Ge-
        ehmigung bestimmte Nachweispflichten aus der EU-
        olzhandelsverordnung entfallen. Es ist bereits jetzt er-
        ennbar, dass dies weitere Holzlieferländer motiviert,
        uch Partnerschaftsabkommen mit der EU anzustreben.
        s ist erfreulicherweise damit zu rechnen, dass die EU
        ald mit fünf weiteren Holzlieferländern Partnerschafts-
        bkommen abschließen wird.
        Im Holzhandels-Sicherungs-Gesetz ist vorgesehen,
        ass bei der Einfuhr von Holz aus Partnerländern nach
        eutschland die Überprüfung der FLEGT-Genehmigun-
        en durch das BLE sowie durch die Zollbehörden er-
        lgt. Um einen reibungslosen Datenaustausch zwischen
        en Behörden zu ermöglichen, ist die Anschaffung eines
        euen IT-Systems geplant. Die Investitionskosten in
        öhe von 500 000 Euro erscheinen auf den ersten Blick
        ls viel Geld. Wenn man aber bedenkt, dass in absehba-
        r Zeit weitere Länder hinzukommen werden und eine
        teigende Anzahl von Holzeinfuhren aus diesen Ländern
        u überprüfen sein wird, so wird die Verhältnismäßigkeit
        er eingesetzten Finanzmittel schnell gegeben sein.
        BLE und Zollbehörden müssen effektiv zusammenar-
        eiten, um Verstöße gegen das FLEGT-Genehmigungs-
        ystem aufzuspüren und illegal geschlagenes Holz vom
        arkt zu nehmen. Das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz
        erleiht dem BLE die dafür erforderlichen Befugnisse: So
        önnen beispielsweise verdächtige Holzlieferungen si-
        hergestellt und untersucht werden. Entsprechen Liefe-
        ngen nicht den Anforderungen des FLEGT-Genehmi-
        ungssystems, so kann die Behörde diese Lieferung
        öllig aus dem Verkehr ziehen. Zur Ahndung von Verstö-
        en gegen das FLEGT-Genehmigungssystem sind zudem
        trafen und Bußgelder vorgesehen. Das Holzhandels-Si-
        herungs-Gesetz macht deutlich, dass für uns in Deutsch-
        nd der Handel mit illegal geschlagenem Holz kein Ka-
        aliersdelikt ist. Illegaler Holzeinschlag trägt nicht nur
        ur weltweiten Zerstörung der Wälder bei, er verzerrt
        uch erheblich den Wettbewerb auf dem Holzmarkt. Holz
        us illegalem Einschlag muss so gut es geht vom Markt
        12130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        genommen werden, damit die Marktteilnehmer, die legal
        und nachhaltig erzeugtes Holz anbieten, nicht benachtei-
        ligt sind.
        Das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz ist ein wichtiger
        Schritt, um den Handel mit illegal geschlagenem Holz
        zu bekämpfen. Weitere Schritte müssen unbedingt fol-
        gen. Ich denke besonders an die Umsetzung der EU-
        Holzhandelsverordnung. Mit dem Holzhandels-Siche-
        rungs-Gesetz setzen wir im Internationalen Jahr der
        Wälder ein wichtiges Signal, dass Deutschland entschie-
        den gegen den Handel mit illegal geschlagenem Holz
        vorgeht und einen Beitrag zum weltweiten Schutz der
        Wälder leistet.
        Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetz zuzustimmen.
        Petra Crone (SPD): Leider muss ich auch im Inter-
        nationalen Jahr der Wälder meine Rede mit dem Satz be-
        ginnen: Die illegale Abholzung ist in vielen waldreichen
        Ländern der Welt immer noch gängige Praxis. Der ge-
        samte Verlust an Wald auf der Erde beläuft sich laut Be-
        rechnungen der Welternährungsorganisation FAO auf
        jährlich etwa 13 Millionen Hektar. Wir verlieren hier
        überwiegend Flächen des tropischen Regenwaldes, und
        wir verlieren Herzstücke der Biodiversität. Ein Verlust
        von 13 Millionen Kubikmeter hieße: Wir würden kom-
        plett unsere deutsche Waldfläche innerhalb eines Jahres
        verlieren.
        Illegaler Holzeinschlag ist ein Problem, das in seinen
        Ausmaßen nicht verheerend genug beschrieben werden
        kann – vom Verlust der Artenvielfalt bis hin zu den
        nachteiligen sozialen Folgen für die dortige Bevölke-
        rung. Waldrodung ist zudem für rund 20 Prozent der
        Treibhausgasemissionen verantwortlich. Was nach dem
        globalen Raub an der Natur zurückbleibt, ist ein zerstör-
        ter Wald. Er ist kein Lebensraum mehr – weder für Men-
        schen noch für Tiere und Pflanzen.
        Ein starker Motor für die Zerstörung der Wälder ist
        die internationale und die europäische Nachfrage nach
        billigem Holz. Die Einfuhr illegalen Holzes nach
        Deutschland liegt schätzungsweise bei 3 bis 6 Prozent.
        Würden wir uns nur die Tropenholzimporte anschauen,
        läge der Anteil wohl um einiges höher. Es ist fast un-
        möglich, belastbare Zahlen über den Raubholzhandel zu
        bekommen. Der Anteil an illegalem oder verdächtigem
        Holz wird bei Lieferungen aus Afrika oder Südostasien
        auf fast 50 Prozent geschätzt.
        Es herrscht also dringendster Handlungsbedarf. Im
        Jahr 2003 wurde auf europäischer Ebene der Aktions-
        plan „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel
        im Forstsektor“, kurz FLEGT, ins Leben gerufen. Ein
        Eckstein dieser Politik sind die freiwilligen Partner-
        schaftsabkommen zwischen der EU und holzausführen-
        den Ländern. Sie bezwecken eine aktive Einbeziehung
        waldreicher Länder, in denen sich der illegale Holzein-
        schlag jeden Tag vollzieht.
        Das uns vorliegende Holzhandels-Sicherungs-Gesetz
        setzt nun die europäische Verordnung zur Einrichtung ei-
        nes FLEGT-Genehmigungssystems für Holzeinfuhren in
        die Europäische Gemeinschaft in nationales Recht um.
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        m Ende soll, vor allem für die Verbraucherinnen und
        erbraucher, die Gewissheit stehen: Alle Hölzer und
        olzprodukte aus dem Partnerland sind legalen Ur-
        prungs. Hierzu wird die Fracht mit einer FLEGT-Ge-
        ehmigung versehen. Fehlt diese Genehmigung, ist die
        infuhr von Holzprodukten aus dem Partnerland verbo-
        n.
        Als erstes Partnerland hat Ghana Ende 2009 ein Ab-
        ommen mit der EU unterzeichnet. Die Republiken
        ongo und Kamerun werden folgen, später auch die
        entralafrikanische Republik. Die Ratifizierungen müs-
        en abgewartet warten. Weitere Verhandlungen sind im
        ange. Ich hoffe auf viele belastbare Abschlüsse, beson-
        ers mit Malaysia und Indonesien. Im Herkunftsland
        elbst wird ein Rückverfolgungssystem für Holz einge-
        chtet. Dieses soll die definierte Legalität gewährleisten.
        er erste und der wichtigste Kontrollpunkt ist unseres
        rachtens schon die Baumfällung. Die Vertragsparteien
        erpflichten sich zudem, eventuelle negative Auswir-
        ungen des Abkommens auf die Existenzgrundlagen der
        kalen Gemeinschaften zu verhindern. Es werden bei-
        pielsweise Einkommensalternativen für Holzfäller ge-
        chaffen.
        Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass
        er Erfolg der Partnerschaftsabkommen im Wesent-
        chen von der politischen Situation in den Ländern ab-
        ängen wird. Bestehen stabile rechtsstaatliche Struktu-
        n und eine Verwaltung, die die Einhaltung der
        egalität sichert? Oder besteht erhöhtes Risiko, dass
        ine illegale Regelung durch einen Federstrich legal
        ird? Die Unterstützung von guter Regierungsführung
        uch im Rahmen der FLEGT-Maßnahmen bleibt daher
        on zentraler Bedeutung.
        Wie gestaltet sich nun die Kontrolle in Deutschland?
        as wird durch das vorliegende Gesetz geregelt. Vorab
        ill ich anmerken: Ein Gesetz kann immer nur so gut
        ein, wie dessen Umsetzung gelingt. Als zuständige Be-
        örde ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Er-
        ährung vorgesehen. Sie wird alle FLEGT-Zertifikate
        berprüfen. Bei Zweifeln am FLEGT-Genehmigungs-
        chein dürfen Proben auf Kosten des Importeurs durch-
        eführt werden. Zur Untersuchung des Holzes müssen
        nserer Auffassung nach neben dem genetischen Finger-
        bdruck-Verfahren alle wissenschaftlich anerkannten
        ethoden angewendet werden, vor allem die Stabile-
        otopen-Analytik. Jeder Ort der Welt besitzt durch die
        igenheiten von Geografie und Klima ein charakteristi-
        ches Isotopenmuster. Dank dieses einmaligen Musters
        ann überprüft werden, ob eine behauptete Herkunftsan-
        abe auch stimmt. Was sich schon im Lebensmittelbe-
        ich bewährt hat, sollte ebenso für Holz Anwendung
        nden.
        Darüber hinaus erscheinen der SPD-Bundestagsfrak-
        on 16 Stichproben beim Zoll, also bei nur 1 Prozent der
        ieferungen, zu gering. Wir nehmen aber die Bundesre-
        ierung beim Wort: Bei begründetem Verdacht werde die
        nzahl der Stichproben ausgeweitet. Der Zoll wird laut
        uskunft des BMELV in der letzten Ausschusssitzung
        ieferungen aus kritischen Regionen vermehrt unter die
        upe nehmen. Die gelieferten Daten und Erkenntnisse
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12131
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        sollten in der Folge einem europaweiten Datenaustausch
        zugeführt werden. Er muss gegenseitig und unverzüglich
        stattfinden können. Der Handel mit illegalem Holz kennt
        schließlich auch keine Grenzen. Die Gefahr der Re-Im-
        porte über Transitländer in unsere Märkte bleibt weiterhin
        bestehen. Ein Manko werden auch die im FLEGT-Ab-
        kommen nicht erfassten Holzproduktgruppen bleiben:
        Möbel, Papier, Holzkohle und Brennholz werden nicht
        berücksichtigt.
        Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden
        Gesetzentwurf dennoch zustimmen. Der weitaus umfang-
        reichere Part erwartet uns bei der erforderlichen nationa-
        len Umsetzung des europäischen Holzhandelsgesetzes
        Mitte bis Ende 2012. Mithilfe des FLEGT-Genehmi-
        gungssystems für Holzeinfuhren in die Europäische Ge-
        meinschaft kann die legale Nutzung der Wälder im
        FLEGT-Partnerland zumindest garantiert werden. Ich be-
        tone: Es geht um die Legalität. Zukünftig wird es aber da-
        rauf ankommen, dass wir der Legalität die Nachhaltigkeit
        an die Seite stellen. Gerade in der beginnenden Garten-
        möbelsaison möchte ich auf die legale, ökologisch und
        sozial verantwortliche Waldbewirtschaftung verweisen,
        die beispielsweise das FSC-Siegel garantiert. Ohne nach-
        haltige Waldnutzung wird es nicht gehen – das gilt im Üb-
        rigen auch für unseren deutschen Wald.
        Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Wir wollen in-
        takte Primärwälder erhalten. Naturnahe Wälder sind die
        wichtigsten und größten Schatzkammern der Artenviel-
        falt. Sie sorgen für eine bessere Luftqualität und produ-
        zieren Sauerstoff. Für die Menschen vor Ort stellen in-
        takte Urwälder die Lebensgrundlage dar, sie schützen den
        Boden und das Wasser, liefern Nahrung und wertvolle
        nachwachsende Rohstoffe. Sie sind zudem entscheidend
        an der Speicherung von atmosphärischem Kohlenstoffdi-
        oxid beteiligt. Laut IPCC, dem Intergovernmental Panel
        on Climate Change, stammen bis zu 30 Prozent der zu-
        sätzlichen Belastungen der Atmosphäre mit Kohlenstoff-
        dioxid aus der Zerstörung von Wäldern.
        Nach Angaben der FAO gingen in den letzten zehn
        Jahren jährlich 13 Millionen Hektar naturnaher Wälder
        verloren. Das ist mehr als die gesamte Waldfläche
        Deutschlands. Insbesondere die Rodung von Wäldern
        für den Anbau von Soja, die Weidehaltung und die An-
        lage von Palmölplantagen, aber auch der illegale Holz-
        einschlag bedrohen die wertvollen Waldflächen. Der
        Raubbau ist in den Staaten der Tropen Afrikas, Südost-
        asiens und Südamerikas erheblich und die Satellitenbil-
        der machen es deutlich. An diesen Verlusten hat der ille-
        gale Holzeinschlag einen erheblichen Anteil. Die Zahlen
        aus dem „Global Forest Resources Assessment 2010“
        der FAO zeigen eindeutig: Außerhalb Europas wird nur
        ein Bruchteil der Wälder nach den Kriterien der Nach-
        haltigkeit bewirtschaftet.
        Deutschland gehört wie China, die USA und Japan zu
        den großen Importländern von Holz und Holzprodukten.
        Wir sind uns fraktionsübergreifend einig, dass bei der
        Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und des Holz-
        handels Handlungsbedarf besteht. Etwa ein Drittel ihres
        Rohholzbedarfs importiert die EU aus Drittstaaten. Des-
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        alb haben wir eine besondere Verantwortung, dass von
        ns genutztes Holz nur aus legaler und selbstverständ-
        ch auch nachhaltiger Bewirtschaftung von Wäldern
        tammt. Wir sind uns einig, dass der Handel mit illegal
        eschlagenem Holz und dessen Import in die EU unter-
        unden werden muss. Die FDP unterstützt ausdrücklich
        en Kampf gegen den illegalen Holzeinschlag und den
        andel mit solchem Holz.
        Ein wichtiger Baustein ist die im Jahr 2005 auf
        U-Ebene beschlossene FLEGT-Verordnung (EG) 2173/
        005; dabei steht FLEGT für Forest Law Enforcement,
        overnment and Trade. Ziel der europäischen Initiative
        t es, mithilfe von freiwilligen Partnerschaftsabkommen,
        on Voluntary Partnership Agreements oder VPAs, die
        ichtigen Herkunftsländer von Tropenholz zu einer bes-
        eren Überwachung und nachhaltigen Waldwirtschaft zu
        hren. Dazu müssen Einfuhrbeschränkungen in Kraft
        eten, sodass nur noch Hölzer mit gültiger FLEGT-Ge-
        ehmigung in die EU importiert werden dürfen. Wir un-
        rstützen die Bemühungen der Kommission, mit einer
        öglichst großen Zahl von Herkunftsländern Partner-
        chaftsabkommen auszuhandeln. Allerdings müssen wir
        ststellen, dass derzeit VPA lediglich mit Kamerun, der
        emokratischen Republik Kongo, Ghana und Kongo-
        razzaville abgeschlossen wurden. Somit ist bisher ledig-
        ch ein kleiner Teil der Holzimporte erfasst. Es ist aus
        nserer Sicht entscheidend, vorrangig die größten Expor-
        ure von Tropenholz wie Indonesien in das FLEGT-Sys-
        m einzubinden. Nur so können die am stärksten bedroh-
        n Wälder auch effektiv geschützt werden.
        Die Regelungen im Holzhandels-Sicherungs-Gesetz
        edeuten für die betroffenen Holzhandelsunternehmen
        ie Erhöhung ihres wirtschaftlichen Risikos. Die Verant-
        ortung für fehlerhaft ausgestellte Zertifikate liegt allein
        ei den Importeuren. Zudem erzeugen die FLEGT-Ver-
        rdnung, die Ende 2010 verabschiedete EU-Holzhan-
        elsverordnung (EU) 995/2010 und das vorliegende Ge-
        etz einen deutlichen bürokratischen Mehraufwand. Dies
        etrifft die Wirtschaft wie die zuständige Bundesanstalt
        r Landwirtschaft und Ernährung, die BLE, gleicherma-
        en. Auch wenn die genannten Maßnahmen zur Rettung
        er Tropenwälder ein sinnvoller Beitrag sein werden,
        ollte angesichts des bisher sehr geringen Liefervolu-
        ens aus Partnerländern insofern mit Bedacht vorgegan-
        en werden. Allein die Investitionen in ein Datenaus-
        uschsystem zwischen der BLE und den Zollbehörden
        oll laut Begründung des Gesetzes etwa eine halbe Mil-
        on Euro kosten. Um diese erheblichen Investitionen zu
        chtfertigen, müssen zügig mit weiteren Ländern VPAs
        bgeschlossen werden. Es muss kritisch die Höhe der In-
        estitionen überprüft werden.
        Auf nationaler Ebene sind die zuständigen Behörden
        azu angehalten, für eine zügige Umsetzung des Holz-
        andels-Sicherungs-Gesetzes zu sorgen. Die Kontrollen
        urch die Zollbehörden müssen risikoorientiert und in
        bstimmung mit den betroffenen Wirtschaftsbereichen
        rfolgen. Aus diesem Grund begrüßen wir die Initiativen
        es Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
        nd Verbraucherschutz, schnellere, zuverlässigere und
        raktikablere Methoden zur Kontrolle zu entwickeln. Aus
        beraler Sicht können neue wissenschaftliche Methoden
        12132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
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        helfen, Verdachtsfälle eindeutig aufzuklären und die
        Kontrollen wesentlich zu vereinfachen und zu beschleu-
        nigen. Beispiele sind das genetische Fingerprinting, das
        am Institut für Forstgenetik des von-Thünen-Institutes in
        Großhansdorf entwickelt wird, oder die Isotopenanalyse.
        Angesichts der erschwerten Beweisführung bei Ver-
        dachtsfällen und angesichts des wirtschaftlichen Risikos
        für die Holzimporteure, die oft dem Mittelstand angehö-
        ren, sind wir auf moderne und effiziente Kontrollmetho-
        den angewiesen.
        Die FDP-Fraktion unterstützt die Bemühungen der
        Bundesregierung beim Kampf gegen den illegalen Holz-
        einschlag, und wir freuen uns, dass im Ausschuss für Er-
        nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz alle
        Fraktionen für den Gesetzentwurf gestimmt haben. Wir
        stimmen dem Holzhandels-Sicherungs-Gesetz im Bun-
        destag zu und setzen uns ausdrücklich dafür ein, weitere
        Länder in das FLEGT-System mit einzubeziehen.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Illegaler
        Holzeinschlag bedroht weltweit die Wälder. „Bei der
        Ernte, Transport, Einkauf oder Verkauf des Holzes wird
        gegen nationale oder internationale Gesetze verstoßen“,
        schreibt der WWF. Das ist inakzeptabel. Auch bis zu
        6 Prozent der Holzeinfuhren nach Deutschland sind ille-
        gal. Diese Zahl bezieht sich auf alle Hölzer, also auch
        EU-Holz. Bezogen auf Holz aus Drittländern dürfte der
        Prozentsatz illegalen Holzes noch deutlich höher sein.
        Beispielsweise sollen 80 Prozent des Amazonasholzes
        aus Raubbau stammen. Das ist ein lukrativer krimineller
        Markt, der dringend geschlossen werden muss.
        Zuletzt debattierte der Bundestag im Frühjahr 2010
        über das Thema, als eine EU-Verordnung über Holz und
        Holzerzeugnisse erarbeitet wurde. Bei allen Meinungs-
        verschiedenheiten in Detailfragen wurde dennoch klar:
        Europa kämpft gemeinsam gegen Holz aus Raubbau.
        Bereits 2003 verabschiedete die EU einen FLEGT-Ak-
        tionsplan. Mit diesem soll der illegale Holzhandel ver-
        hindert und freiwillige Partnerschaftsabkommen mit
        Drittstaaten gestärkt werden, die sich an überprüfbare
        Forstgesetze halten. Die Linke begrüßt das ausdrücklich.
        Wir treten für eine nachhaltige, also soziale, ökologische
        und wirtschaftliche, Forstwirtschaft ein. Dazu gehört,
        dass Holzabbau selbstverständlich nur in Gebieten erfol-
        gen darf, die für Holznutzung ausgewiesen sind. Natio-
        nalparke und andere Juwelen der Artenvielfalt müssen
        tabu sein.
        Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf
        dient zunächst nur der Einrichtung eines nationalen Ge-
        nehmigungssystems für Holzeinfuhren aus Ländern, mit
        denen ein Partnerschaftsabkommen geschlossen wurde.
        Damit wird eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2005 in
        deutsches Recht umgesetzt. Es geht dabei um Holz aus
        Partnerländern wie zum Beispiel Ghana, Kamerun oder
        der Republik Kongo. Diese Länder haben sich gegen-
        über der EU verpflichtet, dem illegalen Raubbau den
        Kampf anzusagen. Sie haben eigene Forstgesetze erlas-
        sen und ein Prüf- und Kontrollsystem entwickelt. Damit
        wird das Holz aus diesen Ländern schon deutlich stärker
        unter die Lupe genommen als das Holz aus anderen Im-
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        ortländern. Trotzdem muss natürlich auch dieses Holz
        ontrolliert werden.
        Was bringt das Gesetz? Erstens. Verbraucherinnen
        nd Verbraucher können ihren Beitrag gegen den Raub-
        au an Wäldern leisten. Dazu ein Beispiel: Ein deutscher
        auhandel hat Gartenmöbel bei einem Möbelhersteller
        estellt. Der baut diese aus Holzimporten aus Ghana.
        isher konnte man nicht sicher sein, dass der Stuhl aus
        galem Holz gebaut wurde. Jetzt erhöht sich die Chance
        er Legalität, denn Baumärkte können und werden da-
        uf achten, nur noch Gartenmöbel von einem Hersteller
        u kaufen, der keine krummen Geschäfte macht. Wer
        ill schon Ärger mit dem Zoll – und damit die Kunden
        erschrecken? Der Hersteller muss die entsprechenden
        ertifikate des Partnerlandes besitzen. Stammt das Holz
        us einer illegalen Quelle – wurde also zum Beispiel in ei-
        em Naturschutzgebiet ohne Genehmigung geschlagen –,
        ann wird es aus dem Verkehr gezogen. Es droht eine
        aftige Strafe: ein Jahr Gefängnis oder 50 000 Euro.
        Zweitens. Durch die Nachfrage nach legalem Holz
        nd durch die Kampfansage an illegales Holz wird die
        iodiversität geschützt. Denn die forstlich nicht oder
        icht mehr genutzten Waldbereiche dieser Erde sind für
        iere und Pflanzen von großer Bedeutung. Sie stellen ei-
        en Rückzugsraum für bedrohte Arten dar, sie geben
        aum für natürliche Entwicklungsprozesse und sind das
        enetische Sparkonto für die Zukunft. Denn nur wenn
        enetische Vielfalt vorhanden ist, können sich Arten an
        eränderte Umweltbedingungen anpassen. Darum tritt
        ie Linke für 5 Prozent ungenutzte Waldflächen ein, üb-
        gens nicht nur international, sondern auch in Deutsch-
        nd. Drittens. Die EU gibt ein deutliches Zeichen an die
        artnerländer: Sie definiert, was legale Forstwirtschaft
        t, und erarbeitet ein Kontrollsystem, damit die kom-
        lette Kette vom Baumarkt bis zum Herkunftsland zu-
        ckverfolgt werden kann.
        Mit all dem geht der vorliegende Gesetzentwurf in die
        chtige Richtung. Neben Licht gibt es allerdings auch
        chatten zu erwähnen. Zum Beispiel soll nur 1 Prozent
        er Lieferungen stichprobenartig kontrolliert werden.
        as betrifft nach Kalkulation des BMELV in den kom-
        enden Jahren nur circa 16 jährliche Stichproben. Das
        t viel zu wenig. Die Kontrollen sollten sich an den
        isiken der Produktkategorien und Herkünfte bemessen.
        obald ein begründeter Verdacht besteht, muss einge-
        riffen und kontrolliert werden. Insofern ist der Zoll in
        er Pflicht, begründeten kritischen Hinweisen auf mögli-
        he illegale Holzlieferungen nachzugehen.
        Bedauerlich ist auch, dass nicht gleichzeitig die Holz-
        andels-Verordnung aus dem Jahr 2010 in nationales
        echt übernommen wird. Anscheinend soll noch auf die
        urchführungsbestimmungen gewartet werden, sodass
        ir das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz wohl erst 2013
        ieder im Bundestag debattieren werden. Man kann nur
        offen, dass dann wenigstens das Ergebnis den langen
        eratungszeitraum rechtfertigt. Denn eigentlich dürfen
        ir keine Zeit mehr verlieren im konsequenten Kampf
        egen den Raubbau am Wald. Dabei dürfen wir aber
        urchaus auch vor der eigenen Tür kehren, denn die
        aldstrategie 2020 der Bundesregierung lässt ja leider
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12133
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        weiter auf sich warten. Trotzdem stimmt die Linke dem
        heute vorliegenden Gesetzentwurf zu.
        Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bünd-
        nis 90/Die Grünen begrüßen, dass die Bundesregierung es
        im Internationalen Jahr der Wälder endlich geschafft hat,
        diesen Gesetzentwurf vorzulegen, und stimmen ihm zu.
        Denn er ist die überfällige Umsetzung der FLEGT-Verord-
        nung, die die EU zur Bekämpfung des Handels mit illega-
        lem Holz bereits im Dezember 2005 beschlossen hat –
        übrigens seinerzeit noch unter Mitwirkung des Interims-
        Agrarministers Jürgen Trittin.
        Man fragt sich, warum sich die Bundesregierung mit
        der Umsetzung so viel Zeit gelassen hat, wenn es vor al-
        lem darum ging, die für die Kontrolle von FLEGT-Holz-
        importen zuständigen Behörden zu benennen. Die Um-
        setzung hätte schon längst erfolgen können. Andererseits
        sind die Folgen dieser Trödelei begrenzt, weil es bis vor
        kurzem gar keine Partnerschaftsabkommen auf Grund-
        lage der FLEGT-Verordnung gegeben hat. Dementspre-
        chend waren auch keine FLEGT-Importe zu kontrollie-
        ren.
        Nun darf man sich jedoch trotz des vielversprechen-
        den Namens keine Illusionen über die Reichweite des
        Gesetzes hingeben: Das „Gesetz gegen den Handel mit
        illegal eingeschlagenem Holz“ wird vorerst nur für Im-
        porte aus Ländern gelten, mit denen die EU tatsächlich
        ein FLEGT-Partnerschaftsabkommen abgeschlossen hat.
        Das sind laut gestriger Auskunft der Bundesregierung
        erst vier Länder: Ghana, Kongo-Brazzaville, Kamerun
        und demnächst auch die Zentralafrikanische Republik.
        Nach Lage der Dinge wird es noch Jahre dauern, bis
        alle wichtigen Holzhandelsländer, in denen es illegalen
        Holzeinschlag gibt, ein Abkommen unterschrieben ha-
        ben werden. Bisher wird nur mit einem Teil der fragli-
        chen Länder verhandelt, immerhin aber mittlerweile mit
        den großen Urwaldländern Indonesien und Brasilien.
        Die Zeit drängt, denn jedes Jahr gehen 13 Millionen
        Hektar Urwald verloren.
        Daran erkennt man, wie falsch es von den Gegnern ei-
        nes Importverbotes für illegales Holz all die Jahre lang
        gewesen ist, zu sagen: Wir brauchen kein Importverbot
        für illegales Holz, weil wir FLEGT haben. – Wir haben
        uns hier im Bundestag jahrelang darüber gestritten, ob es
        möglich ist, ein nationales Importverbot für illegales
        Holz zu erlassen. Und wir haben uns darüber gestritten,
        ob die Bundesregierung ein EU-weites Importverbot für
        illegales Holz fordern sollte. Diese unsere Forderungen
        haben Union und SPD in der letzten Legislaturperiode
        hier im Bundestag allesamt abgelehnt.
        Nun hat die EU auch ohne Druck durch die Bundesre-
        gierung mit der FLEGT-Holzhandelsverordnung vom
        20. Oktober 2010 ein faktisches Verbot für illegal einge-
        schlagenes Holz beschlossen. Ein Verbot, das für alle
        Länder gilt. Auf dieses EU-weite Importverbot für ille-
        gales Holz haben wir Bündnisgrüne jahrelang gedrängt.
        Der Wermutstropfen ist, dass es erst im März 2013 in
        Kraft tritt.
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        Deshalb werden wir Grüne auf einen schnellen Ab-
        chluss weiterer FLEGT-Partnerschaftsabkommen drän-
        en und natürlich auf eine rechtzeitige und zügige Umset-
        ung der FLEGT-Holzhandelsverordnung in nationales
        echt, damit illegales Holz auf dem europäischen Holz-
        arkt keine Chance mehr hat. Das wäre dann ein weiterer
        rfolg für den Schutz der Wälder dieser Welt.
        nlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Hochschulzulassung
        bundesgesetzlich regeln – Sozialen Zugang und
        Durchlässigkeit in Masterstudiengängen si-
        chern (Tagesordnungspunkt 15)
        Monika Grütters (CDU/CSU): Nun reden wir heute
        um wiederholten Male über das neue Hochschulzulas-
        ungsverfahren, das wir alle deshalb einführen wollten,
        eil wir den vielen Studierenden in Deutschland ein bes-
        eres Verfahren bieten wollen, als es derzeit vorhanden
        t.
        Wir wollten das europaweit modernste Hochschulzu-
        ssungsverfahren für Deutschland an den Start bringen.
        us Verantwortung für die Studierenden hat sich der
        und deshalb zu einer einmaligen Investition von sage
        nd schreibe 15 Millionen Euro bereit erklärt, mit der
        ine neue Software entwickelt worden ist, die es den
        tudierenden ermöglicht, bis zu neun Studienwünsche
        n den verschiedenen Hochschulen gleichzeitig zu plat-
        ieren. Im Idealfall hätte man also für die Studierenden
        irklich die Lebenssituation entscheidend verbessert:
        icht mehr zwischen zwei nacheinander zu entscheiden-
        en Studienwünschen hätten sie ihre Zukunft planen
        önnen, sondern gleich neun Varianten könnten ihnen
        lativ kurzfristig die Entscheidung über ihren Studien-
        rt – und das heißt: über ihren weiteren Lebensweg – er-
        ichtern.
        Wir alle gemeinsam, quer über alle Parteigrenzen hin-
        eg, sind enttäuscht, frustriert, aber auch verärgert da-
        ber, dass allen Aussagen der Verantwortlichen zum
        rotz jetzt, Mitte April 2011, erkannt werden muss, dass
        er ehrgeizige Zeitplan zum Start dieses so wichtigen
        rojektes vom Wintersemester 2011/12 auf zunächst un-
        estimmte Zeit verschoben werden muss. Es ist nicht
        achvollziehbar, dass die verantwortlichen Projektent-
        ickler, Vertreter der Länder und der Hochschulen, uns
        och Mitte März im Ausschuss einen pünktlichen Start
        es Zulassungsverfahrens in Aussicht gestellt haben und
        tzt, gerade einmal drei Wochen später, zugeben, dass
        ie großen Probleme bei der Softwareumstellung offen-
        ar kurzfristig überhaupt nicht in den Griff zu bekom-
        en sind.
        Wir alle fragen uns und natürlich auch diejenigen, die
        arüber Auskunft hätten geben können, wie eine solche
        ehleinschätzung zustande kommen konnte. Aber mit
        er Fragestellung ist ja jetzt nichts erreicht. Wir sind ver-
        ntwortlich dafür, dass sich die Situation der Hochschu-
        n und natürlich vor allem der Studierenden in absehba-
        12134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        rer Zeit verbessert wird. Nach wie vor ist es die
        Überzeugung der CDU, dass ein zentrales Zulassungs-
        verfahren, das den Studierenden viele Wahlmöglichkei-
        ten anbietet, die beste Lösung ist – besser jedenfalls als
        das bisherige Verfahren, in dem dezentral alle Hoch-
        schulen und Länder unterschiedliche Wege gehen. Das
        Gebot der Stunde ist deshalb tatsächlich ein zentrales
        Verfahren, so wie es jetzt geplant ist. Wir sind auch zu-
        versichtlich, dass die Software zukünftig sehr attraktiv
        sein wird. Deshalb ist es jetzt zuallererst nötig, die be-
        rühmte „Schnittstellenproblematik“ mit der Vielzahl ver-
        schiedenartiger Zulassungssysteme zu lösen.
        Wir müssen mit allem Nachdruck der Gefahr begeg-
        nen, dass jetzt einige ohnehin zögerliche Hochschulen
        sich aus dem künftigen gemeinsamen Verfahren wieder
        abmelden oder gar nicht erst mitmachen wollen. Was die
        Situation aber sicher nicht verbessern würde, wäre der
        im Antrag der Linken skizzierte Weg eines Bundesgeset-
        zes, so wie es auch der ehemalige Präsident der Hoch-
        schulrektorenkonferenz Landfried in seiner gewohnt
        markigen Art in der Presse vorgeschlagen hat.
        Wir setzen nach wie vor auf die Autonomie der Hoch-
        schulen. Das ist ein sehr hohes Gut in der Wissenschaft.
        Nicht der Bund, sondern vielmehr das Hochschulinfor-
        mationssystem, HIS, und die Stiftung für Hochschulzu-
        lassung sind jetzt in der Pflicht, eine schonungslose Feh-
        leranalyse vorzunehmen, ihren selbst so genannten
        „Aktionsplan“ zu konkretisieren und vor allem einen se-
        riösen Zeitplan dafür vorzulegen. Das sind sie nicht nur
        dem Bund als Hauptgeldgeber für die neue Software
        schuldig, sondern vielmehr den Hochschulen und noch
        mehr den Studierenden.
        In der Bewertung des gesamten Vorgangs sind wir uns
        sicher fraktionsübergreifend einig. Fürs Erste haben sich
        die Projektentwickler mit ihren kurzfristig gegebenen
        Zusagen für einen Start zum Wintersemester 2011 und
        ihrem jetzigen Eingeständnis, dass das auf absehbare
        Zeit verschoben wird, blamiert. Die CDU bleibt jedoch
        bei ihrer Überzeugung: Das Dialogorientierte Service-
        verfahren zu entwickeln, war und ist noch immer richtig.
        Es bietet gegenüber der derzeitigen Situation Vorteile für
        alle Beteiligten – für Studienanfänger wie für die Hoch-
        schulen. Erstens bietet es die Möglichkeit, ein zentrales
        Vergabeverfahren zu organisieren, ohne die Hochschu-
        len ihrer Autonomie zu berauben. Darüber hinaus be-
        schleunigt es die Studienplatzvergabe und räumt den
        Studierenden mehr Möglichkeiten bei der Wahl ihres
        Studienortes ein. Zweitens kann das neue Verfahren die
        Studienplatzvergabe schneller, effizienter und transpa-
        renter organisieren, wenn es denn einmal funktioniert.
        Deshalb halten wir es nach wie vor für richtig, dass wir
        als Parlament an dieser Stelle – trotz aller derzeitigen
        Probleme – auch noch einmal unsere grundsätzliche Un-
        terstützung für dieses Projekt dokumentieren.
        Der unmittelbar ersichtliche Nutzen eines solch ver-
        besserten Verfahrens für alle daran Beteiligten war und
        bleibt ja auch der Grund, der den Bund zu einer An-
        schubfinanzierung von 15 Millionen Euro veranlasst
        hatte, obwohl diese Aufgabe – wie alle anderen auch –
        eigentlich in die Zuständigkeit der Länder gefallen wäre.
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        h darf an dieser Stelle sicher auch noch einmal daran
        rinnern, dass das Dialogorientierte Serviceverfahren
        uch von der SPD befürwortet worden ist, mit der wir
        emeinsam die Anschubfinanzierung in der vergangenen
        egislaturperiode auf den Weg gebracht haben.
        Nun ist es angesichts der derzeitigen Situation letzt-
        ch natürlich richtig, die Einführung zu verschieben,
        eil auch insofern für alle gilt: Sicherheit geht vor
        chnelligkeit. Wir hatten ja schon in der Anhörung her-
        ushören können, dass die Stiftung schweren Herzens
        iesen Weg im Zweifelsfall gehen würde, weil die Be-
        enken in Bezug auf die berühmten Schnittstellen zwi-
        chen der neuen Software und den verschiedenen älteren
        ystemen schon lange vorhanden waren. Wir vertrauen
        uch weiter auf die hohe Professionalität der ausgewie-
        enen Experten vom Fraunhofer-Institut für Rechnerar-
        hitektur und Softwaretechnik und auch darauf, dass sie
        iejenigen sind, die im Kontakt mit den Softwareverant-
        ortlichen an den einzelnen Hochschulen künftig diese
        chnittstellenprobleme überwinden können.
        Eine Bundesgesetzgebung, wie der Antrag der Linken
        ie vorschlägt, hätte den Prozess der Softwareentwick-
        ng sicher nicht beschleunigen können. Und jetzt, wie
        andfried es vorschlägt, innerhalb von sechs Wochen
        al schnell ein Bundesgesetz für einheitliche Zulas-
        ungsregeln zu erlassen, ist völlig naiv. Da kann man
        ich über einen Profi wie Landfried, der die Hochschul-
        ndschaft aus seiner Amtszeit noch kennt, nur wundern.
        enn nur durch eine bundesgesetzliche Zuständigkeit
        ürden Schnittstellen auch nicht kompatibler.
        Was ist die Konsequenz aus der derzeitigen Situation?
        unächst einmal ist es ja schon bizarr, dass wir heute alle
        emeinsam hier diese Debatte führen müssen – hatten
        ir doch vor drei Wochen den Eindruck, Zeugen eines
        ufriedenstellend funktionierenden künftigen Zulas-
        ungssystems werden zu können. Jetzt gilt: Wir müssen
        ns als Parlament offensichtlich noch häufiger und eng-
        aschiger von den Verantwortlichen in den Hochschu-
        n, in den Ländern und bei der Stiftung für Hochschul-
        ulassung wie auch bei HIS darüber informieren lassen,
        ie der tatsächliche Stand des Projektes ist. Denn das
        ind wir alleine als Geldgeber – 15 Millionen Euro – den
        tudierenden und den Hochschulen als potenziellen
        ielgruppen und Nutznießern des Verfahrens schuldig.
        ußerdem sollten wir bei der Betreuung der nächsten
        chritte beachten, dass es auch um die neuerdings aufge-
        orfenen Fragen des Datenschutzes geht, dass auch
        ehramtsstudiengänge künftig in diesem Verfahren er-
        sst werden und dass die Hochschulen in Deutschland
        öglichst flächendeckend teilnehmen und nicht einige
        ochschulen jetzt die Chance nutzen, sich langfristig der
        eilnahme zu entziehen. Auch müssen wir darauf ach-
        n, dass die Länder ihren Folgefinanzierungspflichten
        achkommen. Die 15 Millionen sind ja jetzt nur für die
        oftwareentwicklung verausgabt worden, die Länder
        ind also künftig in der Finanzierungspflicht. Es war
        usgerechnet worden, dass bei ungefähr 20 Euro pro
        tudienplatz im Rahmen dieses Verfahrens für jedes
        undesland Kosten in Höhe von 80 000 Euro bis
        00 000 Euro entstehen werden – eine Summe also, die
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12135
        (A) )
        )(B)
        meines Erachtens sehr wohl von den Ländern im Inte-
        resse ihrer Studierenden erbracht werden kann. Passen
        wir also auf, dass jetzt hier nicht neue Fragezeichen an
        das Gesamtprojekt gemacht werden.
        Zum Antrag der Linken abschließend noch ein paar
        Worte: Es ist natürlich ihr gutes Recht und der klassische
        Trick, anhand eines konkreten Vorgangs ideologische
        Grundsatzfragen aufzuwerfen. Auch ein Zulassungsver-
        fahren wird generelle bildungspolitische Sachverhalte
        nicht umfassend lösen können. Dass die Schere zwi-
        schen bildungsfernen und bildungsnahen Schichten sich
        vergrößert, ist schlicht falsch: Sie wird substanziell klei-
        ner; immer mehr Kinder aus bildungsfernen Schichten
        studieren. Das wissen auch Sie von den Linken; ich
        weise nur auf die HIS-Studie „Studienberechtigte 2008“
        hin. Sie möchten, dass die Studierendenquote in
        Deutschland erhöht wird. Auch das ist bereits seit Jahren
        der Fall. Inzwischen ist es so, dass 46 Prozent eines Jahr-
        gangs auf die Hochschulen gehen. Die Studierenden-
        quote in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren
        also bereits massiv erhöht, und das ist vor allem der Er-
        folg des Hochschulpakts und seiner Architektinnen und
        Architekten.
        Sie sollten auch in Bezug auf ihr Stichwort „Master-
        studium“ zur Kenntnis nehmen, dass Bachelorabsolven-
        ten auf dem Arbeitsmarkt nicht länger brauchen, um ei-
        nen Arbeitsplatz zu finden als ihre Kommilitonen mit
        anderen akademischen Abschlüssen. Auch sie benötigen
        im Durchschnitt drei Monate, um sich nach dem Ab-
        schluss einen ersten Arbeitsplatz zu suchen. Einen
        Rechtsanspruch auf den Master kann es nicht geben,
        weil es in der Logik konsekutiver Studiengänge einfach
        nicht vorgesehen ist. Sie können von mir aus die altbe-
        kannte Kritik hier immer wiederholen; leider bleibt sie
        substanzlos. Wenn Sie die Hochschulzulassung nur als
        Alibi für ihre Fundamentalkritik benutzen, dann schaden
        Sie den Studierenden und tragen nicht zu einer konstruk-
        tiven Auseinandersetzung bei.
        In der gegenwärtigen bedauerlichen Situation geht es
        weniger um große ideologische Rundumschläge, son-
        dern darum, dass wir gemeinsam und sehr pragmatisch
        dafür Sorge tragen, dass sich die Zulassungssituation in
        den überfüllten Studiengängen in Deutschland ent-
        schärft. Wir sind einem echten Service- und Dienstleis-
        tungsgedanken gegenüber den Studierenden verpflichtet.
        Deshalb haben wir mit 15 Millionen Euro an Bundesmit-
        teln ein Projekt auf den Weg gebracht, dass den Studie-
        renden und den Hochschulen ihr Leben erheblich er-
        leichtern könnte. Jetzt müssen die Projektentwickler ihre
        Pflicht tun – seriöser als bisher und ohne falsche Zeitvor-
        stellungen, aber doch mit dem Ziel vor Augen, die Miss-
        stände zu beseitigen. In absehbarer und vertretbarer Zeit
        muss den Studierenden das Angebot zur Verfügung ge-
        stellt werden, das man nach einer Investition von 15 Mil-
        lionen Euro an Bundesgeldern auch erwarten kann.
        Tankred Schipanski (CDU/CSU): Die Linken nut-
        zen die öffentlich gewordenen technischen Probleme bei
        der Stiftung für Hochschulzulassung, um ihre bildungs-
        politische Ideologie wieder einmal im Plenum zu disku-
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        eren. Lobenswert ist, dass auch die Linken erkennen,
        ass ein funktionierendes Verfahren zur Hochschulzulas-
        ung notwendig ist und dass die Stiftung für Hochschul-
        ulassung das richtige Instrument ist.
        Bereits in der gestrigen Ausschusssitzung zeigte sich
        ber die Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit dahin ge-
        end, dass das dialogorientierte Serviceverfahren ein
        chtiger und wichtiger Schritt ist, um die Vergabe von
        tudienplätzen transparenter zu machen und um es an
        ie Bedürfnisse der Studierenden, aber auch an die der
        ochschulen anzupassen. Darüber hinaus sind wir uns
        inig, dass wir jetzt in engem Dialog mit den Verant-
        ortlichen eine Fehleranalyse vornehmen müssen, bei
        er aufgeklärt wird, wo noch technische Probleme beste-
        en – viel wird ja in diesen Tagen über die Schnittstellen
        nd die Kompatibilitäten zwischen teilweise veralteter
        ochschulsoftware und der von T-Systems entwickelten
        oftware geredet. Hier brauchen wir Klarheit, um dann
        ernünftige Lösungsansätze und einen realistischen Zeit-
        hmen für die Einführung des Systems entwickeln zu
        önnen.
        Die aufgetretenen technischen Probleme sind jedoch
        eine rechtlichen. Dies verkennen die Linken, wenn sie
        unmehr als Allheilmittel ein „Bundeshochschulzulas-
        ungsgesetz“ fordern. In Ihrem Antrag betonten Sie, dass
        er Bund die ihm seit der Föderalismusreform 2006 zu-
        tehende Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des
        ochschulzuganges bislang noch nicht wahrgenommen
        abe. Damit sagen Sie zwar nichts grundsätzlich Fal-
        ches. Sie erwecken aber fälschlicherweise den Ein-
        ruck, dass es explizites Ziel der Föderalismusreform
        ewesen sei, die Hochschulzulassung zukünftig durch
        en Bundesgesetzgeber regeln zu wollen. Damit offen-
        aren Sie ein völliges Missverständnis in Bezug auf die
        ystematik dieser Reform. Zum einen ist nämlich mit
        em Wegfall der bundesgesetzlichen Rahmenkompetenz
        Hochschulrecht eine Kompetenzveränderung vorge-
        ommen worden, aus der sich nun wirklich kein Impera-
        v für eine verstärkte hochschulrechtliche Gesetzge-
        ungstätigkeit des Bundes herauslesen lässt.
        Beim Bund verbleiben Kompetenzen im Bereich der
        ochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse.
        eide Kompetenzen stehen aber im Katalog der konkur-
        erenden Gesetzgebung und fallen unter die Regelung
        es Art. 72 Abs. 3 Grundgesetz; da geht es um die soge-
        annte Abweichkompetenz der Länder. Diese Vorschrift
        ibt den Ländern die Möglichkeit, auf eine bundesrecht-
        che Regelung wiederum mit abweichendem Landes-
        cht zu reagieren. Ihr Ansinnen, die Länder durch ein
        undesgesetz vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist so-
        it mehr als fragwürdig, denn es läuft Gefahr, ein Rege-
        ngschaos zwischen Bund und Ländern hervorzurufen.
        nser Ziel sollte es sein, im Dialog mit den Ländern zu
        iner sinnvollen und zielorientierten Lösung zu kom-
        en. Das ist jedoch nicht der einzige Irrtum in Ihrer
        chtlichen Argumentation.
        Mit Interesse habe ich gelesen, dass Sie Ihren Antrag
        it Zitaten aus dem zweiten Urteil des Bundesverfas-
        ungsgerichts zum Numerus clausus aus dem Jahre 1977
        erziert haben. Ich will mich an dieser Stelle aber gar
        12136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        nicht darüber streiten, wie sinnvoll oder vielmehr wie
        sinnlos es ist, einzelne Zitate aus dem Gesamtzusam-
        menhang höchstrichterlicher Rechtsprechung zu reißen.
        Ich kann Ihnen aber versichern, dass Sie gut daran getan
        hätten, nicht nur dieses Urteil, sondern auch das wesent-
        lich grundlegendere Urteil des Bundesverfassungsge-
        richts aus dem Jahre 1972 zu dieser Thematik vollstän-
        dig zu lesen. Beide Urteile stammen aus einer Zeit, in
        der sich die Universitäten der Gesellschaft gegenüber in
        massivem Umfang geöffnet haben. Das Bundesverfas-
        sungsgericht stellte bereits 1972 selber fest, dass der
        Hochschulausbau mit der Verdoppelung der Zahl der
        Studienanfänger – Referenzzeit waren die Jahre 1952 bis
        1967 – nicht Schritt halten konnte. Diese Ressourcen-
        knappheit infolge des stärksten Umbruchs unserer Uni-
        versitätslandschaft ist wohl kaum mit der heutigen Situa-
        tion zu vergleichen. Der angesprochenen Verdoppelung
        der Zahl der Studienanfänger steht im aktuellen Refe-
        renzzeitraum der letzten 15 Jahre ein Anstieg der Studie-
        rendenzahl um lediglich 13 Prozent gegenüber. Das Ur-
        teil entstammt also einer Zeit mit vollkommen
        unterschiedlichen bildungspolitischen Herausforderun-
        gen.
        Dennoch stellt das Bundesverfassungsgericht in die-
        sen Urteilen natürlich auch Grundlegendes fest, so etwa
        auch, dass eine Auswahl zwischen hochschulzugangsbe-
        rechtigten Bewerbern prinzipiell eine Ungleichbehand-
        lung prinzipiell Gleichberechtigter darstellt. Es betont
        daher richtigerweise auch den Grundsatz, dass Auswahl-
        regelungen jedem Zulassungsberechtigten eine Chance
        lassen müssen. Daraus ein generelles Recht auf die freie
        Wahl des Faches wie des Studienortes zu konstruieren,
        wie Sie es in Ihrem Antrag tun, ist aber doch verblüf-
        fend. Das Bundesverfassungsgericht selbst stellt in dem
        von Ihnen bemühten Urteil nämlich fest, ich zitiere: „In
        harten Numerus-clausus-Fächern […] konnte [der
        Grundsatz, jedem Zulassungsberechtigten eine Chance
        zu lassen,] aber von Anfang an nicht so verstanden wer-
        den, als müsse eine Zulassung zum Studium garantiert
        werden. Schon begrifflich schließt die Einräumung von
        Chancen das Risiko des Fehlschlages ein.“
        In unserer Bundesrepublik geht es um Chancen-
        gleichheit und nicht um Gleichmacherei, wie Sie dies
        aus Ihrer sozialistischen Doktrin kennen. Davon zeugen
        auch noch andere Passagen Ihres Antrags. Mit einer ge-
        wissen Überraschung durfte ich in Ihrem Antrag lesen,
        dass die Hochschulzugangsberechtigung in Form des
        Abiturs „die logische Konsequenz aus der ständischen
        Gliederung des bundesdeutschen Schulsystems“ sei. Es
        ist schon sehr bezeichnend, dass Sie unser gegliedertes
        Schulsystem, das den individuellen Begabungen des
        Einzelnen gerecht zu werden sucht, mit Begriffen der
        mittelalterlichen Feudalgesellschaft belegen. Solche
        Formulierungen zeugen wohl eher von rhetorischer Ein-
        fallslosigkeit als von bildungspolitischem Verantwor-
        tungsbewusstsein.
        Ihre bildungspolitische Verantwortungslosigkeit zeigt
        sich zudem in Ihrer populistischen Forderung „Master-
        studium für alle“. Die Forderung nach ausreichenden
        Masterstudienplätzen ist legitim, aber nicht Ihre aben-
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        uerlichen Forderungen, Studienanfängern schon mit
        er Zulassung zum Bachelorstudiengang die Zulassung
        u einem darauf aufbauenden Masterstudiengang an der
        leichen Hochschule zu gewährleisten. Dazu sage ich
        nen: Ein Master für alle, am besten ohne jegliche Leis-
        ngsanforderungen, ist mit uns nicht zu machen.
        Wir treten dafür ein, dass bei der Auswahl der Mas-
        rstudierenden der Leistungsgedanke eine tragende
        olle spielt. Hier geht es nicht um Mangelverwaltung,
        ondern darum, den Hochschulen die Möglichkeit zu ge-
        en, besonders bei stark nachgefragten Studiengängen
        ie leistungsfähigsten Studierenden auszuwählen. Wie
        ie das tun – ob durch Auswahlgespräche, Motivations-
        chreiben, die Nachweise von Praktika –, wissen die
        ochschulen selbst am besten, und deshalb sollte die
        uswahlentscheidung ihnen überlassen bleiben.
        Für uns ist und bleibt der Bachelor der erste berufs-
        ualifizierende Abschluss und kein Abschluss „zweiter
        lasse“ – zu dem Sie ihn gern degradieren würden.
        uch Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Bache-
        r in der Wirtschaft auf breite Akzeptanz stößt. Absol-
        enten eines Bachelorstudienganges finden auf dem Ar-
        eitsmarkt genauso schnell eine Stelle, wie dies Kom-
        ilitonen mit Magister- oder Diplomabschluss tun, und
        ie Rate der Arbeitslosigkeit liegt mit rund 3 Prozent für
        achelorabsolventen nicht höher als für Absolventen mit
        nderen Hochschulabschlüssen. Allerdings besteht auf-
        rund fehlender Erfahrungen hinsichtlich der Qualität
        er Bachelorabschlüsse in einigen Unternehmen noch
        nsicherheit darüber, wie Bachelorabsolventen im Hin-
        lick auf ihre Kompetenzen und Potenziale fachlich und
        ierarchisch einzustufen sind. Deshalb werben wir dafür,
        ass die Akzeptanz in den Unternehmen weiter steigt.
        Ihr Antrag enthält weitere Vorurteile, die es auszuräu-
        en gilt. Die Linke unterstellt, dass durch die derzeiti-
        en Vergabeverfahren eine soziale Selektion zulasten
        on Studierenden aus Arbeiterfamilien oder Familien
        it niedrigerem Einkommen stattfindet. Allein den Be-
        g für ihre Behauptung bleiben Sie uns schuldig. Bereits
        der Antwort – das ist Drucksache 17/373 – auf eine
        leine Anfrage Ihrer Partei auf Drucksache 17/183 hat
        ie Bundesregierung festgestellt: „Der Bundesregierung
        egen keine Erkenntnisse darüber vor, dass das erwei-
        rte Selbstauswahlrecht der Hochschulen nachteilige
        eränderungen bei der sozialen Zusammensetzung der
        tudierenden bewirkt hätte.“ Durch verschiedene Maß-
        ahmen – wie BAföG-Novelle, Stipendiengesetz und
        ufstiegsstipendien – versuchen wir, die Chancenge-
        chtigkeit zu erhöhen und Menschen aus allen gesell-
        chaftlichen Schichten ein Studium zu ermöglichen
        Als Partei der Utopien haben Sie natürlich auch noch
        eitere unrealistische Forderungen in Ihrem Antrag un-
        rgebracht: 500 000 zusätzliche Studienplätzen für alle.
        h darf Sie an dieser Stelle auf den Boden der Tatsachen
        urückholen. Bereits in der ersten Programmphase des
        ochschulpaktes wurde das ursprünglich verabredete
        iel, 91 370 zusätzliche Studienplätze zu schaffen, mit
        sgesamt 182 193 zusätzlichen Studienanfängern deut-
        ch übertroffen. Für die zweite Programmphase wurde
        ine Aufstockung um weitere 275 000 Plätze vereinbart.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12137
        (A) )
        )(B)
        Der Bund engagiert sich also hier bereits in überdurch-
        schnittlichem Maße. Utopische Forderungen zu stellen,
        ohne einen Vorschlag zu machen, woher die dafür not-
        wendigen Mittel kommen sollen, ist unredlich, in Ihrer
        Partei aber durchaus nichts Neues.
        Zusammenfassend ist Ihnen für zukünftige Anträge
        mit auf den Weg zu geben: Nehmen Sie endlich Tatsa-
        chen und Erfolge unserer Bildungsrepublik Deutschland
        zur Kenntnis. Erkennen Sie, dass wir in einer Leistungs-
        gesellschaft leben, und verführen Sie unsere Jugend
        nicht mit Ideologie und Utopien.
        Swen Schulz (Spandau) (SPD): Der Antrag der Frak-
        tion Die Linke klingt zunächst sympathisch. Abgesehen
        von ein paar Ungereimtheiten enthält er eine ganze Reihe
        von weitgehenden Forderungen und Zielstellungen, da-
        runter den Wegfall aller Zulassungs- und Zugangshürden
        für das Studium und die Sicherstellung des Rechts auf ei-
        nen Masterstudienplatz im Wunschfach am Wunschort.
        Allein: Das ist nicht nur ambitioniert, sondern ein
        Wünsch-dir-was-Katalog, der schlichtweg nicht reali-
        sierbar ist. Und darum sagt die Linke in ihrem Antrag si-
        cherheitshalber auch nichts über Kosten und zur Fragen,
        woher das Geld dafür denn kommen soll. So sehr wir
        Zielstellungen wie die Ausweitung des Studienplatzan-
        gebotes – auch beim Master –, die Verbesserung der
        Lehre oder die soziale Mobilität teilen und unterstützen,
        so sehr gehört zu verantwortungsvoller Politik auch,
        dass gesagt wird, was in welchem Zeitraum geht und
        was nicht.
        Tatsächlich muss der Hochschulpakt verbessert wer-
        den. Die weiterhin bestehende Deckelung der Finanzie-
        rung von Studienanfängerplätzen muss weg. In der Tat
        gibt es ein immer stärker werdendes Problem mit dem Zu-
        gang zum Master. Auch das muss im Hochschulpakt
        künftig berücksichtigt werden. Die heute veröffentlichte
        Studie über Bachelorstudierende zeigt, dass die deutliche
        Mehrheit ein Masterstudium anhängen will. Es reicht
        eben nicht, Studienanfänger zu finanzieren, es muss ihnen
        auch eine ordentliche Perspektive gegeben werden. Und
        es muss auch die Qualität der Lehre und die Betreuung der
        Studierenden verbessert werden – der Qualitätspakt der
        Bundesregierung reicht da nicht aus.
        Alleine die Aufstockung des Hochschulpaktes für Stu-
        dienanfänger um 200 000 Plätze bis 2015 würde Bund
        und Länder 5,2 Milliarden Euro kosten – nach bisheriger
        Berechnung. Das ist anspruchsvoll, aber machbar. Damit
        wäre aber bei weitem noch nicht die Forderung nach
        Wegfall aller Beschränkungen realisiert und auch nicht
        die Aufstockung des Finanzierungsbetrages. Insofern also
        haben wir durchaus ähnliche Zielstellungen. Doch wäh-
        rend die Linke nach den Sternen greift, erstellen wir Kon-
        zepte, die realisierbar sind.
        Der Antrag behandelt eine weitere wichtige Fragestel-
        lung, nämlich die Regelung der Vergabe von Hochschul-
        plätzen. Wir erleben ja gerade ein Desaster, weil nun er-
        neut ein Anlauf für ein vernünftiges, organisiertes
        Vergabeverfahren geplatzt ist. 17 000 Studienplätze blie-
        ben zuletzt unbesetzt – was für ein Jammer und was für
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        in Schaden für die Menschen und für die Gesellschaft!
        as neue, Dialogorientierte Serviceverfahren sollte Ab-
        ilfe schaffen, aber – wir haben das ja gestern bereits im
        usschuss debattiert – die Verantwortlichen haben es
        icht hinbekommen.
        Mich erzürnt das Schwarze-Peter-Spiel, das jetzt be-
        onnen hat. Jeder weiß ganz genau, dass er nicht verant-
        ortlich ist. Wir fordern eine schonungslose Fehlerana-
        se – und Offenheit für die richtigen Konsequenzen. Es
        ann doch nicht sein, dass die Bundesministerin Schavan
        ich zurücklehnt und „Mein Name ist Hase, ich weiß von
        ichts!“ flötet. Die Bundesregierung ist genauso im Boot
        er Verantwortlichen wie die Länder, die Hochschulen,
        er Stiftungsrat und die Softwareentwickler. Da stellt sich
        ann schon die Frage, woran es genau gelegen hat. Wir
        erden das im Ausschuss näher erörtern. Sind es techni-
        che Probleme? Hat es mit der Finanzierung zu tun? Sind
        s zu viele Akteure, auf deren Kooperation das System
        ngewiesen ist? Ist es überhaupt machbar, den Hochschu-
        n weitgehende Autonomie einzuräumen und gleichzei-
        g ein bundesweites Verfahren zu organisieren? Wo set-
        en wir dann unsere Prioritäten?
        Die Linke fordert die bundesgesetzliche Regelung des
        ochschulzuganges. Das ist eine starke Forderung, für
        ie es gute Argumente gibt. Wir bekennen uns dazu, dass
        as durchaus eine der Möglichkeiten ist, die am Ende
        es Abwägungsprozesses stehen kann. Doch wir wollen
        icht so schnell mit scheinbaren Gewissheiten auftrump-
        n, sondern uns gemeinsam mit allen Beteiligten ein
        ild machen und das weitere Vorgehen erörtern. Jedoch
        t klar, dass umgehend ein „Plan B“ organisiert werden
        uss, der so lange greift, bis wir ein neues System ha-
        en. Dieser Plan B sollte tunlichst nicht in der Variante
        Weiter so wie bisher!“ bestehen. Auch das werden wir
        emeinsam – aber schnell – beraten müssen.
        Klaus Hagemann (SPD): Die deutschen Hochschu-
        n erwarten in diesem Jahr einen bisher noch nicht gese-
        enen Ansturm junger Studienanfänger und -anfängerin-
        en. Mit großen Worten hatte die Bundesregierung ein
        eues, zentralisiertes Vergabeverfahren für Studienplätze
        ngekündigt, das nach jahrelangen Versäumnissen end-
        ch die chaotischen Zustände beim Semesterstart be-
        eitigen sollte. Viel zu spät wurden die nötigen Impulse
        esetzt, um dem ineffizienten und langwierigen Zulas-
        ungsverfahren an deutschen Universitäten zu begegnen.
        er Stiftung für Hochschulzulassung blieb am vergange-
        en Dienstag nichts anderes übrig, als wenige Wochen
        or dem geplanten Start des Dialogorientierten Service-
        erfahrens die Reißleine zu ziehen und das neue Verfah-
        n abzusagen.
        So, wie es sich heute darstellt, hatten wir es uns nicht
        orgestellt, als wir zu Zeiten der Großen Koalition, nach
        nger Diskussion im Haushaltsausschuss, gemeinsam
        undesmittel in Höhe von 15 Millionen Euro als „Start-
        apital“ bewilligt haben – und dies, obwohl die Verant-
        ortung eigentlich bei den Bundesländern liegt. Die
        reigabe der Gelder wurde damals – auch auf Verlangen
        er SPD-Fraktion – an so wichtige Bedingungen wie die
        arantierte Gebührenfreiheit für die Studienbewerber
        12138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        und -bewerberinnen geknüpft. Es ist schon ein ungeheu-
        erlicher Vorgang, dass der Bund in die Bresche springen
        musste, nachdem der frühere „Innovations“-Minister aus
        NRW, Andreas Pinkwart, seinerzeit das System der ZVS
        kurzerhand zerrissen hat, ohne eine angemessene Alter-
        native hervorzubringen. Dieses Vorgehen war angesichts
        der steigenden Zahl an Studienanfängern und der Tatsa-
        che, dass die Bundesländer eine Finanzierung bestenfalls
        mittelfristig auf die Beine gestellt hätten, geradezu fahr-
        lässig.
        Frau Bundesministerin Schavan, ich habe den Ein-
        druck, Ihr Haus und die anderen Beteiligten waren durch
        die Planung des neuen Systems völlig überfordert. Es ist
        zwar rührend, dass Sie nun in einer Pressemitteilung das
        Scheitern des Serviceverfahrens bedauern. Sie können
        aber nicht behaupten, seitens des Bundes wären alle Vo-
        raussetzungen geschaffen worden, während Sie gleich-
        zeitig versuchen, die Verantwortung auf die Stiftung für
        Hochschulzulassung und die Gesellschaft Hochschul-
        Informations-System abzuwälzen.
        Die Überforderung der Hochschulen durch geburten-
        starke Jahrgänge und doppelte Abiturjahrgänge war seit
        langem absehbar. Erst haben Sie eine Lösung jahrelang
        verbummelt, dann musste plötzlich alles ganz schnell
        gehen. Nachdem sich dann noch die Auftragsvergabe
        um drei Monate verzögert hatte, sollte schließlich in nur
        rund einem Jahr ein System gezimmert werden, das
        Hunderte unterschiedlicher und teils veralteter Hoch-
        schulverwaltungssysteme zu einer modernen Web-Platt-
        form koordinieren sollte. Die negativen Erfahrungen, die
        bei der Einführung der Autobahnmaut gemacht wurden,
        hätten hier zur Lehre gereichen können. Seit damals
        wissen wir, wie langwierig und kostenintensiv solche
        Schwierigkeiten in komplexen Softwaresystemen wer-
        den können. Vor diesem Hintergrund war das Verspre-
        chen, im April 2011 mit dem neuen System an den Start
        zu gehen, nichts als Augenwischerei. Die enge Terminie-
        rung hätte letztlich auch bedeutet, dass mit der Inbetrieb-
        nahme des Systems der erste ernsthafte Test des Verfah-
        rens auf den bis dato größten Ansturm an die Universitäten
        geprallt wäre. Auch der knappe Zuschnitt des Systems, der
        etwa Lehramtsstudiengänge und Bachelor mit mehr als ei-
        nem Fach ausklammert, hätte dann zu neuen Problemen
        geführt.
        Auch die Hochschulrektorenkonferenz hätte während
        der Vorbereitung mehr Geschlossenheit zeigen müssen.
        Die millionenschwere Anschubfinanzierung des Bundes
        war offenbar nicht Anreiz genug, um die Kooperation
        der Hochschulen untereinander und an der Schnittstelle
        zur neuen Plattform herzustellen. Auch haben sich viele
        Universitäten noch bis kurz vor dem geplanten Start be-
        deckt gehalten, ob sie überhaupt mitmachen wollen. Die
        Haltung vieler Hochschulen war nicht so optimistisch,
        wie es zunächst die Zustimmung der Hochschulrektoren-
        konferenz suggeriert hat. Es wäre aber vor allem Ihre
        Aufgabe gewesen, Frau Bundesministerin, die richtigen
        Rahmenbedingungen zu setzen. Das Dialogorientierte
        Serviceverfahren wird nur dann zum Erfolg, wenn Sie
        alle Universitäten ins Boot holen. Die Verzögerung ist
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        icht technischen Widrigkeiten geschuldet, sondern
        angelnder politischer Koordination.
        Die Betroffenen sind die Studienanfänger und -anfän-
        erinnen, denen auch dieses Jahr der Start ins Studium
        erhagelt wird. Sie müssen sich an Dutzenden Universi-
        ten parallel bewerben und bleiben auf den Kosten und
        eitlichen Folgen des ineffizienten Systems sitzen. Für
        ll jene, die auch über eines der langwierigen Nachrück-
        erfahren keinen Platz erhalten haben, bleibt erneut nur
        ie Studienplatzbörse übrig – eher eine Notlösung als ein
        eordneter Übergang ins neue System. Die Effizienzlü-
        ken dieser akademischen „Resterampe“ zeigten sich
        chon bei einer Erhebung im Wintersemester 2009/2010,
        ach der mindestens 18 000 der begehrten Studienplätze
        it örtlichem Numerus clausus unbesetzt geblieben wa-
        n. Die damalige Argumentation der Unionsfraktion,
        in Großteil dieser Plätze sei im Semesterverlauf noch
        esetzt worden, wird durch die Zahlen zum Winterse-
        ester 2010/2011 eindeutig widerlegt. Nachdem auf
        assives Drängen der SPD-Fraktion im Haushaltsaus-
        chuss das Erhebungsinstrument verbessert wurde, zeigt
        ich jetzt, dass erneut fast 17 000 Studienplätze frei ge-
        lieben sind. Das sind 6,9 Prozent aller Studienplätze
        it lokaler Zulassungsbeschränkung! Mit den rund
        0 000 Studieninteressierten, die durch die Aussetzung
        er Wehrpflicht zusätzlich an die Universitäten drängen
        erden, werden wir dieses Jahr wohl einen neuen „Re-
        ord“ erreichen.
        Eine solche Verschwendung von Kapazitäten ist be-
        onders pikant im Hinblick auf die Finanzmittel in Höhe
        on 4,7 Milliarden Euro, die der Bundestag für die
        chaffung von neuen Studienplätzen im Rahmen des
        ochschulpaktes für die Jahre 2011 bis 2015 zur Verfü-
        ung stellt. Das Bemühen, junge Menschen für ein Stu-
        ium zu begeistern und mehr Studienplätze zu schaffen,
        ird durch die bestehenden Mängel konterkariert. Die
        uten Voraussetzungen, die die Große Koalition mit dem
        ochschulpakt geschaffen hat, laufen ins Leere, weil
        ie, Frau Ministerin, den Schuss nicht gehört haben. Es
        raucht jetzt ein entschlossenes Vorgehen, um das Dia-
        gorientierte Serviceverfahren schnellstmöglich an den
        tart zu bringen und den Schaden zu begrenzen. Frau
        inisterin Schavan, machen Sie das Thema endlich zur
        hefsache, nutzen Sie die Kompetenzen des Bundes bei
        er Hochschulzulassung! Die Koordinierung des Zulas-
        ungsverfahrens muss unverzüglich und offensiv ange-
        ackt werden. Handeln Sie jetzt!
        Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Die FDP-
        undestagsfraktion lehnt sowohl eine bundesgesetzliche
        egelung der Hochschulzulassung als auch des Zugangs
        u Masterstudiengängen ab. Für beide Maßnahmen gibt
        s keinerlei sinnvolle Begründung und nachweislich
        uch keinen Regelungsbedarf. Daher werden wir den
        orliegenden Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen.
        Wieder einmal zeichnen die Antragsteller ein Bild
        om deutschen Hochschulsystem und von der Umset-
        ung des Bologna-Reformprozesses, das mit der Wirk-
        chkeit nicht ansatzweise übereinstimmt. Zahlreiche
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12139
        (A) )
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        Studien belegen, dass die Umsetzung von Bologna in
        Deutschland auf einem guten Weg ist. Natürlich ist noch
        nicht alles optimal, aber es handelt sich um die größte
        Reform der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Und
        „trotz mancher Kinderkrankheiten gibt es bereits viele
        gute Effekte“, wie es Uwe Schlicht jüngst in seinem Ar-
        tikel „Der Bachelor kann’s“ treffend konstatierte (ver-
        gleiche Der Tagesspiegel vom 11. März 2011). Viele der
        reform-auslösenden Mängel, wie beispielsweise ein im
        internationalen Vergleich später Berufseintritt durch eine
        lange Studiendauer, eine hohe Abbrecherquote oder eine
        geringe Praxisorientierung der Studiengänge, sind be-
        reits behoben oder zumindest abgeschwächt worden. Es
        herrscht trotz aller Unkenrufe eine hohe Zufriedenheit
        der Absolventen mit ihrer Ausbildung, und auch die Ak-
        zeptanz seitens der Arbeitgeber ist beachtlich hoch:
        72 Prozent der Bachelorabsolventen hatten – so das Er-
        gebnis einer Studie des Internationalen Zentrums für
        Hochschulforschung in Kassel – drei Monate, nachdem
        sie die Urkunde in den Händen hielten, einen Arbeits-
        platz.
        Die Fraktion Die Linke behauptet zum wiederholten
        Male, dass in Deutschland zu wenige Masterstudien-
        plätze zur Verfügung stehen. Zu diesem Ergebnis ge-
        langt man, weil man im Lager der Linken die Unter-
        scheidung zu dem Vorgängermodell „Diplom“ nicht
        nachvollziehen will oder kann. Der Bachelorstudiengang
        wird dem Grundstudium gleichgesetzt. Deswegen
        kommt man zu dem Trugschluss, dass alle Absolventen
        eines grundständigen Studienganges auch ein Masterstu-
        dium anstreben müssten. Während die erstgenannte Be-
        hauptung einer empirischen Grundlage entbehrt, ver-
        deutlicht die zweitgenannte Annahme, wie wenig man
        sich mit der Zielsetzung der Bologna-Beschlüsse befasst
        hat.
        Die Kultusministerkonferenz, KMK, gelangt im die-
        ser Tage bekannt gewordenen Bericht des Hochschul-
        ausschusses zur „Situation im Masterbereich“ zu der
        Einschätzung, dass es gegenwärtig keinen Mangel an
        Masterstudienplätzen in Deutschland gibt (vergleiche
        dpa-Meldung „KMK: Derzeit kein Mangel an Master-
        studienplätzen“ vom 6. April 2011). Vielmehr sei die
        Zahl der angebotenen Masterstudienplätze ausreichend,
        wenngleich die Aufnahme eines Masterstudiums auch
        mit einem erforderlichen Ortswechsel verbunden sein
        könne. Interessant ist dabei, dass im Bachelorabschluss-
        jahrgang 2009 unter den Befragten, die ein Masterstu-
        dium aufgenommen haben, 90 Prozent angegeben ha-
        ben, dass sie sowohl ihr Wunschfach als auch ihre
        Wunschhochschule bekommen hätten.
        Und auch das sagt die Erhebung der KMK: Etwas
        mehr als drei Viertel aller Masterstudiengänge haben kei-
        nen örtlichen Numerus clausus. Und selbst bei den
        deutschlandweit 32 135 zulassungsbeschränkten Studien-
        plätzen sind ganze 6 258 nach dem Ende des Nachrück-
        verfahrens unbesetzt geblieben. Der Andrang war also
        geringer als erwartet, und es herrscht nachweislich keine
        Knappheit im Angebot von Masterstudienplätzen. Bei
        den Bachelorprüfungsjahrgängen 2005 bis 2007 wurde
        zudem lediglich eine Übertrittsquote von 33 Prozent ins
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        asterstudium ermittelt. Die Behauptungen der Antrag-
        teller sind damit zum heutigen Zeitpunkt empirisch
        icht belegt. Gleichwohl ist nicht absehbar, wie sich die
        bertrittsquoten vom Bachelor- zum Masterstudium
        ünftig angesichts der zu erwartenden steigenden Zahl
        on Bachelorabsolventen entwickeln werden. Doch
        und das ist meine volle Überzeugung – ein kompletter
        bergang von Bachelorabsolventenjahrgängen zum
        asterstudium ist gar nicht erstrebenswert. Eine solche
        iderspiegelung der ehemaligen Studienstruktur unter
        euem Namen wäre weder im Interesse der Studierenden
        och der Hochschulen oder des Arbeitsmarktes.
        Die Bildungsrepublik Deutschland kann auch dank
        er großen Anstrengungen seitens der christlich-libera-
        n Koalition – wir stellen allein in der laufenden Legis-
        turperiode zusätzlich 12 Milliarden Euro für Bildung
        nd Forschung im Bundeshaushalt bereit – auf beachtli-
        he Erfolge im Hochschulbereich verweisen: mit einer
        ekordstudienanfängerquote von 46 Prozent im Studien-
        hr 2010, mit der Bereitstellung von etwa 2 Milliarden
        uro bis zum Jahr 2020 für den Qualitätspakt Lehre, mit
        inem endlich Bologna-tauglichen Bundesausbildungs-
        rderungsgesetz, welches Fördermöglichkeiten für
        asterstudenten bis zum 35. Lebensjahr bietet, mit einer
        rfolgreichen Umsetzung des Hochschulpaktes, mit des-
        en Hilfe nicht nur die angestrebten 91 370, sondern so-
        ar 182 193 zusätzliche Studienplätze in der ersten Pro-
        rammphase geschaffen wurden, und der Zusicherung
        eitens der Bundesregierung, im Rahmen des Hoch-
        chulpakts II eine Aufstockung für darüber hinaus in-
        lge der Aussetzung der Wehrpflicht und der doppelten
        biturjahrgänge benötigte Studienplätze mitzufinanzie-
        n. Mit dem in diesem Jahr startenden Deutschland-Sti-
        endium, welches künftig einen wichtigen Beitrag dazu
        isten wird, dass das Jobben neben dem Bachelorstu-
        ium zunehmend überflüssig werden kann, sorgen wir
        uch dafür, dass die Rahmenbedingungen für eine opti-
        ale Umsetzung der Bologna-Reform weiter verbessert
        erden.
        Die Antragsteller beklagen die jahrzehntelange Un-
        rfinanzierung des deutschen Hochschulsystems.
        leichzeitig bieten sie aber keinerlei konstruktive Vor-
        chläge an, wie sich dieser Mangel beheben lassen
        önnte. Auch wenn sich über die Hälfte der Deutschen
        r Studienbeiträge als ein probates Mittel zur Finanzie-
        ng der Hochschulen aussprechen – die Linke will es
        icht wahrhaben. Sie scheut es, darüber nachzudenken,
        elche positiven Effekte Studienbeiträge für die Hoch-
        chullehre hat, angefangen bei verbesserten Betreuungs-
        lationen über bessere Hochschulinfrastruktur bis hin
        um persönlichen Anspruch des Einzelnen gegenüber
        einer Hochschule. Leider mussten wir immer wieder
        ststellen, dass sich die Oppositionsfraktionen gegen-
        ber Argumenten versperren, empirische Daten negieren
        nd Fakten infrage stellen. Wenn Wahrheiten nicht ins
        eltbild passen, werden sie passend gemacht. Mit die-
        em Anspruch lässt sich Politik betreiben; für das Wis-
        enschaftssystem ist eine solche Haltung bekannterma-
        en aber Gift.
        12140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        Ein – wie von den Antragstellern gefordertes – Bun-
        deshochschulzulassungsgesetz stellt einen Angriff auf
        die Autonomie der Hochschulen dar und wird seitens der
        FDP-Bundestagsfraktion mit aller Vehemenz abgelehnt.
        Damit wäre nicht nur der Bologna-Reformprozess ad ab-
        surdum geführt. Man vergisst auch zu gerne, dass der
        Bund sich nur im Rahmen der konkurrierenden Gesetz-
        gebung einbringen kann. Sobald ein Land ausschert,
        bricht das wackelige Gefüge zusammen. Da ist es doch
        besser, die Organisation dezentral zu verorten und auf
        das dialogorientierte Zulassungsverfahren „hochschul-
        start.de“ der Stiftung für Hochschulzulassung zu warten.
        Ja, es hat Verzögerungen gegeben, und diese müssen
        schnellstmöglich behoben werden. Wer aber so tut, als
        würden bundesgesetzliche Regelungen schneller greifen
        können, der handelt unredlich. Es gibt Software-Schnitt-
        stellenprobleme. Diese sind der Grund für das Verschie-
        ben. Aber das neue System wird kommen – wir lassen
        uns nicht auf eine Rolle rückwärts in die 70er-Jahre des
        vergangenen Jahrhunderts ein. Die Studentenlandver-
        schickung per ZVS ist endgültig passé; das werden auch
        SPD, Grüne und die Linke begreifen müssen.
        Als Fazit bleibt – wie so oft bei den Anträgen der
        Fraktion Die Linke – festzuhalten: Hier wird mit untaug-
        lichen Mitteln die Beseitigung von nicht existierenden
        Problemen gefordert. Der Antrag ist also nicht nur nicht
        gut gemacht, sondern auch nicht gut gemeint und gehört
        daher abgelehnt.
        Nicole Gohlke (DIE LINKE): Seit Jahren erhalten
        jedes Semester viele Tausend junge Menschen, die stu-
        dieren wollen und dafür die nötigen Voraussetzungen
        mitbringen, von den Hochschulen eine Absage. Das
        heißt, sie erwerben sich durch das Abitur oder andere
        Studienberechtigungen zwar einen formalen, aber keinen
        tatsächlichen Hochschulzugang. Mittlerweile ist das
        nicht mehr nur beim Studienbeginn so, sondern nun auch
        beim Übertritt in den Master. Und damit nicht genug:
        Die Zulassungsverfahren sind chaotisch, das dialog-
        orientierte Zulassungsverfahren der Bundesregierung ist
        faktisch gescheitert, am Ende bleiben auch dieses Jahr
        wahrscheinlich wieder Tausende Studienplätze unbe-
        setzt. Dieser Zustand ist unerträglich!
        Seit 2006 fällt die Hochschulzulassung – unter Mitwir-
        kung der Länder – in den Kompetenzbereich des Bundes.
        Aber die Bundesregierung macht keine Anstalten, die
        chaotischen Verhältnisse nachhaltig zu verbessern. Mit
        unserem Antrag wollen wir das ändern. Deshalb fordert
        die Linke ein Bundeshochschulzulassungsgesetz: Jede
        und jeder Studienberechtigte soll tatsächlich studieren
        können, und zwar im gewünschten Fach und am ge-
        wünschten Ort.
        Seit der Regierung Schröder wird das sogenannte
        „Selbstauswahlrecht der Hochschulen“ gestärkt: Im
        Sinne der sogenannten „Profilbildung und des Wettbe-
        werbs zwischen den Hochschulen“ sollen sich die Hoch-
        schulen „ihre Studierenden“ aussuchen dürfen. Ich
        glaube aber, man muss sich an dieser Stelle entscheiden:
        Wollen wir, dass die Studierenden wählen dürfen – so
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        erstehe ich das Recht auf freie Berufswahl und das
        enschenrecht auf Bildung –, oder wollen wir, dass sich
        ie Hochschulen ihre Studierenden aussuchen – dann
        immt man zwangsläufig in Kauf, dass Bewerberinnen
        nd Bewerber abgewiesen werden?
        Manche halten es für utopisch, dass jeder den Stu-
        ienplatz bekommt, den er will. Sehr lange war es aber
        olitischer Konsens, dass jeder Studienberechtigte das
        echt dazu hat. Das Bundesverfassungsgericht stellte
        972 in seinem Urteil zum Numerus clausus fest: Das
        echt auf die freie Wahl der Ausbildungsstätte wäre – Zi-
        t – „ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in An-
        pruch nehmen zu können, wertlos“.
        Und heute heißt es beim Thema Masterstudienplätze,
        ass es vielleicht genügend gibt, aber nicht an jeder
        ochschule und schon gar nicht in jedem Studiengang.
        amit wird dem Recht auf Selbstbestimmung der Stu-
        ierenden faktisch eine Absage erteilt.
        Wir fordern stattdessen das Recht auf einen Master-
        tudienplatz. Wir schlagen vor, dass die Studierenden
        it der Zulassung zum Bachelor auch das Recht bekom-
        en, nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium an
        er gleichen Hochschule anzuschließen.
        Ein Einwand liegt freilich auf der Hand. Viele Hoch-
        chulen sind heute schon überlastet. Die entscheidende
        rage ist: Was folgt daraus? Soll man sich jetzt damit
        olitisch abfinden, dass jedes Jahr Tausende Studienbe-
        chtigte von den Hochschulen abgewiesen werden?
        an darf sich nicht damit abfinden! Wir brauchen mehr
        tudienplätze, damit massenhafte Ablehnungen nicht
        orprogrammiert sind. Der Hochschulpakt verfolgt die-
        es Ziel bislang nicht. Er ist darauf angelegt, sich durch-
        uwursteln, und nicht darauf, Zulassungshürden zu be-
        eitigen.
        Für die Linke gehört die Finanzierung mit zum Kern
        ines guten Hochschulzulassungsgesetzes. Es geht nicht
        arum, den Mangel zu verwalten, sondern darum, ihn
        urch entschlossenen Hochschulausbau zu beseitigen.
        onst steht das Recht auf einen Studienplatz weiter nur
        uf dem Papier.
        Verhelfen Sie der Studienberechtigung wieder zu ih-
        m eigentlichen Sinn! Machen Sie aus der Berechtigung
        ndlich – wie es im Wort selbst schon steckt – ein Recht,
        nd stimmen Sie dem Antrag der Linken zu!
        Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer in
        iesen Tagen über den Hochschulzugang spricht, kann
        ur blamablen Verschiebung des Dialogorientierten Ser-
        iceverfahrens auf unbestimmte Zeit und zu den fatalen
        olgen für die Studienberechtigten der Jahre 2011 und
        anach nicht schweigen. Angesichts des Studierenden-
        ochs, doppelter Abiturjahrgänge, der Aussetzung von
        ehrdienst und Zivildienst wäre – gerade nach jahrelan-
        em Einschreibe-, Zulassungs- und Nachrückchaos – ein
        nktionierendes Hochschulzulassungssystems zum
        intersemester 2011/2012 zwingend erforderlich und
        ngst überfällig.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12141
        (A) )
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        Das aktuelle Scheitern ist aber nur die Spitze des Eis-
        bergs, denn es geht um eine Serie bildungspolitischer
        Skandale: Es ist beschämend, dass ein Erreichen der
        Hochschulzugangsberechtigung hierzulande extrem eng
        mit dem Bildungsgrad der Herkunftsfamilie verknüpft
        ist. Die allgemeine Hochschulreife ist zudem keine
        Hochschulzugangsberechtigung mehr, sondern eher eine
        Bewerbungsberechtigung, die zur Teilnahme an einer
        Studienplatzlotterie berechtigt.
        Nachdem die ZVS in alter Form abgewickelt wurde,
        klemmt nun das lange angekündigte dialogorientierte
        Serviceverfahren unter anderem wegen technischer Soft-
        wareprobleme. Ausgerechnet im Jahr mit den meisten
        Studieninteressierten aller Zeiten wird so vielen der Weg
        zur Hochschule verbaut. Im letzten Wintersemester blie-
        ben rund 18 000 Studienplätze unbesetzt, da ihre Ver-
        gabe am Durcheinander gescheitert ist. Die Bundesre-
        gierung hat zwar die verfassungsrechtliche Möglichkeit,
        die Verfahren des Hochschulzugangs bundeseinheitlich
        zu regeln und transparent zu gestalten, nutzt diese aber
        fahrlässigerweise nicht. Die Studienberechtigten und
        Hochschulen warten seit Jahren auf eine Lösung der Zu-
        lassungsproblematik. Weitere Verzögerungen und anhal-
        tendes Chaos sind unzumutbar. Da das neue Zulassungs-
        verfahren aber nicht funktioniert, ist eine erneute
        Verschiebung leider unumgänglich.
        So richtig es ist, Studienberechtigte nicht zu Ver-
        suchskaninchen eines instabilen IT-Programms zu ma-
        chen, so klar bleibt das Ziel: Sie haben ein Recht auf ein
        funktionierendes Zulassungsverfahren, um ein Studium
        aufzunehmen. Dieses Recht ist jetzt akut gefährdet.
        Hochschulen und Studienberechtigten muss ein Desaster
        wie bei der Einführung der Lkw-Maut erspart bleiben.
        Ministerin Schavan muss daher unverzüglich eingreifen
        und das Zulassungschaos beheben, anstatt auf der Zu-
        schauertribüne zu verweilen. Wer wie der Bund 15 Mil-
        lionen Euro in das neue System investiert, muss mehr als
        ein Zaungast sein; er muss politisch steuern. Schavans
        Politikverweigerung in den letzten Jahren hat das Zulas-
        sungschaos verschärft. Nun sieht es so aus, als wolle sie
        tatenlos zusehen, wie zwischen Stiftung, IT-Entwicklern,
        Ländern und Hochschulrektorenkonferenz Schuldzuwei-
        sungen hin- und hergeschoben werden, anstatt Verant-
        wortung fürs Gelingen zu übernehmen, die Probleme zü-
        gig zu beseitigen und einen verlässlichen Zeitplan
        aufzustellen. Leidtragende sind Studienberechtigte, die
        im besten Fall erst in aufwendigen und langwierigen
        Nachrückverfahren einen Studienplatz erhalten. Im
        schlechtesten Fall bewerben sie sich vergebens und ver-
        lieren ein halbes oder gar ganzes Lebensjahr.
        Studierende wie Hochschulen brauchen jetzt Verfah-
        rens- und Planungssicherheit. Ministerin Schavan und
        ihre Länderkollegen und -kolleginnen müssen sicherstel-
        len, dass das alte Verfahren sofort anwendbar ist, damit
        nicht noch mehr Studienberechtigte vor dem deutschen
        Zulassungschaos Reißaus nehmen und später als akade-
        mische Fachkräfte fehlen, dass alle Mittel genutzt wer-
        den, um mit dem alten Verfahren zu besseren Ergebnis-
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        en zu kommen und nicht wieder 18 000 Studienplätze
        ngenutzt bleiben, und dass die Zeit bis zur endgültigen
        betriebnahme genutzt wird, für die volle Funktionsfä-
        igkeit des Systems auch für kombinierte Studiengänge
        nd für das Lehramt zu sorgen sowie verbindliche Teil-
        ahme aller Hochschulen sicherzustellen.
        Vor allem die Studierenden brauchen Klarheit: Es ist
        eine Panikmache, vor der realen Gefahr eines Zulas-
        ungsdesasters bis in den Herbst 2013 hinein zu warnen.
        ürde sich das deutsche Hochschulsystem als unfähig
        rweisen, seinen Mangel an gut ausgestatteten Studien-
        lätzen wenigstens effizient zu verwalten, so werden wir
        wenigen Jahren über einen Fachkräftemangel unge-
        hnten Ausmaßes diskutieren. Solange das neue Verfah-
        n nicht funktioniert, bleibt es beim unbefriedigenden
        ustand aus lokalen Zulassungsverfahren in komplizier-
        n Nachrückrunden mit anschließender Studienplatz-
        mbola. Dieser Zustand muss schnellstmöglich über-
        unden werden.
        Die Länder müssen zudem endlich das Kapazitäts-
        cht sinnvoll überarbeiten: Es muss einfacher werden,
        arf aber dem gesamtstaatlichen Ziel des Studienplatz-
        apazitätsausbaus keinen Bärendienst erweisen. Die
        undesforschungsministerin sei daran erinnert, dass ihre
        ightech-Strategie die Informations- und Kommunika-
        onstechnologien als Innovationsmotor Nr. 1 nennt. Vor
        iesem Anspruch bekommt das Verschieben von „Hoch-
        chulstart.de“ und das Zulassungsdesaster eine andere
        imension.
        Mit Blick auf den Antrag der Linksfraktion sehe ich
        einzelnen Punkten Übereinstimmung, in anderen
        uss ich widersprechen. Erstens. Es ist nicht Aufgabe
        es Bundes, „dafür zu sorgen, dass ein ausreichendes
        ngebot an Studienplätzen zur Verfügung steht.“ Das ist
        nd bleibt Aufgabe der Länder. Der Bund kann allenfalls
        nterstützend wirken. Fakt ist, dass der Hochschulpakt
        achzuverhandeln ist und dass Bund und Länder mehr
        eld für mehr Bachelor- und Masterstudienplätze zur
        erfügung stellen müssen. Zweitens. Dank der Abwei-
        hungsregel im Grundgesetz bliebe das von Ihnen einge-
        rderte Bundeszulassungsgesetz ein zahnloser Tiger,
        eil jedes Bundesland davon abweichen kann. Deswe-
        en setzen wir auf einen nachhaltig ausverhandelten
        und-Länder-Staatsvertrag zur Hochschulzulassung.
        ieser wäre ein effektiveres und wirkungsmächtigeres
        strument. Drittens. Dass Studienberechtigung „das
        echt, ein Studium im Fach und an der Hochschule sei-
        er Wahl aufzunehmen“, bedeute, ist realitätsfern und
        eße sich nur durch Bildungszentralismus statt Bil-
        ungsföderalismus umsetzen. Viertens. Es macht wenig
        inn, Hochschulen die Aufstellung jedweder Zugangs-
        oraussetzungen zu untersagen. Weiterbildungsmaster-
        tudiengänge, die Berufserfahrung voraussetzen, sollten
        öglich bleiben. Insgesamt sind wir der Linksfraktion
        ankbar, diese wichtige Debatte aufgesetzt zu haben.
        ehreren Vorschlägen können wir aber nicht zustim-
        en.
        12142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts zu den Anträgen:
        – Fachkräftepotenzial nutzen – Gute Arbeit
        schaffen, bessere Bildung ermöglichen, vor-
        handene Qualifikationen anerkennen
        – Strategie statt Streit – Fachkräftemangel be-
        seitigen
        (Tagesordnungspunkt 17)
        Ulrich Lange (CDU/CSU): Die wirtschaftliche Situa-
        tion in Deutschland ist gut. Die Konjunktur ist nach der
        Finanz- und Wirtschaftskrise angesprungen. Deutsch-
        land, zu Zeiten von Rot-Grün das Schlusslicht in der EU,
        hat sich in der christlich-liberalen Koalition zur Konjunk-
        turlokomotive entwickelt. Erfreulich ist auch, dass die
        Anzahl der Erwerbstätigen stark gestiegen, die Arbeitslo-
        senquote gesunken ist. Trotz dieser grundsätzlich positi-
        ven Wirtschaftsdaten stehen wir einem Problem gegen-
        über: der Fachkräftesicherung. Derzeit aber gibt es noch
        keinen echten Mangel, aber starke regionale Unter-
        schiede.
        Wir sind uns darüber im Klaren, dass der wirtschaftli-
        che Aufschwung nur dann weitergehen wird, wenn wir
        dafür die nötigen Fachkräfte zur Verfügung haben. Die
        künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unterneh-
        men wird deshalb entscheidend davon abhängen, ob es
        gelingt, die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen. Ein
        ungedeckter Fachkräftebedarf verschenkt unnötigerweise
        vorhandene Wachstums- und Innovationspotenziale.
        Wie in der Anhörung dargelegt, hatten Mitte 2010 laut
        Umfrage der DIHK bereits 70 Prozent der Unternehmen
        Probleme bei der Besetzung offener Stellen. Im Dezem-
        ber 2010 lag die sogenannte MINT-Lücke, also die Be-
        rufe: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
        Technik, bei 98 600; davon umfasst die Ingenieurlücke
        knapp 50 000 Stellen. Die IHK Bayern geht davon aus,
        dass in 2014 allein in Bayern rund 420 000 Fachkräfte,
        davon 25 000 Akademiker fehlen. Trotzdem sieht die
        Linke keinen Fachkräftemangel. Allein die genannten Er-
        hebungen widerlegen das „wirtschaftliche“ Fachwissen
        der Linken, zeigen, dass die Linken auch von Wirtschaft
        nichts, aber auch gar nichts verstehen. Sie sehen bei die-
        sen Fakten keinen gravierenden Engpass von Fachkräf-
        ten, sondern eine Intrige des Kapitalismus. Ihr Erfolgsre-
        zept: Mehr gute Arbeit! Ja wie naiv sind Sie denn, eine
        solch undifferenzierte Forderung zu stellen! Von Fach-
        wissen sind Sie wirklich völlig unbeleckt.
        Anders sieht die Analyse der Grünen aus, die einen
        wachsenden Fachkräftemangel diagnostizieren. Leider
        sind Ihre Schlussfolgerungen nicht immer Erfolg ver-
        sprechend. Insbesondere Ihre Forderung nach Ihrem
        „DualPlus“ als weiterentwickeltem Berufsausbildungs-
        system geht einfach in die falsche Richtung.
        „DualPlus“ ist nichts anderes als eine Variante der au-
        ßerbetrieblichen Ausbildung. Diese war in der Vergan-
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        enheit leider notwendig, als die Ausbildungsnachfrage
        as betriebliche Angebot deutlich überstieg. Heute fehlen
        ehrlinge, keine Ausbildungsplätze. Unsere traditionelle
        berbetriebliche Ausbildung, bei der die betriebliche
        usbildung in überbetrieblichen Lehrgängen inhaltlich
        rgänzt und vertieft wird und die aufgrund ihrer guten
        ualität in den Betrieben als notwendig akzeptiert ist, hat
        ich bewährt. Daran werden wir festhalten.
        Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um ausrei-
        hend Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu si-
        hern. Da reicht eine Maßnahme, eine Aktion nicht aus,
        ir müssen an mehreren Bereichen ansetzen und unsere
        ktivitäten bündeln.
        Das Fachkräfteangebot kann gesteigert werden, in-
        em die Anzahl der Fachkräfte, die dem Arbeitsmarkt
        ur Verfügung stehen, erhöht wird und indem die von
        en Erwerbspersonen erwirtschaftete Wertschöpfung ge-
        teigert wird. In vielen Bereichen müssen gleichzeitig
        chritte zur Verbesserung der derzeitigen Situation ein-
        eleitet werden. Ich möchte einige Schwerpunkte auflis-
        n:
        Bildungsinitiative: Bildungspolitik ist Standortpolitik.
        Vordergrund steht die Aufgabe, den Anteil der Schul-
        bgänger ohne Hauptschulabschluss zu reduzieren.
        enn es gelingen würde, die Anzahl der Schulabgänger
        u halbieren, würden bis 2025 circa 300 000 Fachkräfte
        usätzlich zur Verfügung stehen. Arbeitgeberverbände,
        ammerorganisationen, Gewerkschaften, die Kultus-
        inisterkonferenz, der Bund und die Länder engagieren
        ich derzeit schon in diesem Bereich. Seitens der Bun-
        esregierung wird eine zweite Chance für Schulverwei-
        erer in einem extra Programm angeboten. Die Kultus-
        inisterkonferenz fördert gezielt Benachteiligte und
        chtet vermehrt praxisorientierten Unterricht aus. Mit
        ezielter, rechtzeitiger Förderung lassen sich Schwächen
        Mathematik und Deutsch, den beiden Grundfächern,
        eseitigen. Eine bessere Förderung müssen auch Jugend-
        che mit einem Migrationshintergrund erhalten. Eine
        erstärkte Einbindung der Eltern wird sich positiv aus-
        irken.
        Die Schulen sollten verstärkt mit Wirtschaft und
        ochschulen zusammenarbeiten, um bei den Schülern
        as Interesse für MINT-Bereiche zu erhöhen und mehr
        INT-Absolventen auf den Hochschulen zu erhalten.
        Berufseintrittsalter senken: Durch die Herabsetzung
        es Einschulungsalters, die Flexibilisierung des Grund-
        chuleinstiegs, die sogenannte G 8, die Aussetzung des
        ehrdienstes und die Einführung einer zweistufigen
        tudienstruktur treten die Jüngeren künftig früher ins Er-
        erbsleben ein. Die ältesten Berufseinsteiger kommen
        icht mehr aus Deutschland.
        Berufsausbildung unterstützen: Leider wird in Deutsch-
        nd noch jeder fünfte Ausbildungsvertrag frühzeitig auf-
        elöst. Die Hälfte dieser Jugendlichen, circa 70 000,
        eginnen keine neue Lehre. Hier muss weiter gegenge-
        teuert werden. Vertiefte Berufsorientierung bietet den
        ugendlichen eine sicherere Wahl des Berufes und ein hö-
        ere Zufriedenheit bei der Ausbildung. Erfolgreich ist
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12143
        (A) )
        )(B)
        auch die Berufseinstiegsbegleitung an bundesweit 1 000
        Schulen.
        Aber auch die Betriebe sind gefordert. Die erfolgrei-
        che betriebliche Ausbildung muss weiterentwickelt wer-
        den. Durch die parallele Doppelqualifikation aus Berufs-
        abschluss und FH-/Uni-Abschluss kann die Gewinnung
        und Bindung von Fachkräften deutlich gefördert werden.
        Den Jugendlichen muss immer wieder verdeutlicht wer-
        den, dass unser Bildungssystem sehr durchlässig ist. Ent-
        scheidend ist ein guter Abschluss und Leistungsbereit-
        schaft.
        Senkung der Hochschulstudiumabbrüche: Leider liegt
        bei uns der Anteil der Studienabbrecher zwischen 20 und
        30 Prozent. Wichtige Präventivmaßnahme sollte eine
        verbesserte und individuellere Beratung von Abiturien-
        ten und Studierenden sein, die an einen Abbruch denken,
        um ihnen die langfristigen Konsequenzen deutlich zu
        machen. Zudem sollten verstärkt Anstrengungen unter-
        nommen werden, die Situation in den Hochschulen zu
        verbessern und den jungen Menschen auch gute Bedin-
        gungen für ihr Studium zu gewähren.
        Mit den Bundesländern haben wir einen Hochschul-
        pakt geschlossen, um die Leistungsfähigkeit unserer
        Hochschulen zu sichern und für eine größere Zahl von
        Studenten offenzuhalten. Die stark steigende Zahl von
        Studienbewerbern und der sich abzeichnende Bedarf in
        bestimmten Branchen machen in besonderem Maße ei-
        nen gezielten Ausbau der Studienkapazitäten in Deutsch-
        land erforderlich. Im Vordergrund muss hierbei die Aus-
        bildung für den inländischen Bedarf stehen.
        Verlängerter Einsatz erfahrener Fachkräfte: In Deutsch-
        land sind nur 56 Prozent der Facharbeiter zwischen
        55 und 64 tätig. Auch wenn dieser Wert über dem euro-
        päischen Durchschnitt liegt, sollte eine Steigerung mög-
        lich sein. Viele ältere Fachkräfte wollen länger im Er-
        werbsleben stehen und werden oft gegen ihren Willen in
        die Rente geschickt.
        Die Fortsetzung der staatlich geförderten Altersteil-
        zeit haben wir verhindert und die gesetzliche Lebensar-
        beitszeit verlängert. Mit beiden Entschlüssen haben wir
        deutlich gemacht, dass nicht der vorzeitige Ausstieg aus
        dem Erwerbsleben, sondern die Verlängerung der Er-
        werbsbiografien gefördert werden muss. Die Situation
        von älteren Menschen am Arbeitsmarkt hat sich seither
        kontinuierlich verbessert. Der Anteil der älteren Be-
        schäftigten an den sozialversicherungspflichtigen Be-
        schäftigungsverhältnissen ist stetig gestiegen.
        Unsere Unternehmen wissen immer mehr die Poten-
        ziale älterer Arbeitskräfte zu schätzen, weil ihr Wissen,
        ihre Erfahrung und ihre Leistungsfähigkeit in den Betrie-
        ben gebraucht und genutzt wird. Die deutschen Unterneh-
        men, unterstützt durch zukunftsorientierte, arbeitsmarkt-
        politisch sinnvolle Maßnahmen der Bundesregierung,
        haben ihren Fokus bei der Gewinnung von Arbeitskräften
        auch auf Ältere gelegt und als Anreiz geeignete Maßnah-
        men realisiert, wie die Einführung eines Gesundheitsma-
        nagements, eine altersgerechte Gestaltung der Arbeits-
        plätze und auch – dies halte ich persönlich für sehr
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        ichtig – die Anerkennung und Wertschätzung der erfah-
        nen Mitarbeiter zum Ausdruck gebracht.
        Das Ziel, die Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmerin-
        en und Arbeitnehmer zu erhalten und zu verbessern,
        ird auch mit der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“
        NQA) verfolgt. Die Bundesregierung fördert mit INQA
        ie Schaffung gesundheits- und leistungsfördernder Ar-
        eitsbedingungen. Darüber hinaus werden Unternehmen
        ei der Umsetzung einer nachhaltigen Personalpolitik un-
        rstützt und zu einer lebenslangen Qualifikation ihrer
        itarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert. Das Projekt
        Perspektive 50 plus“ ist ein Programm des Bundesar-
        eitsministeriums zur Verbesserung der Beschäftigungschan-
        en älterer Langzeitarbeitsloser.
        Frauenerwerbsquote steigern: In Deutschland sind
        irca 70 Prozent der Frauen berufstätig, davon circa
        5 Prozent in Teilzeit. Viele Frauen wollen ganztags ar-
        eiten, haben jedoch Probleme, Beruf und Familie zu
        ereinbaren. Mit der Einführung eines Rechtsanspruchs
        uf einen Platz in einer Kindertagesstätte und dem Aus-
        au der frühkindlichen Betreuungsangebote geben wir
        üttern und Vätern die Möglichkeit, Erwerbstätigkeit
        nd Familie zu vereinbaren.
        Dennoch ist eine größere Flexibilität notwendig. Die
        rbeitgeber müssen noch flexiblere Arbeitszeiten oder
        eilzeitregelungen anbieten, die öffentliche Hand muss
        ber auch den Ausbau der Kinderbetreuung vorantrei-
        en. Wichtig ist zudem, dass die entsprechenden Ein-
        chtungen mit flexiblen und großzügigen Regelungen
        uf die Bedürfnisse der berufstätigen Eltern eingehen
        üssen.
        Aber auch die Betreuung von Schulkindern muss aus-
        ebaut werden, damit berufstätige Eltern ohne Sorge ihrer
        ätigkeit nachgehen können. Ein Ausbau von Ganztags-
        chulen, Nachmittags- und Ferienbetreuung ist dringend
        otwendig.
        Im Rahmen des Aktionsprogramms „Perspektive
        iedereinstieg“ werden Frauen nach einer familienbe-
        ingten Erwerbsunterbrechung bei der Rückkehr in den
        eruf unterstützt.
        Mit dem nationalen Pakt für mehr Frauen in MINT-
        erufen soll bei jungen Mädchen frühzeitig das Interesse
        n technischen Berufen geweckt werden.
        Weiterqualifizierung stärken: Die Grundausbildung
        er Deutschen ist im Europavergleich recht gut. Das sieht
        doch bei der Weiterbildung wesentlich schlechter aus,
        sbesondere für Frauen und Ältere. Hier stehen auch die
        eutschen Unternehmen in der Pflicht, vermehrt Fortbil-
        ungsangebote zu schaffen und ihre eigenen Mitarbeiter
        r Leben lang weiterzubilden. Dies bedeutet auch, dass
        ie derzeit bei uns bestehende Fortbildungslandschaft auf
        ie zukünftigen Berufe und den kommenden Bedarf aus-
        erichtet werden muss. Vor allem eine Ausweitung der
        ngebote im technischen Bereich ist unerlässlich.
        In den Unternehmen muss aber auch eine Kultur ent-
        tehen, dass Mitarbeiter eigenverantwortlich ihre Weiter-
        ildung betreiben, um langfristig für den Arbeitsmarkt
        on Interesse zu sein.
        12144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        Die Bundesanstalt für Arbeit, BA, hat verschiedene
        Programme zur Weiterbildung. So fördert zum Beispiel
        die BA die berufliche Weiterbildung Geringqualifizierter
        durch den Erwerb anerkannter Berufsabschlüsse oder
        Teilqualifikationen.
        Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund:
        In Deutschland haben Menschen mit Migrationshinter-
        grund durchschnittlich eine schlechtere Bildung und sind
        dadurch auch häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen.
        Deshalb müssen diese besser gefördert werden.
        Dringend ist auch die schnelle und unbürokratische
        Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikatio-
        nen, damit die Migranten auf unserem Fachkräftemarkt
        eingesetzt werden können. Bei diesem Verfahren kann
        die wirkliche Qualifikation des Migranten erkannt und
        seine Chancen auf unserem Arbeitsmarkt können ermit-
        telt werden. Lücken in der Qualifikation müssen mit
        Hilfe von Fortbildungsmaßnahmen geschlossen werden.
        Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir zahl-
        reiche integrationspolitische Maßnahmen auf den Weg
        gebracht, um das Potenzial der Bevölkerung mit Migra-
        tionshintergrund besser auszuschöpfen.
        Abwanderung verhindern: Ein zentrales Problem für
        den Arbeitsmarkt in Deutschland und damit für den
        Wirtschaftsstandort Deutschland ist die starke Abwande-
        rung von in- und ausländischen Absolventen deutscher
        Universitäten und anderen Fachkräften nach Erwerb ih-
        rer Qualifizierung. Dieser Abwanderung von besonders
        gut ausgebildeten jungen Menschen, die bereits hervor-
        ragende Deutschkenntnisse besitzen, steht keine in glei-
        cher Weise qualifizierte Zuwanderung entgegen. Ein
        Hauptaugenmerk der deutschen Wirtschaft muss es also
        sein, die besonders gut ausgebildeten Absolventen mit
        attraktiven Lohn- und Arbeitsbedingungen im Land zu
        halten oder nach erfolgtem Auslandsstudium für den
        deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Auch ins Ausland
        abgewanderte nichtakademische Fachkräfte sollen ge-
        zielt für die deutsche Wirtschaft zurückgewonnen wer-
        den.
        Qualifizierte Zuwanderung ermöglichen: Da der welt-
        weite Wettbewerb um Fachkräfte vor langer Zeit begon-
        nen hat, müssen auch wir um qualifizierte Fachkräfte aus
        dem Ausland werben. Derzeit verliert Deutschland jedes
        Jahr Tausende von Facharbeitern, die ins Ausland wan-
        dern. Wir müssen versuchen, diesen Trend umzudrehen.
        Einmal müssen wir unseren Fachkräften ihre Chancen
        und Möglichkeiten in Deutschland aufzeigen, auf der an-
        deren Seite müssen wir uns um ausländische Fachkräfte
        bemühen. Dabei müssen wir politisch und gesellschaft-
        lich verdeutlichen, dass ausländische Fachkräfte bei uns
        willkommen sind und gute Perspektiven haben.
        Insbesondere die Forschungseinrichtungen sind im in-
        ternationalen Wettbewerb darauf angewiesen, hochquali-
        fiziertes Personal zu gewinnen und halten zu können. Um
        den Bedarf an akademischen Spitzenkräften decken zu
        können, führen wir die Wissenschaftsfreiheitsinitiative
        im Wissenschaftsfreiheitsgesetz weiter. Damit werden
        die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um
        Wissenschaftsorganisationen die Akquise von Spitzen-
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        rschern zu erleichtern und im Wettbewerb mit auslän-
        ischen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft
        onkurrenzfähige Angebote zu machen.
        Die erfolgreiche Bekämpfung des sich abzeichnenden
        achkräftemangels gelingt nicht mit punktuellen Lösun-
        en. Sie gelingt nur durch einen umfassenden und länger-
        istig angelegten Ansatz. Vor allem muss die Zielsetzung
        ein, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszu-
        chöpfen. Hier wollen wir mit einer besseren Schul- und
        ochschulbildung sowie zusätzlichen Anstrengungen in
        er Aus- und Weiterbildungsförderung den Schwerpunkt
        ur Sicherung und Verbesserung des Fachkräfteangebo-
        s in Deutschland setzen.
        Ein weiteres zentrales Anliegen ist, die Abwanderung
        on Hochqualifizierten und Fachkräften zu stoppen.
        chließlich gilt es, durch die Entwicklung einer Willkom-
        enskultur die Attraktivität Deutschlands für qualifi-
        ierte ausländische Fachkräfte zu erhöhen und gezielt die
        ualifizierten Fachkräfte zu werben, für die ein Mangel
        esteht.
        Ich fordere die Opposition auf, sich unseren Aktionen
        ur Sicherung der Fachkräfte für unseren deutschen Ar-
        eitsmarkt anzuschließen.
        Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Haben wir ihn
        der haben wir ihn nicht, den Fachkräftemangel in
        eutschland? Die Wahrheit liegt zwischen Ja und Nein,
        lso in einem Gelände, in dem wir uns als Politiker so oft
        ewegen und feststellen, dass einfache Antworten nicht
        eiterhelfen. Die vorliegenden Anträge sind für die SPD
        illkommener Anlass, dieses Thema in der gebotenen
        iefe zu beleuchten.
        Betrachten wir die aktuelle Situation am Arbeits-
        arkt, stellen wir ungedeckte Bedarfe im Bereich der
        esundheitswirtschaft, hier besonders in der Alten-
        flege, fest. Im Streit um die Frage, wie die Altenpflege-
        usbildung finanziert wird, in niedrigen Löhnen – der
        indestlohn in der Pflege ist noch taufrisch – und in be-
        stenden Arbeitsbedingungen, liegen ein Bündel von
        ründen für diesen Mangel. Die Verweildauer im Beruf
        t kurz, die Aufstiegsmöglichkeiten sind gering und die
        ussicht auf Besserung ist schlecht.
        Fachkräftemangel herrscht aktuell auch bei Erziehe-
        nnen und Erziehern. Dem Aufbau von Betreuungsange-
        oten hat keine adäquate Ausweitung des Ausbildungs-
        ngebotes gegenübergestanden. Die Entgeltsituation ist
        ngesichts langer Ausbildungszeit schlecht. Auch hier
        ibt es so gut wie keine Karrierechance, und die Per-
        pektive, bis zum Renteneintrittsalter in der Kita zu ar-
        eiten, ist ebenfalls nicht prickelnd.
        Ebenso zutreffend ist, dass Bundesländer sich wech-
        elseitig Lehrkräfte abwerben. Aber schon hier stellen
        ir gleichzeitig fest, dass Berufseinsteiger und Berufs-
        insteigerinnen nur befristete Verträge bekommen. Be-
        onders hörbar melden sich die Fachverbände zu Wort,
        ie über einen Ingenieursmangel klagen. Bis zu 45 000
        tellen seien unbesetzt, der Mangel in den sogenannten
        INT-Berufen – also Mathematik, Informatik, Natur-
        issenschaft, Technik – sei besonders dramatisch. Ar-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12145
        (A) )
        )(B)
        beitsmarktexperten bezweifeln diese Zahl – käme sie
        doch zustande, weil durch gute Entwicklung möglicher-
        weise entstehende Stellen hier mit eingerechnet worden
        seien.
        Fest steht: Branchen- und regionsbezogene Stellenbe-
        setzungsprobleme sind vorhanden. Gleichzeitig wird der
        Arbeitsmarkt enger, die Zahl der offenen Stellen größer
        und die Zahl der Arbeitsuchenden kleiner. Denn der
        deutsche Arbeitsmarkt hat sich trotz Finanzmarkt- und
        Wirtschaftskrise gut entwickelt. Nicht zuletzt dank um-
        fassender Hilfen durch Kurzarbeit konnten viele Unter-
        nehmen ihr Fachpersonal über eine schwierige Phase
        hinweg halten. Das war gelungene Beschäftigungssiche-
        rung, auf der sich die Politik nicht ausruhen darf. Von ei-
        nem aktuellen generellen Fachkräftemangel in Deutsch-
        land zu sprechen, wäre jedoch falsch. Das zeigt sich
        ganz besonders in der alarmierenden Nachricht, die
        Leiharbeitsbranche leide unter Fachkräftemangel. Aus
        sozialdemokratischer Sicht liegt hier die Lösung doch
        eher darin, dass Unternehmen, die Fachkräftebedarfe
        nicht decken können, überprüfen sollten, wieweit sie Be-
        schäftigte durch Festeinstellung und/oder bessere Bedin-
        gungen für ihr Unternehmen gewinnen können.
        Aber zurück zur Politik. Drei Herausforderungen
        muss gute Arbeitsmarktpolitik bewältigen. Erstens. Das
        Arbeitskraftpotenzial der knapp 3 Millionen Arbeit-
        suchenden muss entwickelt werden. Einen gespaltenen-
        Arbeitsmarkt, der Langzeitarbeitslosen und Geringquali-
        fizierten keine Chancen eröffnet und gleichzeitig einen
        wachsenden Arbeitskräftebedarf nicht decken kann, neh-
        men wir nicht hin.
        Zweitens. Wir machen uns seitens der SPD-Bundes-
        tagsfraktion große Sorgen angesichts der radikalen Kür-
        zungen im Etat des BMAS. Zwei Stichworte dazu: Das
        deutsche Bildungssystem entlässt Jahr für Jahr mehr als
        60 000 junge Männer und Frauen ohne Abschluss. Zu
        viele junge Menschen bleiben ohne Ausbildung und
        damit ohne Perspektive. Deshalb muss eine bildungspo-
        litische Initiative starten. Wie kommentiert Bundeswirt-
        schaftsminister Brüderle das? „Gut ausgebildete Arbeit-
        nehmer und Arbeitnehmerinnen sind der Grundstein für
        Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt für den Hightechstand-
        ort Deutschland in besonderem Maße.“ Recht hat er –
        aber da muss bildungs- und ausbildungsmäßig noch viel
        passieren. Und: Viele Menschen mit Migrationshinter-
        grund sind hochqualifiziert; ihre Abschlüsse aber wer-
        den nach wie vor nicht anerkannt. Hier ist die Bundesre-
        gierung endlich tätig. Ob zielführend, wird sich erst noch
        herausstellen müssen.
        Drittens. Demografisch bedingt sinkt das Erwerbstäti-
        genpotenzial in den kommenden Jahren dramatisch.
        Deshalb ist die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung ein
        wesentlicher Schlüssel zur Deckung des zukünftigen
        Fachkräftebedarfs. Hier geht es um die Vereinbarkeit
        von Familie und Beruf, was eine deutlich bessere Be-
        treuungsinfrastruktur voraussetzt. Die Frage der Versor-
        gung pflegebedürftiger Angehöriger ist zurzeit ebenfalls
        ungelöst. Ich nenne das Beispiel der „Schattenfrauen“:
        5,6 Millionen Frauen sind derzeit nicht erwerbstätig,
        90 Prozent von ihnen wären aber gern berufstätig. Wir
        werden sie brauchen – ebenso wie ältere Arbeitnehmer
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        nd Arbeitnehmerinnen, deren Erwerbsfähigkeit es zu er-
        alten gilt. Hier lautet das Stichwort: altersgerechte Arbeit.
        Unsere Arbeitsmärkte sind nicht mehr regional, auch
        icht national, sondern mindestens europäisch. Mit dem
        . Mai 2011 haben wir volle Arbeitnehmerfreizügigkeit
        der EU. Es wäre gut gewesen, mit einem gesetzlichen
        indestlohn dem zu erwartenden Lohndumping gerade
        ei Facharbeit entgegenzutreten. Aber Tatsache ist auch,
        ass sich Fachkräfte nun europaweit die besten Arbeits-
        edingungen aussuchen können. Deutsche Arbeits-
        arktpolitik muss dies im Blick haben.
        Muten wir uns noch eine unbequeme Wahrheit zu:
        hne kontinuierliche Weiterbildung bleiben auch Fach-
        räfte keine Fachkräfte. Zunehmend mehr Unternehmen
        rkennen das und investieren in Weiterbildung. Doch lei-
        er trifft auch zu, dass weniger investiert wird bei Leih-
        rbeitern und Leiharbeiterinnen und dass weniger bis gar
        icht investiert wird bei der großen Zahl atypisch Be-
        chäftigter.
        Es ist also erkennbar, dass lineare Lösungen nicht aus-
        ichen. Wir schlagen deshalb eine Allianz für Fachkräfte
        or. Wirtschaft, Gewerkschaften, Agentur für Arbeit,
        und, Länder und kommunale Spitzenverbände sollten
        emeinsam ein Konzept entwickeln, das Lösungsansätze
        ufeinander abstimmt. Dann können Fachkräfteoffensi-
        en erfolgreich, Unternehmen gut unterstützt und unsere
        achkräfte von morgen gut ausgebildet werden. Dazu
        erden wir konkrete Vorschläge unterbreiten.
        Viele der Probleme nehmen die Anträge von Grünen
        nd Linken auf. Das findet unsere Zustimmung. Gleich-
        ohl stimmen wir nicht in allen Punkten überein. So
        um Beispiel bei der Forderung der Linken nach einem
        egelsatz von 500 Euro und bei der Frage des Punkte-
        ystems für Einwanderung. Wir werden daher den An-
        ag der Linken ablehnen und uns beim Antrag der Grü-
        en enthalten.
        Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Im Gegen-
        atz zu einigen anderen Oppositionsanträgen, die wir
        eute schon debattiert haben, teile ich hier Ihre Auffas-
        ung, dass es einen konkreten Anlass für die Debatte
        ibt. Das Thema Fachkräftemangel können wir uns gar
        icht oft genug vornehmen, weil es ein ganz entschei-
        endes ist. Wenn wir ein offenes Land sein wollen, wenn
        ir weiterhin durch unseren Wohlstand beeindrucken
        ollen und wenn wir uns unseren Herausforderungen
        tellen wollen, dann müssen wir den Fachkräftemangel
        den Griff kriegen.
        Uns werden bis 2025 5 Millionen Erwerbstätige feh-
        n. Aktuell haben wir schon in den mathematisch-tech-
        ischen und naturwissenschaftlichen Berufen, im soge-
        annten MINT-Bereich, echten Mangel. Dies schadet
        nserer Volkswirtschaft und verursacht erhebliche Wert-
        chöpfungsverluste. An diesen demografisch bedingten
        ealitäten kommt niemand vorbei, der sich ernsthaft mit
        em Problem beschäftigt.
        Nicht demografisch bedingt ist hingegen die negative
        anderungsbilanz, die unser Land aufweist. Uns gelingt
        s nicht nur nicht gut genug, ausländische Fachkräfte
        12146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        nach Deutschland zu locken, sondern wir haben auch
        noch Schwierigkeiten damit, dass uns Fachkräfte verlas-
        sen. Schließlich lassen wir erhebliches Potenzial brach-
        liegen. Wir haben immer noch viele Menschen, die bis-
        her nicht gut oder gar nicht in den Arbeitsmarkt
        integriert sind, und zwar insbesondere unter den Migran-
        ten, die sich für ein Leben in Deutschland entschlossen
        haben.
        Zu Recht bringen wir daher jetzt ein zeitgemäßes An-
        erkennungsgesetz auf den Weg. Denn viele derjenigen,
        die aus dem Ausland zu uns gekommen sind, leiden da-
        runter, dass sie ihre vorhandenen Qualifikationen nicht
        vernünftig anerkannt bekommen. Alleine hier haben wir
        ein Potenzial von circa 285 000 Personen, die qualifi-
        ziert sind, deren Qualifikation ihnen und allen anderen
        aber nichts bringt, weil sie nicht angemessen anerkannt
        wird.
        Hier bügelt die schwarz-gelbe Koalition etwas aus,
        was bisher alle anderen Bundesregierungen versäumt ha-
        ben. Es wird einen Rechtsanspruch auf das Anerken-
        nungsverfahren geben, einheitliche Kriterien, ein ein-
        heitliches Verfahren, und zwar unabhängig von der
        jeweiligen Staatsangehörigkeit. Entscheidend wird al-
        leine die Berufsqualifikation sein. Außerdem werden wir
        es auch ermöglichen, bereits aus dem Ausland einen An-
        trag auf das Anerkennungsverfahren zu stellen. Damit
        gehen wir einen großen und wichtigen Schritt zur Be-
        kämpfung des Fachkräftemangels.
        Wir werden aber insgesamt drei Schritte gehen müs-
        sen, und das werden wir auch tun. Denn neben der Aner-
        kennung ausländischer Qualifikationen müssen wir un-
        ser inländisches Arbeitskräftepotenzial besser ausreizen.
        Und das heißt nichts anderes, als dass wir den Men-
        schen, die es bisher schwer auf dem Arbeitsmarkt hatten,
        besser helfen müssen. Der zweite Schritt muss also sein,
        die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu reformieren.
        Hier sind wir auf einem guten Weg. Das Bundes-
        ministerium für Arbeit und Soziales hat einen guten Ge-
        setzentwurf vorgelegt. An der einen oder anderen Stelle
        müssen wir noch etwas drehen, aber die Richtung
        stimmt schon mal.
        Wir werden die Zahl der arbeitsmarktpolitischen In-
        strumente reduzieren und damit eine Forderung verwirk-
        lichen, die Experten schon seit langem an die Politik he-
        rangetragen haben. Es war auch niemandem mehr zu
        vermitteln, warum es zum Beispiel für ein und denselben
        Zweck mehr als fünf unterschiedliche Instrumente geben
        musste. Das hat weder den Arbeitsuchenden geholfen
        noch hat es die Arbeit der Vermittler leichter gemacht.
        Gerade hierum geht es aber auch: Wir brauchen nicht
        nur einen gut aufgeräumten Instrumentenkasten, sondern
        auch einen fitten Experten, der sich auskennt und die
        passende Maßnahme in Kooperation mit dem Arbeitsu-
        chenden aussucht. Nicht nur für Arbeitsuchende heißt es,
        auf Qualifikation zu achten, sondern eben auch bei unse-
        ren Vermittlern in der Bundesagentur für Arbeit.
        Schließlich muss es aber noch einen dritten Schritt
        geben. Damit meine ich, dass wir mehr gesteuerte Zu-
        wanderung brauchen, und zwar mit einem Punktesys-
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        m. Hier schneiden wir im internationalen Vergleich
        infach noch zu schlecht ab. Dem müssen wir mit – ich
        abe das schon einmal an anderer Stelle gesagt – drei Ws
        egegnen: Wir müssen den Wettbewerb aufnehmen, wir
        üssen Werbung für uns machen, und wir müssen eine
        illkommenskultur schaffen. Bisher wandern die klu-
        en Köpfe weltweit an Deutschland vorbei und zum Bei-
        piel nach Kanada oder Australien. Klar, die genannten
        änder haben einen Sprachvorteil; aber das ist es dann
        uch, das können wir nicht als Ausrede benutzen. Wir
        üssen begreifen, dass wir hier in einem internationalen
        ettbewerb stehen, in dem einem nichts geschenkt wird.
        ber ich bin fest davon überzeugt, dass wir attraktiv wir-
        en können, wenn wir es nur besser im Ausland erklä-
        n. Dazu muss die Bundesrepublik die Werbetrommel
        hren. Wir müssen uns nicht verstecken, bei uns gibt es
        ine Menge guter Jobs. Wenn es uns gelingt, diese Bot-
        chaft im Ausland rüberzubringen, dann werden wir
        uch wieder mehr Fachkräfte zu uns bringen können.
        Zuletzt geht es aber auch darum – und damit bin ich
        eim dritten W –, eine Willkommenskultur zu schaffen.
        den Betrieben, in den Behörden und auch einfach auf
        er Straße oder im Supermarkt müssen wir denjenigen,
        ie zu uns gekommen sind, die Hand reichen. Das wäre,
        laube ich, letztlich auch die beste Werbung, die man für
        ich machen kann.
        Wir haben den Fachkräftemangel erkannt und küm-
        ern uns darum. Manche Ihrer Vorschläge teile ich ja.
        sgesamt reicht es bei Ihnen aber nicht, und die Sache
        t bei uns in guten Händen. Deshalb lehnen wir Ihre An-
        äge ab.
        Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Es ist schon er-
        taunlich, welche Blüten die Diskussion um die Frage
        es Fachkräftemangels treibt. Kürzlich konnte man le-
        en, die Leiharbeitsbranche beklage einen Arbeitskräfte-
        angel. Das ist natürlich mehr als abstrus. Denn wie
        ieht die Realität aus? Nehmen wir einen Fall aus der
        egion Esslingen, also dem Bundesland Baden-
        ürttemberg, in dem die Industrie bekanntlich wieder
        oomt. Kürzlich schrieb hier die örtliche IG Metall Bun-
        esarbeitsministerin von der Leyen einen Brief. In einer
        rehmaschinenfabrik wurden über hundert Beschäftigte
        ekündigt, die Auszubildenden nicht übernommen. Die
        etroffenen erhielten von der Arbeitsagentur Stellenan-
        ebote, aber fast ausschließlich von den Leiharbeitsfir-
        en. Ein Kollege erhielt 17 Stellenangebote, 15 davon
        ei Leiharbeitsfirmen. Zu Recht schreibt die IG Metall
        aher in ihrem Brief: Die „Diskussion um Fachkräfte-
        angel bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn aus-
        ebildeten Mechatronikern eine Stelle bei einer Döner-
        ude oder einer Lidl-Filiale angeboten wird“. Ich bitte
        ie Bundesregierung, diese Realität zur Kenntnis zu neh-
        en, bevor sie die Klagen der Arbeitgeber über einen
        ngeblichen Fachkräftemangel nachbetet.
        Ohne Frage: Es gibt in einzelnen Branchen einen stei-
        enden Fachkräftebedarf. Das ist in Zeiten des Auf-
        chwungs nichts Ungewöhnliches. Aber deshalb von ei-
        em flächendeckenden Fachkräftemangel zu sprechen,
        t völlig haltlos. Das belegen auch seriöse wissenschaft-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12147
        (A) )
        )(B)
        liche Studien. Zu nennen ist hier die Gemeinschaftsstu-
        die des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
        und des Bundesinstituts für Berufsbildung, die in ihren
        Prognosen bis 2025 auch die demografische Entwick-
        lung berücksichtigen, das heißt die durch Alterungspro-
        zesse kleiner werdende Zahl von Erwerbstätigen. Dort
        findet sich kein Wort über einen flächendeckenden Fach-
        kräftemangel. Selbst für den technischen Bereich hat
        eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor-
        schung jüngst nachgewiesen: Auch dort gibt es keinen
        Fachkräftemangel, sonst hätten Arbeitgeber für diese
        Fachkräfte deutlich die Löhne erhöhen müssen. Aber das
        ist nicht geschehen.
        Was steckt also hinter den Klagen der Arbeitgeber
        über einen angeblichen Fachkräftemangel? In Wirklich-
        keit, so wird immer deutlicher, sind das Klagen über an-
        geblich zu teure, zu wenig flexible Arbeitskräfte. In mei-
        nen Bundesland Sachsen haben kürzlich die Industrie-
        und Handwerkskammern ihre Mitgliedsunternehmen
        zum Thema Fachkräfte befragt – unter anderem dazu,
        woran die Einstellung eines neuen Mitarbeiters scheitert.
        Die Antwort: Die Bewerber hätten zu wenig Berufser-
        fahrung und Spezialqualifikation, sie würden zum Teil
        überzogene Lohnforderungen stellen, seien manchmal
        zu alt und teilweise wegen familiärer Verpflichtungen zu
        wenig flexibel. Ja, ich weiß, viele Arbeitgeber haben
        ihre Vorstellung vom idealen Mitarbeiter. Er soll jung,
        ledig und flexibel sein, mehrjährige Berufserfahrung und
        Spezialqualifikation besitzen und zu einem niedrigen
        Lohn arbeiten wollen. Nur ist das natürlich etwas ande-
        res als Fachkräftemangel. Es ist die alte Leier: Der alte
        Ruf nach billigen, immer frei verfügbaren Arbeitskräften
        taucht nun im neuen Gewand auf. Mehr als deutlich wird
        das bei den Pflegeberufen. Erst vor einigen Tagen hat
        der Arbeitgeberverband Pflege über einen massiven
        Mangel an Pflegefachkräften geklagt. Hier ist es nun of-
        fensichtlich, dass niedrige Löhne und enorme Arbeitsbe-
        lastungen in dieser Branche dafür verantwortlich sind,
        dass viele nach wenigen Jahren aus diesem Job ausschei-
        den oder ihn erst gar nicht wählen.
        Wenn sich die Bundesregierung, in Teilen auch die
        Grünen, vor diesen Karren der Arbeitgeber spannen
        lässt, ist dies ein Armutszeugnis. Denn dabei gerät
        schnell das eigentliche Problem aus den Augen: der
        Mangel an ausreichenden und zudem guten Arbeitsplät-
        zen. Die Arbeitsmarktstatistik gibt uns recht. Die Zahl
        der prekären Arbeitsplätze – Leiharbeit, Minijobs und
        Befristungen – nimmt immer mehr zu; dieser Entwick-
        lung muss ein Riegel vorgeschoben werden. Noch im-
        mer wird Millionen Menschen ein gleichberechtigter Zu-
        gang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Hier liegt viel
        Potenzial brach, das wegen einer falschen Arbeitsmarkt-
        und Beschäftigungspolitik ungenutzt bleibt. Das betrifft
        insbesondere Ältere, Frauen, Menschen mit Behinde-
        rung und Migrantinnen und Migranten.
        In der Gruppe der über 55- bis 65-Jährigen zählt die
        Arbeitsmarktstatistik fast eine halbe Million Arbeitslose.
        Unter den circa 9 Millionen Menschen, die sich laut dem
        Statistischen Bundesamt in Deutschland Arbeit oder
        mehr Arbeit wünschen, sind überproportional viele
        Frauen. Bei ihnen ist der Wunsch nach Mehrarbeit stär-
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        er ausgeprägt als bei den Männern. Entgegen dem all-
        emeinen Trend steigt die Arbeitslosigkeit von schwer-
        ehinderten Menschen. Ein weiteres Problem ist die
        ohe Zahl von Langzeiterwerbslosen; ihre Zahl liegt bei
        twa 900 000. Ferner werden Hunderttausende Migran-
        nnen und Migranten in Deutschland vom Erwerbssys-
        m ausgegrenzt – etwa durch die Nichtanerkennung von
        Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüs-
        en.
        Was ist also notwendig? Statt einen Fachkräftemangel
        u beklagen, gilt es, die Hindernisse abzubauen, die
        eute Millionen Menschen einen freien Zugang zum Ar-
        eitsmarkt verwehren. Frauen ist eine gleichberechtigte
        eilhabe am Erwerbsleben zu ermöglichen, indem mehr
        guläre Arbeitsplätze statt ungesicherter Mini- und Teil-
        eitjobs geschaffen werden. Die Entgeltgleichheit muss
        urchgesetzt und die geschlechtsspezifische Arbeitstei-
        ng aufgebrochen werden. Für ältere Menschen sind die
        eschäftigungsbedingungen zu verbessern. Spezifische
        ualifizierungsprogramme sind auszubauen, denn Äl-
        re werden seltener qualifiziert und weitergebildet. Der
        ündigungsschutz ist insbesondere für diese Gruppe zu
        erbessern. Gleiches gilt für den Arbeits- und Gesund-
        eitsschutz, um es Älteren zu ermöglichen, länger ohne
        esondere Belastungen am Erwerbsleben teilzuhaben.
        m Langzeiterwerbslosen mit einer aktiven Beschäfti-
        ungspolitik Chancen zu erschließen, ist das sogenannte
        parpaket zurückzunehmen.
        Verglichen mit dem Vorjahr werden derzeit nur noch
        alb so viele Weiterbildungsmaßnahmen genehmigt. Das
        t nicht hinnehmbar. Arbeitsmarktpolitik muss nachhal-
        g finanziert werden. Für Menschen mit Behinderungen
        t wichtig, dass in den Unternehmen endlich die gesetz-
        ch festgeschriebene Beschäftigungsquote erfüllt wird.
        arrierefreie Arbeitsstätten sind stärker zu fördern. Mig-
        ntinnen und Migranten müssen einen gleichberechtig-
        n Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen, unabhängig
        on der „ökonomischen Nützlichkeit“. Notwendig ist
        afür, dass die im Ausland erworbenen Qualifikationen
        ichter anerkannt werden können. Es muss einen
        echtsanspruch auf die Anerkennung von Berufs- und
        chulabschlüssen geben. Der von der Bundesregierung
        orgelegte Gesetzentwurf sieht jedoch keinen Rechtsan-
        pruch auf Anerkennung vor. Zudem sollten Migrantin-
        en und Migranten vor und während des Anerkennungs-
        erfahrens begleitet und beraten werden. Sie bleiben im
        egen stehen, wenn sie einen Beruf erlernt haben, der
        icht bundeseinheitlich geregelt ist. Dann müssen sie
        ich mit 120 Landesgesetzen auseinandersetzen.
        Die Bundesregierung tut nichts, um die drängenden
        ragen des Arbeitsmarktes anzugehen. Schlimmer: Sie
        orgt mit ihrem Sparkurs in der Arbeitsmarktpolitik da-
        r, dass Menschen Chancen für eine gute Beschäftigung
        erbaut werden. Das können und werden wir nicht hin-
        ehmen.
        Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        nfang April hat Bundesarbeitsministerin von der Leyen
        en Arbeitsmarktfachleuten der Koalitionsfraktionen die
        ichtigsten Handlungsschwerpunkte ihres Ministeriums
        12148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        für das laufende Jahr vorgestellt. An erster Stelle steht
        dabei das Thema Fachkräftesicherung. Und das über-
        rascht doch sehr, denn es ist weit und breit nichts davon
        zu merken, dass der wachsende Fachkräftebedarf bei den
        Aktivitäten der Bundesregierung irgendeine Rolle spielt.
        Im Gegenteil, still ruht der See.
        Sie verlassen sich darauf, dass die anziehende Kon-
        junktur die Sache schon regelt, und streichen rigoros bei
        der Arbeitsförderung. Und damit begehen Sie einen ka-
        pitalen Fehler, der sich schwer rächen wird.
        Alle Experten schreiben es Ihnen ins Stammbuch:
        Jetzt ist die Zeit, um in Qualifizierung zu investieren, da-
        mit auch Langzeitarbeitslose von der wirtschaftlichen
        Erholung profitieren. Nur so kann die positive Entwick-
        lung am Arbeitsmarkt anhalten. Bleiben Sie aber bei Ih-
        rem Spardiktat, dann provozieren Sie die Gefahr eines
        Fachkräftemangels bei gleichzeitig hoher Arbeitslosig-
        keit. Das darf auf keinen Fall geschehen.
        Darum appelliere ich an die Bundesregierung und die
        Regierungsfraktionen: Nehmen Sie die Kürzungen bei
        der Arbeitsförderung zurück! Dasselbe gilt für Ihre
        Pläne für die Bundesagentur. Auch wenn Sie es stur
        leugnen: Sie treiben die Bundesagentur in die Schulden-
        falle. Auch das wird auf die aktive Arbeitsmarktpolitik
        zurückschlagen und die Chancen derer verringern, die
        wir eigentlich stärken müssten: Geringqualifizierte, Mi-
        grantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderun-
        gen, Ältere und Frauen. Ihre Potenziale werden im Mo-
        ment nicht genutzt. Wir werden sie aber brauchen, wenn
        der Bedarf an Fachkräften demografisch bedingt weiter
        und weiter steigen wird.
        Wenn Sie meine Argumente schon nicht überzeugen,
        dann vielleicht Zahlen: Schon heute entgehen dem Mit-
        telstand durch den Fachkräftemangel Umsätze von
        30 Milliarden Euro im Jahr, Tendenz steigend. Die
        Alarmglocken müssten bei dieser Regierung aber auch
        läuten, wenn sie präsentiert bekommt, dass in Deutsch-
        land im vergangenen Jahr 320 000 junge Menschen in
        unsinnigen Warteschleifen gelandet sind statt in einer
        betrieblichen Berufsausbildung. Diese jungen Leute
        werden uns später als Fachkräfte fehlen. Das ist fahrläs-
        sig, teuer und erfordert ein Umsteuern, damit kein Kind
        mehr die Schule ohne Abschluss verlässt und wirklich
        alle in eine Ausbildung münden. Doch auch hier ist
        keine Anstrengung bei der Bundesregierung zu erken-
        nen.
        Nur im Schneckentempo geht es auch bei der besseren
        Anerkennung von Abschlüssen voran, die im Ausland er-
        worben wurden. Nach Jahren der Ankündigung liegt nun
        endlich ein Gesetzentwurf vor. Aber das Ziel des Geset-
        zes, die Chancen von Menschen mit ausländischen Qua-
        lifikationen auf Integration in den deutschen Arbeits-
        markt zu verbessern, ist nicht ausreichend unterlegt. Es
        fällt damit hinter die Eckpunkte der Bundesregierung von
        2009 zurück. Ob auf dieser Grundlage materielle Verbes-
        serungen für die erreicht werden, die bisher am deutschen
        Bewilligungsdschungel gescheitert sind, muss bezweifelt
        werden. Zu befürchten ist, dass sich auch weiterhin Ärz-
        tinnen als Putzfrauen oder Ingenieure als Pizzafahrer
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        urchschlagen müssen, weil ihre im Ausland erworbenen
        bschlüsse hier nicht anerkannt werden.
        Aber selbst wenn es gelänge, bei der Ausbildung, der
        ualifizierung und bei der Anerkennung von Berufsab-
        chlüssen deutliche Fortschritte zu erzielen – selbst dann
        ürde das nicht genügen, um den wachsenden Fachkräf-
        bedarf zu decken.
        Hierzu – und das haben uns die Expertinnen und Ex-
        erten der zum Thema durchgeführten Anhörung bestä-
        gt – können wir auf Zuwanderung nicht verzichten.
        ber auch bei dieser Frage ist die Bundesregierung in ei-
        en Totstellreflex verfallen. Sie hat das Thema „Schaf-
        ng eines transparenten Zuwanderungssystems“ im
        oalitionsausschuss versenkt und macht gar keine An-
        talten, es wieder auf die Tagesordnung zu hieven. Das
        t hasenfüßig.
        Die Bevölkerung hingegen ist – mal wieder – viel
        eiter als die Koalition. 60 Prozent der Bürgerinnen und
        ürger befürworten die stärkere Zuwanderung von
        achkräften; das hat eine repräsentative Umfrage des
        achverständigenrates deutscher Stiftungen für Migra-
        on und Integration gezeigt.
        Wir Grünen haben Ihnen einen Antrag mit einer um-
        ssenden Strategie zur Bewältigung des wachsenden
        achkräftebedarfs vorgelegt. Es reicht nicht – und auch
        as bestätigten die Fachleute –, punktuell anzusetzen.
        inheimische und Einwanderer dürfen nicht gegeneinan-
        er ausgespielt werden, wir brauchen sie alle. Bildung
        nd Chancen für Kinder und junge Erwachsene, Weiter-
        ildung für Zukunftsberufe, Erhöhung der Erwerbsbetei-
        gung, Anerkennung ausländischer Qualifikationen und
        in transparentes Zuwanderungssystem – das sind die
        nf Handlungsstränge, die erst zusammen eine gute und
        rfolg versprechende Strategie ergeben. Nehmen Sie sie
        emeinsam mit uns in Angriff und stimmen Sie unserem
        ntrag zu.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes
        (Tagesordnungspunkt 18)
        Dieter Jasper (CDU/CSU): Mit dem heutigen Ge-
        etzentwurf erfüllt die christlich-liberale Koalition eine
        ormative Voraussetzung, damit aus europäischer Sicht
        Deutschland ein subventionierter Steinkohlenbergbau
        is ins Jahr 2018 ermöglicht wird und sichergestellt wer-
        en kann. Inhaltlich bedeutet dieser Gesetzentwurf, dass
        ie sogenannte Revisionsklausel ersatzlos gestrichen
        ird.
        Zum Hintergrund: Im Jahr 2007 wurde eine kohle-
        olitische Verständigung getroffen, in der die Bundesre-
        ierung, das Land NRW, das Saarland, die RAG und die
        BCE den sozialverträglichen und geordneten Aus-
        tieg aus dem subventionierten Steinkohlenbergbau bis
        um Jahr 2018 regelten. Diese Vereinbarung beinhaltete
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12149
        (A) )
        )(B)
        auch die sogenannte Revisionsklausel, die festlegte, dass
        dieser Beschluss im Jahr 2012 noch einmal überprüft
        werden sollte. Völlig überraschend forderte die Europäi-
        sche Kommission im letzten Jahr einen früheren Aus-
        stieg aus der Kohleförderung bis zum Jahr 2014. Dies
        hätte für Deutschland und gerade auch für meine Hei-
        matregion dramatische wirtschaftliche und soziale Kon-
        sequenzen gehabt.
        In Ibbenbüren im Tecklenburger Land liegt eine der
        letzten Steinkohlezechen in Deutschland. Hier wird
        schon seit langer Zeit hochwertige Anthrazitkohle geför-
        dert. Diese wird zu einem großen Teil im direkt anlie-
        genden hocheffizienten Kohlekraftwerk verfeuert und
        zum anderen Teil für den regionalen Wärmemarkt ver-
        wendet. Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des
        Bergbaus für die Stadt Ibbenbüren und die umliegenden
        Bergbaugemeinden Mettingen, Recke, Hopsten, Hörstel
        und Westerkappeln ist enorm. In der Bevölkerung und
        über alle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg
        herrscht eine hohe Akzeptanz. Im Bergbau sind derzeit
        direkt über 2 300 Menschen beschäftigt, im Bereich der
        Zulieferbetriebe sind im Laufe der Zeit mehrere tausend
        Arbeitsplätze entstanden. Auch im Bereich der Ausbil-
        dung leistet die Zeche ganz hervorragende und unver-
        zichtbare Arbeit.
        Als der Vorschlag der EU-Kommission bekannt
        wurde, führte dies natürlich zu großer Unruhe und Irrita-
        tion in unserer Region. Ein Ausstieg aus dem Steinkoh-
        lenbergbau bereits im Jahr 2014 hätte dazu geführt, dass
        es zu betriebsbedingten Kündigungen gekommen wäre
        und auch sonst massive wirtschaftliche und soziale Pro-
        bleme entstanden wären. In dieser Situation habe ich
        mich unmittelbar an unsere Bundeskanzlerin gewendet
        und um Hilfe und Unterstützung gebeten. Unter Einsatz
        aller Kräfte und durch tatkräftige Unterstützung des Par-
        lamentarischen Staatssekretärs Peter Hintze konnte er-
        reicht werden, dass der Beschluss der EU revidiert
        wurde. Die Unterstützung der heimischen Steinkohlen-
        förderung bis ins Jahr 2018 wurde unter bestimmten Be-
        dingungen auf europäischer Ebene akzeptiert. Eine die-
        ser Bedingungen für die notwendige europäische
        Regelung war, dass die Revisionsklausel aus dem natio-
        nalen Gesetz gestrichen und der Ausstieg somit unum-
        kehrbar gemacht wird. Dieser Forderung wird mit dem
        heutigen Gesetzentwurf Genüge getan. Aus europäischer
        Sicht darf es nach 2018 keinen subventionierten Stein-
        kohlenbergbau in Deutschland mehr geben, so dass es
        auch keiner weiteren Prüfung im Jahr 2012 bedarf. Hier
        handelt die christlich-liberale Regierungskoalition kon-
        sequent und richtig, da es an vorderster Stelle darum
        geht, die auf europäischer Ebene gefundene Einigung
        nicht zu gefährden, die nur unter größten Mühen gefun-
        den werden konnte.
        Für mich persönlich stellt sich die Situation aber et-
        was komplexer dar: Die Revisionsklausel ist juristisch
        überflüssig geworden und ihre Streichung dient dem
        Zweck der Bestandssicherung auch des Steinkohlen-
        bergbaus bei uns im Tecklenburger Land. Politisch ge-
        hört sie aber meines Erachtens auf die Tagesordnung der
        zukünftigen Energiepolitik, und deshalb kann ich einer
        Streichung nicht zustimmen. Ich möchte ein deutliches
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        ignal setzen, dass die Zukunftschancen der Steinkohle
        icht nur jetzt, sondern auch nach 2018 erkannt und ge-
        utzt werden müssen. Dazu müssen wir die weitere Ent-
        icklung im Fokus haben.
        Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die heimi-
        che Steinkohle weiterhin als nationale Energiereserve
        enötigen und somit den Zugang zu den Lagerstätten er-
        alten sollten. In einem zukunftsorientierten Energiemix
        rauchen wir neben den regenerativen Energien auch
        ochmoderne und effiziente Kohlekraftwerke, in denen
        ann auch die heimische Steinkohle verstromt werden
        ann. Gerade jetzt, wo alle möglichen Energieformen
        uf dem Prüfstand stehen und wir uns fragen müssen,
        ie eine sichere und bezahlbare Energieversorgung für
        nser Land zukünftig gestaltet werden kann, dürfen wir
        ns diese Möglichkeit eines heimischen Energieträgers
        icht verbauen.
        Grundsätzlich ist es richtig, die jetzt gefundene euro-
        äische Vereinbarung endgültig zu ratifizieren. Aber wir
        ürfen die weitere wirtschaftliche Entwicklung nicht aus
        en Augen verlieren und müssen uns bewusst sein, dass
        ir in unserem rohstoffarmen Land mit der Steinkohle
        inen der ganz wenigen grundlastfähigen Energieträger
        erfügbar haben. Diesen sollten wir nicht vorschnell auf-
        eben.
        Thomas Bareiß (CDU/CSU): Das Gesetz, über das
        ir heute abstimmen, zeigt deutlich, wie erfolgreich die
        undesregierung die Interessen der deutschen Steinkoh-
        nregionen, der Beschäftigten und damit auch unsere
        irtschaftspolitischen Interessen in Brüssel vertritt.
        rotz aller Kritik an der Streichung der Revisionsklausel
        egrüße ich ausdrücklich, dass die Bundesregierung in
        rüssel durchgesetzt hat, dass wie geplant bis 2018
        teinkohle subventioniert werden kann. Auch wenn der
        reis dafür die Aufgabe der Revisionsklausel ist, ist die-
        er Preis geringer als ein vorzeitiger Ausstieg aus der
        ohlensubvention im Jahre 2014, der auf Kosten der
        ielen Tausenden Kohlenarbeiter und deren Familie ge-
        angen wäre.
        Vorneweg möchte ich klarstellen: Im Steinkohlefinan-
        ierungsgesetz von 2007 hat sich die Große Koalition
        arauf geeinigt, die subventionierte Förderung der Stein-
        ohle in Deutschland bis 2018 zu beenden. Dieser Aus-
        tiegsplan ist sozial ausgereift und zeigt die Verlässlich-
        eit unserer Regierungsarbeit. Bereits im Jahr 2007, als
        as Steinkohlefinanzierungsgesetz von der Großen Ko-
        lition auf den Weg gebracht wurde, war allerdings allen
        eteiligten klar, dass für den Zeitraum 2011 bis 2018
        eine beihilferechtliche Genehmigung der EU vorlag.
        it einer Entscheidung der EU zum Ende des Jahres
        010 musste daher gerechnet werden. Diese sah nun in
        orm des aktuellen EU-Kommissionsvorschlags ein
        uslaufen der deutschen Subventionierung von Stein-
        ohle bereits im Jahr 2014 vor.
        Die Bundesregierung setzte sich daraufhin massiv in
        rüssel für eine Befristung der Subventionierung von
        teinkohle bis 2018 ein. Trotz aller Widerstände in Brüs-
        el konnte dies durchgesetzt werden. An dieser Stelle
        öchte ich nochmal ausdrücklich Bundeskanzlerin
        12150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        Angela Merkel und Wirtschaftminister Rainer Brüderle
        für ihren starken Einsatz auf europäischer Ebene danken.
        Ein vorzeitiger Ausstieg hätte frühzeitige Stilllegungen
        und betriebsbedingte Kündigungen von mehreren Tau-
        send Bergleuten zur Folge. Hinzu kommen weitere Fak-
        toren, wie praktische und technische Probleme, die
        Bergwerke früher zu schließen.
        Uns war es wichtig, dass Entscheidungen erst getrof-
        fen werden, wenn die Kosten beider Szenarien klar sind.
        Die Bundesregierung konnte auf europäischer Ebene
        klarmachen, dass ein für 2014 vorgesehener Ausstieg
        aus den staatlichen Subventionen für den Steinkohlen-
        bergbau nicht wirklich günstiger sei als ein geordneter
        Ausstieg aus den Beihilfen im Jahre 2018. Der Preis da-
        für war lediglich das Streichen der Revisionsklausel aus
        dem Gesetz von 2007.
        Nicht zum ersten Mal beschäftigt uns das Thema
        Steinkohlenförderung im Plenum. Schließlich ist es auch
        ein sehr emotionales Thema. Dies hat verschiedene
        Gründe, die auch dazu geführt haben, dass wir uns so
        stark wie nur möglich für das Ende der Steinkohlensub-
        ventionen 2018 auf europäischer Ebene eingesetzt ha-
        ben. Die große Bedeutung von Kohle ist zum einen dem
        hohen Anteil am derzeitigen Energiemix und zum ande-
        ren der langjährigen Tradition in Deutschland und ihrer
        Bedeutung als langjährig wichtigster Wirtschaftsfaktor
        für das Ruhrgebiet geschuldet. Immerhin liegt Deutsch-
        land bei der Steinkohlenförderung hinter Polen auf
        Platz zwei in Europa. In unserem deutschen Energiemix
        hat die Steinkohle einen Anteil von rund 19 Prozent an
        der Bruttostromerzeugung in Deutschland. Gemeinsam
        mit der Braunkohle beträgt der Anteil über 40 Prozent.
        Insbesondere die Menschen in der Region haben eine
        besondere Verbundenheit damit. Das hat unter anderem
        historische Gründe. Das Ruhrgebiet ist eine der bedeu-
        tendsten deutschen und europäischen Industrieregionen.
        Diese Entwicklung wäre ohne den Steinkohlenabbau nie
        möglich gewesen. Die heimische Steinkohle hat über
        Jahrzehnte entscheidend zum Aufbau unseres Landes
        und der Steigerung unseres Wohlstandes beigetragen.
        Das Gesetz von 2007 war somit eine Zäsur. Mit dem Ge-
        setz wurde eine wichtige ordnungspolitische Grundsatz-
        entscheidung getroffen und der größte Subventionsab-
        bau seit Bestehen der Bundesrepublik beschlossen.
        Deutschland ist damit das einzige Land, das ein schlüssi-
        ges, sozialverträgliches und wirtschaftliches Gesamt-
        konzept zur Beendigung der heimischen Steinkohlenför-
        derung hat.
        Der deutsche Steinkohlenbergbau ist seit vielen Jah-
        ren aufgrund seiner ungünstigen geologischen Bedin-
        gungen international nicht mehr wettbewerbsfähig. Mil-
        liardenschwere Subventionen – fast 2 Milliarden Euro
        pro Jahr in den letzten Jahren – waren bisher notwendig,
        damit der deutsche Steinkohlenbergbau wettbewerbsfä-
        hig bleibt. Bei der Versorgung der deutschen Wirtschaft
        aber überwiegen die Importe. Steinkohle kann jederzeit
        aus sicheren Lieferländern bezogen werden. Dies wurde
        auch im Steinkohlefinanzierungsgesetz von 2007 aufge-
        griffen. Das soll nicht heißen, dass die Förderung von
        Steinkohle in Deutschland nicht mehr politisch gewollt
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        t, sondern dass die Förderung unter der Prämisse der
        irtschaftlichkeit stehen muss – was übrigens für alle
        nergieträger gilt.
        Die Streichung der Revisionsklausel, die wir jetzt be-
        chließen wollen, ist eine europapolitische Notwendig-
        eit, um den Schutz der Arbeitnehmer in dieser Branche
        u gewährleisten. Schließlich ist eine der wichtigsten
        omponenten der Wirtschaftspolitik, stabile Rahmenbe-
        ingungen zu schaffen, auf die sich Unternehmen, Mit-
        rbeiter und Bürger verlassen können. Es wurde seiner-
        eit eine gute Regelung getroffen, auf die sich die
        egion und die Menschen dort verlassen. Vertrauens-
        chutz und Planungssicherheit konnten in den harten
        erhandlungen mit Brüssel sichergestellt werden. Im
        inne einer verlässlichen Wirtschaftspolitik wurde an ei-
        er Förderung bis 2018 festgehalten, was ich persönlich
        r richtig halte.
        Wegen der genannten Gründe halte ich es für sinnvoll
        nd lobenswert, dass die Bundesregierung den im Jahr
        007 beschlossenen Ausstieg aus der Steinkohlenförde-
        ng bis 2018 in Brüssel durchgesetzt hat. Auch wenn
        er politische Preis dafür die Streichung der Revisions-
        lausel ist, haben wir unterm Strich einen wichtigen Er-
        lg für unsere heimische Kohlenwirtschaft errungen.
        enn angesichts der Größe der Branche braucht es die
        on uns gezeigte Verlässlichkeit, wenn man den betrof-
        nen Menschen eine vernünftige Perspektive bieten
        ill, die nicht zulasten einer traditionsreichen Branche
        nd ihrer Arbeiter geht. Deshalb plädiere ich für die Zu-
        timmung zum Gesetz über die Änderung des Stein-
        ohlefinanzierungsgesetzes.
        Rolf Hempelmann (SPD): Das Steinkohlefinanzie-
        ngsgesetz, das mit dem vorliegenden Gesetz geändert
        erden soll, geht auf den Steinkohlenkompromiss aus
        em Jahre 2007 zurück, der sorgsam austariert eine so-
        ialverträgliche und geordnete Beendigung des subven-
        onierten Steinkohlenbergbaus in Deutschland bis 2018
        gelte. Damals war bekannt, dass die Steinkohlensub-
        entionen unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen
        enehmigung durch die EU stehen, die nach 2010 einer
        nschlussregelung bedurfte. Offenbar ging die Bundes-
        gierung davon aus, dass die deutsche Regelung für den
        trukturwandel die Unterstützung der EU bekommen und
        ine entsprechende Genehmigung quasi automatisch er-
        ilt werden würde.
        Nun haben wir im vergangenen Jahr erlebt, wie diese
        rwartungen enttäuscht wurden. Nach dem Vorschlag der
        uropäischen Kommission sollte der subventionierte
        teinkohlenbergbau 2014 beendet werden. Das wäre ein
        arter Schlag für die betroffenen Regionen gewesen. Alle
        rämissen für einen geordneten Strukturwandel wären
        ber den Haufen geworfen worden. Beim Kommissions-
        orschlag blieb außen vor, dass Tausenden Bergleuten be-
        iebsbedingt gekündigt worden wäre. Außerdem wäre es
        u massiven Arbeitsplatzverlusten in vom Bergbau ab-
        ängigen Bereichen gekommen. Auch der Finanzie-
        ngsfahrplan der RAG-Stiftung für die Ewigkeitslasten
        äre gefährdet gewesen. Schließlich spielte offensicht-
        ch die in einer Studie festgestellte Klimaneutralität der
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12151
        (A) )
        )(B)
        Steinkohlenförderung keine Rolle. Mit Beendigung der
        Steinkohlenförderung in Deutschland wird nicht automa-
        tisch die fossile Stromerzeugung reduziert. Vielmehr
        wird die deutsche Steinkohle dann durch Importkohle aus
        Drittländern ersetzt werden.
        Nach massiven Protesten unter anderem des Europäi-
        schen Parlaments ist mit dem Ratsbeschluss vom 10. De-
        zember 2010 die weitere Subventionierung des Steinkoh-
        lenbergbaus bis 2018 genehmigt worden. Festzuhalten ist
        jedoch: Im gesamten Verfahren auf europäischer Ebene
        hat die Bundesregierung widersprüchliche Signale nach
        Brüssel gesandt. Die Bundeskanzlerin war mehr als ein
        Jahr untätig. Wirtschaftsminister Brüderle hatte offenbar
        sogar mit einer verkürzten Perspektive für die deutsche
        Kohle geliebäugelt und war anscheinend auch bereit, die
        damit verbundenen betriebsbedingten Kündigungen billi-
        gend in Kauf zu nehmen. Wie anders ist es zu interpretie-
        ren, dass er lediglich einen Prüfvorbehalt einlegte, wäh-
        rend die Wirtschaftsminister der ebenfalls betroffenen
        Bergbauländer Spanien und Rumänien gegen die Verkür-
        zungspläne der Kommission Widerspruch einlegten?
        Jetzt kann der Steinkohlenbergbau bis 2018 weiter
        subventioniert werden, jedoch ist dafür die Revisions-
        klausel geopfert worden, die Klausel, nach der die Bun-
        desregierung dem Deutschen Bundestag bis Mitte 2012
        einen Bericht vorlegen sollte. Auf Grundlage dieses Be-
        richts sollte dann der Deutsche Bundestag entscheiden,
        ob weiterhin eine Förderung der Steinkohle erfolgen
        soll. Dabei sollten drei Gesichtspunkte eine Rolle spie-
        len: Wirtschaftlichkeit, Sicherung der Energieversor-
        gung und andere energiepolitische Ziele. Jetzt – und
        nicht 2012 – und ohne Bericht der Bundesregierung ent-
        scheiden wir. Dabei erörtern wir nicht die sich fortlau-
        fend verändernde Situation auf dem Weltenergiemarkt
        und die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir
        nehmen uns die Möglichkeit einer umfassenden Bewer-
        tung des Steinkohlenweltmarktes. Vor dem Hintergrund
        der aktuellen Preisentwicklung auf dem Weltmarkt und
        der Verknappung, der Verteuerung und dem aufkom-
        menden Protektionismus einzelner Länder bei immer
        mehr energetischen und nichtenergetischen Rohstoffen
        ist das leichtsinnig.
        Wie die parlamentarische Anhörung ergeben hat,
        kann insbesondere für die in Deutschland abgebaute
        Kokskohle nach 2018 eine Perspektive für einen subven-
        tionsfreien Abbau nicht von vornherein ausgeschlossen
        werden. Der Marktpreis für Kokskohle bewegt sich nicht
        erst seit der Hochwasserkatastrophe in Queensland auf
        hohem Niveau. In diesem Marktsegment ist es vorstell-
        bar, dass die Wettbewerbsfähigkeit erreicht wird und
        Kokskohle dauerhaft konkurrenzfähig angeboten werden
        könnte.
        Es geht in dieser Diskussion aber auch um hochquali-
        fizierte Arbeitsplätze im Maschinen- und Anlagenbau.
        Der Bergbau ist ein Erprobungsfeld für weltweit ge-
        fragte Technologien. Der deutsche Maschinen- und An-
        lagenbau hat hier eine Spitzenstellung in der Welt. Um
        diese Spitzenstellung zu erhalten und langfristig diese
        Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, muss jetzt über
        Perspektiven nachgedacht werden. Vor dem Hintergrund
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        er derzeitigen Energiedebatte müssen wir uns darüber
        Klaren sein, dass wir über kurz oder lang auf den fos-
        ilen Energieträger Kohle nicht verzichten können, um
        nter anderem Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
        inzu kommt dann die fortbestehende rohstoffliche Be-
        eutung insbesondere für die Stahlindustrie und weitere
        dustrielle Spezialbedarfe.
        Betrachtet man dies alles, ist es besonders leichtsin-
        ig, dass nach der derzeitigen Rechtslage Steinkohlen-
        ergwerke, die Stilllegungsbeihilfen nach Art. 3 des
        atsbeschlusses seit Beginn 2011 erhalten, diese Beihil-
        n komplett zurückzahlen müssen, wenn sie nach 2018
        ubventionsfrei betrieben werden. Diese Rückzahlungs-
        erpflichtung behindert jegliche Option auf subven-
        onsfreie Weiterführung von Bergwerken. Der europäi-
        chen Ebene ging es bei ihrer Entscheidung um ein kla-
        s Enddatum für den subventionierten Steinkohlenberg-
        au, ein subventionsfreier Bergbau sollte dabei aber nie
        usgeschlossen werden. Hier hätte die Bundesregierung
        Europäischen Rat besser aufpassen müssen. Jetzt
        eht es darum, den von Brüderle & Co. angerichteten
        chaden nachträglich zu reparieren. Dazu haben wir im
        usschuss für Wirtschaft und Technologie mit unserem
        ntschließungsantrag einen Vorschlag gemacht.
        Die Bundesregierung muss mit der Europäischen
        ommission und mit dem Europäischen Rat Gespräche
        hren, um Wege zu finden, einen subventionsfreien
        teinkohlenbergbau nach 2018 zu ermöglichen. Außer-
        em muss geprüft werden, wie das Regime der Steinkoh-
        nsubventionierung bis 2018 ausgestaltet werden kann,
        m eine subventionsfreie Weiterführung von Steinkoh-
        nbergwerken nicht nur nicht zu behindern, sondern zu
        nterstützen. Das muss zeitnah erfolgen, denn andernfalls
        önnte der Zugang zu den Lagerstätten nicht offen gehal-
        n werden.
        Klaus Breil (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetz-
        ntwurf endet ein Jahrzehnte andauerndes Kapitel deut-
        cher Industriegeschichte: Im Jahr 2018 wird der sub-
        entionierte Steinkohlenbergbau in Deutschland nun
        erbindlich und mit Zustimmung der EU auslaufen.
        Bis zu diesem Zeitpunkt werden die deutschen Steu-
        rzahler jedoch über 140 Milliarden Euro Subventionen
        r die Steinkohlenförderung aufgebracht haben. Seit
        ehr als 20 Jahren hat sich die FDP im Deutschen Bun-
        estag deshalb für einen geordneten und sozialverträg-
        chen Ausstieg aus dieser Subventionspolitik eingesetzt.
        ie Weichen hierfür stellte der Ende 2007 in Verhand-
        ngen zwischen dem Bund, den betroffenen Ländern
        ordrhein-Westfalen und Saarland, der IG BCE sowie
        er RAG AG errungene Kompromiss im Steinkohle-
        nanzierungsgesetz.
        Da staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau
        nter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Euro-
        äische Kommission stehen, waren mit dem Ablauf der
        isherigen Regelungen zum 31. Dezember 2010 erneut
        espräche auf europäischer Ebene erforderlich. Vor al-
        m dem beharrlichen Einsatz der Bundesregierung – und
        as möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – für
        en 2007 gefundenen Konsens ist es zu verdanken, dass
        12152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
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        der erfolgreich begonnene Veränderungsprozess in den
        Bergbauregionen fortgeführt werden kann und dass ein
        verlässlicher Fahrplan den betroffenen Menschen auch
        weiterhin die dafür erforderliche Orientierung bietet.
        Nun mag mancher kritisieren, dass eine Annäherung
        der Positionen in den Verhandlungen mit der Europäi-
        schen Union nur unter Verzicht auf die bisher im Gesetz
        enthaltene Revisionsklausel möglich war. Hier stellt sich
        jedoch die grundsätzliche Frage, ob eine Förderung von
        Steinkohle in unseren Regionen jemals zu wettbewerbs-
        fähigen Bedingungen möglich wäre. Auch wenn zuletzt
        durch Verknappungen des Angebots – unter anderem
        durch die Flutkatastrophe in Australien – die Weltmarkt-
        preise für Kraftwerkskohle deutlich bis in den Bereich
        von 100 Euro je Tonne gestiegen sind, liegt dieses Preis-
        niveau noch weitaus niedriger als die Förderkosten für
        deutsche Steinkohle. Rund 90 Prozent der in Deutsch-
        land im vergangenen Jahr geförderten Steinkohlen-
        menge von circa 13 Millionen Tonnen entfielen auf
        Kraftwerkskohle. Daher ist deren Preisentwicklung für
        die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit maßgebend,
        nicht der isolierte Blick auf den zeitweilig stärkeren
        Preisanstieg bei Kokskohle. Sollte es zudem am Welt-
        markt zu einem dauerhaft hohen Preisniveau bei der
        Steinkohle kommen – was bei weiter zunehmender
        Nachfrage insbesondere aus Asien möglich ist –, wird
        dies einen deutlichen Anstieg der Fördermengen in an-
        deren Regionen der Erde nach sich ziehen. Die wach-
        sende Rentabilität der Förderung führt zwangsweise zu
        einer Anpassung auf der Angebotsseite. Deutschland
        könnte angesichts seines geringen Anteils von unter
        3 Prozent der globalen Vorkommen und angesichts der
        bestehenden erheblichen geologischen Nachteile mit
        dieser Entwicklung nicht Schritt halten.
        Hinzu kommt, dass auch die Kosten für den Rückbau
        und die Beseitigung unvermeidlich auftretender Schäden
        erwirtschaftet werden müssen. Auch insofern haben die
        deutschen Lagerstätten in dicht besiedeltem Gebiet er-
        hebliche Nachteile gegenüber dem internationalen Wett-
        bewerb. Weder in Bezug auf die Versorgungssicherheit
        noch auf die Entwicklung der Weltmarktpreise wird so-
        mit der Steinkohlenbergbau in unserem Land jemals ei-
        nen relevanten Einfluss nehmen können. Daher stellt für
        uns die Streichung der Revisionsklausel eine tragfähige
        Lösung dar.
        Auf einen weiteren Punkt möchte ich kurz eingehen.
        Nicht erst in jüngster Zeit ist der Ruf nach dem
        dauerhaften Erhalt eines Referenzbergbaus zu verneh-
        men. Begründet wird dieser häufig mit dadurch verbes-
        serten Absatzchancen der heimischen Maschinen- und
        Anlagenbauer. Hierauf kann es nur eine Antwort geben:
        Die beste Referenz ist der Beweis des leistungsfähigen
        und störungsfreien Betriebs deutscher Qualitätsprodukte
        in den weltweit bedeutendsten Fördergebieten. Nur diese
        Argumente erhöhen die Marktchancen für „Made in
        Germany“ nachhaltig.
        Zum Antrag der SPD möchte ich die Stellungnahme
        des Gesamtverbandes Steinkohle e. V. zur öffentlichen
        Anhörung am 11. April 2011 zitieren: „Die deutsche
        Steinkohle ist aus heutiger Sicht nicht in der Lage, kurz-
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        nd mittelfristig Kraftwerkskohle wettbewerbsfähig an-
        ubieten.“ Das beschreibt, wie auch das vorhin Gesagte,
        igentlich alles zu der Idee, subventionsfrei weiter Stein-
        ohle abbauen zu wollen.
        Was den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft, möchte
        h gleichwohl um Ihre Zustimmung werben. Nur wenn
        ir es gemeinsam schaffen, uns von einer Politik der
        ubventionsverteilung zu lösen, werden wir die finan-
        iellen Spielräume für die Beantwortung drängender Zu-
        unftsfragen gewinnen – sei es für die Konsolidierung
        er öffentlichen Haushalte oder für die Beschleunigung
        er Energiewende in unserem Landes. Wir haben durch
        ine verlässliche Positionierung gegenüber der EU er-
        icht, dass die Steinkohlensubventionen bis 2018 ge-
        rdnet abgebaut werden können. Ein ständiges Rum-
        chrauben an den Modalitäten wird niemandem helfen –
        chon gar nicht den betroffenen Mitarbeitern.
        Ulla Lötzer (DIE LINKE): Mit der heutigen Abstim-
        ung soll der Steinkohlenbergbau in Deutschland defi-
        itiv zu Grabe getragen werden. Wir stehen aufgrund der
        ehler der Bundesregierung jetzt vor dem Dilemma,
        ass wir diese Gesetzesänderung nicht ablehnen können,
        eil sonst die Förderung der heimischen Steinkohle
        chon 2014 beendet werden würde. Die große Koalition
        atte es versäumt, den „Kohlekompromiss“ von 2006
        uf der europäischen Ebene bestandsfest zu machen.
        rompt hatte die EU-Kommission die Beihilferegelung
        letzten Jahr gänzlich infrage gestellt. Nur den Protes-
        n der Bergleute und der Gewerkschaften ist es zu ver-
        anken, dass der Bergbau jetzt wenigstens bis 2018 wei-
        rlaufen kann. Doch die Genehmigung der Beihilfen
        urde mit dem Deal erkauft, dass die Revisionsklausel
        us dem deutschen Gesetz gestrichen werden soll.
        So weit, so schlecht. Doch sieht man genau hin, geht
        er Eingriff mit der heutigen Gesetzesänderung noch
        esentlich weiter. In der Anhörung des Wirtschaftsaus-
        chusses in dieser Woche wurde sehr deutlich, dass Ziel
        er EU-Kommission definitiv die endgültige Stilllegung
        ller Zechen in Deutschland und in anderen Mitglied-
        taaten ist. Selbst wenn eine Zeche im Jahre 2018 in der
        age wäre, ohne weitere Subventionen Steinkohle zu
        rdern, wird ihr der Garaus gemacht. Dann nämlich, so
        ie EU-Verordnung und die Änderung des Steinkohle-
        nanzierungsgesetzes, muss die Zeche alle Subventio-
        en, die sie ab 2011 erhalten haben wird, wieder zurück-
        ahlen. Das ist wirtschaftlich auf keinen Fall zu
        chaffen. Das heißt, die Zechen müssen dann so oder so
        chließen, ob sie 2018 rentabel sind oder nicht. Das ist
        konomischer und arbeitsmarktpolitischer Unsinn.
        Selbst wenn nach 2018 kein Bergwerk ohne staatliche
        nterstützung weiterlaufen könnte, halten wir es für das
        indeste, über Technologieförderung wenigstens eine
        rube für die Sicherung des technologischen Know-
        ows offen zu halten. Die Folgen der Zechenschließun-
        en betreffen nicht nur die Beschäftigten in den Berg-
        erken. An der Kohleförderung hängt ein moderner Ma-
        chinen- und Anlagenbau. Allein die Technologiesparte
        er Kohlewirtschaft beschäftigt mehr als 15 000 Men-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12153
        (A) )
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        schen in NRW. Nur mit dem Erhalt eines Referenzberg-
        werks können diese Arbeitsplätze in Deutschland erhal-
        ten werden. Mittelfristig kann die Kohle auch ein
        wichtiger Ersatzrohstoff für das zur Neige gehende
        Erdöl als Grundstoff der petrochemischen Industrie wer-
        den. Je nach der Entwicklung auf den Rohstoffmärkten
        werden wir eines Tages vielleicht noch heilfroh sein,
        wenn wir heute die heimischen technologischen Kompe-
        tenzen im Bergbau nicht völlig vernichten.
        Eine Beendigung der heimischen Steinkohlenförde-
        rung ist kein Beitrag zum Klimaschutz, solange nicht
        gänzlich aus der Kohleverstromung ausgestiegen wird.
        Sie verlagert nur die Umweltkosten und Arbeitsplätze
        ins Ausland. Verstehen Sie uns nicht falsch – wir teilen
        das Nein zum Bau neuer Kohlekraftwerke. Kohle- und
        Atomkraftwerke blockieren den dringend notwendigen
        Umstieg auf erneuerbare Energien. Aber mit der Be-
        endigung der heimischen Steinkohlenförderung wird
        kein Kohlekraftwerk abgeschaltet, sondern nur die hei-
        mische Kohle durch Importkohle ersetzt. Die Entschei-
        dung an diesem Punkt heißt deshalb nicht „Kohle? Ja
        oder Nein“, sondern „aktive Industriepolitik oder Wirt-
        schaftsliberalismus?“. Wir treten für eine aktive Indus-
        triepolitik und für den Erhalt von Industriearbeitsplätzen
        durch einen sozial-ökologischen Umbau ein, nicht aber
        für eine Verbesserung der CO2-Bilanz durch die Vernich-
        tung von qualifizierten Arbeitsplätzen in der Industrie.
        Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Nach den Beratungen in den Ausschüssen und der Anhö-
        rung zur Streichung der Revisionsklausel und der damit
        verbundenen Änderung des Steinkohlefinanzierungsge-
        setzes im Wirtschaftausschuss beraten wir heute über
        den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Streichen
        der Revisionsklausel im Steinkohlefinanzierungsgesetz
        in zweiter und dritter Lesung.
        Grund dafür ist, dass sich im Jahr 2007 die damalige
        Große Koalition im Bund, die Länder, die RAG und die
        IG BCE auf eine Beendigung des subventionierten
        Steinkohlenbergbaus bis zum Jahr 2018 geeinigt hatten –
        mit der Vorgabe, dies aufgrund einer Revisionsklausel
        im Jahr 2012 noch einmal zu überprüfen. Dabei wurde
        es jedoch von der damaligen Großen Koalition im Bund
        und der damaligen schwarz-gelben Landesregierung in
        Nordrhein-Westfalen versäumt, das deutsche Steinkohle-
        finanzierungsgesetz von 2007 auch europarechtlich ab-
        zusichern. Denn es gab vonseiten der EU-Kommission
        nur eine Zustimmung für ein Fortführen der Subventio-
        nen bis 2011. Rückblickend muss man sagen, dass dies
        eine arrogante Haltung der damaligen Bundes- und Lan-
        desregierungen war, die sich im Juli 2010 gerächt hat.
        Denn zu diesem Zeitpunkt machte die EU-Kommission
        einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates, die
        Steinkohlenbeihilfen bereits im Oktober 2014 einzustel-
        len.
        Nur durch erheblichen politischen Druck und wahr-
        scheinlich auch durch viele sachfremde Zugeständnisse
        in anderen Politikfeldern konnte Deutschland die Kom-
        mission und die anderen Mitgliedstaaten doch noch be-
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        egen, Steinkohlensubventionen bis 2018 statt bis 2014
        uzulassen. Deutschland musste aber zusichern, die Re-
        isionsklausel im deutschen Steinkohlefinanzierungsge-
        etz zu streichen, damit der subventionierte Bergbau bis
        018 definitiv beendet wird. Denn bisher heißt es in § 1
        bs. 2 des Steinkohlefinanzierungsgesetzes, dass die
        undesregierung dem Deutschen Bundestag bis spätes-
        ns 30. Juni 2012 einen Bericht zuleitet, auf dessen
        rundlage der Deutsche Bundestag unter Beachtung der
        esichtspunkte der Wirtschaftlichkeit, der Sicherung der
        nergieversorgung und der übrigen energiepolitischen
        iele prüft, ob der Steinkohlenbergbau weiter gefördert
        ird.
        Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf
        ieht eine Streichung genau dieses Absatzes vor. Dies ist
        in richtiges, vernünftiges und auch absolut notwendiges
        eichen an Europa. Denn die Revisionsklausel war von
        nfang an überflüssig und unsinnig. Sie hat verhindert,
        ass alle Beteiligten Planungssicherheit haben und sich
        ngfristig auf das unvermeidliche Ende des Steinkoh-
        nbergbaus einstellen konnten. Wir Grüne haben im
        tzten Jahr schon lange vor der Diskussion auf EU-
        bene hier im Bundestag entsprechende Anträge ge-
        tellt. Die Bundesregierung muss sich jedoch vorwerfen
        ssen, hier lange Zeit untätig gewesen zu sein. Schon
        iel früher hätte sie durch konkrete Gesetzesinitiativen
        lanungssicherheit für alle Beteiligten schaffen und zu-
        ätzliche, neue Bergschäden, Altlasten und Ewigkeits-
        osten vermeiden können.
        Doch die Bundesregierung brauchte anscheinend erst
        en Druck aus Brüssel, um durch den heute zur Abstim-
        ung vorliegenden Gesetzentwurf den europäischen
        artnern ernsthaft zu versichern, dass 2018 endlich
        chluss ist. Ansonsten hätten Sie bereits im vergangenen
        ahr unseren Anträgen „Steinkohlesubventionen jetzt
        berprüfen“ und „Subventionierten Steinkohlebergbau
        ozialverträglich beenden“ im Bundestag zugestimmt.
        Dass die Streichung der Revisionsklausel ein richtiges
        nd glaubhaftes Instrument für das Ende des nicht-wett-
        ewerbsfähigen Bergbaus in Deutschland ist, hat auch
        ie Anhörung an diesem Montag im Wirtschaftsaus-
        chuss des Deutschen Bundestages ergeben. Bis auf die
        teressenvertreter des Steinkohlenbergbaus waren sich
        lle Fachleute und Wissenschaftler einig: Eine Überprü-
        ng der Steinkohlensubventionen durch die sogenannte
        evisionsklausel im Jahr 2012 ist überflüssig und nicht
        it den EU-Vorgaben vereinbar. Es ist daher nur ver-
        ünftig, den Empfehlungen der Experten zu folgen und
        urch das Streichen der Revisionsklausel den anderen
        U-Staaten ernsthaft zu belegen, dass Deutschland 2018
        ndgültig seine Beihilfen für den Steinkohlenbergbau
        eenden wird.
        Die Forderung der SPD und der Linken nach einer
        ortführung der nichtwettbewerbsfähigen Steinkohlen-
        rderung in Deutschland scheint momentan jedoch in
        ine ähnliche energiepolitische Sackgasse zu laufen, wie
        as bei Union und FDP vor wenigen Monaten in der
        tomfrage der Fall war. Rot-Rot scheint auch insofern
        n alten Strukturen festhalten zu wollen, statt die Ener-
        12154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        giewende zu beschleunigen. Dies hat nicht zuletzt auch
        der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion im Wirt-
        schaftsausschuss gezeigt. Darin wird offen gefordert, mit
        der EU-Kommission und dem EU-Rat Gespräche zu
        führen, um den Steinkohlenabbau auch weiterhin in
        Deutschland zu ermöglichen. Angesichts der bereits jetzt
        gezahlten Milliardensummen und angesichts der entstan-
        denen Bergschäden und Ewigkeitskosten frage ich mich
        ernsthaft, ob dies gerade in der jetzigen energie-
        politischen Diskussion der richtige Weg ist. Wollen Sie,
        liebe Sozialdemokraten, nach der Debatte im letzten Jahr
        gegen die EU-Kommission und die große Mehrheit der
        anderen Mitgliedstaaten – wo wir doch fast schon bei ei-
        nem Aus 2014 gelandet wären –, das Fass noch mal auf-
        machen? Das können Sie nicht ernst meinen. Kommen
        Sie endlich im 21. Jahrhundert an! Der Steinkohlenberg-
        bau hat in Deutschland aus vielen Gründen keine Zu-
        kunft mehr.
        Statt viele Milliarden Euro in schwarzen Löchern zu
        versenken, brauchen wir das Geld viel dringender für
        den Strukturwandel in den betroffenen Regionen, um
        den Umbau der Energieversorgung weg von den fossilen
        Energieträgern hin zu den erneuerbaren Energien zu be-
        werkstelligen. Dabei steht die Sozialverträglichkeit der
        Beendigung des Steinkohlenbergbaus nicht infrage. Bis
        allerspätestens 2018 ist nun Zeit, alles sauber zu beenden
        und in der Zeit bis dahin, wo immer möglich, das Entste-
        hen neuer Ewigkeitslasten zu vermeiden.
        Ohne Zweifel, mit der heutigen Entscheidung geht
        eine lange Bergbautradition an Saar und Ruhr zu Ende,
        die ganze Generationen und das Gesicht der Regionen
        geprägt und eine ganz entscheidende Rolle bei der In-
        dustrialisierung und dem Wiederaufbau Deutschlands
        nach dem Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Dass vielen
        Menschen der Abschied von Steinkohlenbergau auch
        aus emotionalen Gründen schwer fällt, kann ich gut ver-
        stehen. Man muss aber auch sehen: Der Bergbau hat
        auch zu beträchtlichen Altlasten und Ewigkeitskosten
        geführt. Auf ewig werden unsere Nachkommen an diese
        Zeit erinnert werden, denn sie werden ewig – solange
        Menschen im Ruhrgebiert und am Niederrhein leben
        werden – pumpen müssen, um durch den Bergbau abge-
        senkte Flächen zu entwässern. Hinzu kommt die Unter-
        haltung von Deichen, die Sanierung Tausender alter
        Schächte und vieles mehr. Auch Gebäudeschäden, Infra-
        strukturschäden und Umweltschäden werden uns und die
        nachfolgenden Generationen dauerhaft begleiten. Ob
        und wie viel unsere Nachkommen dafür zahlen müssen,
        ist ungeklärt. Denn ob die Einnahmen der RAG-Stiftung
        aus dem Verkauf der Evonik für alle Ewigkeitskosten
        ausreichen, ist längst nicht sicher.
        Vor diesen Hintergründen und in Anbetracht der Si-
        tuation des Bundeshaushaltes unterstützen wir Grünen
        den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Streichung
        der Revisionsklausel im deutschen Steinkohlefinan-
        zierungsgesetz. Wir hätten uns einen Ausstieg aus den
        Subventionen auch einige Jahre eher vorstellen können,
        wollen heute jedoch konstruktiv dazu beitragen, dass
        nun durch eine breite Mehrheit das Ende der Steinkohlen-
        subventionen 2018 endgültig besiegelt ist.
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        nlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
        – Antrag: Deutschland im UN-Sicherheitsrat –
        Nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution
        1325 jetzt erstellen
        – Beschlussempfehlung und Bericht zu den
        Anträgen:
        – 10 Jahre UN-Resolution 1325 „Frauen,
        Frieden und Sicherheit“
        – Verpflichtung zur UN-Resolution 1325
        „Frauen, Frieden und Sicherheit“ einhal-
        ten – Auf Gewalt in internationalen Kon-
        flikten verzichten
        – 10 Jahre UN-Resolution 1325 – Frauen,
        Frieden, Sicherheit – Nationaler Aktions-
        plan für eine gezielte Umsetzung
        (Tagesordnungspunkt 20 a und b)
        Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Ich mache nun seit vie-
        n Jahren Entwicklungspolitik. Und in all den Jahren
        abe ich immer Gewalt gegen Frauen angeprangert. Ich
        abe immer die Bedeutung von Frauen in Konflikten
        nd die Prävention betont. Und ich habe immer darauf
        epocht, die gesellschaftliche Stellung von Frauen in
        en Entwicklungsländern zu verbessern. Das war und ist
        r mich nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern
        uch ein Herzensanliegen.
        Daher begrüße ich ausdrücklich die Sicherheitsratsre-
        olution 1325, die die überaus wichtige Rolle von
        rauen in Konflikten, deren Prävention und bei der ge-
        ellschaftlichen Aufarbeitung von Konflikten aner-
        ennt.
        Für mich als Entwicklungspolitikerin verbindet sich
        amit die Aufgabe, noch mehr die zentrale Rolle von
        rauen für Sicherheit und Entwicklung in unseren Part-
        erländern zu betonen. Sie müssen sowohl in ihren
        echten als auch in ihrer sozialen Stellung gestärkt wer-
        en; denn nur so bekommen sie in Konfliktländern die
        esellschaftliche Rolle, die ihnen zusteht. Daher begrüße
        h ausdrücklich die diversen Strategien des BMZ, sei es
        er entwicklungspolitische Gender-Aktionsplan, der den
        ahmen für unser entwicklungspolitisches Handeln vor-
        ibt, oder sei es das Grundlagenpapier „Stärkung der
        eilhabe von Frauen in der Entwicklungszusammenar-
        eit“, das Wege beschreibt, wie Frauen in ihrer Teilhabe
        estärkt werden können. Wenn uns das Empowerment
        on Frauen – also ihre Befähigung, ihr Leben selbstbe-
        timmt in die eigenen Hände zu nehmen – noch besser
        elingt als bisher, wäre dies ein großer Beitrag der Ent-
        icklungspolitik zur Erfüllung der Resolution 1325.
        Denn Frauen tragen bis heute in Konflikten, aber auch
        eim Wiederaufbau oftmals die Hauptlast, ohne dass sie
        ber entsprechenden politischen Einfluss verfügen. Da-
        er ist diese Resolution für mich ein Meilenstein, denn
        ie erkennt unmissverständlich an, dass Frauen ein Teil
        on Friedensprozessen sein müssen.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12155
        (A) )
        )(B)
        Frauen in den Konfliktgebieten der Welt können sich
        auf diese Resolution berufen. Jetzt ist es an den Natio-
        nalstaaten, diese Resolution mit Leben zu füllen, und wir
        alle wissen, dass es daran mitunter noch gewaltig hapert.
        Anlässlich der Verabschiedung der Sicherheitsratsre-
        solution 1325 vor zehn Jahren liegen heute einige An-
        träge auf dem Tisch. Im SPD-Antrag finden sich viele
        wichtige und richtige Feststellungen, die ich ausdrück-
        lich unterstütze. Auch die Fakten sind klar und eindeu-
        tig, soweit der Antrag mangelnde Fortschritte bei der
        Umsetzung – wohlgemerkt, weltweit – beklagt. In
        51 Ländern ist sexualisierte Gewalt gegen Frauen doku-
        mentiert. Hier gibt es nichts zu beschönigen oder zu rela-
        tivieren.
        Aber der Antrag fordert auch einen „nationalen Ak-
        tionsplan“ zur Umsetzung der Resolution. Nun haben
        wir uns in der Fraktion mit diesem Thema lange und in-
        tensiv beschäftigt und die Argumente gegeneinander ab-
        gewogen. Im Ergebnis haben wir uns nach heutigem
        Kenntnisstand gegen einen Aktionsplan ausgesprochen.
        Denn ein solcher nationaler Aktionsplan würde gegen-
        über dem bestehenden deutschen Engagement keinen
        entscheidenden Mehrwert erzeugen. Bis heute konnte
        mich niemand überzeugen, worin der politische Mehr-
        wert eines solchen Aktionsplans liegen könnte. Daher
        war diese Forderung auch nicht in unserem umfassenden
        Antrag vom 3. März 2010 „Internationaler Frauentag –
        Gleichstellung national und international durchsetzen“
        (Bundestagsdrucksache 17/901) enthalten. Ein Aktions-
        plan soll ja die Regierungen dazu anhalten, die Resolu-
        tion umzusetzen und das Engagement nachprüfbar zu
        machen, insbesondere für das Parlament. Ich kann mir
        vorstellen, dass solche Aktionspläne in vielen Ländern
        dringend notwendig wären, in denen es gravierende De-
        fizite hinsichtlich der Umsetzung der Resolution 1325
        gibt. Zumindest fallen mir mehr Länder ein als die bis-
        lang rund zwei Dutzend, die einen nationalen Aktions-
        plan verabschiedet haben.
        Doch Sie stimmen mir sicherlich zu, dass die Bundes-
        regierung die Ziele und Verpflichtungen aus der Resolu-
        tion 1325 sehr ernst nimmt:
        Deutschland gehört der „Freundesgruppe der Resolu-
        tion 1325“ an, Deutschland nimmt an den jährlichen of-
        fenen Debatten im Sicherheitsrat teil, und Deutschland
        setzt sich für die Berücksichtigung der in der Resolution
        enthaltenen Forderungen in allen VN-Gremien ein. Die
        nationale Umsetzung der Resolution erfolgt durch die
        verschiedenen beteiligten Ressorts. Dazu wurde eigens
        eine Ressortarbeitsgruppe 1325 eingerichtet. Und seit
        2004 berichtet die Bundesregierung dem Bundestag über
        die Umsetzung der Resolution 1325.
        Aber auch im europäischen Kontext engagiert sich die
        Bundesregierung: Die EU wendet die Resolution 1325 im
        Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidi-
        gungspolitik an, zum Beispiel in Form von Richtlinien
        für die Umsetzung der Resolution in europäischen Frie-
        denseinsätzen oder durch Ratsschlussfolgerungen zur
        Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten im Kri-
        senmanagement.
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        Daher kann ich beim besten Willen keinen Mehrwert
        urch einen eigenen nationalen Aktionsplan erkennen.
        u beiden Zielen eines solchen nationalen Aktionsplans
        der Umsetzung der Resolution und der Überprüfbar-
        eit der Ergebnisse – würde ein Aktionsplan keinen
        ehrwert erbringen. Somit wäre ein unter den Bundes-
        ssorts abgestimmter Aktionsplan allenfalls von symbo-
        schem Wert. Doch die Wirkung einer solchen Symbo-
        k ist sehr begrenzt. Ich bin der Meinung, dass die
        rheblichen Ressourcen, die ein solches Dokument in
        nseren Ministerien binden würde, besser genutzt wer-
        en können. Denn: Symbolik beendet nicht die Massen-
        ergewaltigungen im Kongo, im Tschad oder Sudan,
        ymbolik beendet nicht die Straflosigkeit nach
        chlimmsten Verbrechen wie Mehrfachvergewaltigun-
        en an Kindern, Frauen oder Greisen, wie sie in einigen
        onflikten in Form von sexualisierter Gewalt vorge-
        ommen sind, und Symbolik in Form eines deutschen,
        ationalen Aktionsplans wird Menschenrechtsverbre-
        her nicht davon abhalten, die Zerstörung von Frauen in
        inigen Konflikten als Kriegsziel anzusehen.
        Wir sollten daher unsere politische Arbeit nicht auf
        ine Debatte über einen in meinen Augen überflüssigen
        eutschen Aktionsplan konzentrieren. Vielmehr sollten
        ir versuchen, die Ursachen für solch schreckliche Kon-
        ikte und Verbrechen an Frauen zu beseitigen. Damit
        äre dem Geist der Resolution 1325 wesentlich besser
        eholfen. Darum lautet das Votum zu den Oppositions-
        nträgen Ablehnung.
        Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Die Heldin
        ysistrata des griechischen Dichters Aristophanes und
        re Initiative, durch die sexuelle Verweigerung der
        rauen die Männer zum Frieden zu zwingen, ist allge-
        ein bekannt. In Liberia hat es vor einigen Jahren Nach-
        hmerinnen – wenn auch mit anderen Mitteln – gefun-
        en:
        Während des schrecklichen Krieges – der bis 2003
        nd 250 000 Menschenleben forderte und in dem etwa
        rei Viertel aller Frauen und Mädchen vergewaltigt wur-
        en – entstand ein ganzes Netzwerk von Frauenorganisa-
        onen, das sich für die Schaffung von Frieden einsetzte.
        hristinnen und Musliminnen beteten und demonstrier-
        n zu Tausenden gemeinsam und sammelten sich vor
        em Präsidentenpalast in Monrovia. Sie haben in weißen
        -Shirts gegen die Kriegsgewalt angeschwiegen. Die li-
        erianischen Frauen haben sich außerdem mit Frauen
        us Sierra Leone und Guinea zusammengeschlossen und
        ie Verantwortlichen durch ihre Demonstrationen an den
        erhandlungstisch gebracht. Während der Verhandlun-
        en 2003 haben sie unter der Anführung von Leymah
        bowee das Haus umzingelt und den Männern gedroht,
        ie vor dem Abschluss eines Friedensabkommens nicht
        erauszulassen. Der Krieg fand ein Ende.
        Die Frauen haben sich ihr Mitspracherecht genom-
        en und sich religions- und grenzübergreifend zusam-
        engeschlossen, während die Männer sich abgeschlach-
        t und die Frauen der jeweiligen Gegner vergewaltigt
        aben. Bei den konkreten Friedensverhandlungen wur-
        en die Frauen dann übrigens wieder ausgeschlossen,
        12156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        aber: Frauenorganisationen haben anschließend bei der
        Entwaffnung und Demobilisierung der Rebellengruppen
        geholfen und sich für eine Frauenquote von 30 Prozent
        im Parlament eingesetzt. Für Letzteres erhielt Etweda
        Cooper einen 1325-Award. Seit 2005 hat Liberia eine
        weibliche Präsidentin, die erste in Afrika, welche nicht
        nur Vergewaltigung unter Strafe gestellt hat, sondern
        derzeit auch eine weibliche Polizeitruppe in Monrovia
        aufbaut.
        Das Beispiel aus Liberia macht deutlich, was der Hin-
        tergrund der UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Si-
        cherheit“ ist, an deren 10-jähriges Bestehen wir uns im
        Oktober 2010 erinnern konnten. Wir haben diese Reso-
        lution als „historischen Meilenstein“ bezeichnet, weil sie
        neben der Verurteilung von sexualisierter Gewalt an
        Frauen die Frauen aus der einseitigen Opferrolle heraus-
        holt und fordert, Frauen zu Akteurinnen in der Friedens-
        schaffung und Konfliktbeilegung zu machen.
        In der damaligen Debatte im Plenum hatte ich bedau-
        ert, dass CDU/CSU und FDP keinen eigenen Antrag
        vorgelegt haben, um ihre Vorstellungen zur Umsetzung
        der Resolution zur Diskussion zu stellen. Nun haben wir
        April, und Sie haben sich immer noch nicht positioniert.
        Und die Zustimmung der Koalitionäre im Unteraus-
        schuss „Zivile Krisenprävention“ zum SPD-Antrag
        scheint ja wohl eher ein Versehen gewesen zu sein und
        wurde deshalb im Auswärtigen Ausschuss durch eine
        Ablehnung „geheilt“. Ich finde, Sie könnten Ihrer Regie-
        rung gegenüber ein bisschen mutiger sein, wenn es um
        die Rolle von Frauen in Konflikten geht.
        Ihr Verhalten kann ich umso weniger verstehen, als
        wir in der Großen Koalition doch einen gemeinsamen
        Antrag (Drucksache 16/3501) eingebracht haben. Ich
        darf Ihnen den Inhalt diesen Antrages vielleicht kurz in
        Erinnerung rufen. Wir erkannten darin unter anderem an,
        dass die Fortschritte zur Umsetzung der UN-Resolution
        1325 mehr als bescheiden sind, weil sich vor allem in
        der Lebenswirklichkeit der Frauen nicht viel verändert
        hat. Deshalb forderten wir die Bundesregierung auf, für
        die konsequente und zeitgerechte Umsetzung des UN-
        Aktionsplanes einzutreten.
        Und was haben Sie seit dem Regierungswechsel zu
        Schwarz-Gelb von unseren Einsichten umgesetzt? Lei-
        der nicht sehr viel. Nicht einmal, wenn Sie direkt die
        Möglichkeit hatten, ein gleichstellungspolitisches Auge
        auf die Besetzung von Vorständen, wie bei der Deut-
        schen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit,
        GIZ, zu haben. Obwohl GTZ, Inwent und DED ausrei-
        chend Top-Frauen aus dem Executive und Upper Ma-
        nagement zu bieten hatten, beruft ihr Entwicklungsminis-
        ter Niebel ausschließlich sieben (!) Männer – und scheut
        nicht davor zurück, auch seinen alten (Partei-)Kumpel
        Tom Pätz, der zuletzt lokale Talkshows in Bonn mode-
        rierte, dort „hineinwählen“ zu lassen. Selbst der sonst so
        vorsichtige Personalrat des BMZ warf Niebel bereits
        letztes Jahr vor, er missachte den „Grundsatz der Beset-
        zung öffentlicher Ämter nach Leistung, Befähigung und
        Eignung“ (Spiegel, 1. März 2010). Ich füge auch hinzu:
        Herr Niebel, Sie haben auch diese wichtige UN-Resolu-
        tion missachtet!
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        Das macht deutlich: Was wir brauchen, ist ein natio-
        aler Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325.
        ofi Annan hat die Zeichnerstaaten bereits 2005 dazu
        ufgefordert. 15 europäische Staaten – zuletzt Frank-
        ich und Estland – sind seiner Forderung in der Zwi-
        chenzeit gefolgt, das Europäische Parlament rät dazu.
        eutschland sollte sich dem als Mitglied im UN-Sicher-
        eitsrat nicht länger verweigern – wobei ich mir auch
        ünschen würde, dass mit dem eigenen Aktionsplan im
        intergrund die Bundesregierung auch die UN-Gremien
        laubwürdig an ihre Pflicht zur Umsetzung erinnern
        ürde: Immerhin nahmen nach Informationen der GTZ
        n UN-Friedensmissionen neben 78 407 Männern nur
        794 Frauen teil.
        Alle Oppositionsparteien fordern heute diesen deut-
        chen nationalen Aktionsplan in ihren Anträgen. Des-
        alb ist es gut und richtig, dass wir alle Oppositionspar-
        ien zusammen – und das ist ein Novum in diesem
        arlament – einen Entschließungsantrag vorlegen, der
        iese gemeinsame Forderung unterstreicht.
        Wir fordern, dass ein nationaler Aktionsplan in enger
        usammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Experten er-
        rbeitet wird. Dieser soll die volle Umsetzung der Reso-
        tion 1325 und der damit verbundenen drei weiteren
        esolutionen sicherstellen und über eine Berichtspflicht
        ie regelmäßige Evaluierung der Maßnahmen transpa-
        nt machen. Dieser Aktionsplan muss angemessen bud-
        etiert werden.
        Lassen Sie mich – auch im Nachgang zum Interna-
        onalen Frauentag – zum Schluss zu dem Geist von
        ysistrata und den Frauen in Liberia zurückkommen:
        ie haben es geschafft, Kriege zu beenden – gemeinsam.
        ei den friedlichen Revolutionen in Ägypten und Tune-
        ien haben viele Frauen in der vordersten Reihe gestan-
        en. Sie haben der Revolution ihr Gesicht gegeben und
        as Bild des Islam korrigiert, das viele zu Unrecht ha-
        en. Dafür sollten wir ihnen danken.
        Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Zehn Jahre ist sie nun
        er: die einstimmige Verabschiedung der UN-Reso-
        tion 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auf der Sit-
        ung des UN-Sicherheitsrats. Wir sehen diese Resolu-
        on als Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, der
        chon weit vor der Pekinger Weltfrauenkonferenz be-
        ann. Wir sehen diese Resolution aber nicht als Ab-
        chluss und Deckel des Prozesses. So gibt dieses Jubilä-
        msjahr, das am 31. Oktober 2010 begann, Anlass für
        ürdigungen, aber manchmal auch kritische Analysen
        er Resolution 1325 und ihrer Nachfolger.
        Ich begrüße die Diskussion dieses oft an den Rand ge-
        rängten Themas hier im Deutschen Bundestag sehr. Si-
        herheit und Frieden sind die definierten Hauptaufgaben
        es UN-Sicherheitsrats. Sicherheit und Frieden sind aber
        uch zwei Aspekte, welche die Umsetzung dieser Reso-
        tion bestimmen.
        Die Resolution und die folgenden Resolutionen wei-
        en auf vielfältige Bedrohungen durch die mangelnde Si-
        herheit der Zivilbevölkerung hin und fordern verstärkte
        icherheitsmaßnahmen. Dabei bildet die starke Bedro-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12157
        (A) )
        )(B)
        hung und Unsicherheit von Frauen und Kindern die Aus-
        gangslage dieser Resolution.
        Allerdings wird nicht nur auf deren besondere
        Schutzbedürftigkeit und die mangelnde Sicherheit hin-
        gewiesen, sondern es wird auch ihre herausragende
        Rolle für das Gelingen von Friedensprozessen betont.
        Seit der Beschlussfassung der Resolution 1325 vor
        über zehn Jahren gibt es einen vielfältigen Prozess der
        Umsetzung. Und es gibt Länder, die den Verpflichtungen
        der Resolution durch die Umsetzung eines nationalen
        Aktionsplanes nachkommen. Es gibt Länder, die halten
        dies für den richtigen Weg der Umsetzung. Das wird hier
        in diesem Haus auch in einigen Anträgen der Opposition
        gefordert. Deren politische Stoßrichtung – so wie sie in
        den Anträgen dargestellt wird – teilen wir allerdings
        nicht.
        Die Bundesregierung berücksichtigt die völkerrechts-
        verbindliche Resolution der Vereinten Nationen, sowohl
        in ihren nationalen als auch in ihren internationalen Poli-
        tikstrategien. Die Bundesregierung hat mit dem Aktions-
        plan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie-
        denskonsolidierung“ bereits ein sehr umfassendes
        Instrument geschaffen. Das ist meiner Meinung nach
        völlig ausreichend, um eine zielorientierte Umsetzung
        der UN-Resolution 1325 zu erreichen. Daher halte ich
        die Konstruktion eines weiteren nationalen Aktionsplans
        an dieser Stelle nicht für hilfreich. Deshalb können wir
        die Hauptforderung Ihrer Anträge nicht unterstützen.
        Die Bundesregierung ist sich ihrer Pflicht bewusst und
        handelt schon.
        Der Förderung von Frauen, Frieden und Sicherheit
        auf internationaler Ebene kommt die Bundesregierung
        nach – gerade auch in ihrer neuen Funktion als Mitglied
        des UN-Sicherheitsrates.
        Die UN-Resolutionen zeichnen sich durch relativ
        klare und entschiedene Formulierungen und Absichtser-
        klärungen aus. In der Realität herrscht immer noch ein
        etwas anderes Bild vor: Der Frauenanteil in militäri-
        schen EU-Missionen zum Beispiel liegt bei circa
        6 Prozent und in den zivilen Missionen bei 8 Prozent.
        Vor diesem Hintergrund liegt es in der Natur der Sache,
        dass die Forderung, Frauen auf allen Ebenen einzubezie-
        hen, zunehmend energischer diskutiert wird.
        Weitere Resolutionen wurden verabschiedet mit der
        Maßgabe, die Rolle der Frauen als friedenspolitische
        Akteurinnen zu stärken und sie nicht primär oder gar
        ausschließlich als schutzbedürftig zu betrachten. Frauen
        werden – nicht nur in der Friedens- und Sicherheitspoli-
        tik – berücksichtigt und gefördert. Das ist auch wichtig;
        das steht außer Frage. Dass in diesem Zusammenhang
        der Wunsch nach einer Quotierung besteht, ist nachvoll-
        ziehbar, jedoch nicht zielführend. Bereits jetzt achtet die
        Bundesregierung in der Arbeit in allen Ressorts auf das
        sogenannte Gender-Mainstreaming. Auch dies ist schon
        eine gelungene Umsetzung der hier vorgelegten Wün-
        sche und wesentlich produktiver als auf eine quantitative
        Quote zu setzen.
        Eine kurze Stellungnahme zum vorliegenden Antrag
        der Kollegen von den Linken kann ich mir nicht gänzlich
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        erkneifen. Ihr Antrag ist ideologisch geprägt und for-
        ert eine Vielzahl von Maßnahmen, die teuer sind und
        eren Zweckmäßigkeit zweifelhaft ist. In Ihrer sechsten
        orderung unterstellen Sie der Bundesregierung, sie un-
        rstütze Regime, die Kindersoldaten einsetzen und
        onstige Rechtsverstöße begehen.
        Ich kann Ihnen eins sagen: Das ist nicht der Fall.
        anz im Gegenteil werden solche Regime sanktioniert,
        nd die Bundesregierung setzt sich überall weltweit ein,
        ass sie in ihrer Haltung von anderen Staaten ebenso un-
        rstützt wird. Mit solchen Regimen arbeitet die deut-
        che Bundesregierung definitiv nicht zusammen.
        Wir haben mit der Entwicklung des vernetzten Ansat-
        es ziviler und militärischer Mittel in Konfliktsituatio-
        en einen großen Schritt nach vorne gemacht. Das
        hema hat in der jüngsten Vergangenheit eine größere
        edeutung erlangt. Krisen und Konflikte sind komplexer
        eworden in den vergangenen Jahren. So müssen wir ne-
        en dem klassisch-militärischen Bereich auch die öko-
        omische, entwicklungspolitische, soziale und kulturelle
        omponente vor Augen haben. Prävention, Bewältigung
        nd Nachsorge von Konflikten kann unter den Bedin-
        ungen unseres Jahrhunderts nur funktionieren, wenn
        nterschiedliche Maßnahmen in einem umfassenden
        onzept miteinander vernetzt werden.
        Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Umsetzung
        er UN-Resolution 1325 ist auch zehn Jahre nach ihrer
        erabschiedung auf einem guten Wege. Die Bundesre-
        ierung weiß um ihre Pflicht und handelt. Daher sind die
        ier vorliegenden Oppositionsanträge nicht notwendig.
        Christine Buchholz (DIE LINKE): Vor zehn Jahren
        at die UNO die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und
        icherheit“ verabschiedet. Die Bundesregierungen der
        tzten zehn Jahre haben es versäumt, einen Aktionsplan
        ur Umsetzung dieser Resolution zu erarbeiten. Deshalb
        ind wir uns mit SPD und Grünen einig: Die Regierung
        uss einen Aktionsplan vorlegen.
        Die entscheidende Frage ist allerdings, was der Inhalt
        ines Aktionsplanes ist. Die Linke ist hier gänzlich ande-
        r Meinung als die Bundesregierung, aber auch als SPD
        nd Grüne. Letztere rühmen sich, in ihrer Regierungszeit
        die Geschlechterperspektive in UN-Mandate für Frie-
        ensmissionen“ wie Afghanistan 2001 aufgenommen zu
        aben. Die vorliegende UN-Resolution und alle Fraktio-
        en des Bundestags außer der Linken schließen Krieg in
        re Politik mit ein. Für uns dagegen ist Krieg kein Mit-
        l der Politik und schon gar kein Mittel, um Frauen-
        chte durchzusetzen. Krieg bringt Krieg und keinen
        rieden!
        In der Resolution wird ein Aktionsplan zur „Mitwir-
        ung von Frauen in Entscheidungsfunktionen bei Kon-
        iktbeilegungs- und Friedensprozessen“ gefordert. Das
        egenteil ist der Fall. Frauen werden als Soldatinnen
        der für Propagandazwecke instrumentalisiert, oder sie
        erden zum Opfer von Kriegen.
        Die Bundesregierung hat den Anteil von Soldatinnen
        der Bundeswehr seit dem Jahr 2001 verdreifacht. Die
        ATO betont, wie enorm wichtig Frauen für den Erfolg
        12158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        des Krieges in Afghanistan seien; mehr Soldatinnen ver-
        besserten den Schutz der eigenen Truppen. Für die Bun-
        desregierung und für die NATO sind Frauen Mittel zum
        Zweck, um den Krieg zu gewinnen. Das ist pervers!
        Schicksale afghanischer Frauen werden benutzt, um
        hierzulande den Krieg zu rechtfertigen. Ich zitiere ein
        von WikiLeaks veröffentlichtes CIA-Dokument: „Af-
        ghanische Frauen könnten als ideale Botschafterinnen
        dienen“. Ihre Medienauftritte sollen „helfen, die unter
        westeuropäischen Frauen weitverbreitete Skepsis gegen-
        über dem Afghanistan-Einsatz zu überwinden“.
        Jedes Jahr wieder wird die Fortsetzung des Krieges in
        Afghanistan von Vertreterinnen und Vertretern aller Par-
        teien von FDP bis SPD damit begründet, man könne die
        Frauen jetzt nicht im Stich lassen. Die Bundesregierung
        schrieb letztes Jahr auf ihrer Internetseite: „Mit der Mo-
        dernisierung des Landes wird sich auch die Lage der
        Frauen kontinuierlich verbessern. Daran wirken wir
        mit.“
        Aber was bedeutet der Krieg vor Ort? Ich selbst habe
        mich in der afghanischen Provinz Kunduz mit Frauen
        getroffen, deren Männer und Söhne am 4. September
        2009 auf Befehl der Bundeswehr getötet wurden. Sie ha-
        ben nicht nur ihre Angehörigen, sondern meist damit
        auch ihre Existenz und Zukunft verloren. Denn auch
        zehn Jahre nach Beginn des Krieges hat die Mehrheit der
        Frauen in Afghanistan keine Chance auf einen eigen-
        ständigen Broterwerb. Deshalb ist es besonders bitter,
        dass die Familien der Kunduz-Opfer noch heute auf an-
        gemessene Entschädigung von der Bundesregierung
        warten.
        Die ehemalige afghanische Abgeordnete Malalai Joya
        sagte mir: „USA und NATO fielen in Afghanistan an-
        geblich für die Rechte der Frauen ein, aber heute ist die
        Situation der Frauen genauso katastrophal wie unter der
        Herrschaft der Taliban. Vergewaltigungen, Entführun-
        gen, Morde, Säureattentate und häusliche Gewalt steigen
        rapide an.“ Auf die Frage, wie wir Frauen in Afghanistan
        unterstützen können, antwortete sie: „Erstens wird Krieg
        Frauen niemals helfen. Zweitens haben wir die Chance,
        dass sich afghanische Frauen selbst befreien und pro-
        gressive Männer uns helfen werden.“
        Das zeigt: Krieg für die Rechte von Frauen ist ein
        Mythos. Ohne eine klare Absage an Krieg, der immer
        ein Krieg gegen Frauen und Kinder ist, ist jeder Aktions-
        plan Makulatur. Deshalb fordert die Linke, die Resolu-
        tion 1325 weiterzuentwickeln und festzuschreiben, auf
        militärische Gewalt zu verzichten. Und genau deshalb
        lehnt die Linke die Anträge von SPD und Grünen ab.
        Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Am 8. März dieses Jahres haben wir „100 Jahre
        Internationaler Frauentag“ gefeiert. National und inter-
        national gibt es neben vielen Problemen auch Fort-
        schritte und Erfolge für die Frauen. Der Beschluss der
        Resolution 1325 vor zehn Jahren im UN-Sicherheitsrat
        war ein solcher Erfolg. Er war ein Meilenstein auf dem
        Weg zu einer wirklich geschlechtersensiblen Friedens-
        und Sicherheitspolitik. Erstmals beschloss damit die
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        NO eine völkerrechtlich verbindliche Vorgabe zur Be-
        iligung von Frauen an der Bewältigung von gewalttäti-
        en Konflikten und beim Friedensaufbau.
        Allerdings mussten wir anlässlich des zehnjährigen
        ubiläums im letzten Jahr auch feststellen, dass die Bi-
        nz mehr als ernüchternd ist: In den meisten Konflikten
        ehen sich die Parteien nicht an die Resolution 1325 ge-
        unden. Frauen werden eben meistens nicht am Frie-
        ensaufbau beteiligt. So ergaben Stichproben von
        NIFEM bei 24 UN-gestützten Friedensverhandlungen
        wischen 1992 und 2008: Nur 7,6 Prozent der Verhan-
        elnden, nur 3,2 Prozent der Vermittelnden und nur
        ,5 Prozent der Unterzeichnenden waren weiblich. Ich
        enne ein aktuelles Beispiel, nämlich die Umbrüche in
        er arabischen Welt. Zwar haben die Frauen in Tunesien
        nd Ägypten maßgeblich dafür gesorgt, dass die Despo-
        n abtreten mussten, aber jetzt, nach der Revolution, bei
        er Gestaltung der neuen Demokratien, sollen sie wieder
        urück an den Katzentisch. Das darf nicht sein. Lassen
        ie uns hier ganz klar die Frauen in Ägypten mit ihren
        orderungen unterstützen. Auch Frauen müssen in der
        erfassungskommission und in den Übergangsstruktu-
        n, die jetzt die Demokratie aufbauen, vertreten sein.
        Auch Gewalt gegen Frauen wird in vielen Kriegen
        eiter systematisch als Kriegswaffe eingesetzt, wie zum
        eispiel im Ostkongo. Dort finden seit Jahren massen-
        afte Vergewaltigungen statt, sogar vor den Augen der
        lauhelme. Allein im Juli und August 2010 waren es
        rutale Vergewaltigungen an über 500 Frauen. Für die
        kalen Kriegsherren, dramatischerweise aber oft auch
        r die UN vor Ort, scheinen die Verpflichtungen aus der
        esolution 1325 und der Folgeresolution 1820 offen-
        ichtlich keine Rolle zu spielen. Wenn wir wirklich wol-
        n, dass die Resolution 1325 mit Leben gefüllt wird und
        entraler Bestandteil der internationalen Politik wird,
        ann müssen sich endlich auch die Mitgliedstaaten der
        NO konsequent an die Umsetzung machen. Sonst blei-
        en die Resolutionen nichts weiter als bedrucktes Papier.
        Meine Damen und Herren von der Bundesregierung
        nd den Koalitionsfraktionen, ich finde es wirklich un-
        altbar, dass wir, als Mitglied im Sicherheitsrat, immer
        och nicht bereit sind, einen nationalen Aktionsplan auf
        en Weg zu bringen. Schon 2005 hat Kofi Annan das ge-
        rdert, doch erst 25 Staaten sind dem gefolgt. Es ist
        och peinlich, dass Deutschland als angebliche Stütze
        es UN-Systems sich dieser Aufforderung immer noch
        erweigert. In der UNO-Agenda der Bundesregierung
        ibt es noch nicht mal einen Hinweis auf die Resolution
        325 – und das, obwohl auch Ban Ki-moon die Umset-
        ung der Resolution 1325 zu einem seiner wichtigsten
        hemen gemacht hat: Es wurde mit UN-Women eine
        eue einheitliche UN Organisation geschaffen und mit
        argot Wallström eine Sonderbeauftragte gegen sexu-
        lle Gewalt in Konflikten eingesetzt.
        Auch die Anhörung des Unterausschusses „Zivile
        risenprävention und vernetzte Sicherheit“ am 13. De-
        ember 2010 hat ganz klar ergeben, dass die Frauenorga-
        isationen wie medica mondiale, der Frauensicherheits-
        t oder UNIFEM einen solchen nationalen Aktionsplan
        r unabdingbar halten. Da kann sich doch Deutschland
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12159
        (A) )
        )(B)
        nicht einfach ausklinken und alle diese Empfehlungen
        ignorieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelun-
        gen ist, zumindest zwischen den Fraktionen von SPD,
        Linken und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen
        Antrag zu vereinbaren. Das ist ein großer Erfolg, und ich
        bin mir sicher: Das wird politisch wahrgenommen wer-
        den.
        Wir stellen damit klar: Mit anderen Mehrheitsverhält-
        nissen im Deutschen Bundestag werden wir – SPD,
        Grüne und Linke – einen solchen Aktionsplan gemein-
        sam auf den Weg bringen. Dadurch werden wir tatsäch-
        lich die UNO unterstützen – und nicht nur, wie die Ko-
        alition, durch Sonntagsreden. Konkrete Vorschläge zu
        einem solchen Aktionsplan, wie jetzt der des Frauensi-
        cherheitsrates, liegen ja sogar auf dem Tisch. Meine Da-
        men und Herren von der Koalition, Sie müssen nur zu-
        greifen und lesen. Es geht dabei um die Umsetzung der
        4 Ps: der Prävention, der Protektion – also dem Schutz
        von Frauen und Mädchen –, der Präparation – also der
        gendersensiblen Vorbereitung von zivilem oder militäri-
        schen Personal, das wir in internationale Missionen oder
        Missionen der EU oder der OSZE entsenden – und der
        Partizipation. Besonders wichtig ist dabei das zuletzt
        Genannte: Partizipation, also die Förderung der Beteili-
        gung von Frauen als Akteurinnen des Wandels.
        Klar ist: Wir wollen einen effektiven Plan. Dabei
        müssen wir von anderen Ländern lernen. Dazu ist es
        enorm wichtig, bei der Erstellung in einem transparenten
        Prozess die Zivilgesellschaft einzubeziehen, die Maß-
        nahmen regelmäßig zu überwachen und vor allem zu
        evaluieren, ob die Zielvorgaben auch erreicht wurden.
        Es muss jährlich dem Bundestag berichtet werden, und
        der Aktionsplan muss mit entsprechenden finanziellen
        Mitteln ausgestattet werden, denn ohne Budget bleiben
        viele Vorhaben blanke Theorie.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
        ich habe in vielen Krisenregionen dieser Welt erlebt, wie
        wichtig und von welch konkreter Bedeutung für die
        Frauen vor Ort die Umsetzung dieser Resolution ist, die
        für uns hier vielleicht so theoretisch erscheint: im
        Kongo, in Darfur, im Südsudan, in Afghanistan und jetzt
        aktuell in der arabischen Welt. Diese Frauen haben große
        Erwartungen und Hoffnungen, auch die Hoffnung, dass
        wir die Umsetzung der Resolution ebenso ernst nehmen
        wie sie. Lassen sie uns diese Frauen nicht enttäuschen,
        werfen Sie Ihr Herz über die Hürde und stimmen Sie,
        wie Ihre Kollegen und Kolleginnen im Unterausschuss
        „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“, die
        durch die Anhörung und durch die Debatte inzwischen
        von der Sache offensichtlich überzeugt worden sind, ei-
        nem der Einzelanträge oder wenigstens unserem über-
        fraktionellen Antrag zu!
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Neunund-
        zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abge-
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        ordnetengesetzes – Einführung eines Ordnungs-
        geldes (Tagesordnungspunkt 19)
        Bernhard Kaster (CDU/CSU): Wir debattieren
        eute über Änderungen des Abgeordnetengesetzes und
        er Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Än-
        erungen, die das Selbstverständnis unserer parlamenta-
        schen Arbeit betreffen.
        Der Begriff der Geschäftsordnung wird im Übrigen
        er Bedeutung gerade dieser Geschäftsordnung nicht
        anz gerecht; ist es doch letztlich die gemeinsame Ver-
        tändigung über die Spielregeln unserer Demokratie in
        inem demokratisch gewählten Parlament.
        Unsere Geschäftsordnung hat eine sehr lange Tradi-
        on. Sie finden in ihr wörtliche Formulierungen aus der
        eschäftsordnung des Deutschen Abgeordnetenhauses
        on 1848, des Norddeutschen Reichstages von 1868, der
        eimarer Republik und zu guter Letzt der ersten endgül-
        gen Geschäftsordnung des Bundestages aus dem Jahre
        951. Dennoch ist die Geschäftsordnung über die Jahr-
        ehnte immer wieder aktualisiert worden. Sehr umfang-
        ich geschah dies zuletzt infolge des Vertrages von Lis-
        abon.
        Heute diskutieren wir über eine Änderung der Ge-
        chäftsordnung, die sich unsere Fraktion sehr gerne er-
        part hätte. Es ist ungewöhnlich, ja beschämend, dass
        ir uns als Bundestag mit der Ausweitung von Ord-
        ungsmaßnahmen befassen müssen. Dies ist sicherlich
        eine Sternstunde des Parlamentes.
        Anlass für die Einführung eines Ordnungsgeldes – und
        ies muss hier klar zum Ausdruck gebracht werden – ist
        inzig und alleine das unparlamentarische Verhalten ei-
        er Fraktion. In dieser Legislaturperiode wie auch in der
        orangegangenen Legislaturperiode hat immer und im-
        er wieder die Nachfolgepartei der kommunistischen
        ED die Regeln dieses Hauses und damit der Demokra-
        e vorsätzlich verletzt. Die Linksfraktion hat diese Stö-
        ngen offensichtlich ganz gezielt und abgestimmt ins-
        eniert, um sich ihrer Aktivitäten anschließend auch
        och im Internet zu rühmen.
        Im Rahmen der Debatte um die Erweiterung des Af-
        hanistan-Mandats zeigten eine Vielzahl von Abgeord-
        eten der Linken im Plenum Spruchbänder. Die Partei-
        orsitzende der Linken hat diese Entgleisung der
        itglieder ihrer Fraktion nicht etwa kritisiert, sondern
        ogar noch mit den Worten gelobt „Ich danke auch per-
        önlich meiner Fraktion sehr, wie würdevoll diese Ak-
        on vorbereitet und umgesetzt wurde.“
        Es ist die Übereinkunft aller Demokraten, dass der
        olitische Wettstreit, die Kontrollfunktion des Parla-
        ents gegenüber der Regierung und die Auseinanderset-
        ung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen
        it engagierten, durchaus auch hitzigen Debatten ausge-
        agen werden. Dieses Haus ist aber kein Platz für De-
        onstrationen, Transparente und jede Art von Klamauk.
        er wie die Linksfraktion das Bundestagsplenum als
        emonstrationsplattform nutzt, will damit in unredlicher
        eise die Wirkung und die Kraft der Argumente aus der
        ffentlichen Diskussion verdrängen. Er zeigt damit zu-
        12160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        gleich, dass er von der Kraft der eigenen Argumente of-
        fensichtlich selbst nicht überzeugt ist, denn sonst be-
        dürfte es solcher Aktionen ja nicht.
        Der Bundestagspräsident hat bereits im November
        2008 festgestellt, dass die Neigung zu Disziplinlosigkei-
        ten deutlich größer geworden ist. Das ist alles mehr als
        bedauerlich.
        Wir sind inzwischen nicht mehr bereit, eine Verro-
        hung der Sitten, wie sie in letzter Zeit im Plenum einge-
        rissen ist, weiter hinzunehmen. Es ist eine fühlbare
        Sanktion notwendig. Deshalb sprechen wir uns jetzt,
        wenn auch ungern, für die Einführung eines Ordnungs-
        geldes aus. Dieses wird in sinnvoller Weise in § 44 a des
        Abgeordnetengesetzes und dann in einer klaren Einord-
        nung in die §§ 36 bis 38 der Geschäftsordnung ein-
        gefügt. Wir haben damit eine Regelung, die vom
        Ordnungsruf über die Wortentziehung und das Ord-
        nungsgeld bis hin zum gravierendsten Mittel, dem Sit-
        zungsausschluss, reicht.
        Wir haben auch Wert darauf gelegt, eine klare Rege-
        lung im Hinblick auf die Höhe des Ordnungsgeldes zu
        treffen. Sie beträgt 1 000 Euro bzw. 2 000 Euro im Wie-
        derholungsfall. Wir sehen nicht ein, den ganzen Unfug
        und Unsinn der Fraktion Die Linke auch noch im Rah-
        men einer Spanne zu katalogisieren.
        Bedauerlich ist aber auch, dass nicht alle demokrati-
        schen Fraktionen diesen Gesetzentwurf mittragen. Die
        Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat von Beginn an im-
        mer wieder betont, dass sie sehr wohl bereit sei, ein Ord-
        nungsgeld einzuführen. Aber bei allen Beratungen hat
        sie bereits im Vorfeld immer wieder nach Gründen oder
        einem Vehikel gesucht, um letztlich dann doch wieder
        aus dieser Regelung auszusteigen. In diesem Zusam-
        menhang erinnere ich daran, dass bei der letzten Störung
        durch die Fraktion Die Linke, die auch zum Sitzungsaus-
        schluss von Abgeordneten geführt hat, dieses undemo-
        kratische Verhalten die ausdrückliche Zustimmung des
        Kollegen Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
        nen gefunden hat.
        Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wehrt sich
        mit vorgeschobenen Argumenten dagegen, zukünftig
        auch Verstöße gegen die Würde des Bundestages mit ei-
        ner Ordnungsmaßnahme zu sanktionieren. Sie hat damit
        letztlich das Vehikel gefunden, um Teilen ihrer Fraktion
        entgegenzukommen. Da nützt es auch gar nichts, dies
        mit allen möglichen juristischen Spitzfindigkeiten, Be-
        wertungen und Auslegungen zu begründen. Die Würde
        des Hauses, die Würde des Deutschen Bundestages, hat
        bereits im § 7 der Geschäftsordnung ihren Niederschlag
        gefunden. Viele andere Vergleiche, beispielsweise in der
        Justiz, könnten ebenso angeführt werden. So kennt unser
        Gerichtsverfassungsgesetz den Begriff „Würde des Ge-
        richts“, der in § 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes ge-
        regelt ist.
        Wenn die demokratischen Fraktionen CDU/CSU,
        SPD und FDP auch Verstöße gegen die Würde des Bun-
        destages als ahndungswürdig betrachten, ist dies absolut
        nachvollziehbar. Damit wird die Entscheidungsgrund-
        lage des amtierenden Präsidenten verbessert, im Übrigen
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        uch in der Bundesversammlung, für die unsere Ge-
        chäftsordnung sinngemäß gilt. Es gibt also schlichtweg
        ein Argument für die Fraktion von Bündnis 90/Die
        rünen, unseren Gesetzentwurf nunmehr ganz abzuleh-
        en.
        Sie hatte im Übrigen Bedenken geäußert, beispiels-
        eise wegen einer möglichen strittigen „Kleiderord-
        ung“. Auch da sind alle Fraktionen darauf eingegangen
        nd haben in der Begründung nochmals klargestellt,
        ass es darum genau nicht geht.
        Lassen Sie mich abschließend noch einmal an die
        erursacher dieser Regelung appellieren, die Fraktion
        ie Linke: Sie sollten endlich die demokratischen Spiel-
        geln anerkennen und trotz Ihrer Vergangenheit endlich
        der Demokratie ankommen.
        Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Noch vor
        wei Jahren habe ich mir nicht vorstellen können, dass
        ir heute über eine Verschärfung der Ordnungsmaßnah-
        en gegen Abgeordnete beraten müssen. Eigentlich
        ollte es unter Demokraten möglich sein, die Argumente
        er politisch anders Denkenden zu ertragen, ohne zu
        itteln der Störung und des Klamauks zu greifen und
        amit nicht nur die Arbeit der anderen Abgeordneten zu
        tören, sondern auch das Ansehen des Bundestages in
        en Augen der Öffentlichkeit niederzumachen. Leider
        usste ich mich durch die verschiedenen massiven Ord-
        ungsstörungen in der jüngeren Vergangenheit, insbe-
        ondere durch konzertierte Aktionen mehrerer Mitglie-
        er der Fraktion Die Linke, eines Besseren – oder besser
        esagt, eines Schlechteren – belehren lassen.
        In geradezu unverantwortlicher Weise versuchen
        iese Kolleginnen und Kollegen immer wieder, den
        eutschen Bundestag – das höchste gesetzgebende Ver-
        ssungsorgan unseres Landes – zu einer Bühne für bil-
        ge politische Polemik zu machen. Ich denke nur an die
        ktion in der letzten Wahlperiode, in der sie einen da-
        als amtierenden Ministerpräsidenten durch verzer-
        nde Masken verächtlich machten wollten. Aber auch
        dieser Wahlperiode musste der Bundestagspräsident
        chon zweimal Mitglieder der Linksfraktion von der Sit-
        ung des Bundestages wegen gröblicher Ordnungsver-
        tzungen ausschließen.
        Leider lassen diese Erfahrungen keinen anderen
        chluss zu als den, die Effizienz der bestehenden Ord-
        ungsmaßnahmen nach der Geschäftsordnung des Bun-
        estages kritisch zu überprüfen. Dabei hat sich herausge-
        tellt, dass der Sach- und der Ordnungsruf für solche
        assiven Störungen der Ordnung während einer Sitzung
        icht ausreichend sind. Ihr Sanktionscharakter ist eher
        egrenzt und sie sind im Konfliktfall nicht geeignet, die
        törung nachhaltig zu beseitigen. Der Sitzungsaus-
        chluss – nach unserer Geschäftsordnung immerhin für
        is zu 30 Sitzungstage möglich – ist demgegenüber das
        chärfste Ordnungsmittel, das zur Verfügung steht, weil
        s in die Rede- und Abstimmungsrechte des betroffenen
        bgeordneten massiv eingreift. Es kann deshalb nur als
        ltima Ratio in Betracht kommen.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12161
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        Genau in den Zwischenraum zwischen Sach- und
        Ordnungsruf und dem Sitzungsausschluss soll nach
        übereinstimmender Auffassung der Koalitionsfraktionen
        und der SPD nun – quasi als neues Ordnungsmittel auf
        mittlerer Ebene – ein Ordnungsgeld treten. Es hat den
        Vorteil, dass es einerseits eine spürbare Sanktion dar-
        stellt, andererseits aber in die parlamentarischen Rechte
        der Abgeordneten nicht eingreift und öffentlichkeits-
        wirksame Konfrontationen, wie zum Beispiel bei einer
        zwangsweisen Entfernung aus dem Plenarsaal, vermei-
        den kann.
        In breiter Einmütigkeit mit Ausnahme der Fraktion
        Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – Letztere hat al-
        lerdings auch die grundsätzliche Notwendigkeit der Ver-
        schärfung der Ordnungsmittel gesehen – hat der Ge-
        schäftsordnungsausschuss in zahlreichen Sitzungen den
        Ihnen nun vorliegenden Gesetzentwurf der drei Fraktio-
        nen zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vorberei-
        tet, der als Rechtsgrundlage für eine nachfolgende Ände-
        rung der Geschäftsordnung dient. Er empfiehlt, das
        Ordnungsgeld in einer festen Höhe von 1 000 Euro, im
        Wiederholungsfall von 2 000 Euro, vorzusehen. Es soll
        vom jeweils sitzungsleitenden Präsidenten bei einer
        „nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder
        der Würde des Bundestages“ festgesetzt werden können.
        Wegen einer „gröblichen“ Verletzung der Ordnung oder
        der Würde des Bundestages soll – wie bisher – der Sit-
        zungsausschluss möglich sein.
        Die feste Höhe des Ordnungsgeldes von 1 000 Euro
        bzw. 2 000 Euro und der Verzicht auf einen entsprechen-
        den Ermessensspielraum des amtierenden Präsidenten
        bzw. der amtierenden Präsidentin sollen Streitigkeiten
        nur über die angemessene Höhe des verhängten Ord-
        nungsgeldes vermeiden. Weitere gesetzliche Konkreti-
        sierungen der Frage, was denn konkret unter einer „nicht
        nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der
        Würde des Bundestages“ zu verstehen ist, hat der Ge-
        schäftsordnungsausschuss als nicht sinnvoll abgelehnt.
        Unterschiedliche Auffassungen hierzu wird man weder
        durch gesetzliche Fallbeispiele noch durch weitere unbe-
        stimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext befrieden kön-
        nen. Letztlich ist es eine Entscheidung des amtierenden
        Präsidenten bzw. der amtierenden Präsidentin, die unter
        Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalles zu
        treffen ist.
        Im Geschäftsordnungsausschuss wurde bis zuletzt die
        Frage diskutiert, ob auch die „Würde des Bundestages“
        ausdrücklich in den Schutzbereich der Ordnungsmaß-
        nahmen aufgenommen werden sollte. Hiergegen sprach
        sich insbesondere die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
        aus, anscheinend weil sie immer noch ein grundsätz-
        liches Problem mit dem Schutz der Würde dieses Parla-
        ments hat. Die antragstellenden Fraktionen sahen dage-
        gen den ausdrücklichen Schutz der Würde des
        Bundestages als notwendig an, damit klar gestellt wird,
        dass auch bei nichtverbalen Ordnungsstörungen, wie
        zum Beispiel beim Hochhalten von Transparenten oder
        sonstigem provokativem Verhalten, eindeutig die Mög-
        lichkeit einer angemessenen Reaktion hierauf besteht.
        Klar ist für uns allerdings auch, dass nicht jede Verhal-
        tensweise, die dem einen oder anderen nicht gefallen
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        ag, als ein Angriff auf die Würde des Bundestages ge-
        ertet werden kann. Bloße Fragen der Kleiderordnung
        um Beispiel können nicht hierunterfallen.
        Die nähere Regelung des Ordnungsgeldes soll – wie
        uch bisher bei den Ordnungsmaßnahmen – durch un-
        ere Geschäftsordnung erfolgen. Auch insoweit hat sich
        er Geschäftsordnungsausschuss auf konkrete Vor-
        chläge schon verständigt, die dem Plenum alsbald zur
        ntscheidung vorgelegt werden. Danach soll das Ord-
        ungsgeld – wie bisher schon der Sitzungsausschluss –
        uch später noch festgesetzt werden können, und es soll
        das bestehende Rechtsmittelsystem der Geschäftsord-
        ung eingebunden werden, wonach bei Einspruch der
        undestag insgesamt entscheidet und danach der Weg
        um Bundesverfassungsgericht im Wege der Organklage
        ffensteht.
        Ich bin überzeugt, dass das Ordnungsgeld eine ange-
        essene, aber leider auch notwendige Erweiterung des
        estehenden Systems der Ordnungsmaßnahmen für un-
        er Parlament ist. Ich bitte Sie daher um Ihre Unterstüt-
        ung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
        Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Wir bera-
        n heute in erster Lesung über eine Änderung des Abge-
        rdnetengesetzes, die niemand von uns in Wahrheit mit
        nerer Begeisterung betreibt. Denn als Parlamentarierin
        der Parlamentarier sich selbst mit härteren Sanktionen
        u belegen macht keine Freude. Doch leider hat das Ver-
        alten gerade einer Fraktion hier im Hause dieses Vorge-
        en unumgänglich gemacht.
        Bereits jetzt darf uns der Präsident zur Ordnung rufen
        der sogar bis zu 30 Tage von den Beratungen ausschlie-
        en. Das erste Instrument beeindruckt einige hier wohl
        aum, das andere Instrument aber ist eine sehr, sehr
        arte Maßnahme. Denn es bedeutet, dass Mitglieder die-
        es Hohen Hauses in ihrem elementaren Recht, dem Re-
        erecht, massiv beschnitten werden. Der Ausschluss
        uss also immer das letzte Mittel sein.
        Das Parlament lebt vom Parlieren. Das gesprochene
        ort ist unser Mittel der demokratischen Auseinander-
        etzung. Deshalb ist es nicht hinnehmbar, dass eine
        raktion so agiert, als könne man sich beliebig darüber
        inwegsetzen. Vermeintlich im Besitz einer höheren
        oral und nach billiger Publicity heischend, hat die
        raktion der Linken immer wieder unsere Beratungen
        ier desavouiert. Sie nimmt sich Sonderrechte heraus,
        egeht bewusst Regelverletzungen und entwertet damit
        ehenden Auges und bewusst jede Form der parlamenta-
        schen Auseinandersetzung.
        Würde jede Fraktion kraft eigenen Rechts die ge-
        einsamen Spielregeln so außer Kraft setzen, dann wäre
        einerlei geordnete Debatte mehr möglich. Gefährlich
        t dies deshalb, weil jeder, der so agiert, den Eindruck
        rweckt, als habe man kein anderes geeignetes Mittel,
        ich darzustellen, oder aber als habe man einen An-
        pruch auf Regelverletzung. Das ist ein Spiel mit dem
        euer. Nach dem Prinzip von Rede und Gegenrede ha-
        en wir alle hier weidlich die Möglichkeit, abgelehnte
        tandpunkte zu entkräften und die eigene Position zu
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        stärken, öffentlich Rechenschaft abzulegen oder einzu-
        fordern. Mehr und anderes darf und kann nicht sein,
        sonst entwerten wir uns als Mitglieder des Parlaments.
        Jeder Versuch, unter Kolleginnen und Kollegen ohne
        weitere Sanktionen auszukommen, ist leider ignoriert
        worden: Zusagen wurden gebrochen, Wiederholungen
        gab es immer wieder. Deshalb ist es zur Wahrung der gu-
        ten Formen leider zwingend notwendig, ein Ordnungs-
        geld einzuführen. Wer durch das Hochhalten von Pro-
        testschildern, entsprechender Bekleidung oder andere
        Albernheiten den Komment verletzt, der muss zukünftig
        mit 1 000 Euro oder sogar 2 000 Euro Ordnungsstrafe
        rechnen. Damit wird der Spuk hoffentlich ein Ende ha-
        ben. Wir sind dem demokratischen Streit, nicht dem Kla-
        mauk verpflichtet. Wer nicht hören will, muss nun füh-
        len – leider!
        Jörg van Essen (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak-
        tion hat von Anfang an die Initiative des SPD-Kollegen
        Lange, dem ich für seine Anregung an dieser Stelle
        nochmals besonders danken möchte, unterstützt. Wir
        freuen uns deshalb sehr, dass es gelungen ist, sich ge-
        meinsam mit CDU/CSU und SPD auf einen Gesetzent-
        wurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes zu ver-
        ständigen.
        Die Notwendigkeit zu einer Regelung hat sich in dem
        mehrfachen Fehlverhalten von Abgeordneten der Links-
        fraktion im Plenum gezeigt. Das Hochhalten von Trans-
        parenten und andere Aktionen ähnlicher Art beeinträch-
        tigen die Würde eines obersten Verfassungsorgans und
        sind nicht hinnehmbar. Ein Abgeordneter kann jederzeit
        im Plenum das Wort ergreifen und seine Position ver-
        deutlichen. Es bedarf eines solchen Verhaltens also
        nicht.
        Bei der notwendigen Reaktion auf dieses Fehlverhal-
        ten hat sich gezeigt, dass ein Ordnungsruf eine zu ge-
        ringe Sanktion ist, aber auch Bedenken bestehen, die be-
        troffenen Abgeordneten von der Sitzung auszuschließen.
        Dies hat sich besonders deutlich bei einer anstehenden
        Entscheidung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
        gezeigt. Trotz des vom Präsidenten verhängten Aus-
        schlusses sind alle Fraktionen übereinstimmend zu der
        Auffassung gekommen, dass den betroffenen Kollegen
        die Teilnahme an der Abstimmung ermöglicht werden
        sollte. In Fällen wie diesen wäre die Verhängung eines
        Ordnungsgeldes die angemessenere Sanktion. Sie macht
        deutlich, dass ein erhebliches Fehlverhalten nicht gedul-
        det wird, ermöglicht aber auf der anderen Seite uneinge-
        schränkt die Ausübung des Abgeordnetenrechts.
        Wir haben lange überlegt, welche Höhe dieses Ord-
        nungsgeld haben sollte. Wir schlagen eines in Höhe von
        1000 Euro vor. Wie bei allen Ordnungsgeldern ist dies
        ein einheitlicher Betrag. Auch in anderen Fällen eines
        Ordnungsgeldes findet keine Differenzierung etwa nach
        Familienstand oder Anzahl von Kindern statt. Es ent-
        spricht auch dem verfassungsrechtlichen Bild des Abge-
        ordneten, wonach alle Abgeordneten gleich sind. In den
        anstehenden Beratungen sind wir offen dafür, über die-
        sen Betrag noch einmal zu reden. In unseren fraktionsin-
        ternen Beratungen ist der Hinweis gegeben worden, dass
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        ie Höhe den amtierenden Präsidenten davon abhalten
        önnte, das Ordnungsgeld zu verhängen, obwohl es not-
        endig wäre. Das wäre ein Ergebnis, das es zu verhin-
        ern gilt.
        Insgesamt erhoffe ich mir, dass es nur wenige Anlässe
        eben wird, bei denen die amtierenden Präsidenten zu
        iesem Mittel greifen müssen. Ein oberstes Verfassungs-
        rgan sollte immer streng darauf achten, seiner Würde
        erecht zu werden.
        Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Vor weni-
        en Monaten wurde hier an dieser Stelle das Vorgehen
        er Koalition bei der Laufzeitverlängerung als „Gesetz-
        ebung mit der Brechstange“ gebrandmarkt. In der De-
        atte fielen Worte wie „Lügner“ oder „Affentheater“.
        ournalisten berichteten später, in Richtung der Opposi-
        onsfraktionen seien sogar Worte wie „Faschisten“ ge-
        llen, weil eine Fraktion in einheitlicher Protestklei-
        ung aufgetreten war. Rügen an Abgeordnete seitens der
        itzungsleitung, Ordnungsrufe oder gar Ausschlüsse von
        er Sitzung sind nicht bekannt, auch keine Entschuldi-
        ungen. Nur der Präsident des Bundestages erinnerte
        aran, es sei guter parlamentarischer Brauch, auf persön-
        ch herabsetzende Bemerkungen zu verzichten. Offen-
        undig hat sich daran niemand wirklich gestört.
        Die Laufzeitverlängerung wurde dann mit der Mehr-
        eit der Koalition durchgewunken – entgegen aller Ver-
        unft, wie wir heute nach den Ereignissen um Fuku-
        hima wissen. Diese Art Gesetzgebung nach politischer
        illkür verletzt die Würde der Demokratie und dieses
        auses. Dass Abgeordnete zu Abnickmaschinen degra-
        iert werden, erleben wir nicht zum ersten Mal. Ähnlich
        urden hier Gesundheitsreformen, Bankenrettungsfonds
        on 480 Milliarden Euro oder – wie jüngst – Einsätze
        usätzlicher Bundeswehrsoldaten in AWACS-Maschi-
        en über Afghanistan beschlossen – oder besser gesagt:
        urchs Parlament gepeitscht.
        Aber gegen diese anhaltende Missachtung parlamen-
        rischer Spielregeln liegt seitens der Fraktionen von
        DU/CSU, SPD und FDP kein Gesetzentwurf vor. Statt-
        essen legen Sie einen Gesetzentwurf vor, nach dem Ab-
        eordnete künftig bei einer „nicht nur geringfügigen
        erletzung der Ordnung oder der Würde des Bundesta-
        es“ mit einem Ordnungsgeld bestraft werden können.
        ie tun so, als drohten hier im Bundestag Verhältnisse, in
        enen Abgeordnete mit Fäusten aufeinander losgehen.
        avon kann, wie Sie genau wissen, nicht die Rede sein.
        Ganz offen wird von Ihnen erklärt, das Ordnungsgeld
        erde nur wegen angeblicher Störaktionen einer einzi-
        en Fraktion eingeführt: der Linken. Eine Aktion der
        inken, die Sie zum Beispiel als störend erachteten,
        etraf das Gedenken an die Opfer von Kunduz – Opfer
        ines Bombardements, befohlen von einem deutschen
        ffizier. Ein angemessenes Gedenken daran aber haben
        ie abgelehnt. Das hat die Würde dieses Hauses verletzt,
        icht aber die von Linken hochgehaltenen Schilder mit
        amen und Alter der Opfer.
        Ihr Gesetzentwurf ist im Kern eine Lex Linke. Auch
        as ist würdelos. Keine Frage: Das demonstrative Tra-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12163
        (A) )
        )(B)
        gen von Kleidung, zumal im Parlament vor der Öffent-
        lichkeit, muss nicht jeder gut finden – so wie nicht jeder
        das Tragen einer Krawatte gut finden muss. Kleidungs-
        und Geschmacksfragen aber demonstrativ mit Ord-
        nungsgeld zu bestrafen, ist eindeutig überzogen und zu-
        dem verfassungsrechtlich bedenklich.
        Wann und wie die Würde des Hauses verletzt sein
        soll, weiß die Mehrheit dieses Hauses zudem so genau
        nicht. Die Entscheidung darüber überlassen Sie dem Prä-
        sidenten des Bundestages. Das Ordnungsgeld wird so zu
        einer politischen Willkürveranstaltung.
        Gegen das geplante Ordnungsgeld gibt es für die Ab-
        geordneten auch keinen effektiven Rechtsschutz. De
        facto müsste ein Abgeordneter, wenn sie oder er mit dem
        verhängten Ordnungsgeld nicht einverstanden ist, beim
        Bundesverfassungsgericht Beschwerde einlegen. Da-
        rüber hinaus hält die Fraktion Die Linke die von der
        Mehrheit des Hauses vorgesehene Einschränkung der
        Rechte souveräner Abgeordneter für verfassungsrecht-
        lich bedenklich. Deshalb behält sich die Linke auch vor,
        das Ordnungsgeld vom Bundesverfassungsgericht prü-
        fen zu lassen.
        Im Parlament soll es auf das Miteinander-Reden, auf
        das Abwägen von Argumente ankommen. Darin sind
        wir uns sicher einig. Ich hoffe sehr, dass sich die Fraktio-
        nen von Union, SPD und FDP bei den kommenden Aus-
        schussberatungen von vernünftigen Argumenten leiten
        lassen und diesen Gesetzentwurf zurücknehmen.
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ei-
        nige Verhaltensweisen von Mitgliedern des Deutschen
        Bundestags in der letzten Zeit waren der Auslöser für
        Gespräche über mögliche oder notwendige Änderungen
        in unserer Geschäftsordnung. Ziel dieser Gespräche im
        Geschäftsordnungsausschuss war es, das Ordnungsgeld
        einzuführen, um das bestehende System aus Sach- und
        Ordnungsruf sowie der Wortentziehung einerseits und
        eines Sitzungsausschlusses andererseits sinnvoll zu er-
        gänzen. Eingeführt werden sollte ein Sanktionsmecha-
        nismus, der auf nicht nur geringfügige Ordnungsstörun-
        gen angemessen reagieren kann, ohne gleich auf die
        Ultima Ratio des Sitzungsausschlusses zurückgreifen zu
        müssen. Es sollte nicht mit Maßnahmen gegen Abgeord-
        nete aufgesattelt werden, und es sollten auch keine
        neuen Gründe für solche Maßnahmen hinzukommen.
        Das Ordnungsgeld sollte dem Präsidenten ermöglichen,
        situationsangemessen reagieren zu können, ohne zu
        schnell zum schärfsten Mittel, dem Ausschluss von der
        parlamentarischen Arbeit, greifen zu müssen. Dieses
        Ziel ist mit der Einführung des Ordnungsgeldes als mitt-
        lerer Stufe des Eingreifens des Präsidenten erreicht.
        Bünd-nis 90/Die Grünen begrüßt dies.
        So weit, so gut. Leider haben die Fraktionen der
        CDU/CSU, der FDP und der SPD sich im Geschäftsord-
        nungsausschuss damit nicht begnügt. Vielmehr wurde
        – ohne Not und ohne Sinn – die Gelegenheit genutzt, um
        – sozusagen durch die Hintertür – auch noch einen völlig
        neuen Grund für ein Eingreifen des Präsidenten gegen
        einen Abgeordneten einzuführen: die „Verletzung der
        Würde des Bundestags durch Abgeordnete“.
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        Diese Neuerung hat in der Sache nichts – aber auch
        ar nichts – mit der Einführung des Ordnungsgelds zu
        n. Vielmehr sollen alle Sanktionsmechanismen, ange-
        ngen vom Ordnungsruf bis hin zum Sitzungsaus-
        chluss, mit bei einer „Verletzung der Würde des Bun-
        estags“ greifen. Auch das Abgeordnetengesetz, über
        essen Änderung wir heute beraten, soll nach dem Wil-
        n von Koalition und der SPD um die Sanktionierung
        on Würdeverletzungen des Bundestags erweitert wer-
        en. Dies lehnen wir ab, weil dies völlig entbehrlich und
        r die Freiheit der Abgeordneten sogar tendenziell ge-
        hrlich ist.
        Zuerst zur leidigen Krawattenfrage. Zwar heißt es in-
        oweit in der Begründung des Gesetzentwurfs, dass
        reine Fragen der Kleiderordnung … ausgenommen
        ind, soweit sie nicht allgemeine Regeln des Anstands“
        und ich füge hinzu: damit die Ordnung des Bundestags –
        verletzen“. Aber in Wirklichkeit wird schon heute die
        rawattenlosigkeit bei Abgeordneten, wenn sie im Sit-
        ungsvorstand tätig sind, als ein würdeverletzendes Ver-
        alten angesehen.
        Ich darf aus dem Protokoll des Ältestenrates vom
        6. Dezember 2010 zitieren: „Der Präsident macht deut-
        ch, dass das Präsidium großen Wert darauf lege, dass
        er Sitzungsvorstand der Würde eines obersten Verfas-
        ungsorgans entsprechend gekleidet sei, wozu bei Män-
        ern grundsätzlich das Tragen von Krawatten gehöre.“
        in Schelm, der Böses dabei denkt, dass wir zukünftig
        ielleicht wegen Krawattenlosigkeit als Würdeverletzer
        es Bundestags mit Ordnungsmitteln belangt werden
        önnten!
        Die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von der
        oalition und von der SPD waren bis heute nicht in der
        age zu erklären, was diesen neuen Tatbestand eigent-
        ch wirklich notwendig macht. Es ist bezeichnend, dass
        r sozusagen klammheimlich, ohne ausdrückliche Nen-
        ung im Namen des Gesetzentwurfs, eingeführt wird.
        ie Begründung dafür ist entlarvend. So gestehen die
        raktionen der CDU/CSU, FDP und SPD zu, dass bisher
        Rahmen der Geschäftsordnung des Bundestags eine
        angebliche – Verletzung der Würde des Bundestags
        tets als eine Ordnungsverletzung im Sinne des § 38 GO-
        T angesehen wurde. Es gibt also offensichtlich keine
        ücken, die es mit der neuen Regelung zu füllen gäbe.
        rotzdem sollen künftig das Hochhalten von Transpa-
        nten, das Tragen von Anstecknadeln – hierzu gibt es
        en verräterischen Zusatz: „je nach Gegebenheit oder In-
        alt“ – oder „sonstiges provokatives Verhalten“ – auch
        ies eine reine Leerformel – eine Verletzung der Würde
        es Bundestags, begangen durch Abgeordnete und zu
        hnden durch den Präsidenten, sein.
        Ich will dazu in aller Deutlichkeit sagen: Entweder
        ind solche Verhaltensweisen Störungen der Ordnung
        es Bundestags und damit jetzt schon vom Präsidenten
        u sanktionieren, oder sie sind eben keine Ordnungsstö-
        ngen. Es soll so wohl ganz allgemein bestimmtes – un-
        ebsames – Verhalten und bestimmte Äußerungen von
        bgeordneten unterbunden werden können. Damit be-
        teht die Gefahr, dass Abgeordnete an der freien Aus-
        bung ihres Mandats durch den Präsidenten gehindert
        12164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        (A) )
        )(B)
        werden, dass sie dabei kontrolliert und einer Zensur un-
        terworfen werden, ohne dass sie die Ordnung des Bun-
        destags stören. Eine solche Regelung wird die Zustim-
        mung der Grünen nicht finden – und ich wundere mich,
        weshalb die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen
        der CDU/CSU, FDP und SPD sie vorschlagen. Es kann
        doch nicht ausschlaggebend sein, dass sich gerade die
        Kolleginnen und Kollegen der Linken in letzter Zeit mit
        ihren Aktionen im Hohen Hause unbeliebt gemacht ha-
        ben. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen der Koali-
        tion und der SPD nur zurufen: Bedenken Sie, dass sich
        diese neue Regelung auch einmal gegen sie selbst rich-
        ten kann!
        Anlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien
        der Europäischen Union und zur Anpassung
        nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visa-
        kodex (Tagesordnungspunkt 21)
        Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir beraten heute in
        erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes der Bundesre-
        gierung zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtli-
        nien der Europäischen Union und zur Anpassung natio-
        naler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex. Der
        Gesetzentwurf dient der Umsetzung der folgenden Richt-
        linien in das innerstaatliche Recht: erstens, der Richtlinie
        2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
        vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und
        Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal
        aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom
        24. Dezember 2008, S. 98 – das ist die sogenannte Rück-
        führungsrichtlinie –, und zweitens, der Richtlinie 2009/
        52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
        18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und
        Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehö-
        rige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen, ABl. L
        168 vom 30. Juni 2009, S. 24 – das ist die sogenannte
        Sanktionsrichtlinie. Ferner dient der Gesetzentwurf der
        Anpassung des innerstaatlichen Rechts an die Verord-
        nung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments
        und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex
        der Gemeinschaft.
        Ich möchte zunächst auf die Umsetzung der soge-
        nannten Rückführungsrichtlinie eingehen, die auf die
        Festlegung eines für alle Mitgliedstaaten verbindlichen
        rechtsstaatlichen Mindeststandards bei der Rückführung
        ausreisepflichtiger Ausländer zielt und damit, entgegen
        aller Kritik, ein erster und wichtiger Schritt in Richtung
        einer gemeinschaftlichen Einwanderungspolitik ist. Ein
        großer Teil der in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben
        wird in Deutschland bereits durch das im geltenden Auf-
        enthaltsgesetz vorgesehene Recht der Aufenthaltsbeen-
        digung erfüllt. Von einigen Nichtregierungsorganisatio-
        nen wird der Gesetzentwurf allerdings zum Anlass für
        weitergehende Forderungen zur Reform des Abschie-
        bungsrechts genommen. Gefordert wird beispielsweise
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        ine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Höchst-
        aftdauer von 18 Monaten. Gefordert wird außerdem
        ine Regelung, dass unbegleitete Minderjährige nicht in
        bschiebehaft genommen werden dürfen.
        Die Kritik überrascht nicht. So wurde bereits der
        ichtlinienentwurf von einigen Flüchtlings-, Asyl- und
        enschenrechtsorganisationen als „Richtlinie der
        chande“ verteufelt. Die Kritiker der Richtlinie überse-
        en dabei, dass eine wirkungsvolle Rückführungspolitik
        in notwendiger Bestandteil einer durchdachten und
        laubwürdigen Migrationspolitik ist. Und sie ist – wie
        ollte es anders sein? – ein Kompromiss zwischen natio-
        alen Interessen und humanitären Gesichtspunkten. Sie
        hrt Mindeststandards in allen Mitgliedstaaten ein, vor
        llem bei der Unterbringung der Betroffenen und im
        erfahren sowie beim Rechtsbeistand. Überall dort, wo
        s vorher keine verbindlichen Vorschriften gab, führt die
        msetzung dieser Richtlinie in vielen Bereichen zu einer
        irklichen Verbesserung. So gibt es in der EU momen-
        n neun Länder, die gar keine zeitliche Begrenzung der
        bschiebehaft kennen; jetzt werden es sechs Monate
        ein. Diese Haftzeit kann nur in Ausnahmefällen zwei-
        al um sechs Monate verlängert werden.
        Eine deutliche Verbesserung stellt die Beschränkung
        es Wiedereinreiseverbots auf fünf Jahre dar. 14 Länder
        prechen derzeit längere Wiedereinreiseverbote aus,
        eutschland sogar unbefristete. Das Wiedereinreisever-
        ot führt auch nicht – wie behauptet – die Flüchtlingspo-
        tik ad absurdum. Denn Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie
        ieht ausdrücklich vor, dass das Recht, in den Mitglied-
        taaten nach internationalem Schutz zu suchen, von ei-
        em Wiedereinreiseverbot unberührt bleibt. Übrigens
        ilt das Wiedereinreiseverbot künftig EU-weit. Bisher
        onnte ein Mitgliedstaat Einreiseverbote nur für das ei-
        ene Territorium aussprechen. Dies alles gilt ganz abge-
        ehen von der Möglichkeit, im Einzelfall einen Antrag
        uf nachträgliche Reduzierung der Befristung zu stellen.
        Eine Umsetzung über den Richtlinienentwurf hinaus
        hnen wir ab, da unsere Abschiebungsregelungen richt-
        nienkonform sind und sich in der Praxis bewährt ha-
        en. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zur
        rforderlichkeit der Abschiebungsandrohung und zur
        bschiebehaft lehnen sich eng an die Formulierungen in
        er Rückführungsrichtlinie an und tragen darüber hinaus
        uch Forderungen insbesondere der Kirchen, der Flücht-
        ngsorganisationen und der Integrationsbeauftragten
        echnung.
        Die Regelungen zur Abschiebehaft übernehmen die
        orgaben der Richtlinie zum Teil ausdrücklich; zum Bei-
        piel gibt es die Abschiebehaft nur als Ultima Ratio und
        r Minderjährige sowie Familien mit Minderjährigen
        ur in Ausnahmefällen, und die Berücksichtigung alters-
        pischer Belange minderjähriger Abschiebungsgefan-
        ener ist gewährleistet. Auf weitere Vorgaben der Richt-
        nie wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ver-
        iesen, zum Beispiel darauf, dass Gelegenheit zu
        ltersgerechtem Spielen zu geben ist und dass es Zugang
        u Bildungsangeboten geben muss. Ich habe keine Zwei-
        l daran, dass diese Umsetzung den europarechtlichen
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12165
        (A) )
        )(B)
        Vorgaben genügt und die Interessen der Betroffenen hin-
        reichend wahrt.
        Kritisiert wird ferner, dass keine ausdrückliche Um-
        setzung der in Art. 8 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie
        enthaltenen Verpflichtung zur Schaffung eines Systems
        zur Überwachung von Rückführungen – das ist das soge-
        nannte Monitoring – erfolgt sei. Unter anderem haben
        die Kirchen vorgeschlagen, die Überwachungspflicht im
        Gesetz festzuschreiben und darüber hinaus in der Be-
        gründung zum Gesetz eine Bezugnahme auf das beste-
        hende System der Abschiebungsbeobachtungsstellen
        aufzunehmen. An den Flughäfen Frankfurt, Düsseldorf
        und Hamburg bestehen bereits Abschiebungsbeobach-
        tungsstellen, die von den Kirchen und anderen Nichtre-
        gierungsorganisationen getragen werden; sie beobachten
        aufgrund von Vereinbarungen mit den Bundespolizeiin-
        spektionen der Flughäfen die Durchführung von Rück-
        führungen auf dem Luftweg. Bei der Unionsfraktion und
        bei der Bundesregierung bestehen Vorbehalte gegen die
        Schaffung einer Rechtsgrundlage und damit einer recht-
        lichen Absicherung der Rückführungsüberwachung.
        Eine solche Regelung widerspräche aus Sicht der Frak-
        tion dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass staatliche
        Machtausübung durch die Gerichte, nicht aber durch
        Nichtregierungsorganisationen kontrolliert wird. Auf
        eine gesetzliche Regelung der Rückführungsüberwa-
        chung wurde daher zu Recht verzichtet. Zudem sind die
        bestehenden verwaltungsinternen Vorkehrungen, auf de-
        nen das System der Abschiebungsbeobachtung beruht,
        zur Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 8 Abs. 6 der
        Rückführungsrichtlinie ausreichend.
        Lassen Sie mich nun noch einige Worte zur sogenann-
        ten Sanktionsrichtlinie und zum Visakodex sagen. So-
        wohl der EU-Visakodex, der das Verfahren zur Erteilung
        von Schengen-Visa innerhalb der EU harmonisiert, als
        auch die Sanktionsrichtlinie verstehen sich als Teilaspekt
        im Kampf gegen illegale Einwanderung. Diese Maßnah-
        men sollen wiederum Teilgrundlage in einer umfassen-
        den Einwanderungspolitik werden. Illegale Einwande-
        rung wird durch die Möglichkeit, ein illegales
        Beschäftigungsverhältnis in der EU eingehen zu können,
        begünstigt. Die illegale Beschäftigung illegaler Einwan-
        derer stellt damit einen wesentlichen „Pullfaktor“ dar.
        Deshalb benötigen wir in allen EU-Mitgliedstaaten ver-
        gleichbare Sanktionen für die Beschäftigung von illegal
        eingereisten Personen. Die Umsetzung der Richtlinie
        dient diesem Erfordernis.
        Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch ein paar
        Worte an die selbsternannten Menschenrechtler unter Ih-
        nen richten: Ich verstehe, wenn sich Nichtregierungsor-
        ganisationen und Kirchen über die teils strikten Regelun-
        gen der Richtlinien und die Eins-zu-eins-Umsetzung
        durch die Bundesregierung enttäuscht zeigen. Aber was
        ist die Alternative? Nicht jeder, der in Europa Zuflucht
        sucht, ist auch tatsächlich schutzbedürftig. Dass eine il-
        legale Zuwanderung schon allein aufgrund der nach-
        drängenden Massen nicht einfach akzeptiert werden
        kann, hat jeder Nationalstaat schon lange für sich ent-
        schieden. Insbesondere aus Frankreich und Italien hören
        wir in regelmäßigen Abständen immer wieder Rufe nach
        restriktiveren Abschieberegelungen. Abgeschoben wird
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        allen europäischen Staaten – aber eben unter verschie-
        enen Voraussetzungen und Bedingungen. Es einfach
        abei zu belassen, wäre die denkbar schlechteste aller
        arianten gewesen – erst recht im Sinne der illegal ein-
        ereisten Menschen.
        Ich bin überzeugt, dass das Gesetzespaket, dass wir in
        orm der Umsetzung der diesem Gesetzentwurf zu-
        runde liegenden Richtlinien geschnürt haben, eine gute
        rundlage für weitere legislative Schritte auf dem Weg
        u einer gemeinsamen Einwanderungspolitik ist.
        Rüdiger Veit (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz-
        ntwurf sollen zwei Richtlinien der Europäischen Union
        mgesetzt werden: einmal die Richtlinie 2008/115/EG
        es Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. De-
        ember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren
        den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhälti-
        er Drittstaatsangehöriger – die sogenannte Rückfüh-
        ngsrichtlinie – und die Richtlinie 2009/52/EG des Eu-
        päischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009
        ber Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen
        egen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne recht-
        äßigen Aufenthalt beschäftigen – die sogenannte Sank-
        onsrichtlinie. Die Umsetzungsfrist für die Rückfüh-
        ngsrichtlinie ist am 24. Dezember 2010 abgelaufen;
        ie ist mithin jetzt geltendes innerstaatliches Recht. Da-
        r, sich an ihre „Umsetzung“ zu machen, ist es also al-
        rhöchste Zeit – wenn man die Regelungen der Richtli-
        ie begrenzen will. Und das wollen die Regierungs-
        aktionen ganz offensichtlich, wie der vorgelegte Ge-
        etzentwurf aufzeigt.
        In Art. 11 Abs. 2 RL 2008/115/EG wird festgelegt,
        ass für abgeschobene Personen ein Wiedereinreisever-
        ot ergeht: „Die Dauer des Einreiseverbotes wird in An-
        etracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festge-
        etzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre“.
        ie Formulierung „wird … festgesetzt“ macht dabei
        eutlich, dass die Befristung des Einreiseverbotes von
        mts wegen erfolgen muss und ein Antrag hierfür nicht
        rforderlich ist. Anders steht es jedoch in dem von der
        undesregierung vorgelegten Gesetzentwurf. Dort wird
        war auf den Einzelfall abgestellt und eine Befristung
        er Wiedereinreisesperre von maximal fünf Jahren fest-
        elegt; allerdings erfolgt eine solche Befristung wie bis-
        ng nach in Deutschland üblicher Praxis nur auf Antrag
        es Betroffenen. Ohne einen Antrag gilt sie quasi ein Le-
        en lang. Das ist aber mit der Richtlinie 2008/115/EG
        icht vereinbar.
        Kapitel IV der RL 2008/115/EG gibt vor, wann eine
        haftnahme zum Zwecke der Abschiebung zulässig ist
        nd unter welchen Bedingungen diese erfolgen darf. Zu-
        ächst ist hier festzuhalten und noch einmal ganz deut-
        ch zu machen, dass die Abschiebehaft allein eine Ul-
        ma-ratio-Regelung sein kann, die erst dann ergriffen
        erden darf, wenn keine anderen gleich wirksamen
        öglichkeiten gegeben sind. Und wenn man dann zum
        ittel der Abschiebehaft greift, muss immer beachtet
        erden, dass die Abschiebehaft nur und ausschließlich
        ie physische Anwesenheit garantieren soll und dass sie
        eder einen Straf- noch Abschreckungscharakter haben
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        darf; schließlich geht es bei der Inhaftnahme um einen
        der schwersten Grundrechtseingriffe überhaupt: den Ent-
        zug der Freiheit.
        Gemäß Art. 16 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie hat
        die Abschiebehaft grundsätzlich in speziellen Haftein-
        richtungen zu erfolgen. Damit soll ausgeschlossen wer-
        den, dass Abschiebehäftlinge in regulären Strafvollzugs-
        anstalten festgehalten werden. Von dieser Voraussetzung
        darf nach der RL 2008/115/EG eine Ausnahme gemacht
        werden, wenn „in einem Mitgliedstaat solche speziellen
        Einrichtungen nicht vorhanden“ sind. In „Umsetzung“
        der Richtlinie normiert § 62 a Abs. 1 AufenthG-E in
        Satz 1 zwar, dass „die Abschiebungshaft grundsätzlich
        in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen“ wird, in
        Satz 2 steht dann allerdings, dass für den Fall, wenn
        „spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden“
        sind, die Abschiebungshaft „in diesem Land“ auch „in
        sonstigen Haftanstalten vollzogen werden“ kann.
        Die Rückführungsrichtlinie meint mit „Mitgliedstaat“
        in unserem Fall Deutschland und nicht etwa das Bundes-
        land Hessen oder Berlin oder sonstiges. § 62 a Abs. 1
        Satz 2 AufenthG-E liest sich aber genau so, als würde es
        darauf ankommen, ob in einem Bundesland spezielle
        Einrichtungen für Abschiebehäftlinge vorhanden sein
        müssten, und, wenn dies nicht der Fall ist, die Abschie-
        behaft in diesem Bundesland auch in allgemeinen Straf-
        vollzugsanstalten zulässig sei. Damit verkennt der Ge-
        setzentwurf der Bundesregierung die Intention der
        Rückführungsrichtlinie und dehnt die Ausnahmereglung
        des Art. 16 Abs. 1 in unzulässiger Weise aus.
        Im Ausnahmefall, in dem die Unterbringung nicht in
        speziellen Abschiebeeinrichtungen möglich ist, muss ge-
        mäß der Richtlinie die Unterbringung der „in Haft ge-
        nommenen Drittstaatsangehörigen gesondert von den
        gewöhnlichen Strafgefangenen“ erfolgen. Sinn und
        Zweck dieser Regelung kann allein sein, die auf ihre Ab-
        schiebung wartenden Drittstaatsangehörigen vor einer
        Kriminalisierung und Stigmatisierung durch die Zusam-
        menlegung mit gewöhnlichen Strafgefangenen zu schüt-
        zen. Dies ist nicht nur insbesondere für Minderjährige
        und Familien von besonderer Bedeutung, sondern vor al-
        lem auch für traumatisierte und psychisch schwer ge-
        schädigte Menschen von großer Wichtigkeit. Diese
        Menschen werden durch die eventuelle Zusammenle-
        gung mit normalen Straftätern noch weiter traumatisiert
        und psychisch destabilisiert; nach einer langen Flucht
        muss ihnen die Inhaftierung in einem deutschen Strafge-
        fängnis wie eine nicht mehr zu erklärende Endstation
        vorkommen. Den Bedürfnissen besonders schutzbedürf-
        tiger Personen muss jedoch gemäß Art. 16 Abs. 3 der RL
        2008/115/EG Rechnung getragen werden. Am sinnvolls-
        ten wäre hier sicherlich eine vorherige psychologische
        Untersuchung zur Feststellung, ob die oder der Dritt-
        staatsangehörige überhaupt haftfähig ist.
        Schließlich normiert Art. 17 der Rückführungsrichtli-
        nie besondere Regeln im Umgang mit der Inhaftierung
        von Minderjährigen und Familien. Hierzu betont die
        Richtlinie in Abs. 1, dass bei diesen Personengruppen
        das Mittel der Abschiebehaft „nur im äußersten Falle
        und nur für die kürzest mögliche angemessene Dauer“
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        ingesetzt werden darf. Weiter macht die Richtlinie in
        rt. 17 Abs. 3 dann sehr konkrete Angaben darüber, wie
        ie Ausgestaltung der Haft – wenn sie denn als Ulitma
        tio angewandt wird – aussehen muss. In der Richtlinie
        teht, dass die Jugendlichen „Gelegenheit zu Freizeitbe-
        chäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und
        rholungsmöglichkeiten und … Zugang zu Bildung er-
        alten“ müssen. Art. 17 Abs. 4 der Richtlinie fordert
        eiter ebenfalls sehr konkret, dass unbegleitete Minder-
        hrige in Einrichtungen untergebracht werden müssen,
        ie personell und materiell in der Lage sind, auf die spe-
        iellen altersgemäßen Bedürfnisse dieser Personen-
        ruppe einzugehen. Insbesondere das Erfordernis der
        ersonellen Kapazität verweist auf das Erfordernis, dass
        ädagogisch geschultes Personal institutionell vorhan-
        en sein muss.
        Zwar verweist der Gesetzentwurf in § 62 a Abs. 3 all-
        emein auf Art. 17 der Rückführungsrichtlinie. Es ist je-
        och unklar, ob hiermit Art. 17 Abs. 3 oder 4 umgesetzt
        erden soll. In der Begründung findet sich dazu Folgen-
        es: „Um den spezifischen Bedürfnissen minderjähriger
        usländer nach § 62 a Abs. 3 Rechnung zu tragen, soll
        iesen zum Beispiel Gelegenheit zu altersgerechtem
        pielen und zur Erholung gegeben werden.“ Zum einen
        t dies jedoch gegenüber Art. 17 III RL 2008/115/EG
        benfalls unvollständig, weil der Verweis auf den not-
        endigen Bildungszugang fehlt. Zum anderen ist eine
        rläuterung in der Begründung keine ausreichende
        ichtlinienumsetzung. Diese muss im Gesetzestext vor-
        enommen werden.
        Über die personelle Ausgestaltung von Einrichtun-
        en, in denen unbegleitete Minderjährige inhaftiert wer-
        en, findet sich in § 62 a AufenthG-E nichts.
        Alle Maßnahmen die Inhaftnahme von Minderjähri-
        en betreffend sind an Art. 17 Abs. 5 Rückführungricht-
        nie zu prüfen. Dieser besagt, dass „dem Wohl des Kin-
        es … Vorrang“ einzuräumen ist. Ein Hinweis auf
        iesen wichtigen Maßstab fehlt ebenfalls in § 62 a
        ufenthG-E.
        Neben der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie
        oll der Gesetzentwurf die Sanktionsrichtlinie dem in-
        erstaatlichen Recht anpassen. Bei der Umsetzung feh-
        n vor allem Regelungen für den Fall, dass ein illegaler
        rbeitnehmer um seinen Lohn geprellt wird und diesen
        inklagen möchte. Für diesen Fall sieht Art. 6 II RL vor,
        ass die Mitgliedstaaten Verfahren einrichten müssen,
        ie es illegal aufhältigen Ausländern ermöglichen, An-
        prüche auf ausstehenden Lohn und ausstehende Sozial-
        ersicherungsbeiträge gegen ihren Arbeitgeber geltend
        u machen. Dies soll entweder dadurch geschehen, dass
        er Arbeitnehmer selber seinen Lohn einklagt, oder aber
        adurch, dass er sich an eine zuständige Behörde des be-
        effenden Mitgliedstaats wendet, um ein Verfahren mit
        em Ziel einzuleiten, die ausstehenden Vergütungen ein-
        uziehen, ohne selbst einen Anspruch geltend machen zu
        üssen. Ein solches Verfahren ist im Gesetzentwurf der
        undesregierung nicht vorgesehen. Theoretisch ist es
        ach wie vor denkbar, dass ein Illegaler vor dem Ar-
        eitsgericht ein Verfahren einleitet. In der Praxis schei-
        rt die Geltendmachung eines solchen Anspruches aber
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12167
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        zumeist daran, dass die Betroffenen aus Angst vor der
        Aufdeckung ihres Status und der daraufhin zu befürch-
        tenden Abschiebung davon absehen, eine solche Klage
        zu erheben; Denn der Arbeitsrichter ist gemäß § 87 II
        AufenthG übermittlungspflichtig an die Ausländerbe-
        hörden.
        Mittlerweile sind die Übermittlungspflichten für den
        Bereich der Gesundheit zumindest in den Verwaltungs-
        vorschriften eingeschränkt worden, sodass Illegale ohne
        Angst vor der sofortigen Abschiebung den Gang zum
        Arzt wagen können, bevor sie im schlimmsten Fall un-
        heilbar krank sind. Dass die Übermittlungspflichten für
        Kindergärten, Schulen und sonstige Jugendfreizeitein-
        richtungen eingeschränkt werden müssen, so wie es in
        vielen Bundesländern Praxis ist, ist mittlerweile wohl
        politischer Konsens quer durch alle Fraktionen.
        Für eine effektive Umsetzung von Art. 6 II RL wäre
        daher mindestens eine spezielle Ausnahme für Arbeits-
        gerichte in den hier relevanten Fällen von der Übermitt-
        lungspflicht des § 87 II AufenthG geboten. Eine Lösung,
        die diese ebenso wie andere Fallkonstellationen auf-
        greift, hat die SPD-Bundestagsfraktion in Bundestags-
        drucksache 17/56 vorgeschlagen. Wir bitten aus diesen
        Gründen ausdrücklich um Ihre Unterstützung für unse-
        ren Entwurf.
        Den vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung
        empfehle ich jedoch aus den genannten Gründen abzu-
        lehnen.
        Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der Gesetzent-
        wurf dient der Umsetzung einiger wichtiger Richtlinien
        im Bereich des Ausländer- und Aufenthaltsrechts; insbe-
        sondere die Rückführungs- und die Sanktionsrichtlinie
        sind hier zu nennen.
        Die FDP-Bundestagsfraktion hat die Rückführungs-
        richtlinie begrüßt. Anders als zum Beispiel die Kollegen
        von der Linken sehen wir hier einen großen Fortschritt:
        Erstmals gibt es innerhalb Europas gleiche Mindeststan-
        dards im Bereich der Rückführung. Reflexartig wird die
        Richtlinie verteufelt. Aber sie ist ein großer Fortschritt für
        die Betroffenen. Und das ist entscheidend – nicht die poli-
        tische Polemik der Linken.
        Die Rückführungs-RL hätte bereits zum Ende letzten
        Jahres umgesetzt werden müssen. Die sorgfältige Ab-
        stimmung des Gesetzentwurfes innerhalb des BMI mit
        den anderen Ressorts und insbesondere auch die inten-
        sive Beteiligung der Verbände zeigt, dass die Bundesre-
        gierung große Sensibilität in diesem Themenbereich
        zeigt. Dies ist auch richtig: Gerade die Abschiebungshaft
        greift tief in Grundrechte ein und muss daher besonders
        austariert werden. Für die FDP-Bundestagsfraktion war
        immer wichtig, dass diese nur letztes Mittel sein kann
        und sein darf. Nach unserer Überzeugung wurde bei dem
        Gesetzentwurf dieser Haltung Rechnung getragen.
        Die Koalitionsfraktionen haben sich entschieden, den
        Gesetzentwurf parallel einzubringen, da die Frist zur
        Umsetzung bereits verstrichen ist. Ein Vertragsverlet-
        zungsverfahren wegen besonders sorgfältigen Abwägens
        sollte der Bundesregierung nicht aufgebürdet werden.
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        ies bedeutet jedoch nicht, dass der Gesetzentwurf in
        ieser Form verbleiben muss. Sicherlich wird es dazu
        ine Anhörung im Innenausschuss geben, die meiner
        nsicht nach so bald wie möglich stattfinden sollte, da-
        it wir das Gesetzesvorhaben noch vor der Sommer-
        ause abschließen können.
        Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, die aus
        icht der FDP-Bundestagsfraktion im Rahmen des Ge-
        etzentwurfes nochmals näher zu betrachten sind:
        Das Kindeswohl muss Priorität haben. Der Gesetzent-
        urf ist in Bezug auf die Abschiebungshaft bei Minder-
        hrigen sehr ausgewogen. Allerdings gibt es doch Stel-
        n, an denen Kritik insbesondere von Kirchen erhoben
        ird. Hier wird zu klären sein, ob eventuell klarere For-
        ulierungen hilfreich sein könnten, um auch das Anlie-
        en der Regierungskoalition, das Kindeswohl prioritär
        ur Geltung zu bringen, vollumfänglich zu gewährleis-
        n.
        Das Kindeswohl ist für die schwarz-gelbe Koalition
        entral. Dies zeigt sich bereits in der Rücknahme des
        orbehalts zur Kinderrechtskonvention. Keine Vorgän-
        erkoalition hatte dies zustande gebracht. Mit der Rück-
        ahme des Vorbehalts kann selbstverständlich der Ein-
        atz für das Kindeswohl noch nicht abgeschlossen sein.
        ielmehr muss der Gesetzgeber bei allen Rechtsakten
        arauf achten, dass dieses entsprechend Maßstab ist.
        Abschiebungen sind im Ausländerrecht notwendig;
        ie Abschiebungshaft ist aus Sicht der FDP-Bundestags-
        aktion auch notwendiges Mittel zur Durchsetzung des
        usländerrechts. Allerdings muss man bei einem derart
        ensiblen Bereich als Gesetzgeber und als Vollziehende
        öglichst alles unternehmen, um für eine angemessene
        urchführung, Transparenz und Akzeptanz zu sorgen.
        Den Vorschlag insbesondere der Kirchen, die Ab-
        chiebebeobachtung als Möglichkeit ins Gesetz aufzu-
        ehmen, halte ich aus diesem Grund durchaus für über-
        genswert. Diese ist bereits erprobt und hat sich
        ewährt. Wir müssen dabei zum einen an die Betroffe-
        en denken, für die die Abschiebebeobachtung zur Beru-
        igung beitragen kann, zum andern aber auch an diejeni-
        en, die die Abschiebung durchzuführen haben. Diese
        erden oftmals in der Öffentlichkeit vollkommen zu
        nrecht verunglimpft. Gerade denen kann die Abschie-
        ebeobachtung auch helfen.
        Dass nun explizit vorgesehen ist, dass Abschiebehäft-
        nge in separaten Einrichtungen untergebracht werden
        ollen, begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion ausdrück-
        ch. Die Unterbringung in normalen Gefängnissen kann
        rundsätzlich nicht hingenommen werden.
        Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie ist für uns
        uch Anlass, das Vorhaben im Koalitionsvertrag, die Ab-
        chiebehaftbedingungen zu evaluieren, anzugehen.
        Wir möchten auch die sozialrechtlichen Vorschriften,
        ie beim Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz nicht mehr
        ntergebracht werden konnten, nun einflechten.
        Uns liegt des Weiteren noch ein Vorhaben des Koali-
        onsvertrages am Herzen. Dort ist Folgendes vereinbart:
        Wir werden die aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungs-
        12168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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        pflichten öffentlicher Stellen dahin gehend ändern, dass
        der Schulbesuch von Kindern ermöglicht wird.“ Es ist
        ein humanitärer Fortschritt, wenn wir die aufenthalts-
        rechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen
        ändern, um den Schulbesuch von Kindern zu gewähr-
        leisten. Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Inte-
        gration und persönlichen Erfolg.
        Wir werden in den kommenden Wochen in der Koali-
        tion über diese und weitere Änderungen verhandeln. Die
        Anhörungsergebnisse sollen ebenso Grundlage für die
        weiteren Überlegungen sein. Ich bin mir angesichts der
        erfolgreichen Verhandlungen innerhalb der Koalition un-
        ter anderem zum Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz si-
        cher, dass wir auch hier wichtige Weichenstellungen er-
        reichen werden.
        Um die illegale Beschäftigung von Ausländern zu
        verhindern bzw. zu sanktionieren, fordert die Sanktions-
        richtlinie im Wesentlichen die Ausdehnung der Arbeit-
        geberhaftung auf Generalunternehmer und zwischenge-
        schaltete Unternehmer, erhöhte Nachweispflichten für
        Arbeitgeber und die Einführung von zwei neuen Straftat-
        beständen.
        Darüber hinaus ist ein befristeter Aufenthaltstitel für
        Opfer illegaler Beschäftigung einzuführen, um ihre Mit-
        wirkung als Zeugen im Strafverfahren zu ermöglichen.
        Wegen einiger Regelungen des Visakodex (insbeson-
        dere zur Erforderlichkeit der Begründung von Visumver-
        sagungen sowie zur Anfechtbarkeit der Visumversa-
        gung) sind im Wesentlichen Anpassungen der Form- und
        Verfahrensvorschriften des Aufenthaltsgesetzes notwen-
        dig.
        Im Zusammenhang mit den genannten Anpassungen
        an europäische Rechtsakte werden zur Klarstellung und
        zur Bereinigung von Unstimmigkeiten technische und
        redaktionelle Anpassungen aufenthaltsrechtlicher Vor-
        schriften vorgenommen, die sich auf unterschiedliche
        Regelungsbereiche des Aufenthaltsgesetzes, das AZR-
        Gesetz, die Aufenthaltsverordnung und die AZRG-
        Durchführungsverordnung erstrecken.
        Deutschland verändert sich. Die neue Bundesregie-
        rung wird diese Veränderung gestalten – ohne Ideologie
        und vorurteilsfrei.
        Migration und Integration stellen Deutschland vor
        neue Herausforderungen. Sie bieten aber auch neue
        Chancen. Die Koalition hat sich auf eine konsequente
        Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland und eine
        aktive Integrationspolitik geeinigt. Wir wollen eine neue
        Kultur des Willkommens, die nicht falsche Versprechun-
        gen auf Kosten anderer Leute macht, sondern Chancen
        und Perspektiven eröffnet für die, die nicht nur „territo-
        rial“ nach Deutschland kommen, sondern auch mit ihrer
        Kultur in unserem Land sowie unserer Gesellschaft mit
        ihren Grundwerten ankommen wollen.
        Wir halten es nicht wie die Grünen oder Linken für
        unzumutbar, Deutsch zu lernen, wir halten Zuwanderer
        nicht für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, de-
        nen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden
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        ann und die auf Generationen hinaus mit dem Unwort
        Migrationshintergrund“ stigmatisiert werden sollen.
        Wir meinen, dass hier endlich ein Umdenken erfolgen
        uss: Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden
        itleids und des Verzichts auf Integrationsforderungen
        uss Deutschland in der Integrationspolitik endlich posi-
        v denken. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung
        r diejenigen, die das geschafft haben. Wir halten inte-
        rierte Zuwanderer mit ihren Erfahrungen für eine große
        ereicherung unserer Gesellschaft. Wir beglückwün-
        chen diejenigen, die sich erfolgreich integriert haben.
        ie können stolz auf ihre Leistung sein, und wir sind
        ankbar und stolz, dass sie sich für Deutschland ent-
        chieden haben.
        Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir verhandeln hier heute
        erster Linie die Umsetzung zweier EU-Richtlinien in
        as deutsche Aufenthaltsrecht. Die eine Richtlinie ist in-
        rnational als Abschieberichtlinie zu trauriger Berühmt-
        eit gelangt. Des Weiteren soll die sogenannte Sank-
        onsrichtlinie umgesetzt werden. Damit werden Strafen
        egen Arbeitgeber, die Menschen ohne Aufenthalts- und
        rbeitserlaubnis beschäftigen, zur Pflicht. Zudem sollen
        ie Betroffenen die Möglichkeit erhalten, als Zeugen ge-
        en ausbeuterische Arbeitgeber aufzutreten und ausste-
        enden Lohn einzuklagen.
        Im Rahmen der Umsetzung der Sanktionsrichtlinie
        eht es auch um das Aufenthaltsrecht für die Betroffenen
        usbeuterischer Arbeitsverhältnisse ohne Aufenthaltssta-
        s. Hier gibt es dringenden Änderungsbedarf. Wie
        chon bei den Opfern von Menschenhandel und Zwangs-
        rostitution soll das Aufenthaltsrecht für diese Men-
        chen begrenzt und davon abhängig gemacht werden, ob
        ie Mitwirkung der Betroffenen in einem strafrechtli-
        hen Verfahren erforderlich ist. Das ist eine strafrechtli-
        he Instrumentalisierung von Menschen, die nicht selten
        ilfe und Beistand benötigen. Noch schlimmer: Die Be-
        offenen können sich nicht einmal sicher sein, ob ihre
        ussagebereitschaft auch zu einer Aufenthaltserlaubnis
        hrt, weil die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im
        rmessen der Ausländerbehörde steht. Den Opfern aus-
        euterischer Arbeitsverhältnisse wird klargemacht, dass
        an sie so schnell wie möglich wieder loswerden will:
        ie können zur Ausreise verpflichtet werden, obwohl sie
        usstehenden Lohn noch nicht erhalten haben. Wenn sie
        leiben dürfen, erhalten sie lediglich abgesenkte Sozial-
        istungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ob-
        ohl sich strafrechtliche Prozesse wegen Menschenhan-
        el und illegaler Beschäftigung über Jahre hinziehen
        önnen. In dieser Zeit können die Betroffenen damit
        uch kaum therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
        Die Linke fordert ein bedingungsloses Bleiberecht für
        iese Menschen und ihre Familien. Sie dürfen nicht ein
        weites Mal zu Opfern werden, indem man sie für Straf-
        rozesse instrumentalisiert.
        Noch weitaus erschreckender ist die Umsetzung der
        bschieberichtlinie durch die Koalition. Zunächst will
        h Folgendes vorausschicken: Die Linke lehnt die Ab-
        chiebehaft weiterhin grundsätzlich ab. Sie dient aus-
        chließlich der Durchsetzung einer Verwaltungsmaß-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12169
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        nahme, der Ausreisepflicht. Eine Inhaftierung von
        Menschen zu diesem Zweck ist aus unserer Sicht grund-
        sätzlich unverhältnismäßig. Dass sich nach deutscher
        Rechtslage der Freiheitsentzug über 18 Monate hinzie-
        hen kann, ist inakzeptabel. Diese Höchstgrenze für
        Abschiebehaft von 18 Monaten aber hat die Bundesre-
        gierung auf EU-Ebene durchgesetzt, um an unverhältnis-
        mäßig langen Haftzeiten auch in Deutschland festhalten
        zu können.
        Allerdings enthält die Abschieberichtlinie auch vor-
        gaben, die zu wenigen menschenrechtlichen Verbesse-
        rungen im Vollzug der Abschiebehaft in Deutschland
        führen müssten. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt
        diese Vorgaben gar nicht oder ungenügend um. In Teilen
        verletzt er andere menschenrechtliche Verpflichtungen
        der Bundesrepublik. Darauf will ich im Folgenden ein-
        gehen.
        Der Schutz des Kindeswohls wird im vorliegenden
        Gesetzentwurf schlicht ignoriert. Nach der Rücknahme
        des Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention
        darf die Bundesrepublik ausländische Kinder nicht mehr
        schlechter behandeln als inländische Kinder. Auch für
        die ausländischen Kinder gilt, dass ihr Wohl im Handeln
        der Behörden vorrangig beachtet werden muss. Die
        Abschiebehaft bei Kindern und Jugendlichen ist ein ek-
        latanter Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die UN-Kin-
        derrechtskonvention erlaubt eine Inhaftierung Minder-
        jähriger lediglich bei Straftaten und nur als letztes
        Mittel. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat in
        einem Gutachten klargestellt: Unbegleitete Minderjäh-
        rige dürfen nicht in Abschiebehaft genommen werden.
        Auch für Minderjährige in Begleitung von Erwachsenen
        gilt diese menschenrechtliche Grenze. Auch die in
        Deutschland übliche Inhaftierung eines Elternteils, um
        die Abschiebung der gesamten Familie zu sichern, ver-
        letzt die Verpflichtung zum Vorrang des Kindeswohls, so
        das Gutachten. Das fehlende Verbot der Inhaftierung
        Minderjähriger und ihrer Sorgeberechtigten im Gesetz-
        entwurf ist ein menschenrechtlicher Skandal. Hier
        besteht dringender Handlungsbedarf. Auch die Inhaf-
        tierung Kranker und insbesondere psychisch Traumati-
        sierter und anderer besonders schutzbedürftiger Perso-
        nen muss endlich eindeutig im Gesetzestext untersagt
        werden.
        Es gibt noch einigen weiteren Anpassungsbedarf, um
        wenigstens dieser „Richtlinie der Schande“, wie sie ge-
        nannt wurde, Genüge zu tun. Die Pflicht zur gesonderten
        Unterbringung außerhalb von Strafvollzug und Untersu-
        chungshaft muss wirksam und ausnahmslos umgesetzt
        werden. Die Abschiebehäftlinge müssen kostenlos Zu-
        gang zu Rechtsvertretung und -beratung haben. Die In-
        haftierung von Asylsuchenden, die üblicherweise kein
        Visum erhalten und deshalb illegal einreisen müssen,
        muss wirksam ausgeschlossen werden. Das ist auch eine
        Anforderung aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der
        die Bundesrepublik noch nicht nachgekommen ist.
        Die Koalition muss im weiteren Gesetzgebungsver-
        fahren wenigstens den Anforderungen der Abschiebe-
        richtlinie und der menschenrechtlichen Verpflichtungen
        der Bundesrepublik nachkommen. Ungeachtet dessen
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        leibt Die Linke bei ihrer grundsätzlichen Kritik an der
        bschiebehaft als Instrument einer restriktiven Migra-
        ons- und Flüchtlingspolitik.
        Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        undesregierung legt uns heute einen Gesetzentwurf zur
        msetzung zweier EU-Richtlinien vor, der sehr ängst-
        ch und zurückhaltend ist, wenn es um die rechtliche
        esserstellung von Immigranten geht. Bei der Beseiti-
        ung der Missstände taucht die Bundesregierung ab und
        t ideenlos.
        Der Gesetzentwurf betrifft zum einen die EU-Rück-
        hrungsrichtlinie über gemeinsame Normen und Ver-
        hren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal
        ufhältiger Drittstaatsangehöriger, zum anderen die EU-
        anktionsrichtlinie über Mindeststandards für Sanktio-
        en und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaats-
        ngehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen.
        ie noch im Referentenentwurf enthaltene EU-Hoch-
        ualifiziertenrichtlinie findet sich im Gesetzentwurf
        icht mehr. Offenbar konnte die Bundesregierung sich
        icht über die notwendigen Änderungen bei der Fach-
        räfteeinwanderung einigen. Das ist typisch für diese
        undesregierung: Vor lauter Streit ist sie nicht mehr fä-
        ig zu regieren. Die Rückführungsrichtlinie hätte bis
        pätestens zum 24. Dezember 2010 in deutsches Recht
        mgesetzt werden müssen. Die noch nicht einmal im
        esetzgebungsverfahren befindliche EU-Hochqualifi-
        iertenrichtlinie muss bis Juni 2011 umgesetzt werden.
        Im vorliegenden Gesetzentwurf sind hinsichtlich der
        ückführungsrichtlinie weiterhin Bestimmungen enthal-
        n, die im Vorfeld von allen kirchlichen und gesell-
        chaftlichen Institutionen – zum Beispiel auch dem
        eutschen Institut für Menschenrechte – einhellig kriti-
        iert wurden: Sie betreffen die vorgesehenen Regelun-
        en zur Abschiebehaft, insbesondere von Minderjähri-
        en. Diese soll – wenn auch mit Einschränkungen –
        eiterhin zulässig sein. Aus unserer Sicht ist das höchst
        roblematisch. Auch das Deutsche Institut für Men-
        chenrechte betont in einer jüngst erschienenen Studie,
        ass „es unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechts-
        onvention (KRK) menschenrechtlich unzulässig ist,
        bschiebehaft gegenüber unbegleiteten Minderjährigen
        nzuordnen“.
        Problematisch ist auch die fehlerhafte Umsetzung der
        ückführungsrichtlinie zum Vollzug der Abschiebehaft.
        ie Richtlinie lässt nämlich die Unterbringung von Ab-
        chiebehäftlingen in gewöhnlichen Haftanstalten allen-
        lls dann zu, wenn in einem Mitgliedstaat spezielle
        afteinrichtungen nicht vorhanden sind. In Deutschland
        ibt es diese jedoch in mehreren Bundesländern. Die
        usnahmeregelung bezieht sich auf EU-Mitgliedstaaten,
        denen es keine speziellen Hafteinrichtungen gibt,
        icht auf deutsche Bundesländer, wie im Gesetzentwurf
        er Bundesregierung vorgesehen. Die weitere Unterbrin-
        ung von Abschiebungshäftlingen in Strafhaftanstalten
        t demnach unzulässig. Auch die Schaffung gesonderter
        rakte in Justizvollzugsanstalten reicht nicht aus. Denn
        inter der Regelung des Art. 16 Abs. 1 der Rückfüh-
        ngsrichtlinie steht die Erkenntnis, dass Abschiebungs-
        (A) (C)häftlinge nicht wie Straftäter behandelt und dementspre-
        chend auch nicht den Strafvollzugsregelungen
        unterworfen werden dürfen. Die Regierung scheint ver-
        gessen zu haben, dass es sich bei der Abschiebehaft
        nicht um Strafhaft zur Ahndung strafrechtlicher Delikte
        handelt. Zweck der Abschiebehaft ist einzig die Durch-
        führung der Abschiebung. Deswegen wäre es auch rich-
        tig und wichtig gewesen, anlässlich der Umsetzung der
        Rückführungsrichtlinie die Höchstdauer der Abschiebe-
        haft von 18 Monaten deutlich zu verkürzen. Denn die
        Möglichkeit, einem Menschen für 18 Monate allein zur
        Durchführung der Abschiebung die Freiheit zu entzie-
        hen, wird dem Gebot größtmöglicher Verfahrensbe-
        schleunigung und dem Grundsatz der Verhältnismäßig-
        keit nicht gerecht.
        Bedauerlicherweise wird in dem vorgelegten Gesetz-
        entwurf die Gelegenheit nicht wahrgenommen, auch
        andere durch europäisches Recht notwendig gewordene
        Änderungen bzw. Klarstellungen vorzunehmen. So er-
        scheint es dringend geboten, gemäß Art. 13 der Rück-
        führungsrichtlinie, der die Gewährung effektiven
        Rechtsschutzes fordert, endlich den einstweiligen
        Rechtsschutz in Verfahren nach der Dublin-II-Verord-
        nung zu ermöglichen. Ich verweise insofern auf die
        Grundsatzentscheidung des EGMR vom 21. Januar 2011
        im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland,
        Beschwerde Nr. 30696/09. Seit den mit dem 1. EU-
        Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführten Ände-
        rungen wurde über § 34 a Abs. 2 AsylVfG der einstwei-
        lige Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Verfahren
        sen. Vom Ausland aus kann ein effektiver Rechtsschutz
        vor deutschen Verwaltungsgerichten nicht greifen. Ein
        Rechtsbehelf ist nur dann wirksam, wenn irreparable
        Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer ho-
        heitlichen Maßnahme vor deren gerichtlicher Überprü-
        fung eintreten können, soweit als möglich ausgeschlos-
        sen werden können.
        Weiterhin sind gesetzliche Anpassungen, die sich aus
        der Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechts-
        konvention ergeben, in den Gesetzentwurf zu integrie-
        ren. Schließlich hat die Bundesregierung die Gelegen-
        heit verpasst, die Übermittlungspflichten des § 87
        AufenthG einzuschränken, damit statuslose Kinder ihr
        Recht auf Schulbildung auch tatsächlich ausüben kön-
        nen. Ebenso hat die Bundesregierung es unterlassen, die
        Residenzpflicht für Geduldete und Asyl bewerber zu lo-
        ckern. Mit der Residenzpflicht gibt es in Deutschland ein
        bundesweites und in Europa einzigartiges System der
        Aufenthaltsbeschränkung. Diese räumliche Beschrän-
        kung des Aufenthalts auf den Bezirk der zuständigen
        Ausländerbehörde hat diskriminierende Wirkung und
        führt dazu, dass das Recht dieser Personen auf Teil-
        nahme an kulturellen, politischen und religiösen Veran-
        staltungen unzulässig eingeschränkt und der Zugang zu
        einer erforderlichen ärztlichen oder psychologischen Be-
        handlung und zum Arbeitsmarkt wesentlich erschwert
        werden.
        Ich erwarte, dass die Bundesregierung im weiteren
        Gesetzgebungsverfahren die allseitige Kritik ernst
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        Offsetdrucker
        ertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln
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        nach der Dublin-II-Verordnung generell ausgeschlos- n
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        immt und die notwendigen Änderungen vornimmt.
        12170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        ei, Bessemerstraße 83–91, 1
        , Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
        105. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11