Anlage 11
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12111
(A) )
)(B)
kohlebergwerke einen Stilllegungsplan und einen kon-
ferecht bei der EU-Kommission in Brüssel zu erwirken,
folgte ein schlechter Kompromiss, nachdem nun die Re-
visionsklausel ersatzlos gestrichen werden soll. Damit
müssen die wenigen noch bestehenden deutschen Stein-
DIE GRÜNEN
Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Anlage 1
Liste der entschuldigte
*
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Arnold, Rainer SPD 14.04.2011
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Becker, Dirk SPD 14.04.2011
Binding (Heidelberg),
Lothar
SPD 14.04.2011
Bonde, Alexander BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Brinkmann (Hildesheim),
Bernhard
SPD 14.04.2011
Dr. Danckert, Peter SPD 14.04.2011
Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Friedhoff, Paul K. FDP 14.04.2011
Friedrich, Peter SPD 14.04.2011
Gerster, Martin SPD 14.04.2011
Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Kampeter, Steffen CDU/CSU 14.04.2011
Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
Lange (Backnang),
Christian
SPD 14.04.2011
Leutert, Michael DIE LINKE 14.04.2011
Möller, Kornelia DIE LINKE 14.04.2011
Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ 14.04.2011
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
n Abgeordneten
für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
nlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Steinkohlefinanzierungs-
gesetzes (Tagesordnungspunkt 18)
Michael Groß (SPD): Nach den Versäumnissen der
undesregierung, rechtzeitig für den deutschen Stein-
ohlebergbau eine Regulierung im europäischen Beihil-
oth (Esslingen), Karin SPD 14.04.2011
r. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 14.04.2011
chmidt (Eisleben),
Silvia
SPD 14.04.2011
chuster, Marina FDP 14.04.2011*
üßmair, Alexander DIE LINKE 14.04.2011
r. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
lrich, Alexander DIE LINKE 14.04.2011
agner, Daniela BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
einberg, Harald DIE LINKE 14.04.2011
ellmann, Karl-Georg CDU/CSU 14.04.2011*
erner, Katrin DIE LINKE 14.04.2011*
r. Westerwelle, Guido FDP 14.04.2011
inkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2011
olff (Wolmirstedt),
Waltraud
SPD 14.04.2011
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
12112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
kreten Stilllegungszeitpunkt vorlegen, damit weiterhin
Beihilfen gewährt werden können. Mit der jetzigen Lö-
sung der derzeitigen Regierungspolitik müssen Stein-
kohlebergwerke nicht nur rentabel und beihilfefrei arbei-
ten wie andere Unternehmen, sondern sind zusätzlich
verpflichtet, die Beihilfen aus den vergangenen Jahren
zurückzuzahlen.
Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass ange-
sichts weltweiter Rohstoffknappheit, steigenden Ener-
giebedarfs und des Ausstiegs aus der Atomkraft in
Deutschland die Rentabilität deutscher Steinkohleberg-
werke durchaus in naher Zukunft realistisch sein kann.
Die deutschen Bergbaumaschinentechnologie ist welt-
marktführend und genießt hohes internationales Anse-
hen. Der Technologieexport kann einen sinnvollen Bei-
trag zur Wirtschaftlichkeit unserer Steinkohlebergwerke
leisten. Die Sicherheitsstandards sind weltweit vorbild-
lich.
Die heimische Steinkohleförderung liegt zurzeit bei
23 Prozent des bundesweiten Verbrauchs. Zukünftig
wird dieser Bedarf ausschließlich durch Importkohle ge-
deckt werden, die über weite klimaschädliche Transport-
wege nach Deutschland gelangt, Kohle, die billiger auf
den Markt gelangt, da sie in vielen Förderländern unter
menschenunwürdigen und unsicheren Lebens- und Ar-
beitsbedingungen gefördert wird. Die heimische Stein-
kohle weist Lagerstätten hochwertiger Kokskohle auf. In
der Stahlerzeugung ist Kokskohle nicht zu substituieren.
Etwa 18 Prozent des deutschen Stroms wird mit Stein-
kohle produziert. Als Brücke in das Zeitalter der erneu-
erbaren Energien sind hocheffiziente, lastflexible Kohle-
kraftwerke derzeit nicht verzichtbar, bis die Maßnahmen
zu Energieeffizienz greifen und der Strombedarf aus er-
neuerbaren Energien vollständig abdeckt wird.
Im Bergbau und in der Wertschöpfungskette des Stein-
kohlebergbaus bestehen mehr als 10 000 Arbeitsplätze
und kaum ersetzbare Ausbildungsplätze, hauptsächlich
im Kreis Recklinghausen, die jetzt infrage gestellt sind.
Die Änderung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes wird
automatisch zu massiven weiteren sozial- und arbeits-
marktpolitischen Verwerfungen im Kreis Recklinghau-
sen führen.
Dieter Jasper (CDU/CSU): Ich erkläre hiermit, dass
ich dem Gesetz zur Änderung des Steinkohlefinanzie-
rungsgesetzes in der vorliegenden Form nicht zustimme.
Dies möchte ich folgendermaßen begründen:
Mit dem heutigen Gesetzentwurf erfüllt die christlich-
liberale Koalition eine normative Voraussetzung, damit
aus europäischer Sicht in Deutschland ein subventionier-
ter Steinkohlenbergbau bis ins Jahr 2018 ermöglicht
wird und sichergestellt werden kann. Inhaltlich bedeutet
dieser Gesetzentwurf, dass die sogenannte Revisions-
klausel ersatzlos gestrichen wird.
Zum Hintergrund:
Im Jahr 2007 wurde eine kohlepolitische Verständi-
gung getroffen, in der die Bundesregierung, das Land
NRW, das Saarland, die RAG und die IGBCE den sozial-
verträglichen und geordneten Ausstieg aus dem subven-
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onierten Steinkohlebergbau bis zum Jahr 2018 regelten.
iese Vereinbarung beinhaltete auch die sogenannte Re-
isionsklausel, die festlegte, dass dieser Beschluss im
ahr 2012 noch einmal überprüft werden sollte. Völlig
berraschend forderte die Europäische Kommission im
tzten Jahr einen früheren Ausstieg aus der Kohleförde-
ng bis zum Jahr 2014.
Dies hätte für Deutschland und gerade auch für meine
eimatregion dramatische wirtschaftliche und soziale
onsequenzen gehabt. In Ibbenbüren im Tecklenburger
and liegt eine der letzten Steinkohlenzechen in Deutsch-
nd. Hier wird schon seit langer Zeit hochwertige An-
razitkohle gefördert. Diese wird zu einem großen Teil
direkt anliegenden hocheffizienten Kohlekraftwerk
erfeuert und zum anderen Teil für den regionalen Wär-
emarkt verwendet.
Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Berg-
aus für die Stadt Ibbenbüren und die umliegenden Berg-
augemeinden Mettingen, Recke, Hopsten, Hörstel und
esterkappeln ist enorm. In der Bevölkerung und über
lle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg herrscht
ine hohe Akzeptanz. Im Bergbau sind derzeit direkt über
300 Menschen beschäftigt, im Bereich der Zulieferbe-
iebe sind im Laufe der Zeit mehrere Tausend Arbeits-
lätze entstanden. Auch im Bereich der Ausbildung leis-
t die Zeche ganz hervorragende und unverzichtbare
rbeit.
Als der Vorschlag der EU-Kommission bekannt wurde,
hrte dies natürlich zu großer Unruhe und Irritation in
nserer Region. Ein Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau
ereits im Jahr 2014 hätte dazu geführt, dass es zu be-
iebsbedingten Kündigungen gekommen wäre und auch
onst massive wirtschaftliche und soziale Probleme ent-
tanden wären.
In dieser Situation habe ich mich unmittelbar an un-
ere Bundeskanzlerin gewandt und um Hilfe und Unter-
tützung gebeten. Unter Einsatz aller Kräfte und durch
tkräftige Unterstützung des Parlamentarischen Staats-
ekretärs Peter Hintze konnte erreicht werden, dass der
eschluss der EU revidiert wurde. Die Unterstützung
er heimischen Steinkohlenförderung bis ins Jahr 2018
urde unter bestimmten Bedingungen auf europäischer
bene akzeptiert.
Eine dieser Bedingungen für die notwendige europäi-
che Regelung war, dass die Revisionsklausel aus dem
ationalen Gesetz gestrichen und der Ausstieg somit un-
mkehrbar gemacht wird. Dieser Forderung wird mit
em heutigen Gesetzentwurf Genüge getan. Aus euro-
äischer Sicht darf es nach 2018 keinen subventionierten
teinkohlenbergbau in Deutschland mehr geben, sodass
s auch keiner weiteren Prüfung im Jahr 2012 bedarf.
Hier handelt die christlich-liberale Regierungskoali-
on konsequent und richtig, da es an vorderster Stelle
arum geht, die auf europäischer Ebene gefundene Eini-
ung nicht zu gefährden, die nur unter größten Mühen
efunden werden konnte.
Für mich persönlich stellt sich die Situation aber et-
as komplexer dar: Die Revisionsklausel ist juristisch
berflüssig geworden, und ihre Streichung dient dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12113
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Zweck der Bestandssicherung auch des Steinkohlen-
bergbaus bei uns im Tecklenburger Land. Politisch ge-
hört sie aber meines Erachtens auf die Tagesordnung der
zukünftigen Energiepolitik, und deshalb kann ich einer
Streichung nicht zustimmen.
Ich möchte ein deutliches Signal setzen, dass die Zu-
kunftschancen der Steinkohle nicht nur jetzt, sondern
auch nach 2018 erkannt und genutzt werden müssen.
Dazu müssen wir die weitere Entwicklung im Fokus ha-
ben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die heimi-
sche Steinkohle weiterhin als nationale Energiereserve
benötigen und somit den Zugang zu den Lagerstätten er-
halten sollten.
In einem zukunftsorientierten Energiemix brauchen
wir neben den regenerativen Energien auch hochmo-
derne und effiziente Kohlekraftwerke, in denen dann
auch die heimische Steinkohle verströmt werden kann.
Gerade jetzt, wo alle möglichen Energieformen auf
dem Prüfstand stehen und wir uns fragen müssen, wie
eine sichere und bezahlbare Energieversorgung für unser
Land zukünftig gestaltet werden kann, dürfen wir uns
diese Möglichkeit eines heimischen Energieträgers nicht
verbauen.
Grundsätzlich ist es richtig, die jetzt gefundene euro-
päische Vereinbarung endgültig zu ratifizieren.
Aber wir dürfen die weitere wirtschaftliche Entwick-
lung nicht aus den Augen verlieren und müssen uns be-
wusst sein, dass wir in unserem rohstoffarmen Land mit
der Steinkohle einen der ganz wenigen grundlastfähigen
Energieträger verfügbar haben. Diesen sollten wir nicht
vorschnell aufgeben.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Prä-
implantationsdiagnostik (PID)
– Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zu-
lassung der Präimplantationsdiagnostik (Prä-
implantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der
Präimplantationsdiagnostik (Präimplanta-
tionsdiagnostikgesetz – PräimpG)
(Tagesordnungspunkt 3 a bis c)
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Angesichts der anspruchsvollen Debatte will ich nur
kurz mit einigen Bemerkungen begründen, warum ich
ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik ethisch und
verfassungsrechtlich für geboten halte.
In der Debatte wurden gewichtige Gesichtspunkte
vorgetragen, wie zuvörderst der Wunsch der Eltern nach
einem gesunden Kind oder die Gefahr eines Rutsch-
bahneffektes, wenn wir die PID bei bestimmten Erb-
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rankheiten zulassen. Gerade das Schicksal der betroffe-
en Familien treibt uns alle um.
Verfassungsrechtlich und ethisch muss aber meines
rachtens der Schutz des menschlichen Lebens im Mit-
lpunkt stehen und die Frage beurteilt werden, ob er
gf. mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden muss.
Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle ent-
teht menschliches Leben und ist genetisch die Identität
ines Menschen individuell festgelegt. Und jedes
enschliche Leben ist zu schützen. Dies entspricht nicht
ur christlicher Überzeugung, es entspricht – und darauf
ommt es hier an – meines Erachtens der Logik der ers-
n drei Artikel unserer Verfassung und der Logik der
isherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
chtes hierzu.
Oft wird ja die PID-Problematik mit der Abtreibung
erglichen. Dies verbietet sich hier genauso wie bei der
iskussion um embryonale Stammzellen. Die PID ist
ie bewusste und gewollte künstliche Erzeugung von
cht Embryonen zum Zwecke des Aussortierens und
ein existenzieller Konflikt.
In meiner Rede zur Stichtagsregelung für den Import
mbryonaler Stammzellen hatte ich ausgeführt:
Bei der Frage der Abtreibung steht das Leben der
Mutter mit dem Leben des Kindes in einem direk-
ten, unauflösbaren Konflikt. … Die Abtreibung
bleibt auch nach dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zum § 218 StGB Unrecht, auch wenn
sie nicht in jedem Fall strafrechtlich verfolgt wird.
Das ist eine ganz klare ethische Linie. Lediglich bei
den Instrumenten, also dabei, wie wir das menschli-
che Leben in diesen Situationen schützen, hat das
Bundesverfassungsgericht uns, dem Gesetzgeber,
erlaubt, nicht in jedem Fall zum Mittel des Straf-
rechts zu greifen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
und die Vorgabe des Grundgesetzes sind klar. Beim
Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungs-
gericht uns als Gesetzgeber noch einmal ermahnt:
Leben ist nicht gegen Leben abzuwägen; nicht ein-
mal Leben, das wir dem Tod geweiht glauben, darf
geopfert werden, um anderes menschliches Leben
zu retten.
Nun geht es aber bei der PID um eine Abwägung Le-
en gegen Leben Es geht eben nicht um Paare, die ihren
indern das Leid durch eine von ihnen vererbte Krank-
eit ersparen. PID ist keine Diagnose, die eine Behand-
ng zum Ziel hat. Sie wendet nicht Leid von Eltern oder
rem Kind ab, sondern wendet das Kind selbst ab.
Es geht um den Wunsch eines Paares oder einer Frau,
in Kind zu bekommen, das bestimmte genetische Anla-
en nicht aufweist. Es geht um den Wunsch und nicht
as Recht auf ein Kind. Dieser Wunsch verdient unseren
espekt, und die Situation der Betroffenen hat unser al-
r Mitgefühl. Dieser Wunsch darf aber nicht um jeden
reis realisiert werden, nicht um den Preis, dass mensch-
ches Leben zur Disposition gestellt wird und Men-
chen, die Abgeordneten, die Ärzte oder Mitglieder von
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Ethikkommissionen darüber entscheiden, welches men-
schliche Leben noch gelebt werden kann und welches
nicht. Menschen dürfen sich nicht zum Richter über das
Lebensrecht anderer aufschwingen. Wir dürfen nicht
eine Debatte über lebenswertes und weniger lebenswer-
tes Leben bekommen. Deshalb bin ich dafür, die PID ge-
nerell nicht zuzulassen.
Ich verkenne nicht, dass es im Antrag von Priska Hinz
und René Röspel unter anderem um einen anderen An-
satz geht. Man hat dort versucht, die PID auf nicht le-
bensfähiges Leben zu beschränken. Gesetzgeberisch ist
der Vorschlag meines Erachtens in dieser Hinsicht aber
nicht ganz gelungen, und es erscheint mir auch nicht ge-
klärt, ob diese Unterscheidung medizinisch so überhaupt
möglich ist.
Michael Brand (CDU/CSU): Weil wir heute eine
Debatte über eine sehr zentrale Grundsatzfrage mit gro-
ßem Engagement führen, muss es um Klarheit auch bei
den Grundsätzen gehen. Die Argumente werden nach
bestem Wissen und Gewissen vorgetragen.
Dies tue ich heute in großer Klarheit und mit großem
Engagement, weil wir doch alle um uns herum sehen,
was sich aus einer sogenannten begrenzten Ausnahmere-
gelung entwickeln kann. Wer sich heute mit Hinweis auf
die derzeit noch nicht flächendeckenden Risiken in Eu-
ropa optimistisch zeigt, der muss nur einen Blick in die
Prospekte von Reproduktionskliniken mit der Darstel-
lung von Wunschmerkmalen der gewünschten Kinder
werfen. Dort erhält man einen Blick in die Zukunft, und
es ist ein sehr skeptischer Blick.
Es ist zweifelsfrei eine große Belastung, einen Kin-
derwunsch nicht gefahrlos erfüllt zu bekommen. Es ist
aber eine weit größere Belastung, ein Menschenleben
abzutöten, weil es Risiken in sich birgt, und zwar solche,
die entweder in dessen Lebenszyklus geheilt werden
können oder teils gar nicht eintreten, während dieses Le-
ben eben auch mit diesen Merkmalen ein ebenso wert-
volles ist wie das eines jeden Einzelnen von uns.
Wir sprechen bei der PID über jährlich 200 bis
300 Fälle bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen.
Wollen wir einen Grundpfeiler des Schutzes für
menschliches Leben für Millionen von ungeborenen
Kindern aufweichen, hier sozusagen als Einfallstor für
die Selektion menschlichen Lebens, mit dem Risiko,
dass dies schwere Folgen hinsichtlich einer weiteren
Verschlechterung des Schutzes von menschlichem Le-
ben bedeuten kann? Finden wir keine anderen Optionen,
zum Beispiel die Erleichterung von Adoptionen, Hilfe
für Menschen mit Behinderung, psychologische Hilfe
und weitere Ansätze, um diesem Personenkreis zu hel-
fen, eben ohne die Büchse der Pandora zu öffnen, mit al-
len großen Risiken?
Es wird hier immer wieder verlangt, das medizinisch
Mögliche zu unternehmen. Ja, es stimmt, und das gehört
zu einer modernen und menschlichen Gesellschaft: Wir
wollen, wir sollten das medizinisch Mögliche ermögli-
chen. Aber nie, ich wiederhole: nie dürfen wir das mora-
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sch-ethisch Unmögliche nur deshalb möglich machen,
eil es inzwischen medizinisch möglich geworden ist.
Dabei geht es nicht nur um den Druck auf die Frauen,
ich vor einem möglicherweise behinderten Kind durch
essen Selektion zu schützen – übrigens oftmals unter
anften oder auch massiven Druck gesetzt aus dem eige-
en Umfeld oder auch vom Partner. Das gilt auch für den
echtfertigungsdruck nach der Geburt eines behinderten
indes.
Es geht auch um die Frage, ob wir unsere Kinderwün-
che über alles stellen und dabei noch die Kinder nach
ewünschten Eigenschaften auswählen. Niemand ver-
ennt das Leid von Eltern. Unser Respekt, unsere Zunei-
ung geht aber auch zu den Eltern, die sich ihrer Kinder
o annehmen, wie diese Kinder sind, die sie im echten
inne bedingungslos, das heißt ohne Anspruch auf Voll-
ommenheit lieben. Wir dürfen aus behinderten Kindern
ie ein solches Problem machen, dass gar die Selektion
ieser Kinder in Kauf genommen wird.
Es bleibt unverrückbar, dass mit einer weiteren Zulas-
ung der Selektion und der damit unvermeidlich, ich
iederhole: unvermeidlich verbundenen Tötung des
icht zum Überleben ausgewählten menschlichen Le-
ens eine Büchse der Pandora nicht mehr geschlossen
ird. Wir haben als Parlamentarier, als Christen, als
enschen die Möglichkeit, diese Büchse der Pandora
ieder zu schließen. Wir sollten diese Kraft aufbringen.
Jeder hier hat sicher Kontakt mit behinderten Mit-
enschen, mehr oder weniger. Ich selbst habe diesen
ontakt regelmäßig. Haben Sie sich vor diese Menschen
chon mal hingestellt und ihnen gesagt, dass sie eventu-
ll in einer nicht allzu fernen Zukunft zu einer kleiner
erdenden Minderheit zählen werden, weil es immer
ehr Menschen geben wird, deren Leben vor der Geburt
eendet werden wird, weil ihre Nachteile unerwünscht
ind?
Es gibt die Warnungen der Ethiker, der Kirchen, von
rzten, Wissenschaftlern, Verbänden wie Lebenshilfe,
dK, von Betroffenen selbst, in der Tat viele warnende
tellungnahmen – und es gibt die normalen, menschli-
hen Reaktionen. Zu den zutiefst menschlichen Eigen-
chaften und Reflexen gehört, menschliches Leben
chützen zu wollen, retten zu wollen. Dieser zutiefst
enschliche Reflex würde durch die Aufweichung die-
er Schutzfunktion für das menschliche Leben bedroht,
nd wir brauchen diesen Reflex und diesen Schutz.
Ob dies, wie bei mir, auch aus christlichem Funda-
ent oder von anderen Quellen her gespeist wird, das ist
icht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass wir die
chtung vor uns Menschen nicht verlieren. Das ge-
chieht nicht mit einem lauten Knall, es geschieht meist
tück für Stück. Die Relativierung ist bereits unterwegs,
nd wir müssen uns ihr mit Kraft entgegenstemmen, um
ie Achtung vor dem menschlichen Leben und seinen
chutz aktiv zu bewahren. Nicht nur wir Christen wis-
en: Der Mensch wird nicht, er ist es von Anfang an. Er
at uneingeschränkte Würde von Anfang bis zum Ende,
hne jede Einschränkung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12115
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Die Diagnostik soll helfen, um zu heilen, nicht um zu
töten. In meiner Heimat treffe ich vielfach Menschen mit
Behinderung, die mit all ihrer Verschiedenheit uns alle
sehr bereichern. Wir beschließen die UN-Konvention für
Inklusion, um Behinderte nicht aus unserem Alltag aus-
zuschließen.
Wer hier bei PID mit Kriterien eingrenzt, der grenzt
auf der anderen Seite natürlich auch aus. Diese Verant-
wortung kann man nicht wegdrücken auf Kommissio-
nen; das ist unsere Verantwortung hier im Parlament,
dies zu entscheiden und das Leben zu schützen. Wir ha-
ben mit dem Embryonenschutzgesetz bewusst eine be-
sonders hohe Hürde gesetzt; die dürfen wir nicht reißen.
Denn es muss auch hier deutlich gesagt werden: Die Öff-
nung würde nicht beim ersten Schritt stehen bleiben, es
würde – wie immer bisher – ausgeweitet. Wir müssen
das Ende bedenken, bevor wir den Beginn der Einfüh-
rung der PID beschließen können.
Ich will, dass wir mit allen Menschen zusammenle-
ben. Ich will, dass auch behinderte Menschen in ihrem
menschlichen Reichtum, ihrer Passion und ihrem unver-
äußerlichen Recht von uns allen als Gesellschaft ange-
nommen werden. Ich verkenne das Leid des Personen-
kreises von 200 bis 300 Personen nicht. Aber ich kann
und ich will lieber diese um Verzicht bitten, als die Se-
lektion behinderter Menschen zuzulassen.
Der Gesetzgeber würde mit der Zulassung der PID
den fatalen Weg nach unten, zu immer weniger Schutz
des menschlichen Lebens weiter fortsetzen. Der frühere
Bundespräsident Johannes Rau hat 2001 zu Recht ge-
sagt: „Wer anfängt, zwischen lebenswert und lebensun-
wert zu unterscheiden, ist in Wirklichkeit auf einer Bahn
ohne Halt.“
Gerade in den großen Grundfragen müssen wir es uns
zu Recht sehr schwer machen. Das habe ich getan. Und
eine schwere, eine schwerwiegende Entscheidung ge-
troffen habe ich auch: Die Würde des Menschen ist un-
antastbar, auch von großem Leid anderer unantastbar.
Schützen wir die Würde von uns Menschen, lassen
wir hier keine Ausnahmen zu! In voller Kenntnis und
Anerkenntnis des Dilemmas schützen wir die elementa-
ren Rechte von uns Menschen. Und wir sollten uns auch
hier nicht zum Richter über Leben und Tod aufschwin-
gen. Denn wir sollten nicht und dürfen nicht Gott spie-
len.
Norbert Geis (CDU/CSU): Das menschliche Leben
beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzel-
len, unabhängig davon, ob sich die Verschmelzung in der
natürlichen Begegnung von Mann und Frau ereignet
oder ob sie im Reagenzglas künstlich herbeigeführt
wird. Die Technizität des Vorganges ändert nichts am Er-
gebnis: Beide Male beginnt das Leben des Menschen mit
der Vereinigung von Ei- und Samenzellen.
Es gibt den Einwand, der Embryo im Reagenzglas be-
ginne sein menschliches Leben erst dann, wenn die Im-
plantation und die Einnistung erfolgt sei. Diese Behaup-
tung, die Einnistung sei neben der Vereinigung von Ei-
und Samenzellen gleichrangig kausal für den Beginn des
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ebens, ist nicht zu halten. Das wird an der Situation der
eihmutter deutlich. Sie gilt nach unserer Rechtsord-
ung nicht als Mutter des Kindes. Mutter bleibt die Frau,
ie das Ei „spendet“. Ebenso bleibt Vater, der den Samen
spendet“. Allein von diesen beiden kommt die gene-
sche Bestimmung des neuen menschlichen Lebens. Die
ene sind es, die den einzelnen Mensch von jedem an-
eren unterscheiden und ihn sein Leben lang bestimmen.
ass viele weitere Schritte dazukommen müssen, damit
er Mensch heranwachsen kann, steht außer Frage. Für
en Embryo sind diese ersten Schritte die Implantation
nd die Einnistung. Diese sind aber nicht der Ursprung
es Lebens.
Wir alle haben als Embryo begonnen. Wären wir in
iesem Stadium getötet worden, wären wir heute nicht
a. Uns gäbe es nicht.
Das hat zur Folge, dass dieses menschliche Leben,
as in einer besonderen Weise schutzbedürftig ist, auch
eschützt werden muss.
In der Tat steht der Mensch von Anfang an, ab der
ereinigung von Ei- und Samenzelle, unter dem Schutz
er Verfassung. Im ersten Urteil zum Abtreibungsrecht
om 25. Februar 1975 stellt das Bundesverfassungsge-
cht klar, dass der Schutz der Verfassung dort gilt, „wo
enschliches Leben existiert“. Von Anfang an, so stellt
as Verfassungsgericht fest, kommt dem Menschen
ürde zu. Dies, weil er Mensch ist, unabhängig davon,
b er sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst auch
ahren kann. Die Wahrung der Würde des Menschen
eißt, dass der Mensch im innersten Kern seines Wesens
nantastbar und unverfügbar ist. Der Mensch kann nicht
ls Sache behandelt werden.
Weil der Embryo Mensch ist, hat er das Recht auf Le-
en und körperliche Unversehrtheit. Nach Art. 2 Abs. 2
rundgesetz hat jeder Mensch, auch der ungeborene
ensch und der Embryo im Reagenzglas dieses Recht.
uch dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
rteil vom 25. Februar 1975 klargestellt, dass nämlich
er Staat unabhängig vom Status des Menschen ver-
flichtet ist, dieses Leben zu schützen, vom Anfang bis
um Ende.
Auch der Schutz vor Diskriminierung gemäß Art. 3
bs. 3 Grundgesetz gilt nicht nur für jeden Erwachse-
en, sondern auch für den Embryo. Die Tötung des Em-
ryos verstößt also auch unter diesem Gesichtspunkt ge-
en die Verfassung.
Weil der Staat verpflichtet ist, die Grundrechte zu
ahren, hat er mit dem Embryonenschutzgesetz Rege-
ngen getroffen, die das Leben und die Integrität des
mbryos schützen sollen.
Die PID verstößt gegen die Regelungen des Embryo-
enschutzgesetzes. Mit der PID wird danach geforscht,
elche der im Reagenzglas befruchteten Eizellen gene-
sch belastet sind. Es geht dabei allein darum, die mit
enetischen Fehlern behafteten Embryonen auszusortie-
n und sie nicht in den Uterus der Frau zu übertragen,
ondern sie zu vernichten oder sonst wie dem Untergang
nheimzugeben. Zu keinem anderen Zweck wird die
ID eingesetzt. Sie ist, wenn sie Erbkrankheiten fest-
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stellt, das Todesurteil für den Embryo. Deshalb galt die
PID in Deutschland gemäß dem Embryonenschutzgesetz
als verboten.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch mit seinem Urteil
vom 6. Juli 2010 entschieden, dass die PID nicht gegen
das Embryonenschutzgesetz verstößt. Die PID sei viel-
mehr darauf gerichtet, eine Schwangerschaft herbeizu-
führen. Dies ist jedoch eine völlige Verkennung der Ab-
sicht, mit der die PID durchgeführt wird. Sie hat keinen
anderen Sinn und Zweck, als die „schlechten Embryo-
nen“ von den „guten“ zu trennen und sie dann zu ver-
nichten. Es ist völlig unerklärlich, wie die Richter zu ei-
ner solchen Verkennung der Logik der PID kommen
können. Ein falsches Urteil!
Ebenso ist der Hinweis des Gerichtes, dass es, weil es
nach dem Embryonenschutzgesetz auch erlaubt sei, Sa-
menzellen auszusondern, wenn Erbkrankheiten festge-
stellt wurden, deshalb auch erlaubt sein müsse, Embryo-
nen mit Erbfehlern auszusondern, nicht nachvollziehbar.
Die Samenzelle ist kein Embryo. Zu dieser Unterschei-
dung müsste der BGH eigentlich fähig sein.
Das Urteil des BGH zwingt aber dazu, gesetzlich
klarzustellen, dass die PID in Deutschland verboten ist.
Dabei kann aus Achtung vor dem Leben des Embryos im
Reagenzglas nur ein striktes Verbot der PID infrage
kommen. Durch die PID wird das Tor zu einer Qualitäts-
kontrolle eröffnet. Am Ende geht es dann nicht mehr nur
um die Aussonderung von erbkranken Embryonen, son-
dern der Weg führt dann hin zur Geschlechtskontrolle
oder zur Frage, welches Baby mit welchem Design es
denn sein darf.
Sicherlich will keiner der vorgelegten Gesetzentwürfe
eine solch abartige Entwicklung gestatten. Man sollte je-
doch den Anfängen wehren.
Das gilt auch für den Gesetzentwurf, der für eine eng
begrenzte Zulassung der PID plädiert, wie von dem Gut-
achten der Leopoldina vom 18. Januar 2011 vorgeschla-
gen wird. Wer die Tötung zulässt, auch nur im begrenz-
ten Umfang, öffnet das Tor, wie dies die Erfahrung aus
der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch lehrt.
Dann ist kein Halten mehr. Was heißt schon „eng be-
grenzte“ Zulassung der PID! Wo ist die Zulassung be-
grenzt, und wo geht sie zu weit? Aber selbst wenn die
Fälle der möglichen Zulassung gesetzlich genau festge-
schrieben werden könnten, bliebe doch die Tatsache,
dass ein unschuldiges menschliches Leben getötet wird.
Niemandem aber darf das Leben genommen werden, nur
weil er behindert ist.
Das Argument wird immer wieder bemüht, zwischen
dem Verbot der PID und dem Abtreibungsstrafrecht be-
stehe ein „Wertungswiderspruch“. Der Embryo im Re-
agenzglas werde besser geschützt als das Kind im Mut-
terleib. Diese Argumentation ist falsch. Nach dem
Abtreibungsrecht existiert, wie bei dem Verbot der PID
auch, keine Erlaubnis, ein Kind, nur weil es behindert
ist, abzutreiben. Außerdem ist es sehr fraglich, ob die
sehr problematische Abtreibungsregelung als Maßstab
herangezogen werden darf.
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Die Tötung eines unschuldigen Kindes durch Abtrei-
ung kann nicht in irgendeiner Weise als ein „Wert“ an-
esehen werden, zu dem der Schutz des Embryos im
eagenzglas im Wertungswiderspruch stehen kann. Die
ötung eines unschuldigen Menschen und der Schutz
es Lebens sind unüberbrückbare Gegensätze, die sich
ihrem „Wert“ nicht widersprechen können, weil die
ötung eines Unschuldigen unter keinem Aspekt ein
ert ist. Dies wäre sonst ein Widerspruch zu unserer ge-
amten Rechtsordnung.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Paare wün-
chen sich eigene gesunde Kinder. Wir sollten respektie-
n, dass dies auch für Paare gilt, bei denen ein Partner
berträger einer schweren Erbkrankheit ist. Die Prä-
plantationsdiagnostik (PID) kann für diese Paare eine
ilfe darstellen, gesunde Kindern zu bekommen. Sie ist
leichwohl keine Garantie dafür, denn niemand kann ge-
unde Kinder garantieren.
Der Bundesgerichtshof hat im Sommer des vergange-
en Jahres entschieden, dass in Deutschland nach dem
is jetzt noch geltenden Recht die Präimplantations-
iagnostik zulässig ist. Gleichzeitig hat der Gerichtshof
en Bundestag aufgefordert, eine eigenständige recht-
che Regelung zu verabschieden. Das Gericht hatte auf-
rund der Selbstanzeige eines Berliner Arztes entschie-
en. Dieser hatte in 2005 bei drei Paaren, die mit dem
unsch nach einem gesunden Kind zu ihm gekommen
aren, eine Präimplantationsdiagnostik durchgeführt.
inem Paar konnte er helfen.
Die Selbstanzeige des Berliner Arztes war ein Hilfe-
f im Namen von Paaren, bei denen ein Partner Über-
äger einer schweren Erbkrankheit ist. Ich bin froh, dass
er Deutsche Bundestag jetzt auf dem Weg ist, über den
ukünftigen Umgang mit der PID zu entscheiden. Ich
etze mich dafür ein, dass klare rechtliche Regelungen
ur Zulassung der PID in begründeten Einzelfällen for-
uliert werden. Die seit der Verabschiedung des Em-
ryonenschutzgesetzes erfolgten Entwicklungen der Re-
roduktionsmedizin müssen im Gesetz berücksichtigt
erden.
Im Jahr 2009 wurden in Deutschland etwa 650 000
inder geboren und 110 000 Schwangerschaftsabbrüche
orgenommen, darunter einige Hundert Spätabtreibun-
en als Folge der Ergebnisse der genetischen Pränatal-
iagnostik. Schon 1999 hat die Bioethik-Kommission
on Rheinland-Pfalz ausgeführt:
Es wäre ein Wertungswiderspruch, den Paaren, bei
denen das Risiko der Übertragung eines Gendefekts
festgestellt wurde, die PID aus Rechtsgründen zu
verwehren und dann diesen Paaren gleichwohl die
Durchführung der Pränataldiagnostik zu erlauben,
die im Fall einer festgestellten Indikationslage zum
Schwangerschaftsabbruch führen kann.
Eine humangenetische Beratung von Paaren hat es
chon gegeben, als noch niemand an Untersuchungsme-
oden, die auf der Analyse des Genoms beruhen, über-
aupt gedacht hat. Mit der Methode der Stammbaum-
ntersuchung ist schon vor mehreren Jahrzehnten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12117
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festgestellt worden, dass bestimmte Krankheiten vererbt
werden und welcher Erbgang ihnen zugrunde liegt.
Menschen aus Familien, in denen eine solche Disposi-
tion gegeben ist, wissen in aller Regel darüber Bescheid.
Deshalb meine ich, dass es keinen grundsätzlichen Un-
terschied gibt zwischen der Entscheidung eines Paares,
nach einer Pränataldiagnostik aufgrund einer festgestell-
ten Erbkrankheit einen Schwangerschaftsabbruch durch-
zuführen, und seiner Entscheidung, zur Vermeidung ei-
nes erbkranken Kindes eine PID durchzuführen.
Die befruchtete Eizelle, die Zygote, kann sich nur
dann zu einem Menschen entwickeln, wenn sie sich er-
folgreich in der Gebärmutter einnistet. Menschliches Le-
ben entsteht nur in enger Beziehung mit seiner Mutter.
Die Zygote allein ist nicht lebensfähig, sie ist nicht auto-
nom. Nur etwa 30 Prozent der menschlichen Zygoten
überleben unter natürlichen Bedingungen, die übrigen
sterben ab. Eine Zygote, die sich noch nicht in der Ge-
bärmutter eingenistet hat, ganz unabhängig davon, ob sie
unter natürlichen Bedingungen oder in der Petrischale
entstanden ist, kann daher nicht mit der Würde des
Grundgesetzes ausgestattet sein.
In Großbritannien, Frankreich, Belgien und Polen ist
die PID erlaubt. Dortige Erfahrungen zeigen, dass die
Furcht vor dem Designerbaby unbegründet ist. Ich kann
nicht erkennen, warum dies in Deutschland anders sein
sollte.
Menschen mit Behinderung sind in unserer Gesell-
schaft willkommen und sollen auch in Zukunft willkom-
men sein. Daran hat die Nutzung der Pränataldiagnostik
nichts geändert und wird auch der Einsatz der Prä-
implantationsdiagnostik nichts ändern.
Ich sehe keinen Grund, warum wir die PID verbieten
sollten. Ich meine, wir sollten die PID auch in Deutsch-
land unter bestimmten Bedingungen zulassen. Ange-
sichts der emotionalen Not von Paaren mit einer erb-
lichen Belastung, die sich eigene Kinder wünschen,
sollten wir für die Anwendung der PID einen rechtlichen
Rahmen schaffen. Die Eingrenzung der Zulassung der
PID ist schwierig, aber diese Schwierigkeit kann keine
Begründung für ein vollständiges Verbot sein. Ich bin
vielmehr dafür, mit dieser inzwischen entwickelten me-
dizinischen Möglichkeit Paaren einen Weg zu öffnen,
auf dem sie gesunde Kinder bekommen können, auch
wenn sie Überträger schwerer Erbkrankheiten sind. Ich
meine, wir können Vertrauen in den verantwortungsvol-
len Umgang von Eltern und Ärzten mit der PID haben.
Deshalb gehöre ich zu den Mitunterzeichnern des Ge-
setzentwurfs zur Regelung der Präimplantationsdiagnos-
tik (Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG).
Maria Michalk (CDU/CSU): Die Präimplantations-
diagnostik ist ein Verfahren zur technischen Optimie-
rung der künstlichen Befruchtung. Medizinisch gesehen
würde die PID nach meinem Verständnis zu einem In-
strument der Qualitätskontrolle für Embryonen werden
und zur Selektion führen – gewollt oder ungewollt.
Gesunde Kinder zu haben, ist ein uralter Mensch-
heitswunsch. Deshalb hat sich medizinischer Fortschritt
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on jeher auch mit Fragen der Optimierung von Schwan-
erschaft und Geburt befasst. Diesem Streben verdanken
ir grundsätzlich auch heute noch unseren gewohnten
ehr hohen Standard in all diesen Fragen.
Doch der Mensch will immer mehr. Ich bin fest davon
berzeugt, dass die Entscheidung für oder gegen PID ein
eilenstein für das Leben von uns Menschen hier auf
ieser Erde sein wird.
Das Ringen um die bestmögliche Lösung wird strittig
eführt. Das ist gut so. Es geht letztlich darum, ob eine
esellschaft, in der der Staat darüber entscheidet oder
ndere, letztlich Fachleute, darüber entscheiden lässt,
elches Leben gelebt werden darf und welches nicht,
re Menschlichkeit verliert. Deshalb steht auch die
rage dahinter, ob medizinischem Optimierungsbestre-
en Grenzen gesetzt werden müssen oder nicht.
4 bis 5 Prozent aller Kinder, die geboren werden,
ommen mit einer chronischen Erkrankung oder Behin-
erung zur Welt. Deren Existenzberechtigung verhan-
eln wir hier. Diese Kinder würden bei einer einge-
chränkten Zulassung der PID keine Chance haben, das
icht der Welt zu erblicken. Ich kann mir gut vorstellen,
ass Menschen, die mit einer Behinderung zur Welt ge-
ommen sind und vielleicht heute unsere Debatte verfol-
en, unsere Argumente nicht nachvollziehen können.
enn sie müssen sich die Frage stellen, ob sie selbst un-
r diesen Umständen überhaupt auf dieser Welt wären
nd nicht vorher aussortiert worden wären. Diese Frage
t nicht nur schmerzhaft, sondern schlichtweg diskrimi-
ierend.
Ich bin für die Positionierung des Deutschen Behinder-
nrates dankbar, denn wir wissen, dass auch unter den
enschen mit Behinderung eine sehr ernste und differen-
ierte Diskussion geführt wird. Es darf keine Einteilung
lebenswertes und lebensunwertes Leben geben. Leben
it Behinderungen oder chronischen Erkrankungen ist
ine selbstverständliche Lebenswirklichkeit. Behinderung
t kein persönliches Problem. Deshalb darf es keine
chuldzuschreibungen und Diskriminierungen von Men-
chen mit Behinderung geben, auch nicht gegenüber den
ltern.
Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von
enschen mit Behinderung in unserer Gemeinschaft
uss Selbstverständlichkeit werden und geht uns alle an.
amilien mit behinderten Kindern, behinderte, chronisch
ranke und alte Menschen müssen selbstverständlich
re selbstbestimmte Lebensführung haben und dabei
nterstützt werden. Ihr Leben muss deutlich einfacher
erden. Notwendige Hilfen müssen individuell, passge-
au und vor allem ohne bürokratischen Aufwand erfol-
en. Auf diese Themen müssen wir uns noch viel mehr
onzentrieren.
Eine offene, tolerante Gesellschaft, die Menschen mit
ehinderung von Anfang an in alle Lebensbereiche ein-
ezieht – und das ist in Deutschland durchaus Realität –,
uss am Ende dieser Debatte die Frage, ob und wie die
eburt von Kindern mit einer möglichen Behinderung
ühzeitig verhindert wird, nach meiner festen Auffas-
ung mit einem eindeutigen Nein beantworten.
12118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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Für mich persönlich steht das Nein zur PID fest. Ich
lasse mich davon leiten, dass Leben mit der Verschmel-
zung von Ei- und Samenzelle beginnt. Deshalb sind Ex-
perimente ab diesem Stadium nach meiner christlichen
Überzeugung unzulässig. Trotzdem bleibt für die Wis-
senschaft und Medizin ein großes Feld für mögliche Er-
kenntnisse zum Wohl des Menschen.
Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Der Mann ist
schwerstkrank. Die Krankheit ALS zerfrisst sein Ner-
vensystem. Die Gliedmaßen sind wie nutzlose Gewichte.
Ein Luftröhrenschnitt nahm ihm die Stimme. Mimik und
Gestik sind erlahmt. Professor Stephen Hawking ist der
bekannteste Astrophysiker der Welt. Sein gefesselter
Leib ist ein schwerer Pflegefall. Aber sein Geist kann
mühelos fliegen. Viele Millionen Menschen verehren
ihn weltweit.
Mediziner vermuten hinter ALS eine Erbkrankheit.
Sie nehmen an, dass mehrere defekte Genabschnitte für
das Leiden verantwortlich zeichnen. Hawking wurde im
Jahre 1942 geboren. Zu jener Zeit war die Weitergabe
von Erbinformationen noch nicht ausreichend begriffen.
Niemand konnte wissen, dass Hawking einmal ALS be-
kommen würde. Keiner wollte das verhindern. Zum
Glück. Was wüssten wir heute über das Weltall, wenn
man Hawkings Erbanlagen aus einer Petrischale in den
Müll geworfen hätte?
Genau das geschieht bei der Präimplantationsdiag-
nostik (PID), über deren Zulässigkeit derzeit der Deut-
sche Bundestag berät. Fraktionsübergreifend hat dies
derzeit zu zwei Gruppenanträgen geführt. Der eine wirbt
für eine beschränkte Zulassung. Der zweite, den auch
der Verfasser unterstützt, strebt ein Verbot der PID an.
Viele Paare sehnen die Legalisierung des PID-Verfah-
rens herbei. Manche von ihnen haben bereits ein krankes
oder behindertes Kind. Die PID kann ihnen den Wunsch
nach gesundem Nachwuchs erfüllen. Bei dem Verfahren
werden mehrere Eizellen der Mutter künstlich mit den
Spermien des Vaters befruchtet und dann nach drei Ta-
gen untersucht. Nur die gesunden „Wunscheizellen“
werden dann der Mutter zur Austragung verpflanzt. Al-
les andere landet im Abfall. Befürworter des Verfahrens
finden dafür Argumente: Der Embryo sei in seiner Ur-
form nicht mehr als ein Zellhäuflein. Doch das war Pro-
fessor Hawking im Jahre 1941 auch. Jeder Mensch ist
schon am Anfang ein unersetzbares Unikat. Könnte er
sich schon wehren, würde er sich Urteile über seinen
Wert und Unwert gefälligst verbitten.
Ein weiteres Argument lautet: Die PID sei gegenüber
einer späteren Abtreibung der wesentlich schonerende
Weg. Die Mutter erhalte eine ziemliche Gewissheit auf
ein gesundes Kind und müsse später nicht ein krankes
abtreiben. Das Argument ist kraftvoll, aber unlogisch.
Dass Abtreibungen rechtlich möglich sein müssen, liegt
an der notwendigen Abwägung zwischen dem seelischen
Leid der schwangeren Mutter und der staatlichen
Schutzpflicht gegenüber dem Embryo. Doch bei einer
Vorfelduntersuchung liegt noch gar keine Schwanger-
schaft vor, die eine Frau belasten könnte. In der Petri-
schale herrscht damit allein das ethische Gebot, das wer-
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ende Leben zu schützen. Wer die PID mit den
btreibungsregeln des Strafgesetzbuches rechtfertigen
ill, begründet ein vermeidbares ethisches Desaster mit
iner ganz anderen, unvermeidbaren ethischen Konflikt-
ge. Ethik funktioniert anders. Sie strebt nach einer
tärkung des ethischen Verhaltens, nicht nach der Recht-
rtigung von mehr „Unethik“.
Befürworter der PID argumentieren schließlich, die
chtlichen Grenzen des Verfahrens seien in ihrem Ent-
urf klar abgesteckt. Die PID sei nur zulässig bei einer
hohen Wahrscheinlichkeit“ einer „schweren Erbkrank-
eit“ oder im Falle der Verhinderung einer Tot- oder
ehlgeburt. Doch offene Rechtsbegriffe sind die natür-
chen Feinde klarer ethischer Grenzen. Was ist eine
schwere“ Erbkrankheit? Wann ist eine Wahrscheinlich-
eit „hoch“? Rechtsbegriffe, die man nur begreift, wenn
an über ihren Inhalt streitet, führen nicht selten zu
ammbrüchen. Ist die PID einmal legal, wird sich „ge-
nge Wahrscheinlichkeit“ zu „ausreichender Wahr-
cheinlichkeit“ aufschwingen. Was heute keine
schwere“ Erbkrankheit ist, wird morgen noch eine wer-
en. Aus dem „Wunschkind“ wird schrittweise das „er-
ünschte Kind“. Mit der Pipette gestaltet der Mensch
ie Evolution.
Alle Eltern wünschen sich starke, kluge, gutausse-
ende und intelligente Kinder. Wir alle meinen zu wissen,
as wir damit meinen. Dabei sind unsere Vorstellungen
on „unseren“ Kindern kulturell geprägt. Kultur ist dem
andel unterworfen. Viele Jahrhunderte dominierte die
anuelle Arbeit. Folglich wünschten sich Eltern starken
nd männlichen Nachwuchs. Heute schätzen wir weibli-
hen und männlichen Nachwuchs gleichermaßen mit ho-
er Intelligenz und Einfühlungsvermögen. Ein Jahrhun-
ert zuvor wäre Hawking vermutlich verhungert. Heute
utzt er modernste Technik, um der Welt von seinen Ideen
u berichten.
Dazu kommt: Unser Wissen von den Erbanlagen ist
estenfalls lückenhaft. Gene tragen in ihren Kombinatio-
en immer viele verschiedene Informationen. Jeder
angel kann eine Stärke zur Kehrseite haben. Mitunter
endeln sich diese Stärken erst in vielen Folgegenera-
onen heraus – es sei denn, wir bewirken, dass schon
re ersten Träger nie das Licht der Welt erblicken.
Der Maler und Dichter Khalil Gibran schrieb: „Deine
inder sind nicht Deine Kinder. Sie sind die Söhne und
öchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie
ommen durch Dich, aber nicht von Dir, und obwohl sie
ei Dir sind, gehören sie Dir nicht. (…) Du bist [nur] der
ogen, von dem Deine Kinder als lebende Pfeile ausge-
chickt werden.“
Jeder Embryo, der eine PID-Untersuchung nicht über-
teht, ist wie ein zerbrochener Pfeil.
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): In der heutigen
rsten Lesung wird das Gesetz zur Präimplantationsdia-
nostik beraten. Nachdem der BGH am 6. Juli 2010 ent-
chieden hat, dass die gesetzliche Regelung im Embryo-
enschutzgesetz nicht hinreichend konkret ist, um eine
trafrechtliche Verurteilung herbeizuführen – über ein
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12119
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generelles Verbot der Präimplantationsdiagnostik konnte
der BGH gar nicht entscheiden –, hat der Gesetzgeber
nun die Verpflichtung, eine hinreichend konkrete Rege-
lung zu schaffen. Bis zu dem Urteil des BGH war die
herrschende Meinung der Rechtswissenschaft, aber auch
der Medizin und der Politik davon ausgegangen, dass die
Präimplantationsdiagnostik in Deutschland verboten ist.
Wenn dies nun nicht mehr klar ist, kann nach meiner
Meinung eine Klärung dieser Situation nur durch ein
Verbot der Präimplantationsdiagnostik im Embryonen-
schutzgesetz erfolgen, denn die Präimplantationsdia-
gnostik ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.
Das Recht auf Leben beginnt schon vor der Geburt,
nämlich mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle.
Ein Embryo ist selbstverständlich als Mensch anzuse-
hen, ob im Mutterleib oder vor der Einschwemmung.
Wer dies bezweifelt, zettelt eine Diskussion an, die
ethisch und moralisch nach meiner Meinung unhaltbar
ist, da sie in Bezug auf den Wert von Menschenleben
differenziert. Für mich darf es keine Abstufung zwi-
schen dem Wert menschlichen Lebens geben.
Art. 1 Abs. 1 GG verbietet, einen Menschen wie eine
Sache zu behandeln. Der Artikel gilt auch für ungebore-
nes Leben. Damit gilt die Menschenwürdegarantie
ebenso für Embryonen. Durch die Bevorzugung von
Embryonen mit passenderen Eigenschaften werden diese
als bloßes Objekt behandelt, was mit der Menschenwür-
degarantie nicht vereinbar ist. Erst recht werden die Em-
bryonen zur Sache gemacht, die nicht genutzt wird, son-
dern – wie es dann heißt – verworfen wird. Gemeint ist,
sie wird vernichtet.
Weiterhin wird nicht nur gegen das Recht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1
GG verstoßen, sondern auch gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der
das Diskriminierungsverbot von Behinderten festlegt:
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
werden. Dabei dient die Präimplantationsdiagnostik dem
Zweck, Embryos, bei denen eine Krankheit oder Behin-
derung festgestellt wurde, zu verwerfen und ihnen das
Recht auf Leben zu verwehren. Lebenswertes und ver-
meintlich lebensunwertes Leben werden bewusst un-
gleich behandelt. Diese offenkundige Ungleichbehand-
lung von gesunden und behinderten Menschen sowie die
Diskriminierung von Behinderten ist nicht mit unserem
Grundgesetz vereinbar.
Somit bleibt für die Beantwortung der Frage, ob Prä-
implantationsdiagnostik verboten werden soll oder nicht,
aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Spielraum. Denn
letztlich treffen die Eltern und die verantwortlichen Me-
diziner eine unumkehrbare Entscheidung über das Leben
oder den Tod eines Kindes. Wenn wir der Präimplanta-
tionsdiagnostik die Tür auch nur einen Spalt öffnen, se-
lektieren wir Leben nach seiner Qualität und werden ein
Ausdehnen der Selektion auch in zukünftigen Diskussio-
nen nicht mehr verhindern können.
Wenn die Präimplantationsdiagnostik zugelassen
wird, bedeutet dies ein Legalisieren der Unterscheidung
menschlichen Lebens aufgrund einer Behinderung. Ein
Schwangerschaftsabbruch allein aufgrund einer Behin-
derung ist nach der Reform des § 218 a StGB im Jahre
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995 verboten worden, um eine solche Diskriminierung
u verhindern. Der Gesetzgeber hat auch im Stammzell-
esetz festgelegt, dass es untersagt ist, embryonale
tammzellen einzuführen und zu verwenden, wenn der
erdacht einer genetischen Auswahl besteht und diese
mbryonen verworfen werden.
Die Spirale, die „Pille danach“ und Schwanger-
chaftsabbrüche generell werden häufig mit der Präim-
lantationsdiagnostik verglichen. Dabei gibt es einen
indeutigen Unterschied: Die Spirale, die „Pille danach“
nd der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf
ochen selektieren nicht. Sie beenden eine Schwanger-
chaft nicht aufgrund der möglichen Behinderung des
indes. Eine Gleichsetzung dieser unterschiedlichen Le-
enssachverhalte ist einfach falsch, genauso wie ein sol-
hes „Erst-recht-Argument“ insgesamt falsch ist. Es
ürde schließlich bedeuten, wenn schon Abtreibungen
öglich sein sollen, dann ist es auch egal, dass Embryo-
en erzeugt werden, um einen erheblichen Teil von ih-
en zu töten. Statistische Erhebungen haben nämlich
ezeigt, dass bei Anwendung der Präimplantationsdia-
nostik 33,7 Embryonen selektiert und verworfen wer-
en und nur ein Embryo tatsächlich geboren wird.
Genauso bei Spätabbrüchen. Diese dürfen nicht auf-
rund der Behinderung des Kindes durchgeführt werden,
ondern werden nur noch in akuten Notsituationen
urchgeführt. Besteht zum Beispiel akute körperliche
nd seelische Gefahr für die Mutter, so ist ein Spätab-
ruch der Schwangerschaft erlaubt. Diese Konfliktsitua-
on – Mutter oder Kind – ist im Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG
den Vordergrund gerückt. Das ist keineswegs ver-
leichbar mit der Unterscheidung, wie sie bei der Prä-
plantationsdiagnostik durchgeführt wird.
Wenn wir die Präimplantationsdiagnostik verbieten,
ann werden die Forscher und Mediziner andere Wege
nden, um Familien die Geburt eines gesunden Kindes
u ermöglichen, etwa über die Polkörperchendiagnostik,
ei der nicht Embryos, sondern Eizellen untersucht und
elektiert werden.
Das ist ein Unterschied, denn dann würde kein Em-
ryo – und damit ein Mensch im frühen Stadium – ver-
orfen, also zerstört. Ich sehe hier eine vergleichbare
ntwicklung wie bei der embryonalen Stammzellfor-
chung, die nun auch keiner in der Wissenschaft mehr
wingend fordert.
Ich werbe aus all diesen Gründen nachdrücklich für
in Verbot der Präimplantationsdiagnostik. Unterstützen
ie daher bitte mit mir den entsprechenden Antrag.
Jens Spahn (CDU/CSU): Ich weiß, dass es – wie
erade deutlich geworden ist – in diesem Hause ganz un-
rschiedliche Auffassungen zum Thema Präimplanta-
onsdiagnostik gibt. Daher bin ich dankbar dafür, dass
ir uns dafür mit der nötigen Zeit darüber austauschen
önnen und diese Debatte auch mit der nötigen Ernsthaf-
gkeit führen.
Wer mit Paaren, mit Frauen und Männern, die eine
enetische Veranlagung zu schwersten Erkrankungen
aben, über ihren Kinderwunsch, ihr Schicksal, ihre Ver-
12120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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zweiflung gesprochen hat, der kann und der darf sich
eine solche Entscheidung heute nicht leicht machen. Er
wird, er muss fast mit dieser Entscheidung hadern. Er
weiß aber auch, dass er um diese Entscheidung nicht he-
rumkommt, dass er diese Entscheidung treffen muss.
Aus meiner Sicht muss der über allem stehende
Grundsatz dabei sein, dass im Zweifel für das Leben ent-
schieden wird und bei Unsicherheit größtmögliche Si-
cherheit für das Leben gesucht wird.
Hier gibt es viele Zweifel. Einige sind schon ange-
sprochen worden, Ich habe zum einen Zweifel, dass es
bei dem einmal definierten Ausnahmekatalog bleibt. Es
ist ja schon gefragt worden: Wer soll ihn definieren? Der
Bundestag? Oder soll dieser die Entscheidung auslagern
und an andere delegieren? Sich für bestimmte Kriterien
zu entscheiden, heißt, andere auszuschließen. Ich unter-
stelle niemandem – ich glaube, darum geht es auch
nicht –, dass es ihm um Designbabys, um die Frage der
Augenfarbe oder ähnliche Dinge geht. Ich habe aber
schon die Sorge, dass eine positive Entscheidung zwar
nicht zu einem Dammbruch, aber doch zu einem lang-
sam anschwellenden Fluss führt, sodass wir, wenn wir
heute einmal das Tor geöffnet haben, die Dinge am Ende
nicht mehr werden aufhalten können.
Ich habe zum Zweiten Zweifel – das ist auch schon
angeklungen – weil auch die PID keine hundertprozen-
tige Sicherheit bringt. Trotz PID besteht das Risiko, dass
das Kind später krank ist. Ist der Druck, ist das Leid in
einem solchen Fall nicht noch viel größer und noch viel
stärker?
Ich habe auch Zweifel, weil für eine PID bis zu
40 Embryonen gebraucht werden. Was passiert mit den
anderen, die nicht eingepflanzt werden? Wer wollte da-
rüber entscheiden?
Ich bin der Überzeugung: Was manchmal als Zell-
klumpen bezeichnet wird, das hat das Potenzial, ja, das
ist aus meiner Sicht menschliches Leben, und wer wollte
über die Chance, die Wertigkeit dieses Lebens entschei-
den? Ich jedenfalls – egal, was andere Länder da ent-
schieden haben – will das nicht, und ich denke, es ist ei-
nem anderen, Höheren vorbehalten, das zu entscheiden.
Im Übrigen denke ich auch, dass gerade der Embryo
in der Petrischale, weil sein Potenzial, sein Leben-Sein
eben nicht augenfällig ist, vielleicht nicht auf den ersten
Blick zu erkennen ist, einen noch höheren Schutz
braucht, ein noch größeres Maß an Sicherheit und Zu-
rückhaltung in der Frage, was wir regeln. Gerade deswe-
gen sollten wir an die PID mit größter Bedachtheit he-
rangehen.
Auch sehe ich da keinen Wertungswiderspruch zur
Abtreibung, wie er hier schon mehrfach angesprochen
worden ist. Bei der PID geht es voll und ganz und unmit-
telbar um den Schutz des Embryos in der Petrischale,
dessen Leben-Sein – ich habe es schon gesagt – nicht au-
genfällig ist. Beim Schwangerschaftsabbruch geht es im
Kern um die konflikthafte Situation, um die schwierige
Lebenslage der Mutter, wo der Embryo natürlich mittel-
bar auch eine Rolle spielt; aber es ist eine andere Aus-
gangslage. Muss nicht eigentlich die Entwicklung, die
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ir beim Schwangerschaftsabbruch haben, die ja auch
inmal mit strengsten und striktesten Kriterien begonnen
at, muss nicht diese Praxis, wie wir sie heute beim
chwangerschaftsabbruch zum Teil haben, weniger
uchtendes Beispiel als vielmehr Mahnmal dafür sein,
as passiert, wenn man einmal bei der Entscheidung, die
ir heute treffen, die Tür geöffnet hat?
Deswegen: In dubio pro vita, im Zweifel für das Le-
en. Ich möchte Sie bitten, heute für ein Verbot der PID
u stimmen.
Stephan Thomae (FDP): In der ethisch heiklen
rage der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, treffen
diesem Hohen Hause gegensätzliche Auffassungen
ufeinander. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom
. Juli 2010 macht deutlich, dass die PID nicht notwen-
igerweise gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt.
h möchte ausdrücklich den Antrag unterstützen, den
aßgeblich meine Fraktionskollegin Ulrike Flach auf
en Weg gebracht hat, und der insbesondere von den
olleginnen Dr. Carola Reimann (SPD), Dr. Petra Sitte
inke) und den Kollegen Staatssekretär Peter Hintze
DU) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Grüne) mitgetra-
en wird. Bei allem Respekt vor anderen Standpunkten
prechen viele Gründe für diese Position:
Ziel der PID ist, was das Embryonenschutzgesetz for-
ert, nämlich eine Schwangerschaft herbeizuführen. In-
ofern fördert die Zulassung der PID den Entschluss von
ltern, die sich ohne eine solche Untersuchungsmethode
egen ein Kind oder – weil sie vielleicht bereits ein Kind
it einer ererbten Krankheit oder Behinderung haben
der aufgrund dessen bereits ein Kind verloren haben –
egen ein weiteres Kind entscheiden würden. Viele
aare, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, aber auf-
rund erblicher Vorbelastung Angst vor einer Tot- oder
ehlgeburt oder vor der Geburt eines todkranken Kindes
aben, sehen in der PID eine Chance. Bislang konnten
olche Paare allenfalls auf dem Wege der Pränataldia-
nostik, kurz PND, feststellen, ob der Embryo im Mut-
rleib an einem genetischen Defekt leidet. In solchen
ällen waren die Eltern vor die Wahl gestellt, die
chwangerschaft abzubrechen oder nicht. Ein Schwan-
erschaftsabbruch aufgrund einer PND-Diagnose ist ins-
esondere für die Schwangere jedoch mit wesentlich
chwereren psychischen und physischen Belastungen
erbunden als die Verwerfung einer Blastozyste in der
etrischale. Bislang bot sich allenfalls für solche Paare,
ie es sich leisten können, die Möglichkeit zur PID im
usland. Die Zulassung der PID beseitigt deshalb auch
en Widerspruch, dass zwar Präimplantationsdiagnose
iner Blastozyste in der Petrischale verboten, aber der
chwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Schwanger-
chaftswoche und unter bestimmten Voraussetzungen
ogar die Spätabtreibung nach einer Pränataldiagnose
ulässig ist. Dieser Widerspruch kann weder moralisch
och juristisch aufgelöst werden.
Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes ungebo-
nen Lebens ist es nicht die PID, die einem Lebenskeim
as Lebensrecht entzieht oder zu einer Verschlechterung
es Embryonenschutzes führt. Die Blastozyste ist außer-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12121
(A) )
)(B)
halb des Mutterleibes nicht in der Lage, sich zu einem
Embryo weiterzuentwickeln. Schon heute aber steht es
der Mutter auch ohne PID frei, zu entscheiden, ob sie
sich die Blastozyste einpflanzen lässt oder den Keim
verwirft.
Genauso wenig kann Bedenken gefolgt werden, die
PID gefährde die Bereitschaft der Gesellschaft, Kinder
mit Behinderungen zu akzeptieren. Weder ist eine solche
Entwicklung in Ländern zu beobachten, welche die PID
kennen, noch hat in Deutschland die Zulassung des
Schwangerschaftsabbruchs nach einer PND eine solche
Wirkung hervorgerufen. Die Integration und Inklusion
von Menschen mit Behinderungen war – trotz PID und
PND – nie so groß wie heute.
Erlauben Sie mir abschließend eine höchstpersönliche
Schlussbemerkung: Neben diesen eher vernunftgeleite-
ten Überlegungen wurde ich selbst nicht zuletzt beim
Besuch eines Kinderhospizes in meiner eigenen All-
gäuer Heimat in meinem Entschluss bestärkt. Das Kin-
derhospiz begleitet Kinder und deren Familien ab dem
Zeitpunkt der Todesdiagnose eines Kindes oder Jugend-
lichen bis zu dessen Tod. In einigen Fällen müssen El-
tern schon das zweite, in einigen wenigen Fällen sogar
gleichzeitig zwei todgeweihte Kinder dort auf ihrem
letzten, manchmal langen Weg begleiten. Ich bin der tie-
fen Überzeugung, dass das Recht Paaren mit erblicher
Belastung zumindest die Möglichkeit einräumen muss,
Ja oder erneut Ja zu einem Kind zu sagen, ohne ihnen
dieses Leid und diesen Schmerz zuzumuten oder ein
weiteres Mal zuzumuten.
Bei allem Respekt vor jeder anderen Überzeugung
habe ich mich aus diesen rechtlichen und ethischen
Überlegungen entschieden, für den Entwurf eines Geset-
zes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik nach
dem Entwurf meiner Fraktionskollegin Ulrike Flach zu
stimmen.
Johanna Voß (DIE LINKE): Meine grundsätzliche
Überzeugung besteht darin, dass jedes Leben, auch das
„behinderte“, ein Recht darauf hat, beschützt zu werden.
Bei der PID geht es aber nicht um das Recht auf Le-
ben. Vor allem geht es auch nicht um die Abwägung ver-
schiedener Rechtsgüter, wie zum Beispiel den Schutz
der Mutter, so wie das bei einem Schwangerschafts-
abbruch der Fall wäre. Und selbst beim Schwanger-
schaftsabbruch dürfen mit Recht eventuelle Behinderun-
gen des Kindes nicht die entscheidende alleinige Rolle
spielen. Da geht es nur um die Abwägung der Rechte der
Mutter gegenüber dem Kind.
Die Präimplantationsdiagnostik ist die extremste
Form der Selektion, da möglichst viele Embryonen er-
zeugt werden, um wenigstens einige transplantierbare
auslesen zu können. Der einzige Zweck der PID ist aber,
Leben zu eliminieren, das weniger wert zu sein scheint;
wir hatten in der deutschen Geschichte dafür schon ein-
mal den Begriff des „unwerten Lebens“. Die PID spie-
gelt wider, wie Leben heute in der Gesellschaft bewertet
wird: Den vollen Wert hat da nur der Mensch, der im
Vollbesitz aller nutzbaren Kräfte ist. Für Behinderungen
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t kein Platz, und dementsprechend miserabel ist auch
ie Fürsorge und Hilfe für Behinderte und deren Eltern.
Insofern geht die PID von der völlig falschen Seite an
ie Problematik heran. Ja, für Eltern, die sich gegen PID
ntscheiden und für ein eventuell behindertes oder kran-
es Kind, wird das Leben noch schwerer werden. Zu den
hnehin zu erwartenden Einschränkungen wird starker
ozialer Druck hinzukommen: Man hätte das Leben die-
es Kindes ja schon in der Petrischale beenden können.
ie Folge wird sein: noch weniger Mittel und Hilfen,
och größere Ausgrenzung für Kinder und deren Eltern.
Andere negative Aspekte der PID will ich hier nur
urz erwähnen. Die Beteuerung der Befürworter, PID
ur in Ausnahmefällen zulassen zu wollen, ist längst von
er Realität überholt worden. In der Praxis werden ganz
ndere Bedürfnisse als die ursprünglich behaupteten ge-
chürt. In Fachzeitschriften wie Human Reproduction ist
achzulesen (Nr. 1 von 2002), dass PID zum Beispiel
ehr häufig allein der Geschlechtsbestimmung dient,
hne dass ein erhöhtes Risiko zur Übertragung einer
ererbbaren Krankheit vorlag. Man nennt das „social
exing“. Die Begehrlichkeiten der Industrie zeigen sich
tzt schon in den weiterentwickelten Verfahren von
ID, wenn untersuchte Zellen mit „entkernten“ Maus-
izellen geklont werden. Es fehlt nur noch die Herstel-
ng von Embryonen als „Ersatzteillager“. Selbst wenn
orscher nur die Gesundheit des Kindes im Auge haben,
ann vergessen sie zu leicht, dass die PID und die Wei-
rentwicklung des „therapeutischen Klonens“ den Men-
chen aufs Gröbste instrumentalisiert. Selbst wenn das
iel ethisch zu rechtfertigen wäre, der Weg ist es auf kei-
en Fall.
Wir müssen völlig neu bedenken, welchen Irrweg wir
it dieser Bevorzugung des perfekten Menschen be-
chreiten, und dann auch mehr Hilfe bereitstellen für die,
ie Hilfe brauchen; denn jeder Mensch, der in die
enschliche Gesellschaft hineingeboren wird, hat An-
cht auf ihren Schutz und auf ihre Hilfe.
Die PID scheint mir nur ein weiterer Schritt zu sein
uf dem Weg, sich aus der besonderen Verantwortung
r den Menschen, nicht nur für den behinderten, zu ver-
bschieden.
Wolfgang Zöller (CDU/CSU): In der Frage über den
ünftigen Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik,
ID, geht es um eine politische Grundsatzentscheidung.
s geht vor allem um die Frage, ob wir ein elementares
enschenrecht, das Recht auf Leben auch für ungebo-
ne Kinder, zur Disposition stellen – aber auch darum,
ass wir den staatlichen Schutzauftrag gegen die Diskri-
inierung von Menschen mit Behinderung infrage stel-
n. Mit einer Zulassung der PID würde dies meiner
einung nach geschehen. Es würde unser Wertgefüge
achhaltig beschädigen. Nicht alles technisch Machbare
ient letztendlich einer menschlichen Gesellschaft.
Ich setze mich seit vielen Jahren für den Schutz des
ngeborenen Lebens ein. Denn für mich ist das sich ent-
ickelnde Leben von Anfang an schützenswert. Und
ach meiner Auffassung hat niemand das Recht, über die
12122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
Existenz eines ungeborenen Kindes zu entscheiden, auch
nicht wenn eine genetische Erkrankung droht.
Jeder Abgeordnete steht in der Tat vor einer Gewis-
sensentscheidung. Als zweifacher Familienvater und
dreifacher Großvater verstehe ich den verständlichen
Wunsch betroffener Paare nach einem eigenen gesunden
Kind nur zu gut. Für mich hat jedoch das uneinge-
schränkte Lebensrecht eines jeden Menschen, ob gebo-
ren oder ungeboren, ganz klar Vorrang.
Wer die PID zulässt – und sei es auch nur begrenzt –,
der eröffnet zwangsläufig damit eine Diskussion über le-
benswertes und nicht lebenswertes Leben. Für mich gibt
es jedoch kein lebensunwertes Leben – egal ob vor der
Geburt, ob als behinderter, ob als alter oder schwerkran-
ker Mensch.
Eine Öffnung der PID für bestimmte Diagnosen ist
keine Lösung. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen
die dann einsetzende Ausweitung der Anwendungsberei-
che der PID.
Eine solche Bewertung würde sich erheblich auf das
gesamte gesellschaftliche Zusammenleben und auf die
Einstellung anderer Menschen auswirken. Es wird
höchste Zeit, dass wir uns wieder mehr auf christliche
Grundwerte besinnen und auch danach handeln.
Die durch Legalisierung der PID gesetzlich legiti-
mierte Selektion vor Beginn der Schwangerschaft wäre
ein Paradigmenwechsel. Die Akzeptanz für das Verfah-
ren, auf Probe erzeugte Embryos mit einer bestimmten
Erkrankung oder Behinderung aussortieren zu können,
stellt damit einen Angriff auf die Würde eines jeden
Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen dar.
Eine Zulassung der PID würde auf potenzielle Eltern
großen sozialen Druck ausüben, diese Möglichkeit in
Anspruch zu nehmen. Ansonsten müssten sie sich ja zu-
nehmend rechtfertigen, wenn sie die PID zunächst ab-
lehnen und dann ihr Kind mit Beeinträchtigungen zur
Welt kommt. Bereits jetzt berichten Eltern von schwer
kranken oder behinderten Kindern von Diskriminierun-
gen, mit denen sie konfrontiert sind.
Krankheiten sowie körperliche und geistige Beein-
trächtigungen sind jedoch ein Bestandteil des Lebens
und werden dies auch künftig sein. Der Staat hat die
Pflicht, vor Diskriminierung zu schützen und das Le-
bensrecht zu verteidigen.
Aus all diesen Gründen werde ich für ein striktes
PID-Verbot stimmen.
Willi Zylajew (CDU/CSU): Jede und jeder in diesem
Hohen Haus ist sich der Tragweite unserer heutigen De-
batte und der anstehenden Abstimmung in einigen Wo-
chen bewusst. Einleitend möchte ich sagen, dass ich in
der Sache eine klare Position habe, die ich vor meinem
Gewissen, vor Gott und den Menschen, dem geborenen
und ungeborenen Leben verantworten kann. Diese feste
Position in einer bedeutenden Entscheidung schmälert
aber nicht meinen Respekt vor den Mitmenschen, die
sich in der Sache anders entscheiden.
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Meine Einstellung wurde untermauert in Gesprächen
it Eltern von Kindern mit Behinderungen, Ärzten,
eistlichen und Fachkräften aus der Schwangerschafts-
eratung. Seit einigen Jahrzehnten beschäftigt mich als
amilienvater und Sozialarbeiter, Politiker und Christ
ie Frage der Verschiebung von Werten beim Schutz des
ngeborenen Lebens. Diese Verschiebung von Werten,
ie Verschiebung von gesetzlichen Schutzvorschriften
t ein bedeutendes Thema, vor allem, wenn ein Teil der
etroffenen seine Position nicht darstellen kann. Wie
enschen mit Behinderungen zu den Änderungsvorstel-
ngen stehen, die auf Grundlage einer Reduzierung von
chutzvorschriften für ungeborenes Leben, wie es nun
ur Beratung steht, nicht das Licht der Welt erblickt hät-
n, bleibt weitgehend unberücksichtigt.
Wir stehen in der Pflicht, das ungeborene Leben vor
er Verringerung seiner Rechte zu schützen. Die Selek-
on von menschlichem Leben ist für mich völlig inak-
eptabel, weder in einem frühen Stadium noch in einem
päteren. Daher stimme ich für ein umfassendes gesetzli-
hes Verbot der Präimplantationsdiagnostik.
Dabei bin ich mir des Leidensdrucks von Paaren mit
er individuellen Erfahrung einer eigenen Erkrankung
der von Tot- oder Fehlgeburten bewusst. Aber eine Le-
alisierung der PID ermöglicht eine gesetzlich legiti-
ierte Selektion bereits vor Beginn der Schwanger-
chaft. Unsere Gesellschaft verliert ihre Menschlichkeit,
enn sie einen Paradigmenwechsel zulässt, der darüber
ntscheidet, welches Leben gelebt werden darf und wel-
hes nicht.
Das medizinisch Machbare zur Gesundung von kran-
en und behinderten Mitmenschen ist das eine, das me-
izinisch Mögliche als Grundlage für die Auswahl von
benswerten und nicht lebenswerten Embryonen das an-
ere. Und genau dort liegt für mich die Grenze. Eine
renze, die wir nicht überschreiten dürfen.
Lassen Sie uns mit der gebotenen Ruhe und Sachlich-
eit das Für und Wider bedenken. Es mag sein, dass die
ID für manch einen nur ein kleiner Schritt bei der wei-
ren Nutzung medizinischer Möglichkeiten zu sein
cheint. Für mich wäre eine Zulassung der PID, auch un-
r engen Beschränkungen, ein überaus großer Verstoß
egen den Wert und die Unversehrtheit menschlichen
ebens. Ich wiederhole, es wäre der Schritt über eine
renze, die bislang von Staat und Gesellschaft bis zum
ommer letzten Jahres anerkannt wurde. Ist diese
renze einmal überschritten, wird dies weitere Wünsche
nd Ansprüche zur Beseitigung von Lebensschutz zur
olge haben.
Meine Position möchte ich abschließend mit einem
itat meines Kreisdechanten Achim Brennecke aus dem
hein-Erft-Kreis zusammenfassen:
Bereits seit meiner Schulzeit in den 60er Jahren hat
sich mir der erste Satz unseres Grundgesetzes tief
eingeprägt: „Die Würde des Menschen ist unantast-
bar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt.“ (Art. 1 GG) Diese Würde
des Menschen beginnt nicht irgendwann, sondern
besteht bei allen Menschen seit Beginn des Lebens,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12123
(A) )
)(B)
wenn Ei und Samenzelle verschmelzen und zu ei-
nem Menschen werden. Diese Würde behält der
Mensch auch bis zum Ende seines Lebens. Deshalb
gilt es für Kirchen, Gesellschaft und Staat, diese
Würde von Anfang bis Ende zu schützen. Eine Prä-
implantationsdiagnostik macht den Menschen zum
Objekt und öffnet einer Selektion, gewollt oder un-
gewollt, Tor und Tür, was die Würde des Menschen
mehr als antastet. Es wäre ein Dammbruch, dessen
Auswirkungen nicht abzusehen sind. Aus christli-
chem Verständnis des Menschen als Ebenbild Got-
tes lehne ich die zur Verhandlung stehende PID ab
und setze mich für die Verteidigung der Würde des
Menschen ein.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht: Stärkung
der humanitären Lage in Afghanistan und
der partnerschaftlichen Kooperation mit
Nichtregierungsorganisationen
– Beschlussempfehlung und Bericht: Für ei-
nen nachhaltigen Ausbau des Bildungs- und
Hochschulsystems in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 13 a und b)
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Am 26. Februar 2010
hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit ein
neues Mandat für den Afghanistan-Einsatz erteilt. Mit
diesem Mandat war ein Strategiewechsel verbunden, der
die zivilen Anstrengungen in Afghanistan besser einbettet
und aufwertet. Dies ging einher mit einer Quasiverdoppe-
lung der Gelder, die wir für den zivilen Aufbau Afghani-
stans im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit
zur Verfügung stellen. Dadurch wird sehr deutlich, wir
meinen es ernst.
Dies alles ist eingebettet in die Vereinbarungen der
Londoner Afghanistan-Konferenz vom Januar 2010, auf
der sich die internationale Gemeinschaft zu einem besser
abgestimmten und stärkeren Engagement beim langfris-
tigen zivilen Aufbau Afghanistans verständigt hat.
Für diesen Strategiewechsel gab es gute Gründe. Af-
ghanistans Entwicklung leidet unter den schwachen Or-
ganisationsstrukturen, ausufernder Korruption, mangeln-
den Monitoringinstrumenten und schwach ausgeprägtem
Verantwortungsbewusstsein einiger Spitzen der Adminis-
tration. Vieles von dem hatte ich bereits in meiner Rede
zur Regierungserklärung zum Fortschrittsbericht zur
Lage in Afghanistan am 21. Januar 2011 bemängelt; all
das wird auch im vorliegenden Antrag von der SPD be-
mängelt, und dem stimmen wir natürlich zu.
Darüber hinaus finden sich im Antrag viele Allgemein-
plätze und Forderungen, die von der Bundesregierung oh-
nehin schon umgesetzt werden, wie beispielsweise zum
Provincial Development Fund.
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Und leider finden sich im Antrag auch einige Forde-
ngen, die linker Ideologie geschuldet sind, aber mit der
ealität in Afghanistan nichts zu tun haben. Im Gegen-
il: Sie sind für die Betroffenen vor Ort brandgefährlich!
o heißt es im Antrag: „Eine erzwungene Vermischung
on humanitärer Hilfe und militärischem Einsatz lehnen
ir ab.“ Oder an anderer Stelle: „Kontraproduktiv für die
ntwicklungszusammenarbeit [ist es]…, zivile Aufbau-
rbeit und Militär stärker zu verknüpfen“.
Solche Vorwürfe sind polemisch, und Bundesminister
iebel weist sie zurecht als „Desinformation“ zurück.
er so etwas fordert, will damit in der Öffentlichkeit nur
illig punkten, hat aber nicht begriffen, worum es in Af-
hanistan eigentlich geht: Es geht darum, dass wir es
chaffen müssen, dass Hilfsorganisationen schneller dort
or Ort sind, wo militärische Operationen zur Sicherung
on Gebieten stattgefunden haben. Nur so spüren die
enschen in den geschützten Regionen eine Friedens-
ividende, die ihnen hilft, mittel- und langfristig zu sta-
ilen und gesicherten Lebensverhältnissen zu kommen.
as gelingt nur, wenn die NGOs auch über die entspre-
henden Operationen frühzeitig informiert werden, da-
it sie ihre Programme darauf ausrichten und in den ge-
icherten Gebiete arbeiten können.
Dieses Konzept wird von den NGOs nicht nur mitge-
agen, sondern auch angenommen und umgesetzt. Das
ird allein schon daran deutlich, dass die 10 Millionen
uro, die für private Träger im Rahmen des vernetzten
nsatzes ausgeschrieben waren, schnell ausgeschöpft
urden. Daher werden für dieses Jahr weitere 10 Millio-
en Euro zur Verfügung gestellt, um diesen erfolgver-
prechenden Ansatz weiter zu unterstützen. Das sind wir
icht nur den Afghanen schuldig, sondern auch den Ent-
icklungshelfern selbst. Sie brauchen für eine erfolgrei-
he Arbeit ein sicheres Umfeld. Daher ist die Entkoppe-
ng von zivilem Aufbau und militärischem Engagement
in denkbar schlechter Ansatz, um eine nachhaltige Ent-
icklung in Afghanistan zu unterstützen.
Noch mehr: Ich wüsste nicht, ob unser Land mit gutem
ewissen das Engagement von Aufbauhelfern in Afgha-
istan weiter in Anspruch nehmen könnte, ohne die ohne-
in schon riskanten Arbeitsbedingungen unnötig zu ver-
chärfen. Wie prekär diese sind, zeigt allein der Anschlag
uf das UN-Hauptquartier im nordafghanischen Mazar-i-
charif, dem am vorletzten Freitag elf Menschen zum
pfer gefallen sind.
Daher sollten wir alles tun, was erforderlich ist, um
ie Sicherheit unserer Entwicklungsfachkräfte sicherzu-
tellen. Realitätsferne und ideologiebeladene Debatten
ber das Verhältnis unserer Soldaten und Entwicklungs-
xperten in Afghanistan bringen uns nicht weiter – im
egenteil: Wir tragen als Parlamentarier auch für die Si-
herheit unserer Fachkräfte vor Ort Verantwortung –,
nd mit solchen Debatten werden wir ihr nicht gerecht.
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Wie ich an die-
er Stelle bereits mehrfach ausgeführt habe, ist die enge
erzahnung ziviler und militärischer Mittel der Schlüs-
el zum Erfolg in Afghanistan. Beide sind zwei Seiten
iner Medaille, die ohne einander nicht denkbar sind.
12124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
Wenn wir die Voraussetzung dafür schaffen wollen, die
Verantwortung nach und nach in afghanische Hände zu
legen, müssen wir den zivilen Aufbau weiterhin unter-
stützen. Wir können unser militärisches Engagement nur
dann zurückfahren, wenn wir unser ziviles Engagement
verstärken. Darauf kommt es zunehmend an.
Der heute unter TOP 13 zur Debatte stehende Antrag
der SPD-Fraktion zur „Stärkung der humanitären Lage
in Afghanistan und der partnerschaftlichen Kooperation
mit Nichtregierungsorganisationen“ und der Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für einen nachhalti-
gen Ausbau des Bildungs- und Hochschulsystems in Af-
ghanistan“ behandeln beide die zivile Seite des Wieder-
aufbaus. Da Kollegin Pfeiffer auf den Antrag der SPD-
Fraktion eingeht, beschränke ich mich hier auf den An-
trag von Bündnis 90/Die Grünen.
Ihr Antrag verlangt eine erhebliche Verstärkung des
deutschen Engagements in der Bildungsförderung. Sie
bemängeln, das deutsche Engagement bleibe in seinem
Umfang hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück. Des-
halb fordern Sie eine Fülle von umfangreichen und kos-
tenintensiven Einzelmaßnahmen zum Ausbau des Bil-
dungs- und Hochschulsystems.
Lassen Sie mich dazu kurz festhalten: Ich stimme ab-
solut mit Ihnen überein, dass Bildung der Schlüssel für
Prosperität, Wachstum, Versöhnung und Stabilität in Af-
ghanistan ist. Darüber sind wir uns alle einig.
Ihr Versuch, mit dem Antrag Defizite deutscher Poli-
tik herbeizureden, geht jedoch an der Realität vorbei. Ich
teile überhaupt nicht Ihre Ansicht, dass unser Engage-
ment im Bildungsbereich defizitär ist.
Wir sollten uns noch einmal vor Augen führen, dass
das afghanische Bildungswesen in den Jahren des Bür-
gerkriegs und unter den bildungsfeindlichen Taliban
weitgehend kollabiert war. Zahlreiche Schulen wurden
zerstört. Mädchen und Frauen waren fast vollständig
vom Zugang zu Bildungseinrichtungen ausgeschlossen.
Dies hat sich grundlegend geändert. Seit dem Ende der
Talibanherrschaft zeigen sich insbesondere im Bereich
der Grundbildung beachtenswerte Erfolge.
Erlauben Sie mir den Verweis auf den Fortschrittsbe-
richt der Bundesregierung zu Afghanistan: Die Einschu-
lungsrate hat zwischen 2005 und 2007/08 von 37 Prozent
auf 52 Prozent zugenommen, die Alphabetisierungsrate
bei den 15- bis 24-Jährigen von 31 Prozent auf 39 Pro-
zent. Neben der Versiebenfachung der Anzahl der afgha-
nischen Schülerinnen und Schüler von rund 1 Million im
Jahr 2001 auf rund 7 Millionen 2010 stieg der Anteil der
Schülerinnen in Grundschulen von 0 Prozent im Jahr
2001 auf 38 Prozent 2008. Der Frauenanteil der an allge-
meinbildenden Schulen unterrichtenden Lehrkräfte liegt
mittlerweile bei 29 Prozent. Sie finden heute Frauen in
afghanischen Universitäten, im Parlament und im Kabi-
nett.
Natürlich gibt es immer noch erhebliche Defizite.
Dennoch sind die bislang erreichten Erfolge viel besser
als erwartet und umfassendem internationalen Engage-
ment zu verdanken. Gerade unser deutsches Engagement
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at zu diesen Erfolgen in entscheidendem Maße beige-
agen.
Die Bundesregierung engagiert sich unter anderem im
chulsektor, bei der Lehrerausbildung, bei der Förde-
ng von Deutsch als Fremdsprache und bei der Alpha-
etisierung und Erwachsenenbildung. Es gibt zahlreiche
artnerschaften zwischen deutschen und afghanischen
niversitäten. Der Deutsche Akademische Austausch-
ienst, DAAD, hat seit 2002 etwa 950 Stipendien verge-
en.
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass
ir unser Engagement in Afghanistan als eine Aufgabe
on besonderem nationalem Interesse verstehen. Dies
ilt auch für unser Engagement im Bildungsbereich, das
ir uns bereits heute einiges kosten lassen. Ich verdeutli-
he Ihnen dies anhand folgender Zahlen:
Das BMZ hat von 2002 bis 2010 insgesamt rund
0,5 Millionen Euro in die Grundbildung und rund
9,5 Millionen Euro in die berufliche Bildung in Afgha-
istan investiert. Das AA hat seit 2002 über 30 Schulen
us Mitteln des Stabilitätspakts neu gebaut und Hunderte
on Schulen mit Ausstattungsmaterial, Zelten sowie klei-
en Baumaßnahmen unterstützt. Allein im Jahr 2010
onnte durch die Erhöhung der Mittel im Bildungsbe-
ich der Bau von über 20 Schulen begonnen werden.
009 wurden dafür rund 1,15 Millionen Euro für die Aus-
ildung afghanischer Lehrer bereitgestellt, zwischen
002 und 2009 insgesamt 12,4 Millionen Euro. Das BMZ
at im Zeitraum 2009 bis 2010 einen signifikanten Bei-
ag zum nationalen Bildungsprogramm der afghanischen
egierung in Höhe von 20 Millionen Euro geleistet. Der
ochschulbereich wurde zwischen 2002 und 2009 mit
nd 17 Millionen Euro aus dem Stabilitätspakt des AA
nterstützt. 2010 sind es annähernd 4 Millionen Euro.
as sind keine Peanuts, sondern substanzielle Summen.
So wie Heidegger sagte, Sprache ist das Gehäuse des
enschen, gestaltet Bildung dieses Gehäuse aus. Gerade
ir Deutschen mit unserer großen bildungspolitischen
ompetenz sind in der Verantwortung, an die jahrzehn-
lang andauernde deutsch-afghanische Bildungspartner-
chaft anzuknüpfen. Genau das machen wir aber bereits
urch unser Engagement. Wir folgen deshalb der Be-
chlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses und
hnen Ihren Antrag ab.
Burkhard Lischka (SPD): Wir befassen uns heute
it einem Antrag, den wir als SPD-Bundestagsfraktion
ereits vor zehn Monaten in den Deutschen Bundestag
ingebracht haben. Der zivile Aufbau Afghanistans, Ge-
undheit, Bildung, Beschäftigung, Lebensperspektiven,
enschen- und Frauenrechte, all das thematisiert dieser
ntrag. Und wir wissen: All das sind Schlüsselbegriffe,
enn es um die Zukunft Afghanistans geht. Es waren
chlüsselbegriffe vor knapp einem Jahr, als wir diesen
ntrag gestellt haben, und sie sind es bis heute geblie-
en.
Ja, es gibt Fortschritte in Afghanistan: bei der Infra-
truktur, in der Bildung, bei der Gesundheitsversorgung.
ber wir treten eben auch in vielen Bereichen seit Jahren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12125
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auf der Stelle. Und – wer wollte das leugnen? – es gibt
auch Rückschritte.
Herr Niebel, als Sie vor einigen Wochen hier im
Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung zu Af-
ghanistan abgegeben haben, da sagten Sie: „Wer heute
an den Hindukusch kommt, der sieht: Die Kinder lassen
wieder Drachen steigen.“ Die Lebensfreude fasse wieder
Fuß in Afghanistan, meinten Sie.
Ich weiß nicht, Herr Niebel, was Sie gedacht haben,
als vor wenigen Tagen sieben UN-Mitarbeiter in Mazar-
i-Scharif gelyncht wurden, als ein deutscher Entwick-
lungshelfer Ende des vergangenen Jahres bei seiner Ar-
beit getötet wurde. Ich weiß nicht, was Sie empfunden
haben, als wir vor einigen Wochen erfahren mussten,
dass im vergangenen Jahr fast 3 000 Zivilisten – mehr
als je zuvor – in Afghanistan ums Leben gekommen
sind. Mit „einer Fuß fassenden Lebensfreude“ hat all das
sicherlich nichts zu tun.
Herr Niebel, ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie auch
auf die Fortschritte, die wir in Afghanistan haben, ver-
weisen. Nochmals: Ja, die gibt es. Ich verlange aber von
Ihnen als verantwortlicher Minister, dass Sie schonungs-
los und offen auch die Probleme und die Rückschritte
benennen, mit denen wir es auch in Afghanistan zu tun
haben, und dass Sie Strategien und Konzepte entwickeln
und hier im Deutschen Bundestag vorlegen, wie wir
diese Probleme überwinden können. Das ist Ihre Auf-
gabe als zuständiger Minister, Herr Niebel. Und da sind
Sie in der Vergangenheit leider vieles, vieles schuldig
geblieben. Wo ist Ihre zukunftsfeste Strategie, Herr
Niebel? Ich sehe sie nicht.
Zehn Jahre nach Beginn des Einsatzes wissen wir:
Viele Hoffnungen, die weite Teile der afghanischen Be-
völkerung mit dem Beginn des Einsatzes verknüpft hat-
ten, wurden enttäuscht. Die anfängliche Begeisterung ist
viel zu oft inzwischen umgeschlagen in Frustration, Ab-
lehnung, teilweise sogar offene Feindschaft. Woran liegt
das? Was für Fehler haben wir in der Vergangenheit ge-
macht? Wie können wir aus diesen Fehlern für die Zu-
kunft lernen? Welche Maßnahmen und Projekte haben
sich demgegenüber als erfolgreich herausgestellt? Wie
können wir diese Ansätze verstärken und ausbauen?
Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend,
wenn wir mithelfen wollen, dass die Menschen in Af-
ghanistan wieder Perspektiven für sich und ihre Kinder
sehen sollen, wenn sie wieder Hoffnung schöpfen sollen,
wenn sie an ihre Zukunft denken.
Deshalb brauchen wir eine unabhängige und fachkun-
dige Analyse und Evaluation unseres bisherigen Engage-
ments. Das aber verweigern Sie bis zum heutigen Tag.
Das werden Sie auch heute Abend wieder verweigern,
wenn Sie unseren Antrag ablehnen, der genau dies ein-
fordert. Angesichts der Rückschläge und der Probleme,
die wir in Afghanistan haben, ist das unverständlich.
Und ich sage deutlich: Es ist auch politisch verantwor-
tungslos.
Politisch verantwortungslos ist es auch, Herr Niebel,
wenn Sie jetzt immer noch einfordern, die in Afghanistan
tätigen Hilfsorganisationen müssten näher an das Militär
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eranrücken und würden nur dann unterstützt, wenn sie
it dem Militär zusammenarbeiten. Wissen Sie, Herr
iebel, ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn eine Or-
anisation aus freien Stücken für sich die Entscheidung
ifft, mit dem Militär zu kooperieren. Ich habe aber etwas
agegen, wenn Sie auch alle anderen Organisationen in
ieses Korsett zwingen wollen, selbst dann, wenn diese
agen: Das gefährdet unsere Projekte. Das gefährdet un-
ere Mitarbeitet. Das gefährdet diejenigen Afghanen, die
ei uns Hilfe suchen. – Und wenn Sie dann Hilfsorgani-
ationen, die ihre Sorge öffentlich machen, auch noch
esinformation vorwerfen, dann ist das ein starkes Stück.
Desinformation, Herr Niebel, ist es, wenn Sie dieser
age im Tagesspiegel behaupten, Hilfsorganisationen,
ie frühzeitig über militärische Operationen informiert
eien, könnten ihre Planungen darauf einstellen und
ann schneller in Gebieten tätig werden, in denen vorher
ampfhandlungen stattgefunden haben. So aber funktio-
iert Entwicklungshilfe nicht, Herr Niebel, weil die
ilfsorganisationen gerade dann als Partei eines Bürger-
rieges wahrgenommen werden und nicht als neutrale,
nabhängige Helfer. Ihr Vorhaben, die Hilfsorganisatio-
en unter ein sicherheitspolitisches Primat zu stellen, ist
lsch, Herr Niebel. Deshalb geben Sie es auf!
Wenn ein Antrag wie dieser fast ein Jahr durch die
remien des Deutschen Bundestags unterwegs ist, dann
ann zweierlei passieren:
Erste Möglichkeit: Der Antrag setzt Staub an. Oder,
weite Möglichkeit: Er kann – quasi unfreiwillig – sehr
eutlich machen, wie lange eine Sache schon im Argen
egt. So wie hier, wo Sie seit einem Jahr versuchen, un-
bhängige Hilfsorganisationen in eine politische und mi-
tärische Gesamtstrategie einzubinden. Nur, Herr Niebel:
as ist gefährlich. Denn die Hilfsorganisationen werden
uch dann noch auf Jahre und Jahrzehnte in Afghanistan
rbeiten, wenn sich die Militärs längst zurückgezogen ha-
en. Aber sie sind dann darauf angewiesen, dass ihre Ar-
eit in puncto Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit
icht vorher diskreditiert wurde.
Deshalb: Hören Sie auf mit dieser Politik! Sie be-
chwert und behindert den Aufbau Afghanistans über
014 hinaus, also in einer Zeit, wo Sie keine Verantwor-
ng mehr tragen.
Harald Leibrecht (FDP): Die Bundesregierung hat
it Unterstützung der Koalitionsfraktionen eine Neujus-
erung des deutschen Afghanistan-Engagements vorge-
ommen. Wir haben einen Wechsel hin zu einem stärke-
n zivilen Wiederaufbau vollzogen und haben uns auch
uf internationaler Ebene mit dem Ansatz durchgesetzt,
ass der Afghanistan-Einsatz nicht rein militärisch zu
ewinnen ist. Unser militärisches Engagement wird nur
achhaltig erfolgreich sein, wenn wir es mit größeren
nstrengungen zur Entwicklung des Landes verbinden.
Afghanistan ist ein Land, das jahrzehntelang von
riegen gebeutelt wurde, in dem staatliche Strukturen
ur schwach ausgeprägt sind und das durch die Wirren
es Krieges in seiner Entwicklung weit zurückgeworfen
urde. Afghanistan belegt im aktuellen Index zur
12126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen,
HDI, den vorletzten Platz von 182 Ländern. Ein Großteil
der Bevölkerung lebt in Armut. Deshalb kann ich Ihnen
nur zustimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, wenn Sie in Ihrem Antrag darauf aufmerksam ma-
chen, dass die Herausforderungen in Afghanistan enorm
sind.
Deutschland stellt sich seiner Verantwortung für Af-
ghanistan und die internationale Sicherheit. Wir haben
die Mittel für das zivile Engagement in Afghanistan auf
insgesamt 430 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt und
damit im Vergleich zum Jahr 2008 verdoppelt. Wir sollten
die Herausforderungen und Probleme in Afghanistan
nicht kleinreden, aber wir sollten auch die Fortschritte
nicht ausblenden, die für viele Menschen spürbare Ver-
besserungen in ihrem Alltag mit sich bringen. Die Kin-
dersterblichkeit ist signifikant gesunken, und wir müssen
uns weiter engagieren, damit sie weiter sinkt. Die Anzahl
der Kinderheiraten (unter 15 Jahre) ist von 11 Prozent auf
3 Prozent zurückgegangen. 7 Millionen Mädchen und
Jungen wurden eingeschult, darunter ein Drittel Mäd-
chen. In den nordafghanischen Provinzen, wo die deut-
sche Entwicklungszusammenarbeit schwerpunktmäßig
tätig ist, haben wir die höchsten Einschulungsraten in
ganz Afghanistan. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen
hat sich seit Beginn des internationalen Einsatzes von
rund 175 auf circa 460 US-Dollar erhöht. Um diese Er-
folge nicht zu gefährden, wird die deutsche Entwick-
lungszusammenarbeit selbstverständlich auch nach Ab-
zug der Bundeswehr weiter in Afghanistan aktiv sein.
Die Bundesregierung hat ihr Engagement in Afgha-
nistan spürbar verstärkt, aber sie stellt auch Anforderun-
gen an die afghanische Regierung, was beispielsweise
die Bekämpfung von Korruption und gute Regierungs-
führung angeht. Der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel hat bei
seinem Besuch in Afghanistan vor knapp zwei Wochen
zunächst nur Zusagen über die erste Hälfte der für 2011
im BMZ-Haushalt vorgesehen Mittel in Höhe von
240 Millionen Euro gemacht. Die Auszahlung der zwei-
ten Tranche hat Dirk Niebel an messbare Fortschritte bei
der Regierungsführung geknüpft. Der Bundesentwick-
lungsminister hat die ausdrückliche Unterstützung mei-
ner Fraktion. Denn wir dürfen im Sinne der hilfebedürf-
tigen Menschen in Afghanistan und der deutschen
Steuerzahler Misswirtschaft und Korruption nicht dul-
den.
Der hier vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist in
einigen Punkten bereits überholt. So haben wir mit dem
Provincial Development Fund mittlerweile ein Instru-
ment, das sich dem Thema ländliche Entwicklung wid-
met und gleichzeitig lokale demokratische Entschei-
dungsverfahren fördert.
Ein weiterer Grund, weshalb die FDP-Fraktion dem
Antrag nicht zustimmen kann, ist, dass er sich grundsätz-
lich gegen das Konzept der vernetzten Sicherheit aus-
spricht. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
unterstützen dieses Konzept, weil die Entwicklungser-
folge nachweislich dort am größten sind, wo die Sicher-
heitslage stabil ist. Die SPD-Fraktion kommt ja selbst zu
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em Schluss, dass sich Sicherheit und Entwicklung ge-
enseitig bedingen.
Nichtregierungsorganisationen leisten einen wichti-
en Beitrag zum Aufbau des Landes. Ihre Arbeit ist da-
ei mit großen Risiken behaftet. Die Bundesregierung
rdert deren Tätigkeiten deshalb vorrangig dort, wo der
chwerpunkt des deutschen Engagements liegt, also im
orden. Dabei geht es nicht um eine Unterordnung zivi-
r Kompetenzen unter militärische Prämissen, sondern
m eine bessere Zusammenarbeit und Abstimmung von
ivilem und militärischem Engagement. Es gibt Organi-
ationen, die dieses Potenzial erkannt haben, wie zum
eispiel die Stuttgarter Initiative Kinderberg Internatio-
al.
Die Bundesregierung hat die Unterstützung von Nicht-
gierungsorganisationen im Jahr 2010 deutlich gestärkt.
it dem NRO-Fazilitätsfonds wurden im Jahr 2010
0 Millionen Euro für die Förderung von Projekten pri-
ater deutscher Träger zur Verfügung gestellt. Im letzten
ahr wurden die bereitgestellten Mittel vollständig abge-
fen. Ich denke, dies zeigt, dass wir der Kooperation mit
ichtregierungsorganisationen eine hohe Bedeutung zu-
essen. Auch 2011 stellen wir erneut 10 Millionen Euro
r die NRO-Fazilität zur Verfügung.
Um in Afghanistan nachhaltige Erfolge zu bewirken,
üssen alle beteiligten Akteure koordiniert und ziel-
rientiert zusammenarbeiten. Dies gilt für die staatliche
ntwicklungszusammenarbeit, für die Bundeswehr und
r nichtstaatliche Akteure gleichermaßen. Wenn alle an
inem Strang ziehen, können wir in Afghanistan konkrete
ortschritte erzielen, die den Menschen vor Ort zugute
ommen.
Heike Hänsel (DIE LINKE): Im Parlament und in
er Öffentlichkeit werden die Demokratiebewegungen
Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Ländern
it viel Sympathie begleitet. Kaum jemand aber spricht
ber die politische Situation in Afghanistan. Es wird in
er Öffentlichkeit und den Medien übersehen und auch
ezielt ignoriert, dass es auch in Afghanistan demokrati-
che und soziale zivilgesellschaftliche Kräfte gibt, die
ich gegen das Karzai-Regime und die NATO-Besatzung
enden und dafür auch in immer größerer Zahl auf die
traße gehen. So zum Beispiel Ende Februar, als in der
rovinz Kunar durch eine NATO-Bombardierung
3 Menschen getötet wurden, darunter 50 Zivilisten. Sie
ind davon überzeugt, dass diese Befreiung nur von den
fghaninnen und Afghanen selbst kommen kann und
icht durch Bomben. Diese zivilgesellschaftlichen
räfte sind keine bezahlten NGOs, sondern größtenteils
hrenamtliche Organisationen, Frauenrechtsbewegun-
en, Studentengruppen, Menschenrechtsgruppen und
pfervertreter und -vertreterinnen.
Im Januar dieses Jahres hatte die Fraktion Die Linke
ehn Afghaninnen und Afghanen in Berlin zu Gast, um
uf der Konferenz „Das andere Afghanistan“ Perspekti-
en für eine friedliche und demokratische Entwicklung
u diskutieren. Sie kritisierten, dass die westlichen Regie-
ngen seit 2001 einseitig prowestliche fundamentalisti-
che Kräfte in ihrem Land gestärkt haben, die nach mili-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12127
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tärischen und geostrategischen Interessen ausgesucht
wurden. Bei der Petersberger Konferenz 2001 und der
Kabuler Konferenz 2010 waren maßgeblich Kriegsver-
brecher, Warlords und andere Personen eingeladen, die
Blut an den Händen haben; kritische zivilgesellschaftli-
che Kräfte aber waren nicht beteiligt. Sie erfahren auch
keinen Schutz und keine Unterstützung, sondern sind Op-
fer von Anschlägen, müssen oft im Geheimen agieren
und bleiben bei wichtigen politischen Verhandlungen au-
ßen vor. Dies ist ein Skandal!
Deshalb werden wir gemeinsam mit Friedensgruppen
im Herbst anlässlich der zweiten Petersberger Konferenz
diese kriegskritischen Stimmen aus Afghanistan sichtbar
machen.
Seit zehn Jahren herrscht Krieg in Afghanistan, Mil-
liarden von Euro fließen in diesen Krieg. Nach Berech-
nungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
von 2010 kostet die Fortsetzung des Bundeswehreinsat-
zes in Afghanistan Deutschland rund 3 Milliarden Euro
pro Jahr. Insgesamt dürfte dem DIW zufolge die deut-
sche Beteiligung am Afghanistan-Krieg etwa 36 Milliar-
den Euro kosten.
Währenddessen ist die humanitäre Lage in Afghanistan
gleichbleibend schlecht. Afghanistan liegt auf Platz 181
und damit auf dem vorletzten Platz des Human Develop-
ment Index (HDI). Rund 80 Prozent der Frauen und
60 Prozent der Männer sind Analphabeten, weniger als
19 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu medizini-
scher Versorgung und sauberem Wasser. Laut Weltbank
liegt die Säuglingssterblichkeit bei 199 Kinder pro 1 000
Geburten. Sie ist damit 50-mal so hoch wie in Deutsch-
land. Die Armut wächst, Hunger bedroht mehr als ein
Drittel der afghanischen Bevölkerung.
Erfolge in der Entwicklungszusammenarbeit werden
durch den Krieg konterkariert. Die Zahl der zivilen Op-
fer steigt seit 2006 dramatisch an. Auch die Zahl der
Menschen, die vor den Kriegshandlungen fliehen, steigt
weiter an. Im Human Development Index heißt es, dass
sich 2,8 Millionen Afghaninnen und Afghanen – das ist
jeder zehnte Einwohner – auf der Flucht befinden, oft
ohne ausreichende humanitäre und gesundheitliche Ver-
sorgung. Auch ein Bericht der International Crisis Group
bemängelt, dass der Krieg den Zugang der afghanischen
Bevölkerung zu Gesundheitsversorgung, Bildung und
anderen sozialen Dienstleistungen stark eingeschränkt
hat. Angriffe auf Schulen, zum Beispiel das Abbrennen
oder erzwungene Schließen von Schulen, die Verwen-
dung von Schulen für militärische Zwecke sowie Dro-
hungen gegen das Lehrerpersonal und Schülerinnen und
Schüler nehmen zu.
In ihrem Antrag fordern die Grünen, dass der Aufbau
des afghanischen Bildungssystems unterstützt werden
soll und Mittel für Bildungsprojekte verdoppelt werden
sollen.
Unsere Fraktion lehnt diesen Antrag ab. Der Bil-
dungsansatz entspricht eher einer Elitenbildung und ist
damit weit entfernt von dem Grundsatz „Bildung für
alle“. Zudem wird der militärische Schutz von Bildungs-
einrichtungen erwogen und trägt so zur gefährlichen
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ermischung zwischen Zivilem und Militärischem bei.
ach Angaben von NGOs sind zivile Projekte und Schu-
n nämlich durch die Nähe des Militärs eher gefährdet
enn geschützt.
Die SPD-Fraktion kommt in ihrem Antrag zu der fa-
len Fehleinschätzung, dass der ISAF-Einsatz dazu bei-
age, in Afghanistan ein sicheres Umfeld für den zivilen
ufbau und Entwicklung zu schaffen. Das Gegenteil ist
chtig: Der Militäreinsatz muss beendet werden, damit
ich überhaupt erst eine Perspektive für eine friedliche
nd soziale Entwicklung eröffnen kann. Mit dem ISAF-
insatz sind Wiederaufbau, Demokratie und Sicherheit
weite Ferne gerückt. Wir teilen allerdings die Forde-
ng des SPD-Antrags, die humanitäre Hilfe stärker auf
ndliche Räume auszurichten und nicht nur auf die Re-
ionen mit militärischer Bedeutung für die NATO-Trup-
en zu konzentrieren. Seit langem fordern wir: Entwick-
ngshilfe muss dort stattfinden, wo Bedarf für die
evölkerung besteht, nicht für die Bundeswehr! Es freut
ns, dass mittlerweile auch die SPD-Fraktion zu dieser
rkenntnis gekommen ist.
Die NATO ist ein Unsicherheitsfaktor in Afghanistan.
er Bombenangriff bei Kunduz im Jahr 2009 hat dies in
ller Deutlichkeit gezeigt. Die Linke fordert deshalb den
ofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
ur wenn die Waffen schweigen und die afghanischen
onfliktparteien in einen politischen Friedens- und Aus-
öhnungsprozess eingebunden werden, kann der Wieder-
ufbau erfolgreich sein.
Wir fordern dazu auf, die friedlichen zivilgesell-
chaftlichen Kräfte endlich wahrzunehmen und ihre For-
erungen zu unterstützen. Die Bundesregierung samt ih-
r Vorgängerregierungen hat jahrelang zahlreiche
iktatorische Regime im arabischen Raum unterstützt
nd militärisch aufgerüstet. Jetzt werden sie aufgrund
es starken Drucks aus der Bevölkerung nach und nach
llengelassen. Doch gleichzeitig geht die Unterstützung
r das korrupte Karzai-Regime und zahlreiche krimi-
elle Kriegsfürsten in Afghanistan weiter. Diese Politik
t in höchstem Masse unglaubwürdig.
Wer also eine wirkliche Verbesserung der humanitä-
n Lage in Afghanistan erreichen will und die Interes-
en der Bevölkerung ernst nimmt, muss diesen Krieg be-
nden und die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen,
icht erst 2014 sondern sofort.
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie
önnen sich vorstellen, wie mich der Angriff auf die UN
m vergangenen 1. April getroffen hat. Als ich dort gear-
eitet habe, war es mein schlimmster Alptraum, dass ge-
au das passieren könnte, was jetzt in Mazar-i-Scharif
assiert ist. Ich trauere um meine ermordeten Kollegin-
en und Kollegen, die zivilen UN-Mitarbeiter und ihre
pferen nepalesischen Guards. Mein Beileid gilt ihren
amilien und Freunden, mein Respekt allen Kollegen
er UNAMA-Mission, die sich trotz allem weiter in Af-
hanistan für Menschenrechte und Frieden einsetzen.
Ich habe in Afghanistan und anderen UN-Missionen
iele Reformen begleitet: Polizeiaufbau, Verwaltungs-
12128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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aufbau, Justizreformen. Es gab auch viele Erfolge, aber
die Erfolge, die nachhaltig Wirkung erzielt hatten, waren
alle Bildungserfolge. Das gilt auch in Afghanistan: Fast
alles, was die Sowjets in ihren 20 Jahren Einfluss und
zehn Jahren Besetzung errichtet haben, ist zertrümmert.
Aber wenn man heute in Kabul einen Kinderarzt trifft,
dann ist er in aller Regel unter den Sowjets ausgebildet
worden. Von den vielen Modernisierungsprojekten der
Sowjets ist nur das geblieben.
Es ist nicht alles schlecht in Afghanistan. Wir haben
immer betont, was gut ist. Wer von den guten Dingen in
Afghanistan spricht, der spricht von den Schulen. Das ist
ein Ansatz, der gerade in der Grundbildung gelungen ist,
der wichtig ist, der von uns erwartet wird und bei dem
wir Expertise bieten können. Ich kann nicht verstehen,
dass wir diesem Ansatz nicht stärker und konsequenter
verfolgen. Warum haben wir ein großes schönes
EU-POL-Headquarter gebaut, aber in der Schule gegen-
über ist seit Jahren das Dach undicht? Wie kann es sein,
dass zwei von fünf Schülerinnen im Freien unterrichtet
werden müssen?
Wie erklären wir, dass wir für die Förderung der af-
ghanischen Sekundarschulen von 2002 bis 2009 ebenso
viel Geld ausgegeben haben, wie wir im Monat für den
Erhalt des Wehrmaterials? Warum lassen wir zu, dass
das Goethe-Institut und die Amani-Oberrealschule in
Kabul verfallen? In dieser Schule saßen seit 1924 die
Kinder der Elite Afghanistans – und nicht nur die wirt-
schaftliche, auch die intellektuelle Elite – auf der Schul-
bank; jetzt verfällt das Gebäude. Andere Staaten reno-
vieren und vergrößern ihre Bildungsinstitutionen in
Afghanistan, wir machen nichts. Warum ist das Büro des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Kabul
seit Monaten unbesetzt? Warum wird es jetzt offenbar
ganz geschlossen?
Warum kürzen wir die wenigen Stipendien- und Aus-
tauschprogramme zwischen deutschen und afghanischen
Universitäten? Warum geben wir 430 Millionen Euro für
zivile Hilfe in Afghanistan aus, aber nur 2,3 Millionen
für die Hochschulförderung? Allein die University of
Massachusetts erhält von den USA 6,8 Millionen Euro
für die Austauschprogramme mit Afghanistan – also das
Dreifache von dem, was wir für die gesamte Universi-
tätskooperation ausgeben. Gerade bei den Universitäten
ist die deutsche Zurückhaltung unbegreiflich. Dort, an
den Universitäten, wird die Bildungs- und Verwaltungs-
elite Afghanistans ausgebildet. Von dort kommen die
Menschen, die bald den Staat lenken und die Gesell-
schaft prägen werden. Doch auch zehn Jahre nach dem
Fall der Taliban sind die Universitäten in einem erbärm-
lichen Zustand. Laut dem zuständigem Ministerium sind
nur 134 der 2 572 Lehrenden promoviert. Warum haben
wir denen nicht schon längst Stipendien angeboten? An-
dere Staaten sind da aktiver, der Iran allen voran.
Es gibt einzelne gute deutsche Projekte: zum Beispiel
die Ausbildungsprogramme von Professor Wilhelm
Löwenstein, die Kooperationen zur Curriculum-Reform
oder die IT-Projekte von Dr. Peroz. Warum man solche
Ansätze nicht vervielfältigt hat, das will ich nicht verste-
hen. Dass man aber selbst diese Erfolgsprojekte nicht
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ngemessen finanziert, ist einfach empörend. Sie sind
euchttürme, die das Elend der deutschen Hochschulför-
erung beleuchten. Sie zeigen, was alles möglich wäre,
enn der politische Wille vorhanden wäre.
Jedes Mal, wenn ich in Afghanistan bin, fragt man
ich, worauf wir eigentlich warten. Nicht nur die
GOs, die Studentinnen und Studenten, die Lehrenden,
ondern auch das Ministerium wünscht sich mehr Enga-
ement Deutschlands. Wir gelten dort als Vorbild für das
kademische System, von uns will man lernen, wie man
niversitäten organisiert. Es geht dabei nicht nur um
eld. Die Afghanen wollen vor allem Beratung und Ex-
ertise. Warum sträuben wir uns? Seit zehn Jahren wol-
n wir in Afghanistan einen Staat, in dem die Menschen
ehr Zeit in Schulen und Universitäten verbringen als in
asernen. Dieses Ziel sollte auch darin deutlich werden,
ie wir unsere Förderungen gewichten. Der Erfolg der
fghanistan-Mission hängt nicht so sehr davon ab, ob
enug und ausreichend qualifiziertes Personal für Armee
nd Polizei vorhanden ist. Wichtiger ist, dass die Afgha-
en Tag für Tag friedlich und gerecht miteinander umge-
en – auch dann, wenn kein Polizist in der Nähe ist. Bil-
ung ist hierfür eine entscheidende Voraussetzung.
Aus drei Gründen sind wir in Afghanistan aktiv: Wir
ollen dort Frieden und Demokratie. Wir wollen verhin-
ern, dass Terror wächst. Und wir wollen die Beziehun-
en zu unseren Bündnispartnern pflegen. Für alle drei
iele ist Bildung ein sehr gutes Mittel. Wenn wir da wei-
r zaudern und knausern, bleibt nach 2014, dem Abzug
nserer Kampftruppen, vom deutschen Engagement in
fghanistan so wenig wie von den großen Staudamm-
rojekten der 1930er- und 1960er-Jahre – nämlich
ichts.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen
den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz
(Holzhandels-Sicherungs-Gesetz – HolzSiG) (Ta-
gesordnungspunkt 12)
Alois Gerig (CDU/CSU): Die weltweite Zerstörung
er Wälder nimmt dramatische Ausmaße an: Jährlich ge-
en auf unserer Erde rund 13 Millionen Hektar Wald
erloren; das entspricht mehr als der gesamten Waldflä-
he Deutschlands. Durch Waldzerstörungen verschwin-
en nicht nur wertvolle Lebensräume für Tiere und
flanzen; auch die für den Klimaschutz notwenige Koh-
nstoffspeicherung der Wälder wird erheblich abge-
enkt. Waldzerstörungen tragen mit rund 20 Prozent zu
en globalen Emissionen von Treibhausgasen bei.
Eine wichtige Ursache für die weltweiten Waldzerstö-
ngen ist der illegale Holzeinschlag insbesondere in den
ropen. In Deutschland und anderen Ländern Europas
t der illegale Holzeinschlag in der Regel kein ausge-
rägtes Problem. Wahr ist aber auch, dass Europa ein
ichtiger Markt für Holz aus anderen Teilen Welt ist –
uch für Holz aus illegalem Einschlag. Das Johann-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12129
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Heinrich-von-Thünen-Institut hat ermittelt, dass 10 bis
18 Prozent des Holzes, das zwischen der EU und Dritt-
ländern gehandelt wird, aus illegalem Einschlag stammt.
Für Deutschland wird davon ausgegangen, dass 3 bis
6 Prozent aller Holzeinfuhren illegaler Herkunft sind.
Damit unsere Nachfrage nach Holz nicht zu Waldzer-
störungen anderswo beiträgt, müssen wir dem Handel
mit illegal geschlagenem Holz einen Riegel vorschieben.
Aufgrund der überragenden Bedeutung der Wälder für
die Biodiversität und den Klimaschutz muss der Wald-
zerstörung Einhalt geboten werden. Die Europäische
Union hat sich dieser Aufgabe angenommen: Mit dem
Aktionsplan „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und
Handel im Forstsektor“, Forest Law Enforcement, Go-
vernance and Trade – FLEGT, will die EU Holzimporte
besser kontrollieren und den illegalen Holzeinschlag be-
kämpfen.
Zentrale Bausteine des FLEGT-Aktionsplans sind
zwei Verordnungen: Im vergangenen Jahr wurde vom
Europäischen Parlament und vom Rat die EU-Holzhan-
delsverordnung beschlossen, die das Inverkehrbringen
von illegal geschlagenem Holz verbietet. Zudem werden
den Marktteilnehmern bestimmte Sorgfaltspflichten vor-
geschrieben.
Bereits aus dem Jahr 2005 stammt eine weitere Ver-
ordnung, die Holzeinfuhren aus den Partnerländern der
EU regelt. Um die letztgenannte Verordnung in Deutsch-
land umzusetzen, hat die Bundesregierung das Holzhan-
dels-Sicherungs-Gesetz vorgelegt, das wir heute ab-
schließend beraten.
Mit dem Holzhandels-Sicherungs-Gesetz wollen wir
die erforderlichen Regelungen schaffen, damit deutsche
Behörden Holzlieferungen aus den Partnerländern der
EU kontrollieren können. Partnerländer sind derzeit
Ghana, Kamerun, Kongo und die Zentralafrikanische
Republik. Im Rahmen von freiwilligen Partnerschaftsab-
kommen hilft die EU den Partnerländern dabei, dass nur
legal geschlagenes Holz auf den Markt gelangen kann
und die Forstwirtschaft an den Prinzipien der Nachhal-
tigkeit ausgerichtet wird. Im Gegenzug können die Part-
nerländer nur noch Holz in die EU einführen, das legal
geschlagen wurde. Die Legalität wird durch eine soge-
nannte FLEGT-Genehmigung nachgewiesen, die bei der
Einfuhr in die EU von den zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten kontrolliert wird. Das Holzhandels-Si-
cherungs-Gesetz sieht vor, dass die Kontrollen in
Deutschland vom Bundesamt für Landwirtschaft und Er-
nährung, BLE, und von den Zollbehörden durchgeführt
werden.
Aus meiner Sicht sind die freiwilligen Partnerschafts-
abkommen und die Einführung des FLEGT-Genehmi-
gungssystems der richtige Ansatz: Europa stellt nicht
einseitige Gebote auf, sondern leistet Hilfestellung, um
vor Ort eine legale und nachhaltige Waldbewirtschaf-
tung aufzubauen. Dies ist eine wichtige Maßnahme ge-
gen den Raubbau am Wald. Nur wenn sich eine legale
und nachhaltige Waldnutzung wirtschaftlich lohnt, be-
stehen auch Anreize, die Wälder auf Dauer zu erhalten.
Ziel muss es sein, dass die Holzwirtschaft in den Part-
nerländern langfristig zur Existenzsicherung der Men-
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chen beitragen kann, die im und vom Wald leben. Für
andel, Holzverarbeiter und Endverbraucher in Europa
ringt die Einführung der FLEGT-Genehmigung mehr
icherheit, dass Holz aus den Partnerländern legal ge-
chlagen wurde.
Damit möglichst viele Holzeinfuhren in die EU unter
ie FLEGT-Genehmigung fallen, ist es wünschenswert,
ass mit mehr Holzlieferländern Partnerschaftsabkom-
en geschlossen werden. Die Partnerschaftsabkommen
it Ghana, Kamerun, Kongo und der Zentralafrikani-
chen Republik können nur ein Anfang sein. Sicher ist
icht zu erwarten, dass mit allen Holzlieferländern Part-
erschaftsabkommen vereinbart werden können. Aus
iesem Grund ist es äußerst wichtig, die bereits ange-
prochene EU-Holzhandelsverordnung auch umzuset-
en. Um den illegalen Holzeinschlag einzudämmen,
chreibt diese Verordnung den Marktteilnehmern in der
U bestimmte Sorgfaltspflichten vor, und zwar unab-
ängig vom Herkunftsland des Holzes.
Neben der Hilfe zum Aufbau einer legalen und nach-
altigen Waldbewirtschaftung bieten die Partnerschafts-
bkommen auch den Vorteil, dass durch die FLEGT-Ge-
ehmigung bestimmte Nachweispflichten aus der EU-
olzhandelsverordnung entfallen. Es ist bereits jetzt er-
ennbar, dass dies weitere Holzlieferländer motiviert,
uch Partnerschaftsabkommen mit der EU anzustreben.
s ist erfreulicherweise damit zu rechnen, dass die EU
ald mit fünf weiteren Holzlieferländern Partnerschafts-
bkommen abschließen wird.
Im Holzhandels-Sicherungs-Gesetz ist vorgesehen,
ass bei der Einfuhr von Holz aus Partnerländern nach
eutschland die Überprüfung der FLEGT-Genehmigun-
en durch das BLE sowie durch die Zollbehörden er-
lgt. Um einen reibungslosen Datenaustausch zwischen
en Behörden zu ermöglichen, ist die Anschaffung eines
euen IT-Systems geplant. Die Investitionskosten in
öhe von 500 000 Euro erscheinen auf den ersten Blick
ls viel Geld. Wenn man aber bedenkt, dass in absehba-
r Zeit weitere Länder hinzukommen werden und eine
teigende Anzahl von Holzeinfuhren aus diesen Ländern
u überprüfen sein wird, so wird die Verhältnismäßigkeit
er eingesetzten Finanzmittel schnell gegeben sein.
BLE und Zollbehörden müssen effektiv zusammenar-
eiten, um Verstöße gegen das FLEGT-Genehmigungs-
ystem aufzuspüren und illegal geschlagenes Holz vom
arkt zu nehmen. Das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz
erleiht dem BLE die dafür erforderlichen Befugnisse: So
önnen beispielsweise verdächtige Holzlieferungen si-
hergestellt und untersucht werden. Entsprechen Liefe-
ngen nicht den Anforderungen des FLEGT-Genehmi-
ungssystems, so kann die Behörde diese Lieferung
öllig aus dem Verkehr ziehen. Zur Ahndung von Verstö-
en gegen das FLEGT-Genehmigungssystem sind zudem
trafen und Bußgelder vorgesehen. Das Holzhandels-Si-
herungs-Gesetz macht deutlich, dass für uns in Deutsch-
nd der Handel mit illegal geschlagenem Holz kein Ka-
aliersdelikt ist. Illegaler Holzeinschlag trägt nicht nur
ur weltweiten Zerstörung der Wälder bei, er verzerrt
uch erheblich den Wettbewerb auf dem Holzmarkt. Holz
us illegalem Einschlag muss so gut es geht vom Markt
12130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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genommen werden, damit die Marktteilnehmer, die legal
und nachhaltig erzeugtes Holz anbieten, nicht benachtei-
ligt sind.
Das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz ist ein wichtiger
Schritt, um den Handel mit illegal geschlagenem Holz
zu bekämpfen. Weitere Schritte müssen unbedingt fol-
gen. Ich denke besonders an die Umsetzung der EU-
Holzhandelsverordnung. Mit dem Holzhandels-Siche-
rungs-Gesetz setzen wir im Internationalen Jahr der
Wälder ein wichtiges Signal, dass Deutschland entschie-
den gegen den Handel mit illegal geschlagenem Holz
vorgeht und einen Beitrag zum weltweiten Schutz der
Wälder leistet.
Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetz zuzustimmen.
Petra Crone (SPD): Leider muss ich auch im Inter-
nationalen Jahr der Wälder meine Rede mit dem Satz be-
ginnen: Die illegale Abholzung ist in vielen waldreichen
Ländern der Welt immer noch gängige Praxis. Der ge-
samte Verlust an Wald auf der Erde beläuft sich laut Be-
rechnungen der Welternährungsorganisation FAO auf
jährlich etwa 13 Millionen Hektar. Wir verlieren hier
überwiegend Flächen des tropischen Regenwaldes, und
wir verlieren Herzstücke der Biodiversität. Ein Verlust
von 13 Millionen Kubikmeter hieße: Wir würden kom-
plett unsere deutsche Waldfläche innerhalb eines Jahres
verlieren.
Illegaler Holzeinschlag ist ein Problem, das in seinen
Ausmaßen nicht verheerend genug beschrieben werden
kann – vom Verlust der Artenvielfalt bis hin zu den
nachteiligen sozialen Folgen für die dortige Bevölke-
rung. Waldrodung ist zudem für rund 20 Prozent der
Treibhausgasemissionen verantwortlich. Was nach dem
globalen Raub an der Natur zurückbleibt, ist ein zerstör-
ter Wald. Er ist kein Lebensraum mehr – weder für Men-
schen noch für Tiere und Pflanzen.
Ein starker Motor für die Zerstörung der Wälder ist
die internationale und die europäische Nachfrage nach
billigem Holz. Die Einfuhr illegalen Holzes nach
Deutschland liegt schätzungsweise bei 3 bis 6 Prozent.
Würden wir uns nur die Tropenholzimporte anschauen,
läge der Anteil wohl um einiges höher. Es ist fast un-
möglich, belastbare Zahlen über den Raubholzhandel zu
bekommen. Der Anteil an illegalem oder verdächtigem
Holz wird bei Lieferungen aus Afrika oder Südostasien
auf fast 50 Prozent geschätzt.
Es herrscht also dringendster Handlungsbedarf. Im
Jahr 2003 wurde auf europäischer Ebene der Aktions-
plan „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel
im Forstsektor“, kurz FLEGT, ins Leben gerufen. Ein
Eckstein dieser Politik sind die freiwilligen Partner-
schaftsabkommen zwischen der EU und holzausführen-
den Ländern. Sie bezwecken eine aktive Einbeziehung
waldreicher Länder, in denen sich der illegale Holzein-
schlag jeden Tag vollzieht.
Das uns vorliegende Holzhandels-Sicherungs-Gesetz
setzt nun die europäische Verordnung zur Einrichtung ei-
nes FLEGT-Genehmigungssystems für Holzeinfuhren in
die Europäische Gemeinschaft in nationales Recht um.
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m Ende soll, vor allem für die Verbraucherinnen und
erbraucher, die Gewissheit stehen: Alle Hölzer und
olzprodukte aus dem Partnerland sind legalen Ur-
prungs. Hierzu wird die Fracht mit einer FLEGT-Ge-
ehmigung versehen. Fehlt diese Genehmigung, ist die
infuhr von Holzprodukten aus dem Partnerland verbo-
n.
Als erstes Partnerland hat Ghana Ende 2009 ein Ab-
ommen mit der EU unterzeichnet. Die Republiken
ongo und Kamerun werden folgen, später auch die
entralafrikanische Republik. Die Ratifizierungen müs-
en abgewartet warten. Weitere Verhandlungen sind im
ange. Ich hoffe auf viele belastbare Abschlüsse, beson-
ers mit Malaysia und Indonesien. Im Herkunftsland
elbst wird ein Rückverfolgungssystem für Holz einge-
chtet. Dieses soll die definierte Legalität gewährleisten.
er erste und der wichtigste Kontrollpunkt ist unseres
rachtens schon die Baumfällung. Die Vertragsparteien
erpflichten sich zudem, eventuelle negative Auswir-
ungen des Abkommens auf die Existenzgrundlagen der
kalen Gemeinschaften zu verhindern. Es werden bei-
pielsweise Einkommensalternativen für Holzfäller ge-
chaffen.
Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass
er Erfolg der Partnerschaftsabkommen im Wesent-
chen von der politischen Situation in den Ländern ab-
ängen wird. Bestehen stabile rechtsstaatliche Struktu-
n und eine Verwaltung, die die Einhaltung der
egalität sichert? Oder besteht erhöhtes Risiko, dass
ine illegale Regelung durch einen Federstrich legal
ird? Die Unterstützung von guter Regierungsführung
uch im Rahmen der FLEGT-Maßnahmen bleibt daher
on zentraler Bedeutung.
Wie gestaltet sich nun die Kontrolle in Deutschland?
as wird durch das vorliegende Gesetz geregelt. Vorab
ill ich anmerken: Ein Gesetz kann immer nur so gut
ein, wie dessen Umsetzung gelingt. Als zuständige Be-
örde ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Er-
ährung vorgesehen. Sie wird alle FLEGT-Zertifikate
berprüfen. Bei Zweifeln am FLEGT-Genehmigungs-
chein dürfen Proben auf Kosten des Importeurs durch-
eführt werden. Zur Untersuchung des Holzes müssen
nserer Auffassung nach neben dem genetischen Finger-
bdruck-Verfahren alle wissenschaftlich anerkannten
ethoden angewendet werden, vor allem die Stabile-
otopen-Analytik. Jeder Ort der Welt besitzt durch die
igenheiten von Geografie und Klima ein charakteristi-
ches Isotopenmuster. Dank dieses einmaligen Musters
ann überprüft werden, ob eine behauptete Herkunftsan-
abe auch stimmt. Was sich schon im Lebensmittelbe-
ich bewährt hat, sollte ebenso für Holz Anwendung
nden.
Darüber hinaus erscheinen der SPD-Bundestagsfrak-
on 16 Stichproben beim Zoll, also bei nur 1 Prozent der
ieferungen, zu gering. Wir nehmen aber die Bundesre-
ierung beim Wort: Bei begründetem Verdacht werde die
nzahl der Stichproben ausgeweitet. Der Zoll wird laut
uskunft des BMELV in der letzten Ausschusssitzung
ieferungen aus kritischen Regionen vermehrt unter die
upe nehmen. Die gelieferten Daten und Erkenntnisse
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12131
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sollten in der Folge einem europaweiten Datenaustausch
zugeführt werden. Er muss gegenseitig und unverzüglich
stattfinden können. Der Handel mit illegalem Holz kennt
schließlich auch keine Grenzen. Die Gefahr der Re-Im-
porte über Transitländer in unsere Märkte bleibt weiterhin
bestehen. Ein Manko werden auch die im FLEGT-Ab-
kommen nicht erfassten Holzproduktgruppen bleiben:
Möbel, Papier, Holzkohle und Brennholz werden nicht
berücksichtigt.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden
Gesetzentwurf dennoch zustimmen. Der weitaus umfang-
reichere Part erwartet uns bei der erforderlichen nationa-
len Umsetzung des europäischen Holzhandelsgesetzes
Mitte bis Ende 2012. Mithilfe des FLEGT-Genehmi-
gungssystems für Holzeinfuhren in die Europäische Ge-
meinschaft kann die legale Nutzung der Wälder im
FLEGT-Partnerland zumindest garantiert werden. Ich be-
tone: Es geht um die Legalität. Zukünftig wird es aber da-
rauf ankommen, dass wir der Legalität die Nachhaltigkeit
an die Seite stellen. Gerade in der beginnenden Garten-
möbelsaison möchte ich auf die legale, ökologisch und
sozial verantwortliche Waldbewirtschaftung verweisen,
die beispielsweise das FSC-Siegel garantiert. Ohne nach-
haltige Waldnutzung wird es nicht gehen – das gilt im Üb-
rigen auch für unseren deutschen Wald.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Wir wollen in-
takte Primärwälder erhalten. Naturnahe Wälder sind die
wichtigsten und größten Schatzkammern der Artenviel-
falt. Sie sorgen für eine bessere Luftqualität und produ-
zieren Sauerstoff. Für die Menschen vor Ort stellen in-
takte Urwälder die Lebensgrundlage dar, sie schützen den
Boden und das Wasser, liefern Nahrung und wertvolle
nachwachsende Rohstoffe. Sie sind zudem entscheidend
an der Speicherung von atmosphärischem Kohlenstoffdi-
oxid beteiligt. Laut IPCC, dem Intergovernmental Panel
on Climate Change, stammen bis zu 30 Prozent der zu-
sätzlichen Belastungen der Atmosphäre mit Kohlenstoff-
dioxid aus der Zerstörung von Wäldern.
Nach Angaben der FAO gingen in den letzten zehn
Jahren jährlich 13 Millionen Hektar naturnaher Wälder
verloren. Das ist mehr als die gesamte Waldfläche
Deutschlands. Insbesondere die Rodung von Wäldern
für den Anbau von Soja, die Weidehaltung und die An-
lage von Palmölplantagen, aber auch der illegale Holz-
einschlag bedrohen die wertvollen Waldflächen. Der
Raubbau ist in den Staaten der Tropen Afrikas, Südost-
asiens und Südamerikas erheblich und die Satellitenbil-
der machen es deutlich. An diesen Verlusten hat der ille-
gale Holzeinschlag einen erheblichen Anteil. Die Zahlen
aus dem „Global Forest Resources Assessment 2010“
der FAO zeigen eindeutig: Außerhalb Europas wird nur
ein Bruchteil der Wälder nach den Kriterien der Nach-
haltigkeit bewirtschaftet.
Deutschland gehört wie China, die USA und Japan zu
den großen Importländern von Holz und Holzprodukten.
Wir sind uns fraktionsübergreifend einig, dass bei der
Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und des Holz-
handels Handlungsbedarf besteht. Etwa ein Drittel ihres
Rohholzbedarfs importiert die EU aus Drittstaaten. Des-
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alb haben wir eine besondere Verantwortung, dass von
ns genutztes Holz nur aus legaler und selbstverständ-
ch auch nachhaltiger Bewirtschaftung von Wäldern
tammt. Wir sind uns einig, dass der Handel mit illegal
eschlagenem Holz und dessen Import in die EU unter-
unden werden muss. Die FDP unterstützt ausdrücklich
en Kampf gegen den illegalen Holzeinschlag und den
andel mit solchem Holz.
Ein wichtiger Baustein ist die im Jahr 2005 auf
U-Ebene beschlossene FLEGT-Verordnung (EG) 2173/
005; dabei steht FLEGT für Forest Law Enforcement,
overnment and Trade. Ziel der europäischen Initiative
t es, mithilfe von freiwilligen Partnerschaftsabkommen,
on Voluntary Partnership Agreements oder VPAs, die
ichtigen Herkunftsländer von Tropenholz zu einer bes-
eren Überwachung und nachhaltigen Waldwirtschaft zu
hren. Dazu müssen Einfuhrbeschränkungen in Kraft
eten, sodass nur noch Hölzer mit gültiger FLEGT-Ge-
ehmigung in die EU importiert werden dürfen. Wir un-
rstützen die Bemühungen der Kommission, mit einer
öglichst großen Zahl von Herkunftsländern Partner-
chaftsabkommen auszuhandeln. Allerdings müssen wir
ststellen, dass derzeit VPA lediglich mit Kamerun, der
emokratischen Republik Kongo, Ghana und Kongo-
razzaville abgeschlossen wurden. Somit ist bisher ledig-
ch ein kleiner Teil der Holzimporte erfasst. Es ist aus
nserer Sicht entscheidend, vorrangig die größten Expor-
ure von Tropenholz wie Indonesien in das FLEGT-Sys-
m einzubinden. Nur so können die am stärksten bedroh-
n Wälder auch effektiv geschützt werden.
Die Regelungen im Holzhandels-Sicherungs-Gesetz
edeuten für die betroffenen Holzhandelsunternehmen
ie Erhöhung ihres wirtschaftlichen Risikos. Die Verant-
ortung für fehlerhaft ausgestellte Zertifikate liegt allein
ei den Importeuren. Zudem erzeugen die FLEGT-Ver-
rdnung, die Ende 2010 verabschiedete EU-Holzhan-
elsverordnung (EU) 995/2010 und das vorliegende Ge-
etz einen deutlichen bürokratischen Mehraufwand. Dies
etrifft die Wirtschaft wie die zuständige Bundesanstalt
r Landwirtschaft und Ernährung, die BLE, gleicherma-
en. Auch wenn die genannten Maßnahmen zur Rettung
er Tropenwälder ein sinnvoller Beitrag sein werden,
ollte angesichts des bisher sehr geringen Liefervolu-
ens aus Partnerländern insofern mit Bedacht vorgegan-
en werden. Allein die Investitionen in ein Datenaus-
uschsystem zwischen der BLE und den Zollbehörden
oll laut Begründung des Gesetzes etwa eine halbe Mil-
on Euro kosten. Um diese erheblichen Investitionen zu
chtfertigen, müssen zügig mit weiteren Ländern VPAs
bgeschlossen werden. Es muss kritisch die Höhe der In-
estitionen überprüft werden.
Auf nationaler Ebene sind die zuständigen Behörden
azu angehalten, für eine zügige Umsetzung des Holz-
andels-Sicherungs-Gesetzes zu sorgen. Die Kontrollen
urch die Zollbehörden müssen risikoorientiert und in
bstimmung mit den betroffenen Wirtschaftsbereichen
rfolgen. Aus diesem Grund begrüßen wir die Initiativen
es Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
nd Verbraucherschutz, schnellere, zuverlässigere und
raktikablere Methoden zur Kontrolle zu entwickeln. Aus
beraler Sicht können neue wissenschaftliche Methoden
12132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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helfen, Verdachtsfälle eindeutig aufzuklären und die
Kontrollen wesentlich zu vereinfachen und zu beschleu-
nigen. Beispiele sind das genetische Fingerprinting, das
am Institut für Forstgenetik des von-Thünen-Institutes in
Großhansdorf entwickelt wird, oder die Isotopenanalyse.
Angesichts der erschwerten Beweisführung bei Ver-
dachtsfällen und angesichts des wirtschaftlichen Risikos
für die Holzimporteure, die oft dem Mittelstand angehö-
ren, sind wir auf moderne und effiziente Kontrollmetho-
den angewiesen.
Die FDP-Fraktion unterstützt die Bemühungen der
Bundesregierung beim Kampf gegen den illegalen Holz-
einschlag, und wir freuen uns, dass im Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz alle
Fraktionen für den Gesetzentwurf gestimmt haben. Wir
stimmen dem Holzhandels-Sicherungs-Gesetz im Bun-
destag zu und setzen uns ausdrücklich dafür ein, weitere
Länder in das FLEGT-System mit einzubeziehen.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Illegaler
Holzeinschlag bedroht weltweit die Wälder. „Bei der
Ernte, Transport, Einkauf oder Verkauf des Holzes wird
gegen nationale oder internationale Gesetze verstoßen“,
schreibt der WWF. Das ist inakzeptabel. Auch bis zu
6 Prozent der Holzeinfuhren nach Deutschland sind ille-
gal. Diese Zahl bezieht sich auf alle Hölzer, also auch
EU-Holz. Bezogen auf Holz aus Drittländern dürfte der
Prozentsatz illegalen Holzes noch deutlich höher sein.
Beispielsweise sollen 80 Prozent des Amazonasholzes
aus Raubbau stammen. Das ist ein lukrativer krimineller
Markt, der dringend geschlossen werden muss.
Zuletzt debattierte der Bundestag im Frühjahr 2010
über das Thema, als eine EU-Verordnung über Holz und
Holzerzeugnisse erarbeitet wurde. Bei allen Meinungs-
verschiedenheiten in Detailfragen wurde dennoch klar:
Europa kämpft gemeinsam gegen Holz aus Raubbau.
Bereits 2003 verabschiedete die EU einen FLEGT-Ak-
tionsplan. Mit diesem soll der illegale Holzhandel ver-
hindert und freiwillige Partnerschaftsabkommen mit
Drittstaaten gestärkt werden, die sich an überprüfbare
Forstgesetze halten. Die Linke begrüßt das ausdrücklich.
Wir treten für eine nachhaltige, also soziale, ökologische
und wirtschaftliche, Forstwirtschaft ein. Dazu gehört,
dass Holzabbau selbstverständlich nur in Gebieten erfol-
gen darf, die für Holznutzung ausgewiesen sind. Natio-
nalparke und andere Juwelen der Artenvielfalt müssen
tabu sein.
Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf
dient zunächst nur der Einrichtung eines nationalen Ge-
nehmigungssystems für Holzeinfuhren aus Ländern, mit
denen ein Partnerschaftsabkommen geschlossen wurde.
Damit wird eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2005 in
deutsches Recht umgesetzt. Es geht dabei um Holz aus
Partnerländern wie zum Beispiel Ghana, Kamerun oder
der Republik Kongo. Diese Länder haben sich gegen-
über der EU verpflichtet, dem illegalen Raubbau den
Kampf anzusagen. Sie haben eigene Forstgesetze erlas-
sen und ein Prüf- und Kontrollsystem entwickelt. Damit
wird das Holz aus diesen Ländern schon deutlich stärker
unter die Lupe genommen als das Holz aus anderen Im-
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ortländern. Trotzdem muss natürlich auch dieses Holz
ontrolliert werden.
Was bringt das Gesetz? Erstens. Verbraucherinnen
nd Verbraucher können ihren Beitrag gegen den Raub-
au an Wäldern leisten. Dazu ein Beispiel: Ein deutscher
auhandel hat Gartenmöbel bei einem Möbelhersteller
estellt. Der baut diese aus Holzimporten aus Ghana.
isher konnte man nicht sicher sein, dass der Stuhl aus
galem Holz gebaut wurde. Jetzt erhöht sich die Chance
er Legalität, denn Baumärkte können und werden da-
uf achten, nur noch Gartenmöbel von einem Hersteller
u kaufen, der keine krummen Geschäfte macht. Wer
ill schon Ärger mit dem Zoll – und damit die Kunden
erschrecken? Der Hersteller muss die entsprechenden
ertifikate des Partnerlandes besitzen. Stammt das Holz
us einer illegalen Quelle – wurde also zum Beispiel in ei-
em Naturschutzgebiet ohne Genehmigung geschlagen –,
ann wird es aus dem Verkehr gezogen. Es droht eine
aftige Strafe: ein Jahr Gefängnis oder 50 000 Euro.
Zweitens. Durch die Nachfrage nach legalem Holz
nd durch die Kampfansage an illegales Holz wird die
iodiversität geschützt. Denn die forstlich nicht oder
icht mehr genutzten Waldbereiche dieser Erde sind für
iere und Pflanzen von großer Bedeutung. Sie stellen ei-
en Rückzugsraum für bedrohte Arten dar, sie geben
aum für natürliche Entwicklungsprozesse und sind das
enetische Sparkonto für die Zukunft. Denn nur wenn
enetische Vielfalt vorhanden ist, können sich Arten an
eränderte Umweltbedingungen anpassen. Darum tritt
ie Linke für 5 Prozent ungenutzte Waldflächen ein, üb-
gens nicht nur international, sondern auch in Deutsch-
nd. Drittens. Die EU gibt ein deutliches Zeichen an die
artnerländer: Sie definiert, was legale Forstwirtschaft
t, und erarbeitet ein Kontrollsystem, damit die kom-
lette Kette vom Baumarkt bis zum Herkunftsland zu-
ckverfolgt werden kann.
Mit all dem geht der vorliegende Gesetzentwurf in die
chtige Richtung. Neben Licht gibt es allerdings auch
chatten zu erwähnen. Zum Beispiel soll nur 1 Prozent
er Lieferungen stichprobenartig kontrolliert werden.
as betrifft nach Kalkulation des BMELV in den kom-
enden Jahren nur circa 16 jährliche Stichproben. Das
t viel zu wenig. Die Kontrollen sollten sich an den
isiken der Produktkategorien und Herkünfte bemessen.
obald ein begründeter Verdacht besteht, muss einge-
riffen und kontrolliert werden. Insofern ist der Zoll in
er Pflicht, begründeten kritischen Hinweisen auf mögli-
he illegale Holzlieferungen nachzugehen.
Bedauerlich ist auch, dass nicht gleichzeitig die Holz-
andels-Verordnung aus dem Jahr 2010 in nationales
echt übernommen wird. Anscheinend soll noch auf die
urchführungsbestimmungen gewartet werden, sodass
ir das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz wohl erst 2013
ieder im Bundestag debattieren werden. Man kann nur
offen, dass dann wenigstens das Ergebnis den langen
eratungszeitraum rechtfertigt. Denn eigentlich dürfen
ir keine Zeit mehr verlieren im konsequenten Kampf
egen den Raubbau am Wald. Dabei dürfen wir aber
urchaus auch vor der eigenen Tür kehren, denn die
aldstrategie 2020 der Bundesregierung lässt ja leider
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12133
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weiter auf sich warten. Trotzdem stimmt die Linke dem
heute vorliegenden Gesetzentwurf zu.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bünd-
nis 90/Die Grünen begrüßen, dass die Bundesregierung es
im Internationalen Jahr der Wälder endlich geschafft hat,
diesen Gesetzentwurf vorzulegen, und stimmen ihm zu.
Denn er ist die überfällige Umsetzung der FLEGT-Verord-
nung, die die EU zur Bekämpfung des Handels mit illega-
lem Holz bereits im Dezember 2005 beschlossen hat –
übrigens seinerzeit noch unter Mitwirkung des Interims-
Agrarministers Jürgen Trittin.
Man fragt sich, warum sich die Bundesregierung mit
der Umsetzung so viel Zeit gelassen hat, wenn es vor al-
lem darum ging, die für die Kontrolle von FLEGT-Holz-
importen zuständigen Behörden zu benennen. Die Um-
setzung hätte schon längst erfolgen können. Andererseits
sind die Folgen dieser Trödelei begrenzt, weil es bis vor
kurzem gar keine Partnerschaftsabkommen auf Grund-
lage der FLEGT-Verordnung gegeben hat. Dementspre-
chend waren auch keine FLEGT-Importe zu kontrollie-
ren.
Nun darf man sich jedoch trotz des vielversprechen-
den Namens keine Illusionen über die Reichweite des
Gesetzes hingeben: Das „Gesetz gegen den Handel mit
illegal eingeschlagenem Holz“ wird vorerst nur für Im-
porte aus Ländern gelten, mit denen die EU tatsächlich
ein FLEGT-Partnerschaftsabkommen abgeschlossen hat.
Das sind laut gestriger Auskunft der Bundesregierung
erst vier Länder: Ghana, Kongo-Brazzaville, Kamerun
und demnächst auch die Zentralafrikanische Republik.
Nach Lage der Dinge wird es noch Jahre dauern, bis
alle wichtigen Holzhandelsländer, in denen es illegalen
Holzeinschlag gibt, ein Abkommen unterschrieben ha-
ben werden. Bisher wird nur mit einem Teil der fragli-
chen Länder verhandelt, immerhin aber mittlerweile mit
den großen Urwaldländern Indonesien und Brasilien.
Die Zeit drängt, denn jedes Jahr gehen 13 Millionen
Hektar Urwald verloren.
Daran erkennt man, wie falsch es von den Gegnern ei-
nes Importverbotes für illegales Holz all die Jahre lang
gewesen ist, zu sagen: Wir brauchen kein Importverbot
für illegales Holz, weil wir FLEGT haben. – Wir haben
uns hier im Bundestag jahrelang darüber gestritten, ob es
möglich ist, ein nationales Importverbot für illegales
Holz zu erlassen. Und wir haben uns darüber gestritten,
ob die Bundesregierung ein EU-weites Importverbot für
illegales Holz fordern sollte. Diese unsere Forderungen
haben Union und SPD in der letzten Legislaturperiode
hier im Bundestag allesamt abgelehnt.
Nun hat die EU auch ohne Druck durch die Bundesre-
gierung mit der FLEGT-Holzhandelsverordnung vom
20. Oktober 2010 ein faktisches Verbot für illegal einge-
schlagenes Holz beschlossen. Ein Verbot, das für alle
Länder gilt. Auf dieses EU-weite Importverbot für ille-
gales Holz haben wir Bündnisgrüne jahrelang gedrängt.
Der Wermutstropfen ist, dass es erst im März 2013 in
Kraft tritt.
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Deshalb werden wir Grüne auf einen schnellen Ab-
chluss weiterer FLEGT-Partnerschaftsabkommen drän-
en und natürlich auf eine rechtzeitige und zügige Umset-
ung der FLEGT-Holzhandelsverordnung in nationales
echt, damit illegales Holz auf dem europäischen Holz-
arkt keine Chance mehr hat. Das wäre dann ein weiterer
rfolg für den Schutz der Wälder dieser Welt.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Hochschulzulassung
bundesgesetzlich regeln – Sozialen Zugang und
Durchlässigkeit in Masterstudiengängen si-
chern (Tagesordnungspunkt 15)
Monika Grütters (CDU/CSU): Nun reden wir heute
um wiederholten Male über das neue Hochschulzulas-
ungsverfahren, das wir alle deshalb einführen wollten,
eil wir den vielen Studierenden in Deutschland ein bes-
eres Verfahren bieten wollen, als es derzeit vorhanden
t.
Wir wollten das europaweit modernste Hochschulzu-
ssungsverfahren für Deutschland an den Start bringen.
us Verantwortung für die Studierenden hat sich der
und deshalb zu einer einmaligen Investition von sage
nd schreibe 15 Millionen Euro bereit erklärt, mit der
ine neue Software entwickelt worden ist, die es den
tudierenden ermöglicht, bis zu neun Studienwünsche
n den verschiedenen Hochschulen gleichzeitig zu plat-
ieren. Im Idealfall hätte man also für die Studierenden
irklich die Lebenssituation entscheidend verbessert:
icht mehr zwischen zwei nacheinander zu entscheiden-
en Studienwünschen hätten sie ihre Zukunft planen
önnen, sondern gleich neun Varianten könnten ihnen
lativ kurzfristig die Entscheidung über ihren Studien-
rt – und das heißt: über ihren weiteren Lebensweg – er-
ichtern.
Wir alle gemeinsam, quer über alle Parteigrenzen hin-
eg, sind enttäuscht, frustriert, aber auch verärgert da-
ber, dass allen Aussagen der Verantwortlichen zum
rotz jetzt, Mitte April 2011, erkannt werden muss, dass
er ehrgeizige Zeitplan zum Start dieses so wichtigen
rojektes vom Wintersemester 2011/12 auf zunächst un-
estimmte Zeit verschoben werden muss. Es ist nicht
achvollziehbar, dass die verantwortlichen Projektent-
ickler, Vertreter der Länder und der Hochschulen, uns
och Mitte März im Ausschuss einen pünktlichen Start
es Zulassungsverfahrens in Aussicht gestellt haben und
tzt, gerade einmal drei Wochen später, zugeben, dass
ie großen Probleme bei der Softwareumstellung offen-
ar kurzfristig überhaupt nicht in den Griff zu bekom-
en sind.
Wir alle fragen uns und natürlich auch diejenigen, die
arüber Auskunft hätten geben können, wie eine solche
ehleinschätzung zustande kommen konnte. Aber mit
er Fragestellung ist ja jetzt nichts erreicht. Wir sind ver-
ntwortlich dafür, dass sich die Situation der Hochschu-
n und natürlich vor allem der Studierenden in absehba-
12134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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rer Zeit verbessert wird. Nach wie vor ist es die
Überzeugung der CDU, dass ein zentrales Zulassungs-
verfahren, das den Studierenden viele Wahlmöglichkei-
ten anbietet, die beste Lösung ist – besser jedenfalls als
das bisherige Verfahren, in dem dezentral alle Hoch-
schulen und Länder unterschiedliche Wege gehen. Das
Gebot der Stunde ist deshalb tatsächlich ein zentrales
Verfahren, so wie es jetzt geplant ist. Wir sind auch zu-
versichtlich, dass die Software zukünftig sehr attraktiv
sein wird. Deshalb ist es jetzt zuallererst nötig, die be-
rühmte „Schnittstellenproblematik“ mit der Vielzahl ver-
schiedenartiger Zulassungssysteme zu lösen.
Wir müssen mit allem Nachdruck der Gefahr begeg-
nen, dass jetzt einige ohnehin zögerliche Hochschulen
sich aus dem künftigen gemeinsamen Verfahren wieder
abmelden oder gar nicht erst mitmachen wollen. Was die
Situation aber sicher nicht verbessern würde, wäre der
im Antrag der Linken skizzierte Weg eines Bundesgeset-
zes, so wie es auch der ehemalige Präsident der Hoch-
schulrektorenkonferenz Landfried in seiner gewohnt
markigen Art in der Presse vorgeschlagen hat.
Wir setzen nach wie vor auf die Autonomie der Hoch-
schulen. Das ist ein sehr hohes Gut in der Wissenschaft.
Nicht der Bund, sondern vielmehr das Hochschulinfor-
mationssystem, HIS, und die Stiftung für Hochschulzu-
lassung sind jetzt in der Pflicht, eine schonungslose Feh-
leranalyse vorzunehmen, ihren selbst so genannten
„Aktionsplan“ zu konkretisieren und vor allem einen se-
riösen Zeitplan dafür vorzulegen. Das sind sie nicht nur
dem Bund als Hauptgeldgeber für die neue Software
schuldig, sondern vielmehr den Hochschulen und noch
mehr den Studierenden.
In der Bewertung des gesamten Vorgangs sind wir uns
sicher fraktionsübergreifend einig. Fürs Erste haben sich
die Projektentwickler mit ihren kurzfristig gegebenen
Zusagen für einen Start zum Wintersemester 2011 und
ihrem jetzigen Eingeständnis, dass das auf absehbare
Zeit verschoben wird, blamiert. Die CDU bleibt jedoch
bei ihrer Überzeugung: Das Dialogorientierte Service-
verfahren zu entwickeln, war und ist noch immer richtig.
Es bietet gegenüber der derzeitigen Situation Vorteile für
alle Beteiligten – für Studienanfänger wie für die Hoch-
schulen. Erstens bietet es die Möglichkeit, ein zentrales
Vergabeverfahren zu organisieren, ohne die Hochschu-
len ihrer Autonomie zu berauben. Darüber hinaus be-
schleunigt es die Studienplatzvergabe und räumt den
Studierenden mehr Möglichkeiten bei der Wahl ihres
Studienortes ein. Zweitens kann das neue Verfahren die
Studienplatzvergabe schneller, effizienter und transpa-
renter organisieren, wenn es denn einmal funktioniert.
Deshalb halten wir es nach wie vor für richtig, dass wir
als Parlament an dieser Stelle – trotz aller derzeitigen
Probleme – auch noch einmal unsere grundsätzliche Un-
terstützung für dieses Projekt dokumentieren.
Der unmittelbar ersichtliche Nutzen eines solch ver-
besserten Verfahrens für alle daran Beteiligten war und
bleibt ja auch der Grund, der den Bund zu einer An-
schubfinanzierung von 15 Millionen Euro veranlasst
hatte, obwohl diese Aufgabe – wie alle anderen auch –
eigentlich in die Zuständigkeit der Länder gefallen wäre.
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h darf an dieser Stelle sicher auch noch einmal daran
rinnern, dass das Dialogorientierte Serviceverfahren
uch von der SPD befürwortet worden ist, mit der wir
emeinsam die Anschubfinanzierung in der vergangenen
egislaturperiode auf den Weg gebracht haben.
Nun ist es angesichts der derzeitigen Situation letzt-
ch natürlich richtig, die Einführung zu verschieben,
eil auch insofern für alle gilt: Sicherheit geht vor
chnelligkeit. Wir hatten ja schon in der Anhörung her-
ushören können, dass die Stiftung schweren Herzens
iesen Weg im Zweifelsfall gehen würde, weil die Be-
enken in Bezug auf die berühmten Schnittstellen zwi-
chen der neuen Software und den verschiedenen älteren
ystemen schon lange vorhanden waren. Wir vertrauen
uch weiter auf die hohe Professionalität der ausgewie-
enen Experten vom Fraunhofer-Institut für Rechnerar-
hitektur und Softwaretechnik und auch darauf, dass sie
iejenigen sind, die im Kontakt mit den Softwareverant-
ortlichen an den einzelnen Hochschulen künftig diese
chnittstellenprobleme überwinden können.
Eine Bundesgesetzgebung, wie der Antrag der Linken
ie vorschlägt, hätte den Prozess der Softwareentwick-
ng sicher nicht beschleunigen können. Und jetzt, wie
andfried es vorschlägt, innerhalb von sechs Wochen
al schnell ein Bundesgesetz für einheitliche Zulas-
ungsregeln zu erlassen, ist völlig naiv. Da kann man
ich über einen Profi wie Landfried, der die Hochschul-
ndschaft aus seiner Amtszeit noch kennt, nur wundern.
enn nur durch eine bundesgesetzliche Zuständigkeit
ürden Schnittstellen auch nicht kompatibler.
Was ist die Konsequenz aus der derzeitigen Situation?
unächst einmal ist es ja schon bizarr, dass wir heute alle
emeinsam hier diese Debatte führen müssen – hatten
ir doch vor drei Wochen den Eindruck, Zeugen eines
ufriedenstellend funktionierenden künftigen Zulas-
ungssystems werden zu können. Jetzt gilt: Wir müssen
ns als Parlament offensichtlich noch häufiger und eng-
aschiger von den Verantwortlichen in den Hochschu-
n, in den Ländern und bei der Stiftung für Hochschul-
ulassung wie auch bei HIS darüber informieren lassen,
ie der tatsächliche Stand des Projektes ist. Denn das
ind wir alleine als Geldgeber – 15 Millionen Euro – den
tudierenden und den Hochschulen als potenziellen
ielgruppen und Nutznießern des Verfahrens schuldig.
ußerdem sollten wir bei der Betreuung der nächsten
chritte beachten, dass es auch um die neuerdings aufge-
orfenen Fragen des Datenschutzes geht, dass auch
ehramtsstudiengänge künftig in diesem Verfahren er-
sst werden und dass die Hochschulen in Deutschland
öglichst flächendeckend teilnehmen und nicht einige
ochschulen jetzt die Chance nutzen, sich langfristig der
eilnahme zu entziehen. Auch müssen wir darauf ach-
n, dass die Länder ihren Folgefinanzierungspflichten
achkommen. Die 15 Millionen sind ja jetzt nur für die
oftwareentwicklung verausgabt worden, die Länder
ind also künftig in der Finanzierungspflicht. Es war
usgerechnet worden, dass bei ungefähr 20 Euro pro
tudienplatz im Rahmen dieses Verfahrens für jedes
undesland Kosten in Höhe von 80 000 Euro bis
00 000 Euro entstehen werden – eine Summe also, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12135
(A) )
)(B)
meines Erachtens sehr wohl von den Ländern im Inte-
resse ihrer Studierenden erbracht werden kann. Passen
wir also auf, dass jetzt hier nicht neue Fragezeichen an
das Gesamtprojekt gemacht werden.
Zum Antrag der Linken abschließend noch ein paar
Worte: Es ist natürlich ihr gutes Recht und der klassische
Trick, anhand eines konkreten Vorgangs ideologische
Grundsatzfragen aufzuwerfen. Auch ein Zulassungsver-
fahren wird generelle bildungspolitische Sachverhalte
nicht umfassend lösen können. Dass die Schere zwi-
schen bildungsfernen und bildungsnahen Schichten sich
vergrößert, ist schlicht falsch: Sie wird substanziell klei-
ner; immer mehr Kinder aus bildungsfernen Schichten
studieren. Das wissen auch Sie von den Linken; ich
weise nur auf die HIS-Studie „Studienberechtigte 2008“
hin. Sie möchten, dass die Studierendenquote in
Deutschland erhöht wird. Auch das ist bereits seit Jahren
der Fall. Inzwischen ist es so, dass 46 Prozent eines Jahr-
gangs auf die Hochschulen gehen. Die Studierenden-
quote in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren
also bereits massiv erhöht, und das ist vor allem der Er-
folg des Hochschulpakts und seiner Architektinnen und
Architekten.
Sie sollten auch in Bezug auf ihr Stichwort „Master-
studium“ zur Kenntnis nehmen, dass Bachelorabsolven-
ten auf dem Arbeitsmarkt nicht länger brauchen, um ei-
nen Arbeitsplatz zu finden als ihre Kommilitonen mit
anderen akademischen Abschlüssen. Auch sie benötigen
im Durchschnitt drei Monate, um sich nach dem Ab-
schluss einen ersten Arbeitsplatz zu suchen. Einen
Rechtsanspruch auf den Master kann es nicht geben,
weil es in der Logik konsekutiver Studiengänge einfach
nicht vorgesehen ist. Sie können von mir aus die altbe-
kannte Kritik hier immer wiederholen; leider bleibt sie
substanzlos. Wenn Sie die Hochschulzulassung nur als
Alibi für ihre Fundamentalkritik benutzen, dann schaden
Sie den Studierenden und tragen nicht zu einer konstruk-
tiven Auseinandersetzung bei.
In der gegenwärtigen bedauerlichen Situation geht es
weniger um große ideologische Rundumschläge, son-
dern darum, dass wir gemeinsam und sehr pragmatisch
dafür Sorge tragen, dass sich die Zulassungssituation in
den überfüllten Studiengängen in Deutschland ent-
schärft. Wir sind einem echten Service- und Dienstleis-
tungsgedanken gegenüber den Studierenden verpflichtet.
Deshalb haben wir mit 15 Millionen Euro an Bundesmit-
teln ein Projekt auf den Weg gebracht, dass den Studie-
renden und den Hochschulen ihr Leben erheblich er-
leichtern könnte. Jetzt müssen die Projektentwickler ihre
Pflicht tun – seriöser als bisher und ohne falsche Zeitvor-
stellungen, aber doch mit dem Ziel vor Augen, die Miss-
stände zu beseitigen. In absehbarer und vertretbarer Zeit
muss den Studierenden das Angebot zur Verfügung ge-
stellt werden, das man nach einer Investition von 15 Mil-
lionen Euro an Bundesgeldern auch erwarten kann.
Tankred Schipanski (CDU/CSU): Die Linken nut-
zen die öffentlich gewordenen technischen Probleme bei
der Stiftung für Hochschulzulassung, um ihre bildungs-
politische Ideologie wieder einmal im Plenum zu disku-
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eren. Lobenswert ist, dass auch die Linken erkennen,
ass ein funktionierendes Verfahren zur Hochschulzulas-
ung notwendig ist und dass die Stiftung für Hochschul-
ulassung das richtige Instrument ist.
Bereits in der gestrigen Ausschusssitzung zeigte sich
ber die Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit dahin ge-
end, dass das dialogorientierte Serviceverfahren ein
chtiger und wichtiger Schritt ist, um die Vergabe von
tudienplätzen transparenter zu machen und um es an
ie Bedürfnisse der Studierenden, aber auch an die der
ochschulen anzupassen. Darüber hinaus sind wir uns
inig, dass wir jetzt in engem Dialog mit den Verant-
ortlichen eine Fehleranalyse vornehmen müssen, bei
er aufgeklärt wird, wo noch technische Probleme beste-
en – viel wird ja in diesen Tagen über die Schnittstellen
nd die Kompatibilitäten zwischen teilweise veralteter
ochschulsoftware und der von T-Systems entwickelten
oftware geredet. Hier brauchen wir Klarheit, um dann
ernünftige Lösungsansätze und einen realistischen Zeit-
hmen für die Einführung des Systems entwickeln zu
önnen.
Die aufgetretenen technischen Probleme sind jedoch
eine rechtlichen. Dies verkennen die Linken, wenn sie
unmehr als Allheilmittel ein „Bundeshochschulzulas-
ungsgesetz“ fordern. In Ihrem Antrag betonten Sie, dass
er Bund die ihm seit der Föderalismusreform 2006 zu-
tehende Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des
ochschulzuganges bislang noch nicht wahrgenommen
abe. Damit sagen Sie zwar nichts grundsätzlich Fal-
ches. Sie erwecken aber fälschlicherweise den Ein-
ruck, dass es explizites Ziel der Föderalismusreform
ewesen sei, die Hochschulzulassung zukünftig durch
en Bundesgesetzgeber regeln zu wollen. Damit offen-
aren Sie ein völliges Missverständnis in Bezug auf die
ystematik dieser Reform. Zum einen ist nämlich mit
em Wegfall der bundesgesetzlichen Rahmenkompetenz
Hochschulrecht eine Kompetenzveränderung vorge-
ommen worden, aus der sich nun wirklich kein Impera-
v für eine verstärkte hochschulrechtliche Gesetzge-
ungstätigkeit des Bundes herauslesen lässt.
Beim Bund verbleiben Kompetenzen im Bereich der
ochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse.
eide Kompetenzen stehen aber im Katalog der konkur-
erenden Gesetzgebung und fallen unter die Regelung
es Art. 72 Abs. 3 Grundgesetz; da geht es um die soge-
annte Abweichkompetenz der Länder. Diese Vorschrift
ibt den Ländern die Möglichkeit, auf eine bundesrecht-
che Regelung wiederum mit abweichendem Landes-
cht zu reagieren. Ihr Ansinnen, die Länder durch ein
undesgesetz vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist so-
it mehr als fragwürdig, denn es läuft Gefahr, ein Rege-
ngschaos zwischen Bund und Ländern hervorzurufen.
nser Ziel sollte es sein, im Dialog mit den Ländern zu
iner sinnvollen und zielorientierten Lösung zu kom-
en. Das ist jedoch nicht der einzige Irrtum in Ihrer
chtlichen Argumentation.
Mit Interesse habe ich gelesen, dass Sie Ihren Antrag
it Zitaten aus dem zweiten Urteil des Bundesverfas-
ungsgerichts zum Numerus clausus aus dem Jahre 1977
erziert haben. Ich will mich an dieser Stelle aber gar
12136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
nicht darüber streiten, wie sinnvoll oder vielmehr wie
sinnlos es ist, einzelne Zitate aus dem Gesamtzusam-
menhang höchstrichterlicher Rechtsprechung zu reißen.
Ich kann Ihnen aber versichern, dass Sie gut daran getan
hätten, nicht nur dieses Urteil, sondern auch das wesent-
lich grundlegendere Urteil des Bundesverfassungsge-
richts aus dem Jahre 1972 zu dieser Thematik vollstän-
dig zu lesen. Beide Urteile stammen aus einer Zeit, in
der sich die Universitäten der Gesellschaft gegenüber in
massivem Umfang geöffnet haben. Das Bundesverfas-
sungsgericht stellte bereits 1972 selber fest, dass der
Hochschulausbau mit der Verdoppelung der Zahl der
Studienanfänger – Referenzzeit waren die Jahre 1952 bis
1967 – nicht Schritt halten konnte. Diese Ressourcen-
knappheit infolge des stärksten Umbruchs unserer Uni-
versitätslandschaft ist wohl kaum mit der heutigen Situa-
tion zu vergleichen. Der angesprochenen Verdoppelung
der Zahl der Studienanfänger steht im aktuellen Refe-
renzzeitraum der letzten 15 Jahre ein Anstieg der Studie-
rendenzahl um lediglich 13 Prozent gegenüber. Das Ur-
teil entstammt also einer Zeit mit vollkommen
unterschiedlichen bildungspolitischen Herausforderun-
gen.
Dennoch stellt das Bundesverfassungsgericht in die-
sen Urteilen natürlich auch Grundlegendes fest, so etwa
auch, dass eine Auswahl zwischen hochschulzugangsbe-
rechtigten Bewerbern prinzipiell eine Ungleichbehand-
lung prinzipiell Gleichberechtigter darstellt. Es betont
daher richtigerweise auch den Grundsatz, dass Auswahl-
regelungen jedem Zulassungsberechtigten eine Chance
lassen müssen. Daraus ein generelles Recht auf die freie
Wahl des Faches wie des Studienortes zu konstruieren,
wie Sie es in Ihrem Antrag tun, ist aber doch verblüf-
fend. Das Bundesverfassungsgericht selbst stellt in dem
von Ihnen bemühten Urteil nämlich fest, ich zitiere: „In
harten Numerus-clausus-Fächern […] konnte [der
Grundsatz, jedem Zulassungsberechtigten eine Chance
zu lassen,] aber von Anfang an nicht so verstanden wer-
den, als müsse eine Zulassung zum Studium garantiert
werden. Schon begrifflich schließt die Einräumung von
Chancen das Risiko des Fehlschlages ein.“
In unserer Bundesrepublik geht es um Chancen-
gleichheit und nicht um Gleichmacherei, wie Sie dies
aus Ihrer sozialistischen Doktrin kennen. Davon zeugen
auch noch andere Passagen Ihres Antrags. Mit einer ge-
wissen Überraschung durfte ich in Ihrem Antrag lesen,
dass die Hochschulzugangsberechtigung in Form des
Abiturs „die logische Konsequenz aus der ständischen
Gliederung des bundesdeutschen Schulsystems“ sei. Es
ist schon sehr bezeichnend, dass Sie unser gegliedertes
Schulsystem, das den individuellen Begabungen des
Einzelnen gerecht zu werden sucht, mit Begriffen der
mittelalterlichen Feudalgesellschaft belegen. Solche
Formulierungen zeugen wohl eher von rhetorischer Ein-
fallslosigkeit als von bildungspolitischem Verantwor-
tungsbewusstsein.
Ihre bildungspolitische Verantwortungslosigkeit zeigt
sich zudem in Ihrer populistischen Forderung „Master-
studium für alle“. Die Forderung nach ausreichenden
Masterstudienplätzen ist legitim, aber nicht Ihre aben-
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uerlichen Forderungen, Studienanfängern schon mit
er Zulassung zum Bachelorstudiengang die Zulassung
u einem darauf aufbauenden Masterstudiengang an der
leichen Hochschule zu gewährleisten. Dazu sage ich
nen: Ein Master für alle, am besten ohne jegliche Leis-
ngsanforderungen, ist mit uns nicht zu machen.
Wir treten dafür ein, dass bei der Auswahl der Mas-
rstudierenden der Leistungsgedanke eine tragende
olle spielt. Hier geht es nicht um Mangelverwaltung,
ondern darum, den Hochschulen die Möglichkeit zu ge-
en, besonders bei stark nachgefragten Studiengängen
ie leistungsfähigsten Studierenden auszuwählen. Wie
ie das tun – ob durch Auswahlgespräche, Motivations-
chreiben, die Nachweise von Praktika –, wissen die
ochschulen selbst am besten, und deshalb sollte die
uswahlentscheidung ihnen überlassen bleiben.
Für uns ist und bleibt der Bachelor der erste berufs-
ualifizierende Abschluss und kein Abschluss „zweiter
lasse“ – zu dem Sie ihn gern degradieren würden.
uch Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Bache-
r in der Wirtschaft auf breite Akzeptanz stößt. Absol-
enten eines Bachelorstudienganges finden auf dem Ar-
eitsmarkt genauso schnell eine Stelle, wie dies Kom-
ilitonen mit Magister- oder Diplomabschluss tun, und
ie Rate der Arbeitslosigkeit liegt mit rund 3 Prozent für
achelorabsolventen nicht höher als für Absolventen mit
nderen Hochschulabschlüssen. Allerdings besteht auf-
rund fehlender Erfahrungen hinsichtlich der Qualität
er Bachelorabschlüsse in einigen Unternehmen noch
nsicherheit darüber, wie Bachelorabsolventen im Hin-
lick auf ihre Kompetenzen und Potenziale fachlich und
ierarchisch einzustufen sind. Deshalb werben wir dafür,
ass die Akzeptanz in den Unternehmen weiter steigt.
Ihr Antrag enthält weitere Vorurteile, die es auszuräu-
en gilt. Die Linke unterstellt, dass durch die derzeiti-
en Vergabeverfahren eine soziale Selektion zulasten
on Studierenden aus Arbeiterfamilien oder Familien
it niedrigerem Einkommen stattfindet. Allein den Be-
g für ihre Behauptung bleiben Sie uns schuldig. Bereits
der Antwort – das ist Drucksache 17/373 – auf eine
leine Anfrage Ihrer Partei auf Drucksache 17/183 hat
ie Bundesregierung festgestellt: „Der Bundesregierung
egen keine Erkenntnisse darüber vor, dass das erwei-
rte Selbstauswahlrecht der Hochschulen nachteilige
eränderungen bei der sozialen Zusammensetzung der
tudierenden bewirkt hätte.“ Durch verschiedene Maß-
ahmen – wie BAföG-Novelle, Stipendiengesetz und
ufstiegsstipendien – versuchen wir, die Chancenge-
chtigkeit zu erhöhen und Menschen aus allen gesell-
chaftlichen Schichten ein Studium zu ermöglichen
Als Partei der Utopien haben Sie natürlich auch noch
eitere unrealistische Forderungen in Ihrem Antrag un-
rgebracht: 500 000 zusätzliche Studienplätzen für alle.
h darf Sie an dieser Stelle auf den Boden der Tatsachen
urückholen. Bereits in der ersten Programmphase des
ochschulpaktes wurde das ursprünglich verabredete
iel, 91 370 zusätzliche Studienplätze zu schaffen, mit
sgesamt 182 193 zusätzlichen Studienanfängern deut-
ch übertroffen. Für die zweite Programmphase wurde
ine Aufstockung um weitere 275 000 Plätze vereinbart.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12137
(A) )
)(B)
Der Bund engagiert sich also hier bereits in überdurch-
schnittlichem Maße. Utopische Forderungen zu stellen,
ohne einen Vorschlag zu machen, woher die dafür not-
wendigen Mittel kommen sollen, ist unredlich, in Ihrer
Partei aber durchaus nichts Neues.
Zusammenfassend ist Ihnen für zukünftige Anträge
mit auf den Weg zu geben: Nehmen Sie endlich Tatsa-
chen und Erfolge unserer Bildungsrepublik Deutschland
zur Kenntnis. Erkennen Sie, dass wir in einer Leistungs-
gesellschaft leben, und verführen Sie unsere Jugend
nicht mit Ideologie und Utopien.
Swen Schulz (Spandau) (SPD): Der Antrag der Frak-
tion Die Linke klingt zunächst sympathisch. Abgesehen
von ein paar Ungereimtheiten enthält er eine ganze Reihe
von weitgehenden Forderungen und Zielstellungen, da-
runter den Wegfall aller Zulassungs- und Zugangshürden
für das Studium und die Sicherstellung des Rechts auf ei-
nen Masterstudienplatz im Wunschfach am Wunschort.
Allein: Das ist nicht nur ambitioniert, sondern ein
Wünsch-dir-was-Katalog, der schlichtweg nicht reali-
sierbar ist. Und darum sagt die Linke in ihrem Antrag si-
cherheitshalber auch nichts über Kosten und zur Fragen,
woher das Geld dafür denn kommen soll. So sehr wir
Zielstellungen wie die Ausweitung des Studienplatzan-
gebotes – auch beim Master –, die Verbesserung der
Lehre oder die soziale Mobilität teilen und unterstützen,
so sehr gehört zu verantwortungsvoller Politik auch,
dass gesagt wird, was in welchem Zeitraum geht und
was nicht.
Tatsächlich muss der Hochschulpakt verbessert wer-
den. Die weiterhin bestehende Deckelung der Finanzie-
rung von Studienanfängerplätzen muss weg. In der Tat
gibt es ein immer stärker werdendes Problem mit dem Zu-
gang zum Master. Auch das muss im Hochschulpakt
künftig berücksichtigt werden. Die heute veröffentlichte
Studie über Bachelorstudierende zeigt, dass die deutliche
Mehrheit ein Masterstudium anhängen will. Es reicht
eben nicht, Studienanfänger zu finanzieren, es muss ihnen
auch eine ordentliche Perspektive gegeben werden. Und
es muss auch die Qualität der Lehre und die Betreuung der
Studierenden verbessert werden – der Qualitätspakt der
Bundesregierung reicht da nicht aus.
Alleine die Aufstockung des Hochschulpaktes für Stu-
dienanfänger um 200 000 Plätze bis 2015 würde Bund
und Länder 5,2 Milliarden Euro kosten – nach bisheriger
Berechnung. Das ist anspruchsvoll, aber machbar. Damit
wäre aber bei weitem noch nicht die Forderung nach
Wegfall aller Beschränkungen realisiert und auch nicht
die Aufstockung des Finanzierungsbetrages. Insofern also
haben wir durchaus ähnliche Zielstellungen. Doch wäh-
rend die Linke nach den Sternen greift, erstellen wir Kon-
zepte, die realisierbar sind.
Der Antrag behandelt eine weitere wichtige Fragestel-
lung, nämlich die Regelung der Vergabe von Hochschul-
plätzen. Wir erleben ja gerade ein Desaster, weil nun er-
neut ein Anlauf für ein vernünftiges, organisiertes
Vergabeverfahren geplatzt ist. 17 000 Studienplätze blie-
ben zuletzt unbesetzt – was für ein Jammer und was für
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in Schaden für die Menschen und für die Gesellschaft!
as neue, Dialogorientierte Serviceverfahren sollte Ab-
ilfe schaffen, aber – wir haben das ja gestern bereits im
usschuss debattiert – die Verantwortlichen haben es
icht hinbekommen.
Mich erzürnt das Schwarze-Peter-Spiel, das jetzt be-
onnen hat. Jeder weiß ganz genau, dass er nicht verant-
ortlich ist. Wir fordern eine schonungslose Fehlerana-
se – und Offenheit für die richtigen Konsequenzen. Es
ann doch nicht sein, dass die Bundesministerin Schavan
ich zurücklehnt und „Mein Name ist Hase, ich weiß von
ichts!“ flötet. Die Bundesregierung ist genauso im Boot
er Verantwortlichen wie die Länder, die Hochschulen,
er Stiftungsrat und die Softwareentwickler. Da stellt sich
ann schon die Frage, woran es genau gelegen hat. Wir
erden das im Ausschuss näher erörtern. Sind es techni-
che Probleme? Hat es mit der Finanzierung zu tun? Sind
s zu viele Akteure, auf deren Kooperation das System
ngewiesen ist? Ist es überhaupt machbar, den Hochschu-
n weitgehende Autonomie einzuräumen und gleichzei-
g ein bundesweites Verfahren zu organisieren? Wo set-
en wir dann unsere Prioritäten?
Die Linke fordert die bundesgesetzliche Regelung des
ochschulzuganges. Das ist eine starke Forderung, für
ie es gute Argumente gibt. Wir bekennen uns dazu, dass
as durchaus eine der Möglichkeiten ist, die am Ende
es Abwägungsprozesses stehen kann. Doch wir wollen
icht so schnell mit scheinbaren Gewissheiten auftrump-
n, sondern uns gemeinsam mit allen Beteiligten ein
ild machen und das weitere Vorgehen erörtern. Jedoch
t klar, dass umgehend ein „Plan B“ organisiert werden
uss, der so lange greift, bis wir ein neues System ha-
en. Dieser Plan B sollte tunlichst nicht in der Variante
Weiter so wie bisher!“ bestehen. Auch das werden wir
emeinsam – aber schnell – beraten müssen.
Klaus Hagemann (SPD): Die deutschen Hochschu-
n erwarten in diesem Jahr einen bisher noch nicht gese-
enen Ansturm junger Studienanfänger und -anfängerin-
en. Mit großen Worten hatte die Bundesregierung ein
eues, zentralisiertes Vergabeverfahren für Studienplätze
ngekündigt, das nach jahrelangen Versäumnissen end-
ch die chaotischen Zustände beim Semesterstart be-
eitigen sollte. Viel zu spät wurden die nötigen Impulse
esetzt, um dem ineffizienten und langwierigen Zulas-
ungsverfahren an deutschen Universitäten zu begegnen.
er Stiftung für Hochschulzulassung blieb am vergange-
en Dienstag nichts anderes übrig, als wenige Wochen
or dem geplanten Start des Dialogorientierten Service-
erfahrens die Reißleine zu ziehen und das neue Verfah-
n abzusagen.
So, wie es sich heute darstellt, hatten wir es uns nicht
orgestellt, als wir zu Zeiten der Großen Koalition, nach
nger Diskussion im Haushaltsausschuss, gemeinsam
undesmittel in Höhe von 15 Millionen Euro als „Start-
apital“ bewilligt haben – und dies, obwohl die Verant-
ortung eigentlich bei den Bundesländern liegt. Die
reigabe der Gelder wurde damals – auch auf Verlangen
er SPD-Fraktion – an so wichtige Bedingungen wie die
arantierte Gebührenfreiheit für die Studienbewerber
12138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
und -bewerberinnen geknüpft. Es ist schon ein ungeheu-
erlicher Vorgang, dass der Bund in die Bresche springen
musste, nachdem der frühere „Innovations“-Minister aus
NRW, Andreas Pinkwart, seinerzeit das System der ZVS
kurzerhand zerrissen hat, ohne eine angemessene Alter-
native hervorzubringen. Dieses Vorgehen war angesichts
der steigenden Zahl an Studienanfängern und der Tatsa-
che, dass die Bundesländer eine Finanzierung bestenfalls
mittelfristig auf die Beine gestellt hätten, geradezu fahr-
lässig.
Frau Bundesministerin Schavan, ich habe den Ein-
druck, Ihr Haus und die anderen Beteiligten waren durch
die Planung des neuen Systems völlig überfordert. Es ist
zwar rührend, dass Sie nun in einer Pressemitteilung das
Scheitern des Serviceverfahrens bedauern. Sie können
aber nicht behaupten, seitens des Bundes wären alle Vo-
raussetzungen geschaffen worden, während Sie gleich-
zeitig versuchen, die Verantwortung auf die Stiftung für
Hochschulzulassung und die Gesellschaft Hochschul-
Informations-System abzuwälzen.
Die Überforderung der Hochschulen durch geburten-
starke Jahrgänge und doppelte Abiturjahrgänge war seit
langem absehbar. Erst haben Sie eine Lösung jahrelang
verbummelt, dann musste plötzlich alles ganz schnell
gehen. Nachdem sich dann noch die Auftragsvergabe
um drei Monate verzögert hatte, sollte schließlich in nur
rund einem Jahr ein System gezimmert werden, das
Hunderte unterschiedlicher und teils veralteter Hoch-
schulverwaltungssysteme zu einer modernen Web-Platt-
form koordinieren sollte. Die negativen Erfahrungen, die
bei der Einführung der Autobahnmaut gemacht wurden,
hätten hier zur Lehre gereichen können. Seit damals
wissen wir, wie langwierig und kostenintensiv solche
Schwierigkeiten in komplexen Softwaresystemen wer-
den können. Vor diesem Hintergrund war das Verspre-
chen, im April 2011 mit dem neuen System an den Start
zu gehen, nichts als Augenwischerei. Die enge Terminie-
rung hätte letztlich auch bedeutet, dass mit der Inbetrieb-
nahme des Systems der erste ernsthafte Test des Verfah-
rens auf den bis dato größten Ansturm an die Universitäten
geprallt wäre. Auch der knappe Zuschnitt des Systems, der
etwa Lehramtsstudiengänge und Bachelor mit mehr als ei-
nem Fach ausklammert, hätte dann zu neuen Problemen
geführt.
Auch die Hochschulrektorenkonferenz hätte während
der Vorbereitung mehr Geschlossenheit zeigen müssen.
Die millionenschwere Anschubfinanzierung des Bundes
war offenbar nicht Anreiz genug, um die Kooperation
der Hochschulen untereinander und an der Schnittstelle
zur neuen Plattform herzustellen. Auch haben sich viele
Universitäten noch bis kurz vor dem geplanten Start be-
deckt gehalten, ob sie überhaupt mitmachen wollen. Die
Haltung vieler Hochschulen war nicht so optimistisch,
wie es zunächst die Zustimmung der Hochschulrektoren-
konferenz suggeriert hat. Es wäre aber vor allem Ihre
Aufgabe gewesen, Frau Bundesministerin, die richtigen
Rahmenbedingungen zu setzen. Das Dialogorientierte
Serviceverfahren wird nur dann zum Erfolg, wenn Sie
alle Universitäten ins Boot holen. Die Verzögerung ist
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icht technischen Widrigkeiten geschuldet, sondern
angelnder politischer Koordination.
Die Betroffenen sind die Studienanfänger und -anfän-
erinnen, denen auch dieses Jahr der Start ins Studium
erhagelt wird. Sie müssen sich an Dutzenden Universi-
ten parallel bewerben und bleiben auf den Kosten und
eitlichen Folgen des ineffizienten Systems sitzen. Für
ll jene, die auch über eines der langwierigen Nachrück-
erfahren keinen Platz erhalten haben, bleibt erneut nur
ie Studienplatzbörse übrig – eher eine Notlösung als ein
eordneter Übergang ins neue System. Die Effizienzlü-
ken dieser akademischen „Resterampe“ zeigten sich
chon bei einer Erhebung im Wintersemester 2009/2010,
ach der mindestens 18 000 der begehrten Studienplätze
it örtlichem Numerus clausus unbesetzt geblieben wa-
n. Die damalige Argumentation der Unionsfraktion,
in Großteil dieser Plätze sei im Semesterverlauf noch
esetzt worden, wird durch die Zahlen zum Winterse-
ester 2010/2011 eindeutig widerlegt. Nachdem auf
assives Drängen der SPD-Fraktion im Haushaltsaus-
chuss das Erhebungsinstrument verbessert wurde, zeigt
ich jetzt, dass erneut fast 17 000 Studienplätze frei ge-
lieben sind. Das sind 6,9 Prozent aller Studienplätze
it lokaler Zulassungsbeschränkung! Mit den rund
0 000 Studieninteressierten, die durch die Aussetzung
er Wehrpflicht zusätzlich an die Universitäten drängen
erden, werden wir dieses Jahr wohl einen neuen „Re-
ord“ erreichen.
Eine solche Verschwendung von Kapazitäten ist be-
onders pikant im Hinblick auf die Finanzmittel in Höhe
on 4,7 Milliarden Euro, die der Bundestag für die
chaffung von neuen Studienplätzen im Rahmen des
ochschulpaktes für die Jahre 2011 bis 2015 zur Verfü-
ung stellt. Das Bemühen, junge Menschen für ein Stu-
ium zu begeistern und mehr Studienplätze zu schaffen,
ird durch die bestehenden Mängel konterkariert. Die
uten Voraussetzungen, die die Große Koalition mit dem
ochschulpakt geschaffen hat, laufen ins Leere, weil
ie, Frau Ministerin, den Schuss nicht gehört haben. Es
raucht jetzt ein entschlossenes Vorgehen, um das Dia-
gorientierte Serviceverfahren schnellstmöglich an den
tart zu bringen und den Schaden zu begrenzen. Frau
inisterin Schavan, machen Sie das Thema endlich zur
hefsache, nutzen Sie die Kompetenzen des Bundes bei
er Hochschulzulassung! Die Koordinierung des Zulas-
ungsverfahrens muss unverzüglich und offensiv ange-
ackt werden. Handeln Sie jetzt!
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Die FDP-
undestagsfraktion lehnt sowohl eine bundesgesetzliche
egelung der Hochschulzulassung als auch des Zugangs
u Masterstudiengängen ab. Für beide Maßnahmen gibt
s keinerlei sinnvolle Begründung und nachweislich
uch keinen Regelungsbedarf. Daher werden wir den
orliegenden Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen.
Wieder einmal zeichnen die Antragsteller ein Bild
om deutschen Hochschulsystem und von der Umset-
ung des Bologna-Reformprozesses, das mit der Wirk-
chkeit nicht ansatzweise übereinstimmt. Zahlreiche
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12139
(A) )
)(B)
Studien belegen, dass die Umsetzung von Bologna in
Deutschland auf einem guten Weg ist. Natürlich ist noch
nicht alles optimal, aber es handelt sich um die größte
Reform der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Und
„trotz mancher Kinderkrankheiten gibt es bereits viele
gute Effekte“, wie es Uwe Schlicht jüngst in seinem Ar-
tikel „Der Bachelor kann’s“ treffend konstatierte (ver-
gleiche Der Tagesspiegel vom 11. März 2011). Viele der
reform-auslösenden Mängel, wie beispielsweise ein im
internationalen Vergleich später Berufseintritt durch eine
lange Studiendauer, eine hohe Abbrecherquote oder eine
geringe Praxisorientierung der Studiengänge, sind be-
reits behoben oder zumindest abgeschwächt worden. Es
herrscht trotz aller Unkenrufe eine hohe Zufriedenheit
der Absolventen mit ihrer Ausbildung, und auch die Ak-
zeptanz seitens der Arbeitgeber ist beachtlich hoch:
72 Prozent der Bachelorabsolventen hatten – so das Er-
gebnis einer Studie des Internationalen Zentrums für
Hochschulforschung in Kassel – drei Monate, nachdem
sie die Urkunde in den Händen hielten, einen Arbeits-
platz.
Die Fraktion Die Linke behauptet zum wiederholten
Male, dass in Deutschland zu wenige Masterstudien-
plätze zur Verfügung stehen. Zu diesem Ergebnis ge-
langt man, weil man im Lager der Linken die Unter-
scheidung zu dem Vorgängermodell „Diplom“ nicht
nachvollziehen will oder kann. Der Bachelorstudiengang
wird dem Grundstudium gleichgesetzt. Deswegen
kommt man zu dem Trugschluss, dass alle Absolventen
eines grundständigen Studienganges auch ein Masterstu-
dium anstreben müssten. Während die erstgenannte Be-
hauptung einer empirischen Grundlage entbehrt, ver-
deutlicht die zweitgenannte Annahme, wie wenig man
sich mit der Zielsetzung der Bologna-Beschlüsse befasst
hat.
Die Kultusministerkonferenz, KMK, gelangt im die-
ser Tage bekannt gewordenen Bericht des Hochschul-
ausschusses zur „Situation im Masterbereich“ zu der
Einschätzung, dass es gegenwärtig keinen Mangel an
Masterstudienplätzen in Deutschland gibt (vergleiche
dpa-Meldung „KMK: Derzeit kein Mangel an Master-
studienplätzen“ vom 6. April 2011). Vielmehr sei die
Zahl der angebotenen Masterstudienplätze ausreichend,
wenngleich die Aufnahme eines Masterstudiums auch
mit einem erforderlichen Ortswechsel verbunden sein
könne. Interessant ist dabei, dass im Bachelorabschluss-
jahrgang 2009 unter den Befragten, die ein Masterstu-
dium aufgenommen haben, 90 Prozent angegeben ha-
ben, dass sie sowohl ihr Wunschfach als auch ihre
Wunschhochschule bekommen hätten.
Und auch das sagt die Erhebung der KMK: Etwas
mehr als drei Viertel aller Masterstudiengänge haben kei-
nen örtlichen Numerus clausus. Und selbst bei den
deutschlandweit 32 135 zulassungsbeschränkten Studien-
plätzen sind ganze 6 258 nach dem Ende des Nachrück-
verfahrens unbesetzt geblieben. Der Andrang war also
geringer als erwartet, und es herrscht nachweislich keine
Knappheit im Angebot von Masterstudienplätzen. Bei
den Bachelorprüfungsjahrgängen 2005 bis 2007 wurde
zudem lediglich eine Übertrittsquote von 33 Prozent ins
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asterstudium ermittelt. Die Behauptungen der Antrag-
teller sind damit zum heutigen Zeitpunkt empirisch
icht belegt. Gleichwohl ist nicht absehbar, wie sich die
bertrittsquoten vom Bachelor- zum Masterstudium
ünftig angesichts der zu erwartenden steigenden Zahl
on Bachelorabsolventen entwickeln werden. Doch
und das ist meine volle Überzeugung – ein kompletter
bergang von Bachelorabsolventenjahrgängen zum
asterstudium ist gar nicht erstrebenswert. Eine solche
iderspiegelung der ehemaligen Studienstruktur unter
euem Namen wäre weder im Interesse der Studierenden
och der Hochschulen oder des Arbeitsmarktes.
Die Bildungsrepublik Deutschland kann auch dank
er großen Anstrengungen seitens der christlich-libera-
n Koalition – wir stellen allein in der laufenden Legis-
turperiode zusätzlich 12 Milliarden Euro für Bildung
nd Forschung im Bundeshaushalt bereit – auf beachtli-
he Erfolge im Hochschulbereich verweisen: mit einer
ekordstudienanfängerquote von 46 Prozent im Studien-
hr 2010, mit der Bereitstellung von etwa 2 Milliarden
uro bis zum Jahr 2020 für den Qualitätspakt Lehre, mit
inem endlich Bologna-tauglichen Bundesausbildungs-
rderungsgesetz, welches Fördermöglichkeiten für
asterstudenten bis zum 35. Lebensjahr bietet, mit einer
rfolgreichen Umsetzung des Hochschulpaktes, mit des-
en Hilfe nicht nur die angestrebten 91 370, sondern so-
ar 182 193 zusätzliche Studienplätze in der ersten Pro-
rammphase geschaffen wurden, und der Zusicherung
eitens der Bundesregierung, im Rahmen des Hoch-
chulpakts II eine Aufstockung für darüber hinaus in-
lge der Aussetzung der Wehrpflicht und der doppelten
biturjahrgänge benötigte Studienplätze mitzufinanzie-
n. Mit dem in diesem Jahr startenden Deutschland-Sti-
endium, welches künftig einen wichtigen Beitrag dazu
isten wird, dass das Jobben neben dem Bachelorstu-
ium zunehmend überflüssig werden kann, sorgen wir
uch dafür, dass die Rahmenbedingungen für eine opti-
ale Umsetzung der Bologna-Reform weiter verbessert
erden.
Die Antragsteller beklagen die jahrzehntelange Un-
rfinanzierung des deutschen Hochschulsystems.
leichzeitig bieten sie aber keinerlei konstruktive Vor-
chläge an, wie sich dieser Mangel beheben lassen
önnte. Auch wenn sich über die Hälfte der Deutschen
r Studienbeiträge als ein probates Mittel zur Finanzie-
ng der Hochschulen aussprechen – die Linke will es
icht wahrhaben. Sie scheut es, darüber nachzudenken,
elche positiven Effekte Studienbeiträge für die Hoch-
chullehre hat, angefangen bei verbesserten Betreuungs-
lationen über bessere Hochschulinfrastruktur bis hin
um persönlichen Anspruch des Einzelnen gegenüber
einer Hochschule. Leider mussten wir immer wieder
ststellen, dass sich die Oppositionsfraktionen gegen-
ber Argumenten versperren, empirische Daten negieren
nd Fakten infrage stellen. Wenn Wahrheiten nicht ins
eltbild passen, werden sie passend gemacht. Mit die-
em Anspruch lässt sich Politik betreiben; für das Wis-
enschaftssystem ist eine solche Haltung bekannterma-
en aber Gift.
12140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
Ein – wie von den Antragstellern gefordertes – Bun-
deshochschulzulassungsgesetz stellt einen Angriff auf
die Autonomie der Hochschulen dar und wird seitens der
FDP-Bundestagsfraktion mit aller Vehemenz abgelehnt.
Damit wäre nicht nur der Bologna-Reformprozess ad ab-
surdum geführt. Man vergisst auch zu gerne, dass der
Bund sich nur im Rahmen der konkurrierenden Gesetz-
gebung einbringen kann. Sobald ein Land ausschert,
bricht das wackelige Gefüge zusammen. Da ist es doch
besser, die Organisation dezentral zu verorten und auf
das dialogorientierte Zulassungsverfahren „hochschul-
start.de“ der Stiftung für Hochschulzulassung zu warten.
Ja, es hat Verzögerungen gegeben, und diese müssen
schnellstmöglich behoben werden. Wer aber so tut, als
würden bundesgesetzliche Regelungen schneller greifen
können, der handelt unredlich. Es gibt Software-Schnitt-
stellenprobleme. Diese sind der Grund für das Verschie-
ben. Aber das neue System wird kommen – wir lassen
uns nicht auf eine Rolle rückwärts in die 70er-Jahre des
vergangenen Jahrhunderts ein. Die Studentenlandver-
schickung per ZVS ist endgültig passé; das werden auch
SPD, Grüne und die Linke begreifen müssen.
Als Fazit bleibt – wie so oft bei den Anträgen der
Fraktion Die Linke – festzuhalten: Hier wird mit untaug-
lichen Mitteln die Beseitigung von nicht existierenden
Problemen gefordert. Der Antrag ist also nicht nur nicht
gut gemacht, sondern auch nicht gut gemeint und gehört
daher abgelehnt.
Nicole Gohlke (DIE LINKE): Seit Jahren erhalten
jedes Semester viele Tausend junge Menschen, die stu-
dieren wollen und dafür die nötigen Voraussetzungen
mitbringen, von den Hochschulen eine Absage. Das
heißt, sie erwerben sich durch das Abitur oder andere
Studienberechtigungen zwar einen formalen, aber keinen
tatsächlichen Hochschulzugang. Mittlerweile ist das
nicht mehr nur beim Studienbeginn so, sondern nun auch
beim Übertritt in den Master. Und damit nicht genug:
Die Zulassungsverfahren sind chaotisch, das dialog-
orientierte Zulassungsverfahren der Bundesregierung ist
faktisch gescheitert, am Ende bleiben auch dieses Jahr
wahrscheinlich wieder Tausende Studienplätze unbe-
setzt. Dieser Zustand ist unerträglich!
Seit 2006 fällt die Hochschulzulassung – unter Mitwir-
kung der Länder – in den Kompetenzbereich des Bundes.
Aber die Bundesregierung macht keine Anstalten, die
chaotischen Verhältnisse nachhaltig zu verbessern. Mit
unserem Antrag wollen wir das ändern. Deshalb fordert
die Linke ein Bundeshochschulzulassungsgesetz: Jede
und jeder Studienberechtigte soll tatsächlich studieren
können, und zwar im gewünschten Fach und am ge-
wünschten Ort.
Seit der Regierung Schröder wird das sogenannte
„Selbstauswahlrecht der Hochschulen“ gestärkt: Im
Sinne der sogenannten „Profilbildung und des Wettbe-
werbs zwischen den Hochschulen“ sollen sich die Hoch-
schulen „ihre Studierenden“ aussuchen dürfen. Ich
glaube aber, man muss sich an dieser Stelle entscheiden:
Wollen wir, dass die Studierenden wählen dürfen – so
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erstehe ich das Recht auf freie Berufswahl und das
enschenrecht auf Bildung –, oder wollen wir, dass sich
ie Hochschulen ihre Studierenden aussuchen – dann
immt man zwangsläufig in Kauf, dass Bewerberinnen
nd Bewerber abgewiesen werden?
Manche halten es für utopisch, dass jeder den Stu-
ienplatz bekommt, den er will. Sehr lange war es aber
olitischer Konsens, dass jeder Studienberechtigte das
echt dazu hat. Das Bundesverfassungsgericht stellte
972 in seinem Urteil zum Numerus clausus fest: Das
echt auf die freie Wahl der Ausbildungsstätte wäre – Zi-
t – „ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in An-
pruch nehmen zu können, wertlos“.
Und heute heißt es beim Thema Masterstudienplätze,
ass es vielleicht genügend gibt, aber nicht an jeder
ochschule und schon gar nicht in jedem Studiengang.
amit wird dem Recht auf Selbstbestimmung der Stu-
ierenden faktisch eine Absage erteilt.
Wir fordern stattdessen das Recht auf einen Master-
tudienplatz. Wir schlagen vor, dass die Studierenden
it der Zulassung zum Bachelor auch das Recht bekom-
en, nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium an
er gleichen Hochschule anzuschließen.
Ein Einwand liegt freilich auf der Hand. Viele Hoch-
chulen sind heute schon überlastet. Die entscheidende
rage ist: Was folgt daraus? Soll man sich jetzt damit
olitisch abfinden, dass jedes Jahr Tausende Studienbe-
chtigte von den Hochschulen abgewiesen werden?
an darf sich nicht damit abfinden! Wir brauchen mehr
tudienplätze, damit massenhafte Ablehnungen nicht
orprogrammiert sind. Der Hochschulpakt verfolgt die-
es Ziel bislang nicht. Er ist darauf angelegt, sich durch-
uwursteln, und nicht darauf, Zulassungshürden zu be-
eitigen.
Für die Linke gehört die Finanzierung mit zum Kern
ines guten Hochschulzulassungsgesetzes. Es geht nicht
arum, den Mangel zu verwalten, sondern darum, ihn
urch entschlossenen Hochschulausbau zu beseitigen.
onst steht das Recht auf einen Studienplatz weiter nur
uf dem Papier.
Verhelfen Sie der Studienberechtigung wieder zu ih-
m eigentlichen Sinn! Machen Sie aus der Berechtigung
ndlich – wie es im Wort selbst schon steckt – ein Recht,
nd stimmen Sie dem Antrag der Linken zu!
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer in
iesen Tagen über den Hochschulzugang spricht, kann
ur blamablen Verschiebung des Dialogorientierten Ser-
iceverfahrens auf unbestimmte Zeit und zu den fatalen
olgen für die Studienberechtigten der Jahre 2011 und
anach nicht schweigen. Angesichts des Studierenden-
ochs, doppelter Abiturjahrgänge, der Aussetzung von
ehrdienst und Zivildienst wäre – gerade nach jahrelan-
em Einschreibe-, Zulassungs- und Nachrückchaos – ein
nktionierendes Hochschulzulassungssystems zum
intersemester 2011/2012 zwingend erforderlich und
ngst überfällig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12141
(A) )
)(B)
Das aktuelle Scheitern ist aber nur die Spitze des Eis-
bergs, denn es geht um eine Serie bildungspolitischer
Skandale: Es ist beschämend, dass ein Erreichen der
Hochschulzugangsberechtigung hierzulande extrem eng
mit dem Bildungsgrad der Herkunftsfamilie verknüpft
ist. Die allgemeine Hochschulreife ist zudem keine
Hochschulzugangsberechtigung mehr, sondern eher eine
Bewerbungsberechtigung, die zur Teilnahme an einer
Studienplatzlotterie berechtigt.
Nachdem die ZVS in alter Form abgewickelt wurde,
klemmt nun das lange angekündigte dialogorientierte
Serviceverfahren unter anderem wegen technischer Soft-
wareprobleme. Ausgerechnet im Jahr mit den meisten
Studieninteressierten aller Zeiten wird so vielen der Weg
zur Hochschule verbaut. Im letzten Wintersemester blie-
ben rund 18 000 Studienplätze unbesetzt, da ihre Ver-
gabe am Durcheinander gescheitert ist. Die Bundesre-
gierung hat zwar die verfassungsrechtliche Möglichkeit,
die Verfahren des Hochschulzugangs bundeseinheitlich
zu regeln und transparent zu gestalten, nutzt diese aber
fahrlässigerweise nicht. Die Studienberechtigten und
Hochschulen warten seit Jahren auf eine Lösung der Zu-
lassungsproblematik. Weitere Verzögerungen und anhal-
tendes Chaos sind unzumutbar. Da das neue Zulassungs-
verfahren aber nicht funktioniert, ist eine erneute
Verschiebung leider unumgänglich.
So richtig es ist, Studienberechtigte nicht zu Ver-
suchskaninchen eines instabilen IT-Programms zu ma-
chen, so klar bleibt das Ziel: Sie haben ein Recht auf ein
funktionierendes Zulassungsverfahren, um ein Studium
aufzunehmen. Dieses Recht ist jetzt akut gefährdet.
Hochschulen und Studienberechtigten muss ein Desaster
wie bei der Einführung der Lkw-Maut erspart bleiben.
Ministerin Schavan muss daher unverzüglich eingreifen
und das Zulassungschaos beheben, anstatt auf der Zu-
schauertribüne zu verweilen. Wer wie der Bund 15 Mil-
lionen Euro in das neue System investiert, muss mehr als
ein Zaungast sein; er muss politisch steuern. Schavans
Politikverweigerung in den letzten Jahren hat das Zulas-
sungschaos verschärft. Nun sieht es so aus, als wolle sie
tatenlos zusehen, wie zwischen Stiftung, IT-Entwicklern,
Ländern und Hochschulrektorenkonferenz Schuldzuwei-
sungen hin- und hergeschoben werden, anstatt Verant-
wortung fürs Gelingen zu übernehmen, die Probleme zü-
gig zu beseitigen und einen verlässlichen Zeitplan
aufzustellen. Leidtragende sind Studienberechtigte, die
im besten Fall erst in aufwendigen und langwierigen
Nachrückverfahren einen Studienplatz erhalten. Im
schlechtesten Fall bewerben sie sich vergebens und ver-
lieren ein halbes oder gar ganzes Lebensjahr.
Studierende wie Hochschulen brauchen jetzt Verfah-
rens- und Planungssicherheit. Ministerin Schavan und
ihre Länderkollegen und -kolleginnen müssen sicherstel-
len, dass das alte Verfahren sofort anwendbar ist, damit
nicht noch mehr Studienberechtigte vor dem deutschen
Zulassungschaos Reißaus nehmen und später als akade-
mische Fachkräfte fehlen, dass alle Mittel genutzt wer-
den, um mit dem alten Verfahren zu besseren Ergebnis-
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en zu kommen und nicht wieder 18 000 Studienplätze
ngenutzt bleiben, und dass die Zeit bis zur endgültigen
betriebnahme genutzt wird, für die volle Funktionsfä-
igkeit des Systems auch für kombinierte Studiengänge
nd für das Lehramt zu sorgen sowie verbindliche Teil-
ahme aller Hochschulen sicherzustellen.
Vor allem die Studierenden brauchen Klarheit: Es ist
eine Panikmache, vor der realen Gefahr eines Zulas-
ungsdesasters bis in den Herbst 2013 hinein zu warnen.
ürde sich das deutsche Hochschulsystem als unfähig
rweisen, seinen Mangel an gut ausgestatteten Studien-
lätzen wenigstens effizient zu verwalten, so werden wir
wenigen Jahren über einen Fachkräftemangel unge-
hnten Ausmaßes diskutieren. Solange das neue Verfah-
n nicht funktioniert, bleibt es beim unbefriedigenden
ustand aus lokalen Zulassungsverfahren in komplizier-
n Nachrückrunden mit anschließender Studienplatz-
mbola. Dieser Zustand muss schnellstmöglich über-
unden werden.
Die Länder müssen zudem endlich das Kapazitäts-
cht sinnvoll überarbeiten: Es muss einfacher werden,
arf aber dem gesamtstaatlichen Ziel des Studienplatz-
apazitätsausbaus keinen Bärendienst erweisen. Die
undesforschungsministerin sei daran erinnert, dass ihre
ightech-Strategie die Informations- und Kommunika-
onstechnologien als Innovationsmotor Nr. 1 nennt. Vor
iesem Anspruch bekommt das Verschieben von „Hoch-
chulstart.de“ und das Zulassungsdesaster eine andere
imension.
Mit Blick auf den Antrag der Linksfraktion sehe ich
einzelnen Punkten Übereinstimmung, in anderen
uss ich widersprechen. Erstens. Es ist nicht Aufgabe
es Bundes, „dafür zu sorgen, dass ein ausreichendes
ngebot an Studienplätzen zur Verfügung steht.“ Das ist
nd bleibt Aufgabe der Länder. Der Bund kann allenfalls
nterstützend wirken. Fakt ist, dass der Hochschulpakt
achzuverhandeln ist und dass Bund und Länder mehr
eld für mehr Bachelor- und Masterstudienplätze zur
erfügung stellen müssen. Zweitens. Dank der Abwei-
hungsregel im Grundgesetz bliebe das von Ihnen einge-
rderte Bundeszulassungsgesetz ein zahnloser Tiger,
eil jedes Bundesland davon abweichen kann. Deswe-
en setzen wir auf einen nachhaltig ausverhandelten
und-Länder-Staatsvertrag zur Hochschulzulassung.
ieser wäre ein effektiveres und wirkungsmächtigeres
strument. Drittens. Dass Studienberechtigung „das
echt, ein Studium im Fach und an der Hochschule sei-
er Wahl aufzunehmen“, bedeute, ist realitätsfern und
eße sich nur durch Bildungszentralismus statt Bil-
ungsföderalismus umsetzen. Viertens. Es macht wenig
inn, Hochschulen die Aufstellung jedweder Zugangs-
oraussetzungen zu untersagen. Weiterbildungsmaster-
tudiengänge, die Berufserfahrung voraussetzen, sollten
öglich bleiben. Insgesamt sind wir der Linksfraktion
ankbar, diese wichtige Debatte aufgesetzt zu haben.
ehreren Vorschlägen können wir aber nicht zustim-
en.
12142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Anträgen:
– Fachkräftepotenzial nutzen – Gute Arbeit
schaffen, bessere Bildung ermöglichen, vor-
handene Qualifikationen anerkennen
– Strategie statt Streit – Fachkräftemangel be-
seitigen
(Tagesordnungspunkt 17)
Ulrich Lange (CDU/CSU): Die wirtschaftliche Situa-
tion in Deutschland ist gut. Die Konjunktur ist nach der
Finanz- und Wirtschaftskrise angesprungen. Deutsch-
land, zu Zeiten von Rot-Grün das Schlusslicht in der EU,
hat sich in der christlich-liberalen Koalition zur Konjunk-
turlokomotive entwickelt. Erfreulich ist auch, dass die
Anzahl der Erwerbstätigen stark gestiegen, die Arbeitslo-
senquote gesunken ist. Trotz dieser grundsätzlich positi-
ven Wirtschaftsdaten stehen wir einem Problem gegen-
über: der Fachkräftesicherung. Derzeit aber gibt es noch
keinen echten Mangel, aber starke regionale Unter-
schiede.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass der wirtschaftli-
che Aufschwung nur dann weitergehen wird, wenn wir
dafür die nötigen Fachkräfte zur Verfügung haben. Die
künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unterneh-
men wird deshalb entscheidend davon abhängen, ob es
gelingt, die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen. Ein
ungedeckter Fachkräftebedarf verschenkt unnötigerweise
vorhandene Wachstums- und Innovationspotenziale.
Wie in der Anhörung dargelegt, hatten Mitte 2010 laut
Umfrage der DIHK bereits 70 Prozent der Unternehmen
Probleme bei der Besetzung offener Stellen. Im Dezem-
ber 2010 lag die sogenannte MINT-Lücke, also die Be-
rufe: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
Technik, bei 98 600; davon umfasst die Ingenieurlücke
knapp 50 000 Stellen. Die IHK Bayern geht davon aus,
dass in 2014 allein in Bayern rund 420 000 Fachkräfte,
davon 25 000 Akademiker fehlen. Trotzdem sieht die
Linke keinen Fachkräftemangel. Allein die genannten Er-
hebungen widerlegen das „wirtschaftliche“ Fachwissen
der Linken, zeigen, dass die Linken auch von Wirtschaft
nichts, aber auch gar nichts verstehen. Sie sehen bei die-
sen Fakten keinen gravierenden Engpass von Fachkräf-
ten, sondern eine Intrige des Kapitalismus. Ihr Erfolgsre-
zept: Mehr gute Arbeit! Ja wie naiv sind Sie denn, eine
solch undifferenzierte Forderung zu stellen! Von Fach-
wissen sind Sie wirklich völlig unbeleckt.
Anders sieht die Analyse der Grünen aus, die einen
wachsenden Fachkräftemangel diagnostizieren. Leider
sind Ihre Schlussfolgerungen nicht immer Erfolg ver-
sprechend. Insbesondere Ihre Forderung nach Ihrem
„DualPlus“ als weiterentwickeltem Berufsausbildungs-
system geht einfach in die falsche Richtung.
„DualPlus“ ist nichts anderes als eine Variante der au-
ßerbetrieblichen Ausbildung. Diese war in der Vergan-
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enheit leider notwendig, als die Ausbildungsnachfrage
as betriebliche Angebot deutlich überstieg. Heute fehlen
ehrlinge, keine Ausbildungsplätze. Unsere traditionelle
berbetriebliche Ausbildung, bei der die betriebliche
usbildung in überbetrieblichen Lehrgängen inhaltlich
rgänzt und vertieft wird und die aufgrund ihrer guten
ualität in den Betrieben als notwendig akzeptiert ist, hat
ich bewährt. Daran werden wir festhalten.
Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um ausrei-
hend Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu si-
hern. Da reicht eine Maßnahme, eine Aktion nicht aus,
ir müssen an mehreren Bereichen ansetzen und unsere
ktivitäten bündeln.
Das Fachkräfteangebot kann gesteigert werden, in-
em die Anzahl der Fachkräfte, die dem Arbeitsmarkt
ur Verfügung stehen, erhöht wird und indem die von
en Erwerbspersonen erwirtschaftete Wertschöpfung ge-
teigert wird. In vielen Bereichen müssen gleichzeitig
chritte zur Verbesserung der derzeitigen Situation ein-
eleitet werden. Ich möchte einige Schwerpunkte auflis-
n:
Bildungsinitiative: Bildungspolitik ist Standortpolitik.
Vordergrund steht die Aufgabe, den Anteil der Schul-
bgänger ohne Hauptschulabschluss zu reduzieren.
enn es gelingen würde, die Anzahl der Schulabgänger
u halbieren, würden bis 2025 circa 300 000 Fachkräfte
usätzlich zur Verfügung stehen. Arbeitgeberverbände,
ammerorganisationen, Gewerkschaften, die Kultus-
inisterkonferenz, der Bund und die Länder engagieren
ich derzeit schon in diesem Bereich. Seitens der Bun-
esregierung wird eine zweite Chance für Schulverwei-
erer in einem extra Programm angeboten. Die Kultus-
inisterkonferenz fördert gezielt Benachteiligte und
chtet vermehrt praxisorientierten Unterricht aus. Mit
ezielter, rechtzeitiger Förderung lassen sich Schwächen
Mathematik und Deutsch, den beiden Grundfächern,
eseitigen. Eine bessere Förderung müssen auch Jugend-
che mit einem Migrationshintergrund erhalten. Eine
erstärkte Einbindung der Eltern wird sich positiv aus-
irken.
Die Schulen sollten verstärkt mit Wirtschaft und
ochschulen zusammenarbeiten, um bei den Schülern
as Interesse für MINT-Bereiche zu erhöhen und mehr
INT-Absolventen auf den Hochschulen zu erhalten.
Berufseintrittsalter senken: Durch die Herabsetzung
es Einschulungsalters, die Flexibilisierung des Grund-
chuleinstiegs, die sogenannte G 8, die Aussetzung des
ehrdienstes und die Einführung einer zweistufigen
tudienstruktur treten die Jüngeren künftig früher ins Er-
erbsleben ein. Die ältesten Berufseinsteiger kommen
icht mehr aus Deutschland.
Berufsausbildung unterstützen: Leider wird in Deutsch-
nd noch jeder fünfte Ausbildungsvertrag frühzeitig auf-
elöst. Die Hälfte dieser Jugendlichen, circa 70 000,
eginnen keine neue Lehre. Hier muss weiter gegenge-
teuert werden. Vertiefte Berufsorientierung bietet den
ugendlichen eine sicherere Wahl des Berufes und ein hö-
ere Zufriedenheit bei der Ausbildung. Erfolgreich ist
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12143
(A) )
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auch die Berufseinstiegsbegleitung an bundesweit 1 000
Schulen.
Aber auch die Betriebe sind gefordert. Die erfolgrei-
che betriebliche Ausbildung muss weiterentwickelt wer-
den. Durch die parallele Doppelqualifikation aus Berufs-
abschluss und FH-/Uni-Abschluss kann die Gewinnung
und Bindung von Fachkräften deutlich gefördert werden.
Den Jugendlichen muss immer wieder verdeutlicht wer-
den, dass unser Bildungssystem sehr durchlässig ist. Ent-
scheidend ist ein guter Abschluss und Leistungsbereit-
schaft.
Senkung der Hochschulstudiumabbrüche: Leider liegt
bei uns der Anteil der Studienabbrecher zwischen 20 und
30 Prozent. Wichtige Präventivmaßnahme sollte eine
verbesserte und individuellere Beratung von Abiturien-
ten und Studierenden sein, die an einen Abbruch denken,
um ihnen die langfristigen Konsequenzen deutlich zu
machen. Zudem sollten verstärkt Anstrengungen unter-
nommen werden, die Situation in den Hochschulen zu
verbessern und den jungen Menschen auch gute Bedin-
gungen für ihr Studium zu gewähren.
Mit den Bundesländern haben wir einen Hochschul-
pakt geschlossen, um die Leistungsfähigkeit unserer
Hochschulen zu sichern und für eine größere Zahl von
Studenten offenzuhalten. Die stark steigende Zahl von
Studienbewerbern und der sich abzeichnende Bedarf in
bestimmten Branchen machen in besonderem Maße ei-
nen gezielten Ausbau der Studienkapazitäten in Deutsch-
land erforderlich. Im Vordergrund muss hierbei die Aus-
bildung für den inländischen Bedarf stehen.
Verlängerter Einsatz erfahrener Fachkräfte: In Deutsch-
land sind nur 56 Prozent der Facharbeiter zwischen
55 und 64 tätig. Auch wenn dieser Wert über dem euro-
päischen Durchschnitt liegt, sollte eine Steigerung mög-
lich sein. Viele ältere Fachkräfte wollen länger im Er-
werbsleben stehen und werden oft gegen ihren Willen in
die Rente geschickt.
Die Fortsetzung der staatlich geförderten Altersteil-
zeit haben wir verhindert und die gesetzliche Lebensar-
beitszeit verlängert. Mit beiden Entschlüssen haben wir
deutlich gemacht, dass nicht der vorzeitige Ausstieg aus
dem Erwerbsleben, sondern die Verlängerung der Er-
werbsbiografien gefördert werden muss. Die Situation
von älteren Menschen am Arbeitsmarkt hat sich seither
kontinuierlich verbessert. Der Anteil der älteren Be-
schäftigten an den sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnissen ist stetig gestiegen.
Unsere Unternehmen wissen immer mehr die Poten-
ziale älterer Arbeitskräfte zu schätzen, weil ihr Wissen,
ihre Erfahrung und ihre Leistungsfähigkeit in den Betrie-
ben gebraucht und genutzt wird. Die deutschen Unterneh-
men, unterstützt durch zukunftsorientierte, arbeitsmarkt-
politisch sinnvolle Maßnahmen der Bundesregierung,
haben ihren Fokus bei der Gewinnung von Arbeitskräften
auch auf Ältere gelegt und als Anreiz geeignete Maßnah-
men realisiert, wie die Einführung eines Gesundheitsma-
nagements, eine altersgerechte Gestaltung der Arbeits-
plätze und auch – dies halte ich persönlich für sehr
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ichtig – die Anerkennung und Wertschätzung der erfah-
nen Mitarbeiter zum Ausdruck gebracht.
Das Ziel, die Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmerin-
en und Arbeitnehmer zu erhalten und zu verbessern,
ird auch mit der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“
NQA) verfolgt. Die Bundesregierung fördert mit INQA
ie Schaffung gesundheits- und leistungsfördernder Ar-
eitsbedingungen. Darüber hinaus werden Unternehmen
ei der Umsetzung einer nachhaltigen Personalpolitik un-
rstützt und zu einer lebenslangen Qualifikation ihrer
itarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert. Das Projekt
Perspektive 50 plus“ ist ein Programm des Bundesar-
eitsministeriums zur Verbesserung der Beschäftigungschan-
en älterer Langzeitarbeitsloser.
Frauenerwerbsquote steigern: In Deutschland sind
irca 70 Prozent der Frauen berufstätig, davon circa
5 Prozent in Teilzeit. Viele Frauen wollen ganztags ar-
eiten, haben jedoch Probleme, Beruf und Familie zu
ereinbaren. Mit der Einführung eines Rechtsanspruchs
uf einen Platz in einer Kindertagesstätte und dem Aus-
au der frühkindlichen Betreuungsangebote geben wir
üttern und Vätern die Möglichkeit, Erwerbstätigkeit
nd Familie zu vereinbaren.
Dennoch ist eine größere Flexibilität notwendig. Die
rbeitgeber müssen noch flexiblere Arbeitszeiten oder
eilzeitregelungen anbieten, die öffentliche Hand muss
ber auch den Ausbau der Kinderbetreuung vorantrei-
en. Wichtig ist zudem, dass die entsprechenden Ein-
chtungen mit flexiblen und großzügigen Regelungen
uf die Bedürfnisse der berufstätigen Eltern eingehen
üssen.
Aber auch die Betreuung von Schulkindern muss aus-
ebaut werden, damit berufstätige Eltern ohne Sorge ihrer
ätigkeit nachgehen können. Ein Ausbau von Ganztags-
chulen, Nachmittags- und Ferienbetreuung ist dringend
otwendig.
Im Rahmen des Aktionsprogramms „Perspektive
iedereinstieg“ werden Frauen nach einer familienbe-
ingten Erwerbsunterbrechung bei der Rückkehr in den
eruf unterstützt.
Mit dem nationalen Pakt für mehr Frauen in MINT-
erufen soll bei jungen Mädchen frühzeitig das Interesse
n technischen Berufen geweckt werden.
Weiterqualifizierung stärken: Die Grundausbildung
er Deutschen ist im Europavergleich recht gut. Das sieht
doch bei der Weiterbildung wesentlich schlechter aus,
sbesondere für Frauen und Ältere. Hier stehen auch die
eutschen Unternehmen in der Pflicht, vermehrt Fortbil-
ungsangebote zu schaffen und ihre eigenen Mitarbeiter
r Leben lang weiterzubilden. Dies bedeutet auch, dass
ie derzeit bei uns bestehende Fortbildungslandschaft auf
ie zukünftigen Berufe und den kommenden Bedarf aus-
erichtet werden muss. Vor allem eine Ausweitung der
ngebote im technischen Bereich ist unerlässlich.
In den Unternehmen muss aber auch eine Kultur ent-
tehen, dass Mitarbeiter eigenverantwortlich ihre Weiter-
ildung betreiben, um langfristig für den Arbeitsmarkt
on Interesse zu sein.
12144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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)(B)
Die Bundesanstalt für Arbeit, BA, hat verschiedene
Programme zur Weiterbildung. So fördert zum Beispiel
die BA die berufliche Weiterbildung Geringqualifizierter
durch den Erwerb anerkannter Berufsabschlüsse oder
Teilqualifikationen.
Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund:
In Deutschland haben Menschen mit Migrationshinter-
grund durchschnittlich eine schlechtere Bildung und sind
dadurch auch häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen.
Deshalb müssen diese besser gefördert werden.
Dringend ist auch die schnelle und unbürokratische
Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikatio-
nen, damit die Migranten auf unserem Fachkräftemarkt
eingesetzt werden können. Bei diesem Verfahren kann
die wirkliche Qualifikation des Migranten erkannt und
seine Chancen auf unserem Arbeitsmarkt können ermit-
telt werden. Lücken in der Qualifikation müssen mit
Hilfe von Fortbildungsmaßnahmen geschlossen werden.
Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir zahl-
reiche integrationspolitische Maßnahmen auf den Weg
gebracht, um das Potenzial der Bevölkerung mit Migra-
tionshintergrund besser auszuschöpfen.
Abwanderung verhindern: Ein zentrales Problem für
den Arbeitsmarkt in Deutschland und damit für den
Wirtschaftsstandort Deutschland ist die starke Abwande-
rung von in- und ausländischen Absolventen deutscher
Universitäten und anderen Fachkräften nach Erwerb ih-
rer Qualifizierung. Dieser Abwanderung von besonders
gut ausgebildeten jungen Menschen, die bereits hervor-
ragende Deutschkenntnisse besitzen, steht keine in glei-
cher Weise qualifizierte Zuwanderung entgegen. Ein
Hauptaugenmerk der deutschen Wirtschaft muss es also
sein, die besonders gut ausgebildeten Absolventen mit
attraktiven Lohn- und Arbeitsbedingungen im Land zu
halten oder nach erfolgtem Auslandsstudium für den
deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Auch ins Ausland
abgewanderte nichtakademische Fachkräfte sollen ge-
zielt für die deutsche Wirtschaft zurückgewonnen wer-
den.
Qualifizierte Zuwanderung ermöglichen: Da der welt-
weite Wettbewerb um Fachkräfte vor langer Zeit begon-
nen hat, müssen auch wir um qualifizierte Fachkräfte aus
dem Ausland werben. Derzeit verliert Deutschland jedes
Jahr Tausende von Facharbeitern, die ins Ausland wan-
dern. Wir müssen versuchen, diesen Trend umzudrehen.
Einmal müssen wir unseren Fachkräften ihre Chancen
und Möglichkeiten in Deutschland aufzeigen, auf der an-
deren Seite müssen wir uns um ausländische Fachkräfte
bemühen. Dabei müssen wir politisch und gesellschaft-
lich verdeutlichen, dass ausländische Fachkräfte bei uns
willkommen sind und gute Perspektiven haben.
Insbesondere die Forschungseinrichtungen sind im in-
ternationalen Wettbewerb darauf angewiesen, hochquali-
fiziertes Personal zu gewinnen und halten zu können. Um
den Bedarf an akademischen Spitzenkräften decken zu
können, führen wir die Wissenschaftsfreiheitsinitiative
im Wissenschaftsfreiheitsgesetz weiter. Damit werden
die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um
Wissenschaftsorganisationen die Akquise von Spitzen-
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rschern zu erleichtern und im Wettbewerb mit auslän-
ischen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft
onkurrenzfähige Angebote zu machen.
Die erfolgreiche Bekämpfung des sich abzeichnenden
achkräftemangels gelingt nicht mit punktuellen Lösun-
en. Sie gelingt nur durch einen umfassenden und länger-
istig angelegten Ansatz. Vor allem muss die Zielsetzung
ein, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszu-
chöpfen. Hier wollen wir mit einer besseren Schul- und
ochschulbildung sowie zusätzlichen Anstrengungen in
er Aus- und Weiterbildungsförderung den Schwerpunkt
ur Sicherung und Verbesserung des Fachkräfteangebo-
s in Deutschland setzen.
Ein weiteres zentrales Anliegen ist, die Abwanderung
on Hochqualifizierten und Fachkräften zu stoppen.
chließlich gilt es, durch die Entwicklung einer Willkom-
enskultur die Attraktivität Deutschlands für qualifi-
ierte ausländische Fachkräfte zu erhöhen und gezielt die
ualifizierten Fachkräfte zu werben, für die ein Mangel
esteht.
Ich fordere die Opposition auf, sich unseren Aktionen
ur Sicherung der Fachkräfte für unseren deutschen Ar-
eitsmarkt anzuschließen.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Haben wir ihn
der haben wir ihn nicht, den Fachkräftemangel in
eutschland? Die Wahrheit liegt zwischen Ja und Nein,
lso in einem Gelände, in dem wir uns als Politiker so oft
ewegen und feststellen, dass einfache Antworten nicht
eiterhelfen. Die vorliegenden Anträge sind für die SPD
illkommener Anlass, dieses Thema in der gebotenen
iefe zu beleuchten.
Betrachten wir die aktuelle Situation am Arbeits-
arkt, stellen wir ungedeckte Bedarfe im Bereich der
esundheitswirtschaft, hier besonders in der Alten-
flege, fest. Im Streit um die Frage, wie die Altenpflege-
usbildung finanziert wird, in niedrigen Löhnen – der
indestlohn in der Pflege ist noch taufrisch – und in be-
stenden Arbeitsbedingungen, liegen ein Bündel von
ründen für diesen Mangel. Die Verweildauer im Beruf
t kurz, die Aufstiegsmöglichkeiten sind gering und die
ussicht auf Besserung ist schlecht.
Fachkräftemangel herrscht aktuell auch bei Erziehe-
nnen und Erziehern. Dem Aufbau von Betreuungsange-
oten hat keine adäquate Ausweitung des Ausbildungs-
ngebotes gegenübergestanden. Die Entgeltsituation ist
ngesichts langer Ausbildungszeit schlecht. Auch hier
ibt es so gut wie keine Karrierechance, und die Per-
pektive, bis zum Renteneintrittsalter in der Kita zu ar-
eiten, ist ebenfalls nicht prickelnd.
Ebenso zutreffend ist, dass Bundesländer sich wech-
elseitig Lehrkräfte abwerben. Aber schon hier stellen
ir gleichzeitig fest, dass Berufseinsteiger und Berufs-
insteigerinnen nur befristete Verträge bekommen. Be-
onders hörbar melden sich die Fachverbände zu Wort,
ie über einen Ingenieursmangel klagen. Bis zu 45 000
tellen seien unbesetzt, der Mangel in den sogenannten
INT-Berufen – also Mathematik, Informatik, Natur-
issenschaft, Technik – sei besonders dramatisch. Ar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12145
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beitsmarktexperten bezweifeln diese Zahl – käme sie
doch zustande, weil durch gute Entwicklung möglicher-
weise entstehende Stellen hier mit eingerechnet worden
seien.
Fest steht: Branchen- und regionsbezogene Stellenbe-
setzungsprobleme sind vorhanden. Gleichzeitig wird der
Arbeitsmarkt enger, die Zahl der offenen Stellen größer
und die Zahl der Arbeitsuchenden kleiner. Denn der
deutsche Arbeitsmarkt hat sich trotz Finanzmarkt- und
Wirtschaftskrise gut entwickelt. Nicht zuletzt dank um-
fassender Hilfen durch Kurzarbeit konnten viele Unter-
nehmen ihr Fachpersonal über eine schwierige Phase
hinweg halten. Das war gelungene Beschäftigungssiche-
rung, auf der sich die Politik nicht ausruhen darf. Von ei-
nem aktuellen generellen Fachkräftemangel in Deutsch-
land zu sprechen, wäre jedoch falsch. Das zeigt sich
ganz besonders in der alarmierenden Nachricht, die
Leiharbeitsbranche leide unter Fachkräftemangel. Aus
sozialdemokratischer Sicht liegt hier die Lösung doch
eher darin, dass Unternehmen, die Fachkräftebedarfe
nicht decken können, überprüfen sollten, wieweit sie Be-
schäftigte durch Festeinstellung und/oder bessere Bedin-
gungen für ihr Unternehmen gewinnen können.
Aber zurück zur Politik. Drei Herausforderungen
muss gute Arbeitsmarktpolitik bewältigen. Erstens. Das
Arbeitskraftpotenzial der knapp 3 Millionen Arbeit-
suchenden muss entwickelt werden. Einen gespaltenen-
Arbeitsmarkt, der Langzeitarbeitslosen und Geringquali-
fizierten keine Chancen eröffnet und gleichzeitig einen
wachsenden Arbeitskräftebedarf nicht decken kann, neh-
men wir nicht hin.
Zweitens. Wir machen uns seitens der SPD-Bundes-
tagsfraktion große Sorgen angesichts der radikalen Kür-
zungen im Etat des BMAS. Zwei Stichworte dazu: Das
deutsche Bildungssystem entlässt Jahr für Jahr mehr als
60 000 junge Männer und Frauen ohne Abschluss. Zu
viele junge Menschen bleiben ohne Ausbildung und
damit ohne Perspektive. Deshalb muss eine bildungspo-
litische Initiative starten. Wie kommentiert Bundeswirt-
schaftsminister Brüderle das? „Gut ausgebildete Arbeit-
nehmer und Arbeitnehmerinnen sind der Grundstein für
Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt für den Hightechstand-
ort Deutschland in besonderem Maße.“ Recht hat er –
aber da muss bildungs- und ausbildungsmäßig noch viel
passieren. Und: Viele Menschen mit Migrationshinter-
grund sind hochqualifiziert; ihre Abschlüsse aber wer-
den nach wie vor nicht anerkannt. Hier ist die Bundesre-
gierung endlich tätig. Ob zielführend, wird sich erst noch
herausstellen müssen.
Drittens. Demografisch bedingt sinkt das Erwerbstäti-
genpotenzial in den kommenden Jahren dramatisch.
Deshalb ist die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung ein
wesentlicher Schlüssel zur Deckung des zukünftigen
Fachkräftebedarfs. Hier geht es um die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, was eine deutlich bessere Be-
treuungsinfrastruktur voraussetzt. Die Frage der Versor-
gung pflegebedürftiger Angehöriger ist zurzeit ebenfalls
ungelöst. Ich nenne das Beispiel der „Schattenfrauen“:
5,6 Millionen Frauen sind derzeit nicht erwerbstätig,
90 Prozent von ihnen wären aber gern berufstätig. Wir
werden sie brauchen – ebenso wie ältere Arbeitnehmer
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nd Arbeitnehmerinnen, deren Erwerbsfähigkeit es zu er-
alten gilt. Hier lautet das Stichwort: altersgerechte Arbeit.
Unsere Arbeitsmärkte sind nicht mehr regional, auch
icht national, sondern mindestens europäisch. Mit dem
. Mai 2011 haben wir volle Arbeitnehmerfreizügigkeit
der EU. Es wäre gut gewesen, mit einem gesetzlichen
indestlohn dem zu erwartenden Lohndumping gerade
ei Facharbeit entgegenzutreten. Aber Tatsache ist auch,
ass sich Fachkräfte nun europaweit die besten Arbeits-
edingungen aussuchen können. Deutsche Arbeits-
arktpolitik muss dies im Blick haben.
Muten wir uns noch eine unbequeme Wahrheit zu:
hne kontinuierliche Weiterbildung bleiben auch Fach-
räfte keine Fachkräfte. Zunehmend mehr Unternehmen
rkennen das und investieren in Weiterbildung. Doch lei-
er trifft auch zu, dass weniger investiert wird bei Leih-
rbeitern und Leiharbeiterinnen und dass weniger bis gar
icht investiert wird bei der großen Zahl atypisch Be-
chäftigter.
Es ist also erkennbar, dass lineare Lösungen nicht aus-
ichen. Wir schlagen deshalb eine Allianz für Fachkräfte
or. Wirtschaft, Gewerkschaften, Agentur für Arbeit,
und, Länder und kommunale Spitzenverbände sollten
emeinsam ein Konzept entwickeln, das Lösungsansätze
ufeinander abstimmt. Dann können Fachkräfteoffensi-
en erfolgreich, Unternehmen gut unterstützt und unsere
achkräfte von morgen gut ausgebildet werden. Dazu
erden wir konkrete Vorschläge unterbreiten.
Viele der Probleme nehmen die Anträge von Grünen
nd Linken auf. Das findet unsere Zustimmung. Gleich-
ohl stimmen wir nicht in allen Punkten überein. So
um Beispiel bei der Forderung der Linken nach einem
egelsatz von 500 Euro und bei der Frage des Punkte-
ystems für Einwanderung. Wir werden daher den An-
ag der Linken ablehnen und uns beim Antrag der Grü-
en enthalten.
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Im Gegen-
atz zu einigen anderen Oppositionsanträgen, die wir
eute schon debattiert haben, teile ich hier Ihre Auffas-
ung, dass es einen konkreten Anlass für die Debatte
ibt. Das Thema Fachkräftemangel können wir uns gar
icht oft genug vornehmen, weil es ein ganz entschei-
endes ist. Wenn wir ein offenes Land sein wollen, wenn
ir weiterhin durch unseren Wohlstand beeindrucken
ollen und wenn wir uns unseren Herausforderungen
tellen wollen, dann müssen wir den Fachkräftemangel
den Griff kriegen.
Uns werden bis 2025 5 Millionen Erwerbstätige feh-
n. Aktuell haben wir schon in den mathematisch-tech-
ischen und naturwissenschaftlichen Berufen, im soge-
annten MINT-Bereich, echten Mangel. Dies schadet
nserer Volkswirtschaft und verursacht erhebliche Wert-
chöpfungsverluste. An diesen demografisch bedingten
ealitäten kommt niemand vorbei, der sich ernsthaft mit
em Problem beschäftigt.
Nicht demografisch bedingt ist hingegen die negative
anderungsbilanz, die unser Land aufweist. Uns gelingt
s nicht nur nicht gut genug, ausländische Fachkräfte
12146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
nach Deutschland zu locken, sondern wir haben auch
noch Schwierigkeiten damit, dass uns Fachkräfte verlas-
sen. Schließlich lassen wir erhebliches Potenzial brach-
liegen. Wir haben immer noch viele Menschen, die bis-
her nicht gut oder gar nicht in den Arbeitsmarkt
integriert sind, und zwar insbesondere unter den Migran-
ten, die sich für ein Leben in Deutschland entschlossen
haben.
Zu Recht bringen wir daher jetzt ein zeitgemäßes An-
erkennungsgesetz auf den Weg. Denn viele derjenigen,
die aus dem Ausland zu uns gekommen sind, leiden da-
runter, dass sie ihre vorhandenen Qualifikationen nicht
vernünftig anerkannt bekommen. Alleine hier haben wir
ein Potenzial von circa 285 000 Personen, die qualifi-
ziert sind, deren Qualifikation ihnen und allen anderen
aber nichts bringt, weil sie nicht angemessen anerkannt
wird.
Hier bügelt die schwarz-gelbe Koalition etwas aus,
was bisher alle anderen Bundesregierungen versäumt ha-
ben. Es wird einen Rechtsanspruch auf das Anerken-
nungsverfahren geben, einheitliche Kriterien, ein ein-
heitliches Verfahren, und zwar unabhängig von der
jeweiligen Staatsangehörigkeit. Entscheidend wird al-
leine die Berufsqualifikation sein. Außerdem werden wir
es auch ermöglichen, bereits aus dem Ausland einen An-
trag auf das Anerkennungsverfahren zu stellen. Damit
gehen wir einen großen und wichtigen Schritt zur Be-
kämpfung des Fachkräftemangels.
Wir werden aber insgesamt drei Schritte gehen müs-
sen, und das werden wir auch tun. Denn neben der Aner-
kennung ausländischer Qualifikationen müssen wir un-
ser inländisches Arbeitskräftepotenzial besser ausreizen.
Und das heißt nichts anderes, als dass wir den Men-
schen, die es bisher schwer auf dem Arbeitsmarkt hatten,
besser helfen müssen. Der zweite Schritt muss also sein,
die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu reformieren.
Hier sind wir auf einem guten Weg. Das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales hat einen guten Ge-
setzentwurf vorgelegt. An der einen oder anderen Stelle
müssen wir noch etwas drehen, aber die Richtung
stimmt schon mal.
Wir werden die Zahl der arbeitsmarktpolitischen In-
strumente reduzieren und damit eine Forderung verwirk-
lichen, die Experten schon seit langem an die Politik he-
rangetragen haben. Es war auch niemandem mehr zu
vermitteln, warum es zum Beispiel für ein und denselben
Zweck mehr als fünf unterschiedliche Instrumente geben
musste. Das hat weder den Arbeitsuchenden geholfen
noch hat es die Arbeit der Vermittler leichter gemacht.
Gerade hierum geht es aber auch: Wir brauchen nicht
nur einen gut aufgeräumten Instrumentenkasten, sondern
auch einen fitten Experten, der sich auskennt und die
passende Maßnahme in Kooperation mit dem Arbeitsu-
chenden aussucht. Nicht nur für Arbeitsuchende heißt es,
auf Qualifikation zu achten, sondern eben auch bei unse-
ren Vermittlern in der Bundesagentur für Arbeit.
Schließlich muss es aber noch einen dritten Schritt
geben. Damit meine ich, dass wir mehr gesteuerte Zu-
wanderung brauchen, und zwar mit einem Punktesys-
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m. Hier schneiden wir im internationalen Vergleich
infach noch zu schlecht ab. Dem müssen wir mit – ich
abe das schon einmal an anderer Stelle gesagt – drei Ws
egegnen: Wir müssen den Wettbewerb aufnehmen, wir
üssen Werbung für uns machen, und wir müssen eine
illkommenskultur schaffen. Bisher wandern die klu-
en Köpfe weltweit an Deutschland vorbei und zum Bei-
piel nach Kanada oder Australien. Klar, die genannten
änder haben einen Sprachvorteil; aber das ist es dann
uch, das können wir nicht als Ausrede benutzen. Wir
üssen begreifen, dass wir hier in einem internationalen
ettbewerb stehen, in dem einem nichts geschenkt wird.
ber ich bin fest davon überzeugt, dass wir attraktiv wir-
en können, wenn wir es nur besser im Ausland erklä-
n. Dazu muss die Bundesrepublik die Werbetrommel
hren. Wir müssen uns nicht verstecken, bei uns gibt es
ine Menge guter Jobs. Wenn es uns gelingt, diese Bot-
chaft im Ausland rüberzubringen, dann werden wir
uch wieder mehr Fachkräfte zu uns bringen können.
Zuletzt geht es aber auch darum – und damit bin ich
eim dritten W –, eine Willkommenskultur zu schaffen.
den Betrieben, in den Behörden und auch einfach auf
er Straße oder im Supermarkt müssen wir denjenigen,
ie zu uns gekommen sind, die Hand reichen. Das wäre,
laube ich, letztlich auch die beste Werbung, die man für
ich machen kann.
Wir haben den Fachkräftemangel erkannt und küm-
ern uns darum. Manche Ihrer Vorschläge teile ich ja.
sgesamt reicht es bei Ihnen aber nicht, und die Sache
t bei uns in guten Händen. Deshalb lehnen wir Ihre An-
äge ab.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Es ist schon er-
taunlich, welche Blüten die Diskussion um die Frage
es Fachkräftemangels treibt. Kürzlich konnte man le-
en, die Leiharbeitsbranche beklage einen Arbeitskräfte-
angel. Das ist natürlich mehr als abstrus. Denn wie
ieht die Realität aus? Nehmen wir einen Fall aus der
egion Esslingen, also dem Bundesland Baden-
ürttemberg, in dem die Industrie bekanntlich wieder
oomt. Kürzlich schrieb hier die örtliche IG Metall Bun-
esarbeitsministerin von der Leyen einen Brief. In einer
rehmaschinenfabrik wurden über hundert Beschäftigte
ekündigt, die Auszubildenden nicht übernommen. Die
etroffenen erhielten von der Arbeitsagentur Stellenan-
ebote, aber fast ausschließlich von den Leiharbeitsfir-
en. Ein Kollege erhielt 17 Stellenangebote, 15 davon
ei Leiharbeitsfirmen. Zu Recht schreibt die IG Metall
aher in ihrem Brief: Die „Diskussion um Fachkräfte-
angel bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn aus-
ebildeten Mechatronikern eine Stelle bei einer Döner-
ude oder einer Lidl-Filiale angeboten wird“. Ich bitte
ie Bundesregierung, diese Realität zur Kenntnis zu neh-
en, bevor sie die Klagen der Arbeitgeber über einen
ngeblichen Fachkräftemangel nachbetet.
Ohne Frage: Es gibt in einzelnen Branchen einen stei-
enden Fachkräftebedarf. Das ist in Zeiten des Auf-
chwungs nichts Ungewöhnliches. Aber deshalb von ei-
em flächendeckenden Fachkräftemangel zu sprechen,
t völlig haltlos. Das belegen auch seriöse wissenschaft-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12147
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liche Studien. Zu nennen ist hier die Gemeinschaftsstu-
die des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
und des Bundesinstituts für Berufsbildung, die in ihren
Prognosen bis 2025 auch die demografische Entwick-
lung berücksichtigen, das heißt die durch Alterungspro-
zesse kleiner werdende Zahl von Erwerbstätigen. Dort
findet sich kein Wort über einen flächendeckenden Fach-
kräftemangel. Selbst für den technischen Bereich hat
eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor-
schung jüngst nachgewiesen: Auch dort gibt es keinen
Fachkräftemangel, sonst hätten Arbeitgeber für diese
Fachkräfte deutlich die Löhne erhöhen müssen. Aber das
ist nicht geschehen.
Was steckt also hinter den Klagen der Arbeitgeber
über einen angeblichen Fachkräftemangel? In Wirklich-
keit, so wird immer deutlicher, sind das Klagen über an-
geblich zu teure, zu wenig flexible Arbeitskräfte. In mei-
nen Bundesland Sachsen haben kürzlich die Industrie-
und Handwerkskammern ihre Mitgliedsunternehmen
zum Thema Fachkräfte befragt – unter anderem dazu,
woran die Einstellung eines neuen Mitarbeiters scheitert.
Die Antwort: Die Bewerber hätten zu wenig Berufser-
fahrung und Spezialqualifikation, sie würden zum Teil
überzogene Lohnforderungen stellen, seien manchmal
zu alt und teilweise wegen familiärer Verpflichtungen zu
wenig flexibel. Ja, ich weiß, viele Arbeitgeber haben
ihre Vorstellung vom idealen Mitarbeiter. Er soll jung,
ledig und flexibel sein, mehrjährige Berufserfahrung und
Spezialqualifikation besitzen und zu einem niedrigen
Lohn arbeiten wollen. Nur ist das natürlich etwas ande-
res als Fachkräftemangel. Es ist die alte Leier: Der alte
Ruf nach billigen, immer frei verfügbaren Arbeitskräften
taucht nun im neuen Gewand auf. Mehr als deutlich wird
das bei den Pflegeberufen. Erst vor einigen Tagen hat
der Arbeitgeberverband Pflege über einen massiven
Mangel an Pflegefachkräften geklagt. Hier ist es nun of-
fensichtlich, dass niedrige Löhne und enorme Arbeitsbe-
lastungen in dieser Branche dafür verantwortlich sind,
dass viele nach wenigen Jahren aus diesem Job ausschei-
den oder ihn erst gar nicht wählen.
Wenn sich die Bundesregierung, in Teilen auch die
Grünen, vor diesen Karren der Arbeitgeber spannen
lässt, ist dies ein Armutszeugnis. Denn dabei gerät
schnell das eigentliche Problem aus den Augen: der
Mangel an ausreichenden und zudem guten Arbeitsplät-
zen. Die Arbeitsmarktstatistik gibt uns recht. Die Zahl
der prekären Arbeitsplätze – Leiharbeit, Minijobs und
Befristungen – nimmt immer mehr zu; dieser Entwick-
lung muss ein Riegel vorgeschoben werden. Noch im-
mer wird Millionen Menschen ein gleichberechtigter Zu-
gang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Hier liegt viel
Potenzial brach, das wegen einer falschen Arbeitsmarkt-
und Beschäftigungspolitik ungenutzt bleibt. Das betrifft
insbesondere Ältere, Frauen, Menschen mit Behinde-
rung und Migrantinnen und Migranten.
In der Gruppe der über 55- bis 65-Jährigen zählt die
Arbeitsmarktstatistik fast eine halbe Million Arbeitslose.
Unter den circa 9 Millionen Menschen, die sich laut dem
Statistischen Bundesamt in Deutschland Arbeit oder
mehr Arbeit wünschen, sind überproportional viele
Frauen. Bei ihnen ist der Wunsch nach Mehrarbeit stär-
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er ausgeprägt als bei den Männern. Entgegen dem all-
emeinen Trend steigt die Arbeitslosigkeit von schwer-
ehinderten Menschen. Ein weiteres Problem ist die
ohe Zahl von Langzeiterwerbslosen; ihre Zahl liegt bei
twa 900 000. Ferner werden Hunderttausende Migran-
nnen und Migranten in Deutschland vom Erwerbssys-
m ausgegrenzt – etwa durch die Nichtanerkennung von
Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüs-
en.
Was ist also notwendig? Statt einen Fachkräftemangel
u beklagen, gilt es, die Hindernisse abzubauen, die
eute Millionen Menschen einen freien Zugang zum Ar-
eitsmarkt verwehren. Frauen ist eine gleichberechtigte
eilhabe am Erwerbsleben zu ermöglichen, indem mehr
guläre Arbeitsplätze statt ungesicherter Mini- und Teil-
eitjobs geschaffen werden. Die Entgeltgleichheit muss
urchgesetzt und die geschlechtsspezifische Arbeitstei-
ng aufgebrochen werden. Für ältere Menschen sind die
eschäftigungsbedingungen zu verbessern. Spezifische
ualifizierungsprogramme sind auszubauen, denn Äl-
re werden seltener qualifiziert und weitergebildet. Der
ündigungsschutz ist insbesondere für diese Gruppe zu
erbessern. Gleiches gilt für den Arbeits- und Gesund-
eitsschutz, um es Älteren zu ermöglichen, länger ohne
esondere Belastungen am Erwerbsleben teilzuhaben.
m Langzeiterwerbslosen mit einer aktiven Beschäfti-
ungspolitik Chancen zu erschließen, ist das sogenannte
parpaket zurückzunehmen.
Verglichen mit dem Vorjahr werden derzeit nur noch
alb so viele Weiterbildungsmaßnahmen genehmigt. Das
t nicht hinnehmbar. Arbeitsmarktpolitik muss nachhal-
g finanziert werden. Für Menschen mit Behinderungen
t wichtig, dass in den Unternehmen endlich die gesetz-
ch festgeschriebene Beschäftigungsquote erfüllt wird.
arrierefreie Arbeitsstätten sind stärker zu fördern. Mig-
ntinnen und Migranten müssen einen gleichberechtig-
n Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen, unabhängig
on der „ökonomischen Nützlichkeit“. Notwendig ist
afür, dass die im Ausland erworbenen Qualifikationen
ichter anerkannt werden können. Es muss einen
echtsanspruch auf die Anerkennung von Berufs- und
chulabschlüssen geben. Der von der Bundesregierung
orgelegte Gesetzentwurf sieht jedoch keinen Rechtsan-
pruch auf Anerkennung vor. Zudem sollten Migrantin-
en und Migranten vor und während des Anerkennungs-
erfahrens begleitet und beraten werden. Sie bleiben im
egen stehen, wenn sie einen Beruf erlernt haben, der
icht bundeseinheitlich geregelt ist. Dann müssen sie
ich mit 120 Landesgesetzen auseinandersetzen.
Die Bundesregierung tut nichts, um die drängenden
ragen des Arbeitsmarktes anzugehen. Schlimmer: Sie
orgt mit ihrem Sparkurs in der Arbeitsmarktpolitik da-
r, dass Menschen Chancen für eine gute Beschäftigung
erbaut werden. Das können und werden wir nicht hin-
ehmen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nfang April hat Bundesarbeitsministerin von der Leyen
en Arbeitsmarktfachleuten der Koalitionsfraktionen die
ichtigsten Handlungsschwerpunkte ihres Ministeriums
12148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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)(B)
für das laufende Jahr vorgestellt. An erster Stelle steht
dabei das Thema Fachkräftesicherung. Und das über-
rascht doch sehr, denn es ist weit und breit nichts davon
zu merken, dass der wachsende Fachkräftebedarf bei den
Aktivitäten der Bundesregierung irgendeine Rolle spielt.
Im Gegenteil, still ruht der See.
Sie verlassen sich darauf, dass die anziehende Kon-
junktur die Sache schon regelt, und streichen rigoros bei
der Arbeitsförderung. Und damit begehen Sie einen ka-
pitalen Fehler, der sich schwer rächen wird.
Alle Experten schreiben es Ihnen ins Stammbuch:
Jetzt ist die Zeit, um in Qualifizierung zu investieren, da-
mit auch Langzeitarbeitslose von der wirtschaftlichen
Erholung profitieren. Nur so kann die positive Entwick-
lung am Arbeitsmarkt anhalten. Bleiben Sie aber bei Ih-
rem Spardiktat, dann provozieren Sie die Gefahr eines
Fachkräftemangels bei gleichzeitig hoher Arbeitslosig-
keit. Das darf auf keinen Fall geschehen.
Darum appelliere ich an die Bundesregierung und die
Regierungsfraktionen: Nehmen Sie die Kürzungen bei
der Arbeitsförderung zurück! Dasselbe gilt für Ihre
Pläne für die Bundesagentur. Auch wenn Sie es stur
leugnen: Sie treiben die Bundesagentur in die Schulden-
falle. Auch das wird auf die aktive Arbeitsmarktpolitik
zurückschlagen und die Chancen derer verringern, die
wir eigentlich stärken müssten: Geringqualifizierte, Mi-
grantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderun-
gen, Ältere und Frauen. Ihre Potenziale werden im Mo-
ment nicht genutzt. Wir werden sie aber brauchen, wenn
der Bedarf an Fachkräften demografisch bedingt weiter
und weiter steigen wird.
Wenn Sie meine Argumente schon nicht überzeugen,
dann vielleicht Zahlen: Schon heute entgehen dem Mit-
telstand durch den Fachkräftemangel Umsätze von
30 Milliarden Euro im Jahr, Tendenz steigend. Die
Alarmglocken müssten bei dieser Regierung aber auch
läuten, wenn sie präsentiert bekommt, dass in Deutsch-
land im vergangenen Jahr 320 000 junge Menschen in
unsinnigen Warteschleifen gelandet sind statt in einer
betrieblichen Berufsausbildung. Diese jungen Leute
werden uns später als Fachkräfte fehlen. Das ist fahrläs-
sig, teuer und erfordert ein Umsteuern, damit kein Kind
mehr die Schule ohne Abschluss verlässt und wirklich
alle in eine Ausbildung münden. Doch auch hier ist
keine Anstrengung bei der Bundesregierung zu erken-
nen.
Nur im Schneckentempo geht es auch bei der besseren
Anerkennung von Abschlüssen voran, die im Ausland er-
worben wurden. Nach Jahren der Ankündigung liegt nun
endlich ein Gesetzentwurf vor. Aber das Ziel des Geset-
zes, die Chancen von Menschen mit ausländischen Qua-
lifikationen auf Integration in den deutschen Arbeits-
markt zu verbessern, ist nicht ausreichend unterlegt. Es
fällt damit hinter die Eckpunkte der Bundesregierung von
2009 zurück. Ob auf dieser Grundlage materielle Verbes-
serungen für die erreicht werden, die bisher am deutschen
Bewilligungsdschungel gescheitert sind, muss bezweifelt
werden. Zu befürchten ist, dass sich auch weiterhin Ärz-
tinnen als Putzfrauen oder Ingenieure als Pizzafahrer
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urchschlagen müssen, weil ihre im Ausland erworbenen
bschlüsse hier nicht anerkannt werden.
Aber selbst wenn es gelänge, bei der Ausbildung, der
ualifizierung und bei der Anerkennung von Berufsab-
chlüssen deutliche Fortschritte zu erzielen – selbst dann
ürde das nicht genügen, um den wachsenden Fachkräf-
bedarf zu decken.
Hierzu – und das haben uns die Expertinnen und Ex-
erten der zum Thema durchgeführten Anhörung bestä-
gt – können wir auf Zuwanderung nicht verzichten.
ber auch bei dieser Frage ist die Bundesregierung in ei-
en Totstellreflex verfallen. Sie hat das Thema „Schaf-
ng eines transparenten Zuwanderungssystems“ im
oalitionsausschuss versenkt und macht gar keine An-
talten, es wieder auf die Tagesordnung zu hieven. Das
t hasenfüßig.
Die Bevölkerung hingegen ist – mal wieder – viel
eiter als die Koalition. 60 Prozent der Bürgerinnen und
ürger befürworten die stärkere Zuwanderung von
achkräften; das hat eine repräsentative Umfrage des
achverständigenrates deutscher Stiftungen für Migra-
on und Integration gezeigt.
Wir Grünen haben Ihnen einen Antrag mit einer um-
ssenden Strategie zur Bewältigung des wachsenden
achkräftebedarfs vorgelegt. Es reicht nicht – und auch
as bestätigten die Fachleute –, punktuell anzusetzen.
inheimische und Einwanderer dürfen nicht gegeneinan-
er ausgespielt werden, wir brauchen sie alle. Bildung
nd Chancen für Kinder und junge Erwachsene, Weiter-
ildung für Zukunftsberufe, Erhöhung der Erwerbsbetei-
gung, Anerkennung ausländischer Qualifikationen und
in transparentes Zuwanderungssystem – das sind die
nf Handlungsstränge, die erst zusammen eine gute und
rfolg versprechende Strategie ergeben. Nehmen Sie sie
emeinsam mit uns in Angriff und stimmen Sie unserem
ntrag zu.
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes
(Tagesordnungspunkt 18)
Dieter Jasper (CDU/CSU): Mit dem heutigen Ge-
etzentwurf erfüllt die christlich-liberale Koalition eine
ormative Voraussetzung, damit aus europäischer Sicht
Deutschland ein subventionierter Steinkohlenbergbau
is ins Jahr 2018 ermöglicht wird und sichergestellt wer-
en kann. Inhaltlich bedeutet dieser Gesetzentwurf, dass
ie sogenannte Revisionsklausel ersatzlos gestrichen
ird.
Zum Hintergrund: Im Jahr 2007 wurde eine kohle-
olitische Verständigung getroffen, in der die Bundesre-
ierung, das Land NRW, das Saarland, die RAG und die
BCE den sozialverträglichen und geordneten Aus-
tieg aus dem subventionierten Steinkohlenbergbau bis
um Jahr 2018 regelten. Diese Vereinbarung beinhaltete
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12149
(A) )
)(B)
auch die sogenannte Revisionsklausel, die festlegte, dass
dieser Beschluss im Jahr 2012 noch einmal überprüft
werden sollte. Völlig überraschend forderte die Europäi-
sche Kommission im letzten Jahr einen früheren Aus-
stieg aus der Kohleförderung bis zum Jahr 2014. Dies
hätte für Deutschland und gerade auch für meine Hei-
matregion dramatische wirtschaftliche und soziale Kon-
sequenzen gehabt.
In Ibbenbüren im Tecklenburger Land liegt eine der
letzten Steinkohlezechen in Deutschland. Hier wird
schon seit langer Zeit hochwertige Anthrazitkohle geför-
dert. Diese wird zu einem großen Teil im direkt anlie-
genden hocheffizienten Kohlekraftwerk verfeuert und
zum anderen Teil für den regionalen Wärmemarkt ver-
wendet. Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des
Bergbaus für die Stadt Ibbenbüren und die umliegenden
Bergbaugemeinden Mettingen, Recke, Hopsten, Hörstel
und Westerkappeln ist enorm. In der Bevölkerung und
über alle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg
herrscht eine hohe Akzeptanz. Im Bergbau sind derzeit
direkt über 2 300 Menschen beschäftigt, im Bereich der
Zulieferbetriebe sind im Laufe der Zeit mehrere tausend
Arbeitsplätze entstanden. Auch im Bereich der Ausbil-
dung leistet die Zeche ganz hervorragende und unver-
zichtbare Arbeit.
Als der Vorschlag der EU-Kommission bekannt
wurde, führte dies natürlich zu großer Unruhe und Irrita-
tion in unserer Region. Ein Ausstieg aus dem Steinkoh-
lenbergbau bereits im Jahr 2014 hätte dazu geführt, dass
es zu betriebsbedingten Kündigungen gekommen wäre
und auch sonst massive wirtschaftliche und soziale Pro-
bleme entstanden wären. In dieser Situation habe ich
mich unmittelbar an unsere Bundeskanzlerin gewendet
und um Hilfe und Unterstützung gebeten. Unter Einsatz
aller Kräfte und durch tatkräftige Unterstützung des Par-
lamentarischen Staatssekretärs Peter Hintze konnte er-
reicht werden, dass der Beschluss der EU revidiert
wurde. Die Unterstützung der heimischen Steinkohlen-
förderung bis ins Jahr 2018 wurde unter bestimmten Be-
dingungen auf europäischer Ebene akzeptiert. Eine die-
ser Bedingungen für die notwendige europäische
Regelung war, dass die Revisionsklausel aus dem natio-
nalen Gesetz gestrichen und der Ausstieg somit unum-
kehrbar gemacht wird. Dieser Forderung wird mit dem
heutigen Gesetzentwurf Genüge getan. Aus europäischer
Sicht darf es nach 2018 keinen subventionierten Stein-
kohlenbergbau in Deutschland mehr geben, so dass es
auch keiner weiteren Prüfung im Jahr 2012 bedarf. Hier
handelt die christlich-liberale Regierungskoalition kon-
sequent und richtig, da es an vorderster Stelle darum
geht, die auf europäischer Ebene gefundene Einigung
nicht zu gefährden, die nur unter größten Mühen gefun-
den werden konnte.
Für mich persönlich stellt sich die Situation aber et-
was komplexer dar: Die Revisionsklausel ist juristisch
überflüssig geworden und ihre Streichung dient dem
Zweck der Bestandssicherung auch des Steinkohlen-
bergbaus bei uns im Tecklenburger Land. Politisch ge-
hört sie aber meines Erachtens auf die Tagesordnung der
zukünftigen Energiepolitik, und deshalb kann ich einer
Streichung nicht zustimmen. Ich möchte ein deutliches
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ignal setzen, dass die Zukunftschancen der Steinkohle
icht nur jetzt, sondern auch nach 2018 erkannt und ge-
utzt werden müssen. Dazu müssen wir die weitere Ent-
icklung im Fokus haben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die heimi-
che Steinkohle weiterhin als nationale Energiereserve
enötigen und somit den Zugang zu den Lagerstätten er-
alten sollten. In einem zukunftsorientierten Energiemix
rauchen wir neben den regenerativen Energien auch
ochmoderne und effiziente Kohlekraftwerke, in denen
ann auch die heimische Steinkohle verstromt werden
ann. Gerade jetzt, wo alle möglichen Energieformen
uf dem Prüfstand stehen und wir uns fragen müssen,
ie eine sichere und bezahlbare Energieversorgung für
nser Land zukünftig gestaltet werden kann, dürfen wir
ns diese Möglichkeit eines heimischen Energieträgers
icht verbauen.
Grundsätzlich ist es richtig, die jetzt gefundene euro-
äische Vereinbarung endgültig zu ratifizieren. Aber wir
ürfen die weitere wirtschaftliche Entwicklung nicht aus
en Augen verlieren und müssen uns bewusst sein, dass
ir in unserem rohstoffarmen Land mit der Steinkohle
inen der ganz wenigen grundlastfähigen Energieträger
erfügbar haben. Diesen sollten wir nicht vorschnell auf-
eben.
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Das Gesetz, über das
ir heute abstimmen, zeigt deutlich, wie erfolgreich die
undesregierung die Interessen der deutschen Steinkoh-
nregionen, der Beschäftigten und damit auch unsere
irtschaftspolitischen Interessen in Brüssel vertritt.
rotz aller Kritik an der Streichung der Revisionsklausel
egrüße ich ausdrücklich, dass die Bundesregierung in
rüssel durchgesetzt hat, dass wie geplant bis 2018
teinkohle subventioniert werden kann. Auch wenn der
reis dafür die Aufgabe der Revisionsklausel ist, ist die-
er Preis geringer als ein vorzeitiger Ausstieg aus der
ohlensubvention im Jahre 2014, der auf Kosten der
ielen Tausenden Kohlenarbeiter und deren Familie ge-
angen wäre.
Vorneweg möchte ich klarstellen: Im Steinkohlefinan-
ierungsgesetz von 2007 hat sich die Große Koalition
arauf geeinigt, die subventionierte Förderung der Stein-
ohle in Deutschland bis 2018 zu beenden. Dieser Aus-
tiegsplan ist sozial ausgereift und zeigt die Verlässlich-
eit unserer Regierungsarbeit. Bereits im Jahr 2007, als
as Steinkohlefinanzierungsgesetz von der Großen Ko-
lition auf den Weg gebracht wurde, war allerdings allen
eteiligten klar, dass für den Zeitraum 2011 bis 2018
eine beihilferechtliche Genehmigung der EU vorlag.
it einer Entscheidung der EU zum Ende des Jahres
010 musste daher gerechnet werden. Diese sah nun in
orm des aktuellen EU-Kommissionsvorschlags ein
uslaufen der deutschen Subventionierung von Stein-
ohle bereits im Jahr 2014 vor.
Die Bundesregierung setzte sich daraufhin massiv in
rüssel für eine Befristung der Subventionierung von
teinkohle bis 2018 ein. Trotz aller Widerstände in Brüs-
el konnte dies durchgesetzt werden. An dieser Stelle
öchte ich nochmal ausdrücklich Bundeskanzlerin
12150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
(A) )
)(B)
Angela Merkel und Wirtschaftminister Rainer Brüderle
für ihren starken Einsatz auf europäischer Ebene danken.
Ein vorzeitiger Ausstieg hätte frühzeitige Stilllegungen
und betriebsbedingte Kündigungen von mehreren Tau-
send Bergleuten zur Folge. Hinzu kommen weitere Fak-
toren, wie praktische und technische Probleme, die
Bergwerke früher zu schließen.
Uns war es wichtig, dass Entscheidungen erst getrof-
fen werden, wenn die Kosten beider Szenarien klar sind.
Die Bundesregierung konnte auf europäischer Ebene
klarmachen, dass ein für 2014 vorgesehener Ausstieg
aus den staatlichen Subventionen für den Steinkohlen-
bergbau nicht wirklich günstiger sei als ein geordneter
Ausstieg aus den Beihilfen im Jahre 2018. Der Preis da-
für war lediglich das Streichen der Revisionsklausel aus
dem Gesetz von 2007.
Nicht zum ersten Mal beschäftigt uns das Thema
Steinkohlenförderung im Plenum. Schließlich ist es auch
ein sehr emotionales Thema. Dies hat verschiedene
Gründe, die auch dazu geführt haben, dass wir uns so
stark wie nur möglich für das Ende der Steinkohlensub-
ventionen 2018 auf europäischer Ebene eingesetzt ha-
ben. Die große Bedeutung von Kohle ist zum einen dem
hohen Anteil am derzeitigen Energiemix und zum ande-
ren der langjährigen Tradition in Deutschland und ihrer
Bedeutung als langjährig wichtigster Wirtschaftsfaktor
für das Ruhrgebiet geschuldet. Immerhin liegt Deutsch-
land bei der Steinkohlenförderung hinter Polen auf
Platz zwei in Europa. In unserem deutschen Energiemix
hat die Steinkohle einen Anteil von rund 19 Prozent an
der Bruttostromerzeugung in Deutschland. Gemeinsam
mit der Braunkohle beträgt der Anteil über 40 Prozent.
Insbesondere die Menschen in der Region haben eine
besondere Verbundenheit damit. Das hat unter anderem
historische Gründe. Das Ruhrgebiet ist eine der bedeu-
tendsten deutschen und europäischen Industrieregionen.
Diese Entwicklung wäre ohne den Steinkohlenabbau nie
möglich gewesen. Die heimische Steinkohle hat über
Jahrzehnte entscheidend zum Aufbau unseres Landes
und der Steigerung unseres Wohlstandes beigetragen.
Das Gesetz von 2007 war somit eine Zäsur. Mit dem Ge-
setz wurde eine wichtige ordnungspolitische Grundsatz-
entscheidung getroffen und der größte Subventionsab-
bau seit Bestehen der Bundesrepublik beschlossen.
Deutschland ist damit das einzige Land, das ein schlüssi-
ges, sozialverträgliches und wirtschaftliches Gesamt-
konzept zur Beendigung der heimischen Steinkohlenför-
derung hat.
Der deutsche Steinkohlenbergbau ist seit vielen Jah-
ren aufgrund seiner ungünstigen geologischen Bedin-
gungen international nicht mehr wettbewerbsfähig. Mil-
liardenschwere Subventionen – fast 2 Milliarden Euro
pro Jahr in den letzten Jahren – waren bisher notwendig,
damit der deutsche Steinkohlenbergbau wettbewerbsfä-
hig bleibt. Bei der Versorgung der deutschen Wirtschaft
aber überwiegen die Importe. Steinkohle kann jederzeit
aus sicheren Lieferländern bezogen werden. Dies wurde
auch im Steinkohlefinanzierungsgesetz von 2007 aufge-
griffen. Das soll nicht heißen, dass die Förderung von
Steinkohle in Deutschland nicht mehr politisch gewollt
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t, sondern dass die Förderung unter der Prämisse der
irtschaftlichkeit stehen muss – was übrigens für alle
nergieträger gilt.
Die Streichung der Revisionsklausel, die wir jetzt be-
chließen wollen, ist eine europapolitische Notwendig-
eit, um den Schutz der Arbeitnehmer in dieser Branche
u gewährleisten. Schließlich ist eine der wichtigsten
omponenten der Wirtschaftspolitik, stabile Rahmenbe-
ingungen zu schaffen, auf die sich Unternehmen, Mit-
rbeiter und Bürger verlassen können. Es wurde seiner-
eit eine gute Regelung getroffen, auf die sich die
egion und die Menschen dort verlassen. Vertrauens-
chutz und Planungssicherheit konnten in den harten
erhandlungen mit Brüssel sichergestellt werden. Im
inne einer verlässlichen Wirtschaftspolitik wurde an ei-
er Förderung bis 2018 festgehalten, was ich persönlich
r richtig halte.
Wegen der genannten Gründe halte ich es für sinnvoll
nd lobenswert, dass die Bundesregierung den im Jahr
007 beschlossenen Ausstieg aus der Steinkohlenförde-
ng bis 2018 in Brüssel durchgesetzt hat. Auch wenn
er politische Preis dafür die Streichung der Revisions-
lausel ist, haben wir unterm Strich einen wichtigen Er-
lg für unsere heimische Kohlenwirtschaft errungen.
enn angesichts der Größe der Branche braucht es die
on uns gezeigte Verlässlichkeit, wenn man den betrof-
nen Menschen eine vernünftige Perspektive bieten
ill, die nicht zulasten einer traditionsreichen Branche
nd ihrer Arbeiter geht. Deshalb plädiere ich für die Zu-
timmung zum Gesetz über die Änderung des Stein-
ohlefinanzierungsgesetzes.
Rolf Hempelmann (SPD): Das Steinkohlefinanzie-
ngsgesetz, das mit dem vorliegenden Gesetz geändert
erden soll, geht auf den Steinkohlenkompromiss aus
em Jahre 2007 zurück, der sorgsam austariert eine so-
ialverträgliche und geordnete Beendigung des subven-
onierten Steinkohlenbergbaus in Deutschland bis 2018
gelte. Damals war bekannt, dass die Steinkohlensub-
entionen unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen
enehmigung durch die EU stehen, die nach 2010 einer
nschlussregelung bedurfte. Offenbar ging die Bundes-
gierung davon aus, dass die deutsche Regelung für den
trukturwandel die Unterstützung der EU bekommen und
ine entsprechende Genehmigung quasi automatisch er-
ilt werden würde.
Nun haben wir im vergangenen Jahr erlebt, wie diese
rwartungen enttäuscht wurden. Nach dem Vorschlag der
uropäischen Kommission sollte der subventionierte
teinkohlenbergbau 2014 beendet werden. Das wäre ein
arter Schlag für die betroffenen Regionen gewesen. Alle
rämissen für einen geordneten Strukturwandel wären
ber den Haufen geworfen worden. Beim Kommissions-
orschlag blieb außen vor, dass Tausenden Bergleuten be-
iebsbedingt gekündigt worden wäre. Außerdem wäre es
u massiven Arbeitsplatzverlusten in vom Bergbau ab-
ängigen Bereichen gekommen. Auch der Finanzie-
ngsfahrplan der RAG-Stiftung für die Ewigkeitslasten
äre gefährdet gewesen. Schließlich spielte offensicht-
ch die in einer Studie festgestellte Klimaneutralität der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12151
(A) )
)(B)
Steinkohlenförderung keine Rolle. Mit Beendigung der
Steinkohlenförderung in Deutschland wird nicht automa-
tisch die fossile Stromerzeugung reduziert. Vielmehr
wird die deutsche Steinkohle dann durch Importkohle aus
Drittländern ersetzt werden.
Nach massiven Protesten unter anderem des Europäi-
schen Parlaments ist mit dem Ratsbeschluss vom 10. De-
zember 2010 die weitere Subventionierung des Steinkoh-
lenbergbaus bis 2018 genehmigt worden. Festzuhalten ist
jedoch: Im gesamten Verfahren auf europäischer Ebene
hat die Bundesregierung widersprüchliche Signale nach
Brüssel gesandt. Die Bundeskanzlerin war mehr als ein
Jahr untätig. Wirtschaftsminister Brüderle hatte offenbar
sogar mit einer verkürzten Perspektive für die deutsche
Kohle geliebäugelt und war anscheinend auch bereit, die
damit verbundenen betriebsbedingten Kündigungen billi-
gend in Kauf zu nehmen. Wie anders ist es zu interpretie-
ren, dass er lediglich einen Prüfvorbehalt einlegte, wäh-
rend die Wirtschaftsminister der ebenfalls betroffenen
Bergbauländer Spanien und Rumänien gegen die Verkür-
zungspläne der Kommission Widerspruch einlegten?
Jetzt kann der Steinkohlenbergbau bis 2018 weiter
subventioniert werden, jedoch ist dafür die Revisions-
klausel geopfert worden, die Klausel, nach der die Bun-
desregierung dem Deutschen Bundestag bis Mitte 2012
einen Bericht vorlegen sollte. Auf Grundlage dieses Be-
richts sollte dann der Deutsche Bundestag entscheiden,
ob weiterhin eine Förderung der Steinkohle erfolgen
soll. Dabei sollten drei Gesichtspunkte eine Rolle spie-
len: Wirtschaftlichkeit, Sicherung der Energieversor-
gung und andere energiepolitische Ziele. Jetzt – und
nicht 2012 – und ohne Bericht der Bundesregierung ent-
scheiden wir. Dabei erörtern wir nicht die sich fortlau-
fend verändernde Situation auf dem Weltenergiemarkt
und die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir
nehmen uns die Möglichkeit einer umfassenden Bewer-
tung des Steinkohlenweltmarktes. Vor dem Hintergrund
der aktuellen Preisentwicklung auf dem Weltmarkt und
der Verknappung, der Verteuerung und dem aufkom-
menden Protektionismus einzelner Länder bei immer
mehr energetischen und nichtenergetischen Rohstoffen
ist das leichtsinnig.
Wie die parlamentarische Anhörung ergeben hat,
kann insbesondere für die in Deutschland abgebaute
Kokskohle nach 2018 eine Perspektive für einen subven-
tionsfreien Abbau nicht von vornherein ausgeschlossen
werden. Der Marktpreis für Kokskohle bewegt sich nicht
erst seit der Hochwasserkatastrophe in Queensland auf
hohem Niveau. In diesem Marktsegment ist es vorstell-
bar, dass die Wettbewerbsfähigkeit erreicht wird und
Kokskohle dauerhaft konkurrenzfähig angeboten werden
könnte.
Es geht in dieser Diskussion aber auch um hochquali-
fizierte Arbeitsplätze im Maschinen- und Anlagenbau.
Der Bergbau ist ein Erprobungsfeld für weltweit ge-
fragte Technologien. Der deutsche Maschinen- und An-
lagenbau hat hier eine Spitzenstellung in der Welt. Um
diese Spitzenstellung zu erhalten und langfristig diese
Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, muss jetzt über
Perspektiven nachgedacht werden. Vor dem Hintergrund
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er derzeitigen Energiedebatte müssen wir uns darüber
Klaren sein, dass wir über kurz oder lang auf den fos-
ilen Energieträger Kohle nicht verzichten können, um
nter anderem Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
inzu kommt dann die fortbestehende rohstoffliche Be-
eutung insbesondere für die Stahlindustrie und weitere
dustrielle Spezialbedarfe.
Betrachtet man dies alles, ist es besonders leichtsin-
ig, dass nach der derzeitigen Rechtslage Steinkohlen-
ergwerke, die Stilllegungsbeihilfen nach Art. 3 des
atsbeschlusses seit Beginn 2011 erhalten, diese Beihil-
n komplett zurückzahlen müssen, wenn sie nach 2018
ubventionsfrei betrieben werden. Diese Rückzahlungs-
erpflichtung behindert jegliche Option auf subven-
onsfreie Weiterführung von Bergwerken. Der europäi-
chen Ebene ging es bei ihrer Entscheidung um ein kla-
s Enddatum für den subventionierten Steinkohlenberg-
au, ein subventionsfreier Bergbau sollte dabei aber nie
usgeschlossen werden. Hier hätte die Bundesregierung
Europäischen Rat besser aufpassen müssen. Jetzt
eht es darum, den von Brüderle & Co. angerichteten
chaden nachträglich zu reparieren. Dazu haben wir im
usschuss für Wirtschaft und Technologie mit unserem
ntschließungsantrag einen Vorschlag gemacht.
Die Bundesregierung muss mit der Europäischen
ommission und mit dem Europäischen Rat Gespräche
hren, um Wege zu finden, einen subventionsfreien
teinkohlenbergbau nach 2018 zu ermöglichen. Außer-
em muss geprüft werden, wie das Regime der Steinkoh-
nsubventionierung bis 2018 ausgestaltet werden kann,
m eine subventionsfreie Weiterführung von Steinkoh-
nbergwerken nicht nur nicht zu behindern, sondern zu
nterstützen. Das muss zeitnah erfolgen, denn andernfalls
önnte der Zugang zu den Lagerstätten nicht offen gehal-
n werden.
Klaus Breil (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetz-
ntwurf endet ein Jahrzehnte andauerndes Kapitel deut-
cher Industriegeschichte: Im Jahr 2018 wird der sub-
entionierte Steinkohlenbergbau in Deutschland nun
erbindlich und mit Zustimmung der EU auslaufen.
Bis zu diesem Zeitpunkt werden die deutschen Steu-
rzahler jedoch über 140 Milliarden Euro Subventionen
r die Steinkohlenförderung aufgebracht haben. Seit
ehr als 20 Jahren hat sich die FDP im Deutschen Bun-
estag deshalb für einen geordneten und sozialverträg-
chen Ausstieg aus dieser Subventionspolitik eingesetzt.
ie Weichen hierfür stellte der Ende 2007 in Verhand-
ngen zwischen dem Bund, den betroffenen Ländern
ordrhein-Westfalen und Saarland, der IG BCE sowie
er RAG AG errungene Kompromiss im Steinkohle-
nanzierungsgesetz.
Da staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau
nter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Euro-
äische Kommission stehen, waren mit dem Ablauf der
isherigen Regelungen zum 31. Dezember 2010 erneut
espräche auf europäischer Ebene erforderlich. Vor al-
m dem beharrlichen Einsatz der Bundesregierung – und
as möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – für
en 2007 gefundenen Konsens ist es zu verdanken, dass
12152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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der erfolgreich begonnene Veränderungsprozess in den
Bergbauregionen fortgeführt werden kann und dass ein
verlässlicher Fahrplan den betroffenen Menschen auch
weiterhin die dafür erforderliche Orientierung bietet.
Nun mag mancher kritisieren, dass eine Annäherung
der Positionen in den Verhandlungen mit der Europäi-
schen Union nur unter Verzicht auf die bisher im Gesetz
enthaltene Revisionsklausel möglich war. Hier stellt sich
jedoch die grundsätzliche Frage, ob eine Förderung von
Steinkohle in unseren Regionen jemals zu wettbewerbs-
fähigen Bedingungen möglich wäre. Auch wenn zuletzt
durch Verknappungen des Angebots – unter anderem
durch die Flutkatastrophe in Australien – die Weltmarkt-
preise für Kraftwerkskohle deutlich bis in den Bereich
von 100 Euro je Tonne gestiegen sind, liegt dieses Preis-
niveau noch weitaus niedriger als die Förderkosten für
deutsche Steinkohle. Rund 90 Prozent der in Deutsch-
land im vergangenen Jahr geförderten Steinkohlen-
menge von circa 13 Millionen Tonnen entfielen auf
Kraftwerkskohle. Daher ist deren Preisentwicklung für
die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit maßgebend,
nicht der isolierte Blick auf den zeitweilig stärkeren
Preisanstieg bei Kokskohle. Sollte es zudem am Welt-
markt zu einem dauerhaft hohen Preisniveau bei der
Steinkohle kommen – was bei weiter zunehmender
Nachfrage insbesondere aus Asien möglich ist –, wird
dies einen deutlichen Anstieg der Fördermengen in an-
deren Regionen der Erde nach sich ziehen. Die wach-
sende Rentabilität der Förderung führt zwangsweise zu
einer Anpassung auf der Angebotsseite. Deutschland
könnte angesichts seines geringen Anteils von unter
3 Prozent der globalen Vorkommen und angesichts der
bestehenden erheblichen geologischen Nachteile mit
dieser Entwicklung nicht Schritt halten.
Hinzu kommt, dass auch die Kosten für den Rückbau
und die Beseitigung unvermeidlich auftretender Schäden
erwirtschaftet werden müssen. Auch insofern haben die
deutschen Lagerstätten in dicht besiedeltem Gebiet er-
hebliche Nachteile gegenüber dem internationalen Wett-
bewerb. Weder in Bezug auf die Versorgungssicherheit
noch auf die Entwicklung der Weltmarktpreise wird so-
mit der Steinkohlenbergbau in unserem Land jemals ei-
nen relevanten Einfluss nehmen können. Daher stellt für
uns die Streichung der Revisionsklausel eine tragfähige
Lösung dar.
Auf einen weiteren Punkt möchte ich kurz eingehen.
Nicht erst in jüngster Zeit ist der Ruf nach dem
dauerhaften Erhalt eines Referenzbergbaus zu verneh-
men. Begründet wird dieser häufig mit dadurch verbes-
serten Absatzchancen der heimischen Maschinen- und
Anlagenbauer. Hierauf kann es nur eine Antwort geben:
Die beste Referenz ist der Beweis des leistungsfähigen
und störungsfreien Betriebs deutscher Qualitätsprodukte
in den weltweit bedeutendsten Fördergebieten. Nur diese
Argumente erhöhen die Marktchancen für „Made in
Germany“ nachhaltig.
Zum Antrag der SPD möchte ich die Stellungnahme
des Gesamtverbandes Steinkohle e. V. zur öffentlichen
Anhörung am 11. April 2011 zitieren: „Die deutsche
Steinkohle ist aus heutiger Sicht nicht in der Lage, kurz-
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nd mittelfristig Kraftwerkskohle wettbewerbsfähig an-
ubieten.“ Das beschreibt, wie auch das vorhin Gesagte,
igentlich alles zu der Idee, subventionsfrei weiter Stein-
ohle abbauen zu wollen.
Was den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft, möchte
h gleichwohl um Ihre Zustimmung werben. Nur wenn
ir es gemeinsam schaffen, uns von einer Politik der
ubventionsverteilung zu lösen, werden wir die finan-
iellen Spielräume für die Beantwortung drängender Zu-
unftsfragen gewinnen – sei es für die Konsolidierung
er öffentlichen Haushalte oder für die Beschleunigung
er Energiewende in unserem Landes. Wir haben durch
ine verlässliche Positionierung gegenüber der EU er-
icht, dass die Steinkohlensubventionen bis 2018 ge-
rdnet abgebaut werden können. Ein ständiges Rum-
chrauben an den Modalitäten wird niemandem helfen –
chon gar nicht den betroffenen Mitarbeitern.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Mit der heutigen Abstim-
ung soll der Steinkohlenbergbau in Deutschland defi-
itiv zu Grabe getragen werden. Wir stehen aufgrund der
ehler der Bundesregierung jetzt vor dem Dilemma,
ass wir diese Gesetzesänderung nicht ablehnen können,
eil sonst die Förderung der heimischen Steinkohle
chon 2014 beendet werden würde. Die große Koalition
atte es versäumt, den „Kohlekompromiss“ von 2006
uf der europäischen Ebene bestandsfest zu machen.
rompt hatte die EU-Kommission die Beihilferegelung
letzten Jahr gänzlich infrage gestellt. Nur den Protes-
n der Bergleute und der Gewerkschaften ist es zu ver-
anken, dass der Bergbau jetzt wenigstens bis 2018 wei-
rlaufen kann. Doch die Genehmigung der Beihilfen
urde mit dem Deal erkauft, dass die Revisionsklausel
us dem deutschen Gesetz gestrichen werden soll.
So weit, so schlecht. Doch sieht man genau hin, geht
er Eingriff mit der heutigen Gesetzesänderung noch
esentlich weiter. In der Anhörung des Wirtschaftsaus-
chusses in dieser Woche wurde sehr deutlich, dass Ziel
er EU-Kommission definitiv die endgültige Stilllegung
ller Zechen in Deutschland und in anderen Mitglied-
taaten ist. Selbst wenn eine Zeche im Jahre 2018 in der
age wäre, ohne weitere Subventionen Steinkohle zu
rdern, wird ihr der Garaus gemacht. Dann nämlich, so
ie EU-Verordnung und die Änderung des Steinkohle-
nanzierungsgesetzes, muss die Zeche alle Subventio-
en, die sie ab 2011 erhalten haben wird, wieder zurück-
ahlen. Das ist wirtschaftlich auf keinen Fall zu
chaffen. Das heißt, die Zechen müssen dann so oder so
chließen, ob sie 2018 rentabel sind oder nicht. Das ist
konomischer und arbeitsmarktpolitischer Unsinn.
Selbst wenn nach 2018 kein Bergwerk ohne staatliche
nterstützung weiterlaufen könnte, halten wir es für das
indeste, über Technologieförderung wenigstens eine
rube für die Sicherung des technologischen Know-
ows offen zu halten. Die Folgen der Zechenschließun-
en betreffen nicht nur die Beschäftigten in den Berg-
erken. An der Kohleförderung hängt ein moderner Ma-
chinen- und Anlagenbau. Allein die Technologiesparte
er Kohlewirtschaft beschäftigt mehr als 15 000 Men-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12153
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schen in NRW. Nur mit dem Erhalt eines Referenzberg-
werks können diese Arbeitsplätze in Deutschland erhal-
ten werden. Mittelfristig kann die Kohle auch ein
wichtiger Ersatzrohstoff für das zur Neige gehende
Erdöl als Grundstoff der petrochemischen Industrie wer-
den. Je nach der Entwicklung auf den Rohstoffmärkten
werden wir eines Tages vielleicht noch heilfroh sein,
wenn wir heute die heimischen technologischen Kompe-
tenzen im Bergbau nicht völlig vernichten.
Eine Beendigung der heimischen Steinkohlenförde-
rung ist kein Beitrag zum Klimaschutz, solange nicht
gänzlich aus der Kohleverstromung ausgestiegen wird.
Sie verlagert nur die Umweltkosten und Arbeitsplätze
ins Ausland. Verstehen Sie uns nicht falsch – wir teilen
das Nein zum Bau neuer Kohlekraftwerke. Kohle- und
Atomkraftwerke blockieren den dringend notwendigen
Umstieg auf erneuerbare Energien. Aber mit der Be-
endigung der heimischen Steinkohlenförderung wird
kein Kohlekraftwerk abgeschaltet, sondern nur die hei-
mische Kohle durch Importkohle ersetzt. Die Entschei-
dung an diesem Punkt heißt deshalb nicht „Kohle? Ja
oder Nein“, sondern „aktive Industriepolitik oder Wirt-
schaftsliberalismus?“. Wir treten für eine aktive Indus-
triepolitik und für den Erhalt von Industriearbeitsplätzen
durch einen sozial-ökologischen Umbau ein, nicht aber
für eine Verbesserung der CO2-Bilanz durch die Vernich-
tung von qualifizierten Arbeitsplätzen in der Industrie.
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nach den Beratungen in den Ausschüssen und der Anhö-
rung zur Streichung der Revisionsklausel und der damit
verbundenen Änderung des Steinkohlefinanzierungsge-
setzes im Wirtschaftausschuss beraten wir heute über
den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Streichen
der Revisionsklausel im Steinkohlefinanzierungsgesetz
in zweiter und dritter Lesung.
Grund dafür ist, dass sich im Jahr 2007 die damalige
Große Koalition im Bund, die Länder, die RAG und die
IG BCE auf eine Beendigung des subventionierten
Steinkohlenbergbaus bis zum Jahr 2018 geeinigt hatten –
mit der Vorgabe, dies aufgrund einer Revisionsklausel
im Jahr 2012 noch einmal zu überprüfen. Dabei wurde
es jedoch von der damaligen Großen Koalition im Bund
und der damaligen schwarz-gelben Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen versäumt, das deutsche Steinkohle-
finanzierungsgesetz von 2007 auch europarechtlich ab-
zusichern. Denn es gab vonseiten der EU-Kommission
nur eine Zustimmung für ein Fortführen der Subventio-
nen bis 2011. Rückblickend muss man sagen, dass dies
eine arrogante Haltung der damaligen Bundes- und Lan-
desregierungen war, die sich im Juli 2010 gerächt hat.
Denn zu diesem Zeitpunkt machte die EU-Kommission
einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates, die
Steinkohlenbeihilfen bereits im Oktober 2014 einzustel-
len.
Nur durch erheblichen politischen Druck und wahr-
scheinlich auch durch viele sachfremde Zugeständnisse
in anderen Politikfeldern konnte Deutschland die Kom-
mission und die anderen Mitgliedstaaten doch noch be-
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egen, Steinkohlensubventionen bis 2018 statt bis 2014
uzulassen. Deutschland musste aber zusichern, die Re-
isionsklausel im deutschen Steinkohlefinanzierungsge-
etz zu streichen, damit der subventionierte Bergbau bis
018 definitiv beendet wird. Denn bisher heißt es in § 1
bs. 2 des Steinkohlefinanzierungsgesetzes, dass die
undesregierung dem Deutschen Bundestag bis spätes-
ns 30. Juni 2012 einen Bericht zuleitet, auf dessen
rundlage der Deutsche Bundestag unter Beachtung der
esichtspunkte der Wirtschaftlichkeit, der Sicherung der
nergieversorgung und der übrigen energiepolitischen
iele prüft, ob der Steinkohlenbergbau weiter gefördert
ird.
Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf
ieht eine Streichung genau dieses Absatzes vor. Dies ist
in richtiges, vernünftiges und auch absolut notwendiges
eichen an Europa. Denn die Revisionsklausel war von
nfang an überflüssig und unsinnig. Sie hat verhindert,
ass alle Beteiligten Planungssicherheit haben und sich
ngfristig auf das unvermeidliche Ende des Steinkoh-
nbergbaus einstellen konnten. Wir Grüne haben im
tzten Jahr schon lange vor der Diskussion auf EU-
bene hier im Bundestag entsprechende Anträge ge-
tellt. Die Bundesregierung muss sich jedoch vorwerfen
ssen, hier lange Zeit untätig gewesen zu sein. Schon
iel früher hätte sie durch konkrete Gesetzesinitiativen
lanungssicherheit für alle Beteiligten schaffen und zu-
ätzliche, neue Bergschäden, Altlasten und Ewigkeits-
osten vermeiden können.
Doch die Bundesregierung brauchte anscheinend erst
en Druck aus Brüssel, um durch den heute zur Abstim-
ung vorliegenden Gesetzentwurf den europäischen
artnern ernsthaft zu versichern, dass 2018 endlich
chluss ist. Ansonsten hätten Sie bereits im vergangenen
ahr unseren Anträgen „Steinkohlesubventionen jetzt
berprüfen“ und „Subventionierten Steinkohlebergbau
ozialverträglich beenden“ im Bundestag zugestimmt.
Dass die Streichung der Revisionsklausel ein richtiges
nd glaubhaftes Instrument für das Ende des nicht-wett-
ewerbsfähigen Bergbaus in Deutschland ist, hat auch
ie Anhörung an diesem Montag im Wirtschaftsaus-
chuss des Deutschen Bundestages ergeben. Bis auf die
teressenvertreter des Steinkohlenbergbaus waren sich
lle Fachleute und Wissenschaftler einig: Eine Überprü-
ng der Steinkohlensubventionen durch die sogenannte
evisionsklausel im Jahr 2012 ist überflüssig und nicht
it den EU-Vorgaben vereinbar. Es ist daher nur ver-
ünftig, den Empfehlungen der Experten zu folgen und
urch das Streichen der Revisionsklausel den anderen
U-Staaten ernsthaft zu belegen, dass Deutschland 2018
ndgültig seine Beihilfen für den Steinkohlenbergbau
eenden wird.
Die Forderung der SPD und der Linken nach einer
ortführung der nichtwettbewerbsfähigen Steinkohlen-
rderung in Deutschland scheint momentan jedoch in
ine ähnliche energiepolitische Sackgasse zu laufen, wie
as bei Union und FDP vor wenigen Monaten in der
tomfrage der Fall war. Rot-Rot scheint auch insofern
n alten Strukturen festhalten zu wollen, statt die Ener-
12154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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giewende zu beschleunigen. Dies hat nicht zuletzt auch
der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion im Wirt-
schaftsausschuss gezeigt. Darin wird offen gefordert, mit
der EU-Kommission und dem EU-Rat Gespräche zu
führen, um den Steinkohlenabbau auch weiterhin in
Deutschland zu ermöglichen. Angesichts der bereits jetzt
gezahlten Milliardensummen und angesichts der entstan-
denen Bergschäden und Ewigkeitskosten frage ich mich
ernsthaft, ob dies gerade in der jetzigen energie-
politischen Diskussion der richtige Weg ist. Wollen Sie,
liebe Sozialdemokraten, nach der Debatte im letzten Jahr
gegen die EU-Kommission und die große Mehrheit der
anderen Mitgliedstaaten – wo wir doch fast schon bei ei-
nem Aus 2014 gelandet wären –, das Fass noch mal auf-
machen? Das können Sie nicht ernst meinen. Kommen
Sie endlich im 21. Jahrhundert an! Der Steinkohlenberg-
bau hat in Deutschland aus vielen Gründen keine Zu-
kunft mehr.
Statt viele Milliarden Euro in schwarzen Löchern zu
versenken, brauchen wir das Geld viel dringender für
den Strukturwandel in den betroffenen Regionen, um
den Umbau der Energieversorgung weg von den fossilen
Energieträgern hin zu den erneuerbaren Energien zu be-
werkstelligen. Dabei steht die Sozialverträglichkeit der
Beendigung des Steinkohlenbergbaus nicht infrage. Bis
allerspätestens 2018 ist nun Zeit, alles sauber zu beenden
und in der Zeit bis dahin, wo immer möglich, das Entste-
hen neuer Ewigkeitslasten zu vermeiden.
Ohne Zweifel, mit der heutigen Entscheidung geht
eine lange Bergbautradition an Saar und Ruhr zu Ende,
die ganze Generationen und das Gesicht der Regionen
geprägt und eine ganz entscheidende Rolle bei der In-
dustrialisierung und dem Wiederaufbau Deutschlands
nach dem Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Dass vielen
Menschen der Abschied von Steinkohlenbergau auch
aus emotionalen Gründen schwer fällt, kann ich gut ver-
stehen. Man muss aber auch sehen: Der Bergbau hat
auch zu beträchtlichen Altlasten und Ewigkeitskosten
geführt. Auf ewig werden unsere Nachkommen an diese
Zeit erinnert werden, denn sie werden ewig – solange
Menschen im Ruhrgebiert und am Niederrhein leben
werden – pumpen müssen, um durch den Bergbau abge-
senkte Flächen zu entwässern. Hinzu kommt die Unter-
haltung von Deichen, die Sanierung Tausender alter
Schächte und vieles mehr. Auch Gebäudeschäden, Infra-
strukturschäden und Umweltschäden werden uns und die
nachfolgenden Generationen dauerhaft begleiten. Ob
und wie viel unsere Nachkommen dafür zahlen müssen,
ist ungeklärt. Denn ob die Einnahmen der RAG-Stiftung
aus dem Verkauf der Evonik für alle Ewigkeitskosten
ausreichen, ist längst nicht sicher.
Vor diesen Hintergründen und in Anbetracht der Si-
tuation des Bundeshaushaltes unterstützen wir Grünen
den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Streichung
der Revisionsklausel im deutschen Steinkohlefinan-
zierungsgesetz. Wir hätten uns einen Ausstieg aus den
Subventionen auch einige Jahre eher vorstellen können,
wollen heute jedoch konstruktiv dazu beitragen, dass
nun durch eine breite Mehrheit das Ende der Steinkohlen-
subventionen 2018 endgültig besiegelt ist.
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nlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
– Antrag: Deutschland im UN-Sicherheitsrat –
Nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution
1325 jetzt erstellen
– Beschlussempfehlung und Bericht zu den
Anträgen:
– 10 Jahre UN-Resolution 1325 „Frauen,
Frieden und Sicherheit“
– Verpflichtung zur UN-Resolution 1325
„Frauen, Frieden und Sicherheit“ einhal-
ten – Auf Gewalt in internationalen Kon-
flikten verzichten
– 10 Jahre UN-Resolution 1325 – Frauen,
Frieden, Sicherheit – Nationaler Aktions-
plan für eine gezielte Umsetzung
(Tagesordnungspunkt 20 a und b)
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Ich mache nun seit vie-
n Jahren Entwicklungspolitik. Und in all den Jahren
abe ich immer Gewalt gegen Frauen angeprangert. Ich
abe immer die Bedeutung von Frauen in Konflikten
nd die Prävention betont. Und ich habe immer darauf
epocht, die gesellschaftliche Stellung von Frauen in
en Entwicklungsländern zu verbessern. Das war und ist
r mich nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern
uch ein Herzensanliegen.
Daher begrüße ich ausdrücklich die Sicherheitsratsre-
olution 1325, die die überaus wichtige Rolle von
rauen in Konflikten, deren Prävention und bei der ge-
ellschaftlichen Aufarbeitung von Konflikten aner-
ennt.
Für mich als Entwicklungspolitikerin verbindet sich
amit die Aufgabe, noch mehr die zentrale Rolle von
rauen für Sicherheit und Entwicklung in unseren Part-
erländern zu betonen. Sie müssen sowohl in ihren
echten als auch in ihrer sozialen Stellung gestärkt wer-
en; denn nur so bekommen sie in Konfliktländern die
esellschaftliche Rolle, die ihnen zusteht. Daher begrüße
h ausdrücklich die diversen Strategien des BMZ, sei es
er entwicklungspolitische Gender-Aktionsplan, der den
ahmen für unser entwicklungspolitisches Handeln vor-
ibt, oder sei es das Grundlagenpapier „Stärkung der
eilhabe von Frauen in der Entwicklungszusammenar-
eit“, das Wege beschreibt, wie Frauen in ihrer Teilhabe
estärkt werden können. Wenn uns das Empowerment
on Frauen – also ihre Befähigung, ihr Leben selbstbe-
timmt in die eigenen Hände zu nehmen – noch besser
elingt als bisher, wäre dies ein großer Beitrag der Ent-
icklungspolitik zur Erfüllung der Resolution 1325.
Denn Frauen tragen bis heute in Konflikten, aber auch
eim Wiederaufbau oftmals die Hauptlast, ohne dass sie
ber entsprechenden politischen Einfluss verfügen. Da-
er ist diese Resolution für mich ein Meilenstein, denn
ie erkennt unmissverständlich an, dass Frauen ein Teil
on Friedensprozessen sein müssen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12155
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Frauen in den Konfliktgebieten der Welt können sich
auf diese Resolution berufen. Jetzt ist es an den Natio-
nalstaaten, diese Resolution mit Leben zu füllen, und wir
alle wissen, dass es daran mitunter noch gewaltig hapert.
Anlässlich der Verabschiedung der Sicherheitsratsre-
solution 1325 vor zehn Jahren liegen heute einige An-
träge auf dem Tisch. Im SPD-Antrag finden sich viele
wichtige und richtige Feststellungen, die ich ausdrück-
lich unterstütze. Auch die Fakten sind klar und eindeu-
tig, soweit der Antrag mangelnde Fortschritte bei der
Umsetzung – wohlgemerkt, weltweit – beklagt. In
51 Ländern ist sexualisierte Gewalt gegen Frauen doku-
mentiert. Hier gibt es nichts zu beschönigen oder zu rela-
tivieren.
Aber der Antrag fordert auch einen „nationalen Ak-
tionsplan“ zur Umsetzung der Resolution. Nun haben
wir uns in der Fraktion mit diesem Thema lange und in-
tensiv beschäftigt und die Argumente gegeneinander ab-
gewogen. Im Ergebnis haben wir uns nach heutigem
Kenntnisstand gegen einen Aktionsplan ausgesprochen.
Denn ein solcher nationaler Aktionsplan würde gegen-
über dem bestehenden deutschen Engagement keinen
entscheidenden Mehrwert erzeugen. Bis heute konnte
mich niemand überzeugen, worin der politische Mehr-
wert eines solchen Aktionsplans liegen könnte. Daher
war diese Forderung auch nicht in unserem umfassenden
Antrag vom 3. März 2010 „Internationaler Frauentag –
Gleichstellung national und international durchsetzen“
(Bundestagsdrucksache 17/901) enthalten. Ein Aktions-
plan soll ja die Regierungen dazu anhalten, die Resolu-
tion umzusetzen und das Engagement nachprüfbar zu
machen, insbesondere für das Parlament. Ich kann mir
vorstellen, dass solche Aktionspläne in vielen Ländern
dringend notwendig wären, in denen es gravierende De-
fizite hinsichtlich der Umsetzung der Resolution 1325
gibt. Zumindest fallen mir mehr Länder ein als die bis-
lang rund zwei Dutzend, die einen nationalen Aktions-
plan verabschiedet haben.
Doch Sie stimmen mir sicherlich zu, dass die Bundes-
regierung die Ziele und Verpflichtungen aus der Resolu-
tion 1325 sehr ernst nimmt:
Deutschland gehört der „Freundesgruppe der Resolu-
tion 1325“ an, Deutschland nimmt an den jährlichen of-
fenen Debatten im Sicherheitsrat teil, und Deutschland
setzt sich für die Berücksichtigung der in der Resolution
enthaltenen Forderungen in allen VN-Gremien ein. Die
nationale Umsetzung der Resolution erfolgt durch die
verschiedenen beteiligten Ressorts. Dazu wurde eigens
eine Ressortarbeitsgruppe 1325 eingerichtet. Und seit
2004 berichtet die Bundesregierung dem Bundestag über
die Umsetzung der Resolution 1325.
Aber auch im europäischen Kontext engagiert sich die
Bundesregierung: Die EU wendet die Resolution 1325 im
Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik an, zum Beispiel in Form von Richtlinien
für die Umsetzung der Resolution in europäischen Frie-
denseinsätzen oder durch Ratsschlussfolgerungen zur
Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten im Kri-
senmanagement.
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Daher kann ich beim besten Willen keinen Mehrwert
urch einen eigenen nationalen Aktionsplan erkennen.
u beiden Zielen eines solchen nationalen Aktionsplans
der Umsetzung der Resolution und der Überprüfbar-
eit der Ergebnisse – würde ein Aktionsplan keinen
ehrwert erbringen. Somit wäre ein unter den Bundes-
ssorts abgestimmter Aktionsplan allenfalls von symbo-
schem Wert. Doch die Wirkung einer solchen Symbo-
k ist sehr begrenzt. Ich bin der Meinung, dass die
rheblichen Ressourcen, die ein solches Dokument in
nseren Ministerien binden würde, besser genutzt wer-
en können. Denn: Symbolik beendet nicht die Massen-
ergewaltigungen im Kongo, im Tschad oder Sudan,
ymbolik beendet nicht die Straflosigkeit nach
chlimmsten Verbrechen wie Mehrfachvergewaltigun-
en an Kindern, Frauen oder Greisen, wie sie in einigen
onflikten in Form von sexualisierter Gewalt vorge-
ommen sind, und Symbolik in Form eines deutschen,
ationalen Aktionsplans wird Menschenrechtsverbre-
her nicht davon abhalten, die Zerstörung von Frauen in
inigen Konflikten als Kriegsziel anzusehen.
Wir sollten daher unsere politische Arbeit nicht auf
ine Debatte über einen in meinen Augen überflüssigen
eutschen Aktionsplan konzentrieren. Vielmehr sollten
ir versuchen, die Ursachen für solch schreckliche Kon-
ikte und Verbrechen an Frauen zu beseitigen. Damit
äre dem Geist der Resolution 1325 wesentlich besser
eholfen. Darum lautet das Votum zu den Oppositions-
nträgen Ablehnung.
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Die Heldin
ysistrata des griechischen Dichters Aristophanes und
re Initiative, durch die sexuelle Verweigerung der
rauen die Männer zum Frieden zu zwingen, ist allge-
ein bekannt. In Liberia hat es vor einigen Jahren Nach-
hmerinnen – wenn auch mit anderen Mitteln – gefun-
en:
Während des schrecklichen Krieges – der bis 2003
nd 250 000 Menschenleben forderte und in dem etwa
rei Viertel aller Frauen und Mädchen vergewaltigt wur-
en – entstand ein ganzes Netzwerk von Frauenorganisa-
onen, das sich für die Schaffung von Frieden einsetzte.
hristinnen und Musliminnen beteten und demonstrier-
n zu Tausenden gemeinsam und sammelten sich vor
em Präsidentenpalast in Monrovia. Sie haben in weißen
-Shirts gegen die Kriegsgewalt angeschwiegen. Die li-
erianischen Frauen haben sich außerdem mit Frauen
us Sierra Leone und Guinea zusammengeschlossen und
ie Verantwortlichen durch ihre Demonstrationen an den
erhandlungstisch gebracht. Während der Verhandlun-
en 2003 haben sie unter der Anführung von Leymah
bowee das Haus umzingelt und den Männern gedroht,
ie vor dem Abschluss eines Friedensabkommens nicht
erauszulassen. Der Krieg fand ein Ende.
Die Frauen haben sich ihr Mitspracherecht genom-
en und sich religions- und grenzübergreifend zusam-
engeschlossen, während die Männer sich abgeschlach-
t und die Frauen der jeweiligen Gegner vergewaltigt
aben. Bei den konkreten Friedensverhandlungen wur-
en die Frauen dann übrigens wieder ausgeschlossen,
12156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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aber: Frauenorganisationen haben anschließend bei der
Entwaffnung und Demobilisierung der Rebellengruppen
geholfen und sich für eine Frauenquote von 30 Prozent
im Parlament eingesetzt. Für Letzteres erhielt Etweda
Cooper einen 1325-Award. Seit 2005 hat Liberia eine
weibliche Präsidentin, die erste in Afrika, welche nicht
nur Vergewaltigung unter Strafe gestellt hat, sondern
derzeit auch eine weibliche Polizeitruppe in Monrovia
aufbaut.
Das Beispiel aus Liberia macht deutlich, was der Hin-
tergrund der UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Si-
cherheit“ ist, an deren 10-jähriges Bestehen wir uns im
Oktober 2010 erinnern konnten. Wir haben diese Reso-
lution als „historischen Meilenstein“ bezeichnet, weil sie
neben der Verurteilung von sexualisierter Gewalt an
Frauen die Frauen aus der einseitigen Opferrolle heraus-
holt und fordert, Frauen zu Akteurinnen in der Friedens-
schaffung und Konfliktbeilegung zu machen.
In der damaligen Debatte im Plenum hatte ich bedau-
ert, dass CDU/CSU und FDP keinen eigenen Antrag
vorgelegt haben, um ihre Vorstellungen zur Umsetzung
der Resolution zur Diskussion zu stellen. Nun haben wir
April, und Sie haben sich immer noch nicht positioniert.
Und die Zustimmung der Koalitionäre im Unteraus-
schuss „Zivile Krisenprävention“ zum SPD-Antrag
scheint ja wohl eher ein Versehen gewesen zu sein und
wurde deshalb im Auswärtigen Ausschuss durch eine
Ablehnung „geheilt“. Ich finde, Sie könnten Ihrer Regie-
rung gegenüber ein bisschen mutiger sein, wenn es um
die Rolle von Frauen in Konflikten geht.
Ihr Verhalten kann ich umso weniger verstehen, als
wir in der Großen Koalition doch einen gemeinsamen
Antrag (Drucksache 16/3501) eingebracht haben. Ich
darf Ihnen den Inhalt diesen Antrages vielleicht kurz in
Erinnerung rufen. Wir erkannten darin unter anderem an,
dass die Fortschritte zur Umsetzung der UN-Resolution
1325 mehr als bescheiden sind, weil sich vor allem in
der Lebenswirklichkeit der Frauen nicht viel verändert
hat. Deshalb forderten wir die Bundesregierung auf, für
die konsequente und zeitgerechte Umsetzung des UN-
Aktionsplanes einzutreten.
Und was haben Sie seit dem Regierungswechsel zu
Schwarz-Gelb von unseren Einsichten umgesetzt? Lei-
der nicht sehr viel. Nicht einmal, wenn Sie direkt die
Möglichkeit hatten, ein gleichstellungspolitisches Auge
auf die Besetzung von Vorständen, wie bei der Deut-
schen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit,
GIZ, zu haben. Obwohl GTZ, Inwent und DED ausrei-
chend Top-Frauen aus dem Executive und Upper Ma-
nagement zu bieten hatten, beruft ihr Entwicklungsminis-
ter Niebel ausschließlich sieben (!) Männer – und scheut
nicht davor zurück, auch seinen alten (Partei-)Kumpel
Tom Pätz, der zuletzt lokale Talkshows in Bonn mode-
rierte, dort „hineinwählen“ zu lassen. Selbst der sonst so
vorsichtige Personalrat des BMZ warf Niebel bereits
letztes Jahr vor, er missachte den „Grundsatz der Beset-
zung öffentlicher Ämter nach Leistung, Befähigung und
Eignung“ (Spiegel, 1. März 2010). Ich füge auch hinzu:
Herr Niebel, Sie haben auch diese wichtige UN-Resolu-
tion missachtet!
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Das macht deutlich: Was wir brauchen, ist ein natio-
aler Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325.
ofi Annan hat die Zeichnerstaaten bereits 2005 dazu
ufgefordert. 15 europäische Staaten – zuletzt Frank-
ich und Estland – sind seiner Forderung in der Zwi-
chenzeit gefolgt, das Europäische Parlament rät dazu.
eutschland sollte sich dem als Mitglied im UN-Sicher-
eitsrat nicht länger verweigern – wobei ich mir auch
ünschen würde, dass mit dem eigenen Aktionsplan im
intergrund die Bundesregierung auch die UN-Gremien
laubwürdig an ihre Pflicht zur Umsetzung erinnern
ürde: Immerhin nahmen nach Informationen der GTZ
n UN-Friedensmissionen neben 78 407 Männern nur
794 Frauen teil.
Alle Oppositionsparteien fordern heute diesen deut-
chen nationalen Aktionsplan in ihren Anträgen. Des-
alb ist es gut und richtig, dass wir alle Oppositionspar-
ien zusammen – und das ist ein Novum in diesem
arlament – einen Entschließungsantrag vorlegen, der
iese gemeinsame Forderung unterstreicht.
Wir fordern, dass ein nationaler Aktionsplan in enger
usammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Experten er-
rbeitet wird. Dieser soll die volle Umsetzung der Reso-
tion 1325 und der damit verbundenen drei weiteren
esolutionen sicherstellen und über eine Berichtspflicht
ie regelmäßige Evaluierung der Maßnahmen transpa-
nt machen. Dieser Aktionsplan muss angemessen bud-
etiert werden.
Lassen Sie mich – auch im Nachgang zum Interna-
onalen Frauentag – zum Schluss zu dem Geist von
ysistrata und den Frauen in Liberia zurückkommen:
ie haben es geschafft, Kriege zu beenden – gemeinsam.
ei den friedlichen Revolutionen in Ägypten und Tune-
ien haben viele Frauen in der vordersten Reihe gestan-
en. Sie haben der Revolution ihr Gesicht gegeben und
as Bild des Islam korrigiert, das viele zu Unrecht ha-
en. Dafür sollten wir ihnen danken.
Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Zehn Jahre ist sie nun
er: die einstimmige Verabschiedung der UN-Reso-
tion 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auf der Sit-
ung des UN-Sicherheitsrats. Wir sehen diese Resolu-
on als Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, der
chon weit vor der Pekinger Weltfrauenkonferenz be-
ann. Wir sehen diese Resolution aber nicht als Ab-
chluss und Deckel des Prozesses. So gibt dieses Jubilä-
msjahr, das am 31. Oktober 2010 begann, Anlass für
ürdigungen, aber manchmal auch kritische Analysen
er Resolution 1325 und ihrer Nachfolger.
Ich begrüße die Diskussion dieses oft an den Rand ge-
rängten Themas hier im Deutschen Bundestag sehr. Si-
herheit und Frieden sind die definierten Hauptaufgaben
es UN-Sicherheitsrats. Sicherheit und Frieden sind aber
uch zwei Aspekte, welche die Umsetzung dieser Reso-
tion bestimmen.
Die Resolution und die folgenden Resolutionen wei-
en auf vielfältige Bedrohungen durch die mangelnde Si-
herheit der Zivilbevölkerung hin und fordern verstärkte
icherheitsmaßnahmen. Dabei bildet die starke Bedro-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12157
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hung und Unsicherheit von Frauen und Kindern die Aus-
gangslage dieser Resolution.
Allerdings wird nicht nur auf deren besondere
Schutzbedürftigkeit und die mangelnde Sicherheit hin-
gewiesen, sondern es wird auch ihre herausragende
Rolle für das Gelingen von Friedensprozessen betont.
Seit der Beschlussfassung der Resolution 1325 vor
über zehn Jahren gibt es einen vielfältigen Prozess der
Umsetzung. Und es gibt Länder, die den Verpflichtungen
der Resolution durch die Umsetzung eines nationalen
Aktionsplanes nachkommen. Es gibt Länder, die halten
dies für den richtigen Weg der Umsetzung. Das wird hier
in diesem Haus auch in einigen Anträgen der Opposition
gefordert. Deren politische Stoßrichtung – so wie sie in
den Anträgen dargestellt wird – teilen wir allerdings
nicht.
Die Bundesregierung berücksichtigt die völkerrechts-
verbindliche Resolution der Vereinten Nationen, sowohl
in ihren nationalen als auch in ihren internationalen Poli-
tikstrategien. Die Bundesregierung hat mit dem Aktions-
plan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie-
denskonsolidierung“ bereits ein sehr umfassendes
Instrument geschaffen. Das ist meiner Meinung nach
völlig ausreichend, um eine zielorientierte Umsetzung
der UN-Resolution 1325 zu erreichen. Daher halte ich
die Konstruktion eines weiteren nationalen Aktionsplans
an dieser Stelle nicht für hilfreich. Deshalb können wir
die Hauptforderung Ihrer Anträge nicht unterstützen.
Die Bundesregierung ist sich ihrer Pflicht bewusst und
handelt schon.
Der Förderung von Frauen, Frieden und Sicherheit
auf internationaler Ebene kommt die Bundesregierung
nach – gerade auch in ihrer neuen Funktion als Mitglied
des UN-Sicherheitsrates.
Die UN-Resolutionen zeichnen sich durch relativ
klare und entschiedene Formulierungen und Absichtser-
klärungen aus. In der Realität herrscht immer noch ein
etwas anderes Bild vor: Der Frauenanteil in militäri-
schen EU-Missionen zum Beispiel liegt bei circa
6 Prozent und in den zivilen Missionen bei 8 Prozent.
Vor diesem Hintergrund liegt es in der Natur der Sache,
dass die Forderung, Frauen auf allen Ebenen einzubezie-
hen, zunehmend energischer diskutiert wird.
Weitere Resolutionen wurden verabschiedet mit der
Maßgabe, die Rolle der Frauen als friedenspolitische
Akteurinnen zu stärken und sie nicht primär oder gar
ausschließlich als schutzbedürftig zu betrachten. Frauen
werden – nicht nur in der Friedens- und Sicherheitspoli-
tik – berücksichtigt und gefördert. Das ist auch wichtig;
das steht außer Frage. Dass in diesem Zusammenhang
der Wunsch nach einer Quotierung besteht, ist nachvoll-
ziehbar, jedoch nicht zielführend. Bereits jetzt achtet die
Bundesregierung in der Arbeit in allen Ressorts auf das
sogenannte Gender-Mainstreaming. Auch dies ist schon
eine gelungene Umsetzung der hier vorgelegten Wün-
sche und wesentlich produktiver als auf eine quantitative
Quote zu setzen.
Eine kurze Stellungnahme zum vorliegenden Antrag
der Kollegen von den Linken kann ich mir nicht gänzlich
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erkneifen. Ihr Antrag ist ideologisch geprägt und for-
ert eine Vielzahl von Maßnahmen, die teuer sind und
eren Zweckmäßigkeit zweifelhaft ist. In Ihrer sechsten
orderung unterstellen Sie der Bundesregierung, sie un-
rstütze Regime, die Kindersoldaten einsetzen und
onstige Rechtsverstöße begehen.
Ich kann Ihnen eins sagen: Das ist nicht der Fall.
anz im Gegenteil werden solche Regime sanktioniert,
nd die Bundesregierung setzt sich überall weltweit ein,
ass sie in ihrer Haltung von anderen Staaten ebenso un-
rstützt wird. Mit solchen Regimen arbeitet die deut-
che Bundesregierung definitiv nicht zusammen.
Wir haben mit der Entwicklung des vernetzten Ansat-
es ziviler und militärischer Mittel in Konfliktsituatio-
en einen großen Schritt nach vorne gemacht. Das
hema hat in der jüngsten Vergangenheit eine größere
edeutung erlangt. Krisen und Konflikte sind komplexer
eworden in den vergangenen Jahren. So müssen wir ne-
en dem klassisch-militärischen Bereich auch die öko-
omische, entwicklungspolitische, soziale und kulturelle
omponente vor Augen haben. Prävention, Bewältigung
nd Nachsorge von Konflikten kann unter den Bedin-
ungen unseres Jahrhunderts nur funktionieren, wenn
nterschiedliche Maßnahmen in einem umfassenden
onzept miteinander vernetzt werden.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Umsetzung
er UN-Resolution 1325 ist auch zehn Jahre nach ihrer
erabschiedung auf einem guten Wege. Die Bundesre-
ierung weiß um ihre Pflicht und handelt. Daher sind die
ier vorliegenden Oppositionsanträge nicht notwendig.
Christine Buchholz (DIE LINKE): Vor zehn Jahren
at die UNO die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und
icherheit“ verabschiedet. Die Bundesregierungen der
tzten zehn Jahre haben es versäumt, einen Aktionsplan
ur Umsetzung dieser Resolution zu erarbeiten. Deshalb
ind wir uns mit SPD und Grünen einig: Die Regierung
uss einen Aktionsplan vorlegen.
Die entscheidende Frage ist allerdings, was der Inhalt
ines Aktionsplanes ist. Die Linke ist hier gänzlich ande-
r Meinung als die Bundesregierung, aber auch als SPD
nd Grüne. Letztere rühmen sich, in ihrer Regierungszeit
die Geschlechterperspektive in UN-Mandate für Frie-
ensmissionen“ wie Afghanistan 2001 aufgenommen zu
aben. Die vorliegende UN-Resolution und alle Fraktio-
en des Bundestags außer der Linken schließen Krieg in
re Politik mit ein. Für uns dagegen ist Krieg kein Mit-
l der Politik und schon gar kein Mittel, um Frauen-
chte durchzusetzen. Krieg bringt Krieg und keinen
rieden!
In der Resolution wird ein Aktionsplan zur „Mitwir-
ung von Frauen in Entscheidungsfunktionen bei Kon-
iktbeilegungs- und Friedensprozessen“ gefordert. Das
egenteil ist der Fall. Frauen werden als Soldatinnen
der für Propagandazwecke instrumentalisiert, oder sie
erden zum Opfer von Kriegen.
Die Bundesregierung hat den Anteil von Soldatinnen
der Bundeswehr seit dem Jahr 2001 verdreifacht. Die
ATO betont, wie enorm wichtig Frauen für den Erfolg
12158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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des Krieges in Afghanistan seien; mehr Soldatinnen ver-
besserten den Schutz der eigenen Truppen. Für die Bun-
desregierung und für die NATO sind Frauen Mittel zum
Zweck, um den Krieg zu gewinnen. Das ist pervers!
Schicksale afghanischer Frauen werden benutzt, um
hierzulande den Krieg zu rechtfertigen. Ich zitiere ein
von WikiLeaks veröffentlichtes CIA-Dokument: „Af-
ghanische Frauen könnten als ideale Botschafterinnen
dienen“. Ihre Medienauftritte sollen „helfen, die unter
westeuropäischen Frauen weitverbreitete Skepsis gegen-
über dem Afghanistan-Einsatz zu überwinden“.
Jedes Jahr wieder wird die Fortsetzung des Krieges in
Afghanistan von Vertreterinnen und Vertretern aller Par-
teien von FDP bis SPD damit begründet, man könne die
Frauen jetzt nicht im Stich lassen. Die Bundesregierung
schrieb letztes Jahr auf ihrer Internetseite: „Mit der Mo-
dernisierung des Landes wird sich auch die Lage der
Frauen kontinuierlich verbessern. Daran wirken wir
mit.“
Aber was bedeutet der Krieg vor Ort? Ich selbst habe
mich in der afghanischen Provinz Kunduz mit Frauen
getroffen, deren Männer und Söhne am 4. September
2009 auf Befehl der Bundeswehr getötet wurden. Sie ha-
ben nicht nur ihre Angehörigen, sondern meist damit
auch ihre Existenz und Zukunft verloren. Denn auch
zehn Jahre nach Beginn des Krieges hat die Mehrheit der
Frauen in Afghanistan keine Chance auf einen eigen-
ständigen Broterwerb. Deshalb ist es besonders bitter,
dass die Familien der Kunduz-Opfer noch heute auf an-
gemessene Entschädigung von der Bundesregierung
warten.
Die ehemalige afghanische Abgeordnete Malalai Joya
sagte mir: „USA und NATO fielen in Afghanistan an-
geblich für die Rechte der Frauen ein, aber heute ist die
Situation der Frauen genauso katastrophal wie unter der
Herrschaft der Taliban. Vergewaltigungen, Entführun-
gen, Morde, Säureattentate und häusliche Gewalt steigen
rapide an.“ Auf die Frage, wie wir Frauen in Afghanistan
unterstützen können, antwortete sie: „Erstens wird Krieg
Frauen niemals helfen. Zweitens haben wir die Chance,
dass sich afghanische Frauen selbst befreien und pro-
gressive Männer uns helfen werden.“
Das zeigt: Krieg für die Rechte von Frauen ist ein
Mythos. Ohne eine klare Absage an Krieg, der immer
ein Krieg gegen Frauen und Kinder ist, ist jeder Aktions-
plan Makulatur. Deshalb fordert die Linke, die Resolu-
tion 1325 weiterzuentwickeln und festzuschreiben, auf
militärische Gewalt zu verzichten. Und genau deshalb
lehnt die Linke die Anträge von SPD und Grünen ab.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Am 8. März dieses Jahres haben wir „100 Jahre
Internationaler Frauentag“ gefeiert. National und inter-
national gibt es neben vielen Problemen auch Fort-
schritte und Erfolge für die Frauen. Der Beschluss der
Resolution 1325 vor zehn Jahren im UN-Sicherheitsrat
war ein solcher Erfolg. Er war ein Meilenstein auf dem
Weg zu einer wirklich geschlechtersensiblen Friedens-
und Sicherheitspolitik. Erstmals beschloss damit die
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NO eine völkerrechtlich verbindliche Vorgabe zur Be-
iligung von Frauen an der Bewältigung von gewalttäti-
en Konflikten und beim Friedensaufbau.
Allerdings mussten wir anlässlich des zehnjährigen
ubiläums im letzten Jahr auch feststellen, dass die Bi-
nz mehr als ernüchternd ist: In den meisten Konflikten
ehen sich die Parteien nicht an die Resolution 1325 ge-
unden. Frauen werden eben meistens nicht am Frie-
ensaufbau beteiligt. So ergaben Stichproben von
NIFEM bei 24 UN-gestützten Friedensverhandlungen
wischen 1992 und 2008: Nur 7,6 Prozent der Verhan-
elnden, nur 3,2 Prozent der Vermittelnden und nur
,5 Prozent der Unterzeichnenden waren weiblich. Ich
enne ein aktuelles Beispiel, nämlich die Umbrüche in
er arabischen Welt. Zwar haben die Frauen in Tunesien
nd Ägypten maßgeblich dafür gesorgt, dass die Despo-
n abtreten mussten, aber jetzt, nach der Revolution, bei
er Gestaltung der neuen Demokratien, sollen sie wieder
urück an den Katzentisch. Das darf nicht sein. Lassen
ie uns hier ganz klar die Frauen in Ägypten mit ihren
orderungen unterstützen. Auch Frauen müssen in der
erfassungskommission und in den Übergangsstruktu-
n, die jetzt die Demokratie aufbauen, vertreten sein.
Auch Gewalt gegen Frauen wird in vielen Kriegen
eiter systematisch als Kriegswaffe eingesetzt, wie zum
eispiel im Ostkongo. Dort finden seit Jahren massen-
afte Vergewaltigungen statt, sogar vor den Augen der
lauhelme. Allein im Juli und August 2010 waren es
rutale Vergewaltigungen an über 500 Frauen. Für die
kalen Kriegsherren, dramatischerweise aber oft auch
r die UN vor Ort, scheinen die Verpflichtungen aus der
esolution 1325 und der Folgeresolution 1820 offen-
ichtlich keine Rolle zu spielen. Wenn wir wirklich wol-
n, dass die Resolution 1325 mit Leben gefüllt wird und
entraler Bestandteil der internationalen Politik wird,
ann müssen sich endlich auch die Mitgliedstaaten der
NO konsequent an die Umsetzung machen. Sonst blei-
en die Resolutionen nichts weiter als bedrucktes Papier.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung
nd den Koalitionsfraktionen, ich finde es wirklich un-
altbar, dass wir, als Mitglied im Sicherheitsrat, immer
och nicht bereit sind, einen nationalen Aktionsplan auf
en Weg zu bringen. Schon 2005 hat Kofi Annan das ge-
rdert, doch erst 25 Staaten sind dem gefolgt. Es ist
och peinlich, dass Deutschland als angebliche Stütze
es UN-Systems sich dieser Aufforderung immer noch
erweigert. In der UNO-Agenda der Bundesregierung
ibt es noch nicht mal einen Hinweis auf die Resolution
325 – und das, obwohl auch Ban Ki-moon die Umset-
ung der Resolution 1325 zu einem seiner wichtigsten
hemen gemacht hat: Es wurde mit UN-Women eine
eue einheitliche UN Organisation geschaffen und mit
argot Wallström eine Sonderbeauftragte gegen sexu-
lle Gewalt in Konflikten eingesetzt.
Auch die Anhörung des Unterausschusses „Zivile
risenprävention und vernetzte Sicherheit“ am 13. De-
ember 2010 hat ganz klar ergeben, dass die Frauenorga-
isationen wie medica mondiale, der Frauensicherheits-
t oder UNIFEM einen solchen nationalen Aktionsplan
r unabdingbar halten. Da kann sich doch Deutschland
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12159
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nicht einfach ausklinken und alle diese Empfehlungen
ignorieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelun-
gen ist, zumindest zwischen den Fraktionen von SPD,
Linken und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen
Antrag zu vereinbaren. Das ist ein großer Erfolg, und ich
bin mir sicher: Das wird politisch wahrgenommen wer-
den.
Wir stellen damit klar: Mit anderen Mehrheitsverhält-
nissen im Deutschen Bundestag werden wir – SPD,
Grüne und Linke – einen solchen Aktionsplan gemein-
sam auf den Weg bringen. Dadurch werden wir tatsäch-
lich die UNO unterstützen – und nicht nur, wie die Ko-
alition, durch Sonntagsreden. Konkrete Vorschläge zu
einem solchen Aktionsplan, wie jetzt der des Frauensi-
cherheitsrates, liegen ja sogar auf dem Tisch. Meine Da-
men und Herren von der Koalition, Sie müssen nur zu-
greifen und lesen. Es geht dabei um die Umsetzung der
4 Ps: der Prävention, der Protektion – also dem Schutz
von Frauen und Mädchen –, der Präparation – also der
gendersensiblen Vorbereitung von zivilem oder militäri-
schen Personal, das wir in internationale Missionen oder
Missionen der EU oder der OSZE entsenden – und der
Partizipation. Besonders wichtig ist dabei das zuletzt
Genannte: Partizipation, also die Förderung der Beteili-
gung von Frauen als Akteurinnen des Wandels.
Klar ist: Wir wollen einen effektiven Plan. Dabei
müssen wir von anderen Ländern lernen. Dazu ist es
enorm wichtig, bei der Erstellung in einem transparenten
Prozess die Zivilgesellschaft einzubeziehen, die Maß-
nahmen regelmäßig zu überwachen und vor allem zu
evaluieren, ob die Zielvorgaben auch erreicht wurden.
Es muss jährlich dem Bundestag berichtet werden, und
der Aktionsplan muss mit entsprechenden finanziellen
Mitteln ausgestattet werden, denn ohne Budget bleiben
viele Vorhaben blanke Theorie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
ich habe in vielen Krisenregionen dieser Welt erlebt, wie
wichtig und von welch konkreter Bedeutung für die
Frauen vor Ort die Umsetzung dieser Resolution ist, die
für uns hier vielleicht so theoretisch erscheint: im
Kongo, in Darfur, im Südsudan, in Afghanistan und jetzt
aktuell in der arabischen Welt. Diese Frauen haben große
Erwartungen und Hoffnungen, auch die Hoffnung, dass
wir die Umsetzung der Resolution ebenso ernst nehmen
wie sie. Lassen sie uns diese Frauen nicht enttäuschen,
werfen Sie Ihr Herz über die Hürde und stimmen Sie,
wie Ihre Kollegen und Kolleginnen im Unterausschuss
„Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“, die
durch die Anhörung und durch die Debatte inzwischen
von der Sache offensichtlich überzeugt worden sind, ei-
nem der Einzelanträge oder wenigstens unserem über-
fraktionellen Antrag zu!
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Neunund-
zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abge-
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ordnetengesetzes – Einführung eines Ordnungs-
geldes (Tagesordnungspunkt 19)
Bernhard Kaster (CDU/CSU): Wir debattieren
eute über Änderungen des Abgeordnetengesetzes und
er Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Än-
erungen, die das Selbstverständnis unserer parlamenta-
schen Arbeit betreffen.
Der Begriff der Geschäftsordnung wird im Übrigen
er Bedeutung gerade dieser Geschäftsordnung nicht
anz gerecht; ist es doch letztlich die gemeinsame Ver-
tändigung über die Spielregeln unserer Demokratie in
inem demokratisch gewählten Parlament.
Unsere Geschäftsordnung hat eine sehr lange Tradi-
on. Sie finden in ihr wörtliche Formulierungen aus der
eschäftsordnung des Deutschen Abgeordnetenhauses
on 1848, des Norddeutschen Reichstages von 1868, der
eimarer Republik und zu guter Letzt der ersten endgül-
gen Geschäftsordnung des Bundestages aus dem Jahre
951. Dennoch ist die Geschäftsordnung über die Jahr-
ehnte immer wieder aktualisiert worden. Sehr umfang-
ich geschah dies zuletzt infolge des Vertrages von Lis-
abon.
Heute diskutieren wir über eine Änderung der Ge-
chäftsordnung, die sich unsere Fraktion sehr gerne er-
part hätte. Es ist ungewöhnlich, ja beschämend, dass
ir uns als Bundestag mit der Ausweitung von Ord-
ungsmaßnahmen befassen müssen. Dies ist sicherlich
eine Sternstunde des Parlamentes.
Anlass für die Einführung eines Ordnungsgeldes – und
ies muss hier klar zum Ausdruck gebracht werden – ist
inzig und alleine das unparlamentarische Verhalten ei-
er Fraktion. In dieser Legislaturperiode wie auch in der
orangegangenen Legislaturperiode hat immer und im-
er wieder die Nachfolgepartei der kommunistischen
ED die Regeln dieses Hauses und damit der Demokra-
e vorsätzlich verletzt. Die Linksfraktion hat diese Stö-
ngen offensichtlich ganz gezielt und abgestimmt ins-
eniert, um sich ihrer Aktivitäten anschließend auch
och im Internet zu rühmen.
Im Rahmen der Debatte um die Erweiterung des Af-
hanistan-Mandats zeigten eine Vielzahl von Abgeord-
eten der Linken im Plenum Spruchbänder. Die Partei-
orsitzende der Linken hat diese Entgleisung der
itglieder ihrer Fraktion nicht etwa kritisiert, sondern
ogar noch mit den Worten gelobt „Ich danke auch per-
önlich meiner Fraktion sehr, wie würdevoll diese Ak-
on vorbereitet und umgesetzt wurde.“
Es ist die Übereinkunft aller Demokraten, dass der
olitische Wettstreit, die Kontrollfunktion des Parla-
ents gegenüber der Regierung und die Auseinanderset-
ung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen
it engagierten, durchaus auch hitzigen Debatten ausge-
agen werden. Dieses Haus ist aber kein Platz für De-
onstrationen, Transparente und jede Art von Klamauk.
er wie die Linksfraktion das Bundestagsplenum als
emonstrationsplattform nutzt, will damit in unredlicher
eise die Wirkung und die Kraft der Argumente aus der
ffentlichen Diskussion verdrängen. Er zeigt damit zu-
12160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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gleich, dass er von der Kraft der eigenen Argumente of-
fensichtlich selbst nicht überzeugt ist, denn sonst be-
dürfte es solcher Aktionen ja nicht.
Der Bundestagspräsident hat bereits im November
2008 festgestellt, dass die Neigung zu Disziplinlosigkei-
ten deutlich größer geworden ist. Das ist alles mehr als
bedauerlich.
Wir sind inzwischen nicht mehr bereit, eine Verro-
hung der Sitten, wie sie in letzter Zeit im Plenum einge-
rissen ist, weiter hinzunehmen. Es ist eine fühlbare
Sanktion notwendig. Deshalb sprechen wir uns jetzt,
wenn auch ungern, für die Einführung eines Ordnungs-
geldes aus. Dieses wird in sinnvoller Weise in § 44 a des
Abgeordnetengesetzes und dann in einer klaren Einord-
nung in die §§ 36 bis 38 der Geschäftsordnung ein-
gefügt. Wir haben damit eine Regelung, die vom
Ordnungsruf über die Wortentziehung und das Ord-
nungsgeld bis hin zum gravierendsten Mittel, dem Sit-
zungsausschluss, reicht.
Wir haben auch Wert darauf gelegt, eine klare Rege-
lung im Hinblick auf die Höhe des Ordnungsgeldes zu
treffen. Sie beträgt 1 000 Euro bzw. 2 000 Euro im Wie-
derholungsfall. Wir sehen nicht ein, den ganzen Unfug
und Unsinn der Fraktion Die Linke auch noch im Rah-
men einer Spanne zu katalogisieren.
Bedauerlich ist aber auch, dass nicht alle demokrati-
schen Fraktionen diesen Gesetzentwurf mittragen. Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat von Beginn an im-
mer wieder betont, dass sie sehr wohl bereit sei, ein Ord-
nungsgeld einzuführen. Aber bei allen Beratungen hat
sie bereits im Vorfeld immer wieder nach Gründen oder
einem Vehikel gesucht, um letztlich dann doch wieder
aus dieser Regelung auszusteigen. In diesem Zusam-
menhang erinnere ich daran, dass bei der letzten Störung
durch die Fraktion Die Linke, die auch zum Sitzungsaus-
schluss von Abgeordneten geführt hat, dieses undemo-
kratische Verhalten die ausdrückliche Zustimmung des
Kollegen Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen gefunden hat.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wehrt sich
mit vorgeschobenen Argumenten dagegen, zukünftig
auch Verstöße gegen die Würde des Bundestages mit ei-
ner Ordnungsmaßnahme zu sanktionieren. Sie hat damit
letztlich das Vehikel gefunden, um Teilen ihrer Fraktion
entgegenzukommen. Da nützt es auch gar nichts, dies
mit allen möglichen juristischen Spitzfindigkeiten, Be-
wertungen und Auslegungen zu begründen. Die Würde
des Hauses, die Würde des Deutschen Bundestages, hat
bereits im § 7 der Geschäftsordnung ihren Niederschlag
gefunden. Viele andere Vergleiche, beispielsweise in der
Justiz, könnten ebenso angeführt werden. So kennt unser
Gerichtsverfassungsgesetz den Begriff „Würde des Ge-
richts“, der in § 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes ge-
regelt ist.
Wenn die demokratischen Fraktionen CDU/CSU,
SPD und FDP auch Verstöße gegen die Würde des Bun-
destages als ahndungswürdig betrachten, ist dies absolut
nachvollziehbar. Damit wird die Entscheidungsgrund-
lage des amtierenden Präsidenten verbessert, im Übrigen
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uch in der Bundesversammlung, für die unsere Ge-
chäftsordnung sinngemäß gilt. Es gibt also schlichtweg
ein Argument für die Fraktion von Bündnis 90/Die
rünen, unseren Gesetzentwurf nunmehr ganz abzuleh-
en.
Sie hatte im Übrigen Bedenken geäußert, beispiels-
eise wegen einer möglichen strittigen „Kleiderord-
ung“. Auch da sind alle Fraktionen darauf eingegangen
nd haben in der Begründung nochmals klargestellt,
ass es darum genau nicht geht.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal an die
erursacher dieser Regelung appellieren, die Fraktion
ie Linke: Sie sollten endlich die demokratischen Spiel-
geln anerkennen und trotz Ihrer Vergangenheit endlich
der Demokratie ankommen.
Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Noch vor
wei Jahren habe ich mir nicht vorstellen können, dass
ir heute über eine Verschärfung der Ordnungsmaßnah-
en gegen Abgeordnete beraten müssen. Eigentlich
ollte es unter Demokraten möglich sein, die Argumente
er politisch anders Denkenden zu ertragen, ohne zu
itteln der Störung und des Klamauks zu greifen und
amit nicht nur die Arbeit der anderen Abgeordneten zu
tören, sondern auch das Ansehen des Bundestages in
en Augen der Öffentlichkeit niederzumachen. Leider
usste ich mich durch die verschiedenen massiven Ord-
ungsstörungen in der jüngeren Vergangenheit, insbe-
ondere durch konzertierte Aktionen mehrerer Mitglie-
er der Fraktion Die Linke, eines Besseren – oder besser
esagt, eines Schlechteren – belehren lassen.
In geradezu unverantwortlicher Weise versuchen
iese Kolleginnen und Kollegen immer wieder, den
eutschen Bundestag – das höchste gesetzgebende Ver-
ssungsorgan unseres Landes – zu einer Bühne für bil-
ge politische Polemik zu machen. Ich denke nur an die
ktion in der letzten Wahlperiode, in der sie einen da-
als amtierenden Ministerpräsidenten durch verzer-
nde Masken verächtlich machten wollten. Aber auch
dieser Wahlperiode musste der Bundestagspräsident
chon zweimal Mitglieder der Linksfraktion von der Sit-
ung des Bundestages wegen gröblicher Ordnungsver-
tzungen ausschließen.
Leider lassen diese Erfahrungen keinen anderen
chluss zu als den, die Effizienz der bestehenden Ord-
ungsmaßnahmen nach der Geschäftsordnung des Bun-
estages kritisch zu überprüfen. Dabei hat sich herausge-
tellt, dass der Sach- und der Ordnungsruf für solche
assiven Störungen der Ordnung während einer Sitzung
icht ausreichend sind. Ihr Sanktionscharakter ist eher
egrenzt und sie sind im Konfliktfall nicht geeignet, die
törung nachhaltig zu beseitigen. Der Sitzungsaus-
chluss – nach unserer Geschäftsordnung immerhin für
is zu 30 Sitzungstage möglich – ist demgegenüber das
chärfste Ordnungsmittel, das zur Verfügung steht, weil
s in die Rede- und Abstimmungsrechte des betroffenen
bgeordneten massiv eingreift. Es kann deshalb nur als
ltima Ratio in Betracht kommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12161
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Genau in den Zwischenraum zwischen Sach- und
Ordnungsruf und dem Sitzungsausschluss soll nach
übereinstimmender Auffassung der Koalitionsfraktionen
und der SPD nun – quasi als neues Ordnungsmittel auf
mittlerer Ebene – ein Ordnungsgeld treten. Es hat den
Vorteil, dass es einerseits eine spürbare Sanktion dar-
stellt, andererseits aber in die parlamentarischen Rechte
der Abgeordneten nicht eingreift und öffentlichkeits-
wirksame Konfrontationen, wie zum Beispiel bei einer
zwangsweisen Entfernung aus dem Plenarsaal, vermei-
den kann.
In breiter Einmütigkeit mit Ausnahme der Fraktion
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – Letztere hat al-
lerdings auch die grundsätzliche Notwendigkeit der Ver-
schärfung der Ordnungsmittel gesehen – hat der Ge-
schäftsordnungsausschuss in zahlreichen Sitzungen den
Ihnen nun vorliegenden Gesetzentwurf der drei Fraktio-
nen zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vorberei-
tet, der als Rechtsgrundlage für eine nachfolgende Ände-
rung der Geschäftsordnung dient. Er empfiehlt, das
Ordnungsgeld in einer festen Höhe von 1 000 Euro, im
Wiederholungsfall von 2 000 Euro, vorzusehen. Es soll
vom jeweils sitzungsleitenden Präsidenten bei einer
„nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder
der Würde des Bundestages“ festgesetzt werden können.
Wegen einer „gröblichen“ Verletzung der Ordnung oder
der Würde des Bundestages soll – wie bisher – der Sit-
zungsausschluss möglich sein.
Die feste Höhe des Ordnungsgeldes von 1 000 Euro
bzw. 2 000 Euro und der Verzicht auf einen entsprechen-
den Ermessensspielraum des amtierenden Präsidenten
bzw. der amtierenden Präsidentin sollen Streitigkeiten
nur über die angemessene Höhe des verhängten Ord-
nungsgeldes vermeiden. Weitere gesetzliche Konkreti-
sierungen der Frage, was denn konkret unter einer „nicht
nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der
Würde des Bundestages“ zu verstehen ist, hat der Ge-
schäftsordnungsausschuss als nicht sinnvoll abgelehnt.
Unterschiedliche Auffassungen hierzu wird man weder
durch gesetzliche Fallbeispiele noch durch weitere unbe-
stimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext befrieden kön-
nen. Letztlich ist es eine Entscheidung des amtierenden
Präsidenten bzw. der amtierenden Präsidentin, die unter
Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalles zu
treffen ist.
Im Geschäftsordnungsausschuss wurde bis zuletzt die
Frage diskutiert, ob auch die „Würde des Bundestages“
ausdrücklich in den Schutzbereich der Ordnungsmaß-
nahmen aufgenommen werden sollte. Hiergegen sprach
sich insbesondere die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
aus, anscheinend weil sie immer noch ein grundsätz-
liches Problem mit dem Schutz der Würde dieses Parla-
ments hat. Die antragstellenden Fraktionen sahen dage-
gen den ausdrücklichen Schutz der Würde des
Bundestages als notwendig an, damit klar gestellt wird,
dass auch bei nichtverbalen Ordnungsstörungen, wie
zum Beispiel beim Hochhalten von Transparenten oder
sonstigem provokativem Verhalten, eindeutig die Mög-
lichkeit einer angemessenen Reaktion hierauf besteht.
Klar ist für uns allerdings auch, dass nicht jede Verhal-
tensweise, die dem einen oder anderen nicht gefallen
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ag, als ein Angriff auf die Würde des Bundestages ge-
ertet werden kann. Bloße Fragen der Kleiderordnung
um Beispiel können nicht hierunterfallen.
Die nähere Regelung des Ordnungsgeldes soll – wie
uch bisher bei den Ordnungsmaßnahmen – durch un-
ere Geschäftsordnung erfolgen. Auch insoweit hat sich
er Geschäftsordnungsausschuss auf konkrete Vor-
chläge schon verständigt, die dem Plenum alsbald zur
ntscheidung vorgelegt werden. Danach soll das Ord-
ungsgeld – wie bisher schon der Sitzungsausschluss –
uch später noch festgesetzt werden können, und es soll
das bestehende Rechtsmittelsystem der Geschäftsord-
ung eingebunden werden, wonach bei Einspruch der
undestag insgesamt entscheidet und danach der Weg
um Bundesverfassungsgericht im Wege der Organklage
ffensteht.
Ich bin überzeugt, dass das Ordnungsgeld eine ange-
essene, aber leider auch notwendige Erweiterung des
estehenden Systems der Ordnungsmaßnahmen für un-
er Parlament ist. Ich bitte Sie daher um Ihre Unterstüt-
ung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Wir bera-
n heute in erster Lesung über eine Änderung des Abge-
rdnetengesetzes, die niemand von uns in Wahrheit mit
nerer Begeisterung betreibt. Denn als Parlamentarierin
der Parlamentarier sich selbst mit härteren Sanktionen
u belegen macht keine Freude. Doch leider hat das Ver-
alten gerade einer Fraktion hier im Hause dieses Vorge-
en unumgänglich gemacht.
Bereits jetzt darf uns der Präsident zur Ordnung rufen
der sogar bis zu 30 Tage von den Beratungen ausschlie-
en. Das erste Instrument beeindruckt einige hier wohl
aum, das andere Instrument aber ist eine sehr, sehr
arte Maßnahme. Denn es bedeutet, dass Mitglieder die-
es Hohen Hauses in ihrem elementaren Recht, dem Re-
erecht, massiv beschnitten werden. Der Ausschluss
uss also immer das letzte Mittel sein.
Das Parlament lebt vom Parlieren. Das gesprochene
ort ist unser Mittel der demokratischen Auseinander-
etzung. Deshalb ist es nicht hinnehmbar, dass eine
raktion so agiert, als könne man sich beliebig darüber
inwegsetzen. Vermeintlich im Besitz einer höheren
oral und nach billiger Publicity heischend, hat die
raktion der Linken immer wieder unsere Beratungen
ier desavouiert. Sie nimmt sich Sonderrechte heraus,
egeht bewusst Regelverletzungen und entwertet damit
ehenden Auges und bewusst jede Form der parlamenta-
schen Auseinandersetzung.
Würde jede Fraktion kraft eigenen Rechts die ge-
einsamen Spielregeln so außer Kraft setzen, dann wäre
einerlei geordnete Debatte mehr möglich. Gefährlich
t dies deshalb, weil jeder, der so agiert, den Eindruck
rweckt, als habe man kein anderes geeignetes Mittel,
ich darzustellen, oder aber als habe man einen An-
pruch auf Regelverletzung. Das ist ein Spiel mit dem
euer. Nach dem Prinzip von Rede und Gegenrede ha-
en wir alle hier weidlich die Möglichkeit, abgelehnte
tandpunkte zu entkräften und die eigene Position zu
12162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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stärken, öffentlich Rechenschaft abzulegen oder einzu-
fordern. Mehr und anderes darf und kann nicht sein,
sonst entwerten wir uns als Mitglieder des Parlaments.
Jeder Versuch, unter Kolleginnen und Kollegen ohne
weitere Sanktionen auszukommen, ist leider ignoriert
worden: Zusagen wurden gebrochen, Wiederholungen
gab es immer wieder. Deshalb ist es zur Wahrung der gu-
ten Formen leider zwingend notwendig, ein Ordnungs-
geld einzuführen. Wer durch das Hochhalten von Pro-
testschildern, entsprechender Bekleidung oder andere
Albernheiten den Komment verletzt, der muss zukünftig
mit 1 000 Euro oder sogar 2 000 Euro Ordnungsstrafe
rechnen. Damit wird der Spuk hoffentlich ein Ende ha-
ben. Wir sind dem demokratischen Streit, nicht dem Kla-
mauk verpflichtet. Wer nicht hören will, muss nun füh-
len – leider!
Jörg van Essen (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak-
tion hat von Anfang an die Initiative des SPD-Kollegen
Lange, dem ich für seine Anregung an dieser Stelle
nochmals besonders danken möchte, unterstützt. Wir
freuen uns deshalb sehr, dass es gelungen ist, sich ge-
meinsam mit CDU/CSU und SPD auf einen Gesetzent-
wurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes zu ver-
ständigen.
Die Notwendigkeit zu einer Regelung hat sich in dem
mehrfachen Fehlverhalten von Abgeordneten der Links-
fraktion im Plenum gezeigt. Das Hochhalten von Trans-
parenten und andere Aktionen ähnlicher Art beeinträch-
tigen die Würde eines obersten Verfassungsorgans und
sind nicht hinnehmbar. Ein Abgeordneter kann jederzeit
im Plenum das Wort ergreifen und seine Position ver-
deutlichen. Es bedarf eines solchen Verhaltens also
nicht.
Bei der notwendigen Reaktion auf dieses Fehlverhal-
ten hat sich gezeigt, dass ein Ordnungsruf eine zu ge-
ringe Sanktion ist, aber auch Bedenken bestehen, die be-
troffenen Abgeordneten von der Sitzung auszuschließen.
Dies hat sich besonders deutlich bei einer anstehenden
Entscheidung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
gezeigt. Trotz des vom Präsidenten verhängten Aus-
schlusses sind alle Fraktionen übereinstimmend zu der
Auffassung gekommen, dass den betroffenen Kollegen
die Teilnahme an der Abstimmung ermöglicht werden
sollte. In Fällen wie diesen wäre die Verhängung eines
Ordnungsgeldes die angemessenere Sanktion. Sie macht
deutlich, dass ein erhebliches Fehlverhalten nicht gedul-
det wird, ermöglicht aber auf der anderen Seite uneinge-
schränkt die Ausübung des Abgeordnetenrechts.
Wir haben lange überlegt, welche Höhe dieses Ord-
nungsgeld haben sollte. Wir schlagen eines in Höhe von
1000 Euro vor. Wie bei allen Ordnungsgeldern ist dies
ein einheitlicher Betrag. Auch in anderen Fällen eines
Ordnungsgeldes findet keine Differenzierung etwa nach
Familienstand oder Anzahl von Kindern statt. Es ent-
spricht auch dem verfassungsrechtlichen Bild des Abge-
ordneten, wonach alle Abgeordneten gleich sind. In den
anstehenden Beratungen sind wir offen dafür, über die-
sen Betrag noch einmal zu reden. In unseren fraktionsin-
ternen Beratungen ist der Hinweis gegeben worden, dass
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ie Höhe den amtierenden Präsidenten davon abhalten
önnte, das Ordnungsgeld zu verhängen, obwohl es not-
endig wäre. Das wäre ein Ergebnis, das es zu verhin-
ern gilt.
Insgesamt erhoffe ich mir, dass es nur wenige Anlässe
eben wird, bei denen die amtierenden Präsidenten zu
iesem Mittel greifen müssen. Ein oberstes Verfassungs-
rgan sollte immer streng darauf achten, seiner Würde
erecht zu werden.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Vor weni-
en Monaten wurde hier an dieser Stelle das Vorgehen
er Koalition bei der Laufzeitverlängerung als „Gesetz-
ebung mit der Brechstange“ gebrandmarkt. In der De-
atte fielen Worte wie „Lügner“ oder „Affentheater“.
ournalisten berichteten später, in Richtung der Opposi-
onsfraktionen seien sogar Worte wie „Faschisten“ ge-
llen, weil eine Fraktion in einheitlicher Protestklei-
ung aufgetreten war. Rügen an Abgeordnete seitens der
itzungsleitung, Ordnungsrufe oder gar Ausschlüsse von
er Sitzung sind nicht bekannt, auch keine Entschuldi-
ungen. Nur der Präsident des Bundestages erinnerte
aran, es sei guter parlamentarischer Brauch, auf persön-
ch herabsetzende Bemerkungen zu verzichten. Offen-
undig hat sich daran niemand wirklich gestört.
Die Laufzeitverlängerung wurde dann mit der Mehr-
eit der Koalition durchgewunken – entgegen aller Ver-
unft, wie wir heute nach den Ereignissen um Fuku-
hima wissen. Diese Art Gesetzgebung nach politischer
illkür verletzt die Würde der Demokratie und dieses
auses. Dass Abgeordnete zu Abnickmaschinen degra-
iert werden, erleben wir nicht zum ersten Mal. Ähnlich
urden hier Gesundheitsreformen, Bankenrettungsfonds
on 480 Milliarden Euro oder – wie jüngst – Einsätze
usätzlicher Bundeswehrsoldaten in AWACS-Maschi-
en über Afghanistan beschlossen – oder besser gesagt:
urchs Parlament gepeitscht.
Aber gegen diese anhaltende Missachtung parlamen-
rischer Spielregeln liegt seitens der Fraktionen von
DU/CSU, SPD und FDP kein Gesetzentwurf vor. Statt-
essen legen Sie einen Gesetzentwurf vor, nach dem Ab-
eordnete künftig bei einer „nicht nur geringfügigen
erletzung der Ordnung oder der Würde des Bundesta-
es“ mit einem Ordnungsgeld bestraft werden können.
ie tun so, als drohten hier im Bundestag Verhältnisse, in
enen Abgeordnete mit Fäusten aufeinander losgehen.
avon kann, wie Sie genau wissen, nicht die Rede sein.
Ganz offen wird von Ihnen erklärt, das Ordnungsgeld
erde nur wegen angeblicher Störaktionen einer einzi-
en Fraktion eingeführt: der Linken. Eine Aktion der
inken, die Sie zum Beispiel als störend erachteten,
etraf das Gedenken an die Opfer von Kunduz – Opfer
ines Bombardements, befohlen von einem deutschen
ffizier. Ein angemessenes Gedenken daran aber haben
ie abgelehnt. Das hat die Würde dieses Hauses verletzt,
icht aber die von Linken hochgehaltenen Schilder mit
amen und Alter der Opfer.
Ihr Gesetzentwurf ist im Kern eine Lex Linke. Auch
as ist würdelos. Keine Frage: Das demonstrative Tra-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12163
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gen von Kleidung, zumal im Parlament vor der Öffent-
lichkeit, muss nicht jeder gut finden – so wie nicht jeder
das Tragen einer Krawatte gut finden muss. Kleidungs-
und Geschmacksfragen aber demonstrativ mit Ord-
nungsgeld zu bestrafen, ist eindeutig überzogen und zu-
dem verfassungsrechtlich bedenklich.
Wann und wie die Würde des Hauses verletzt sein
soll, weiß die Mehrheit dieses Hauses zudem so genau
nicht. Die Entscheidung darüber überlassen Sie dem Prä-
sidenten des Bundestages. Das Ordnungsgeld wird so zu
einer politischen Willkürveranstaltung.
Gegen das geplante Ordnungsgeld gibt es für die Ab-
geordneten auch keinen effektiven Rechtsschutz. De
facto müsste ein Abgeordneter, wenn sie oder er mit dem
verhängten Ordnungsgeld nicht einverstanden ist, beim
Bundesverfassungsgericht Beschwerde einlegen. Da-
rüber hinaus hält die Fraktion Die Linke die von der
Mehrheit des Hauses vorgesehene Einschränkung der
Rechte souveräner Abgeordneter für verfassungsrecht-
lich bedenklich. Deshalb behält sich die Linke auch vor,
das Ordnungsgeld vom Bundesverfassungsgericht prü-
fen zu lassen.
Im Parlament soll es auf das Miteinander-Reden, auf
das Abwägen von Argumente ankommen. Darin sind
wir uns sicher einig. Ich hoffe sehr, dass sich die Fraktio-
nen von Union, SPD und FDP bei den kommenden Aus-
schussberatungen von vernünftigen Argumenten leiten
lassen und diesen Gesetzentwurf zurücknehmen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ei-
nige Verhaltensweisen von Mitgliedern des Deutschen
Bundestags in der letzten Zeit waren der Auslöser für
Gespräche über mögliche oder notwendige Änderungen
in unserer Geschäftsordnung. Ziel dieser Gespräche im
Geschäftsordnungsausschuss war es, das Ordnungsgeld
einzuführen, um das bestehende System aus Sach- und
Ordnungsruf sowie der Wortentziehung einerseits und
eines Sitzungsausschlusses andererseits sinnvoll zu er-
gänzen. Eingeführt werden sollte ein Sanktionsmecha-
nismus, der auf nicht nur geringfügige Ordnungsstörun-
gen angemessen reagieren kann, ohne gleich auf die
Ultima Ratio des Sitzungsausschlusses zurückgreifen zu
müssen. Es sollte nicht mit Maßnahmen gegen Abgeord-
nete aufgesattelt werden, und es sollten auch keine
neuen Gründe für solche Maßnahmen hinzukommen.
Das Ordnungsgeld sollte dem Präsidenten ermöglichen,
situationsangemessen reagieren zu können, ohne zu
schnell zum schärfsten Mittel, dem Ausschluss von der
parlamentarischen Arbeit, greifen zu müssen. Dieses
Ziel ist mit der Einführung des Ordnungsgeldes als mitt-
lerer Stufe des Eingreifens des Präsidenten erreicht.
Bünd-nis 90/Die Grünen begrüßt dies.
So weit, so gut. Leider haben die Fraktionen der
CDU/CSU, der FDP und der SPD sich im Geschäftsord-
nungsausschuss damit nicht begnügt. Vielmehr wurde
– ohne Not und ohne Sinn – die Gelegenheit genutzt, um
– sozusagen durch die Hintertür – auch noch einen völlig
neuen Grund für ein Eingreifen des Präsidenten gegen
einen Abgeordneten einzuführen: die „Verletzung der
Würde des Bundestags durch Abgeordnete“.
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Diese Neuerung hat in der Sache nichts – aber auch
ar nichts – mit der Einführung des Ordnungsgelds zu
n. Vielmehr sollen alle Sanktionsmechanismen, ange-
ngen vom Ordnungsruf bis hin zum Sitzungsaus-
chluss, mit bei einer „Verletzung der Würde des Bun-
estags“ greifen. Auch das Abgeordnetengesetz, über
essen Änderung wir heute beraten, soll nach dem Wil-
n von Koalition und der SPD um die Sanktionierung
on Würdeverletzungen des Bundestags erweitert wer-
en. Dies lehnen wir ab, weil dies völlig entbehrlich und
r die Freiheit der Abgeordneten sogar tendenziell ge-
hrlich ist.
Zuerst zur leidigen Krawattenfrage. Zwar heißt es in-
oweit in der Begründung des Gesetzentwurfs, dass
reine Fragen der Kleiderordnung … ausgenommen
ind, soweit sie nicht allgemeine Regeln des Anstands“
und ich füge hinzu: damit die Ordnung des Bundestags –
verletzen“. Aber in Wirklichkeit wird schon heute die
rawattenlosigkeit bei Abgeordneten, wenn sie im Sit-
ungsvorstand tätig sind, als ein würdeverletzendes Ver-
alten angesehen.
Ich darf aus dem Protokoll des Ältestenrates vom
6. Dezember 2010 zitieren: „Der Präsident macht deut-
ch, dass das Präsidium großen Wert darauf lege, dass
er Sitzungsvorstand der Würde eines obersten Verfas-
ungsorgans entsprechend gekleidet sei, wozu bei Män-
ern grundsätzlich das Tragen von Krawatten gehöre.“
in Schelm, der Böses dabei denkt, dass wir zukünftig
ielleicht wegen Krawattenlosigkeit als Würdeverletzer
es Bundestags mit Ordnungsmitteln belangt werden
önnten!
Die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von der
oalition und von der SPD waren bis heute nicht in der
age zu erklären, was diesen neuen Tatbestand eigent-
ch wirklich notwendig macht. Es ist bezeichnend, dass
r sozusagen klammheimlich, ohne ausdrückliche Nen-
ung im Namen des Gesetzentwurfs, eingeführt wird.
ie Begründung dafür ist entlarvend. So gestehen die
raktionen der CDU/CSU, FDP und SPD zu, dass bisher
Rahmen der Geschäftsordnung des Bundestags eine
angebliche – Verletzung der Würde des Bundestags
tets als eine Ordnungsverletzung im Sinne des § 38 GO-
T angesehen wurde. Es gibt also offensichtlich keine
ücken, die es mit der neuen Regelung zu füllen gäbe.
rotzdem sollen künftig das Hochhalten von Transpa-
nten, das Tragen von Anstecknadeln – hierzu gibt es
en verräterischen Zusatz: „je nach Gegebenheit oder In-
alt“ – oder „sonstiges provokatives Verhalten“ – auch
ies eine reine Leerformel – eine Verletzung der Würde
es Bundestags, begangen durch Abgeordnete und zu
hnden durch den Präsidenten, sein.
Ich will dazu in aller Deutlichkeit sagen: Entweder
ind solche Verhaltensweisen Störungen der Ordnung
es Bundestags und damit jetzt schon vom Präsidenten
u sanktionieren, oder sie sind eben keine Ordnungsstö-
ngen. Es soll so wohl ganz allgemein bestimmtes – un-
ebsames – Verhalten und bestimmte Äußerungen von
bgeordneten unterbunden werden können. Damit be-
teht die Gefahr, dass Abgeordnete an der freien Aus-
bung ihres Mandats durch den Präsidenten gehindert
12164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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werden, dass sie dabei kontrolliert und einer Zensur un-
terworfen werden, ohne dass sie die Ordnung des Bun-
destags stören. Eine solche Regelung wird die Zustim-
mung der Grünen nicht finden – und ich wundere mich,
weshalb die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen
der CDU/CSU, FDP und SPD sie vorschlagen. Es kann
doch nicht ausschlaggebend sein, dass sich gerade die
Kolleginnen und Kollegen der Linken in letzter Zeit mit
ihren Aktionen im Hohen Hause unbeliebt gemacht ha-
ben. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen der Koali-
tion und der SPD nur zurufen: Bedenken Sie, dass sich
diese neue Regelung auch einmal gegen sie selbst rich-
ten kann!
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien
der Europäischen Union und zur Anpassung
nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visa-
kodex (Tagesordnungspunkt 21)
Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir beraten heute in
erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes der Bundesre-
gierung zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtli-
nien der Europäischen Union und zur Anpassung natio-
naler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex. Der
Gesetzentwurf dient der Umsetzung der folgenden Richt-
linien in das innerstaatliche Recht: erstens, der Richtlinie
2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und
Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal
aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom
24. Dezember 2008, S. 98 – das ist die sogenannte Rück-
führungsrichtlinie –, und zweitens, der Richtlinie 2009/
52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und
Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehö-
rige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen, ABl. L
168 vom 30. Juni 2009, S. 24 – das ist die sogenannte
Sanktionsrichtlinie. Ferner dient der Gesetzentwurf der
Anpassung des innerstaatlichen Rechts an die Verord-
nung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex
der Gemeinschaft.
Ich möchte zunächst auf die Umsetzung der soge-
nannten Rückführungsrichtlinie eingehen, die auf die
Festlegung eines für alle Mitgliedstaaten verbindlichen
rechtsstaatlichen Mindeststandards bei der Rückführung
ausreisepflichtiger Ausländer zielt und damit, entgegen
aller Kritik, ein erster und wichtiger Schritt in Richtung
einer gemeinschaftlichen Einwanderungspolitik ist. Ein
großer Teil der in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben
wird in Deutschland bereits durch das im geltenden Auf-
enthaltsgesetz vorgesehene Recht der Aufenthaltsbeen-
digung erfüllt. Von einigen Nichtregierungsorganisatio-
nen wird der Gesetzentwurf allerdings zum Anlass für
weitergehende Forderungen zur Reform des Abschie-
bungsrechts genommen. Gefordert wird beispielsweise
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ine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Höchst-
aftdauer von 18 Monaten. Gefordert wird außerdem
ine Regelung, dass unbegleitete Minderjährige nicht in
bschiebehaft genommen werden dürfen.
Die Kritik überrascht nicht. So wurde bereits der
ichtlinienentwurf von einigen Flüchtlings-, Asyl- und
enschenrechtsorganisationen als „Richtlinie der
chande“ verteufelt. Die Kritiker der Richtlinie überse-
en dabei, dass eine wirkungsvolle Rückführungspolitik
in notwendiger Bestandteil einer durchdachten und
laubwürdigen Migrationspolitik ist. Und sie ist – wie
ollte es anders sein? – ein Kompromiss zwischen natio-
alen Interessen und humanitären Gesichtspunkten. Sie
hrt Mindeststandards in allen Mitgliedstaaten ein, vor
llem bei der Unterbringung der Betroffenen und im
erfahren sowie beim Rechtsbeistand. Überall dort, wo
s vorher keine verbindlichen Vorschriften gab, führt die
msetzung dieser Richtlinie in vielen Bereichen zu einer
irklichen Verbesserung. So gibt es in der EU momen-
n neun Länder, die gar keine zeitliche Begrenzung der
bschiebehaft kennen; jetzt werden es sechs Monate
ein. Diese Haftzeit kann nur in Ausnahmefällen zwei-
al um sechs Monate verlängert werden.
Eine deutliche Verbesserung stellt die Beschränkung
es Wiedereinreiseverbots auf fünf Jahre dar. 14 Länder
prechen derzeit längere Wiedereinreiseverbote aus,
eutschland sogar unbefristete. Das Wiedereinreisever-
ot führt auch nicht – wie behauptet – die Flüchtlingspo-
tik ad absurdum. Denn Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie
ieht ausdrücklich vor, dass das Recht, in den Mitglied-
taaten nach internationalem Schutz zu suchen, von ei-
em Wiedereinreiseverbot unberührt bleibt. Übrigens
ilt das Wiedereinreiseverbot künftig EU-weit. Bisher
onnte ein Mitgliedstaat Einreiseverbote nur für das ei-
ene Territorium aussprechen. Dies alles gilt ganz abge-
ehen von der Möglichkeit, im Einzelfall einen Antrag
uf nachträgliche Reduzierung der Befristung zu stellen.
Eine Umsetzung über den Richtlinienentwurf hinaus
hnen wir ab, da unsere Abschiebungsregelungen richt-
nienkonform sind und sich in der Praxis bewährt ha-
en. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zur
rforderlichkeit der Abschiebungsandrohung und zur
bschiebehaft lehnen sich eng an die Formulierungen in
er Rückführungsrichtlinie an und tragen darüber hinaus
uch Forderungen insbesondere der Kirchen, der Flücht-
ngsorganisationen und der Integrationsbeauftragten
echnung.
Die Regelungen zur Abschiebehaft übernehmen die
orgaben der Richtlinie zum Teil ausdrücklich; zum Bei-
piel gibt es die Abschiebehaft nur als Ultima Ratio und
r Minderjährige sowie Familien mit Minderjährigen
ur in Ausnahmefällen, und die Berücksichtigung alters-
pischer Belange minderjähriger Abschiebungsgefan-
ener ist gewährleistet. Auf weitere Vorgaben der Richt-
nie wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ver-
iesen, zum Beispiel darauf, dass Gelegenheit zu
ltersgerechtem Spielen zu geben ist und dass es Zugang
u Bildungsangeboten geben muss. Ich habe keine Zwei-
l daran, dass diese Umsetzung den europarechtlichen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12165
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Vorgaben genügt und die Interessen der Betroffenen hin-
reichend wahrt.
Kritisiert wird ferner, dass keine ausdrückliche Um-
setzung der in Art. 8 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie
enthaltenen Verpflichtung zur Schaffung eines Systems
zur Überwachung von Rückführungen – das ist das soge-
nannte Monitoring – erfolgt sei. Unter anderem haben
die Kirchen vorgeschlagen, die Überwachungspflicht im
Gesetz festzuschreiben und darüber hinaus in der Be-
gründung zum Gesetz eine Bezugnahme auf das beste-
hende System der Abschiebungsbeobachtungsstellen
aufzunehmen. An den Flughäfen Frankfurt, Düsseldorf
und Hamburg bestehen bereits Abschiebungsbeobach-
tungsstellen, die von den Kirchen und anderen Nichtre-
gierungsorganisationen getragen werden; sie beobachten
aufgrund von Vereinbarungen mit den Bundespolizeiin-
spektionen der Flughäfen die Durchführung von Rück-
führungen auf dem Luftweg. Bei der Unionsfraktion und
bei der Bundesregierung bestehen Vorbehalte gegen die
Schaffung einer Rechtsgrundlage und damit einer recht-
lichen Absicherung der Rückführungsüberwachung.
Eine solche Regelung widerspräche aus Sicht der Frak-
tion dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass staatliche
Machtausübung durch die Gerichte, nicht aber durch
Nichtregierungsorganisationen kontrolliert wird. Auf
eine gesetzliche Regelung der Rückführungsüberwa-
chung wurde daher zu Recht verzichtet. Zudem sind die
bestehenden verwaltungsinternen Vorkehrungen, auf de-
nen das System der Abschiebungsbeobachtung beruht,
zur Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 8 Abs. 6 der
Rückführungsrichtlinie ausreichend.
Lassen Sie mich nun noch einige Worte zur sogenann-
ten Sanktionsrichtlinie und zum Visakodex sagen. So-
wohl der EU-Visakodex, der das Verfahren zur Erteilung
von Schengen-Visa innerhalb der EU harmonisiert, als
auch die Sanktionsrichtlinie verstehen sich als Teilaspekt
im Kampf gegen illegale Einwanderung. Diese Maßnah-
men sollen wiederum Teilgrundlage in einer umfassen-
den Einwanderungspolitik werden. Illegale Einwande-
rung wird durch die Möglichkeit, ein illegales
Beschäftigungsverhältnis in der EU eingehen zu können,
begünstigt. Die illegale Beschäftigung illegaler Einwan-
derer stellt damit einen wesentlichen „Pullfaktor“ dar.
Deshalb benötigen wir in allen EU-Mitgliedstaaten ver-
gleichbare Sanktionen für die Beschäftigung von illegal
eingereisten Personen. Die Umsetzung der Richtlinie
dient diesem Erfordernis.
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch ein paar
Worte an die selbsternannten Menschenrechtler unter Ih-
nen richten: Ich verstehe, wenn sich Nichtregierungsor-
ganisationen und Kirchen über die teils strikten Regelun-
gen der Richtlinien und die Eins-zu-eins-Umsetzung
durch die Bundesregierung enttäuscht zeigen. Aber was
ist die Alternative? Nicht jeder, der in Europa Zuflucht
sucht, ist auch tatsächlich schutzbedürftig. Dass eine il-
legale Zuwanderung schon allein aufgrund der nach-
drängenden Massen nicht einfach akzeptiert werden
kann, hat jeder Nationalstaat schon lange für sich ent-
schieden. Insbesondere aus Frankreich und Italien hören
wir in regelmäßigen Abständen immer wieder Rufe nach
restriktiveren Abschieberegelungen. Abgeschoben wird
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allen europäischen Staaten – aber eben unter verschie-
enen Voraussetzungen und Bedingungen. Es einfach
abei zu belassen, wäre die denkbar schlechteste aller
arianten gewesen – erst recht im Sinne der illegal ein-
ereisten Menschen.
Ich bin überzeugt, dass das Gesetzespaket, dass wir in
orm der Umsetzung der diesem Gesetzentwurf zu-
runde liegenden Richtlinien geschnürt haben, eine gute
rundlage für weitere legislative Schritte auf dem Weg
u einer gemeinsamen Einwanderungspolitik ist.
Rüdiger Veit (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz-
ntwurf sollen zwei Richtlinien der Europäischen Union
mgesetzt werden: einmal die Richtlinie 2008/115/EG
es Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. De-
ember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren
den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhälti-
er Drittstaatsangehöriger – die sogenannte Rückfüh-
ngsrichtlinie – und die Richtlinie 2009/52/EG des Eu-
päischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009
ber Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen
egen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne recht-
äßigen Aufenthalt beschäftigen – die sogenannte Sank-
onsrichtlinie. Die Umsetzungsfrist für die Rückfüh-
ngsrichtlinie ist am 24. Dezember 2010 abgelaufen;
ie ist mithin jetzt geltendes innerstaatliches Recht. Da-
r, sich an ihre „Umsetzung“ zu machen, ist es also al-
rhöchste Zeit – wenn man die Regelungen der Richtli-
ie begrenzen will. Und das wollen die Regierungs-
aktionen ganz offensichtlich, wie der vorgelegte Ge-
etzentwurf aufzeigt.
In Art. 11 Abs. 2 RL 2008/115/EG wird festgelegt,
ass für abgeschobene Personen ein Wiedereinreisever-
ot ergeht: „Die Dauer des Einreiseverbotes wird in An-
etracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festge-
etzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre“.
ie Formulierung „wird … festgesetzt“ macht dabei
eutlich, dass die Befristung des Einreiseverbotes von
mts wegen erfolgen muss und ein Antrag hierfür nicht
rforderlich ist. Anders steht es jedoch in dem von der
undesregierung vorgelegten Gesetzentwurf. Dort wird
war auf den Einzelfall abgestellt und eine Befristung
er Wiedereinreisesperre von maximal fünf Jahren fest-
elegt; allerdings erfolgt eine solche Befristung wie bis-
ng nach in Deutschland üblicher Praxis nur auf Antrag
es Betroffenen. Ohne einen Antrag gilt sie quasi ein Le-
en lang. Das ist aber mit der Richtlinie 2008/115/EG
icht vereinbar.
Kapitel IV der RL 2008/115/EG gibt vor, wann eine
haftnahme zum Zwecke der Abschiebung zulässig ist
nd unter welchen Bedingungen diese erfolgen darf. Zu-
ächst ist hier festzuhalten und noch einmal ganz deut-
ch zu machen, dass die Abschiebehaft allein eine Ul-
ma-ratio-Regelung sein kann, die erst dann ergriffen
erden darf, wenn keine anderen gleich wirksamen
öglichkeiten gegeben sind. Und wenn man dann zum
ittel der Abschiebehaft greift, muss immer beachtet
erden, dass die Abschiebehaft nur und ausschließlich
ie physische Anwesenheit garantieren soll und dass sie
eder einen Straf- noch Abschreckungscharakter haben
12166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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darf; schließlich geht es bei der Inhaftnahme um einen
der schwersten Grundrechtseingriffe überhaupt: den Ent-
zug der Freiheit.
Gemäß Art. 16 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie hat
die Abschiebehaft grundsätzlich in speziellen Haftein-
richtungen zu erfolgen. Damit soll ausgeschlossen wer-
den, dass Abschiebehäftlinge in regulären Strafvollzugs-
anstalten festgehalten werden. Von dieser Voraussetzung
darf nach der RL 2008/115/EG eine Ausnahme gemacht
werden, wenn „in einem Mitgliedstaat solche speziellen
Einrichtungen nicht vorhanden“ sind. In „Umsetzung“
der Richtlinie normiert § 62 a Abs. 1 AufenthG-E in
Satz 1 zwar, dass „die Abschiebungshaft grundsätzlich
in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen“ wird, in
Satz 2 steht dann allerdings, dass für den Fall, wenn
„spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden“
sind, die Abschiebungshaft „in diesem Land“ auch „in
sonstigen Haftanstalten vollzogen werden“ kann.
Die Rückführungsrichtlinie meint mit „Mitgliedstaat“
in unserem Fall Deutschland und nicht etwa das Bundes-
land Hessen oder Berlin oder sonstiges. § 62 a Abs. 1
Satz 2 AufenthG-E liest sich aber genau so, als würde es
darauf ankommen, ob in einem Bundesland spezielle
Einrichtungen für Abschiebehäftlinge vorhanden sein
müssten, und, wenn dies nicht der Fall ist, die Abschie-
behaft in diesem Bundesland auch in allgemeinen Straf-
vollzugsanstalten zulässig sei. Damit verkennt der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung die Intention der
Rückführungsrichtlinie und dehnt die Ausnahmereglung
des Art. 16 Abs. 1 in unzulässiger Weise aus.
Im Ausnahmefall, in dem die Unterbringung nicht in
speziellen Abschiebeeinrichtungen möglich ist, muss ge-
mäß der Richtlinie die Unterbringung der „in Haft ge-
nommenen Drittstaatsangehörigen gesondert von den
gewöhnlichen Strafgefangenen“ erfolgen. Sinn und
Zweck dieser Regelung kann allein sein, die auf ihre Ab-
schiebung wartenden Drittstaatsangehörigen vor einer
Kriminalisierung und Stigmatisierung durch die Zusam-
menlegung mit gewöhnlichen Strafgefangenen zu schüt-
zen. Dies ist nicht nur insbesondere für Minderjährige
und Familien von besonderer Bedeutung, sondern vor al-
lem auch für traumatisierte und psychisch schwer ge-
schädigte Menschen von großer Wichtigkeit. Diese
Menschen werden durch die eventuelle Zusammenle-
gung mit normalen Straftätern noch weiter traumatisiert
und psychisch destabilisiert; nach einer langen Flucht
muss ihnen die Inhaftierung in einem deutschen Strafge-
fängnis wie eine nicht mehr zu erklärende Endstation
vorkommen. Den Bedürfnissen besonders schutzbedürf-
tiger Personen muss jedoch gemäß Art. 16 Abs. 3 der RL
2008/115/EG Rechnung getragen werden. Am sinnvolls-
ten wäre hier sicherlich eine vorherige psychologische
Untersuchung zur Feststellung, ob die oder der Dritt-
staatsangehörige überhaupt haftfähig ist.
Schließlich normiert Art. 17 der Rückführungsrichtli-
nie besondere Regeln im Umgang mit der Inhaftierung
von Minderjährigen und Familien. Hierzu betont die
Richtlinie in Abs. 1, dass bei diesen Personengruppen
das Mittel der Abschiebehaft „nur im äußersten Falle
und nur für die kürzest mögliche angemessene Dauer“
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ingesetzt werden darf. Weiter macht die Richtlinie in
rt. 17 Abs. 3 dann sehr konkrete Angaben darüber, wie
ie Ausgestaltung der Haft – wenn sie denn als Ulitma
tio angewandt wird – aussehen muss. In der Richtlinie
teht, dass die Jugendlichen „Gelegenheit zu Freizeitbe-
chäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und
rholungsmöglichkeiten und … Zugang zu Bildung er-
alten“ müssen. Art. 17 Abs. 4 der Richtlinie fordert
eiter ebenfalls sehr konkret, dass unbegleitete Minder-
hrige in Einrichtungen untergebracht werden müssen,
ie personell und materiell in der Lage sind, auf die spe-
iellen altersgemäßen Bedürfnisse dieser Personen-
ruppe einzugehen. Insbesondere das Erfordernis der
ersonellen Kapazität verweist auf das Erfordernis, dass
ädagogisch geschultes Personal institutionell vorhan-
en sein muss.
Zwar verweist der Gesetzentwurf in § 62 a Abs. 3 all-
emein auf Art. 17 der Rückführungsrichtlinie. Es ist je-
och unklar, ob hiermit Art. 17 Abs. 3 oder 4 umgesetzt
erden soll. In der Begründung findet sich dazu Folgen-
es: „Um den spezifischen Bedürfnissen minderjähriger
usländer nach § 62 a Abs. 3 Rechnung zu tragen, soll
iesen zum Beispiel Gelegenheit zu altersgerechtem
pielen und zur Erholung gegeben werden.“ Zum einen
t dies jedoch gegenüber Art. 17 III RL 2008/115/EG
benfalls unvollständig, weil der Verweis auf den not-
endigen Bildungszugang fehlt. Zum anderen ist eine
rläuterung in der Begründung keine ausreichende
ichtlinienumsetzung. Diese muss im Gesetzestext vor-
enommen werden.
Über die personelle Ausgestaltung von Einrichtun-
en, in denen unbegleitete Minderjährige inhaftiert wer-
en, findet sich in § 62 a AufenthG-E nichts.
Alle Maßnahmen die Inhaftnahme von Minderjähri-
en betreffend sind an Art. 17 Abs. 5 Rückführungricht-
nie zu prüfen. Dieser besagt, dass „dem Wohl des Kin-
es … Vorrang“ einzuräumen ist. Ein Hinweis auf
iesen wichtigen Maßstab fehlt ebenfalls in § 62 a
ufenthG-E.
Neben der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie
oll der Gesetzentwurf die Sanktionsrichtlinie dem in-
erstaatlichen Recht anpassen. Bei der Umsetzung feh-
n vor allem Regelungen für den Fall, dass ein illegaler
rbeitnehmer um seinen Lohn geprellt wird und diesen
inklagen möchte. Für diesen Fall sieht Art. 6 II RL vor,
ass die Mitgliedstaaten Verfahren einrichten müssen,
ie es illegal aufhältigen Ausländern ermöglichen, An-
prüche auf ausstehenden Lohn und ausstehende Sozial-
ersicherungsbeiträge gegen ihren Arbeitgeber geltend
u machen. Dies soll entweder dadurch geschehen, dass
er Arbeitnehmer selber seinen Lohn einklagt, oder aber
adurch, dass er sich an eine zuständige Behörde des be-
effenden Mitgliedstaats wendet, um ein Verfahren mit
em Ziel einzuleiten, die ausstehenden Vergütungen ein-
uziehen, ohne selbst einen Anspruch geltend machen zu
üssen. Ein solches Verfahren ist im Gesetzentwurf der
undesregierung nicht vorgesehen. Theoretisch ist es
ach wie vor denkbar, dass ein Illegaler vor dem Ar-
eitsgericht ein Verfahren einleitet. In der Praxis schei-
rt die Geltendmachung eines solchen Anspruches aber
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12167
(A) )
)(B)
zumeist daran, dass die Betroffenen aus Angst vor der
Aufdeckung ihres Status und der daraufhin zu befürch-
tenden Abschiebung davon absehen, eine solche Klage
zu erheben; Denn der Arbeitsrichter ist gemäß § 87 II
AufenthG übermittlungspflichtig an die Ausländerbe-
hörden.
Mittlerweile sind die Übermittlungspflichten für den
Bereich der Gesundheit zumindest in den Verwaltungs-
vorschriften eingeschränkt worden, sodass Illegale ohne
Angst vor der sofortigen Abschiebung den Gang zum
Arzt wagen können, bevor sie im schlimmsten Fall un-
heilbar krank sind. Dass die Übermittlungspflichten für
Kindergärten, Schulen und sonstige Jugendfreizeitein-
richtungen eingeschränkt werden müssen, so wie es in
vielen Bundesländern Praxis ist, ist mittlerweile wohl
politischer Konsens quer durch alle Fraktionen.
Für eine effektive Umsetzung von Art. 6 II RL wäre
daher mindestens eine spezielle Ausnahme für Arbeits-
gerichte in den hier relevanten Fällen von der Übermitt-
lungspflicht des § 87 II AufenthG geboten. Eine Lösung,
die diese ebenso wie andere Fallkonstellationen auf-
greift, hat die SPD-Bundestagsfraktion in Bundestags-
drucksache 17/56 vorgeschlagen. Wir bitten aus diesen
Gründen ausdrücklich um Ihre Unterstützung für unse-
ren Entwurf.
Den vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung
empfehle ich jedoch aus den genannten Gründen abzu-
lehnen.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der Gesetzent-
wurf dient der Umsetzung einiger wichtiger Richtlinien
im Bereich des Ausländer- und Aufenthaltsrechts; insbe-
sondere die Rückführungs- und die Sanktionsrichtlinie
sind hier zu nennen.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat die Rückführungs-
richtlinie begrüßt. Anders als zum Beispiel die Kollegen
von der Linken sehen wir hier einen großen Fortschritt:
Erstmals gibt es innerhalb Europas gleiche Mindeststan-
dards im Bereich der Rückführung. Reflexartig wird die
Richtlinie verteufelt. Aber sie ist ein großer Fortschritt für
die Betroffenen. Und das ist entscheidend – nicht die poli-
tische Polemik der Linken.
Die Rückführungs-RL hätte bereits zum Ende letzten
Jahres umgesetzt werden müssen. Die sorgfältige Ab-
stimmung des Gesetzentwurfes innerhalb des BMI mit
den anderen Ressorts und insbesondere auch die inten-
sive Beteiligung der Verbände zeigt, dass die Bundesre-
gierung große Sensibilität in diesem Themenbereich
zeigt. Dies ist auch richtig: Gerade die Abschiebungshaft
greift tief in Grundrechte ein und muss daher besonders
austariert werden. Für die FDP-Bundestagsfraktion war
immer wichtig, dass diese nur letztes Mittel sein kann
und sein darf. Nach unserer Überzeugung wurde bei dem
Gesetzentwurf dieser Haltung Rechnung getragen.
Die Koalitionsfraktionen haben sich entschieden, den
Gesetzentwurf parallel einzubringen, da die Frist zur
Umsetzung bereits verstrichen ist. Ein Vertragsverlet-
zungsverfahren wegen besonders sorgfältigen Abwägens
sollte der Bundesregierung nicht aufgebürdet werden.
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ies bedeutet jedoch nicht, dass der Gesetzentwurf in
ieser Form verbleiben muss. Sicherlich wird es dazu
ine Anhörung im Innenausschuss geben, die meiner
nsicht nach so bald wie möglich stattfinden sollte, da-
it wir das Gesetzesvorhaben noch vor der Sommer-
ause abschließen können.
Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, die aus
icht der FDP-Bundestagsfraktion im Rahmen des Ge-
etzentwurfes nochmals näher zu betrachten sind:
Das Kindeswohl muss Priorität haben. Der Gesetzent-
urf ist in Bezug auf die Abschiebungshaft bei Minder-
hrigen sehr ausgewogen. Allerdings gibt es doch Stel-
n, an denen Kritik insbesondere von Kirchen erhoben
ird. Hier wird zu klären sein, ob eventuell klarere For-
ulierungen hilfreich sein könnten, um auch das Anlie-
en der Regierungskoalition, das Kindeswohl prioritär
ur Geltung zu bringen, vollumfänglich zu gewährleis-
n.
Das Kindeswohl ist für die schwarz-gelbe Koalition
entral. Dies zeigt sich bereits in der Rücknahme des
orbehalts zur Kinderrechtskonvention. Keine Vorgän-
erkoalition hatte dies zustande gebracht. Mit der Rück-
ahme des Vorbehalts kann selbstverständlich der Ein-
atz für das Kindeswohl noch nicht abgeschlossen sein.
ielmehr muss der Gesetzgeber bei allen Rechtsakten
arauf achten, dass dieses entsprechend Maßstab ist.
Abschiebungen sind im Ausländerrecht notwendig;
ie Abschiebungshaft ist aus Sicht der FDP-Bundestags-
aktion auch notwendiges Mittel zur Durchsetzung des
usländerrechts. Allerdings muss man bei einem derart
ensiblen Bereich als Gesetzgeber und als Vollziehende
öglichst alles unternehmen, um für eine angemessene
urchführung, Transparenz und Akzeptanz zu sorgen.
Den Vorschlag insbesondere der Kirchen, die Ab-
chiebebeobachtung als Möglichkeit ins Gesetz aufzu-
ehmen, halte ich aus diesem Grund durchaus für über-
genswert. Diese ist bereits erprobt und hat sich
ewährt. Wir müssen dabei zum einen an die Betroffe-
en denken, für die die Abschiebebeobachtung zur Beru-
igung beitragen kann, zum andern aber auch an diejeni-
en, die die Abschiebung durchzuführen haben. Diese
erden oftmals in der Öffentlichkeit vollkommen zu
nrecht verunglimpft. Gerade denen kann die Abschie-
ebeobachtung auch helfen.
Dass nun explizit vorgesehen ist, dass Abschiebehäft-
nge in separaten Einrichtungen untergebracht werden
ollen, begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion ausdrück-
ch. Die Unterbringung in normalen Gefängnissen kann
rundsätzlich nicht hingenommen werden.
Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie ist für uns
uch Anlass, das Vorhaben im Koalitionsvertrag, die Ab-
chiebehaftbedingungen zu evaluieren, anzugehen.
Wir möchten auch die sozialrechtlichen Vorschriften,
ie beim Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz nicht mehr
ntergebracht werden konnten, nun einflechten.
Uns liegt des Weiteren noch ein Vorhaben des Koali-
onsvertrages am Herzen. Dort ist Folgendes vereinbart:
Wir werden die aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungs-
12168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
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pflichten öffentlicher Stellen dahin gehend ändern, dass
der Schulbesuch von Kindern ermöglicht wird.“ Es ist
ein humanitärer Fortschritt, wenn wir die aufenthalts-
rechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen
ändern, um den Schulbesuch von Kindern zu gewähr-
leisten. Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Inte-
gration und persönlichen Erfolg.
Wir werden in den kommenden Wochen in der Koali-
tion über diese und weitere Änderungen verhandeln. Die
Anhörungsergebnisse sollen ebenso Grundlage für die
weiteren Überlegungen sein. Ich bin mir angesichts der
erfolgreichen Verhandlungen innerhalb der Koalition un-
ter anderem zum Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz si-
cher, dass wir auch hier wichtige Weichenstellungen er-
reichen werden.
Um die illegale Beschäftigung von Ausländern zu
verhindern bzw. zu sanktionieren, fordert die Sanktions-
richtlinie im Wesentlichen die Ausdehnung der Arbeit-
geberhaftung auf Generalunternehmer und zwischenge-
schaltete Unternehmer, erhöhte Nachweispflichten für
Arbeitgeber und die Einführung von zwei neuen Straftat-
beständen.
Darüber hinaus ist ein befristeter Aufenthaltstitel für
Opfer illegaler Beschäftigung einzuführen, um ihre Mit-
wirkung als Zeugen im Strafverfahren zu ermöglichen.
Wegen einiger Regelungen des Visakodex (insbeson-
dere zur Erforderlichkeit der Begründung von Visumver-
sagungen sowie zur Anfechtbarkeit der Visumversa-
gung) sind im Wesentlichen Anpassungen der Form- und
Verfahrensvorschriften des Aufenthaltsgesetzes notwen-
dig.
Im Zusammenhang mit den genannten Anpassungen
an europäische Rechtsakte werden zur Klarstellung und
zur Bereinigung von Unstimmigkeiten technische und
redaktionelle Anpassungen aufenthaltsrechtlicher Vor-
schriften vorgenommen, die sich auf unterschiedliche
Regelungsbereiche des Aufenthaltsgesetzes, das AZR-
Gesetz, die Aufenthaltsverordnung und die AZRG-
Durchführungsverordnung erstrecken.
Deutschland verändert sich. Die neue Bundesregie-
rung wird diese Veränderung gestalten – ohne Ideologie
und vorurteilsfrei.
Migration und Integration stellen Deutschland vor
neue Herausforderungen. Sie bieten aber auch neue
Chancen. Die Koalition hat sich auf eine konsequente
Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland und eine
aktive Integrationspolitik geeinigt. Wir wollen eine neue
Kultur des Willkommens, die nicht falsche Versprechun-
gen auf Kosten anderer Leute macht, sondern Chancen
und Perspektiven eröffnet für die, die nicht nur „territo-
rial“ nach Deutschland kommen, sondern auch mit ihrer
Kultur in unserem Land sowie unserer Gesellschaft mit
ihren Grundwerten ankommen wollen.
Wir halten es nicht wie die Grünen oder Linken für
unzumutbar, Deutsch zu lernen, wir halten Zuwanderer
nicht für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, de-
nen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden
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ann und die auf Generationen hinaus mit dem Unwort
Migrationshintergrund“ stigmatisiert werden sollen.
Wir meinen, dass hier endlich ein Umdenken erfolgen
uss: Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden
itleids und des Verzichts auf Integrationsforderungen
uss Deutschland in der Integrationspolitik endlich posi-
v denken. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung
r diejenigen, die das geschafft haben. Wir halten inte-
rierte Zuwanderer mit ihren Erfahrungen für eine große
ereicherung unserer Gesellschaft. Wir beglückwün-
chen diejenigen, die sich erfolgreich integriert haben.
ie können stolz auf ihre Leistung sein, und wir sind
ankbar und stolz, dass sie sich für Deutschland ent-
chieden haben.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir verhandeln hier heute
erster Linie die Umsetzung zweier EU-Richtlinien in
as deutsche Aufenthaltsrecht. Die eine Richtlinie ist in-
rnational als Abschieberichtlinie zu trauriger Berühmt-
eit gelangt. Des Weiteren soll die sogenannte Sank-
onsrichtlinie umgesetzt werden. Damit werden Strafen
egen Arbeitgeber, die Menschen ohne Aufenthalts- und
rbeitserlaubnis beschäftigen, zur Pflicht. Zudem sollen
ie Betroffenen die Möglichkeit erhalten, als Zeugen ge-
en ausbeuterische Arbeitgeber aufzutreten und ausste-
enden Lohn einzuklagen.
Im Rahmen der Umsetzung der Sanktionsrichtlinie
eht es auch um das Aufenthaltsrecht für die Betroffenen
usbeuterischer Arbeitsverhältnisse ohne Aufenthaltssta-
s. Hier gibt es dringenden Änderungsbedarf. Wie
chon bei den Opfern von Menschenhandel und Zwangs-
rostitution soll das Aufenthaltsrecht für diese Men-
chen begrenzt und davon abhängig gemacht werden, ob
ie Mitwirkung der Betroffenen in einem strafrechtli-
hen Verfahren erforderlich ist. Das ist eine strafrechtli-
he Instrumentalisierung von Menschen, die nicht selten
ilfe und Beistand benötigen. Noch schlimmer: Die Be-
offenen können sich nicht einmal sicher sein, ob ihre
ussagebereitschaft auch zu einer Aufenthaltserlaubnis
hrt, weil die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im
rmessen der Ausländerbehörde steht. Den Opfern aus-
euterischer Arbeitsverhältnisse wird klargemacht, dass
an sie so schnell wie möglich wieder loswerden will:
ie können zur Ausreise verpflichtet werden, obwohl sie
usstehenden Lohn noch nicht erhalten haben. Wenn sie
leiben dürfen, erhalten sie lediglich abgesenkte Sozial-
istungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ob-
ohl sich strafrechtliche Prozesse wegen Menschenhan-
el und illegaler Beschäftigung über Jahre hinziehen
önnen. In dieser Zeit können die Betroffenen damit
uch kaum therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
Die Linke fordert ein bedingungsloses Bleiberecht für
iese Menschen und ihre Familien. Sie dürfen nicht ein
weites Mal zu Opfern werden, indem man sie für Straf-
rozesse instrumentalisiert.
Noch weitaus erschreckender ist die Umsetzung der
bschieberichtlinie durch die Koalition. Zunächst will
h Folgendes vorausschicken: Die Linke lehnt die Ab-
chiebehaft weiterhin grundsätzlich ab. Sie dient aus-
chließlich der Durchsetzung einer Verwaltungsmaß-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011 12169
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nahme, der Ausreisepflicht. Eine Inhaftierung von
Menschen zu diesem Zweck ist aus unserer Sicht grund-
sätzlich unverhältnismäßig. Dass sich nach deutscher
Rechtslage der Freiheitsentzug über 18 Monate hinzie-
hen kann, ist inakzeptabel. Diese Höchstgrenze für
Abschiebehaft von 18 Monaten aber hat die Bundesre-
gierung auf EU-Ebene durchgesetzt, um an unverhältnis-
mäßig langen Haftzeiten auch in Deutschland festhalten
zu können.
Allerdings enthält die Abschieberichtlinie auch vor-
gaben, die zu wenigen menschenrechtlichen Verbesse-
rungen im Vollzug der Abschiebehaft in Deutschland
führen müssten. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt
diese Vorgaben gar nicht oder ungenügend um. In Teilen
verletzt er andere menschenrechtliche Verpflichtungen
der Bundesrepublik. Darauf will ich im Folgenden ein-
gehen.
Der Schutz des Kindeswohls wird im vorliegenden
Gesetzentwurf schlicht ignoriert. Nach der Rücknahme
des Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention
darf die Bundesrepublik ausländische Kinder nicht mehr
schlechter behandeln als inländische Kinder. Auch für
die ausländischen Kinder gilt, dass ihr Wohl im Handeln
der Behörden vorrangig beachtet werden muss. Die
Abschiebehaft bei Kindern und Jugendlichen ist ein ek-
latanter Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die UN-Kin-
derrechtskonvention erlaubt eine Inhaftierung Minder-
jähriger lediglich bei Straftaten und nur als letztes
Mittel. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat in
einem Gutachten klargestellt: Unbegleitete Minderjäh-
rige dürfen nicht in Abschiebehaft genommen werden.
Auch für Minderjährige in Begleitung von Erwachsenen
gilt diese menschenrechtliche Grenze. Auch die in
Deutschland übliche Inhaftierung eines Elternteils, um
die Abschiebung der gesamten Familie zu sichern, ver-
letzt die Verpflichtung zum Vorrang des Kindeswohls, so
das Gutachten. Das fehlende Verbot der Inhaftierung
Minderjähriger und ihrer Sorgeberechtigten im Gesetz-
entwurf ist ein menschenrechtlicher Skandal. Hier
besteht dringender Handlungsbedarf. Auch die Inhaf-
tierung Kranker und insbesondere psychisch Traumati-
sierter und anderer besonders schutzbedürftiger Perso-
nen muss endlich eindeutig im Gesetzestext untersagt
werden.
Es gibt noch einigen weiteren Anpassungsbedarf, um
wenigstens dieser „Richtlinie der Schande“, wie sie ge-
nannt wurde, Genüge zu tun. Die Pflicht zur gesonderten
Unterbringung außerhalb von Strafvollzug und Untersu-
chungshaft muss wirksam und ausnahmslos umgesetzt
werden. Die Abschiebehäftlinge müssen kostenlos Zu-
gang zu Rechtsvertretung und -beratung haben. Die In-
haftierung von Asylsuchenden, die üblicherweise kein
Visum erhalten und deshalb illegal einreisen müssen,
muss wirksam ausgeschlossen werden. Das ist auch eine
Anforderung aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der
die Bundesrepublik noch nicht nachgekommen ist.
Die Koalition muss im weiteren Gesetzgebungsver-
fahren wenigstens den Anforderungen der Abschiebe-
richtlinie und der menschenrechtlichen Verpflichtungen
der Bundesrepublik nachkommen. Ungeachtet dessen
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leibt Die Linke bei ihrer grundsätzlichen Kritik an der
bschiebehaft als Instrument einer restriktiven Migra-
ons- und Flüchtlingspolitik.
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
undesregierung legt uns heute einen Gesetzentwurf zur
msetzung zweier EU-Richtlinien vor, der sehr ängst-
ch und zurückhaltend ist, wenn es um die rechtliche
esserstellung von Immigranten geht. Bei der Beseiti-
ung der Missstände taucht die Bundesregierung ab und
t ideenlos.
Der Gesetzentwurf betrifft zum einen die EU-Rück-
hrungsrichtlinie über gemeinsame Normen und Ver-
hren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal
ufhältiger Drittstaatsangehöriger, zum anderen die EU-
anktionsrichtlinie über Mindeststandards für Sanktio-
en und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaats-
ngehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen.
ie noch im Referentenentwurf enthaltene EU-Hoch-
ualifiziertenrichtlinie findet sich im Gesetzentwurf
icht mehr. Offenbar konnte die Bundesregierung sich
icht über die notwendigen Änderungen bei der Fach-
räfteeinwanderung einigen. Das ist typisch für diese
undesregierung: Vor lauter Streit ist sie nicht mehr fä-
ig zu regieren. Die Rückführungsrichtlinie hätte bis
pätestens zum 24. Dezember 2010 in deutsches Recht
mgesetzt werden müssen. Die noch nicht einmal im
esetzgebungsverfahren befindliche EU-Hochqualifi-
iertenrichtlinie muss bis Juni 2011 umgesetzt werden.
Im vorliegenden Gesetzentwurf sind hinsichtlich der
ückführungsrichtlinie weiterhin Bestimmungen enthal-
n, die im Vorfeld von allen kirchlichen und gesell-
chaftlichen Institutionen – zum Beispiel auch dem
eutschen Institut für Menschenrechte – einhellig kriti-
iert wurden: Sie betreffen die vorgesehenen Regelun-
en zur Abschiebehaft, insbesondere von Minderjähri-
en. Diese soll – wenn auch mit Einschränkungen –
eiterhin zulässig sein. Aus unserer Sicht ist das höchst
roblematisch. Auch das Deutsche Institut für Men-
chenrechte betont in einer jüngst erschienenen Studie,
ass „es unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechts-
onvention (KRK) menschenrechtlich unzulässig ist,
bschiebehaft gegenüber unbegleiteten Minderjährigen
nzuordnen“.
Problematisch ist auch die fehlerhafte Umsetzung der
ückführungsrichtlinie zum Vollzug der Abschiebehaft.
ie Richtlinie lässt nämlich die Unterbringung von Ab-
chiebehäftlingen in gewöhnlichen Haftanstalten allen-
lls dann zu, wenn in einem Mitgliedstaat spezielle
afteinrichtungen nicht vorhanden sind. In Deutschland
ibt es diese jedoch in mehreren Bundesländern. Die
usnahmeregelung bezieht sich auf EU-Mitgliedstaaten,
denen es keine speziellen Hafteinrichtungen gibt,
icht auf deutsche Bundesländer, wie im Gesetzentwurf
er Bundesregierung vorgesehen. Die weitere Unterbrin-
ung von Abschiebungshäftlingen in Strafhaftanstalten
t demnach unzulässig. Auch die Schaffung gesonderter
rakte in Justizvollzugsanstalten reicht nicht aus. Denn
inter der Regelung des Art. 16 Abs. 1 der Rückfüh-
ngsrichtlinie steht die Erkenntnis, dass Abschiebungs-
(A) (C)häftlinge nicht wie Straftäter behandelt und dementspre-
chend auch nicht den Strafvollzugsregelungen
unterworfen werden dürfen. Die Regierung scheint ver-
gessen zu haben, dass es sich bei der Abschiebehaft
nicht um Strafhaft zur Ahndung strafrechtlicher Delikte
handelt. Zweck der Abschiebehaft ist einzig die Durch-
führung der Abschiebung. Deswegen wäre es auch rich-
tig und wichtig gewesen, anlässlich der Umsetzung der
Rückführungsrichtlinie die Höchstdauer der Abschiebe-
haft von 18 Monaten deutlich zu verkürzen. Denn die
Möglichkeit, einem Menschen für 18 Monate allein zur
Durchführung der Abschiebung die Freiheit zu entzie-
hen, wird dem Gebot größtmöglicher Verfahrensbe-
schleunigung und dem Grundsatz der Verhältnismäßig-
keit nicht gerecht.
Bedauerlicherweise wird in dem vorgelegten Gesetz-
entwurf die Gelegenheit nicht wahrgenommen, auch
andere durch europäisches Recht notwendig gewordene
Änderungen bzw. Klarstellungen vorzunehmen. So er-
scheint es dringend geboten, gemäß Art. 13 der Rück-
führungsrichtlinie, der die Gewährung effektiven
Rechtsschutzes fordert, endlich den einstweiligen
Rechtsschutz in Verfahren nach der Dublin-II-Verord-
nung zu ermöglichen. Ich verweise insofern auf die
Grundsatzentscheidung des EGMR vom 21. Januar 2011
im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland,
Beschwerde Nr. 30696/09. Seit den mit dem 1. EU-
Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführten Ände-
rungen wurde über § 34 a Abs. 2 AsylVfG der einstwei-
lige Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Verfahren
sen. Vom Ausland aus kann ein effektiver Rechtsschutz
vor deutschen Verwaltungsgerichten nicht greifen. Ein
Rechtsbehelf ist nur dann wirksam, wenn irreparable
Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer ho-
heitlichen Maßnahme vor deren gerichtlicher Überprü-
fung eintreten können, soweit als möglich ausgeschlos-
sen werden können.
Weiterhin sind gesetzliche Anpassungen, die sich aus
der Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechts-
konvention ergeben, in den Gesetzentwurf zu integrie-
ren. Schließlich hat die Bundesregierung die Gelegen-
heit verpasst, die Übermittlungspflichten des § 87
AufenthG einzuschränken, damit statuslose Kinder ihr
Recht auf Schulbildung auch tatsächlich ausüben kön-
nen. Ebenso hat die Bundesregierung es unterlassen, die
Residenzpflicht für Geduldete und Asyl bewerber zu lo-
ckern. Mit der Residenzpflicht gibt es in Deutschland ein
bundesweites und in Europa einzigartiges System der
Aufenthaltsbeschränkung. Diese räumliche Beschrän-
kung des Aufenthalts auf den Bezirk der zuständigen
Ausländerbehörde hat diskriminierende Wirkung und
führt dazu, dass das Recht dieser Personen auf Teil-
nahme an kulturellen, politischen und religiösen Veran-
staltungen unzulässig eingeschränkt und der Zugang zu
einer erforderlichen ärztlichen oder psychologischen Be-
handlung und zum Arbeitsmarkt wesentlich erschwert
werden.
Ich erwarte, dass die Bundesregierung im weiteren
Gesetzgebungsverfahren die allseitige Kritik ernst
V
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ertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln
(D
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nach der Dublin-II-Verordnung generell ausgeschlos- n
)
immt und die notwendigen Änderungen vornimmt.
12170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
ei, Bessemerstraße 83–91, 1
, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
105. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11