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    Plenarprotokoll 17/84 Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . 9366 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- gie: zum Jahreswirtschaftsbericht 2011: Deutschland im Aufschwung – den Wohl- stand von morgen sichern . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2011 (Drucksache 17/4450) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Memet Kilic, Tabea Rößner, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeord- 9346 C 9346 C 9369 B 9370 D 9372 B 9374 A 9374 B 9375 B 9376 D Deutscher B Stenografisc 84. Sit Berlin, Donnerstag, d I n h a Wahl der Abgeordneten Sylvia Canel zum or- dentlichen Mitglied und des Abgeordneten Patrick Meinhardt zum stellvertretenden Mitglied in der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Johanna Voß zum ordentlichen Mitglied im Beirat bei der Bun- desnetzagentur für Elektrizität, Gas, Tele- kommunikation, Post und Eisenbahnen . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 27 a . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 9345 A 9345 B 9345 B 9346 B 9346 B Jahresgutachten 2010/11 des Sachver- ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 17/3700) . . . . . . . . . . . . . . . . 9346 C undestag her Bericht zung en 20. Januar 2011 l t : Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9346 D 9350 B 9352 A 9354 B 9355 B 9357 A 9359 A 9361 B 9363 B 9365 C neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DI GRÜNEN: Fachkräfteeinwanderung durc ein Punktesystem regeln (Drucksache 17/3862) . . . . . . . . . . . . . . . . . E h . 9378 B II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Manfred Nink (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelge- setzes (Drucksache 17/4231) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Das ungarische Mediengesetz – Europäische Grund- werte und Grundrechte verteidigen (Drucksache 17/4429) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bestellerprinzip in die Mietwohnungs- vermittlung integrieren (Drucksache 17/4202) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: b) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung 9378 B 9379 D 9381 D 9383 C 9385 A 9388 A 9389 A 9390 B 9391 C 9393 A 9394 B 9395 C 9397 C 9399 B 9400 B 9401 D 9403 B 9404 D 9406 A 9406 A 9406 B eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 29. März 2010 zwischen der Bundes- republik Deutschland und St. Vin- cent und die Grenadinen über die Unterstützung in Steuer- und Steu- erstrafsachen durch Informations- austausch (Drucksachen 17/3959, 17/4280) . . . . – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 7. Juni 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Lucia über den Informationsaustausch in Steuersa- chen (Drucksachen 17/3961, 17/4280) . . . . – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 17. Juni 2010 zur Änderung des Abkommens vom 8. März 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppel- besteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 17/3962, 17/4280) . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Standpunkt und Konsequenzen der Bundesregierung zum ungarischen Mediengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . . Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 9406 B 9406 C 9406 C 9407 A 9407 B 9408 D 9410 A 9411 A 9412 B 9413 C 9414 D 9416 A 9418 A 9419 B 9421 A 9422 A 9423 B 9423 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 III Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung wei- terer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/4401) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig), Gabriele Fograscher, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der SPD eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes für ein erweitertes Rückkehrrecht im Aufent- haltsgesetz (Drucksache 17/4197) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Memet Kilic, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Opfer von Zwangsverheiratungen wirksam schüt- zen durch bundesgesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative (Drucksache 17/2491) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Residenzpflicht abschaffen – Für wei- testgehende Freizügigkeit von Asylbe- werbern und Geduldeten (Drucksache 17/3065) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrecht auf Freizügigkeit unge- teilt verwirklichen (Drucksache 17/2325) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9424 C 9424 D 9424 D 9425 A 9425 A 9425 B 9426 A 9426 C 9427 A 9428 B 9429 B 9430 C 9431 A 9431 D 9432 B Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Burkhard Lischka, Lars Klingbeil, Christine Lambrecht, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zugangserschwerungsgesetz aufheben – Verfassungswidrigen Zustand beenden (Drucksache 17/4427) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Jimmy Schulz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Vereinbarte Debatte: Weißrussland – Re- pressionen beenden, Menschenrechtsver- letzungen sanktionieren, Zivilgesellschaft stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 9433 B 9434 C 9436 B 9437 C 9438 A 9439 B 9440 B 9440 C 9441 D 9442 D 9442 D 9442 D 9444 A 9445 D 9447 A 9447 C 9449 A 9450 B 9451 B 9451 D 9452 C 9452 D 9454 B 9456 A 9457 B 9458 B 9459 B 9460 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Vereinbarte Debatte: Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Joachim Barchmann (SPD) . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Roland Claus, Diana Golze, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fortsetzung der Braunkohlesanie- rung in den Ländern Brandenburg, Sach- sen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2012 (Drucksache 17/3046) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Bericht des Parlamentarischen Beirats für nach- haltige Entwicklung zum Indikatorenbe- richt 2010 des Statistischen Bundesamtes und 9460 C 9461 B 9461 C 9462 C 9462 D 9464 A 9465 B 9466 C 9467 C 9468 C 9469 C 9470 C 9472 A 9473 A 9473 B 9473 D 9475 B 9476 B 9477 B 9478 B Erwartungen an den Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrate- gie der Bundesregierung (Drucksache 17/3788) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), Bärbel Bas, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehrgenerationenhäuser erhalten und weiterentwickeln – Prävention stärker för- dern (Drucksache 17/4031) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Sport- ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 12. Sportbericht der Bun- desregierung (Drucksachen 17/2880, 17/3110 Nr. 5, 17/4420) Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Fraktion der SPD: Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen regis- trieren und kontrollieren (Drucksache 17/4198) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- verfahren und strafrechtlichen Ermitt- lungsverfahren (Drucksache 17/3802) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9479 B 9479 C 9481 A 9482 B 9483 C 9484 B 9485 B 9486 B 9486 C 9487 C 9488 D 9489 D 9490 D 9491 B 9492 B 9493 A 9494 A 9494 B 9494 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 V Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beziehungen der Europäischen Union mit Afrika solida- risch und gerecht gestalten (Drucksachen 17/3672, 17/4466) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des deutschen Rechts an die Verordnung (EG) Nr. 380/ 2008 des Rates vom 18. April 2008 zur Än- derung der Verordnung (EG) Nr. 1030/ 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Auf- enthaltstitels für Drittstaatenangehörige (Drucksachen 17/3354, 17/4464) . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einen Pakt für den wissenschaftlichen Nach- wuchs und zukunftsfähige Personal- strukturen an den Hochschulen initi- ieren (Drucksache 17/4203) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wissenschaft als Beruf attrak- tiv gestalten – Prekarisierung des aka- demischen Mittelbaus beenden (Drucksache 17/4423) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Abgeordneten Christine Lambrecht, Sonja Steffen, Dr. Peter Danckert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei- nes … Gesetzes zur Änderung der Zivilpro- zessordnung (§ 522 ZPO) (Drucksache 17/4431) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9494 C 9494 D 9495 A 9496 A 9496 D 9497 B 9498 B 9499 B 9499 B 9499 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Men- schenwürdiges Existenzminimum für alle – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen (Drucksache 17/4424) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Al- ternativen zur Nordverlängerung der Bundesautobahn 14 (Magdeburg–Schwe- rin) entwickeln (Drucksache 17/4199) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl-Heinz Daehre, Minister (Sachsen-Anhalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Dr. Harald Terpe, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Angebot von Spiel- hallen mit dem Baugesetzbuch begrenzen (Drucksache 17/4201) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9499 C 9501 C 9502 B 9502 D 9503 B 9504 A 9504 B 9505 B 9506 A 9507 B 9507 D 9508 B 9509 A 9509 A 9510 A 9511 B 9512 B 9513 A 9513 D 9515 D VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Britta Haßelmann im Namen der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenar- beit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Beziehungen der Europäischen Union mit Afrika solidarisch und gerecht gestalten (Tagesordnungs- punkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: 12. Sportbericht der Bundesregierung (Tages- ordnungspunkt 11) Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staats- sekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nichtstaatliche militärische Si- cherheitsunternehmen registrieren und kon- trollieren (Tagesordnungspunkt 12) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9516 A 9516 D 9517 C 9518 C 9519 B 9519 D 9520 D 9521 A 9521 B 9521 C 9523 C 9524 A 9524 D 9525 C 9526 B 9527 B 9528 B 9529 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Rechts- schutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (Tages- ordnungspunkt 13) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Beziehungen der Europäischen Union mit Afrika solidarisch und gerecht gestalten (Ta- gesordnungspunkt 14) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und zukunftsfähige Personal- strukturen an den Hochschulen initiieren – Wissenschaft als Beruf attraktiv gestalten – Prekarisierung des akademischen Mittel- baus beenden (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9530 C 9532 A 9532 D 9533 C 9534 B 9536 A 9537 B 9538 A 9538 D 9539 C 9540 D 9542 B 9543 B 9544 A 9545 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 VII Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9546 A 9547 A 9548 A 9549 B 9550 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9345 (A) (C) (D)(B) 84. Sit Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9521 (A) (C) (D)(B) Europäischen Union mit Afrika solidarisch und gerecht gestalten“ (Tagesordnungspunkt 14) strumentalisierung und Vereinnahmung, sei es rechts- oder linksextremistischer Natur. Wie wir alle zur Genüge Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Britta Haßelmann im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Fraktion Die Linke „Beziehungen der Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 20.01.2011 Barthle, Norbert CDU/CSU 20.01.2011 Bülow, Marco SPD 20.01.2011 Burchardt, Ulla SPD 20.01.2011 Connemann, Gitta CDU/CSU 20.01.2011 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 20.01.2011 Friedhoff, Paul K. FDP 20.01.2011 Funk, Alexander CDU/CSU 20.01.2011 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2011 Kruse, Rüdiger CDU/CSU 20.01.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 20.01.2011 Meinhardt, Patrick FDP 20.01.2011 Nord, Thomas DIE LINKE 20.01.2011 Remmers, Ingrid DIE LINKE 20.01.2011 Scholz, Olaf SPD 20.01.2011 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 20.01.2011 Dr. Strengmann-Kuhn, Wolfgang BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2011 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2011 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 20.01.2011 Anlagen zum Stenografischen Bericht Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass unser Votum „Ja“ lautet. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: 12. Sportbericht der Bundesregierung (Tagesordnungspunkt 11) Klaus Riegert (CDU/CSU): Mit Blick auf das Jahr 2011 und den 12. Sportbericht der Bundesregierung freue ich mich sehr, auf die beachtlichen Erfolge der Sportpolitik und des organisierten Sports zurückzubli- cken und zugleich auch auf künftige Vorhaben und Er- eignisse vorauszuschauen und aufmerksam zu machen. Der 12. Sportbericht der Bundesregierung dokumentiert hierbei über den Zeitraum von 2006 bis 2009 auf mehr als 130 Seiten sehr umfangreich die sportpolitischen In- halte und Maßnahmen der Bundesregierung in Koopera- tion mit dem organisierten Sport. Neben der Retrospek- tive werden hierbei erstmals – im Kapitel „Gegenwärtige Planungen und Perspektiven“ – auch zukünftige Vorha- ben und Projekte benannt. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktion mit dem Titel „Den Sport in seiner Gesamtheit fördern: Chancen einer vernetzten Sportpoli- tik“ bezieht sich in 16 thematischen Punkten bzw. Ab- schnitten insbesondere auf diese im Sportbericht be- schriebenen, künftigen Vorhaben. Wer immer noch glaubt, dass es beim Sport einzig und allein um Bewegung oder Körperertüchtigung geht – oder in den Worten von Sepp Herberger, „das Runde ins Eckige“ zu befördern –, der irrt gewaltig. Der Sport in Deutschland ist zentraler Bestandteil des sozialen Zu- sammenlebens und spielt mittlerweile in beinah fast al- len gesellschaftlichen Bereichen eine wichtige Rolle. Und: Der Sport stellt sich im Rahmen seiner Möglich- keiten verantwortungsvoll eben auch fundamentalen He- rausforderungen unserer Zeit – sei es im Blick auf die Bildung und soziale Teilhabe, den demografischen Wan- del, im Blick auf die Integration und Inklusion, die Um- welt und Nachhaltigkeit oder gar den Frieden und die Völkerverständigung. Der Sport verbindet Menschen und trägt das Potenzial der gesellschaftlichen Verände- rung, Dynamik und Erneuerung in sich. Aber auch nega- tiven Begleiterscheinungen und Gefahren des Sports, wie zum Beispiel Doping, Gewalt, Homophobie, sexuel- ler Missbrauch oder auch politischer Extremismus, wird durch eine verantwortungsvolle Sportpolitik Rechnung getragen und zusammen mit dem organisierten Sport entschlossen begegnet. Lassen Sie mich kurz den letzten Punkt noch einmal betonen, weil dieser mit der Kommunismusdebatte ge- rade auch wieder aktuell diskutiert wird. Die Politik und auch der Sport wehren sich zusammen gegen jegliche In- 9522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) wissen, wurde der Sport im Nationalsozialismus wie auch im Kommunismus missbraucht und gegen jegliches Verständnis von Fair Play, gegenseitiger Anerkennung, Freiheit und Gleichheit ins Gegenteil verkehrt. Politi- scher Extremismus hat im Sport keinen Platz. Die Sportpolitik des Bundes unterstützt den Sport bei seinen vielfältigen Aufgaben seit Jahren auf hohem und solidem finanziellem Niveau. Unter der Prämisse eines strikten Kurses der Haushaltskonsolidierung des Bundes – und zudem in Zeiten von Finanzkrisen – konnten dabei die Belastungen für den Sport in vertretbaren Grenzen gehalten werden. Zudem ist das Verhältnis zwischen Politik und dem Deutschen Olympischen Sportbund, DOSB, von Vertrauen und konstruktiver Zusammenar- beit gekennzeichnet. Auf der Grundlage der Autonomie des Sports und des Subsidiaritätsprinzips wird die Sportförderung mit den angesprochenen, vielfältigen Themen nunmehr einem ganzheitlichen Sportverständnis stärker gerecht. Hierbei wird der Sport mit seinen unterschiedlichen Funktionen und Potenzialen nicht mehr isoliert oder gar reduktionis- tisch allein nach ministerieller Zuständigkeit betrachtet, sondern in seiner Gesamtheit bereichsübergreifend und in Zusammenhang mit den jeweilig gesellschaftlichen Wechselwirkungen gesehen und entsprechend gefördert. Auch der Sport als Ganzes ist mehr als die Summe sei- ner Teile. Den Sport in seiner Gesamtheit zu fördern be- deutet demnach – entgegen einem monokausalen Ver- ständnis – zukünftige Chancen einer interdependenten und vernetzten Sportpolitik stärker zu ergreifen. Der Grundsatz, über den eigenen Tellerrand und die zum Teil spezifische Zuständigkeit hinauszuschauen, nach Verbindungslinien und Anknüpfungspunkten zu su- chen sowie sprichwörtlich das große Ganze dabei nicht aus den Augen zu verlieren, ist gleichzeitig auch Ar- beitsauftrag. Oder in anderen Worten: Durch interminis- terielle Kooperationen, durch inhaltliche und institutio- nelle Verflechtungen, durch Verknüpfungen zwischen verschiedenen Organisationen und politischen Ebenen bzw. Feldern wird ein Mehrwert für den Sport in unserer Gesellschaft geschaffen. Diesen Mehrwert gilt es vor dem Hintergrund eines ganzheitlichen Sportverständnis- ses und einer vernetzten Sportpolitik zu ergreifen. Doch um welche inhaltlichen Projekte, Vorhaben und sportpolitischen Maßnahmen geht es hierbei? Und wie werden diese entsprechend des vorher dargestellten ganzheitlichen Sportverständnisses realisiert? Auch wenn in Verbindung zum Entschließungsantrag der Ko- alitionsfraktion nicht auf alle 16 Punkte bzw. Abschnitte und schon gar nicht auf alle Verbindungslinien in ihrer Vollständigkeit und Komplexität eingegangen werden kann, möchte ich Ihnen drei Beispiele nennen sowie auf weitere Topthemen verkürzt eingehen: So steht beispielsweise die Förderung Dualer Karrie- ren von Spitzenathleten – mit der Vereinbarkeit von Beruf/Ausbildung oder Studium mit dem Spitzensport – neben anderen wichtigen Themen im Fokus sportpoliti- scher Bemühungen. Dies schließt aber unlängst auch die Förderung dualer Karrieren von Spitzensportlern mit Be- hinderungen ein. So konnten in Kooperation zwischen einer Vielzahl von Ministerien und Bundesbehörden so- wie in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern einzelfallbezogene Lösungen und bedarfsge- rechte Angebote für behinderte Sportlerinnen und Sport- ler geschaffen werden. Ebenso ist auch die stärkere Ein- bindung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft in die deutsche Forschungslandschaft mit interdisziplinären Förderschwerpunkten und Nutzung verschiedener, sich daraus ergebender Synergieeffekte ein durch und durch positives Beispiel in diesem Zusammenhang. Dass Sportpolitik als Querschnittsaufgabe unter- schiedlicher Politikfelder und -ebenen und als Koopera- tion zwischen Bund, Ländern sowie entsprechenden Or- ganisationen verstanden und auch umgesetzt werden kann, zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel von Jugend trainiert für Olympia, dem Schulsport oder dem Nationa- len Aktionsplan „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“. Hierbei wer- den Ziele der Bildung, Werteerziehung und der Gesund- heitsprävention miteinander verbunden und in intermi- nisteriellen Arbeitsgruppen unter Einbeziehung der Länder und Kommunen weiterentwickelt. Auch zeigt im Besonderen unsere Unterstützung der Bewerbung Münchens zusammen mit Garmisch-Parten- kirchen und der Kunsteisbahn Königssee um die Austra- gung der Olympischen und Paralympischen Winter- spiele 2018, dass wir uns für Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz im Sport einsetzen. Dabei zeichnet sich im internationalen Vergleich die Bewerbung München 2018 vorbildlich durch das umfassende, und rund 100 Millionen Euro schwere Umweltkonzept im Bewer- bungsetat aus. Dies wird anerkennend im Ausland sogar als wegweisend bezeichnet, übertrifft bisherige Stan- dards von Olympischen Spielen und setzt neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit. Selbst versierte Sportpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen würdigen die Bewerbung als „durch und durch ökologisches Konzept“. Dies än- dert sich auch nicht durch die Tatsache, dass die Mehr- heit der Grünen die Meinung ihrer Experten ignoriert und nach dem Motto „Destruktion statt Partizipation“ kurz vor Mitternacht und innerhalb einer Viertelstunde Beratung sich mit dem Parteitagsbeschluss gegen das Großprojekt stellt. Fernab besseren Wissens um die Fak- ten und somit jedweder Vernunft und jedweden Verant- wortungsgefühls ging es hier wohl eher um eine grund- sätzliche Verdrossenheit gegenüber der Moderne. Der Rückzug von Claudia Roth aus dem Kuratorium der Be- werbung zeigt nicht zuletzt den fehlenden Willen der Grünen, die Bewerbung München 2018 unter ökologi- schen Gesichtspunkten konstruktiv zu begleiten. Gleich- wohl des nicht nachzuvollziehenden Rückzuges der Grü- nen bestehen für das Projekt München 2018 weiterhin sehr gute Chancen. Auf dem weiteren Weg und Goldkurs zu München 2018 können die Bewerber, Athleten und begeisterten Wintersportzuschauer in Deutschland auch weiterhin auf die kraftvolle Unterstützung durch die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag bauen. Nochmals: Die Austragung von internationalen Sportgroßveranstaltungen des Behinderten- und Nicht- behindertensports gehen weit über das singulare Sport- event und Ereignis hinaus. Auch bei der Bewerbung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9523 (A) (C) (D)(B) Münchens um die Winterspiele 2018 gilt es ebenso, die mit dem Sportevent verbundenen Chancen übergreifend für zum Beispiel die Sportentwicklung, die olympische Erziehung, die ökologische Vereinbarkeit und Nachhal- tigkeit, die Integration bzw. Inklusion, für die Optimie- rung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur oder einen friedlichen Internationalismus zu ergreifen. Neben nationalen und internationalen Dimensionen des Sports und vermeintlichen Superlativen bleibt der Sport letztlich das, was die Menschen und Bürger in un- serem Land daraus machen. In Deutschland engagieren sich 23 Millionen, circa 36 Prozent, der Bürgerinnen und Bürger freiwillig und unentgeltlich in Sportvereinen, So- zialverbänden oder anderen Organisationen und leisten dabei einen unschätzbaren Beitrag für und in unserer Zi- vilgesellschaft. Dabei profitieren vom bürgerschaftli- chen Engagement im Sport das soziale Umfeld wie auch die Freiwilligen selbst. Die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion hat sich dabei für den Ausbau und die Förderung des Ehrenamtes stark gemacht und wird sich auch wei- terhin kraftvoll dafür einsetzen. In Verbindung zur Na- tionalen Engagementstrategie der Bundesregierung oder zum Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 in der EU setzen wir uns mit dem Entschließungsantrag ebenso dafür ein, das Ehrenamt im Sport weiter zu stär- ken. Im Zuge der Reform der Bundeswehr und des Zivil- dienstes gilt es, mögliche Perspektiven für das Freiwil- lige Soziale und Ökologische Jahr im Sport aufzuzeigen. Auch der neue Bundesfreiwilligendienst – offen für alle Generationen – ist eine große Chance für die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements im Sport. Mit viel Eigeninitiative und Kreativität leben die Bürgerinnen und Bürger eine solidaritätsstiftende und demokratische Kultur. Allen ehrenamtlich Engagierten möchte ich an dieser Stelle für ihr soziales Engagement, für das sie sich im Alltag mit viel Herzblut und großer Leidenschaft ein- setzen, herzlich und nachdrücklich danken. Wie bereits angedeutet ließe sich noch viel länger und ausführlicher über den 12. Sportbericht der Bundesregie- rung und die 16 thematischen Punkten des Entschlie- ßungsantrages der Koalitionsfraktion berichten. Der An- trag reicht in der inhaltlichen Auseinandersetzung und sportpolitischen Agenda von Themen, wie zum Beispiel „der Sport als Schlüssel sozialer Inklusion und gesell- schaftlichen Teilhabe“, über „Förderung des bürger- schaftlichen Engagements im und durch Sport“ bis hin zu beispielsweise „neueren Entwicklungen im Antido- pingkampf“. An dieser Stelle kann ich nur auf unseren Antrag verweisen und um Unterstützung bitten. Ich möchte aber auch abschließend nicht missen, ein paar Worte zu den mehr als knappen und recht ideen- schwachen Beiträgen der Opposition insgesamt Stellung zu verlieren. Der im 12. Sportbericht der Bundesregie- rung genannten sportpolitischen Agenda mit den beacht- lichen Erfolgen der Vergangenheit und einem zielgerich- teten und innovativen Maßnahmenpacket für die Zukunft scheint die Opposition – quantitativ wie auch qualitativ – nicht mehr viel hinzufügen zu können. Ob- gleich sie interessante und zum Teil aktuelle Einzelthe- men anspricht, beziehen sich diese leider nur selten auf den Sportbericht und auf künftige Vorhaben. Diese Rat- und Perspektivlosigkeit zeigt sich auch in jenen Vor- schlägen der Opposition, die einzig formalstrukturelle Aspekte der Gliederung des Sportberichtes betreffen oder sich auf vom BMI bereits angekündigte Ergänzun- gen im 13. Sportbericht beziehen. Ich blicke zusammen mit meinen engagierten, vom Sport begeisterten Kollegen mehr als optimistisch in die Zukunft und auf das Sportjahr 2011. Die mit Spannung und Vorfreude erwartete FIFA-Frauenfußball-WM im ei- genen Land, die Entscheidung um die Austragung der Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2018, weitere bedeutende nationale und internationale Sport- wettkämpfe bis hin zu den Aktivitäten in jedem einzel- nen Sportverein veranlassen mich, nochmals zu wieder- holen: Der Sport ist in der Gesamtheit mehr als die Summe seiner Teile. Lassen Sie uns gemeinsam – für den Sport in unserer Gesellschaft – im Sinne einer ver- netzten Sportpolitik diese Chancen weiter stärker nut- zen. Martin Gerster (SPD): Die SPD-Fraktion würdigt den 12. Sportbericht der Bundesregierung. Die Jahre 2006 bis 2009, um die es im Bericht im Wesentlichen geht, sind gute Jahre für den Sport gewesen. Sie waren geprägt von zahlreichen sportlichen Erfolgen und einer soliden Finanzierung sowie Verbesserungen der Rah- menbedingungen für den Sport, unter anderem durch das Gesetzespaket „Hilfen für Helfer“. Wir als SPD-Fraktion und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück haben das entscheidend vorangetrieben. Es ist uns auch ein Anliegen, den zahlreichen für den Sport engagierten Menschen für die gute, sachorientierte Zusammenarbeit und ihren Einsatz zu danken. Der Sport ist nach wie vor eine große Bürgerbewegung, die weit- gehend von vielen Ehrenamtlichen getragen wird. Für zahlreiche wichtige Bereiche der Gesellschaft bringt der Sport enormen Benefit, beispielsweise bei der Prävention und Rehabilitation, aber auch bei der Integra- tion von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unter- schiedlicher gesellschaftlicher Milieus und Generatio- nen. Insbesondere für Menschen mit Handicap entwickelt der Sport eine unglaubliche Integrationskraft. Mit großer Sorge sehe ich aber, dass Sport sowohl beim Deutschen Olympischen Sportbund, bei der Regie- rung, aber auch bei den Medien zusehends auf Olympia und olympische Disziplinen und auf Medaillenspiegel reduziert wird. Dem gilt es entgegenzuwirken. Nichtolympische Sportarten sind olympische Sportar- ten von morgen und verdienen daher mehr Beachtung, als dies im Sportbericht der Bundesregierung der Fall ist. Wir haben bei der Debatte im Sportausschuss beantragt, der Arbeit, dem Engagement und den Erfolgen im nichtolympischen Sport stärker Rechnung zu tragen. Bis heute ist mir unklar, wieso dieses Anliegen von den Re- gierungsfraktionen nicht unterstützt wird. Für großen Ärger bei den Sportverbänden hat im letz- ten Jahr die Tatsache gesorgt, dass die Zuwendungsbe- scheide des Bundes für 2010 erst Ende August zugestellt und die Fördermittel zum Teil erst im September über- 9524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) wiesen worden sind. Das hat den einen oder anderen Verband in finanziell schwierige Situationen gebracht; teilweise mussten Verbände Kredite aufnehmen, um Ge- hälter der Trainer oder Angestellten bzw. Wettkampfge- bühren zahlen zu können. Ich bin der Meinung, das darf sich nicht wiederholen. Hier muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Bescheide frühzeitig zugestellt werden und die Fördermittel zu Jahresbeginn bereitste- hen. Zu kritisieren ist auch, dass die mit den einzelnen Sportverbänden getroffenen Zielvereinbarungen wie Ge- heimpapiere unter Verschluss gehalten werden. Allein schon aus Transparenzgründen ist es unabdingbar, dass der Steuerzahler erfährt, welcher Sportverband wofür wie viel Fördermittel erhält. Erstaunlich ist im Übrigen, welche früheren Forderun- gen urplötzlich unter den Tisch gefallen sind und nicht im Entschließungsantrag der Koalition stehen: Über Jahre hat die FDP mehr Geld für Sportstätten gefordert. Kaum an der Regierung – schon vergessen. Über Jahre hat die FDP gefordert, dass der Sport ins Grundgesetz aufge- nommen wird. Kaum an der Regierung – schon verges- sen. Schade, Chance verpasst! Dagmar Freitag (SPD): Der 12. Sportbericht der Bundesregierung lässt unseren Blick zurückgehen auf den Zeitraum 2006 bis 2009; also eine Zeit, in der Deutschland ohne ständiges Gezänk, sondern weitge- hend geräuschlos und verlässlich von der Großen Koali- tion regiert wurde. Diese Verlässlichkeit findet sich konsequenterweise auch im 12. Sportbericht wieder. Neben der Sicherstel- lung einer stabilen Finanzierung des Spitzensports auf hohem Niveau im Einzelplan 06 oder der Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe wurden beispielsweise auch die Ansätze im Einzelplan 05 des Auswärtigen Am- tes von 2 768 Millionen Euro in 2006 auf 5 272 Millionen Euro hochgefahren: Ausdruck der großen Wertschätzung des Sports auch auf dem Feld der Krisenprävention oder beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen durch den damaligen Außenminister Steinmeier. Über die Mittel- kürzungen von Schwarz-Gelb in diesem und anderen Be- reichen werden wir uns bei der Debatte zum 13. Sportbe- richt dann ausführlicher unterhalten. „Größter und unverzichtbarer Förderer des Sports ist die Öffentliche Hand“, heißt es auf Seite 17 des Berichts – richtig! Der Steuerzahler als Hauptsponsor; da sollte man doch meinen, dass Parlament und Bundesregierung als seine Vertreter auch Rechte gegenüber dem Zuwen- dungsempfänger hätten. Gab es im 10. Sportbericht ne- ben dem unstrittigen Verweis auf die Autonomie des Sports noch den Hinweis, dass sich „für den Sport als Bestandteil der Gesellschaft insbesondere da Konse- quenzen ergeben, wo die Vergabe öffentlicher Mittel an die Einhaltung gesetzlich normierter Rahmenbedingun- gen geknüpft ist“, finden wir seit 2006 unter Punkt 5.1 nun folgende Kernformulierung: „Jede sportpolitische Maßnahme muss in Anerkennung der Unabhängigkeit und des Selbstverwaltungsrechts des Sports erfolgen, der sich selbst organisiert und seine Angelegenheiten selber regelt“; von denkbaren Konsequenzen ist hingegen keine Rede mehr. Dass solch eine Formulierung just im Jahr 2006, kurz nach Gründung des DOSB, den Weg in den Sportbericht der Bundesregierung fand, ist aber sicher nur ein zeitlicher Zufall. Glücklicherweise muss man sich diese Lesart der Bundesregierung nicht zu eigen machen, schon mal gar nicht als Parlamentarier. Bereits seit Jahren diskutieren wir über die Wege zu einer erfolgversprechenden und effektiven Dopingbe- kämpfung. Der Weg dahin ist steinig, und die bisherigen Schritte können aus unserer Sicht nur Zwischenetappen sein. Die Verschärfung der gesetzlichen Vorschriften im Jahr 2007 war nur ein kleiner Schritt, ein großer Wurf scheiterte an unserem Koalitionspartner und der massi- ven Einflussnahme durch den organisierten Sport. Aller- spätestens nach der Evaluation dieser Maßnahmen wer- den wir die Diskussion über weitere Maßnahmen wieder auf der Tagesordnung haben, da bin ich sicher. Dieser Sportbericht sollte erstmalig auch einen Blick in die sportpolitische Zukunft werfen. Hierzu gehört auch die Entwicklung der Nationalen Anti Doping Agentur – finanziell wie strukturell. Welche Maßnahmen der Bundesregierung sind vorgesehen, um die NADA bei wachsenden Aufgaben zu stärken? Wie sieht die Bundesregierung den starken Einfluss des Sports auf die NADA? Hierzu finde ich nichts im Bericht – aber diesen und anderen Fragen im Kampf um einen sauberen Sport dürfen wir uns nicht entziehen. Dass wir uns dieser Auf- gabe stellen, kann ich für meine Fraktion versichern. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Die FDP-Frak- tion im Deutschen Bundestag begrüßt, dass im 12. Sport- bericht der Bundesregierung die Bedeutung des Sports in all seinen Facetten dargelegt wird – vom Breitensport bis zum Spitzensport. Der Bericht selbst stellt vorrangig die Maßnahmen der Sportpolitik des Bundes dar, dokumen- tiert aber auch, dass Bund, Länder und Kommunen als Gesamtheit wirken müssen, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Waren frühere Berichte eher vergangenheitsbe- zogen, so ist der 12. Sportbericht der Bundesregierung nunmehr erstmalig auch mit konkreten Planungen und Perspektiven versehen, wie das Niveau des Spitzen- sports in Deutschland gehalten werden soll. So ist die Unterstützung für die Olympiabewerbung Münchens 2018 ein zukunftsweisender Schritt, um Deutschland als Gastgeber großer Sportveranstaltungen noch mehr zu etablieren. Die Begeisterung, die dabei von Fans und Aktiven gleichermaßen getragen wird, schweißt zusammen und lässt jede Integrationsdebatte viel leichter erscheinen. Daher fordern wir die Bundesre- gierung auf, die Olympiabewerbung Münchens 2018 auch weiterhin kraftvoll zu unterstützen sowie die sich bietenden Chancen der Sportentwicklung, der olympi- schen Erziehung, der ökologischen Vereinbarkeit und Nachhaltigkeit, der Integration und der Völkerverständi- gung zu nutzen. Die ablehnende Haltung der Grünen be- kräftigt deren Haltung als Dagegen-Partei. Und dabei zeichnet sich dieses Bewerbungskonzept sehr vorbild- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9525 (A) (C) (D)(B) lich dadurch aus, dass es mit seinem Umweltkonzept auch klare Bekenntnisse zu diesen Fragen enthält. Aber auch hier haben sich die Grünen wie bei Stuttgart 21 alle vorherigen Überlegungen aus dem Kopf geschlagen und rennen nur noch ihrer Wahlkampfstrategie hinterher. Doch ist der Sport nicht nur wichtig für die Gesund- heit, das Wohlbefinden und die Integration, sondern auch für die Wirtschaft. Man schätzt, dass der Sport als Wirt- schaftsfaktor einen Anteil von 1 bis 3 Prozent zum Brut- toinlandsprodukt der EU-Mitgliedstaaten beiträgt. Daher begrüßen wir auch das gemeinsame Vorgehen von BMI und BMWi bei der Initiative „Sport und Wettbewerb“. Eine Anpassung der europäischen Wettbewerbsregeln an sportrelevante Sachverhalte ist dringend notwendig, um Rechtssicherheit zu schaffen und die Finanzierung des Breitensports, die zum Teil auch aus Einnahmen der Ver- bände stammt, zu sichern. Von unschätzbarem Wert ist auch das ehrenamtliche Engagement für das Sportsystem in Deutschland. Bedau- erlicherweise ist die Anzahl freiwillig Engagierter in Sportvereinen rückläufig, dennoch entspricht deren Ar- beitsleistung einer jährlichen Wertschöpfung von 6,6 Mil- liarden Euro. Das ist beachtenswert! Diesen engagierten Bürgern gebührt unsere Anerkennung und unser Dank. Um erfolgreich Sport zu treiben und auch im interna- tionalen Vergleich wettbewerbsfähig zu sein, müssen ausreichende Trainingsmöglichkeiten vorhanden sein. Wir wollen die Erhaltung der Trainingsanlagen in unse- ren Bundesstützpunkten und unserer Wettkampfpro- gramme. Dies sollte territorial ausgewogen sein, sodass eine möglichst große Anzahl an Regionen von der An- siedlung profitiert. So haben wir zum Beispiel in Ober- hof und Ruhpolding große Stadien, in denen unter ande- rem die Biathlonwettbewerbe ausgetragen werden, die mehrere Tausend Zuschauer anlocken. Den Sport zu den Menschen zu bringen und neue internationale Wettbe- werbe durchzuführen, das ist ein wichtiges Instrument zur Gewinnung neuer Sportler. Dass das funktioniert, zeigen Veranstaltungen wie der Parallelslalom in Mün- chen und der Biathlon auf Schalke. Doch hat der Sport auch seine Schattenseiten. Wir müssen weiterhin unablässig Doping bekämpfen. Das ist die Grundlage für die Chancengleichheit im Sport. Die NADA hat dabei meiner Meinung nach eine weltweite Vorreiterrolle eingenommen. Es fehlt jedoch nach wie vor an einer besseren internationalen Abstimmung der Dopingbekämpfung. Ohne diese Abstimmung und An- gleichung wird auch die Chancengleichheit verschoben. Das müssen wir ändern. Entwicklungsmöglichkeiten ha- ben wir auch, wenn es um die duale Karriere unserer Spitzensportler geht. Das funktioniert bei der Bundes- polizei und beim Zoll zum Beispiel recht gut. Diesen Weg müssen wir weiter ausbauen. Wir müssen uns Ge- danken darüber machen, wie wir dies über Sponsoring, eventuell auch mit Wirtschaftsunternehmen aufbauen können. Dass der Sport nunmehr auch im Lissabon-Vertrag in seiner gesellschaftlichen Bedeutung gewürdigt wird, be- grüßen wir ausdrücklich, jedoch ist die Beachtung und Wahrung der Autonomie des Sports auch weiterhin uner- lässlich, gerade in juristischer Hinsicht. Die Sportge- richtsbarkeit ist auf jeden Fall zu erhalten, sonst gehören übersichtliche und faire Wettkämpfe der Vergangenheit an. Die Entschließungsanträge der Opposition, die sich auf rein formal-strukturelle Aspekte der Gliederung des Sportberichts beschränken, haben aus meiner Sicht zum Teil die Form einer Alibiveranstaltung. Korruptionsbe- kämpfung wird durch andere Behörden durchgeführt. Die von der SPD eingebrachten Änderungsanträge sind ausführlich beraten worden bzw. finden sich in der Glie- derung wieder. Aus diesen Gründen lehnen wir diese Anträge ab. Frank Tempel (DIE LINKE): Der vorliegende Sport- bericht der Bundesregierung stellt fest – das möchte ich ganz vorn anstellen –, dass unsere Republik sowohl im Breitensport als auch im Spitzensport einiges aufzuwei- sen hat. Das kann auch ruhig einmal gelobt werden. Von einem Bericht der Bundesregierung erwarte ich aber mehr als nur die einseitige Betrachtung positiver Bilan- zen. Selbstzufriedenheit bedeutet Stillstand, und Still- stand ist häufig der erste Schritt zurück. Ist denn wirk- lich alles super und das war’s dann? Muss ein solcher Bericht nicht noch viel stärker erkannte Probleme auf- zeigen? Muss er nicht auch Aufgabenstellungen für die Politik auflisten und die Differenzen zwischen Gewoll- tem und Erreichtem untersuchen? Die Fraktion Die Linke möchte bei aller Würdigung des Erreichten die Gelegenheit nutzen, noch einmal ei- nige Aufgaben für die Zukunft aufzuzählen. Im Bericht wird auf die Entwicklung der Mitgliederzahlen in den Vereinen eingegangen. Was fehlt, ist die Frage, inwie- weit der Zugang zum Sport, zu den Sportvereinen, jedem Bürger möglich ist. Wie sieht es denn für Bürger mit ge- ringem Einkommen aus? Wie sieht es ganz besonders für die Kinder und Jugendlichen in einkommensschwa- chen Familien aus? Ist es nicht so, dass ihre Möglichkei- ten nach wie vor stark eingeschränkt sind? In Ihrem Be- richt spielt diese Frage überhaupt keine Rolle. Ich hoffe, dass dies im aktuellen Vermittlungsausschuss zum Harz-IV-Regelsatz und zum Bildungspaket eine Rolle spielt! Bisher hat man davon allerdings nichts gehört. Es geht aber nicht nur um die Zugangsmöglichkeiten für Einkommensschwache. Wie sieht es mit den Mög- lichkeiten für Menschen im ländlichen Raum oder für Menschen mit Behinderungen aus? Sehen sie dort keine Probleme? Ist da alles gut und fertig? Ich weiß ja, dass fast alle von Ihnen auch aktiv in ihren Wahlkreisen un- terwegs sind. Es wird Ihnen im Kontakt mit den Verei- nen doch aufgefallen sein, dass die Baustellen noch rie- sengroß sind. Die Zuständigkeit ist hier sehr schnell auf die Ländern geschoben. Es wurde aber in den letzten Jahren durchaus gezeigt, dass auch der Bund seinen An- teil leisten kann, wenn die politische Bereitschaft dazu vorhanden ist. Die größten Defizite liegen in den neuen Bundesländern. Auf Seite 129 im Sportbericht finden sie solche Zahlen: In Baden-Württemberg sind rund 35 Pro- zent der Bevölkerung im Deutschen Olympischen Sport- bund (DOSB) organisiert, in Thüringen rund 16 Prozent, 9526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) ebenfalls rund 36 Prozent in Rheinland-Pfalz, in Sachsen nur rund 13 Prozent. Im Bericht finden Sie Zahlen, aber keine Erklärung dafür. Immerhin war es richtig und not- wendig mit dem „Goldenen Plan Ost“ diese Defizite ab- zubauen. Marode Sportstätten sollten hier saniert wer- den. Der Gedanke war richtig, und es sind auch Ergebnisse da. Laut Ihrem Bericht ist dieser Plan nun 2009 ausgelaufen. „Ersatzlos gestrichen“ ist da doch wohl etwas präziser. Die Bezeichnung „ausgelaufen“ lässt den Eindruck entstehen, die Aufgabe sei erfüllt. Das wollen Sie doch aber nicht ernsthaft behaupten?! Alleine in meinem Landkreis kann ich Ihnen genü- gend Beispielen von maroden Sportstätten nennen. In ei- ner Stadt ist es die Kegelbahn, die wegen baulicher Män- gel keine Spielzulassung erfährt, in einer anderen Stadt ist es nicht möglich, für einen Fußballverein mit sechs Kindermannschaften, einer Frauenmannschaft, zwei Männermannschaften und einem Altherrenteam wenigs- ten einen zusätzlichen Bolzplatz für das Training zu be- kommen. Die Kommunen und Länder fühlen sich finanziell zu einer Lösung nicht mehr in der Lage, und im Bericht der Bundesregierung findet all dies keine Er- wähnung. Ich sage es nochmal: Es ist wirklich schon einiges er- reicht worden, und es gibt viele Länder, die sich deut- sche Möglichkeiten in der Sportentwicklung wünschen. Wenn das aber so bleiben soll, muss aber auch von allen Seiten etwas dafür getan werden. Investitionen in den Breitensport, insbesondere in den Kinder- und Jugend- sport, rentieren sich für die Gesellschaft mehrfach. Ich rede von Gesundheitspolitik, von Sozialpolitik und ganz sicher auch von Kriminalprävention. Ich rede von der Wichtigkeit funktionierender Vereinsstrukturen mit al- lem dazugehörigen Ehrenamtsengagement für das Zu- sammenleben in unseren Städten und Gemeinden. Ich fordere deswegen nochmals im Auftrag meiner Fraktion: Der Goldene Plan muss wieder aufgenommen werden und auf die strukturschwachen Regionen der al- ten Bundesländer ausgeweitet werden! Die Arbeit der Vereine gerade mit hohem Nachwuchsanteil muss unbe- dingt durch einen öffentlichen Beschäftigungssektor ge- fördert werden. Mit dieser personellen Unterstützung könnte auch eine Begleitung der Programme gegen Rechtsextremismus erreicht werden. Es ist gut, dass es viele solcher Programme gibt – aber das Problem selbst ist doch noch nicht behoben. Der Bericht erweckt den falschen Eindruck, man habe alles im Griff, aber so weit sind wir noch lange nicht. Der Sportbericht der Bundesregierung muss in Zu- kunft mehr leisten als nur Selbstlob. Wir wollen weiter- kommen, weiterentwickeln – und dazu gehört eben auch ein Bericht über die Probleme und Herausforderungen. Das Ziel muss bleiben, jedem Bürger in diesem Land ei- nen einfachen Zugang zum Sport zu ermöglichen. Ein vollständiger Bericht muss zeigen, wie weit wir davon noch entfernt sind. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich zunächst einige grundsätzliche Bemer- kungen zum 12. Sportbericht der Bundesregierung ma- chen. Aus meiner Sicht ist es gut, dass wir den Bericht haben. In solcher Art und Ausführlichkeit gib es dies in keinem anderen Politikfeld. Ich möchte deswegen ein di- ckes Lob für die umfassende Recherchearbeit ausspre- chen, die dem zugrunde liegt. Der Sportbericht der Bun- desregierung hat mir und meinen Mitarbeitern über die Jahre immer dabei geholfen, über die Situation im Sport auf dem Laufenden zu sein und Bilanz zu ziehen. Er- wähnen möchte ich, dass sich der Sportbericht über die Jahre entwickelt und zum Positiven verändert hat. Er ist mittlerweile sehr neutral und sachlich, was ich schätze. Perfekt ist er aber noch immer nicht. In zukünftigen Sportberichten der Bundesregierung sollten Probleme in verschiedenen Bereichen deutlich thematisiert und mög- liche Lösungsalternativen aufgezeigt werden. Wir Sport- politiker haben dann zwischen dem einen oder dem an- deren zu entscheiden. Beispielhaft hierfür stehen die Probleme bei der Na- tionalen Anti Doping Agentur (NADA), bei der es in kurzer Zeit zu viele Geschäftsführerwechsel gab und die Organisationsstruktur offensichtlich nicht optimal war. Auch die unzulängliche Dopingprävention von der Bun- desregierung über die NADA bis zu den Ländern und Verbänden, nach wie vor ein Stiefkind, will ich an dieser Stelle erwähnen. Willensbekundungen alleine reichen nicht aus. Hier muss deutlich mehr kommen, und ich er- warte Vorschläge der Regierung, wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll. Auch sollte aufgezeigt werden, wie die Länder, der organisierte Sport und die Wirtschaft besser einbezogen werden können. Ein anderes Beispiel sind, die Vorgänge in der Sport- medizin in Freiburg, die im Kapitel „Dopingbekämp- fung“ beschrieben werden. Es wird erwähnt, dass keine Bundesmittel berührt worden sind, und damit war Schluss. Hier würde ich mir wünschen, dass dort auch steht: Der Fall Freiburg hat gezeigt, dass es strukturelle und diverse andere Probleme gab. Die Politik muss sich nun darüber Gedanken machen, wie sie in Zukunft ver- hindern kann, dass etwas Ähnliches nochmals geschieht und wie oder welche Kontrollmechanismen eingebaut werden müssen. Dann die Studie „Kiggs“ zur Fitness und Bewegung von Kindern und Jugendlichen: Anfang 2001/2002 gab es die Überlegung, diese zu unterstützen. Sie ist im Sportbericht auch aufgearbeitet worden, und es wird da- rauf hingewiesen, dass die Studie abgeschlossen worden ist. Mich interessiert aber auch: Wo und wie geht es wei- ter? Haben wir als Sportausschuss hierzu einen Hand- lungsbedarf oder ein eigenständiges Interesse, müssen wir das unterstützen oder überlassen wir das dem Ge- sundheitsministerium? Ein eigenes Kapitel, in dem alle vier Jahre über den Fitness- und Gesundheitszustand von Kinder- und Jugendlichen berichtet wird, ist wünschens- wert. Insgesamt brauchen wir noch mehr Ehrlichkeit und weniger Schönfärberei. Nur so kommen wir auf Dauer weiter. Vieles ist zwar schon gut oder über die Jahre gut geworden. Aber es gibt weiterhin viel zu tun. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9527 (A) (C) (D)(B) Eine Bemerkung noch zum Kapitel über Sport, Um- welt und Natur. Dieser Bereich ist im Sportausschuss eher nebensächlich, fällt im Sportbericht aber erfreuli- cherweise relativ ausführlich aus und zeigt, dass im Be- richtszeitraum viel passiert ist, was ich ausdrücklich gut- heiße. Leider existiert der „Beirat für Umwelt und Sport“ seit einem Jahr nur noch auf dem Papier. Die Bundesregierung hat ihn seitdem nicht mehr einberufen. Dies ist eines der vielen Versäumnisse dieser Regierung. Ich würde gerne wissen, wie ernst man das wirklich nimmt. Wann wird der „Beirat für Umwelt und Sport“ wieder ins Leben gerufen? Der Sportbericht ist für uns gewissermaßen auch ein Arbeitsbuch mit Aufträgen für die nächsten Jahre. Ich sehe diesbezüglich klare Schwerpunkte weiterhin im Anti-Doping-Kampf. Hier muss unter anderem eine bes- sere Präventionsstrategie und -praxis erarbeitet werden. Es genügt nicht die WADA-Kriterien formaljuristisch zu erfüllen. Wir wollen den Geist eines sauberen, manipula- tionsfreien Sports bis in den letzten Winkel der Sport- welt getragen sehen. Unter Manipulation fällt allerdings nicht nur Doping. Eine bisher stark unterschätzte Gefahr ist der Wettbetrug und die Korruption. Nach Expertenmeinungen haben wir hier bisher nur die Spitze des Eisberges gesehen. Im Ver- gleich zu anderen Bereichen der Gesellschaft, in denen ähnlich viel Geld bewegt wird, muss man davon ausge- hen, dass da noch viel Unentdecktes unter der Oberflä- che lauert. Die besonderen Strukturen im Sport – häufig mit alten Seilschaften und engen persönlichen Kontakten der Beteiligten – lassen viel Raum für Fantasie. Immer wieder kommen ja auch Fälle von Korruption und per- sönlicher Bereicherung ans Tageslicht – in großem Aus- maße bisher vornehmlich im internationalen Bereich. Es wäre jedoch naiv, zu denken, dass wir in Deutschland auf einer Insel der Glückseligen leben. Aus diesem Grund fordern wir in unserem Antrag, in zukünftigen Sportberichten ein eigenes Kapitel mit der Berichterstat- tung darüber zu machen, was im Bereich der Verbände, von Landesregierungen, Bundesregierung sowie auf in- ternationaler Ebene getan wird, um Korruption und Ma- nipulation zu bekämpfen. Weitere Initiativen in dieser Hinsicht bereiten wir vor. Es wäre auch wünschenswert, von der Bundesregierung Vorschläge in dieser Richtung zu hören. Erfreulicherweise äußerte sich der Vertreter des Bundesinnenministeriums im Sportausschuss äu- ßerst wohlwollend zu unserem Antrag, sodass wir davon ausgehen, dass unsere Anregung aufgenommen wird und im nächsten Sportbericht ihren Niederschlag findet. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: „Wir wissen, dass Sport für die Aktivierung und den Zusammenhalt einer modernen Gesellschaft unverzichtbare Beiträge leistet und dass Deutschland auf großartige Traditionen und Leistungen im Sport verweisen kann, die es zu bewahren und zu ent- wickeln gilt.“ Dies ist der erste Satz des Koalitionsver- trages zum Thema Sport. Er könnte aber auch zugleich das Motto des 12. Sportberichts der Bundesregierung sein. Dieser gibt einen umfassenden Überblick über die Sportpolitik in den Jahren 2006 bis 2009. Zudem richtet er – aufgrund des Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges vom 5. Juni 2010 – erstmals den Blick nach vorn. Der Sportbericht zeigt eindrucksvoll, dass die Sportpoli- tik nicht nur eine Sache des Sportministeriums ist. Na- hezu alle Ressorts leisten bedeutsame Beiträge. Ich möchte mich heute auf einige Eckpunkte des 12. Sportberichts beschränken, da wir den Bericht im Sportausschuss ausführlich beraten haben. Wir blicken auf erfolgreiche Jahre der Sportförderpolitik zurück und wollen dies in Zukunft so fortsetzen. Im Mittelpunkt steht entsprechend der Zuständigkeit des Bundes die Spitzensportförderung. Die wichtigste Voraussetzung ist, für eine solide fi- nanzielle Förderung des Spitzensports auf hohem Ni- veau zu sorgen. Die Sportförderung der Bundesressorts betrug im Be- richtszeitraum circa 832 Millionen Euro. Aus dem Etat des BMI mit rund 559 Millionen Euro konnte der vom DOSB im Jahr 2007 vorgelegte Stufenplan „Zur Zu- kunftsfähigkeit der Spitzensportförderung in Deutsch- land“ in den wesentlichen Punkten umgesetzt werden. Ich bin sicher, dass wir auch künftig im internationalen Sport eine führende Rolle unter den Sportnationen ein- nehmen werden. lm Koalitionsvertrag finden wir den Hinweis auf die duale Karriere, die auch Spitzensportlern mit Behinde- rung ermöglicht werden soll. Dieses Ziel konnten wir bereits umsetzen. Ab diesem Jahr gibt es einen Stellen- plafond im Umfang von zehn Stellen, um Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung den Zugang zu einer „dualen Karriere“ zu ermöglichen. Eine unbestrittene Schlüsselaufgabe für Politik und Gesellschaft ist die Integration. Auch hier leistet der Sport bereits einen wichtigen Beitrag. Wir haben in der Vergangenheit – nicht zuletzt bei der Fußball-WM in Südafrika – immer wieder erleben können, wie gegen- seitiges Verständnis und Respekt über kulturelle, sprach- liche und soziale Grenzen hinweg aufgebaut werden konnten. Die Bundesregierung hat bereits seit 1989 das vom BMI finanzierte Programm „Integration durch Sport“ umgesetzt. Im Berichtszeitraum wurde das Pro- gramm erneut mit einer beträchtlichen Summe unter- stützt. Wir Sportpolitiker fühlen uns neben der Begeisterung für den Sport auch dafür verantwortlich. Entwicklungen entgegenzutreten, die die Werte des Sports gefährden. Die Bundesregierung setzt daher konsequent ihre Linie fort, nur in einen sauberen Sport zu investieren, in dem Doping und Betrug keinen Platz haben. Auf diesem Gebiet sind wir im Berichtszeitraum ein großes Stück vorangekommen. Wir haben konsequente Anti-Doping- Arbeit geleistet und eine für manchen Verband schmerz- hafte Überprüfung durchgeführt. Dies ist national und international gewürdigt worden. Unser Augenmerk wer- den wir künftig noch stärker auf die Präventionsarbeit richten. Der im Jahr 2009 unterzeichnete Nationale Do- pingpräventionsplan muss nun mit Leben gefüllt wer- den. 9528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) Daneben werden wir das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport bis Oktober 2012 evaluieren. Dabei wird ein wissenschaftlicher Sachver- ständiger einbezogen, der im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag noch bis Mitte dieses Jahres be- stellt werden wird. Auch im Sport sagen wir dem Rechtsextremismus den Kampf an. Vorgestern wurde in Berlin das „Hand- lungskonzept zur Förderung von Toleranz und Mensch- lichkeit“ vorgestellt. Ich bin davon überzeugt, dass Sport und Politik auch bei diesem Thema auf einem guten ge- meinsamen Weg sind. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die mit Span- nung erwartete Entscheidung über die Bewerbung Mün- chen 2018 eingehen. Mit der Abgabe des Bid Books ist der Kampf um die Winterspiele 2018 nun in die ent- scheidende Phase getreten. Die Bundesregierung unter- stützt die Bewerbung auf nationaler und internationaler Ebene. Die drei Weltmeisterschaften in Bayern in die- sem Winter sind glänzende Plattformen, Deutschland im Vorfeld der IOC-Entscheidung international zu präsen- tieren. So hoffen wir alle darauf, dass am 6. Juli 2011 in Durban der Startschuss für ein „Wintermärchen 2018“ fällt. Die Begeisterung für den Sport und seine Werte ver- eint uns alle, und der 12. Sportbericht zeichnet davon ein eindrucksvolles Bild. Ich habe mich sehr darüber ge- freut, dass der Bericht im Sportausschuss fraktionsüber- greifend als Gewinn für den Sport gelobt wurde. Wir werden die eingebrachten Anregungen der Fraktionen für den nächsten Sportbericht aufgreifen. So werden wir einen eigenen Abschnitt zum Thema „Dopingbekämp- fung“ aufnehmen und auch die Ergebnisse der „World Games“ angemessen darstellen. Für ihren fachkundigen Einsatz, aber auch für manche durchaus lebhafte, aber immer konstruktive Diskussion im Berichtszeitraum möchte ich mich ganz herzlich hier bei allen Mitstreitern für den Sport bedanken. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nichtstaatliche mili- tärische Sicherheitsunternehmen registrieren und kontrollieren (Tagesordnungspunkt 12) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Seit 20 Jahren, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, ist nicht nur unsere Gesellschaft von Veränderungen und Umwälzungen betroffen, sondern im besonderen Maße auch unser Verständnis von Sicherheitspolitik. Ein sichtbarer Höhe- punkt dieser Transformation ist die anstehende Umstruk- turierung der Bundeswehr, die eine erhebliche Reduzie- rung von Soldatinnen und Soldaten und hoffentlich auch Beamtinnen und Beamten der Bundeswehr mit sich bringt. Es wäre falsch, die Reform allein auf den personellen Abbau zu reduzieren, Ziel ist vielmehr, die Streitkräfte und die Bundeswehrverwaltung auf die mannigfaltigen sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit im Sinne eines vernetzten Ansatzes auszurichten. Vernetzte Sicherheit ist die Kunst, umfassend zivile staatliche und nichtstaatliche Akteure, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen der Entwicklungszusam- menarbeit, Polizei und Militär zu orchestrieren, um poli- tische Ziele im Vorfeld von Krisen oder in Umsetzung eines Mandats der Vereinten Nationen in Krisengebieten zu erreichen. Es sind nicht nur militärische, sondern vor allem ge- sellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen, die die sicherheitspolitische Entwicklung bestimmen. Sicherheit wird deshalb weder rein national noch allein durch Streitkräfte gewährleistet. Wesentlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in vernetz- ten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusst- sein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist. In diesen oft asymmetrischen Konfliktszenarien kommt es in wachsendem Maße parallel zu militärischen und zu zivilen Kriseninterventionen. Dabei sehen sich militärische und zivile Akteure immer stärker mit Über- schneidungen ihrer Handlungsfelder und der Notwen- digkeit zur Abstimmung und Kooperation konfrontiert. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund Kostendrucks und Sparmaßnahmen Aufgaben zunehmend an private Militär- und Sicherheitsunternehmen, PMSU, übertragen werden. Wir erkennen ein sprunghaftes Wachstum sol- cher Unternehmen. Die Gefahr dieser Privatisierung ist, dass solche Organisationen staatlicher und parlamentari- scher Kontrolle und dem staatlichen Gewaltmonopol entzogen sein können. Deshalb müssen wir unsere Auf- merksamkeit auf diese Unternehmen richten. Ich danke an dieser Stelle den Kollegen der SPD für diesen Antrag, darüber hinaus gilt aber meine besondere Anerkennung unserem Kollegen Ruprecht Polenz, der bereits 2004 diese Problematik thematisiert hat und ver- antwortlich dafür war, dass wir in der 16. Wahlperiode einen Konsens erzielen konnten. Auf dieser Basis sollten wir weiterarbeiten. Beleuchten wir den großen Umfang, in dem die US- amerikanischen Streitkräfte gegenwärtig auf PMSU zu- rückgreifen, dann wird deutlich, dass wir in Deutschland noch weit von eben diesen Maßstäben entfernt sind, die selbst in den Augen des US Departments of Defense ein „nie gekanntes Maß an Abhängigkeit von zivilen Ver- tragsnehmern“ angenommen haben. Für uns gilt: Wehret den Anfängen! Das staatliche Gewaltmonopol, demokra- tisch legitimiert und kontrolliert, darf nicht aufgeweicht werden. In den USA hat diese Unternehmensbranche in- nerhalb der letzten Dekade eine außergewöhnlich hohe Bedeutung für die militärischen Einsätze der Vereinigten Staaten von Amerika gewonnen. PMSU werden ein be- deutsames Element in den internationalen Beziehungen und im internationalen Konfliktgeschehen bleiben, ihre Bedeutung wird, wenn wir nicht aufmerksam sind, noch weiter zunehmen. Worauf kommt es an? Zunächst ist es wichtig, solche Unternehmen, deren Auftrag in der Durchsetzung politi- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9529 (A) (C) (D)(B) scher oder wirtschaftlicher Ziele mithilfe militärischer Gewalt besteht – Söldner –, rechtlich und politisch strikt abzugrenzen von Unternehmen, die Sicherheitsdienst- leistungen anbieten, bei denen Gewalt keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Beispiele hierfür sind zahlreiche Dienstleistungen im Objekt- oder Personen- schutz oder bei der Ausbildung. Also: nicht alles „über einen Kamm scheren“. Zweitens brauchen wir dringender denn je einen ge- eigneten Rechtsrahmen mit Überprüfbarkeit und klaren Einsatzkriterien. Es bedarf einer strengen Differenzie- rung nach Aufgabenschwerpunkten, um hier ein „Ber- muda-Dreieck“ zu vermeiden von moralischen Aspek- ten, internationalen Erfordernissen in Krisengebieten und dem nachvollziehbaren Gewinnstreben privater Sicherheitsfirmen. Während für meine Fraktion ein Söldnereinsatz in Krisengebieten abzulehnen ist, kann eine Sicherheits- partnerschaft bei humanitären Einsätzen oder bei der Ausbildung lokaler Sicherheitskräfte unter bestimmten Umständen durchaus sinnvoll und vorteilhaft für alle Seiten sein. Vorausgesetzt, dritter Punkt, eine entspre- chende Zertifizierung des Unternehmens und verlässli- che Überprüfungskriterien liegen vor. Viertens unterstreichen wir die Forderungen unseres Antrags aus der 16. Wahlperiode, das Wirken nichtstaat- licher militärischer Sicherheitsfirmen stärker zu kontrol- lieren. Wir fordern die Einführung einer Registrierung von privaten militärischen Sicherheitsunternehmen, eine Mitteilungspflicht der Vertragsabschlüsse, die Einfüh- rung eines Lizensierungssystems für militärische Dienst- leistungen von Unternehmen, um eine Kontrolle der „Dienstleistungen“ ausüben zu können. Fünftens halte ich folgende weitere Kriterien für sinn- voll: Die Firmen sollten die Verträge mit ihrem Personal offenlegen: denn nur dort und nicht in Stellungnahmen und Pressemitteilungen wird stehen, was die „Military Contractors“ im Ausland wirklich tun sollen bzw. für was sie bezahlt werden. Dass solche Überprüfungen und Controllinginstrumente jedoch ein schwieriges und kos- tenintensives Unterfangen sind, ist angesichts der Kom- plexität der Einsätze und der Tatsache, dass private Sicherheitsfirmen oft in Grauzonen operieren, offen- sichtlich. Sechstens muss eine enge Abstimmung mit den poli- tischen Interessen des Entsendestaates erfolgen; insbe- sondere dann, wenn private Sicherheitsfirmen von Auf- traggebern aus der Krisenregion beauftragt werden. Ein bedeutungsvolles Geschäftsfeld für private Si- cherheitsunternehmen wird sicher der Ausbildungssek- tor sein, Entminungen sind es ja bereits. Fest steht, dass eine enorme Bandbreite von Aktivitäten privater Sicher- heitsfirmen besteht, die es zu kontrollieren und bei Bedarf auch einzuschränken gilt. Mir geht es um eine wirksame Kontrolle der Zusammenarbeit und der Unter- nehmen und um angemessene Sanktionierungsmöglich- keiten. Darüber müssen wir im Ausschuss beraten. Der Mangel an Transparenz kann durch verschiedene For- men von Kontrolle aufgehoben werden. Es fehlen bisher vergleichbare Kontrollmechanismen mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten. Ein Verbot würde die stärkste Form einer Regulation dieser Branche darstellen. Aller- dings würde hierdurch außer Acht gelassen, dass auch kommerzielle Firmen wichtige Beiträge für das Gemein- wohl leisten können. Hierbei sei zum Beispiel auf einen Einsatz im Rahmen von humanitärer Hilfe oder Land- minenbeseitigung hingewiesen. Dementsprechend er- scheint ein generelles Verbot solcher Unternehmen als wenig sinnvoll, eine Feststellung, zu der wir bereits in der 16. Wahlperiode gemeinsam gekommen sind. Es ist notwendig, national und international möglichst einheitliche Genehmigungs- und Registrierungsverfah- ren zu schaffen. Sicherheitsunternehmen müssen sich zuvor registrieren lassen, um überhaupt tätig werden zu dürfen. Auf dieser Grundlage von unternehmens- und transaktionsbezogener Aufsicht könnten in Zukunft die Tätigkeiten kontrolliert werden. Die unternehmensbezo- gene Aufsicht kann jedoch die transaktionsbezogene bzw. projektbezogene Kontrolle und gegebenenfalls Ge- nehmigung nicht ersetzen. Für eine projektbezogene Kontrolle der militärischen Sicherheitsunternehmen muss zunächst ein detaillierter Katalog von Dienstleis- tungen erstellt werden. Dieser Katalog müsste in Pro- blemlagen auf die jeweilige aktuelle Situation und ge- plante Dienstleistung flexibel anwendbar sein. Ist dieses Instrument geschaffen, muss es weiterhin möglich sein, die Genehmigung mit bestimmten Auflagen zu verse- hen. Anschließend muss ein Gremium geschaffen wer- den, welches die Einhaltung der beschriebenen Tätigkei- ten überprüft. Um die Belastung einer Kontrollinstanz oder -behörde in einem erträglichen Rahmen zu halten, sollte die Möglichkeit gegeben sein, bei Dienstleistun- gen von geringem Risiko, wie etwa Instandhaltungs- dienstleistungen, nur eine Meldepflicht vorzuschreiben. Somit schlage ich vor, den Antrag der SPD, dem wir in weiten Teilen zustimmen können, um folgende Punkte zu ergänzen: Zertifizierung der Unternehmen, bevor sie als Auftragnehmer infrage kommen. Ferner muss geklärt werden, unter welchen Rahmenbedingungen die Bun- deswehr oder die deutsche Polizei in Auslandseinsätzen mit Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten soll, die statt Soldaten oder Polizisten Angehörige privater Militär- oder Sicherheitsorganisationen in gemeinsame Vorhaben, Operationen und Projekte entsenden. Und schließlich sollten zumindest bis zum Vorliegen ausrei- chender Daten Verträge mit privaten Sicherheitsunter- nehmen mit Beträgen auch unter einer 1 Million Euro zur Kenntnis gegeben werden. Henning Otte (CDU/CSU): Bereits zur Zeit der gro- ßen Koalition im Jahr 2009 haben wir in einem mit gro- ßer Mehrheit des Deutschen Bundestages verabschiede- ten Antrag festgestellt, dass nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen einer verbesserten Kontrolle und Lizenzierung unterzogen werden müssen. Der uns nun vorliegende Antrag der SPD lehnt sich sehr eng an den Konsens aus der 16. Wahlperiode an. Insofern bietet ihr Antrag wenig Neues. 9530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) Private Sicherheits- und Militärunternehmen, PSMU, sind zwischenzeitlich vermehrt Gegenstand politischer und öffentlicher Kritik. Daher besteht in der Tat Hand- lungsbedarf, wenn es um die Kontrolle dieser Unterneh- men geht. Skandale wie der um die Firma Blackwater haben uns gezeigt, dass immer häufiger Konflikte und militärische Operationen in die Hände Privater gegeben werden, die sich offenbar nicht an das humanitäre Völ- kerrecht halten wollen. Daher ist der Forderung der SPD-Fraktion, einen Genehmigungsvorbehalt für die Weitergabe von technischem und militärischem Know- how für private militärische Sicherheitsunternehmen einzuführen, grundsätzlich nichts entgegenzusetzen. Al- lerdings sagen Sie weder, wer die Genehmigung erteilen soll, noch, wer dann wie informiert wird. Auch scheinen Aspekte der Haftung bzw. der rechtliche Aspekt im ak- tuellen Antrag der SPD nicht maßgeblich zu sein. Ihr Antrag ist zumindest in dieser Hinsicht wenig hilfreich. Damit Unternehmen in einem klaren rechtlichen Rah- men agieren können, fordern wir auch klare Haftungsbe- dingungen sowie Regelungen zur Verfolgung bei mögli- chen Straftaten. Seit dem Ende des Kalten Krieges befindet sich un- sere Bundeswehr in einem Reformprozess, der sich ge- rade in einer entscheidenden Phase befindet. Die damit einhergehende Verkleinerung der Streitkräfte darf aber nicht als Grund für die von der SPD negativ bewertete Ausweitung der Beauftragung privater Sicherheitsunter- nehmen herangezogen werden. Die aktuelle Reform dient dazu, mit effizienteren Strukturen arbeiten zu kön- nen. So wird es möglich sein, mehr Soldaten für den Auslandseinsatz bereitzuhalten. Damit kann auch der Ei- genschutz im Einsatz verbessert werden, ohne vermehrt auf Unternehmen zurückgreifen zu müssen. Das schließt aber nicht aus, dass wir weiterhin die Unterstützung vor allem von Unternehmen im Bereich des Transports und der Logistik brauchen, aber auch der einfachen Siche- rung. Diese Aufgaben gehören nicht zum Kernbereich der Bundeswehr und schon gar nicht zu der auch von Ih- nen geforderten Attraktivitätssteigerung. Somit wird keine Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols be- trieben. Auch müssen wir genau unterscheiden, welche Unternehmen dieser Kontrolle unterzogen werden sol- len; denn Unternehmen, die nur logistische Dienstleis- tungen wie den Transport von militärischen Gütern ab- wickeln, aber nicht in die Konflikte selbst hineingezogen werden, sollten nicht für die Skandale in Haftung ge- nommen werden, die andere verursacht haben. Es darf nicht sein, dass wir Firmen schädigen, die zum Beispiel die Bundeswehr bei ihren wichtigen Auslandseinsätzen unterstützen. Wer hier seriöse Dienstleistungen erbringt, darf nicht vom Gesetzgeber allein gelassen oder gar ver- boten werden. Auch haben wir in der Vergangenheit gute Erfahrun- gen mit der Sicherung von Bundesliegenschaften im In- und Ausland gemacht. Diese Aufgabe gehört ebenfalls nicht zum eigentlichen Kernbereich der Bundeswehr. Beschwerden im Zusammenhang mit rechtlichen Über- tritten hat es nicht gegeben. Selbstverständlich müssen sich Soldaten selbst schützen können. Aber unsere Sol- daten haben eine wichtigere Funktion, als einfache Wachaufgaben zu übernehmen. Wir alle haben die Ver- pflichtung, mit den Steuergeldern sorgsam umzugehen. Unsere Soldaten durchlaufen eine komplexe Ausbildung und sollen entsprechend dieser Ausbildung eingesetzt werden. Hierauf gründet sich auch ihre internationale Anerkennung, die es hier einmal hervorzuheben gilt! Es wird Zeit, dass nichtstaatliche militärische Sicher- heitsunternehmen kontrolliert und registriert werden. Ein Verschieben des Problems ist keine Lösung. Ansons- ten würden diese Unternehmen weiterhin in einer Art Grauzone agieren. Ich stelle fest: Es ist wichtig, einen parteiübergreifenden Konsens zu erzielen, der einen ge- meinsamen Antrag ermöglicht. Wir appellieren, sich dem nicht zu widersetzen. Um diesen Konsens zu erzie- len, schlagen wir eine Überweisung des Antrags an den Auswärtigen Ausschuss vor. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Seit dem Ende des Ost- West-Konfliktes ist eine zunehmende Privatisierung des Krieges zu beobachten. Gewalt geht heute meist von pri- vaten Akteuren und Gruppen unterhalb der Schwelle des Nationalstaates aus. Auch wenn die Entstaatlichung des Krieges im Bewusstsein vieler noch überwiegend mit der Herrschaft von Kriegsfürsten und Warlords in Afrika und Afghanistan verbunden ist, erlebt auch der „Westen“ eine zunehmende Privatisierung seines Kriegshand- werks. Private Sicherheitsunternehmen sind heute Teil der modernen Kriegsführung und des Wiederaufbaus in Postkonfliktgesellschaften. Nicht nur Regierungen und Firmen, sondern auch die Entwicklungszusammenarbeit und Nichtregierungsorganisationen nehmen vermehrt nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen in Anspruch. Diese haben seit dem Ende des Kalten Krie- ges einen wahren Boom erfahren und sind heute welt- weit tätig. Etwa 300 solcher Firmen haben mehrere Zehntausend Mitarbeiter im Irak, in Afghanistan, in Süd- amerika und in vielen Ländern Afrikas im Einsatz. Auf 250 Milliarden Euro schätzen Fachleute den Jahresum- satz solcher Firmen weltweit. Der Schwerpunkt ihrer Tä- tigkeit liegt im logistischen Bereich, umfasst aber auch Bereiche wie den Personen- und Objekt- sowie den Kon- voischutz, Ausbildung und Training von Sicherheitskräf- ten, technische Dienste und die Informationsgewinnung. Kunden dieser nichtstaatlichen Sicherheitsunternehmen sind vor allem staatliche Institutionen, internationale Or- ganisationen, aber auch Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftsunternehmen. Angesichts international begrenzter staatlicher Ressourcen und der fortschreiten- den Technologisierung und Spezialisierung militärischer Aufgaben ist künftig mit einem weiteren Anstieg der Nachfrage nach Leistungen privater militärischer Sicher- heitsdienste zu rechnen. In Deutschland sind nach Angaben der Bundesregie- rung über 2 500 private Sicherheitsunternehmen tätig. Das Tätigkeitsfeld deutscher Sicherheitsfirmen umfasst bislang vor allem logistische Aufgaben, Dienstleistun- gen im technischen Bereich, aber auch die Übernahme von sogenannten nichtmilitärischen Wachfunktionen. Die Abschaffung der Wehrpflicht und die damit verbun- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9531 (A) (C) (D)(B) dene Reduzierung der Bundeswehr wird voraussichtlich zu einer verstärkten Inanspruchnahme von privaten Dienstleistern und damit auch von privaten militärischen Sicherheitsunternehmen im In- und Ausland führen. Afghanistan und Irak haben sich in den letzten Jahren zum Arbeitsplatz für nichtstaatliche militärische Sicher- heitsunternehmen entwickelt. Und der Druck der Öffent- lichkeit wächst, die regulären Truppen endlich nach Hause zu holen. Im August letzten Jahres hat US-Präsi- dent Obama das Ende der Kampfhandlungen im Irak be- kannt gegeben und angekündigt, dass bis Ende 2011 alle amerikanischen Truppen das Land verlassen haben sol- len. Und auch in Afghanistan soll noch dieses Jahr mit dem Abzug der amerikanischen und deutschen Streit- kräfte begonnen werden. Dabei sind in beiden Ländern längst nicht nur Soldaten im Einsatz, sondern auch Tau- sende private Militärdienstleister. Das US-Außenminis- terium hat nach dem Abzug der Kampftruppen angekün- digt, die Zahl seiner privaten Wachleute im Irak auf etwa 7 000 zu verdoppeln. Zwischen 25 000 und 50 000 An- gehörige von privaten in- und ausländischen Sicherheits- firmen sollen allein in Afghanistan tätig sein, von denen 19 000 allein für das US-Militär Aufträge übernommen haben. Der Trend zur Privatisierung ist also in vollem Gange, ungeachtet aller Kritik der Öffentlichkeit. In Af- ghanistan stehen die privaten Sicherheitsfirmenunter- nehmer zudem dem Aufbau afghanischer Sicherheits- kräfte, besonders der Polizei, im Weg. Denn warum sollte sich ein junger Afghane zur Polizei melden, wenn er einen deutlich besser bezahlten Job bei einer Sicher- heitsfirma kriegen kann? Neben zunehmender Kritik an den Auswüchsen und Missständen gab es in den letzten Jahren auch eine Reihe von Kontroll- und Regulierungsversuchen. So hat der Europarat im Juni 2009 auf der Grundlage eines umfang- reichen Berichts eine Reihe von Forderungen aufgestellt, um auch auf nationaler Ebene Regulierungen dieser Fir- men zu erreichen. Weltweit gibt es allerdings nur wenige Länder, in denen bislang spezielle Gesetze zur Überwa- chung, Regulierung und Begrenzung der Tätigkeit von privaten militärischen Sicherheitsfirmen geschaffen wurden. Nichtstaatliche Sicherheitsunternehmen bewegen sich dennoch nicht im rechtsfreien Raum. Nationale und in- ternationale Normen zum Schutz der Zivilbevölkerung gelten trotz der genannten Durchsetzungsschwierigkei- ten auch für private Sicherheitsunternehmen. Ihre völ- kerrechtliche Einordnung nach den Zusatzprotokollen zur Genfer Konvention, besonders ihr Kombattantensta- tus, ist jedoch strittig. Auch die 1989 von der General- versammlung der Vereinten Nationen verabschiedete Konvention gegen die Rekrutierung, Verwendung, Fi- nanzierung und Ausbildung von Söldnern ist nur be- grenzt auf diese Firmen anwendbar. Sie geht von einer Unterscheidung aus, die auf der einen Seite den guten freiwilligen Kämpfer kennt, der für seine Sache kämpft, und auf der anderen Seite den unehrenhaften Söldner, der aus materiellen Gründen kämpft. Beide Typisierun- gen treffen auf die Angestellten dieser Firmen kaum zu, sodass aus völkerrechtlicher Sicht Regulierungslücken bestehen. Ein erster Versuch auf zwischenstaatlicher Ba- sis, die Rechtsstellung nichtstaatlicher Sicherheits- und Militärfirmen zu konkretisieren, ist das im September 2008 von 17 Ländern verabschiedete Montreux-Doku- ment, bei dem es sich allerdings nicht um einen verbind- lichen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Zu den Unter- zeichnenden gehört neben den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Afghanistan unter anderem auch Deutschland. Erste Versuche, dies auf internationaler Ebene zu er- reichen, laufen somit bereits. Auch die Sicherheitsunter- nehmen haben reagiert und freiwillige Verhaltenskodizes aufgestellt. Freiwilligkeit ist jedoch im Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten Dienstleistungen nicht die op- timale Lösung. Hier bedarf es auch international der Transparenz und vor allem Rechtssicherheit. Bis zu einer sicheren Rechtslage ist es aber noch ein weiter Weg. Die Bundesregierung hat bei der Beantwortung entsprechen- der Fragen aus dem Parlament bis zum Sommer 2010 die Auffassung vertreten, dass nach ihren bisherigen Er- kenntnissen die bestehenden Vorschriften im EG-Sank- tionsrecht, Gewerberecht und Außenwirtschaftsrecht ausreichen, um „Sicherheitsunternehmen mit militäri- schen Absichten wirksam zu begegnen“. Auf Nachfra- gen hat die Bundesregierung schließlich eingeräumt, dass ein weiterer Handlungsbedarf geprüft werden müsse. Ressortübergreifend soll über den Handlungs- und Regelungsbedarf im nationalen und internationalen Bereich eine Verständigung erzielt werden. Es ist bemer- kenswert, dass die Bundesregierung erst auf Drängen des Parlaments zu einer Überprüfung des entsprechen- den Regelungsbedarfs bereit war. Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihrer Pflicht ohne weitere Aufforde- rung nachkommt und den Bundestag zeitnah über die Prüfergebnisse unterrichtet. Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen zu registrieren und zu kontrollieren, ist das Ziel des An- trags der SPD-Fraktion. Darin wird unter anderem gefor- dert auf nationaler Ebene eine Registrierungspflicht für private Sicherheitsfirmen und Militärdienstleister, die in Deutschland ihren Sitz haben, ein Lizenzierungssystem für militärische Dienstleistungen von Unternehmen so- wie einen Genehmigungsvorbehalt für die Weitergabe von technischem und militärischem Know-how privater militärischer Sicherheitsunternehmen einzuführen. Weiterhin soll dem Bundestag ein jährlicher Bericht sowohl über die in der Bundesrepublik ansässigen als auch über ausländische private militärische Sicherheits- unternehmen vorgelegt werden, deren Dienstleistungen die Regierung oder ihr nachgeordnete Behörden im Aus- land in Anspruch nehmen. Vor dem Hintergrund der ge- planten Bundeswehrreform und der damit einhergehen- den Reduzierung des Streitkräfteumfangs muss das Parlament darüber informiert werden, in welcher Form und in welchem Umfang die Regierung das Engagement privater Sicherheitsunternehmen im In- und Ausland be- absichtigt. Auf internationaler Ebene fordern wir die Bundesre- gierung dazu auf, die internationale Konvention gegen die Rekrutierung, Verwendung, Finanzierung und Aus- bildung von Söldnern von 1989 zu ratifizieren und bei 9532 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) den Vereinten Nationen darauf hinzuwirken, die der VN- Konvention zugrunde liegenden Begrifflichkeiten zu spezifizieren, um eine konkrete, zeitgemäße, auch auf private militärische Sicherheitsunternehmen anwendbare Norm zu schaffen. Darüber hinaus sollten die bestehen- den Völkerrechtsinstrumente zum Söldnertum durch weitere eigenständige völkerrechtliche und nationale Re- gelungen ergänzt werden, insbesondere durch eine inter- nationale Registrierung der privaten militärischen Unter- nehmen, eine internationale Einrichtung zur Kontrolle der privaten militärischen Unternehmen und der von ih- nen abgeschlossenen Verträge, die beim UN-Sonderbe- richterstatter über das Söldnertum angesiedelt sein sollte sowie die Einführung von Sanktionsmöglichkeiten ge- genüber den privaten militärischen Sicherheitsunterneh- men und deren Auftraggebern. Ich freue mich über die Signale aus den anderen Frak- tionen, auf der Grundlage unseres Antrags zu diesem wichtigen Thema interfraktionell eine Position zu erar- beiten. Dies würde dem Thema auf jeden Fall das nötige Gewicht geben, das ihm zusteht. Lassen Sie uns deshalb diesen Antrag möglichst rasch umsetzen und gemeinsam der Öffentlichkeit vorstellen. Es besteht in jedem Fall Handlungsbedarf. Denn neue Staaten aufbauen zu wol- len, indem ihre innere wie äußere Sicherheit zum Teil entstaatlicht wird, erscheint zunehmend als ein Wider- spruch in sich. Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Private Sicherheitsorga- nisationen sind heute weltweit tätig. Die Auslagerung bestimmter Aufgaben in nichtstaatliche Unternehmen hat auch in der Außen- und Sicherheitspolitik Einzug ge- halten. Dieser Trend hat sich seit dem Ende des Ost- West-Konfliktes stetig verstärkt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Ein wesentlicher Grund ist das gestiegene Sicherheitsbedürfnis von Be- hörden, internationalen Organisationen und Unterneh- men, von Politik und Gesellschaft. Was wir hier heute vor allem debattieren, ist daher meines Erachtens nach nicht die Notwendigkeit der Aus- lagerung staatlicher Aufgaben. Vielmehr müssen wir uns im Hinblick auf die weltweiten Entwicklungen endlich um ein umspannendes Regelungswerk kümmern. Wir müssen im Parlament darüber debattieren, in welchem rechtlichen Rahmen wir den Wandel im Verhältnis zwi- schen Nationalstaat und Militär einbetten müssen. Nur wenn wir sämtliche möglichen Konsequenzen im Vor- feld ausführlich analysieren und bewerten, kann diese Herausforderung angenommen werden. Dabei ist eine verantwortungsvolle Ausgestaltung unbedingt notwen- dig. Es stellt sich die Frage nach den Rechten und dem Rechtsstatus der in bewaffneten Konflikten beteiligten privaten Sicherheitsunternehmen. Vor allem die welt- weite Tätigkeit privater Sicherheitsunternehmen macht die Lageanalyse um ein Vielfaches komplizierter. Allein in Afghanistan waren bis vor kurzem mehr als 19 000 private Sicherheitskräfte im Einsatz. Aus diesem Grund ist eine Beschränkung auf nationale Richtlinien nicht sonderlich zielführend. Allerdings gilt auch für die deutschen Richtlinien: Es gibt bisher kein Gesetz im deutschen Rechtsraum, das explizit die Aktivitäten nichtstaatlicher militärischer Sicherheitsunternehmen abschließend regelt. Hier be- steht erkennbar Handlungsbedarf. Von daher möchte ich der SPD danken für diesen gu- ten vorliegenden Antrag. Viele konstruktive Vorschläge werden hier unterbreitet, ob es um eine Registrierungs- pflicht und ein Lizenzierungssystem geht oder um die Kontrolle der Weitergabe von technischem und militäri- schem Know-how. Diese Gedanken müssen wir uns ma- chen. Ich freue mich schon auf die inhaltlichen Beratun- gen zu diesem wichtigen zukunftsträchtigen Thema. In den kommenden Debatten muss dafür gesorgt wer- den, dass internationale Institutionen aktiv werden – und auch dies wird angesprochen im vorliegenden Antrag. Besonders die Vereinten Nationen sehe ich hier in der Pflicht. Ja, wir müssen unseren Einfluss geltend machen und auf die Spezifizierung der in den VN-Konventionen verwendeten Begrifflichkeiten hinwirken. Sicherlich müssen auch die bestehenden völkerrechtlichen Instru- mente durch eigenständige Regelungen ergänzt werden. In Deutschland stehen wir erst am Anfang einer De- batte, die international schon hohe Wellen geschlagen hat. Mit diesem Antrag als Diskussionsgrundlage gehen wir gut gerüstet in die tieferen thematischen Beratungen im Ausschuss. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit den demokratischen Fraktionen hier im Hause eine zukunfts- fähige Lösung in der Frage nach einem angemessenen Umgang mit privaten Sicherheitsunternehmen finden werden. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Der vorliegende SPD-Antrag ist vor allem ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Als die SPD im Juni 2009 noch an der Regie- rung beteiligt war, wurde ein ähnlicher Antrag vom Bun- destag angenommen. Er wurde aber von der eigenen Re- gierung nicht umgesetzt! Das ändert allerdings nichts daran, dass für die Linke kein Zweifel besteht, dass Bun- destag und Bundesregierung endlich eine Antwort auf die Risiken der Auslagerung von militärischen Dienst- leistungen finden müssen. Viel zu lange schon starrt man in Deutschland gebannt auf den ICE der Privatisierung militärischer Dienstleistungen, ohne die Weichen richtig zu stellen, die nur in eine Richtung weisen können: in Richtung Verbot! So richtig daher die SPD-Initiative ist, so falsch ist die Halbherzigkeit, mit der sich die SPD diesem Thema an- nimmt. Ein Ja zur Regulierung, ein Ja zur Kontrolle, ein Ja zur internationalen Koordination reichen einfach nicht aus. Die Konflikte im Irak, in Afghanistan, aber auch schon früher Kolumbien, Sierra Leone oder Angola ha- ben doch deutlich gemacht, wie gefährlich der Einsatz privater Militärfirmen ist, wie unkontrollierbar das Ge- schäftsgebaren privater Akteure in Konflikten ist. Diese Firmen untergraben das staatliche Gewaltmonopol, höh- len das Völkerrecht aus, schaffen Abhängigkeiten und tragen vor allem zur Konflikteskalation in fast allen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9533 (A) (C) (D)(B) Kontinenten bei. Nun liebäugeln deren Interessenver- bände sogar damit, Aufträge der Vereinten Nationen für niedrigschwellige Friedensmissionen zu bekommen! Die US-Streitkräfte und das State Department kämp- fen derzeit mit dem Vermächtnis der unter Reagan be- gonnenen Privatisierung militärischer Dienstleistungen. Im Irak und in Afghanistan haben die USA massiv auf diese privaten Anbieter gesetzt. Im Irak waren zeitweise sogar genauso viele private Angestellte mit militäri- schem Auftrag unterwegs wie US-Soldaten. Es kam zu Tötungen von Zivilisten, die Abhängigkeit der US- Streitkräfte von diesen Dienstleistungen wuchs, kompli- zierte Vertragswerke und dubiose Unterauftragnehmer begünstigten Korruption und Destabilisierung. Jetzt grü- belt man in den USA, wie man die Büchse der Pandora wieder schließen kann. Aber das wird schwerfallen. Soll auch Deutschland, soll die Bundeswehr diesen Weg beschreiten? Die Antwort der SPD lautet wohl lei- der: Ja! – Natürlich ein wenig regulierter, kontrollierter und transparenter. Der Antrag liest sich wie ein Déjà-vu. Solche Hoffnungen hat man auch schon in Bezug auf die Kontrolle von Rüstungsexporten und der Rüstungsindus- trie gehegt. Wie die Realität aussieht, weiß jeder: Deutschland gehört zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt, der Schutz der Geschäftsinteressen der Rüs- tungsindustrie steht über allem und außerhalb der Kon- trolle des Bundestages. Dieser Fehler darf bei den militä- rischen Dienstleistungen nicht wiederholt werden. Diese Art von Unternehmen sind noch undurchschaubarer als die Rüstungsindustrie: verschachtelte Unternehmens- strukturen, rotierendes Personal, nicht kontrollierbare In- teressenverflechtungen usw. Glauben Sie wirklich, dass Sie wegen möglicher Kriegsverbrechen oder anderer Vergehen die Geschäfts- führung, den gesamten Vorstand und Aufsichtsrat einer privaten Militärfirma vor einen nationalen oder interna- tionalen Strafgerichtshof zitieren können? Eher meldet das Unternehmen Insolvenz an bzw. gründet sich neu: Aus Raider wurde Twix, aus Blackwater wurde Xe. Noch sind die Aktivitäten von deutschen Firmen wie der Asgaard German Security Group in Somalia oder der BDB Protection GmbH in Libyen Einzelfälle. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, den Firmen, die militärische Dienstleistungen anbieten, in Deutschland einen Markt- zugang zu verschaffen. Die Bundeswehr hat immer wie- der erklärt, militärische Dienstleistungen nicht auslagern zu wollen. Weiß die SPD mehr? Es ist vielmehr an der Zeit, klar zu machen, dass Deutschland nicht Heimat für Unternehmen ist, die militärische Dienstleistungen auf den Schlachtfeldern anbieten wollen, und dass sich alle deutschen Staatsbürger strafbar machen, die für diese Firmen solche Dienstleistungen erbringen. Die Linke wird entsprechende Initiativen in den Bun- destag einbringen, und hoffentlich wird es gelingen, in den Ausschüssen auch die anderen Fraktionen zur Ein- sicht zu bewegen, dass auch in Zukunft das Gewaltmo- nopol in Deutschland nicht weiter angetastet werden darf, und dass dem modernen Söldnertum auf den heuti- gen Kriegsschauplätzen ein Riegel vorgeschoben wird. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In dieser Legislaturperiode debattieren wir jetzt zum ersten Mal über das Problem der unzureichenden Regulierung von privaten Sicherheitsfirmen, und ich begrüße grundsätz- lich den Antrag der SPD, der uns dazu heute vorliegt. Allerdings hat es in den vergangenen Jahren zu diesem Thema schon etliche solcher Anträge und Anfragen in unterschiedlichen Konstellationen gegeben. In der letz- ten Legislaturperiode gab es einen Antrag der CDU/CSU und SPD, in dem bereits einige Verbesserungen bei der Kontrolle nichtstaatlicher militärischer Sicherheitsunter- nehmen eingefordert wurden. Ein Gesetzentwurf wurde aber bis heute nicht vorgelegt, obwohl das Problem im- mer größere Ausmaße annimmt. Private Sicherheitsfirmen sind weltweit im Dienste von Staaten, internationalen Organisationen, Unterneh- men und Privatpersonen im Einsatz. Ihre Tätigkeiten rei- chen von Wach- und Schutzaufgaben über Logistik und Wartungsarbeiten bis hin zur Durchführung militärischer Operationen. Auch im Rahmen der militärischen Auf- klärung und Informationsgewinnung sind solche Unter- nehmen tätig. Die USA setzen im Irak und in Afghanis- tan mittlerweile mehr privates Militärpersonal ein als amerikanische Soldaten. Allerdings sind auch deutsche Sicherheitsunternehmen im Ausland tätig. Nach 2003 ar- beiteten sogar ehemalige deutsche Soldaten für ausländi- sche Sicherheitsfirmen, wie Blackwater im Irak, obwohl die deutsche Regierung diese Intervention ablehnte. Die Privatisierung militärischer Fähigkeiten unter- gräbt das staatliche Gewaltmonopol. Das ist besonders in fragilen Ländern mit einer schwach ausgeprägten staatlichen Struktur gefährlich. In bewaffneten Konflik- ten unterliegen private Sicherheitsunternehmen als juris- tische Personen nicht einmal dem humanitären Völker- recht. Jede natürliche Person, die aktiv an einem bewaffneten Konflikt teilnimmt, ist an das humanitäre Völkerrecht gebunden und kann sich gegebenenfalls strafbar machen, nicht aber das Unternehmen, für das diese Person arbeitet. Diese Konstellation war bei der Vereinbarung der Genfer Konvention und ihrer Zusatz- protokolle nicht vorgesehen und ist damit eindeutig eine Regelungslücke. Auch die Söldnerdefinition des Zusatzprotokolls fin- det auf Angehörige von privaten Sicherheitsfirmen nur selten Anwendung, weil sie sehr eng gefasst ist. Trotz- dem wäre es ein wichtiges Zeichen, wenn die Bundesre- gierung endlich die Söldnerkonvention von 2001 ratifi- zieren würde! Einen Grund, warum dies bislang nicht geschehen ist, haben wir auch auf mehrfache Nachfrage bis heute nicht erfahren. Ziel einer gesetzlichen Regulierung privater Sicher- heitsunternehmen muss es sein, die Einhaltung humani- tären Völkerrechts zu gewährleisten und Aktivitäten zu verhindern, die nicht im Einklang mit den menschen- rechtlichen und friedenspolitischen Interessen Deutsch- lands stehen. Umfassende Registrierungs- und Lizensie- rungspflichten – wie sie die SPD vorschlägt – sind ein erster Schritt hin zu einer besseren Kontrolle privater Si- cherheitsfirmen. Ebenso begrüße ich die Forderung nach 9534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) regelmäßigen Berichten über die Aktivitäten dieser Un- ternehmen. Einen wesentlichen Kritikpunkt habe ich dann aller- dings doch an diesem Antrag: Militärische Sicherheits- dienstleister sollten wir im deutschen Inland nicht regis- trierungspflichtig machen, sondern schlicht verbieten! Privates Militär ist weder mit unserem Waffenrecht noch mit der Gewerbeordnung vereinbar, und das soll auch unbedingt so bleiben! Für Sicherheitsdienstleistungen, die nicht der militärischen Kategorie unterfallen, gibt es allerdings großen Regelungsbedarf, wenn diese Leistun- gen im Ausland erbracht werden sollen. Wir halten es für dringend erforderlich, den Export solcher Dienstleistun- gen in das Außenwirtschaftsgesetz aufzunehmen. Wo das Handeln mit Waffen den Frieden gefährdet, tut dies erst recht das Benutzen einer Waffe! An dieser Stelle bleibt Ihr Antrag leider unklar. Solange es auf internationaler Ebene kein bindendes Vertragswerk gibt, sind die Nationalstaaten gefragt, pri- vate Sicherheitsfirmen durch innerstaatliches Recht ef- fektiv zu binden. Zum Erlass solcher Regelungen hat sich Deutschland mit dem Dokument von Montreux vom 17. September 2008 verpflichtet. Dieser Verpflichtung ist Deutschland bis heute nicht nachgekommen. Meine Fraktion wird in Kürze hierzu eine Große Anfrage ein- bringen. Keinesfalls ausreichend sind in diesem Zusam- menhang freiwillige Selbstverpflichtungen der entspre- chenden Branche. Wer zu Hause auf nationaler Ebene keine effektive Regulierung vorweisen kann, kann auch international nicht glaubwürdig verhandeln. Sollten sich Bestrebungen zu einem interfraktionellen Vorgehen ab- zeichnen, sind wir gerne bereit, unsere Vorstellungen und konkreten Gesetzesänderungsvorschläge mit einzu- bringen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsver- fahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfah- ren (Tagesordnungspunkt 13) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Stel- len Sie sich vor, Sie brechen sich bei einem Unfall auf dem Weg ins Büro einen Arm und das Nasenbein. Es vergehen neun Jahre, bis rechtskräftig über einen An- spruch auf Schadenersatz gegen die Haftpflichtversiche- rung des Unfallgegners entschieden wurde. Es verrinnen weitere 15 Jahre, in denen es der Justiz in den verschie- denen Instanzen nicht gelingen will, über die Höhe des Schadenersatzes abschließend zu entscheiden. Dieser und andere Sachverhalte lagen dem Europäi- schen Gerichtshof für Menschenrechte in den vergange- nen Jahrzehnten aus den verschiedensten Mitgliedstaa- ten vor. Dies nahmen die Straßburger Richter bereits im Jahr 2000 zum Anlass, ihre Rechtsprechung dahin ge- hend zu ändern, die Europäische Menschenrechtskon- vention als verletzt anzusehen, wenn gerichtliche Ver- fahren eine unangemessene Dauer aufweisen und den Betroffenen kein wirksames Rechtsmittel dagegen zur Verfügung gestellt wird. Dem Straßburger Gerichtshof lag im September letz- ten Jahres ein Fall aus der Bundesrepublik zur Entschei- dung vor, in dem der Beschwerdeführer nach 13 Jahren auf eine rechtskräftige Entscheidung zur Neuerteilung eines Waffenscheins warten musste. Wenn man sich die Umstände des Falls vor Augen führt, aufgrund derer der EGMR nun die Bundesrepublik binnen Jahresfrist zur Schaffung eines wirksamen Rechtsmittels auffordert, so wird deutlich, dass es hier nicht allein um das zentrale Verfahrensgrundrecht der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes geht: Der Beschwer- deführer betreibt ein Personenschutzunternehmen. Es fällt daher nicht schwer, eine Betroffenheit seines Grundrechts auf freie Berufsausübung nach Art. 12 GG festzustellen. Auch andere Freiheitsrechte stehen hier im Fokus: In einem anderen prominenten Fall, der im Herbst 2000 entschieden wurde, verbrachte der Beschwerdeführer wesentliche Teile des als überlang empfundenen Verfah- rens in Untersuchungshaft. Insgesamt sind in allen Fäl- len also ganz wesentliche Grundrechte betroffen. Des- halb verlangt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von der Bundesrepublik, dass wir die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für einen effekti- ven Rechtsschutz schaffen. Neben Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verpflichtet uns Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention dazu. Auf der anderen Seite steht mit der Gestaltung und Leitung des Gerichtsverfahrens auch die richterliche Un- abhängigkeit auf dem Spiel. Es sind damit unterschiedli- che grundgesetzlich geschützte Rechte und Grundsätze betroffen, die in praktische Konkordanz gebracht werden müssen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht gilt: Bei der Ausge- staltung des Rechtsmittels müssen wir einerseits die Qualität eines tatsächlich wirksamen Rechtsmittels errei- chen, ohne andererseits dem missbräuchlichen Einsatz Tür und Tor zu öffnen. Dabei ist mir die Missbrauchsge- fahr, die ein solch umfassendes, die Gerichtsbarkeiten übergreifendes Rechtsmittel mit sich bringt, bewusst. Die Verzögerungsrüge mit anschließender Entschädi- gungsklage könnte schnell zum Massenphänomen wer- den. Schließlich könnten Rechtsanwälte allein aus Haf- tungsgesichtspunkten regelmäßig veranlasst sein, die Rüge gewissermaßen „pro forma“ zu erheben, um für spätere Entschädigungsklagen nicht präkludiert zu sein. Natürlich muss das Rechtsmittel auch so ausgestaltet sein, dass es sich nicht selbst negativ auf die Dauer des Ausgangsverfahrens auswirkt. Deshalb ist es richtig, dass das Gericht nicht notwendig zu einer förmlichen und begründeten Entscheidung verpflichtet ist. Hier soll- ten wir aber meines Erachtens prüfen, die Eingabe, mit der die Verzögerung geltend gemacht wird, um ein Be- gründungserfordernis, wie es beispielsweise vom Deut- schen Richterbund gefordert wird, zu ergänzen. Nur auf diese Weise kann den Verfahrensbeteiligten konstruktiv Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9535 (A) (C) (D)(B) angezeigt werden, woran die gewünschte Fortsetzung scheitert. Gerade aus der Richterschaft höre ich, dass Verfahren oftmals daran kranken, dass Parteien, Sachverständige und das Gericht sich nicht hinreichend über den Fort- gang des Verfahrens und etwaige Hindernisse und Hür- den austauschen. Ihre Erfahrung ist, dass man oftmals über lange Zeiträume hinweg zwar die Dauer des Ver- fahrens kritisiert, ohne sich gemeinsam über die Gründe zu verständigen. Dem Mangel der unzureichenden Kom- munikation könnte durch eine konkrete Begründung zu- mindest entgegengewirkt werden. Wenn sich eine lange Dauer abzeichnet, müssen die Beteiligten künftig ver- bessert nach Möglichkeiten suchen, wie man das Verfah- ren beschleunigen kann. Gleichermaßen müssen die Ge- richte auch in die Lage versetzt werden, deutlich zu machen, warum im speziellen Fall die Dauer eben doch noch sachgerecht ist. Zudem soll das Rechtsmittel nicht dazu führen, dass die Gerichte in einer Art vorauseilender Anpassung die Gründlichkeit zugunsten der Verfahrensbeschleunigung hintenanstellen. In den allermeisten Fällen entspricht die gerichtliche Gründlichkeit dem Interesse der Parteien. In materieller Hinsicht müssen wir noch im Einzelnen diskutieren, welche Verzögerungsgründe zur Entschädi- gung führen sollen. Klar ist, dass es dabei nicht auf das Verschulden des Gerichts ankommen soll. Deshalb soll- ten wir auch den Begriff der Rüge noch einmal überden- ken, denn damit ist zumeist assoziiert, dass ein Verschul- dungsvorwurf gegenüber dem Gericht erhoben wird. Wenn man sich die Gründe für Verfahrensverzögerungen anschaut, dann ist es in den seltensten Fällen der Spruch- körper des befassten Gerichts selbst, der eine überlange Verfahrensdauer verursacht. Auch ist es – zumindest nicht für die Fälle, über die wir heute reden – nicht etwa eine unzureichende Personalausstattung von Gerichten und Staatsanwaltschaften, die zu Verfahrenslängen von 10, 15 Jahren führt. Die dünne Personaldecke verlängert die Verfahren in der Praxis – zweifellos. Aber dabei geht es um Verzögerungen um einige Monate oder darüber, nicht jedoch um Verzögerungen von acht, neun oder mehr Jahren. Ein gängiges Phänomen ist, so wird es aus der Praxis immer wieder berichtet, dass die Einholung von Sach- verständigengutachten sich als wahre Verfahrensbremse erweist. Dass die Zahl der verfügbaren Gutachter, so bei- spielweise in komplizierten baurechtlichen Verfahren, sehr gering ist, gehört zu der Vielzahl von Gründen, wes- halb sich gerichtliche Verfahren in die Länge ziehen. Das sehen die Parteien in der Regel aber auch ein, sie ha- ben selbst ein Interesse daran, dass der Sachverständige sich die nötige Zeit zur Begutachtung nimmt. Unter wel- chen Voraussetzungen es dann einen Entschädigungsan- spruch geben soll, müssen wir noch diskutieren. Wir müssen uns angesichts der im Gesetzentwurf an- gelegten Entschädigungslösung auch mit der Frage aus- einandersetzen, ob der von der Großen Kammer des EGMR im Urteil vom Sommer 2006 erwogene präven- tive Ansatz zur Verhinderung von überlangen Verfah- rensdauern ein gangbarer Weg wäre. Ob sich die teil- weise vorgeschlagene gesetzliche Fixierung einer Untätigkeitsbeschwerde umsetzen lässt, ohne sich selbst verzögernd auf das Verfahren auszuwirken, wird zu prü- fen sein. Auch die im Entwurf unbegrenzte Höhe des Er- satzes für materielle Schäden müssen wir diskutieren. Ich will an dieser Stelle noch auf die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingehen, deren überlangem Ver- lauf künftig ebenfalls mit einer Verzögerungsrüge be- gegnet werden soll. Im Strafverfahren sind kompensato- rische Ansätze, beispielsweise in Form eines Straf- oder Vollstreckungsabschlags, bereits gerichtliche Praxis. Hier sind die Maßgaben der Art. 20 Abs. 3 GG und des Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention be- reits richterrechtlich umgesetzt worden. Vor allem in den Fällen, bei denen die Verfahren durch Einstellung oder Freispruch beendet werden, sieht der Europäische Ge- richtshof erheblichen Handlungsbedarf beim Gesetzge- ber. Auch an dieser Stelle soll nun die Verzögerungsrüge greifen und all die Fälle abdecken, in denen verzöge- rungsbedingte Nachteile nicht bereits durch Strafgericht oder Staatsanwaltschaft ausgeglichen wurden. Ob wir uns als Gesetzgeber nun tatsächlich darauf verlassen, dass die richterrechtlich entwickelten Entschädigungs- formen weiter praktiziert werden und die gesetzliche Kompensation lediglich subsidiär greift, ist ebenso zu diskutieren wie die These, nach der das richterliche Strafvollstreckungsmodell mit Inkrafttreten dieses Ge- setzes entbehrlich und damit nicht mehr angewandt werde. Gleiches gilt für die Frage, ob wir mit der Ge- währung einer Rügemöglichkeit für alle Verfahrensbe- teiligten nicht über das Ziel hinausschießen und ohne Not weiter gehen, als es der EGMR von uns verlangt. Eines können wir trotz der im Einzelfall überlangen Verfahren in die Ausschussberatungen mitnehmen: Der Rechtsschutz am Justizstandort Deutschland funktioniert vorbildlich. Dies ist nicht zuletzt im jährlich von der Weltbank herausgegebenen „Doing Business“-Bericht auch für dieses Jahr deutlich gemacht worden: Gerade im Hinblick auf die Rechtspflege bestehen danach gute Investitionsbedingungen in der Bundesrepublik. Wir re- den hier lediglich über Einzelfälle, bei denen die Um- stände des Verfahrens für die Beteiligten wirklich extrem und nicht hinzunehmen sind. Trotzdem ist es gut, dass die Gesetzesinitiative an- scheinend den Willen ausgelöst hat, auch mäßige Verzö- gerungen im Alltag der Gerichte noch einmal zu über- prüfen. So haben, wie zu hören war, einige Verwaltungen bereits die Ankündigung des Gesetzent- wurfs zum Anlass genommen, neben den üblichen „Überlängeanzeigen“ in den Gerichtsbarkeiten auch Er- hebungen zu den einzelnen Verfahrenslängen durchfüh- ren. Hier entsteht auch in einigen Landesjustizverwal- tungen ein Bewusstsein, das ich angesichts der bis- herigen Verfahrenslängen nur begrüßen kann. Abschließend möchte ich noch einen weiteren Gedan- ken in die Beratungen mitnehmen: Wir sollten prüfen, wie man beim Entschädigungsverfahren den Effekt aus- schließt, dass allein Richter über richterliches Handeln des Ausgangsverfahrens entscheiden. Ich gehe davon aus, dass nur in wenigen Fällen das Ergebnis heißen 9536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) wird, dass ein Verfahren tatsächlich als überlang zu be- werten ist und einen Entschädigungsanspruch auslöst. In den vielen Fällen, in denen Richter entscheiden, dass die Kollegen alles richtig gemacht haben, dass ein langes Gerichtsverfahren trotzdem nur als angemessen und eben nicht als überlang bewertet wird, wird das nicht im- mer die gewünschte Akzeptanz finden. Deshalb wäre es schön, an dieser Stelle nicht ausschließlich professio- nelle Richter mit der Entscheidung zu betrauen, sondern auch die Bewertung durch Laien einfließen zu lassen. In den Gerichtsbarkeiten, in denen Laienrichter im Spruch- körper integriert sind, ist dieses bürgerschaftliche Ele- ment bereits vorgesehen. Wir sollten prüfen, ob und wie man dies darüber hinaus auf die anderen jeweils zustän- digen Gerichte übertragen kann. Dr. Edgar Franke (SPD): Wir beraten heute den Ent- wurf der Bundesregierung zu dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Die mit diesem Gesetz verbundenen Maßnahmen zur Beschleunigung von Verfahren und vor allem zur Vermeidung von über- langen Verfahren werden seit langem vielfach gefordert. Lassen sie mich zunächst ein paar grundsätzliche An- merkungen machen. Worum geht es bei dem Gesetzentwurf? Mit dem Ge- setz soll eine Rechtsschutzlücke geschlossen werden. Das Gesetz gibt dem Rechtsuchenden die Möglichkeit, bei Gericht die Rüge des überlangen Verfahrens zu erhe- ben und auch eine Entschädigung hierfür zu beanspru- chen. Die Entschädigung umfasst materielle und in Ein- zelfällen auch immaterielle Nachteile. In Strafverfahren darüber hinaus sind besondere Wiedergutmachungsmög- lichkeiten vorgesehen. Über die Entschädigung sollen dann die jeweils nächsthöheren Instanzen entscheiden. Ich denke, eine Regelung ist notwendig. Bei den Pro- zessbeteiligten, insbesondere bei Klägern im Zivilpro- zess, geht oftmals das Vertrauen in den Rechtsstaat ver- loren, wenn Prozesse so lange dauern, vor allem wenn es um richtig viel Geld geht. Wenn gerade bei Mittelständ- lern eine erhebliche Forderung nicht beglichen wird, kann das oftmals für den Gewerbebetrieb eine Existenz- gefährdung bedeuten, weil dieser durch einen Forde- rungsausfall nicht selten in Liquiditätsprobleme kommt. Ein gerichtlicher Rechtsschutz ist nur dann effektiv, wenn er nicht zu spät kommt. Deshalb garantieren Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG als auch die Euro- päische Menschenrechtskonvention in Art. 6 Abs. 1 ei- nen Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit. Die Schaffung eines Entschädigungsanspruchs bei über- langen Gerichtsverfahren ist im Grundsatz zu begrüßen. Damit wird dem Gedanken des Grundgesetzes, betroffe- nen Bürgern effektiven Rechtsschutz zu gewähren, Rechnung getragen. Zum effektiven Rechtsschutz zählt nach meiner Auffassung nämlich auch die Garantie eines raschen Rechtsschutzes. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits mit einem Urteil vom 26. Oktober 2000 entschieden, dass bei überlanger Dauer gerichtlicher Verfahren neben dem Recht auf ein faires und zügiges Verfahren auch das in Art. 13 der Europäi- schen Menschenrechtskonvention verbürgte Recht auf wirksame Beschwerde verletzt sein kann. Danach muss ein betroffener Bürger die Möglichkeit haben, einen Rechtsbehelf wegen der überlangen Verfahrensdauer bei einer staatlichen Stelle einzulegen und sich damit gegen eine unangemessene Verfahrensdauer zu wehren. Bis- lang sieht die deutsche Rechtsordnung einen solchen Rechtsbehelf bei überlangen Gerichtsverfahren aus- drücklich nicht vor. Das geltende deutsche Recht hat kei- nen speziellen Rechtsbehelf bei überlanger Dauer von gerichtlichen Verfahren, wenn man einmal von der Dienstaufsichts- und der Verfassungsbeschwerde ab- sieht. Die Rechtsprechung lässt zwar kraft richterlicher Rechtsfortbildung eine außerordentliche Beschwerde, eine Untätigkeitsbeschwerde zu, aber um Rechtsbehelfs- klarheit für alle Gerichtszweige zu erzielen, erscheint eine Normierung geboten. Und dennoch, liebe Frau Ministerin Leutheusser- Schnarrenberger, besteht bei einigen Punkten aus meiner Sicht noch Klärungsbedarf. Und dennoch, liebe Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, nur eine gute Absicht zu haben, reicht nicht aus! Wichtig erscheint mir, dass ins- besondere bei der Entschädigungsregelung noch Klä- rungsbedarf besteht. Nach meiner Überzeugung ist es notwendig und richtig, dass die Entschädigung nicht erst ab dem Zeitpunkt der Erhebung der Verfahrensrüge durch den Betroffenen zu leisten ist. Nein, sie muss rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Beginns des Verfah- rens geleistet werden, damit sie auch eine präventive Wirkung bei den Gerichten entfalten kann. Aber nicht nur das: Auch würde eine solche Regelung verhindern, dass ein Anwalt wegen der zu erwartenden höheren Ent- schädigungssumme frühzeitig im Verfahren diese Rüge vorbringt. Und Sie müssen die Voraussetzungen konkre- tisieren, nach denen Entschädigungszahlungen auch dann geleistet werden, wenn die Schäden der Betroffe- nen keine Vermögensschäden sind. Nach meiner Auffassung ist der von Ihnen in den Ge- setzentwurf geschriebene Regelbedarf von 100 Euro pro Monat Verfahrensdauer in den meisten Fällen absehbar zu niedrig angesetzt. Gerade bei den von mir beschriebe- nen Fällen, wo wirtschaftliche Existenzen bedroht sind, bietet sich beispielsweise auch eine zeitliche Staffelung – zum Beispiel ab einem gewissen Zeitpunkt pro Monat 200 oder 300 Euro – an. Die vorgesehene Öffnungsklau- sel könnte beispielsweise auch entsprechend entwickelt und konkretisiert werden. Gerade auch als jemand, der in seinem Leben vor der Politik als Jurist und Bürgermeister tätig war, will ich mir erlauben, abschließend auf einige praktische Beden- ken hinzuweisen: Erstens. Wenn man den Art. 22, also die Übergangsvorschriften des Gesetzentwurfes, liest, muss man befürchten, dass mit Inkrafttreten des Geset- zes eine Flut von Verzögerungsrügen quer über alle Ge- richtszweige über die Gerichte hereinbrechen könnte, wenn auch möglicherweise zu einem guten Teil unsub- stanziiert. Zweitens. Darüber hinaus muss man befürch- ten, dass zuerst die Verfahren bearbeitet werden, in de- nen die Rüge erhoben wurde, und dann unter Umständen hierbei die Fälle zuerst, in denen die Rüge substanziiert erscheint und es beispielsweise im Zivilrecht um hohe potenzielle Schäden oder Summen geht! Das wäre dann Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9537 (A) (C) (D)(B) eine Bevorzugung der Fälle mit hohem Streitwert, und das kann nicht Sinn der Gesetzgebung sein. Drittens. Ge- nerell ist zu befürchten, dass Anträge auf Fristverlänge- rung und Terminverlegung – auch da, wo es juristisch geboten ist und sinnvoll erscheint – restriktiver gehand- habt werden, um den etwaigen Vorwürfen der überlan- gen Verfahrensdauer von vornherein den Boden zu ent- ziehen. Viertens. Schließlich gilt es zu bedenken, dass es für Gerichte bzw. Richter auch eine Rolle spielen könnte, welche Schadenersatzansprüche sie durch über- lange Verfahrensdauer ausgelösen würden. Mit anderen Worten, wir dürfen Richter auch nicht dem Vorwurf aus- setzen, lieber schnell anstatt richtig entschieden zu ha- ben. Zusammenfassend will ich feststellen, dass auch nach meiner Überzeugung der mittelbare Druck auf das ent- scheidende Gericht verstärkt wird. Insofern wird die Re- gelung präventiv eher zu einem zügigen Gerichtsverfah- ren führen. Ich bin allerdings davon überzeugt, liebe Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, dass es in jedem Fall geboten und notwendig ist, die Verfahrens- dauer auch dadurch zu verkürzen, dass Sie für eine bes- sere Ausstattung an Personal- und Sachmitteln sorgen. Auch an dieser Stelle müssen Sie zweifellos noch deut- lich nachbessern. Und, damit komme ich dann zum Schluss, wenn ich dann lese, dass das Bundesministerium für Justiz selbst davon ausgeht, dass die Schadenersatzansprüche nicht unbedingt zu Mehrbelastungen der öffentlichen Haus- halte führen, weil die Richter jetzt schneller entscheiden und im Gegenzug zukünftig die Kosten der Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegfallen, dann ist, zurückhaltend formuliert, auch an dieser Stelle noch erheblicher Klärungsbedarf. Insofern hoffe ich, dass meine Bedenken bzw. die Bedenken der SPD-Fraktion im Gesetzgebungsverfahren noch Berück- sichtigung finden können. Jens Petermann (DIE LINKE): Was lange währt, sollte besonders gut werden. Die Hinweise des Europäi- schen Gerichtshofs für Menschenrechte blieben zehn Jahre ungehört. Mehrfach wurde die Bundesrepublik Deutsch- land auf eine Lücke im deutschen Recht aufmerksam ge- macht. Wer vor einem Gericht klagt, erwartet ein Urteil in angemessener Zeit. Das verlangen auch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention. Nach zehnjähriger Untätigkeit versucht die Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf, diese Lücke zu schließen. Wie jeder sehen kann, benötigt sie dazu einen unange- messenen Zeitraum; eine Untätigkeitsrüge gegenüber der Regierung ist damit mehr als angebracht! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll für die Menschen, deren Gerichtsprozesse zu lange dauern, ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch eingeführt wer- den. Grundsätzlich ist es die Aufgabe des Staates, ausrei- chende personelle und sachliche Ressourcen zur Verfü- gung zu stellen, damit es gar nicht erst so weit kommt. Durch das nun vorgeschlagene Entschädigungsverfahren werden aber unnötig weitere Kapazitäten bei den Instanzgerichten durch Erhebung der Verzögerungsrüge sowie bei den Oberlandesgerichten durch die Entschei- dung über den Entschädigungsantrag gebunden. Dafür bleiben andere Verfahren, insbesondere Hauptsachever- fahren, liegen. Die von der Koalition angedachte Be- schleunigungswirkung wird ins Gegenteil verkehrt. Die Einführung der Entschädigungsregelung ändert nichts an dem Missstand überlanger Verfahren. Vielmehr wird die ohnehin schon überlastete Justiz zusätzlich belastet. Scheinbar gehen Sie davon aus, dass die Richterinnen und Richter im Moment noch über ausreichend freie Ar- beitszeit verfügen, um sich mit den Gründen der Verzö- gerung zu beschäftigen. Dem ist aber nicht so. Und das sage ich Ihnen aus zwanzigjähriger Erfahrung als Ar- beits- und Sozialrichter. Die einzige Gefahr, die ich mit der Einführung sehe, ist, dass die betroffenen Richterin- nen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte das jeweilige Verfahren nach Eingang einer Verzögerungs- rüge auf Kosten anderer – ebenfalls wichtiger und dring- licher Verfahren – vorziehen. Ich habe einen anderen Lö- sungsvorschlag: Sorgen Sie für eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften, geben Sie der Justiz mehr Autono- mie, dann bekommen wir die Probleme mit überlangen Gerichtsverfahren in den Griff. Die Krankheitssymp- tome zu kaschieren, ist der falsche Weg. Die eigentli- chen Ursachen dieses Phänomens werden damit jeden- falls nicht beseitigt. So wurde zum Beispiel durch Ihre verfassungswid- rige Hartz-IV-Gesetzgebung eine Prozessflut an den So- zialgerichten provoziert. 41 Gesetzesnovellen in sechs Jahren haben zum Teil zu chaotischen Zuständen in der Sozialgerichtsbarkeit und damit zu unzumutbaren Belas- tungen für die rechtsschutzsuchenden Bürgerinnen und Bürger geführt. In ihrer Not haben die Landesjustizmi- nister Ressourcen aus den anderen Gerichtsbarkeiten verlagert. Auch innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit selbst wurden Stellen zum SGB-II-bearbeitenden Be- reich zulasten der übrigen Bereiche wie Rentenversiche- rung, Krankenversicherung oder Unfallversicherung umgeschichtet. Da muss sich niemand mehr wundern, wenn ein rentenrechtliches Verfahren mit einem Antrag im Jahre 2000 beginnt, über die Instanzen acht Jahre bis zu einer Entscheidung benötigt und im Jahre 2010 mit einer Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Men- schenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer abge- schlossen wird. Derartige Beispiele lassen sich zuhauf finden, und ihre Zahl wird sich auch trotz des nun vorge- sehenen Entschädigungsanspruchs nicht signifikant ändern. Da wir gerade beim SGB II sind: Was bleibt ei- gentlich einem Hartz-IV-Empfänger, wenn er eine Ent- schädigung für ein mehrere Jahre dauerndes Verfahren zugesprochen bekommt? Wahrscheinlich nichts; denn diese wird wohl auf seine Regelleistungen angerechnet! Die gesetzliche Festlegung eines bestimmten Geldbe- trages, der Nichtvermögensschäden ausgleichen soll, lehnen wir ab. Stattdessen sollte der Betrag von 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung als Unter- grenze und nicht als fester Entschädigungsbetrag festge- legt werden. In anderen derartigen Fällen hat der Gesetz- geber es den Gerichten überlassen, den angemessenen Betrag unter Berücksichtigung aller Umstände des Ein- 9538 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) zelfalls festzusetzen. Dies ist gerade vor dem Hinter- grund der unterschiedlichen psychischen Belastungen der am Gerichtsprozess Beteiligten sinnvoll. Das Ent- schädigungsmodell soll für alle Gerichtsbarkeiten gelten und das jeweilige Oberlandesgericht soll eine Allzustän- digkeit für Entschädigungsverfahren aller übrigen Ge- richtsbarkeiten erhalten. Mir ist schleierhaft, wie Richte- rinnen und Richter am Oberlandesgericht schwierige steuerrechtliche, verwaltungsrechtliche oder arbeits- rechtliche Sachverhalte hinsichtlich einer damaligen Möglichkeit zur Beschleunigung bewerten sollen. Ir- gendwie drängt sich der Verdacht auf, dass nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ verfahren wird. Greifen Sie unsere Vorschläge auf, dann können wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Thema der überlangen Gerichtsverfahren ist von grundlegender Bedeutung für die Rechtspolitik. Der Eu- ropäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bun- desrepublik bereits in 54 Fällen verurteilt mit der Be- gründung, dass überlange Gerichtsverfahren gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Ei- nes dieser Verfahren dauerte 13 Jahre lang. Dabei stritt man sich damals nicht einmal um eine juristisch beson- ders komplexe Materie. Es ging ausschließlich um die Erteilung eines Waffenscheins. In einem anderen Fall musste ein Unfallopfer 24 Jahre auf seine Entschädigung warten. Es war von einer Radfahrerin angefahren wor- den. Dabei hatte es sich Nase und Arm gebrochen und konnte anschließend seinen Beruf nicht mehr ausüben. Derart lange Verfahren führen die Rechtssuchenden oft- mals an den Rand der Verzweiflung. Richtig ist aber auch: Die Alltagsrealität an den deut- schen Gerichten ist das nicht. Überlange Gerichtsverfah- ren sind glücklicherweise kein Massenphänomen, sie sind die Ausnahme. Deutschland weist sich im Allge- meinen durch ein gutes und funktionierendes Rechtssys- tem aus. Was schlägt nun die Bundesregierung vor, um das Problem der überlangen Gerichtsverfahren zu lösen? Die Bundesregierung will für überlange Gerichtsverfahren einen Entschädigungsanspruch einführen. Um diesen Entschädigungsanspruch durchzusetzen, muss die Klä- gerin bzw. der Kläger zuvor im Verfahren die lange Ver- fahrensdauer gerügt haben. Die Entschädigung umfasst materielle Nachteile. Sie umfasst auch immaterielle Nachteile. Dann beträgt sie 1 200 Euro pro Jahr, bei Un- billigkeit kann ein höherer oder niedrigerer Betrag fest- gesetzt werden. Wenn man sich diesen Vorschlag genauer anschaut, dann stellt man fest: Die Entschädigung für immaterielle Nachteile kann nur beansprucht werden – ich zitiere –, „soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wie- dergutmachung auf andere Weise … ausreichend ist“. „Wiedergutmachung auf andere Weise“ bedeutet: die bloße Feststellung, dass das Verfahren zu lange gedauert hat, mehr nicht. Wir fragen uns: Was bringt dem Rechtsuchenden eine solche Feststellung, die er sich dann stolz auf seinen Schreibtisch legen kann? Aus unserer Sicht nicht wirklich viel. Wir Grünen setzen uns deshalb für eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses ein. Mit anderen Worten: Jede und Jeder soll Anspruch auf eine Entschädigungs- zahlung haben, wenn ein Verfahren zu lange dauert. Nur in besonderen Fällen soll die alleinige Feststellung der überlangen Verfahrensdauer ausreichen. Auch die Höhe der Entschädigungszahlung überzeugt nicht, wenn wir überlangen Verfahren wirklich vorbeu- gen wollen. Lassen Sie uns noch einmal einen Blick in den vorgelegten Entwurf werfen. Dort steht geschrieben: „Die Entschädigung … beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung.“ Die Entschädigung wird also nicht nach Monaten, sondern nach Jahren berechnet. Das be- deutet wiederum, dass derjenige, dessen Verfahren sich „nur“ um 11 Monate verzögert, leer ausgeht. Auch mei- nen wir, dass eine reine Entschädigungslösung zu kurz gegriffen ist. Wir müssen zusätzlich die Kontrollmechanismen in- nerhalb der Gerichte stärken. Wenn sich das Präsidium eines Gerichts alle Vorgänge vorlegen lassen müsste, die nicht innerhalb eines Jahres abgeschlossen sind, würde eine bessere und kontinuierlichere Kontrolle innerhalb der Gerichte stattfinden. Das Präsidium müsste dann feststellen, aus welchem Grund ein Verfahren zu lange dauert. Sollte dieser in der Struktur bzw. der Aufgaben- verteilung liegen, sollte das Präsidium die Möglichkeit erhalten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Gesetzlich könnte das zum Beispiel im Deutschen Richtergesetz verankert werden. Über das Gerichtsverfassungsgesetz könnten wir regeln, dass die Gerichtspräsidien einen er- weiterten Bedarf an Richterstellen dem zuständigen Par- lament als Haushaltsgesetzgeber zur Entscheidung zulei- ten. Wir Grünen werden uns in dieser Sache weiterhin ak- tiv am parlamentarischen Verfahren beteiligen, um den Bürgerinnen und Bürgern geeignete Mittel gegen über- lange Verfahren an die Hand zu geben. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- ministerin der Justiz: Die Justiz in Deutschland arbeitet im Ganzen gesehen zügig; sie entscheidet rasch, und sie ist damit bürgerfreundlich. Ganz gleich, ob Strafverfah- ren, ziviler Rechtsstreit oder Fachgerichtsbarkeit, die al- lermeisten Verfahren können in einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden. Bei den Amtsgerichten zum Bei- spiel wird die Hälfte aller Zivilverfahren innerhalb von drei Monaten erledigt. Trotzdem kommen leider immer wieder Einzelfälle vor, in denen Prozesse viel zu lange dauern. Wenn aber jahrzehntelang Unsicherheit besteht, ob eine Forderung besteht oder wie über eine Anklage entschieden wird, dann kann dies für die Betroffenen eine enorme Belas- tung sein. In Zukunft sollen Bürgerinnen und Bürger deshalb vor überlangen Gerichtsverfahren besser ge- schützt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat schaffen; er soll für alle Gerichtsbarkeiten gelten, und er bezieht auch die obersten Bundesgerichte und das Bundesverfassungsgericht mit ein. Damit wollen wir zu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9539 (A) (C) (D)(B) gleich dafür sorgen, dass in Zukunft überlange Verfahren noch seltener vorkommen als heute. Bislang gibt es im deutschen Recht keinen Rechts- schutz gegen überlange Gerichtsverfahren. Diese Lücke müssen wir schließen; denn sie ist nach der Rechtspre- chung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen- rechte ein strukturelles Defizit. Nach den Vorgaben des Gerichtshofs muss Deutschland dieses Defizit bis spätes- tens Ende 2011 beheben. Wir stehen hier also völker- rechtlich in der Pflicht. In der Pflicht stehen wir aber auch verfassungsrechtlich. Das Bundesverfassungsge- richt hat stets den hohen Rang der Prozessgrundrechte bekräftigt. Zu ihnen gehört das Recht, dass in einem Ver- fahren nach angemessener Zeit auch entschieden wird. Die Vorgaben sind also klar. Trotzdem sind in der Ver- gangenheit alle Lösungsversuche an politischen Wider- ständen gescheitert. Ich freue mich deshalb sehr, dass es inzwischen einen breiten Konsens darüber gibt, dass wir den Rechtsschutz gegen überlange Verfahren endlich verbessern müssen. Auch inhaltlich wird das Konzept der Bundesregierung von den Ländern und den Verbänden der Richter- und Anwaltschaft im Grundsatz mitgetragen. Viele sind mit mir der Meinung, dass wir den Entschädigungsanspruch davon abhängig machen sollten, dass die Betroffenen zuvor eine Verzögerungsrüge erheben. Eine solche Vor- warnung dient der Prävention. Sie soll das Gericht dazu bewegen, das Verfahren zu beschleunigen und es gar nicht erst zu einem überlangen Verfahren kommen zu lassen. Natürlich hat es an unserem Entwurf an der einen oder anderen Stelle Kritik gegeben. Manche Länder meinen, der Entwurf gehe zu weit und könne die Länder- haushalte mehr als nötig belasten. Demgegenüber wollen Teile der Anwaltschaft sogar mehr, als der Regie- rungsentwurf vorschlägt; sie wollen eine Kombination aus Entschädigung und einer echten Beschwerdemög- lichkeit an ein höheres Gericht. Wenn ein Gesetzentwurf den einen zu weit und den anderen nicht weit genug geht, gibt das Anlass zu der Annahme, dass er genau richtig liegt, nämlich in der Mitte. Die Regelung ist so ausgestaltet, dass für die Justiz keine unnötigen Mehrbelastungen entstehen. Wir ver- zichten ganz bewusst darauf, für den notwendigen Rechtsschutz ein neues Nebenverfahren zu eröffnen. Das würde nur zusätzlichen Aufwand schaffen. Stattdessen bekommen die Richter, um deren Verfahren es geht, die Möglichkeit, bei berechtigten Verzögerungsrügen Ab- hilfe zu leisten und so einen Entschädigungsprozess zu verhindern. Nur wer nach einer solchen Vorwarnung an den Richter sein Verfahren immer noch für zu langsam hält, der kann eine Entschädigung verlangen. Liegen die Voraussetzungen vor, werden Vermögensnachteile und Nichtvermögensnachteile ersetzt. Dabei kommt es übri- gens nicht auf ein Verschulden der einzelnen Richter an. Der Staat trägt auch dann die Verantwortung, wenn ein Verfahren aus strukturellen, also vom einzelnen Richter nicht zu vertretenden Gründen unangemessen lange dau- ert. Wenn es in Einzelfällen berechtigte Klagen über zu lange Verfahren gibt, dann muss man auch über Verbes- serungen nachdenken. Das bedeutet aber nicht automa- tisch Mehraufwendungen für die Ausstattung der Ge- richte. Verbesserungen lassen sich auch und gerade durch die Geschäftsverteilung und die Organisation in der Gerichtsbarkeit erreichen. Das neue Gesetz kommt deshalb nicht nur den Beteiligten eines Gerichtsverfah- rens zugute, sondern es dient auch der Justiz insgesamt. Damit stärken wir den Rechtsstaat, und deshalb hoffe ich auf eine breite Zustimmung für dieses Projekt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Beziehungen der Europäischen Union mit Afrika solidarisch und gerecht gestalten (Tagesordnungspunkt 14) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Nach dem EU-Afrika-Gipfel Ende November letzten Jahres in Tripolis debattieren wir heute in zweiter und dritter Le- sung den Antrag der Fraktion Die Linke „Beziehungen der Europäischen Union mit Afrika solidarisieren und gerecht gestalten“. Im Fall Ihres Antrags muss ich sagen: Papier ist geduldig. Aber Papier sowie Ihr undifferen- zierter Antrag entwickelt sich manchmal auch genauso schnell, wie es beschrieben wird, zur Makulatur. Wenn Sie den Verlauf des Gipfels in Tripolis mit seinen Ver- handlungsergebnissen verfolgt haben, dann werden Sie feststellen, dass Konsens über die Wichtigkeit der Wirt- schaftspartnerschaftsabkommen zwischen den Mitglied- staaten der EU und den Mitgliedstaaten der AU herrscht. Die Handels- und die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den Ländern des afrikanischen Kontinents müssen als das begriffen werden, was sie sind, nämlich als Chancen für sozialen Aufstieg, wirtschaftlichen Fort- schritt, politische Selbstbestimmung und Unabhängig- keit. Darin liegt der Unterschied zu Ihrer „kolonialen Dominanz“, die Sie in diesen Handelsbeziehungen er- kennen wollen. Der Gewinn durch Handelsbeziehungen ist ungleich größer, als jede Form von Entwicklungszu- sammenarbeit es jemals sein kann. Die Linke tritt ja bekanntermaßen für mehr Solidarität der Menschen untereinander ein. Jetzt ist nur die Frage: Was ist überhaupt Ihre Definition von Solidarität? Ist So- lidarität der Tropf der Entwicklungshilfe, wie es Ihr An- trag implizit fordert? Oder ist Solidarität, wie wir sie se- hen, Partnerschaft, in der beide Partner, in unserem Fall Europa und Afrika, einander auf Augenhöhe begegnen und wirtschaftlich kooperieren? In Ihrem Fall sehe ich den Begriff Solidarität leider nur als ein Verharren im Status quo. Wozu eine Partnerschaft anstreben? Sie woll- ten doch am liebsten zurück in das von Ihnen kritisierte Geber-Nehmer-Verhältnis. Nur hier können Sie Mitleid haben und Ihre ideologische Rhetorik vortragen. Aber dieses Nichtsgetue macht die Menschen nicht satt und schafft auch keine Existenzgrundlage. Das sollten Sie sich endlich eingestehen. 9540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) Wie in Ihrem Antrag dargestellt, sehen Sie das Kon- zept der zivilen Krisenprävention und der vernetzten Si- cherheit als Wurzel staatlicher Repression und indirekt als Ursache für Menschenrechtsverletzungen. Nun, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie das Konzept einfach nicht verstanden haben. Die Krisenprävention, wie der Name sagt, beugt Krisen vor. Dabei sind Krisenpräven- tion und vernetzte Sicherheit eine kohärente Strategie zur Problembewältigung. Nicht die militärische Inter- vention steht im Vordergrund, sondern die Vermeidung bewaffneter Konflikte und Krisen. Wer wie im Kongo, im Sudan und in Somalia den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung sicherstellen will, der muss dafür sor- gen, dass ein Staat auf eigenen Füßen stehen kann. Dazu zählt notwendigerweise auch der Aufbau einer funktio- nierenden Polizei und von Streitkräften. Aber wenn Sie, wie in Ihrem Antrag auf Drucksache 17/4248, den sofor- tigen Abzug deutscher Ausbilder aus Uganda fordern, die dort Sicherheitskräfte für Somalia ausbilden, dann zeigt dies wieder einmal, wer sich mit der Thematik be- fasst hat oder nicht. Deutschland und die Europäische Union haben ein In- teresse an starken, selbstständigen afrikanischen Staaten. Dazu wollen wir in Afrika Wirtschaftswachstum gene- rieren. Doch wirtschaftliche Entwicklung setzt ein Min- destmaß an Stabilität voraus, die wir politisch begleiten müssen. Dazu gehören ein zuverlässiges Steuer- und Rechtssystem sowie eine gute Regierungsführung, die die Achtung der Menschrechte als erstes Paradigma ver- tritt. Die Einigkeit in dieser Frage kam auch auf der Ab- schlusserklärung des EU-Afrika-Gipfels in Tripolis zum Ausdruck. Nur mit einem gemeinsamen Voranschreiten in diesen Fragen werden wir Armut und Hunger in Afrika besiegen können. Und, ich wiederhole es hier noch einmal: Dies passiert in jedem Staat einzeln, unter der Berücksichtigung der Eigenheiten jedes Landes. Ihre „koloniale Dominanz“ tritt darin hervor, dass Sie ganz Afrika über einen Kamm scheren. Deutschlands Ausgaben im Rahmen der Entwick- lungszusammenarbeit steigen stetig. Dies ist ein Zei- chen, wie ernst wir unsere Verantwortung nehmen. Ganz recht, wie Sie sagen: Migration kann nur in den Ländern, in denen die Ursachen liegen, wirkungsvoll bekämpft werden. Dafür treten wir ein. Deswegen haben wir im Jahr 2009 3 478 Millionen Euro in die afrikanischen Länder südlich der Sahara transferiert. Aber von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind auch die deutschen Unternehmen, die in zahlreiche afrikanische Länder in- vestieren und so einen Mehrwert für die Menschen vor Ort schaffen. Wirtschaftlicher Austausch führt immer zu beiderseitigem Gewinn. Die Chancen, die darin liegen, gilt es zu nutzen. Hervorheben möchte ich hierbei den Sektor der Informations- und Kommunikationstechnolo- gie, der in Tripolis erwähnt wurde. Hier schlummert ein riesiges Potenzial, das es zu wecken und zu fördern gilt. Auch müssen wir den Bereich des Public-private-Part- nership stärker in unsere Entwicklungsbemühungen ein- beziehen und fördern. Ein Punkt Ihres Antrags ist die Neuausrichtung der Rohstoff- und Energiepolitik auf regenerative, umwelt- verträgliche, gerechte und Konflikte vermeidende Strate- gien der Energieversorgung. In diesem Punkt Ihres An- trags stimme ich Ihnen vollkommen zu. Das Problem ist nur, dass Sie hier der Zeit etwas hinterher sind. Genau dies setzten wir schon lange um. Der Schutz der Umwelt ist ein ausgewiesenes Ziel der MDG. Eine nachhaltige Energieversorgung geht damit unzweifelhaft einher. Dies sahen auch die Staaten in Tripolis so. Der Ausbau eines Marktes für nachhaltige Energien insbesondere mit Investitionen in den Bereich der erneuerbaren Energien wird angestrebt, wie die Abschlusserklärung verlauten lässt. Ein Technologie- und Wissenstransfer kann dem großen Vorschub leisten. In Ihrem Antrag plädieren Sie für die Herstellung von Ernährungssouveränität in den afrikanischen Ländern. In diesem Punkt muss ich Ihnen beipflichten. Aber ich frage mich: Haben Sie die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt? Es ist ein ausgemachtes Ziel, die afrikanische Landwirtschaft zu stärken. Daran wird mit vollem Elan gearbeitet. Ihre Forderung ist insofern nichts Neues. Gut wäre es, wenn Sie hierzu eigene Ansätze einbringen würden. Zu allerletzt noch eine Bitte an die linke Seite dieses Hauses: Sie werden den Chancen des Kontinentes Afrika mit solchen ideologisch geprägten Anträgen nicht ge- recht. Noch weniger hilft es, die noch bestehenden Pro- bleme zu lösen. Dies wird unter anderem dadurch deut- lich, dass uns die Bevölkerung der Elfenbeinküste bittet, die Wählerentscheidung der Präsidentschaftswahlen vom 28. November 2010 durchzusetzen und Herrn Ouattara als gewählten Präsidenten anzuerkennen. Dies steht im krassen Gegensatz zu einer Äußerung eines Mit- glieds der Fraktion der Linken in der Zeitung Das Parla- ment, keinen der beiden Kandidaten zum Wahlsieger zu erklären und die Wahlen zu wiederholen. Mit dieser For- derung steht die Linke wieder einmal gegen die gesamte Weltgemeinschaft. Kümmern Sie sich endlich um die Belange der Menschen dieses Kontinents, aber instru- mentalisieren Sie die Nöte der Menschen nicht mehr zu Ihren Zwecken. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Das dritte Gipfeltref- fen von Europäischer Union und den afrikanischen Staa- ten am 29. und 30. November 2010 in Tripolis war ein weiterer wichtiger Schritt zu einer echten Partnerschaft auf Augenhöhe. Bedauerlicherweise hat die Bundes- kanzlerin nicht an dem Gipfel teilgenommen und statt- dessen ihren Außenminister geschickt. Dies ist eine völ- lige Fehleinschätzung seitens der Kanzlerin über die Bedeutung Afrikas in der Zukunft. Denn: Die Realität sieht anders aus. 1 Milliarde Menschen in 53 Ländern Afrikas erwarten zu Recht, dass die europäisch-afrikani- sche Partnerschaft nach dem Gipfel nicht nur in gut ge- meinten Absichtserklärungen stattfindet, sondern kon- kret gelebt und weiter ausgebaut wird. Dazu haben sich die Staats- und Regierungschefs mit dem verabschiede- ten Aktionsplan ein ehrgeiziges Ziel bis zum nächsten Gipfel 2013 in Brüssel gesetzt. Um es deutlich zu sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Aktionsplan. Allerdings kritisieren wir, dass es keinen verbindlichen Finanzierungsplan zu dessen Umsetzung gibt. Deshalb fordern wir alle Beteiligten – die Europäische Union, die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9541 (A) (C) (D)(B) afrikanischen Partnerländer und natürlich auch die Bun- desregierung – auf, den Worten nun Taten folgen zu las- sen und die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereit- zustellen. Der Antrag der Fraktion Die Linke, über den wir heute beraten, beschränkt sich im Wesentlichen auf wirt- schafts- und sicherheitspolitische Aspekte und bleibt so- mit unvollständig. Die SPD-Fraktion lehnt den Antrag deshalb ab. Vielmehr muss es darum gehen, die Ent- wicklung der afrikanischen Partnerländer in allen Poli- tikbereichen zu fördern und nachhaltig zu stärken. Wo- rum geht es uns konkret? Zum einen geht es um die künftige Ausgestaltung der Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen. Auch hier müssen die gemeinsamen Interessen und das Verbindende in den Vordergrund gerückt wer- den. Die Zeiten des Exportkolonialismus, bei dem es nur darum ging, neue Absatzmärkte für die Industriestaaten zu erschließen, sind glücklicherweise endgültig vorbei. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich bei EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso be- danken, dem es vor allem zu verdanken ist, dass auf dem EU-Afrika-Gipfel alle Beteiligten bei der Frage der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen einen oder gar mehrere Schritte aufeinander zugegangen sind. Das ist ein Verdienst und für uns das richtige Verständnis von Partnerschaft auf Augenhöhe. Dazu gehört übrigens auch der Aufbau einer Rohstoff- partnerschaft, bei der es nicht nur darum gehen kann, die Rohstoffe in Afrika für Europa auszubeuten. Stattdessen fordern wir die Eindämmung des illegalen Rohstoffab- baus und die Ausweitung der Zertifizierung. Ich begrüße den entsprechenden Vorschlag der Kommission, in Zu- sammenarbeit mit der Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der Rohstoffindustrie – EITI – ein wirksa- mes Controlling aufzubauen. Mit der Annahme des US-Gesetzes über Konfliktmineralien, Conflict Minerals Law, und des Cardin-Lugar-Act, der umfangreiche Be- richtspflichten der Rohstoffindustrie vorsieht, wurden zu- dem große Schritte zu mehr Transparenz und zur Bekämpfung von Korruption und illegaler Rohstoffaus- beutung in Afrika gemacht. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Kommission und die Bundesregierung auf, schnellstmöglich entsprechende Vorschläge für die Rück- verfolgbarkeit von in den europäischen Markt eingeführten Mineralien und für mehr Transparenz in der Rohstoffwirt- schaft vorzulegen. Letztlich brauchen unsere afrikanischen Partner und wir eine gemeinsame Rohstoffstrategie, die umwelt- und sozialverträglich ausgestaltet ist und auch der örtlichen Bevölkerung zugutekommt. Um es aber klar zu sagen: Wirtschaftliche Zusam- menarbeit im Sinne von nachhaltiger Entwicklungszu- sammenarbeit muss sich auch an der Einhaltung von ge- meinsam vereinbarten Standards messen lassen. Bei der Verhandlung und Durchführung der Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Afrika ist si- cherzustellen, dass die von der Internationalen Arbeits- organisation, ILO, vorgegebenen Sozialstandards – die sogenannten ILO-Kernarbeitsnormen – und ökologische Mindeststandards verbindlich festgeschrieben und ein- gehalten werden. Ziel ist es, die Voraussetzungen zu ver- bessern, damit die Menschen durch Erwerbsarbeit ein existenzsicherndes Einkommen erhalten. Dies war übri- gens – in Verbindung mit Wachstum und Investitionen – eine zentrale Frage des EU-Afrika-Gipfels. Die Leitlinien für die Umsetzung des Aktionsplans sind für uns eindeutig. Eine Grundvoraussetzung dafür ist zunächst einmal die Bereitschaft der Geberländer, ihre internationalen Zusagen und Verpflichtungen einzu- halten, allen voran die Erfüllung der sogenannten ODA- Quote. So hatte sich Deutschland verpflichtet, diese öf- fentliche Entwicklungshilfe im Jahr 2010 auf 0,51 Pro- zent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Davon sind wir weit entfernt. Das Ziel, im Jahr 2015 auf 0,7 Prozent zu kommen, wird diese Bundesregierung – wenn sie so weitermacht – nie und nimmer erreichen. Wir begrüßen deshalb, dass sich die Staats- und Regierungschefs in ih- rer Abschlusserklärung erneut zu dem 0,7-Prozent-Ziel bekannt haben und dass in diesem Rahmen für die nächsten drei Jahre Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliar- den Euro zugesagt wurden; denn eines ist klar: Ohne die Einhaltung dieser Zusagen sind die Millenniumsent- wicklungsziele und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in den Partnerländern nicht zu erreichen. Aber genau das wollen wir. Wir wollen die nachhaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Partnerländer fördern und stärken. Dazu gehört zum Bei- spiel der Aufbau stabiler Strukturen für eine gute und transparente Regierungsführung. Wir wollen die Armut und den Hunger in den afrika- nischen Ländern bekämpfen. Ein wesentlicher Schlüssel ist dabei der Aufbau von Systemen der sozialen Siche- rung – vor allem solidarisch organisierter Gesundheits- systeme. Nur so kann es gelingen, gerade für die Ärms- ten der Armen eine Absicherung gegen alle Risiken von Krankheit zu gewährleisten. Gewinnorientierte pri- vatwirtschaftliche Systeme sind der falsche Weg. Da- mit Gesundheitssysteme aber auch praktisch funktio- nieren, muss die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte – der sogenannte Braindrain – aus Afrika ge- stoppt werden. Damit diese Fachkräfte wieder in ihr Land zurückkehren, bedarf es starker Anreize. Die Ein- stellung und angemessene Entlohnung von Gesundheits- fachkräften müssen deshalb direkt gefördert werden. Im Bereich der Bekämpfung der Mütter- und Kindersterb- lichkeit ist die Stärkung der Kampagne für die beschleu- nigte Reduzierung der Müttersterblichkeit in Afrika – CARMMA – zu begrüßen. Bis 2013 soll diese Kampa- gne in allen 53 Staaten der Afrikanischen Union an den Start gegangen sein. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Bereich der Wasser- und Sanitätsversorgung in den neuen Aktions- plan aufgenommen wurde. Die SPD-Bundestagsfrak- tion hatte die herausragende Bedeutung dieses Themas für die Menschen in den Partnerländern bereits im Vor- feld des EU-Afrika-Gipfels mit dem Antrag „Das Men- schenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversor- gung umsetzen“ unterstrichen und so erfolgreich gefordert, dass das Menschenrecht auf Wasser und Sani- tärversorgung ein Schwerpunkt der Europäischen Union bleibt und sich im Aktionsplan des EU-Afrika-Gipfels wiederfindet. Hinsichtlich der Vereinbarungen zum Klima- und Umweltschutz ist der Gipfel jedoch deutlich 9542 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Zwar ist es er- freulich, dass das Bekenntnis zur gemeinsamen ökologi- schen Verantwortung erneuert und vertieft wurde. Die gemeinsame Erklärung im Vorfeld der Weltklimakonfe- renz in Cancún ist, obwohl sie unterschriftsreif vorlag, letztlich nicht zustande gekommen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang auch die Weichenstellungen für eine Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent. Dazu gehört das Programm über die Zusammenarbeit zwischen Afrika und der Euro- päischen Union im Bereich der erneuerbaren Energien sowie die im September 2010 in Wien vereinbarten poli- tischen Zielsetzungen bis 2020. Hier ist die Bundesre- gierung ganz besonders in der Pflicht, die gemeinsam mit der österreichischen Regierung den Vorsitz der euro- päisch-afrikanischen Energiepartnerschaft innehat. Der Aktionsplan zur Umsetzung der acht strategi- schen Partnerschaften ist ein ehrgeiziger Fahrplan für die nächsten drei Jahre. Die mit dem Tripolis-Gipfel ge- stärkte Partnerschaft von Europäischer Union und Afrika wird sich beim nächsten Aufeinandertreffen 2013 in Brüssel daran messen lassen müssen. Vor allem die EU- Mitgliedsländer sind aufgerufen, ihren Beitrag zu leis- ten. Das Europäische Parlament hat mit seinem Be- schluss vom 15. Dezember 2010 den richtigen Weg auf- gezeigt. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt zudem ausdrücklich die Forderung, dass es den Europaabgeord- neten ermöglicht wird, die Umsetzung des Aktionsplans zu überwachen und so dessen Erfolg bis 2013 zu ge- währleisten. Die Bundesregierung muss dabei der Motor in der Europäischen Union sein. Gemeinsam mit den eu- ropäischen und afrikanischen Partnern muss ein konkre- tes Arbeitsprogramm zur Umsetzung der EU-Afrika- Partnerschaft erarbeitet und mit den erforderlichen Fi- nanzmitteln ausgestattet werden; denn sonst geht es wei- ter wie immer. Großen Ankündigungen auf internationa- ler Bühne folgt schon bald die Ernüchterung, wenn es um die konkrete Umsetzung geht. Hier ist durch Schwarz-Gelb in den rund sechzehn Monaten ihrer Re- gierungszeit viel Vertrauen und Kredit verspielt worden. Deshalb muss endlich Schluss sein mit den leeren Ver- sprechungen. Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet, dass die Bun- desregierung – allen voran der Entwicklungsminister – sich wieder stärker mit den anderen Geberländern koor- diniert. Es kann und darf nicht sein, dass deutsche Ent- wicklungspolitik mehr und mehr dem Motto „Auf jedem Projekt ein deutsches Fähnchen“ folgt. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich wieder zu den erfolg- reichen multilateralen Geberinitiativen zu bekennen. Denn eines ist klar: Die Erreichung der Millenniumsent- wicklungsziele bis 2015 und die weltweite Bekämpfung der Armut kann nur gemeinsam gelingen. Dies gilt ganz besonders für den Ausbau der europäisch-afrikanischen Partnerschaft. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Wir debattieren heute in zweiter Lesung den Antrag der Fraktion Die Linke „Beziehungen der Europäischen Union mit Afrika solidarisch und gerecht gestalten“. Lassen Sie mich zu- nächst festhalten: Wir alle sind fraktionsübergreifend überzeugt von der Wichtigkeit der Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Afrika und auch davon, dass diese solidarisch und ge- recht gestaltet sein müssen. Nur eben in der Ausgestal- tung ist der Antrag der Linken erwartungsgemäß ein im- mer wiederkehrender Angriff gegen die wirtschaftlichen Beziehungen der EU zu Afrika. Dabei wirft die Linke der EU und ihren Mitgliedstaaten vor, sie würden durch ihre Handels-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik die kolonialen Dominanzverhältnisse fortsetzen und damit eine sozial und ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Afrika erschweren. Beispielsweise wird die Anschuldigung erhoben, die EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und die Libera- lisierung der Märkte seien unausgewogen und eine Be- drohung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung afrikanischer Länder. Die Armut werde damit nicht besei- tigt, ja, sie verschärfe sich dadurch sogar. Die Linke lässt außen vor, dass letztlich nur eine wirtschaftliche Ent- wicklung in den jeweiligen Ländern eine Grundlage für Arbeit und Auskommen ist. Deshalb ist es wichtig, zu be- tonen, dass eine Zunahme des Handels zwischen der EU und den afrikanischen Ländern entwicklungsförderlich ist. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass bereits insgesamt 35 AKP-Staaten bislang ein (Interims-) Wirtschaftspartnerschaftsabkommen paraphiert haben und ihnen damit zoll- und quotenfreier Marktzugang für Waren in die EU gewährt wird, bei Übergangsfristen für Zucker bis 2015 und für Reis bis 2009. Darunter sind ein umfassendes regionales Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen mit der Karibik-Region, CARIFORUM, und ein regionales Interimsabkommen mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft, EAC – East African Community. In allen anderen Regionen haben Subregionen, zum Beispiel süd- liches Afrika – SADC – bzw. einzelne Länder, Interims- abkommen paraphiert und mit Ausnahme von Namibia auch unterzeichnet. Die Interimsabkommen konzentrie- ren sich dabei auf den Warenhandel. Sie bilden seit 2008 die Grundlage für die Weiterführung der Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses umfassender WPAs. Paral- lel zur Weiterführung der Verhandlungen sollen die unter- zeichneten Interimsabkommen umgesetzt werden. In ihrem Antrag kritisieren die Linken auch, dass die EU und Deutschland mit Einzelstaaten oder kleineren Staatengruppen Abkommen geschlossen haben. Hierzu möchte ich sagen, dass Afrika aus 54 eigenständigen Staaten besteht, die Voraussetzungen für eine Zusam- menarbeit für jedes Partnerland jeweils unterschiedlich sind und es eine gute EU-Afrika-Strategie ausmacht, ge- rade auf die spezifischen Interessen, Bedürfnisse und Probleme der afrikanischen Staaten einzugehen. Afrika ist ein an Rohstoffen reicher Kontinent, der es in der Vergangenheit oft versäumt hat, daraus die richtigen Entwicklungswege einzuleiten. Diese Fehler der Vergan- genheit dürfen nicht wiederholt werden. Allen sind noch die Worte „Blutdiamanten“ und ähnliche Begriffe be- kannt. Jetzt gilt es, auch mit unserer und der Hilfe der EU neue Wege zu beschreiten. Öleinnahmen sollten über Fonds für kommende Generationen mit angelegt wer- den. Das will zum Beispiel Ghana mit deutschen Ent- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9543 (A) (C) (D)(B) wicklungsexperten vorantreiben. Dazu muss das Land aber erst in die Situation versetzt werden, den Schatz „Erdöl“ fördern zu können und über Pipelines zu vertrei- ben. Voraussetzung dafür ist auch der Schutz der Han- delsinteressen und der Sicherheit im und um das Land. Im Antrag der Linken heißt es auch, die EU sei nur auf den Schutz ihrer Handelsinteressen aus, beispiels- weise durch die Marinemission Atalanta. Außerdem gebe es eine Fokussierung der deutschen und europäi- schen Afrikapolitik auf den Auf- und Ausbau von Sicherheitsstrukturen in Entwicklungsländern. Auch da- rüber möchte ich Sie gern aufklären; denn beim natio- nenübergreifenden Atalanta-Mandat – im Übrigen ist auch China involviert – geht es durchaus um den Schutz des Handels, aber eben zu allererst um den Schutz von Menschenleben und vor Kriminalität durch Piraten. Es wäre absolut unverständlich, würde man der Kriminali- tät im Golf von Aden nichts entgegensetzen. Man könnte annehmen, die Linken meinen, das Leben eines Seeman- nes sei weniger wert als das eines Piraten. Aber lassen Sie mich auf einer sachlichen Ebene bleiben. Weiterhin dient der Auf- und Ausbau von Sicherheitsstrukturen der Wiederherstellung der staatlichen Gewalt durch die Stär- kung von Polizei und Justiz. In vielen fragilen und zer- fallenden Staaten zeigt sich, dass genau der Aufbau der staatlichen Sicherheitskräfte nach demokratischen Spiel- regeln elementar für die Stabilisierung eines Landes ist und kriminelle Banden nicht plündernd und mordend durch das Land ziehen können. Letztlich geht es hier ebenso um den Schutz der Bevölkerung und den Aufbau der Zivilgesellschaft. Die Vorwürfe gipfeln in der Behauptung, dass sich hinter dem zivilen Engagement häufig die Stärkung staatlicher Repressionsorgane, die paramilitärischen oder militärischen Charakter haben, verberge. Hier scheinen die Antragsteller wohl im Hinterkopf Nord- korea zu haben. Aber genau vor solchen Unterdrü- ckungsstaaten, aus denen früher auch der gesamte Ost- block bestand, möchten wir Afrika bewahren. Dem Antrag liegt die permanente Anschuldigung zugrunde, die Bundesregierung finde sich mit Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen ab, sei sogar willens, selbst davon Gebrauch zu machen. Durch seinen Grundtenor disqualifiziert sich der Antrag als eine ernsthafte sachli- che Diskussionsgrundlage. Die FDP-Bundestagsfrak- tion lehnt diesen Antrag ab. Niema Movassat (DIE LINKE): Jede Afrika-Politik muss sich daran messen lassen, ob sie die Armut in Afrika wirksam bekämpft; denn die Lage dort ist drama- tisch: 27 der 29 Länder weltweit, in denen die Ernährung besonders gefährdet ist, liegen südlich der Sahara. Und im Niger und im Tschad herrscht derzeit eine Dürre; die Folgen sind Ernteausfälle und Viehsterben. Rund 2 Millionen Menschen im Tschad – das ist ein Fünftel der Bevölkerung – leiden deshalb an Unterernäh- rung. Im Niger ist sogar jeder zweite Einwohner betrof- fen! Die Bekämpfung von Armut und Hunger muss in den Beziehungen der EU und Deutschlands zu Afrika deshalb uneingeschränkt im Mittelpunkt stehen, und eben nicht eigene Wirtschaftsinteressen. Was selbstver- ständlich klingt, ist nicht Praxis. Die Europäische Union und Deutschland haben auf dem EU-Afrika-Gipfel Ende 2010 erneut bekräftigt, dass sie ihre bisherige Politik der einseitigen Verfolgung von Wirtschafts- und Rohstoffin- teressen unvermindert fortsetzen wollen. Seit Jahren ver- sucht die EU, sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen mit afrikanischen Staaten abzuschließen, um den Freihandel zu stärken. Um die Entstehung gleichbe- rechtigter Wirtschaftsbeziehungen geht es dabei aber nicht. In Wirklichkeit sollen diese Abkommen die afri- kanischen Märkte einseitig für die Einfuhr von EU-Pro- dukten öffnen. Für hiesige Unternehmen winken neue Absatzmärkte und Gewinne, für Afrika aber noch mehr Armut. Denn mit den oft hoch subventionierten EU-Waren können afrikanische Bauern und Unternehmen nicht konkurrieren. Im Ergebnis werden regionale Märkte und Arbeitsplätze dort vernichtet. So wurden auf dem Ga- neshi-Markt in Ghana früher 3 000 lebende Hühner pro Tag verkauft. Seit der Öffnung des ghanaischen Marktes und der darauf folgenden Importschwemme aus Europa aber ist das Geschäft zusammengebrochen: Heute expor- tieren europäische Länder 1 000 Tonnen Hühnerteile pro Monat nach Ghana. Restfleisch, das hier keiner essen will, wird so zu einem lukrativen Geschäft für europäi- sche Unternehmen. Für den kleinen Hühnerfarmer vor Ort, der gegen die Dumpingpreise nicht mithalten kann, bedeutet es den wirtschaftlichen Ruin. Sollten die Wirt- schaftspartnerschaftsabkommen Realität werden, wird sich die Situation wie in Ghana bald vielerorts wiederho- len. Das ist unverantwortlich! Und die Europäische Kommission macht weiter massiven Druck, um die Ab- kommen durchzusetzen. So hält der Art. 8 des Interimsabkommens mit der SADC-Region, der Südafrikanischen Entwicklungsge- meinschaft, ausdrücklich fest, dass die EU für die Um- setzung des Abkommens eine Priorität bei der Zuteilung von Entwicklungshilfegeldern gewährt. Das ist nichts anderes als Erpressung und hat mit einer Partnerschaft auf Augenhöhe nichts zu tun! Es ist gut, dass die afrika- nischen Staaten sich beim EU-Afrika-Gipfel gegen diese Abkommen positioniert haben. Um eine faire Handelspolitik zu betreiben, müssten Entwicklungsziele in den Abkommen festgeschrieben werden und nicht europäische Wirtschaftsziele! Aber ein Umdenken ist nicht in Sicht: Neueste Strategie der EU und Deutschlands ist es, die Gewährung von Entwick- lungshilfe an den freien Zugang zur Ausbeutung afrika- nischer Rohstoffe zu knüpfen. „Rohstoffpartner- schaften“ heißt das Zauberwort. Im Gegenzug wird die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften vor Ort unter- stützt – afrikanisches Personal für die von Deutschland gewünschten Bergbauarbeiten. Das ist ein Einsatz vor allem im eigenen Interesse. Entwicklungsförderung vor Ort sieht anders aus! Echte Entwicklungsförderung würde für die Menschen Möglichkeiten der Existenz- sicherung vor Ort schaffen. Sie würde Perspektiven für ein besseres Leben eröffnen und vor der Flucht vor Ar- mut und Hunger bewahren; denn während wir hier de- battieren, sind in Afrika circa 18 Millionen Menschen 9544 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) auf der Flucht! Beispielsweise aus Mali, einem der ärms- ten Länder der Welt, wo die medizinische Versorgung und das Bildungswesen brachliegen. Vielen Familien se- hen dort keinen anderen Ausweg mehr aus der Not, als ein bis zwei Familienmitglieder auf die lebensgefährli- che Reise nach Europa zu schicken. Und wie reagiert die Europäische Union darauf? Sie schottet sich mit aller Brutalität vom verarmten Süden ab, setzt Kriegsschiffe gegen die Flüchtlinge ein, schließt Abkommen mit nord- afrikanischen Staaten mit katastrophaler Menschen- rechtslage – wie etwa Libyen – zum Stopp von Flücht- lingen. Währenddessen ertrinken täglich Menschen im Mittelmeer, weil ihre Boote seeuntauglich sind. Erst letzte Woche Sonntag sind vor der griechischen Küste wieder 22 Flüchtlinge gestorben. Jeden Tag wird an den Grenzen der Festung Europa die Menschenwürde mit Füßen getreten. Dieser Umgang mit den Flüchtlingen ist für unsere angeblich zivilisierte Gesellschaft die zentrale Schande des 21. Jahrhunderts. Sie ist ein Unrecht, das wir sofort beenden müssen! Die Bekämpfung von Hunger und Armut, die Wah- rung der Menschenwürde und ein Umgang auf Augen- höhe müssen endlich die Grundlage deutscher und euro- päischer Afrikapolitik sein! Es ist Zeit für einen politischen Neuanfang in den Beziehungen zu Afrika! Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „1,5 Milliarden Menschen, 80 Länder, zwei Kontinente, eine Zukunft“ – so beschreibt die Europäische Kommis- sion die Beziehungen zwischen der EU und Afrika. Der jüngste EU-Afrika-Gipfel in Tripolis Ende November letzten Jahres sollte zu einem weiteren winzigen Schritt auf dieser Etappe werden. Die rhetorischen Ergebnisse des Gipfels begrüßen und unterstützen wir. So bekannten sich die Staats- und Regierungschefs in ihrer Abschlusserklärung zum not- wendigen Ausbau von Infrastruktur auf dem afrikani- schen Kontinent, insbesondere zu der von uns geforder- ten Aufstockung von erneuerbaren Energien. Als positives Ergebnis des Tripolis-Gipfels begrüße ich es besonders, dass die Herausforderungen und vor allem die Verbindungen und Interdependenzen zwischen Migration und Entwicklung endlich klar angesprochen wurden. Hier muss in den nächsten Jahren allerdings mehr passieren. Die auf dem Gipfel nochmals klar geäußerten Be- kenntnisse, etwa zum Ziel der Ernährungssicherheit oder der Bekämpfung von HIV/Aids, unterstreichen einmal mehr, dass die Millenniumsentwicklungsziele zumindest verbal im Mittelpunkt der aktuellen Partnerschaft EU- Afrika stehen. Doch es kommt darauf an, diese hehren Gipfelworte mit Leben zu füllen und den in Tripolis be- schlossenen Aktionsplan tatsächlich umzusetzen. Denn auch auf diesem dritten gemeinsamen Gipfel wurde deutlich, dass die EU auf der einen und Afrika auf der anderen Seite von der angestrebten „Partnerschaft auf Augenhöhe“ noch weit entfernt sind. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die so heiklen und von afrikanischer Seite nach wie vor heftig kritisierten Wirtschaftspartner- schaftsabkommen zwischen der EU und Afrika auf dem Gipfel nicht vertieft behandelt wurden, obwohl dies doch ausdrücklicher Wunsch der afrikanischen Partner war? Und wie sonst lässt sich die afrikanische Sorge ein- ordnen, dass die Entwicklungshilfe aus Europa zuneh- mend an den Zugang zu afrikanischen Rohstoffen ge- koppelt wird? Hier besteht seitens der EU noch enormer Nachholbe- darf, vor allem auch im Hinblick auf eine kohärente Politik im Sinne der Entwicklung. Auch die Bundesre- gierung ist angesichts der Ergebnisse von Tripolis in der Pflicht. Denn während sich Deutschland unter Schwarz- Gelb von der Einhaltung des EU-Stufenplans verab- schiedet hat, bekennt sich die Tripolis-Erklärung klar zum 0,7-Prozent-Ziel. Die Gipfelerklärung unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit von innovativen Fi- nanzierungsmöglichkeiten für die Umsetzung der Mil- lenniumsentwicklungsziele. Auf beiden Feldern versagt die Bundesregierung. Das schadet dem Ansehen der Bundesrepublik sowohl bei den afrikanischen Partnern als auch bei den EU-Mitgliedstaaten. Zum Antrag der Linken. Liebe Kolleginnen und Kol- legen, in vielen entwicklungs- und handelspolitischen Grundsatzfragen stimmen wir mit der Analyse Ihres An- trages überein. Dies gilt beispielsweise für die kritische Haltung zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Es gilt auch für den wichtigen Hinweis, dass Rohstoffpart- nerschaften mit afrikanischen Ländern – seien sie von der EU oder der Bundesregierung initiiert – auf keinen Fall dazu führen dürfen, dass Entwicklungshilfe in ir- gendeiner Form an den Zugang zu Rohstoffen gekoppelt wird. Hier teilen wir Ihre Haltung. Doch in einigen Punkten werden Ihre Positionen von uns nicht mitgetra- gen. Wir lehnen den Antrag daher ab. Ihre Forderung nach einer Abschaffung jeglicher poli- zeilicher und militärischer Kooperation mit den afrikani- schen Partnerstaaten, die aus meiner Sicht unvermittelt am Ende des Antrags auftaucht, ist in ihrer Konsequenz viel zu kurz gedacht. Sie orientieren sich außerdem nicht an den Bedürfnissen der afrikanischen Partnerländer. Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen und ins- besondere humanitäre Hilfe ist in Krisen- und Konflikt- fällen ohne eine militärische Absicherung häufig einfach nicht realisierbar. Und was ist aus entwicklungspoliti- scher Sicht an ausgebildeten Polizistinnen und Polizis- ten, die zur Rechtssicherheit beitragen sollen, zu bean- standen? In dieser Hinsicht liegen wir weit auseinander. Zu kurz gedachte Forderungen finden sich auch in an- deren Bereichen Ihres Antrags. So lehnen Sie jegliche Form von Privatisierung ab. Teilprivatisierungen und Privatisierungen können jedoch sinnvoll sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und effektive Kontrollbe- hörden vorhanden sind. Diese aufzubauen und zu stär- ken, ist auch Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit. Diese Forderungen gehen an der Realität vorbei. Was wir wollen und fordern, das ist die aktive Ausgestaltung einer echten Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen der EU und den afrikanischen Staaten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9545 (A) (C) (D)(B) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Einen Pakt für den wissenschaftlichen Nach- wuchs und zukunftsfähige Personalstruktu- ren an den Hochschulen initiieren – Wissenschaft als Beruf attraktiv gestalten – Prekarisierung des akademischen Mittel- baus beenden (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU): Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen und die Fraktion der Linkspartei le- gen heute jeweils Anträge vor, die sich mit der Situation und den Zukunftsperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchs beschäftigen. Für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir in vielen Punkten der Analyse und auch bezüglich der im Antrag formulierten Zielperspektiven zumindest mit den Kolleginnen und Kollegen der Grü- nen übereinstimmen: Natürlich ist es auch ein vorrangi- ges Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland eine möglichst gute Ausbildung und dementsprechende be- rufliche Perspektiven zu bieten. Ich beziehe hier die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ganz bewusst mit ein; denn dazu findet man in Ihren Anträgen leider nichts. Dabei haben wir gerade auch diesen Punkt im vergangenen Jahr hier im Plenum häufig debattiert. Ich nenne nur die Stichworte Deutschlandstipendium und BaföG-Erhöhung. Dabei tragen diese Instrumente maßgeblich dazu bei, die Ausbildung des wissenschaftli- chen Nachwuchses in Deutschland zu verbessern. Das gilt im Übrigen auch für die Arbeit der Begabtenförde- rungswerke, die im kommenden Jahr mit mehr als 130 Millionen Euro durch den Bund gefördert werden. Rot-Grün hat demgegenüber im Jahr 2005 nur 80 Millio- nen Euro in die Begabtenförderungswerke investiert. Allein diese Zahl macht deutlich, wie wichtig die Förde- rung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Bundes- regierung ist. Grundsätzlich sind wir alle uns hier aber bei der Be- wertung der Situation einig. Gerade die sogenannte Post- docgruppe, also Nachwuchswissenschaftler mit Promo- tion, die ihre Zukunft in Forschung und Lehre an der Universität sehen, können an deutschen Hochschulen häufig zunächst nur befristet beschäftigt werden. Einer- seits dient dies der ständigen Aktualität gerade in der schnelllebigen Forschung. Andererseits aber ist so eine stringente Planung der Karriere für Nachwuchswissen- schaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler häufig schwierig, sodass manche erst mit Ende 40 erkennen, dass sie die Ziele ihrer Hochschulkarriere nur schwer oder gar nicht erreichen können. Diese Problematik ist im Übrigen auch in der letzten Bestandsaufnahme der Bundesregierung zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland klar benannt worden. Lei- der scheinen die antragstellenden Fraktionen diesen „Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWiN)“, den das BMBF 2008 vorgelegt hat, nicht in ihre Willensbildung mit einbezogen zu ha- ben. In den Anträgen wird er jedenfalls an keiner Stelle erwähnt. Der Bundesbericht macht deutlich, dass einer besse- ren Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere große Bedeutung bei der Reform der Förderung des wissen- schaftlichen Nachwuchses zukommt. Die Ausweitung des „Tenure Track“ an den Hochschulen und eine stärkere Konzentration auf die Weiterentwicklung der Juniorprofessur sind auch für die Bundesregierung In- strumente, um mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswis- senschaftler zu schaffen. Nicht ganz zustimmen kann ich aber, wenn unbefristete Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen als Allheilmittel dargestellt werden. Natürlich sind wir uns alle einig, dass Beschäftigungs- verhältnisse auch und gerade in der Wissenschaft Sicher- heit und Berechenbarkeit brauchen. Aber das Wissen- schaftssystem kann sich in dieser Hinsicht nicht vollständig von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen lösen. Der Arbeitsplatz auf Lebenszeit ist heute nicht nur im Wissenschaftsbetrieb, sondern in vielen Arbeitsberei- chen nicht mehr die Regel, übrigens nicht unbedingt zum Nachteil des Arbeitnehmers. Gerade gut ausgebil- dete, junge Nachwuchskräfte profitieren überproportio- nal von den Freiheiten, die ihnen die globalisierte Welt bietet. Wenn wir die mahnenden Worte des Wissenschaftsra- tes berücksichtigen wollen, der der Politik und der Wis- senschaft ins Stammbuch geschrieben hat, dass „die Promotion in Deutschland nicht allein auf eine wissen- schaftliche Laufbahn ausgerichtet“ ist, dann müssen be- fristete Arbeitsverhältnisse auch künftig ihre Berechti- gung behalten, um den Austausch zwischen Hochschule, Wirtschaft und Gesellschaft weiter zu ermöglichen, der für beide Seiten, für exzellente Forschung und Lehre und für die sie umgebende Gesellschaft unerlässlich ist. Auch in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Fa- milie muss nicht immer die unbefristete Stelle der einzig gangbare Weg sein. So hat die Bundesregierung zum Beispiel im Jahr 2007 das Programm „Zeit gegen Geld“ gestartet, das Nachwuchswissenschaftlern ermöglicht, Gelder aus Stipendien für Maßnahmen der Kinderbe- treuung zu verwenden. Eng verbunden mit der Verein- barkeit von Beruf und Familie ist auch die Frage der Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen. Über- raschenderweise haben beide Anträge dazu gar nichts zu sagen. Dabei haben es Frauen im Wissenschaftsbetrieb auch hier immer noch deutlich schwerer als ihre männli- chen Kollegen. Zwar hat das Professorinnenprogramm der Bundesregierung seit 2007 mehr als 200 zusätzliche Professuren für Frauen geschaffen, doch trotz dieses gro- ßen Erfolges kann von einer wirklichen Gleichstellung der Geschlechter an den Hochschulen noch lange keine Rede sein. Deshalb sollten wir bei allem Engagement für Bil- dung und Wissenschaft auch nicht aus den Augen verlie- ren, dass die Zuständigkeit für Bildung und Wissen- schaft im Wesentlichen bei den Ländern und hier vor allem bei den Hochschulen selbst liegt. Ich darf daran er- innern, dass die Länder für die Übernahme der Bildungs- 9546 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) aufgaben allein 2011 mehr als 1,3 Milliarden Euro an Kompensationsmitteln vom Bund erhalten. Auch die Hochschulen haben in der Vergangenheit Schritt für Schritt mehr Autonomie erhalten und müssen damit auch ihrer gewachsenen Verantwortung gerecht werden. Dem Bund allein die Verantwortung für die Finanzierung ei- ner erneuten kostenintensiven Maßnahme aufzuerlegen, ohne in Ihrem Antrag überhaupt einen Finanzierungs- vorschlag zu machen, halte ich für deutlich zu kurz ge- sprungen. Dies alles sind Punkte, die wir trotz grundsätzlicher Einigkeit in den kommenden Ausschusssitzungen noch einmal intensiv debattieren müssen. Auf diese hoffent- lich konstruktiven und fruchtbaren Diskussionen zum Wohle der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung freue ich mich. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Der wissen- schaftliche Nachwuchs an den Hochschulen und in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in diesem Land liegt uns allen am Herzen. Deswegen beurteile ich das Ansinnen Ihrer Anträge, den jungen Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftlern in unserem Lande gute be- rufliche Perspektiven und verbesserte Arbeitsbedingun- gen zu bieten, grundsätzlich als äußerst positiv. Dies gilt umso mehr, als sich das akademische Personal durch den Bologna-Prozess und die steigende Anzahl von Studie- renden wachsenden Anforderungen ausgesetzt sieht. Sie, liebe Grüne, präsentieren uns in Ihrem Antrag den Vorschlag, mit den Bundesländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz einen Pakt für den wissenschaft- lichen Nachwuchs und zukunftsfähige Personalstruktu- ren an den Hochschulen zu schließen. Dort fordern Sie unter anderem, 4 000 zusätzliche Professorenstellen ein- zurichten und auch außerhalb der Professuren mehr unbe- fristete Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Allein, Sie bleiben uns die Antwort schuldig, wie Sie diese Ziele erreichen wollen. Wir alle wissen, dass die Verbesserung von Arbeits- bedingungen für Nachwuchswissenschaftler eng an die finanzielle Ausstattung der Hochschulen geknüpft ist. Und hier sind, ich habe es bereits in der Aktuellen Stunde im Dezember erwähnt und tue es hier gern wie- der, zuallererst die Länder in der Pflicht. Diese müssen dafür sorgen, dass die Grundfinanzierung der Hochschu- len in ihrem Verantwortungsbereich gesichert ist. In Zei- ten knapper öffentlicher Finanzen heißt das eben auch, Prioritäten zu setzen. In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland, dessen einzige Ressource die Köpfe der Menschen sind, sollten Bildung und Forschung selbst- verständlich an erster Stelle stehen. Der Bund hat seine Prioritäten klar benannt. Unser Ziel ist es, bis 2015 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung auszugeben. Dabei haben wir selbstverständlich auch den wissenschaftlichen Nach- wuchs im Blick. Mit der Exzellenzinitiative, die im nächsten Jahr in die mittlerweile dritte Runde geht, wurde eine Reihe von Stellen für Doktoranden und Postdocs ge- schaffen. Durch den Pakt für Forschung und Innovation verbessern wir zudem die Bedingungen in den außeruni- versitären Forschungseinrichtungen. Mit dem Bundesbe- richt zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der von der Ministerin in Auftrag gegebenen HIS-Studie über wissenschaftliche Karrieren haben wir zudem erstmals empirisch fundierte Erkenntnisse über die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses vorgelegt. Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertrags- gesetzes läuft. Sie sehen also: Hier tut sich einiges. Und die Resonanz aus der Wissenschaft zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Erst gestern, am 19. Januar 2011, haben die Präsidenten der drei großen Berliner Hoch- schulen beim 52. Treffpunkt WissensWerte des Inforadio des RBB bestätigt, dass Nachwuchswissenschaftler nie zuvor so viele Möglichkeiten hatten, sich um Promo- tionsstipendien oder Doktoranden- bzw. Postdocstellen zu bewerben wie gegenwärtig. Wenn wir über die Zukunft der jungen Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler in diesem Land sprechen, kann es nicht nur um zusätzliche Stellen und Entfristun- gen gehen. Auch einige andere Punkte dürfen wir nicht aus den Augen lassen. Zum einen – das macht die HIS-Studie deutlich – bemisst sich die Attraktivität der beruflichen Zukunft in der Wissenschaft nicht nur an der Vergütung oder der festen Stelle. Die jungen Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen vor allem gute Rahmenbedingungen, um ihrer Kerntätigkeit in For- schung und Lehre nachkommen zu können. Wenn man aber, wie dies in Brandenburg gehandhabt oder in Thürin- gen diskutiert wird, das Lehrdeputat der wissenschaftli- chen Mitarbeiter exorbitant in die Höhe schraubt, sodass ihnen de facto keine Zeit mehr zum Forschen und Publi- zieren oder zur Vernetzung in der Scientific Community bleibt, dann sind wir tatsächlich weit entfernt von guten Rahmenbedingungen. Zweitens ist es ein Gebot der Fairness, zu sagen, dass wir natürlich Wettbewerb in unserem Wissenschaftssys- tem brauchen. Wir wollen vermeiden, dass Leute über Jahrzehnte auf – unbefristeten – Qualifizierungsstellen sitzen, ohne dabei nennenswerte Forschungsergebnisse zu produzieren und ohne Anreize zu haben, im akademi- schen System aufzusteigen, und die Stellen für andere Nachwuchswissenschaftler „blockieren“. Auch müssen wir klar sagen, dass nicht jeder Doktorand später eine Professur oder eine unbefristete Stelle an einer Hoch- schule erlangen wird. Aber das kann auch gar nicht un- ser Ziel sein. Auch außerhalb der Hochschulen und au- ßeruniversitären Forschungseinrichtungen, zum Beispiel in der Industrie, im Mittelstand, in der Verwaltung oder auch im Gesundheitswesen, werden exzellent ausgebil- dete Nachwuchswissenschaftler mehr denn je gebraucht. Ein letzter Punkt, den ich mit Blick auf den Antrag der Grünen noch aufgreifen möchte, betrifft die Tenure- Track-Option. Wir als christlich-liberale Koalition ste- hen – und da verrate ich Ihnen kein Geheimnis – voll und ganz hinter der Möglichkeit, befristete Stellen nach einer positiven Bewertung in unbefristete Stellen umzu- wandeln. Wir können dafür werben, und dies werden wir auch nach allen Kräften tun, aber wir als Bund können sie nicht verordnen, wie Sie das fordern, wenn Sie sagen, Sie wollen künftig alle Juniorprofessuren mit einer Tenure-Track-Option ausgestattet sehen. Lassen Sie uns Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9547 (A) (C) (D)(B) uns also auf das konzentrieren, was wir leisten können, und dazu beitragen, dass der wissenschaftliche Nach- wuchs in Deutschland auch weiterhin eine gute Zukunft hat. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Einer aktuellen, von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie zu- folge haben Nachwuchswissenschaftler Zukunftsängste. Sie bewerten ihre Arbeit an sich zwar positiv. Doch über 90 Prozent der Nachwuchswissenschaftler müssen sich mit unbefristeten Stellen begnügen. Die Leute wollen in der Wissenschaft arbeiten, aber sie wollen dort auch Per- spektiven haben. Sie wollen ihre Karriere planen kön- nen – und das ist nur zu verständlich, vor allem wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Die Zukunftsängste gehen auch die Politik an, weil wir den wissenschaftlichen Nachwuchs brauchen! Wir brauchen ihn für die Lehre an den Hochschulen, und wir brauchen Forscherinnen und Forscher für die technologische, wirt- schaftliche, gesellschaftliche Entwicklung. Wir dürfen diese Hochqualifizierten nicht abschrecken durch schlechte Arbeitsbedingungen. Besonders beeindruckt hat mich ein Zitat aus der er- wähnten Studie. Dort sagt eine wissenschaftliche Mitar- beiterin aus dem Bereich der Naturwissenschaften: „Die Gefahr, nach jahrelangem ,Durchschlagen‘ auf befriste- ten Stellen und einem gewissen ,Berufsnomadentum‘ am Ende keine permanente Stelle zu bekommen, ist hoch. Das Risiko, diesen Weg zu gehen, ist mir persönlich zu hoch, auch wenn ich die Arbeit in der Wissenschaft mag.“ Das können wir nicht einfach hinnehmen, dage- gen müssen wir etwas tun! Sicher, in einem gewissen Rahmen, insbesondere in der Qualifikationsphase, sind Befristungen akzeptabel. Doch spätestens im vierten Le- bensjahrzehnt, wenn neben der beruflichen auch die Fa- milienplanung ansteht, ist der Wunsch nach einer Per- spektive nur mehr als natürlich. Deshalb ist ein deutlich höherer Anteil an unbefristeten Stellen sinnvoll. Es gilt auch hier der sozialdemokratische Grundsatz von der gu- ten Arbeit. Nur mit Perspektiven und nur mit guten Ar- beitsbedingungen können wir die Leute gewinnen, und nur so können diese auch die exzellenten Leistungen ab- liefern, die wir von ihnen sehen möchten. Das wollen wir erreichen: Gute Arbeit, auch in der Wissenschaft! Die Bundesregierung hat bislang nichts unternom- men, um dieses Problem zu lösen. Unter Rot-Grün haben wir Regelungen zur Ausschaltung von Kettenbefristun- gen geschaffen, und in der Großen Koalition haben wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gemacht. Wir haben aber gleichzeitig gesagt, dass es evaluiert werden soll, weil wir schauen müssen, was tatsächlich in der Realität passiert. Wir haben die Bundesregierung damit beauf- tragt, eine Evaluation vorzulegen. Auf dieser Basis kön- nen wir vorankommen, können sagen, ob die jetzigen Bestimmungen ausreichen oder vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle kontraproduktiv sind. Doch leider liegt der Bericht immer noch nicht vor. Ein Punkt scheint jetzt schon klar zu sein: Die Tarif- sperre muss weg! Es sollte die Möglichkeit geben, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Regelungen über das Gesetzliche hinaus treffen können. Wir Sozial- demokraten haben das übrigens in der Großen Koalition gefordert, aber unser damaliger Koalitionspartner CDU/ CSU wollte die Tarifsperre unbedingt beibehalten. Ich hoffe, dass da jetzt etwas geht. Dann die Juniorprofessu- ren: Unter Rot-Grün haben wir Juniorprofessuren einge- führt und auch gefördert, weil das vielen Nachwuchs- wissenschaftlern Perspektive gibt. Frau Schavan hat die Förderung beendet bzw. kein neues Programm aufgelegt. Wir wollen Juniorprofessuren. Deswegen schlagen wir ein neues Bund-Länder-Programm vor: 1 000 Juniorpro- fessuren – das wäre ein guter Beitrag. Der sogenannte Tenure Track, also der Karriereweg an der eigenen Hochschule, muss ausgebaut werden. Die Bundesregie- rung sollte da aktiv werden und mit den Ländern ins Ge- spräch kommen, wie wir den Tenure Track ausbauen können. Und wir müssen sehen: Es gibt eine Menge Bund-Län- der-Programme im Hochschulbereich, etwa den Hoch- schulpakt und die Exzellenzinitiative. Die Bundesregie- rung hat in einem Bericht selbst gesagt, dass mit dem Hochschulpakt sicherlich alles viel besser für die Nach- wuchswissenschaftler wird. Aber Vertrauen allein reicht nicht. Da muss man auch genauer hinschauen und viel- leicht auch einmal den Erhalt von Bundesmitteln an Min- destarbeitsbedingungen knüpfen und Anreize für gute Arbeit einbauen. Es kann nicht sein, dass Leute ausgebeu- tet werden, zu ganz schlechten Bedingungen Arbeit leis- ten, die eigentlich von sozialversicherungspflichtig Be- schäftigten geleistet werden sollte. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben. Wir sind den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke dankbar für ihre Impulse in den Anträgen. Die SPD-Fraktion wird ihre Vorstellungen ebenfalls in die Debatte einbringen – einige Aspekte habe ich bereits an- gesprochen. Obwohl wir an verschiedenen Punkten glei- cher Meinung sind und hoffen, dass auch die Regie- rungskoalition sich anschließen kann, sind die Vor- stellungen doch an einigen Stellen unterschiedlich, bzw. wir haben noch Nachfragen, wenn etwa die Grünen un- ter Punkt 6 ihres Antrages einen Risikoaufschlag vor- schlagen. Löst das wirklich das grundsätzliche Problem der Befristung der Mittel und damit der Reserve von Hochschulen, Wissenschaftler unbefristet einzustellen? Wir können und müssen uns Gedanken über Lösungs- möglichkeiten auch im Drittmittelbereich machen. Ich habe das bereits angesprochen. Aber ganz am Ende ist natürlich die beste Lösung, dass wir die steigende Ab- hängigkeit von Hochschulen und Forschungseinrichtun- gen von notwendig befristeten Drittmitteln reduzieren und die Grundfinanzierung wieder erhöhen, ohne in eine ja auch teilweise zu verzeichnende Beamtenmentalität in der Wissenschaft zu verfallen. Letztlich hängt die Beantwortung dieser Grundfrage von der finanziellen Ausstattung der Länder ab, die wie- derum nur in Zusammenarbeit mit dem Bund verbessert werden kann – ein Feld, auf dem die Bundesregierung tätig werden müsste. Das wäre ein tolles Thema für ei- nen Bildungsgipfel von Bundeskanzlerin und Minister- präsidenten. Diese Gipfel sind bisher immer gescheitert. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben. 9548 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Der Bundes- tag befasst sich seit Jahrzehnten mit der beruflichen Per- spektive von Nachwuchswissenschaftlern. Natürlich be- wegt uns die Situation unserer klügsten und am besten ausgebildeten Köpfe. Keineswegs können uns Meldun- gen kalt lassen, wonach „nur jeder dritte Doktorand sein Promotionsprojekt tatsächlich abschließt“. Gleichzeitig finden wir es bemerkenswert, dass in Deutschland mehr als 10 Prozent eines Hochschuljahrganges promovieren – diesbezüglich sind wir Weltmeister. Dabei wundert es ei- nen aber doch, weswegen, bei einer so hohen Promo- tionsquote, nur 3 Prozent eines Hochschuljahrganges eine wissenschaftliche Karriere ernsthaft anstreben. Natürlich ist im Hochschulbereich nicht alles rosig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Schließlich lehre ich an einer Hochschule, stehe im ständigen Kontakt mit Studieren- den und wissenschaftlichem Nachwuchs. Und dennoch stelle ich die, gerade für linke Politiker, provokante These auf, dass dieser Personenkreis deutlich positive Lebensperspektiven aufweist, geradezu gesegnet ist. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zei- tung unter der Überschrift „Fördert mich, ich bin For- scher!“ finden sich interessante Beispiele, die Mut ma- chen und zeigen, dass an vielen Hochschulen bereits sehr verantwortungsvoll gehandelt wird. Den bereits vor Jah- ren festgestellten Defiziten zum Beispiel hinsichtlich ei- ner qualifizierten Betreuung, Planbarkeit und Finanzie- rungsmöglichkeiten, Transparenz und Effizienz und in Fragen der Karriereplanung begegnen zahlreiche Univer- sitäten und Fachhochschulen mittlerweile mit strukturier- ten Promotionsprogrammen und Graduiertenkollegs. In diesen werden beispielsweise Softskills wie Kommuni- kationsfähigkeiten vermittelt. Aber es gibt auch mehr und mehr Stipendienprogramme. Und nicht zuletzt leisten auch die Begabtenförderungswerke hier bereits sehr gute Arbeit. Und ja, es trifft zu, dass Projektarbeit und befristete Arbeitsverträge Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens sind, nicht nur in Deutschland. Tenure ist auch im Aus- land mehr die Ausnahme als die Regel. Und doch gilt es, die deutschen Eigentümlichkeiten unter die Lupe zu neh- men. Neben den Professuren gibt es nach wie vor – im Gegensatz zu vielen Ländern – nur wenige andere, auf Dauer angelegte Personalkategorien im wissenschaftli- chen Mittelbau. Das hat etwas mit dem Selbstverständ- nis des Wirkungsfeldes Hochschule zu tun. Wir setzen auch beim Personal auf die Einheit von Forschung und Lehre, lassen wenig Differenzierung zu. Eine Karriere in der Wissenschaft wird auch künftig nur dann angestrebt werden, wenn auch tatsächlich eini- germaßen verlässliche Zukunftsperspektiven gesehen werden. Das trifft insbesondere auf die entsprechenden Rahmenbedingungen zu, die Deutschland attraktiv, for- schungsfreundlich und international konkurrenzfähig machen. Vor allem die für die deutsche Wissenschafts- und Forschungspolitik verlorenen Jahre der rot-grünen Bundesregierung mit ihrer fortschrittsfeindlichen Poli- tik, beispielsweise im Bereich der Energieforschung und bei der Gentechnologie, und den damit einhergehenden Folgen bis hin zu dem ganz aktuell beim ITER-Projekt zu beobachtenden Abzug von Know-how aus der deut- schen Industrie haben hier eine große Lücke gerissen und die Zukunftsängste des wissenschaftlichen Nach- wuchses beflügelt. FDP und Union haben genau hier an- gesetzt und werden mit ihrer Politik, die Deutschland tatsächlich wieder hin zu einer Bildungs- und Fort- schrittsrepublik verändern wird, verlässliche Rahmenbe- dingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaf- fen. Doch bei unseren Anstrengungen auf Bundesebene darf eines nicht aus dem Blick geraten: Wissenschaftspo- litik – und damit auch die Problematik der Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftlern an Hochschulen und Forschungseinrichtungen – ist in erster Linie Ländersa- che. Aber das kann ich heute schon versprechen: Die christlich-liberale Koalition wird mit einem Wissen- schaftsfreiheitsgesetz auch auf Bundesebene die Rah- menbedingungen weiter verbessern und bestehende Hemmnisse im Wissenschaftssystem beseitigen sowie die Handlungsspielräume der Hochschulen und Forschungs- einrichtungen ausweiten. Wo wir in den Ländern in Regierungsverantwortung sind, werden wir die Autonomie der Hochschulen weiter stärken, sei es mit Globalhaushalten oder eigener Perso- nalverantwortlichkeit usw., und für eine bessere Finanz- ausstattung der Universitäten und Fachhochschulen sor- gen. In Nordrhein-Westfalen waren wir dahin gehend schon sehr weit. Und wenn man sich mit den Akteuren vor Ort verständigt, wird sehr schnell deutlich, dass erste positive Effekte gerade auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu spüren waren. Leider hatte die rot-grüne Minderheitsregierung nichts Besseres im Sinn gehabt, als neben einem verfassungswidrigen Haushalt auch gleich das Ende der Studienbeiträge zu beschließen. Ge- rade durch die Einbindung privater Mittel wie Studien- beiträge oder die Einwerbung privat kofinanzierter Sti- pendien, wie FDP und Union sie nun mit dem Deutschland-Stipendium auch für das gesamte Land durchgesetzt haben, bekommen die Länder die Möglich- keit, die seit Jahren unterfinanzierten Wissenschaftsein- richtungen mit dringend notwendigen finanziellen Mit- teln zu unterstützen; denn nur so wird die Wissenschaft als Arbeitgeber an Attraktivität gewinnen können. Lei- der hat auch hier die rot-grüne Übergangsregierung in Nordrhein-Westfalen sofort die Axt angelegt und mit dem Wegfall der Studienbeiträge dazu beigetragen, dass zahlreiche Tutorenstellen an den Hochschulen gestri- chen werden. Gerade die Grünen sorgen so dafür, dass aus befristeten Beschäftigungsverhältnissen, die sicher in vielen Punkten kritisiert werden können, nun aber ehemalige Beschäftigungsverhältnisse werden. So sieht also der rot-grüne Pakt für den wissenschaftlichen Nach- wuchs in der Realität aus! Auch was die Frage der fairen Beschäftigungsbedin- gungen gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs angeht, sind wir uns vermutlich einig. Es ist eine alte, aber nach wie vor aktuelle Forderung der FDP, dass die Tarifpartner in der Pflicht sind, einen geeigneten Wis- senschaftstarifvertrag auszuhandeln, damit die auch sei- tens Professor Strohschneider vom Wissenschaftsrat im Bildungsausschuss geäußerte „Gefahr einer Prekarisie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9549 (A) (C) (D)(B) rung des wissenschaftlichen Mittelbaus“, wie es die Linke in ihrem Antrag auch zitiert hat, abgewendet wird! Für mich ist die Kernaussage des in beiden vorliegen- den Anträgen zitierten HIS-Berichts „Wissenschaftliche Karrieren“ jedoch, dass die Mehrheit der befragten Nachwuchswissenschaftler den Beruf des Wissenschaft- lers als attraktives Ziel sieht. Damit das so bleibt, sind alle Beteiligten in Bund, Ländern und an den Hochschu- len aufgerufen, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Das Gros der von Linken wie Grünen in ei- ner bunten Sammlung vorgetragenen Wünsche zur Ver- besserung der Berufsperspektiven im Wissenschaftsbe- reich fällt jedoch nicht in den Kompetenzbereich des Bundes. Vielmehr stehen die Länder in der Verantwor- tung, ihren Hochschulen die benötigten Freiräume zuzu- gestehen. Wenn ich mir beispielsweise die Wissenschaftspolitik von SPD und Linken in Brandenburg anschaue, habe ich jedoch eher den Eindruck, dass Anspruch und Wirklich- keit in ihrer Politik wie so oft bei den Oppositionspar- teien im Deutschen Bundestag extrem auseinanderfallen. Mit ihrer unverlässlichen Hochschulpolitik versetzt die rot-rote Landesregierung die Brandenburger Studieren- den und Wissenschaftler in Angst und Schrecken! So wurden im vergangenen Jahr den Hochschulen 10 Mil- lionen Euro aus der vertraglich zugesicherten Rücklage entnommen, um Löcher im Landeshaushalt zu stopfen, natürlich nicht ohne den Hinweis, dass dies eine einma- lige Vorgehensweise sei und ansonsten SPD und Linke Wissenschaft entsprechend ihres vollmundigen Verspre- chens im Koalitionsvertrag mit höchster Priorität behan- deln würden. Nur wenige Monate später wissen wir heute, dass dies eine plumpe Lüge war. Für den Haushalt 2012 hat der von den Linken gestellte Finanzminister be- reits Kürzungen im Wissenschaftsressort in Höhe von weiteren 27 Millionen Euro angekündigt. Welche Folgen dies für das wissenschaftliche Personal haben wird, kann sich jeder vorstellen. Solange Wissenschaftspolitik von SPD, Grünen und Linken in den Ländern so aussieht, wie beschrieben, können Sie hier im Bundestag noch so viele vollmundige Anträge mit Forderungen und Versprechungen für ein Ende der „Prekarisierung des akademischen Mittelbaus“ und für einen „Pakt für den wissenschaftlichen Nach- wuchs“ stellen. Solange diesen schönen Worten ständig nur gegensätzliche Taten in Ihren Landesregierungen folgen, wird sich ganz bestimmt nichts verbessern! Die christlich-liberale Koalition beweist mit ihrem 12-Mil- liarden-Euro-Paket für Bildung und Forschung, dass bei uns Anspruch und Wirklichkeit im Gegensatz zur Oppo- sition nah beieinanderliegen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Ich hatte in den ver- gangenen Monaten die Gelegenheit, mit vielen Nach- wuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern bzw. Vertretern des akademischen Mittelbaus zu sprechen. Neben den Organisationen, Gewerkschaften und Verbän- den hatte ich auch mit Promovierenden und Postdocs, die sich bei uns mit ihren Problemen gemeldet haben, das Gespräch gesucht. Ich wollte einen Eindruck gewin- nen, wie sich ihre Situation seit 2008 geändert hat. Da- mals gab es eine umfangreiche Debatte hier im Bundes- tag und im Bildungsausschuss zu dem Thema, und die Bundesregierung gelobte Besserung bei den Arbeitsbe- dingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- lern. Leider kann ich nur wenig Positives von der „Basis“ berichten. An erster Stelle der Probleme steht nach wie vor die Frage der prekären Beschäftigung. Da hat sich die Situation keineswegs verbessert. Der Trend zu be- fristeten Verträgen, zu Teilzeitbeschäftigungen, zu Sti- pendien hält ungebrochen an. Und mein persönlicher Eindruck trügt nicht, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen. Die Zahl der unbefristeten wis- senschaftlichen Vollzeitstellen neben der Professur hat einen historischen Tiefststand erreicht. An Universitäten waren im Jahr 2008 weniger als 12 Prozent der ange- stellten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter dauerhaft beschäftigt. Zehn Jahre vorher hatte diese Zahl immerhin noch knapp 19 Prozent betragen. Das Verhältnis von befristet zu unbefristet angestelltem Personal an allen Hochschularten hat sich von 3,6 : 1 im Jahr 2000 auf 6,7 : 1 im Jahr 2008 dramatisch ver- schlechtert. Ein Großteil des Personals verfügt zudem nicht über Vollzeitstellen. Die Teilzeitquote des gesam- ten hauptberuflichen Personals inklusive Professuren stieg von 24 Prozent im Jahr 2000 auf 35 Prozent im Jahr 2008. Selbst unter den angestellten hauptberufli- chen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern beträgt die Quote 40,9 Prozent. Umfragen unter Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern, wie aktuell eine Studie der Hochschul-Infor- mations-System GmbH, HIS, ergeben das gleiche Bild. Die Befragten wie auch meine Gesprächspartner sagen übereinstimmend: Das Problem der unsicheren Zukunft und der mangelnden Berufsperspektiven ist nicht nur eine dramatische Beeinträchtigung der Lebenschancen dieser jungen Menschen, sondern behindert auch die Leistungsfähigkeit des gesamten Systems. Wer ständig mit der Sicherung der eigenen Arbeitsmöglichkeiten be- schäftigt ist, verheizt Ressourcen für gute Wissenschaft. Und gerade die Besten verlassen irgendwann das Land, weil ihnen anderswo überhaupt die Möglichkeit zur dau- erhaften und selbstständigen wissenschaftlichen Tätig- keit geboten wird. Für viele endet aber auch der Weg in der Wissenschaft, wenn nach der Habilitation oder der Juniorprofessur keine eigene Professur winkt. Dieses Land behandelt seine Hoch- und Höchstquali- fizierten wie einen lästigen Posten in der Haushalts- kasse. Die Ursachen für diese Entwicklung lassen sich klar aufzeigen. Der Anteil an flexiblen Mitteln in den Haushalten der Forschungsinstitute und Hochschulen steigt immer weiter an. Die großen Forschungsorganisa- tionen haben ihre Finanzierung weitgehend auf wettbe- werbliche Prozesse umgestellt. Eine Kollegin eines Helmholtz-Zentrums berichtete, es gebe in ihrer großen Arbeitsgruppe noch drei Stellen, die nicht aus befristeten Projektmitteln finanziert würden: die des Leiters und die von zwei Sachbearbeiterinnen. Auch ein Direktor eines Leibniz-Instituts erzählte, er sei der einzige Wissen- schaftler am Institut, der dort eine dauerhafte Perspek- 9550 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 (A) (C) (D)(B) tive habe. Alle anderen müssten sich nach wenigen Jah- ren etwas anderes suchen. Aber auch der Boom der Drittmittel hält an: Ihr Anteil ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Er betrug im Jahr 2008 bei Hochschulen schon 25,1 Prozent, bei außeruniversitären Einrichtun- gen bereits 35 Prozent. Diese Situation schlägt sich auf die Arbeitsbedingungen nieder: Im Berichtsjahr wurden 36 Prozent des gesamten hauptberuflichen wissenschaft- lichen Personals an Hochschulen und eine Mehrheit des befristeten wissenschaftlichen Personals aus Drittmitteln finanziert. Wir leisten uns um der Flexibilität und der niedrigen Kosten willen einen Verschleiß an Know-how und eine Vergeudung intellektueller Ressourcen, wo- durch immense individuelle und institutionelle Neben- wirkungen produziert werden. Oder glauben Sie, die Professorinnen und Professoren finden es sinnvoll, alle zwei bis drei Jahre ihren Mitarbeiterstab komplett auszu- wechseln? Nun endlich setzt langsam ein Umdenken ein. So hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft empfohlen, mehr Stellen und weniger Stipendien auszureichen. Auch kön- nen Stellen für Promovierende mit mehr als den bisher obligatorischen 20 Wochenstunden gefördert werden. Wir wünschen uns mehr solcher Initiativen, auch in den Forschungsorganisationen. Die Promovierenden-Um- frage des PhDnet bei der Max-Planck-Gesellschaft etwa zeigt die Schwierigkeiten bei deren sozialer Absicherung auf und verweist auf die ganz praktischen Probleme, mit denen sich besonders Stipendiatinnen und Stipendiaten herumschlagen müssen. Sie sind, anders als ihre angestellten Kolleginnen und Kollegen, weder arbeitslosen- noch rentenversichert. Viele Promovierende insbesondere aus dem Ausland überlegen sich trotz gesetzlicher Verpflichtung auch dreimal, ob sie ihr weniges Geld für eine Krankenversi- cherung ausgeben. Und obwohl die Stipendiatinnen und Stipendiaten in den gleichen Laboren stehen wie ihre Kolleginnen und Kollegen, genießen sie keinen Unfall- und Arbeitsschutz. Hier müssen Lösungen erarbeitet werden. Vor allem aber sind Stipendien auf die wenigen Fälle zu reduzieren, in denen sie geeigneter als Stellen sind. Der Regelfall in der Promotion sollte ein Arbeits- verhältnis mit sozialer Absicherung und angemessenem Umfang an Arbeitszeit und Gehalt sein. Auch die großen Probleme in den Phasen nach der Promotion müssen endlich angegangen werden. Wir schlagen ein Programm vor, mit dem die Einrichtung von dauerhaften Beschäftigungsmöglichkeiten neben der Professur durch den Bund unterstützt wird. Wir brau- chen eine Kultur der Selbstständigkeit von jungen Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Jahre ih- rer größten Kreativität nicht auf befristeten Teilzeitstellen in Projekten ihres Doktorvaters verbrin- gen sollten; denn sie sind eben nicht der ewige Nach- wuchs, der sich ein ganzes Berufsleben lang auf die Pro- fessur vorbereitet – um sie dann im Regelfall doch nicht zu bekommen. Diese Menschen leisten den Großteil der wissenschaftlichen Arbeit in diesem Land – auch wenn der Name des Professors oder der Professorin auf der Publikation steht. Sie sind Leistungsträgerinnen und Leistungsträger und sollten die Bedingungen bekom- men, die sie für ihre wichtige Arbeit brauchen. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Beschäftigungsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs haben sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Die Hochschulkarriere erweist sich für immer mehr hochqualifizierte Nachwuchswissenschaft- ler als Sackgasse. Befristete Arbeitsverhältnisse sind in- zwischen der Normalfall an unseren Hochschulen. 2008 waren bereits 62 Prozent der hauptberuflichen wissen- schaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur noch befristet beschäftigt. Das ist ein Zuwachs von 23 Prozent innerhalb von nur fünf Jahren. Genauso rasant breiten sich Teilzeitbezahlung und nebenberufliche Beschäfti- gungsverhältnisse aus. Die Zahl der nebenberuflichen Lehrbeauftragten stieg seit der Jahrtausendwende um satte 50 Prozent. Die Zahl der Professuren stagniert da- gegen seit Jahren. Wir sprechen hier keineswegs von einer kleinen Gruppe von Berufseinsteigern. Die Rede ist vielmehr von der Mehrheit und dem Kernbestand der Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler, die an den Hochschulen Dau- eraufgaben in Forschung und Lehre übernehmen und die bis weit ins fünfte Lebensjahrzehnt mit diesen prekären und befristeten Beschäftigungsbedingungen konfrontiert sind. Solche Personalstrukturen und solche unsicheren Karriereperspektiven werden auf Dauer nicht ohne Fol- gen für das gesamte deutsche Wissenschaftssystem blei- ben. Der Trend, an den Hochschulen möglichst viel Per- sonal zu möglichst kostengünstigen Bedingungen einzustellen, kommt nicht von ungefähr. Auch dass die Zahl der Professuren seit Jahren stagniert, ist kein Natur- gesetz. Wenn die Aufgaben in Forschung und Lehre wachsen, aber zugleich an der Grundfinanzierung der Hochschulen gespart wird, darf man sich nicht wundern, wenn die Lücken mit kostengünstigen Nachwuchskräften und prekären Verträgen gestopft werden. Wer ein leis- tungsfähiges Hochschulsystem will, muss für die aus- kömmliche Finanzierung gerade auch der grundständigen Aufgaben der Hochschulen in Lehre und Forschung sor- gen. Als Ergänzung haben wettbewerblich vergebene Dritt- mittel eine wichtige Funktion für Innovation und Qualität gerade in der Forschung. Drittmittel müssen aber keines- wegs automatisch zu befristeter Beschäftigung führen. Mit der Herausforderung schwankender Auftragslagen sind nicht nur Hochschulen konfrontiert. Statt die Risiken einseitig auf die Beschäftigten abzuschieben, kommt es vielmehr auf die Steuerungsleistung und das Personalma- nagement der Hochschulleitungen an. Öffentliche Dritt- mittelgeber wie das BMBF und die DFG sollten diese Steuerungsleistung durch gezielte Anreize unterstützen. Allein in der Unterfinanzierung der Hochschulen darf die Ursache für die prekäre Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht gesucht werden. Auch die verkruste- ten Personalstrukturen und Qualifizierungswege haben ihren Anteil. Aus internationaler Perspektive leistet sich das deutsche Hochschulsystem eine exotische Besonder- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 9551 (A) (C) (D)(B) heit: Unterhalb der Professur existieren hierzulande keine dauerhaften Beschäftigungsmöglichkeiten für be- währte Kräfte. An deutschen Hochschulen gibt es kaum eine Möglichkeit, jenseits der Vollprofessur Wissen- schaft als Beruf selbstständig in Forschung und Lehre auszuüben. Das ist auch ein wesentlicher Grund für die extreme Verengung der Karrierewege für den wissen- schaftlichen Nachwuchs und damit für die ungewissen Perspektiven. Die verstärkten Bemühungen im Rahmen der Exzellenzinitiative, des Pakts für Forschung und Innovation und die Internationalisierungsstrategie wer- den durch diesen Karriereflaschenhals konterkariert; denn nach den Graduiertenschulen und Graduiertenkol- legs gibt es an den Hochschulen selbst für hervorragende wissenschaftliche Postdocs kaum realistische Anschluss- perspektiven. Auch für hervorragende Nachwuchswis- senschaftlerinnen und -wissenschaftler droht an den Hochschulen die Karrieresackgasse. Der Beruf Wissenschaft verliert durch diese Karriere- risiken und Unsicherheiten gefährlich an Attraktivität. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung endlich zu handeln beginnt und damit ihrer Verantwortung für das gesamte Wissenschafts- und Hochschulsystem ge- recht wird. Es reicht nicht, auf die Länder zu zeigen und ansonsten den Kopf in den Sand zu stecken. Die Perso- nalstrukturen an den Hochschulen gefährden die Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wissen- schafts-, Forschungs- und Innovationssystems, das auf die Ausbildungsleistung der Hochschulen und den her- vorragenden wissenschaftlichen Nachwuchs angewiesen ist. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit den Län- dern einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und zukunftsfähige Personalstrukturen zu schließen. Ziel muss es sein, die Professuren/Studierenden-Quote auf ei- nen international wettbewerbsfähigen Standard zu he- ben, Daueraufgaben in Forschung und Lehre durch Dau- erstellen erledigen zu lassen und mit der Tenure-Track- Juniorprofessur die Karrierewege in der Postdocphase zu verstetigen und zu entkrusten. Die Tarifsperre im Wis- Der wissenschaftliche Nachwuchs ist zwar hoch moti- viert, begeistert sich für die Forschung und das wissen- schaftliche Arbeiten. Aber er findet an den deutschen Hochschulen keine attraktiven Bedingungen und ver- lässlichen Perspektiven, und das oft in einem Alter, wo auch das Thema Familienplanung ansteht. Als Arbeitge- ber verlieren die deutschen Hochschulen gegenüber pri- vaten Arbeitgebern und den Hochschulen und For- schungseinrichtungen im Ausland im Ringen um die besten Köpfe dadurch an Boden. Je stärker die demogra- fische Entwicklung durchschlägt und je weiter sich die Arbeitsmärkte für Hochqualifizierte internationalisie- ren, desto härter wird die Konkurrenz noch werden und desto mehr werden die deutschen Hochschulen das Nachsehen haben, wenn sich nichts ändert. Schon heute sind Sonderprogramme nötig, um hervorragende Nach- wuchskräfte für die Rückkehr nach Deutschland zu ge- winnen. Aber die Programme laufen ins Leere, wenn sich die Perspektiven für den wissenschaftlichen Nach- wuchs nicht verbessern und wenn Personalstrukturen nicht neu geordnet werden. senschaftszeitvertragsgesetz ist schleunigst aufzuheben, da die Intention des Gesetzes, Befristungen zu be- grenzen, unübersehbar gescheitert ist. Besonders steht der Bund schließlich beim wachsenden Anteil der öf- fentlichen Drittmittelfinanzierung in der Verantwortung. Mehr als zwei Drittel der Drittmittel, die an die Hoch- schulen fließen, stammen direkt vom Bund oder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hier müssen effek- tive Anreize für mehr unbefristete Beschäftigungsver- hältnisse gesetzt werden, zum Beispiel durch einen Risi- koaufschlag. Die Fakten sind sattsam bekannt. Jetzt gilt es, zu han- deln und mit den Ländern einen Pakt zu schließen, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs verlässliche Per- spektiven zu geben. Morgen findet in Berlin die Follow- up-Konferenz der GEW zum Templiner Manifest statt. Es stünde dem Bundestag gut an, heute das Signal zu geben, dass sich nicht nur die Opposition um die Nöte der Nach- wuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler küm- mern will. 84. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2011 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Thomas Silberhorn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Nein, Herr Kollege Sarrazin, ich glaube Ihnen kein

    Wort.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na dann nicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Ich liebe klare Antworten!)


    – Ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort.


    (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch die Antwort! – Gegenruf von der CDU/CSU: Stehen bleiben!)


    Bei allem Respekt – auch vor dem Ministerpräsidenten
    Juncker und Herrn Tremonti –: Es ist naiv, anzunehmen,
    man könne Schulden in 60 Prozent, für die man Euro-
    Bonds auflegt, und 40 Prozent, die die Mitgliedstaaten
    selber tragen, splitten. Die Reaktion der Finanzmärkte ist
    doch offenkundig: Man würde testen, wie weit die Soli-
    darität der Mitgliedstaaten der Eurozone geht. Man
    würde die 60 Prozent ausschöpfen und dann fragen: Wie
    sieht es jetzt mit den 40 Prozent aus? – Was geschieht,
    wenn die 40 Prozent der Mitgliedstaaten, etwa Griechen-
    lands oder anderer Staaten, nicht getragen werden kön-
    nen? Ist die Europäische Union dann weiterhin solida-
    risch – dann wäre Ihr Modell bereits gescheitert –, oder
    ist sie nicht solidarisch? In diesem Fall würde man Um-
    schuldungen vornehmen müssen. Dafür haben wir aber
    noch kein Modell. Das funktioniert also hinten und
    vorne nicht.

    Ich sage Ihnen, was funktionieren würde: Man muss
    genau das tun, was der Internationale Währungsfonds
    mit seinen Experten seit Jahren betreibt. Man muss den
    hochverschuldeten Staaten die Möglichkeit eröffnen,
    umzustrukturieren und umzuschulden.





    Thomas Silberhorn


    (A) (C)



    (D)(B)


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen sie ja jetzt!)


    Meine Prognose ist: Je später wir das hinbekommen,
    desto teurer wird es werden. Wir sind durch die Akteure
    auf den Finanzmärkten einem permanenten Stresstest
    ausgesetzt. Wir werden diesen Stresstest nicht dadurch
    bestehen, dass wir immer frisches Geld in die Märkte
    pumpen. Wir müssen uns vielmehr den strukturellen Re-
    formen, die die Ursache für die Krise sind, widmen und
    in den Mitgliedstaaten der Euro-Zone eine stabile Haus-
    haltspolitik verfolgen.


    (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Es gibt doch nicht die eine Krise! Wir haben allein drei Krisen!)


    Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wir müssen den Sta-
    bilitäts- und Wachstumspakt schärfen. Wir müssen die
    strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den
    sozialen Sicherungssystemen angehen.


    (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Was heißt denn das?)


    Wir müssen es am Ende auch ermöglichen, dass sich
    hochverschuldete Staaten restrukturieren und umschul-
    den, teilweise zulasten der privaten Gläubiger,


    (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie?)


    die auf einen Teil ihrer Forderungen werden verzichten
    müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Hinzu kommt, dass wir die wirtschaftspolitische Ko-
    ordinierung und Überwachung in den Mitgliedstaaten
    der Euro-Zone verbessern müssen. Dabei müssen wir
    uns an den Wachstumstreibern in der Europäischen
    Union orientieren. Wir können doch nicht die Starken
    künstlich schwächer machen und glauben, dass wir dann
    in der Europäischen Union insgesamt besser dastehen.

    Ich weise darauf hin, dass wir bei der Feinsteuerung
    nicht den Fehler machen dürfen, zu meinen, alles euro-
    päisch regeln zu wollen. Das wird nicht gelingen. Wir
    müssen die makroökonomische Überwachung besser ko-
    ordinieren. Die mikroökonomischen Fragen aber müssen
    in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten blei-
    ben.

    Frau Präsidentin, gestatten Sie mir, noch in einem
    Satz darauf hinzuweisen, dass uns die Europäische
    Kommission ein konkretes Angebot gemacht hat, den
    Dialog mit den nationalen Parlamenten zu vertiefen. Die
    Kommission hat uns zugesagt, jede Stellungnahme der
    nationalen Parlamente ernsthaft zu prüfen. Das bedeutet,
    die Kommission wird nicht nur Subsidiaritätsstellung-
    nahmen prüfen, also Stellungnahmen, die einen Verstoß
    gegen das Subsidiaritätsprinzip rügen, auch nicht nur
    Stellungnahmen zu Rechtsetzungsvorschlägen, sondern
    generell jede Stellungnahme.

    Ich finde, das ist ein großartiges Angebot. Wir sollten
    davon Gebrauch machen,

    (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ihr macht ja nichts!)


    indem wir uns intensiv einmischen in die Rechtsetzungs-
    vorhaben und in die weiteren Vorhaben der Europäi-
    schen Union. Ich weise darauf hin, dass wir im letzten
    Jahr deutlich mehr Stellungnahmen im Deutschen Bun-
    destag verabschiedet haben, als das vor dem Inkrafttre-
    ten des Lissabon-Vertrages vorher der Fall war. Insbe-
    sondere der Rechtsausschuss, aber auch der
    Europaausschuss sind dabei fleißig gewesen.


    (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem lehnen Sie fälschlicherweise unsere Anträge immer ab!)


    Herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die
    hieran mitgewirkt haben und Europapolitik durch Mitge-
    staltung der Europäischen Union den Bürgern näherbrin-
    gen.

    Vielen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Petra Pau
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Barchmann

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz-Joachim Barchmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

    gen! Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommis-
    sion für das Jahr 2011 erscheint auf den ersten Blick am-
    bitioniert. Mehr als 40 Initiativen werden vorgestellt, um
    die Krisen der letzten Jahre zu bewältigen und einen
    neuen Aufschwung zu unterstützen, damit neue Arbeits-
    plätze entstehen.

    Ein zentraler Bestandteil dieses Arbeitsprogramms ist
    der Binnenmarkt. Damit komme ich jetzt ein bisschen
    von den Finanzen weg. Es gibt schließlich noch mehr in
    der Europäischen Union.


    (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sehr wahr!)


    In fast allen Bereichen des Arbeitsprogramms wird
    auf den Binnenmarkt Bezug genommen. Der ehemalige
    Kommissar Professor Mario Monti hat in seinem Bericht
    zum Neustart des Binnenmarktes wichtige Aspekte und
    auch Probleme aufgezeigt. Monti stellte zum Beispiel
    fest, dass der Binnenmarkt notwendiger sei als jemals
    zuvor, aber bei den Menschen in Europa auch unbelieb-
    ter als jemals zuvor.

    Ich denke, beides ist richtig. Daraus darf man aller-
    dings nicht den Schluss ziehen, nun alles den vier
    Grundfreiheiten des Binnenmarktes zu unterwerfen, und
    dann würde schon alles gut. Nein, gerade jetzt, nach
    solch schweren Krisen – der Euro hat sich immer noch
    nicht stabilisiert, und daran hat auch die Bundesregie-
    rung ihren Anteil –, müssen wir erkennen, dass der
    Markt ohne eine soziale Flankierung ein Irrweg ist.

    Deshalb fordern wir als SPD seit Jahren, die soziale
    Fortschrittsklausel in die europäischen Verträge aufzu-





    Heinz-Joachim Barchmann


    (A) (C)



    (D)(B)

    nehmen. Immer wieder wurde uns vonseiten der Regie-
    rungskoalition vorgehalten, dass der Vertrag von Lissa-
    bon nicht neu zu verhandeln sei und man keine Chance
    habe, daran etwas zu ändern. Was wir aber im Dezember
    in Brüssel erlebt haben, zeigt, dass durchaus noch Mög-
    lichkeiten vorhanden waren. Dort wurde nämlich kurz-
    fristig eine Änderung des Vertrages vom Europäischen
    Rat beschlossen.

    Verstehen Sie mich in dieser Beziehung bitte nicht
    falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dieser Akt
    europäischer Solidarität in finanzpolitischen Fragen war
    wichtig und richtig. Deutschland hat schließlich auch ein
    massives Interesse an der Stabilität der Gemeinschafts-
    währung. Zu diesem Zeitpunkt hat die Bundesregierung
    aber wieder einmal die Chance verpasst, endlich die so-
    ziale Fortschrittsklausel in die Verträge hineinzuverhan-
    deln.


    (Beifall bei der SPD)


    Das alleinige Starren auf die Euro-Krise und etwaige
    Krisenmechanismen greift einfach zu kurz. Wir müssen
    in der Tat die Europäische Union weiterentwickeln.
    Dazu gehört neben der politischen Union und einer koor-
    dinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik ein verbindli-
    cher sozialer Rahmen. Dieser muss in ganz Europa Min-
    deststandards setzen und den Bürgerinnen und Bürgern
    Europas Schutz und Sicherheit bieten. Genau das wäre
    die soziale Fortschrittsklausel. Leider hat auch die Kom-
    mission nicht den Mut bewiesen, diese Klausel im
    Single Market Act vorzuschlagen, sondern sie hat sich
    auf einen butterweichen Kompromiss verständigt. Hier
    enttäuscht uns Sozialdemokraten die Kommission. Hier
    hatten wir auch nach dem Bericht von Professor Monti
    mehr erwartet.

    Wirtschafts- und Sozialpolitik sind keine Gegensätze.
    Deshalb darf es nicht sein, dass vor dem Europäischen
    Gerichtshof wirtschaftliche Grundfreiheiten Vorrang vor
    sozialen Rechten erhalten. Die soziale Fortschrittsklau-
    sel ist ein Schritt, um die Bürgerinnen und Bürger Euro-
    pas mit dem Binnenmarkt zu versöhnen. Das ist genauso
    wichtig wie die Maßnahmen zur Stabilisierung des Eu-
    ros. Nur wenn die Menschen der Europäischen Union ih-
    ren Institutionen vertrauen und sich in ihr sicherfühlen,
    können sie ihre kreativen Fähigkeiten entfalten. Ver-
    trauen in die soziale Sicherheit ist für die soziale Markt-
    wirtschaft ein wichtiges konstitutives Element. Dieses
    notwendige Vertrauen wird gerade in den Ländern, die
    unter der Euro-Krise am meisten zu leiden haben, mas-
    siv beschädigt.

    Woher kommen denn die Schwierigkeiten des Euros?

    Zum einen haben einige Länder über ihre Verhältnisse
    gelebt. Sie müssen jetzt sparen; aber sie dürfen sich na-
    türlich nicht kaputtsparen, wie es in Griechenland und in
    Irland, nicht zuletzt auf Druck der Bundesregierung, vor-
    geführt wird.


    (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


    Hartes Sparen allein reicht nicht aus, um die Krise zu be-
    wältigen, nein, sie verschärft sie nur noch. Das ist auch
    für die deutsche Wirtschaft gefährlich; denn wenn un-
    sere europäischen Nachbarn als unsere Kunden ausfal-
    len, dann schlagen deren Sparbemühungen auch bei uns
    negativ durch.

    Zum anderen ist die gemeinsame europäische Wäh-
    rung auch durch stark unterschiedliche Leistungsbilan-
    zen der einzelnen Länder belastet. Wo einige Länder
    hohe Defizite einfahren, erwirtschaftet Deutschland
    enorme Überschüsse. Diese Ungleichheiten werden von
    den Finanzmärkten erkannt und erbarmungslos ausge-
    nutzt. Der Euro wird als unsicher bewertet.

    Was macht die Bundeskanzlerin? Anstatt mit klaren
    Maßnahmen für Ruhe in den Märkten zu sorgen, zaudert
    und zögert sie weiter. Sie führt über die Presse Debatten
    mit Kommissionspräsident Barroso über die Ausweitung
    des Rettungsschirmes, der, so hört man zumindest, intern
    schon zugestimmt wurde. So beruhigt man die Finanz-
    märkte nicht, sondern so lädt man Spekulanten dazu ein,
    gegen den Euro zu wetten.

    Zur Bewältigung der Krise brauchen wir eine stärkere
    wirtschaftspolitische Koordinierung der Europäischen
    Union, sodass die Leistungsbilanzungleichgewichte in-
    nerhalb des Euro-Raumes nicht so stark auftreten kön-
    nen. Es geht nicht darum, Deutschlands Wettbewerbs-
    fähigkeit zu schwächen, sondern darum, die Leistungs-
    bilanzüberschüsse durch die Steigerung der Binnennach-
    frage zu verringern. Wir brauchen eine schrittweise
    Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa: mit ho-
    hem Beschäftigungsniveau, stetigem Wirtschaftswachs-
    tum und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht. Auf die-
    sem Weg kann die soziale Fortschrittsklausel intensiv
    helfen.


    (Beifall bei der SPD)


    Es ist heute zu früh, um das Arbeitsprogramm der Eu-
    ropäischen Kommission für dieses Jahr abschließend zu
    beurteilen. Das kann man erst, wenn die konkreten Vor-
    schläge auf dem Tisch liegen.