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    Plenarprotokoll 17/44 Zusatztagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Über- nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmecha- nismus (Drucksachen 17/1685, 17/1740, 17/1741) . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 27: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stabilisierung des Finanzsektors – Ei- Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister 4412 C 4422 D 4424 D 4425 B 4427 B 4429 A 4434 A 4436 D Deutscher B Stenografisch 44. Sitz Berlin, Freitag, den I n h a l Begrüßung des neuen Abgeordneten Holger Krestel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Geschäftsordnung Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Peter Altmaier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b c D N O D 4407 A 4407 B 4407 B 4408 B 4409 D 4411 A 4411 B genkapitalvorschriften für Banken an- gemessen überarbeiten (Drucksache 17/1756) . . . . . . . . . . . . . . . . 4412 C undestag er Bericht ung 21. Mai 2010 t : ) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der geänderten Ban- kenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksachen 17/1720, 17/1803) . . . . . . . ) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Umsetzung der neu ge- fassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksache 16/13741) . . . . . . . . . . . . . . r. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . icolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . tto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . 4412 D 4412 D 4413 A 4415 C 4417 A 4419 B 4421 A AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . 4437 C 4438 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiederherstellung der Handlungsfähig- keit von Städten, Gemeinden und Land- kreisen (Drucksache 17/1744) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Lisa Paus, Dr. Gerhard Schick, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gewerbesteuer stabilisieren – nicht abschaffen (Drucksache 17/1764) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine Versteti- gung der Kommunalfinanzen – Die Gewer- besteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln (Drucksachen 17/783, 17/1783) . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . D D D P A T a b M M D R D T a b c 4438 D 4439 D 4441 A 4442 A 4442 C 4442 D, 4443 A 4443 C, 4451 D 4454 C, 4456 D 4446 A 4446 A 4446 B 4446 B 4447 C 4449 A 4449 D 4459 A 4460 D 4462 B r. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . r. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . r. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . eter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . ntje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 29: ) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Steuerhinterziehung wirksam und zielgenau bekämpfen (Drucksache 17/1755) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Steuerhinterziehung wirksam be- kämpfen (Drucksache 17/1765) . . . . . . . . . . . . . . . anfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . artin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . r. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . ichard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . r. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 30: ) Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Das Risiko von Altersarmut durch ver- änderte rentenrechtliche Bewertungen von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit und der Niedriglohn-Beschäftigung be- kämpfen (Drucksache 17/1747) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutz bei Er- werbsminderung umfassend verbes- sern – Risiken der Altersarmut verrin- gern (Drucksache 17/1116) . . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Risiken der Al- tersarmut verringern – Rentenbeiträge 4463 D 4465 D 4466 D 4467 D 4468 D 4471 A 4471 A 4471 B 4473 A 4473 D 4474 C 4475 B 4476 A 4476 D 4477 C 4478 C 4478 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 III für Langzeiterwerbslose erhöhen (Drucksache 17/1735) . . . . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wein- gesetzes (Drucksache 17/1749) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Lehre an allen Hochschulen garantie- ren – Eine dritte Säule im Hochschul- pakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen (Drucksache 17/1588) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Drucksache 17/1737) . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- mechanismus (Zusatztagesordnungspunkt 13) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . A J D P D P D F D H K A E S ( s z R m A E D ( m n t S n A E D K n e l S n A Z d d p G D A 4478 D 4479 A 4480 A 4481 D 4482 D 4484 A 4485 B 4486 D 4488 C 4488 C 4488 D 4489 C 4491 A 4491 C 4493 B lexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . osef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . r. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . atrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . r. Norbert Lammert (CDU/CSU) . . . . . . . . . aul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . r. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . rank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . ans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . arl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . nlage 3 rklärung nach § 31 GO der Abgeordneten teffen Bockhahn und Dr. Barbara Höll beide DIE LINKE) zur namentlichen Ab- timmung über den Entwurf eines Gesetzes ur Übernahme von Gewährleistungen im ahmen eines europäischen Stabilisierungs- echanismus (Zusatztagesordnungspunkt 13) nlage 4 rklärung nach § 31 GO der Abgeordneten r. Valerie Wilms und Bettina Herlitzius beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur na- entlichen Abstimmung über den Entwurf ei- es Gesetzes zur Übernahme von Gewährleis- ungen im Rahmen eines europäischen tabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- ungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 5 rklärung nach § 31 GO der Abgeordneten r. Peter Gauweiler, Manfred Kolbe und laus-Peter Willsch (alle CDU/CSU) zur amentlichen Abstimmung über den Entwurf ines Gesetzes zur Übernahme von Gewähr- eistungen im Rahmen eines europäischen tabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- ungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 6 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än- erung des Weingesetzes (Tagesordnungs- unkt 31) ustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . lexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . 4493 C 4494 B 4494 C 4495 A 4495 B 4495 C 4496 A 4496 C 4497 A 4498 B 4499 A 4499 C 4500 A 4500 B 4501 B 4502 A 4503 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Gute Lehre an allen Hochschulen garan- tieren – Eine dritte Säule im Hochschul- pakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Tagesordnungspunkt 32 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4503 D 4504 C 4505 C 4507 A 4508 C 4509 C 4510 D 4511 D 4512 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4407 (A) ) )(B) 44. Sitz Berlin, Freitag, den Beginn: 9.0
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    1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4491 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Übernahme von Ge- währleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- nungspunkt 13) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem vor- liegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Dem Grie- chenland-Paket habe ich nur zugestimmt, weil die Zeit für die Erarbeitung einer in den EU-Verträgen fehlenden Rechtsgrundlage für ein geordnetes Restrukturierungs- verfahren für Griechenland gefehlt hat. So wurde zumin- dest argumentiert. Nun muss ich aber sehen, dass für die Erarbeitung einer viel weitreichenderen Rechtsgrund- lage offenbar zehn Tage vollkommen ausreichend wa- ren. Ich fühle mich dadurch im Nachhinein gewisserma- ßen getäuscht. Man beachte, dass allein der Finanz- und Garantie- umfang des Griechenland-Pakets für Deutschland bei 22 Milliarden Euro zuzüglich Zinsrisiken liegt, der des Gewährleistungsgesetzes bei 147 Milliarden Euro ein- schließlich einer zusätzlichen Garantieermächtigung. Der Zeitfaktor gilt auch noch für einen anderen Fakt, al- lerdings in ganz anderer Hinsicht. Die Konstruktion der noch zu gründenden milliardenschweren Zweckgemein- schaft – 440 Milliarden Euro – liegt nur in groben Zügen vor. Die vertraglichen Grundlagen sind nicht hinrei- chend bestimmt, sodass es für Parlamentarier schwierig ist, verantwortlich zu entscheiden. Den acht in der Ab- stimmungserklärung der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und Manfred Kolbe genannten Punkten stimme ich vollinhaltlich zu. Alles in allem hoffe ich dennoch, dass trotz aller Be- schwernisse meinerseits meine Vermutungen im Hin- blick auf die Entwicklung der EU nicht eintreffen mö- gen, nach denen es eine EU mit Stabilitäts- und Wachstumskriterien und einer Leitwährung deutscher Prägung im Sinne eines Staatenbundes nicht mehr geben wird, stattdessen der Weg in einen europäischen Bundes- staat als Transferunion auf Grundlage einer Durch- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2010 Binder, Karin DIE LINKE 21.05.2010 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 21.05.2010 Bollmann, Gerd SPD 21.05.2010 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 21.05.2010 Buchholz, Christine DIE LINKE 21.05.2010 Gloser, Günter SPD 21.05.2010 Goldmann, Hans- Michael FDP 21.05.2010 Groschek, Michael SPD 21.05.2010 Höger, Inge DIE LINKE 21.05.2010 Hönlinger, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2010 Humme, Christel SPD 21.05.2010 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2010 Nietan, Dietmar SPD 21.05.2010 Petermann, Jens DIE LINKE 21.05.2010 Pflug, Johannes SPD 21.05.2010 Reichenbach, Gerold SPD 21.05.2010 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 21.05.2010 Roth, Michael SPD 21.05.2010 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 21.05.2010 Dr. Schwanholz, Martin SPD 21.05.2010 Schwanitz, Rolf SPD 21.05.2010 Steinbach, Erika CDU/CSU 21.05.2010 Weinberg, Harald DIE LINKE 21.05.2010 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2010 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 21.05.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 4492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) schnittswahrung durch das Gewährleistungsgesetz vor- programmiert ist. Rechtliche Bedenken: Das vorgesehene Hilfssystem verstößt gegen geltendes EU-Recht. Das gilt sowohl für die Finanzierung durch EU-Anleihen als auch für die Abgabe von bilateralen Garantien durch Mitgliedstaaten. Es ist auch kein singuläres Ereignis im Sinne des Art. 122 AEUV – Vertrag über die Arbeitsweise der Eu- ropäischen Union –, da die Lage hilfebedürftiger Mit- gliedstaaten zu großen Teilen von ihnen selbst ver- ursacht wurde Diese liegt in der Situation der Staatshaushalte begründet. Das Budgetrecht obliegt den jeweiligen Parlamenten. Ferner hat gemäß Stabilitäts- pakt die EU ebenfalls eine Überwachungsfunktion. Inso- fern ist die Bestimmung des Art. 122, dass die Union Beistand gewähren kann, wenn einem „Mitgliedsstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnli- chen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen ...“, nicht anwendbar. Auf ein singuläres Ereignis, das sich der eigenen Kontrolle entzieht, kann man sich nicht be- rufen, wenn auf Staatspapiere, die man aus einem Ge- winnmotiv heraus gekauft hat, Abschreibungsverluste drohen. Die Unabhängigkeit der EZB wird infrage ge- stellt, da sie sich an dem Beistand im Rahmen des Hilfs- systems beteiligt. Der Erwerb von Staatsanleihen am of- fenen Markt ist ein direkter Verstoß gegen Art. 123 AEUV. Die in Art. 125 – Haftungsausschlüsse – Abs. 2 dem Rat zugeteilte Ermächtigung in Art. 123 – Verbot von Kreditfaszilitäten für öffentliche Einrichtungen – Art. 124 – Verbot zu berechtigtem Zugang von Finanzin- stituten für öffentliche Einrichtungen – und Art. 125 be- inhaltet lediglich, die Definition der Anwendung vor- gesehener Verbote näher zu bestimmen. Sie erlaubt nicht die gänzliche Aufhebung dieser Verbote. Durch das Ge- währleistungsgesetz wird aber ein echtes Gemein- schaftsinstrument geschaffen. Das heißt, die in vorge- nannten Artikeln verankerten Verbote werden aufgehoben. Das halte ich für rechtswidrig. Grundsätzliche Bedenken: Ich stimme der Aussage des Bundesbankpräsidenten Axel Weber ausdrücklich zu, wenn er sagt, dass die Beschlüsse die Fundamente der Wahrungsunion in ganz erheblicher Weise strapazie- ren. Die Vorstellung, die prekäre finanzielle Situation einzelner Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe könnte mit Milliardengarantien und Krediten abgewendet und da- durch der Euro gestärkt werden, halte ich für illusorisch. Auch das riesige Hilfspaket saniert deren Staatsfinanzen nicht; es schwächt vielmehr. Selbst die kurzfristige Ab- schwächung der Spekulations- und Nervositätsdynamik an den Finanzmärkten kann nicht darüber hinwegtäu- schen, dass durch eine derartige Ad-hoc-Politik langfris- tig mehr Vertrauen zerstört wird und keine echte Stabili- sierung erzielt werden kann. Der Euro droht von einer Leitwährung zu einer Durchschnitts- bzw. Weichwährung zu werden, die Sta- bilitätsgemeinschaft der Euro-Zone zu einer Schulden-, Haftungs- und Transfergemeinschaft zu verkommen. Das ist ein weiterer Grund, dass sich an den Märkten kaum Vertrauen herstellen lassen wird. Die Teilnahme des IWF im vorliegenden Maßnahme- paket ist im Unterschied zum Griechenland-Paket keine Bedingung. Der IWF stellt lediglich Zahlungsunfähig- keit fest und muss das Sparprogramm billigen. Damit fehlen ein notwendiges Korrektiv und ein Mitfinanzie- rer. Die beabsichtigte Zweckgesellschaft ist mit einem eu- ropäischen Währungsfonds vergleichbar. Im Übrigen teile ich nicht die Hoffnung, dass deren Existenz ledig- lich drei Jahre plus vielleicht noch einmal soviel für die Abwicklung betragen wird. Europäische Realitäten ha- ben uns gezeigt, dass sich einmal eingerichtete Instituti- onen selten an Befristungen halten. Für problematisch erachte ich, dass die EU-Kommission die Möglichkeit erhalt, im eigenen Namen Kredite aufzunehmen. Ich bleibe bei meiner Überzeugung, die ich bereits im Zuge der Verabschiedung des Griechenland-Pakets ge- äußert habe, dass die Banken viel zu wenig am Rettungs- paket beteiligt wurden. Es bleibt abzuwarten, welchen Grad der Verbindlichkeit deren angebotene freiwillige Hilfen erreichen. Die unisono erfolgte Befürwortung der Banken zum Rettungspaket ist ein deutliches Zeichen dafür, dass das Gewährleistungsgesetz eigentlich ein Bankenpaket ist, das bei Androhung der Systemrelevanz die Gewähr bietet, auch weiterhin Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren zu können. Hinter der auffälligen Überaktivität einiger EU-Mit- gliedstaaten, insbesondere Frankreichs, das schon im Falle Griechenlands eine Restrukturierung unbedingt verhindern wollte, steht offenbar das Interesse, die Kapi- talanleger vor Schuldenmoratorien und nachrangiger Positionierung ihrer Ansprüche hinter denen des IWF und damit vor Neubewertung der Risiken zu schützen. Das hätte zu Schwierigkeiten der französischen Banken geführt. Deutsche Banken hätten unter das Dach der SoFFin schlüpfen müssen. Das hätte zwar Kapitalhilfe, aber auch staatlichen Einfluss und Kontrolle bedeutet, was keines dieser Kreditinstitute will. Wenn ein angemessener Forderungsverzicht der Gläubiger realisiert wird, bevor internationale Hilfe ein- setzt, können sogar die Märkte als Instrument zum Errei- chen von Schuldendisziplin wirken. Leider hat der IWF einen solchen, für ihn sonst üblichen Forderungsver- zicht, weder im Falle von Griechenland noch für den EU-Gewährleistungsmechanismus gefordert. Auch des- halb wird das vorliegende Gesetz nicht zur notwendigen Schuldendisziplin in den Ländern führen. Durch den Wegfall von Wechselkursmechanismen bei Einführung der einheitlichen Währung für den Euro- Raum, gibt es nur noch wenige Instrumente, auf Wettbe- werbsfähigkeit, Bonität, Schuldendisziplin der Mitglied- staaten zu reagieren. Wenn die Preisstabilität erhalten bleiben soll, so bleibt da nur noch die unterschiedliche Zinsbewertung. Zinssteigerung infolge unsolider Haus- haltpolitik kann sehr disziplinierend wirken. Durch das Gewährleistungsgesetz wird auch dieser Bewertungsme- chanismus ausgehebelt, praktisch Zinskonvergenz her- gestellt. Deutschland, das die Hauptlast der Gewährleis- tung zu tragen hat, hilft seinen Konkurrenten am Kapitalmarkt, sich wieder billiger zu verschulden. Das Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4493 (A) (C) (D)(B) ist meines Erachtens falsch verstandene Solidarität. Die europäische Schuldenblase wird weiter aufgeblasen. Das beflügelt Abwertungserwartungen für den Euro. Die Sta- bilisierung des Euro-Kurses ist nicht zu erwarten, was schon dessen nur kurzer Aufwärtstrend nach Ankündi- gung des Rettungspaketes an den Börsen deutlich machte. Was ohne das Gewährleistungsgesetz nur zur Abwertung der Staatsschuldentitel einzelner Euro-Län- der geführt hätte, kann nun zur Abwertung der ganzen Währung führen. Das wiederum bedeutet einen allge- meinen Anstieg des Zinsniveaus auch für Deutschland sowie ein erhöhtes Inflationsrisiko. Damit wird das Ge- währleistungsgesetz auch noch zur Wachstumsbremse für Deutschland. Sonstige Bewertungen: Anzuerkennen ist, dass sich die Bundesregierung bemüht, dem Gewährleistungspa- ket eine grundlegende Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes an die Seite zu stellen. Diese Reform einstimmig in der Union von 27 Staaten, bei denen ei- nige die Vertragsänderungen per Referendum ratifizieren lassen müssen, und in einem wegen der Dringlichkeit der Haushaltkonsolidierung und der daraus resultieren- den Finanzausstattung nahen Zeithorizont umzusetzen, halte ich allerdings für illusorisch. Anzuerkennen ist ferner, dass endlich notwendige Maßnahmen der Finanzmarktregulierung in Angriff genommen wurden, wobei ich hoffe, dass die jetzige Dy- namik in diesem Prozess anhält und nicht nur dem Leidensdruck, die notwendige Zustimmung zum vorlie- genden Gesetz zu bekommen, geschuldet ist. Die Unter- stützung für die Finanztransaktionsteuer ist mir aber ein- deutig zu halbherzig. Außerdem fehlt mir die unbedingt erforderliche Trennung des klassischen Bankgeschäftes vom risikoreichen Investmentbanking und dessen Unter- legung mit Eigenkapital. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten und heute nach 2. und 3. Lesung zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus werde ich meine Zustimmung erteilen. Ich stelle für diese Zustim- mung folgende Bedenken zurück: Erstens. Ich hege Zweifel, ob einerseits die bisher aus guten Gründen völlig unabhängige Rolle der Europäi- schen Zentralbank, EZB,) angesichts ihrer Absicht, beim Ankauf von Staatsanleihen aktiv zu werden, nicht min- destens temporär beeinträchtigt wird, und andererseits diese Praxis ohne Auswirkung auf die Geldwertstabilität in der Euro-Zone bleibt. Zweitens. Die von der Europäischen Union, EU, be- reitgestellten 60 Milliarden Euro dürfen weder als Ein- fallstor für eine zusätzliche Steuerfinanzierung für die EU begriffen werden, noch darf dies als Einstieg in eine Kreditfinanzierung der EU führen. Drittens. Angesichts der Höhe der bereitzustellenden Bürgschaften wäre nicht nur ein Mitwirkungsrecht, son- dern ein Zustimmungsvorbehalt des Haushaltsausschus- ses des Deutschen Bundestages angezeigt. Alexander Funk (CDU/CSU): Hiermit teile ich mit, dass ich mich dem Mehrheitsvotum der Regierungsko- alition zum Stabilisierungsgesetz bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag am 21. Mai 2010 nicht an- schließen werde. Ich habe diese Entscheidung nach reif- lichem Überlegen, intensiver Prüfung aller mir zugängli- chen Informationen und in der Konsequenz meiner massiven Bedenken gegen den eingeschlagenen finanz- und europapolitischen Weg getroffen. Bereits anlässlich der Abstimmung über das Gesetz zum Erhalt der Währungsunion vom 7. Mai 2010 habe ich meine Befürchtung kundgetan, dass mit der Über- nahme von Kreditbürgschaften für Griechenland nicht nur formalrechtlich, sondern auch inhaltlich gegen zen- trale Regularien der einschlägigen europäischen Gesetze verstoßen und der Weg zu einer mit unkalkulierbaren Ri- siken verbundenen Uminterpretation der Europäischen Union zu einer Transferunion eröffnet wird. Bedauerlicherweise muss ich feststellen, dass sich, wenige Tage nach der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages in Sachen Griechenland, meine Befürch- tungen und Bedenken in jeglicher Form bestätigt haben. Die besonders betonte Singularität der Hilfsmaßnahmen für Griechenland wird durch die beabsichtigte, exorbi- tante Garantiesumme von mindestens 123 Milliarden Euro zum Dauerrisiko für den Haushalt der Bundesrepu- blik. Der vorgelegte Gesetzesentwurf sieht einen potenziel- len Beistand der Union für Mitgliedstaaten vor, die „durch außergewöhnliche Ereignisse, die sich ihrer Kon- trolle entziehen, von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind.“ Unter dieser Maßgabe werden in unüberschaubarer Größenordnung finanzpolitische Miss- wirtschaft, Haushaltsdefizite sowie das Unterlaufen des Stabilitätspaktes zu einer höheren Gewalt, die sich dem Einfluss der Staaten entzöge, uminterpretiert und nach- träglich legitimiert. Eine tatsächliche ökonomische Ge- fährdung des Euro kann meines Erachtens gewiss nicht durch die potenziellen Abschreibungsverluste der Inha- ber von Staatsanleihen begründet und zu einem „außer- gewöhnlichen Ereignis“ stilisiert werden, das die Kap- pung der No-bail-out-Klausel unerlässlich mache. Ich hege erhebliche Zweifel an der vorgebrachten Einschätzung, dass durch die implementierten Kontroll- mechanismen ein nachhaltiger Konsolidierungserfolg der etwaig betroffenen Länder erreicht werden kann, ebenso bezweifele ich die Dauerhaftigkeit der intendier- ten marktberuhigenden Effekte des Stabilisierungsgeset- zes. Im Gegenteil sind meines Erachtens ein weiterer Kursverfall des Euros, eine stetig steigende Inflationsge- fahr sowie mittelfristig zu erwartende Zinserhöhungen direkte wirtschaftliche Effekte der jetzigen Maßnahmen und insbesondere die Degradierung der Europäischen Zentralbank zu einem Instrumentarium tagespolitischen Opportunismus'. Ich bedauere ausdrücklich, dass die vielfältigen und wissenschaftlich renommierten Kritiker dieses einge- schlagenen Weges bisher keine Gelegenheit erhalten ha- ben, mit uns über Alternativstrategien fachlich fundiert zu beraten. Andere und gangbare Wege der Krisenbe- 4494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) wältigung sind indes in den Wirtschaftsteilen der seriö- sen Tages- und Fachpresse für jeden Bürger nachlesbar und meines Erachtens mindestens bedenkenswert und diskussionsfähig. Auch aus diesem Grunde hege ich massive Zweifel an der immer wieder monierten Alter- nativlosigkeit des Programmes und warne mit Nach- druck vor den Konsequenzen dieser Ausblendung von Exit-Strategien. Mitunter wird der berechtigten Kritik an der Außer- kraftsetzung aller finanzpolitischen Grundüberzeugun- gen unserer CDU und insbesondere der Väter der Wäh- rungsunion inzwischen unterstellt, einen aktiven Beitrag an der zu erwartenden ausbleibenden Marktberuhigung zu leisten. Ich verwehre mich in aller Schärfe gegen diese Argumentationsführung. Das berechtigte und von den Bürgerinnen und Bürgern auch erwartete Ringen um den besten Weg in einer für uns alle entscheidenden Situation gehört zur guten Tradition der christlichen Unionsparteien. Unsere Partei war immer der Garant für fiskal- und finanzpolitische Vernunft und Seriosität und nicht zuletzt deshalb der entscheidende bundespolitische Akteur der Europäischen Integration. Ich versichere Ihnen, dass ich mich nach Kräften für die Menschen in unserem Land und für eine starke und erfolgreiche Arbeit unserer CDU einsetzen werde. Überdies schließe ich mich der vorgelegten Erklärung meiner Fraktionskollegen Klaus-Peter Willsch und Manfred Kolbe ausdrücklich an. Dem vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung kann ich daher am 21. Mai 2010 nicht zustimmen. Josef Göppel (CDU/CSU): Eine dauerhafte Siche- rung unserer gemeinsamen Währung Euro kann nur ge- lingen, wenn Haushaltskonsolidierung der Euro-Staaten und Regulierung der Finanzmärkte gemeinsam angegan- gen werden. Dabei müssen die Finanzmärkte an den Kosten der Bankenkrise und der Sanierung der Staats- haushalte angemessen beteiligt werden. Mit dem Gesetz zum europäischen Stabilisierungsmechanismus über- nimmt Deutschland konkrete finanzielle Verpflichtun- gen, doch die Beteiligung der Finanzmärkte bleibt weiter unbestimmt. Nur eine Finanztransaktionsteuer bringt einen nen- nenswerten Ertrag und dämmt gleichzeitig kurzfristige Spekulation ohne Bezug zur Realwirtschaft wirkungs- voll ein. Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die sich in ihrem Geschäftsmodell auf die Finanzierung von Unternehmensinvestitionen konzentrieren, haben in der Bundestagsanhörung vom 17. Mai 2010 der Finanztrans- aktionsteuer den Vorzug vor Bankenabgabe und Finanz- aktivitätsteuer gegeben. Investmentbanken und Hedge- fonds würden hingegen aufgrund des schnellen Umschlags ihres Vermögens durch eine Finanztransaktionsteuer in ihren krisenverstärkenden Aktivitäten gebremst. Die seit 1986 existierende britische Börsenumsatzsteuer beweist, dass bei geringen Steuersätzen auf Transaktionen keine Schwächung des Finanzplatzes eintritt. Durch die Anhö- rung des Finanzausschusses sehe ich mich darin be- stärkt, dass eine Umsetzung der Finanztransaktionsteuer in der Euro-Zone möglich ist. Die Bankenkrise des Jahres 2008 wurde mit den Steu- ermitteln aller Bürger eingegrenzt. Ohne die damit ver- bundene Kreditaufnahme hätte Deutschland im Jahr 2010 einen Haushalt ohne Neuverschuldung erreicht. Nach dem Löschen des spekulativen Flächenbrands im Bankensektor wurde international zu wenig für die Be- kämpfung der Ursachen getan. Eine erneute Belastung der Steuerzahler ohne Einbeziehung des Finanzsektors kann ich nicht mittragen. Dem Entschließungsantrag mit der Drucksachennummer 17/1809 zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer stimme ich zu. Dr. Lutz Knopek (FDP): Bevor wir heute über einen Gesetzentwurf mit so weitreichenden Folgen entschei- den, mache ich von meinem Recht Gebrauch, mein Ab- stimmungsverhalten zu begründen. Ungleiche wirtschaftliche Entwicklungen in unter- schiedlichen Staaten erfordern eine Anpassung des re- alen Wechselkurses. In einem gemeinsamen Währungs- raum sind die Handlungsspielräume einzelner Staaten, kurzfristig auf länderspezifische Entwicklungen zu re- agieren, jedoch beschränkt, da der nominale Wechsel- kurs als Anpassungsinstrument nicht mehr zur Verfügung steht. Verschiedene Sprachen und kulturelle Unter- schiede schränken die Faktormobilität ein, sodass ein Ausgleich über eine Zu- oder Abwanderung von Kapital und Arbeitskräften nur eingeschränkt infrage kommt. Die anhaltenden Proteste in Griechenland zeigen, dass die Faktorpreisflexibilität ebenfalls erheblich einge- schränkt ist. Keine demokratisch gewählte Regierung wird in kurzer Zeit die zur Herstellung der Wettbewerbs- fähigkeit erforderlichen drastischen Lohnsenkungen durchsetzen können. Als letztes Mittel – wird der Weg in die geordnete Insolvenz ausgeschlossen – verbleibt da- her nur noch die Möglichkeit, eine reale Ungleichge- wichtssituation im Rahmen umfassender interstaatlicher Transfers abzubauen. Ein solches Finanzausgleichssys- tem in einer Währungsunion politisch selbstständiger Staaten gefährdet aufgrund fehlender Anreize zur finan- ziellen Solidität nicht nur die Anpassungsfunktion über die Märkte, es macht auch eine glaubhafte Gelddisziplin schwierig. Bereits 1990 hat die Europäische Kommis- sion in ihrem vorbereitenden Bericht zur Europäischen Währungsunion mit dem Titel „One Market, One Mo- ney“ dazu Folgendes festgestellt: Die Schaffung der Währungsunion setzt die lang- fristige Vereinbarkeit zwischen der gemeinsamen Geldpolitik und der Haushaltspolitik in den einzel- nen Mitgliedstaaten voraus. Untragbare Haushalts- situationen in einem Mitgliedstaat würden die mo- netäre Stabilität in der Gemeinschaft insgesamt ernsthaft bedrohen. Durch hohe und wachsende Schuldenquoten würde Druck auf die Gemeinschaft ausgeübt, finanzielle Hilfestellung zu leisten. Da Geld- und Haushaltspolitik langfristig interdepen- dent sind, führt dies letztlich zu einer Inflationsfi- nanzierung der Staatsschuld. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4495 (A) (C) (D)(B) Mit der heutigen Entscheidung tritt Deutschland da- her den unweigerlichen Weg in eine europäische Trans- ferunion an. Damit übernimmt Deutschland de facto die Gewährleistung der Schulden derjenigen europäischen Staaten, die über einen langen Zeitraum unsolide gewirt- schaftet haben. Verantwortungslosigkeit wird somit be- lohnt. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, erstmals Staatsanleihen aufzukaufen – wenn auch zu- nächst einmal geldmengenneutral – lässt an der Unab- hängigkeit der EZB erhebliche Zweifel aufkommen. Langfristig wird mit der heutigen Entscheidung die Geldwertstabilität des Euro wesentlich gefährdet. Diese Entscheidung kann ich daher nicht mittragen. Ich stimme gegen diesen Gesetzentwurf. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Die zahlreiche Kritik an dem Gesetz muss von der Bundesregierung in erheblichem Maße ernst genommen werden. Auch ich kann zahlreiche Details des Gesetzes nicht nachvollzie- hen oder bin bei Einzelfragen dagegen. In der Hauptsache lehne ich die Finanzmarkttrans- aktionsteuer ab. Sie kann nur global eingefühlt wirken, ansonsten bleibt sie wirkungslos. Zumal lehne ich es ab, dass vor allem Kleinsparer belastet werden. Fragen bleiben bestehen: Was passiert, wenn Defizit- staaten gegen Auflagen verstoßen? Was folgt, wenn der IWF abzieht? Die genaue Garantie dazu bleibt fraglich. Der Eindruck bleibt, dass Schulden mit Schulden be- kämpft werden. Trotz dieser bestehenden Einzelfragen und nicht nachvollziehbaren Details stimme ich diesem Gesetz zu. Letztlich muss ich mich allerdings auf die Richtigkeit der Maßnahme verlassen, die von Experten und der Bun- desregierung vorgeschlagen werden. Für mich ist dabei aber entscheidend: Mit dem heuti- gen Tag wird ausdrücklich nicht ein Vorgang abge- schlossen. Nein! Aus meiner Sicht haben wir die Lösung eines Problems nur verschoben und ein wenig Zeit ge- wonnen. Die Uhr läuft zur Lösung des Problems rück- wärts. Deshalb muss der heutige Beschluss der Start einer intensiven europäischen Politik zur Rettung des Euro. Jetzt muss die Bundesregierung Führungsverant- wortung übernehmen und insbesondere eine Politik des Schuldenabbaus und ordentlicher Haushalte in der Euro- Zone und bei den Mitgliedstaaten einfordern. Drastische Maßnahmen stehen an, für die der Bundes- tag und die Bundesregierung bei der deutschen Bevölke- rung und die europäischen Mitgliedstaaten intensiv wer- ben müssen. Mit anderen Worten: Wenn die gewonnene Zeit nicht für drastische Reformen in der Euro-Zone ge- nutzt wird, ist der Euro in Gefahr. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus stimme ich zu, weil ich auch unter Berücksichtigung ernst zu neh- mender Zweifel an Art und Umfang der vorgesehenen Maßnahmen die Risiken einer Verweigerung dieser ge- meinsamen Bemühungen für unabsehbar und daher un- vertretbar halte. Für meine Zustimmung sind die gesetzliche Bindung der Finanzierungsmaßnahmen an ein zwischen dem be- troffenen Mitgliedstaat mit dem Internationalen Wäh- rungsfonds, der Europäischen Kommission und der Eu- ropäischen Zentralbank vereinbartes und von allen Staaten des Euro-Raumes gebilligtes wirtschafts- und fi- nanzpolitisches Programm sowie die nun endlich ein- geleiteten Regulierungen spekulativer Finanzgeschäfte wesentlich. Dagegen bedaure ich, dass das Gesetz keine Regelungen für die zu gründende Zweckgesellschaft zur Gewährung von Krediten enthält, sondern der Deutsche Bundestag sich mit der Vorlage der für diese Zweck- gesellschaft noch in Vorbereitung befindlichen Vertrags- gestaltung begnügt, die nach meiner Überzeugung seiner Zustimmung unbedingt bedurft hätte. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Bei der Abstimmung in der Fraktion am 20. Mai 2010 hatte ich dem Gesetzes- vorhaben meine Zustimmung verweigert. Nach Überprüfung aller Beweggründe für und wider das Gesetzesvorhaben in materieller und formeller Hin- sicht habe ich nunmehr trotz fortbestehender Bedenken am Freitag, den 21. Mai 2010, dem Gesetz zur Über- nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäi- schen Stabilisierungsmechanismus meine Zustimmung erteilt. Immer mehr Bürger dieses Landes fragen sich, ob es denn richtig sei, quasi in jeder Sitzungswoche neue mil- liardenschwerer Rettungspakete – Rettung der Länder, des Euro und der EU, der Banken – auf den Weg zu brin- gen. Der Politik kommt gerade in Anbetracht dieser fi- nanziellen Dimensionen eine besondere Verantwortung zu, Zusammenhänge und Entscheidungsprozesse nach- vollziehbar und transparent zu gestalten. Deshalb muss das Parlament genau wissen, worüber es abstimmt. Durch die Eilbedürftigkeit des Verfahrens hat die Bundesregierung den Bundestag nicht so umfassend be- teiligt, wie es angesichts der Bedeutung des Gesetzes notwendig gewesen wäre. Grundlegende Informationen über Organisationsstrukturen, Verfahren und Techniken des geplanten finanziellen Beistands für Mitgliedstaaten der Euro-Zone wurden den Volksvertretern nur unzurei- chend und unter Zeitdruck zugeleitet. Die vertraglichen Grundlagen müssen aber klar sein – eine Blankovoll- macht darf keinesfalls erteilt werden. Im Vertrauen auf den Finanzminister und die Bundes- regierung stimme ich dem Gesetzentwurf trotz der ge- nannten Bedenken zu. Grund ist der Ernst der Lage: Der Vertrauensverlust der Finanzmärkte in die Solvenz von Euro-Ländern ist nicht auf Griechenland beschränkt ge- blieben. Erste Ansteckungseffekte auf andere Euro-Län- der waren zu verzeichnen. Wäre es zum Verlust des Ver- trauens in die Zahlungsfähigkeit mehrerer Euro-Länder gekommen, hätte das den Anfang vom Ende der Wäh- rungsunion bedeuten können, mit unverantwortbaren volkswirtschaftlichen und sozialen Kosten für Deutsch- land und Europa. 4496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wer dem heute zu beschließenden Gesetz nicht zustimmt, müsste in der Lage sein, die Alternativen zu skizzieren – Alternativen, deren Konsequenzen überschaubar und beherrschbar sein müssten. Ich gebe freimütig zu, dass ich mich dazu außerstande sehe. Deshalb werde ich dem Gesetz zu- stimmen müssen. Allerdings will ich hier nochmals deutlich zu Proto- koll geben, dass ich das grundsätzliche Vorgehen aus- drücklich nicht billige. Das Fehlen der Vertragsgrundla- gen für die zu gründende Zweckgesellschaft ist zu bemängeln. Ich erwarte hier die Umsetzung der Verspre- chen, insbesondere dass diese Einrichtung befristet be- steht. Für unangemessen halte ich auch die Beschneidung des Haushalts- und Mitspracherechtes des Parlamentes. Die Handlungsfähigkeit der Regierung und das Ver- trauen der Märkte wären meines Erachtens durch die Ausnahmeregelung, sprich den Verweis auf die – freilich dann darzulegenden – zwingenden Gründe für eine erst nachträgliche Einbindung des Haushaltsausschusses, in jedem Fall gesichert. Ich halte es für ausgesprochen we- nig souverän, dass die Formulierungen im Gesetz quasi lauten sollen: Erstens. Der Haushaltsausschuss muss nicht unbedingt zustimmen. Zweitens. Im Ausnahmefall muss er gar nicht zustimmen. – Mag sein, dass das über- spitzt formuliert ist. Mag sein, dass die CSU gegenüber der bloßen „Unterrichtung des Haushaltsausschusses“ hier Entscheidendes verbessert hat. Aber: Europapolitik muss künftig parlamentarisch kontrolliert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht diese Kontrolle als Ergänzung zum Lissabon-Vertrag verlangt, und ich habe zuvor mit Verweis auf diesen Mangel wohlüberlegt nicht zugestimmt. Dass wir heute die auf bloßes Bemü- hen reduzierte Formulierung aus dem Begleitgesetz übernehmen, ist die Fortschreibung eines Fehlers, den wir bewusst begangen haben. Ich empfehle einen Ver- gleich unserer Forderungen zu Oppositionszeiten, darge- legt in Drucksache 15/4716 vom 25. Januar 2005, und dessen, was wir uns dann selbst zugebilligt haben, wohl- gemerkt nachdem uns das Verfassungsgericht zur Wah- rung unserer eigenen parlamentarischen Rechte gezwun- gen hat. Mir stellt sich die Frage, wie lange wir eine Europa- politik machen wollen, die auf Messers Schneide an der Verfassungswidrigkeit entlangbalanciert, bei der sich das nationale Parlament in bemerkenswerter Gleichmütig- keit selbst kastriert, bei der am Ende die Exekutive De- mokratie und Gewaltenteilung ersetzt, bei der Verant- wortung und Kompetenz extrem auseinanderfallen. Es kann ja sein, dass eine Notfallsituation wie die vorlie- gende nicht Raum für eine so grundsätzliche Diskussion lässt. Ein Weiter-so kann es aber auch nicht geben. Die Beratung durch das Parlament war im Rahmen der Krise hilfreich. Ohne uns hätte es die notwendige Beteiligung des IWF nicht gegeben, und ohne sie bliebe nicht die kleine Chance, dass die mit deutschen Garantien gewon- nene Zeit genutzt wird, um endlich auf einen europäi- schen Stabilitätskurs zu kommen. Stattdessen hätten wir einen europäischen Währungsfonds und eine Transfer- union bekommen. Wer wie ich keinen europäischen Bundesstaat, keine gemeinsame, französisch dominierte Wirtschaftsregierung will, der tut in den nächsten Wo- chen und Monaten gut daran, unsere Regierung in diesen Fragen eng zu begleiten. Frank Schäffler (FDP): Wir entscheiden gleich über das sogenannte Euro-Stabilisierungsgesetz. Dieses Gesetz ist einmalig in der deutschen Geschichte. Diese Einma- ligkeit veranlasst mich, von meinem parlamentarischen Recht Gebrauch zu machen, mein Abstimmungsverhal- ten vor dem Deutschen Bundestag zu begründen. Ich werde dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu- stimmen. Denn dieses Gesetz ist kein Rettungspaket für den Euro und Europa. Das vereinte Europa ist von seinen Gründungsvätern Konrad Adenauer, Robert Schumann, Jean Monnet, Alcide de Gasperi und anderen als ein Hort der Freiheit gegen alle Formen von Diktatur, Unfreiheit und Plan- wirtschaft erträumt worden. Das heutige Europa ist auf dem Weg in die monetäre Planwirtschaft und den politi- schen Zentralismus. Die Gründungsväter Europas wollten ein Europa des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit. Die heutigen Regie- rungen des Euro-Raums, die EU-Kommission und die EZB verabreden sich hingegen zum kollektiven Rechts- bruch, obwohl die EU-Kommission als Hüterin der Ver- träge und die nationalen Regierungen zum Schutz des Rechts verpflichtet sind. Es gibt Alternativen zum derzeitigen planwirtschaftli- chen und rechtswidrigen Handeln der europäischen Re- gierungen und der EU-Kommission. Planwirtschaft und Rechtsbruch sind nicht alternativlos. Wir müssen uns je- doch trauen, die Alternativen zu bedenken, zu wählen und anschließend mutig umzusetzen. Vor allem müssen wir anfangen, die heute wieder vielfach geschürte Angst vor der Freiheit zu bekämpfen. Dieser Kampf beginnt mit einem freien Denken: Wir müssen uns trauen, die Ursachen unserer Finanz- und Überschuldungskrise zu benennen. Die Hauptursache der Finanz- und Überschuldungs- krise von Staaten und Banken liegt in der Geld- und Kre- ditschöpfung aus dem Nichts und der Möglichkeit, staat- liches ungedecktes Zwangspapiergeld unbegrenzt zu vermehren. Ohne diese Alchemie des Geldes hätte kein weltweites Schneeballsystem aus ungedeckten zukünfti- gen Zahlungsverpflichtungen entstehen können. Dieses Schneeballsystem ist nur möglich, weil der Staat aus Gründen der leichteren Finanzierung von Staatsausgaben den Banken Privilegien verliehen hat, die gegen die Grundprinzipien jeder marktwirtschaftli- chen Ordnung verstoßen. Zum einen handelt es sich um das Teilreserveprivileg, mit dem die Geschäftspraktik der Geld- und Kredit- schöpfung legalisiert worden ist. Zum anderen wurde durch die Gründung von Zentralban- ken der Zusammenhang von Haftung und Entscheidung für den Bankensektor außer Kraft gesetzt. Zentralbanken wird Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4497 (A) (C) (D)(B) die Hauptaufgabe zugewiesen, als Kreditgeber letzter Hand die Insolvenz von Banken zu verhindern. Eine Marktwirtschaft ohne Insolvenzrichter ist jedoch keine Marktwirtschaft. Zudem zerstören Zentralbanken durch ihre Zinspolitik das Preissystem von Gesellschaften. Des- halb wird diese Art der Marktwirtschaft ständig von Kri- sen – boom and bust – heimgesucht. Die marktwirtschaft- lichen Selbstreinigungs- und Lenkungskräfte sind durch staatlichen Zwang im höchst wichtigen Finanzbereich weitgehend außer Kraft gesetzt. Die Vorschläge über neue Finanzmarktsteuern sind deshalb ein Ablenkungsmanöver, das vom eigentlichen Problem unserer Geldordnung ablenken soll. Darüber hinaus führt dieses Geldsystem fast zwangs- läufig zur Überschuldung von Staaten und Banken, die sich in diesem Prozess gegenseitig decken, stützen und erpressen. Die Erpressung lautet: Werden die Zahlungen für uns eingestellt, fällt das gesamte Finanzsystem zu- sammen. Ich stimme dem vorliegenden Gesetz nicht zu. Dieses Gesetz verstößt gegen europäisches Recht. Die Institutionen, die zum Schutz des Rechts verpflichtet sind, erfüllen ihre Aufgabe nicht. Zweitens wird durch diesen Rechtsbruch nicht der Euro gerettet, sondern zerstört. Und drittens wird die Überschuldungskrise von Staa- ten und Banken durch dieses sogenannte Rettungspaket nicht entschärft, sondern verschärft. Durch diese Maßnahmen lösen wir unsere derzeitigen Probleme nicht. Was wir zur Lösung unser derzeitigen Probleme in Europa brauchen, ist eine neue Geldord- nung, eine marktwirtschaftliche Geldordnung und nicht Planwirtschaft. Deshalb sage ich: Nein! Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Die Stabilität des europäischen Banken- und Finanzsystems ist von über- ragender volkswirtschaftlicher Bedeutung. Wenn akute Gefahr im Verzuge ist, muss gehandelt werden. Die Be- mühungen der Bundesregierung, Zeit zu gewinnen, um größeren Schaden abzuwenden, verdienen unsere Unter- stützung. Das war bei der Abstimmung zur Griechen- land-Hilfe am 7. Mai der Fall. Deswegen konnte man ihr noch zustimmen. Dazu verweise ich auf meine schriftli- che Erklärung zur Abstimmung. Der jetzt in Europa ausgehandelte Rettungsschirm setzt dagegen nicht allein auf Zeitgewinn. Er verändert gleichzeitig die Architektur der Europäischen Wäh- rungsunion fundamental. Die Einhaltung des ohnehin aufgeweichten Stabilitäts- und Wachstumspaktes wird für die Zukunft allein in die Verantwortung der Politik gelegt. Statt die disziplinierende Kraft der Märkte in Zu- kunft klüger zu nutzen, müssen wir Europäer mehr denn je darauf vertrauen, dass die Politik die Kraft aufbringen wird, allein durch politischen Druck, durch Pflichten und Vorschriften die Schuldensünder zu disziplinieren. Dass dieses Vertrauen die Politik überfordert, hat aber die Ver- gangenheit gezeigt. Die Europäische Union hat mit dem vereinbarten Ret- tungsschirm das Tor zur Transferunion aufgestoßen. An- ders als bei der zuvor beschlossenen Griechenland-Hilfe wird mit der Verordnung zur Aufnahme von Gemein- schaftsanleihen, dem Aufkauf schlecht besicherter Staatsanleihen durch die EZB und dem vorliegenden Ge- währleistungsgesetz die Übernahme von Risiken institu- tionalisiert. Der sogenannte Rettungsschirm organisiert und besiegelt die Mitverantwortung aller europäischen Partnerländer für die unsolide Finanzpolitik Einzelner. Die Tatsache, dass die Haftung formal nur „pro rata“ or- ganisiert wird und zumindest die Zweckgesellschaft zeit- lich befristet ist, ändert nichts an diesem grundlegenden Befund. Indem wir die wirtschaftspolitischen Probleme einzelner Länder zulasten der Steuerzahler der Übrigen sozialisieren, verändern wir den Charakter der Wäh- rungsunion grundlegend. Wir begeben uns auf einen Weg, der langfristig zu einer erheblichen Destabilisie- rung der Währungsordnung führen kann und die Wachs- tumsperspektiven Deutschlands deutlich verschlechtert. Wer ein stabiles Europa und einen stabilen Euro ha- ben will, darf nicht allein auf die Bindekraft politischer Willensbekundungen vertrauen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt war für Deutschland die unabdingbare Voraussetzung für die Zustimmung zur Einführung des Euro. Er setzte auf eine doppelte Absicherung, eine poli- tische und eine marktwirtschaftliche – mittels der Maastricht-Kriterien durch politische Selbstbindung ei- nerseits und mittels der No-Bail-out-Bestimmung durch die disziplinierende Kraft der Märkte und die Vermei- dung von Moral-Hazard-Effekten andererseits. Die poli- tische Selbstbindung wurde bereits 2005 von der Regie- rung Schröder aufgeweicht. Jetzt wird auch die zweite Absicherungslinie, das marktwirtschaftliche Korrektiv der Währungsunion, außer Kraft gesetzt. Der Ausschluss einer gegenseitigen Haftung der EU- Länder sorgt dafür, dass Kapitalanleger einen permanen- ten Anreiz haben, Risiken realistisch einzuschätzen, die fiskalische Entwicklung der Länder genau zu beobach- ten und Risikovorsorge zu treffen. Das schlägt sich zwangsläufig nieder in einer divergierenden Zinsent- wicklung je nach Bonität der Staaten. Mit der jetzt in die Wege geleiteten Aushebelung der No-Bail-out-Klausel wird die Zinsdifferenz eingeebnet, der Kauf einer Staats- anleihe für die Anleger zu einem risikofreien Geschäft und die Ausweitung der Staatsverschuldung den hoch- verschuldeten Ländern ökonomisch erleichtert. Das be- deutet nicht nur eine erhebliche potenzielle Belastung der garantiegebenden Länder und deren Steuerzahler, sondern die Gefahr einer Fehlallokation und der Ver- schwendung von Kapital. Die fiskalische Disziplin des Systems wird gelockert, die Fliehkräfte der Währungs- union nehmen zu. Wer hohe Risiken eingeht, muss dafür auch haften. Die No-Bail-out-Bestimmung war Ausdruck dieses Prin- zips. Der mit dem Rettungsschirm institutionalisierte Ausstieg der europäischen Finanzpolitik aus dem No- Bail-out-Prinzip ist ein grundlegender Fehler. In dem Moment, wo dieses Prinzip nicht mehr gilt, kommt es zu einer dauerhaften Asymmetrie der Risiken. Entgegen 4498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) fundamentalen marktwirtschaftlichen Prinzipien haften die Staaten Europas dann für die Risiken der privaten Marktteilnehmer. Das bedeutet, dass letztlich systema- tisch die Steuerzahler für die Fehlinvestitionen von Ban- ken, Versicherungen und anderen privaten Marktteilneh- mern geradestehen. Die ökonomischen Grundprobleme der gegenwärti- gen Verwerfungen werden durch den Rettungsschirm nicht gelöst. Anders als bei der Griechenland-Hilfe geht der notwendige Gewinn an Zeit einher mit einer massi- ven Veränderung des Charakters der Währungsunion. Der Zusammenhang zwischen Marktreaktionen und na- tionalen Stabilitätsbemühungen wird weiter gelockert. Die Stabilität der Währung wird in Zukunft in erster Li- nie von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen und den vermeintlichen politischen Notwendigkeiten ab- hängig sein. Die ökonomische Institutionalisierung einer Stabilitätsordnung gerät dagegen ins Abseits. Die insti- tutionellen Veränderungen bedeuten einen irreversiblen Schritt hin zur Transferunion, bei der die Steuerzahler der stabilitätsorientierten Länder automatisch für die Disziplinlosigkeit und Verschwendungssucht der ande- ren haften. Deshalb wäre es gerade Aufgabe der Bundes- regierung, die deutschen Steuerzahler vor diesen Gefah- ren zu bewahren. Angesichts dieser nicht nur von mir, sondern auch von vielen namhaften Experten aus Wissenschaft und Praxis genannten Einwände, kann ich dem Gesetzent- wurf nicht zustimmen. Wegen der gebotenen Solidarität mit meiner Fraktion werde ich mich, statt abzulehnen, der Stimme enthalten. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen stimme ich nicht zu. Ich stimme mit Enthaltung. Ich halte es für richtig, dass die europäischen Länder gemeinsam vorsorgen. Nach Griechenland drohen nun auch andere europäische Länder, zahlungsunfähig zu werden. Die Schuldenentwicklung und die unverant- wortlichen Spekulationen haben zu einer unerträglichen Situation geführt. Die Entwicklung der Finanzmärkte und die rasanten Währungsschwankungen waren und sind alarmierend. Die bekannt gewordene Finanzlage und Verschuldung mehrerer europäischer Länder lässt Schlimmes befürchten. Die Bereitstellung von staatli- chen Garantien für Kredite an notleidende Länder kann ein Weg sein, um Zeit zu gewinnen und den Ländern so die Möglichkeit zu verschaffen, mit internationaler Hilfe ihre Wirtschaft zu konsolidieren und ihre Finanzen in Ordnung zu bringen. Aber der vorgelegte Gesetzentwurf ist ungenügend und verstößt gegen das Grundgesetz. Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 und 3 sind nicht gewahrt. Der Gesetzentwurf enthält eine Generalermächtigung für die Bundesregierung, Garantien in unfassbarer Höhe aus Finanzen des Bundes sollen zur Verfügung gestellt werden, ohne dass ausreichend klar und bestimmt ist, zu- gunsten welchen Staates unter welchen Bedingungen so- wie durch wen und wie kontrolliert die Garantien gege- ben werden dürfen. So bleibt völlig unklar, wie eine nach dem Gesetzentwurf einzurichtende Zweckgesell- schaft zur europäischen Finanzstabilisierung aussehen soll. Ein Entwurf für die rechtliche und inhaltliche Ge- staltung liegt bis heute nicht vor. Eine Zustimmung des Deutschen Bundestages vor der Übernahme von konkre- ten Garantien für einzelne Länder ist nicht vorgesehen. Das Haushaltsrecht des Parlaments wird damit verletzt. Eine bloße Unterrichtung allein des Haushaltsausschus- ses kann das Budgetrecht des ganzen Parlaments nicht ersetzen, auch nicht Bemühungen zum Einvernehmen mit diesem Ausschuss. Mir wird damit ein fundamenta- les parlamentarisches Recht genommen, denn jeder Ab- geordnete hat das Recht zur Mitentscheidung über Haus- haltstitel von existentieller Größe. Aber auch inhaltlich habe ich durchgreifende Beden- ken gegen den Gesetzentwurf. Falsch und unverantwort- lich ist wiederum, dass es keine Vorsorge dagegen gibt, dass die Garantien aus Steuermitteln nicht den privaten großen Gläubigerbanken zugute kommen. Diese werden in erster Linie Nutznießer der Garantien sein, denn ihre Risiken werden übernommen und Renditen sowie Spe- kulationsgewinne garantiert. Staatliche Garantien dürf- ten meines Erachtens deshalb nur gegeben werden, wenn sie im Rang vor den Krediten der Großbanken und priva- ten Gläubiger bedient werden. Alle Kredite, die aus staatlichen Mitteln garantiert werden, nebst Zinsen, soll- ten also zurückgezahlt sein, bevor die privaten Gläubiger Geld erhalten. Auf meine parlamentarische Anfrage hat die Bundes- regierung am 19. Mai 2010 geantwortet, dass jedes Dar- lehen an notleidende Staaten … gleichgestellt [ist] mit allen anderen gegenwärti- gen und zukünftigen ungedeckten und nicht nach- rangigen Darlehen und Verbindlichkeiten des Dar- lehensnehmers … Lediglich die Darlehen des Internationalen Währungsfonds haben eine vorran- gige Sicherung. Dies entspricht dem seit Gründung des Internationalen Währungsfonds weltweit übli- chen Verfahren bei ähnlichen Unterstützungen durch den Internationalen Währungsfonds. Dieser bevorrechtigte Gläubigerstatus wird Einzelstaaten oder einer Gruppe von Einzelstaaten in der bisheri- gen Rechts- und Kreditpraxis globaler Finanzierun- gen nicht zugesprochen. Eine solche Bevorzugung des IWF ist nicht gerecht- fertigt. Ein Vorrang der Tilgung von Krediten, die aus Steuermitteln der europäischen Länder garantiert wer- den, ist genauso notwendig, richtig und gerechtfertigt wie bei Krediten des IWF. Bisherigen privaten Groß- gläubigern dagegen ist zuzumuten, dass sie das Risiko weiter tragen, das sie sehenden Auges bei Hingabe der Kredite eingegangen sind. Sie lassen sich das erhöhte Risiko ja auch durch hohe Zinsen bezahlen. Ohne die staatlichen Kredite hätten die bisherigen privaten Groß- gläubiger das eingesetzte Kapital ja schließlich ganz oder zum großen Teil verloren. Außerdem dürften meines Erachtens Garantien in Milliardenhöhe aus Steuermitteln nur gegeben werden, wenn die privaten Großbanken zur Kasse gebeten und an Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4499 (A) (C) (D)(B) der Bezahlung der Hilfen echt beteiligt werden. Dazu muss der Bankensektor reguliert und eine Finanztransak- tionsteuer eingeführt werden. Eine vage Absichtserklä- rung der Bundesregierung für dahingehende Bemühun- gen auf internationaler Ebene reicht nicht aus. Konkrete Vorschläge müssten jetzt vorgelegt werden. Auch für mich ist das Bekenntnis zur Europäischen Union und zum Prinzip der innereuropäischen Solidari- tät zentral wichtig. Auch ich halte es für notwendig, dass die EU-Länder sich gegenseitig helfen, wenn ein Land in Not gerät. Auch ich will der Bevölkerung notleidender Mitgliedstaaten in einer jetzigen Finanzkrise beistehen. Staatlich garantierte deutsche Kredite können ein Mittel sein, um der Finanznot dieser Staaten entgegenzuwirken und sollten dann vor allem eingesetzt werden, um dort den sozial Benachteiligten zu helfen. Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Ich kann dem Gesetz unter anderem aus folgenden Gründen nicht zu- stimmen: Erstens. Mit dem Gesetz wird faktisch eine Garantie für Haushaltsdefizite von Mitgliedstaaten gegeben, bei denen gegenwärtig zweifelhaft ist, ob sie die volkswirt- schaftlichen Voraussetzungen erfüllen, gleichberechtigt an der Währungsgemeinschaft teilzuhaben. Dieses kann sowohl zu einer Schwächung des Euro insgesamt als auch zu einer Verschlechterung des deutschen Ratings und damit zu einer Erhöhung der Zinslasten in einem zweistelligen Milliardenbereich führen. Zweitens. Mit den gegenwärtigen Stützungsaktionen erreichen wir nur einen begrenzten Zeitgewinn. Dies machte nur Sinn, wenn es in einem überschaubaren Zeit- raum zu einer Umstrukturierung des Mechanismus zur Überwachung und Verhinderung von Haushaltsdefizi- ten in Mitgliedstaaten käme, wenn die zu stützenden Volkswirtschaften die Kraft zu drastischen Restrukturie- rungsmaßnahmen fänden und es gleichzeitig zu einem nachhaltigen Abbau der Haushaltsdefizite in allen Mit- gliedsländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland, käme. Ich habe Zweifel, ob alle betroffenen Staaten die Kraft für ein solches Vorgehen finden werden. Drittens. Ich bin der Auffassung, dass die Instrumente zur Überwachung der Finanzmärkte nachhaltig ausge- baut werden müssen. Erforderlich wäre eine Entkoppe- lung des Spiel- und Wettsystems internationaler Finanz- jongleure von der Realwirtschaft. Seit der Bankenkrise 2008 wird die Notwendigkeit solcher Maßnahmen her- vorgehoben. Die aktuellen Erscheinungen auf den Fi- nanzmärkten zeigen aber, dass wirksame Maßnahmen bisher nicht eingeleitet wurden. Ich bin skeptisch, ob die internationale Gemeinschaft diesbezüglich in absehbarer Zeit zu koordinierten Maßnahmen finden wird. Viertens. Die deutschen Institutionen der Finanzauf- sicht, BaFin und Bundesbank, sind nach eigener Darstel- lung von den Ereignissen überrascht worden. Diese Tat- sache ist ebenso besorgniserregend wie der Umstand, dass dem Marktgeschehen offenbar kein Ordnungsrah- men gesetzt werden konnte. Angesichts der Personalaus- stattung der Bundesbank ist dies offensichtlich kein quantitatives Problem. Deshalb sind Maßnahmen zur qualitativen Stärkung der Aufsichtsbehörden vordring- lich. Fünftens. Ich halte ein Zustimmungserfordernis des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages für notwendig. Eine solche Konditionierung würde nach meiner Auffassung das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro stärken, weil es die Befürchtung entkräften kann, die Europäische Kommission könnte von den jetzt geschaffenen Instrumenten im Übermaß Gebrauch ma- chen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Steffen Bockhahn und Dr. Barbara Höll (beide DIE LINKE) zur nament- lichen Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- mechanismus (Zusatztagesordnungspunkt 13) Wir stimmen dem Antrag nicht zu, weil wir eine Fest- legung auf eine Entschuldung oder Teilentschuldung europäischer Länder zum jetzigen Zeitpunkt nicht für richtig halten. Weder sind Modalitäten dieser Entschul- dung im abgestimmten Antrag geklärt, noch kann ausge- schlossen werden, dass ein solches Vorgehen zu unkal- kulierbaren Risiken führt. Die Botschaft, dass Schulden nicht werthaltig sind, wäre ein fatales Signal, weil sie den Schluss zulassen könnte, dass verliehenes Geld wertlos würde. Ein solches Vorgehen wäre geeignet, Vertrauen in die europäische Gemeinschaftswährung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der Europäi- schen Union sowie in die Liquidität der betroffenen Staaten ernsthaft zu gefährden. Zudem wäre bei einer sofortigen Entschuldung offen, ob nicht Geldinstitute und Finanzinvestoren durch die Nutzung von Kreditausfallversicherungen erneut erheb- liche Gewinne zulasten der Staaten und von Kleinanle- gern machen würden. Vielmehr entsteht die Gefahr, dass es attraktiv wird, sich mit Staatsanleihen und Kreditaus- fallversicherungen spekulativ auf eine Entschuldung vorzubereiten, um dann zu profitieren. Eine solche Ent- wicklung lehnen wir strikt ab. Möglichkeiten zur teilweisen oder vollständigen Ent- schuldung von Staaten, beispielsweise durch ein Insol- venzrecht für Staaten, müssen seriös und sorgfältig ge- prüft werden. Erst in Kenntnis dieser Untersuchungen könnte begründet eine solche Forderung erhoben wer- den. Aus den oben genannten Gründen haben wir uns zum Antrag enthalten. 4500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms und Bettina Herlitzius (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Übernahme von Ge- währleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- nungspunkt 13) Als überzeugte Europäerinnen und Europäer befür- worten wir die Grundidee eines Euro-Stabilitätspaktes. Er ist ein Signal zu stärkerer europäischer Integration. Er gibt den Finanzmärkten eine von mehreren notwendigen Antworten auf die ungehemmten Spekulationen der letz- ten Jahre, die zum Zusammenbruch großer Banken und Volkswirtschaften geführt haben und deren Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt wurden. Der Stabilitätspakt kann ein Aufbruch zu nachhaltiger Haushaltsführung und verstärkter Sparsamkeit sein. In den letzten Tagen kam es innerhalb der Regierung und Koalition zu einem Meinungswechsel, der endlich auch die Notwendigkeit stärkerer Regulierungen am Fi- nanzmarkt anerkennt. Nun sollen auch endlich Maßnah- men wie die Transaktionsteuer, das Verbot von Leerver- käufen und Kreditausfallversicherungen, sofern sie nicht der Absicherung eigener Risiken dienen, sowie die strenge Regulierung von Hedgefonds erfolgen. Angesichts dieser Schritte der Regierungskoalition hin zu den von meiner Fraktion schon lange geforderten Maßnahmen bleibt es absolut unverständlich, wieso sie dem Parlament keinen Vorschlag für einen interfraktio- nellen Beschluss unterbreitet. Eine breite Mehrheit wäre möglich gewesen. Wir hätten klarmachen können, dass wir als verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker das Allgemeingut schützen und die ungebremste Größe eines völlig überdimensionierten und bislang weitestge- hend unregulierten Finanzmarktes beschränken wollen. Die Koalition hatte ganz offensichtlich kein Interesse, dieses starke und gegenüber allen Akteuren auch not- wendige Signal zu setzen. Damit werden die Bürgerin- nen und Bürger Europas und Deutschlands weiter im Unklaren gelassen, ob den Ankündigungen zu stärkerer Regulierung auch Taten folgen. Diese Regierung unter- gräbt damit ihre Glaubwürdigkeit – und die Glaubwür- digkeit der Politik insgesamt. Eine Zustimmung zum vorgelegten – und in vielen Punkten noch unklaren – Ge- setzentwurf ist uns daher nicht möglich. Deswegen wer- den wir uns der Stimme enthalten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler, Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Übernahme von Ge- währleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- nungspunkt 13) Erstens. Der bereits mit dem „Griechenland-Hilfege- setz“ eingeschlagene Irrweg einer Bekämpfung der zu hohen Staatsverschuldung durch eine noch höhere Staatsverschuldung wird mit diesem Gesetz mit großem Tempo und drastisch erhöhtem Risiko für die deutschen Steuerzahler weitergegangen. Nach der Übernahme ei- nes Haftungsrisikos in Höhe von 22,4 Milliarden Euro für Haushaltsfehlbeträge Griechenlands wird nunmehr den Deutschen ein zusätzliches Haftungsrisiko in Höhe von bis zu 150 Milliarden Euro für die Unterstützung weiterer Länder mit Haushaltsschwierigkeiten im Euro- Raum aufgebürdet. Zweitens. Die europäische Einigung ist eine großar- tige Leistung der Politik im Europa der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Währungsunion ist politisches Symbol der höchsten Ausprägungsstufe dieses Prozes- ses. Für uns Deutsche war es wichtig, die Erfolgsge- schichte der Deutschen Bundesbank durch die Unabhän- gigkeit der Europäischen Zentralbank auf den gesamten Euro-Raum zu übertragen. Durch Errichtung des Stabili- tätspaktes hofften wir, Vorsorge dafür zu treffen, den ge- samten Euro-Raum auf das Ziel der nachhaltigen Haus- haltspolitik und der Preiswertstabilität zu verpflichten. In den europäischen Verträgen ist hierzu festgelegt, dass im Euro-Raum kein Staat für die Schulden des anderen aufkommen muss, ja nicht einmal darf – Bail-out-Ver- bot. Dies ist der Kern des Vertrauens in den Euro ange- sichts der sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften in diesem gemeinsamen Währungsraum. Schon die vorge- sehene Hilfe für Griechenland, erst recht aber die neu aufgerufene Summe verstößt offenbar gegen die Buch- staben, in jedem Falle aber gegen den Geist der gültigen europäischen Verträge. So wird die langfristige Stabilität des Euro nicht gesichert, sondern nachhaltig gefährdet. Drittens. Der Weg ist auch ökonomisch falsch. Man wirft dem schlechten Geld kein gutes hinterher. Der rich- tige Weg zur Lösung der griechischen Finanzkrise wäre ein Schuldenmoratorium und ein Teilverzicht der Gläubi- ger auf ihre Forderungen. Dadurch trügen einerseits die- jenigen Anleihengläubiger zur Sanierung Griechenlands bei, die teilweise spekulativ griechische Anleihen mit ho- hen Zinsen gekauft haben und deren erhöhtes Risiko sich jetzt realisierte. Andererseits hätte Griechenland alleine bei einer Teilentschuldung eine echte Chance, da die derzeitige über dem jährlichen Bruttosozialprodukt von 240 Milliarden Euro liegende Staatsschuld von über 300 Milliarden Euro nach Ansicht fast aller Experten nicht zu bewältigen ist. Viertens. Am Sonntag, dem 9. Mai 2010, hat der Eu- ropäische Rat für Wirtschaft und Finanzen unter der Be- teiligung Deutschlands die Errichtung eines Finanzstabi- lisierungsmechanismus mit einem Finanzvolumen von 60 Milliarden Euro beschlossen. Dies hätte nach deut- schem Recht nicht ohne vorherige Befassung des Deut- schen Bundestages erfolgen dürfen. Die Einrichtung die- ses Finanzstabilisierungsmechanismus verstößt gegen das Bail-out-Verbot der europäischen Verträge. Hier ist geregelt, dass weder die Gemeinschaft noch einzelne Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4501 (A) (C) (D)(B) Mitgliedstaaten für Haushaltsdefizite anderer Länder einstehen dürfen. Da für die Verwendung dieser Mittel nicht einmal der Einstimmigkeitszwang besteht, sondern mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird, kann eine Mehrheit von Haushaltsdefizitstaaten über die Verwen- dung dieser Mittel entscheiden. Fünftens. Nun soll durch Veränderung der europäi- schen Verträge erreicht werden, dass Defizitsünder unter den Euro-Ländern durch Stimmrechtsentzug und Aus- schluss aus der Währungsunion bestraft werden können. Wer sich des langen Verfahrens für die endgültige Ratifi- zierung des heute gültigen Vertrages von Lissabon erin- nert, wird zumindest einräumen, dass dies ein unabseh- bar langer Weg sein wird, mit vielfältigen Risiken des Scheiterns; alle 27 Staaten müssen nach ihren Regeln zu- stimmen, unter anderem Volksabstimmungserfordernis in mehreren Mitgliedsländern der EU. Sechstens. Weiterhin möchte man die Defizitsünder zukünftig in ihrem Haushaltsgebaren kontrollieren. Dazu ist nur anzumerken, dass wir als Deutscher Bundestag uns verbitten würden, dass die EU-Kommission in unser Budgetrecht eingreift. Wie können wir realistischerweise von den nationalen Parlamenten der „Defizitsünder“ er- warten, dass diese sich das gefallen lassen, wenn sie es mit einem einfachen Nein verhindern können? Nichts dis- zipliniert Haushaltssünder mehr als die Furcht vor Zins- steigerungen infolge unsolider Haushaltspolitik. Genau dieses Instrument wird durch das vorgesehene Gesetz ausgehebelt. Siebtens. Wir können in der derzeitigen Situation der deutschen Staatsfinanzen dem Steuerzahler keine weite- ren Belastungen in diesem Ausmaß zumuten, ohne die Einhaltung der gerade in das Grundgesetz aufgenomme- nen Schuldenbremse zu gefährden. Auch werden künftig notwendige Einsparungen in Deutschland kaum noch politisch zu vermitteln sein, wenn wir hier Garantien für ganz Europa in dreistelliger Milliardenhöhe übernom- men haben. Achtens. Der Euro-Raum wird durch den Haftungs- verbund für Haushaltsdefizite anderer Mitgliedstaaten zur dauerhaften Transferunion umgebaut. Das ist das Ge- genteil von dem, was Bundeskanzler Kohl, Finanzminis- ter Waigel und die gesamte CDU/CSU den Deutschen bei Aufgabe der D-Mark und Übergang zum Euro verspro- chen haben. Das ist das Gegenteil von unserer Überzeu- gung, dass Leistung sich lohnen muss. Dem können wir uns nicht anschließen. Deshalb können wir diesen Weg nicht mitgehen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Sechsten Ge- setzes zur Änderung des Weingesetzes (Tages- ordnungspunkt 31) Gustav Herzog (SPD): Wir haben eine Zeit der gro- ßen Entscheidungen. Wir sind gefordert, uns als Parla- mentarier zu streiten, bis der beste – der richtige Weg ge- funden ist. Die Schwierigkeit der aktuellen Themen bringt die zum Teil doch sehr deutlichen Unterschiede unserer Parteien zutage, tatsächliche oder auch nur rein taktisch motivierte. Jetzt beraten wir aber ein angenehmes Thema. Auch wenn der Gesetzestext recht trocken wirkt, so geht es letztendlich dann doch um die Qualität im Glase. Mit der letzten Weingesetzänderung haben wir insbesondere die Reform der europäischen Weinmarktordnung in nationa- les Recht umgesetzt und uns gleichzeitig Zeit verschafft, die verhandelten Spielräume zu nutzen. So werden wir das komplizierte Bezeichnungsrecht so gestalten, dass wir sowohl Bewährtes erhalten als auch die neuen Chan- cen ergreifen können. Deshalb zitiere ich den VDP- Präsidenten Steffen Christmann, der sagte, dass „der Systemwechsel von der Oechsle-Pyramide hin zur Her- kunfts-Pyramide den richtigen Weg weise“. Verbrauche- rinnen und Verbraucher kennen und vertrauen in den Zusammenhang zwischen Herkunft und Qualität der Weine. Über zweieinhalb Tausend Einzellagen in Deutschland sind ein Garant für die Vielfältigkeit und einzigartige Charaktere der Deutschen Weine. Um dies zu erhalten, haben wir uns bei der Wein- marktreform und der nationalen Umsetzung eingesetzt. Dabei waren und sind wir erfolgreich, hier im Hohen Haus als auch im Schulterschluss mit den Weinbau trei- benden Bundesländern und der Weinwirtschaft. Bei allen Differenzen in anderen Bereichen, beim Wein kommen wir zusammen, nicht nur nach getaner Arbeit sondern auch hier bei der heute beratenen Weingesetzänderung. Gemeinsamkeit und Erfolg gehören zusammen, wie wir im Bereich Weinpolitik mittlerweile aus persönlicher Erfahrung sagen können. Das 2003 gegründete Parla- mentarische Weinforum ist unsere überfraktionelle Platt- form. In guter Zusammenarbeit mit der Weinwirtschaft kommen wir als Berichterstatter dort im Vorfeld zu der Lösung, die dem Zweck dient, die Weinbaukultur und die Qualität der Weine zu erhalten und auszubauen, re- gionale und nachhaltige Kreisläufe zu stärken, den Be- trieben ein gesichertes Einkommen zu bieten und den Tourismus zu stärken. Wir stehen vor großen Herausfor- derungen, die es zu meistern gilt. Der Klimawandel birgt nicht absehbare Risiken, der Weg zur Agrarreform 2013 ist noch nicht geebnet, dem Trend zum Billigkonsum und der Geiz-ist-geil-Mentalität auch beim Wein ist un- bedingt entschieden entgegenzutreten. Hier macht nicht nur das zentrale Weinmarketing eine gute Arbeit, auch sonst haben wir beste Voraussetzungen. Wir haben quali- fizierte Winzerinnen und Winzer – das beste Fundament für die Herstellung und den Vertrieb hervorragender Weine. Wir haben beste Lagen, gutes Klima und großes Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Unser Weinrecht ist auf Qualität ausgerichtet und es sorgt für faire Wettbewerbsbedingungen unter den Weinbaube- trieben. In letzter Zeit hat sich allerdings ein Verfahren verbreitet, das mir ernste Sorgen bereitet. In „Koopera- tion“ von Traubenerzeugern und Traubenverarbeitern wird die Hektarertragsregelung umgangen. Somit ent- steht ein zwar legaler, aber unfairer und daher uner- wünschter Wettbewerbsvorteil! 4502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Bereits in der letzten Legislatur, bei der fünften Ge- setzesänderung haben wir darauf hingewiesen, dass dem Treiben ein Ende zu setzen ist. Sinn der Hektarertragsre- gelung ist, die Menge pro Hektar im Dienste der Qualität und der Preisstabilität zu begrenzen. Mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf, der in enger Abstimmung aller Be- teiligten erarbeitet wurde, sorgen wir für klare Verhält- nisse. Den Vorwurf, dass wir damit die Bürokratie aufbauen, lasse ich nicht gelten, insbesondere nicht von denen, die von der derzeitigen Rechtslage einseitig pro- fitieren. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf sorgfältig im Ausschuss beraten und schnell eine gute Lösung für den deutschen Wein beschließen. Dr. Erik Schweickert (FDP): Heute geht es um ein Thema, mit welchem ich nicht nur in der Funktion des Berichterstatters für Weinbaupolitik der FDP-Bundes- tagsfraktion zu tun habe, sondern es betrifft mich auch als Professor für Internationale Weinwirtschaft am Cam- pus Geisenheim. Und deshalb freue ich mich gar nicht darüber, heute und hier dieses Gesetz beraten zu müssen. Warum? Ich habe nämlich den Anspruch an mich – wie sicherlich viele von Ihnen hier auch –, die Ursachen eines Pro- blems erst zu analysieren und dieses Problem im An- schluss daran zu beseitigen. Und da bin ich es nicht gewohnt, nur an den Sympto- men herumzudoktern. Das Problem, das wir haben, be- steht darin, dass diese Symptome schon lange augenfäl- lig sind. Ich war damals noch gar nicht Mitglied dieses Hohen Hauses, als meine Fraktion in der 16. Wahl- periode am 17. Juni 2009 einen Entschließungsantrag zur Änderung des Weingesetzes im Ausschuss für Er- nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einge- bracht hat. Das damals schon zu beobachtende Problemfeld war ein sprunghafter Anstieg von Betriebsgründungen in der Weinwirtschaft. Nun heißen wir es ja in aller Regel gut, wenn jemand ein Unternehmen gründet, weil damit Wirtschaftswachstum, Dynamik und Arbeitsplätze ver- bunden sind. Allerdings zeigte sich bei der Analyse dieser Betriebe und Geschäftsmodelle, dass sie nur des- halb gegründet wurden, um – ich nenne es mal – „schlitzohrig“ die bestehenden rechtlichen Rahmenbe- dingungen zum Hektarhöchstertrag „clever zu gestal- ten“. Dies sieht folgendermaßen aus: Nach gegenwärtiger Gesetzeslage erfolgt die Quotierung des Weines nur im ersten Produktionsprozess, also bei der Traubenerzeu- gung, wo das Traubengewicht maßgeblich ist. Bemes- sungsgrundlage ist bislang nur die im Betrieb erzeugte Weinmenge, die den quotierten Gesamthektarertrag ei- nes Betriebes nicht übersteigen darf. Für die Hektar- ertragsreglung ist bislang also nur der Traubenerzeuger verantwortlich. Mehrerträge einzelner Weinlagen oder Rebsorten können mit Mindermengen anderer Lagen und Sorten innerhalb des Betriebes ausgeglichen wer- den. Dies ist die Einbetriebsregelung, die für uns Libe- rale so wichtig ist. An die alte Hektarertragsregelung sind neben den rei- nen Traubenerzeugern – also Weinbaubetriebe, die Reb- flächen bewirtschaften und die Trauben nicht selbst ver- arbeiten – auch Trauben-, Most- und Weinerzeuger – Weinbaubetriebe, die Trauben aus selbst bewirtschaf- teten Rebflächen verarbeiten und in der Regel als Most oder Wein vermarkten – gebunden. Zwischenverarbeiter, zum Beispiel Kelterstationen, die die Trauben kaufen, keltern und weiterverkaufen, un- terliegen dieser Regelung bislang nicht. Sie müssen mit theoretischen Umrechnungsfaktoren rechnen. Genauso verhält es sich bei reinen Weinerzeugern – Betrieben ohne Rebflächen –, die Trauben, Most und Wein kaufen und weiterverarbeiten. So kommt es, dass diejenigen, die nicht an die Hektarertragsregelung gebunden sind, mehr Wein in den Verkehr bringen dürfen als ein Erzeuger oder eine Erzeugergemeinschaft, wenn diese aus der gleichen Menge Trauben oder Most selbst Wein herstel- len. Hierdurch werden die abnehmenden Betriebe gegen- über den Erzeugerbetrieben oder Erzeugergemeinschaf- ten, die selbst Wein herstellen und vermarkten, bevor- teilt. Und aus dieser Situation heraus werden die neuen Geschäftsmodelle gegründet, um hieraus einen Vorteil zu haben. Wenn nun ein oder zwei Unternehmen hier eine Regelungslücke entdeckt hätten, die sich durch Gründung einer „speziellen Unternehmensstruktur“, man könnte aber auch Scheinfirma sagen, positiv nutzen lässt, kann man das noch als „cleverer als der Gesetzge- ber“ abtun. Wenn es aber die ersten Anzeichen gibt, dass es hier in einigen b.A.-Gebieten zu einer Art Massenbe- wegung kommt, müssen wir hier als Gesetzgeber reagie- ren. Wir müssen als Mitgliedsstaat der EU dafür Sorge tragen, dass in Deutschland die Regelungen nicht um- gangen werden. Wir dürfen aber auch nicht vergessen: Wir befinden uns in der Weinwirtschaft in einem sehr stark regulierten Bereich. Der Staat schreibt vor, auf welcher Fläche der Winzer seinen Wein anbauen darf; der Staat schreibt vor, welche Rebsorten angebaut werden dürfen. Und der Staat schreibt vor, wie viel vom Traubenertrag der Win- zer ernten und vermarkten darf – um ihm dann auch noch zu sagen, wie der Wein schmecken und welche staatlichen Regelungen er beim Marketing beachten muss. Freie Entfaltungsmöglichkeiten für einen Unter- nehmer sehen anders aus! Als Liberalen sind mir das deutlich zu viele Staatseingriffe. Aber die werden wir heute und an dieser Stelle nicht modifizieren können, sondern wir werden nur dafür sorgen können, dass in ei- nem – sagen wir mal – „suboptimal“ regulierten Markt durch eine weitere Regulierung das Suboptimale etwas abgeschwächt wird. Aber diese notwendige Verbesserung an der einen Stelle darf nicht dazu führen, dass wir an einer anderen Stelle einen Wirtschaftszweig über Gebühr belasten. Da- mit meine ich die Weinkellereien und Weinhandelskelle- reien, die sich aufgrund ihrer Orientierung an der soge- nannten „Wine-Chain“, also der Versorgungskette für Wein vom Erzeuger bis zum Endkunden, arbeitsteilig spezialisiert haben. Weil sich diese Unternehmen im sehr Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4503 (A) (C) (D)(B) preisaggressiven internationalen Weinmarkt bewegen, brauchen sie Effizienz – auch, um an die freien Trauben- erzeuger ordentliche Traubengelder zahlen zu können. Diese Weinkellereien sind sicherlich alles andere als Scheinfirmen und werden trotzdem durch diese Rege- lung negativ getroffen. Deshalb war es wichtig und not- wendig, hier Spielräume zu eröffnen. Mit der Möglich- keit der nachträglichen Herabstufung bis zum 15. Januar des Erntefolgejahres sollte hier ein Instrumentarium ge- schaffen werden, um gewisse wirtschaftliche Härten zu entschärfen. Allerdings muss hier ein Verfahren gefun- den werden, das tatsächlich auch ohne viel Bürokratie von den Betrieben in der Praxis umsetzbar ist. Auch aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen in diesem Bereich gehe ich davon aus, dass wir hier, wenn wir an die Ursache des Problems gehen wollen, deshalb an die Umrechungsfaktoren ran müssen. Diese sind his- torisch tradiert und längst durch den tatsächlichen tech- nischen Fortschritt in der Weinwirtschaft obsolet. Die Grundlage des Wiegens ist heute, unter anderem durch den Einsatz des Vollernters, entrapptes Lesegut. Deshalb habe ich schon bei der ersten Runde zu die- sem Thema in diesem Jahr vom BMELV gefordert, dass die durchschnittlichen tatsächlichen Auspressquoten der letzten Jahre erhoben werden. Diese Ergebnisse liegen anscheinend leider bisher noch nicht vor. Ich habe aber eine gewisse Vorstellung, wie das Ergebnis aussehen wird – bei bis zu 80 Prozent inklusive Anreicherung. Aus diesem Grund bleibt uns, unter der Prämisse, die Entwicklungen bei den Firmenkonstrukten für den Herbst diesen Jahres nicht noch weiter anzufeuern, nur die Möglichkeit, jetzt in die erste Lesung zu gehen, so- dass das Gesetz noch rechtzeitig vor der Ernte 2010 rechtskräftig werden kann. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Das erste Wun- der Jesus, von dem Johannes berichtet, ist die Geschichte von einem Freudenfest, einer Hochzeit. Allerdings ist die Freude getrübt; denn beizeiten geht der Wein aus. Jesus schafft Abhilfe und verwandelt Wasser in Wein – und nicht zu knapp, sondern wohl um die 600 Liter. Den antiken Hörern dieser Geschichte war die Handlung ver- traut; denn auch dem griechischen Gott Dionysos wur- den Weinwunder nachgesagt. Heutige Weinwunder sehen allerdings anders aus. Erst einmal haben wir in Deutschland und Europa nicht mehr das Problem, dass uns der Wein ausgeht wie in der Bibel beschrieben, sondern genau das Gegenteil. Zu viel Wein im Angebot führt zu sinkenden Preisen und zu ne- gativen Auswirkungen auf das Einkommen der Winzer. Die Gegensteuerung über die Hektarertragsregelung bei den Winzern, also die Beschränkung der Menge an Wein, die pro Hektar erzeugt werden darf, ist dabei rich- tig. Sie fördert die Qualität des Weines und wirkt redu- zierend auf das Weinangebot. Die jetzt vorgeschlagene Gesetzesänderung ist folge- richtig, da nicht nur die Winzer an die Ertragsregelung gebunden werden, sondern auch die Verarbeitungsbe- triebe, also die, die die Trauben von den Winzern auf- kaufen, ohne selber Weinreben zu bewirtschaften. Hier war eine den Markt zunehmend verzerrend wirkende Re- gelungslücke entstanden, die geschlossen werden muss, wenn alle in der Logik der Weinmarktordnung bleiben wollen. Dass die LINKE an der Einbringung des Geset- zesvorschlags nicht beteiligt wird, liegt allein an dem undemokratischen Gehabe der Koalition, insbesondere der CDU/CSU-Fraktion. Dafür kann die Linke nichts. Sie unterstützt den Gesetzesentwurf trotzdem. Aber zurück zum Thema: Uns allen ist klar, dass die gemeinsame Marktordnung planwirtschaftliche Elemente beinhaltet. Dem folgt das Weingesetz. Diese sechste Än- derung des Weingesetzes ergibt sich aus Sicht der Lin- ken zwingend aus der fünften Änderung. Geht es doch schließlich um verlässliche Qualität für die Verbraucher und verlässliche Preise für Verbraucher und Erzeuger. Deutscher Wein darf nicht durch Menge, er muss durch Qualität punkten! Durch Werbung für diese Qualität kann die Weinwirt- schaft versuchen, die gesunkene Nachfrage, bei gleich- zeitig gestiegener Produktion, wieder zu erhöhen. Wir schlagen allerdings einen anderen Weg vor: Wir wollen regionale Wertschöpfungsketten fördern und ökologisch unsinnige Transporte verteuern. Denn es ist nicht einzu- sehen, warum Wein, der mehrere 10 000 Kilometer ent- fernt industriell von prekär Beschäftigten hergestellt wurde, nur ein Drittel des hier bei uns sozial und ökolo- gisch nachhaltig produzierten Weins kostet. Hier müssen wir ansetzen, um die europäische und deutsche Wein- wirtschaft zu stärken. Die Frage ist auch, inwieweit die bisherigen Änderun- gen des Weinrechts zielführend waren. War es richtig, die Differenzierung zwischen den Rebsorten bei der Hektarertragsregelung zu streichen? Oder hat diese Streichung die Entwicklung, die nun mit der sechsten Änderung eingedämmt werden soll, erst begünstigt? Allgemeiner gesprochen: Erschwert nicht die Intrans- parenz des Weinrechts, seine Zerstückelung durch zahl- reiche Verordnungen auf regionaler, nationaler und euro- päischer Ebene seine faktische Umsetzung? Und ist das, was hier beschlossen werden soll, nicht Flickschusterei auf dem Rücken von Erzeugern und Verbrauchern? Er- zeuger und Verbraucher benötigen Sicherheit. Mein Wunsch wäre ein mit Weitblick verfasstes neues Wein- recht. Aber das käme wohl schon einem Weinwunder gleich. Ulricke Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Qualität ist die Grundlage für den Erfolg unseres Wein- baus. Deshalb ist es auch richtig, gegen eine Aufwei- chung der Hektarertragsregelung durch vermehrte Aus- pressung vorzugehen. Wir würden uns allerdings manchmal wünschen, dass die Bundesregierung auch in anderen Produktbereichen so engagiert für Mengenbe- grenzungen eintritt wie beim Weinbau, ich nenne hier nur das Stichwort Milch. Aber zurück zum Wein: Die Gefahr von Umgehungs- möglichkeiten, Betriebsteilungen und daraus resultieren- den Wettbewerbsverzerrungen muss gebannt werden. 4504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Deswegen ist die vorliegende Regelung vernünftig – auch wenn dies vielleicht schon früher hätte geschehen sollen. Die Kritik der Kellereien und der Fassweinanbie- ter ist zwar verständlich, aber angesichts der anstehen- den Probleme ist es gut, dass wir mit der vorliegenden Änderung des Weingesetzes eine Regelungslücke schlie- ßen. Ansprechen möchte ich aber noch weitere Herausfor- derungen im Weinbau: Thema unseres letzten, von Professor Schweickert organisierten Parlamentarischen Weinforums war der Klimawandel. Seit Jahren verzeichnen die Winzer deut- liche Veränderungen bei Vegetationsphasen, Reifedau- ern und -terminen oder Lesebeginn. Untersuchungen der Forschungsanstalt Geisenheim belegen, dass die Tem- peraturänderungen der letzten 50 Jahre bereits zu Verän- derungen im Rebsortenspektrum verschiedener Anbau- regionen geführt haben, die sich bei ungebremster Erderwärmung noch ausweiten werden. In Rheinhessen wird heute Cabernet Sauvignon kultiviert, was noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Gleichzeitig wer- den im Rheingau mit deutschen Rebsorten wie Müller- Thurgau immer seltener gute Ergebnisse erzielt. Mel- dungen, die man vor kurzem als Scherz abgetan hätte, werden plötzlich erschreckend real: Weinimporteure sprechen offen über die mittelfristige Aufgabe des Wein- baus in Australien und eine „Verlagerung“ nach Indien, britische Medien berichten irritiert von Rekorderträgen der Winzer in Südengland. Wein ist ein Indikator, der uns eindrücklich vor Augen führt, welche wirtschaftli- chen, ökologischen, aber auch kulturellen Folgen uns drohen, wenn wir dem Klimawandel nicht entschieden begegnen. Die Ablehnung des von uns in der letzten Sit- zungswoche eingebrachten Klimaschutzgesetzes und die unsägliche Diskussion über neue Kohlekraftwerke oder die Verlängerung von Laufzeiten der Atomkraftwerke ist deshalb ebenso verantwortungslos wie die von FDP und CDU/CSU beschossenen Kahlschläge bei der Solarför- derung und die Sperre des Marktanreizprogramms für Pelletheizungen, Solarthermie etc. Das ist ein Schlag nicht nur gegen den Klimaschutz, sondern vor allem ge- gen Mittelstand, Handwerk, Landwirtschaft, Garten- und eben auch Weinbaubetriebe. Auch die faktische Schließung des Julius-Kühn-Insti- tuts für Pflanzenschutz im Obst- und Weinbau in Bern- kastel durch die Bundesregierung ist angesichts des mas- siven Forschungsbedarfs speziell auch zu Klimaschutz, Steillagen und Biowein ein Skandal. Genau dort soll stattdessen mit dem „Hochmoselübergang“ ein giganti- sches Monster-Straßenbauprojekt realisiert werden, dass die Zerstörung der besten Rieslinglagen der Welt bedeu- ten könnte. Wir fordern die Bundesregierung auf, sofort einen umfassenden Baustopp zu veranlassen! Solche Projekte sind im wahrsten Sinne ein Angriff auf die Wurzeln unserer Weinkultur – da hilft auch keine konse- quentere Umsetzung bei Umrechnungsfaktoren mehr. In diesen Tagen diskutieren wir viel über Einsparun- gen in den öffentlichen Haushalten. Unser Vorschlag dazu: statt bei Kitas und Bildung zu kürzen, könnten Sie allein durch den Stopp des unsinnigen Hochmosel- brückenprojekts sofort circa 400 Millionen Euro einspa- ren. Und bei solchen sinnvollen Initiativen dürfen Sie natürlich gerne mit unserer interfraktionellen Unterstüt- zung rechnen. Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- desministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz: Unter deutschen Winzerinnen und Win- zern machen sich zunehmend Unmut und Verärgerung breit. Aber auch der eine oder andere Weinliebhaber macht sich inzwischen so seine Gedanken. Und das nicht ganz zu Unrecht. Denn aus einigen deutschen Weinan- baugebieten kommt vermehrt Wein auf den Markt, der nicht von der Hektarertragsregelung erfasst wird. Wir ge- hen davon aus, dass es sich dabei in einigen Anbaugebie- ten inzwischen um rund 5 bis 7 Prozent des vermarkteten Weins handelt. Bezogen auf einzelne Rebsorten – wie zum Beispiel der Rotweinsorte Dornfelder – dürfte dieser Anteil teilweise regional sogar schon bis zu 10 Prozent betragen. Was ist der Grund für die Aufregung? Die Hektarer- tragsregelung ist ein wesentliches Element zur Siche- rung der hohen Qualität deutschen Weins. Damit trägt sie zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähig- keit des deutschen Weinbaus bei. Dieses Ziel gerät in Gefahr, wenn die Regelung nicht mehr richtig greifen kann, weil sie gewisse Lücken aufweist. Was aber viel- leicht noch viel gravierender zu Buche schlägt: Die Ent- wicklung führt zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Weinerzeugergruppen. Worin liegen die Ursachen? Grundsätzlich gilt die Hektarertragsregelung für alle Betriebe, die Weintrauben erzeugen. Die Betonung liegt dabei auf „Trauben erzeu- gen“. Die Regelung setzt also beim Traubenerzeuger an. Begrenzt wird allerdings nicht unmittelbar die Trauben- erzeugung, sondern die Vermarktung des hieraus erzeug- ten Weins. Die Ertragsbegrenzung ist demnach in Litern Wein festgelegt. Das hat im Vergleich zu einer Begren- zung der Traubenerzeugung den Vorteil, dass wir – bezo- gen auf das Enderzeugnis Wein – eine höhere Zielgenau- igkeit erreichen und die Regelung dennoch mit einem vertretbaren Aufwand zu verwalten ist. Solange die Win- zer – wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle – ihre Trauben selbst zu Wein verarbeiten und vermarkten oder an eine Genossenschaft angeschlossen sind, ist dies alles unproblematisch, weil die Betriebe genau wissen, wie viel Wein sie sozusagen im Keller liegen haben. Folglich geben diese Betriebe bei der Ermittlung ihres Hektarertrags die von ihnen erzeugte Weinmenge an. Ein Winzer, der seine Trauben vielleicht noch über ei- nen Kommissionär oder Zwischenhändler an eine Kelle- rei oder einen anderen Traubenverarbeiter abgibt, weiß dagegen nicht, wie viel Wein aus seinen Trauben erzeugt wird. Deswegen muss er zur Ermittlung seines Hektarer- trags die abgegebenen Trauben in eine fiktive Wein- menge umrechnen. Dafür verwendet er bundeseinheitlich festgesetzte Umrechnungsfaktoren, die den durchschnitt- lichen Ausbeutesatz von Trauben widerspiegeln. Oder anders ausgedrückt: Die Faktoren geben an, wie viel Wein aus 1 Kilogramm Trauben im Normalfall hergestellt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4505 (A) (C) (D)(B) wird. Während also für einen selbst vermarktenden Wein- baubetrieb oder eine Winzergenossenschaft die tatsäch- lich erzeugte Weinmenge zur Feststellung des Hektarer- trags maßgebend ist, ist es beim reinen Traubenerzeuger nur eine rechnerisch ermittelte Größe. Auf dieses Um- rechnungssystem hatte man sich bei der Einführung der Hektarertragsregelung aus Gründen der Verwaltungsver- einfachung verständigt, weil man davon ausging, dass es in der Praxis zu keinen großen Abweichungen von den Faktoren kommen würde. Lange Zeit war dies auch der Fall. Doch gerade in den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass aus 1 Kilo- gramm Trauben teilweise deutlich mehr Wein erzeugt worden ist, als den Umrechnungsfaktoren entspricht. Diese Mehrmengen waren so auffällig, dass man nicht mehr von natürlichen Schwankungen sprechen konnte. Vielmehr werden diese Mehrmengen inzwischen syste- matisch erzeugt. Ermöglicht wird dies zum einen durch ein stärkeres Auspressen der Trauben, zum anderen aber auch durch moderne Ernte- und Verarbeitungsverfahren und den Anbau ausbeutereicher Rebsorten. Das Ganze ist wirtschaftlich deshalb so interessant, weil für die Mehrmengen der gleiche Preis am Markt erzielt werden kann wie für Wein aus normal ausgepressten Trauben. Den Nutzen haben sowohl die verarbeitenden Betriebe als auch die abgebenden Traubenerzeuger, weil sie sich die zusätzlichen Erlöse untereinander aufteilen. Die an sich unter Qualitätsgesichtspunkten sinnvollen Trauben- ablieferungen werden dadurch infrage gestellt oder sogar ad absurdum geführt. Der wirtschaftliche Vorteil ist offensichtlich so groß, dass inzwischen immer mehr Weinbaubetriebe dazu über- gehen, die Traubenerzeugung von der Weinerzeugung zu trennen, indem sie eigens zu diesem Zweck Tochterunter- nehmen gründen. Wenn sich also – nur um ein Beispiel zu nennen – in einem bestimmten Anbaugebiet ein Fami- lienbetrieb mit 10 Hektar Rebfläche formal in zwei Ein- heiten teilt, sodass etwa der Vater die Trauben und der Sohn den Wein erzeugt, können beide in dieser Konstel- lation bei einer unterstellten Weinausbeute von 85 Pro- zent insgesamt 119 000 Liter Qualitätswein vermarkten. Dies wären 14 000 Liter oder umgerechnet über 13 Pro- zent mehr Wein, als dieser Betrieb ohne Teilung vermark- ten dürfte. Und dies alles ganz legal! Eine derartige Diskrepanz ist nicht nur mit den Prinzipien der Wettbe- werbsgerechtigkeit unvereinbar, sondern auch unter Qua- litätsgesichtspunkten kaum zu vermitteln. Denn wir för- dern – oder klar gesagt: Wir provozieren geradezu – mit dieser Regelung ein zu starkes Auspressen der Trauben. Wie wollen wir dieses Problem nun lösen? Ganz ein- fach: Wir verpflichten alle Betriebe, die Trauben abneh- men und zu Wein verarbeiten, die vorgegebenen Umrech- nungsfaktoren einzuhalten. Zwar ist die Neuregelung mit einem zusätzlichen Verwaltungs- und Kontrollaufwand verbunden, weil nun wirklich alle Weinerzeuger von der Hektarertragsregelung erfasst werden. Aber das Ziel, nämlich eine hohe Weinqualität bei zugleich fairem Wett- bewerb, rechtfertigt diesen zusätzlichen Aufwand. Und das sehen auch die größten Weinbau treibenden Länder in Deutschland so. Was erreichen wir mit der Neuregelung? Erstens. Wir schließen bestehende Lücken in der Hektarertragsrege- lung und sorgen damit für mehr Wettbewerbsgerechtig- keit. Das heißt, Betriebe, die von der jetzigen Situation in besonderem Maße profitieren, werden diesen Vorteil in Zukunft nicht mehr haben. Umgekehrt wird die große Mehrheit selbst vermarktender Weinbaubetriebe, Win- zergenossenschaften und Trauben abgebender Winzer, deren Abnehmer schon in der Vergangenheit die Um- rechnungsfaktoren eingehalten haben, im Wettbewerb gestärkt. Zweitens. Wenn die Trauben weniger stark ausge- presst werden, kommt dies der Weinqualität zugute. Das ist auch im Interesse des Verbrauchers. Und drittens trägt die Maßnahme zur Marktstabilisierung bei. Denn die Trauben verarbeitenden Betriebe müssen künftig je nach Rebsorte zwischen 5 und 10 Prozent – teilweise sogar 15 Prozent – mehr Trauben als bisher verarbeiten, wenn sie die Weinerzeugung auf gleichem Niveau aufrechter- halten wollen. Eine höhere Nachfrage könnte dann allen Winzerinnen und Winzern zugutekommen. Ich bitte Sie daher um Unterstützung des Vorhabens. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Gute Lehre an allen Hochschulen garantie- ren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für he- rausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Tagesordnungspunkt 32 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU): Rituale sind ja etwas Schönes, es gibt sie, weil die Menschen sich einrichten wollen in Bewährtem, in Erprobtem, in lieb gewordene Gewohnheiten. So ist das manchmal auch in der Politik. Und so ist das ganz offensichtlich vor allem bei Ihnen, den Grünen, den grünen Bildungspolitikern, dem verehr- ten Kollegen Gehring. Denn langsam, aber sicher wird das Reden hier mit Ihnen über die Verbesserung der Lehre ja zum richtigen Plenarritual: Alle zwei Jahre neh- men Sie Ihren alten Antrag, verändern heimlich ein paar Formulierungen, alle zwei Jahre stellen wir uns alle dann am Ende einer langen Sitzungswoche zu guter Letzt noch einmal hier in den Plenarsaal und sagen uns die gleichen Sätze wie ehedem – und alle zwei Jahre haben Sie vor allem deshalb einen Anlass, Ihren alten Antrag mal wieder aufzumöbeln, weil wir, die Regierungspar- teien und die Ministerin Schavan, einmal mehr gehan- delt haben. Und auch hier ist die Reaktion fast gebets- mühlenartig dieselbe, also auch schon ritualverdächtig: Die Opposition merkt, dass sich mal wieder etwas getan hat in der Bildungs-, in der Hochschulpolitik, zur Ver- besserung der Lehre in diesem Fall. Und dann wärmt diese Opposition ihre alten Sachen auf und ruft: Regie- 4506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) rung tut was, die CDU unterstützt die Studierenden (das ist aber doch eigentlich unsere Domäne, was fällt denen ein???), also schnell noch den Zusatz angehängt: Aber was die Regierung tut, das ist noch nicht genug. Könnt Ihr nicht noch mehr Geld geben? So, genau so, klingt das auch jetzt schon wieder – und kommt uns sehr, sehr bekannt vor. Zuletzt haben Sie die- ses Ritual am 7. März 2008 abgefeiert, davor war es am 16. Februar 2006. Auch damals haben wir hier gestanden und mit Ihnen um „mehr Qualität für die Hochschulen“ gerungen. Lieber Herr Gehring, bei allem Respekt vor der Bedeutung der Hochschulen, bei aller Einsicht in die schwierigen Situationen da, bei allem Engagement vor allem für die Lehre – ich erinnere daran: Wir sind es ja, die hier mal wieder handeln! Wir haben verstanden! – Manche Rituale ermüden. Nun könnte man sagen: Prächtige Grüne, die lassen einfach nicht locker. – Ich erlaube mir nur, Sie einmal mehr darauf aufmerksam zu machen, dass Sie aber auch jetzt mal wieder nur hinterherhinken. Sie wissen ja, dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan gerade in der vergangenen Woche einen Qualitätspakt für die Lehre verkündet hat: 2 Milliarden Euro will der Bund in den kommenden zehn Jahren für mehr Personal, bessere Qualifizierung und Betreuung ausgeben, also 200 Mil- lionen Euro jährlich für die Hochschulen, für die be- kanntlich die Länder zuständig sind! „Zu wenig“, sagen die Studierenden und die Grünen, „ein Anfang“, sagen die Rektoren. Ja, ein Anfang – genau das ist es, und genau so ist die- ser Qualitätspakt gemeint. Auch wir wissen, dass der Wissenschaftsrat eine ganz andere Dimension nennt. Aber auch Sie, die Opposition, die SPD, die Grünen, die Linken, die meinen, auch eben noch schnell einen An- trag zusammenschustern zu müssen, Sie alle wissen ge- nauso gut wie wir, dass die Bundesländer zuständig sind für die Unis, für die Studis, für die Lehre dort. Und Sie wissen ebenfalls, dass dieses Paket in Zeiten, in denen wir ganz andere Aufgaben mit ganz anderen Summen zu bewältigen haben, für den Bildungsbereich geradezu ein Meilenstein für die Verbesserung der Lehre ist. Wenn Sie alle, auch Herr Gehring, tatsächlich an der Sache und nicht nur am ritualisierten Geschrei interessiert wären, dann würden Sie auch mal mithelfen, derartige Quali- tätsoffensiven, derartige Haushaltsentscheidungen, derar- tige Initiativen der Regierung für die deutschen Hoch- schulen – in allen Ihren Bundesländern und Wahlkreisen – zu unterstützen! Herr Gehring, noch kurz zu Ihrer Forderung, der Bund solle einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen: Auch das ist natürlich nicht Sache des Bundes, sondern originäre Aufgabe der Länder oder auch mal der Hochschulen. Es bleibt ihnen ja unbenommen, die Gel- der des Bundes für die Verbesserung der Lehrqualität ge- nau dafür zu verwenden. Im Übrigen darf ich daran erin- nern, dass die KMK – wie Sie wissen – eine gemeinsame Initiative mit dem Stifterverband für einen „Wettbewerb exzellente Lehre“ gestartet hat. Im Rahmen des Wettbe- werbs sollen Konzepte von Hochschulen zur Strategie- entwicklung im Bereich Studium und Lehre ausgezeich- net werden. Für die Finanzierung sind 10 Millionen Euro für drei Jahre vorgesehen, je zur Hälfte vom Stifterver- band und dem jeweiligen Sitzland finanziert. Der Wett- bewerb wird zunächst einmalig durchgeführt, soll aber bei positiver Evaluierung fortgesetzt werden. Ein solcher Wettbewerb ist ein erster Schritt, der die Länder – nicht den Bund – aber nicht von der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen entbindet, um auch in der Breite gute Be- dingungen für exzellente Lehre zu schaffen. Außerdem haben die Hochschulen in den letzten Jah- ren in hohem Umfang damit begonnen, Lehrpreise ein- zuführen. Darüber hinaus gibt es mehrere hochschul- übergreifende Ansätze zur Etablierung von Lehrpreisen, wie zum Beispiel den seit 2006 von HRK und Stifter- verband gemeinsam vergebenen „ars-legendi-Preis für exzellente Hochschullehre“ (Preisgeld: 50 000 Euro), der im jährlichen Rhythmus alternierend für eine be- stimmte Disziplin ausgelobt wird (2008: Wirtschaftswis- senschaften); den „Exzellenz-in-der-Lehre-Preis“ des hessischen Wissenschaftsministeriums, der 2007 zum ersten Mal vergeben wurde und mit einem Preisgeld von 250 000 Euro (plus 125 000 Euro der Hertie-Stiftung) nach eigenen Angaben die höchste staatliche Ehrung dieser Art in Deutschland ist; den Medidaprix (Preisgeld 100 000 Euro), der speziell für mediendidaktisch heraus- ragende Ansätze der Hochschullehre abwechselnd vom BMBF und dem österreichischen Wissenschaftsministe- rium finanziert wird. Solche Lehrpreise sind eine schöne Komponente in den Bemühungen um eine Aufwertung der Hochschullehre. Ihren Wirkungsgrad sollte man mit Blick auf die angemahnte Verbesserung der Hochschul- lehre in der Breite aber auch nicht überschätzen. Und selbst die schwerfällige KMK hat ja erkannt, dass die Länder sich des Themas Hochschullehre anneh- men sollten, und hat im Juni 2007 die Amtschef-Kom- mission „Qualitätssicherung in Hochschulen“ beauf- tragt, unter Einbeziehung des Stifterverbands eben auch ein Konzept für eine Qualitätsoffensive in der Lehre zu entwickeln. Die Rektoren haben dann auch zur aktuellen Initiative der Bundesbildungsministerin gesagt, das sei ein guter Anfang – auch sie lernen also dazu. Nehmen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sich daran mal ein Beispiel. Wir halten am Ende doch noch einmal fest, auch das nicht zum ersten, sondern zum wiederholten Mal – Ri- tuale haben ja auch etwas Verbindendes –, dass wir uns alle darin einig sind, wie wichtig die Hochschulen für unser Land sind, dass sie für die Studierenden da sind und wir eben dies nie aus dem Blick verlieren dürfen, dass deren Situation schwierig genug ist, dass zwar die Länder zuständig sind, wir aber über Mittel verfügen, die genau dafür zur Verfügung gestellt werden sollten, und dass wir eben das genau deshalb tun. 200 Millionen im Jahr vom Bund für die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen in den Ländern, 2 Milliarden in diesen Zei- ten für diesen Zweck – das ist ein notwendiges, ein wichtiges, ein gutes Signal. Es wäre aber ein föderales Missverständnis, zu glau- ben, der Bund habe die Rolle eines Wächters darüber Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4507 (A) (C) (D)(B) inne, wie die Länder dann zu Hause ihre – ja noch viel weitergehenden – Aufgaben erfüllen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Liest man die Überschriften zu den heute zu debattierenden Anträgen, so kann wohl jede Fraktion der Forderung nach guter Lehre zustimmen. Die fraktionellen Unterschiede ste- cken wie immer im Detail. Auch sind unsere Vorstellun- gen, was eine gute Lehre ausmacht, doch ein ganzes Stück weit entfernt von dem, was wir in den Anträgen von den Linken und Bündnis 90/Die Grünen präsentiert bekommen. Die Linken singen wieder das Lied von mehr Geld für alles; wenig Leistung um Abschlüsse zu erreichen; man- gelnde Mitbestimmungsrechte – anscheinend bestimmen nun die „bösen“ Hochschulräte auch noch die Lehrin- halte; und man höre und staune: Mit der Forderung nach der Abschaffung des Präsenzstudiums wollen sie die Studierenden gar aus den Hörsälen und Seminarräumen treiben, rätselhaft, wofür sie dann noch eine gute Lehre benötigen. Für die Linken behindern Abgabe- und Mel- defristen für Bachelor- und Masterarbeiten sowie Prü- fungstermine den Verlauf des Studiums. Sie wollen am liebsten – ich zitiere aus dem Antrag: mit „unabhängigen Lerngruppen“ – ein „selbstbestimmtes Projektstudium“, das heißt, wir treffen uns alle unter einem Baum, sitzen im Kreis, rauchen ein bisschen und lassen unseren fach- lichen Gedanken freien Lauf. Die Ergebnisse dieser Vor- stellung von Lehre, verbunden mit ideologischer Ver- blendung, haben wir auf dem Bologna-Gipfel gesehen. Die sozialistischen Studentengruppen verließen die Kon- ferenz, sie sind und waren nicht in der Lage, an einer Diskussion teilzunehmen. Ihnen ging es nicht darum, mit den beteiligten Bildungspartnern über konkrete Maßnah- men zur Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses zu diskutieren. Für sie stellte der Gipfel offenbar nur eine Plattform für ihre Provokationen dar. Das zeigt wieder einmal mehr: Die Linken sind nicht dialogfähig und le- ben scheinbar in einer eigenen, entrückten Welt. Die Vorschläge der Linken führen nicht zu einer „gu- ten Lehre“! Sie verstehen nicht, was das Prinzip der Wis- senschaftsfreiheit mit „Einheit von Forschung und Lehre“ sowie „Freiheit von Forschung und Lehre“ meint. Es ist für uns erschreckend, was sich hinter der bürgerlich wirkenden Überschrift des Antrags der Lin- ken versteckt. Sie sind und bleiben als Nachfolger der SED der Wolf im Schafspelz! Insofern beziehe ich meine folgenden Ausführungen auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Wir wissen, wie auch der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen richtig erkennt, dass die Lehre eine wichtige Leistung in unserer Hochschulausbildung ist, die es an- zuerkennen und zu stärken gilt. Wir wissen, dass ein per- sönlicher Kontakt mit dem Lehrenden, das Erleben einer Vorlesung oder eines Seminars, der Aufbau eines sozia- len Umfeldes elementare Bestandteile von studentischer und universitärer Kultur sind. Doch, verehrte Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sind wir uns auch mit Ihnen über den Weg hin zu einer guten Lehre nicht vollends einig. Ich bin der Überzeugung, dass Ihre Forderung nach speziellen Lehr- professuren sowie Lehrjuniorprofessuren falsch ist. Dies widerspricht unserem Humboldt’schen Ansatz von Ein- heit von Forschung und Lehre. Unserer Überzeugung nach kann nur jemand eine gute Lehre machen, der auch in der Forschung stark ist. Denn genau darin besteht ja das Ziel unserer Hochschulausbildung: Wir möchten Studierende so früh wie möglich mit der aktuellen For- schung in Kontakt bringen und ihr Interesse und ihre Be- geisterung dafür wecken. Deshalb sollte nach unserer Überzeugung bei den Be- rufungen von Professoren und der Einstellung von wis- senschaftlichem Personal der Aspekt der „guten Lehre“ stärker in den Mittelpunkt rücken. Ich selbst habe in Be- rufungskommissionen mitgewirkt und weiß aus der Pra- xis, dass die Lehrleistung der Bewerber in der Gesamt- bewertung viel zu wenig ins Gewicht fällt. Hier ist jedoch der Landesgesetzgeber gefordert, klare Kriterien für Berufungsverfahren aufzustellen, insbesondere die Lehrleistung von Bewerbern viel stärker zu berücksichti- gen. Die bisher übliche Praxis, vorrangig nach dem Publikationsverzeichnis und der Drittmittelquote einer Bewerberin oder eines Bewerbers zu schauen, ist jeden- falls nur bedingt zielführend, wenn wir eine Qualitäts- verbesserung in der Lehre erreichen wollen. Neben die- sen durchaus wichtigen Kriterien muss stärker ins Gewicht fallen, ob die Bewerberin oder der Bewerber über didaktische Kompetenzen verfügt und in der Lage ist, Studieninhalte anschaulich und nachvollziehbar zu vermitteln. Unsere Exzellenzinitiative darf nicht dazu führen, dass sich Spitzenforscher aus der Lehre „freikaufen“. Richtig ist, dass wir bei der Exzellenzinitiative auch Lehrleistungen berücksichtigen müssen, denn eine Spit- zenuniversität macht nicht nur eine gute Forschung, son- dern eben auch eine gute Lehre aus. Nun zu ihrer aus der US-amerikanischen Hochschul- landschaft stammenden Idee, Juniorprofessuren für Lehre obligatorisch mit einer „Tenure Track“-Option zu verse- hen. Eine gute Lehre wird dadurch meines Erachtens nicht automatisch befördert. Auch hier gilt: Gute Lehre geht nicht ohne gute Forschung. Und die „Tenure Track“- Option sollte das bleiben, was sie ist: ein Anreizsystem, um die besten und geeignetsten Wissenschaftler an den Hochschulen zu halten. Diese nur für die Juniorprofessu- ren in der Lehre obligatorisch einzuführen, setzt eindeu- tig die falschen Signale. Wir müssen die Antragssteller von einem Irrglauben abbringen: Gute Lehre kann man nicht allein mit Geld kaufen! Die christlich-liberale Koalition investiert im Rahmen des Qualitätspakts Lehre in den nächsten zehn Jahren pro Jahr 200 Millionen Euro, also insgesamt rund 2 Milliarden Euro in die Förderung der Lehre. Das Geld wird direkt für Personal, für vorgezogene Berufungen, für Einstellungen im Mittelbau, Tutorenprogramme und Weiterbildungsangebote zur Verfügung stehen. Dabei werden wir aber auch den Gedanken der Exzellenz nicht außen vor lassen. Wissenschaftler und Hochschulen sol- len ihre Konzepte vorlegen und aus diesen sollen dann – ebenso wie das bei der Bewerbung um Drittmittel üb- 4508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) lich ist – die besten Konzepte ausgewählt und gefördert werden. Auch die immer wieder beschworenen Betreuungs- schlüssel für Studierende pro Hochschullehrer können nicht das Allheilmittel sein. Bei der klassischen Lehr- methode des Frontalunterrichts sowie einer guten Vor- und Nachbereitung einer Lehrveranstaltung konnten wir die Erfahrung machen, dass der Notendurchschnitt bei einer Klausur völlig identisch ist, egal ob in einer Semi- nargruppe 15 oder 80 Studierende saßen. Sie sehen: Die besten Lehren für die Zukunft ziehen wir aus der eigenen Erfahrung. Gute Lehre kann man auch nicht gesetzlich verord- nen! Das Einzige, was wir machen können, ist, gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Viele Ihrer Forderun- gen aus dem Antrag werden völlig freiwillig bereits praktiziert. Viele Hochschulen loben selbst Lehrpreise aus, evaluieren ihre Lehre, stehen im ständigen Dialog mit den Studierenden. Auch bundesweite oder lokale Hochschulzeitschriften wählen die besten Lehrenden aus. Jedoch wird ein begabter Rhetoriker immer einen Hörsaal voller Studenten in seinen Bann ziehen können, er wird seine Vorlesung immer mit Scherzen würzen und den Dialog mit den Studierenden suchen. Den Wissen- schaftlern, die keine Lehrerfahrung haben, geben wir be- reits viele Hilfestellungen an die Hand. Dem wissen- schaftlichen Personal werden umfangreiche Angebote für didaktische Weiterbildungen gemacht. Als Beispiele verweise ich hier auf das vielfältige Veranstaltungsange- bot des Hochschuldidaktikzentrums Baden-Württem- berg oder auf die Hochschuldidaktik-Initiative Thürin- gen. Gemeinsam mit den Ländern wird der Bund nunmehr Zentren für Studium und Lehre einrichten, die neue Impulse zur Professionalisierung und Qualitätssi- cherung der Lehre geben. Zudem wird es eine Akademie für Lehre geben, die die neusten Erkenntnisse in der Lehrforschung aufbereitet und an die Hochschulen ver- mittelt. Somit ergänzt der Qualitätspakt Lehre die vor- handenen Strukturen und Programme. Zu wenig Fortbil- dungszentren, wie von der Opposition behauptet, haben wir diesbezüglich in keinem Fall! Didaktische Schulungen, Beamer, Power-Point-Prä- sentationen, Mikrofone, Kopien können aber die wich- tigsten Bausteine „guter Lehre“ nicht ersetzen: Engage- ment des Lehrenden in Vorlesungen bzw. Seminaren und Lernmotivation aufseiten der Studierenden. Engagement und Motivation sind die Schlüsselkompetenzen guter Lehre. Und wir müssen gemeinsam nach Wegen suchen, diese Kompetenzen bei unseren Hochschullehrern, dem akademischen Mittelbau und unseren Studierenden wie- der zu stärken. Tauglich sind die Vorschläge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bezüglich der Bewertung „guter Lehre“. Wir brauchen, ich zitiere aus dem Antrag, „einen Methoden- mix, der die Bewertung von Lehrveranstaltungen durch Studierende, Peer-Review-Verfahren sowie Absolven- ten- und Abbrecherbefragungen umfasst“. Wir suchen also einen Dialog zwischen Studierenden und Lehren- den. Dieser muss aber nicht verordnet werden, sondern dieser wächst an einer guten Hochschule! Da ich ja direkt von einer Universität komme, lassen Sie mich abschließend noch ein Beispiel von meiner Heimatuniversität, der TU Ilmenau, aufzeigen: Dort wird bereits innovative und gute Lehre gelebt. Gegen- wärtig wird dort ein spannendes E-Learning-Projekt ge- testet. Die Entwicklung kreativer Lernsoftware ist zwi- schenzeitlich so weit, dass sich Studenten auf ihr Mobiltelefon Lernmaterialen laden und bearbeiten kön- nen. Doch – und lassen Sie mich dies abschließend noch einmal betonen – ersetzt dies nicht den persönlichen Kontakt zwischen Lehrkräften und Studierenden. Denn es ist schließlich im ureigenen Interesse des Lehrenden, frühestmöglich in den Kontakt mit engagierten und mo- tivierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen- schaftlern zu kommen und einen Austausch zu ent- wickeln, von dem beide Seiten profitieren: Lehrkräfte ebenso wie die Studierenden. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die Anträge der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zur Verbesserung der Hochschullehre enthalten viele Über- legungen und Forderungen, die auch wir von der SPD in unserem bereits im Dezember letzten Jahres vorgelegten Antrag „Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt durchsetzen“ formuliert haben. Es gibt die eine oder an- dere unterschiedliche Akzentsetzung in den Anträgen – das ist gut so; denn das gibt Stoff für anregende und wei- terführende Diskussionen in den Ausschüssen. So legen etwa Bündnis 90/Die Grünen schon im Titel ihres Antra- ges einen stärkeren Akzent auf die Ausrufung eines neuen Wettbewerbes für herausragende Lehre. Wir ha- ben im Grundsatz nichts gegen dieses Instrument einzu- wenden. Doch ein Wettbewerb sollte nur eine Ergänzung sein für die viel wichtigere Verbesserung der Grund- finanzierung aller Hochschulen gleichermaßen. Die Hochschulen sollten sich endlich mehr mit den Studie- renden befassen als mit aufwendigen Antragsverfahren. Doch insgesamt – ich betone das ausdrücklich – ge- hen die Anträge in die richtige Richtung. Das politische Problem ist vielmehr, dass es der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP entgegen allen öffentlichen Be- teuerungen am entschiedenen Willen zu einer starken Initiative zugunsten der Hochschullehre fehlt. Die groß angekündigte Bologna-Konferenz, zu der Bundesminis- terin Schavan eingeladen hat, ist der vorläufige Höhe- punkt einer Reihe von Scheinaktivitäten. Die propagierte Beteiligung der Studierenden ist letztlich nur der Form nach erfolgt. Ihre zentralen Forderungen wurden igno- riert. Das Abschlusskommuniqué ist an Belanglosigkeit nicht zu überbieten. Vor allem aber: Die Ansage der Bundesministerin, 2 Milliarden Euro für verbesserte Lehre ausgeben zu wollen, hört sich zunächst gewaltig an. Doch bei näherem Hinsehen wird klar, dass damit nicht ernsthaft Probleme gelöst werden können. Denn die 2 Milliarden Euro sollen auf zehn Jahre gestreckt werden, macht also nur noch 200 Millionen jährlich. Das macht auf den einzelnen Studierenden, pro Semester umgerechnet, gerade einmal 45 Euro. Dabei wären in je- dem einzelnen Jahr 1,1 Milliarden Euro nötig, wie der Wissenschaftsrat den Verantwortlichen in Bund und Ländern unlängst ins Stammbuch geschrieben hat. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4509 (A) (C) (D)(B) Leider ist zu befürchten, dass selbst die unzureichen- den Planungen der Frau Schavan sich letztlich als Sei- fenblase entpuppen werden – wenn die Herren Koch und Schäuble den Haushalt zurechtgestutzt haben. Jetzt rächt sich die verantwortungslose Steuer- und Haushaltspoli- tik der Regierungskoalition. In der Tat stehen wir vor ei- ner gewaltigen Herausforderung: Die Krisen im Banken- und Finanzbereich belasten den Bundeshaushalt enorm. Aber anstatt vorzusorgen und klug zu investieren, wur- den Milliarden für Steuergeschenke an Hoteliers und Er- ben herausgeschleudert. Ich habe bereits vor Monaten im Deutschen Bundestag Frau Schavan aufgefordert, endlich denen in der Regierungskoalition die Zähne zu zeigen, die mit einer unseriösen Haushalts- und Finanz- politik den Bildungsinvestitionen in den Kommunen, in den Ländern und im Bund die Beine weghauen. Doch die Bundesbildungsministerin hat es geschehen lassen. Dann war zu lesen, dass Frau Schavan in einem Inter- view sagte: „Jetzt zucke ich, wenn ich immer wieder das Thema Steuersenkung höre“. Ja meine Güte, Frau Minis- terin zuckt vor lauter Schreck. Wie das Kaninchen vor der Schlange erstarrt sie und hofft, dass alles gutgehen möge. Wann endlich sehen wir, sehen die Bürgerinnen und Bürger eine Bildungsministerin, die kämpft? Statt- dessen tingelt sie seit Wochen durch die Gegend mit ih- rer neu gewonnenen Überzeugung, dass das Koopera- tionsverbot von Bund und Ländern bei der Bildung aufgehoben werden sollte. Wir freuen uns über diesen Sinneswandel. Doch auch hier: Wo bleibt die konkrete Aktivität? Wann kommt Frau Schavan aus ihrem Wol- kenkuckucksheim herunter und macht mal etwas Kon- kretes? Ich habe Frau Schavan vor längerem im Bundestag eine gemeinsame, überparteiliche Initiative im Deut- schen Bundestag angeboten. Ich habe ihr danach noch- mal geschrieben und konkrete Vorschläge gemacht. Die Reaktion war: Ein Schreiben mit lapidaren Äußerungen und schönen Worten. So schreibt Sie am 20. Mai 2010: Bund und Länder sind sich der Verantwortung und der Bedeutung dieser gesamtstaatlichen Aufgabe sehr bewusst. Die Bundeskanzlerin, die Regierung- schefin und die Regierungschefs der Länder haben in ihrer Besprechung am 16. Dezember 2009 das gemeinsame Ziel bekräftigt, die Ausgaben für Bil- dung und Forschung bis 2015 auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Dabei sitzen die Regierungschefs schon längst ohne sie beisammen und planen die Einsparungen und Ein- schnitte im Bildungsbereich – während Frau Schavan ganz alleine weiter von der Erreichung des 10-Prozent- Ziels träumt und philosophiert. Wenn es aber konkret wird, duckt sich Frau Schavan weg. Das ist beim soge- nannten Bologna-Gipfel so gewesen, das ist bei der Haushalts- und Steuerpolitik so, und das ist beim Thema Föderalismus so. Auch bei der Verbesserung der Hochschullehre kom- men wir nur dann weiter, wenn wir eine gute Zusam- menarbeit von Bund und Ländern erreichen. Aber die nächste große Show ist ja bereits angesagt: der „Bil- dungsgipfel“ der Bundeskanzlerin. Die letzten zwei Gip- fel waren ja mehr Maulwurfshügel. Jetzt verwenden die Finanzer von Bund und Ländern alle Kraft darauf, das Finanzierungsdefizit in Bildung und Forschung herun- terzurechnen. Und das Chaos, das die Bundesregierung mit dem Haushalt angerichtet hat, macht ein gutes Er- gebnis des Bildungsgipfels leider umso unwahrscheinli- cher. Erst gestern haben die Bundesländer klargemacht, was sie von Investitionen in die Bildungspolitik halten. Auf Initiative von Bayern und Hessen haben die Finanz- minister der Länder mit Mehrheit die vom Bund ge- plante Erhöhung des BAföG abgelehnt. Was kommt als Nächstes dran? Die SPD-Fraktion setzt sich für die ordentliche Finan- zierung besserer Lehre ein. Wir wollen, dass das auf dem Bildungsgipfel vereinbart wird, und wir sagen auch, wo- her wir das Geld nehmen wollen, nämlich durch einen Bildungssoli, den wir von Spitzenverdienern durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes erzielen. Die Regie- rungskoalition ist leider weit davon entfernt, diesen rich- tigen Weg einzuschlagen. Die Folgen tragen die Studie- renden und in der Konsequenz die ganze Gesellschaft. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Bologna se- hen wir als einen Prozess, der mittlerweile bereits weit vorangeschritten ist, aber noch lange nicht als abge- schlossen bezeichnet werden kann. Nicht zuletzt die erste nationale Bologna-Konferenz am vergangen Montag – aus meiner Sicht eine erfolgreiche Veranstal- tung – hat deutlich gemacht, dass Anpassungen zum Wohle der Studierenden erforderlich sind. Deshalb ha- ben wir uns bereits im Koalitionsvertrag mit der Union darauf verständigt, gemeinsam mit den Ländern ein „Bo- logna-Qualitäts- und Mobilitätspaket“ zu schnüren, in welchem ein Kernelement die Verbesserung der Lehre sein wird. Es wird Sie nicht verwundern – dies sage ich insbe- sondere mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen der SPD und der Grünen –, wenn ich an dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen muss, dass die in den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen dargestellten Defizite im Be- reich der Hochschullehre, für die sie immer wieder auch die Bologna-Reform verantwortlich machen, aufgrund ihrer Versäumnisse während der rot-grünen Regierungs- zeit – nämlich da, als Bologna auf den Weg gebracht wurde – durch eine fehlende finanzielle Begleitung der Reform erst verursacht bzw. verstärkt wurden. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie sind Ihrer Verantwortung damals nicht gerecht geworden und kommen heute mit dem erhobenen Zeigefinger. Das mag Ihrer Oppositionsrolle geschuldet sein, ist aus meiner Sicht jedoch vollkommen unnötig. Heute nämlich wird der Bund seiner Verantwortung gerecht. Die Bundesre- gierung fördert mit dem Hochschulpakt II den systemati- schen Ausbau der Studienplatzkapazitäten allein in 2010 mit 508 Millionen Euro. Die christlich-liberale Bundes- regierung stellt für die Weiterentwicklung des Bologna- Prozesses 33 Millionen Euro zur Verfügung und etati- sierte bereits 760 Millionen Euro für einen Qualitäts- 4510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) pakt, welcher durch eine Kofinanzierung der Länder er- gänzt werden soll. Hier können wir mit einem beträchtlichen Zugewinn für die Hochschullehre rech- nen. Meine Damen und Herren von der Opposition, we- nigstens darin sind Sie sich ja einig: Sie fordern immer wieder die Abschaffung von Studienbeiträgen. Mittler- weile fließen deutlich mehr als 1,2 Milliarden Euro aus Erlösen der Studienbeiträge in die Hochschullehre. Diese Einnahmen decken bundesweit mehr als ein Drit- tel der Kosten zusätzlicher Hochschulinvestitionen. Hochschulen im Verantwortungsbereich liberaler Minis- ter konnten dadurch bemerkenswerte Verbesserungen er- zielen. Während die Ausgaben der Hochschulen in Bay- ern im Zeitraum von 2006 bis 2008 um 778 Millionen Euro stiegen und die nordrhein-westfälischen Hochschu- len im selben Zeitraum sogar 881 Millionen Euro mehr investieren konnten, fiel der finanzielle Zugewinn in Berlin und Brandenburg beschämend gering aus. Sie wollen allen Hochschulen diese Einnahmequelle streitig machen, ohne uns die Frage beantworten zu können, wie Sie die zu erwartenden Einnahmeverluste für die Hoch- schulen auffangen wollen. Stattdessen finden sich im Antrag der Grünen diverse Vorschläge, die im Wesentli- chen auf eine zentrale Steuerung des Hochschulwesens abstellen. Sie setzen auf Gender- und Diversity-Kompe- tenzen als zentrale Qualitätskriterien bei der Bewertung guter Lehre und fordern flächendeckend Landeslehr- preise. Dann beklagen Sie die Differenzierung der Perso- nalkategorien an den Hochschulen und wollen aber gleichzeitig zusätzliche Professuren und Juniorprofessu- ren mit dem Schwerpunkt Lehre schaffen. Für mich lässt sich dieses grüne Klein-Klein beim besten Willen nicht mit einer modernen Wissenschaftspolitik vereinbaren. Ich bin davon überzeugt: Mit dem von uns eingeschlage- nen Weg, der eine Anerkennungskultur für die Lehre för- dern wird, unterstützt der Bund die qualitative Weiter- entwicklung des Bologna-Prozesses besser und wird damit sicher mehr für die Hochschulen und vor allem für die Studierenden erreichen. Meine Damen und Herren, ich erwarte aber auch, dass die Länder ihre Hausaufgaben machen. Wer die Zu- ständigkeit für die Bildung bei sich sieht, muss auch die dazugehörende Verantwortung übernehmen und schließ- lich auch das dafür erforderliche Geld in die Hand neh- men. Es empört mich daher, wenn ich von Vorschlägen höre, bei der Bildung zu sparen. Wenn ich sehe, dass zum Beispiel in meinem Bundesland, nämlich Branden- burg – übrigens seit 20 Jahren von der SPD regiert – al- lein darauf gesetzt wird, möglichst viele Bundesmittel aus dem Hochschulpakt 2020 zu bekommen, indem massiv Studierende ins Land gelockt werden, gleichzei- tig aber nicht im gleichen Maße eigene Investitionen in den Ausbau zusätzlicher Kapazitäten an den Hochschu- len getätigt werden, dann ärgert mich das maßlos. Wenn die dortige rot-rote Landesregierung in ihrem Koali- tionsvertrag von der großen Bedeutung der Bildung phi- losophiert, gleichzeitig aber tatenlos zusieht – nein, ich behaupte: es mit ihrer soeben beschriebenen Strategie sogar massiv befördert –, dass die Hochschulen im Lande aus allen Nähten platzen, ohne auch nur ansatz- weise etwas für die Lehre zu tun, empört mich das umso mehr. Die Universität Potsdam, die größte Hochschule in Brandenburg, hat mittlerweile über 20 000 Studierende und ist damit längst an ihren Kapazitätsgrenzen ange- langt. Überfüllte Seminare und „Massenabfertigungen“, wie sie seitens der Bildungsstreikenden – auf die sich Die Linke ja allzu gern beruft – immer wieder beklagt wurden, sind in Potsdam Realität. Und die einzige Re- aktion von Rot-Rot ist es, für noch mehr Studierende zu werben, um möglichst viele Mittel aus dem Hochschul- pakt zu ergattern! Nicht anders sieht es übrigens im ebenfalls rot-rot-re- gierten Berlin aus. Trotz erheblicher Beteiligung des Bundes ist der durchschnittliche Landeszuschuss pro Studierendem und Jahr an die Hochschulen seit 2006 um mehr als 600 Euro eingebrochen. Wenn im Bundestag dann Die Linke mit ihrem Antrag einerseits Mittelsteigerungen für die Hochschulen for- dert, um eine Steigerung der Lehrqualität zu erreichen, und andererseits absurderweise auch noch die Abschaf- fung von Studiengebühren fordert, wenngleich diese mittlerweile eine erhebliche Bedeutung für die Finanzie- rung von Hochschulen haben, kann man das ganze Papier eigentlich nicht mehr ernst nehmen. Auch das Deutsche Studentenwerk bestätigte doch, dass Studienbeiträge durch- aus zielgerichtet zur Verbesserung der Betreuungs- und Studiensituation der Studierenden eingesetzt werden und damit eine erhebliche positive Wirkung auf die Situation der Hochschulen entfalten. Meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, mit Ihrem unsystematisch zusammengewürfelten Forderungskatalog zur Deckung des Mittelbedarfs deut- scher Hochschulen, welcher von einer Grundgesetzre- form bis zur Erarbeitung von diversen Aktionsplänen reicht, lassen Sie vollkommen außer Acht, dass der Bund schon jetzt für den Hochschulbereich Mitwirkungs- und Finanzierungsmöglichkeiten besitzt und diese auch nutzt. Wir stellen bereits gemeinsam mit den Ländern er- hebliche Mittel für den Ausbau zusätzlicher Studien- platzkapazitäten über den Hochschulpakt zur Verfügung. Mit dem Qualitätspakt Lehre stellt der Bund in den nächsten zehn Jahren außerdem beträchtliche Mittel zur Steigerung der Lehrqualität bereit. Sie hingegen zeigen lediglich auf die Bundesregierung und fordern sie auf, mehr für die Finanzierung der Hochschulen zu tun, und dort, wo Sie selbst in Verantwortung sind, machen Sie das genaue Gegenteil. Das ist nicht glaubwürdig, und die Menschen im Land, vor allem die Studierenden, sehen das auch. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen, Koalition und Bundesregierung setzen ihre Prioritäten bei Bildung und Forschung. Unser Ziel bleibt es, Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen. Die Länder, aber auch die Hochschulen haben in uns einen verlässlichen Partner. An ihnen selbst ist es aber auch, mit eigenen Anstren- gungen ihren Beitrag zu leisten, unserem gemeinsamen Ziel noch näherzukommen. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Überfüllte Hörsäle, Prüfungsstress, hohe Präsenzpflicht, Stellenabbau und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4511 (A) (C) (D)(B) abstruse Betreuungsrelationen – eine Professorin oder ein Professor ist durchschnittlich für 60 Studierende ver- antwortlich! So kann man schlagwortartig die Lehr- und Lernsituation an den Hochschulen umschreiben. Das kommt nicht von ungefähr: Jahrzehntelang wurden die Hochschulen unterfinanziert; zudem wurde der Bologna- Prozess implementiert, nach dem Motto „Schaut doch, wie ihr damit klarkommt!“ Und da ist es kein Wunder, dass die Versprechen auf neue Lehr- und Lernformen, wie etwa ein selbstbestimmtes Projektstudium, forschen- des Lernen, die Anerkennung und Integration von unab- hängigen Lerngruppen in den Lehrbetrieb oder E-Lear- ning, nicht umgesetzt wurden. Die Bologna-Konferenz vom vergangenen Montag wäre eine gute Gelegenheit gewesen, mit allen Verant- wortlichen gemeinsam Veränderungen zu beschließen. Sie, Frau Schavan, haben sie nur dazu genutzt, Ihre alt- bekannten Projekte erneut vorzustellen. Und es sollte Ih- nen zu denken geben, meine Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, Frau Schavan, dass die Bildungsstreikenden die Sitzung vorzeitig verlassen ha- ben. Denn die Bildungsministerin ist wirklich mit kei- nem Wort auf die Forderungen der Studierenden einge- gangen, sie hat nicht mal die Gelegenheit genutzt, mit den anwesenden Kultusminister und Kultusministerin- nen und Hochschulrektoren und Hochschulrektorinnen konkrete Vereinbarungen zu treffen. Grundvoraussetzung für jede Verbesserung an der Hochschule und in der Lehre ist Geld: Es ist nicht einzu- sehen, dass die Krise und die Konsolidierung der Haus- halte auf dem Rücken der Bildung ausgetragen werden sollen, wie es nun Ihr Ministerpräsident Roland Koch in Hessen fordert. 2 Milliarden will die Bundesregierung in den nächsten zehn Jahren für die Verbesserung der Lehre zur Verfügung stellen. Zum Vergleich: über 100 Milliar- den Euro konnten schon wieder über Nacht für die Schuldner Griechenlands mobilisiert werden, also für die Banken. Sie handeln nach dem Motto: „Geld für Banken statt für Bildung!“ Das ist ein Skandal! Und der Anteil der öffentlichen Ausgaben pro Student am Brutto- inlandsprodukt ist seit den 70er-Jahren um zwei Drittel zurückgegangen! So schaut Ihre Bildungsrepublik aus! Da müssen Sie sich nicht über weitere Proteste wundern! Die Qualität von Lehre und Studium ist untrennbar mit guten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ver- knüpft. Sie reden doch immer von Exzellenz! Dann schaffen Sie einfach mal exzellente Bedingungen! Ohne hervorragende Arbeitsbedingungen wird es keine her- vorragende Lehre geben. Ihre Politik führte geradewegs in katastrophale Arbeits- und Beschäftigungsbedingun- gen an den Hochschulen – besonders unterhalb der Pro- fessur. Lehrbeauftragte sichern den laufenden Lehrbe- trieb, sie tun dies völlig unterbezahlt und ohne gesicherte Perspektiven. Drei Viertel aller wissenschaftlichen Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes befristet be- schäftigt, die Hälfte davon in Teilzeit. Und dieser Trend reicht bis zu den Professuren, deren Stellen 2008 bereits zu 16 Prozent befristet waren, 1998 waren es noch 5 Prozent. Wenn Sie an dieser Situation grundlegend etwas än- dern wollen, sorgen Sie für mehr und vor allem für kontinuierliche Mittel! Stellen Sie mehr Personal mit ge- sicherten Arbeitsverhältnissen ein und schaffen Sie Qua- lifizierungsmöglichkeiten! Der Wissenschaftsrat veran- schlagt allein für die Verbesserung der Qualität der Lehr- und Lernbedingungen ein jährliches Budget von 1,1 Mil- liarden Euro. Sie bieten 200 Millionen Euro und wollen dafür noch gefeiert werden. Mit Verlaub, aber das ist ab- surd! Und mit der Exzellenzinitiative verschärft die Bun- desregierung dieses Problem noch. Nicht nur, dass dadurch die Mittel konzentriert und einer breiteren Finanzierung, von der alle Hochschulen etwas hätten, entzogen werden, dazu kommt, dass diejenigen, die in solchen Exzellenzprojekten forschen, sich doch kaum noch an der Lehre beteiligen. Stattdessen gibt es dann die reinen Lehrbeauftragten, die aber keine Zeit mehr haben, zu forschen. Sie betreiben eine Ausdifferenzie- rung in Forschungs- und Lehruniversitäten; Sie treiben mit Ihrer Politik die Trennung von Forschung und Lehre voran! Und das nennen Sie dann Wissenschaftsstandort. Sie beschneiden und zerstören doch auf diese Weise die Wissenschaft an der Wurzel! Ich kann Ihnen nur sagen: Die richtige Antwort auf so eine Politik heißt Protest! Dass man sich für gute Bil- dung nicht auf Frau Schavan und die Landesregierungen verlassen kann, hat der Bologna-Gipfel am Montag be- wiesen. Ich hoffe, dass die Studierenden am 9. Juni vor allem gemeinsam mit Lehrkräften und Beschäftigten der Hochschulen die nächste Runde des Bildungsstreiks ein- läuten. Es geht um nicht weniger als den freien und glei- chen Zugang zu guter Bildung! Dafür braucht es auch Bedingungen, unter denen man auch gut lehren und ler- nen kann. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gute Studien- und Lernbedingungen entscheiden maßgeblich über ein erfolgreiches Studium. Lehre muss Studierende motivieren und inspirieren, Forschungsinteresse wecken, Kreativität, eigenständiges Denken und wissenschaftli- ches Arbeiten fördern. Steigende Studierendenzahlen und eine fehlende Finanzierung der Bologna-Reform ha- ben die Lehr- und Betreuungssituation an den Hochschu- len aber vielerorts verschlechtert statt verbessert. Mit durchschnittlich 60 Studierenden pro Professorin oder Professor – in einzelnen Fächern noch deutlich mehr – lässt sich nur schwer eine Lehre organisieren, die den Begabungen, Talenten und der Neugierde des Ein- zelnen gerecht wird. Gute Lehre darf nicht länger Kür für wenige, sondern muss Anspruch und Realität an al- len Hochschulen werden. Wir brauchen von allen Ak- teuren – im Bund, in den Ländern, an den Hochschulen – gemeinsam getragene Strategien, wie wir für alle Studie- renden endlich ein besseres Studium und einen transpa- renten, mobilitätsfreundlichen europäischen Hochschul- raum verwirklichen. Akzeptanz und Erfolg der Bachelor- und Masterab- schlüsse hängen maßgeblich von einem deutlich verbes- serten Betreuungsschlüssel ab. Diese Botschaft setzen 4512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) wir Grüne und die Studierenden schon lange; sie muss endlich von den Wissenschaftsministerinnen und -minis- tern sowie der Bundesbildungsministerin nicht nur ge- hört, sondern auch in die Realität übersetzt werden. Wir Grüne haben bereits in der letzten Legislatur eine umfassende Gesamtstrategie für gute Lehre gefordert und ein Konzept vorgelegt. Es ist traurig, dass fast vier Jahre verstrichen sind, bevor die Ministerin das Thema endlich anpackt. Zu einer Gesamtstrategie für gute Lehre gehört, dass der Hochschulpakt zwischen Bund und Län- dern, der massiv unterfinanziert ist und noch nicht ein- mal die Kosten für unterdurchschnittliche Studienbedin- gungen trägt, endlich besser ausgestattet wird und dass mehr Studienplätze geschaffen werden. Seit Monaten kündigt die Bundesministerin nun zwar ein „Qualitätsprogramm für die Lehre“ an, dies reicht aber weder finanziell noch strukturell aus, die unzurei- chende Förderung, Ausstattung und Wertschätzung der Lehre zu überwinden. Schavans vages Bologna-Paket und der vollmundig angekündigte 2-Milliarden-Euro- „Qualitätspakt für die Lehre“ drohen nun dem Rotstift der CDU-Ministerpräsidenten zum Opfer zu fallen. Wir brauchen einen Rettungsschirm für Hochschulen, keinen Koalitionskrach über Kürzungen. Die Bildungsrepublik wird von Koch & Co abgeris- sen, bevor mit ihrem Bau ernsthaft begonnen wurde. Wer bei Bildungsinvestitionen kürzen will, versündigt sich an jungen Generationen, verhindert Teilhabe, ver- geudet Zukunfts- und Innovationsfähigkeit. Nur Länder, die auch in Zeiten desolater Haushaltslagen die Priorität auf ein leistungsfähigeres Bildungs- und Hochschulsys- tem legen, können aus Krisen gestärkt hervorgehen. Wenn Ministerin Schavan nicht als Ankündigungs- ministerin enden möchte, dann muss sie im Schulter- schluss mit Kanzlerin Merkel auf dem Bildungsgipfel am 10. Juni einen festen Fahrplan für eine Reform der Bologna-Reform vereinbaren und einen echten Quali- tätspakt für die Lehre schließen. Schavan darf die Stu- dien- und Lehrreform nicht allein den Ländern oder Hochschulen überlassen, sondern muss ihrer Verantwor- tung als Bundesbildungsministerin gerecht werden. Wir fordern von der Bundesregierung in Zusammen- arbeit mit den Ländern ein verlässliches Gesamtkonzept zur Sicherung guter Lehrqualität. Zentrale Elemente sind eine dritte Säule im Hochschulpakt und ein Bundeswett- bewerb für herausragende und innovative Lehre. Durch die dritte Säule sollen Bundesmittel zielgenau an die Hochschulen fließen für Professuren und Junior-Profes- suren mit dem Schwerpunkt Lehre, für Tutorien und Mentoring-Programme sowie für didaktische Fort- und Weiterbildung, Zentren für Fachdidaktik und für Perso- nalmanagement, Qualitätssicherung sowie Lehrorganisa- tion an den Hochschulen. Nach all dem Gegenwind aus den Ländern hat Bun- desministerin Schavan nun statt eines umfassenden Kon- zepts zur Stärkung der Lehre eine „Akademie für gute Lehre“ angekündigt. Diese Idee halten wir für verfehlt und eindeutig zu kurz gesprungen. Durch die Einrich- tung einer „Akademie“ will die Bundesministerin nur die Mitsprache der Länder umgehen, indem sie die Hochschulen direkt beteiligt. Das ist keine tragfähige Lösung. Außerdem würde das, was die Ministerin bis- lang lediglich skizziert hat, mit großer Wahrscheinlich- keit dazu führen, dass die Förderung nicht an der Zahl der Studierenden ausgerichtet würde, sondern nur einige Hochschulen die Mittel unter sich aufteilten. Unser Vor- schlag einer dritten Säule im Hochschulpakt bindet alle Verantwortlichen mit ein und leitet die Mittel zielgerich- tet dort hin, wo sie gebraucht werden. Mit unserer Gesamtstrategie sorgen wir dafür, allen Studierenden eine gute Lehre zu garantieren sowie die Einheit von Forschung und Lehre zu stärken statt aufzu- kündigen. Wir wollen die Reputation und Anerkennung von Lehre stärken und sie damit perspektivisch endlich auf Augenhöhe mit der Forschung bringen. Denn gute Lehre muss sich lohnen, sie braucht mehr Wertschätzung und klare Struktur- und Finanzentscheidungen der Poli- tik. Daher bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Anlage 8 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 869. Sitzung am 7. Mai 2010 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufga- ben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung wei- terer Gesetze Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Die Bundesregierung wird gebeten, die Auswirkun- gen der in diesem Gesetz vorgenommenen Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) zeitnah aus- zuwerten und bei Bedarf eine einheitliche Regelung von SGB XII und SGB II herbeizuführen. Begründung: Das SGB XII enthält bereits eine erprobte Regelung für abweichende Bedarfe. Mit der betreffenden Rege- lung dieses Gesetzes erfolgt eine unterschiedliche Ausgestaltung der beiden Fürsorgesysteme SGB II und SGB XII. Im Interesse einer Harmonisierung in Fragen der existenzsichernden Bedarfe sollte jedoch im SGB II eine dem SGB XII analoge Regelung für atypische Bedarfslagen erfolgen. Die Übernahme einer gleichlautenden Öffnungsklau- sel auch in das SGB II würde der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dienen. – Fünftes Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes – Achtes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis- sionsschutzgesetzes – Erstes Gesetz zur Änderung des Telemediengeset- zes (1. Telemedienänderungsgesetz) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4513 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zur Änderung des Abkommens vom 15. De- zember 1950 über die Gründung eines Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwe- sens – Gesetz zu den Änderungsurkunden vom 24. No- vember 2006 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. De- zember 1992 – Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Wäh- rungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzsta- bilitätsgesetz – WFStG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: In der aktuellen Krise geht es um Bestand und Zukunft der Europäischen Union – nicht nur um Griechenland. Der Bundesrat befasst sich in europäischer und gesamt- staatlicher Verantwortung mit dem Gesetz zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion. Er erachtet die von Inter- nationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank sowie den Euro-Staaten be- schlossenen Maßnahmen für Griechenland als unabding- bar. Eine stabile Wirtschafts- und Währungspolitik benö- tigt ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und dem damit verbundenen notwendigen Prinzip des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Deutschland braucht den Euro – ebenso wie Europa. Ohne gemeinsame Wäh- rung hätte die Wirtschafts- und Finanzkrise unseren Kon- tinent noch härter getroffen. Griechenland zu helfen ist notwendig, um eine Zah- lungsunfähigkeit des Landes zu verhindern und die Euro-Zone vor unkalkulierbaren Erschütterungen zu be- wahren. Die Unterstützung ist ein Ausnahmefall, der nicht in einen Mechanismus für weitere notleidende Staaten führt. Die Währungsunion darf sich nicht suk- zessive in eine Transferunion wandeln. Grundlage ist die Stärkung und Verschärfung des bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die international vereinbarten Maßnahmen sehen in den nächsten Jahren einen strikten Sparkurs und struktu- relle Reformen für Griechenland vor, mit denen das Land schrittweise seine öffentlichen Finanzen wieder stabilisieren und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirt- schaft verbessern soll. Die von Griechenland zu treffen- den Entscheidungen zur Einhaltung des Sparkurses und der strukturellen Reformen sind streng zu überwachen. Grundlage bilden die zwischen dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Kommission im Auf- trag der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und von Griechenland unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank vereinbarten Maßnahmen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, über die diesbezügli- chen Fortschritte bzw. über die Einhaltung dieser Verein- barungen regelmäßig zu berichten. Die Krise in Griechenland hat aber auch strukturelle Schwächen der europäischen Währungsunion offenge- legt. Der Bundesrat begrüßt daher, dass der Europäische Rat seinen Präsidenten Herman Van Rompuy damit be- auftragt hat, eine Task Force einzurichten, um Vor- schläge für eine bessere Prävention und Krisenbewälti- gung in der Eurozone zu erarbeiten. Das aufwendige Maßnahmenpaket kann nur effektiv und nachhaltig sein, wenn es dazu beiträgt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und Lasten gerecht zu ver- teilen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass – die zuständigen europäischen Institutionen in die Lage versetzt werden, wirksame Maßnahmen ergreifen zu können, die für eine effektivere Überwachung der Haushalts- und Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten sorgen. Insbesondere dem Europäischen Statistikamt EUROSTAT muss ein Zugriffs-, Durchgriffs- und Kontrollrecht gegenüber den nationalen Statistikäm- tern eingeräumt werden. Der Europäische Rech- nungshof ist durch erweiterte Prüfungsrechte zu stär- ken. – ein effektiver Frühwarnmechanismus eingerichtet wird, der im Fall drohender Überschuldung von Staaten eine Warnung auslöst. Defizitsünder sollten vor Verab- schiedung ihrer Haushalte der Eurogruppe berichten müssen und diese sollte dazu öffentlich Stellung bezie- hen können. – der Stabilitäts- und Wachstumspakt in seiner Funktion gestärkt wird, indem Euro-Mitgliedstaaten, die wie- derholt übermäßige Haushaltsdefizite aufweisen, ei- nem beschleunigten Defizitverfahren unterworfen werden, so dass Sanktionen früher greifen können. Sanktionen müssen zu einem früheren Zeitpunkt ver- hängt werden, und nicht erst, wenn ein Staat am Rande der Zahlungsunfähigkeit steht und weitere Zahlungs- verpflichtungen in der konkreten Situation keinen un- mittelbaren Mehrwert bringen. – die Hürden für politische Einflussnahme gegen zu verhängende Sanktionen möglichst hoch gelegt wer- den, etwa durch zu veröffentlichende Berichte der Eu- ropäischen Zentralbank. – der Stabilitäts- und Wachstumspakt so modifiziert wird, dass deutlich spürbarere Sanktionen verhängt werden können, z. B. Sperrung von Mitteln aus den EU-Struktur- und Kohäsionsfonds für Euro-Mitglied- staaten, die durch übermäßige Haushaltsdefizite die Eurozone als Ganzes gefährden, Suspendierung der Stimmrechte, und die Verhängung von Sanktionen, die soweit möglich automatisch ausgelöst werden. – neue Instrumentarien für überschuldete Staaten entwi- ckelt werden, mit denen ein Restrukturierungs- und In- solvenzsystem aufgebaut wird. Dieses Restrukturie- rungs- und Insolvenzverfahren muss systemische Risiken vermeiden und klar regeln, dass die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen (Umschuldung). Es muss sichergestellt sein, dass Re- strukturierungs- und Insolvenzverfahren zügig und un- ter Wahrung der Rechtssicherheit durchgeführt werden können; damit soll treffsicher gewährleistet werden, 4514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) dass diejenigen, die spekulieren, entsprechend den von ihnen eingegangenen Risiken herangezogen werden. – der Anleger- und Verbraucherschutz in Europa verbes- sert sowie insbesondere der sogenannte „graue Kapi- talmarkt“ reguliert und beaufsichtigt wird. Künftig darf kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt ohne Regulierung, Aufsicht und Haftung bleiben. – bei zukünftigen Beitrittsanträgen zur Währungsunion ein längeres, zum Beispiel fünfjähriges, Monitoring- verfahren durchgeführt wird, in dem der Kandidat be- weist, dass er in der Lage ist, eine dauerhaft stabili- tätsorientierte Finanzpolitik zu führen, und dabei auch auf seine Wettbewerbsfähigkeit achtet. Die aktuelle Krise um Griechenland hat auch verdeut- licht, dass im Finanzmarktsystem Änderungen dringend erforderlich sind, um dessen Krisenresistenz zu stärken. Daher fordert der Bundesrat die Bundesregierung dazu auf, – sich für die Schaffung einer unabhängigen europäi- schen Rating-Agentur einzusetzen, die ihre Ratings vollständig transparent macht. – die Regulierung von Rating-Agenturen zu verbessern, indem wirtschaftliche Verflechtungen von Rating- Agenturen und Finanzmarktakteuren ausgeschlossen und mögliche Marktmanipulationen durch die Fi- nanzaufsicht streng kontrolliert werden. – ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Finanz- marktinstrumenten einzuführen. – alle Finanzprodukte und alle Finanzmarktteilnehmer, zum Beispiel Hedge-Fonds, zu regulieren. – den Kauf von Kreditausfallversicherungen (CDS), die nicht zur Absicherung eigener oder mandatierter Risi- ken dienen, umgehend zu verbieten. Der Bundesrat spricht sich für die Schaffung europäischer Clearing- stellen und Handelsplattformen aus, die wirksam re- guliert werden. – bei Verbriefungen einen signifikanten Selbstbehalt einzuführen. Zugleich erwartet der Bundesrat die Er- stellung verbindlicher Standards für Verbriefungen. – die Erhebung einer risikoadjustierten Bankenabgabe zur Errichtung eines Stabilitäts-Fonds zur Finanzie- rung künftiger Restrukturierungs- und Abwicklungs- maßnahmen bei Banken voranzutreiben, damit der Fi- nanzsektor bei zukünftigen Krisen selbst gewappnet ist und reagieren kann. – sich in Europa und in der G-20-Gruppe für die Um- setzung der jetzt vom Internationalen Währungsfonds vorgelegten Vorschläge hinsichtlich eines abgestimm- ten Vorgehens zur Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise einzusetzen. Der Bundesrat hat in seiner 870. Sitzung am 21. Mai 2010 beschlossen, zu dem nachstehenden Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsme- chanismus Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschusses – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaa- ten und ganz Südosteuropa (Berichtszeitraum: 1. Februar 2009 bis 28. Februar 2010) – Drucksachen 17/1200, 17/1485 Nr. 2 – Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland zehn Jahre nach Inkrafttreten des Trans- plantationsgesetzes – Drucksachen 16/13740, 17/591 Nr. 1.15 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten 2009 des Sachverständigenrates zur Begut- achtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Koordination und Integration – Gesundheitsversor- gung in einer Gesellschaft des längeren Lebens – Drucksachen 16/13770, 17/591 Nr. 1.16 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu Erfahrungen mit der Erprobung von Arzneimitteln an Minderjährigen nach Inkrafttreten des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes – Drucksachen 16/14131, 17/591 Nr. 1.33 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung der gesetzlichen Vorschrift zur Fortsetzung der Arzneimit- teltherapie nach Krankenhausbehandlung – Drucksachen 16/14137, 17/591 Nr. 1.34 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung 2009 zur Anwendung des Standardkosten-Modells und zum Stand des Bürokra- tieabbaus – Drucksachen 17/300, 17/591 Nr. 1.46 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2009/10 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – Drucksache 17/44 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Doha- Welthandelsrunde – Drucksachen 17/316, 17/503 1.2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4515 (A) (C) (D)(B) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung – Drucksache 17/500 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/859 Nr. A.3 Ratsdokument 5935/10 Drucksache 17/859 Nr. A.4 Ratsdokument 5938/10 Drucksache 17/1100 Nr. A.1 Ratsdokument 17811/09 Drucksache 17/1492 Nr. A.1 EuB-BReg 82/2010 Drucksache 17/1492 Nr. A.3 EuB-BReg 85/2010 Drucksache 17/1492 Nr. A.5 EuB-EP 2008; P7_TA-PROV(2010)0017 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/859 Nr. A.9 Ratsdokument 5662/10 Drucksache 17/859 Nr. A.10 Ratsdokument 15058/09 Drucksache 17/1100 Nr. A.8 EuB-BReg 77/2010 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/1492 Nr. A.28 Ratsdokument 8174/10 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/1270 Nr. A.6 Ratsdokument 6822/10 Drucksache 17/1270 Nr. A.7 Ratsdokument 6963/10 Drucksache 17/1492 Nr. A.37 Ratsdokument 7709/10 Ausschuss für Tourismus Drucksache 17/1492 Nr. A.42 Ratsdokument 8253/10 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/315 Nr. A.8 Ratsdokument 17196/09 44. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Paul Lehrieder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

    Liebe Kollegen! Es wurde schon einiges zu den Anträ-
    gen der Linkspartei und auch der SPD gesagt. Ich stelle
    fest, nachdem ich die Anträge durchgeschaut habe, dass

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    (C (D ier zumindest von der Linken ein absoluter Systemwanel gewünscht wird: Träger der Grundsicherung nach em SGB II übernehmen für die Zeiten des Arbeitsloengeld-II-Bezugs die Beiträge nach der Hälfte des urchschnittsentgeltes. Das heißt, diejenigen, die die rundsicherung bezahlen müssen, müssen in Zukunft uch die Rentenbeiträge bezahlen. Damit wenden Sie ich vom Äquivalenzprinzip ab – darauf hat der Kollege olb von unserem Koalitionspartner bereits hingewiesen – nd wollen jetzt schon in die steuerfinanzierte Rente einteigen, unbeschadet der Tatsache, dass wir jetzt – auch as ist für die Zuschauer interessant zu wissen –, also uch heuer, bereits über 80 Milliarden Euro als Zuchüsse aus steuerfinanzierten Mitteln in die Rentenasse geben müssen. Wir halten von einem Systemwandel letztendlich ichts. Deshalb werden wir Ihre Anträge selbstverständich ablehnen, was Sie nicht völlig überraschen dürfte. Die Linke will nicht anerkennen, dass die Zusammenührung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zuminest erfolgreich war. Sie reden das System immer wieder chlecht; Sie sagen nicht, was anstelle der Sozialhilfe ommen soll. Der Kollege Weiß hat schon darauf hingeiesen, dass die Sozialhilfeempfänger vor der Zusamenlegung in dem SGB-II-Bereich keine Arbeitsangebote nd keine Einbeziehung in die Vermittlungsmöglichkeien hatten. Das würden Sie dann konsequenterweise wieer abschaffen wollen. Bis 2004 hatten wir 2,95 Millionen Menschen in Soialhilfe. Sie haben überhaupt nicht in die Rentenversiherung und oft auch nicht in die Krankenversicherung ingezahlt. Es wäre also der völlig falsche Weg, das Sysem, das wir gemeinsam mit der SPD in der Großen Kolition in den letzten vier Jahren fortentwickelt haben, ieder abzuschaffen; dies gäbe den Menschen Steine tatt Brot. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Auch die private Vorsorge zu diskreditieren, ist ab-
    urd. Es mag den Fall geben – vor einigen Monaten
    urde in der Presse groß darüber berichtet –, dass der

    ine oder andere von seiner Riester-Rente, nachdem sie
    m Alter verrechnet werden soll, keinen nennenswerten
    rlös zu erwarten hat. Was haben wir daraufhin mit un-
    erem sozial orientierten, liberalen Koalitionspartner ge-
    acht?


    (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sag doch einfach FDP!)


    Das ist der Vorgriff auf Pfingsten. Bei uns ist der Hei-
    ige Geist schon angekommen. – Wir haben das Schon-
    ermögen verdreifacht, von 250 auf 750 Euro pro Le-
    ensjahr, das heißt, ein 50-Jähriger hat jetzt schon in
    iner der Riester-Rente ähnlichen Anlageform die Mög-
    ichkeit, gut 37 000 Euro für das Alter zurückzuhalten.
    uch das ist eine Möglichkeit, alterssichere Renten zu
    ewährleisten, um Armut im Alter zu vermeiden.





    Paul Lehrieder


    (A) )


    )(B)


    (Anton Schaaf [SPD]: Wie viele profitieren davon?)


    Das halten wir für wichtiger und effizienter, als jetzt
    durch einen Etikettenschwindel, durch großes Um-
    schichten von der einen öffentlichen Kasse in die andere
    öffentliche Kasse, so zu tun, als ob eine geringer wer-
    dende Schicht unserer Bevölkerung in wenigen Jahren
    locker die anstehenden Renten überhaupt bedienen kann.


    (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war doch in der Vergangenheit auch so!)


    Durch die demografische Entwicklung haben wir
    mittlerweile mehr Ältere und weniger Jüngere. Das ist
    der Grund, warum wir den Nachhaltigkeitsfaktor und
    den Riester-Faktor in den letzten Jahren ein Stück weit
    in die Rentenberechnungen einbeziehen mussten. Wir
    haben weniger junge Menschen, die in Zukunft noch
    mehr die Lasten der alten Menschen tragen müssen. Das
    kann auf Dauer nicht funktionieren.

    Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen machen.
    Wir haben, wie in unserem Koalitionsvertrag festge-
    schrieben, vor, einen wesentlichen Ausgabenposten für
    das Alter umfassend zu reformieren, und zwar ist das die
    eigengenutzte Immobilie. Wenn ein junger Mensch mit
    20, 30 Jahren halbwegs vernünftig verdient, sich eine Ei-
    gentumswohnung kauft oder ein Häuschen baut, Schul-
    den hat und sie im Laufe von 20 Jahren abzahlt, kann er
    dieses Häuschen, unbeschadet der Größe, auch im Alter
    behalten. Das heißt, wir werden ihm in Zukunft auch in
    diesem Bereich des Ausgabenblocks, der das Alter be-
    trifft, die entsprechende Zeit belassen. Wenn ein Mensch
    das Pech hat, mit 40, 50 Jahren für längere Zeit arbeits-
    los zu sein, muss er als Langzeitarbeitsloser sein Häus-
    chen nicht verbraten, um Hartz IV zu bekommen. Auch
    dafür haben wir gesorgt.

    Wir wollen aber auch für die jungen Leute Anreize
    schaffen. Wir haben vor wenigen Wochen gemeinsam
    mit der SPD-Fraktion – lieber Anton Schaaf, das habt ihr
    gut gemacht, Katja Mast hat darauf beharrt – die Hinzu-
    verdienstmöglichkeiten von Kindern in Hartz IV verbes-
    sert.


    (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jugendlichen!)


    Man muss sehen: Es lohnt sich, etwas zurückzulegen. Es
    lohnt sich, 1 200 Euro in vier Wochen Ferien anzuspa-
    ren. Das verhindert zwar noch nicht die Altersarmut,
    aber es ist auf jeden Fall ein Anreiz: Der Staat sorgt mit
    steuerfinanzierten Mitteln dafür, dass du nicht verhun-
    gerst, dass es dir nicht schlecht geht. Der Staat lässt dir
    das Geld, wenn du dich entsprechend anstrengst.

    Fordern und Fördern ist das Prinzip von Hartz IV.
    Kollege Peter Weiß hat darauf hingewiesen: Wir werden
    die Auswirkungen auf das Rentensystem im Blick behal-
    ten müssen. Da gebe ich Ihnen recht. Wir müssen auf-
    passen, wie sich das entwickelt. Ich bin nicht der Auffas-
    sung, Herr Kollege Birkwald, wie Sie das ausgeführt
    haben, dass die Hungerpeitsche zu Niedriglöhnen treibt.
    10 Euro Mindestlohn sind nicht das probate Mittel, eine
    existenzsichernde Rente zu bekommen.



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    (C (D (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch, ab 9,47 Euro!)


    Langsam.

    Ich bin gespannt – der Kollege Schaaf spricht nach
    ir –, wie hoch Mindestlöhne Ihrer Vorstellung nach

    ein sollten. Mittlerweile haben wir einen Überbietungs-
    ettbewerb. Der DGB hat sie von 7,50 Euro auf 8,50 Euro

    ngehoben. Nächste Woche sind wir bei 9,50 Euro. Ich
    arte darauf, dass Sie 11 Euro vorschlagen. Wir sind
    icht auf dem persischen Markt, nach dem Motto „Wer
    ietet mehr?“, „Wer hat höhere Ansprüche?“.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Man muss davon leben können!)


    Wir wollen keinen Staatsdirigismus, wie ihn die SED,
    ntschuldigung Linkspartei – beinahe hätte ich PDS ge-
    agt –, will, sondern wir wollen das Prinzip der sozialen
    arktwirtschaft möglichst auch in diesem Bereich fort-

    ntwickeln. Sozial ist, was wir in den nächsten Jahren
    uf den Weg bringen wollen. In den letzten Jahren haben
    ir einiges auf den Weg gebracht, das in die richtige
    ichtung ging, lieber Kollege Schaaf. Wir haben, Herr
    ollege Kolb, in den letzten Monaten schon einiges auf
    en richtigen Weg gebracht.

    Ich gehe davon aus, dass hoffentlich alle Parteien in
    iesem Haus in den nächsten Tagen, zu Pfingsten, den
    om Kollegen Peter Weiß gewünschten Heiligen Geist
    n ausreichendem Umfang erwarten dürfen, damit wir
    ns mit den richtigen Entscheidungen nach den Pfingst-
    erien wiedersehen.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Petra Pau
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPD-

raktion.


(Beifall bei der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Anton Schaaf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    ieber Peter Weiß, in der Tat ist es so, dass die Ge-
    chichte der gesetzlichen Rentenversicherung eine Er-
    olgsgeschichte ist, insbesondere bei der Frage der Ar-
    utsbekämpfung. Da sind wir uns völlig einig, und das

    st völlig klar.


    (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!)


    ie Opposition zielt mit ihren Anträgen darauf ab – so
    abe ich sie jedenfalls verstanden –, dass das auch so
    leibt. Das ist genau der entscheidende Punkt.


    (Beifall bei der SPD und der LINKEN)


    llen Anträgen gemeinsam ist die Absicht, dafür zu sor-
    en, dass das so bleibt.

    Absehbar ist doch – das ist doch Ihnen allen be-
    annt –, dass es eine massive Zunahme von Altersarmut
    or dem Hintergrund des Istzustandes geben wird, also





    Anton Schaaf


    (A) )


    )(B)

    nicht vor dem Hintergrund dessen, was irgendwann in
    Zukunft passieren wird, sondern vor dem Hintergrund
    des Istzustandes. Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre
    Beschäftigung tragen zum Beispiel dazu bei – um sie
    geht es in den Diskussionen ja im Wesentlichen –, dass
    Menschen in Zukunft im Alter arm sein werden. Sie ant-
    worten, bisher zumindest, in keiner Weise darauf, wie
    Sie damit umgehen wollen.


    (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!)


    Da macht sich dann die Opposition in diesem Hause
    trotz aller Differenzen, die es hier gibt, Gedanken da-
    rüber, wie man die Situation, die da absehbar ist, für die
    Betroffenen zumindest ein Stück weit verhindern kann.
    Darum geht es bei dieser Geschichte.

    Der Verweis darauf, es gebe eine Kommission und
    man rede da miteinander, irgendwann werde schon et-
    was kommen – –


    (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, wir haben Anträge in der letzten Legislaturperiode eingebracht!)


    – Ja, ja, das habe ich Ihnen, Herr Kolb, ja bei der Debatte
    über die Angleichung von Ost- und Westrenten, die ges-
    tern stattgefunden hat, schon gesagt, wie es sich verhält:
    Sie sagen, wir müssen in diesem Jahr loslegen, Ihre Mi-
    nisterin aber sagt, in diesem Jahr machen wir gar nichts,
    weil wir mit dem SGB II so viel zu tun haben.

    Ich befürchte, Sie werden in dieser Legislaturperiode
    bei der Frage der Vermeidung von Altersarmut auch
    nichts zustande bringen, zumal, Peter Weiß, die Unter-
    schiede in der Koalition ja offensichtlich sind: Die einen
    setzen auf gnadenlose Privatisierung und Individualisie-
    rung der Risiken. Das macht die Union dagegen in wei-
    ten Teilen nicht – Gott sei Dank.


    (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir können die Riester-Rente nicht einführen, sie ist schon da!)


    Es besteht aber eine unvorstellbar große Differenz
    zwischen den beiden Koalitionsfraktionen in der Frage,
    wie es zukünftig mit der Alterssicherung weitergehen
    soll. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man hier zu
    schlüssigen Konzepten kommen wird. Ich befürchte
    eher, das werden wieder Wischiwaschikonzepte. Ich
    habe nämlich schon erkannt, worauf das hinauslaufen
    kann. Peter Weiß stellt sich hier hin und sagt: Wer le-
    benslang Vollzeit gearbeitet hat, muss ein Alterseinkom-
    men erhalten, das zumindest oberhalb der Grundsiche-
    rung liegt. – Wer ein Leben lang, 40, 45, 50 Jahre lang,
    gearbeitet hat, dessen Renteneinkommen sollte nicht
    knapp oberhalb der Grundsicherung liegen. Vielmehr
    sollte er ein vernünftiges Auskommen, und zwar nur
    über die Rente, haben. Darum geht es,


    (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    und damit zusammen hängen die Fragen nach dem Leis-
    tungsniveau.

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    (C (D Kollege Birkwald, ich weiß ja, dass einige Ihrer Frakionskollegen sich im Wesentlichen in Abgrenzung zur PD verstehen. Das ist auch in Ordnung. Wo Kritik beechtigt ist, nehme ich die auch hin. Sicherlich ist ein eil der Gesetze, die wir gemacht haben, mitverantwort ich dafür, dass der Niedriglohnbereich gewachsen ist. an muss sich aber genau anschauen, warum. Nehmen ir einmal das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Im Ge etz steht: gleiches Geld für gleiche Arbeit vom ersten ag an. Dann haben wir im guten Glauben und in Abprache mit den Gewerkschaften eine tarifliche Öffungsklausel in das Gesetz aufgenommen. Die hat uns in iesem Bereich das Genick gebrochen. Das gebe ich ja u. Das hat aber niemand von den Akteuren, die damals aran beteiligt waren, in irgendeiner Form gewollt. In Kombination mit den Zumutbarkeitskriterien im GB II wurde das natürlich zu einem echten Problem. m Gesetzentwurf der damaligen rot-grünen Regierung tand allerdings drin: Zumutbar ist Arbeit, die tariflich der ortsüblich entlohnt wird. Erst die unionsgeführten änder im Bundesrat haben aus „tariflich oder ortsüb ich“ „sittenwidrig“ gemacht. Sonst hätten wir damals ie Arbeitsmarktreform gar nicht umsetzen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Okay!)


    n dieser Kombination ist der Niedriglohnbereich zum
    roblem geworden. Das müssen wir konstatieren.

    Jetzt stehen wir hier und bieten Lösungen an, damit
    ie Menschen, die sich in solch prekären Beschäfti-
    ungsverhältnissen befinden, nicht im Alter arm sind.
    as kann man uns nicht zum Vorwurf machen. Vielmehr
    önnte man uns zugestehen, dass wir aus den Folgen
    essen, was da passiert ist, gelernt haben und daraus die
    onsequenzen ziehen. Sich immer in Abgrenzung zu
    erstehen, ist ein ziemlich einfacher Politikstil. Das
    ollte ich Ihnen einmal gesagt haben.

    Die Frage nach einem schlechten Gewissen, Herr
    olb, stellt sich mir an dieser Stelle gar nicht. Vielmehr

    telle ich fest, dass der derzeitige Zustand dazu führen
    ird, dass viele der Soloselbstständigen von Altersarmut
    etroffen sein werden, wenn wir nicht damit umgehen.

    Ich stelle fest, dass es im Osten der Republik Löhne
    ibt, die bestimmt kein vernünftiges Rentenniveau ga-
    antieren werden, wenn wir damit nicht in irgendeiner
    orm umgehen.

    Ich stelle auch fest, dass wir immer noch 3,5 Millio-
    en Arbeitslose haben, die auch von Altersarmut betrof-
    en sein werden, wenn wir nicht damit umgehen.

    All das stelle ich schlichtweg fest. Vor diesem Hinter-
    rund machen wir Vorschläge. Da brauche ich gar kein
    chlechtes Gewissen zu haben. Vielmehr führt uns die
    etrachtung des Istzustandes zu der Forderung, jetzt
    ndlich zu handeln.

    Vor dem Hintergrund eines höheren Renteneintrittsal-
    ers – das ist uns völlig klar – müssen wir uns noch ein-





    Anton Schaaf


    (A) )


    )(B)

    mal genau anschauen, ob wir die Regelungen zur Er-
    werbsminderungsrente – das wird in unserem Antrag ja
    nur angedeutet – so lassen können, wie sie sind. Im euro-
    päischen Vergleich stellen wir fest, dass die Möglichkeit
    des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente in Deutsch-
    land ein Flaschenhals ist. In allen anderen Ländern ist
    der Zugang zur Erwerbsminderungsrente besser und ein-
    facher. Das müssen wir schlichtweg konstatieren. Damit
    muss man umgehen. Ich bin vorsichtig, ob man alles
    gleichzeitig regeln sollte: die Abschlagsregelung in
    Höhe von maximal 10,8 Prozent, wenn man früher als
    mit 63 Jahren in Rente geht, die Zurechnungszeiten und
    die Zugangsmöglichkeiten. Bezüglich der Erwerbsmin-
    derungsrente ist es so, dass das Zugangsalter bei durch-
    schnittlich deutlich unter 50 Jahren liegt. Da zieht die
    Zurechnungszeit bis 60 Jahre, die wir genau dafür einge-
    führt haben, dass die Menschen im Alter ein brauchbares
    Auskommen haben. Dass das im Einzelfall nicht immer
    passt, ist völlig klar. Deshalb müssen wir darüber reden,
    wie wir die Erwerbsminderungsrente vor dem Hinter-
    grund des höheren Renteneintrittalters stabiler, besser
    und verträglicher für die Menschen machen. Deswegen
    steht es auch in unserem Antrag.

    Gespannt sind wir darauf – dazu gibt es ja auch eine
    Kleine Anfrage –, wie es mit der Überprüfungsklausel
    bezüglich der Rente mit 67 aussehen wird. Welche Krite-
    rien legt die Bundesregierung an?


    (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben wir schon einmal gefragt!)


    – Ja, darauf sind wir sehr gespannt. – Man muss den Ist-
    zustand konstatieren. Wir haben eine massive Wirt-
    schafts- und Finanzkrise, die Auswirkungen auf den Ar-
    beitsmarkt hat. Hier haben wir gemeinsam verhindert,
    dass da alles wegbricht. Aber die Langzeitfolgen sind
    noch nicht absehbar. Deswegen müssen wir uns das noch
    einmal genau anschauen, wie sich die arbeitsmarkt- und
    sozialpolitische Situation der Älteren, insbesondere der
    Älteren mit Handicap, mit Erwerbsminderungshinter-
    grund oder Ähnlichem, darstellt. Vor diesem Hinter-
    grund müssen wir dann entscheiden, wie wir mit der
    Rente mit 67 umgehen.

    Ich freue mich auf die Ausschussberatungen zu den
    Anträgen und warte gespannt auf die Vorschläge der Re-
    gierung. Ich wünsche Ihnen ein schönes Pfingstwochen-
    ende, ganz besonders Ihnen, Herr Kolb. Wenn man vor
    dem Hintergrund dessen, was man real tut, bezüglich der
    politischen Stimmung bei 3 Prozent liegt, dann hat man
    allen Grund, am Wochenende einmal über sich selbst
    nachzudenken.


    (Beifall bei der SPD und der LINKEN)