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ID1704020600

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    11. dieCDU/CSU-Fraktion.\n: 1
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    Plenarprotokoll 17/40 Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 e) (Drucksache 17/1554) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterent- wicklung der Organisation der Grund- sicherung für Arbeitsuchende (Drucksache 17/1555) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gleichklang von Bund und Ländern beim Klimaschutz sicherstellen (Drucksache 17/1430) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dorothée Menzner, Sabine Stüber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Klimaschutzziele gesetzlich verankern (Drucksache 17/1475) . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3807 C 3807 C 3807 D 3809 D 3811 D 3813 B 3814 B 3829 C 3829 C 3829 D 3831 B 3834 A Deutscher B Stenografisc 40. Sit Berlin, Donnerstag I n h a Wahl der Abgeordneten Rita Pawelski als stellvertretendes Mitglied in den Beirat bei der Bundesnetzagentur . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 9, 13, 20, 27 und 29 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten 3805 B 3805 B 3806 D 3807 A 3807 B Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3815 A 3816 B undestag her Bericht zung , den 6. Mai 2010 l t : Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, weiterer 3818 A 3820 C 3821 D 3822 D 3823 D 3825 A 3826 B 3827 C Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 3836 A 3838 D 3840 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr (Drucksache 17/1293) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 3. Dezem- ber 2009 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Re- publik Brasilien über Soziale Sicherheit (Drucksache 17/1296) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraft- verkehrsgesetzes und des Fahrpersonal- gesetzes (Drucksache 17/1395) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag des Bundesministeriums der Fi- nanzen: Entlastung der Bundesregie- rung für das Haushaltsjahr 2009 – Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2009 – (Drucksache 17/1500) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Von der Konfron- tation zur Kooperation – Deutsch-russi- sche Beziehungen verbessern (Drucksache 17/1559) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Krebserregende Stoffe in Kin- derspielzeugen durch Sofortmaßnah- men ausschließen (Drucksache 17/1563) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE 3842 B 3844 B 3845 C 3846 B 3847 D 3848 B 3850 A 3850 D 3851 A 3851 C 3851 C 3851 C 3851 D 3851 D 3852 A LINKE: Einstellung der Verhandlun- gen mit den Vereinigten Staaten von Amerika um ein neues SWIFT-Abkom- men und Verzicht auf ein europäisches Abkommen über ein Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terro- rismus (Drucksache 17/1560) . . . . . . . . . . . . . . . h) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Erfahrungen mit den durch das GKV-WSG bewirkten Rechtsände- rungen in § 13 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 16/12639) . . . . . . . . . . . . . . i) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfter Staatenbericht der Bundesrepu- blik Deutschland über Maßnahmen zur Durchführung des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT) (Drucksache 16/14138) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämp- fung von Zahlungsverzug im Geschäfts- verkehr (Neufassung) Umsetzung der Initiative für kleine und mittlere Unternehmen in Europa (Small Business Act) (inkl. 8969/09 ADD 1 und 8969/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) (Drucksachen 17/790 Nr. 8, 17/1610) . . . c)–l) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79 und 80 zu Petitionen (Drucksachen 17/1436, 17/1437, 17/1438, 17/1439, 17/1440, 17/1441, 17/1442, 17/1443, 17/1444, 17/1445) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Anbau von gen- technisch veränderter Kartoffel Am- flora verhindern (Drucksachen 17/1028, 17/1547) . . . . . . . 3852 A 3852 A 3852 B 3852 C 3852 D 3853 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 III b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Elvira Drobinski- Weiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, Ulrich Kelber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gentechnisch verän- derte Amflora-Kartoffel zuverlässig aus der Lebensmittel- und Futtermittelkette fernhalten (Drucksachen 17/1410, 17/1603) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus dem Ergebnis der Steuerschätzung für die Steuersen- kungspläne der CDU/CSU-FDP-Koalition Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Erneu- erbare-Energien-Gesetzes (Drucksachen 17/1147, 17/1604) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/1607) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Solarstromförderung wirksam ausgestalten (Drucksachen 17/1144, 17/1604) . . . . . . . 3853 D 3854 A 3854 A 3855 A 3856 D 3858 A 3859 D 3861 A 3862 B 3864 B 3865 C 3866 C 3867 C 3868 D 3870 A 3871 B 3871 B 3871 C Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2009 (51. Bericht) (Drucksache 17/900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weg mit Hartz IV – Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindest- sicherung (Drucksachen 17/659, 17/953) . . . . . . . . . . . 3871 D 3873 C 3875 A 3876 D 3878 A 3878 B 3878 C 3879 A 3879 C 3881 C 3883 C 3885 A 3886 A 3886 C 3888 B 3888 D 3891 A 3891 B 3894 A 3895 B 3896 C 3897 D 3898 D 3900 A 3901 C 3902 C IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Übergangs- maßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes nach Inkrafttreten des Vertrages von Lis- sabon hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Ab- satz 3 GG i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bun- destag in Angelegenheiten der Euro- päischen Union – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Vorschlag der spanischen Regierung für die Änderung der Verträge in Bezug auf die Übergangsmaßnah- men betreffend die Zusammenset- zung des Europäischen Parlaments – Herstellung des Einvernehmens über die Aufnahme von Verhand- lungen über Vertragsänderungen gemäß Artikel 48 EUV (Drucksachen 17/1179, 17/235, 17/1460) b) Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Änderung der Verträge – Über- gangsmaßnahmen betreffend die Zu- sammensetzung des Europäischen Parlaments (Drucksache 17/1417) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 3902 D 3904 B 3905 D 3906 D 3908 A 3909 A 3910 A 3910 D 3912 C 3910 D 3911 A DIE LINKE: Veränderung der Zusam- mensetzung des Europäischen Parla- ments in der laufenden Wahlperiode (Drucksache 17/1568) . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Golombeck (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Große Anfrage der Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt), Joachim Poß, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zu den theoretischen und empirischen Grundlagen des Wachstums- beschleunigungsgesetzes und der gemäß Koalitionsvertrag beabsichtigten Steuer- reform (Drucksache 17/568) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen (Ausführungs- gesetz zur EU-Ratingverordnung) (Drucksachen 17/716, 17/984, 17/1609) . . . . Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Mehr Chancengleichheit für Jugendli- che – Ferienjobs nicht als regelmäßiges Einkommen anrechnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Anrech- nung von Ferienjobs auf das Arbeitslo- sengeld II (Drucksachen 17/524, 17/76, 17/841) . . . . . . 3911 A 3911 B 3914 B 3915 C 3916 C 3917 D 3918 C 3919 C 3920 B 3921 D 3921 D 3922 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 V Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/ 214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstra- fen und Geldbußen (Drucksache 17/1288) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: In histori- scher Verantwortung – Für ein Bleiberecht der Roma aus dem Kosovo (Drucksache 17/784) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Keine Zwangsrückführun- gen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo (Drucksache 17/1569) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jimmy Schulz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Agnes Malczak, Omid Nouripour, Kai Gehring, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wehrpflicht beenden (Drucksache 17/1431) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3922 D 3922 D 3923 D 3924 D 3926 A 3927 A 3928 A 3928 A 3928 B 3929 B 3930 D 3931 D 3932 C 3933 C 3933 D 3934 D Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humani- täre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gunkel, Lothar Binding (Heidel- berg), Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Menschenrechtsschutz im Handelsab- kommen der Europäischen Union mit Kolumbien und Peru verankern (Drucksachen 17/883, 17/1545) . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Jan van Aken, Sevim Dağdelen weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: VI. EU-La- teinamerika-Karibik-Gipfel in Ma- drid: Den Aufbruch zur zweiten Unabhängigkeit Lateinamerikas so- lidarisch unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Dr. Hermann Ott, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Klimaschutz und gerechten Handel mit Lateinamerika und der Karibik voranbringen (Drucksachen 17/1403, 17/1419, 17/1608) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Heike Hänsel, Annette Groth, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschen- rechte in Kolumbien auf die Agenda setzen – Freihandelsabkommen EU-Ko- lumbien stoppen (Drucksachen 17/1015, 17/1546) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen (Drucksache 17/1556) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3936 A 3938 A 3938 D 3939 C 3940 B 3941 B 3941 C 3941 D 3942 B VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kernfusionsforschung kritisch überprüfen – ITER-Vertrag kündigen (Drucksache 17/1433) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen, Wolfgang Nešković und weiteren Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Bleiberechtsregelung/Vermeidung von Kettenduldungen) (Drucksache 17/1557) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksame und stichtagsunabhängige ge- setzliche Bleiberechtsregelung im Aufent- haltsgesetz (Drucksache 17/1571) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Verbraucherfreundliche kostenfreie Warteschleifen bei telefoni- schen Dienstleistungen einführen (Drucksachen 17/1029, 17/1549) . . . . . . . . . . Lucia Puttrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3942 C 3942 C 3944 A 3945 B 3946 B 3947 C 3948 B 3948 B 3948 C 3948 D 3950 C 3951 C 3952 B 3953 A 3953 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines … Ge- setzes zur Änderung des Erneuerbare-Ener- gien-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 6 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Silberhorn (CDU/CSU) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Übergangsmaßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes nach Inkraft- treten des Vertrages von Lissabon hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ges nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 10 a) . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Zu den theoretischen und empirischen Grundlagen des Wachstums- beschleunigungsgesetzes und der gemäß Ko- alitionsvertrag beabsichtigten Steuerreform (Tagesordnungspunkt 11) Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäi- schen Parlaments und des Rates vom 16. Sep- tember 2009 über Ratingagenturen (Aus- führungsgesetz zur EU-Ratingverordnung) (Tagesordnungspunkt 12) 3955 A 3955 B 3955 D 3956 C 3956 D 3957 A 3957 D 3958 D 3960 A 3961 A 3961 C 3962 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 VII Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen: Freihandelsabkom- men EU-Kolumbien stoppen (Tagesordnungspunkt 18 a bis c) Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 3963 A 3963 D 3965 A 3966 B 3967 A 3973 A Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu den An- trägen: – Mehr Chancengleichheit für Jugendliche – Ferienjobs nicht als regelmäßiges Ein- kommen anrechnen – Keine Anrechnung von Ferienjobs auf das Arbeitslosengeld II (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Menschenrechtsschutz im Han- delsabkommen der Europäischen Union mit Kolumbien und Peru verankern – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – VI. EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel in Madrid: Den Aufbruch zur zweiten Unabhängigkeit Lateinamerikas soli- darisch unterstützen – Klimaschutz und gerechten Handel mit Lateinamerika und der Karibik voran- bringen 3967 C 3968 C 3969 A 3969 D 3970 D 3971 C 3972 A Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen (Zusatztages- ordnungspunkt 5) Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Bleiberechtsrege- lung/Vermeidung von Kettenduldungen) – Antrag: Für eine wirksame und stichtags- unabhängige gesetzliche Bleiberechts- regelung im Aufenthaltsgesetz (Zusatztagesordnungspunkte 6 und 7) Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3973 D 3975 A 3976 B 3977 B 3978 B 3979 C 3980 C 3981 A 3981 C 3982 D 3983 B 3984 C 3985 A 3985 C 3986 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3805 (A) (C) (D)(B) 40. Sit Berlin, Donnerstag Beginn: 1
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3955 (A) (C) (D)(B) Forschungsprogramm auf den Weg gebracht wurde. Ich kann dem Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien- halte ich zwar sachlich nicht für zwingend notwendig oder für sachlich geboten, da ich viele Projekte kenne, in Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Erneuer- bare-Energien-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 6 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Mein Votum lau- tet Enthaltung. Positiv zu bewerten ist, dass im Zuge der Gesetzgebung durch die Änderung der Einspeisevergütung die Förderung des Eigenverbrauchs gestärkt sowie ein Innovations- und Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker, Dirk SPD 06.05.2010 Behm, Cornelia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.05.2010 Binder, Karin DIE LINKE 06.05.2010 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 06.05.2010 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 06.05.2010 Bulmahn, Edelgard SPD 06.05.2010 Connemann, Gitta CDU/CSU 06.05.2010 Ernst, Klaus DIE LINKE 06.05.2010 Dr. Ott, Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.05.2010 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.05.2010 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 06.05.2010 Scholz, Olaf SPD 06.05.2010 Dr. Schröder, Kristina CDU/CSU 06.05.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 06.05.2010 Zapf, Uta SPD 06.05.2010 Anlagen zum Stenografischen Bericht Gesetzes dennoch nicht zustimmen, weil die in der No- velle festgelegte Kürzung der Solarstromförderung in we- sentlichen Teilen zwar durchaus notwendig, aber nicht angemessen ist. Als nicht angemessen beurteile ich die Höhe der De- gressionsschritte, die kurzen Fristen, durch die Unterneh- men und Privatinvestoren Planungssicherheit entzogen und damit Investitionen und Arbeitsplätze gefährdet werden. Es entsteht ein unnatürlicher Nachfrageboom bis zur beginnenden Förderungsminderung, der durch einen für 2010 nicht zeitgleich mit Beginn der Degressionsver- schärfung startenden Beobachtungszeitraum die Förde- rungshöhe für 2011 noch einmal überproportional absin- ken lassen wird. Die in letzter Minute noch veränderten Degressionsschritte je nach Zubauhöhe werden die dras- tischen Förderabsenkungen nicht kompensieren können. Bei der Ausnahmeregelung der Förderstopps für So- laranlagen auf Ackerflächen wurden zwar Gewerbe- und Industriegebiete – § 8 und 9 Baunutzungsverordnung – berücksichtigt, nicht jedoch die unter § 11 Punkt 8 ge- nannten Sondergebiete zur Erprobung und Erforschung regenerativer Energien. Ausgerechnet diese Gebiete nicht in die Ausnahmeregelung aufzunehmen, ist gera- dezu kurios. Außerdem gewährleisten die Fristen für den Be- schluss eines Bebauungsplans, Satzungsbeschluss vom 25. März 2010, keinen hinreichenden Vertrauensschutz für bereits seit längerer Zeit in Planung befindliche Pro- jekte. Angesichts der regelmäßigen Verfahrensdauer zur Aufstellung derartiger Bebauungspläne von üblicher- weise sieben bis neun Monaten bis zur förmlichen Be- schlussfassung ist die Stichtagsregelung nicht realistisch. Dadurch werden zahlreiche – teilweise vorfinanzierte – Projekte nicht umgesetzt werden können. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf stimme ich nur mit Bedenken zu. Dabei lasse ich mich von einer Gesamtabwägung der positiven Elemente dieses Gesetzentwurfes mit insbesondere einem gewichtigen negativen Aspekt leiten. Die grundsätzliche Zielsetzung dieses Gesetzentwurfes, eine unstrittig gegebene Überförderung der Solarenergie bzw. Fotovoltaik abzubauen, unterstütze ich uneinge- schränkt. Auch aus persönlichen Gesprächen mit Unter- nehmen aus der Branche habe ich den Eindruck gewon- nen, dass diese Absenkung nicht nur akzeptabel, sondern zwingend notwendig ist. Die Größenordnung der zusätz- lichen einmaligen Degression halte ich ebenfalls für die Branche für darstellbar, ohne dass es zu einem Zusam- menbruch der Solarförderung kommt. Ich bin überzeugt davon, dass auch mit diesem Gesetzentwurf der ange- peilte Zubau von jährlich 3 500 Megawatt erzielbar sein wird. Den vollständigen Ausschluss landwirtschaftlicher Nutzflächen aus der Vergütung für Freiflächenanlagen 3956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) denen ohne gravierende Flächenkonkurrenz bei einer ex- tensiveren Fotovoltaiknutzung auch eine Kombination mit landwirtschaftlichen oder Naturschutzinteressen möglich wäre. Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung von Grünflächen statt der ausschließlichen bisherigen Fo- kussierung auf Ackerflächen. Gegenüber den positiven Aspekten tritt dieser Aspekt in der Gesamtabwägung je- doch zurück. Die größte Schwäche des Gesetzentwurfes sehe ich in einem mangelnden Vertrauensschutz für weit vorange- schrittene Freiflächenprojekte. Zahlreiche Projekte be- finden sich derzeit noch im Genehmigungsverfahren. Dabei geht es mir insbesondere um die Projekte, die frühzeitig im Jahr 2009 im Vertrauen auf geltendes Recht in Planungen investiert haben. Ein Vertrauens- schutz stellt sich jedoch zeitlich ab Veröffentlichung des Koalitionsvertrages anders dar, da ab dem Zeitpunkt die politische Zielsetzung erkennbar gewesen ist, das Gesetz zu ändern. Wer ab diesem Zeitpunkt in neue Projekte eingestiegen ist, kann sich nicht mehr auf Vertrauens- schutz berufen. Allerdings kenne ich viele Projekte, die erst im Mai oder Juni ihren Satzungsbeschluss in der Ge- meindevertretung fassen können, aber bereits frühzeitig im Jahr 2009 mit den Planungen begonnen haben. Dabei ist das Datum des Aufstellungsbeschlusses nicht ent- scheidend. Es gibt sowohl Projekte, in denen der Auf- stellungsbeschluss am Anfang der Planungen stand und danach erst die Projektentwicklungskosten entstanden sind, als auch Projekte, in denen die gesamte Projektent- wicklung vor dem Aufstellungsbeschluss erledigt wurde und die Gemeinde erst zu einem fertig entwickelten Pro- jekt mit dem Aufstellungsbeschluss Ja gesagt hat. Ich hätte deshalb die Stichtagsregelung für den beschlosse- nen Bebauungsplan lieber auf den 30. Juni festgelegt, um auch diesen Projekten den gebotenen Vertrauens- schutz zu gewähren. Die jetzt vorliegende Stichtagsregelung, die an das Datum der 1. Lesung des Gesetzes im Deutschen Bun- destag am 25. März 2010 anknüpft, ist gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf sicherlich eine Verbesse- rung. Alle Projekte, die nach dem 31. Dezember 2009 und vor dem 25. März 2010 mit einem Satzungsbeschluss auf den Weg gebracht worden sind, können jetzt nach al- tem Recht bis zum Ende des Jahres 2010 realisiert werden. Damit kommen zahlreiche Projekte in den Genuss eines Vertrauensschutzes, den sie mit dem ursprünglichen Ge- setzentwurf nicht bekommen hätten. Auf der Strecke bleiben diejenigen Projekte, die im April, Mai oder Juni ihren Satzungsbeschluss fassen könnten. Insbesondere im Mai oder Juni kommen jedoch umso mehr Projekte hinzu, die erst Ende 2009 begonnen wurden. Deshalb war hier ein erweiterter Vertrauensschutz, den ich nach wie vor für notwendig halte, nicht durchsetzbar. Ich werte allerdings die erweiterte Vertrauensschutz- klausel als Bereitschaft, auch meinem Anliegen entgegen zu kommen. In der Gesamtabwägung komme ich deshalb zu dem Ergebnis, dem Gesetzentwurf zuzustimmen – insbeson- dere um deutlich zu machen, dass ich Handlungsbedarf in der Einschränkung der Überförderung für zwingend geboten erachte, auch wenn ich die gefundene Kompro- misslinie beim Vertrauensschutz als nicht ausreichend erachte. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das EEG ist, auf- bauend auf dem Stromeinspeisegesetz aus der Regierung Kohl, ein Mittelstands- und Technologiefördergesetz erster Güte. Es bedarf aber im Interesse der Wirksamkeit eines ständigen Monitorings und einer Anpassung an die Entwicklungen. Dass sich die Fotovoltaik hinsichtlich Leistung und Preis besser entwickelt als vorhersehbar, sollten Bran- chen und Politik als Erfolg verbuchen. Die Entwicklung ist im Gesetz unabdingbar nachzuvollziehen. Das schränkt die Planbarkeit für Investoren naturgemäß ein. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass der von der Ko- alition mehrheitlich gefundene Kompromiss gerade dies unnötig verschärft. Der gewährte Vertrauensschutz ist nicht ausreichend und vernichtet Investorengelder, die – im Vertrauen auf ein erst zum 1. Januar 2009 in Kraft getrete- nes Gesetz – für Anlagen ausgegeben wurden, die nun nicht fertiggestellt werden können. Die weiterreichenden Änderungen bei der Zulässigkeit von Freiflächenanlagen sind an dieser Stelle nicht angemessen und erfolgen ohne Rücksicht auf den Schutz des Eigentums. Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass die Alternativen für den Wegfall der Grünflächen zu knapp bemessen sind. Die rot-grüne Vornutzungsauflage war der Versuch, Konflikte mit dem Naturschutz zu vermeiden, hat aber andere provoziert. Die Ackerlandvorschrift war damit zu beseitigen. Allerdings ist es nicht gelungen, in angemesse- ner und von der CSU mehrfach geforderter Weise Flächen- alternativen zu definieren, die mit Blick auf Innovation, Export und Preiswirkung, auch bei einer unter Landwirt- schaftsschutzaspekten sinnvollen Priorisierung von Dach- anlagen, notwendig sind. Bei der regulär anstehenden Novellierung des EEG ist dies auszugleichen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Silberhorn (CDU/ CSU): zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung und den Bericht zu dem Antrag: Über- gangsmaßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes- tages nach Art. 23 Abs. 3 GG i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in An- gelegenheiten der Europäischen Union (Tages- ordnungspunkt 10 a) Ich bin der Auffassung, dass der spanische Vorschlag zur Anpassung der Sitzzahl im Europäischen Parlament Fragen zur demokratischen Legitimation und zum Status der Abgeordneten aufwirft, sofern die Nachbesetzung der Mandate in den zwölf Mitgliedstaaten nicht auf der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3957 (A) (C) (D)(B) Grundlage freier und allgemeiner Wahlen stattfindet, wie dies der Vertrag von Lissabon, Art. 14 EUV, bestimmt. Ich bin ferner der Meinung, dass die Bestimmung der zusätzlichen Mitglieder des Europäischen Parlamentes durch Benennung aus der Mitte der nationalen Parla- mente eine Abweichung von Art. 14 des Vertrags von Lissabon über die EU darstellt, und habe deshalb grund- legende Bedenken gegen diesen Vorschlag. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Urteil des Bundesver- fassungsgerichtes vom 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon zur eingeschränkten Wahlrechtsgleichheit bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und damit ver- bunden einer nur begrenzt repräsentativen Abbildung des europäischen Mehrheitswillens. Aus diesen Gründen stimme ich dem Vorhaben nicht zu. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Zu den theo- retischen und empirischen Grundlagen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes und der ge- mäß Koalitionsvertag beabsichtigten Steuer- reform (Tagesordnungspunkt 11) Olav Gutting (CDU/CSU): Der Sinn und Zweck die- ser Großen Anfrage ist durchsichtig. Sie ist nichts ande- res als Wahlkampftheater vor der NRW-Wahl. Zum Thema Steuerreform hatten wir ja heute Nachmittag schon eine Aktuelle Stunde. Ich kann Ihnen aber noch einmal bestätigen: Wir machen erfolgreiche Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung – und das auch mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Die Arbeits- losigkeit geht zurück, allein im April um 162 000 auf 3,4 Millionen Arbeitslose. Die Erholung in der deut- schen Wirtschaft ist nach der schlimmen Krise von 2009 deutlich erkennbar. Zur Wirkung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes brauchen Sie sich doch nur die Entwicklung des Wachs- tums seit Inkrafttreten des Gesetzes anzuschauen. Allein der Ifo-Geschäftsklimaindex hat sich im April zum zweiten Mal in Folge kräftig verbessert. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben wir gezielte Impulse zur Entlastung von Familien und Unter- nehmen gesetzt. Wesentlicher Teil des Wachstumsbe- schleunigungsgesetzes war dabei auch die Familienför- derung. Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes haben wir eine spürbare Entlastung für Familien mit Kindern geschaffen. Rechnet man alle Maßnahmen, die zum 1. Januar 2010 in Kraft traten, zusammen, bedeutet das für eine vierköpfige Familie – 54 000 Euro Jahreseinkommen, Alleinverdiener – eine Entlastung von knapp 1 600 Euro. Wir glauben, dass gerade Familien die Leistungsträ- ger unserer Gesellschaft sind. Diese wollen wir entlas- ten. Das haben wir im Wahlkampf versprochen, und das halten wir. Wenn Sie hingegen Familien und die Bezie- her kleiner und mittlerer Einkommen weiter belasten wollen, dann sagen Sie das klar und deutlich. Die Er- folge des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes lassen wir uns jedenfalls nicht schlechtreden. Und im Übrigen zu Ihrer billigen Polemik, die Erhö- hung des Kinderfreibetrages würde die Wohlhabenden begünstigen: Während 4,2 Milliarden Euro für die Erhö- hung des Kindergeldes bereitgestellt wurden, stehen für die Erhöhung des Kinderfreibetrages lediglich 400 Mil- lionen, also weniger als ein Zehntel davon, zur Verfü- gung. Statt Familien mit höheren oder niedrigeren Ein- kommen gegeneinander auszuspielen, investieren wir in die Zukunft unserer Gesellschaft. Zu dem Thema, jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. Beim Kinderfreibetrag beträgt die jähr- liche maximale finanzielle Auswirkung 3 154 Euro, bei Leistungen für Kinder in Hartz IV ab 14 Jahren 3 444 Euro. Wir haben vor der Wahl versprochen, denjenigen zu helfen, die seit Jahren die Hauptlasten in diesem Land tragen. Das sind diejenigen, die morgens aufstehen, zur Arbeit gehen und ihre Kinder erziehen. Dieses Verspre- chen haben wir gehalten. Das gilt übrigens auch für Alleinerziehende. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz beinhaltet auch eine Anhebung des Freibetrages für Betreuungs-, Erzie- hungs- und Ausbildungsbedarf. Seine Anhebung wirkt sich insbesondere bei Eltern aus, die, getrennt lebend vom anderen Elternteil, das Kind alleine aufziehen. Die Anhebung führt dazu, das bereits ab einem Jahresein- kommen von 15 660 Euro ein Steuervorteil entsteht. Von der Anhebung der Freibeträge profitieren also bereits El- tern mit geringerem Einkommen. Wir haben zudem nicht nur Verbesserungen für die Familien erreicht, sondern auch etwas für unsere Wirt- schaft getan. Fragen Sie doch mal bei den Mittelständ- lern nach! Ich nenne zum Beispiel die Neureglung bei der Sofortabschreibung. Mit dem Wachstumsbeschleuni- gungsgesetz haben wir die Möglichkeit der Sofortab- schreibung von Wirtschaftsgütern bis 410 Euro wieder hergestellt. Das verschafft den Unternehmen notwendige Liquidität in der Krise. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Erstens. Mit Ihrer in der Anfrage versteckten Kritik am Wachstumsbeschleunigungsgesetz greifen sie schlicht und einfach daneben. Das Wachstumsbeschleunigungs- gesetz ist ein Erfolg. Zweitens. Wenn Sie steuerliche Entlastungen immer nur von der Einnahmeseite her bewerten, werden Sie dieses Land nie auf den notwendigen Wachstumskurs bringen. Wesentlicher Bestandteil unserer Strategie zur Stär- kung der Konjunktur ist ein Steuerrecht, das ein Mehr an Wachstum und Beschäftigung ermöglicht. Steuerpoliti- schen Stillstand, wie Sie ihn wollen, darf es deshalb auch in Zeiten knapper Haushaltskassen nicht geben. Klaus Brandner (SPD): Seit ungefähr neun Mona- ten erscheinen beinahe täglich Presseberichte, in denen 3958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) die jetzigen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP eine Steuerreform und umfassende Steuersenkungen an- kündigen. Es werden Reden über dieses Thema gehalten oder Interviews gegeben. Dieses Thema ist dementspre- chend allgegenwärtig, und es scheint der Dreh- und An- gelpunkt für die schwarz-gelbe Koalition zu sein. Das ist nicht weiter verwunderlich; denn beim Thema Steuern ist die FDP Überzeugungstäterin. Bereits in den vergangenen Legislaturperioden hat sie auf jede erdenk- liche Herausforderung mit ihrem Patentrezept „Steuer- senkungen“ geantwortet. Unabhängig ob es der Wirt- schaft gut oder schlecht ging, ob eine vermeintliche Bedrohung von innen oder außen kam, ob Steuerschät- zungen wachsende oder sinkende Staatsfinanzen ver- sprachen – für die FDP passte ihre Forderung nach Steu- ersenkungen auf jede Situation. Auch die CDU/CSU-Fraktion war noch im Wahl- kampf nicht abgeneigt, sich dieser einfachen und popu- lären Lösung anzuschließen. Wer hätte schließlich nicht gern „mehr Netto vom Brutto“? Dennoch hat sie die FDP in den Koalitionsverhandlungen von ihrem 36-Mil- liarden-Euro-Wahlkampfversprechen auf 24 Milliarden Euro heruntergehandelt. Mittlerweile fordert die FDP „nur“ noch Steuerentlastungen von 16 Milliarden Euro, und ihr favorisiertes Dreistufenmodell hat nun zwei Stu- fen mehr bekommen. Damit wurde das bisherige Wahl- versprechen der FDP schon jetzt halbiert. Man könnte das einen Abschied in Stufen nennen – oder einfach Wählertäuschung. Durch die Führungsschwäche der Bundeskanzlerin lässt sich bei der CDU/CSU überhaupt kein einheitliches Bild erkennen. Während der Bundesfinanzminister bei jeder Gelegenheit verkündet, dass es für Steuersenkun- gen keine Spielräume gibt, zeigt die Kanzlerin sich an- getan. Auch andere Unionskolleginnen und -kollegen befürworten die Steuerpläne. Der Kollege Michael Fuchs zum Beispiel sagte: Die Entlastung in Höhe von 16 Milliarden Euro ist möglich und nötig und sollte von der Koalition nun gemeinsam auf den Weg gebracht werden. Mit diesen wohlwollenden Äußerungen und dem nun vorgelegten FDP-Steuermodell haben die Regierungs- fraktionen – entgegen der Behauptung in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD – ihre Pläne zur steuer- lichen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger vorgelegt. Dazu wollen wir jetzt hören, auf welcher Grundlage ihre Pläne entwickelt wurden, wer für die Entlastungen auf- kommen muss und wer direkt oder indirekt davon be- troffen ist. Denn angesichts der aktuellen Lage und Pro- gnosen sind diese Pläne nicht nur anachronistisch, sondern geradezu absurd. Der aktuelle Schuldenstand beträgt rund 1 700 Mil- liarden Euro. Wir haben in diesem Jahr eine Rekordneu- verschuldung von etwa 80 Milliarden Euro beim Bund und 140 Milliarden Euro beim Gesamtstaat. Besonders prekär sieht es bei den Kommunen aus. Jetzt die Steuern zu senken, wird den Schuldenberg nur weiter steigen las- sen. Denn es ist abwegig, anzunehmen, dass man mit schuldenfinanzierten Steuersenkungen Wachstumsim- pulse setzen könnte. Das zeigt nicht nur die Geschichte im In- und Ausland, sondern wird auch in diesem Jahr wieder exemplarisch am Wachstumsbeschleunigungsge- setz durch die Wirtschaftsweisen bestätigt. Auch mit den widersinnigen Steuerplänen müssen wir also davon ausgehen, dass es im Hinblick auf das Wirt- schaftswachstum bei den Schätzungen der Bundesregie- rung von 1,4 Prozent in diesem und 1,6 Prozent im nächsten Jahr bleibt. Das hat fatale Auswirkungen auf die Staatseinnahmen, wie die heute vorgelegte Steuer- schätzung enthüllt. Bund, Länder und Gemeinden wer- den in den Jahren 2010 bis 2013 rund 39 Milliarden Euro weniger in der Kasse haben als bisher angenom- men. In diesem Jahr wird der Gesamtstaat rund 510,3 Milliarden Euro einnehmen. Das sind 1,2 Milliar- den Euro weniger als bisher geschätzt. Hinzu kommen die 10 Milliarden Euro Einsparungen, die aufgrund der im Grundgesetz festgelegten Schuldenbremse ab 2011 allein beim Bund jährlich erbracht werden müssen. Wer in dieser aktuellen Situation Spielraum für Steu- erentlastungen in Höhe von 16 Milliarden Euro sieht, hat schon eine besondere Fantasie oder jenseits der Kameras und Mikrofone ganz andere Pläne. Denn angesichts die- ser Lage bleiben im Falle einer weiteren Steuerentlas- tung nur zwei Möglichkeiten: Entweder werden sie auf Kosten der nachfolgenden Generationen den Schulden- berg weiter anwachsen lassen, oder sie finanzieren es durch Leistungskürzungen im sozialen Bereich. Was das bedeutet, kann man dank des sogenannten Wachstums- beschleunigungsgesetzes bereits heute spüren: höhere Kitagebühren und schlechte Straßen, geschlossene Sportplätze, Schulen, Schwimmbäder und Bibliotheken. Die Koalitionsfraktionen haben in der bereits ange- sprochenen Antwort auf die Große Anfrage der SPD deutlich gemacht, dass sie die Pläne über etwaige wei- tere Steuerentlastungen unter Berücksichtigung der Not- wendigkeit einer mittelfristigen Konsolidierung der öf- fentlichen Haushalte treffen wollen, und bekannten sich „eindeutig und nachdrücklich“ zum europäischen Stabi- litätspakt. Meine Frage ist daher: Besteht die Bundesre- gierung angesichts der zu erwartenden Mindereinnah- men, angesichts der Notwendigkeit einer mittelfristigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und ange- sichts des europäischen Stabilitätspaktes noch immer auf 16 Milliarden Euro zusätzliche Steuerentlastungen? Und – sofern das der Fall ist –: Wo soll die Finanzierung der Mindereinnahmen erbracht werden? Heute ist die Gele- genheit, diese offenen Fragen zu klären. Bettina Hagedorn (SPD): Thema unserer jetzigen Debatte ist die Große Anfrage der SPD-Fraktion an die Regierung vom – man höre und staune – 27. Januar 2010, in der wir mit einem 16-teiligen Fragenkatalog nach den theoretischen und empirischen Grundlagen des – fälsch- licherweise so bezeichneten – Wachstumsbeschleuni- gungsgesetzes und der gemäß Koalitionsvertrag beab- sichtigten Steuerreform gefragt haben. Es geht also um die volkswirtschaftliche Schlüssigkeit der Steuersen- kungsideen, die Schwarz-Gelb landauf, landab seit Mo- naten wie ein Mantra vor sich herträgt. Gerade heute mussten wir angesichts der Aktuellen Stunde zu der kata- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3959 (A) (C) (D)(B) strophalen Steuerschätzungsprognose erneut eine Kost- probe der ungebrochenen Ignoranz der Koalitionäre in dieser Frage im Plenum ertragen. Dabei lässt sich diese Koalition auch leider nicht durch Fakten von ihrem falschen, unverantwortlichen Weg abbringen: Im Handelsblatt – nicht gerade als rotes Kampfblatt bekannt – stand beispielhaft in seiner Aus- gabe vom 30. April 2010 zur geplanten Steuerreform: „Das Forschungsinstitut IZA hat die FDP und das FDP- geführte Wirtschaftsministerium in eine peinliche Lage gebracht, indem es feststellte, die Reform würde nicht 16 Milliarden Euro kosten, sondern knapp 40 Milliar- den.“ Wir erleben aber täglich in diesem Hohen Haus, dass die FDP sich mit solchen ernstzunehmenden kritischen Stimmen gar nicht erst auseinandersetzt und gebetsmüh- lenartig weiter fordert: Steuersenkung! Gemeinhin ist dieser Wesenszug als „Beratungsresistenz“ bekannt. Die Tatsache, dass die Anforderungen der Schulden- bremse ab 2011 schrittweise mit 10 Milliarden Euro pro Jahr zu erfüllen sind und sich bis 2016 auf 60 Milliarden Euro pro Jahr aufaddieren werden, ohne dass diese Re- gierung Parlament und Öffentlichkeit bisher über ihr „Sparkonzept“ auch nur ansatzweise informiert hätte, ist eine Unterlassungssünde, die die Glaubwürdigkeit von Politik massiv gefährdet. Und die Steuerschätzung von heute beschert dem Staat zusätzliche Steuereinnahme- verluste von knapp 40 Milliarden Euro bis 2013, auf die sie uns und der Öffentlichkeit jede Antwort schuldig bleibt. Das kann man getrost mit dem Versuch der „Volksverdummung“ betiteln. Angesichts all dieser Tat- sachen und angesichts der Krise in Griechenland und Europa, die wir aktuell diese Woche nonstop mit großer Ernsthaftigkeit beraten, bei der es im Kern auch um die Folgen von staatlicher Überschuldung geht, ist es eine Dreistigkeit, dass diese Bundesregierung angekündigt hat, die 16 – mehr als berechtigten – Fragen der SPD- Bundestagsfraktion vom 27. Januar zu beantworten, und zwar exakt am 10. Juli 2010. Und was ist am 9. Juli 2010? Ja, das ist der letzte Sitzungstag des Deutschen Bundestages bis Mitte September. Und was ist Mitte September? Richtig: die erste Lesung des Bundeshaus- haltes 2011 hier in diesem Plenum. So ernst also nimmt diese Regierung ihre Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament in der zentralen Frage einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik. Aber unbestreitbare Tatsa- che ist: Wenn wir in diesen Krisenzeiten unseren Le- bensstandard und unseren Sozialstaat in seinen Grund- festen erhalten wollen, dann sind angesichts der heute veröffentlichten Steuerschätzung, der verfassungsrecht- lich verankerten Schuldenbremse und der demografi- schen Entwicklung in unserem Land Steuersenkungen auf mittlere Sicht schlicht und ergreifend unmöglich. Wenn die Regierungsfraktionen gefragt werden, wo sie denn sparen wollen, sagen sie reflexartig: bei Arbeit und Sozialem. Natürlich, auf den ersten Blick könnte das im Ansatz sogar nachvollziehbar erscheinen; aber jeder, der auch nur für 5 Cent nachdenkt – ja, ich weiß, bei Ih- nen in der wirtschaftorientierten Partei FDP muss die Summe dafür bestimmt deutlich höher sein – erkennt, dass die Mittel zum allergrößten Teil festgelegt sind, bei- spielsweise im Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in den gesellschaftlich grundlegenden Be- reichen Arbeit und Rente. Der mit Abstand größte Ausgabenblock in diesem Bereich ist der Zuschuss zur Rentenversicherung mit 80,8 Milliarden Euro – eine so gigantisch große Summe, dass sie sich kaum jemand wirklich vorstellen kann. Da- rum will ich es bildlich ausdrücken: Das ist mehr als ein Drittel aller Steuereinnahmen (239,2 Milliarden Euro in 2010), die der Bund 2010 überhaupt erhält, und weit mehr als ein Viertel aller Ausgaben, die der Bund 2009 (292,3 Milliarden Euro) geleistet hat. Dies ist der Anteil des Haushaltes, wo kein Einsparpotenzial schlummert und wo nur ein finanzstarker Staat mit ausreichenden Steuern seiner sozialstaatlichen Aufgabe gerecht werden kann. Um die Dramatik zu erkennen, lohnt ein Blick zu- rück: Noch vor 20 Jahren – 1991 – gab der Bund knapp 30 Milliarden Euro pro Jahr Steuerzuschuss zur Rente, schon sieben Jahre später waren es 1998 51,4 Milliarden Euro, zehn Jahre später waren es 2008 schon 78 Milliar- den Euro und jetzt aktuell 80,8 Milliarden Euro. Dies ist eine Kostenexplosion von fast 30 Milliarden Euro – pro Jahr! – binnen nur zwölf Jahren. 30 Milliarden Euro – das entspricht knapp dem Dreifachen unseres gesamten Bildungs- und Forschungsetats (10,91 Milliarden Euro), dem Fünffachen aller Leistungen aus dem Familienmi- nisterium (6,56 Milliarden Euro) bzw. dem Sechsfachen des Etats des Innenministers (5,59 Milliarden Euro) mit über 40 000 Beschäftigten im Dienste der inneren Si- cherheit unseres Landes. Wer nun jedoch – wie diese Regierung aus CDU/CSU und FDP – ernsthaft plant, Steuern im zweistelligen Mil- liardenbereich dauerhaft zu senken, der legt die Axt an die Wurzeln unseres Sozialstaates und nimmt gleichzei- tig unsoziale Abgabenerhöhungen – zulasten von Ge- ringverdienern und Arbeitslosen, Familien und Rent- nern, Auszubildenden und Studenten – in Bund, Ländern und vor allem in den Kommunen billigend in Kauf. Wie die FDP insgesamt auf diesem Niveau die Berechtigung der Steuereinnahmen unseres Staates öffentlich infrage stellt, und die ideologische Verbohrtheit, mit der sie un- ter dem Deckmantel eines verquasten Leistungs- und Freiheitsbegriffs für Steuersenkungen für Hoteliers, Groß- erben und Besserverdienende sorgt und zusätzlich noch Steuersenkungen für Besserverdienende und Klientelge- schenke fordert, sowie die Lethargie, mit der die CDU/ CSU trotz des „C“ in ihrem Parteinamen auf dieses ge- zielte Attentat auf unseren Sozialstaat reagiert, das alles muss alle am Gemeinwohl Interessierten in unserer Ge- sellschaft auf die Barrikaden oder in die Verzweiflung treiben. Gestatten Sie mir zum Abschluss ein Zitat aus der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung von heute. In dem Kommentar „Der Tag, an dem die Rechnung kam“ schreibt Thorsten Denkler: „Eine deprimierende Lage – wenn es die FDP nicht gäbe. In früheren Zeiten boten Quacksalber auf den Marktplätzen manches Gebräu feil, das angeblich gegen alles half, was mit Krankheit zu tun 3960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) hat – vom Hühnerauge bis zur Pestbeule. Die FDP ver- sucht, das Volk für ähnlich blöd zu verkaufen. Die Partei des Guido Westerwelle verspricht Steuersenkungen, wenn es dem Staat gutgeht, weil dann genug Geld dafür da sei. ‚Bürger am Aufschwung beteiligen‘, heißt das dann. Und sie verspricht Steuersenkungen, wenn es dem Staat schlechtgeht, weil das angeblich die Wirtschaft massiv ankurbele. Einen Grund, gegen Steuersenkungen zu sein, gibt es für die FDP nicht. Wenn es darauf an- käme, würde sie mit Steuersenkungen auch den interna- tionalen Terrorismus oder isländische Vulkane bekämp- fen.“ Dr. Daniel Volk (FDP): Mit dem Gesetz zur Be- schleunigung des wirtschaftlichen Wachstums werden Bürger und Unternehmen seit dem 1. Januar 2010 um insgesamt 8,4 Milliarden Euro jährlich entlastet. Im Gesetzentwurf heißt es: Die Folgen der schwersten Finanz- und Wirt- schaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland sind noch nicht überwunden. In dieser sehr ernsten und beispiellosen wirtschaftlichen Ge- samtsituation gilt es, den Einbruch des wirtschaftli- chen Wachstums so schnell wie möglich zu über- winden und neue Impulse für einen stabilen und dynamischen Aufschwung zu setzen. Nur durch nachhaltiges Wachstum können die Folgen der Krise überwunden werden. Eine Steuerpolitik, die sich in diesem Sinne als Wachstumspolitik versteht, schafft Vertrauen und Zuversicht und stärkt durch wirksame und zielgerichtete steuerliche Entlastun- gen die produktiven Kräfte unserer Gesellschaft. Die FDP hat Wort gehalten. Den ersten Schritt zur Entlastung haben wir mit dem Gesetz gemacht. Einen weiteren Entlastungsschritt werden wir jetzt auf den Weg bringen. Wir werden insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbezieher vorrangig entlasten und gleichzeitig den Mittelstandsbauch abflachen, indem wir den Einkommensteuertarif zu einem Stufentarif um- bauen. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz setzt die neue Koalition Impulse für mehr Beschäftigung. Mit diesem ersten Schritt stärkten wir bereits zum 1. Januar 2010 insbesondere Familien und Mittelstand. Daneben wurden im Koalitionsvertrag weitere Schritte vereinbart, die zeitnah umgesetzt werden. Die viel kritisierte Mehrwertsteuersenkung im Hotel- und Gaststättengewerbe zeigt nun aber erstaunlicher- weise erste positive Wirkungen. Drei Monate nach Ein- führung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes planen knapp 3 000 in einer Befragung erfasste Hotels Investi- tionen in Höhe von insgesamt einer halben Milliarde Euro (507 Millionen Euro). Diese Investitionen betref- fen vor allem Modernisierungen, Neuanschaffungen und Umbauten. Für Arbeitnehmer bedeutet das fast 2 700 neue Vollzeitarbeitsplätze und mehr als 1 300 neue Aus- bildungsplätze. Nicht zu vergessen bei dieser Betrach- tung ist das schwierige konjunkturelle Umfeld dabei und die Anzahl der gesicherten Arbeitsplätze, die leicht in die Zehntausende gehen. Ebenfalls sollte man bei der Betrachtung nicht verges- sen, dass durch die Mehrwertsteuersenkung auch für mehr Steuergerechtigkeit gesorgt wurde, da in 21 von 27 EU-Mitgliedstaaten ein reduzierter Mehrwertsteuer- satz gilt. Wenn Sie uns vorwerfen, das Gastgewerbe als einen Teil der mittelständischen Wirtschaft zu unterstützen, der über 1 Million Beschäftigte und mehr als 100 000 Auszubildende in 240 000 Betrieben hat, mehr als 57,2 Milliarden Euro Jahresnettoumsatz erwirtschaf- tet und dabei eine Menge Steuern zahlt, dann kann ich nur erwidern: Ja, wir unterstützen die Wirtschaft in die- sem Land, die Steuern zahlt und Arbeitsplätze schafft. Erreichtes: Kindergeld erhöht: Bislang wurden die Leistungen der Familien nicht ausreichend berücksichtigt. Wir ent- lasten und fördern Familien mit Kindern. Für alle, die den erhöhten Kinderfreibetrag nicht ausschöpfen kön- nen, heben wir das Kindergeld um 20 Euro für jedes Kind an. Kinderfreibetrag angehoben: Zur besonderen Berück- sichtigung der Aufwendungen der Familien für ihre Kin- der wurden die Steuerfreibeträge für jedes Kind von 6 024 Euro auf 7 008 Euro erhöht. Damit sinkt die Steu- erlast für Familien mit Kindern erheblich. Das Finanz- amt prüft automatisch, ob erhöhtes Kindergeld oder er- höhter Freibetrag besser für die Familie ist. Schonvermögen verdreifacht: Bevor Sozialleistun- gen bezogen werden können, müssen zuerst eigene Ver- mögenswerte aufgebraucht werden. Bislang stand den Empfängern von Arbeitslosengeld II nur ein sehr kleines Schonvermögen von 250 Euro je Lebensjahr zu. Wir werden den Freibetrag auf 750 Euro pro Lebensjahr ver- dreifachen. So stärken wir die eigenständige Altersvor- sorge und mildern die Auswirkungen des sogenannten Hartz IV ab. Betriebsübergänge erleichtert: Die bisherigen Rege- lungen zur Unternehmensnachfolge waren insbesondere für Handwerk und Mittelstand oft schwer erfüllbar. Wir machen sie krisenfest und planungssicher. So kann die Zukunft vieler Betriebe und ihrer Arbeitnehmer schon heute gesichert werden. Abschreibung verbessert: Wir führen eine Regelung zur Sofortabschreibung von Wirtschaftsgütern bis 410 Euro ein und lassen ein Wahlrecht zur Bildung eines Sammelpostens für alle Wirtschaftsgüter zwischen 150 und 1 000 Euro zu. Das schafft mehr Flexibilität für die Unternehmen und trägt zur Vereinfachung der Abschrei- bungen bei. Forschung unterstützt: Bildung, Ausbildung, Wissen- schaft und Forschung sind unser wichtigster Rohstoff. Wissenschaft und Forschung brauchen mehr Flexibilität und Gestaltungsspielraum. Wir werden mit einem natio- nalen Stipendienprogramm den Anteil der Stipendiaten von 2 auf 10 Prozent erhöhen. Die Zusammenarbeit zwi- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3961 (A) (C) (D)(B) schen Hochschulen und außeruniversitären Forschungs- einrichtungen werden wir stärken. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Es geht heute um das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Was bedeutet das eigentlich? Ziel dieses Gesetzes ist, mit Steuerentlastun- gen für Wachstum zu sorgen. Damit berührt es eine zentrale Fragestellung. Kann Wachstum durch Steuer- senkungen erzeugt werden? Hierzu hat die SPD eine Große Anfrage an die Bundesregierung gestellt, deren Antwort uns leider noch nicht vorliegt. Aber wir können trotzdem feststellen: Die Bundes- regierung argumentiert bisher immer, dass Haushalts- konsolidierung letztendlich durch ein erhöhtes Wirt- schaftswachstum erreicht werden soll, wobei Wirtschaftswachstum durch Steuersenkungen erzeugt werden soll. Hier könnte man doch erwarten, dass sie, wenn sie schon solch eine Annahme vertritt, diese auch mit theoretischen oder praktischen Erfahrungen stützt. Aber weit gefehlt, sie kann es nicht. Dies gab sie in einer früheren Antwort auf eine SPD-Anfrage zu. Sie habe kein verlässliches Mittel zur Abschätzung der Auswir- kungen von Steuerrechtsänderungen auf Wachstum und Steuereinnahmen. Da stellt sich vielen Menschen die Frage: Woher nimmt die Bundesregierung die Annahme, Steuersen- kungen würden zu Wachstum führen? Vielleicht schaut sie in die Glaskugel? Zu dieser irrigen Annahme der Bundesregierung kann ich Ihnen nur sagen: Die in den letzten zehn Jahren statt- gefundenen Steuerrechtsänderungen haben nicht zu Wachstum, sondern zu einer stärkeren Verschuldung des Bundes, der Länder und der Kommunen geführt. Dies stellte eine Studie des Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK, fest. Bezüglich der Auswir- kungen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz stellte das IMK auch fest, dass dem Staat bis 2013 jährli- che Steuereinnahmen von über 8 Milliarden Euro entge- hen werden. Dies verschärft die Lage der öffentlichen Haushalte weiter. Zu dem von Ihnen vielfach angepriesenen Selbst- finanzierungseffekt kann ich Ihnen sagen: Auch hier gab es Untersuchungen, die bestätigen, dass sich Steuernach- lässe für Unternehmen und Haushalte nicht selbst finan- zieren. Überhaupt kein Selbstfinanzierungseffekt ver- bleibt, wenn der Staat die Steuern senkt, gleichzeitig aber die Ausgaben kürzt. Von daher sollten Sie sich end- lich von ihrer Steuersenkungsideologie verabschieden. Diese hat die letzten zehn Jahre die öffentlichen Haus- halte genug ruiniert. Wenn Sie also nicht auf uns oder das IMK hören wollen, dann folgen Sie doch wenigstens den Empfehlungen des Sachverständigenrates, der der- zeit eine Steuersenkung ebenfalls für unverantwortlich hält. Die heute erschienene Steuerschätzung rechnet insge- samt mit 38,9 Milliarden Euro weniger an Steuereinnah- men bis 2013, wobei ein Großteil der Ausfälle auf die von Ihnen zu verantwortenden Steuerrechtsänderungen zurückzuführen ist. Wer die Einnahmeausfälle kompen- sieren soll, dazu hört man aus dem Bundesfinanzminis- terium nichts. Wahrscheinlich dürfen es wieder die Bür- gerinnen und Bürger ausbaden. Das ist mit der Linken nicht zu machen. Nötig sind nach Meinung der Linken eine Stabilisierung der öffent- lichen Einnahmen und eine sozial gerechtere Politik, die unten gibt und oben nimmt und Steuer- und Lohndum- ping verhindert. Daher fordert die Linke eine gerechtere Einkommensbesteuerung, Zurücknahme der steuerli- chen Entlastungen für Unternehmen sowie einen gesetz- lichen Mindestlohn. Dieser erhöht letztendlich auch die Einnahmen der Sozialkassen und stabilisiert sie. Steuern sind die Grundlage, damit der Staat handeln kann, damit er für Bürgerinnen und Bürger Schulen, Universitäten, Schwimmbäder, Kindergärten sowie Kul- tureinrichtungen bereitstellen kann. Die Linke sagt, dass soziale Gerechtigkeit nur hergestellt werden kann, wenn Steuern in gerechter Form erhoben werden. Das heißt, starke Schultern müssen mehr tragen als schwächere. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem Klientelbeglückungsgesetz haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, Ende letzten Jahres Teile ihrer Wahlkampfversprechen eingelöst und Steuern gesenkt. Haben Sie damit jedoch ihr erklärtes Ziel – nämlich Wachstum zu beschleunigen – erreicht? Modellrechnungen von Experten des Sachverständi- genrates zeigen: Die Steuersenkungen für Hoteliers, Un- ternehmen, Familien und Erben erhöhen die Wirtschafts- leistung in Deutschland um gerade einmal maximal 0,07 Prozent. Der Sachverstand der Experten – und da- rauf beruft sich ja vor allem die Kanzlerin so gerne – fasst die Bewertung für das sogenannte Wachstumsbe- schleunigungsgesetz in einer simplen Note zusammen: Ungenügend! Schauen wir uns die realen Zahlen an: Nach Verab- schiedung des sogenannten Wachstumsbeschleunigungs- gesetzes haben sie die Wachstumsprognosen für 2010 nicht erhöht. Wenn überhaupt, dann erwarten Sie einen winzigen Impuls mit einer faktisch nicht wahrnehmba- ren Auswirkung auf die wirtschaftliche Dynamik. Und dafür waren Sie bereit, den exorbitanten Preis von 8,5 Milliarden Euro zu zahlen! Jährlich! Eine ungeheure Verschwendung von Steuergeldern in dieser schwierigen Zeit, in der die Wissenschaftler, ganz deutlich der Bun- despräsident und jetzt auch der eigene Finanzminister ei- gentlich nur ein Thema kennen: die Konsolidierung der Haushalte. Die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, und die damit verbundene Konsolidie- rungsaufgabe lassen keinen Spielraum für Steuersenkun- gen. Laut der heutigen Steuerschätzung des Bundes- finanzministeriums weisen die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen bis 2013 fast 50 Milliarden Euro weni- ger aus als geplant. Und dann die Verteilungswirkung: Von der Anhebung der Kinderfreibeträge profitieren überproportional die reichen Familien. Die Erben wurden entlastet, und die Hoteliers bekamen ihre Klientelgeschenke. Als ob die 3962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Auseinanderentwicklung von Vermögen und Einkom- men in einem anderen Land stattfinden würde! Hier zeigt sich die Handschrift der FDP, die immer noch nicht kapiert hat, dass wir mit einer Stärkung der niedrigen Einkommen – gerade da gibt es viele echte Leistungsträ- ger! – Kaufkraft und Binnenkonjunktur stärken müssten. Klar ist: Wachstum durch ziellose Steuersenkung funktioniert nicht. Es ist eine Illusion. Sie fördert Fehl- entwicklungen, und am Ende fehlen uns Einnahmen, die wir vor allem in den Kommunen so dringend brauchen: für den Klimaschutz, für die Bildung, für die öffentliche Daseinsvorsorge, für Investitionen, die ein nachhaltiges, qualitatives Wachstum bewirken. Wir Grünen wollen ein nachhaltiges qualitatives Wachstum, ein ökologisches und sozialverträgliches Wachstum. Wir haben das an dieser Stelle schon oft durchdekliniert: Wir brauchen eine aktive grüne Indus- triepolitik, um den ökologischen Transformationspro- zess unserer Wirtschaft zu beschleunigen. Mit neuen Schulen, mit verstärkten Aufwendungen für eine energe- tische Sanierung, mit einer zielgerichteten Förderung neuer Technologien – ich erinnere nur an das Thema Elektromobilität –, damit schaffen wir ein nachhaltiges Wachstum. Mit einem höheren Ausbildungsstand junger Menschen, mit mehr regenerativen Energien, mit einer leistungsfähigeren Infrastruktur, damit stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes, damit erzeugen wir Wachstum. Mit blinden Steuersenkungen bekommen Sie das nicht hin. Es wäre gut, wenn Sie das endlich einsehen würden und von Ihren unsäglichen Steuersenkungsfanta- sien abrücken würden. Hartmut Koschyk (Parlamentarischer Staatssekre- tär beim Bundesminister der Finanzen): Die SPD be- zweifelt in der vorliegenden Großen Anfrage, dass steu- erliche Maßnahmen ein Instrument zur Bewältigung der Krise sein können. Noch im vergangenen Jahr hat sie genau diesen Kurs mitgetragen, jetzt weiß sie nicht mehr, warum. Zur Theorie. Sie fragen uns hier nach theoretischen Konstrukten und nach dem Titel des Lehrbuchs, aus dem wir die Erkenntnisse für unser wirtschaftspolitisches Konzept ziehen. Kein Lehrbuch hat diese Krise vorher- gesagt, und in keinem Lehrbuch steht, wie man diese Krise überwinden kann. Gehen Sie bitte davon aus, dass die Berater der Bundesregierung alle wirtschaftspoliti- schen Theorien kennen, die auch Sie kennen, und diese Theorien widersprechen sich ja vielfach. Politik muss aber handeln, und zwar oft auf einer empirisch und theo- retisch unsicheren Grundlage. Die Bundesregierung ver- folgt dabei nicht dogmatisch ein theoretisches Kon- strukt. Wir haben die zueinanderpassenden Elemente kombiniert und so mit wichtigen Impulsen der deutschen Wirtschaft durch die Krise geholfen. Deutschland wurde durch die hohe Auslandsverflech- tung besonders hart von der Weltwirtschaftskrise getrof- fen. Nie zuvor schrumpfte in der Bundesrepublik das Bruttoinlandsprodukt um 5 Prozent in einem Jahr. Dieser Einbruch wäre noch größer ausgefallen, hätte die Bun- desregierung nicht rasch und umfangreich reagiert. Die Maßnahmenpakete zur Stützung der Finanzmärkte und der Konjunktur haben deutlich zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage beigetragen. Für 2010 kann jetzt sogar wieder mit einem leicht positiven Wachstum von rund 1,4 Prozent gerechnet werden. Die Wende ist ge- glückt. Noch deutlicher sehen Sie den Erfolg unserer Politik, wenn Sie auf den Arbeitsmarkt schauen. Alle Experten wurden von der positiven Entwicklung überrascht. Geschickte Politik hat verhindert, dass die schlimmsten Vorhersagen eintrafen. Wir sind viel besser durch diese Krise hindurchmarschiert als die meisten anderen euro- päischen Länder. In der Medizin gilt: „Wer heilt, hat recht.“ Wenn ich diesen Maßstab an unsere Politik an- lege, kann ich nur sagen: Wir haben das Richtige getan. Zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Das Wachs- tumsbeschleunigungsgesetz wird von Ihnen immer wie- der auf den abgesenkten Mehrwertsteuersatz für Über- nachtungen reduziert. Dies ist aber nur eine – und noch nicht einmal die wichtigste – der Maßnahmen, die das Gesetz ausmachen. Fiskalisch wesentlich bedeutsamer sind beispielsweise die Erhöhung des Kindergeldes und die Erhöhung der Kinderfreibeträge. Die spürbare Kin- dergelderhöhung nützt vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen. Sie können diese Entlastung für den Konsum nutzen und so zur Stärkung der Binnen- nachfrage beitragen. Aber auch für die Unternehmen wurden steuerliche Entlastungen sowie gezielte Korrekturen umgesetzt, die die Anpassung an die krisenbedingten Folgen erleich- tern. Diese Korrekturen zugunsten von Unternehmen waren wichtig, und sie haben geholfen, die Krise leichter zu überwinden, weil sie schnell kamen. Das Wachstums- beschleunigungsgesetz hat damit nicht nur eine Nachfra- gebelebung erzeugt; verbesserte Investitionsbedingun- gen stärken auch die Wachstumsgrundlagen auf Dauer. Zur Doppelstrategie. Die Krise hat deutliche Spuren in den Haushalten aller Gebietskörperschaften hinterlas- sen. Wir müssen deshalb schnell auf einen Konsolidie- rungspfad zurückkehren. Die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse erfordert in den nächsten Jahren erheb- liche Konsolidierungsanstrengungen im Bundeshaus- halt. Eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte wird aber ohne Wachstum nicht gelingen. Die Bundesregierung setzt deshalb auf eine Doppel- strategie: Wir stärken die Wachstumskräfte durch steuer- liche Entlastungen und halten uns an eine klare, regelge- bundene Konsolidierungsstrategie. So haben wir unsere Arbeit auch begonnen. Für alle Maßnahmen des Koali- tionsvertrages gilt deshalb ein Finanzierungsvorbehalt. Den Bogen zwischen Wachstumsanreizen und Konsoli- dierung zu schlagen, ist die große finanzpolitische He- rausforderung dieser Legislaturperiode, und diese Auf- gabe kann diese Bundesregierung besser bewältigen als jede andere. Wir bekennen uns zu soliden öffentlichen Finanzen, auch weil sie notwendige Voraussetzungen für dauerhaft Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3963 (A) (C) (D)(B) günstige Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen sind. Umgekehrt gilt ebenso: Wirtschaftswachstum und ein Anstieg der Beschäftigung schaffen die besten Vo- raussetzungen für tragfähige öffentliche Finanzen. Wachstum und Konsolidierung gehen Hand in Hand. Wer hier einen grundsätzlichen Widerspruch sieht, zeigt nur, dass er selbst mit der gestellten Aufgabe überfordert wäre. Diese Bundesregierung wird beides leisten: Wir wer- den die Bürger entlasten, und wir werden die öffentli- chen Haushalte konsolidieren. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ausführungs- gesetzes zur Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen (Ausführungsgesetz zur EU-Ratingverordnung) (Tagesordnungspunkt 12) Peter Aumer (CDU/CSU): Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass die weltweiten Finanzmärkte neu geordnet und reguliert werden müssen. Ein ganz ent- scheidender Bestandteil ist dabei die internationale Kon- trolle der Ratingagenturen. Den Ratingagenturen wird in der Finanzmarktkrise ein folgenreiches Versagen zum Vorwurf gemacht, da sie die schlechte Marktlage in ihren Ratings nicht früh ge- nug zum Ausdruck gebracht haben. Bei Zuspitzung der Krise hätten die Ratings angepasst werden müssen, was nicht oder nicht rechtzeitig erfolgt ist. So wurde ein Sys- tem vermeintlicher Sicherheit geschaffen, das es zukünf- tig auszuschließen gilt. Mit der im Jahr 2009 auf den Weg gebrachten EU-Verordnung haben wir in Europa nun die Möglichkeit, einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Uns allen muss natürlich bewusst sein, dass diese Ver- ordnung nicht alle Schwachstellen der Finanzmärkte be- heben kann – es gibt kein Allheilmittel im Umgang mit der Finanzkrise. Ein solches Ziel wäre mit einer derarti- gen Verordnung auch zu hoch gegriffen und somit nicht realistisch; aber sie ist dennoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit diesem Ausführungsgesetz können Zeichen ge- setzt werden, um die Vertrauenswürdigkeit und die Neu- tralität der Einschätzungen von Ratingagenturen zu ge- währleisten, um auch so das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder nachhaltig zu stärken. Nur ein ge- meinsamer Regulierungsansatz bietet die nötigen Vo- raussetzungen, um unternehmerische Verantwortung und Verlässlichkeit unter den Ratingagenturen zu fördern und eben auch zu fordern und um in Zukunft mehr Transparenz zu schaffen. Dazu gehört es, dass die Agen- turen ihre Tätigkeit auch für die Öffentlichkeit transpa- renter gestalten. Sie müssen angewandte Methoden, his- torische Ausfallquoten von Ratingkategorien oder eine Liste ihrer größten Kunden in Zukunft regelmäßig veröf- fentlichen. Wir brauchen in Europa einen umfassenden Rechts- und Aufsichtsrahmen für die Finanzmärkte. Die Umsetzung der EU-Verordnung leistet einen wichtigen Beitrag hierfür. Ratingagenturen spielen jetzt und in Zu- kunft eine essenzielle Rolle in unserer Finanzwelt. Wir sind angewiesen auf die Einschätzungen von Experten. Gerade aufgrund der besonderen sich daraus ergebenden Verantwortung und des wichtigen Stellenwerts von Ra- tings muss man diese mit der notwendigen Sensibilität behandeln und einzelne Urteile kritisch hinterfragen. In- teressenkonflikte bei der Bewertung, offensichtliche Verstöße gegen das Gebot der Trennung von Beratung und Bewertung hinterlassen Zweifel an der Qualität der Ratings. Eine stufenweise Abkehr von der bedingungs- losen Akzeptanz dieser Ratings ist unabdingbar, und des- halb ist es auch notwendig, dass Marktteilnehmer parallel eigene Risikobewertungen vornehmen müssen. Mithilfe dieser EU-Verordnung werden Ratingagen- turen mit einem klar definierten Bußgeldkatalog zu mehr Disziplin gezwungen und über ihre Verantwortung be- lehrt. Auch wenn dieser Katalog von verschiedenen Sei- ten als zu mild eingestuft wird, so beinhaltet er aus mei- ner Sicht ein klares Signal: Wir sind überzeugt und fest entschlossen, Verstößen entschieden entgegenzuwirken. Gerade weil sich der Markt der Ratingagenturen durch einen stark eingeschränkten Wettbewerb charakterisie- ren lässt, bedarf es einer effizienten, zielgerichteten Re- gulierung der Ratingagenturen, und gerade deswegen bedarf es einer Aufsicht. Grundlegende Voraussetzungen werden durch das heute zur Abstimmung stehende Ausführungsgesetz ge- schaffen. Mit der BaFin haben wir eine zentrale und neu- trale Aufsichtsbehörde, die die Ratingagenturen im Blick behält und Verstöße frühzeitig erkennen muss. Dies ist zweifelsohne ein Schritt in die richtige Rich- tung. Das Aufbrechen des Oligopols der Ratingagenturen erscheint mir langfristig besonders wichtig. Es muss eine nichtstaatliche europäische Ratingagentur geben, die dem Oligopol der bestehenden Ratingagenturen ange- messen begegnet. Es ist sehr bedenklich, dass die Kredit- würdigkeit europäischer Staaten allein vom Urteil dreier Ratingagenturen mit Sitz in New York abhängig ist. Ne- ben dem Vorteil der räumlichen Nähe zu den bewerteten Firmen und Staaten könnten mit einer eigenen europäi- schen Ratingagentur transparente Strukturen geschaffen und mehr Unabhängigkeit sichergestellt werden. Für ein funktionierendes und stabiles Finanzsystem, das nicht nur der Wirtschaft, sondern auch den Bedürf- nissen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und Europas gerecht wird, brauchen wir einen international orientierten Aufsichts- und Regulierungsrahmen. Die Umsetzung der vorliegenden EU-Rating-Verordnung ist ein wichtiges Instrument auf dem Weg zur Umsetzung eines solchen Systems. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Das Europäische Parlament und der Rat haben im Herbst 2009 die soge- nannte EU-Ratingverordnung verabschiedet. In dieser Verordnung wird die Regulierung von Ratingagenturen 3964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) geregelt. Ich denke, ich muss angesichts der vergange- nen zwei Jahre nicht näher erläutern, warum diese Ver- ordnung notwendig war. Die Überprüfung der Einhaltung der Regeln der Ra- tingverordnung obliegt zunächst den nationalen Auf- sichtsbehörden. Hierfür ist vom Bundestag der rechtli- che Rahmen zu schaffen. Darüber hinaus muss der Bundestag „wirksame, verhältnismäßige und abschre- ckende Sanktionen“ festlegen, um Verstöße gegen die Ratingverordnung zu ahnden. Im vorliegenden Gesetz- entwurf werden genau diese Punkte umgesetzt: Die Aufsicht über die Ratingagenturen soll der Bun- desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, ob- liegen. Die operative Durchführung der Aufsicht soll durch geeignete Wirtschaftsprüfungsgesellschaften er- folgen. Verstöße gegen die Ratingverordnung sollen mit Bußgeldern von 200 000 bis 1 Million Euro geahndet werden. Jede Ratinggesellschaft muss sich bei der BaFin registrieren lassen. Der Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzge- bers ist bei diesem Ausführungsgesetz gering – Eile ist geboten –; die Mitgliedstaaten sollen bis zum 7. Juni die Voraussetzungen 2010 für die Überwachung der Rating- verordnung geschaffen haben. Der Finanzausschuss hat daher mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen diesem Gesetzesentwurf zugestimmt. Ob die EU-Ratingverordnung ausreicht, um die funk- tionalen Schwächen des gegenwärtigen Ratingsystems zu beseitigen, ist hier und heute nicht der Punkt. Dies sollten und müssen wir an anderer Stelle diskutieren. Heute geht es einzig und allein darum, durch die Festle- gung der Aufsichtsstrukturen den Einstieg in eine effi- ziente Regulierung von Ratingagenturen auch hier in Deutschland zu ermöglichen. Insofern ist es für mich un- verständlich, wenn sich die Oppositionsfraktionen die- sem nützlichen und notwendigen Gesetzentwurf verwei- gern, und zwar mit der Begründung, dass sie in dieser Vorlage gerne noch weitere Punkte wie den Anleger- schutz unterbringen möchten. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren, aber nicht im Rahmen die- ses Gesetzgebungsverfahrens; denn jetzt ist Eile gebo- ten, um die Ratingagenturen endlich zu regulieren. Die Verbesserung des Anlegerschutzes ist im Übrigen auch ein Anliegen der Bundesregierung, für das sie schon ein Diskussionspapier herausgegeben hat. Denn wir sehen, dass es notwendig ist, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Die fehlerhafte Arbeit von Ratingagenturen war eine we- sentliche Ursache für die Finanzkrise. Die wesentlichen Kritikpunkte an den Ratingagentu- ren sind – neben dem Vorwurf, Marktentwicklungen viel zu spät erkannt zu haben –: mangelnde Transparenz be- züglich der Beurteilungsmethoden und -daten, man- gelnde Wettbewerbsstrukturen – drei große amerikani- sche Agenturen haben den Markt unter sich aufgeteilt –, Interessenkonflikte, insbesondere zwischen Beratungs- und Bewertungsleistungen, mangelnde Möglichkeiten, Ratingagenturen bei Fehlverhalten in die Haftung zu nehmen. Vor allem die Fragen nach den Wettbewerbsstruktu- ren und den Interessenkonflikten sind noch nicht ausrei- chend beantwortet worden. Deswegen setzen sich die Regierungsfraktionen für eine weitere Verschärfung der Regulierungen sowie für die Schaffung einer unabhängi- gen europäischen Ratingagentur ein. Die Arbeit und das Verhalten der Ratingagenturen sind das eine. Auf der anderen Seite steht allerdings das, was wir aus den Ratingagenturen gemacht haben. – Aber der Reihe nach: Warum sind eigentlich Ratingagenturen gegründet worden? Es ging doch darum, dass Banker und Kaufleute eine zweite, eine unabhängige, eine an- dere Meinung haben wollten, bevor Kredite gegeben bzw. Anleihen und andere Finanzprodukte gekauft wur- den. Zwei Meinungen – eine davon von einem unabhän- gigen Experten, das hört sich gut an und verbessert zwei- felsohne das Urteil. Aus dieser zweiten Meinung ist aber leider allzu oft die einzige Meinung geworden. Urteile von Ratingagen- turen wurden überhöht. Auf ein eigenes Urteil wurde verzichtet. Wir haben dies in der ersten Finanzkrise sehr deutlich gesehen. Es wurden Produkte allein auf Basis von Ratingurteilen gekauft. Verstanden wurden sie von vielen Käufern wohl nicht. Wir haben diese Entwicklung als Gesetzgeber nicht gestoppt, sondern gefördert, indem wir Ratingagenturen zum Beispiel bei der Festlegung von Eigenmitteln von Kreditinstituten oder bei der Beleihbarkeit von Anleihen der EZB eine wichtige Rolle zugeteilt haben. Für mich heißt die Schlussfolgerung daraus: Banker und Kaufleute müssen sich wieder ihr eigenes Urteil bil- den. Das Urteil von Ratingagenturen darf und kann auch gerne als zweite Meinung danebenstehen, sollte aber niemals das einzige Beurteilungskriterium sein. Dies gilt es, über die Regulierung von Ratingagenturen hinaus notfalls auch gesetzlich klarzustellen. Die EZB hat in den letzten Tagen gezeigt, wie dies in der Praxis gehen kann: Die EZB hat beschlossen, das Länderrating für Griechenland als Kriterium für die Be- leihung von Staatsanleihen auszusetzen, da sie den Kon- solidierungsmaßnahmen in Griechenland vertraut. Sie hat ihr eigenes Urteil über die Kreditwürdigkeit von Griechenland getroffen – dabei aber die Urteile der Ra- tingagenturen im Blick gehabt. Die zweite Meinung wurde erwogen, die eigene Meinung war letztlich ent- scheidend. Zum Abschluss vielleicht noch einige Anmerkungen zu einer europäischen Ratingagentur. Das Projekt lohnt den Schweiß der Edlen, wie es so schön heißt. Es lohnt sich deswegen, weil ein Markt, den drei Anbieter unter sich aufgeteilt haben, nicht gesund ist. Eine Alternative wäre die wettbewerbsrechtliche Zerschlagung der beste- henden Agenturen, eine andere der staatlich geförderte Aufbau einer eigenen europäischen Agentur. Wir sollten von dieser Agentur aber keine Wunder- dinge erwarten. Auch die Urteile einer europäischen Ra- tingagentur basieren auf subjektiven Einschätzungen und mathematischen Modellen, sind also fehleranfällig. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3965 (A) (C) (D)(B) Eine europäische Ratingagentur, die ernst genommen werden will, muss unabhängige und keine politischen Urteile fällen. Deswegen halte ich es für gefährlich, die prozyklische Wirkung von Ratingurteilen zu kritisieren. So hatten die unlängst abgestuften Länder schlechte Fundamentaldaten. Es wäre auch die Aufgabe einer eu- ropäischen Ratingagentur gewesen, dies öffentlich zu adressieren und das Ratingurteil gegebenenfalls anzu- passen, egal ob dies die Krise verschärft oder nicht. Ich kann in diesem Zusammenhang im Übrigen nur davor warnen, die EZB zu einer Ratingagentur für Länder aus- zubauen. Dies birgt Interessenkonflikte und gefährdet die Unabhängigkeit der EZB. Für heute kann ich nur alle Fraktionen bitten, den vor- liegenden Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Das wird die dringend benötigte Regulierung der Rating- agenturen auf den Weg bringen, sie unter Aufsicht stel- len und Sanktionen der Ratingagenturen bei Verstößen ermöglichen. Das Gesetz gibt uns nicht die abschlie- ßende Lösung der Ratingproblematik, ist aber ein guter Einstieg für weitere Maßnahmen. Es trägt dazu bei, die Finanzmärkte für uns alle ein wenig sicherer zu machen. Manfred Zöllmer (SPD): Der Fall Griechenland zeigt noch einmal sehr eindrücklich die Notwendigkeit einer Reform des Ratingagenturunwesens. Warum Unwe- sen? Dies lässt sich sehr gut an den aktuellen Ereignissen rund um Griechenland erklären: In der letzten Woche, am Dienstag, war ich gerade vor Ort in Griechenland, als die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit des Landes auf Ramschniveau heruntergestuft hat. Dabei gab es keinen sachlich nachvollziehbaren Grund, warum das Griechenland-Downgrading ausgerechnet letzte Wo- che erfolgen musste – keinen! Das Rating für griechische Anleihen sank gleich um drei Stufen, obwohl es positive Einsparzahlen für den griechischen Staatshaushalt gegeben hatte, immerhin 40 Prozent im ersten Quartal. Angeblich reichten die Einsparungen nicht. Und dies mitten im Prozess der Ver- handlungen der griechischen Regierung mit Vertreten des IWF und der EZB vor Ort. Das Rating wurde noch mit negativem Ausblick versehen, das heißt, eine weitere Abstufung ist für die Ratingagentur denkbar. Das, was die Agentur für Griechenland befürchtet hatte, wurde durch das Herabstufen der Bonität dann ausgelöst. Es geht also nicht darum, wie es eine Zeitung schrieb, den Überbringer einer schlechten Nachricht zu kritisieren. Ich kritisiere, dass die schlechte Nachricht, vor der man warnen wollte, erst produziert wurde. Wer garantiert uns eigentlich, dass dies nicht im Zusammenspiel mit be- stimmten Akteuren auf den Finanzmärkten erfolgte? Wer rechtzeitig im Besitz einer solchen Nachricht ist, kann daraus sehr hohen Gewinn ziehen. Die Börsen und der Euro haben natürlich entsprechend reagiert. Wenn Ratingagenturen nur nach objektiven Kriterien vorgehen, warum sind dann die Bewertungen der Agen- turen so unterschiedlich? Bei Moody’s hat Griechenland noch eine A-Benotung. Vielleicht geht es ja bei den Ra- tingagenturen nach dem Motto eines Wirtschaftswitzes, der da lautet: „50 Prozent der Wirtschaft sind Psycholo- gie – die Fakten sollten daher nicht überbewertet wer- den.“ Schaut man sich die Arbeit der Agenturen in der Vergangenheit an, dann wird man das Gefühl nicht los, hier hat man ein Branchenmotto gefunden. Auch in den USA stehen Ratingagenturen aktuell er- neut in der Kritik, weil sie mit ihren Einschätzungen weit danebenlagen. So nahm ein Bundesgericht in New York nun eine Klage gegen die beiden Agenturen Standard & Poor’s sowie Moody’s und die deutsche Mit- telstandsbank IKB an. Die Vorwürfe der Kläger zielen gegen das Kerngeschäft der Unternehmen: die Bewer- tung von Finanzprodukten. Im konkreten Fall steht ein strukturiertes Anlageprodukt im Mittelpunkt, das 2007 von der IKB aufgelegt und von den Agenturen mit Spit- zennoten versehen wurde. Im August 2008 musste das unter dem Namen „Rheinbrücke“ vermarktete Produkt mit großem Verlust für die Anleger abgewickelt werden. Sie konnten von ihren ursprünglich investierten 1,1 Mil- liarden Dollar nur noch 55 Prozent retten. Wer so dramatisch fehlerhaft arbeitet – und dies ist nur ein Beispiel von vielen –, der darf nicht solchen Ein- fluss auf das Wirtschaftsgeschehen von Staaten haben, wie es am Beispiel Griechenlands exemplarisch deutlich wird. Dies löst doch häufig erst das Problem aus, vor dem sie warnen wollen. Es ist absolut prozyklisch. Ratingagen- turen verschärfen häufig Krisen, statt sie zu verhindern. Warum lassen wir es eigentlich zu, dass solche Dilettan- ten einen so großen Einfluss haben? Sehen wir uns einmal an, was durch den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung geändert werden soll. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die nationale Umsetzung der im September 2009 in Kraft getretenen EU-Ratingverordnung – 1060/2009/EG – vorgenom- men. Mit der EU-Verordnung wollen die Mitgliedstaaten die Ratingagenturen als wichtige Finanzmarktakteure besser überwachen und vor allem mehr Transparenz schaffen. So müssen sich in der EU tätige Ratingagentu- ren ab Juni 2010 bei der Finanzaufsicht des jeweiligen Landes registrieren lassen und ihre Geschäfte offenlegen. Um registriert zu werden, haben sie international festge- legte Anforderungen zu erfüllen. Außerdem müssen sie in mindestens einem Mitgliedstaat niedergelassen sein. Das Ausführungsgesetz sieht die Bundesanstalt für Fi- nanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, als Aufsichtsbehörde in Deutschland vor, bei der sich Agenturen registrieren und ihre Geschäfte offenlegen müssen. Auch Verstöße gegen die EU-Ratingverordnung kann die BaFin künftig anhand eines Bußgeldkataloges ahnden. Für die Verwen- dung von Ratings aus Ländern außerhalb der EU schreibt die Union außerdem besondere Anforderungen vor. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, dürfen Rating- analysten zudem nicht mehr Kunden beraten und sie gleichzeitig bewerten. Ferner verpflichtet die Verordnung Ratingagenturen zur regelmäßigen Überprüfung ihrer Ratings und Methoden. Für strukturierte Finanzinstru- mente müssen die Agenturen gesonderte und klar gekenn- zeichnete Ratingkategorien angeben. Das sind Verbesse- rungen, die dringend notwendig sind. 3966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Die Frage ist: Reicht das aus? Wenn wir uns die Er- gebnisse des Hearings einmal vor Augen führen, dann können wir feststellen: Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch nicht mehr. Die Bundesregierung macht eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Vorgaben, nicht mehr. Wichtige Probleme bleiben damit ungelöst. Ratingagenturen werden auch künftig für ihre Urteile von den Beurteilten bezahlt. Das ist und bleibt der größte Fehler im System. Die Gefahr, dass Risiken falsch einge- schätzt werden, bleibt damit bestehen. Die vorgesehene Trennung von Rating und Beratung ist ein erster Schritt, greift aber zu kurz. Sie lässt sich zu leicht durch gesell- schaftsrechtliche Konstruktionen aushebeln. Rating- agenturen agieren wie ein Finanz-TÜV, haften aber nicht für das Ergebnis. Der – für andere Verstöße – vorgese- hene Bußgeldrahmen erfüllt das Kriterium „Peanuts“, vor dem Hintergrund von Milliarden Umsätze der großen Ratingagenturen. Auch die Frage: „Wie bekommen wir mehr Wettbe- werb in den Markt“ wird nicht angegangen. Es fehlt die Konkurrenz einer alternativen europäischen unabhängigen Agentur. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster Schritt zur Verbesserung von Qualität, Unabhängigkeit und Transparenz. Aber er ist nicht ausreichend; das zeigt die aktuelle Entwicklung. Die systemischen Risiken der Ra- tingagenturen werden nicht angegangen. Hier sind Chan- cen vertan worden. Wir werden uns deshalb enthalten. Es scheint nach den eingangs geschilderten Ereignissen in Bezug auf Griechenland inzwischen auch der EU-Kom- mission zu dämmern, dass Verbesserungen notwendig sind. So äußerte sich der EU-Kommissar Barnier dieser Tage: Wir müssen weitergehen, um die Auswirkungen der Ratings auf das gesamte Finanz- und Wirtschaftssystem zu sehen. – Recht hat er. Überschrieben war die Meldung mit: EU zeigt sich offen für Nachjustierung bei Rating- agenturen. – Vielleicht gelingt es dann ja doch noch, die angesprochenen Schwachpunkte zu beseitigen. Björn Sänger (FDP): Die Griechenlandkrise zeigt, dass hinsichtlich Ratingagenturen dringender Hand- lungsbedarf besteht. Die Zahlungsfähigkeit Griechen- lands wurde schon über längere Zeit in Zweifel gezogen. Trotzdem erhielt die Bonität des Landes Spitzenwertun- gen durch die drei großen Ratingagenturen. Dann wurde bekannt, dass die griechische Haushaltsdefizitquote ge- schönt war, und erst nach geraumer Zeit folgte die Ab- wertung. Die fiel dann aber so drastisch aus, dass die Re- finanzierung Griechenlands auf dem Anleihemarkt fast unmöglich wurde. Die Märkte sind, wie man sieht, gera- dezu hörig, was die „reinen Meinungsäußerungen“ – wie die Agenturen nicht müde werden zu betonen – betrifft, und verlassen sich auf die Ratings und blenden andere Indikatoren weitgehend aus. Das war den Marktteilnehmern zu einem gewissen Grad auch nicht vorzuwerfen, mangelte es bisher doch an Transparenz, und Bewertungen wurden trotz mangel- hafter oder fehlender Daten vorgenommen. Zudem wa- ren Interessenkonflikte möglich, wenn eine Agentur ei- nen Kunden bewertete und eben dazu auch beriet. Durch die EU-Ratingverordnung werden diese Probleme ange- gangen. Die enthaltenen Verhaltensnormen und eine ver- stärkte Aufsicht darüber werden dazu führen, dass die Agenturen ihre Rolle auf den Finanzmärkten künftig besser wahrnehmen werden können. Die Situation bezüglich Griechenlands zeigt nun auch, dass wir hier einer europäischen Dimension der Problematik gegenüberstehen, weshalb es wichtig war, die Thematik auf europäischer Ebene anzugehen und nun national umzusetzen, womit die Bundesregierung praktisch den Zug aus Brüssel auf die Schiene gesetzt hat und der Dringlichkeit entsprechend auch keine Zeit verloren hat. Die Bundesregierung nimmt ihre Verant- wortung in der Krise wahr. Zugegebenermaßen gibt es mit dem Zugverkehr bei dem Zug aus Brüssel nun aber Schwierigkeiten, wie es Bahnreisende tagtäglich erleben – die Sache hat Macken und läuft noch nicht so richtig rund. Nun ist Deutschland aber keine Insel, und der Zugverkehr bricht an der Küste ab. Nein, der Ratingmarkt muss nicht national, sondern europäisch optimiert werden. Probleme bereiten uns weiterhin die Oligopolstruktur aus im Wesentlichen drei privatwirtschaftlich organisierten amerikanischen Unter- nehmen, die erheblichen wirtschaftlichen Einfluss ha- ben, und der Umstand, dass der Anbieter der Finanzpro- dukte die Agentur bezahlt, von der er beurteilt werden soll, was doch wieder zu Interessenkonflikten der Agen- tur führen kann. Denn wer beißt schon gerne die Hand, die einen füttert? Die Bundesregierung wird, wie Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung be- tonte und wie es unser Koalitionsvertrag vorsieht, natür- lich am Ball bleiben und etwa die Prüfung der Gründung einer europäischen Ratingagentur als Gegenpol zum bis- herigen Oligopol auf dem Ratingmarkt vornehmen. Natürlich ist dies ein sehr kniffliges Thema, und die EU müsste etwas schaffen und dabei Staatsnähe vermei- den, um eben glaubwürdig und dem Vorwurf der Staats- wirtschaft nicht ausgesetzt zu sein. Eine Möglichkeit wäre da eine unabhängige Stiftung für Finanzprodukte, wobei hier die Bezahlung von Ratings zu klären wäre. Doch durch die Unabhängigkeit würde sich die Stiftung Glaubwürdigkeit bewahren. Für alle so oder so Beteiligten auf dem Ratingmarkt ist auch eine Verschärfung der Haftung anzustreben. Wie bereits erwähnt, sind die Ratingbewertungen Meinungs- äußerungen; doch darf sich damit nicht einfach aus der Verantwortung für Probleme gestohlen werden, die solch ein Rating hervorrufen kann. Für eine Meinung ist man nicht haftbar, aber für die korrekte Anwendung der durch die Ratingverordnung nun offenzulegenden Me- thodik sollte man es schon sein. Weiterhin müssen, unabhängig von einem europäi- schen Gegenpol zum jetzigen amerikanischen Oligopol, insgesamt Rahmenbedingungen für mehr Wettbewerb geschaffen werden, und deshalb sind bei solchen Rege- lungen Bedürfnisse von kleineren auf dem Markt befind- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3967 (A) (C) (D)(B) lichen oder in den Markt strebenden Agenturen beson- ders im Auge zu behalten. All dies muss nun durch die Mitwirkung aller Fraktio- nen erörtert werden. Begleitet durch diese wichtige Dis- kussion wird die Bundesregierung auf ihrem Weg zur Si- cherung unserer Finanzmärkte weiter voranschreiten. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Um es gleich klarzu- machen: Wir lehnen das Gesetz ab. In der ersten Lesung hatten wir hier bereits erhebliche Zweifel und Kritik an- gebracht. In der zwischenzeitlichen Anhörung des Fi- nanzausschusses wurde unsere Kritik bestätigt, und aus unseren Zweifeln wurde Gewissheit. Ich komme gleich zu den Details. Die EU-Ratingverordnung und das Ausführungs- gesetz sind im Vergleich zum bestehenden Regelungsbe- darf glatter Hohn. Die Bundeskanzlerin wird seit dem G-20-Gipfel in Washington im November 2008 nicht müde, zu wiederholen, Staaten dürften nicht länger von Akteuren auf den Finanzmärkten erpressbar sein. Die Krise in Griechenland zeigt, dass die Bundesregierung mit diesem Ziel erbärmlich gescheitert ist, weil sie nicht einmal den beherzten Versuch unternommen hat, mit der Regulierung anzufangen. Wir reden hier von den Ratingagenturen, also den Finanzmarkt-Auguren, die in allen relevanten Finanz- krisen der vergangenen 15 Jahre falsche Einschätzungen abgegeben haben. Ich frage Sie: Wie sehr und wie oft müssen eigentlich Institutionen versagen, bevor man zu der Erkenntnis gelangt, dass sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind? Mit dem Herunterstufen Griechenlands haben die Ra- tingagenturen massiv Öl ins Feuer gegossen und eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ausgesprochen, nämlich dass Griechenland an den Märkten keinen Kre- dit mehr bekommt. Aufgrund der geradezu tyrannischen Machtkonzentration der Ratingagenturen werden wir lei- der nie erfahren, ob es für Griechenland auch einen an- deren Weg gegeben hätte. Die Ratingagenturen haben Fakten geschaffen, die jetzt in Form dramatischer sozia- ler Belastungen auf den unteren und mittleren Einkom- mensgruppen in Griechenland lasten. Anschaulicher kann man die Diktatur der Finanzmärkte kaum in Au- genschein nehmen. Nun zu den Kritikpunkten am Gesetz. Die Bundes- regierung behauptet, dass das Gesetz Interessenkonflikte löst, weil die Ratingagenturen nicht länger in eigener Sa- che beraten dürften. Das ist nur sehr vordergründig rich- tig. Tatsächlich enthält das Gesetz Schlupflöcher so groß wie Scheunentore. Sobald das Beratungs- und Bewer- tungsgeschäft in zwei separate Gesellschaften innerhalb eines Ratingunternehmens aufgespalten wird, läuft das Gesetz komplett ins Leere. Das haben in der Anhörung im Übrigen auch die Sachverständigen moniert, die nicht von uns benannt worden waren. Wolfgang Gerke vom Bayerischen Finanz Zentrum hat zum Beispiel vorge- schlagen, man solle den Ratingagenturen die Beteiligung an einer Ratingberatungsgesellschaft verbieten, um die- ses Schlupfloch zu schließen. Die Reaktion der Koali- tion: Schulterzucken und Nichtstun. Auch bei der vermeintlichen Unterwerfung der Ra- tingagenturen unter eine staatliche Finanzaufsicht bleibt es letztlich bei Augenwischerei. Die konkreten jährli- chen Prüfungen werden im Auftrag der BaFin von priva- ten Wirtschaftsprüfern durchgeführt. Dabei wird sich sehr schnell dasselbe Kartell der Big Four herausbilden, nämlich KPMG, PricewaterhouseCoopers, Deloitte und Ernst & Young, die den Markt unter sich aufteilen. Und wie genau die hinschauen, wissen wir spätestens seit den Bilanzskandalen in den USA und seit den lupenreinen Prüfberichten für Banken wie die IKB, Lehman Brothers oder die HRE, die von diesen Prüfungsgesellschaften ausgestellt wurden. Der Gesetzgeber muss endlich aufhören, den Ratings der Agenturen in gesetzlichen Regeln, wie zum Beispiel im Basel-Abkommen, eine besondere Funktion und Glaubwürdigkeit zuzuweisen. Wir brauchen endlich eine öffentliche europäische Ratingagentur, die das Kartell von Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch aufbricht und dem Diktat der Finanzmärkte Paroli bietet. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Ausführungsgesetz zur EU-Ratingverordnung ist kein großer Wurf. In einem Zwischenschritt wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit der Beaufsichtigung weniger neuer Verhaltensregeln für Ratingagenturen beauftragt, bevor die europäische Wert- papierbehörde diese Aufgabe ab 2011 übernimmt. Der gewählte Ansatz, Interessenkonflikte offenzulegen, löst die damit verbundenen Probleme nicht ausreichend, so- weit keine alternativen, möglichst unabhängigen Bewer- tungen und Informationen erhältlich sind. So sinnvoll es ist, dass Ratingagenturen keine Beratung mehr für Unternehmen, die zugleich bewertet werden, durchführen dürfen und so aussagekräftig die offenge- legten Methodiken, Modelle und Annahmen der Rating- agenturen sein mögen, kann das nicht darüber hinweg- täuschen, dass das Kernproblem bleibt. Ratingagenturen haben nach wie vor eine zu große Bedeutung am Kapi- talmarkt und wirken wie aktuell im Fall Griechenland krisenverschärfend. Wieder einmal haben die Ratingagenturen die Markt- lage nicht früh genug in ihren Bewertungen zum Aus- druck gebracht und ihre Bewertungen nicht rechtzeitig angepasst. Das plötzliche Herabsetzen einer Länder- bewertung gleich um mehrere Stufen wirkt wie ein Start- signal auf Spekulanten. Wir können gerade bei Portugal und Spanien wieder beobachten, wie die Gefahr eines Überschwappens der griechischen Schuldenkrise steigt. Ratingagenturen sind nicht die harmlosen Überbringer der Botschaft, sondern können Trends mitentwickeln. Ganz besonders problematisch war die Rolle der Rating- agenturen bei strukturierten Finanzprodukten. Dieses Muster müssen wir jetzt dringend durchbrechen. Wir meinen daher, es ist höchste Zeit für eine europäische öffentlich-rechtliche Ratingagentur, die ein Gegenge- wicht zu den drei Monopolisten am Markt bildet. Nun endlich muss die politische Aufgabe gelöst werden, die Rolle von Ratings in einem insgesamt verbesserten und umfassenderen Informationssystem auf ein positives Maß zu stutzen und mehr Vielfalt in den Markt zu bringen. 3968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Dafür sind auch Veränderungen bei der Europäischen Zentralbank und bei den bankenaufsichtlichen Regelun- gen zu beschließen. Dafür gilt es auch, die kartellähnli- che und missbrauchsanfällige Markt- und Machtstruktur der drei großen Agenturen zu brechen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte sich bereits im Juni 2008 für die Gründung einer europäischen Ra- tingagentur ausgesprochen. Bisher sind ihren Worten aber keinerlei Taten oder Initiativen gefolgt. Das Ziel in Koalitionsverträgen aufzuschreiben und in Sonntagsreden im Mund zu führen, reicht eben nicht. In unserem Entschließungsantrag zeigen wir auch die Schwächen des Ausführungsgesetzes in der Umsetzung des Anlegerschutzziels und der Veröffentlichungspflichten von Sanktionen auf. Der deutsche Gesetzgeber hat die bestehende Befugnis, Sanktionen zu veröffentlichen, nicht genutzt, um ein überfälliges Transparenzregime in deutschen Gesetzen zu verankern. Auch die Zielsetzung der EU-Ratingverordnung, dem Anleger- und Verbraucher- schutz Rechnung zu tragen, wurde nicht aufgegriffen. Wir benennen weiter die seit dem Enron-Skandal im Jahr 2001 bekannten, aber unbearbeiteten strukturellen De- fizite: fehlender Wettbewerb, die ungeeignete Finanzie- rungsbasis für Bewertungen und die zu große Abhängigkeit der Banken von Ratings schon bei Standardprüfungen. Und schließlich fordern wir, verpflichtende und um- fassendere Offenlegungs- und Informationsvorschriften für relevante Kapitalmarktinformationen gesetzlich zu regeln. Dies liegt im öffentlichen Interesse und schafft die Voraussetzungen, dass Aufsicht, Anleger, Analysten und Investoren sich eine fundierte Meinung zur Güte der Ratings und den zugrundeliegenden Aktiva, Instituten und Ländern bilden können. Vor allem im Verbriefungsmarkt bleiben die Offenle- gungspraktiken in Verkaufsprospekten und Investoren- mitteilungen hinter denen auf dem Markt der Unterneh- mensschuldverschreibungen zurück. Als gemeinsamer Ansatz sollten relevante Informationen präzise gesetzlich bestimmt und obligatorisch, fortlaufend und breit offen- gelegt werden sowie von unabhängigen Dritten verifiziert werden. Im Vorfeld sind notwendige Definitionen und Ermittlungsmethoden europäisch zu vereinheitlichen. Die Finanzmärkte benötigen nicht nur eine Detailkor- rektur, sondern einen grundlegenden Wandel von Ziel- setzung, Strukturen und Akteuren. Es ist entscheidend, dass wir jetzt zu grundlegenden Veränderungen kommen. Bei den Ratingagenturen bleibt dabei noch viel zu tun. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu den An- trägen: – Mehr Chancengleichheit für Jugendliche – Ferienjobs nicht als regelmäßiges Einkom- men anrechnen – Keine Anrechnung von Ferienjobs auf das Arbeitslosengeld II (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Bislang hat das SGB II zwischen dem Einkommen eines Arbeit- suchenden und dem Einkommen eines Schülers aus ei- nem Ferienjob keinen Unterschied gemacht. Dies wurde in den letzten Wochen und Monaten zu Recht von allen im Bundestag vertretenen Fraktionen kritisiert und eine entsprechende Korrektur angemahnt. Da es bis zu den Sommerferien auch nicht mehr weit ist und viele Schülerinnen und Schüler schon jetzt Pläne schmieden, wie sie sich in dieser Zeit etwas Taschengeld verdienen können, freue ich mich, dass wir jetzt eine Lösung gefunden haben, die nicht nur zweckmäßig, son- dern auch unbürokratisch ist: Ab dem 1. Juni 2010 kön- nen Einkommen aus Ferientätigkeiten bis zu einer Grenze von 1 200 Euro pro Jahr gänzlich freigestellt werden. Diese neue Regelung wird auf dem Wege einer Verordnung erlassen, das heißt, wir gehen den schnellen und direkten Weg. Durch die Festsetzung eines Grenzbetrages, bis zu dem Einkommen anrechnungsfrei bleiben kann, haben wir zudem klargestellt, dass wir nach wie vor der An- sicht sind, dass Ferien vorrangig der Erholung dienen sollen. Eine komplette Freistellung – wie von den Lin- ken gefordert – ist abzulehnen; denn damit würde dem schlichten „Knetemachen“ höchste Priorität eingeräumt. Das wäre ein falsches Signal an die jungen Menschen. Auf der anderen Seite wurde aber der Freibetrag so hoch angesetzt, dass Leistungsbereitschaft und Fleiß der jungen Menschen nicht im Keim erstickt, sondern auch belohnt werden. So ermöglicht die Neuregelung bei- spielsweise den Schülerinnen und Schülern, bei einem Stundenlohn von 10 Euro 30 Stunden in der Woche zu arbeiten, und zwar in einem Zeitraum von vier Wochen. Ich denke, dass hiermit ein guter Kompromiss gefunden wurde; denn er berücksichtigt den Aspekt der Erholung wie auch den Aspekt des Leistungsanreizes in einem verantwortbaren und ausgewogenen Maße. Die Neuregelung bei den Ferienjobs kann aber nur ein kleiner Baustein zur Förderung der jungen Menschen im SGB II sein. Solange es noch immer junge Menschen gibt, die als Berufsziel „Hartz IV“ angeben, solange die Quoten derjenigen, die ohne Abschluss die Schule ver- lassen, in einigen Bundesländern noch immer im zwei- stelligen Bereich liegen, solange immer wieder Mel- dungen durch die Presse gehen, dass vorhandene Ausbildungsplätze aufgrund mangelnder Ausbildungs- reife der Bewerberinnen und Bewerber nicht besetzt werden konnten, können und dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Gefragt sind alle gesellschaftlichen Kräfte, aber natürlich in erster Linie auch die Politik. Deshalb freue ich mich, dass die Bundesregierung jetzt einen wichtigen Schritt in dieser Richtung unter- nommen hat: Am 21. April wurde eine stärkere Förde- rung für Jugendliche im SGB II vereinbart mit dem Ziel, jedem erwerbsfähigen Jugendlichen innerhalb von sechs Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3969 (A) (C) (D)(B) Wochen einen Ausbildungsplatz oder eine qualifizierte Beschäftigung anzubieten. Paul Lehrieder (CDU/CSU): In Teilen ihrer Begrün- dung haben Linke und SPD mit ihren Anträgen recht. Mit allen Fraktionen dieses Hauses bin auch ich der Mei- nung: Eigeninitiative von Schülern darf nicht blockiert werden. Der Ferienjob ist in der Regel der erste Kontakt mit der Arbeitswelt. Im Idealfall führt er später zum ersten Arbeitsverhältnis. Ferienjobs helfen, eigene Fähigkeiten realistisch einzuschätzen, und geben Selbstbewusstsein für die Bewerbungsphase. Nicht zuletzt machen Ferien- beschäftigungen Jugendlichen Mut, deren Eltern auf Hartz IV angewiesen sind und die eigenes Erwerbsein- kommen aus ihrem familiären Umfeld nicht oder zu wenig kennen. Sie können Perspektivlosigkeit und Resignation vorbeugen helfen. Niemand kann wollen, dass die SGB-II-Gesetzgebung einen gegenläufigen, die Schüler demotivierenden Effekt entwickelt. Das SGB II hat sich als lernendes System bewährt – auch mit Blick auf die gegenwärtige Wirt- schaftskrise. Was gesetzlich geregelt ist, muss aber nicht sakrosankt sein. Deshalb war auch der Aspekt der Ferienjobs in die Generalüberprüfung des SGB II miteinbezogen. Im Sinne einer umfassenden Regelung ist die Bundesregie- rung längst tätig geworden – gründlicher, als Linke und SPD es hier vorschlagen. Die christlich-liberale Koalition hat jetzt ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, in das auch der Aspekt der Ferienjobs eingebunden ist. Die Koalitionsfraktionen haben entschieden, Ferienjobs bei Kindern von Hartz-IV-Empfängern bis zu 1 200 Euro künftig nicht mehr auf die Bezüge der Eltern anzurechnen. Das gilt für Jobs von längstens vier Wochen je Kalender- jahr. Diesen Betrag pauschal für das ganze Jahr anzuset- zen, war die richtige Entscheidung. Rechtzeitig vor den Sommerferien geben wir damit allen Jugendlichen das Signal: Es lohnt sich, aktiv zu werden und sich selbst etwas dazuzuverdienen. Schul- pflichtige Kinder hilfebedürftiger Eltern werden damit weitgehend anderen Schülern gleichgestellt, deren Eltern nicht hilfebedürftig sind. Mit ihrer Ferienarbeit können sie sich eigene Wünsche erfüllen. Der Führerschein oder das Moped aus eigener Tasche, das ist damit auch für Ju- gendliche aus Hartz-IV-Haushalten möglich. In der Ausschusssitzung vom 24. Februar 2010 hatten die Kollegen von den Grünen eine pragmatische Lösung in der Sache „Anrechnung von Ferienjobs“ gefordert. Liebe Kollegen von den Grünen, das brauchen Sie nicht von uns zu fordern. Pragmatisch im Sinne des Gemein- wohls sind wir immer. Vernünftigen und sinnvollen An- liegen verweigern wir uns nicht. ln der Plenardebatte am 28. Januar 2010 zum selben Thema hat mich der Kollege Markus Kurth von den Grünen direkt angesprochen. Ich zitiere: „Haben Sie nicht vor zwei Monaten den Ein- druck erweckt, eine Lösung des Problems stünde unmit- telbar bevor?“ Herr Birkwald von den Linken hatte in der- selben Sitzung von der Bundesregierung gefordert: „Legen Sie zügig einen entsprechenden Gesetzentwurf vor!“ Bei uns geht Gründlichkeit vor. Die Ferienjobs sind ein Teil der großen SGB-II-Reform. Dazu hatte ich in meiner Rede vom 26. November 2009 schon ausgeführt: „Wir haben bis Mitte des Jahres eine Lösung bei den Hinzuverdienstgrenzen – nicht mehr und nicht weniger“. Nur im Kontext mit den Hinzuverdienstmöglichkeiten sind die Ferienjobs zu sehen. Sie haben von uns Pragmatismus und Schnelligkeit gefordert – dann seien auch Sie pragmatisch. Springen Sie über Ihren Schatten und stimmen Sie unserem Maß- nahmenpaket zu, wenn es im Plenum behandelt wird. Dieses Maßnahmenpaket begleitet die Ferienjobregelung der Bundesregierung und umfasst auch das Beschäfti- gungschancengesetz. Damit Ihnen die Zustimmung später leichter fällt, möchte ich es den Kollegen von der Opposi- tion kurz noch einmal vorstellen: Neben der Ferienjob- regelung, die als Rechtsverordnung erlassen wird, sieht es unter anderem vor: die Verlängerung der Sonderregelun- gen zur Erstattung der Sozialbeiträge für das Kurzarbei- tergeld um 15 Monate bis Ende März 2012, die Verlän- gerung von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten für ältere Beschäftigte und Berufseinsteiger, die Fortführung der Möglichkeit für arbeitslose Existenzgründer und Auslandsbeschäftigte, sich freiwillig in der Arbeitslo- senversicherung abzusichern, die Verbesserung der Ar- beitsmarktchancen für junge Menschen, Alleinerzie- hende und ältere Arbeitsuchende sowie die Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende, um stärkere Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu geben. Das neue Maßnahmenpaket ist damit ein weiteres In- strument, um der Wirtschafts- und Finanzkrise ent- schlossen entgegenzutreten. Unser Ziel ist es, aus der Krise heraus neue Brücken zu mehr Beschäftigung zu bauen und gezielt die zu unterstützen, die es auf dem Ar- beitsmarkt besonders schwerhaben. Um ihnen helfen zu können, bevorzugen wir Lösungsmechanismen, die si- cherlich wichtige Einzelaspekte wie die Ferienjobs nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang betrachten. Katja Mast (SPD): Es ist schon erstaunlich, was un- ser Antrag zu den Ferienjobs in den vergangenen Wo- chen ins Rollen gebracht hat. Was haben Sie, Kollegin- nen und Kollegen von Schwarz-Gelb, nicht alles für Gründe vorgebracht, warum Sie unserem Antrag nicht zustimmen können! Was wollten Sie nicht alles im Zuge dieser Debatte in Kommissionen beraten! Und währenddessen? Ist wieder Monat um Monat verstrichen, und wieder wussten die Jugendlichen aus Familien, die von Arbeitslosengeld II leben, nicht, ob ihr Lohn vom Ferienjob angerechnet wird oder nicht. Auch konnten Sie keine Antwort auf die Frage vieler Jugendli- cher aus Arbeitslosengeld-II-Familien geben, ob ihr ers- ter Kontakt mit der Berufswelt weniger wert ist als die Berufserfahrung von Jugendlichen, deren Eltern nicht auf Sozialleistungen des Staates angewiesen sind. 3970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Und dann haben Sie die Jugendlichen immer wieder öffentlich verunsichert. Erst wurde in der Sendung Hart aber fair gesagt, das müsse man regeln, dann kam ein striktes Nein zu jeglicher Regelung. Anschließend prä- sentierten Sie einen Vorschlag, der vorsah, die Hinzuver- dienstgrenze im Jahr auf 2 000 Euro zu erhöhen, gleich- zeitig aber die 100 Euro Freibetrag pro Monat abzuschaffen. Im April schließlich waren die Ferienjobs plötzlich wieder Teil Ihrer Sozialstaatsdebatte, die Teil- habe verhindert und keine Perspektiven schafft. Ich sage Ihnen von Schwarz-Gelb: Das war wahrlich keine sozialpolitische Glanzleistung. Das war Abwarten und Aussitzen. Sie haben die berechtigten Anliegen der Jugendlichen nicht ernst genommen. Da kann die zu- ständige Ministerin noch so viel versprechen, was sie für junge Erwachsene ändern will. Im Detail lösen sich diese Versprechen schnell in Luft auf. Ohne die SPD- Bundestagsfraktion hätten Sie, Frau von der Leyen, sich nicht bewegt. Ohne unseren konkreten Vorschlag hätte Schwarz-Gelb keine Idee gehabt, wie durch den Ferien- job der Anreiz zur Berufsorientierung für alle Jugendli- chen gleich wird. Der Entwurf für die entsprechende Verordnung zur Anrechnung von Ferienjobs auf das Arbeitslosengeld II liegt jetzt vor. 1 200 Euro sind für Jugendliche bis 25 Jahre zukünftig zusätzlich anrechnungsfrei. Das ist gut und längst überfällig. Die Bundesregierung nennt als Beispiel einen vierwöchigen Ferienjob à 30 Stunden mit einem Stundenlohn von 10 Euro. Das von der Bundesre- gierung gewählte Beispiel zeigt: Schwarz-Gelb ist im- mer noch weit weg von der Realität der Jugendlichen. Wer in den Sommerferien bei einem Mittelständler, bei- spielsweise in Baden-Württemberg, mit anpackt, der ar- beitet in der Regel 40 Stunden. Der Jugendliche kommt so schnell über die Freigrenze, die jetzt in die Verord- nung geschrieben wird. Dieser bittere Beigeschmack bleibt. Unser Vorschlag, dem Sie heute zustimmen können, geht weiter. Vier Wochen Ferienjob bei angemessener Bezahlung anrechnungsfrei zu gestalten, das ist unsere Vorstellung vom fairen Umgang mit der ersten Berufs- orientierung. Heute können Sie dem zustimmen. Die Debatte um die Ferienjobs zeigt auch: Die Bun- desregierung hat keine Antwort darauf, wie sie Jugendli- chen echte Brücken in den Arbeitsmarkt bauen will, da- rauf, wie wir es schaffen, den jungen Menschen, die sich derzeit in Warteschleifen befinden, ein faires Angebot zu unterbreiten. Wir Sozialdemokraten wollen mehr als das Gefühl, gebraucht zu werden. Die Zahlen können einen nicht kaltlassen: Die Bun- desagentur für Arbeit hat 2009 alleine 12 200 Neuzu- gänge in Warteschleifen gezählt. Rund 1,5 Millionen junger Menschen zwischen 20 und 30 Jahren haben gar keinen Berufsabschluss. Wir nehmen diese Zahlen und vor allem jedes einzelne Gesicht dahinter sehr ernst. Nur so schaffen wir echte Chancen für einen Einstieg in den beruflichen Aufstieg. Nur so ist Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben möglich. Dafür brauchen wir – und das ist unser Verständnis – Rechtsansprüche statt Lippenbekenntnisse in Form neuer Eckpunkte. Die SPD fordert einen Rechtsanspruch auf Ausbildung, und zwar für alle, die innerhalb der ers- ten drei Jahre nach der Schule keinen Ausbildungsplatz finden. Die Bundesregierung sieht hier keinen Hand- lungsbedarf. Die Bundesregierung sagt nüchtern: Dies ist derzeit nicht Gegenstand politischer Planungen. – Aber wie wollen Sie denn die Ausbildungsmisere behe- ben? Es geht um unsere Zukunft, um unsere Jugend. Ein zweiter Punkt ist in diesem Zusammenhang wich- tig: Wer junge Menschen in Arbeit bringen will, der muss auch dafür sorgen, dass genügend arbeitsmarkt- politische Instrumente zur Verfügung stehen, um Ju- gendlichen eine Chance zu geben, gerade auch den Ju- gendlichen, die es ein wenig schwerer als andere haben. Immer noch sind über 40 Prozent der Ausbildungsplatz- suchenden sogenannte Altbewerber. Sie haben sich be- reits mindestens ein Jahr lang um einen Ausbildungs- platz bemüht und keinen gefunden. Viele von ihnen geben nach jahrelanger, vergeblicher Suche auf. Um diesen Jugendlichen eine Chance zu geben, haben wir, unter Federführung unseres damaligen Bundesar- beitsministers Olaf Scholz, den Ausbildungsbonus ein- geführt. Dieser Bonus ist bis zum 31. Dezember dieses Jahres befristet. Sie wollen ihn klammheimlich auslau- fen lassen, obwohl der Bedarf nach wie vor da ist. Ich fordere Sie, Frau von der Leyen, auf: Schaffen Sie auch hier endlich Klarheit und lassen Sie die Jugendlichen mit besonderen Problemen nicht im Regen stehen. Es ist gut, dass jeder Jugendliche unabhängig von sei- nem Elternhaus ab Sommer bessere Anreize zur Berufs- orientierung durch einen Ferienjob hat. Aber was Sie von Schwarz-Gelb am selben Tag mit Ihren Eckpunkten zu sogenannten besseren Arbeitsmarktchancen für Ju- gendliche vorgelegt haben, überzeugt nicht. Auch an dieser Stelle werden wir von der SPD-Bundestagsfrak- tion den Stein ins Rollen bringen müssen – wir wollen ein Recht auf Ausbildung statt Lippenbekenntnissen. Pascal Kober (FDP): Dass wir hier heute die An- träge der SPD und der Linken zum Thema „Anrechnung von Ferienjobs auf das Arbeitslosengeld II“ beraten, ver- wundert doch ein wenig. Warum sie sie nicht von der Ta- gesordnung haben absetzen lassen, ist mir ein Rätsel. Denn das Bundeskabinett hat am 21. April dieses Jahres durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung die Unge- rechtigkeit, die wir bisher hatten, aufgehoben. Die Unge- rechtigkeit bestand darin, dass Kinder aus ALG-II-Be- darfsgemeinschaften von dem, was sie in Ferienjobs verdienen, nur einen Bruchteil behalten dürfen. Das führte dazu, dass von zwei Kindern, die die gleiche Ar- beit in den Ferien machen und dabei 1 000 Euro verdie- nen, eines 1 000 Euro behalten darf und das andere, das mit seiner Familie unverschuldet in einer Bedarfsge- meinschaft lebt, nur 260 Euro. Diesen Zustand hat die Bundesregierung nun verändert. Damit sind die Anträge von SPD und Linken gegenstandslos. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3971 (A) (C) (D)(B) Die Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales tritt am 1. Juni 2010 in Kraft und damit noch vor dem Beginn der ersten Sommerferien in Bre- men, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen am 24. Juni dieses Jahres. Damit hat die christlich-liberale Koalition wieder einmal bewiesen, dass sie die Pro- bleme, die Rot-Grün im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende hinterlassen hat, entschieden anpackt und im Sinne der Menschen löst. Deshalb ist es gut, dass nach der Verordnung das Einkommen aus einer Tätigkeit von Schülerinnen und Schülern allgemein- oder berufs- bildender Schulen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die in den Schulferien für höchstens vier Wochen je Kalenderjahr ausgeübt wird, bis zu 1 200 Euro pro Jahr anrechnungsfrei wird. Mit der neuen Regelung durch die Verordnung sehen wir ein Kernelement liberaler Gerechtigkeitsvorstellun- gen verwirklicht. Sie wird gerne zusammengefasst unter dem Motto „Leistung muss sich lohnen“. Dies gilt nun endlich auch für die Schülerinnen und Schüler aus Be- darfsgemeinschaften, die einer Ferientätigkeit nachge- hen. Maßgeblich sind für uns Liberale die Erfahrungen, die Jugendliche bei der Aufnahme einer solchen Tätig- keit machen können. Es geht dabei um erste Erfahrungen des Gelingens, die Entwicklung von Selbstbewusstsein und das Erlernen von Vertrauen in die eigenen Fähigkei- ten. Viel zu oft hören wir von Familien im Bezug von Arbeitslosengeld II, deren Kinder als Berufswunsch „Hartz IV“ nennen. Dies ist für uns ein alarmierendes Si- gnal, dem wir entgegentreten müssen. Dadurch, dass wir die Anrechnung der Ferienjobs jetzt gerechter gestalten, gehen wir einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung. Nicht zu vergessen ist, dass der Ferienjob auch oft der erste Kontakt zur Arbeitswelt ist. Diese Er- fahrung ist nicht zu vernachlässigen. Ziel der Verordnung, die das Kabinett beschlossen hat, ist es, für junge Menschen gezielte Anreize zur Auf- nahme von Ferienjobs zu schaffen. Es werden Schülerin- nen und Schüler hilfebedürftiger Eltern denjenigen gleichgestellt, deren Eltern nicht hilfebedürftig sind: Sie können die Einnahmen aus ihrer Arbeit weitgehend für eigene Wünsche verwenden. Viele von uns kennen aus eigener Erfahrung oder aus dem familiären Umfeld, welch tolles und wichtiges Erlebnis es ist, vom ersten selbstverdienten Geld etwas zu kaufen. Dies prägt einen jungen Menschen. Es prägt sein Verhältnis zur Markt- wirtschaft, und zwar nachhaltig und positiv. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Linke, haben in der Vergangenheit Lösungen eingefor- dert. Wir hatten Ihnen gesagt, dass wir dies sorgfältig prüfen und regeln würden. Dies haben wir nun getan und das Problem gelöst. Gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, hatten in den vergangenen Jahren die Chance zur Änderung des Problems. Dies haben Sie nicht getan, obwohl Sie den Arbeitsminister gestellt ha- ben. Wir haben nun gehandelt und gezeigt, dass sich die christlich-liberale Koalition um die Belange der Men- schen kümmert. Ihre Anträge haben sich damit durch un- ser Handeln erübrigt. Deswegen lehnen wir sie ab. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Hinhalten, rausschieben und feist für sich vereinnahmen – das ist die Gangart der schwarz-gelben Bundesregierung, der sich die SPD angeschlossen hat. Aber wir wollen nicht nachtragend sein: Halten Sie ihr Fähnchen ruhig in den Wind – wir sorgen für den Sturm! Links wirkt! Allein der Beharrlichkeit seitens der Lin- ken ist es zu verdanken, dass die Hartz-IV-Parteien nun reagieren und endlich das Ferienjobärgernis anpacken. Das hat viel zu lang gedauert! Im August 2008 haben wir von der Großen Koalition aus SPD und den Unionsparteien im Rahmen einer Klei- nen Anfrage wissen wollen, ob sie bereit wären, Ein- kommen aus Ferienjobs nicht auf Hartz IV anzurechnen. Was taten SPD und CDU/CSU? Sie leugneten das Pro- blem und taten nichts. Stattdessen heuchelten Volker Kauder und Klaus Wowereit im August 2009 in der Sen- dung Hart aber fair Betroffenheit. Unseren Antrag, end- lich zu handeln und Schluss zu machen mit der Anrech- nung der Ferienjobs auf Hartz IV, lehnte die Große Koalition schlicht ab – und die FDP konnte sich gerade mal dazu durchringen, sich zu enthalten. Nach der Bun- destagswahl haben wir das Thema wieder aufgegriffen und erneut in den Bundestag getragen. Und was ist pas- siert? Die Unionsparteien und die FDP haben den Antrag abgelehnt, und die SPD hat sich nur enthalten. Das ist angesichts des Problems nichts anderes als Parteipolitik auf dem Rücken von Jugendlichen aus armen Familien, und das ist nicht akzeptabel. Jetzt endlich will die Bundesregierung auf dem Wege einer Verordnung Einkommen aus Ferienjobs teilweise freistellen. Damit hat sich der Antrag der SPD erledigt. Aber damit hat sich der Antrag der Linken noch nicht erledigt. Zwei Ziele müssen wir mit einer Ferienjobregelung für Jugendliche erreichen, deren Familien von Hartz IV betroffen sind: Wir wollen Schutz und Motivation. Wir wollen die Jugendlichen nicht entmutigen, sondern er- muntern, ihr eigenes Geld zu verdienen. Wir brauchen einen Sozialstaat, der es den Einzelnen ermöglicht, ei- gene Entscheidungen zu treffen. Denn nur wer tatsäch- lich etwas zu entscheiden hat, kann Verantwortung über- nehmen. Im System Hartz IV gibt es für die Betroffenen nichts zu entscheiden – weder für die Eltern noch für die Kinder. Hier setzen wir an. Denn wir Linken wissen – und weisen immer wieder darauf hin –, dass Motiva- tion das eine, Schutz aber gerade bei Kindern und Ju- gendlichen das andere Ziel sein muss. Deswegen ist uns sehr wichtig, nicht über das Ziel hi- nauszuschießen und die Balance zu halten. Der Jugend- schutz muss eingehalten werden; denn eine reguläre Schulbildung ist wichtiger als der schnell und früh verdiente Euro. Deswegen ist es richtig, die Verdienst- möglichkeiten von Schülerinnen und Schülern strikt nach Alter der Schülerinnen und Schüler und Dauer des Jobs zu begrenzen. Ja, wir wollen den Arbeitsmarkt 3972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) regulieren – aber selbstverständlich nur mit Sinn und Verstand. Vier Wochen im Jahr, wie es das Jugendar- beitsschutzgesetz vorsieht, reichen. Wozu also zusätzlich die Einkommenshöhe beschränken? Die Bundesregie- rung schlägt nun vor, dass Schülerinnen und Schüler innerhalb der vier Wochen maximal 1 200 Euro verdie- nen dürfen und beispielsweise bei einem Stundenlohn von 10 Euro 30 Stunden pro Woche arbeiten sollen. Diese Verdienstbegrenzung auf 1 200 Euro lehnen wir ab! Meine Damen und Herren von Union und FDP, Sie haben da etwas vollkommen falsch verstanden. Wir müssen einen Mindestlohn festlegen – da sind Ihre 10 Euro genau richtig –, aber doch keinen Durch- schnitts- oder Höchstlohn. Ich fordere Sie auf: Streichen Sie die Verdienstgrenze für jobbende Schülerinnen und Schüler, die im Hartz-IV-System stecken! Schutz und Motivation brauchen eine Arbeitszeitbegrenzung, aber keine Verdienstgrenze. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, ich habe hier ein Déjà-vu; denn wir haben doch schon im November 2009 und im Januar 2010 darüber gesprochen, dass Ferienjobs nicht mehr auf das ALG II angerechnet werden sollen. Leider ist seit dem nichts ge- schehen. Schon damals haben wir Grüne gesagt, dass es nicht sein kann, dass Jugendliche die deprimierende Er- fahrung machen, dass ihnen das erste selbstverdiente Geld wieder genommen wird. Deshalb haben wir den Anträgen von SPD und Linken im Ausschuss für Arbeit und Soziales zugestimmt, die hier Änderungen gefordert haben; denn sie sind in der Sache richtig und vernünftig. Wir haben hier keine Differenz mit diesen beiden Frak- tionen. Gegen die Anträge gestimmt haben da allerdings die Kolleginnen und Kollegen aus CDU/CSU und FDP, die sich jetzt damit brüsten, dass sie den Jugendlichen einen Freibetrag für Ferienjobs von 1 200 Euro einräumen wollen. Man muss schon sagen, dass die Lernkurve die- ser Kolleginnen und Kollegen nur sehr langsam ansteigt. Zweimal waren die Ferienjobs Thema in der Sendung Hart aber fair, und es hat diese beiden Sendungen ge- braucht, in der die Vertreter der Koalition vorgeführt worden sind, bis sie sich dazu entschieden haben, end- lich im Kabinett zum Freibetrag von 1 200 Euro zu kom- men. Eine stramme Leistung finde ich aber, dass sie es bis heute nicht geschafft haben, diese Lösung der Pro- blematik hier in den Bundestag einzubringen, sodass wir darüber abstimmen können und endlich dafür sorgen können, dass sich Jugendliche mit dem ersten selbstver- dienten Geld Wünsche erfüllen können, die sie sich sonst nicht erfüllen könnten. Ein neues Fahrrad, einen neuen Computer oder die viel zitierte Gitarre können sich Kinder von ALG-II- Empfängerinnen und -empfängern nicht leisten, weil das Geld dafür schlicht und einfach fehlt. Es reicht ja schon für Bekleidung und Schulbedarf nicht, wie im Februar sogar das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat. Ist es da nicht verständlich, dass man sich gern im Ferienjob etwas dazuverdient, um sich einen solchen Wunsch zu erfüllen? Ich finde, das ist so. Ich selbst bin auch in Fe- rienjobs an die Arbeitswelt herangeführt worden. Ich habe erste Einblicke gewonnen und gleichzeitig gelernt, dass ich mit meiner Hände Arbeit etwas erreichen kann. Ist das nicht eine Erfahrung, die alle Jugendlichen ma- chen sollten, auch die, die leider häufig nicht in der eige- nen Familie erleben dürfen, welche sozialen Kontakte die Einbindung in die Arbeitswelt schafft und welche Chancen in Arbeit liegen, die Jugendlichen, deren Eltern ALG II beziehen? Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungs- fraktionen, heute haben Sie die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass Ferienjobs für Jugendliche anrechnungsfrei bleiben. Ich kann Sie nur noch einmal auffordern, diese Chance zu nutzen, denn Ihre Argumente dagegen ste- chen nicht. Kollege Kober von der FDP hat sogar gesagt, die Linke griffen ein Kernelement liberaler Gerechtig- keitsvorstellungen auf, das die FDP gerne unter dem Motto „Leistung muss sich lohnen“ zum Ausdruck brächte. Aber zustimmen wollte Kollege Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion dann doch nicht, um keinen ge- setzgeberischen Flickenteppich zu schaffen. Da frage ich den Kollegen: Was ist denn jetzt anders an dem ins Kabi- nett eingebrachten Vorschlag? Ist der gleiche Teppich, wenn Sie ihn weben, kein Flickenteppich? Machen Sie Schluss mit dieser Herumdrückerei und nutzen Sie die Chance zur Veränderung. Streichen Sie die unsinnigen Sanktionen und erhöhen Sie die Anreize für junge Men- schen, sich etwas dazuzuverdienen. Zögern Sie nicht und stärken Sie das Selbstbewusstsein des und der einzelnen jungen Menschen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Menschenrechtsschutz im Handels- abkommen der Europäischen Union mit Kolumbien und Peru verankern – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – VI. EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel in Madrid: Den Aufbruch zur zweiten Un- abhängigkeit Lateinamerikas solidarisch unterstützen – Klimaschutz und gerechten Handel mit Lateinamerika und der Karibik voran- bringen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen – Freihandelsabkommen EU-Kolumbien stoppen (Tagesordnungspunkt 18 a bis c) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3973 (A) (C) (D)(B) Anette Hübinger (CDU/CSU): Heute debattieren wir zum zweiten Mal über Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke anlässlich des in der nächsten Woche in Madrid zum sechsten Mal stattfin- denden EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfels. Die Staats- und Regierungschefs werden zusammentreffen, um über die großen globalen Herausforderungen wie Armutsbe- kämpfung, fortschreitenden Klimawandel und den stei- genden Energiebedarf zu diskutieren und nach gemein- samen Handlungswegen zu suchen. Die nunmehr seit zehn Jahren bestehende strategische Partnerschaft zwischen diesen beiden Regionen, die ge- meinsame Werteorientierung und unser gemeinsames Verständnis von Demokratie bilden dafür eine gute Ba- sis. Sie sind auch die Grundlage für eine künftig intensiv gelebte Partnerschaft. Die geopolitische Bedeutung Lateinamerikas und der Karibik hat in den vergangenen Jahren stark zugenom- men. Sowohl politisch als auch wirtschaftlich spielen die Länder Lateinamerikas eine wachsende Rolle, was auch das Selbstbewusstsein dieser Länder gestärkt hat. Der wachsende Wohlstand ist aber für viele latein- amerikanische Staaten auch mit großen Herausforderun- gen verbunden. Insbesondere die Sicherung einer ad- äquaten Energieversorgung wird in den kommenden Jahren für diese Länder ein Schlüsselthema sein, wenn es darum geht, auch in Zukunft weiteres wirtschaftliches und soziales Wachstum zu erreichen und die Armut zu reduzieren. Daher widmet sich der diesjährige Gipfel besonders dem Themenbereich Innovation und Technologie für eine nachhaltige Entwicklung und soziale Inklusion. Denn zum einen sind Innovation und Technologie nicht nur für Europa Wachstums- und Wohlstandsvorausset- zungen, sondern ebenso für die Staaten Lateinamerikas und der Karibik, und zum anderen liegen in diesen Be- reichen die Lösungsansätze, um die Herausforderungen des Klimawandels, der Energiesicherung und der Ar- mutsbekämpfung in Einklang bringen zu können. Schon im Vorfeld des Gipfels trafen sich in der ver- gangenen Woche in Berlin führende Vertreter aus Poli- tik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Ein Grund für das Treffen war, die Weltklimakonferenz in Cancún vor- zubereiten und zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Ein weiterer war, sich über den Ausbau von erneuerba- ren Energien auszutauschen. Gerade im Bereich der er- neuerbaren Energien ist der technologische Entwick- lungsstand in Europa sehr weit fortgeschritten, und deutsche Technologien gehören zur Weltspitze. Dieses Potenzial wollen wir bei der künftigen Kooperation mit unseren lateinamerikanischen Partnern einbringen. Der Ausbau dieser Technologie bedeutet neue Arbeitsplätze und auch wachsenden Wohlstand. Voraussetzung dafür sind jedoch gewaltige finanzielle Investitionen. Deshalb müssen wir uns ebenso für Rahmenbedingungen stark machen, die diese – auch von privater Seite – ermögli- chen. Der Transfer von Technologie allein reicht aber nicht aus. Hinzukommen muss der Austausch und die Koope- ration im Wissenschaftsbereich und die Durchführung von gemeinsamen Forschungsprojekten. Die Bundesregierung unterstützt bereits diese Koope- ration, wie am deutsch-brasilianischen Wissenschafts- jahr 2010/2011 zu erkennen ist. – So viel in Kürze zum Gipfel in Madrid. Nun zu den Anträgen der Oppositionsfraktionen. Alle drei Oppositionsparteien beschäftigen sich in ihren An- trägen mit den Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Ländern Peru und Kolumbien, die in Madrid be- schlossen werden sollen. Die SPD und die Grünen wol- len den Menschenrechtsschutz in den Handelsabkom- men verankert wissen. Die Achtung der Menschenrechte ebenso wie das Rechtsstaatsprinzip sind im Vertrag auf- geführt. Darüber hinaus enthält das Freihandelsabkom- men Sanktionsmöglichkeiten bei Zuwiderhandlung. Da- mit gehen in diesem Punkt beide Anträge nach Ansicht der CDU/CSU ins Leere. Die Fraktion Die Linke lehnt die Abkommen auf- grund von Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien und Peru gänzlich ab. Aus ideologischer Sicht geben sie einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, die mit freiem Handel nichts anzufangen weiß, den Vorzug. Auch bele- gen sie in ihrem Antrag zum wiederholten Mal ihre se- lektive Sichtweise in Bezug auf Menschenrechtsverlet- zungen, die sie zum Beispiel in Kolumbien und Honduras beklagen, aber in Kuba und Venezuela nicht anprangern. Weiter werden die altbekannten Ressenti- ments der Linken gegenüber den Vereinigten Staaten im Antrag bedient. Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke begeben sich damit in eine politische Einbahnstraße, die nicht den Bedürfnissen der Men- schen, sondern einem ideologischen Konzept folgt, das den Menschen das Paradies verspricht, aber sie der Hölle ein Stück näher bringt, wie es die Geschichte lehrt. Der Antrag der Grünen enthält neben den Forderun- gen zu den Freihandelsabkommen weitere, die sich auf Klima, Umweltschutz und multilaterale Kooperation be- ziehen, die die CDU/CSU-Fraktion in weiten Bereichen ähnlich sieht. Jedoch enthält der Antrag im Bereich Energie Forderungen im Hinblick auf Atomenergie, die wir aus zwei Gründen so nicht mittragen können. Ers- tens achten wir die Souveränität der lateinamerikani- schen Staaten, auch in ihrer Energiepolitik, und zweitens sind bereits Entscheidungen auf deutscher Seite gefallen, die über die europäische Schiene nicht korrigiert werden sollen. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt die Anträge der Oppo- sitionsparteien aus den genannten Gründen ab. Ich wünsche dem Gipfel in Madrid viel Erfolg. Ich er- hoffe mir, dass der vertiefte politische Dialog in eine konkrete, breit angelegte Kooperation mündet. Michael Frieser (CDU/CSU): Die Oppositionsfrak- tionen haben zum VI. Gipfeltreffen zwischen der Euro- päischen Union und den Ländern Lateinamerikas in Madrid zwei qualitativ höchst unterschiedliche Anträge zur Beratung vorgelegt. Einige Forderungen scheinen auf den ersten Blick schlüssig, doch der zweite Blick 3974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) fördert – wie so oft – auch hier die Probleme ans Tages- licht. Der Antrag der SPD zur Verankerung des Menschen- rechtsschutzes im Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kolumbien und Peru ist ausgesprochen zurückhaltend und diplomatisch formuliert. Im Gegensatz dazu ist der Antrag der Fraktion der Linken von einem globalisierungskritischen, revolutio- nären Pathos getragen. Der Antrag zielt nicht auf eine Beförderung der Menschenrechte, sondern trägt abstruse Thesen und Behauptungen über Wirtschaftsprozesse, den Weltmarkt und die Armut vor. Die Aussagen stecken voller Widersprüche und instrumentalisieren die Angst vor einem wirtschaftlichen Strukturwandel. Den Verfas- sern geht es eindeutig um Globalisierungskritik und nicht um Menschenrechte. Der Titel ist irreführend. Seine Forderungen lehnen wir ab. Dass der Antrag der SPD-Fraktion ausgewogener scheint, ist der Tatsache geschuldet, dass die Sozialde- mokraten in ihrem Antrag weder die kolumbianische Regierung noch die peruanische Regierung für Men- schenrechtsverletzungen verantwortlich machen. Wohl- weislich geschieht dies, weil es in Kolumbien nicht die Regierung ist, die die schweren Menschenrechtsverlet- zungen zu verantworten hat. Es sind die Paramilitärs und Guerillas, wie die marxistischen Organisationen FARC und Ejército de Liberación Nacional, ELN, und Nachfol- georganisationen, wie die Autodefensas Unidas de Co- lombia, AUC, die Verbrechen wie Massaker, Vertreibun- gen, Tötungen, Vergewaltigungen und Erpressung verüben. Es sind nichtstaatliche Gruppen, die für das Klima der Angst in dem Land verantwortlich sind. Dies kann man in den Länderberichten von Human Rights Watch nachlesen. Ich lege diese Berichte den Kollegen der Opposition als Lektüre ans Herz. Unter Präsident Uribe hat Kolumbien eine insgesamt positive Entwicklung im Feld der Menschenrechte gemacht. Prä- sident Uribe steht in dem von einem jahrzehntelangen bürgerkriegsähnlichen Konflikt zerrissenen Land für ein hartes Durchgreifen gegen die kolumbianischen Guerilla- organisationen. In den Berichten über die Menschen- rechtssituation in Peru kritisiert Human Rights Watch den „überzogenen“ Umgang der Polizei mit der opposi- tionellen Vertretern der indigenen Bevölkerung sowie mit Straftatverdächtigen. In einigen Provinzen stellt Hu- man Rights Watch die Einschüchterung von Journalisten fest. So müssen die Feststellungen der Antragsteller zu- mindest gegenüber Peru als alarmistisch bezeichnet wer- den. In umfangreichen Ausführungen möchte die SPD- Fraktion, dass der Bundestag die Bundesregierung zu bi- lateralen Gesprächen mit den Regierungen in Bogotá und Lima auffordert. Auf bilateraler Ebene soll die Bun- desregierung erreichen, dass in beiden Ländern der Dia- log zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren intensiviert wird mit dem Ziel, Menschenrechte zu för- dern. Dies alles ist jedoch bereits Teil des täglichen Ge- schäfts der deutschen Botschaft in Kolumbien und somit der Bundesregierung. Der Bundestag muss die christ- lich-liberale Bundesregierung nicht vordergründig kri- tisch zu einem Handeln aufrufen, welchem die deutsche Botschaft in Bogotá regelmäßig nachgeht und welches die kolumbianische Seite zu schätzen weiß. Es lässt sich beim besten Willen aus meiner Sicht nichts wesentlich Neues im Antrag der SPD entdecken, was eine Zustimmung rechtfertigen würde. Das ist der erste Grund, weshalb wir den Antrag nicht befürworten werden. Doch diese Forderungen sind aus meiner Sicht nicht der Knackpunkt dieses Antrags. Der Knackpunkt ist die Verknüpfung von Handelspolitik und Menschenrechts- politik, welche im Übrigen in beiden Anträgen auf- taucht. Das ist eine Vorstellung von Außenpolitik, die nicht funktioniert. Es ist ein Kardinalfehler, zu denken, dass mit einer Sanktionierung von Handelskooperatio- nen eine Verbesserung der menschenrechtlichen Situa- tion innerhalb eines Landes erreicht werden könne. Wir mussten in den 1990er-Jahren schmerzlich erfahren, dass die Verkettung von Wirtschafts- und Menschenrechts- politik nicht die erwünschte politische Wirkung entfaltet. Dies zeigte ganz besonders eindrucksvoll die Praxis der gemeinsamen Politik der EU-Staaten gegenüber Staaten wie China, Russland, Iran und Irak. Bekenntnisse zur Demokratie und zur Einhaltung politischer und bürgerli- cher Rechte wurden zu reinen Lippenbekenntnissen. Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer hat in Bezug auf China und Russland dies schmerzlich lernen müssen und dann von einer Ver- knüpfung von Handelspolitik und Menschenrechtspoli- tik abgesehen. Auch die US-Administrationen haben diese Tatsache nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes erst lernen müssen und verzichten heute darauf. Populistische Reso- lutionen aus dem Repräsentantenhaus ändern an dieser Haltung der US-Administrationen nichts; das sollte auch die Opposition im Deutschen Bundestag zur Kenntnis nehmen. Eine Aussetzung oder ein Zur-Disposition-Stel- len von Handelsabkommen bewirkt das Gegenteil des Erwünschten. Der Einfluss auf die innenpolitische Situa- tion in den Staaten nimmt ab. Die Verfasser des SPD- Antrages erkennen dieses Problem, wenn sie schreiben: „Die Regierungen von Kolumbien und Peru wehren sich grundsätzlich gegen die Verknüpfung von Handels- und Menschenrechtsfragen.“ Doch sie ziehen nicht die richti- gen Konsequenzen aus ihrer Erkenntnis. In der Frage, wie Freihandelsabkommen gerade in den schwierigsten Situationen helfen können, unter- scheidet sich die Fraktion der CDU/CSU von den Vor- stellungen der Antragsteller ganz grundsätzlich. Aus unserer Sicht haben Freihandelsabkommen eine ent- wicklungspolitische Bedeutung, da sie Entwicklungslän- dern den Zugang zu den Märkten von Industrieländern öffnen, indem Zölle, nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Ein- und Ausfuhrverbote sowie Kontingente abge- schafft werden. Aus diesem Grund fördert die WTO die Abschlüsse von Freihandelsabkommen und Freihandels- zonen. Aus diesem Grunde verhandelt die EU mit Staa- ten in Afrika, in der Karibik und im Pazifik über den Ab- schluss von Freihandelsabkommen. Wenn ein Land für die Schaffung von Märkten „bestraft“ oder zumindest Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3975 (A) (C) (D)(B) vom Warenaustausch abgehalten wird, dann bedeutet dies, dass sich die Situation der einfachen Arbeitnehmer und damit der Ärmsten verschärft. Ich glaube nicht, dass dies Ziel der deutschen Außen- und Menschenrechts- politik sein kann. Kurzum: Die Forderung der Fraktionen SPD und Linke, die Bundesregierung solle innerhalb der Europäi- schen Union für ein Ende der laufenden Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kolumbien sowie Peru eintreten, unterstützen wir nicht. Wolfgang Gunkel (SPD): Wir dürfen uns nichts vormachen: In Peru und in Kolumbien, in den beiden Ländern, mit denen die Europäische Union jetzt ein Freihandelsabkommen unterzeichnen will, werden Men- schenrechte auf eklatante Weise verletzt. Menschen wer- den von ihrem Land vertrieben, weil sie den wachsenden Großplantagen oder dem Bergbau im Weg sind. Gewerk- schaftsaktivisten verschwinden für immer, und jeder weiß, sie sind nicht mehr am Leben. In Peru wird die politische Opposition unterdrückt. Wer unter Strafverdacht steht, muss Folter und Miss- handlungen befürchten. Journalistinnen und Journalisten werden bedroht und mundtot gemacht. Bei den Protesten indigener Bevölkerungsgruppen gegen die Landpolitik und Vertreibung im Juni 2009 haben mehr als 50 Men- schen ihr Leben verloren. In Kolumbien werden Verteidiger von Menschenrechten vehement eingeschüchtert, ihre Familien werden bedroht, oder sie werden kurzerhand von Paramilitärs erschossen. Dafür gibt es den perfiden Begriff „Extralegale Hinrich- tungen“. Ebenfalls in Kolumbien wurden junge Männer von Soldaten erschossen, dann in Guerillero-Uniform ge- kleidet und als gefallene Terroristen deklariert. 2 000 Fälle dieser „Falsos Positivos“ – falsche Gefallene – sind bis- lang bekannt. Mütter und Anwälte der Ermordeten sind ihres Lebens nicht sicher, wenn sie um Aufklärung der Morde kämpfen. Eine ordentliche Ermittlung und Straf- verfolgung findet nicht statt. Ich war mehrmals in Kolumbien, ich habe mir jenseits der offiziellen Besucherrouten – unterstützt von Menschen- rechtsaktivisten, dem katholischen Hilfswerk Misereor und anderen Hilfsorganisationen – die Situation vor Ort angesehen. Ich kann bestätigen, was die UN-Hochkom- missarin für Menschenrechte in ihrem Bericht zu Kolum- bien festgestellt hat. Sie kritisiert die fehlende unabhän- gige Kontrolle der dortigen Geheimdienste in deren Zusammenarbeit mit dem Militär. Sie beklagt die Gefahren für Menschenrechtsverteidiger und die außergerichtli- chen Hinrichtungen. Es gibt kein Opfergesetz für Opfer von sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Gewalt, das internationalen Grundstandards standhält. Angesichts dieser katastrophalen Menschenrechtslage muss es für die Opfer wie Hohn klingen, wenn die FDP behauptet, dass seitens der kolumbianischen Regierung glaubhaft erklärt worden sei, dass es zwar noch immer Menschenrechtsverletzungen gebe, aber das Land in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Aufarbeitung dieser Vorgänge gemacht habe. Das ist eher nicht der Fall. Genau deshalb bietet sich mit dem Handelsabkom- men im Interesse der Menschenrechte, im Interesse der Verfolgten und Opfer die Möglichkeit, auf die Regierun- gen Druck auszuüben, mit ihren Aussagen auch wirklich ernst zu machen; ernst zu machen mit der Einhaltung fundamentaler Menschenrechte und ernst zu machen mit der Aufarbeitung der Verbrechen. Denn Kolumbien hat nicht nur ein hohes wirtschaftliches Interesse an diesem Abkommen. Ein solches Abkommen mit der Europäi- schen Union würde die kolumbianische Regierung inter- national erheblich aufwerten, ihre Politik legitimieren. Das war auch einer der wesentlichen Gründe, warum die Parlamente der USA, Kanadas und Norwegens ähnliche Handelsabkommen mit Kolumbien nicht ratifiziert haben. Das sind Parlamente, die nicht unter Verdacht stehen, Handelsinteressen leichtfertig zurückzustellen. Aber mit Hinweis auf die katastrophale Menschenrechtslage in Kolumbien sind diese Parlamente bislang nicht bereit, einem solchen Abkommen zuzustimmen. Nicht zuletzt die Gewerkschaftsbewegung – allen voran die deutschen Gewerkschaften – hat eindeutig Position gegen ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien bezogen. Die Gewerkschaften fordern vor allem Sicherheit und Garantie der fundamentalen Menschenrechte ihrer Gewerk- schaftskolleginnen und -kollegen. In den letzten 15 Jah- ren sind in Kolumbien weit mehr als 2 000 Gewerk- schafter ermordet worden. Kommt das Handelsabkommen jetzt ohne klare und eindeutige Bedingungen zur Einhaltung der Menschen- rechte, ohne Ausstiegsklausel bei Nichteinhalten von Zu- sagen zustande, so ist das ein Zeichen an die Regierung in Kolumbien, dass ein „Weiter-so“ möglich ist, dass die Staaten der Europäischen Union ihr nicht ernsthaft Einhalt gebieten wollen. Und das ist ein Zeichen an die USA, an Kanada und an Norwegen, dass man für Wettbewerbs- vorteile im Welthandel anderen Prinzipien folgt. Der Ab- schluss des Freihandelsabkommens könnte Anlass für die Parlamente der USA, Kanadas und Norwegens sein, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Auch die Art und Weise, wie das Handelsabkommen zustande gekommen ist, wird dem Anspruch einer trans- parenten Politik unter Beteiligung aller Akteure aus der Zivilgesellschaft nicht gerecht. Die Verhandlungen fanden mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen statt. Eine politische Debatte über Inhalte und Ziele hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben, Verbände, Gewerkschaften und Nichtregierungs-Organisationen wurden auf beiden Seiten nicht einbezogen. Der fertige Vertragstext wurde dem Europäischen Parlament – sozusagen zum Abni- cken – am 31. März dieses Jahres auf den Tisch gelegt. Das ist nicht unser Anspruch an Politik, an eine parla- mentarische Demokratie. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich glaube Sie geben uns weitgehend recht, stimmen unse- rem Antrag aber aus vorgeschobenen Gründen nicht zu. Wenn ich Ihre Argumente in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte lese, so lese ich im Grundtenor vorsichtige Zustimmung. Sie attestieren uns „Zurückhaltung“ und „Diplomatie“. Ihre Einwände sind rein formaler Natur, wenn Sie bemängeln, dass „Men- 3976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) schenrechte als Texte in Handelsabkommen nichts zu su- chen hätten“ und man die Situation in Kolumbien und Peru „nicht in einen Topf werfen“ dürfe. Ich denke, diese Einwände sind nicht schwerwiegend genug, um die große Chance verstreichen zu lassen, im Zuge der Ver- handlungen mit Peru und Kolumbien dort die Garantie grundlegender Menschenrechte voranzubringen. Wir ha- ben dabei die Unterstützung der Parlamente der USA, Kanadas und Norwegens. Mit unserem Antrag kann der Deutsche Bundestag in diesem Sinne ein deutliches Zei- chen setzen und gleichzeitig die Parlamentarier im Euro- päischen Parlament ermutigen, dem Freihandelsvertrag nicht zuzustimmen. Denn wir sind nicht der Meinung der FDP, die in un- ternehmerischen Tätigkeiten eine Chance sieht, um auf eine Verbesserung der Menschenrechtsstandards hinzu- wirken. So jedenfalls begründen die Liberalen die Ableh- nung unseres Antrags. Der Markt kann nicht alles regeln, und die Durchsetzung von Menschenrechten kann ganz bestimmt nicht auf dem freien Markt verhandelt werden. Ohnehin laufen wir Gefahr, unsere Glaubwürdigkeit im grundlegenden Bekenntnis für die Einhaltung universeller Menschenrechte zu verlieren, wenn wir unsere Außenbe- ziehung in erster Linie von Wirtschaftsinteressen leiten lassen. Wir können nicht bei Menschenrechtsverletzungen in dem einen Land wegsehen und uns einreden, durch Handel dort Wandel herbeizuführen, und gleichzeitig Menschenrechtsverletzungen in dem anderen Land an- klagen, das uns politisch missliebig ist. Menschenrechte sind unteilbar und universell gültig. Sie sind nicht verhan- delbar. An diesem Leitmotiv müssen wir unsere Politik messen lassen. Harald Leibrecht (FDP): Es liegen heute Abend vier Anträge vor. Zwei davon haben wir bereits vergan- gene Sitzungswoche debattiert. Meine Kollegin Marina Schuster hat zu dem Antrag der Linken zum Thema EU- Lateinamerika-Gipfel und dem Antrag der Grünen zum Klimaschutz und Handel mit Lateinamerika die wich- tigsten Aspekte aus liberaler Sicht bereits genannt hat. Daher möchte ich hier nur noch auf die zwei anderen Anträge eingehen. Einen Satz kann ich mir zum Antrag der Linken nicht verkneifen: Obwohl ich einiges von Ihren Initiativen mittlerweile gewohnt bin, habe ich mich bei Ihrem An- trag zum EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel wirklich er- schrocken; darüber, wie undifferenziert Sie über die Lage der Menschen in Venezuela und Kuba sprechen und sie als Musterstaaten darstellen. Ich frage mich, wie Sie die Probleme der Misswirtschaft von Hugo Chávez, die politischen Gefangenen und vielfachen Menschen- rechtsverletzungen einfach beiseiteschieben können. Sie sprechen immer von Solidarität und Gerechtigkeit – doch diese Werte scheinen Sie nicht allen Menschen gleichermaßen zugestehen zu wollen. Wenn es Staaten wie Kuba, Venezuela oder China sind, die Menschen- rechtsverbrechen begehen, dann legen Sie zweierlei Maß an. Dieser politische Doppelstandard diese Doppelmoral ist unerträglich und widerspricht der Universalität der Menschenrechte. Nun zum Antrag der SPD zum Thema Menschen- rechtsschutz in Handelsabkommen der EU mit Kolum- bien und Peru. Es ist natürlich wichtig, kritische Men- schenrechtsfragen zu thematisieren. Dies geschieht sowohl für Kolumbien als auch für Peru vonseiten der Bundesregierung und der EU. Bereits in den Verhand- lungen für das Abkommen zwischen der EU und Kolum- bien bzw. Peru hat sich die Bundesregierung dafür ein- gesetzt, dass es Menschenrechtsverpflichtungen enthält. Auch im Abkommen selbst wurde Wert darauf gelegt, dass der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den geltenden Rechtsstaatsprinzipien Rechnung ge- tragen wird: In der Präambel und in Art. I ist jeweils ein ausdrücklicher Hinweis auf die Bedeutung der Men- schenrechte enthalten. Nur muss auf der anderen Seite ebenso bedacht werden, dass es in einem Handelsab- kommen vorwiegend um die Regelung der gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen geht und dass diese Bezie- hungen von gleichberechtigten Partnern ausgehandelt werden. Sie sprechen in Ihren Anträgen unisono von dem gewachsenen Selbstbewusstsein der Staaten Latein- amerikas und der Karibik. Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es für die jeweiligen Länder wichtig ist, selbstbestimmt über ihre Außenhandelspolitik zu ent- scheiden. Deshalb ist es aber an uns Europäern, zu ak- zeptieren, dass es auf der anderen Seite auch diesen Staaten obliegt, ihre Verträge und Abkommen selbst- ständig abzuschließen. Für uns Europäer bietet das Freihandelsabkommen auf der einen Seite die Gelegenheit, wichtige Gesprächs- kanäle offenzuhalten, über die wir gegenüber Regierun- gen auch Menschenrechtsanliegen kommunizieren kön- nen. Dies muss selbstverständlich entsprechend genutzt werden, um die zu Recht kritisierte Menschenrechtslage in Kolumbien und Peru zu verbessern. Eine Nichtunter- zeichnung des Freihandelsabkommens wäre auf der an- deren Seite nicht in unserem Sinne; denn dies würde in erster Linie den Wirtschaftssektor treffen und nicht die politische Führung des Landes. Bezüglich der Menschenrechtslage in Kolumbien, die im Antrag der Linken thematisiert wird, muss ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, korri- gieren. Die Bundesregierung hat sich mit Nachdruck in den Verhandlungen für das Abkommen zwischen der EU und Kolumbien dafür eingesetzt, dass es Menschen- rechtsverpflichtungen enthält. Die EU bringt im politi- schen Dialog sowie im kürzlich eingerichteten bilatera- len Menschenrechtsdialog mit den kolumbianischen Behörden regelmäßig ihre Menschenrechtsanliegen zum Ausdruck, und auch die EU-Kommission hat in diesem Zusammenhang die kolumbianische Regierung auf ver- mehrte Anstrengungen gedrängt, um beispielsweise Ge- werkschafter und Angehörige von Opferverbänden zu schützen. Betrüblich finde ich auch, dass in jedem außenpoliti- schen Antrag Antiamerikanismus mitschwingt. Da frage ich mich tatsächlich, ob Sie überhaupt in der Lage sind, ausgewogene Entscheidungen zu treffen, oder ob Sie nicht vielmehr Informationen und Erkenntnisse ignorie- ren, um Ihrem ideologischen Kompass zu folgen. Das Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3977 (A) (C) (D)(B) bringt uns in Deutschland als Teil der internationalen Gemeinschaft nicht weiter. Lassen Sie mich noch einige Worte zur Lateiname- rika-Politik sagen. Zu lange ist das Potenzial einer Zu- sammenarbeit der EU mit Lateinamerika vernachlässigt worden. Ich freue mich, dass unter dieser Bundesregie- rung das stiefmütterliche Dasein Lateinamerikas in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik beendet wird. Mit dem neuen Lateinamerika-Konzept, das der- zeit ressortübergreifend ausgearbeitet wird, unterstreicht die Bundesregierung zudem die neue Kohärenz der deut- schen Außen- und Entwicklungspolitik. Der Abschluss der Handelsabkommen ist gerade auch für unsere latein- amerikanischen Partner wichtig. Natürlich müssen Deutschland und die EU dabei ihren Beitrag leisten und Handelspolitik auch im entwicklungspolitischen Sinne sinnvoll gestalten. Dazu gehören selbstverständlich auch die Reduktion von Zollhemmnissen und der Abbau von Agrarsubventionen. Natürlich ist dies kein einfaches Unterfangen. Die la- teinamerikanischen Staaten sind, politisch und wirt- schaftlich gesehen, sehr divers und stehen vor den unter- schiedlichsten Herausforderungen: Armutsbekämpfung, soziale Ungleichheit, der Kampf gegen Kriminalität und Drogen, Klimaschutz und, und, und. Hier müssen wir mit dem Instrument der Entwicklungszusammenarbeit mehr Möglichkeiten für nachhaltige Entwicklung schaf- fen. Jedes der lateinamerikanischen Länder muss eigen- ständige Managementprozesse entwickeln, um diese He- rausforderungen zu bewältigen – und Deutschland und die EU können und müssen dabei wichtige Partner sein. Auch gerade weil die lateinamerikanischen Staaten zwar den Willen, aber noch nicht den Weg zu einer funktio- nierenden regionalen Integration gefunden haben, kann die EU hier einen wichtigen Beitrag leisten. Heike Hänsel (DIE LINKE): Der EU-Lateiname- rika-Gipfel, der übernächste Woche in Madrid stattfin- den wird, steht unter keinem guten Stern. Die Europäi- sche Union hat es mit ihrer Arroganz der Macht geschafft, fast die gesamte lateinamerikanische Staaten- gemeinschaft gegen sich aufzubringen. Jetzt droht der Gipfel zu platzen, weil die spanische EU-Ratspräsident- schaft trotz Protest der lateinamerikanischen Regierun- gen den illegitimen honduranischen Präsidenten Porfirio Lobo nach Madrid eingeladen hat. Als in Honduras der demokratisch gewählte Präsident Manuel Zelaya aus dem Amt geputscht wurde, haben sich die lateinamerikanischen Regierungen hinter ihn und gegen den Putsch gestellt. Bis heute weigern sie sich zu Recht, den unter den Bedingungen des Putschregimes aus höchst umstrittenen Wahlen hervorgegangenen Prä- sidenten Lobo anzuerkennen. Vor diesem Hintergrund stellt die Zusammenarbeit der EU mit Honduras einen skandalösen Vorgang dar und zeigt: Die EU stellt ganz offen ihre Wirtschaftsinte- ressen über die Achtung von Demokratie und Menschen- rechten. Deshalb frage ich die Bundesregierung, wie sie sich dazu verhält. Unterstützt sie die Einladung an Lobo nach Madrid? Trägt sie die Assoziierungsverhandlungen unter Einschluss von Honduras mit? Angesichts des Um- standes, dass die zuständigen Bundesministerien mittler- weile von der FDP geleitet werden, die damals den Putsch in Honduras offen unterstützt hat, ist anzuneh- men, dass die Bundesregierung diesen Kurs der EU nicht nur mit trägt, sondern aktiv befördert hat. Die Fraktion Die Linke fordert: Keine Einladung für Lobo! Der für Madrid geplante Abschluss des Assoziie- rungsabkommens der EU mit Zentralamerika muss gestoppt werden. Dasselbe gilt für das Freihandelsabkommen, das die EU in Madrid mit Kolumbien und Peru abschließen will. Der jüngste Skandal um die Aktivitäten des kolumbiani- schen Geheimdienstes DAS, der in Brüssel Menschen- rechtsorganisationen und kritische Europaabgeordnete ausspioniert hat, wirft ein grelles Schlaglicht auf die Situation in Kolumbien. Menschenrechtsverteidiger, Friedensaktivisten und Gewerkschafter sind dort ständi- gen Bedrohungen ausgesetzt, politische Morde und Ver- treibungen immer noch an der Tagesordnung. Von der Bundesregierung, die sich die Wertorientierung auf die Fahnen ihrer Außen- und Entwicklungspolitik geschrie- ben hat, ist hierzu keine kritische Stellungnahme zu vernehmen. Auch hier zeigt sich: Die wirtschaftlichen Interessen gehen vor. Die Linke solidarisiert sich mit den sozialen Bewe- gungen, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen in Honduras, Kolumbien und Peru, die für ihre Rechte kämpfen und die von der EU fordern: Keine Freihan- delsabkommen mit Kolumbien und Peru! Keine politi- sche Unterstützung für den kolumbianischen Präsidenten Uribe! Für ein Ende der US-militärischen Präsenz auf den Niederländischen Antillen, die eine direkte Bedro- hung für Venezuela darstellen! Wir fordern das EU-Mit- gliedsland Niederlande auf, diese Unterstützung einzu- stellen. Der UNASUR-Gipfel gestern, auf dem mehrere süda- merikanische Staaten gedroht hatten, den EU-Latein- amerika-Gipfel in Madrid zu boykottieren, zeigt: Die lateinamerikanischen Staaten sind nicht mehr bereit, die Politik der Europäischen Union einfach so hinzuneh- men. Sie haben mittlerweile starke Strukturen für eine eigenständige regionale Integration gebildet. Teile und herrsche – diese Zeiten sind für die Europäische Union in Lateinamerika vorbei. Die regionale Integration, die sich auf der Grundlage dieser neuen Solidarität in Lateinamerika vollzieht, hat den Menschen viel gebracht: den komplementären Aus- tausch von Gütern und Dienstleistungen statt Freihandel und Verdrängungswettbewerb, die solidarische Bereit- stellung von gegenseitiger Hilfe statt neoliberale Ent- wicklungskonzepte aus dem Norden, eine eigenständige Stimme auf dem internationalen Parkett statt Gängelung. Das betrifft auch die Klimapolitik. So kamen Ende April mehr als 30 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Klimagipfel der Völker nach Bolivien. In der Abschluss- erklärung wurde das kapitalistische System für den Kli- mawandel verantwortlich gemacht, das die Menschen zu reinen Konsumenten und Arbeitskräften mache und die Natur zerstöre. Gefordert wird deshalb ein weltweites 3978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Referendum über das derzeit herrschende Weltwirt- schaftssystem und ein Klimagerichtshof für klimaschäd- liches Verhalten von Staaten. Dies sind zukunftswei- sende Projekte. Ein Wort zum Antrag der Grünen. Wem zu Kuba nichts anderes einfällt, als die arrogante unilaterale Poli- tik des sogenannten gemeinsamen Standpunkts der EU zu wiederholen, die ja sogar innerhalb der EU nur noch von Hardlinern wie der Bundesregierung verteidigt wird, hat nicht allzu viel vom sozialen Aufbruch in Lateiname- rika verstanden. Da kann ich nur sagen: In Lateiname- rika wird diese Haltung auf wenig Verständnis stoßen, dort tritt Kuba als einer der wichtigsten Akteure der regionalen Integration und als bedeutender Geber im Ge- sundheits- und Bildungssektor auf. Die Linke fordert Anerkennung für diese solidarische Leistung der Kuba- nerinnen und Kubaner. In einer gleichberechtigten Zusammenarbeit mit Kuba steckt viel Potenzial für die Entwicklung in ganz Lateinamerika – das hat sich nach dem Erdbeben in Haiti gezeigt, wo viele internationale Helfer auf die langjährigen kubanischen Strukturen vor Ort zurückgreifen konnten. Nach mehr als 500 Jahren kapitalistischer Ausbeu- tung und 200 Jahre nach dem Beginn der politischen Unabhängigkeit brechen die Menschen in Lateinamerika auf zu einer „zweiten Unabhängigkeit“, die ihnen end- lich auch die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eigenständigkeit bringen soll. Die Linke formuliert in ihrem Antrag eine solidarische Haltung zu diesem Auf- bruch. Für den 11. Mai haben wir Vertreterinnen und Vertreter linker Regierungen und sozialer Bewegungen zu einer öffentlichen Anhörung in den Bundestag einge- laden, und wir starten ein Solidaritätsschiff auf der Spree. Ich lade Sie alle sehr herzlich dazu ein. Sie kön- nen viel von Lateinamerika lernen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Lateinamerika-Gipfel übernächste Woche in Madrid bietet die Chance für einen Neuanfang der Be- ziehungen zu den Ländern Südamerikas, einem Konti- nent im Wandel, eine gute Gelegenheit, den Dialog über Klimaschutz, Armutsbekämpfung, Menschenrechte und Demokratie zu intensivieren und die Ergebnisse der Dis- kussion in die Verhandlungen einfließen zu lassen. Wichtig ist, dass der Dialog nicht hochnäsig und be- lehrend geführt wird, sondern mit Respekt gegenüber den Gesprächspartnern und auf gleicher Augenhöhe. Zu Recht fordern dies Botschafter oder andere Gesprächs- partner aus Lateinamerika immer wieder ein, wie zuletzt in der Fachkonferenz der Grünen gestern Nachmittag hier im Bundestag oder bei meinem Treffen mit Abge- ordneten in Nicaragua Mitte April oder in Kolumbien im vergangenen Jahr. Zutreffend sind ihre Hinweise auf ei- gene Leistungen, die sich sehen lassen können. Nicht wenige Völker des Kontinents haben sich von Militärmachthabern und Diktaturen befreit. Einige ha- ben in einem mühsamen Diskussionsprozess Verfassun- gen erarbeitet, die in vielen Punkten vorbildlich sind wie etwa die Sicherung der Rechte der indigenen Völker und der kulturellen Diversität der Gesellschaft in Ecuador oder Bolivien. Jetzt geht es um die Fortentwicklung und den Ausbau demokratischer Strukturen und die Intensi- vierung der wirtschaftlichen und politischen Zusammen- arbeit der Länder hin zu Gemeinschaften in Mittelame- rika, dem Andenraum oder ganz Südamerika. In diesem Dialog sind häufig unsere europäischen Erfahrungen bei der Entwicklung von der Europäischen Wirtschafts- gemeinschaft zur Europäischen Union gefragt. Armuts- bekämpfung geschieht nicht nur durch Notprogramme. Das kann wichtig sein nach Naturkatastrophen wie Erd- beben in Haiti oder Verwüstungen durch Wirbelstürme wie „Mitch“. Gerade habe ich in Posoltega in Nicaragua ein erfolgreiches Projekt besucht, bei dem 1 000 Men- schen ein Dach über dem Kopf und Staatsland zur Ei- genversorgung mit deutscher Hilfe verschafft wurden. Viel wichtiger sind faire und gerechte Handelsbezie- hungen. Mit absolutem Freihandel, wie dies der große Bruder USA und europäische Länder immer wieder ver- langen und zum Teil auch durchgesetzt hatten, haben die Völker schlechte Erfahrungen gemacht. Vor allem in der Landwirtschaft wurden eigene Ökonomien zur Selbst- versorgung und bescheidenen Export zu Tode konkur- riert. So lohnte sich der Anbau von Mais im Urland des Mais Mexiko bald nicht mehr. Subventionierte Agrar- produkte machen noch heute die lokalen Märkte kaputt, wie jetzt noch 5 000 Tonnen Milchpulver aus Europa. Den Bauern bei uns mag es gefallen, aber die Bauern in Lateinamerika müssen eigene Produktion mangels Ren- tabilität aufgeben. Anbau von Genprodukten, Palmöl und Biosprit ruinieren die Landwirtschaft zur Selbstver- sorgung und die biologische Vielfalt. Freihandelsabkommen mit einzelnen Ländern wie jetzt mit Kolumbien und Peru sind nicht der richtige Weg. Regionale Abkommen sind die sinnvolle Alterna- tive zur umfassenden WTO-Liberalisierungsagenda. Da- mit ist eine sanfte Heranführung an den Weltmarkt mög- lich. Nicht nur ökologische Landwirtschaft braucht vor allem in der Anfangszeit häufig gezielte Förderung und Schutz. Dies gilt für die Landwirtschaft insgesamt. Am ökologischen Anbau und fairen Handel haben wir als Verbraucher und die Produzenten in den Ländern Latein- amerikas ein gemeinsames Interesse. Dies muss in den Handelsabkommen zu finden sein. Die EU verlangt dagegen eine weitgehende Öffnung des Dienstleistungsmarktes, aber auch Regelungen zum staatlichen Schutz von Investitionen, die rechtliche Gleich- behandlung ausländischer Investoren und die Durchset- zung von Patenten. In diesen Forderungen spiegeln sich weitgehend die Wünsche der europäischen multinationa- len Konzerne wider. Die Landwirtschaft spielt bei den EU-Forderungen nur eine untergeordnete Rolle. Die EU-Kommission sieht hier bei Milchprodukten gute Chancen für europäische Exporteure. Dabei ist keine Rede vom Abbau oder der Streichung der Agrarsubventionen. Das ist kein fairer Handel. Stattdessen fordern wir mit vielen lateinamerikani- schen NGOs und Verbänden unter anderem einen deutli- chen Schuldenerlass sowie eine echte Garantie für die Rechte und Förderung von kleinbäuerlichen Betrieben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3979 (A) (C) (D)(B) Die Menschenrechte sind kein Luxusgut nur für reiche Länder. Gerade in meinen Gesprächen mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen in Nicaragua und Kolumbien wurde dies immer wieder betont. Ohne Men- schenrechte gibt es keine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Meinungs- und Pressefreiheit, die Mög- lichkeit, sich frei und ungehindert in Gewerkschaften und politischen Parteien zu organisieren, sind genauso wichtig wie die persönliche Sicherheit für Leib und Le- ben, persönliches Hab und Gut. In El Salvador und Guatemala sind tägliche Überfälle, Morde, Straflosigkeit der Täter und das Fehlen öffentlicher Sicherheit das Haupthindernis für die wirtschaftliche und gesellschaft- liche Entwicklung der Länder. Deshalb verlangen wir in unserem heutigen Antrag eine verbindliche Menschenrechtsklausel in Abkommen für die Verhandlungen auf dem EU-Lateinamerika-Kari- bik-Gipfel. Völlig unverständlich ist, wieso dieser An- trag gestern im Ausschuss für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung abgelehnt wurde. Ohne eine solche Klausel sind die Beteuerungen der Bedeutung der Menschenrechte nicht glaubwürdig. Zu einem partner- schaftlichen Verhältnis gehört der Einsatz für die Einhal- tung der Menschenrechte. Bedrohte Menschenrechtsak- tivisten wie in Kolumbien, die vom Geheimdienst des Präsidenten überwacht und beobachtet wurden, müssen auf unsere Unterstützung bauen können. Thema auf dem Gipfel sollten durchaus auch Meldungen sein, dass die- ser Geheimdienst, DAS, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf sowie Abgeordnete des Men- schenrechtsauschusses des EU-Parlaments ausspioniert haben soll und gegen sie gearbeitet hat. Der kolumbiani- schen Wochenzeitung La Semana zufolge unterhielt oder unterhält der kolumbianische Geheimdienst in Brüssel eine Dependance, um Informationen über Abgeordnete zu sammeln, die sich kritisch zur Politik in Kolumbien äußern, um sie gezielt zu denunzieren. Wenn das stimmt, ist das ein Skandal und widerspricht der kolumbiani- schen Selbsteinschätzung, wonach sich die Verhältnisse im Lande rechtsstaatlich entwickelt haben sollen. Klimaschutz kann nur erfolgreich sein, wenn er welt- weit unterstützt wird. Dazu ist ein völkerrechtlich ver- bindliches Kioto-Nachfolgeabkommen erforderlich. Wenn Wälder in Lateinamerika zur Lunge der Welt gehören, müssen wir auch gemeinsam dafür sorgen, dass sie wei- terlebt und atmet. Die Kosten müssen wir gemeinsam tra- gen, etwa durch Einrichtung eines Green Fund. Der Lateinamerika-Gipfel ist der richtige Ort, um diese und weitere Klimaschutzanstrengungen, wie etwa die Emissionen um 15 bis 30 Prozent zu vermindern, auf die Tagesordnung zu setzen, ebenso wie die Forderun- gen des alternativen Umweltgipfels vom 20. April 2010 in Cochabamba aufzunehmen. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, wenigstens einen Teil des in Kopenha- gen Versäumten nachzuholen. Der Gipfel in Madrid kann erfolgreich sein, wenn er zusammen mit Wirtschafts- und Handelsfragen Armuts- bekämpfung, Klima, Menschenrechte und Demokratie zum Thema macht und in allen Bereichen zu substanziel- len und nachhaltigen Vereinbarungen kommt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen (Zu- satztagesordnungspunkt 5) Clemens Binninger (CDU/CSU): Die aktive Be- schäftigung mit unserer Geschichte und der Verantwor- tung, die uns daraus erwächst, ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns stellen müssen und der wir uns auch stellen. Die Bundesregierung unterstützt diese wichtige Aufgabe auf vielfältige Weise. Bekannte Einrichtungen, die der Bund fördert, sind das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Haus der Geschichte in Bonn, das Zeitge- schichtliche Forum in Leipzig, die Topographie des Ter- rors und das jüngst ins Leben gerufene Zentrum gegen Vertreibungen. Die wichtigste Einrichtung ist jedoch das Bundesarchiv in Koblenz, das auch die historischen Ak- ten des Bundesnachrichtendienstes verwaltet. Arbeitsgrundlage des Bundesarchivs ist das Bundes- archivgesetz. Darin ist ganz klar und völlig eindeutig ge- regelt, dass die Verfassungsorgane und Behörden des Bundes alle Unterlagen, die sie zur Erfüllung ihrer öf- fentlichen Aufgaben einschließlich der Wahrung der Si- cherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ih- rer Länder nicht mehr benötigen, dem Bundesarchiv oder dem jeweils zuständigen Landesarchiv zu überge- ben haben. Als Bundesoberbehörde unterliegt selbstver- ständlich auch der Bundesnachrichtendienst den Bestim- mungen des Bundesarchivgesetzes. Das heißt ganz konkret, dass diejenigen Unterlagen, die der Bundes- nachrichtendienst zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr benötigt, dem Bundesarchiv in Koblenz als Ar- chivgut übergeben werden. Dieser Verpflichtung kommt der Bundesnachrichtendienst nach. Er hat bisher rund 2 000 Akten, 300 Mikrofilme, 74 000 Fotos und 129 000 Negative abgegeben. Diese beeindruckenden Zahlen, meine Damen und Herren von der Linken, machen deutlich, dass das Bun- desarchiv in Koblenz die selbstverständliche Endstation aller regierungsbehördlichen Akten ist, selbstverständ- lich auch der Akten des Bundesnachrichtendienstes. Die Zahlen belegen außerdem – und um diese Frage geht es heute –, dass der Bundesnachrichtendienst sich keines- wegs der Aufarbeitung seiner Geschichte widersetzt, sondern sich aktiv darum bemüht. Archivgut aus dem Bundesnachrichtendienst erfährt im Bundesarchiv keine Sonderbehandlung, sondern wird wie alle anderen regie- rungsbehördlichen Akten archiviert. Das bedeutet, die Unterlagen sind Journalistinnen und Journalisten ge- nauso wie Historikerinnen und Historikern in der Regel nach Ablauf der allgemeinen gesetzlichen Schutzfristen zugänglich. Naturgemäß unterliegen bestimmte Unterlagen staat- licher Behörden strengen Geheimschutzbestimmungen. Einzelne Akten des Bundesnachrichtendienstes können beispielsweise nicht veröffentlicht werden, weil sie von befreundeten Nachrichtendiensten stammen, die eine Veröffentlichung ablehnen. In anderen Fällen ist eine 3980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Veröffentlichung nicht möglich, weil sie den Schutz von Informanten oder anderen Personen gefährden würde. Solche Akten durch Sperrerklärungen zu schützen ist sinnvoll, und ich sehe keinen vernünftigen Grund, an dieser Praxis irgendetwas zu ändern. Ich sehe dagegen die reale Gefahr, dass Informanten und befreundete Dienste uns zukünftig weit weniger Informationen zur Verfügung stellen würden, wenn wir diese Praxis ändern sollten. In Ihrem Antrag nehmen Sie konkret auf die Akten des Bundesnachrichtendienstes zum Fall Adolf Eichmann Bezug. Nachdem eine Journalistin Informa- tionen zu Adolf Eichmann im weitesten Sinne angefragt hatte, verweigerte das Bundeskanzleramt dem Bundes- nachrichtendienst die Freigabe der betreffenden Akten. Wesentliche Gründe für die Sperrerklärung waren Nach- teile für das Wohl des Bundes durch die Beeinträchti- gung auswärtiger Beziehungen, die durch die Offen- legung entstehen würden, sowie der Schutz von Infor- manten. Dagegen hatte die Journalistin geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss, der am 30. April 2010 bekannt gegeben wurde, die vorgetra- genen Geheimhaltungsgründe nicht als solche infrage gestellt, aber eine stärkere konkrete Zuordnung zu den jeweiligen Aktenbeständen gefordert. Grundsätzlich hat das Gericht den Aspekt der fortdauernden Schutzwür- digkeit bestimmter personenbezogener Daten, etwa in Bezug auf Informanten, aber anerkannt. Die öffentliche Darstellung nachrichtendienstlichen Handelns findet naturgemäß im Spannungsfeld zwischen notwendigem Geheimschutz und wünschenswerter Transparenz statt. Diese Feststellung gilt selbstverständ- lich auch für die historische Darstellung. Dass der Bun- desnachrichtendienst hier nicht mauert, sondern dort, wo es möglich ist, die Öffentlichkeit über sein Handeln in- formiert, hat er in der jüngsten Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt. Zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls im vergangenen Jahr hat der Bundes- nachrichtendienst dem Bundesarchiv beispielsweise durch eine Schutzfristverkürzung ermöglicht, Erkennt- nisse aus den Wendejahren schon heute der Öffentlich- keit zugänglich zu machen. Konsequent wurden auch Akten zur Tätigkeit ehemaliger Angehöriger des Reichs- sicherheitshauptamts, der Gestapo, des Sicherheitsdiens- tes und der Geheimen Feldpolizei für den Bundesnach- richtendienst zugänglich gemacht. Sie liegen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Auf- klärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigs- burg vor, die eng mit dem Bundesarchiv zusammenar- beitet. Dies zeigt, dass keine Rede davon sein kann, der Bundesnachrichtendienst oder das Bundeskanzleramt behinderten die historische Forschung oder die Aufar- beitung der Vergangenheit. Genau das Gegenteil ist der Fall: Zur Aufarbeitung seiner Geschichte verfügt der Bundesnachrichtendienst alleine in diesem Jahr über fi- nanzielle Mittel in Höhe von rund 500 000 Euro. Spekulationen, wie sie die Linke jetzt mit ihrem An- trag betreibt, der Bundesnachrichtendienst habe die Er- greifung nationalsozialistischer Verbrecher vereitelt, schaden dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und entbehren überdies jeglicher Grundlage. Der Deut- sche Bundestag hat mit dem Parlamentarischen Kon- trollgremium eine Einrichtung, in der Vertreter aller Fraktionen, auch der Linken, über die Arbeit der Nach- richtendienste informiert werden. Sollte es vonseiten der Linken Informationsbedarf geben, schlage ich vor, dies im Parlamentarischen Kontrollgremium auf die Tages- ordnung zu setzen, anstatt in wilde Spekulationen zu verfallen. Der Antrag der Linken ist daher abzulehnen. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Licht ins Dunkel der Vergangenheit unseres Auslandsnachrichten- dienstes zu bringen, muss ein gemeinsames Bemühen der Regierung wie des gesamten Parlaments sein. Denn nur dann, wenn auch endlich bei den Sicherheitsbehör- den offen darüber berichtet und geredet werden kann, wie insbesondere in der Gründungszeit während der Adenauer-Ära Altnazis wieder Platz gefunden haben, werden wir Lehren für die Zukunft ziehen können. Wer die unschöne Anfangsgeschichte vertuschen will, der verhindert Vertrauen, schürt Misstrauen und Zweifel, gibt Raum für Spekulationen und Unterstellungen. Wer sie aber aufarbeitet, der schafft Vertrauen und ist sicher- lich alles andere als ein Nestbeschmutzer. Vorbildlich und mutig hat BKA-Präsident Ziercke be- reits die hässlichen Seiten der Geschichte seiner Behörde wissenschaftlich analysieren lassen. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, treibt seiner- seits die Aufarbeitung der Geschichte des BND voran. So ist es auch sein Verdienst, dass das Bundeskanzleramt 500 000 Euro in 2010 dafür bereitgestellt hat. Im März dieses Jahres wurden erstmals geheime Akten zum Thema freigegeben. Wer also seriös nach Transparenz fragt, muss auch dies in Rechnung stellen und darf nicht in boshafter Weise Verweigerung unterstellen. Übrigens: Zur ganzen Wahrheit gehört die Erinnerung daran, dass nicht nur westliche Dienste – vielleicht da und dort unvermeidlicherweise – auf ehemalige Nach- richtenoffiziere des Hitlerreiches zurückgriffen, sondern auch der KGB war munter unterwegs, um sie anzuwerben. Nun ist das mit geheimen Nachrichtendiensten aber so eine Sache. Sie agieren nämlich naturgemäß geheim, wie vielleicht manchen entgeht, die gerne – stets verbun- den mit dunklen Andeutungen und üblen Unterstellun- gen – völlige Offenheit und Transparenz dort fordern. Sie werden kaum ein Land auf der Erde finden, das seine Nachrichtendienste so umfassend und tiefgehend parlamentarisch kontrollieren lässt. Damit fahren wir gut. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte sind wir ja auch gebrannte Kinder, die verhindern wollen, dass „Schlapphüte“ ein Eigendasein führen. Mit dem Parla- mentarischen Kontrollgremium, dessen Rechte wir in der vergangenen Wahlperiode auf Initiative der damaligen Regierungsfraktionen erheblich ausgebaut haben, verfügen wir zum Beispiel über ein gutes, wenn auch nicht perfek- tes Instrument, um dies zu verhindern. Das Verfassungsgericht hat außerdem die Rechte des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr weiter ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3981 (A) (C) (D)(B) stärkt. Das gehört genauso zur Wahrheit wie die ständig nötige Mahnung, doch mehr Transparenz walten zu lassen. Wahr ist und bleibt aber auch: Nicht alles kann einfach so in die Öffentlichkeit gezerrt werden, wenn wir unsere Sicherheitsinteressen, die Funktionsfähigkeit unserer Dienste, die im Auftrag unseres freiheitlichen Rechts- staates ihre Pflicht tun, sowie den Austausch mit ihren Partnern nicht gefährden wollen. In diesem Spannungs- feld bewegt sich in Wahrheit die Auseinandersetzung mit der Geschichte wie der Gegenwart des BND. Anstatt also billig ideologische Feindbilder zu pflegen, dürfen wir unserem Auslands- wie unserem Inlandsge- heimdienst gelegentlich auch einmal Danke sagen für ihre Pflichterfüllung für unser Land, zum Beispiel beim Schutz unserer Soldaten im Ausland und bei der Abwehr von Angriffen islamistischer oder anderer Terroristen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Linken grei- fen nach dem jüngst erfolgten Urteil des Bundesverwal- tungsgerichtes über die BND-Akten zum Eichmann-Pro- zess ein Thema auf, das die FDP-Fraktion bereits in der letzten Wahlperiode des Bundestages aufgegriffen hat: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den Nach- richtendiensten. Wir haben dazu eine Kleine Anfrage ge- stellt, die die damalige Bundesregierung im Dezember 2007 beantwortet hat. Die FDP steht nach wie vor dazu: Die Aufarbeitung der Vergangenheit insbesondere per- soneller Kontinuität von Geheimdiensten unter dem natio- nalsozialistischen Regime und dem frühen BND bleibt ein wichtiges Anliegen. Diese Aufarbeitung ist grundsätzlich wichtig und richtig. Allerdings gehen die Vorstellungen der Linken doch zu weit. Schon die Begrifflichkeit der Linken stimmt bedenklich, denn die Formulierung „deutscher Faschismus“, mit der die Linke den DDR-Brauch fort- setzt, die historisch richtige Bezeichnung „Nationalso- zialismus“ zu vermeiden, schafft eine irreführende Nähe zum italienischen Faschismus, der zu einem verharmlo- send-relativierenden Verständnis der NS-Zeit führen könnte. Zugleich leugnet er den sozialistisch-revolutio- nären Anspruch des NS-Regimes, der konstituierend für sein Profil und seinen Erfolg bei den breiten Massen in Deutschland war und den die jüngere Forschung heraus- gearbeitet hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Akten des Falles Eichmann durch den BND nicht komplett gesperrt werden dürfen. „Nicht komplett sper- ren“ heißt aber auch: nicht komplett freigeben. Hier muss aus Gründen des Staatswohls und im Interesse der Funktionsfähigkeit des Dienstes sicherlich genau im Einzelfall geprüft werden, was für die Öffentlichkeit freigegeben werden kann. Allerdings haben auch wir Liberalen uns gegen die re- striktive Aktenvorlagepraxis auch des BND positioniert. Keine komplette Freigabe heißt jedoch nicht, dass wir et- was verschleiern oder vertuschen wollen. Aufarbeitung ist wichtig und mit dem gegebenen historischen Abstand auch in vielen Fällen im Hinblick auf den Persönlich- keitsschutz Betroffener problemlos geworden. Aber man- che Frage dieser historischen Aufdeckung kann und sollte auch, wenn Akten im Einzelfall aus nachvollziehbaren Gründen nicht freigegeben werden können, über das für die Dienste zuständige Gremium des Bundestages, das PKGr, erfolgen. Zusätzliche finanzielle Mittel sind hierzu nicht erforderlich. Die historischen Lehrstühle der Uni- versitäten und andere Forschungseinrichtungen werden, wenn mehr Aktenmaterial zugänglich wird, diese Mög- lichkeit auch ohne die von den Linken beantragten Sub- sidien zu nutzen wissen. Jan Korte (DIE LINKE): Am kommenden Samstag jährt sich zum 65. Mal der Jahrestag der Befreiung vom NS-Faschismus. Damit endete auch die industrielle Ver- nichtung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden. Der Ho- locaust war ein Zivilisationsbruch, und er wurde arbeits- teilig, bürokratisch und mit bis ins Detail ausgefeilten Fahrplänen in die Todesfabriken durchgeführt. Und klar war auch: In diesen größten Massenmord aller Zeiten waren viele, sehr viele verwickelt, und noch mehr wuss- ten, was geschieht – spätestens seit Ende 1941. Voran- gegangen war eine beispiellose, systematische Entrech- tung von Jüdinnen und Juden, nach biologischen Kriterien, die schließlich in den Massenmord führte. Mittlerweile gibt es eine hervorragend erschlossene Quellenlage über den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Besonders das Standard- werk Raul Hilbergs hat die Einzigartigkeit des Holocaust dokumentiert. In den letzten Jahrzehnten rückte dement- sprechend der Umgang mit dem NS-Regime in der Bun- desrepublik in den Fokus der Wissenschaft und eben auch der Politik. Der heute vorliegende Antrag „Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen“ macht deutlich, dass die Politik der Wissenschaft hinterherhinkt. Die massenhafte Verstrickung von Behörden und Personen in die Verbrechen des Nationalsozialismus und ihre spätere Rolle in Politik und Verwaltung der Bundesrepu- blik sind in sehr vielen Teilen erforscht und belegt. Dies geschah allerdings nicht freiwillig: Jede kritische Erschließung, jede juristische Verfolgung von NS-Ver- brechen und jede öffentliche Auseinandersetzung muss- ten stets erstritten werden. Und das hatte Gründe: Der Politikwissenschaftler Professor Joachim Perels hat die 50er-Jahre beschrieben: „Die Signatur der frühen 50er- Jahre wurde aber überwiegend, wie gerade neuere For- schungen gezeigt haben, von einer Politik des Verges- sens, vor allem der Staatsverbrechen und der Abwehr ihrer Ahndung, bestimmt, die von der evangelischen und katholischen Kirche, von der Mehrheit der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung getragen wurde.“ Dementsprechend wurde fast kein NS-Richter verur- teilt, die meisten schwer NS-belasteten Beamten kehrten in die Verwaltungen zurück, und viele Gestapo-Beamte bildeten das Personal von Polizei und Ermittlungsbehör- den. Die Zahl der inhaftierten Kriegsverbrecher sank von 1950 bis 1952 von 3 400 auf 1 258 Personen, wie der Historiker Norbert Frei belegt. Schon zwei Jahre nach Gründung der BRD waren zum Beispiel 66 Prozent der führenden Beamten des Auswärtigen Amtes ehema- 3982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) lige NSDAP-Mitglieder, mehr als 25 Prozent der Abtei- lungsleiter der Ministerien ebenso. Globke und Oberlän- der waren nur die Spitze des Eisberges. Ein wesentlicher Teil der Funktionseliten des NS-Regimes, der Wehr- macht, der Justiz und der Wirtschaft nahm wichtige Schlüsselstellungen im neuen Staat ein. Die Hauptflos- kel fast aller in den Terror Verstrickten lautete: Hitler war es! Ein Schuldeingeständnis, Reue oder gar der Wille, die Verbrechen und die individuelle Verstrickung politisch und juristisch aufzudecken – leider Fehlan- zeige. Diese ausgewählten Punkte machen deutlich, wie schwer die kritische Aufarbeitung des NS-Regimes, ins- besondere was ihre Funktionseliten und deren Rolle in der Bundesrepublik angeht, gewesen ist und welche Hin- dernisse hiergegen aufgebaut wurden. Es zeigt, dass eine Auseinandersetzung, Forschung und politischer Ent- scheidungswillen notwendig sind. Nachdem beispielsweise das BKA mit der wissen- schaftlichen Aufarbeitung der Verstrickung von Mitar- beitern in das NS-System eine große Resonanz erfahren konnte, geht es im vorliegenden Antrag um die Rolle des BND und die heutige Frage: Warum mauern die Bundes- regierung und der BND bei der vollständigen Offenle- gung der Akten, in denen es um die Verstrickung von NS-Tätern bei der Gründung der Organisation Gehlen, der Vorläuferorganisation des BND geht? Heute, fast genau auf den Tag 65 Jahre nach Ende des Krieges, muss mit solch einer Behinderungspraxis end- lich Schluss sein. Es sollte in diesem Haus Einigkeit darüber herrschen, dass die rückhaltlose Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zentral für unsere Demokratie ist und dass sie in den letzten 60 Jahren viel zu zögerlich und langsam voranging. Wir sollten heute dafür plädie- ren, alle Beschränkungen der wissenschaftlichen Aufar- beitung der Geschichte des BND im Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten zum NS-Regime und seiner Rolle in der Bundesrepublik bei der Verfolgung von NS- Tätern aufzuheben. In diesem Zusammenhang ist von besonderem Inte- resse, ob und welche Rolle der BND im Fall Eichmann spielte. Es kann ja kein Zufall sein, dass der bewun- dernswerte hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer seine Ermittlungsergebnisse eben nicht mit deutschen Stellen und Geheimdiensten austauschte. Bauer reiste nach Israel, um sich dort mit dem Generalstaatsanwalt Haim Cohn auszutauschen, was schließlich zu konkreten Schritten führte. Diese Umstände und die Frage, ob deut- sche Stellen und Dienste gegen eine Verfolgung Eich- manns agierten, muss endlich aufgeklärt werden. Der Bundestag ist es auch mutigen Menschen wie Fritz Bauer schuldig, alles offenzulegen, was diese Frage auf- klären kann. Offenbar hatte der BND damals Informatio- nen über Eichmann und verschwieg sie gegenüber den Justizbehörden. Die Autorin Irmtrud Wojak schreibt über Bauers Er- mittlungen gegen Eichmann: „Fritz Bauer informierte den israelischen Geheimdienst und seinen Regierungs- chef Georg August Zinn über den Aufenthaltsort Eich- manns – niemanden sonst. Fürchtete er, dass durch offi- zielle Maßnahmen Eichmann beizeiten gewarnt worden und wiederum entflohen wäre?“ – Und sie stellt fest: „Nicht zuletzt vertrat mit Werner Junkers ein ehemaliger Nationalsozialist, der schon im Auswärtigen Amt der NS-Zeit tätig gewesen war, die Deutsche Botschaft in Buenos Aires.“ Diese Fragen und Zusammenhänge müs- sen endlich offengelegt werden. All diese Fragen müssen beantwortet werden. Wir sollten gerade auch den vielen jungen Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, die Geschichte weiter aufzuarbeiten. Daher wird die Bun- desregierung in dem heute eingebrachten Antrag aufge- fordert – dies sind die Kernforderungen –, erstens den freien Zugang zu BND-Akten, die im Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten zum NS-Regime stehen, zu gewährleisten und zweitens alle Akten im Zusam- menhang mit der juristischen Verfolgung von NS-Ver- brechen und besonders mit dem Fall Eichmann der Wis- senschaft und Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Bundesregierung sollte ein Interesse an einer wei- teren kritischen Aufarbeitung dieses Kapitels der Ge- schichte haben. Der vorliegende Antrag ist ein weiterer Schritt für eine kritische Auseinandersetzung beim Um- gang mit der NS-Vergangenheit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zugleich kann er die Mög- lichkeit bieten, zu diskutieren, wie mit der NS-Zeit in der Bundesrepublik umgegangen wurde und wird. Und er ist als Aufforderung zu verstehen, alle noch nicht unter- suchten Verstrickungen und verdrängten Zusammen- hänge in staatlichen Stellen und der Wirtschaft aufzude- cken. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es wird Sie nicht überraschen: Der Antrag, die BND- Akten zur NS-Vergangenheit zu öffnen, findet unsere volle Unterstützung. Wir haben dafür mindestens zwei gute Gründe. Grund Nummer eins: Die zeitgeschichtliche Forschung braucht die Eichmann-Akten. Dazu ist schon viel Richtiges gesagt worden. Eichmann wurde in Argen- tinien sehr wahrscheinlich gedeckt, und wie wir alle wis- sen, gab es viele Eichmänner in Deutschland und etliche, die ihnen nach dem Krieg geholfen haben, möglicher- weise auch im BND. Das muss breit erforscht werden. Es geht also um die Rolle des BND, es geht um seine NS-vorbelasteten Mitarbeiter aus der Organisation Gehlen. Aber es geht gerade nicht um den Quellenschutz oder die Zusammenarbeit mit anderen Diensten. Wir sprechen hier über zeitgeschichtliche Vorgänge, über die wir drin- gend mehr wissen müssen. Jetzt könnten sie als Bundesregierung und vor allem könnte das Kanzleramt ein Zeichen setzen. Sie könnten die historische Aufarbeitung selbst in die Hand nehmen, die dazu notwendigen Mittel bereitstellen und unabhängige Historiker mit der Auswertung beauftragen – Joschka Fischer hat das im Auswärtigen Amt getan. Aber sie ver- weigern sich dem, und sie sperren sogar die Akten für die wissenschaftliche Forschung. Es ist ein Unding, dass eine Bürgerin erst zum obersten deutschen Verwaltungsgericht gehen muss, damit Informationen von öffentlichem In- teresse über Vorgänge im BND aus den 50er- und 60er- Jahren auch wirklich an die Öffentlichkeit gelangen. Mein Kollege Christian Ströbele fragte die Bundesregie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3983 (A) (C) (D)(B) rung, warum sie das tut. Sie hat geantwortet, dass sie das Interesse der Öffentlichkeit mit sicherheitspolitischen Belangen – ich zitiere wörtlich – „sorgfältig abwägen würde“. Was ist denn das für eine Abwägung, wenn sie am Ende immer Nein sagen? Das ist allenfalls ein sorg- fältiges Mauern. Das Schlimmste ist aber, dass das Boykottieren und der falsch verstandene Schutz der Geheimdienste bei Ihnen schon System hat. Und das ist der zweite Grund, warum wir dem Antrag zustimmen werden. Sie haben bei den Eichmann-Akten vor dem Bundesverwaltungsgericht verloren, weil sie Geheimdienstbelange pauschal höher als Auskunftsrechte bewerten. Die Begründung, die das Gericht gegeben hat, sollte ihnen verdächtig bekannt vorkommen. So wichtig sind die Informationen nicht, sagt das Bundesverwaltungsgericht, und wenn es schützens- werte Belange in Einzelfällen gibt, kann man deswegen noch nicht den gesamten Aktenbestand sperren. Das ist es aber, was Sie immer wieder tun. Schon in der vergange- nen Wahlperiode haben Sie eine Klage unserer Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht verloren. Auch da hatten Sie, wie jetzt wieder, pauschal die Wünsche der Dienste erfüllt. Damit haben Sie das Fragerecht des Par- laments verletzt. Wenn es tatsächlich echte und nicht nur behauptete Geheimhaltungsbedürfnisse geben sollte, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, diese geforder- ten Auskünfte im Parlamentarischen Kontrollgremium abzugeben. Aber bei dieser Missachtung sind wir Parla- mentarierinnen und Parlamentarier in guter Gesellschaft. Denn Sie handhaben es bei den Bürgerinnen und Bürgern genauso. Am Dienstag hat Ihnen der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit vorge- rechnet, dass die Ministerien sich allzu oft auf schützens- werte „Regierungstätigkeit“ berufen und Informationen verweigern, diese Verweigerung aber in zwei Dritteln der geprüften Fälle mindestens rechtlich zweifelhaft ist. Ich fasse zusammen: Wir müssen uns dringend mit den braunen Wurzeln des BND auseinandersetzen; das ist längst überfällig. Und die Auskunftsverweigerung ist bei Ihnen leider kein Einzelfall. Das ist bei Ihnen Methode. Welches Rechtsstaatsverständnis haben Sie eigentlich, wenn Sie Ihre eigenen Gesetze nicht anwenden? Diese Bundesregierung tut so, als stünde das Recht auf Informa- tionsfreiheit nicht im Grundgesetz. Das muss aufhören. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Bleiberechtsregelung/ Vermeidung von Kettenduldungen) – Antrag: Für eine wirksame und stichtagsun- abhängige gesetzliche Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz (Zusatztagesordnungspunkte 6 und 7) Helmut Brandt (CDU/CSU): Das Thema Bleibe- recht für langjährig in Deutschland lebende ausreise- pflichtige Ausländer war in den letzten Jahren sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene immer wieder Gegenstand von Anträgen, parlamentarischen Anfragen und kontrovers geführten Diskussionen, insbesondere vor dem Ablauf der ursprünglichen Regelungsfrist zum 31. Dezember 2009. Auch heute ist das Thema Bleiberecht wieder Gegen- stand einer Debatte im Deutschen Bundestag. Zugrunde liegt dieser Debatte zum einen ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke, mit dem das Aufenthaltsgesetz in ei- nigen Punkten geändert werden soll, und zum anderen ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Mit diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsge- setzes vorzulegen. Die Linke fordert eine Änderung des § 25 Aufent- haltsgesetz dahin gehend, Ausländern statt einer Dul- dung eine sofortige Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmög- lich ist. Allein die zu weite Formulierung würde Miss- brauch Tür und Tor öffnen. Außerdem fordert sie die Einfügung eines neuen § 25 a Aufenthaltsgesetz – Aufenthaltserlaubnis bei län- gerfristigem Aufenthalt –, der die Gewährung eines dau- erhaften Bleiberechts für diejenigen Personen vorsehen soll, die seit fünf Jahren in Deutschland leben – für be- sonders schutzbedürftige Personen bereits früher. Eine besondere nachvollziehbare Begründung für die Fünf- jahresfrist bietet der Entwurf und seine Begründung al- lerdings nicht. Die gesetzliche Altfallregelung der §§ 104 a, 104 b Aufenthaltsgesetz soll aufgehoben werden. Stattdessen sollen gemäß einem neu einzufügenden § 25 a Aufent- haltsgesetz bereits erteilte Aufenthaltserlaubnisse ohne die Bedingungen einer eigenständigen Lebensunterhalts- sicherung als Aufenthaltserlaubnis fortgelten. Nicht zuletzt soll § 2 Abs. 3, der die Sicherung des Lebensunterhalts regelt, dahin gehend ergänzt werden, dass der Erwerbstätigenfreibetrag bei der Ermittlung des Einkommens keine Berücksichtigung finden soll. Dies würde dazu führen, dass Transferleistungen als Einkom- men gewertet werden müssten. Begründet wird der Gesetzentwurf im Wesentlichen damit, Kettenduldungen zu vermeiden. Die Ergänzung in § 2 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz wird darauf gestützt, dass nach derzeitiger Rechtslage in vielen Fällen selbst bei voller Erwerbstätigkeit die eigenständige Lebensun- terhaltssicherung nicht möglich sei. Mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes vorzulegen. Inhalt- lich entspricht dieser Antrag in dem Punkt Bleiberecht dem Gesetzentwurf der Linken. Weiterhin wird unter an- derem gefordert, die Kriterien für die eigenständige Si- cherung des Lebensunterhalts sowie bei den Deutsch- kenntnissen abzusenken. Zudem soll die Regelung in § 104 a Abs. 3 Aufenthaltsgesetz gestrichen werden, wo- nach begangene Straftaten eines in häuslicher Gemein- schaft lebenden Familienmitglieds die Versagung der Aufenthaltserlaubnis für andere Familienmitglieder zur 3984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) Folge hat, zusammenfassend also eine deutliche Herab- senkung der Kriterien für ein dauerndes Bleiberecht, mit der Folge, dass dieses von der Bevölkerung als unakzep- tabel empfunden werden muss. Wir stimmen mit Sicherheit darin überein, dass die aus der Bleiberechtsregelung in bestimmten Fällen resul- tierenden Kettenduldungen für die Betroffenen und auch für die Allgemeinheit einen sehr unbefriedigenden Zu- stand darstellen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass in sehr vielen Fällen die Ursache für die Kettenduldungen von den Betroffenen selbst herbeigeführt wird. Insofern sehe ich es als sehr problematisch an, dass der hier vor- liegende Gesetzentwurf sowie der Antrag die Vorausset- zungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an Ge- duldete im Vergleich zur Altfallregelung des § 104 a AufenthG in einem nicht vertretbaren Umfang herabset- zen will. In der Konsequenz führen die Forderungen zu einem bedingungslosen Daueraufenthaltsrecht. Die in diesen Fällen auf der Grundlage des geltenden Rechts beste- hende Ausreisepflicht der Betroffenen liefe damit ins Leere. Und die Frage, die sich mir dann aufdrängt, ist: Können wir eine solche Konsequenz als Gesetzgeber ak- zeptieren und widerspricht dies nicht auch dem Gerech- tigkeitsgefühl der Allgemeinheit? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wenn man auch eine Lösung des Problems weiter anstreben sollte, so stellen die hier vorgelegten Forderungen keine sachge- rechte Lösung dar. Insbesondere der Verzicht auf die Vo- raussetzung der eigenständigen Lebensunterhaltssiche- rung würde eine Sogwirkung mit nicht vorhersehbaren Konsequenzen für die Stabilität der sozialen Sicherungs- systeme entfalten und die kommunale Ebene mit weite- ren zusätzlichen Kosten belasten. Den aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise er- schwerten Bedingungen für die Aufnahme und Fortset- zung einer Erwerbstätigkeit trägt der jüngste IMK-Be- schluss Rechnung. Die Lebensunterhaltssicherung der Betroffenen war und ist Kern jeder Bleiberechtsregelung und muss es meiner Meinung nach auch künftig bleiben. Der Erfolg am Arbeitsmarkt als wesentliche Vorausset- zung für die wirtschaftliche Integration muss auch wei- terhin entscheidender Maßstab für die Beantwortung der Frage sein, wer dauerhaft in Deutschland bleiben darf, obwohl ein legaler Anspruch nach den einschlägigen ge- setzlichen Bestimmungen nicht besteht (kein Bleiberecht durch Aussitzen). Das bedeutet in der Konsequenz auch, den Aufenthalt derjenigen beenden zu können und zu müssen, die kei- nerlei Bemühungen um ihre Integration nachgewiesen haben. Diese Maxime ist im wohlverstandenen Interesse gerade auch jener, die sich in Deutschland legal aufhal- ten beziehungsweise sich ernsthaft um ihre Integration in Deutschland bemüht haben. Ansonsten ist nämlich der Ehrliche der Dumme. Und solch eine Ungerechtigkeit birgt meiner Meinung nach einen gesellschaftlich nicht vertretbaren Zündstoff. Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die An- forderungen an die Sprachkenntnisse herabzusetzen, lehne ich ebenfalls vehement ab. Wir alle haben in den letzten Jahre die Erfahrung gemacht, dass Sprache der Schlüssel zur Integration schlechthin ist. Es ist deshalb auch nicht im Interesse der Betroffenen selbst, die An- forderungen an deren Sprachkenntnisse noch weiter he- rabzusetzen. Ohnehin sind die jetzigen Anforderungen als Mindeststandard anzusehen. Mit der Verlängerung der Altfallregelung haben die Betroffenen eine faire Chance erhalten. Sie müssen diese aber auch nutzen und sich aktiv um die Sicherung des ei- genen Lebensunterhalts sowie den Erwerb befriedigen- der Sprachkenntnisse kümmern. Aus meiner Sicht spricht deshalb einiges dafür, zunächst den Erfolg der durch den IMK-Beschluss erfolgten Verlängerung der Altfallregelung bis Ende 2011 abzuwarten, als unmittel- bar nach der Verabschiedung dieses Beschlusses die ge- setzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Auf- enthaltstitels an Geduldete zu erweitern. Rüdiger Veit (SPD): Wir sprechen heute erneut über ein Thema, das wir nun schon wahrlich oft behandelt ha- ben. Doch ist dies eine notwendige Wiederholung; denn nach wie vor leben in Deutschland rund 89 000 Men- schen mit einer Duldung, viele von ihnen seit vielen Jah- ren. Zwar haben wir mit den vorangegangenen Altfallre- gelungen bereits einiges erreicht. Die eben genannten Zahlen liegen weit unter den Zahlen, mit denen wir noch 2007 konfrontiert waren, als wir in der Großen Koalition die gesetzliche Altfallregelung beschlossen haben. Und dennoch, das Problem der Kettenduldungen ist längst nicht gelöst. Deshalb hat meine Fraktion bereits im vergangenen Dezember einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem wir langjährig hier lebenden geduldeten Menschen eine Per- spektive bieten möchten. In diesen Tagen haben nun auch die beiden anderen Oppositionsfraktionen ihre eigenen Vorschläge vorgelegt. Im Interesse der Sache und dieses wichtigen Themas kann ich dies nur begrüßen. Ich möchte deshalb hier nicht im Detail auf die Unterschiede zwischen den vorliegenden Vorschlägen eingehen. Dass wir Sozialdemokraten unseren Gesetzentwurf für den durchdachteren und weiterführenderen, für den besser zu realisierenden halten, brauche ich an dieser Stelle nicht ernsthaft zu betonen, zumal die „Reden“ heute wiederum und bedauerlicherweise lediglich zu Protokoll gegeben werden. Ich verweise daher auf meine Einbringungsrede vom 17. Dezember 2009. Der Interessierte kann also im entsprechenden Plenarprotokoll nachlesen und im Übri- gen auch unseren Entwurf eines Gesetzes zur Altfallrege- lung (Drucksache 17/207 vom 15. Dezember 2009) mit dem heute eingereichten vergleichen. Ich möchte vielmehr eine Gemeinsamkeit herausstel- len: Die Regierungskoalition irrt, wenn sie meint, dass die von den Innenministern der Länder beschlossene Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe aus dem vergangenen Dezember das Problem insoweit löst, als wir es bis Ende Dezember 2011 liegen lassen können. Das können wir aus mehreren Gründen nicht. Zum einen ist auch diese Verlängerung eine Stichtagsregelung. Wir sind aber davon überzeugt, dass es einer nicht stichtags- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3985 (A) (C) (D)(B) bezogenen, einer sogenannten rollierenden Regelung be- darf: Unabhängig von einem fixierten Datum müssen Menschen nach mehreren Jahren, in denen sie hier Wur- zeln geschlagen, Kinder bekommen und sich in die hie- sige Gesellschaft integriert haben, die Chance auf eine Perspektive in Deutschland bekommen. Zum anderen haben wir im vergangenen Herbst mit ansehen müssen, dass die Koalition sich aus ihrer Verantwortung als Ge- setzgeber gestohlen hat. Sie hat die Betroffenen bis zum letzten Moment zittern lassen, bis die Innenministerkon- ferenz – vor allem auf Betreiben der SPD-regierten Län- der, deren Verantwortlichen ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dafür danken möchte – einer Ver- längerung der Fristen zugestimmt hat. Die SPD-Bundes- tagsfraktion hatte sich zuvor vergeblich bemüht, die Union zu Zeiten der Großen Koalition davon zu über- zeugen, diese notwendige Verlängerung im Deutschen Bundestag zu verabschieden. Vielleicht gelingt es ja diesmal – ich gebe die Hoff- nung jedenfalls nicht auf –, mithilfe von externem Sach- verstand in einer öffentlichen Anhörung die augenblick- lich regierende Koalition endlich von der tatsächlichen Notwendigkeit schnellen gesetzgeberischen Handelns in Fragen des Bleiberechts zu überzeugen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Innenminis- terkonferenz hat Ende letzten Jahres die Bleiberechtsre- gelung um zwei Jahre verlängert. Die FDP hat das nach- drücklich begrüßt. Die Vereinbarung der Innenminis- terkonferenz und auch die progressiven Äußerungen vor und während der Innenministerkonferenz sind eine gute Basis. Das gibt uns Zeit, eine dauerhafte Regelung zu finden, die das Problem der Kettenduldungen nachhaltig löst. Darüber hinausgehende Vorschläge sind derzeit Ak- tivismus. Die Sachlage bleibt unverändert: Wenn bei lange ge- duldeten, gut integrierten Ausländern eine Abschiebung nicht mehr vertretbar ist, muss dieser Tatsache durch eine vernünftige und unbürokratische Regelung Rech- nung getragen werden. Die Kettenduldungen müssen einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden; wir brau- chen für alle, insbesondere auch für die bisher „Gedulde- ten“, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die große Schwierigkeit einer sinnvollen Bleibe- rechtsregelung besteht darin, einerseits den unhaltbaren Zustand der Kettenduldungen abzuschaffen, andererseits aber die Zuwanderung nach Deutschland so zu steuern, dass diese auch nachhaltige Akzeptanz bei den Bürgerin- nen und Bürgern findet. In den Vorlagen wird zwar tapfer das erstgenannte Problem thematisiert, aber keine Lösung für das zweite aufgezeigt. Tatsächliche Integration in Deutschland muss das zentrale Kriterium sein. Der eigenständige Lebensunterhalt ist dabei von entscheidender Bedeu- tung. Im Antrag der Linken wird die Notwendigkeit einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung für Menschen verneint, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland suchen. Es hilft niemandem weiter, wenn die Fraktion Die Linke immer wieder fordert, de facto auf jegliche Zuwanderungssteuerung zu verzichten. Vielmehr er- weist Die Linke damit den Bemühungen um Ausländer- integration einen Bärendienst. Wer einem schrankenlo- sen Daueraufenthaltsrecht in vermeintlich humanitärer Gesinnung das Wort redet, riskiert die steigende Ableh- nung von Zuwanderern in der Bevölkerung. Die Möglichkeit für langjährig Geduldete, den eigen- ständigen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist sehr wohl ein wichtiges Kriterium der Bleiberechtsregelung. Das dient der Integration. Zuwanderer sind zu fördern, aber selbst auch klar gefordert. Die deutsche Sprache, Demo- kratie und der Rechtsstaat, die Grund- und Menschen- rechte sind das für alle geltende Fundament unserer Ge- sellschaft. Die Linke will das Gegenteil. Sie will die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland erschweren, die Sozial- systeme sprengen, die inneren Spannungen erhöhen und die deutsche Gesellschaft desintegrieren, indem sie falsche Erwartungen weckt und statt Engagement nur Anspruchsdenken fördert. Wir Liberalen wollen dagegen eine neue Kultur des Willkommens, die nicht falsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute macht, sondern Chancen und Per- spektiven eröffnet. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der Bundesinnenminister und die Regierungsfraktionen haben erklärt, dass sie keine Korrekturen beim Bleiberecht beabsichtigen, so- lange die IMK-Regelung von Ende 2009 gilt. In anderen Worten: Sie wollen bis zum Jahr 2012 untätig bleiben! Diese Seelenruhe können Sie von uns nicht verlan- gen. Denn weit über 100 000 Menschen müssen weiter- hin in aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit leben, obwohl sie bereits seit mehr als sechs Jahren in Deutschland sind. Immer noch werden Familien mit Kindern, aber auch alte und kranke Menschen, die faktisch längst zu Inländern geworden sind, morgens von der Polizei aus ihren Betten geholt und gewaltsam in absolutes Elend abgeschoben. Das Schicksal dieser Menschen zwingt uns als Parlament dazu, schnell eine wirksame, humani- täre Lösung zu finden – die Innenminister der Länder sind zu einer solchen Tat nicht fähig oder willens! Eine gesetzgeberische Untätigkeit bis 2012 kann schon des- halb nicht mit der aktuellen IMK-Regelung begründet werden, weil diese – wie auch die sogenannte Altfallre- gelung von 2007 – einen Stichtag enthält, der Personen vom Bleiberecht ausschließt, obwohl sich ihre Situation in nichts von der unterscheidet, für die ein Handlungsbe- darf erkannt wurde. Infolge des Stichtags 1. Juli 2007 entstehen also täglich neue Härtefälle. Trotz dreier Bleiberechtsregelungen seit 2006 hat sich an der Gesamtproblematik nichts Grundlegendes geän- dert: Die Zahl der langjährig Geduldeten liegt immer noch bei fast 60 000, und ihr Anteil an allen Geduldeten ist mit 64 Prozent so hoch wie nie. Die SPD hat im Ge- genzug für ihre Zustimmung zu erheblichen Verschär- fungen im Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsrecht in Aussicht gestellt, dass bis zu 60 000 Menschen von der 3986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 (A) (C) (D)(B) sogenannten Altfallregelung würden profitieren können. Doch wie ist die tatsächliche Bilanz? Gerade einmal 6 500 Personen konnten bis heute eine relativ sichere Aufenthaltserlaubnis aufgrund eigenen Einkommens er- langen. Weitere 5 000 erhielten einen Aufenthalt, weil ihr Lebensunterhalt zumindest überwiegend ohne staatliche Unterstützung gesichert war. Vielleicht 12 000 – statt der versprochenen 60 000 – Menschen haben also ein Blei- berecht erhalten. Das ist eine mehr als dürftige Bilanz, auch wenn dieses Ergebnis angesichts der viel zu hohen gesetzlichen Hürden absehbar war und von uns vorher- gesagt wurde. Es bedurfte deshalb auch eines erneuten IMK-Beschlusses, um zahlreichen Betroffenen eine „zweite Chance“ zu geben – nur „auf Probe“, versteht sich. Ich möchte an dieser Stelle auf eine Personengruppe aufmerksam machen, die in der bisherigen Bleiberechts- debatte noch gar keine Rolle spielte. Es geht um knapp 70 000 zur Ausreise verpflichtete Personen, die aktuell nicht einmal über eine Duldung verfügen. Drei Viertel von ihnen, knapp 53 000 Menschen, leben bereits seit mehr als sechs Jahren in Deutschland. Auch sie sind in ihrer großen Mehrheit aufgrund des langen Aufenthalts längst „heimisch“ geworden in Deutschland. Auch ihnen wird ein Aufenthaltsrecht jedoch versagt, genauso wie den gut 56 000 Langzeit-Geduldeten. Dass sie nicht ein- mal förmlich geduldet werden, dürfte in den meisten Fällen rechtswidrig sein. Denn wenn eine Ausreisever- pflichtung nicht in absehbarer Zeit konkret durchsetzbar ist, so entschied das Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahr 1997, muss eine schriftliche Duldung erteilt wer- den. Es ist unzulässig, diese Menschen lediglich faktisch zu dulden und sie mit dem Entzug ihrer Duldungsbe- scheinigung unter Druck zu setzen und zur „freiwilli- gen“ Ausreise zwingen zu wollen. Die Rechtswidrigkeit dieser Praxis wird offenkundig, wenn die Zahl der 70 000 zur Ausreise verpflichteten Personen ohne Dul- dung der Zahl von knapp 8 000 Abschiebungen im letz- ten Jahr gegenüber gestellt wird. Unsere Vorschläge beziehen deshalb diese zur Ausreise verpflichteten Men- schen mit ein. Die Linke legt einen Gesetzentwurf vor, mit dem die Probleme der Kettenduldung und des verweigerten Auf- enthaltsrechts – und noch ein paar weitere mehr – ein für alle Mal gelöst werden sollen, und zwar im Sinne der Betroffenen und nach humanitären Kriterien! Geändert werden muss vor allem die misslungene Regelung nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes, um das Entstehen immer neuer Kettenduldungen schon im Ansatz verhin- dern zu können. Zudem bedarf es eines Rechtsanspruchs auf einen sicheren Aufenthaltstitel, wenn die Betroffe- nen nach längerem Aufenthalt faktisch längst integriert sind. Unser Gesetzentwurf enthält, darauf möchte ich hinweisen, bei Weitem noch nicht alles Notwendige, um zu einer grundlegend anderen Politik kommen zu kön- nen. Die Stichworte Residenzpflicht, Arbeitsverbote und Diskriminierungen infolge des Asylbewerberleistungs- gesetzes mögen an dieser Stelle zur Erläuterung des enormen Handlungsbedarfs genügen. Wir freuen uns, dass sich die Grünen mit ihrem aktuellen Antrag mittler- weile den Forderungen der Linken und der außerparla- mentarischen Bleiberechtsbewegung im Wesentlichen angeschlossen haben. Noch zu Beginn der letzten Wahl- periode hatten die Grünen eine Gesetzesänderung vorge- schlagen, die lediglich eine „Kann-Regelung“ darstellte und die einen Ausschlussstichtag ebenso vorsah wie die grundsätzliche Forderung nach eigenständiger Lebens- unterhaltssicherung. Auch die SPD bewegt sich inzwi- schen in eine richtige Richtung, allerdings hat ihr später Wandel in Oppositionszeiten angesichts der von mir ge- schilderten Vorgeschichte einen etwas schalen Beige- schmack. Ich hoffe, dass wir durch eine Anhörung des Innen- ausschusses zu den von der Opposition vorgelegten Vor- schlägen auch die Regierungsfraktionen aus ihrer Lethargie reißen und von der Notwendigkeit baldiger Gesetzesänderung überzeugen können. Wir brauchen eine wirksame Bleiberechtsregelung, die diesen Namen auch verdient! Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die gesetzliche Altfallregelung der §§ 104 a und 104 b des Aufenthaltsgesetzes und die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz durch Beschluss der Innenminister- konferenz vom Dezember 2009 sind wegen ihrer restrik- tiven Ausgestaltung nicht dazu geeignet, die weithin kri- tisierte Praxis der „Kettenduldungen“ wirksam zu beenden. Dies belegt die weiterhin anhaltend hohe Zahl langjährig in Deutschland geduldeter Personen. Beide Regelungen berücksichtigen aufgrund des zen- tralen Kriteriums der eigenständigen Lebensunterhalts- sicherung humanitäre Härtefälle nicht ausreichend; denn gerade alte und kranke Menschen, die auf dem Arbeits- markt keine Chance haben, sowie kinderreiche Familien werden von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Stichtagsregelungen führen überdies immer wieder zu neuen humanitären Härtefällen. Daher ist eine dauer- hafte gleitende Bleiberechtsregelung notwendig, die auch auf zukünftige Fälle Anwendung finden kann. Deshalb fordern wir im vorliegenden Antrag die Bun- desregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der vorsieht, dass einem geduldeten Ausländer oder einer ge- duldeten Ausländerin eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn er oder sie sich seit mindestens fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat. Wenn der Ausländer oder die Ausländerin zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kin- dern in häuslicher Gemeinschaft lebt, soll die Aufent- haltserlaubnis nach drei Jahren erteilt werden. Besonders schutzbedürftigen Personen, insbesondere unbegleiteten Minderjährigen, durch kriegerische Auseinandersetzun- gen in ihrer Heimat traumatisierten Personen oder Opfern von rassistischen Gewalttaten oder Menschenhandel, soll die Aufenthaltserlaubnis nach zwei Jahren erteilt werden. Weiterhin darf das Kriterium der eigenständigen Si- cherung des Lebensunterhalts keine unüberwindbare Hürde darstellen. Ernsthafte Bemühungen, den Lebens- unterhalt überwiegend zu sichern, müssen ausreichend sein. In diesem Punkt unterscheiden wir uns von der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 3987 (A) (C) (D)(B) Linksfraktion, die vollständig auf das Kriterium der Le- bensunterhaltssicherung verzichten will. Wir wollen Ausnahmen von diesem Erteilungskriterium für Perso- nen, die wegen ihres Alters, einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder, weil sie mit minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben, wegen der Kinderbetreuung von ernsthaften Bemühungen zur überwiegenden Sicherung des Lebensunterhalts abgehalten waren. Es dürfen keine unverhältnismäßigen Anforderungen an die Erfüllung von Mitwirkungspflichten gestellt wer- den. Allenfalls fortgesetzte, vorsätzliche und schwerwie- gende Verletzungen von Mitwirkungspflichten sollten zum Ausschluss von der Erteilung einer Aufenthaltser- laubnis führen können. Insbesondere die Frage, ob eine Passlosigkeit selbst verschuldet ist, ist oftmals nicht ein- deutig zu beantworten. Asylfolgeanträge sind in vielen Fällen aufgrund der politischen Entwicklungen im Her- kunftsland oder einer Änderung der Rechtsprechung sinnvoll und gerechtfertigt. Das Ausschöpfen des Rechtsweges darf im Rechtsstaat nicht negativ sanktio- niert werden. Keinesfalls darf die in § 104 a Abs. 3 Aufenthaltsge- setz festgeschriebene Regelung, nach der die ganze Fa- milie von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus- Ende Dezember 2009 lebten trotz mehrerer Bleibe- rechtsregelungen erneut circa 89 500 Menschen in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone: rechtlich ge- duldet, aber ohne legales Aufenthaltsrecht. Fast 57 000 von ihnen leben bereits länger als sechs Jahre hier. Viele dieser Personen sind Kriegsflüchtlinge, die kein Asyl er- hielten, aber nicht abgeschoben werden können. Inzwi- schen haben sich diese Menschen in der Regel in Deutschland integriert. Dies gilt erst recht für die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder und Jugendli- chen – für sie ist Deutschland das Zuhause. Doch selbst nach jahrelangem Aufenthalt droht ihnen die Abschie- bung, häufig in ein Land, das ihnen völlig fremd ist. Eine Abschiebung nach langjährigem Aufenthalt ist nicht nur eine unzumutbare Härte – mit tragischen Fol- gen für den Einzelnen und seine Familie. Ein solches Vorgehen steht auch in Widerspruch zu den humanitären Grundsätzen, denen deutsche Politik verpflichtet ist, und widerspricht allen integrationspolitischen Überlegungen. Auch die circa 37 000 Personen, denen bis Ende 2009 eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe erteilt wurde, leben weiter in einem Schwebezustand. Zwar kann ihre Aufent- haltserlaubnis unter gewissen Voraussetzungen nach dem Beschluss der IMK bis Ende 2011 verlängert werden. An- gesichts der für das Jahr 2010 erwarteten weiteren nega- geschlossen ist, sobald ein mit dieser in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied bestimmte Straftaten begangen hat, übernommen werden. Im Übri- gen müssen bei der Festlegung von Ausschlusstatbestän- den wegen der Verurteilung nach einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat Taten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländerinnen und Ausländern begangen werden können, außer Betracht bleiben. tiven Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf den Arbeitsmarkt bleibt ihre aufenthaltsrechtliche Situa- tion jedoch höchst ungewiss. Das weitere Schicksal dieser Menschen, die seit Jah- ren hier in Deutschland leben, darf uns nicht kaltlassen. Ich hoffe daher, dass es in den weiteren parlamentari- schen Beratungen einen breiten Konsens für eine wirk- same, stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsre- gelung geben wird. 40. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 6. Mai 2010 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Agnes Malczak


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

    Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Obwohl die
    FDP die Argumente gegen die Wehrpflicht selber in ihr
    Bundestagswahlprogramm geschrieben hat, hat sie sich
    bei den Koalitionsverhandlungen auf einen durchsichti-
    gen Kuhhandel mit der CDU/CSU eingelassen. Beim
    Koalitionsstreit um die Zukunft der Wehrpflicht soll der
    Weisheit letzter Schluss jetzt eine Verkürzung der Wehr-
    dienstzeit auf sechs Monate sein. Davon dürften noch
    nicht einmal Sie selbst überzeugt sein. Die Kolleginnen
    und Kollegen der Liberalen haben ihren Frieden mit der
    Aufrechterhaltung eines längst überholten Zwangsdiens-
    tes erstaunlich schnell gemacht. Sonst nur für den
    Spruch „Ausstieg aus dem Ausstieg“ in Sachen Atompo-
    litik bekannt, spricht Ihre Jugendorganisation plötzlich
    von einem Einstieg in den Ausstieg.


    (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Die wissen, was richtig ist!)






    Agnes Malczak


    (A) (C)



    (D)(B)

    Wenn wir klare Worte finden wollen, dann müssen
    wir bei der Wehrdienstverkürzung von einem faulen
    Kompromiss sprechen. Durch die Verkürzung wird näm-
    lich keines der Probleme der Wehrpflicht beseitigt. Im
    Gegenteil: Es werden damit sogar neue Probleme ge-
    schaffen. Beispiel Wehrungerechtigkeit: Auch nach Ein-
    führung des sechsmonatigen Wehrdienstes werden im-
    mer noch weniger als die Hälfte der jungen Männer
    eines Jahrgangs einen Pflichtdienst leisten müssen. Bei
    ihrer Lebensplanung und ihrem Ausbildungs- und Be-
    rufsweg sind sie gegenüber ihren männlichen und weib-
    lichen Altersgenossen, die keinen Pflichtdienst leisten
    müssen, benachteiligt. Durch Ihre Reform werden pro
    Jahr 10 000 Männer mehr von der Wehrungerechtigkeit
    betroffen sein. Somit schaffen Sie nicht weniger, son-
    dern sogar noch mehr Wehrungerechtigkeit.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ihnen selbst scheint bewusst zu sein, dass Sie mehr
    Fragen aufwerfen als schlüssige Antworten liefern. Das
    jedenfalls würde Ihren anhaltenden Streit und das trau-
    rige Possenspiel erklären, das Sie, liebe Kolleginnen und
    Kollegen von der Koalition, aufgeführt haben, als Sie
    zeitgleich mit zwei völlig unterschiedlichen Konzepten
    für die Ausgestaltung der Wehrdienstreform an die Öf-
    fentlichkeit traten.


    (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


    Mit Ihrem Hin und Her verunsichern Sie geradezu noto-
    risch die jungen Männer, die beteiligten Institutionen
    und insbesondere die Soldaten und Soldatinnen. Das ist
    keine verantwortungsvolle Politik.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)


    Auch Ihnen ist die Aussage von Roman Herzog aus
    dem Jahr 1995 bekannt, dass eine Regierung die – Zitat –
    „Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und
    ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes“ sicherheits-
    politisch begründen können muss. Meine Damen und
    Herren der Koalition, genau diese sicherheitspolitische
    Begründung bleiben Sie schuldig. Sie haben die Ent-
    scheidung für die Beibehaltung der Wehrpflicht getrof-
    fen, ohne sich die wesentlichen Fragen zu stellen. Von
    Ihnen hätte ich, bevor Sie die Entscheidung über die
    Wehrform treffen, eine Antwort auf die folgenden Fra-
    gen erwartet: Was können unsere Streitkräfte leisten, und
    was sollen sie zukünftig leisten können?

    Erst im vergangenen Monat haben Sie die Bundes-
    wehr-Strukturkommission eingesetzt. Mit Ihrer Ent-
    scheidung haben Sie diesem Gremium aber bereits ein
    Denkverbot erteilt. Die bestehende Wehrform soll nicht
    hinterfragt werden. Es wird deutlich: Die Entscheidung
    für die Beibehaltung der Wehrpflicht ist nicht in eine si-
    cherheitspolitische Gesamtkonzeption eingebunden.

    Die Aufgabenschwerpunkte der Bundeswehr haben
    sich in den letzten Jahren deutlich verschoben. In den
    aktuellen Konfliktszenarien brauchen wir nicht mehr den
    klassischen Soldatentypus, den wir zur territorialen Lan-
    desverteidigung brauchten, sondern gut ausgebildete, gut
    ausgerüstete und hochspezialisierte Soldatinnen und Sol-
    daten. Im Zusammenhang mit dem Bericht des Wehrbe-
    auftragten haben wir heute über mangelnde Ressourcen
    und schlechte Ausrüstung, gerade bei Einsätzen, gespro-
    chen. Daran möchte ich hier erinnern.

    Im Diskurs wird die Nachwuchswerbung oft als Ar-
    gument für die Wehrpflicht ins Feld geführt. Rund
    13 700 Euro veranschlagen Sie für jeden Grundwehr-
    dienstleistenden. Bei derzeit 40 000 Grundwehrdienst-
    leistenden sind das 548 Millionen Euro im Jahr. Der
    Website der Bundeswehr können wir entnehmen, dass
    sich jährlich rund 9 100 junge Männer nach ihrem
    Grundwehrdienst freiwillig länger verpflichten. Jede die-
    ser Verpflichtungen kostet Sie folglich rund 60 000 Euro.
    Abgesehen davon, dass die Nachwuchsrekrutierung eine
    verfassungsrechtlich bedenkliche Begründung der Wehr-
    pflicht ist, kann ich mir kaum eine unwirtschaftlichere
    Form der Nachwuchsgewinnung vorstellen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Statt diese Wahlperiode mit dem Hin und Her über
    Modelle der verkürzten Pflichtdienste zu vergeuden,
    muss jetzt mit einem planvollen Ausstieg aus den
    Pflichtdiensten und dem massiven Ausbau der Freiwilli-
    gendienste begonnen werden. Dieser Paradigmen- und
    Systemwechsel darf nicht länger vertagt werden; denn er
    ist seit Jahren überfällig. Deshalb haben wir Grünen den
    Antrag gestellt, die Wehrpflicht abzuschaffen.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE])




Rede von Gerda Hasselfeldt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Karl Lamers für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl A. Lamers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die Wehr-
    pflicht zu beenden, halte ich für falsch. Lassen Sie mich
    kurz darlegen, warum.

    Erstens hat sich die Wehrpflicht in mehr als fünf Jahr-
    zehnten bewährt. Zweitens ist sie Ausdruck der persönli-
    chen Mitverantwortung der Bürger für ein Leben in Frie-
    den und Freiheit. Drittens ist sie ein Symbol für den
    gesellschaftlichen Konsens über die Landes- und Bünd-
    nisverteidigung. Außerdem verbindet die Wehrpflicht
    unsere Streitkräfte mit der Gesellschaft und verhindert
    Entfremdung und Abschottung von dieser. Die Wehr-
    pflicht sichert 40 Prozent des Freiwilligen- und 30 Pro-
    zent des Führungsnachwuchses der Streitkräfte. Dies al-
    les sind gute Gründe, warum wir auch in Zukunft an der
    Wehrpflicht festhalten wollen.





    Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)



    (A) (C)



    (D)(B)

    Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Schaffung ei-
    ner Freiwilligenarmee. Ja, meine Damen und Herren, Ih-
    nen ist aber sicherlich bekannt, dass die Bundeswehr
    niemals eine reine Wehrpflichtarmee war, sondern schon
    immer aus einem Mix aus Grundwehrdienstleistenden,
    freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistenden, Reservis-
    ten sowie Berufs- und Zeitsoldaten bestand.


    (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eben!)


    Genau dies garantiert bis heute eine hohe Professionali-
    tät unserer Streitkräfte. Es gibt keinen vernünftigen
    Grund, dieses erfolgreiche Modell ohne Not aufzugeben.

    Auslandseinsätze sind zu einer zentralen Aufgabe der
    Streitkräfte geworden. Grundwehrdienstleistende wer-
    den in solche Einsätze nicht entsandt. Aber das heißt
    noch lange nicht, dass sie nun überhaupt nicht mehr ge-
    braucht werden. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade heute
    werden unsere Wehrpflichtigen gebraucht, um zum Bei-
    spiel die Grundorganisation der Streitkräfte sicherzustel-
    len, indem sie in der Heimat notwendige Aufgaben über-
    nehmen.

    Gegen die Wehrpflicht führen Sie darüber hinaus die
    aus Ihrer Sicht angeblich ungenügende Ausschöpfung
    der Jahrgänge an. Wir alle sind uns einig: Wehrgerech-
    tigkeit ist in der Tat ein hohes Gut. Das Bundesverwal-
    tungsgericht hat mit seinem Urteil vom 19. Januar 2005
    und seinem Beschluss vom 26. Juni 2006 Kriterien dafür
    aufgestellt. Wehrgerechtigkeit ist demnach dann gewähr-
    leistet, wenn die Zahl derjenigen, die Wehrdienst leisten,
    der Zahl der Wehrdienstfähigen zumindest nahekommt.
    Fakt ist, dass heute wie auch in Zukunft der weitaus
    überwiegende Teil aller verfügbaren jungen Männer ei-
    nen Dienst leistet. Ich gehe davon aus, dass W6 ein Bei-
    trag zu mehr Wehrgerechtigkeit gerade in diesem Sinne
    ist.

    Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem
    Antrag sehen Sie eine Überforderung der Wehrdienst-
    leistenden darin, diesen „die Verantwortung für die …
    Verzahnung von Bundeswehr und Gesellschaft aufzu-
    bürden“, wie Sie es ausdrücken. Ich sehe das anders:
    Wehrpflichtige leisten einen exzellenten Dienst und sor-
    gen durch ständigen Personalaustausch dafür, dass die
    Bundeswehr ein lebendiger Teil von Staat und Gesell-
    schaft ist.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Das ist doch keine Bürde und führt auch nicht zu Über-
    forderung.

    Was die Innere Führung anbetrifft, auf die Sie in Ihrer
    Begründung abheben, hat dieses übergreifende Füh-
    rungskonzept der Streitkräfte in der Tat prägend für das
    Selbstverständnis der gesamten Bundeswehr nach innen
    und außen gewirkt. Die Frage, ob Wehrpflicht heute
    noch sinnvoll ist oder nicht, lässt sich aber nicht mit dem
    Konzept der Inneren Führung beantworten. Das ist viel-
    mehr eine politische Grundsatzentscheidung, die wir in
    diesem Hohen Hause treffen.

    Sie unterstellen den Wehrpflichtigen, dass ihre Quali-
    fikationen für die Tätigkeiten in Deutschland nicht aus-
    reichen. Wir sehen das anders. Gerade die Wehrpflichti-
    gen brachten in der Vergangenheit und bringen auch
    heute noch berufliche Qualifikationen und Fertigkeiten
    mit, die die Bundeswehr für den Dienst in der Truppe
    sehr gut nutzen kann. Die Qualifikation unserer Wehr-
    pflichtigen ist ein wesentlicher Grund für die Beibehal-
    tung des Wehrdienstes. Wehrpflicht und Professionalität
    schließen sich nicht aus.


    (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


    Die Koalition hat entschieden, den Grundwehrdienst
    auf sechs Monate zu verkürzen, beginnend mit dem
    1. Oktober 2010. Wir bekennen uns damit auf der einen
    Seite zur Institution der Wehrpflicht, andererseits wollen
    wir die Belastung der jungen Generation durch das Ab-
    verlangen des Grundwehrdienstes so gering wie möglich
    halten. Wie bereits dargelegt, wird die Verkürzung des
    Grundwehrdienstes eine Verbesserung der Wehrgerech-
    tigkeit mit sich bringen; denn natürlich haben wir bei
    sechs Monaten Dienstzeit einen höheren Personalbedarf
    als bei neun Monaten. Wir werden alles tun, dass unsere
    Wehrpflichtigen auch die verkürzte Grundwehrdienstzeit
    als positive Lebenserfahrung empfinden. Ich danke Ih-
    nen, Herr Minister zu Guttenberg, dass Sie sich gerade
    dafür auch persönlich stark machen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Wichtig ist in meinen Augen, dass die Grundausbil-
    dung durch eine Funktionsausbildung ergänzt wird, die
    sich sowohl an den Interessen der Wehrpflichtigen orien-
    tiert als auch gleichzeitig auf die Belange der Bundes-
    wehr Rücksicht nimmt. Ich begrüße es, dass die Wehr-
    pflichtigen nach erfolgter Ausbildung auf echten
    Funktionsdienstposten in der Truppe eingesetzt werden.
    Genau darum geht es: Wir wollen die Wehrpflichtigen in
    den normalen Organisations- und Truppenstrukturen der
    Streitkräfte halten. In der Teilstreitkraft Heer zum Bei-
    spiel ist geplant, Wehrpflichtige in Sicherungskompa-
    nien einzusetzen, angegliedert an Bataillone der Einsatz-
    kräfte. Genau dies zeigt meines Erachtens sehr klar, dass
    die Wehrpflichtigen sinnvoll eingesetzt und dass sie ge-
    braucht werden.

    Meine Damen und Herren, der erste Bundespräsident
    der Bundesrepublik Deutschland, Professor Dr. Theodor
    Heuss, hat einmal in einer Rede festgestellt: „Die Wehr-
    pflicht ist das legitime Kind der Demokratie.“ Daran hat
    sich bis heute nichts geändert.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Wir, die CDU/CSU-Fraktion, halten an der Wehrpflicht
    fest, erstens, weil sie sich bewährt hat, und zweitens,
    weil sie auch heute sinnvoll ist.

    Ich danke Ihnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)