Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kol-
leginnen und Kollegen! Nachdem wir erstmals über die-
sen Tagesordnungspunkt am 28. Januar debattiert haben
und im Rahmen der Sitzung des Innenausschusses am
9. Februar die Diskussion noch einmal vertieft geführt
haben, befassen wir uns heute abschließend mit dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in dem die
Bundesregierung aufgefordert wird, weitere Überstel-
lungen von Asylbewerbern nach Griechenland im Rah-
men der Dublin-II-Verordnung sofort auszusetzen und
die Prüfung der Asylanträge durch die Ausübung des so-
genannten Selbsteintrittsrechtes nach Art. 3 Abs. 2 der
Dublin-II-Verordnung im nationalen Asylverfahren
durchzuführen. Dabei wird Ihr Antrag im Wesentlichen
damit begründet, dass das Bundesverfassungsgericht be-
kanntlich einige Beschlüsse im September letzten Jahres
gefasst hat, auf deren Grundlage einstweilige Anordnun-
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re Argumente vermögen nicht zu überzeugen
doch, Frau Jelpke; auf Ihre Ausführungen gehe ich
leich noch zur Genüge ein ; denn die rechtliche und
tsächliche Situation ist eine gänzlich andere. Deshalb
erden wir Ihren Antrag ablehnen.
Was die Eilentscheidungen des Bundesverfassungsge-
chts anbelangt, ist unstreitig klar, dass damit eine ab-
chließende Bewertung durch das Bundesverfassungsge-
cht gerade nicht getroffen wurde.
ie Sie wissen, Herr Veit, basieren die Beschlüsse aus-
chließlich auf einer Abwägung des Gerichts zwischen
en Folgen, die ohne Erlass der einstweiligen Anord-
ung eintreten, wenn die Hauptsache für den Antragstel-
r erfolgreich wäre, und den Folgen des umgekehrten
alls. Das heißt im Klartext: Die einstweiligen Anord-
ungen, auf die Sie sich in Ihrer Begründung beziehen,
nthalten keine abschließenden Aussagen zur Zulässig-
eit der Überstellungen nach Griechenland. Sie enthal-
n auch keine Beurteilung der Situation in Griechen-
nd. Vielmehr lassen sie gerade die Erfolgsaussichten
er Verfassungsbeschwerde offen.
Das stimmt ganz. Mit einem Satz: Das grundsätzli-
he Festhalten daran, weitere Überstellungen gemäß Du-
lin-II-Verordnung durchzuführen, stellt keine Brüskie-
ng des Gerichtes dar.
Die Behauptung der Antragsteller, für sogenannte Du-
lin-II-Rückkehrer bestehe in Griechenland kein geord-
eter Zugang zum Asylverfahren, ist schlichtweg falsch.
ie griechische Regierung hat bereits im Jahr 2008 er-
lärt, dass es aufgrund des unverhältnismäßig hohen Zu-
troms von Asylbewerbern und Migranten erhebliche
2574 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 28. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2010
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Helmut Brandt
Probleme bei der Aufnahme und Durchführung von Ver-
fahren gegeben habe, die Lage sich aber deutlich verbes-
sert habe. Auch der UNHCR stellt in seinen Studien aus
den Jahren 2007 und 2008 fest, dass Dublin-II-Rückkeh-
rer grundsätzlich die Möglichkeit haben, einen Asylan-
trag zu stellen. Griechenland hatte bereits 2007 den Dub-
liner Büros der Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass die
sogenannte Abbruchpraxis nicht mehr vollzogen wird.
Darüber hinaus hat die griechische Regierung im
Sommer 2009 das ist Ihnen bekannt das Asylantrags-
verfahren dezentralisiert. Ich gebe zu: Es ist noch etwas
früh, um die Auswirkungen abschließend zu beurteilen,
aber es ist sicherlich ein weiterer Fortschritt.
Die Bewertung der Vereinbarkeit von Regelungen des
griechischen Asylrechts mit EG-Recht obliegt im Übri-
gen der Europäischen Kommission. Uns liegen keinerlei
Erkenntnisse vor, die den Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen stützen würden. Gegen Ihren Antrag spricht
auch die Praxis Belgiens, Dänemarks, Finnlands, Frank-
reichs, Großbritanniens, Italiens und anderer europäi-
scher Staaten, die Überstellungen nach Griechenland
grundsätzlich durchführen. Das gilt im Übrigen auch für
die höchstrichterliche Rechtsprechung in diesen Län-
dern. Ich weise auf die Entscheidung des niederländi-
schen Raad van State vom 31. August 2009 hin, wonach
nach Griechenland überstellt werden kann. Der öster-
reichische Asylgerichtshof entschied am 16. Januar 2009
in gleicher Weise und teilte mit, dass eine Verletzung
Ich spreche gerade von der europäischen Menschen-
rechtskonvention, und die ist überall gleich. Das ist nicht
nur in Deutschland so. Der österreichische Asylgerichts-
hof hat entschieden, dass eine Verletzung dieser Men-
schenrechtskonvention gerade nicht vorliegt. Alles, was
Sie zitieren könnten was Sie nicht tun , führt dazu,
dass man Ihrem Antrag nicht folgen kann.
Herr Kollege Veit hat in der Sitzung des Innenaus-
schusses auf die hohe Flüchtlingszahl in Griechenland
hingewiesen. Herr Veit, ich möchte Ihnen einige Zahlen
entgegenhalten; denn die Zahl der Asylbewerber in Grie-
chenland ist seit 2007 erheblich rückläufig,
und zwar ist sie von 25 113 im Jahr 2007 auf circa
12 000 Asylbewerber im Jahr 2009 gesunken. Das zeigt,
dass sich das Problem relativiert hat. Bei den absoluten
Zahlen liegt Griechenland im europäischen Vergleich
hinter Schweden, Frankreich und Großbritannien erst
auf Platz vier in der EU.
Die Bundesregierung geht daher nach unserer Auffas-
sung zu Recht davon aus, dass die griechische Regierung
die erforderlichen Maßnahmen ergreift bzw. bereits er-
griffen hat, um die früheren mit dem ehemals hohen Zu-
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Herr Winkler, ich komme gleich noch zu den Zahlen
nd dann sehen Sie, auf wessen Rücken wir das austra-
en.
Zwar erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen, dass
egenwärtig und in Zukunft im Einzelfall noch Schwie-
gkeiten bei der Durchführung von Asylverfahren mög-
ch sind, aber wir können auch nicht ausschließen da
ebe ich Herrn Josef Winkler recht , dass das im Ein-
elfall zu Schwierigkeiten und Härten führt. Aber das
ann nach unserer Auffassung letztlich nicht ausschlag-
ebend sein; denn es liegen keine Hinweise auf gravie-
nde Verstöße gegen die fundamentale Gewährleistung
es Asylrechts oder Kerngewährleistungen des Flücht-
ngsrechts oder der Menschenrechte in Griechenland
or. Im Übrigen: Griechenland selbst weist zu Recht auf
ine bevorzugte Behandlung sogenannter Dublin-Rück-
ehrer hin.
Josef Winkler, in der Innenausschusssitzung wurde
on mir auch auf die Entscheidungen der Verwaltungs-
erichte in Deutschland hingewiesen, die unter Hinweis
uf die bereits erwähnten Entscheidungen des Bundes-
erfassungsgerichtes Rückschiebungen nach Griechen-
nd aussetzen. Genau das ist der richtige Weg. Nur bei
iner gerichtlichen Entscheidung zur vorübergehenden
ussetzung verlängern sich die Fristen zur Überstellung.
ürde ohne eine gerichtliche Entscheidung von Über-
tellungen nach Griechenland abgesehen, entstünde we-
en Ablaufs der Überstellungsfristen eine deutsche Zu-
tändigkeit zur Durchführung der Asylverfahren. Ich
age ganz klar: Das wollen wir nicht.
Außerdem das dürfte unstreitig sein würde der so-
enannte Pull-Faktor nach Deutschland noch weiter ver-
tärkt, wenn durch die zuständigen Behörden Dublin-
berstellungen nach Griechenland generell ausgesetzt
ürden. Schon 2009 war ein sprunghafter Anstieg uner-
ubter Einreisen an deutschen Flughäfen bei Flügen aus
riechenland zu verzeichnen. Nach den vorliegenden
eststellungen haben sich die unerlaubten Einreisen im
ahr 2009 gegenüber 2008 mehr als vervierfacht. Auch
as wollen wir verhindern.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trägt
er Situation in Griechenland Rechnung, indem es bei
esonders schutzbedürftigen Personen, zum Beispiel bei
inderjährigen, Flüchtlingen hohen Alters, bei Schwan-
eren, bei ernsthaft Erkrankten, Pflegebedürftigen oder
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 28. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2010 2575
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Helmut Brandt
solchen, die besonderer Hilfe bedürfen, von dem Selbst-
eintrittsrecht Gebrauch macht.
Ich nenne auch hier die Zahlen sie sind sehr erfreu-
lich : In 2009 wurde in 871 Fällen davon Gebrauch
gemacht. Demgegenüber wurden in nur 200 Fällen
Überstellungen durchgeführt. Daran sieht man, dass sehr
verantwortungsvoll damit umgegangen wird. Nach mei-
ner Auffassung bedarf es dieses Antrages daher gar
nicht.
Ferner wird der Überstellungszeitraum grundsätzlich
ausgeschöpft, um so eine zeitliche Streckung der Über-
stellung vorzunehmen und eine Entlastung Griechen-
lands zu erreichen. Mithin wird alles getan, was dazu
dient, den Griechen zu helfen.
Da die Kollegin Jelpke deutlich gemacht hat darauf
möchte ich noch zu sprechen kommen, wenn Sie mir ei-
nen Moment Ihre Aufmerksamkeit schenken ,
dass das Dublin-II-Verfahren von ihrer Partei grundsätz-
lich abgelehnt wird und sie dafür eintritt, dass sich
Flüchtlinge ihr Asylland selbst aussuchen dürfen, quasi
nach Katalog, ist darauf hinzuweisen, dass gerade die
Bundesrepublik Deutschland in diesem Fall mit einem
Flüchtlingszustrom zu rechnen hätte, der auch von der
Bevölkerung als nicht mehr hinnehmbar und unerträg-
lich angesehen würde. Das Dublin-II-Abkommen war
und ist insoweit Garant dafür, dass wir keine unkontrol-
lierten und von uns nicht mehr zu bewältigenden Asyl-
bewerberzahlen haben. Insofern kann das wirklich nur
Illusion bleiben.
Im Übrigen lassen wir Griechenland mit seinen Pro-
blemen nicht allein. Ich habe das eben zum Teil schon
gesagt; ich will das nicht wiederholen. Sowohl die An-
gebote des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
als auch die der Regierung, Hilfestellungen zu leisten,
sind Ihnen bekannt. Auch mit Blick auf die finanzielle
Hilfe aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds und die
wahrscheinliche künftige finanzielle Hilfe in organisato-
rischer und personeller Hinsicht durch das EU-Asylun-
terstützungsbüro denke ich, dass Griechenland die Mittel
erhält, die es braucht, um mit dem Flüchtlingsstrom fer-
tig zu werden.
Zusammengefasst bedeutet das: Es bedarf dieses An-
trages nicht, jedenfalls bedarf es der Maßnahme nicht,
weshalb wir den Antrag zurückweisen und ablehnen.