Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25521
(A) )
(B) )
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates die Baumschulwirtschaft betreffen. So ist es aus meiner
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
*
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.06.2009
Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 19.06.2009
Dreibus, Werner DIE LINKE 19.06.2009
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 19.06.2009
Gloser, Günter SPD 19.06.2009*
Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 19.06.2009
Höger, Inge DIE LINKE 19.06.2009
Hübinger, Anette CDU/CSU 19.06.2009
von Klaeden, Eckart CDU/CSU 19.06.2009
Kolbow, Walter SPD 19.06.2009
Koschyk, Hartmut CDU/CSU 19.06.2009
Laurischk, Sibylle FDP 19.06.2009
Lenke, Ina FDP 19.06.2009
Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 19.06.2009
Lips, Patricia CDU/CSU 19.06.2009
Meierhofer, Horst FDP 19.06.2009
Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 19.06.2009*
Merz, Friedrich CDU/CSU 19.06.2009
Reichel, Maik SPD 19.06.2009
Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 19.06.2009
Dr. Scheer, Hermann SPD 19.06.2009
Schily, Otto SPD 19.06.2009
Wieczorek-Zeul,
Heidemarie
SPD 19.06.2009
Wittlich, Werner CDU/CSU 19.06.2009
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 19.06.2009
Zöllmer, Manfred SPD 19.06.2009
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Cajus Caesar, Hubert
Deittert, Enak Ferlemann, Dr. Hans-Heinrich
Jordan, Dr. Rolf Koschorrek, Norbert
Schindler und Dr. Ole Schröder (alle CDU/
CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Na-
turschutzes und der Landschaftspflege (Tages-
ordnungspunkt 54 a)
Der ursprüngliche Entwurf des Bundesministeriums
ür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur No-
ellierung des Bundesnaturschutzgesetzes sah eine
eihe von Standardverschärfungen und praxisfernen Re-
elungen vor. Das konnte im Laufe der Beratungen
urch die Unionsfraktion präzisiert und im Sinne von
konomie und Ökologie verbessert werden.
Obwohl vieles durch die Novelle des Bundesnatur-
chutzgesetzes sinnvoller geregelt werden kann, gibt es
och Regelungen, die ich mir unbürokratischer und pra-
isnäher hätte vorstellen können.
Beispielhaft nenne ich hier die Teile der Bundesnatur-
chutzgesetz-Novelle, die die Baumschulwirtschaft be-
reffen. So ist es aus meiner Sicht unsinnig, Deutschland
ezüglich der Pflanzung von Landschaftsgehölzen in re-
ionale Zonen einzuteilen. Selbst bei einer Übergangs-
eit von zehn Jahren bedeutet das ein Mehr an Protektio-
ismus, da die Samen aus den Regionen Deutschlands
ls Gehölz auch nur in der jeweiligen Region wieder ge-
flanzt werden können. In diesen Punkten hätte ich mir
ine vollständige Übernahme der Beschlüsse der Länder
m Bundesrat gewünscht. Ich habe mich seit Beginn der
eratungen für eine praxisnähere Lösung eingesetzt, die
o leider nicht umgesetzt werden konnte.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Franz-Josef Holzenkamp,
Helmut Lamp und Carsten Müller (Braun-
schweig) (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Rechts des Naturschutzes und der Land-
schaftspflege (Tagesordnungspunkt 54 a)
Der ursprüngliche Entwurf des Bundesministeriums
ür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur No-
ellierung des Bundesnaturschutzgesetzes sah eine
eihe von Standardverschärfungen und praxisfernen Re-
elungen vor. Das konnte im Laufe der Beratungen
urch die Unionsfraktion präzisiert und im Sinne von
konomie und Ökologie verbessert werden.
Obwohl vieles durch die Novelle des Bundesnatur-
chutzgesetzes sinnvoller geregelt werden kann, gibt es
och Regelungen, die ich mir unbürokratischer und pra-
isnäher hätte vorstellen können. Beispielhaft nenne ich
ier die Teile der Bundesnaturschutzgesetz-Novelle, die
25522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
Sicht unsinnig, Deutschland bezüglich der Pflanzung
von Landschaftsgehölzen in regionale Zonen einzutei-
len. Selbst bei einer Übergangszeit von zehn Jahren be-
deutet das ein Mehr an Protektionismus, da die Samen
aus den Regionen Deutschlands als Gehölz auch nur in
der jeweiligen Region wieder gepflanzt werden können.
In diesen Punkten hätte ich mir eine vollständige Über-
nahme der Beschlüsse der Länder im Bundesrat ge-
wünscht. Diese praxisnähere Lösung war leider nicht
mehrheitsfähig.
Anlage 4
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Neuregelung des Rechts des Naturschut-
zes und der Landschaftspflege und den Entwurf
eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des
Naturschutzes und der Landschaftspflege (Ta-
gesordnungspunkt 54 a)
Gitta Connemann (CDU/CSU): Der ursprüngliche
Entwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zur Novellierung des Bun-
desnaturschutzgesetzes beinhaltet eine Reihe von Stan-
dardverschärfungen und praxisfernen Regelungen. Diese
konnten im Laufe der Beratungen von der Unionsfrak-
tion entschärft und pragmatisch angepasst werden.
Vieles wird deshalb durch die Novelle des Bundesna-
turschutzgesetzes zukünftig sinnvoller geregelt werden.
Dennoch gibt es Regelungen, die ich mir unbürokrati-
scher und praxisnäher gewünscht hätte. Beispielhaft
nenne ich hier nur die Teile der Novelle, die die Baum-
schulwirtschaft betreffen. So ist es aus meiner Sicht
unsinnig, Deutschland bezüglich der Pflanzung von
Landschaftsgehölzen in regionale Zonen einzuteilen.
Gehölzer nur in der Region pflanzen zu dürfen, aus der
die Samen auch stammen – das ist eine Zunahme an Pro-
tektionismus, die ich auch trotz einer Übergangszeit von
zehn Jahren ablehne. In diesen Punkten hätte ich mir
eine Übernahme der Beschlüsse des Bundesrates ge-
wünscht. Diese praxisnäheren Lösungen waren jedoch
leider nicht mehrheitsfähig.
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Der ur-
sprüngliche Entwurf des Bundesministeriums für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Novellie-
rung des Bundesnaturschutzgesetzes sah eine Reihe von
Standardverschärfungen und praxisfernen Regelungen
vor. Das konnte im Laufe der Beratungen durch die
Unionsfraktion präzisiert und im Sinne von Ökonomie
und Ökologie verbessert werden.
Obwohl vieles durch die Novelle des Bundesnatur-
schutzgesetzes sinnvoller geregelt wird, gibt es noch Re-
gelungen, die ich mir unbürokratischer und praxisnäher
hätte vorstellen können. Beispielhaft nenne ich hier die
Teile der Bundesnaturschutzgesetz-Novelle, die die
Baumschulwirtschaft betreffen. So ist es aus meiner
Sicht unsinnig, Deutschland bei der Pflanzung von
Landschaftsgehölzen in regionale Zonen einzuteilen.
Selbst bei einer Übergangszeit von zehn Jahren bedeutet
das ein Mehr an Protektionismus, da die Samen aus den
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egionen Deutschlands als Gehölz auch nur in der je-
eiligen Region wieder gepflanzt werden können. In
iesen Punkten hätte ich mir eine vollständige Über-
ahme der Beschlüsse der Länder im Bundesrat ge-
ünscht, die aus meiner Sicht eine praxisnähere Lösung
argestellt hätten.
Ingbert Liebing (CDU/CSU): Der ursprüngliche
ntwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
chutz und Reaktorsicherheit zur Novellierung des Bun-
esnaturschutzgesetzes sah eine Reihe von Standardver-
chärfungen und praxisfernen Regelungen vor, von
enen im Laufe der Beratungen aber durch die Unions-
raktion viele präzisiert und im Sinne von Ökonomie und
kologie verbessert werden konnten.
Während viele Punkte durch die Novelle des Bundes-
aturschutzgesetzes sinnvoller geregelt werden konn-
en, gibt es dennoch Regelungen, die ich gerne unbüro-
ratischer und praxisnäher gelöst gesehen hätte. Als
inen Punkt möchte ich hier explizit die die Baumschu-
en betreffenden Regelungen nennen. Meiner Meinung
ach ist es nicht sinnvoll, Deutschland bezüglich der
flanzung von Landschaftsgehölzen in regionale Zonen
inzuteilen. Selbst unter Berücksichtigung einer zehn-
ährigen Übergangsperiode wird hierdurch ein neuer und
nnötiger Protektionismus geschaffen, da die Samen aus
en Regionen Deutschlands als Gehölz auch nur in der
eweiligen Region wieder gepflanzt werden können. In
iesen Punkten hätte ich mir eine vollständige Über-
ahme der Beschlüsse der Länder im Bundesrat ge-
ünscht. Ich bin in diesem Punkt von Anfang an für eine
raxisnähere Lösung eingetreten, die zu meinem großen
edauern aber nicht durchgesetzt werden konnte.
Gesine Multhaupt (SPD): Hiermit erkläre ich, dass
ch dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimme und die
it dem Gesetz verbundenen Intentionen zur Klärung
nd Vereinheitlichung des Naturschutzgesetzes, dessen
ereinheitlichte Anwendung und Vollziehbarkeit sowie
ine schnellere und effizientere Umsetzung des europäi-
chen Rechts in innerstaatliches Recht mittrage.
Ich halte die Neuregelungen für eine gute gesetzliche
rundlage, gebe allerdings zu bedenken, dass vor allem
ie norddeutsche Baumschulen, viele davon in meinem
ahlkreis, den mittelfristigen Verlust von Arbeitsplätzen
nd die Gefährdung ihrer Existenzen befürchten. Da
chwer vorherzusehen ist, ob mit den Regelungen zum
usbringen gebietsfremder Arten/gebietsfremder Her-
ünfte tatsächlich Aufträge und damit Arbeitsplätze ge-
ährdet sind, bedauere ich, dass es nicht möglich war,
en Forderungen der Ammerländer Baumschulen in
änze Rechnung zu tragen.
nlage 5
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel
Kultur) (Tagesordnungspunkt 55)
Gitta Connemann (CDU/CSU): Ich stimme dem
esetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25523
(A) )
(B) )
Grundgesetzes – Staatsziel Kultur – nach sorgfältiger
Abwägung des Für und Wider nicht zu.
Grund meiner Ablehnung ist nicht das mit dem An-
trag angestrebte Ziel als solches. Dieses ist zutreffend.
Denn in unserem Grundgesetz fehlt aus meiner Sicht das
zwingend notwendige Bekenntnis zu einem Staatsziel
Kultur. Der Schutz und die Förderung von Kultur sind
im Grundgesetz nämlich nicht positiv verankert – leider.
Im Grundgesetz gibt es bereits Staatszielbestimmungen,
die die materiellen Bedingungen menschlicher Existenz
abdecken: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG
sowie den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und
der Tiere durch Art. 20 a GG. Für die geistigen, ideellen
Dimensionen menschlichen Daseins fehlt jedoch eine
entsprechende Bestimmung. Dies führt zu einer verfas-
sungsrechtlichen Lücke: Eine ausdrückliche Formulie-
rung zum Schutz und zur Förderung der Kultur fehlt bis-
her.
Es bedarf eines staatlichen Bekenntnisses und damit
einer Normierung des Kulturauftrages. Die Enquete-
Kommission „Kultur in Deutschland“ hatte deshalb un-
ter meinem damaligen Vorsitz dem Deutschen Bundes-
tag einstimmig empfohlen, Kultur als Staatsziel im
Grundgesetz zu verankern und das Grundgesetz um den
Artikel 20 b GG mit folgender Formulierung zu ergän-
zen: „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ Aus gu-
ten Gründen! Damit meine ich übrigens nicht das zur
Zeit angeführte Argument, ein Staatsziel Kultur böte fi-
nanziellen Schutz auch in finanziellen Krisenzeiten wie
jetzt. Denn durch eine Staatszielbestimmung würde we-
der ein individueller Anspruch auf Leistung begründet
noch Kultur zur Pflichtaufgabe erhoben. Dieses wäre
aber erforderlich, um dem Dilemma der Freiwilligkeit
begegnen zu können. Dass eine Staatszielbestimmung
nicht dazu zwingt, Kulturhaushalte zu erhöhen oder je-
denfalls nicht zu beschneiden, zeigt die Situation in den
Ländern. 15 von 16 Länderverfassungen enthalten jeweils
eine Kulturstaatszielbestimmung. Dennoch sind gerade
in den Ländern in den letzten Jahren die Kulturausgaben
aus Haushaltsgründen gekürzt worden. Demgegenüber
sind die Kulturausgaben des Bundes nachweislich deut-
lich gestiegen – auch ohne Kulturstaatszielbestimmung
im Grundgesetz. Eine kulturelle Staatszielbestimmung
führt also nicht dazu, dass Kultur Pflichtaufgabe wird.
Gemeindliche Pflichtaufgaben können nur durch die Ge-
setzgebung der Länder begründet werden, wie es durch
das Kulturraumgesetz im Freistaat Sachsen erfolgt ist.
Es wäre wünschenswert, wenn alle anderen Länder in
Deutschland diesem leuchtenden Beispiel folgen wür-
den, um die Ausgaben für Kultur von dem Status der
Freiwilligkeit zu befreien und in den Rang der Pflichtig-
keit zu erheben.
Es sind also nicht finanzielle Gründe, die mich für die
Aufnahme eines Staatsziels Kultur in das Grundgesetz
plädieren lassen, sondern ich spreche mich zum einen
dafür aus, da sich aus einer solchen Staatszielbestimmung
ein Kulturgestaltungsauftrag ableiten lassen würde, der
Bund, Länder und Kommunen generell in die Pflicht
nehmen würde. Daraus könnte die Sicherung einer kul-
turellen Grundversorgung hergeleitet werden, deren
Ausprägung unter Berücksichtigung der örtlichen Ver-
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ältnisse konkretisiert werden müsste. Für die Gemein-
en würde dies eine Unterstützung in der Wahrnehmung
hres Kulturauftrages bedeuten. Freiwilligkeit dürfte zu-
ünftig nicht mehr als Beliebigkeit verstanden werden.
Zum anderen würde eine Staatszielbestimmung Kul-
ur nicht nur jedem Gericht als Auslegungs- und Anwen-
ungsmaßstab für das einfache Recht dienen und auch
or dem Bundesverfassungsgericht gegenüber der Prü-
ung von Gesetzen in Ansatz gebracht werden können.
in rechtlich verankerter Kulturauftrag wäre zudem ein
esichtspunkt, der in verwaltungsrechtliche Ermessens-
nd Abwägungsentscheidungen einfließen müsste.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt
eutschland als Kulturstaat bezeichnet. Es darf aber
icht wie bisher der Rechtsprechung des Bundesverfas-
ungsgerichts überlassen bleiben, ob sich die Bundesre-
ublik Deutschland als Kulturstaat versteht. Es kann
icht in der Hand eines Gerichtes liegen, wie wir uns de-
inieren.
Deutschland, das Land der Dichter und Denker, die
eimat von Bach und Beethoven, braucht ein staatliches
ekenntnis zur Kultur. Die Mütter und Väter unseres
rundgesetzes haben dem Staat viele Ziele ins Grundge-
etz geschrieben. Zuletzt wurde der Schutz der Natur,
er Tiere aufgenommen. Aber der Schutz und die Förde-
ung von Kultur als unserer ideellen Lebensgrundlage
ehlt. Dabei sind Kunst und Kultur Teile unserer Identi-
ät. Unsere gemeinsame Kultur hat die Deutschen in den
eiten der Teilung über Mauer und Stacheldraht hinweg
ls Einheit verbunden. Wir begreifen Kunst und Kultur
ls unverzichtbar für den Zusammenhalt unserer Gesell-
chaft. Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament,
uf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut.
eshalb werde ich mich auch zukünftig leidenschaftlich
ür die Aufnahme von Kultur als Staatsziel im Grundge-
etz einsetzen.
Denn alles spricht für diese Verankerung eines Staats-
iels Kultur, allerdings nicht um jeden Preis. Die Empfeh-
ng der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat
eider einen Wettbewerb um Staatszielbestimmungen er-
ffnet, in dem jeder den anderen scheint überbieten zu
ollen. Es wurde der Versuch unternommen, Mehrhei-
en für eine Änderung des Grundgesetzes durch Koppel-
eschäfte zu gewinnen nach dem Motto: Gibst Du mir
as Staatsziel Sport, unterstütze ich das Staatsziel Kul-
ur. Zwischenzeitlich sind weitere Staatsziele wie Gene-
ationengerechtigkeit, Kinderrechte und viele mehr in
er Diskussion. Dabei ist in fast allen Fraktionen des
eutschen Bundestages deutlich geworden: Das Staats-
iel Kultur wird es nur in einem Paket geben. Die Pur-
eit, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch-
and 60 Jahre lang auszeichnete, würde verloren gehen.
Dieser Preis erscheint mir zu hoch. Ich bin nicht be-
eit, für die Verankerung des Staatsziels Kultur im
rundgesetz weitere zusätzliche Staatszielbestimmun-
en billigend in Kauf zu nehmen. Denn ich sehe keine
echtliche Notwendigkeit für Letztere. Da die Zustim-
ung zu diesem Gesetzesantrag aber zwangsläufig in
in solches Koppelgeschäft einmünden würde, werde ich
iesem nicht zustimmen.
25524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
Monika Grütters (CDU/CSU): „Der Staat schützt
und fördert die Kultur“ – das ist scheinbar so selbstver-
ständlich bundesrepublikanische Realität, dass Kritiker
eines neuen Staatsziels Kultur und einer entsprechenden
Verfassungsänderung auf die schöne puristische Karg-
heit der Sprache unseres Grundgesetzes verweisen. Die
Verankerung von Kultur als Staatsziel führe zu seiner
Überfrachtung oder gar Entwertung.
Doch ohne Staatsziele ist das Grundgesetz auch in
seiner jetzigen Gestalt nicht: Aus gutem Grund ver-
pflichtet es uns auf das Prinzip der Sozialstaatlichkeit.
Unbestreitbar ist dies ein Fundament unseres Gemein-
wesens und gerade in diesen Krisenzeiten als Leitbild
staatlichen Handelns wichtig.
Nachdem die „natürlichen Lebensgrundlagen“ und
der „Tierschutz“ als Staatsziele in den 90er-Jahren in das
Grundgesetz aufgenommen wurden, ist die Frage nach
der Relevanz zusätzlicher Staatsziele verständlich. Aber:
Anders als bei den anderen möglichen neuen Staatszie-
len geht es bei der Kultur nicht um die Ansprache einzel-
ner Gesellschaftsbereiche, sondern um das fundamentale
Selbstverständnis der Nation. Kultur ist unsere geistige
Lebensgrundlage. Sie trägt maßgeblich zur Bildung
nationaler Identität bei. Wir in Deutschland sollten uns
dessen besonders bewusst sein, denn Deutschland war
zuerst eine Kultur-, dann eine politische Nation.
Zum kulturellen Leben eines Landes gehört nicht al-
lein das kulturelle Erbe, sondern dazu gehört vor allem
das Neue, die Avantgarde. Damit diese möglich wird,
schützt und fördert der Staat die Freiheit von Kultur und
Wissenschaft. Im Art. 5 des Grundgesetzes heißt es:
„Kunst und Wissenschaft sind frei.“ Hier drückt sich
eine Lehre aus den Abgründen der Diktatur aus, die
Überzeugung nämlich, dass es die Kreativen sind, die
Vordenker, die Geistesgrößen einer Gesellschaft, die
diese vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu
schützen imstande sind. Dies aber können sie nur, wenn
der Staat sie unabhängig macht von Zeitgeist und Geld-
gebern und ihnen Freiraum zur Entfaltung sichert. Und
der Staat tut dies auch, zwar mit nur rund 1,8 Prozent al-
ler öffentlichen Haushalte, aber doch mit nachhaltiger
Wirkung: Deutschland, das Land der Dichter und Den-
ker, ist nach wie vor das Land mit der höchsten Theater-
dichte der Welt, und das gilt ganz genauso für Museen,
Orchester, Literaturhäuser, Archive, Bibliotheken und
Festivals.
Das Bekenntnis zur Kultur ist also immer ein Be-
kenntnis zu den Wertgrundlagen einer Gesellschaft. Des-
halb wäre ein Staatsziel Kultur in der Verfassung, wie es
die Enquete-Kommission Kultur des Deutschen Bundes-
tages empfohlen hat und das viele Kulturpolitiker befür-
worten, kein folgenloser Verfassungsschnörkel, sondern
ein Bekenntnis zu den Wertgrundlagen unserer Gesell-
schaft. Mit einem Staatsziel Kultur würde das kollektive
Bewusstsein für den Wert der Kultur gestärkt.
Angesichts der überragenden Bedeutung der Kultur
für das Selbstverständnis der Kulturnation Deutschland
sollte sich der Staat auch explizit in seiner Verfassung
dazu bekennen, diese Kultur auch weiterhin unvermin-
dert zu schützen und zu fördern.
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Undine Kuth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Bei der heutigen Abstimmung über die Ein-
ügung eines Staatszieles Kultur in das Grundgesetz
erde ich mich im Gegensatz zu meiner Fraktion nicht
er Stimme enthalten, sondern für ein Staatsziel Kultur
otieren, also gegen die Beschlussvorlage des federfüh-
enden Rechtsausschusses, der eine Ablehnung empfoh-
en hat.
Ich habe in der Enquete-Kommission „Kultur in
eutschland“ und in der Abstimmung des Ausschusses
ür Kultur und Medien für ein Staatsziel Kultur votiert.
s ist mit meiner Glaubwürdigkeit als grüne Kulturpoli-
ikerin nicht vereinbar, in der Schlussabstimmung über
iesen Antrag nicht im Sinne meiner Überzeugung abzu-
timmen.
Kunst und Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil
es Lebens und essenziell für unsere Demokratie und
erteordnung. Kulturelle Vielfalt, künstlerische Freiheit
nd der Zugang zu kultureller Bildung sind zentrale Vo-
aussetzungen für Freiheit und Selbstbestimmung.
In der heutigen Wirtschafts- und Finanzkrise steht die
ultur in besonders starken Abwehrkämpfen. Wir erle-
en, wie Theater ums Überleben kämpfen, Bibliotheken
eschlossen werden, soziokulturelle Zentren am Rande
er Selbstausbeutung betrieben werden, wir wissen, dass
as Durchschnittseinkommen der selbstständigen Künst-
erinnen und Künstler 12 616 Euro jährlich beträgt und
ass die Durchschnittsrente der selbstständigen Künstle-
innen und Künstler bei sage und schreibe 785,12 Euro
iegt.
Mit der Bestimmung eines Staatsziels Kultur wird
ich an dieser Situation nichts schlagartig ändern. Aber
ir können die Kultur in ihren Auseinandersetzungen
tärken und anderem Denken ein Stück weit entgegen-
reten. Das Staatsziel Kultur ist für mich eine wichtige
nd richtige Werteorientierung für die kulturpolitische
rbeit auf allen staatlichen Ebenen; insbesondere die
ommunen würden in ihrer grundsätzlichen Aufgabe
ur Förderung örtlicher Kultur gestärkt. Deshalb stimme
ch für ein Staatsziel Kultur.
Die Debatte um ein Staatsziel Kultur ist wichtig, sie
ird weitergehen. Ich hoffe, dass Kultur und Kulturpoli-
ik aus dieser Debatte wie auch aus der gegenwärtigen
rise ihrer Bedeutung entsprechend gestärkt hervorge-
en.
nlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Drit-
ten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Tages-
ordnungspunkt 57)
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Ich stimme
em Gesetz insgesamt zu, da es eine Reihe notwendiger
egelungen sozialpolitischer Art enthält.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25525
(A) )
(B) )
Ich halte die Neuregelungen zum Kurzarbeitergeld
– die Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge für die
ersten sechs Monate, die Verlängerung des Kurzarbeiter-
geldes auf zwei Jahre sowie die volle Übernahme der
Sozialversicherungsbeiträge nach dem sechsten Monat –
für geeignet, um in der gegenwärtigen Krise Arbeitslo-
sigkeit zu vermeiden und Beschäftigung aufrechtzu-
erhalten.
Große Bedenken habe ich aber bei der weiteren Aus-
weitung der Kurzarbeitergeldregelung auf alle Betriebe
eines Arbeitgebers, auch wenn nur in einem Betrieb des
Arbeitgebers Kurzarbeit durchgeführt wurde. Dies be-
deutet die volle Übernahme der Sozialversicherungskos-
ten für alle Arbeitnehmer, obwohl nur ein Teil von Kurz-
arbeit betroffen ist. Ich befürchte ein Ausufern der
Ausgaben bei den Sozialkassen, die nicht durch Kurz-
arbeit begründbar sind.
Diese Regelung lädt geradezu zu „Gestaltungsmög-
lichkeiten“ ein. Schon vor der Verabschiedung des Ge-
setzes macht das Wort von der „Ausplünderung der So-
zialkassen“ die Runde.
Maria Michalk (CDU/CSU): Der von der Bundes-
regierung eingebrachte Gesetzentwurf zu mehreren
Sachgebieten enthält sinnvolle Regelungen, die unter an-
derem davon geprägt sind, kleine und mittelständische
Unternehmen in einer schwierigen wirtschaftlichen
Situation zu stärken und die dortigen Arbeitsplätze zu er-
halten.
Vor allem die Erweiterung der Kurzarbeiterregelung,
ab dem siebten Monat der Kurzarbeiterphase das jewei-
lige Unternehmen von jeglichen Sozialleistungszahlun-
gen zu entlasten, ist zu begrüßen.
Dass aber nunmehr diese Regelung für alle Teilbe-
triebe großer Unternehmen in Summe gelten soll, ohne
dass die Teilbetriebe bisher Kurzarbeit angemeldet ha-
ben, ist nicht nur aus ordnungspolitischen Gesichtspunk-
ten, sondern vor allem aus Gründen der Stabilität der So-
zialkassen nicht nachvollziehbar. Es liegt auch keine
belastbare Kostenabschätzung vor. Die statistische Er-
fassung bzw. Abgrenzungsproblematik ist unklar und
führt offensichtlich zu mehr Bürokratie. Deshalb kann
ich diese Regelung nicht mittragen.
Die weiter in diesem Artikelgesetz enthaltenen Rege-
lungen, wie Ausbildungsbonus für Insolvenzlehrlinge,
die neue Arbeitslosengeldregelung für Künstler und wei-
tere Vereinfachungen und Klarstellungen im Sozialrecht,
sind durchaus zu begrüßen.
Karl Schiewerling (CDU/ CSU): Dem Gesetz, das in
einem sogenannten „Omnibus“-Verfahren im Bundestag
beraten wurde, habe ich zugestimmt, weil eine Einzelab-
stimmung nicht möglich war.
Ausdrücklich stimme ich jedoch der Regelung im
SGB III 421 t Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 nicht zu. Diese neue
Regelung zur Kurzarbeit ermöglicht eine unverhältnis-
mäßige Ausweitung der Kurzarbeit, die die Konzerne
und Großbetriebe begünstigt, die Arbeitslosenversiche-
rung hoch belastet und letztendlich von Klein- und Mit-
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elbetrieben und den Arbeitnehmern bezahlt wird. Das
ehne ich ab.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Zur Verantwortung
des Bundes für die Stärkung der kommunalen
Selbstverwaltung (Tagesordnungspunkt 58)
Antje Tillmann (CDU/CSU): Die Linke überbietet
ich mit ihrem Antrag „Verantwortung des Bundes für
ie Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ erneut
it teuren populistischen Forderungen. Ausführungen
ur Finanzierbarkeit, zu den massiven Auswirkungen
uf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen oder zu den
olkswirtschaftlichen Effekten werden konsequent un-
erlassen.
Statt linker Umverteilungsphantasien erfordert die ak-
uelle Krise vielmehr schnelles und effektives Handeln.
enau dies haben wir mit den Konjunkturpaketen I und II
etan:
Bestehende effektive Fördermaßnahmen wie zum
eispiel das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur
öglichkeit der energetischen Sanierung von Schulen,
indergärten, Sportstätten und sonstiger sozialer Infra-
truktur wurden aufgestockt.
Auch die Erhöhung der Finanzmittel des Bundes für
ie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
irtschaftsstruktur“ im Rahmen eines Sonderprogramms
ür 2009 um 200 Millionen Euro trägt zur Schaffung ei-
es investitionsfreundlichen Klimas in den struktur-
chwachen Regionen bei.
Allein im Rahmen des kommunalen Investitionspro-
ramms stellt der Bund 10 Milliarden Euro in den Jahren
009 bis 2010 – zum Beispiel für Kitas, Schulen, Mehr-
enerationenhäuser und Hochschulen sowie für Ver-
ehrswege, Krankenhäuser und ländliche Infrastruktur –
ur Verfügung, mehr als 7 Milliarden Euro davon gehen
n die Kommunen.
Die Liste der Fördermaßnahmen des Bundes lässt
ich problemlos verlängern. Einige Punkte möchte ich
ber noch hervorheben:
Bis einschließlich 2008 hat allein der Bund insgesamt
2,5 Milliarden Euro an Finanzhilfen für die Städte-
auförderung bereitgestellt. Wir tragen damit dazu bei,
tädte und Gemeinden lebenswert zu erhalten, städte-
auliche Missstände zu beseitigen und eine nachhaltige
tadtentwicklung möglich zu machen. Das Bund-Län-
er-Programm „Soziale Stadt“ beispielsweise richtet
ich auf die nachhaltige Verbesserung der Lebenssitua-
ionen der Menschen in benachteiligten Stadtquartieren.
eit dem Programmstart 1999 bis einschließlich 2008
urden für bundesweit mehr als 520 Fördergebiete in
30 Kommunen rund 760 Millionen Euro Bundesfinanz-
ilfen eingesetzt. 2009 stellt der Bund weitere 105 Mil-
ionen Euro Programmmittel zur Verfügung.
25526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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Neben der Optimierung und Bündelung der Förder-
struktur gehört dazu im Rahmen der zur Verfügung ste-
henden Haushaltsmittel auch der Aufbau des Programms
„Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“, die Stärkung und
der Erhalt innerstädtischer Altbauquartiere beim Stadt-
umbau und die Einführung des in Ostdeutschland be-
währten Programms „Städtebaulicher Denkmalschutz“
auch in Westdeutschland.
Die Kommunen profitieren von der Stärkung der Un-
ternehmen auch im Zuge der Unternehmenssteuer-
reform. Durch neue ertragsunabhängige Bestandteile im
Bereich der Gewerbesteuer wurde die Einnahmebasis
der Kommunen gesichert, ohne dass sie sich auf Dauer
an den Kosten der Reform beteiligen müssen. CDU und
CSU haben sichergestellt, dass die Mindereinnahmen
der öffentlichen Hand, die kurzfristig mit der Unterneh-
menssteuerreform einhergehen, ausschließlich Bund und
Länder tragen.
Wir haben dafür gesorgt, dass Kommunen und kom-
munale Unternehmen von den steuerlichen Auswirkun-
gen und Konsequenzen der Zinsschranke nicht betroffen
sind.
Der Bund beteiligt sich beispielsweise auch an der
Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung mit ins-
gesamt 4 Milliarden Euro an den Aufbaukosten. Die Be-
teiligung des Bundes an den Investitionskosten für die
Ausbauphase bis 2013 ist durch Bereitstellung eines
Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro auf
Grund des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes seit
dem vergangenen Jahr sichergestellt. Die nötigen Mittel
für Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs-, Renovie-
rungs-, Modernisierungs- und Ausstattungsmaßnahmen
sind somit bereits verfügbar und werden von den Län-
dern abgerufen.
Mit dem Kinderförderungsgesetz wurden auch die
notwendigen Änderungen im Finanzausgleichsgesetz zur
Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten in Höhe
von 1,85 Milliarden Euro in der Ausbauphase von 2009
bis 2013 und ab 2014 dauerhaft mit 770 Millionen Euro
jährlich durch eine neue Umsatzsteuerverteilung zuguns-
ten der Länder auf den Weg gebracht. Der Bund verzich-
tet zugunsten der Länder auf diese Mittel aus dem Um-
satzsteueraufkommen, damit die Länder den Trägern der
öffentlichen Jugendhilfe für den Betrieb der Tagesein-
richtungen sowie für die laufende Finanzierung der Kin-
dertagespflege einen entsprechenden Betrag zur Verfü-
gung stellen können.
Meine Damen und Herren von den Linken, das nennt
man Verantwortung! Das sind Maßnahmen, die die Kon-
junktur stärken! Das will ich im Folgenden an vier Punk-
ten beweisen:
Forderung 1: Verankerung eines verbindlichen Anhö-
rungs- und Mitwirkungsrechtes der kommunalen Spit-
zenverbände im Grundgesetz.
Erstens: Mitwirkungsrechte. Die Kommunen werden
regelmäßig vor kommunalrelevanten Entscheidungen
auf Bundesebene angehört. Die Forderung der Linken ist
unnötig. In der Bundesregierung geschieht die Mitwir-
kung der Kommunen auf der Grundlage der Geschäfts-
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rdnung der Bundesministerien, nach der eine Beteili-
ung der kommunalen Spitzenverbände ausdrücklich
orgesehen ist. Im Deutschen Bundestag sieht die Ge-
chäftsordnung des Bundestags vor, im Rahmen der Be-
atungen den auf Bundesebene bestehenden kommunalen
pitzenverbänden im Ausschuss vor der Beschlussfas-
ung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wer die
rbeit in den Ausschüssen verfolgt, der weiß, dass diese
egelung sehr gut funktioniert!
Zweitens: Föderalismusreform I. Den existenziellen
elangen der Kommunen hat die unionsgeführte Koali-
ion mit der Föderalismusreform I Rechnung getragen.
ufgabenübertragungen auf Gemeinden und Gemeinde-
erbände sind seit deren Inkrafttreten nicht mehr zu-
ässig (Art. 84 Abs. 1, Art. 85 Abs. 1 GG). Die frühere
raxis von Rot-Grün, den Kommunen immer neue kos-
enträchtige Aufgaben zu übertragen, hat damit ein Ende
efunden. CDU und CSU haben sich also erfolgreich für
ie Anwendung des Grundsatzes „Wer bestellt, bezahlt“
ingesetzt. Der Weg neuer Aufgaben führt damit grund-
ätzlich über die Länder. Da die in den jeweiligen Lan-
esverfassungen verankerten Konnexitätsregelungen un-
ingeschränkt greifen, ist Aufgabenübertragung auf die
ommunen ohne entsprechende Finanzierung ausge-
chlossen.
Drittens: EU-Vertrag. Das scheinbare Engagement
er Linken für kommunale Rechte entlarvt sich spätes-
ens bei ihrer ideologisch begründeten Position gegen
en EU-Vertrag. Der EU-Vertrag beinhaltet nämlich eine
ntscheidende Stärkung der kommunalen Ebene. Schließ-
ch wird im Vertragstext das Subsidiaritätsprinzip durch
ine klare Kompetenzordnung mit Leben gefüllt. Dazu
ehört, dass die Kommunen in die Subsidiaritätsprüfung
inzubeziehen sind und Brüssel nicht mehr wehrlos ge-
enüber stehen. Mit der 2006 getroffenen Zusammenar-
eitsvereinbarung mit dem Deutschen Bundestag kön-
en auf nationaler Ebene Eingriffe aus Brüssel in die
ommunale Selbstverwaltung früher erkannt und abge-
ehrt werden. Der Vertrag von Lissabon enthält des
eiteren ein Protokoll, das die kommunale Gestaltungs-
reiheit im Bereich der Daseinsvorsorge grundsätzlich
tärkt. Diese ist dringend notwendig, um angesichts des
emografischen Wandels ein hohes Niveau kommunaler
eistungen zu sichern. Hierzu gehören etwa die Kran-
enhäuser, der öffentliche Personennahverkehr und die
ersorgung mit Finanzdienstleistungen. Der im EU-Ver-
assungsvertrag vorgesehene Ausbau der Mitwirkung
er Kommunen auf europäischer und nationaler Ebene
m Rahmen der Subsidiaritätskontrolle wurde wesentlich
on CDU/CSU-Bundestagsfraktion bzw. EVP-Fraktion
nitiiert und unterstützt.
Forderung 2: Entlastung der Städte, Gemeinden und
andkreise für fünf Jahre von Zins- und Tilgungsver-
flichtungen für Altschulden.
Ein kurzer Satz: Scheinbar simpel und einleuchtend.
ie Fraktion Die Linke macht sich wegen solcher Klei-
igkeiten nicht mal die Mühe zu sagen, wer denn dann
ür Tilgung und Zinsen aufkommen soll. Die Höhe der
elastung wird auch nicht beziffert. Hier geht es um
reditmarktschulden der Kommunen, die sich auf etwa
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25527
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75 Milliarden Euro Ende 2008 belaufen. Bei geringen
Tilgungs- und Zinsverpflichtungen, die für fünf Jahre
wegfallen würden, geht es aber im Minimum um 18 Mil-
liarden Euro, die dann wohl vom Bund aufzubringen wä-
ren. Sie haben ja in der nun kommenden Nachtragshaus-
haltsberatung die Möglichkeit, zur Gegenfinanzierung
Kürzungsvorschläge zu machen, um damit zu beweisen,
dass dieser Antrag nicht Wahlkampfgeschrei ist, sondern
ernsthaft von Ihnen verfolgt wird. Sie können ja dann sa-
gen, dass Sie die Altschuldenfinanzierung wichtiger fin-
den als Bildungsinvestitionen und Familienförderung.
Forderung 3: Abschaffung der Gewerbesteuerumlage
von den Städten und Gemeinden an den Bund.
Auch die immer wiederkehrende Behauptung der
Linken eine Abschaffung der Gewerbesteuerumlage an
den Bund würde die Konjunktur stärken, geht an den
Fakten vorbei. Darauf habe ich Sie bereits bei Ihrem vor
ein paar Monaten eingebrachten Antrag eingehend hin-
gewiesen. Ich werde es aber gern noch einmal tun! Zu
ungenau und zu ungleichmäßig würde eine Absenkung
der Gewerbesteuerumlage wirken, um im Großen die
Wirtschaft vor Ort zu stärken. Diejenigen, die aufgrund
sinkender Gewerbesteuereinnahmen Schwierigkeiten
haben, würden keinen Vorteil davon haben, wenn wir die
in Ihrem Antrag aufgestellten Forderungen umsetzten.
Finanzschwache Kommunen haben weniger Gewer-
besteuereinnahmen, weniger Umlage und weniger Vor-
teil durch eine Abschaffung der Gewerbesteuerumlage.
Finanzstarke Kommunen haben viel Gewerbesteuer-
einnahmen, viel Umlage und viel Vorteil durch eine Ab-
schaffung der Gewebesteuerumlage.
Natürlich werden auch finanzstarke Kommunen die
derzeitige wirtschaftliche Situation spüren. Aber die Fi-
nanzschwachen umso mehr! Wir wollen aber natürlich
auch den schwächeren Kommunen Finanzmittel zur Ver-
fügung stellen. Mit Direktzuweisungen an Länder mit
Zweckbindung für kommunale Zwecke können wir
zweckgebundener und zielgerichteter fördern.
Wer die Gewerbesteuerumlage im aktuellen System
unter Beibehaltung der bestehenden Gewerbesteuer ab-
schaffen will, verkennt die finanzpolitische Bedeutung
dieser Umlage: Die Gewerbesteuerumlage geht zurück
auf die am 1. Januar 1970 eingeführte Gemeindefinanz-
reform. Kernstück hierbei war ein Steueraustausch zwi-
schen Bund, Ländern und Gemeinden: Die Gemeinden
wurden an dem Aufkommen der Einkommensteuer betei-
ligt, Bund und Länder erhielten einen Anteil an Gewerbe-
steueraufkommen, Gewerbesteuerumlage. Dies war ein
Wunsch der Kommunen, da die Gewerbesteuer weit
mehr Konjunkturschwankungen unterliegt als die Ein-
kommensteuer.
Forderung 4: Verbreiterung der Bemessungsgrund-
lage der Gewerbesteuer.
Überraschend deutlich ist die Forderung, zur Erweite-
rung der Finanzierung kommunaler Aufgaben die Mie-
ten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren in voller
Höhe dem Gewinn zuzurechnen. Liebe kleinere, mittel-
ständische Unternehmen, die Sie gerade mit Umsatzein-
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ußen zu kämpfen haben: Hier gibt es allen Ernstes eine
artei, die mitten in der Wirtschaftskrise noch mehr
teuern von Ihnen abpressen will und das sogar, wenn
ie keine Gewinne machen: Bäcker, Einzelhändler,
aststättenbetreiber – all diejenigen, die sowieso viel zu
enig von den Konjunkturprogrammen profitieren, sol-
en zusätzlich bezahlen!
Bei all Ihren Forderungen vermisse ich nicht zuletzt
usführungen zur Finanzierbarkeit Ihrer Vorhaben. Sie
chreien nur „Mehr! Mehr !Mehr!“ – der Bund soll mehr
usgeben, ohne System und Klugheit.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass heute von jedem
uro im Bundeshaushalt 15 Cent Schuldzinsen wegge-
en, auch deswegen haben wir die Schuldenbegrenzung
on Bund und Ländern eingeführt
Die Große Koalition stellt sich ihrer Verantwortung in
er aktuellen Krise. Sie von den Linken, tun das noch
icht mal ernsthaft als Oppositionspartei.
Wir werden den Antrag ablehnen.
Bernd Scheelen (SPD): Als kommunalpolitischer
precher der SPD-Bundestagsfraktion und langjähriger
ürgermeister einer Stadt am linken Niederrhein freue
ch mich, dass kommunale Fragestellungen in dieser Le-
islaturperiode häufig auf der Tagesordnung des Deut-
chen Bundestages stehen. Nach dem „Zipfschen Ge-
etz“ nimmt ja bekanntlich die Bedeutung eines Themas
m Verhältnis zu anderen Thematiken schon durch die
äufung zu.
Ist dies nun positiv für die zukünftige Entwicklung
nserer Städte, Kommunen und Landkreise zu werten?
enn man sich die Anträge der Opposition anschaut,
önnen einem da schon erhebliche Zweifel kommen.
Die FDP-Fraktion zum Beispiel untermauerte bisher
hre kommunale Verbundenheit durch eine auffallende
äufung von neoliberal geprägten Anträgen mit dem
iel, das Prinzip der öffentlichen Daseinsvorsorge zu un-
erhöhlen, gemeindliche Unternehmen wie Stadtwerke,
ie Betriebe des ÖPNV, die Wasserwirtschaft oder den
bfallbereich zu bekämpfen und überall die Parole „Pri-
at vor Staat“ auszugeben. Quantität zeugt hier leider
icht von Wertschätzung der Kommunalpolitik. Aber es
erdeutlichte die Rangfolge der Beziehung zu diesem
olitikbereich.
Wenden wir uns dem Anlass der Beratungen des heu-
igen Tages zu: dem Antrag der Fraktion Die Linke „Zur
erantwortung des Bundes für die Stärkung der kommu-
alen Selbstverwaltung“. Er enthält eine undifferenzierte
ielzahl von oberflächlich zusammengeschriebenen
orderungen ohne Rücksicht auf die Verfassungslage.
Was in diesem Katalog hingegen fehlt, ist der wich-
ige europäische Aspekt. Ein Hinweis auf das gestörte
erhältnis der Fraktion Die Linke zu Europa! Offenbar
st bei Ihnen nicht bekannt, dass nahezu 70 Prozent der
uropäischen Richtlinien bzw. Mitteilungen kommunale
omponenten aufweisen und damit unsere Städte, Ge-
einden und Landkreise direkt auf der Ebene der Selbst-
erwaltung tangieren. Offenbar sind Ihnen diverse Ent-
25528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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scheidungen des Europäischen Gerichtshofes nicht
bekannt, zum Beispiel jene vom 9. Juni 2009 mit positi-
vem Ausgang für die Stadtreinigung Hamburg und vier
Nachbarlandkreise auf dem Gebiet der Abfallversor-
gung. Von dieser Stelle: Gratulation an die kommunalen
Spitzenverbände! Eine schallende Ohrfeige für den Neo-
liberalismus und eine Stärkung unseres Modells der Da-
seinsvorsorge.
Es zeigt sich jetzt, dass der Einsatz der SPD-Bundes-
tagsfraktion für eine Verankerung der interkommunalen
Zusammenarbeit im Zuge der Novelle des Gesetzes ge-
gen Wettbewerbsbeschränkungen absolut richtig war.
Schade nur, dass wir vorläufig an der Haltung von CDU/
CSU gescheitert sind. Das Urteil des EuGH ist aber An-
sporn, in der nächsten Legislaturperiode das Thema wie-
der auf die Agenda zu setzen.
Im Antrag der Linken geht es meist um Kommunal-
finanzen. Fördermittel der EU und ihre Auswirkungen
für Gesamtdeutschland werden allerdings nicht ange-
sprochen. Als Grundlektüre empfehle ich daher die über
40 Jahre alte Charta der kommunalen Selbstverwaltung;
dazu den Lissabon-Vertrag, in dem Mitwirkungsrechte
auch mit Blick auf das Regionalprinzip aufgeführt we-
den. Nicht umsonst sind alle kommunalen Spitzenver-
bände heute europabezogen ausgerichtet, nicht nur im
Rat der Kommunen, eben im Sinne von „Selbstverwal-
tung“. Für das „Zipfsche Gesetz“ ist der Ausschluss
europäischer Aspekte im Antrag bzw. der Auswirkungen
europäischer Politik auf Städte, Gemeinden und Land-
kreise ein kaum zu heilender Schwachpunkt!
Ich möchte kurz auf einzelne Aspekte des Antrags
eingehen, der bewusst übersieht, dass Kommunen nach
dem Grundgesetz eben keine dritte Ebene des Staates
darstellen, sondern Teil der Länder sind. Aus diesem
Grunde wurde auch der bis zur 5. Legislaturperiode im
Deutschen Bundestag geführte „Kommunalausschuss“
nicht weitergeführt. Ich selber bedaure, dass bisher nicht
die Möglichkeit der Einrichtung eines Unterausschusses
wahrgenommen wurde. Jedenfalls war es in der 15. Le-
gislaturperiode die rot-grüne Bundesregierung, die durch
Änderung der Geschäftsordnung der Bundesministerien
Anhörungs- und Mitwirkungsrechte der anerkannten
kommunalen Spitzenverbände wesentlich stärkte. Und
wir wollen in der nächsten Legislaturperiode für den
Deutschen Bundestag noch eine entsprechende Erweite-
rung des Art. 70 GO BT analog § 69 GO BT durchset-
zen.
Eine Erweiterung des Grundgesetz-Artikels 28 Abs. 2
GG war im Rahmen der 1. Föderalismuskommission
nicht zu erreichen und in der 2. Kommission kein Ver-
handlungsgegenstand. Anstatt darauf zu beharren, halten
wir Sozialdemokraten es für geeigneter, alles zu versu-
chen, die adäquate Einbindung der nationalen und euro-
päischen Kompetenz kommunaler Spitzenverbände un-
terhalb des GG, aber auch auf EU-Ebene, zu stärken.
Auch die Linke könnte dazu beitragen, dass Fachleute
der kommunalen Spitzenverbände regelmäßig an Bera-
tungen der Ausschüsse und Anhörungen teilnehmen.
Die Neuregelung der Art. 84 und 85 GG spiegelt das
Ziel der kommunalen Spitzenverbände und der Länder,
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as „Durchgriffsrecht“ des Bundes verfassungsrechtlich
u regeln. Dies führte auch zur Verankerung von Haf-
ungsrechten in Länderverfassungen nach dem Motto
Wer bestellt, bezahlt“. Ergebnis war aber auch, dass
icht einmal das sehr erfolgreiche, bundesweite Ganz-
agsschulprojekt der rot-grünen Bundesregierung eine
ortsetzung finden konnte.
Trotz des Kooperationsverbots des Art. 104 b GG ha-
en wir Wege gefunden, wichtige kommunalbezogene
orhaben durchzusetzen, wie zum Beispiel die Förde-
ung der Kinderbetreuung für unter Dreijährige, das
chulstarterpaket, die Aufstockung der Bundesförde-
ung Stadtumbau Ost und West und das stark kommunal
usgerichtete Konjunkturpaket II.
Ihr Antrag dagegen suggeriert einen Bundesegoismus
it Verweis auf die vermeintlich finanziell unzurei-
hende Beteiligung des Bundes an den Kosten der Un-
erkunft, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
inderung sowie der Eingliederung für Menschen mit
ehinderung. Sie übersehen geflissentlich, dass es sich
m einen Kompromiss in Bund-Länder-Verhandlungen
nter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände
andelt. Gerade der Bund, jeweils sozialdemokratische
undesminister, haben hier um eine Entlastung der
ommunen gerungen. Alle gegenteiligen Behauptun-
en sind purer Populismus!
Natürlich ist eine ausreichende kommunale Finanz-
usstattung wichtig. Deshalb haben wir, die SPD-Bun-
estagsfraktion, immer wieder den Bestand und die
tärkung der Gewerbesteuer als Einnahmequelle der
ommunen verteidigt und uns deshalb für die Verbreite-
ung der Bemessungsgrundlage eingesetzt. Was die For-
erung nach Abschaffung der Gewerbesteuerumlage be-
rifft, scheint die Linke nicht nachvollziehen zu können,
ass gerade dies den Einstieg in die Abschaffung der Ge-
erbesteuer insgesamt bedeuten würde. Die Kommunen
egen ausdrücklich Wert darauf, dass auch Bund und
änder ein Interesse am Fortbestand der Gewerbesteuer
aben.
Noch ein Wort zu den angeführten Investitions- und
inanzinstrumenten wie ÖPP und CBL. Der Abschluss
on Cross-Border-Leasingverträgen war Teil kommuna-
er Selbstverwaltung. Das muss wertfrei unterstrichen
erden. Kommunen, die durch die weltweite Finanz-
rise betroffen sind, haben bereits die Möglichkeit der
eratung und Unterstützung durch die KfW. Dazu brau-
hen wir keinen Antrag der Linken. Dies hat der sozial-
emokratische Bundesfinanzminister Peer Steinbrück si-
hergestellt.
Bei ÖPP geht es um die Prüfung, welches für die
ommunen bei anstehenden Investitionen, zum Beispiel
m Straßen- und Schulbau, bei kommunalen Kranken-
äusern und sonstigen öffentlichen Einrichtungen, der
eweils passgenaue Weg ist. Dass die Partnerschaft
eutschland AG ihre Arbeit aufgenommen hat, ist ein
ngebot an die Kommunen, das man annehmen kann,
ber nicht annehmen muss.
Kommunalpolitik ist ein Querschnittsthema, dass
uch in der 17. Legislaturperiode von hohem Interesse
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25529
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sein wird. Hier geht es jedoch nicht um Quantität, um
die vielleicht medienwirksame Häufung gestellter For-
derungen oder umfängliche Anträge in politischen Gre-
mien, hier geht es um Qualität. Erfolgreiche, nachhaltige
kommunalbezogene Politik in einem demokratischen,
föderalen Staat kann man nur in einem gemeinsamen,
abgestimmten Handeln erreichen, unter Wahrung der In-
teressen des Gemeinwohls, somit auch der Kommunen
und der einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Das ist
manchmal mühsam. Aber es beinhaltet die Anerkennung
und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, die
mehr ist als die Beachtung rein finanzieller Interessen.
„Zipf“ ist hier nicht immer hilfreich, der Antrag der Lin-
ken auch nicht.
Frank Schäffler (FDP): Vor nicht einmal zwei Mo-
naten haben wir hier den Antrag der Linken zur Ab-
schaffung der Gewerbesteuerumlage debattiert. Diese
Forderung wiederholt die Linke heute und hat den An-
trag noch um einige Punkte aufgebläht. Während es ih-
nen beim vorherigen Antrag um Umverteilung bestehen-
der Steuereinnahmen ging, ist die Kernforderung heute
die „Verbesserung“ der Gewerbesteuer. Eine gute Steuer
ist für Linke eine, die den Bürgern möglichst viel ab-
knöpft. Daneben wird noch die umfassende Rekommu-
nalisierung – also Verstaatlichung – von Aufgaben ge-
fordert. Immer mehr Staat, immer weniger Freiheit.
Diese Forderung tischt uns die Linke ausgerechnet zwei
Tage nach dem Gedenken an den 17. Juni 1953 auf. Da
haben wir uns erinnern können, wohin zu viel Staat
führt. Dass die Linke in ihrem Antrag in unserem Land
gar einen „Privatisierungswahn“ ausmacht, zeigt, dass er
für eine ernsthafte Debatte nicht geeignet ist.
Wir als FDP-Fraktion halten das Thema Stärkung der
kommunalen Selbstverwaltung, welches im Antragstitel
enthalten ist, aber durchaus für ein ernstes Thema. Schon
Theodor Heuss sagte: „Das Wichtigste im Staat sind die
Gemeinden – und das Wichtigste in den Gemeinden sind
die Bürger!“ Daher fordern wir, das grundgesetzlich
garantierte Selbstverwaltungsrecht der Kommunen zu
stärken. Wir wollen Aufgabenübertragungen an die
Kommunen begrenzen. Das Konnexitätsprinzip („Wer
bestellt, bezahlt“), wonach Bund und Länder sich an den
Kosten übertragener Aufgaben beteiligen müssen, ist in
das Grundgesetz aufzunehmen.
Es ist durchaus richtig, die Finanzen der Kommunen
auf eine solide Grundlage zu stellen. Dieses Ziel ist am
besten zu erreichen, indem die konjunkturanfällige Ge-
werbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatz-
steuer und ein eigenes Hebesatzrecht der Kommunen auf
die Einkommen- und Körperschaftsteuer ersetzt wird.
Katrin Kunert (DIE LINKE): Ich werbe heute für ei-
nen Antrag der Linken zugunsten der Städte, Gemeinden
und Landkreise, dessen Dringlichkeit gerade erst der
Verlauf der 35. ordentlichen Hauptversammlung des
Deutschen Städtetages vom 12. bis zum 14. Mai 2009 in
Bochum mehr als bestätigt hat. Fast jede und jeder, mit
dem ich sprach, ob Oberbürgermeisterin oder Oberbür-
germeister, Bürgermeisterin oder Bürgermeister, unab-
hängig von der Parteizugehörigkeit, bekräftigte Punkt
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ür Punkt das von uns vorgeschlagene Maßnahmebündel
ur Verantwortung des Bundes für die Stärkung der
ommunalen Selbstverwaltung.
Sie mögen einwenden, das sei ein subjektiver Ein-
ruck von mir. Keineswegs! Klicken Sie im Netz die of-
iziellen Reden und Thesenpapiere dieses Städtetages an,
ann finden Sie Formulierungen, die haargenau unserem
ntrag entsprechen. Hier die Probe aufs Exempel: Als
rsten Punkt fordert die Linke die Verankerung eines
erbindlichen Anhörungs- und Mitwirkungsrechtes der
ommunalen Spitzenverbände im Grundgesetz bei Bun-
esgesetzen und Verordnungen, die die Städte, Gemein-
en und Landkreise betreffen. Im Originalton liest sich
as in der Eröffnungsrede des Städtetagspräsidenten, des
ünchner Oberbürgermeisters Christian Ude, so: „Wir
ollen bei der Beratung der Gesetze, die wir auch voll-
iehen müssen, zugezogen werden, und zwar nicht Gna-
en halber, sondern von Rechts wegen! Es ist zu spät,
enn wir erst nachträglich feststellen dürfen, wie welt-
remd manche Regelung aus der Sicht der Praktiker aus-
efallen ist!“ Und wenn sich auch bereits einiges bei der
usammenarbeit der verschiedenen Ebenen verbessert
aben mag, gibt es doch genügend Beispiele dafür, dass
s eines einklagbaren Mitwirkungsrechts bedarf.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Gesetzesvorha-
en der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie
006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-
es über Dienstleistungen im Binnenmarkt im Gewerbe-
echt. Die kommunalen Spitzenverbände wiesen in ih-
em Schreiben ausdrücklich darauf hin, dass sie „wegen
er sehr kurz bemessenen Frist zur Abgabe einer Stel-
ungnahme hinsichtlich der Folgen, die sich aus der Um-
etzung des Gesetzesvorhabens für die Kommunen erge-
en, nur eine summarische Bewertung abgeben können“
nd sie „bei dieser kurzen Anhörungsfrist die Anforde-
ungen an ein ausreichendes Beteiligungsverfahren nicht
rfüllt sehen“.
Auch das Tauziehen von Bundes- und Landespolitik
m die Jobcenter-Reform zeigt glasklar, dass man den
ommunen den Stuhl vor die Tür setzen kann, wenn
an aus gutem Grund lieber nicht mit den Anforderun-
en der Praxis konfrontiert werden will. Seit Dezember
007 wissen wir, dass die Stellen, die Arbeitslosengeld II
nd Grundsicherung gewähren, eine neue Rechtsgrund-
age brauchen, weil das Bundesverfassungsgericht die
ischverwaltung in den „Arbeitsgemeinschaften“ von
gentur und Kommunen ablehnt. Bis heute ist nichts
ntschieden. Dabei geht es um über 6 Millionen Leis-
ungsempfänger, Tendenz steigend. Es geht um über
0 000 Beschäftigte, die zunehmend verunsichert, ja
erbittert sind, weil sie heute noch nicht wissen, wer ihr
ünftiger Dienstherr sein wird, wo und mit wem sie zu-
ammenarbeiten sollen. Das ist ein Skandal!
Dabei ist das Zusammenwirken von Bund, Ländern
nd Kommunen in Krisenzeiten wichtiger denn je. Des-
alb greift die Linke vorbehaltlos auch den Impuls des
tädtetages zur Einrichtung eines kommunalpolitischen
usschusses im Deutschen Bundestag auf. Damit könnte
b der 17. Wahlperiode der notwendige Blick auf die
25530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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Wirkungen von Gesetzen oder Verordnungen für die
kommunale Ebene wesentlich verbessert werden.
Ein zweites Beispiel, wie ernst der Antrag der Linken
die Sorgen und Forderungen der Kommunen nimmt, ist
die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage – hier im
Hohen Hause erst kürzlich noch belächelt und mit über-
großer Mehrheit verhindert. Die Thesen des Städtetags-
Forums zu den Kommunalfinanzen lesen sich da ganz
anders. Ich will Ihnen das nicht vorenthalten: „Die Über-
prüfung der Gewerbesteuerumlage gehört schließlich
ebenfalls auf die Agenda der Revitalisierungsmaßnahmen.
Die Gewerbesteuerumlage ist durch Ausgleichsmaßnah-
men ins Leben gerufen worden, deren Begründungen
heute weitgehend entfallen sind. Eine systematische Über-
prüfung der Gewerbesteuerumlage ist daher dringend ge-
boten. Allerdings handelt es sich bei der Rückführung
dieser Umlage um keine echte Reformmaßnahme für die
Gewerbesteuer, sondern lediglich um eine längst über-
fällige Korrektur eines oftmals ungerechtfertigten Zu-
griffs von Bund und Ländern auf das Gewerbesteuerauf-
kommen. Darüber hinaus erscheint es grundsätzlich
widersinnig, einerseits dem kommunalen Gesamthaus-
halt originäres Steueraufkommen zu entziehen und dann
andererseits die dadurch entstehende Finanzierungslücke
wieder durch gegenläufige Finanzzuweisungssysteme zu
schließen.“
Kollege Bernd Scheelen saß als kommunalpolitischer
Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion mit auf dem Po-
dium dieses Forums. Von ihm kam dabei kein Wort, was
irgendeine Distanz zu dieser Forderung erkennbar machte.
Im Dezember 2008 hingegen wetterte Bernd Scheelen
noch hier im Bundestag gegen den Antrag der Linken
„Gewerbesteuerumlage – An den Bund abschaffen, an
die Länder schrittweise auf Null absenken“ mit diesen
Worten: „Die Gewerbesteuerumlage ist unerlässlich, da-
mit das Interesse des Bundes und der Länder an der
Existenz der Gewerbesteuer Bestand hat.“ Was nun? Er-
kenntnisgewinn oder doppeltes Spiel angesichts eines
übervollen Bochumer Saales kommunalpolitischen
Sachverstandes aus ganz Deutschland?
Hinsichtlich der Gewerbesteuer fordert Die Linke im
fünften Punkt des Antrags, die Bemessungsgrundlage
dieser Steuer unter anderem durch die Einbeziehung der
Freiberufler und andere nichtgewerbliche selbstständige
Tätigkeiten wie Architekten, Rechtsanwälte und Ärzte in
die Gewerbesteuer zu verbreitern, um die Aufkommens-
stabilität zu erhöhen. Ein klares Wort dazu vom Städte-
tag: „Das Ziel der Erhöhung der Aufkommensstabilität
kann durch weitere Maßnahmen zur Verbreiterung der
Bemessungsgrundlagen erreicht werden. (...) Die Strei-
chung der Branchenbefreiung für die freien Berufe“ wird
als eine notwendige Maßnahme dazu angesehen.
Inzwischen ist die Krise real in den Kommunen ange-
kommen, nicht nur medial. Wer in den Stadtkämmereien
vor Monaten noch dachte, der Kelch geht an uns vorbei,
muss nun ernüchtert registrieren: Nicht nur Finanz-
dienstleister haben ihre Gewebesteuer-Vorauszahlungen
auf null gestellt, auch Unternehmen anderer Branchen
sehen sich zu diesem Schritt gezwungen, vor allem in
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er Exportwirtschaft, die dramatische Auftragsrück-
änge zu verkraften hat.
Die Kurzarbeit, mit der viele Unternehmen die nächs-
en Monate bewältigen wollen, schlägt immer öfter in
rbeitslosigkeit um und trifft dann auch die Kommunen
n Gestalt sprunghaft steigender Sozialkosten. Der Städ-
etag rechnet hierbei mit einer Größenordnung von
Milliarden Euro – bei jetzt schon erkennbaren Rück-
ängen der Gewerbesteuer von mehr als 10 Prozent,
elbst Rückgänge von fast 20 Prozent werden nicht aus-
eschlossen.
Der Überschuss aus 2008 im kommunalen Gesamt-
aushalt wird sich 2009 in ein Minus von mindestens ei-
er Milliarde Euro verwandeln. Es wird mit einer drama-
ischen Verschlechterung des Finanzierungssaldos um
indestens 8 Milliarden gerechnet. Die Prognose des
rbeitskreises Steuern vom 14. Mai 2009 rechnet mit
teuerausfällen für die Kommunen bis zum Jahr 2012
on 42,6 Milliarden Euro. Nach heutigem Kenntnis-
tand! Es kann auch schlimmer kommen! Es wird für die
ommunen absolut unmöglich, sich am eigenen Zopf
erauszuziehen!
Selbst wenn man die Zuschüsse des Konjunkturpa-
ets II dagegenrechnet, ergibt sich unter dem Strich ein
inus. Das Institut für Makroökonomie und Konjunk-
urforschung der Hans-Böckler-Stiftung rechnet mit
ommunalen Mindereinnahmen von 1,9 Milliarden Euro
n diesem Jahr und sogar 3,4 Milliarden Euro in 2010.
amit würden den Kommunen 30 bzw. rund 60 Prozent
er zusätzlichen Mittel des Kommunalen Zukunftsinves-
itionsprogramms gleich wieder entzogen.
Problematisch für die Kommunen war und ist die Ver-
nschlagung der Gelder aus dem Konjunkturprogramm II.
urch die langen Debatten insbesondere im Bund und
wischen Bund und Ländern, in denen es hieß, die Mittel
eien für zusätzliche Projekte und dürften nicht im Haus-
alt stehen, haben viele Kommunen den Haushalt über-
rbeitet und für sie wichtige Projekte herausgenommen,
n der Hoffnung, sie dann über das Konjunkturpro-
ramm zu finanzieren. Jetzt müssen sie bis maximal zum
0. November 2009 einen Nachtragshaushalt einbringen,
nd das zum Teil für Summen, die den ganzen Aufwand
icht lohnen. Das betrifft auch die Beantragung der Gel-
er in meinem Land Sachsen-Anhalt. Für den energeti-
chen Umbau einer Heizungsanlage in einem Kindergar-
en in Höhe von knapp 35 000 Euro zum Beispiel muss
enauso viel Papier eingereicht werden, als würde der
anze Kindergarten neu gebaut werden!
Ich könnte jetzt weitere Beispiele dafür bringen, wie
rnst der Antrag der Linken die Sorgen und Forderungen
er Kommunen nimmt. Ich könnte zitieren, wie die im
ochum versammelten Kommunalpolitikerinnen und
ommunalpolitiker zu diesen Forderungen stehen –
ämlich mit buchstäblich offenen Toren. Gönnen Sie
ich die Lektüre! Und vor allem: Sagen Sie Ja zu einem
ntrag, der die Kommunen stärken und ihnen helfen
oll, aus der Krise herauszukommen!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25531
(A) )
(B) )
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das hier zur Debatte stehende Anliegen der Fraktion Die
Linke ist im Grundsatz richtig – der Bund kann und
muss zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung
beitragen.
Viele der Vorschläge sind jedoch nicht zielgenau. Sie
folgen dem Prinzip der Gießkanne, anstatt die knappen
Mittel dort hinzuleiten, wo wir sie am nötigsten brau-
chen: bei den finanzschwachen Kommunen. Leider rü-
cken die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke mit ihrer „Ich-wünsch-mir-was-Haltung“ ein
ernsthaftes Problem – nämlich die Finanzkrise vieler
Kommunen – in ein falsches Licht.
Die Vorschläge machen deutlich, dass Die Linke noch
nicht begriffen hat, dass es bei der Finanzlage der Städte
und Gemeinden hier nicht um einen Ost-West-Konflikt
geht, sondern um strukturschwache Regionen und fi-
nanzschwache Kommunen insgesamt.
Lassen Sie mich dies anhand von drei Beispielen aus
dem Forderungskatalog der Linken erläutern: So fordert
die Linke die Einführung einer kommunalen Investi-
tionspauschale des Bundes für Ostdeutschland und für
finanzschwache Kommunen in Westdeutschland. Wa-
rum fordert sie solche Mittel nicht gezielt für finanz-
schwache Kommunen in Ost und West? Was ist mit den
Wachstumszentren in Dresden und Leipzig? Die Situa-
tion von Kommunen im Saarland, in Rheinland-Pfalz
und in Nordrhein-Westfalen ist in vielen Fällen wesent-
lich bedrohlicher – wie der kommunale Finanz- und
Schuldenreport der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Zugege-
ben: Viele ostdeutsche Kommunen in strukturschwachen
Regionen leiden in besonderem Maße unter Bevölke-
rungsverlusten. Dies rechtfertigt aber nicht, die neuen
Bundesländer pauschal zu berücksichtigen. Hier produ-
zieren Sie von den Linken, ein erhebliches Legitima-
tionsdefizit.
Sie fordern außerdem, Städte, Gemeinden und Land-
kreise für fünf Jahre von Zins- und Tilgungsverpflich-
tungen zu entlasten. Warum gleich alle? Warum nicht
nur die Städte und Gemeinden, die sich aus eigener Kraft
nicht mehr befreien können? Warum auch die umlagefi-
nanzierten Landkreise? Wenn deren Mitgliedsgemein-
den konsolidiert sind, geht es auch den Landkreisen bes-
ser.
Wir Grüne haben in unseren Vorschlägen zur Födera-
lismusreform aufgezeigt, wie man zielgenau den beson-
ders finanzschwachen Kommunen eine Altschuldenhilfe
gewähren kann. Offenbar ist dieser Antrag hier nicht mit
den eigenen Forderungen der Linken zur Föderalismus-
reform II abgestimmt. Hier gab es in Teilen Überein-
stimmung zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke in der Frage der Stärkung der kom-
munalen Finanzausstattung, beispielsweise bei der Auf-
hebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und
Kommunen und einer Altschuldenhilfe auch für Kom-
munen. Davon ist hier keine Rede.
Ebenso wirkt die geforderte Abschaffung der Gewer-
besteuerumlage nach dem Gießkannenprinzip. Sie be-
rücksichtigt nicht die wachsende Kluft zwischen armen
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nd reichen Kommunen, die durch die Wirtschafts- und
inanzkrise noch einmal verstärkt wird. Eine Abschaf-
ung der Gewerbesteuerumlage würde den Kommunen
war mehr Geld ins Säckel spülen, aber die Kommunen,
ie es am nötigsten hätten, die finanzschwachen Kom-
unen in den strukturschwachen Regionen, profitieren
m wenigsten davon, weil sie weniger Gewerbesteuer-
innahmen haben.
Falsch und mutlos ist aber auch die Haltung von
nion und SPD, die meinen, man könne bei der Gewer-
esteuer die Hände in den Schoß legen. Wir müssen die
ewerbesteuereinnahmen noch mehr verstetigen und sie
achhaltiger und gerechter gestalten. Dazu haben wir
rüne bereits im Jahre 2003 Vorschläge für eine „kommu-
ale Wirtschaftssteuer“ vorgelegt, mit der die Bemes-
ungsgrundlage der bisherigen Gewerbesteuer verbreitert
ird. Auch Freiberufler sollen in die Gewerbesteuer-
flicht einbezogen werden. Das vermeidet wirtschaftlich
ft nicht nachvollziehbare Abgrenzungsprobleme und
chafft faire Wettbewerbsbedingungen.
Leider haben Sie von Union und SPD es versäumt,
ei der Föderalismusreform II die nötigen Weichenstel-
ungen für die Kommunen und deren Finanzausstattung
u treffen. Vor dem Hintergrund zunehmender räumli-
her Disparitäten, der wachsenden Kluft zwischen ar-
en und reichen Kommunen muss eine Reform der fö-
eralen Strukturen von den Wurzeln – also den Städten
nd Gemeinden – her gedacht werden. Statt mit unpräzi-
en Forderungen über das Land zu ziehen – wie die Lin-
en dies vormachen – müssen strukturelle Veränderun-
en vorgenommen werden. Hierzu braucht es Mut zur
ezielten Umverteilung unter anderem durch eine Alt-
chuldenhilfe für Kommunen in Haushaltsnotlagen und
egelungen zu einer Mindestfinanzausstattung von
ommunen, die verhindern, dass die Länder – auch den
urch die neuen Verschuldungsregeln aufgebauten – ei-
enen Konsolidierungsdruck auf die Kommunen abwäl-
en. Außerdem bedarf es einer Regelung zur Konnexität
m Grundgesetz, die sicherstellt, dass die Ebene, die die
Musik bestellt“, sie auch bezahlen muss.
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Kran-
kenhaus (Tagesordnungspunkt 61)
Willi Zylajew (CDU/CSU): Unser Volk, unsere Ge-
ellschaft kann mit gewissem Recht stolz auf die stets
esser werdenden Teilhabemöglichkeiten von Menschen
it Behinderungen sein. Keine Frage, dies ist ein steti-
er Prozess, und dies wird auch so bleiben. Schritt für
chritt wurden in den letzten 60 Jahren die Betreuung,
ersorgung, Bildung und die Teilhabe am beruflichen
nd gesellschaftlichen Leben der Menschen verbessert,
ie ein körperliches, geistiges oder psychisches Handi-
ap haben. Ich betone ausdrücklich: Auch die anste-
ende gesetzliche Regelung zum Assistenzbedarf von
enschen mit Behinderungen im Krankenhaus ist ein
25532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
weiterer Schritt in dieser guten Entwicklung. Und es ist
nicht etwa der Schlusspunkt, sondern Teil eines immer-
währenden Prozesses.
Das Assistenzpflegebedarfsgesetz ermöglicht Behin-
derten mit besonderem pflegerischen Bedarf, ihre eige-
nen, bei ihnen beschäftigten Pflegekräfte in das Kran-
kenhaus mit einem Kostenanspruch für Übernachtung
und Verpflegung gegen den jeweiligen Krankenhausträ-
ger mitzunehmen. Durch das Zusammenspiel der per-
sönlichen Assistenzkräfte mit dem Krankenhauspersonal
wird zukünftig eine bessere pflegerische Versorgung für
Menschen mit Behinderungen ermöglicht.
Das Pflegegeld wird auf die gesamte Dauer von sta-
tionären Krankenhausaufenthalten zur Akutbehandlung,
bei einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabi-
litation sowie auf die gesamte Dauer von häuslicher
Krankenpflege, die eine stationäre Behandlung im Kran-
kenhaus ersetzt, weitergezahlt. Auch diese Regelung ist
eine gute Hilfestellung in der beschwerlichen Situation
behinderter pflegebedürftiger Menschen und schafft Si-
cherheit, vor allem auch in finanzieller Hinsicht.
Das Gesetz regelt weiterhin die Weiterleistung der
Hilfe zur Pflege auch für die Dauer des stationären Kran-
kenhausaufenthaltes für pflegebedürftige Menschen mit
Behinderungen, die damit die von ihnen beschäftigten
besonderen Pflegekräfte auch bei stationärer Behand-
lung weiter beschäftigen können. Dies schafft Planungs-
sicherheit auf beiden Seiten.
Ein weiteres Element des Gesetzes ist die Aufnahme
der Palliativmedizin als Pflichtlehr- und Prüfungsfach
im Rahmen des Medizinstudiums in die Approbations-
ordnung für Ärzte. Verbände, zum Beispiel die Caritas,
fordern schon seit langem eine solche Regelung. Studen-
tinnen und Studenten können so die späteren Anforde-
rungen im Berufsleben bei der Versorgung Schwerst-
kranker und Sterbender besser meistern und sind auf den
Umgang mit dem Tod besser vorbereitet.
Im Zusammenhang mit diesem Gesetz regeln wir
auch eine – auf den ersten Blick kleine – Verbesserung.
Für die Betroffenen ist es aber von großer Bedeutung.
Ich nenne die Möglichkeit für Schwerbehinderte zur
kostenlosen Mitnahme eines Begleithundes zusätzlich zu
einer Begleitperson in öffentlichen Verkehrsmitteln. Bis-
lang mussten die Betroffenen zwischen Begleithund und
Begleitperson entscheiden.
Zusätzlich wird der neue Tatbestand „Hilfe für die
Betreuung in einer Pflegefamilie“ geschaffen. An dieser
Stelle möchte ich vor allem unserem Kollegen Hubert
Hüppe danken, der an dieser Initiative maßgeblich mit-
gewirkt und bereits im Februar 2008 im Rahmen eines
Fachgesprächs der Unionsfraktion zur Situation der Kin-
der mit Behinderungen bestehende Unzulänglichkeiten
diskutiert hat. Der geäußerten Kritik von einigen Seiten,
es gäbe nun kein Wahlrecht der Betroffenen zwischen
Heimunterbringung oder der Unterbringung in einer
Pflegefamilie, möchte ich widersprechen. Die Sozialhil-
feträger werden auch in Zukunft nach dem Wohl des
Kindes entscheiden, welche Art der Unterbringung für
das Kind die besser geeignete ist. Außerdem wird gel-
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endes Recht klargestellt. Denn auch bisher galt ein
rundsätzlicher Vorrang der Hilfe in Pflegefamilien als
mbulanter Hilfe vor einer Unterbringung im Heim.
Natürlich gibt es wie bei jedem Gesetz auch beim As-
istenzpflegebedarfsgesetz höhere Erwartungen und
eitere Forderungen. Bei allem Respekt vor Ihrem be-
inderungspolitischen Engagement, Herr Dr. Seifert, Ih-
em Änderungsantrag konnte die Koalition nicht folgen.
an muss die Teilergebnisse würdigen. Und vor allem
uss man die Entwicklungen im Bereich Behinderten-
olitik auch immer vor dem geschichtlichen Hintergrund
ewerten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste unser Volk auf-
rund der schlimmen Entwicklungen während der Herr-
chaft der Nationalsozialisten zwingend eine Neuord-
ung hinsichtlich des Umgangs mit behinderten
enschen vornehmen, dies sowohl im zwischenmensch-
ichen als auch im kollektiven, gesellschaftlichen und
taatlichen Bereich. Auf der einen Seite wurden behin-
erte Menschen oft als Menschen mit gottgewollten Lei-
en dargestellt. Familiäre Hilfe und gesellschaftliche
ildtätigkeit waren über Jahrhunderte das Höchste ihrer
rwartungen. Natürlich war dies nicht ausreichend. Die
ielen Kriegsversehrten in den Jahren nach 1945 legten
ann im Prinzip den Grundstein für eine verlässliche,
taatliche Hilfe.
Bei Menschen mit angeborener Behinderung war bis
itte der 50er-Jahre von Förderung, Bildung oder Teil-
abe kaum eine Rede. Flächendeckend waren in beiden
eilen Deutschlands allein die Versorgung in der Familie
hne heilpädagogische Förderung und/oder die Verwah-
ung in abgelegenen Großeinrichtungen Standard. Dabei
arf man die überwiegend positiven Leistungen von be-
roffenen Familienmitgliedern und der Mitarbeiterschaft
n den Heimen nicht schmälern. Der wirkliche Durch-
ruch zu einer besseren, zu einer planmäßigen Förde-
ung von Menschen mit Behinderungen wurde, abgese-
en vom Reha-Bereich der Berufsgenossenschaften, nur
urch engagierte Eltern erreicht. Von Cottbus bis
achen, von Flensburg bis Berchtesgaden werden heute
ie betroffenen Menschen gefördert und versorgt, haben
echtsansprüche auf Leistungen von Kassen, Kommu-
en, Ländern und Staat. Der fachliche, rechtliche und
aterielle Standard ist gut.
Es ist unbedingt zu hoffen, dass wir dies auch in Zei-
en wirtschaftlicher Krisen fortführen. Mit dem Assis-
enzpflegebedarfsgesetz setzen wir ein gutes Signal, dass
uch zukünftig die Teilhabe und Förderung von Men-
chen mit Behinderungen, die in Deutschland eine lange
radition hat, in unserer Gesellschaft weiter gefördert
ird.
Hilde Mattheis (SPD): Es ist gut, dass mit dem Ge-
etz zum Assistenzpflegebedarf von Menschen mit Be-
inderungen jetzt im Falle eines Krankenhausaufenthal-
es die Sicherheit für eine Kostenübernahme besteht und
egenüber dem Kostenträger der Anspruch auf entspre-
hende Leistungen geltend gemacht werden kann.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25533
(A) )
(B) )
Das sogenannte Arbeitgebermodell ermöglicht Men-
schen mit besonderer Behinderung nach SGB XII eine
persönliche Pflegekraft zu beschäftigen. In Deutschland
sind es circa 500 Menschen. Aber im Fall eines Kran-
kenhausaufenthaltes gab es bislang keinen gesetzlich
verankerten Anspruch gegen die jeweiligen Kostenträger
auf Mitaufnahme dieser Pflegekraft ins Krankenhaus
und auf Weiterzahlung der bisherigen entsprechenden
Leistungen auch während der Dauer der Krankenhausbe-
handlung.
Bislang wurden verschiedene Sozialleistungsberei-
che berührt, was die Kostenträger dazu verleitete, sich
als nicht zuständig zu erklären. Das wiederum hatte zur
Folge, dass die betroffenen Personen im Krankenhaus
oft für sie nicht förderlichen Situationen ausgeliefert wa-
ren. Viele Menschen mit einem hohen Hilfebedarf haben
deshalb Krankenhausaufenthalte vermieden oder auf
aufwändige Untersuchungen verzichtet.
Mit diesem Gesetz haben nun Menschen in Deutsch-
land, die einen sehr speziellen und individuellen Pflege-
bedarf haben, die Pflegekraft an ihrer Seite, die ihre
Bedürfnisse genau kennt. Gerade für Menschen mit be-
sonderem Assistenzbedarf ist die Vertrautheit der Pflege-
kräfte, die Kontinuität der Pflegemaßnahmen von großer
Bedeutung. Und wenn diese Pflegekräfte während eines
Krankenhausaufenthaltes nicht zur Verfügung stehen,
dann besteht die Gefahr, dass wichtige Pflegemaßnah-
men unterbleiben, wie zum Beispiel Umlagerungen bei
Menschen, die spastische Störungsbilder haben. Dann
drohen Kontrakturbildungen und Dekubitusbildungen.
Aber auch für einfachere Hilfestellungen, wie zum Bei-
spiel bei der Nahrungsaufnahme, werden die Pflege-
kräfte gebraucht.
Das Gesetz regelt, dass Versicherte mit einem beson-
deren pflegerischen Bedarf ihre Pflegekräfte mit ins
Krankenhaus nehmen können. In diesem Anspruch sind
auch Übernachtung und Verpflegung der Pflegekräfte
beinhaltet. Außerdem wird das Pflegegeld für die ge-
samte Dauer des stationären Krankenhausaufenthalts zur
Akutbehandlung sowie auf die gesamte Dauer von kran-
kenhausersetzender häuslicher Krankenpflege weiterge-
zahlt. Ich denke, mit diesen Maßnahmen schaffen wir
eine große Erleichterung für pflegebedürftige Menschen
mit Behinderungen, wenn sie sich einer stationären
Krankenhausbehandlung unterziehen müssen, und wir
verbessern die Qualität ihrer Versorgung.
Mit diesem Gesetz regeln wir weitere wichtige
Punkte, zum einen die „Betreuung von Menschen mit
Behinderungen in Pflegefamilien“. Auf diese Änderung
des SGB XII wird meine Kollegin Marlene Rupprecht
eingehen.
Dann enthält dieses Gesetz eine Änderung des SGB IX
im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
und in Bezug auf die Regelung der Fahrtkosten-
erstattung. Mit dieser Änderung wird eine einheitliche
Leistungserbringung sichergestellt und festgelegt, dass
es künftig möglich sein wird, sich von einer Person be-
gleiten zu lassen und einen Hund mitzuführen. Es han-
delt sich also auch im Bereich des SGB IX um eindeu-
tige Verbesserungen für den betroffenen Personenkreis.
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Und schließlich regeln wir mit dem Gesetz die Auf-
ahme der Palliativmedizin als Pflicht- und Prüfungs-
ach im Rahmen des Studiums der Medizin in die Ap-
robationsordnung für Ärzte – ein wichtiger Baustein für
ine gute Versorgung von Menschen in einer Lebens-
hase, in der keine Therapie mehr greift, aber es um die
rhaltung von Lebensqualität geht. Bislang war die
rundlage einer optimalen Versorgung schwerstkranker
der sterbender Menschen das langjährige Erfahrungs-
issen von Ärztinnen und Ärzten, das diese erst nach ih-
em Studienabschluss sammeln konnten. Die Veranke-
ung der Palliativmedizin in der Ausbildung soll dazu
eitragen, dass die Studentinnen und Studenten mit ei-
em gefestigten Grundwissen in diesem Bereich in die
erufsausübung gehen. Wir sind froh, dass auch die
rzte selber diese Regelung begrüßen.
Bedauerlich ist – das möchte ich an dieser Stelle deut-
ch sagen –, dass es mit unserem Koalitionspartner nicht
öglich war, sich auf Regelungen zur Erstattung von
rillen und nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln
ür Taschengeldempfänger in Heimen zu einigen. Damit
üssen auch weiterhin viele der etwa 200 000 Behinder-
n in stationären Einrichtungen auf notwendige Brillen
nd OTC-Präparate verzichten, weil sie diese von ihrem
aschengeld nach § 35 SGB XII selbst nicht bezahlen
önnen. Hier hat die Union vereitelt, für diese Menschen
ine dringend benötigte Verbesserung ihrer Versorgung
esetzlich umzusetzen.
Mit dem Assistenzpflegebedarfsgesetz verbessern wir
ie Lebens- und Versorgungsqualität behinderter Men-
chen in verschiedenen Sozialgesetzbüchern und wir
erbessern die palliativmedizinische Versorgung. Ich
offe deshalb, dass das Gesetz auch die Zustimmung der
pposition hat.
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Ich
öchte mich auf zwei Regelungen konzentrieren, die
ir im Rahmen dieses Gesetzes schaffen. Beide freuen
ich ungemein und schaffen Verbesserungen für behin-
erte Menschen.
Die erste Regelung betrifft die Betreuung behinderter
inder in Pflegefamilien. Familien können in Zukunft
eichter Kinder und Jugendliche mit geistiger und kör-
erlicher Behinderung aufnehmen. Damit können Auf-
nthalte von diesen Kindern in stationären Einrichtungen
ermieden oder beendet werden. Die Zuständigkeit für
ehinderte Kinder und Jugendliche ist bisher geteilt.
ährend bei seelischer Behinderung die Kinder- und Ju-
endhilfe – SGB VIII – zuständig ist, greift bei körperli-
her und geistiger Behinderung die Sozialhilfe
SGB XII. Dies führt etwa bei Mehrfachbehinderungen
u Problemen. Zudem gibt es im SGB VIII den Tatbe-
tand der Vollzeitpflege, im SGB XII nicht. Dies hat zur
olge, dass seelisch behinderte Kinder oft in Pflegefami-
ien aufgenommen werden, geistig behinderte Kinder
ber nicht und stattdessen meist in vollstationären Ein-
ichtungen der Behindertenhilfe betreut werden.
Seit über zwei Jahren mache ich mich als Kinderbe-
uftragte meiner Fraktion in Gesprächen und Beratungen
ür eine politische Lösung stark. Dabei kämpfe ich für
25534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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die sogenannte große Lösung SGB VIII, das heißt, alle
behinderten Kinder und Jugendlichen werden unabhän-
gig vom Grad der Behinderung der Kinder- und Jugend-
hilfe zugeordnet. Leider ist dieses Vorhaben kurzfristig
aus finanziellen, personellen und strukturellen Gründen
nicht umsetzbar.
Mit dem neuen Gesetz regeln wir die Betreuung von
geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugend-
lichen in einer Pflegefamilie deshalb für einen bis Ende
2013 befristeten Zeitraum als Leistung der Eingliede-
rungshilfe im SGB XII. Das heißt: Behinderten Kindern
und Jugendlichen, die Leistungen des Sozialhilfeträgers
erhalten, stehen dieselben Möglichkeiten offen wie an-
deren Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Ju-
gendhilfe. Die Rechte von Familien, Kindern und Ju-
gendlichen werden so gestärkt. Ich werde mich weiter
dafür einsetzen, dass Kinderrechte in allen Rechtsberei-
chen besser berücksichtigt werden. Kinder und Jugendli-
che – ob mit oder ohne Behinderung – haben ein Recht
darauf, gesund aufzuwachsen.
Die zweite Regelung, die ich nennen will, nenne ich
das „Hundegleichstellungsgesetz“. Es freut mich ganz
besonders, auch als Berichterstatterin für den Bereich
Contergangeschädigte, dass wir nunmehr Blindenhunde
und Behindertenbegleithunde im Behindertenrecht
gleichgestellt haben. Nach derzeitiger Rechtslage dürfen
blinde Menschen neben einer Begleitperson auch einen
Blindenhund kostenlos im öffentlichen Personennahver-
kehr mitnehmen. Schwerbehinderte Menschen können
entweder die Begleitperson oder den Hund mitnehmen.
In der Praxis hat dies dazu geführt, dass sich Menschen
mit Behinderung bei der Benutzung von Bus und Bahn
entscheiden müssen, ob sie für die Begleitperson oder
den Hund eine Fahrkarte lösen. Diese unbefriedigende
Regelung wird nun beseitigt. Dieser Schritt bedeutet für
Menschen mit Behinderung eine große Erleichterung im
Alltag.
Beide Änderungen gehen übrigens auf konkrete Ein-
gaben von Bürgerinnen und Bürgern zurück. Als Mit-
glied des Petitionsausschusses freue ich mich, dass Bür-
gereingaben ernst genommen und sorgfältig geprüft
werden und dann wie hier zu Gesetzen mit konkreten
Verbesserungen führen. Dies unterstreicht die Wichtig-
keit des Petitionsrechts und ermutigt hoffentlich alle
Bürgerinnen und Bürger, dieses Recht wahrzunehmen.
Dr. Erwin Lotter (FDP): Die Koalition setzt heute
eine Praxis fort, die sich leider in den Jahren von
Schwarz-Rot in diesem Parlament etabliert hat: Politik
für Menschen mit Behinderungen wird ins Protokoll ver-
bannt. Eine öffentliche Aussprache zu Gesetzen der Re-
gierungskoalition findet nicht mehr statt. Die Kollegin-
nen und Kollegen, die sich immer wieder über
Politikverdrossenheit und mangelnde Präsenz des Parla-
ments im Bewusstsein der Bevölkerung beklagen, sor-
gen mit ihrer „Freitags-ist-um-15-Uhr-Schluss-Mentali-
tät“ dafür, dass an Behindertenpolitik interessierte
Bürgerinnen und Bürger sprichwörtlich in die Röhre
schauen. Der Bildschirm bleibt schwarz, wer mehr wis-
sen will, muss sich mühsam auf die Suche nach Plenar-
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rotokollen im Internet machen oder sich auf die selbst-
eweihräuchernde Öffentlichkeitsarbeit der Koalition
erlassen, die sich natürlich mit einem Feuerwerk von
ressemitteilungen feiern wird.
Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetz zur
egelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus
leiben sich die Regierungsfraktionen neben der Debat-
enverhinderung auch in einer weiteren Disziplin treu:
robleme zwar erkennen, aber nicht richtig lösen. Es ist
nzweifelhaft richtig, dass für behinderte Menschen mit
inem hohen Pflege- und Betreuungsbedarf bei einem
rankenhausaufenthalt die Möglichkeit bestehen muss,
en oder die Assistenten oder Assistentin mitzunehmen.
nd es muss sichergestellt sein, dass auch trotz eines
rankenhausaufenthalts der vertraute Assistent weiter
eschäftigt und finanziert wird. Dieses Anliegen wird
on der FDP uneingeschränkt unterstützt. Die Aufnahme
iner Begleitung in das Krankenhaus ist aber bereits
urch § 2 der Bundespflegesatzverordnung geregelt.
ieser sieht die aus medizinischen Gründen notwendige
itaufnahme einer Begleitperson des Patienten vor.
ine gesetzliche Neuregelung für diesen Bereich ist so-
it nicht notwendig.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum die neue
egelung auf behinderte Menschen begrenzt wird, die
flegekräfte im sogenannten Arbeitgebermodell be-
chäftigen. Das Pflegeproblem greift weit über die
ruppe der behinderten Menschen, die ihre Pflege über
as Arbeitgebermodell realisieren, hinaus. Nicht berück-
ichtigt wird die weitaus größere Gruppe behinderter
enschen, die die Assistenz im Wege des Sachleistungs-
rinzips durch einen ambulanten Dienst in Anspruch
immt. Der Gesetzentwurf führt also zu einer Ungleich-
ehandlung des betroffenen Personenkreises. Er ist des-
alb nicht die Lösung des Problems, sondern bestenfalls
in Einstieg in die Lösung eines viel größeren Problems.
Auch die Regelungen zur Palliativmedizin sind wohl
ut gemeint und werden von der FDP in ihrer Problem-
eschreibung unterstützt. Als praktizierender Arzt versi-
here ich Ihnen aber: Ein zusätzliches Vollstopfen der
pprobationsordnung allein ist der denkbar schlechteste
eg. Jeder Medizinstudent wird Ihnen bestätigen: Der
rüfungsstoff wird auswendig gelernt, aber nicht verin-
erlicht. Zum Arzt wird man nicht im Hörsaal, sondern
n Klinik und Praxis. Und da muss auch die eigentliche
usbildung in Palliativmedizin erfolgen. Ich kann nach-
ollziehen, dass eine stärkere Sensibilisierung der Medi-
iner für palliativmedizinische Verfahren gewünscht
ird. Aber wenn dies erfolgreich bereits im Studium er-
olgen soll, muss die Approbationsordnung an anderen
tellen gestrafft werden.
Weil wir Liberale die Ziele des Gesetzentwurfes wei-
estgehend mittragen, die Umsetzung aber für verfehlt
alten, enthalten wir uns der Stimme. Wir sind uns si-
her: In der nächsten Legislatur werden wir uns erneut
amit befassen müssen, denn von einer umfassenden
nd vernünftigen Lösung der angesprochenen Probleme
st dieses Gesetz weit entfernt.
Dass heute erneut nicht zur Behindertenpolitik debat-
iert wird, sondern die Reden zu Protokoll gehen, hat
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wohl neben dem bereits erwähnten Wunsch vieler Kolle-
ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen nach einem
frühen Start ins Wochenende noch einen anderen Grund:
Zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode steht ein
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Belange
behinderter Menschen auf der Tagesordnung des Deut-
schen Bundestages. Nichts liegt näher, als heute die Bi-
lanz von vier Jahren schwarz-roter Behindertenpolitik zu
ziehen. Und auf einmal wundert man sich nicht mehr,
dass sich vor allem CDU/CSU und SPD dieser Debatte
entziehen. Denn nicht mal die niedrig gesteckten Verein-
barungen des Koalitionsvertrages sind umgesetzt wor-
den. Die vollmundig angekündigte Weiterentwicklung
der Eingliederungshilfe ist bereits im Ansatz, bei der
Einbeziehung der Verbände behinderter Menschen, mit
Pauken und Trompeten gescheitert und daraufhin sang-
und klanglos beerdigt worden. Probleme bei der Früh-
förderung wurden in effektheischenden gemeinsamen
PR-Aktionen der Behinderten- und Patientenbeauftrag-
ten angeklagt, aber nicht gelöst. Nicht mal Kleinigkei-
ten, wie das Problem nicht funktionierender gemeinsa-
mer Servicestellen im Rahmen des SGB IX, konnten
gelöst werden. Apropos SGB IX: Die in der vorletzten
Legislatur mit gutem Grund eingerichtete Internetplatt-
form www.sgb-IX-umsetzen.de wurde still und heimlich
abgeklemmt, allerdings leider nicht, weil das SGB IX
nun umgesetzt wäre. Auch vom Trägerübergreifenden
Persönlichen Budget, dem Hoffnungsträger der Koali-
tion in der ersten Hälfte der Legislatur, spricht heute
kaum noch jemand in Berlin. Dass der Durchbruch die-
ser Form der Leistungserbringung noch immer auf sich
warten lässt, stört CDU/CSU und SPD herzlich wenig.
Anstatt daheim die Hausaufgaben zu machen, hat sich
Schwarz-Rot ab der zweiten Hälfte der Legislatur nur
noch um die UN-Konvention über die Rechte behinder-
ter Menschen gekümmert. Daran wäre nichts auszuset-
zen, wenn dabei auch nur etwas mehr als Symbolpolitik
herausgekommen wäre. Aber als es dann in diesem Win-
ter um die Ratifizierung der Konvention ging, wurde die
völlige Planlosigkeit der Bundesregierung in Fragen der
Umsetzung der Konvention offensichtlich. Pläne zur
Umsetzung der Konvention in deutsches Recht? Fehlan-
zeige. Klarheit über ableitbare Ansprüche und Rechte
behinderter Menschen aus der Konvention? Nicht in
Sicht. Eine korrekte und ehrliche Übersetzung ins Deut-
sche? Nicht mit dieser Regierung.
Als Olaf Scholz vor knapp zwei Jahren sein Amt als
Minister für Arbeit und Soziales antrat, hat er den Bür-
gerinnen und Bürgern die Schaffung der „weltbesten Ar-
beitsvermittlung“ versprochen. Aber wann fängt er da-
mit an? Bei der Jobvermittlung für behinderte Menschen
ist von diesem Anspruch noch nichts zu sehen.
Die behindertenpolitische Bilanz dieser Bundesregie-
rung ist beschämend. Wer gehofft hatte, eine Große
Koalition könnte in Bund und Ländern mehr erreichen
als eine Regierung ohne Bundesratsmehrheit, wurde bit-
ter enttäuscht. Die Große Koalition hinterlässt der kom-
menden Regierung einen immensen Innovationsstau in
der Behindertenpolitik. Deshalb ist eines klar: Eine
Große Koalition hilft behinderten Menschen in unserem
Land nicht!
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Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Dass wir diesen Ge-
etzentwurf heute beraten, ist das Verdienst von Elke
artz. Elke Bartz war seit dem 21. Lebensjahr infolge
ines Autounfalls schwerstbehindert und wurde – wie
blich – anschließend in ein Heim verbannt. Nach jahre-
angem Kampf gelang es ihr und ihrem Mann Gerhard
artz, ihr Leben selbstbestimmt in einem eigenen Haus
u gestalten. Die notwendige Assistenz erkämpften sie
ich über viele Instanzen und sind somit Mitinitiatoren
es sogenannten Arbeitgebermodells, das heißt, Men-
chen mit Pflege- und Assistenzbedarf erhalten ein „per-
önliches Budget“ und beschäftigen damit die von und
ei ihnen angestellten Assistenten selbst. Elke Bartz, die
orsitzende des Forums selbstbestimmter Assistenz be-
inderter Menschen (ForseA e.V.), verstarb im August
origen Jahres, kann also diesen Erfolg leider nicht mehr
it ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus der
manzipatorischen Behindertenbewegung mitfeiern.
Im SGB XII steht im § 63: „In einer stationären oder
eilstationären Einrichtung erhalten Pflegebedürftige
eine Leistungen zur häuslichen Pflege.“ Dies bedeutet,
ass Menschen mit Behinderungen bei einem vorüberge-
enden Aufenthalt im Krankenhaus ihre Assistenzkräfte
icht mitnehmen können und für diese vertraglich ge-
undenen Beschäftigten in dieser Zeit auch kein Geld er-
alten. Da das Krankenhauspersonal lediglich darauf
ingestellt ist, die – abgesehen von der zu behandelnden
rankheit – ansonsten „normalen“ Patienten zu be-
reuen, fehlt diesen sowohl die Zeit als auch die fachli-
he Kompetenz, die behinderungsbedingt anfallenden
usätzlichen Pflege- und Assistenzleistungen zu erbrin-
en. Die Folge: Menschen mit Behinderungen sind un-
erversorgt, teilweise mit tödlichen Folgen. Auf diese ka-
astrophale Situation machte ForseA 2006/2007 in einer
ampagne „Ich muss ins Krankenhaus … und nun?“
ufmerksam und übergab die 70-seitige Dokumentation
er Kampagne am 27. September 2007 auf einer Konfe-
enz der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung,
arin Evers-Meyer (SPD). Sie versprach schnelle Ab-
ilfe.
Neben ForseA wiesen auch andere Institutionen auf
ie katastrophale Versorgung bzw. Assistenzsicherung
ür Schwerbehinderte während ihres Krankenhausauf-
nthaltes hin – zum Beispiel die Landesärztekammer
essen in einer Vorlage an den Gesundheitsausschuss
es Bundestages vom 10. Juni 2008. Trotzdem wurde
ie Bundesregierung nicht aktiv – dies wurde in den
ntworten von Staatssekretär Rolf Schwanitz (SPD) auf
eine Fragen in der Fragestunde im Bundestag am
8. Juni 2008 deutlich.
Im Mai 2009 kam dann endlich der Gesetzentwurf der
oalition. Die Behindertenbeauftragte Evers-Meyer
erkündete in einer Pressemitteilung: „Mit den vorgese-
enen Änderungen wird sichergestellt, dass pflegebe-
ürftige behinderte Menschen auch während eines Kran-
enhausaufenthaltes die für sie notwendigen über das
ormale Maß hinausgehenden Assistenzleistungen er-
alten – erbracht durch ihre vertrauten Assistenzkräfte.“
Etwas anders klang es in der „Anhörung“ und den
chriftlichen Stellungnahmen von Sachverständigen am
25536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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27. Mai 2009 im Gesundheitsausschuss. ForseA, der
Allgemeine Behindertenverband in Deutschland „Für
Selbstbestimmung und Würde“ e.V. – ABiD –, der Bun-
desverband evangelische Behindertenhilfe, ambulante
dienste e.V., die Diakonie, die Deutsche Krankenhausge-
sellschaft und der Paritätische Wohlfahrtsverband ver-
wiesen auf zwei entscheidende Mängel: Erstens greift die-
ses Gesetz nur für Menschen mit Behinderungen, die ihre
Assistenten über das sogenannte Arbeitgebermodell be-
schäftigen. Dies ist nur eine sehr kleine Gruppe, da viele
Betroffene ihre Assistenzleistungen auch über andere Mo-
delle erhalten. Zweitens greift diese Lösung nur bei
vorübergehendem Krankenhausaufenthalt, aber nicht bei
Heilkuren und anderen stationären Aufenthalten in Vorsor-
geeinrichtungen (zum Beispiel einem Müttergenesungs-
heim) und auch nicht in Rehabilitationseinrichtungen.
Trotzdem war die Koalition nicht bereit, entspre-
chende Korrekturen vorzunehmen. Diesbezügliche Än-
derungsanträge der Linken im Gesundheitsausschuss
wurden von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Die Begrün-
dung für die Ablehnung durch die CDU/CSU kann der
vorliegenden Beschlussempfehlung entnommen werden:
„Zwar seien auch andere pflegebedürftige Menschen
von der Problematik betroffen, doch könne der Gel-
tungsbereich mit Rücksicht auf die entstehenden hohen
Kosten aus jetziger Sicht nicht erweitert werden.“
Die Linke wird dem vorliegenden Gesetzentwurf
trotzdem zustimmen, weil wenigstens für eine kleine
Gruppe von Menschen mit Behinderungen das Problem
der Assistenz im Krankenhaus gelöst wird und weil mit
diesem Gesetz (im sogenannten Omnibusverfahren) wei-
tere vernünftige und überfällige Regelungen in anderen
Bereichen getroffen werden, zum Beispiel die Möglich-
keit der kostenlosen Mitnahme von einem Behinderten-
begleithund und (statt bisher „oder“) einer Begleitperson
für berechtigte Personen und die Hilfe für die Betreuung
von Kindern mit Behinderungen in einer Pflegefamilie.
Der Behindertenbeauftragten Evers-Meyer, welche in
einer weiteren Pressemitteilung am 17. Juni verkündete:
„Die bange Frage „Ich muss ins Krankenhaus … was
nun?“ braucht sich jetzt hoffentlich kein behinderter
Mensch mehr stellen“, und dieser sowie der kommenden
Bundesregierung sei ins Stammbuch geschrieben: Bange
Fragen bleiben, auch die Gefahr der Unterversorgung
von vielen Menschen mit Behinderungen. Wir brauchen
auch Lösungen, damit Menschen mit Behinderungen
nicht länger Kuren und andere stationäre Vorsorge- und
Rehaleistungen verwehrt werden, weil ihr Assistenzbe-
darf nicht gesichert ist. Wir brauchen den barrierefreien
Zugang zu allen stationären und ambulanten Angeboten
zur medizinischen Versorgung. Gemessen an den Ver-
pflichtungen, die sich aus Art. 25 der UN-Behinderten-
rechtskonvention ergeben, ist dieser Gesetzentwurf nur
ein kleiner Schritt. Wir, und hier meine ich die selbstbe-
stimmte Behindertenbewegung, werden auch im Sinne
von Elke Bartz weiter kämpfen.
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ein Omnibus hat viele Sitzplätze und jeder wird
mitgenommen. Genauso erscheint das Assistenzpflege-
bedarfsgesetz als eine Ansammlung von Regelungen,
die noch irgendwie in dieser Legislatur beschlossen wer-
den müssen und einmal mehr, einmal weniger mit Assis-
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enz, Pflegebedürftigkeit und Behinderung in Zusam-
enhang stehen.
Assistenzpflegebedarfsgesetz heißt es, weil es im
ern den Einsatz von Assistenzpflegekräften im Kran-
enhaus regelt. Das Gesetz beschreibt das sonore Ziel,
ass pflegebedürftige behinderte Menschen ihre persön-
ichen Assistenzpflegekräfte mit in das Krankenhaus
ehmen können, wenn ein stationärer Aufenthalt not-
endig wird: eine längst überfällige Regelung, nachdem
ie Behindertenverbände für Personen mit Assistenz un-
altbare pflegerische Missstände und vermeidbare To-
esfälle in Krankenhäusern vermelden und die Unterver-
orgung in diesem Bereich seit Jahren anprangern. Somit
ürfte das Gesetz ein Bonbon an pflegebedürftige Men-
chen mit Behinderung sein, das wir als ersten Schritt in
ie richtige Richtung begrüßen. Denn erstmalig wird an-
rkannt, dass hier ein über die Pflege hinausgehender
nterstützungsbedarf existiert.
Die Einschränkung aber folgt auf dem Fuße – nur ein
anz kleiner Teil von Menschen mit Behinderung
ommt in den Genuss dieser Leistung. Die Sicherstel-
ung und Kontinuität des Assistenzbedarfs steht nur den-
enigen zu, die in einem bestimmten Arbeitsverhältnis
ueinander stehen – also beschäftigten Assistenzen im
rbeitgebermodell. Ein selbst bestimmtes Arbeitsmodell
och dazu – es sind diejenigen, die ihre Alltagsunterstüt-
ung und Pflege durch von ihnen angestellte besondere
ssistenzkräfte sicherstellen. Und nur die! Sie werden
ich nun fragen: Und die anderen pflegebedürftigen
enschen mit Behinderung, die zum Beispiel ihre As-
istenz von ambulanten Diensten oder anderen Anbie-
ern erhalten? Diese haben zwar den gleichen Wunsch
nd auch Bedarf – aber den Fehler: Sie beschäftigen ihre
ssistenz nicht nach dem Arbeitgebermodell. Aus die-
em schwer zu begründenden und zu rechtfertigenden
mstand bekommen sie die neue Leistung nicht. Unver-
tändlich und inkonsistent ist, dass der Kreis der Inan-
pruchnehmerinnen und Inanspruchnehmer von einem
rbeitsmodell abhängig ist und nicht von den vorliegen-
en Bedarfen. Problematisch wird es, wenn man künftig
atienten im Krankenhaus erklären muss, warum die
erson im „Nachbarbett“ mehr Unterstützung bekommt
ls sie selbst. Obwohl wir den Ansatz des Gesetzes un-
erstützen, halten wir diese Ungleichbehandlung für
alsch, weil letztlich aus rein ökonomischen Gesichts-
unkten heraus so entschieden wurde.
Beim Einsatz von Assistenzen in Krankenhäusern
öchte ich noch auf etwas hinweisen: Es darf nicht dazu
ommen, dass – wie von Experten befürchtet – Kranken-
äuser sich hier aus ihrer pflegerischen Verantwortung
tehlen. Ganz nach dem Motto „Ist ja eine oder einer da,
er bzw. die wird die pflegerische Versorgung für uns
bernehmen!“ So weit darf es nicht kommen, denn die
flegerische Versorgung ist originäre Aufgabe des Kran-
enhauspersonals. Die Kliniken haben einen gesetzli-
hen Sicherstellungsauftrag zu erfüllen, egal ob ein
ensch eine Behinderung hat oder nicht. So habe ich
ein Verständnis dafür, wenn argumentiert wird, dass
eine Zeit im Krankenhausalltag verbleibt, um eine Per-
on auch mit besonderem Hilfe- und Unterstützungsbe-
arf zu lagern oder Essen zu reichen und es deshalb einer
ssistenz dafür bedarf. Unserer Meinung nach ist der
nspruch auf Assistenz völlig gerechtfertigt, wenn die
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Versorgung des besonderen Pflegebedarfs nur durch die
Assistenz gewährleistet werden kann, beispielsweise wenn
es bei einer Versorgungsmaßnahme eines weitreichenden,
individuumsbezogenen Wissens über die zu unterstützende
Person bedarf, der nur eine persönliche Assistentin oder
ein persönlicher Assistent nachkommen kann. Es gilt also,
den besonderen Bedarf der pflegebedürftigen Menschen
mit Behinderung in den Blick zu nehmen.
Wir wollen dieses Gesetz, weil es ein erster Schritt in
die richtige Richtung ist und weil damit grundsätzlich
anerkannt wird, dass in bestimmten Fällen der Bedarf
über die normale pflegerische Versorgung hinausgeht,
die vom Krankenhaus geleistet werden kann. Wir wollen
aber mehr und dürfen nach der Gesetzesverabschiedung
nicht dabei stehen bleiben, sondern müssen Mittel und
Wege zur Erschließung weiterer Bedarfskreise finden.
Hier ist auch die Krankenhauslandschaft gefordert, mit-
zudenken und auch interne Lösungen zu finden. Die
Gruppe demenziell erkrankter und multimorbider Men-
schen wird zunehmen und zukünftig einen großen Teil
der Patienteninnen und Patienten im Krankenhaus aus-
machen. Auch und gerade diese Gruppe hat einen sehr
hohen Unterstützungsbedarf. Auch bei ihnen spielt die
Unterstützung durch vertraute Bezugspersonen, wie im
Falle der Assistenz bei Behinderung, eine wesentliche
Rolle im Genesungsprozess. Denn Pflegebedürftigkeit
ist eben oft auch Behinderung. Ohne Assistenz ist dieser
Personenkreis im Krankenhaus oft unterversorgt. Aber
sind hier nicht zuvörderst die medizinischen Versor-
gungssysteme und ihre Institutionen gefragt, personen-
zentrierte Pflege und Hilfe zu leisten und sich auf die
„neue“ Patientenlandschaft einzustellen? So neu ist diese
Klientel für die Krankenhäuser nun auch wieder nicht!
Und noch ein beförderter Fahrgast im Omnibus des
Assistenzpflegebedarfgesetzes: die Aufnahme des
Pflichtlehrfaches Palliativmedizin in die Ausbildung der
Ärzte. Dazu beglückwünschen wir die Koalition. Sie hat
sich nun der stetigen Forderung von uns Grünen ange-
schlossen. Wir propagieren diese Regelung schon lange
und auch mit Entschiedenheit, wie wir in einem Antrag
zum Leben am Lebensende vor jetzt über einem Jahr
zum Ausdruck gebracht haben. Bisher war es dem Gut-
dünken der Ärzte oder ihrem Eigeninteresse überlassen,
sich in diesem wichtigen Bereich fortzubilden. Ange-
sichts der zukünftig noch zunehmenden Herausforde-
rung der Versorgung Schwerkranker und Sterbender
muss dieser Bereich verpflichtend werden. Denn nur so
ist die optimale Versorgungssituation zu gewährleisten
und trifft auf Mediziner, die ein Grundverständnis von
palliativer Versorgung haben. Der Omnibus hat an Fahrt
aufgenommen, und wir wünschen uns jetzt nur, dass er
sich nicht nur bis zur nächsten Zieletappe bewegt.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Großen Anfrage: Jugend-
strafrecht im 21. Jahrhundert (Tagesordnungs-
punkt 60)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Mit einer Großen Anfrage glaubt die Fraktion
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ündnis 90/Die Grünen der Bundesregierung auf dem
eld der Jugendkriminalität „auf den Zahn“ fühlen zu
üssen. Was Bündnis 90/Die Grünen unter dem Arbeits-
itel „Jugendstrafrecht im 21. Jahrhundert“ versteht, wird
chon in den ersten Absätzen der Großen Anfrage deut-
ch. Verharmlosend wird ausgeführt, der weit überwie-
ende Teil der Jugendkriminalität sei dem Bereich der Ba-
atell- und Konfliktkriminalität zuzurechnen. Als Beleg
erden Ladendiebstahl, Schwarzfahren und Körperverlet-
ung in einem Atemzug genannt. Körperverletzungen als
agatelldelikte dem Schwarzfahren gleichzustellen, ist
ber für Opfer von Straftaten keine gute Botschaft. Ge-
ade jugendlichen Straftätern müssen ihre Grenzen auf-
ezeigt werden. Dazu gehört auch, dass sich der Staat als
ehrhafter und starker Staat zeigt, der sich schützend
or Opfer stellt und auch Körperverletzungsdelikte kon-
equent verfolgt.
Dass zu einem vollständigen Bild eines Jugendstraf-
erfahrens auch die Erörterung des Opferschutzgedan-
ens gehört, haben Bündnis 90/Die Grünen zwar er-
annt, das Opfer selbst steht dabei aber nicht im
ittelpunkt. Bündnis 90/Die Grünen geht es nicht um
ie Bedürfnisse eines von einem Jugendlichen Verletz-
en. Es wird vielmehr gefragt, wie sehr die seit dem Jahr
006 durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz im Ju-
endstrafverfahren zugelassene Nebenklage den jugend-
ichen Angeklagten mit zusätzlichen Verfahrenskosten
elastet. Dabei lässt sich diese Frage allerdings schon
urch einen Blick ins Gesetz beantworten. Die Neben-
lage im Jugendstrafverfahren ist nämlich nur bei eini-
en Verbrechen zugelassen (§ 80 Abs. 3 JGG), und bei
iesen zahlt der Staat den Opferanwalt (§ 397 a Abs. 1
tPO). Nicht einmal die Frage, ob es unter dem im Ju-
endstrafrecht geltenden Erziehungsgedanken nicht ge-
adezu geboten ist, den jugendlichen Straftäter auch mit
en Tatfolgen, die für das Opfer eintreten, zu konfrontie-
en, wird gestellt.
Dass die Nebenklage im Jugendstrafverfahren bei
ündnis 90/Die Grünen noch nicht angekommen ist,
eigt auch deren Frage nach einer Pflichtverteidigerbe-
tellung für den jugendlichen Angeklagten bei einer an-
altlichen Opfervertretung. Da die Nebenklage aber nur
ei namentlich aufgezählten Verbrechen (§ 80 Abs. 3 JGG)
ulässig ist, steht dem jugendlichen Angeklagten nach
68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit § 140 Abs. 1 Ziff. 2
tPO in diesen Fällen immer auch ein Pflichtverteidiger
u. Auch damit wird deutlich, wie ausgewogen die
echtspolitik der Großen Koalition ist und wie demge-
enüber Bündnis 90/Die Grünen Jugendstrafrecht mit
unnelblick auf den jugendlichen Straftäter fokussiert
etreibt.
Demgegenüber erfreulich ist das Ergebnis der Großen
nfrage, auf deren 205 Fragen die Bundesregierung de-
ailliert und fundiert auf 169 Seiten geantwortet hat. Als
azit ist festzuhalten, dass das derzeitige Jugendstrafver-
ahren den Anforderungen der Rechtswissenschaft ge-
echt wird. Innen- und Justizministerium betreiben eine
riminalpolitik mit Augenmaß, die unaufgeregt auf die
ielfältigen Formen kriminellen jugendlichen Verhaltens
it einer breiten Palette von Sanktionen reagiert. Immer
ann, wenn Medien über Gewalttaten Jugendlicher
25538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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(14 bis 18 Jahre) und Heranwachsender (18 bis 21 Jahre)
berichten, wird der Ruf nach Verschärfungen im Jugend-
strafrecht laut. Dies gilt insbesondere für Taten Heran-
wachsender. Viele wollen diese konsequent dem Er-
wachsenenstrafrecht unterwerfen. Wer Auto fahren und
wählen darf und wer das Vaterland verteidigen kann, sei
eben kein Kind mehr, heißt es da schnell. Richtig ist,
dass der Staat, der die Sicherheit seiner Bürger zu ge-
währleisten hat, auf Straftaten mit Sanktionen reagieren
muss, aber eben mit Augenmaß. Neueste Erkenntnisse
über die Entstehung von Jugendkriminalität sind dabei
ebenso zu berücksichtigen wie die Wirkung von staatli-
chen Sanktionen auf Jugendliche und Heranwachsende.
Der jeweilige Reifegrad des Täters erfordert unter-
schiedliche, differenzierte Reaktionen des Staates.
Soweit Bündnis 90/Die Grünen die Verfahrensmaxi-
men und Sanktionsmöglichkeiten, die das Jugendstraf-
recht bietet, abklopft, sind die Antworten der Bundes-
regierung wissenschaftlich fundiert abgesichert und teilweise
mit Statistiken belegt. Eindrucksvoll wird dargelegt,
dass und womit die Bundesregierung auch im Bereich
des Jugendstrafrechts und der inneren Sicherheit auf
dem neuesten wissenschaftlichen Stand ist. Durch Sym-
posien und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe fließen die
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Rechts-
politik ein.
Soweit im Fragenkatalog mögliche neue Maßnahmen
angesprochen werden, wird sich das Parlament überle-
gen müssen, ob die Forderung nach einem Fahrverbot
als eigenständige Sanktion für Jugendliche und Heran-
wachsende nicht doch eine wirkungsvolle Reaktion auch
auf ein Fehlverhalten, das außerhalb des Bereiches von
Verkehrsdelikten liegt, sein könnte. Eine Einschränkung
der Mobilität verfehlt meines Erachtens ihre Wirkung
nicht. Gegen die Einführung eines Warnschussarrestes
sprechen die empirischen Forschungsergebnisse. Beim
Vollzug von Arrest ist die Rückfallquote höher als bei ei-
ner zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe.
In die Zukunft gerichtet wird man sich aber Gedanken
machen müssen, wie sicherzustellen ist, dass die Strafe
der Tat auf dem Fuße folgt. Dies ist nämlich eine Bot-
schaft, die jugendliche Straftäter am besten verstehen.
Die Zeitspanne zwischen Straftat und Gerichtsverhand-
lung ist, insbesondere im Jugendstrafverfahren, zu lang.
Ein Themenkomplex lohnt auch debattiert zu werden,
wie nämlich der zunehmenden Gewaltbereitschaft ge-
genüber Polizeibeamten bei Einsätzen entgegengewirkt
werden kann. Der Staat darf nicht tatenlos zusehen, wie
Jugendgruppen Festnahmehandlungen stören und unter-
halb der Schwelle einer Beihilfehandlung gegenüber der
Polizei „Macht“ demonstrieren. Dies muss durch eine
Ausweitung der Strafbarkeit im Bereich des § 113 StGB
(Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) aufgefangen
werden. Zu denken ist an die Übernahme von Tatbe-
standselementen aus dem Straftatbestand des Landfrie-
densbruchs (§ 125 StGB) in den des § 113 StGB.
Ergebnis sorgfältiger Lektüre der Antwort der Bun-
desregierung ist, dass gesetzgeberischer Handlungsbe-
darf nicht gegeben ist. Defizite im bundespolitischen
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erantwortungsbereich haben sich nicht ergeben, wie-
ohl man über Verbesserungen des Jugendstrafverfah-
ens immer nachdenken kann.
Jörg van Essen (FDP): Wir haben alle die Warnung
er Innenminister von Bund und Ländern vor einer zu-
ehmenden Gewalt gegen Polizeibeamte von Anfang
ieses Monats als ein alarmierendes Ergebnis der Früh-
ahrstagung der Innenminister in Erinnerung. Ich habe in
iesem Zusammenhang einen Kommentar der FAZ noch
or Augen. Der Kommentator schrieb: „Die zuneh-
ende Aggressivität von Jugendlichen – bei Fußball-
pielen, Demonstrationen, in ihrem Kiez –, der man-
elnde Respekt vor staatlicher Autorität und die
ehlenden Reaktionen der Politik auf diese Entwicklung
ind unter Polizisten seit langem das Gesprächsthema
ummer eins.“
Vollkommen zu Recht hat daher nicht nur NRW-In-
enminister Wolf aufgefordert, Polizisten besser gegen
ewaltexzesse zu schützen. Ihm ist uneingeschränkt zu-
ustimmen: Gewalt gegen diejenigen, die uns schützen
nd die Recht und Gesetz durchsetzen, ist völlig
nakzeptabel. Das heißt für die FDP aber vornehmlich
ie Ausnutzung des bestehenden Strafrahmens und nicht
ie reflexartige Forderung nach Verschärfung von Straf-
orschriften.
Aber auch das hat die Debatte bei der IMK wieder
ehr deutlich werden lassen: Wir dürfen vor Jugendge-
alt nicht die Augen verschließen. Wegsehen hilft hier
eder den jungen Tätern, die man – das weiß ich auch
ufgrund meiner früheren Tätigkeit als Oberstaatsan-
alt – häufig noch auf die richtige Bahn bringen kann,
nd erst recht nicht den Opfern! Die brutalen Bilder der
ideoaufzeichnung der Münchener U-Bahn haben uns
lle sehr betroffen gemacht. Berichte über kaltblütige Ju-
endgangs in Berlin, Hamburg und anderswo erfüllen
ns alle mit Sorge.
Ich freue mich deshalb sehr, dass wir heute mit dieser
ebatte die Möglichkeit haben, das Thema Jugendkrimi-
alität grundsätzlich zu beleuchten. Für die FDP kann
ch Ihnen versichern, dass wir uns den Herausforderun-
en des Jugendstrafrechts gerne stellen und wir hier für
ie 17. Legislaturperiode zumindest den Bedarf sehen,
n einigen wenigen Stellen des Jugendstrafrechts auch
achzujustieren.
Die Daten, die die Große Anfrage uns hierfür liefert,
erden dabei außerordentlich dienlich sein. Ich möchte
n dieser Stelle aber nicht verhehlen, dass ich verwun-
ert bin, wie dünn die Datenlage an mancher Stelle er-
cheint. Ich habe es sehr bedauert, zu oft zu lesen, dass
keine belastbaren Erkenntnisse“ vorlagen. Bei einem
olch wichtigen Thema ist dies sehr ärgerlich. Gleichzei-
ig finde ich es beruhigend, dass die Bundesregierung
anch einer Forderung widersteht und so zum Beispiel
uch für die Beibehaltung der Führungsaufsicht im Ju-
endstrafrecht ist. Das Jugendstrafrecht lebt gerade von
er Vielzahl ganz unterschiedlicher Instrumente, die es
em Jugendrichter ermöglicht, eine pädagogisch am Tä-
er orientierte Maßnahme zu finden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25539
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Die FDP hat sich stets für einen nachhaltigen Um-
gang mit dem Thema eingesetzt. Als das Thema Jugend-
gewalt zu Jahresbeginn 2008 aufgrund des damaligen
hessischen Landtagswahlkampfs auch zu einem großen
bundespolitischen Thema wurde, war es die FDP, die zur
Besonnenheit mahnte. Das FDP-Bundespräsidium hat
seinerzeit einen Beschluss mit dem Titel „Sofortpro-
gramm gegen Jugendgewalt und Jugendkriminalität“
vorgelegt. Unsere Thesen von damals haben nach wie
vor Gültigkeit. Anders als andere Streiter auf dem Feld
haben wir das Thema aber nie nur in Wahlkampfzeiten
besetzt. Ich selbst habe hierzu in den vergangenen Mo-
naten verschiedene Vorträge gehalten; auch Partei-
freunde haben dieses Thema in den Ländern weiter vo-
rangetrieben.
Dabei war und ist unser Ansatz allerdings anders als
der von Bündnis 90/Die Grünen. Dort heißt es – ich zi-
tiere aus der Webseite der Bundestagsfraktion von Bünd-
nis 90/Die Grünen –: „Unser Ziel ist, das Jugendstraf-
recht den aktuellen Bedürfnissen der Jugendlichen von
heute anzupassen.“ – Was für ein fundamentales Miss-
verständnis von Strafrecht – und auch erst recht des Ju-
gendstrafrechts! Ziel des Jugendstrafrechts ist es doch
vor allem, erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder
Heranwachsenden entgegenzuwirken, nicht aber, es den
Bedürfnissen der Täter anzupassen. Um dieses Ziel zu
erreichen, sind die Rechtsfolgen und, unter Beachtung
des elterlichen Erziehungsrechts, auch das Verfahren
vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.
Es ist genau diese Kuschelpädagogik, die in dem zi-
tierten Satz der Grünen so deutlich wird, mit der man
den jungen Menschen nicht nur nicht hilft, sondern viel-
mehr – so jedenfalls meine Sorge – kriminelle Karrieren
erst befördert. Dabei wissen wir, dass gerade bei jungen
Menschen erzieherische Maßnahmen noch greifen kön-
nen. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass Erziehung
nicht zwingend immer den Bedürfnissen der Jugendli-
chen von heute – und wahrscheinlich auch nicht derer
von gestern – entspricht. Auch in der Antwort der Bun-
desregierung heißt es zutreffend: Im Jugendstrafrecht
geht es nicht zuerst um möglichst große Milde, sondern
um die bestmögliche und jugendgemäße Vermeidung
künftiger Straffälligkeit.
Ich sagte bereits, dass die FDP das Thema seit langem
besetzt, nicht nur zu Wahlzeiten. Gleichzeitig ist es für
uns aber auch selbstverständlich, dass wir hierzu auch
Antworten in unserem beim Bundesparteitag in Hannover
beschlossenen Deutschlandprogramm zur Bundestags-
wahl geben: Bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität
muss das breite Instrumentarium des Jugendstrafrechts
dazu konsequent angewendet werden. Hierfür ist in erster
Linie eine bessere Vernetzung von Polizei, Justiz, kom-
munaler Jugendhilfe, Jugendgerichtshilfe und Schule
vor Ort notwendig, wie sie beispielsweise durch soge-
nannte Häuser des Jugendrechts in den Kommunen reali-
siert werden kann.
Die FDP ist auch für den Ausbau der pädagogischen
Reaktionsmöglichkeiten auf Fehlverhalten Jugendlicher
durch den Warnschussarrest. Auch die Anfang des Jah-
res vorgestellte Studie des Deutschen Instituts für Wirt-
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chaftsforschung – DIW – hat nochmals deutlich ge-
acht, wie wichtig es ist, dass einer Straftat die Strafe
uf dem Fuße folgt. Ein mögliches Instrument hierfür ist
erade der Warnschussarrest, für dessen Einführung ich
ich schon lange stark mache. Ich war deshalb offen ge-
agt sehr enttäuscht, dass der Bundesregierung hier bei
en Antworten die Kraft gefehlt hat und man sich nur
inter dem Koalitionsvertrag versteckt. Eine Große An-
rage gibt gerade auch die Möglichkeit, über die Tages-
olitik hinaus zu denken. Dies ist hier leider versäumt
orden. Für meine Partei steht fest: Der Warnschuss-
rrest soll neben einer zur Bewährung ausgesetzten Ju-
endstrafe oder einer Aussetzung der Verhängung der
ugendstrafe angeordnet werden können und dem Ju-
endlichen so deutlich machen, dass sein schwerer
echtsverstoß nicht ohne jede unmittelbare Folge bleibt.
Gleichzeitig ist für die FDP der Ausbau der Präven-
ion besonders wichtig. Es ist gut, dass dieser Gedanke
uch in der Großen Anfrage Raum einnimmt. Die FDP
ill die Ursachen für die Kinder- und Jugendkriminalität
ekämpfen und beseitigen. Auch hier ist eine bessere
ernetzung aller Beteiligten aufseiten der Polizei, Justiz,
ugendhilfe und Schule, aber auch die Einbeziehung von
ltern vonnöten. Der zu beobachtenden Verrohung der
esellschaft insbesondere bei Jugendlichen muss ver-
tärkt entgegengewirkt werden.
Der Verhinderung von Gewaltverbrechen durch Be-
ämpfung der Ursachen von ausufernder Gewalt gilt un-
er ständiges Augenmerk. Ich habe das Gefühl, dass wir
n diesem Sinne die Antworten noch genau analysieren
üssen. Ich bin mir sicher, dass wir bei diesem Thema
inen gemeinsamen Ansatz finden werden, auch wenn
ch die Sorge habe, dass sich unsere Bewertung zum
eispiel der Maikrawalle unterscheidet. Ich finde aber,
s sollte Demokraten einen, auch von jungen Menschen
inen Respekt nicht vor der Obrigkeit (!), sehr wohl aber
or Menschen und demokratischen Institutionen einzu-
ordern. In diesem Sinne freue ich mich darauf, wenn
ir das so wichtige Thema in der 17. Wahlperiode ge-
einsam engagiert vorantreiben.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Jugendstrafrecht im
1. Jahrhundert, welche Erwartungen, welche Änderun-
en sind erforderlich, welche Forderungen seitens der
egierung berechtigt?
Auch wenn die Bundesregierung in der Antwort auf
ie Große Anfrage den gegenteiligen Eindruck erwecken
ill, war eines der wesentlichen Ziele in dieser Legis-
atur, das Jugendrecht dem Erwachsenenstrafrecht anzu-
ähern. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für
eranwachsende geht bei einer notwendigen Verbesse-
ung des Jugendrechts im Sinne einer weiteren Orientie-
ung auf Erziehung und Resozialisierung in die völlig
alsche Richtung.
Erstaunlich ist schon, dass die Regierung in der Ant-
ort auf die Große Anfrage feststellt, dass wichtige
andlungsfelder im Bereich der Jugenddelinquenz eben
icht die Gesetzgebung, sondern Defizite in der prakti-
chen Umsetzung betreffen, sei es die Beschleunigung
on Verfahrensabläufen, bis zur Vollstreckung, ausrei-
25540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
chende personelle und sachliche Ausstattung von Poli-
zei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichten, ganz zu
schweigen von der Jugendgerichtshilfe. Allerdings, und
da wird wieder das Katz-und-Maus-Spiel betrieben, liegt
dies doch alles dummerweise in der Zuständigkeit der
Länder.
Umso erschreckender ist es, dass im Rahmen der Fö-
deralismusreform auch die Kompetenz zur Regelung des
Jugendstrafvollzugsrechts auf die Länder übertragen
wurde. Erst wird die Verantwortung weggeschoben, und
dann heißt es: „Ja, da können wir ja leider nichts ma-
chen.“
Und soweit die Bundesregierung die Verschärfung des
Jugend(straf)rechts immer wieder zum Wahlkampfthema
macht – ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die
extremistischen Parolen eines gewissen Herrn Koch aus
Hessen erinnern –, widerlegt sie sich selbst, indem sie
sich auf ein übereinstimmendes Fazit von diversen For-
schungsergebnissen bezieht, dass die Befürchtung spe-
zialpräventiv negativer Wirkung in den Fällen, in denen
härtere Sanktionen durch weniger eingriffsstarke ersetzt
worden sind, sich nicht bestätigt hat. Für die behauptete
Überlegenheit härterer Sanktionen gibt es keine empiri-
sche Basis (Antwort auf Frage 39 der Drucksache). Im
Gegenteil, die Rückfallquoten bei harten Sanktionen
sprechen eine ganz andere Sprache.
Das Problem besteht in dem Zustand der Gesellschaft,
in den sozial ungerechten Verhältnissen, die delinquen-
tes Handeln befördern. Vorrangige Probleme sind die
verfehlte Schul- und Bildungspolitik, die völlig unzurei-
chende personelle und materielle Ausstattung der Justiz
und der Bewährungshilfe, der Jugendämter und die feh-
lenden sozialen Betreuungsangebote für Jugendliche und
Heranwachsende in den Kommunen. Grund ist die Strei-
chung von finanziellen Mitteln in allen öffentlichen Be-
reichen. Es gilt vordringlich, die bestehenden Defizite
im Bereich Bildung und Kultur, Jugendpolitik und Kom-
munalpolitik zu beheben. Klammer zwischen diesen
Problemen, die Ursache der Kriminalität sind, ist die So-
zialpolitik. Die Mittel für Jugend- und Familienhilfen
müssen erhöht werden. Die Angebote in der Kinder- und
Jugendsozialarbeit müssen ausgebaut und für jeden zu-
gänglich gemacht werden.
Im Bereich der Strafprävention muss man ansetzen,
bevor Kinder zu jugendlichen Gewalttätern werden. Das
bedeutet, Beratungsstellen für Eltern zu schaffen, ein
Aufwachsen in Kinderarmut und ohne Bildungschancen
etc. zu verhindern, gute Betreuungsangebote zu schaffen
für Kinder und Jugendliche und generell alle mit Kin-
dern und Jugendlichen befassten Stellen miteinander zu
vernetzen.
Förderlich ist ein schnelles Strafverfahren. Die schnel-
leren Verfahren können jedoch nur durch bessere perso-
nelle – also auch finanzielle – Ausstattung von Gerich-
ten, Staatsanwaltschaften und der Jugendgerichtshilfe
gesichert werden. Und hier tragen sowohl CDU/CSU als
auch die SPD langjährige (Landes-)Verantwortung. Es
müssen jeweils spezialisierte Staatsanwälte und Richter/
-innen im gesamten Verfahren auftreten. Aber auch der
Vollzug muss gestärkt, also finanziell gefördert werden.
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mmerhin erkennt die Bundesregierung, dass wirkungs-
olle ambulante Maßnahmen einen erheblichen Zeitauf-
and erfordern, drückt die Zuständigkeit aber in die
änder ab, in der Hoffnung, dort werde dies berücksich-
igt, wobei Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass nach
er Personalbedarfsberechnung „PEBB§Y“ gerade im
ustizbereich Stellen gestrichen wurden, ohne auf diese
berlegungen einzugehen.
Wichtig sind auch Ursachenforschung und die Ausar-
eitung neuer Konzepte für eine verbesserte Zusammen-
rbeit aller Stellen und für neue pädagogische Projekte.
ier sind die Baustellen, an denen bei einem guten Ju-
endrecht des 21. Jahrhunderts zu arbeiten ist. Mit härte-
en Sanktionen und Wahlkampfgetöse ist keinem ge-
ient.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf
aum einem Politikfeld – außer vielleicht in der Auslän-
er- und Flüchtlingspolitik – wird in der politischen De-
atte so viel populistischer Schindluder getrieben wie
uf dem Feld des Jugendstrafrechts. Wir haben im hes-
ischen Landtagswahlkampf 2008 gesehen, wie Roland
och sich nicht scheute, einen sicherlich schlimmen
orfall auf unsägliche Art und Weise für sich auszu-
chlachten. Und wieder einmal folgten die altbekannten
erschärfungsforderungen von der Herabsetzung des
trafmündigkeitsalters über die Heraufsetzung der
öchststrafen bis zur generellen Anwendung des Er-
achsenenstrafrechts auf Heranwachsende.
Wir Grüne haben uns dadurch in unseren Vorarbeiten
u der Großen Anfrage nur bestärkt gesehen und haben
ie Koch-Kampagne zum Anlass genommen, deutlich
Halt! So nicht!“ zu sagen. Auch wenn es nicht schlag-
eilenträchtig ist: Wir wollen eine sachliche Bestands-
ufnahme und eine möglichst breite Datengrundlage für
ine rationale Kriminalitätspolitik, gerade für straffällig
ewordene Jugendliche und junge Erwachsene.
Die weit reichende Reform des JGG im Jahre 1990
ar ein Einschnitt. Aber auch danach ging die Debatte
m das Jugendstrafrecht weiter. Jenseits der kontrapro-
uktiven und in der Sache nicht begründeten Verschär-
ungsforderungen gibt es zukunftsweisende Konzepte
ur Weiterentwicklung des Jugendstrafrechts. Es ist Zeit,
iese Debatten zu bündeln und gesetzgeberisch zu nut-
en. Im Februar 2008 haben wir daher unsere Große An-
rage zum Jugendstrafrecht im 21. Jahrhundert einge-
eicht, Ende Mai 2009 haben wir die Antwort der
undesregierung erhalten. Je länger die Beantwortung
ebraucht hat, desto mehr hofften wir, dass sie gehaltvoll
ein würde. Gemessen an unseren Erwartungen ist die
ntwort allerdings höchstens durchwachsen.
Ich will dennoch ausdrücklich den Dank an die Bun-
esregierung, an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
m Bundesjustizministerium und die vielen weiteren be-
eiligten Stellen voranstellen. Die Bearbeitung der um-
assenden Fragestellung bedeutete einen erheblichen
eit- und Arbeitsaufwand, das ist uns bewusst.
Aber nun zum Inhalt. Auch als Opposition scheuen
ir uns nicht, das Positive anzuerkennen. Die Bundes-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25541
(A) )
(B) )
regierung lehnt mit klaren Worten – bis auf das allge-
meine Fahrverbot – alle konservativen Verschärfungs-
vorschläge ab. Das begrüßen wir. Wir hoffen sehr, dass
das angesichts des nahenden Endes der Legislaturpe-
riode nicht wohlfeil gesprochen war und auch für die
nächste Bundesregierung – wie auch immer sie zusam-
mengesetzt sein möge – gelten wird.
Was aber fehlt, ist ein Konzept und eine Vision für ein
reformiertes, modernes Jugendstrafrecht des 21. Jahr-
hunderts, das wir nicht nur im Titel unserer Anfrage ein-
gefordert haben. Es ist enttäuschend, dass sich die Bun-
desregierung um klare Aussagen zur Ausweitung und
Stärkung des Jugendstrafrechts drückt, obwohl es hierzu
seit Jahrzehnten konkrete Vorschläge gibt. Ich kann nur
einige herausgreifen.
Vorab wollen wir aber mit einem Vorurteil aufräu-
men, das eine ängstliche Debatte prägt und den Konser-
vativen Munition liefert: Das Jugendstrafrecht ist nicht
milder als das Erwachsenenstrafrecht, es fasst die Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen nicht mit Samt-
handschuhen an. Das Jugendstrafrecht ist anders, weil es
vorrangig nicht ahndet und sühnt, sondern anleitet, führt
und gestaltet: Es erzieht! Vieles spricht dafür, in Zukunft
die flexiblen Maßnahmen des Jugendstrafrechts auch auf
Menschen bis zum 25. Lebensjahr anzuwenden. Die Ent-
wicklung der Kriminalitätsbelastung im Altersverlauf ist
dabei ein zwingendes Argument. Vieles spricht dafür,
das Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden nicht selte-
ner, sondern häufiger anzuwenden. Vieles spricht auch
dafür, Jugendgerichten mehr Möglichkeiten der Hilfe-
stellung, der Begleitung, der Lenkung von straffällig ge-
wordenen Jugendlichen an die Hand zu geben, bevor sie
zu ahndenden Maßnahmen greifen müssen.
Auf der anderen Seite muss das Jugendstrafrecht auf
Unbrauchbares und Überlebtes verzichten. Vieles spricht
dafür, den Arrest zu verändern, zu beschränken, viel-
leicht sogar auf ihn zu verzichten. Besser wäre es sicher,
soziale Trainingskurse nicht nur als ambulante, sondern
auch als stationäre Maßnahme im Jugendstrafrecht vor-
zusehen. Vieles spricht außerdem dafür, überholte Be-
griffe, hinter denen sich überholtes Denken verbirgt, aus
dem Jugendstrafrecht zu streichen – ich denke dabei an
„Zuchtmittel“ und „schädliche Neigungen“.
Jede rationale Kriminalitätspolitik, besonders bei Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen, erfordert eine em-
pirische Grundlage. Man muss das Feld kennen, das man
bestellen will. Damit steht es – um es mal sehr vorsichtig
auszudrücken – nicht zum Besten. Am häufigsten be-
ginnt die Bundesregierung ihre Antworten mit dem Satz:
„Gesicherte Erkenntnisse liegen nicht vor.“ Das ist keine
Zustandsbeschreibung, das ist eine Mangelbeschreibung.
Und so verwundert es nicht, dass zum Beispiel nicht be-
kannt ist, ob jugendliche Gewaltkriminalität häufiger
und schwerer geworden ist oder ob sie nur öfter ange-
zeigt und anders wahrgenommen wird. Die viel zu weni-
gen – auch von der Bundesregierung selbst referierten –
Studien zum Dunkelfeld und sogenannte Wiederholungs-
befragungen zeigen eher eine Abnahme kriminellen Ver-
haltens Jugendlicher, und auch die Ergebnisse der neues-
ten Kriminalstatistik geben entsprechende Hinweise. So
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iel zu den Grundlagen einer rationalen Kriminalitäts-
olitik.
Dabei ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung
es Bundesverfassungsgerichts und damit sozusagen
on Verfassungswegen zum theoriegeleiteten und er-
enntnisbasierten Wissenszuwachs verpflichtet. Der Ge-
etzgeber muss für sich selbst und für die Gesetzes-
nwender sichern, aus der Anwendung und Wirkung der
estehenden Normen des Jugendstrafrechts lernen zu
önnen. Das geschieht am besten durch Datenerhebun-
en, die wissenschaftlicher und politischer Erkenntnis-
ewinnung dienen, zur Suche nach besten Lösungen an-
pornen und eine demokratische Verantwortung für die
n allen jugendgerichtlichen Maßnahmen innewohnen-
en Grundrechtseingriffe geltend zu machen erlauben.
o weit das Bundesverfassungsgericht.
Wir stellen also die im Übrigen nicht neue Forderung,
ie Eingriffselemente des Jugendstrafrechts endlich wis-
enschaftlich zu begleiten und in ihrer Wirksamkeit zu
ewerten. Wir können erst dann zufrieden sein, wenn die
undesregierung bei der nächsten Anfrage zum Jugend-
trafrecht ihrer Antwort die Bemerkung voranstellen
ann: „Hierzu liegen ausführliche und aussagekräftige
ntersuchungen vor.“ Unsere Anfrage beinhaltet – ge-
ade vor dem Hintergrund der Antwort der Bundesregie-
ung – ein Arbeitsprogramm: Die Politik muss die Prä-
ention stärken, gerade bei Jugendlichen und jungen
rwachsenen. Hier zahlt sich jede Investition mehrfach
us. Es braucht Konzepte, aber auch finanzielle Mittel
nd den Willen zur Vorsorge statt zur Nachsorge bei de-
inquenten Jugendlichen.
Wir wollen das Jugendstrafrecht stärken und aus-
auen, sowohl in seinem Anwendungsbereich als auch
ei der notwendigen Qualifizierung aller, die professio-
ell mit delinquenten Jugendlichen arbeiten müssen. Die
eform des Jugendstrafrechts gehört im nächsten Bun-
estag ganz oben auf die Agenda der Rechtspolitik.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Die-
es Haus hat sich in einer Aktuellen Stunde im Januar
008 das letzte Mal ausführlich damit beschäftigt, wie
er sachgerechte Umgang mit Jugendkriminalität und
it jungen Straftätern aussehen sollte. Damals standen
ine aufgeregte öffentliche Diskussion und teilweise popu-
stische Forderungen nach Verschärfungen des Jugend-
trafrechts im Hintergrund. Die schrecklichen Bilder ei-
er einzelnen Tat waren in Hessen Anlass, dieses Thema
ls scheinbar besonders zugkräftiges Wahlkampfthema
u instrumentalisieren.
Es freut mich, dass dem damals nicht nur die Fach-
eute nahezu einhellig entgegengetreten sind. Auch die
undesregierung ist bei ihrer Linie einer rationalen Kri-
inalpolitik geblieben, die gerade im Bereich des Jugend-
trafrechts nach einer sorgfältigen Beachtung empirischer
nd kriminologischer Erkenntnisse und Bewertungen
erlangt und die nicht populistischen Verlockungen und
lltagstheorien folgen darf. Denn mit vorschnellen Ge-
etzesänderungen ist weder einer besseren Eingliederung
unger Straffälliger gedient noch dem Schutz der Allge-
einheit. Ein heranwachsender Straftäter würde durch
25542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
eine Geldstrafe, die er nach dem Erwachsenenstrafrecht
in den meisten Fällen erhielte, kaum besser auf den
richtigen Weg zu bringen sein als mit einem sozialen
Trainingskurs, Anti-Aggressivitäts-Training, Wiedergut-
machungsleistungen oder gemeinnütziger Arbeit. Das
geltende Jugendstrafrecht bietet viele Möglichkeiten, um
flexibel und dem Entwicklungsstand angemessen reagie-
ren zu können. Bei schwerwiegenden Straftaten ermög-
licht auch das Jugendstrafrecht mehrjährigen Freiheits-
entzug in Form der Jugendstrafe.
Und: Populäre Forderungen nach gesetzlichen Ver-
schärfungen sind schnell und einfach erhoben. Sie ver-
stellen aber den Blick auf das, was eigentlich getan wer-
den muss. Das beste gesetzliche Instrumentarium nützt
nichts, wenn es in der Praxis nicht konsequent umgesetzt
werden kann, weil die geeigneten sogenannten ambulan-
ten Maßnahmen nicht flächendeckend angeboten werden
oder weil Verfahren nicht zügig genug durchgeführt wer-
den können, weil Jugendhilfe, Polizei und Justiz perso-
nell und sachlich nicht ausreichend ausgestattet sind,
oder weil die professionellen Handlungsträger nicht ge-
nügend für die speziellen Anforderungen des Umgangs
mit delinquenten jungen Menschen qualifiziert sind oder
weil schon in der Prävention – sprich: Jugendarbeit –
nicht genug gemacht wird. Hier ist aber nicht der Bun-
desgesetzgeber gefordert – denn der hat keine Kompe-
tenz –, sondern die Länder und Kommunen müssen sol-
che Defizite beheben.
Die vorliegende Große Anfrage legt den Finger in
manche Wunde, die in diesem Bereich bestehen kann.
Sie verdeutlicht aber auch die Notwendigkeit für empiri-
sche Erkenntnisse, um gesetzliche Änderungen rechtfer-
tigen zu können. Nicht zu jeder Frage können Statistiken
geführt werden oder eigene Forschungen betrieben wer-
den. Dies erlaubt aber nicht, unzureichende empirische
Erkenntnisse durch alltagstheoretische Vorstellungen zu
ersetzen.
Die Große Anfrage wurde der Bundeskanzlerin zwei
Tage nach der Aktuellen Stunde im Januar 2008 über-
sandt. Sie sollte offenbar in der damaligen Diskussion
auch einen Anstoß für mehr Rationalität darstellen. So
hat sie auch die Bundesregierung verstanden und einen
dieser in der Tat „Großen“ Anfrage entsprechenden
„großen“ Aufwand betrieben, um sie so gut wie möglich
zu beantworten. Wir haben dies unter Beteiligung vieler
Stellen, auch in den Ländern, getan. Wir haben alle vor-
handenen und erreichbaren Erkenntnisse genutzt und
trotz der in einer Großen Koalition unvermeidbaren Mei-
nungsunterschiede eine solide Antwort erstellt.
Auch wenn wir eine umfassende Reform des Jugend-
kriminalrechts, für die die Fragesteller plädieren, gegen-
wärtig nicht für geboten halten – dies wird in der Vorbe-
merkung zu der Antwort erklärt – bin ich überzeugt, dass
die Große Anfrage und ihre Beantwortung durch die
Bundesregierung einen wichtigen Beitrag für die weitere
Versachlichung der Diskussion zum Jugendkriminalrecht
liefern.
Trotz aus meiner Sicht fehlendem gesetzlichen Re-
formbedarf sind Besorgnisse der Bürgerinnen und Bür-
ger ernst zu nehmen und eventuell problematische Ent-
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icklungen im Bereich der Jugendkriminalität auf den
rüfstand zu stellen. Das hat das Bundesministerium der
ustiz zum Beispiel in einem dreitägigen wissenschaftli-
hen Symposium gemeinsam mit der Universität Jena im
ergangenen September getan, dessen Ergebnisse dem-
ächst in einem Tagungsband veröffentlicht werden.
uch verschiedene Kommissionen und Arbeitsgruppen
um sachgerechten Umgang mit Jugendkriminalität, teil-
eise in einzelnen Bundesländern, haben eine ganze
eihe überzeugender Handlungsempfehlungen vorge-
egt – ganz überwiegend nicht an den Gesetzgeber ge-
ichtet. Diese dürfen nach der wertvollen Arbeit nicht in
er Schublade verschwinden. Auf bundespolitischer
bene sollten wir unsere Energie deshalb auch darauf
ichten, wie wir Unterstützung bei der Umsetzung Erfolg
ersprechender Ansätze und der Überprüfung ihrer
irksamkeit leisten können.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Programm „Stadtumbau Ost“ – Fort-
setzung eines Erfolgsprogramms (Tagesord-
nungspunkt 62)
Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Sicherer, bezahl-
arer Wohnraum gehört in Deutschland zur Selbstver-
tändlichkeit – genauso, wie niemand hungern oder frie-
en muss. Viele denken, das geht im Selbstlauf! Aber
ein, es bedarf immer wieder enormer Anstrengungen
ller Beteiligten, um den Anschluss nicht zu verlieren.
ie schnell das passieren kann, hat man augenscheinlich
n den DDR-Innenstädten gesehen.
Dabei ist es Ausdruck unserer freiheitlichen demokrati-
chen Grundordnung, dass auch die Wohnungswirtschaft
en Bedürfnissen der Menschen folgt, die gesellschaftli-
hen Veränderungen nachvollzieht und die wirtschaftli-
he Entwicklung beachtet. Die Wohnungswirtschaft
olgt hier den Bedürfnissen der Menschen und nicht um-
ekehrt. Der Wohnungsmarkt und die soziale Marktwirt-
chaft heißen: attraktiver, bezahlbarer Wohnraum in ei-
em positiven sozialen Umfeld. Das zu erhalten ist ein
nspruchsvolles Ziel.
Deswegen ist unsere ständige politische Verantwor-
ung als Bau- und Stadtentwicklungspolitiker, alle
arktteilnehmer in der Wohnungswirtschaft zu unter-
tützen. Die nachhaltigste Wohnform für die Menschen
ind die eigenen vier Wände. Das eigene Zuhause heißt:
igenverantwortung, Geborgenheit, Sicherheit in allen
ebensphasen, Sparsamkeit mit allen Ressourcen und
nergie, Generationenvertrag, Werthaltigkeit und Hei-
atverbundenheit. Aber das eigene Zuhause ist nicht
mmer möglich. Von Eigentumsquoten wie in China von
5 Prozent können wir nur träumen. Die kommunale, ge-
einnützige und private Wohnungswirtschaft hat enor-
es für ein attraktives, soziales und bezahlbares Wohn-
mfeld in Deutschland geleistet, gerade mit Blick auf die
ewaltigen Verwerfungen in den Jahren nach der Wie-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25543
(A) )
(B) )
dervereinigung unseres Vaterlandes. Ein Dank an alle
Akteure an dieser Stelle ist durchaus angebracht.
Die verfehlte DDR-Wohnungspolitik hatte zum
Schluss nur noch ein Motto: „Jedem eine Wohnung (nicht
jedem seine Wohnung), Hauptsache trocken, warm, ver-
schließbar“. Die historischen Innenstädte ließ man ver-
fallen, und die Plattenbauten wurden lieblos in schlech-
ter Qualität hochgezogen. Die Folge: eine enorme
Wegzugswelle nach der Wende und Leerstand, der die
Wirtschaftlichkeit der Unternehmen existenziell be-
drohte.
Mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ ist es gelun-
gen, das Problem in den Griff zu bekommen. Das Pro-
gramm läuft in diesem Jahr aus. Aber die demografische
Entwicklung hat noch nicht die Talsohle erreicht und be-
trifft auch Teile der westdeutschen Bundesländer. Das
Ziel unseres Antrages ist ganz klar: Weiterführung die-
ses bewährten Programms bis 2016. Wir als Union wer-
den weiter darüber nachdenken, die beiden Programme
Stadtumbau Ost und West dann zusammenzuführen.
Aber zurzeit hat der demografische Wandel in den ost-
deutschen Bundesländern eine andere Dimension. Ob-
wohl dank des Programms mit circa 2,5 Milliarden Euro
aus Bund, Ländern und Kommunen allein bis 2007
220 000 Wohnungen abgerissen wurden, werden bis
2016 weitere 250 000 folgen müssen. Es fehlen die
Geburten der 90iger-Jahre, die in den nächsten Jahren,
mit Anfang 20, auf Wohnungssuche gehen würden. Die
26-köpfige Lenkungsgruppe und die beteiligten Institute
haben gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft hervorra-
gende Vorarbeit für unsere politische Entscheidungsfin-
dung geleistet. Der als „lernendes Programm“ angelegte
Stadtumbau Ost muss seine Schwerpunkte für die nächs-
ten Jahre anpassen. Unsere Aufmerksamkeit gilt mehr
als bisher den Innenstädten, der technischen Infrastruk-
tur und dem sozialen Umfeld.
Die Platte ist besser als ihr Ruf in Ost und West. Des-
halb soll das Programm flexibler werden. Die Quote
50 Prozent Abriss und 50 Prozent Aufwertung soll regio-
nalspezifisch verändert werden können. Die Verteilung
der Mittel soll mehr als bisher die Bevölkerungsentwick-
lung berücksichtigen. Der regionale Bezug der Stadt-
umbauziele sollte sich in überörtlichen Kooperationen
wiederfinden. Die regionalen Entwicklungskonzepte
werden an Bedeutung gewinnen. Ein besonderes Pro-
blem stellen die innerstädtischen Altbauquartiere dar.
Sie sind geprägt durch kleinteilige Eigentümerstruktu-
ren. Gerade das ist es, was die Urbanität eines Stadtker-
nes ausmacht, für Lebendigkeit, Abwechslung und Un-
verwechselbarkeit einer Stadt sorgt. Die Einbeziehung
aller Beteiligten bedarf unserer besonderen Aufmerk-
samkeit. Die Betroffenen sind umfassend zu informie-
ren. Die besonderen Bedürfnisse der Bewohner, Eigen-
tümer und Gewerbetreibenden sind zu beachten. Dafür
ist die Verbindlichkeit der Stadtentwicklungskonzepte zu
stärken. Grundstückseigentümer und Versorger brauchen
Planungssicherheit. Die Fortschreibung der integrierten
Stadtentwicklungskonzepte sorgt für Kontinuität im Pro-
grammzeitraum bis 2016.
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Wir wollen in den folgenden sieben Jahren fast 2 Mil-
iarden Euro für das Programm bereitstellen. Mehr
lexibilität, Ausweitung auf die Innenstädte und die In-
rastruktur sowie die bessere Verzahnung mit anderen
rogrammen machen einen zügigen Mittelabfluss mög-
ich. Wir müssen uns aber noch mal die Altschuldenhilfe
ornehmen. Ohne eine flankierende Regelung sind viele
nternehmen nicht in der Lage, sich an dem Programm
u beteiligen. Wir sollten gemeinsam mit unseren Kolle-
en über eine abschließende Regelung nachdenken, die
en ostdeutschen Wohnungsunternehmen Planungs-
icherheit ermöglicht. Anders sehen die Probleme bei
en privaten Wohnungseigentümern, besonders in den
rhaltungswürdigen Innenstadtquartieren, aus. Entwe-
er das Kapital fehlt oder schlicht der Anreiz, es einzu-
etzen. Neben den bereits gängigen Möglichkeiten der
igenkapitalstärkung müssen wir aus meiner Sicht über
ie Investitionszulage nachdenken. Ähnlich geht es den
ersorgern. Unabhängig von den Problemen der Dimen-
ionen ihrer Netze und ihrer weiteren Nutzung entstehen
hnen Kosten für den Rückbau. Hier kann geholfen wer-
en. Sie bleiben aber auf den Abschreibungskosten sit-
en. Eine Lösung gemeinsam mit den Ländern für eine
eilwertabschreibung hilft letztendlich, die Gebühren für
ie Verbraucher zu stabilisieren. So wie bisher hängt der
rfolg des Programms maßgeblich von der guten Zu-
ammenarbeit aller Beteiligten in Bund, Ländern, Kom-
unen und der Wohnungswirtschaft ab.
Das Programm soll weiter lernen. Deshalb soll 2012
in Zwischenbericht erstellt werden. 2015 wollen wir
uf das bewährte Mittel der Evaluierung zurückgreifen
it dem Ziel, dass wir dann nach 2016 den spezifischen
egionalen Gegebenheiten im Norden, Osten, Süden und
esten Deutschlands folgen können. Die Chancen ste-
en gut. Die Diskussionen der letzten Monate brachte
iel Übereinstimmung über alle Fraktionen. Dieses
hema taugt nicht für Ideologie. Die Haushaltsdiskus-
ion ruft und wir Fachpolitiker liegen doch wirklich
icht weit auseinander.
Deshalb bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung
um Antrag.
Ernst Kranz (SPD): An dieser Stelle muss ich zu-
llererst die der Bedeutung des Programms Stadtumbau
st und dessen Erfolg unangemessene Etablierung und
iskussion im Rahmen des Ausschusses für Verkehr,
au und Stadtentwicklung und im Plenum des Deut-
chen Bundestages ansprechen. Schon zur Einbringung
es Antrags zur ersten Lesung in den Deutschen Bundes-
ag zu später Nachtzeit konnten die Reden nur zu Proto-
oll gegeben werden. Im Ausschuss fand eine ausführli-
he Diskussion nicht statt, weil man sich bei der ersten
ufsetzung zu einer kaum notwendigen Anhörung ver-
tändigen musste. Auch in der Ausschussrunde nach der
nhörung war von Anfang an der Tagesordnungspunkt
hne Diskussion vorgesehen. Nur auf Drängen der Be-
ichterstatter der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die
rünen und Linken wurde zum Thema gesprochen, und
etztendlich kann der Termin der Ansetzung der zweiten
esung am sehr späten Freitagnachmittag auch nur als
nzeit bezeichnet werden.
25544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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In der zu Protokoll gegebenen Rede zur ersten Lesung
habe ich mich schwerpunktmäßig mit den guten Ergeb-
nissen des erfolgreichen Programms Stadtumbau Ost in
seiner Laufzeit 2002 bis 2009 beschäftigt, wie sie auch
durch die Evaluierung bestätigt wurden. Ebenfalls einge-
gangen bin ich auf die Notwendigkeit und die Ziele der
Fortsetzung des Programms. Deshalb möchte ich jetzt
schwerpunktmäßig auf einen zentralen Baustein für die
Stadtentwicklung und die Voraussetzung zur Beteiligung
am Programm Stadtumbau Ost, das Stadtentwicklungs-
konzept, eingehen.
Das Stadtentwicklungskonzept war Voraussetzung
und Hauptgegenstand der Antragstellung zur Aufnahme
in das Stadtumbauprogramm Ost in 2002. Aus meiner
damaligen Zeit als Bürgermeister ist es mir bestens be-
kannt und ich empfand es damals schon als eine der ge-
lungensten Fördermaßnahmen, die Erstellung der Stadt-
entwicklungskonzepte, nämlich das Beschäftigen mit
der und Nachdenken über die eigene Zukunft, zu för-
dern, und das zu 100 Prozent. Die Stadtentwicklungs-
konzepte sollten alle Belange, die für die Kommunal-
und Stadtentwicklung relevant sind, enthalten.
Inzwischen ist es fünf Jahre her, dass wir den Stadt-
umbau im Baugesetzbuch verankert haben. In den
§§ 171 a bis d wird geregelt, welche Stadtentwicklungs-
ziele mit den Stadtumbaumaßnahmen erreicht werden
sollen, also wie sich die Umbaumaßnahmen in die städ-
tebauliche Entwicklung einzugliedern haben.
Das Konzept muss räumlich und sachlich all jene As-
pekte umfassen, die für die Stadtumbaumaßnahme im
Fördergebiet sowie für das übrige Stadtgebiet und die
Stadtentwicklung insgesamt bedeutsam sind. Weiter
heißt es, das städtebauliche Entwicklungskonzept ist un-
ter Beteiligung aller Betroffenen und öffentlichen Auf-
gabenträger, insbesondere der Wohnungseigentümer so-
wie der Ver- und Entsorgungsunternehmen und, soweit
sachlich geboten, mit den Umlandgemeinden abzustim-
men. Darüber hinaus halte ich es aber auch für erforder-
lich, die sozialen und kulturellen Einrichtungen, aber
auch die Versorger und Dienstleister mit einzubeziehen.
Es gab in 2002 auch ein Begleitprogramm „Stadt-
umbau – nicht ohne uns“. Hier konnten in Zusammen-
arbeit mit dem Kinderschutzbund die Kinder und Ju-
gendlichen ihre Belange in den Stadtumbauprozess ein-
bringen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, ein Stadtent-
wicklungskonzept soll einen Orientierungsrahmen für
die längerfristige Entwicklung einer Stadt geben. Ich
meine, das integrierte Stadtentwicklungskonzept kann,
wenn es wirklich ernsthaft und sachkundig erstellt wird,
die Grundlage eines komplexen unbürokratischen Zu-
sammenwirkens unterschiedlicher Fördertöpfe werden.
Deshalb müssen wir die Verbindlichkeit der Stadtent-
wicklungskonzepte weiter stärken. Denn es geht darum,
allen beteiligten Akteuren mehr Planungssicherheit zu
verschaffen.
Darüber hinaus halte ich es aber auch für erforderlich,
künftig stärker die umliegenden Gemeinden (Regionen)
mit einzubeziehen. Die regionale Zusammenarbeit ist
angesagt. Kommunen sollten nicht gegeneinander um
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ördermittel werben, sondern miteinander. Deshalb bin
ch dafür, dass Stadtentwicklungskonzepte zu Regional-
ntwicklungskonzepten aufgewertet und die Belange
ehrerer in der Region wirkender Kommunen zusam-
engefasst werden.
Zum Beispiel bei der sozialen und technischen Infra-
truktur haben wir meistens Wirkungsbereiche, die über
ie einzelne Stadt und Gemeinde hinausgehen. Die För-
erprogramme des Bundes haben meistens auch einen
inanzierungsanteil durch die Länder und weiterhin
üssen die Antragsteller einen eigenen Anteil aufbrin-
en. Also haben wir hier eine Finanzierung auf allen drei
benen (Bund, Land und Kommune). Im Zusammen-
piel der verschiedenen Förderebenen und verschiedens-
er Förderprogramme auf der Grundlage von integrierten
tadtentwicklungs- bzw. Regionalentwicklungskonzep-
en sparen wir Bürokratie ein und erhöhen aber zum an-
eren die Effektivität der Förderprogramme durch eine
essere Verzahnung. Und nicht zuletzt wird die kommu-
ale Selbstverwaltung durch die direkte Antragstellung
urch die Kommunen gestärkt.
Aber auch ein zweiter Effekt ist mit einer starken Ver-
nüpfung der Sachkunde vor Ort verbunden. Es können
irklich regionale Unterschiede in der Antragstellung
nd Bezuschussung berücksichtigt werden bzw. die kon-
rete Vor-Ort-Situation der jeweiligen Stadt, Gemeinde
der Region kann entsprechend der Variabilität des Pro-
ramms berücksichtigt und somit auch ein möglichst ef-
ektiver Fördermitteleinsatz gewährleistet werden.
Zum Schluss als Resümee: Stadt- bzw. Regionalent-
icklungskonzepte können für verschiedenste Förder-
rogramme eine gute integrierte Grundlage bilden und
amit zur wirksameren, aber auch sparsameren Verwen-
ung der Fördermittel beitragen. Der vorliegende Antrag
ur Fortsetzung des Programms Stadtumbau Ost soll aus
icht des Deutschen Bundestags den Rahmen bilden für
ie Fortsetzung des Programms. Er zeigt die Richtung
uf, in die das künftige Programm Stadtumbau Ost ge-
en soll, und das Repertoire, das möglichst zeitnah und
ezogen auf einzelne Regionen ausgeschöpft werden
ollte. Die vorliegenden Stellungnahmen der Wohnungs-
erbände und die Äußerungen innerhalb der Anhörung
aren durchweg positiv und der weiteren Entwicklung
es Programms förderlich. Nicht zuletzt zeigt auch die
instimmige Abstimmung aller Fraktionen in der Aus-
chusssitzung eine positive Übereinstimmung im Anlie-
en des Antrags zur Fortführung des Stadtumbaus Ost.
Joachim Günther (Plauen) (FDP): Das Programm
tadtumbau Ost zählt zu den wenigen Programmen, die
ich über Jahre hinweg positiv weiterentwickelt haben.
und, Länder und Kommunen haben von 2002 bis 2009
,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das Pro-
ramm begann dabei mit dem Schwerpunkt der Beseiti-
ung des spezifischen Wohnungsleerstandes in den
euen Bundesländern und integriert immer mehr die Sa-
ierung und den Umbau der Innenstädte.
Bis Ende letzten Jahres sind mit diesem Programm
ast 250 000 Wohnungen abgerissen worden, und an vie-
en Stellen ist auch die Entwicklung in den Innenstädten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25545
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deutlich sichtbar. Somit ist auch vom anfänglich reinen
wohnungswirtschaftlichen Programm hin zur Stadtent-
wicklung ein wichtiger Schritt gelungen.
Rein wohnungspolitisch gesehen war es leider kein
großer Schritt. Über 1 Million leerstehende Wohnungen
in den neuen Bundesländern belasten nach wie vor den
Wohnungsmarkt. Es ist zu befürchten, dass bei nachlas-
sendem Abriss die Leerstandszahlen nicht zurückgehen
und es somit in vielen Gebieten zu keinem gesunden Im-
mobilienmarkt kommen kann, eine Tatsache, die inzwi-
schen auch auf einige Teile in den alten Bundesländern
zutrifft und damit schrittweise zu einem gesamtdeut-
schen Problem wird.
Nach gegenwärtigen Schätzungen müssen bis 2015
nochmals 300 000 Wohnungen vom Markt genommen
werden. Dass dies keine leichte Aufgabe ist und viele
Ecken und Kanten birgt, hat die Anhörung der Sachver-
ständigen im Ausschuss verdeutlicht. Hier wurde auch
klar, dass es zwischen verschiedenen Verbänden und In-
stituten zum Teil unterschiedliche Auffassungen über die
Herangehensweise einzelner Elemente gibt.
Ich möchte hierfür nur zwei bis drei Beispiele anfü-
gen, damit keine kleinkarierte Diskussion aufkommt.
Da wäre das Beispiel der Altschulden von kommuna-
len Unternehmen und Genossenschaften. Obwohl die
vor Jahren prophezeiten Pleiten durch die Altschulden
nicht erfolgt sind, sind diese doch ein Hemmschuh bei
der Entwicklung und Entscheidungsfreude in manchen
Unternehmen. Die Wohnungsunternehmen benötigten
über die Rückbauzuschüsse hinaus die Entlastung von
den Altschulden für alle von ihnen abgerissenen Woh-
nungen, so Lutz Freitag vom GdW. Ohne eine weitere
Altschuldenentlastung könnten die Unternehmen sich
nicht oder nur noch in seltenen Ausnahmefällen am
Stadtumbau beteiligen, auch weil die Banken aufgrund
fehlender Umschuldungsmöglichkeiten ihre Zustim-
mung zum Abriss verweigern würden. Die Folge wäre,
dass das neue Stadtumbauprogramm seine Wirkung
nicht entfalten könnte und ganze Wohnquartiere baulich
und sozial erodieren würden. Selbst bei der Richtigkeit
der Darstellung des GdW darf man nicht verkennen,
dass vor allem „Haus und Grund“ deutliche Bedenken
gegen eine weitere Übernahme von Altschulden durch
den Staat geäußert haben. Sie sehen hiermit die Chan-
cengleichheit der privaten Vermieter gefährdet.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Kernstädte.
Der BFW hat deutlich gemacht, dass der demografische
Wandel keine Gießkannenförderung zulässt. Der Rück-
bau der Neubaugebiete habe nicht zur Stärkung der In-
nenstädte beigetragen, sondern diese Plattenbausiedlun-
gen stabilisiert und letztendlich der Kernstadt geschadet.
Ein Abriss im Plattenbaugebiet stabilisiert ausschließlich
dieses Gebiet. Es werden Wohnungen vom Markt ge-
nommen, die nie mehr gebraucht werden, mehr nicht.
Mieter werden gegebenenfalls im eigenen Bestand um-
gesetzt.
Der kommende Bevölkerungsrückgang zwingt zur
konsequenten Konzentration auf die Kernstadt. Die Be-
wahrung des baukulturellen Erbes ist nur durch be-
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ohnte und genutzte Baudenkmale möglich. Wo eine
ktuelle Nutzung nicht mehr möglich ist, muss es hei-
en: Sichern vor Abriss. Gerade bei einer stärkeren Kon-
entration auf die Kernstädte muss der Anreiz für private
ausbesitzer deutlich ausgebaut werden. Viele kleine
esitzer, vor allem von Einzelobjekten, erzielen mit den
ieteinnahmen nicht einmal mehr die Unkosten, noch
eniger einen Gewinn für eventuelle Werterhaltung. Es
ird eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft sein,
iese Gruppe besser in dieses Programm zu integrieren.
Ein Vorschlag wäre ideal gewesen. Statt die Ver-
chrottungsprämie für alte Pkws zu verschleudern, hätte
an die 5 Milliarden Euro besser in die Städtebauförde-
ung investiert. Tausende von Arbeitsplätzen wären neu
ntstanden und bleibender Wert geschaffen worden.
ber einige Korrekturen können wir ja nach der Wahl
urchführen. Ich hoffe, Sie machen dann alle mit!
Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Klar ist zum einen,
ass das Programm Stadtumbau Ost fortgesetzt werden
uss. Ebenso klar ist, dass auch die Linke natürlich an
er Fortführung dieses Programms beteiligt ist und auch
n Zukunft beteiligt sein möchte. Klar ist aber auch, dass
s für eine erfolgreiche Fortsetzung dieses Programms
inige deutliche Korrekturen geben muss. Das hat sich
ehr deutlich bei der von den Oppositionsfraktionen ge-
einsam beantragten Expertenanhörung gezeigt, die am
7. Mai im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
icklung stattgefunden hat. Nach Ansicht der Mehrheit
er Sachverständigen betrifft das die entscheidende
rage und vor allem die richtige Antwort zur Lösung der
ltschuldenproblematik.
Diese Bürde war aus rein politischen Gründen im
ereinigungsprozess entstanden und belastet die ostdeut-
che Wohnungswirtschaft bis heute schwer. So müssen
iele Wohnungsunternehmen in den neuen Bundeslän-
ern zwischen 60 und 100 Euro Altschulden je Quadrat-
eter Wohnfläche bilanziell verkraften.
Erst wenn die ostdeutsche Wohnungswirtschaft von
ieser Bürde befreit wird, kann sie auch künftig hand-
ungsfähig und ein wichtiger Partner des Stadtumbaus
st bleiben. Daher hat die Linke in einem Änderungs-
ntrag gefordert, beim Aufstellen des Haushaltsplanes
es Bundes ab dem Jahr 2010 jeweils einen eigenen Titel
inzurichten, der vorrangig der Tilgung der Altschulden
stdeutscher Wohnungsunternehmen dient. Dieser Titel
oll finanziell in einem solchen Maße ausgestattet wer-
en, wie es zur endgültigen Entschuldung dieser Unter-
ehmen erforderlich ist.
Nach jetziger Einschätzung dürfte es sich dabei insge-
amt um eine Summe von rund 10 Milliarden Euro han-
eln – eine vergleichsweise kleine Summe, seit wir über
chutzschirme für Banken reden. Und trotzdem unter-
treicht diese Zahl noch einmal anschaulich, wie schwer
ie Bürde ist, die derzeit noch auf den ostdeutschen
ohnungsunternehmen lastet. Bis zu einer endgültigen
estlosen Entlastung sollen die Wohnungsunternehmen
edoch mindestens von den Altschulden der dauerhaft
eerstehenden und abgerissenen Bestände befreit wer-
en. Es ist eine völlige Fehleinschätzung einiger Fraktio-
25546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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nen dieses Hauses, wenn sie in der letzten Ausschusssit-
zung davon sprechen, dass die Belastungen im Vergleich
zu den Lasten der privaten Hausbesitzer eher marginal
seien und eine weitere Entlastung zu ungleichen Wettbe-
werbsbedingungen untereinander führen würde.
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Ohne die
Lösung der Altschuldenproblematik ist der Stadtumbau
Ost – und damit die Ziele des Erfolgsprogramms – nicht
zu erreichen. Noch einmal 250 000 Wohnungen vom
Markt zu nehmen, erfordert die Aktionsfähigkeit der
Wohnungsunternehmen. Die Privatbesitzer haben bisher
am Stadtumbau nicht teilgenommen und werden es auch
zukünftig nicht tun.
Zugleich fordert meine Fraktion, dass die vollständige
Entlastung der Wohnungsunternehmen von ihren Alt-
schulden nur unter der Bedingung erfolgen kann, dass
diese für einen Zeitraum von fünf Jahren die Nettokalt-
miete auf dem bisherigen Niveau belassen und die da-
rüber hinaus gewonnene Liquidität für die energetische
Sanierung ihrer Wohnungsbestände einsetzen. Denn der
Stadtumbau Ost ist kein Selbstzweck. Und der Stadtum-
bau Ost dient auch nicht nur und keineswegs in erster Li-
nie der Wohnungswirtschaft.
Nach Auffassung der Fraktion Die Linke muss der
Stadtumbau Ost in erster Linie den Menschen dienen,
die in den Wohnungen leben – den Mietern. Es geht im
weitesten Sinne um eine menschliche und moderne
Stadt, die sich nicht zuletzt durch einen sparsameren
Umgang mit Energie auch als ökologisch klug erweist.
Diesem Ziel dient die Verpflichtung zur energetischen
Sanierung der Wohnungsbestände. Auch in diesem
Sinne bietet der Stadtumbau Ost tatsächlich eine große
Chance, die genutzt werden sollte – im Interesse der
Menschen. In eben diesem Interesse der Menschen liegt
auch das von uns geforderte Einfrieren der Nettokaltmie-
ten für einen Zeitraum von fünf Jahren. Dieses Miet-
moratorium gibt den Mietern Sicherheit.
Außerdem fordert meine Fraktion in einem zweiten
Änderungsantrag zum Stadtumbau Ost, in die für die
neue Förderperiode ab 2010 vorgesehenen Richtlinien
für die Gewährung von Zuwendungen im Rahmen des
Stadtumbaus Ost zur Unterstützung der vom Abriss oder
Rückbau ihrer Häuser betroffenen Bewohner verbindli-
che Vorschriften für das Durchführen von individuellen
Sozialplanverfahren aufzunehmen. Diese Richtlinien
umfassen Mindestanforderungen wie die finanzielle und
materielle Entschädigung der Betroffenen und das Be-
reitstellen von Umsetz- und Ersatzwohnungen. Nach un-
serer Auffassung sind die dafür notwendigen finanziel-
len Mittel als besonderer Titel im Förderprogramm
Stadtumbau Ost nachzuweisen.
Was ist der Hintergrund dieser Forderung? Bisher
bleibt die Regelung der Aufwandsentschädigung für
vom Abriss betroffene Mieterinnen und Mieter – zum
Beispiel für den Umzug, für die Wohnungssuche und die
Renovierung – den jeweiligen Wohnungsunternehmen
überlassen, die den Abriss vornehmen. Die Wohnungs-
unternehmen regeln das bisher sehr individuell, sehr un-
terschiedlich, und mitunter regeln sie das gar nicht. Not-
wendig aber sind einheitliche Standards, die in allen
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tadtumbaugebieten gleiche Bedingungen schaffen. Ab-
iss- und Rückbaumaßnahmen sind für die betroffenen
ieterinnen und Mieter immer mit einem starken Ein-
riff in ihre bisherigen Lebensbereiche sowie mit einem
ohen persönlichen, materiellen und finanziellen Auf-
and verbunden. Das Sozialplanverfahren – für das es
ereits viele gute praktische Erfahrungen unter anderem
us der „behutsamen Stadterneuerung“ gibt – soll dem
erstellen eines Einvernehmens der davon betroffenen
ewohnerinnen und Bewohner und demjenigen Woh-
ungsunternehmen dienen, das den Abriss oder Rückbau
eranlasst hat. Und erst ein solches Einvernehmen lässt
ie Akzeptanz für den Stadtumbau Ost wachsen, der
wie bereits festgestellt – auch in der neuen Förder-
eriode fortgesetzt werden muss. Zu einer wirklichen
rfolgsgeschichte kann dieses Programm aber erst wer-
en, wenn in der alles entscheidenden Frage die ostdeut-
chen Wohnungsunternehmen von der Bürde ihrer unge-
echtfertigten Altschulden entlastet und wenn Abriss und
ückbau sozial verträglich abgefedert werden.
Die Koalitionäre bezeichnen das Förderprogramm
tadtumbau Ost als ein lernendes Programm, leider neh-
en sie diesen Anspruch für sich selbst nicht immer an,
enn sonst wären unsere Anträge im Ausschuss nicht ab-
ulehnen gewesen.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
tadtumbau Ost kann in der Tat als eine Erfolgsge-
chichte bezeichnet werden, hier stimme ich der Großen
oalition ausdrücklich zu. Bündnis 90/Die Grünen wa-
en beim Programm von Anfang an dabei, sie haben es
aßgeblich mit gestaltet und werden es auch weiterhin
onstruktiv unterstützen. Die bisherigen Ausschuss-
ebatten waren von einem fraktionsübergreifenden Kon-
ens gekennzeichnet, und ich wünsche mir, dass dies
uch in den kommenden Jahren so bleiben wird.
In den vergangenen acht Jahren ist es gelungen, die
ritische Leerstandssituation insbesondere bei den kom-
unalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaugesell-
chaften zu entschärfen und den Leerstand von rund
,3 Millionen auf rund 1,0 Millionen Wohnungen zu
rücken. Wir haben viele Erfahrungen mit Wandlungs-
nd Schrumpfungsprozessen in den Städten Ostdeutsch-
ands gesammelt, und unsere Expertise wird daher in
estdeutschland gerne nachgefragt. Außerdem will ich
en „lernenden“ Charakter dieses Programms hervorhe-
en, der ein Muster dafür ist, wie man mit dynamischen
rozessen umgehen kann.
Bei allem Stolz bleiben natürlich auch kritische Fragen
ffen und einige ungelöste Probleme, mit denen Sie, liebe
olleginnen und Kollegen, sich in den kommenden
ahren beschäftigen müssen. Insbesondere die Abrisspro-
lematik zeigt, dass es erhebliche Defizite in der Konflikt-
ewältigung und Umgangskultur zwischen Stadtverwal-
ngen einerseits und Mietern, privaten Eigentümern,
ber auch allgemein an der Stadtentwicklung interessier-
en Bürgern andererseits gibt. Partizipation heißt hier das
auberwort, aber das scheint in manchen Verwaltungen
her ein Unwort zu sein. Da wundert es mich nicht,
enn die Bürgerseele kocht; Stadtforen wie zum Bei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25547
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spiel in Leipzig, Chemnitz oder Freiberg mischen sich
zu Recht in die Debatten ein und stellen sich autoritärem
Verwaltungshandeln und „Abrisswahn“ entgegen.
Offensichtlich ist es einigen Kommunen nicht gelun-
gen, überzeugende integrierte Stadtentwicklungskon-
zepte zu entwickeln, geschweige denn, sie ihren Bürgern
zu vermitteln. Wenn die unvermeidlichen Konflikte
nicht zu lösen sind, dann müssen diese wenigstens öf-
fentlich und dann auch kontrovers diskutiert werden. Be-
troffene werden oftmals erst dann mit den Tatsachen
konfrontiert, wenn administrative Entscheidungen nicht
mehr rückgängig zu machen sind. Hier muss sich drin-
gend etwas ändern, wir fordern daher die Verbindlichkeit
eines Partizipationsprozesses für alle Betroffenen und
die öffentliche Debatte der integrierten Stadtentwick-
lungskonzepte. Diese sollen nicht als Alibipapiere in
Schubladen verschimmeln, sondern tatsächlich Blaupau-
sen für den Stadtumbau in der jeweiligen Stadt darstel-
len. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die eine Stadt
zur Stadt machen und die Verwaltung hat eine sich am
Bürgerwohl orientierende, dienende Funktion zu erfül-
len. Daher muss sie auch das Gespräch mit Betroffenen
und Bewegten führen.
Der bekannte Konflikt zwischen dem Abriss von
Großwohnsiedlungen und Innenstadtquartieren kann
nicht autoritär und von oben herab gelöst werden, zumal
es keine Patentlösung für diesen Konflikt gibt.
Wer aber nur noch Plattenbausiedlungen schleifen
will, dem sei gesagt, dass diese zum Teil hochwertige
Bausubstanz darstellen. Die „Platte“ ist häufig sehr ener-
gieeffizient, verfügt über gewachsene Sozialstrukturen
und ist je nach technischer Ausrüstung häufig auch
altengerecht und somit demografiefest. Und nicht zuletzt
lassen sich die Neubaugebiete aus DDR-Zeiten ver-
gleichsweise leicht aufwerten. Wer aber wiederum den
Abriss in Innenstadtquartieren vornehmen will, nur weil
hier die Leerstandsquoten so hoch sind, der darf nicht
vergessen, dass diese einen hohen kulturellen Wert dar-
stellen. Sie sind stadtbildprägend und entsprechen dem
von uns angestrebten Ziel einer verdichteten Innenstadt.
Ein Abriss schafft insbesondere aufgrund der heteroge-
nen Eigentümerstrukturen neue Konflikte. Es ist fatal,
wenn zum Beispiel aus Partikularinteressen leerstehende
Gebäude eines Großvermieters an einer vielbefahrenen
Ausfallstraße abgerissen werden, danach ein, zwei Miet-
wohngebäude im Privatbesitz – womöglich noch saniert –
als nahezu unvermietbare Solitärgebäude übrigbleiben
und die sanierte zweite Reihe – womöglich auch im Pri-
vatbesitz – den vollen Straßenlärm genau auf der Gebäu-
deseite abbekommt, auf der sich zum Beispiel die
Schlafräume befinden. Dieses Beispiel habe ich mir
nicht ausgedacht sondern es ist in Chemnitz traurige Re-
alität. So kann und so darf man Stadtumbaupolitik nicht
machen, und über Proteste sollte man sich dann auch
nicht beschweren.
Ein wesentliches Versäumnis der nationalen Stadtent-
wicklungspolitik der letzten Jahre ist, dass die Verkehrs-
und damit die Lärm- und Abgasproblematik ausgeblen-
det wird. Vieles wird infrage gestellt, aber der Straßen-
verkehr bleibt für viele offensichtlich ein unvermeidli-
ches göttliches und daher nicht änderbares Schicksal.
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Aber auch dazu sind integrierte Stadtentwicklungs-
onzepte da: Sie sollen im Vorfeld die Konflikte und
uch schmerzhafte Einschnitte offenlegen und Lösungs-
ege aufzeigen. Ehrlichkeit und Offenheit sind die Ge-
ote der Stunde, die Bürgerinnen und Bürger können
chon einiges an Brüchen und Zumutungen aushalten,
enn ihnen die Möglichkeit der Mitwirkung eingeräumt
nd nachvollziehbare und kritisch hinterfragbare Erklä-
ungen geliefert werden. Aber das muss man auch wol-
en. Genauso wie ganze Quartiere in Großwohnsiedlun-
en – zum Beispiel in Wolfen-Nord – der Abrissbirne
um Opfer gefallen sind, so müssen wir aber auch bei
estimmten sogenannten Gründerzeitquartieren das
Undenkbare“ denken. Alte Gebäude sind nicht per se
ochwertig, sie lassen sich energetisch nur schwierig auf
en Stand der Technik bringen, auch vor 100 Jahren gab
s geringwertige, problematische Stadtlagen. Und die
auqualität – und da kenne ich mich wirklich aus – war
uch zu Großvaters Zeiten manchmal erschütternd
chlecht. Für wertvolle und stadtbildprägende Quartiere
ilt das natürlich nicht. Hier muss die Regel sein, dass
eerstehende Bausubstanz gesichert oder, wie bei den
ächterhäusern in Leipzig, temporär genutzt wird. Da-
ür müssen auch künftig Mittel aus dem Stadtumbau Ost
ur Verfügung stehen.
Aber manchmal lässt sich auch mit Aufwertungs- und
icherungsmaßnahmen nichts mehr machen, manchmal
elten selbst sanierte Häuser in bestimmten Quartieren
ls nahezu unvermietbar. Was hindert uns eigentlich da-
an, diese en bloc rückzubauen? Das tut zwar weh, aber
ir wäre so etwas jedenfalls lieber als eine weitere ak-
ive oder passive Perforierung der Städte. Viele werden
s heute nicht hören wollen, aber wir werden uns diesen
ntscheidungen stellen müssen. Grundbedingung wäre
ber auch hier, dass vorher ein weitgehender Konsens
nsbesondere zwischen den privaten Eigentümern herge-
tellt wird und sich derartige Rückbaumaßnahmen
chlüssig in ein Stadtentwicklungskonzept einfügen.
azu brauchen wir eine – auch finanziell – bessere und
ezielte Unterstützung privater Hauseigentümer, die mit
anchen Stadtumbauprozessen schlichtweg überfordert
ein dürften.
Es ist eine weitere schmerzhafte und auch immer
och von vielen negierte Erkenntnis, dass die Schrump-
ungs- und Entleerungsprozesse in vielen ostdeutschen
tädten noch nicht am Ende sind. Ganz im Gegenteil, sie
erden in den nächsten Jahren wieder deutlich an Fahrt
ufnehmen. Schon die Tatsache, dass uns eine nichtge-
orene Generation des „Nachwende-Geburtenknicks“ in
en kommenden Jahren auf dem Wohnungsmarkt fehlen
ird, macht deutlich, dass in Verbindung mit dem allge-
einen Bevölkerungsrückgang, der unveränderten Ab-
anderung aus Ostdeutschland und der wenn auch redu-
ierten Neubautätigkeit der Wohnungsleerstand weiter
nsteigen muss. Das Institut für Ökologische Raument-
icklung in Dresden hat für Sachsen berechnet, dass bis
um Jahr 2050 jedes Jahrzehnt mindestens die gleiche
nzahl von Wohnungen vom Markt genommen werden
uss, wie dies im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends
eschehen ist. Und damit würden wir gerade einmal die
eerstandsquote auf dem heutigen Niveau stabilisieren
önnen. Wie das finanziell gestemmt werden soll, ist mir
chleierhaft. Der Solidarpakt II, Korb II, aus dem der
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Stadtumbau Ost und auch die Altschuldenhilfe oder
möglicherweise auch eine I-Zulage Bau als überpropor-
tionale Leistungen des Bundes finanziert werden, steht
jedenfalls spätestens ab 2019 für derartige Programme
nicht mehr zur Verfügung.
Der Stadtumbau Ost wäre schlichtweg damit überfor-
dert, wenn er auch noch die demografischen und wirt-
schaftlichen Probleme Ostdeutschlands lösen müsste. Er
ist aber ein zentraler Bestandteil im Aufbau Ost, ohne
den viele Städte an Attraktivität und Überlebensfähigkeit
verlieren würden, was wiederum die Schrumpfungs- und
Entleerungsprozesse gerade in Klein- und Mittelstädten
nur noch beschleunigen würde. Daher gilt es, die Mittel-
verwendung für den Stadtumbau Ost aus dem Solidar-
pakt II, Korb II besonders gut zu überlegen. Die Begehr-
lichkeiten in Bezug auf Altschuldenhilfe und I-Zulage
Bau sind verständlich, aber auch sehr groß, bloß: Das
Geld kann halt nur einmal ausgegeben werden. Daher
plädiere ich dringend dafür, die Frage der Altschulden-
hilfe in einem anderen Kontext zu diskutieren. Ich habe
wiederholt deutlich gemacht, dass ich die Altschulden-
problematik für einen kapitalen Webfehler des Eini-
gungsvertrages halte. Es macht keinen Sinn, immer wie-
der neue Mittel in eine Altschuldenhilfe zu stecken, da
die verbleibenden Altschulden durch Zins und Zin-
seszins immer wieder neue Schulden schaffen. Auch die
I-Zulage Bau sollte kritisch diskutiert werden, ich halte
es für eher wichtig, künftig Mittel zur Unterstützung von
privaten Eigentümern zur Verfügung zu halten. Aber
diese Mittel müssen dann aus einem anderen Topf als
dem Solidarpakt II kommen. Was weg ist, ist weg, und
diese Mittel aus dem Solidarpakt fehlen dann an anderen
Stellen, mit denen wir Ostdeutschland attraktiver und zu-
kunftsfester machen müssen. Ohne Investitionen in Bil-
dung, Hochschulen, Forschung und Innovationen bleibt
der Aufbau Ost auf der Strecke. Dadurch verkommt der
Stadtumbau Ost letztlich nur noch zum Reparaturbetrieb
eines aus den Fugen geratenen Wohnungsmarktes.
Der Stadtumbau Ost bietet die große Chance, unsere
Städte zukunftsfest und lebenswert zu machen. Nur le-
benswerte Klein-, Mittel- oder Großstädte werden in Zu-
kunft eine Chance im nationalen und internationalen
Wettbewerb um junge, qualifizierte und kreative Men-
schen haben. Das ist von zentraler Bedeutung nicht nur
für die Städte, sondern für die Regionen, für ganz Ost-
deutschland. Dafür müssen wir uns mit aller Kraft ein-
setzen.
Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Erfolg für die
nächsten Jahre und bedanke mich bei dieser Gelegenheit
für die gute, kollegiale und konstruktive Zusammen-
arbeit in den vergangenen Jahren.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Transsexuellengesetzes (Transsexuellen-
gesetz-Änderungsgesetz – TSG-ÄndG)
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– Entwurf eines Gesetzes über die Änderung
der Vornamen und die Feststellung der
Geschlechtszugehörigkeit (ÄVFGG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Reform des
Gesetzes über die Änderung der Vornamen
und die Feststellung der Geschlechtszugehö-
rigkeit in besonderen Fällen (Transsexuel-
lengesetz – TSG)
– Beschlussempfehlung und Bericht zu den
Anträgen:
– Selbstbestimmtes Leben in Würde er-
möglichen – Transsexuellenrecht umfas-
send reformieren
– Transsexuellengesetz aufheben – Rechtli-
che Gestaltungsmöglichkeiten für Trans-
sexuelle, Transgender und Intersexuelle
schaffen
– Antrag: Reform des Transsexuellengesetzes
für ein freies und selbstbestimmtes Leben
(Tagesordnungspunkt 63 a bis c)
Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir beraten heute über
inen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und di-
erse Anträge der Opposition zur Änderung des Trans-
exuellengesetzes, denen ein Urteil des Bundesverfas-
ungsgerichts vom 27. Mai 2008 vorausgeht.
In seinem Urteil hat das BVerfG festgestellt, dass § 8
bs. 1 Nr. 2 TSG mit dem Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
it Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG nicht verein-
ar sei. Im Klartext bedeutet das, es ist verfassungswid-
ig, für Transsexuelle eine Personenstandsänderung nur
nter dem Vorbehalt der Ehelosigkeit des Betroffenen
orzunehmen. Nach derzeit geltendem Recht müssen
ich verheiratete Transsexuelle erst scheiden lassen, be-
or sie von Amts wegen dem anderen Geschlecht zuge-
rdnet werden können, selbst dann, wenn beide Ehepart-
er die Fortführung ihrer Ehe wünschen. Nach dem
eltenden Scheidungsrecht müssen sie entgegen den tat-
ächlichen Umständen den Scheidungsrichter von der
errüttung ihrer Ehe überzeugen. Das ist kein Zustand.
em müssen wir entgegenwirken. Wir dürfen nicht zu-
assen, dass Amtshandlungen zur Farce werden.
Mit unserem Gesetzentwurf entsprechen wir voll und
anz den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts.
erheiratete Transsexuelle, die eine Personenstandsän-
erung anstreben, können nun bei Erfüllung aller sonsti-
en Kriterien ihre Ehe fortführen, sofern sich beide Part-
er ausdrücklich damit einverstanden erklären. Im
egensatz zu den Anträgen aus den Reihen der Grünen,
er Linken und der FDP behält unser Antrag die sonsti-
en Kriterien bei. Damit soll dem Missbrauch vorge-
eugt werden.
Allerdings bedeutet die Umsetzung der Vorgaben des
undesverfassungsgerichtes in der Konsequenz, dass
ir einer sehr geringen Anzahl von Menschen die Mög-
ichkeit einer de facto gleichgeschlechtlichen Ehe eröff-
en. Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen ma-
hen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25549
(A) )
(B) )
Erstens, und das möchte ich in aller Klarheit sagen:
Der Wegfall der Ehelosigkeit als Voraussetzung im § 8
TSG präjudiziert keineswegs die Einführung der gleich-
geschlechtlichen Ehe. Das Prinzip, wonach eine Ehe nur
zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen wer-
den kann, bleibt durch dieses Gesetz zu Recht unberührt.
Wir würden einer Abschaffung dieses Prinzips auch ve-
hement entgegenwirken. Das werden wir auch heute tun,
indem wir den Antrag der Grünen „Änderung der Vorna-
men und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit“
ablehnen. Dieser Antrag ist ein völlig unseriöser Gene-
ralangriff auf die Ehe zwischen Mann und Frau.
In unserem Gesetzentwurf geht es darum, den betrof-
fenen Eheleuten die Möglichkeit zu geben, ihre rechtmä-
ßig geschlossene Ehe fortzuführen, sofern sie es denn
wünschen, auch wenn einer von beiden eine Personen-
standsänderung beantragt, nachdem er sich einer unwi-
derruflichen und im Übrigen zur Zeugungsunfähigkeit
führenden Geschlechtsumwandlung unterzogen hat.
Dieses Doppelkriterium wie auch die sonstigen strengen
Auflagen bleiben bei der Personenstandsänderung in un-
serem Antrag nämlich unberührt.
Nun kann ich mir aber beim besten Willen nicht vor-
stellen, dass jemand sich einer Hormonbehandlung und
einem operativen Eingriff dieses Ausmaßes unterwirft,
nur um eine nun gleichgeschlechtlich gewordene Ehe
fortführen zu können und somit das oben genannte Prin-
zip der Ehe zwischen Mann und Frau zu unterminieren.
Ich kann nur erahnen, mit wieviel Unannehmlichkeiten,
ja Leid diese Behandlungen verbunden sind, sodass mei-
ner Überzeugung nach nicht davon auszugehen ist, dass
sie von den betroffenen Menschen leichtfertig in Kauf
genommen würden, nur um das Gesetz zu umgehen.
Anders sieht es bei den Gesetzentwürfen vonseiten
der Opposition aus. Alle verzichten auf den operativen
Eingriff zur Annäherung an das äußerliche Erschei-
nungsbild des gewünschten Geschlechts sowie auf die
Fortpflanzungsunfähigkeit. Gerade vor dem Hinter-
grund, dass wir die Ehe als Institution schützen wollen,
wie es das Grundgesetz im Übrigen völlig zu Recht
vorschreibt, können wir diese Bedingungen bei der Per-
sonenstandsänderung nicht entbehren. Ich glaube viel-
mehr, dass die aufrechterhaltenen Bedingungen in unse-
rem Antrag dafür sprechen, dass die Ehe als auch mir
persönlich sehr wichtige Institution durch unsere Geset-
zesänderung des Transsexuellengesetzes nicht gefährdet
und nicht infrage gestellt wird. Sie wird erst recht nicht
der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gleichgestellt,
wie es die Grünen wünschen.
Zum vom Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 festgeschrie-
benen besonderen Schutz der Ehe gehört meiner Ansicht
nach auch, dass sich der Staat nicht in rechtskräftige
Ehen einmischen darf, sofern diese dem geltenden Recht
und den Anliegen der Eheleute entsprechen. Diese äu-
ßerst seltenen de facto gleichgeschlechtlichen Ehen, die
so manchem Sorgen bereiten könnten, wurden als Ehen
zwischen Mann und Frau geschlossen und sind somit
rechtens. Die Frage, die das Bundesverfassungsgericht
zu entscheiden hatte, ist folgende: Darf der Staat Ehe-
leute gegen ihren Willen zur Scheidung zwingen, wenn
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ach der Personenstandsänderung beide dem gleichen
eschlecht zugeordnet sind? Wir müssen in diesem
unkt dem Bundesverfassungsgericht beipflichten und
em Willen der Eheleute folgen. Täten wir das nicht, ge-
ieten wir bei Beibehaltung des jetzigen Rechts wider
illen in die Gefahr, die Institution Ehe zu schwächen,
ämlich dann, wenn wir dem Staat dieses Recht auf er-
wungene Scheidung beließen. Man stelle sich einmal
or, der Staat würde sich anmaßen, eine völlig normale
he gegen den Willen der Beteiligten scheiden zu wol-
en.
Natürlich muss aber auch gleichzeitig gewährleistet
ein, dass die Personenstandsänderung ein Scheidungs-
rund für beide Partner sein kann. Ich kann nämlich
uch jene Betroffenen verstehen, die die Personenstands-
nderungen als so schwerwiegende Veränderung werten,
ass sie der Ansicht sind, dass die Ehe nicht fortgeführt
erden kann. Deshalb ist es unabdingbar, dass beide
artner sowohl bei der Namens- als auch bei der Perso-
enstandsänderung beteiligt sind und bleiben. Das ist
iederum ein Punkt, den die Opposition nicht zu be-
ücksichtigen scheint. Das Recht auf persönliche Selbst-
estimmung des Antragstellers darf nicht bedeuten, dass
er unmittelbar betroffene Partner nicht mit einbezogen
erden darf, im Gegenteil.
Nun einige Ausführungen zum Zustandekommen die-
er Gesetzesänderung. Seit einigen Jahren beschäftige
ch mich als zuständiger Berichterstatter der CDU/CSU-
raktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages
it Änderungsvorschlägen zum Transsexuellengesetz.
s ergibt sich meiner Ansicht nach noch weiterer Ände-
ungsbedarf, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr be-
ücksichtigt werden konnte. Tatsächlich hat uns das
undesverfassungsgericht in seinem Urteil auferlegt, die
n diesem Änderungsgesetz vorgenommenen Modifizie-
ungen noch vor dem 1. August 2009 vorzunehmen. So
ar es nicht möglich, innerhalb eines Jahres legitime
rozedurale Erleichterungen für die Transsexuellen so-
ohl bei der Vornamensänderung, der sogenannten klei-
en Lösung, als auch bei der Personenstandsänderung,
lso der „großen Lösung“, umzusetzen. Diese müssen
uf die nächste Legislaturperiode vertagt werden. Diese
rleichterungen müssen jedoch wohlüberlegt sein und
icht leichtfertig eingebracht werden, wie es vornehm-
ich die Grünen und die Linke in ihren jeweiligen Anträ-
en tun. Außerdem dürfen prozedurale Erleichterungen
icht mit der Streichung jeglicher Auflagen gleichge-
etzt werden.
Lassen Sie mich Ihnen einige dieser potenziellen zu-
ünftigen Änderungen kurz vorstellen. Da das ursprüng-
iche Gesetz aus dem Jahre 1980 stammt, berücksichtigt
s nicht aktuellste medizinische Erkenntnisse zur Trans-
exualität. So wird im Transsexuellengesetz in § 1
bs. 1 und 3 Nr. 2 die „Unumkehrbarkeit der inneren
berzeugung“ in Bezug auf die Zugehörigkeit zum an-
eren Geschlecht zum Kriterium für eine Namensände-
ung gemacht, die ihrerseits eine Vorstufe zur Personen-
tandsänderung ist. Heutzutage gehen Psychologen
edoch davon aus, dass von einer völligen „Unumkehr-
arkeit“ in Fragen der sexuellen Zugehörigkeit und Nei-
ung im Allgemeinen nicht die Rede sein dürfe, da diese
25550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
Unumkehrbarkeit nie mit völliger Sicherheit festgestellt
werden könne. Somit könnten sich Ärzte um den Selbst-
schutz willen weigern, ein solches Zeugnis auszustellen.
Vielmehr sollte das ärztliche Attest feststellen, dass
„eine fortdauernde innere Überzeugung“ bezüglich der
sexuellen Identität vorliege. Dieser Frage wird sich der
17. Deutsche Bundestag annehmen müssen. Im Übrigen
erschiene es mir sinnvoll, zugunsten eines ärztlichen auf
ein explizit „fach“-ärztliches Zeugnis zu verzichten. So-
mit stünde den Antragstellern frei, sich an den Arzt ihres
Vertrauens zu wenden, der sie seit Jahren betreut. An-
dere strittigere Punkte bedürfen noch der intensiven Prü-
fung. All das wird der nächste Bundestag zu beurteilen
und gegebenenfalls umzusetzen haben.
Wichtig ist heute, dass wir dem Gesetzentwurf der
Koalition zustimmen, denn er geht in die richtige Rich-
tung: Zum einen bringt er das Transsexuellengesetz mit
dem Grundgesetz in Einklang und trägt zum anderen den
legitimen Wünschen von betroffenen Personen Rech-
nung, ohne die Ehe als Institution zu gefährden oder Na-
mens- und Personenstandsänderungen zu reinen Forma-
litäten und somit zur Farce zu degradieren, wie es
vornehmlich die Grünen und die Linken beabsichtigen.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf
der Koalition folglich zu und lehnt die Anträge der Op-
position entschieden ab.
Gabriele Fograscher (SPD): Wir beraten heute den
Gesetzentwurf von SPD und CDU/CSU zur Änderung
des Transsexuellengesetzes in zweiter und dritter Lesung
sowie Anträge und Gesetzentwürfe der Oppositionsfrak-
tionen zu umfassenden Änderungen des Transsexuellen-
gesetzes.
Der Gesetzentwurf der Koalition setzt ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2008 um, in dem
das Gericht das Erfordernis der Ehelosigkeit bei Perso-
nenstandsänderungen als verfassungswidrig erklärt hat.
Dem Gesetzgeber wurde auferlegt, diesen verfassungs-
widrigen Zustand bis zum 1. August 2009 zu beseitigen.
Dieser Auflage kommen wir mit unserem Gesetzentwurf
nach, der die Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG vor-
sieht. Diese Neuregelung ermöglicht es Transsexuellen,
eine Anerkennung ihrer neuen Geschlechtsidentität zu
bekommen, ohne dass sie sich scheiden lassen müssen.
Wir begrüßen diese Neuregelung ausdrücklich.
Leider waren weitergehende und dringend notwen-
dige Neuregelungen mit der CDU/CSU nicht möglich.
Das Transsexuellengesetz wurde 1980 beschlossen und
entspricht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und
der Lebenswirklichkeit von Transsexuellen. Deshalb
werden wir in der nächsten Wahlperiode eine umfas-
sende Novellierung auf den Weg bringen. Ziel einer sol-
chen Novellierung muss es sein, das Leben und den All-
tag der Betroffenen zu erleichtern. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht in
mehreren Entscheidungen Teile des Transsexuellenge-
setzes als verfassungswidrig erklärt hat.
Seit dem Erlass des TSG hat sich viel verändert. So
zum Beispiel ist die sichere Diagnose „Transsexualität“
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eute keine Indikation mehr, geschlechtsangleichende
aßnahmen vorzunehmen. Fast ein Drittel aller Trans-
exuellen wollen keine operative Geschlechtsumwand-
ung vornehmen. Die Ablehnung medizinischer Ein-
riffe lässt aber keinen Zweifel an der Diagnose
Transsexualität“ zu. Bei der Konzeption des TSG ging
er Gesetzgeber davon aus, dass ein Transsexueller mit
llen Mitteln danach strebe, seine Geschlechtsmerkmale
u verändern. Deshalb ging man davon aus, dass die
kleine Lösung“ (Vornamensänderung) nur ein Durch-
angsstadium zur „großen Lösung“ (Personenstandsän-
erung und operativer Eingriff) war. Das entspricht nicht
ehr dem heutigen Stand der Wissenschaft.
Bei einer umfassenden Novellierung sollten wir des-
alb die Frage beantworten, ob § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4
SG, das Erfordernis der Fortpflanzungsunfähigkeit und
ie operative Geschlechtsumwandlung zur Änderung
es Personenstandes, vereinbar ist mit dem Grundrecht
uf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.
uch ist es notwendig, die Verfahren zur Vornamensän-
erung zu straffen, indem man auf den Vertreter des öf-
entlichen Interesses und auf die zwei geforderten Gut-
chten verzichtet. Ein ärztliches Zeugnis, dass das
ugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht mit
oher Wahrscheinlichkeit bescheinigt, ist meiner Mei-
ung nach ausreichend, ebenso die Antragstellung vor
em Standesamt.
Wie ich bereits in meiner Rede zur ersten Lesung zu
iesem Thema ausgeführt habe, halte ich den Vorschlag
on Bündnis 90/Die Grünen, auch die Personenstands-
nderung von den nach Landesrecht für das Personen-
tandswesen zuständigen Behörden vornehmen zu las-
en, nicht für richtig. Die Entscheidung über die
eststellung der Geschlechtszugehörigkeit sollte auf-
rund der damit verbundenen Rechtsfolgen in der ge-
ichtlichen Zuständigkeit bleiben.
Das Transsexuellengesetz ist durch Rechtsprechung
nd Rechtspraxis in vielen Teilen überholt. Eine umfas-
ende Reform ist dringend geboten. Der neu gewählte
undestag wird sich damit befassen müssen.
Gisela Piltz (FDP): Entscheidend für die FDP-Bun-
estagsfraktion ist, dass für transsexuelle Männer und
rauen ein verlässlicher Rechtsrahmen geschaffen wird,
er ihnen ein freies und selbstbestimmtes Leben ermög-
icht. Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht
n den vergangenen Jahren mehrere zentrale Vorschriften
es TSG für verfassungswidrig erklärt hat, zeigt auf,
ass eine umfassende Reform notwendig ist.
Im April dieses Jahres legte das Bundesministerium
es Innern einen Referentenentwurf vor, der sowohl in-
altlich als auch vom Verfahren her absolut inakzeptabel
ar. Eine Beteiligung der Fachverbände wurde erst ein-
al für nicht nötig erachtet. Erst nach völlig berechtig-
em Protest der betroffenen Verbände hat das Ministe-
ium den Entwurf versandt – dann aber mit einer sehr
urzen Fristsetzung zur Rückäußerung. Die Gering-
chätzung des Themas, die sich in diesem Verfahren
eigt, ist nicht hinnehmbar.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25551
(A) )
(B) )
Ich bin heute sehr froh, dass wir nun doch nicht über
diesen Entwurf beraten. Immerhin hat die breite und
scharfe Kritik dazu geführt, dass der Entwurf zurückge-
zogen wurde. Aber dazugelernt hat die Bundesregierung
dennoch nicht. Denn der nun vorliegende neue Gesetz-
entwurf beschränkt sich auf eine kleine Detailregelung
und setzt nur die zwingend bis August umzusetzenden
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Dass die
Bundesregierung hierfür dann aber ein ganzes Jahr ge-
braucht hat, ist mir nicht erklärlich.
2007 hat der Innenausschuss eine Sachverständigen-
anhörung durchgeführt, in der die geladenen Experten
dem Gesetzgeber viele wichtige Anregungen mit auf den
Weg gegeben haben. Von den vielen klugen Erwägun-
gen, die dort vorgetragen wurden, fand sich in dem
schon erwähnten Referentenentwurf vom April 2009
aber leider nichts wieder.
Die FDP-Fraktion fordert bereits seit vielen Jahren
eine Gesamtreform des Transsexuellengesetzes. Auf-
grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts ist das TSG derzeit nur noch Stückwerk. Wir brau-
chen dringend eine echte und umfassende Reform, die
die verfassungsrechtlichen Vorgaben umsetzt und zu-
gleich den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen
gerecht wird. Daher müssen wir uns in der nächsten
Wahlperiode erneut mit diesem Thema beschäftigen und
dabei die Fachverbände einbeziehen.
Die heutige Regelung des TSG bedeutet für viele Be-
troffene eine große Belastung. Zahlreiche bürokratische
Hindernisse, die aus heutiger Sicht nicht mehr zu recht-
fertigen sind, wie die Begutachtung für die Vornamens-
änderung durch zwei Sachverständige, ziehen Verfahren
unnötig in die Länge. Zudem kann ein in weiten Teilen
verfassungswidriges Gesetz nicht einfach so stehen ge-
lassen werden. Die daraus folgende Rechtsunsicherheit
ist für die Betroffenen ebenfalls belastend.
Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion darf
der geschlechtsverändernde operative Eingriff künftig
keine zwingende Voraussetzung mehr für eine Personen-
standsänderung sein. Schon im September 2005 stellte
das Bundesverfassungsgericht fest, dass aus der Dia-
gnose „Transsexualität“ nicht mehr zwingend die Indi-
kation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abzu-
leiten ist. Zudem finden sich in der Fachliteratur keine
haltbaren Gründe mehr für eine unterschiedliche perso-
nenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit
und ohne Geschlechtsumwandlungen. Das muss ein
Kernpunkt der neuen gesetzlichen Regelung sein. Auch
die Dreijahresfrist ist zu lang. Hier muss überlegt wer-
den, inwieweit der Prognosezeitraum verkürzt werden
kann.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Bun-
desregierung werden die Eheschließung und das Erfor-
dernis der Ehelosigkeit für Transsexuelle neu geregelt.
Die Streichung von § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG nimmt einen
wichtigen Punkt der anstehenden Gesamtreform vorweg.
Die FDP-Fraktion hält es darüber hinaus für erforder-
lich, dass der Namensträger seinen geänderten Vorna-
men auch bei einer Eheschließung behält. Die entspre-
chende Vorschrift in § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG hat das
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undesverfassungsgericht für verfassungswidrig er-
lärt. Die entsprechende Vorschrift muss daher ebenfalls
ufgehoben werden.
Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz gibt es erstmalig
ür gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, ihre
artnerschaft rechtlich absichern zu können. Ich bin
roh, dass die Lebenspartnerschaft mittlerweile nicht
ehr nur eine Randerscheinung für Minderheiten ist,
ondern sich vielmehr in der Mitte der Gesellschaft als
nerkannte Lebensform etabliert hat. Diese Entwicklung
aben wir bei transsexuellen Menschen leider noch nicht
rreicht. In der Bevölkerung herrschen oftmals Unkennt-
is und Klischees vor in Bezug auf transsexuelle Männer
nd Frauen. Immer wieder kommt es vor, dass Transse-
ualität mit Travestie verwechselt wird. Hier ist auch die
olitik aufgefordert, durch die geeigneten rechtlichen
ahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Gesell-
chaft transsexuellen Menschen mit Akzeptanz und To-
eranz begegnet. Da dieser Zustand leider noch nicht zu-
riedenstellend erreicht ist, sind transsexuelle Menschen
mmer wieder auch Diskriminierungen ausgesetzt. Poli-
ik und Gesellschaft müssen daher gleichermaßen jeder
rt von Ausgrenzung entschlossen entgegentreten. Dazu
ehört auch, mit den heutigen Beratungen nicht den
chlussstrich unter eine TSG-Reform zu ziehen, sondern
ielmehr dies als ersten Schritt anzusehen, dem alsbald
eitere folgen müssen.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Am 27. Mai 2008
ntschied das Bundesverfassungsgericht: „Angesichts
er Schwere der Beeinträchtigung, die ein verheirateter
ranssexueller durch die Versagung der rechtlichen An-
rkennung seiner empfundenen und gewandelten Ge-
chlechtszugehörigkeit erfährt, wird § 8 Abs. 1 Nr. 2
SG bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung für nicht
nwendbar erklärt.“ Das Bundesverfassungsgericht ent-
chied damit, dass verheiratete transsexuelle Menschen,
ie ihr Geschlecht angeglichen haben, nicht mehr ge-
wungen sind, sich scheiden zu lassen. Bis dato erkannte
er Staat die neu erlangte Geschlechtsidentität nur dann
n, wenn sich Eheleute scheiden ließen. Das hieß: Der
taat zwang glücklich verheiratete Menschen zur Schei-
ung.
Vor nun fast 30 Jahren wurde in der Bundesrepublik
as Transsexuellengesetz verabschiedet. Damals war es
in Fortschritt. Doch es ist inzwischen in die Jahre ge-
ommen und entspricht heute nicht mehr der gesell-
chaftlichen Realität. Seit Jahren fordern Betroffene eine
eform! Aber was tun Sie? Sie packen das Thema nicht
n. Sie wehren ab. Erst wenn Betroffene es schaffen,
ich bis zum Bundesverfassungsgericht vorzukämpfen,
ind Sie bereit zu reagieren – aber auf den letzten Drü-
ker und möglichst unbemerkt.
Der vorgelegte Gesetzentwurf beschränkt sich aus-
chließlich auf die Umsetzung des Bundesverfassungs-
erichtsurteils, statt das Problem insgesamt anzugehen
nd endlich die Erfahrungen der Betroffenen aufzugrei-
en und mit ihnen praktikable Lösungen zu finden. Im
egensatz zu Ihnen sind wir diesen Weg gegangen. Wir
ordern, dass jeder Erwachsene einen neuen Vornamen
25552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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annehmen kann, ohne dass dieser im Zusammenhang
stehen muss zu seinem Geschlecht oder seiner Ge-
schlechtsidentität. Wir fordern, dass jeder Erwachsene
ohne Einschränkungen seinen Personenstand verändern
kann. Wir fordern, dass das langwierige und demüti-
gende Begutachtungssystem überwunden wird. Wir
fordern, dass Transsexuelle nicht länger vom Medizini-
schen Dienst der Krankenkassen an ihrer Geschlechts-
angleichung gehindert werden. Wir fordern insbesondere
die sofortige Streichung der Pflicht zur Fortpflanzungs-
unfähigkeit, da es ein eklatanter Eingriff in die Men-
schenrechte transsexueller Menschen ist. Wir fordern,
dass eine Liberalisierung des Vornamen- und Personen-
standrechts allen Menschen mehr Möglichkeiten schaf-
fen soll.
Unsere Forderungen lassen sich in bestehende Ge-
setze integrieren. Ein Sondergesetz für Transsexuelle ist
überflüssig. Hiervon würden auch Transgender und In-
tersexuelle profitieren, also Menschen, die zwischen den
Geschlechtern stehen. Doch Sie ignorieren auch diese
Menschen. Wir können dem Gesetzentwurf der Grünen
heute zustimmen, da dieser Gesetzentwurf unsere Forde-
rungen aufgenommen hat und damit den Betroffenen ge-
recht wird. Wir können dem Gesetzentwurf der FDP
nicht zustimmen, denn dieser verharrt in unzulänglichen
Sonderregelungen, statt eine grundsätzliche Liberalisie-
rung ins Auge zu fassen.
Trotzdem stimmen wir dem Gesetz der Regierungs-
koalition zu. Es bedeutet zumindest eine gewisse Ver-
besserung für die Betroffenen. Und darüber hinaus freut
uns, dass Sie mit diesem Gesetz zum ersten Mal die Ehe
zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts er-
möglichen. Damit werden zumindest ein Teil der Lesben
und Schwulen, die sich für eine Partnerschaft entschie-
den haben, nicht mehr wie deklassierte Eheleute vom
Gesetzgeber betrachtet.
Wir hoffen, dass mit dem von Ihnen hier beschlosse-
nen Gesetz der Druck wächst, Menschen in einer einge-
tragenen Lebenspartnerschaft der Ehe gleichzustellen.
Stellen sie endlich alle Menschen gleich – egal welche
geschlechtliche oder sexuelle Orientierung oder Identität
sie haben. Akzeptieren Sie die Vielfalt dieser Gesell-
schaft, denn es geht nicht um einige wenige. Es geht da-
bei um die Vielfalt der gesamten Gesellschaft.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Wir beraten heute über zwei Gesetzentwürfe,
die die Belange der transsexuellen Menschen betreffen.
Das erste Vorhaben ist der Entwurf eines Gesetzes über
die Änderung der Vornamen und die Feststellung der
Geschlechtszugehörigkeit, der von meiner Fraktion vor-
bereitet wurde. Das zweite ist der Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Transsexuellengesetzes, und er
kommt aus den Reihen der Großen Koalition.
Der von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD vor-
bereitete Entwurf ist ein trauriger Beweis der Ignoranz
und des Desinteresses der Koalition gegenüber den
transsexuellen Menschen. Zwar räumen die Kolleginnen
und Kollegen der Regierungsparteien in ihren Reden
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benso wie die Vertreter des Bundesministeriums des In-
eren und des Bundesministeriums der Justiz ein, dass
eiterer Änderungsbedarf am Transsexuellengesetz be-
tehe. Damit geben sie jedoch zugleich zu, dass es ihnen
icht möglich war, innerhalb eines Jahres längst überfäl-
ige prozedurale Erleichterungen für die Transsexuellen
mzusetzen. Wie viel Zeit brauchen Sie denn, um ein
0-jähriges Gesetz zeitgemäß zu novellieren? Wie lange
ollen die Menschen noch warten? Müssen sie erneut
ine Legislaturperiode abwarten? Oder muss der Gesetz-
eber zum sechsten Mal vom Bundesverfassungsgericht
ngewiesen werden, Transsexuellen nicht elementare
rundrechte zu entziehen?
Aber Ihre Einstellung zum Transsexuellengesetz hat
eines Erachtens noch einen anderen Ursprung. Ihr
Twitter-Gesetzentwurf“ ist Ausdruck einer auf Angst
undierten Wahrnehmung der Geschlechtlichkeit, in der
ie bipolare Aufteilung in Frauen und Männer, oder bes-
er gesagt, in Männer und Frauen, die Basis für die tradi-
ionell geordnete Gesellschaft bildet. Allerdings stammt
ieses Verständnis von Geschlecht aus Zeiten, in den
an über Gender, also soziales Geschlecht, nichts
usste. Danach müsste das Aussehen wie Rollenverhal-
en einer Person mit dem Personenstand zweifellos über-
instimmen. Aber mit diesen Überzeugungen liegen sie
eiter hinter der gesellschaftlichen Entwicklung und den
issenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte.
Unser Entwurf dagegen anerkennt die Vielfalt der
dentitäten und Lebensweisen, lehnt die Angst vor der
neindeutigkeit der Geschlechter ab und erleichtert den
enschen, ihren rechtlichen Status dem Sich-selbst-Be-
reifen anzupassen. Deshalb appelliere ich an die Kolle-
innen und Kollegen der Großen Koalition: Unterstützen
ie transsexuelle Menschen in ihrem schwierigen Bemü-
en, ihre Persönlichkeit zu entfalten, und stimmen Sie
nserem Gesetz zu!
Allerdings spiegeln Ihr Vorgehen beim Transsexuel-
engesetz und manche Reden bei der ersten Lesung noch
in Problem wider: Sie misstrauen dem Menschen in sei-
er Selbstbestimmung. Sie glauben nicht an seine Ent-
cheidungsfähigkeit hinsichtlich seines Geschlechts. Sie
ollen weiter die Transsexualität diagnostizieren. Das
eltende Erfordernis der Überprüfung der geschlechtli-
hen Identität von Staats wegen sowohl bei Vornamens-
nderung als auch bei Personenstandsänderung tastet al-
erdings den Sexualbereich des Menschen an, den das
rundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfas-
ungsrechtlichen Schutz stellt. Wovor haben Sie Angst?
ass auf den Straßen Menschen rumlaufen werden, die
eine „deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild
es anderen Geschlechts erreicht“ hatten, wie das zurzeit
as geltende Transsexuellengesetz erfordert?
Wir haben hingegen mehr Vertrauen in Menschen.
er von uns vorgelegte Gesetzentwurf geht von dem
rinzip „in dubio pro libertate“ – im Zweifel für die
reiheit – aus. Wir als Politik dürfen nicht die ge-
chlechtliche Identität eines Menschen überprüfen, son-
ern müssen dafür Rahmenbedingungen schaffen, dass
ich sein rechtlicher Status lediglich nach seiner inneren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25553
(A) )
(B) )
Überzeugung richtet. Wir wollen damit, dass sich der
Staat aus der Privatsphäre des Menschen, aus seiner ge-
schlechtlichen Selbstbestimmung zurückzieht und geben
das Primat dem wahren Geschlechtsempfinden, über das
nur das Individuum Auskunft geben kann. Stimmen Sie
daher, sehr gehrte Kolleginnen und Kollegen, im Namen
der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts jedes
Menschen unserem Entwurf zu!
Zum Schluss möchte ich mich dennoch bei Ihnen für
Ihren Entwurf, dem die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
zustimmen wird, bedanken. Mit diesem Gesetz eröffnen
sie das Institut der Ehe zumindest für einige gleichge-
schlechtliche Paare. Die Forderung nach Öffnung der
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare haben wir Grüne vor
genau 15 Jahren zum ersten Mal dem Bundestag vorge-
legt. Und Sie können sich mit Händen und Füssen dage-
gen wehren, aber Tatsache ist, dass heute der Deutsche
Bundestag die rechtliche Grundlage für die Öffnung der
Ehe generell schaffen wird. In der Tat ein historisches
Moment! Dafür danke ich Ihnen im Namen von Lesben
und Schwulen, die zwar im Moment nur in bestimmten
Situationen davon Gebrauch werden machen können,
aber die eines Tages durch die heute vom Bundestag er-
öffnete Tür als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bür-
ger gehen werden.
Anlage 12
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 859. Sitzung am 12. Juni
2009 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Fut-
termittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
– Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti-
kel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d)
– Begleitgesetz zur zweiten Föderalismusreform
– Gesetz zur Verbesserung der Absicherung von Zi-
vilpersonal in internationalen Einsätzen zur zivi-
len Krisenprävention
– Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskon-
fliktgesetzes
– Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstif-
tungsgesetzes
– Gesetz zur Änderung des Einlagensicherungs-
und Anlegerentschädigungsgesetzes und anderer
Gesetze
– Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens
„Vorsorge für Schlusszahlungen für inflationsin-
dexierte Bundeswertpapiere“ (Schlusszahlungsfi-
nanzierungsgesetz – SchlussFinG)
– Viertes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteu-
ergesetzen
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Achtes Gesetz zur Änderung des Bundesvertrie-
benengesetzes
Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Er-
richtung einer Stiftung Deutsche Geisteswissen-
schaftliche Institute im Ausland, Bonn
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung
einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Ju-
den Europas“
Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung
und anderer Gesetze
Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs-
und Vormundschaftsrechts
Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtli-
nie (ARUG)
Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der
Höchstspannungsnetze
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung
eines Sondervermögens „Investitions- und Til-
gungsfonds“
Gesetz zu dem Abkommen vom 6. November 2008
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Österreich zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Erb-
schaftsteuern bei Erbfällen, in denen der Erblas-
ser nach dem 31. Dezember 2007 und vor dem
1. August 2008 verstorben ist
Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Juli 2008 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und den
Vereinigten Mexikanischen Staaten zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung und der Steuerver-
kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
kommen und vom Vermögen
Gesetz zu dem Vertrag vom 12. November 2008
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Bulgarien über die Zusammenar-
beit bei der Bekämpfung des grenzüberschreiten-
den Missbrauchs bei Leistungen und Beiträgen
zur sozialen Sicherheit durch Erwerbstätigkeit
und von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit so-
wie bei illegaler grenzüberschreitender Leiharbeit
Gesetz zu dem Vertrag vom 16. September 2004
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Polen über die Vermarkung und In-
standhaltung der gemeinsamen Grenze auf den
Festlandabschnitten sowie den Grenzgewässern
und die Einsetzung einer Ständigen Deutsch-Pol-
nischen Grenzkommission
Gesetz zu der Satzung vom 26. Januar 2009 der
Internationalen Organisation für erneuerbare
Energien
Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzge-
setzes
Fünftes Gesetz zur Änderung des Bundeszentral-
registergesetzes
25554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
(A) )
(B) )
Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge-
fasst:
Der Bundesrat begrüßt zwar, dass das Gesetz das An-
liegen der Gesetzesinitiative des Bundesrates vom
14. März 2008 – Bundesratsdrucksache 72/08 (Be-
schluss), Bundestagsdrucksache 16/9021 – aufgreift und
den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Straftaten
durch eine Ausdehnung der Aufnahme von Verurteilun-
gen in das Führungszeugnis verbessern will. Gegen das
Gesetz ist aber, auch wenn der darin vorgesehene Um-
fang der zusätzlich aufzunehmenden Verurteilungen
nicht zu beanstanden ist, Folgendes einzuwenden:
Nicht zu überzeugen vermag der Lösungsansatz der
Vorlage – abweichend vom Gesetzentwurf des Bundes-
rates –, den Umfang des Führungszeugnisses nicht gene-
rell auszudehnen, sondern zusätzliche Eintragungen nur
in ein „erweitertes Führungszeugnis“ aufzunehmen, das
nur unter besonderen Voraussetzungen erteilt wird. Denn
das Gesetz will zwar einerseits den Kreis der Personen,
denen ein erweitertes Führungszeugnis erteilt wird, be-
schränken, kann diesen Personenkreis aber nicht exakt
abgrenzen. Gemäß der Generalklausel in § 30a Absatz 1
Nummer 2 Buchstabe c in Verbindung mit Buchstabe b
BZRG-neu soll das erweiterte Führungszeugnis dann er-
teilt werden, wenn es für eine Tätigkeit benötigt wird,
die in einer der beruflichen oder ehrenamtlichen Beauf-
sichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Min-
derjähriger „vergleichbaren Weise geeignet ist“, Kontakt
zu Minderjährigen aufzunehmen. Nach welchen Krite-
rien beurteilt werden soll, ob Tätigkeiten im Sinne der
Vorschrift „in vergleichbarer Weise geeignet“ sind, wird
auch in der Begründung des zugrundeliegenden Gesetz-
entwurfs nicht näher erläutert. Der Umfang des aus-
kunftsberechtigten Personenkreises bleibt daher unklar.
Dies führt zu Auslegungsschwierigkeiten und möglichen
Schutzlücken.
Zudem obliegt es nach dem Gesetz der Person, die
das erweiterte Führungszeugnis vom Antragsteller ver-
langt, also zum Beispiel dem (künftigen) Arbeitgeber, zu
beurteilen, ob das erweiterte Führungszeugnis für eine
die Kriterien des § 30a Absatz 1 BZRG-neu erfüllende
Tätigkeit benötigt wird. Sie hat das Risiko einer eventu-
ell unberechtigten Anforderung des erweiterten Füh-
rungszeugnisses und sich hieraus möglicherweise erge-
bender Schadenersatzansprüche des Bewerbers zu
tragen. Dies wird – zumindest in Grenzfällen – zur Ver-
unsicherung der für die Besetzung einer Stelle verant-
wortlichen Person hinsichtlich der Frage führen, ob sie
sich das erweiterte Führungszeugnis einerseits vorlegen
lassen darf, ohne sich schadenersatzpflichtig zu machen,
und ob sie sich andererseits das erweiterte Führungs-
zeugnis vorlegen lassen muss, um etwaigen Schutz-
pflichten gegenüber Kindern und Jugendlichen, mit de-
nen der Beschäftigte in Kontakt kommen kann, gerecht
zu werden.
Das Gesetz legt damit ein zu starkes Gewicht auf das
Resozialisierungsinteresse des Verurteilten zu Lasten
desjenigen, der im Interesse des Kinder- und Jugend-
schutzes bei der Besetzung einer Stelle tätig werden will.
Es berücksichtigt dabei nicht hinreichend, dass es sich
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ei den zusätzlich aufzunehmenden Verurteilungen ge-
ade hinsichtlich des verletzten Rechtsgutes nicht um
Bagatelldelikte“ handelt, auch wenn die Strafe gering
usgefallen ist. Das Resozialisierungsinteresse des Ver-
rteilten ist hinlänglich durch § 34 Absatz 1 Nummer 1
ZRG gewahrt, wonach die Aufnahmefrist bei geringfü-
igen Verurteilungen nur drei Jahre beträgt, wenn nicht
ine Aufnahme nach § 38 BZRG wegen weiterer Verur-
eilungen erfolgen muss. Die Gefahr, dass einmalige
Jugendsünden“ auf Dauer im Führungszeugnis erschei-
en und der Resozialisierung im Wege stehen, besteht
lso nicht.
Schließlich führt das Konzept des Gesetzes zu einem
rhöhten Bürokratieaufwand.
Der Bundesrat hält daher seinen am 14. März 2008
eschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
undeszentralregistergesetzes für vorzugswürdig.
Erstes Gesetz zur Änderung des Treibhausgas-
Emissionshandelsgesetzes
Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende
ntschließung zu fassen:
Mit dem Gesetz wird die Bundesregierung ermäch-
igt, durch Rechtsverordnung Datenerhebungen zur Ein-
eziehung weiterer Tätigkeiten in den Emissionshandel
u bestimmen.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Daten-
rhebungen möglichst unbürokratisch zu gestalten und
en Normenkontrollrat bei der Ausarbeitung der Rechts-
erordnung einzubeziehen.
Angesichts der Tatsache, dass in der kommenden Le-
islaturperiode Grundsatzentscheidungen für die Umset-
ung der geänderten Emissionshandelsrichtlinie zu fäl-
en sind, weist der Bundesrat darauf hin, dass bereits
um jetzigen Zeitpunkt für eine möglichst unbürokrati-
che und die Unternehmen so wenig wie möglich belas-
ende Umsetzung des Emissionshandels Sorge zu tragen
st.
Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen
vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Perso-
nen vor dem Verschwindenlassen
Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung
efasst:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die
bgabe einer Erklärung zu prüfen, mit der die Zustän-
igkeit des Ausschusses über das Verschwindenlassen
ür die Staatenbeschwerde im Sinne von Artikel 32 des
bereinkommens vom 20. Dezember 2006 zum Schutz
ller Personen vor dem Verschwindenlassen anerkannt
ird.
Begründung:
Das Verfahren der Staatenbeschwerde zum Ausschuss
über das Verschwindenlassen ist ein wichtiges Instru-
ment zur Gewährleistung der Ziele des Übereinkom-
mens. Da dieses Verfahren nur zur Anwendung
kommt, wenn sowohl der Beschwerdeführer als auch
der Beschwerdegegner die Zuständigkeit des Aus-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25555
(A) )
(B) )
schusses anerkannt haben, ist es von besonderer Be-
deutung, dass möglichst viele Vertragsstaaten eine
entsprechende Anerkennungserklärung abgeben. Die
Bundesrepublik sollte hier mit gutem Beispiel voran-
gehen. Die Bundesregierung hat in der Begründung
des Gesetzentwurfs erklärt, sie werde die Abgabe ei-
ner Anerkennungserklärung für die Individualbe-
schwerde nach Artikel 31 des Übereinkommens prü-
fen (Bundestagsdrucksache 16/12592, S. 39). Diese
Prüfung ist auf die Anerkennung der Staatenbe-
schwerde auszudehnen.
Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 12. Sitzung
am 27. Mai 2009 folgenden Einigungsvorschlag be-
schlossen:
Das vom Deutschen Bundestag in seiner 217. Sitzung
am 23. April 2009 beschlossene
Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im an-
waltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errich-
tung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwalt-
schaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften
– Drucksachen 16/11385, 16/12717, 16/13082 –
wird bestätigt.
Der Vermittlungsausschuss hat in der Fortsetzung
seiner 12. Sitzung am 10. Juni 2009 folgenden Eini-
gungsvorschlag beschlossen:
Das vom Deutschen Bundestag in seiner 217. Sitzung
am 23. April 2009 beschlossene
Gesetz zur Änderung der Förderung von Biokraft-
stoffen
– Drucksachen 16/11131, 16/11641, 16/12465,
16/13080 –
wird bestätigt.
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und den Verein-
ten Nationen und einzelnen, global agierenden, interna-
tionalen Organisationen und Institutionen im Rahmen
des VN-Systems in den Jahren 2006 und 2007
– Drucksachen 16/10036, 16/10285 Nr. 13 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dritter Bericht zur Umsetzung des Bologna-Prozesses
in Deutschland
– Drucksache 16/12552 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions-
dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
(C
(D
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 16/12369 Nr. A.1
EuB-BReg 12/2009
Drucksache 16/12369 Nr. A.2
EuB-BReg 17/2009
Drucksache 16/12369 Nr. A.3
EuB-BReg 5/2009
Drucksache 16/12778 Nr. A.3
EuB-BReg 23/2009
Drucksache 16/12778 Nr. A.4
EuB-BReg 24/2009
Drucksache 16/12778 Nr. A.5
EuB-BReg 25/2009
Drucksache 16/12778 Nr. A.8
EuB-BReg 28/2009
Drucksache 16/12778 Nr. A.10
EuB-BReg 30/2009
Innenausschuss
Drucksache 16/11965 Nr. A.2
EuB-EP 1848; P6_TA-PROV(2009)0633
Drucksache 16/12954 Nr. A.5
EuB-EP 1893; P6_TA-PROV(2009)0085
Finanzausschuss
Drucksache 16/12954 Nr. A.11
Ratsdokument 5903/2/09 REV 2
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 16/10958 Nr. A.15
Ratsdokument 13521/08
Drucksache 16/10958 Nr. A.16
Ratsdokument 13531/08
Drucksache 16/10958 Nr. A.17
Ratsdokument 13737/08
Drucksache 16/10958 Nr. A.18
Ratsdokument 13775/08
Drucksache 16/11132 Nr. A.8
EuB-EP 1792; P6_TA-PROV(2008)0451
Drucksache 16/11517 Nr. A.18
Ratsdokument 16155/08
Drucksache 16/12511 Nr. A.5
Ratsdokument 7004/09
Drucksache 16/12778 Nr. A.16
EuB-EP 1875; P6_TA-PROV(2009)0049
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 16/12954 Nr. A.13
Ratsdokument 7771/09
Drucksache 16/12954 Nr. A.14
Ratsdokument 8420/09
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 16/11819 Nr. A.20
Ratsdokument 17504/08
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 16/11721 Nr. A.23
Ratsdokument 16446/08
Drucksache 16/11721 Nr. A.25
Ratsdokument 17294/08
Drucksache 16/11721 Nr. A.26
Ratsdokument 17295/08
Drucksache 16/11721 Nr. A.28
Ratsdokument 17365/08
228. Sitzung
Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12