Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25521
        (A) )
        (B) )
        für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung des Europarates die Baumschulwirtschaft betreffen. So ist es aus meiner
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        19.06.2009
        Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 19.06.2009
        Dreibus, Werner DIE LINKE 19.06.2009
        Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 19.06.2009
        Gloser, Günter SPD 19.06.2009*
        Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 19.06.2009
        Höger, Inge DIE LINKE 19.06.2009
        Hübinger, Anette CDU/CSU 19.06.2009
        von Klaeden, Eckart CDU/CSU 19.06.2009
        Kolbow, Walter SPD 19.06.2009
        Koschyk, Hartmut CDU/CSU 19.06.2009
        Laurischk, Sibylle FDP 19.06.2009
        Lenke, Ina FDP 19.06.2009
        Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 19.06.2009
        Lips, Patricia CDU/CSU 19.06.2009
        Meierhofer, Horst FDP 19.06.2009
        Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 19.06.2009*
        Merz, Friedrich CDU/CSU 19.06.2009
        Reichel, Maik SPD 19.06.2009
        Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 19.06.2009
        Dr. Scheer, Hermann SPD 19.06.2009
        Schily, Otto SPD 19.06.2009
        Wieczorek-Zeul,
        Heidemarie
        SPD 19.06.2009
        Wittlich, Werner CDU/CSU 19.06.2009
        Zimmermann, Sabine DIE LINKE 19.06.2009
        Zöllmer, Manfred SPD 19.06.2009
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        nlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Cajus Caesar, Hubert
        Deittert, Enak Ferlemann, Dr. Hans-Heinrich
        Jordan, Dr. Rolf Koschorrek, Norbert
        Schindler und Dr. Ole Schröder (alle CDU/
        CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines
        Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Na-
        turschutzes und der Landschaftspflege (Tages-
        ordnungspunkt 54 a)
        Der ursprüngliche Entwurf des Bundesministeriums
        ür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur No-
        ellierung des Bundesnaturschutzgesetzes sah eine
        eihe von Standardverschärfungen und praxisfernen Re-
        elungen vor. Das konnte im Laufe der Beratungen
        urch die Unionsfraktion präzisiert und im Sinne von
        konomie und Ökologie verbessert werden.
        Obwohl vieles durch die Novelle des Bundesnatur-
        chutzgesetzes sinnvoller geregelt werden kann, gibt es
        och Regelungen, die ich mir unbürokratischer und pra-
        isnäher hätte vorstellen können.
        Beispielhaft nenne ich hier die Teile der Bundesnatur-
        chutzgesetz-Novelle, die die Baumschulwirtschaft be-
        reffen. So ist es aus meiner Sicht unsinnig, Deutschland
        ezüglich der Pflanzung von Landschaftsgehölzen in re-
        ionale Zonen einzuteilen. Selbst bei einer Übergangs-
        eit von zehn Jahren bedeutet das ein Mehr an Protektio-
        ismus, da die Samen aus den Regionen Deutschlands
        ls Gehölz auch nur in der jeweiligen Region wieder ge-
        flanzt werden können. In diesen Punkten hätte ich mir
        ine vollständige Übernahme der Beschlüsse der Länder
        m Bundesrat gewünscht. Ich habe mich seit Beginn der
        eratungen für eine praxisnähere Lösung eingesetzt, die
        o leider nicht umgesetzt werden konnte.
        nlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Franz-Josef Holzenkamp,
        Helmut Lamp und Carsten Müller (Braun-
        schweig) (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über
        den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
        des Rechts des Naturschutzes und der Land-
        schaftspflege (Tagesordnungspunkt 54 a)
        Der ursprüngliche Entwurf des Bundesministeriums
        ür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur No-
        ellierung des Bundesnaturschutzgesetzes sah eine
        eihe von Standardverschärfungen und praxisfernen Re-
        elungen vor. Das konnte im Laufe der Beratungen
        urch die Unionsfraktion präzisiert und im Sinne von
        konomie und Ökologie verbessert werden.
        Obwohl vieles durch die Novelle des Bundesnatur-
        chutzgesetzes sinnvoller geregelt werden kann, gibt es
        och Regelungen, die ich mir unbürokratischer und pra-
        isnäher hätte vorstellen können. Beispielhaft nenne ich
        ier die Teile der Bundesnaturschutzgesetz-Novelle, die
        25522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        Sicht unsinnig, Deutschland bezüglich der Pflanzung
        von Landschaftsgehölzen in regionale Zonen einzutei-
        len. Selbst bei einer Übergangszeit von zehn Jahren be-
        deutet das ein Mehr an Protektionismus, da die Samen
        aus den Regionen Deutschlands als Gehölz auch nur in
        der jeweiligen Region wieder gepflanzt werden können.
        In diesen Punkten hätte ich mir eine vollständige Über-
        nahme der Beschlüsse der Länder im Bundesrat ge-
        wünscht. Diese praxisnähere Lösung war leider nicht
        mehrheitsfähig.
        Anlage 4
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Neuregelung des Rechts des Naturschut-
        zes und der Landschaftspflege und den Entwurf
        eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des
        Naturschutzes und der Landschaftspflege (Ta-
        gesordnungspunkt 54 a)
        Gitta Connemann (CDU/CSU): Der ursprüngliche
        Entwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
        schutz und Reaktorsicherheit zur Novellierung des Bun-
        desnaturschutzgesetzes beinhaltet eine Reihe von Stan-
        dardverschärfungen und praxisfernen Regelungen. Diese
        konnten im Laufe der Beratungen von der Unionsfrak-
        tion entschärft und pragmatisch angepasst werden.
        Vieles wird deshalb durch die Novelle des Bundesna-
        turschutzgesetzes zukünftig sinnvoller geregelt werden.
        Dennoch gibt es Regelungen, die ich mir unbürokrati-
        scher und praxisnäher gewünscht hätte. Beispielhaft
        nenne ich hier nur die Teile der Novelle, die die Baum-
        schulwirtschaft betreffen. So ist es aus meiner Sicht
        unsinnig, Deutschland bezüglich der Pflanzung von
        Landschaftsgehölzen in regionale Zonen einzuteilen.
        Gehölzer nur in der Region pflanzen zu dürfen, aus der
        die Samen auch stammen – das ist eine Zunahme an Pro-
        tektionismus, die ich auch trotz einer Übergangszeit von
        zehn Jahren ablehne. In diesen Punkten hätte ich mir
        eine Übernahme der Beschlüsse des Bundesrates ge-
        wünscht. Diese praxisnäheren Lösungen waren jedoch
        leider nicht mehrheitsfähig.
        Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Der ur-
        sprüngliche Entwurf des Bundesministeriums für Um-
        welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Novellie-
        rung des Bundesnaturschutzgesetzes sah eine Reihe von
        Standardverschärfungen und praxisfernen Regelungen
        vor. Das konnte im Laufe der Beratungen durch die
        Unionsfraktion präzisiert und im Sinne von Ökonomie
        und Ökologie verbessert werden.
        Obwohl vieles durch die Novelle des Bundesnatur-
        schutzgesetzes sinnvoller geregelt wird, gibt es noch Re-
        gelungen, die ich mir unbürokratischer und praxisnäher
        hätte vorstellen können. Beispielhaft nenne ich hier die
        Teile der Bundesnaturschutzgesetz-Novelle, die die
        Baumschulwirtschaft betreffen. So ist es aus meiner
        Sicht unsinnig, Deutschland bei der Pflanzung von
        Landschaftsgehölzen in regionale Zonen einzuteilen.
        Selbst bei einer Übergangszeit von zehn Jahren bedeutet
        das ein Mehr an Protektionismus, da die Samen aus den
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        egionen Deutschlands als Gehölz auch nur in der je-
        eiligen Region wieder gepflanzt werden können. In
        iesen Punkten hätte ich mir eine vollständige Über-
        ahme der Beschlüsse der Länder im Bundesrat ge-
        ünscht, die aus meiner Sicht eine praxisnähere Lösung
        argestellt hätten.
        Ingbert Liebing (CDU/CSU): Der ursprüngliche
        ntwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
        chutz und Reaktorsicherheit zur Novellierung des Bun-
        esnaturschutzgesetzes sah eine Reihe von Standardver-
        chärfungen und praxisfernen Regelungen vor, von
        enen im Laufe der Beratungen aber durch die Unions-
        raktion viele präzisiert und im Sinne von Ökonomie und
        kologie verbessert werden konnten.
        Während viele Punkte durch die Novelle des Bundes-
        aturschutzgesetzes sinnvoller geregelt werden konn-
        en, gibt es dennoch Regelungen, die ich gerne unbüro-
        ratischer und praxisnäher gelöst gesehen hätte. Als
        inen Punkt möchte ich hier explizit die die Baumschu-
        en betreffenden Regelungen nennen. Meiner Meinung
        ach ist es nicht sinnvoll, Deutschland bezüglich der
        flanzung von Landschaftsgehölzen in regionale Zonen
        inzuteilen. Selbst unter Berücksichtigung einer zehn-
        ährigen Übergangsperiode wird hierdurch ein neuer und
        nnötiger Protektionismus geschaffen, da die Samen aus
        en Regionen Deutschlands als Gehölz auch nur in der
        eweiligen Region wieder gepflanzt werden können. In
        iesen Punkten hätte ich mir eine vollständige Über-
        ahme der Beschlüsse der Länder im Bundesrat ge-
        ünscht. Ich bin in diesem Punkt von Anfang an für eine
        raxisnähere Lösung eingetreten, die zu meinem großen
        edauern aber nicht durchgesetzt werden konnte.
        Gesine Multhaupt (SPD): Hiermit erkläre ich, dass
        ch dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimme und die
        it dem Gesetz verbundenen Intentionen zur Klärung
        nd Vereinheitlichung des Naturschutzgesetzes, dessen
        ereinheitlichte Anwendung und Vollziehbarkeit sowie
        ine schnellere und effizientere Umsetzung des europäi-
        chen Rechts in innerstaatliches Recht mittrage.
        Ich halte die Neuregelungen für eine gute gesetzliche
        rundlage, gebe allerdings zu bedenken, dass vor allem
        ie norddeutsche Baumschulen, viele davon in meinem
        ahlkreis, den mittelfristigen Verlust von Arbeitsplätzen
        nd die Gefährdung ihrer Existenzen befürchten. Da
        chwer vorherzusehen ist, ob mit den Regelungen zum
        usbringen gebietsfremder Arten/gebietsfremder Her-
        ünfte tatsächlich Aufträge und damit Arbeitsplätze ge-
        ährdet sind, bedauere ich, dass es nicht möglich war,
        en Forderungen der Ammerländer Baumschulen in
        änze Rechnung zu tragen.
        nlage 5
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel
        Kultur) (Tagesordnungspunkt 55)
        Gitta Connemann (CDU/CSU): Ich stimme dem
        esetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25523
        (A) )
        (B) )
        Grundgesetzes – Staatsziel Kultur – nach sorgfältiger
        Abwägung des Für und Wider nicht zu.
        Grund meiner Ablehnung ist nicht das mit dem An-
        trag angestrebte Ziel als solches. Dieses ist zutreffend.
        Denn in unserem Grundgesetz fehlt aus meiner Sicht das
        zwingend notwendige Bekenntnis zu einem Staatsziel
        Kultur. Der Schutz und die Förderung von Kultur sind
        im Grundgesetz nämlich nicht positiv verankert – leider.
        Im Grundgesetz gibt es bereits Staatszielbestimmungen,
        die die materiellen Bedingungen menschlicher Existenz
        abdecken: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG
        sowie den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und
        der Tiere durch Art. 20 a GG. Für die geistigen, ideellen
        Dimensionen menschlichen Daseins fehlt jedoch eine
        entsprechende Bestimmung. Dies führt zu einer verfas-
        sungsrechtlichen Lücke: Eine ausdrückliche Formulie-
        rung zum Schutz und zur Förderung der Kultur fehlt bis-
        her.
        Es bedarf eines staatlichen Bekenntnisses und damit
        einer Normierung des Kulturauftrages. Die Enquete-
        Kommission „Kultur in Deutschland“ hatte deshalb un-
        ter meinem damaligen Vorsitz dem Deutschen Bundes-
        tag einstimmig empfohlen, Kultur als Staatsziel im
        Grundgesetz zu verankern und das Grundgesetz um den
        Artikel 20 b GG mit folgender Formulierung zu ergän-
        zen: „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ Aus gu-
        ten Gründen! Damit meine ich übrigens nicht das zur
        Zeit angeführte Argument, ein Staatsziel Kultur böte fi-
        nanziellen Schutz auch in finanziellen Krisenzeiten wie
        jetzt. Denn durch eine Staatszielbestimmung würde we-
        der ein individueller Anspruch auf Leistung begründet
        noch Kultur zur Pflichtaufgabe erhoben. Dieses wäre
        aber erforderlich, um dem Dilemma der Freiwilligkeit
        begegnen zu können. Dass eine Staatszielbestimmung
        nicht dazu zwingt, Kulturhaushalte zu erhöhen oder je-
        denfalls nicht zu beschneiden, zeigt die Situation in den
        Ländern. 15 von 16 Länderverfassungen enthalten jeweils
        eine Kulturstaatszielbestimmung. Dennoch sind gerade
        in den Ländern in den letzten Jahren die Kulturausgaben
        aus Haushaltsgründen gekürzt worden. Demgegenüber
        sind die Kulturausgaben des Bundes nachweislich deut-
        lich gestiegen – auch ohne Kulturstaatszielbestimmung
        im Grundgesetz. Eine kulturelle Staatszielbestimmung
        führt also nicht dazu, dass Kultur Pflichtaufgabe wird.
        Gemeindliche Pflichtaufgaben können nur durch die Ge-
        setzgebung der Länder begründet werden, wie es durch
        das Kulturraumgesetz im Freistaat Sachsen erfolgt ist.
        Es wäre wünschenswert, wenn alle anderen Länder in
        Deutschland diesem leuchtenden Beispiel folgen wür-
        den, um die Ausgaben für Kultur von dem Status der
        Freiwilligkeit zu befreien und in den Rang der Pflichtig-
        keit zu erheben.
        Es sind also nicht finanzielle Gründe, die mich für die
        Aufnahme eines Staatsziels Kultur in das Grundgesetz
        plädieren lassen, sondern ich spreche mich zum einen
        dafür aus, da sich aus einer solchen Staatszielbestimmung
        ein Kulturgestaltungsauftrag ableiten lassen würde, der
        Bund, Länder und Kommunen generell in die Pflicht
        nehmen würde. Daraus könnte die Sicherung einer kul-
        turellen Grundversorgung hergeleitet werden, deren
        Ausprägung unter Berücksichtigung der örtlichen Ver-
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        ältnisse konkretisiert werden müsste. Für die Gemein-
        en würde dies eine Unterstützung in der Wahrnehmung
        hres Kulturauftrages bedeuten. Freiwilligkeit dürfte zu-
        ünftig nicht mehr als Beliebigkeit verstanden werden.
        Zum anderen würde eine Staatszielbestimmung Kul-
        ur nicht nur jedem Gericht als Auslegungs- und Anwen-
        ungsmaßstab für das einfache Recht dienen und auch
        or dem Bundesverfassungsgericht gegenüber der Prü-
        ung von Gesetzen in Ansatz gebracht werden können.
        in rechtlich verankerter Kulturauftrag wäre zudem ein
        esichtspunkt, der in verwaltungsrechtliche Ermessens-
        nd Abwägungsentscheidungen einfließen müsste.
        Zwar hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt
        eutschland als Kulturstaat bezeichnet. Es darf aber
        icht wie bisher der Rechtsprechung des Bundesverfas-
        ungsgerichts überlassen bleiben, ob sich die Bundesre-
        ublik Deutschland als Kulturstaat versteht. Es kann
        icht in der Hand eines Gerichtes liegen, wie wir uns de-
        inieren.
        Deutschland, das Land der Dichter und Denker, die
        eimat von Bach und Beethoven, braucht ein staatliches
        ekenntnis zur Kultur. Die Mütter und Väter unseres
        rundgesetzes haben dem Staat viele Ziele ins Grundge-
        etz geschrieben. Zuletzt wurde der Schutz der Natur,
        er Tiere aufgenommen. Aber der Schutz und die Förde-
        ung von Kultur als unserer ideellen Lebensgrundlage
        ehlt. Dabei sind Kunst und Kultur Teile unserer Identi-
        ät. Unsere gemeinsame Kultur hat die Deutschen in den
        eiten der Teilung über Mauer und Stacheldraht hinweg
        ls Einheit verbunden. Wir begreifen Kunst und Kultur
        ls unverzichtbar für den Zusammenhalt unserer Gesell-
        chaft. Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament,
        uf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut.
        eshalb werde ich mich auch zukünftig leidenschaftlich
        ür die Aufnahme von Kultur als Staatsziel im Grundge-
        etz einsetzen.
        Denn alles spricht für diese Verankerung eines Staats-
        iels Kultur, allerdings nicht um jeden Preis. Die Empfeh-
        ng der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat
        eider einen Wettbewerb um Staatszielbestimmungen er-
        ffnet, in dem jeder den anderen scheint überbieten zu
        ollen. Es wurde der Versuch unternommen, Mehrhei-
        en für eine Änderung des Grundgesetzes durch Koppel-
        eschäfte zu gewinnen nach dem Motto: Gibst Du mir
        as Staatsziel Sport, unterstütze ich das Staatsziel Kul-
        ur. Zwischenzeitlich sind weitere Staatsziele wie Gene-
        ationengerechtigkeit, Kinderrechte und viele mehr in
        er Diskussion. Dabei ist in fast allen Fraktionen des
        eutschen Bundestages deutlich geworden: Das Staats-
        iel Kultur wird es nur in einem Paket geben. Die Pur-
        eit, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch-
        and 60 Jahre lang auszeichnete, würde verloren gehen.
        Dieser Preis erscheint mir zu hoch. Ich bin nicht be-
        eit, für die Verankerung des Staatsziels Kultur im
        rundgesetz weitere zusätzliche Staatszielbestimmun-
        en billigend in Kauf zu nehmen. Denn ich sehe keine
        echtliche Notwendigkeit für Letztere. Da die Zustim-
        ung zu diesem Gesetzesantrag aber zwangsläufig in
        in solches Koppelgeschäft einmünden würde, werde ich
        iesem nicht zustimmen.
        25524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        Monika Grütters (CDU/CSU): „Der Staat schützt
        und fördert die Kultur“ – das ist scheinbar so selbstver-
        ständlich bundesrepublikanische Realität, dass Kritiker
        eines neuen Staatsziels Kultur und einer entsprechenden
        Verfassungsänderung auf die schöne puristische Karg-
        heit der Sprache unseres Grundgesetzes verweisen. Die
        Verankerung von Kultur als Staatsziel führe zu seiner
        Überfrachtung oder gar Entwertung.
        Doch ohne Staatsziele ist das Grundgesetz auch in
        seiner jetzigen Gestalt nicht: Aus gutem Grund ver-
        pflichtet es uns auf das Prinzip der Sozialstaatlichkeit.
        Unbestreitbar ist dies ein Fundament unseres Gemein-
        wesens und gerade in diesen Krisenzeiten als Leitbild
        staatlichen Handelns wichtig.
        Nachdem die „natürlichen Lebensgrundlagen“ und
        der „Tierschutz“ als Staatsziele in den 90er-Jahren in das
        Grundgesetz aufgenommen wurden, ist die Frage nach
        der Relevanz zusätzlicher Staatsziele verständlich. Aber:
        Anders als bei den anderen möglichen neuen Staatszie-
        len geht es bei der Kultur nicht um die Ansprache einzel-
        ner Gesellschaftsbereiche, sondern um das fundamentale
        Selbstverständnis der Nation. Kultur ist unsere geistige
        Lebensgrundlage. Sie trägt maßgeblich zur Bildung
        nationaler Identität bei. Wir in Deutschland sollten uns
        dessen besonders bewusst sein, denn Deutschland war
        zuerst eine Kultur-, dann eine politische Nation.
        Zum kulturellen Leben eines Landes gehört nicht al-
        lein das kulturelle Erbe, sondern dazu gehört vor allem
        das Neue, die Avantgarde. Damit diese möglich wird,
        schützt und fördert der Staat die Freiheit von Kultur und
        Wissenschaft. Im Art. 5 des Grundgesetzes heißt es:
        „Kunst und Wissenschaft sind frei.“ Hier drückt sich
        eine Lehre aus den Abgründen der Diktatur aus, die
        Überzeugung nämlich, dass es die Kreativen sind, die
        Vordenker, die Geistesgrößen einer Gesellschaft, die
        diese vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu
        schützen imstande sind. Dies aber können sie nur, wenn
        der Staat sie unabhängig macht von Zeitgeist und Geld-
        gebern und ihnen Freiraum zur Entfaltung sichert. Und
        der Staat tut dies auch, zwar mit nur rund 1,8 Prozent al-
        ler öffentlichen Haushalte, aber doch mit nachhaltiger
        Wirkung: Deutschland, das Land der Dichter und Den-
        ker, ist nach wie vor das Land mit der höchsten Theater-
        dichte der Welt, und das gilt ganz genauso für Museen,
        Orchester, Literaturhäuser, Archive, Bibliotheken und
        Festivals.
        Das Bekenntnis zur Kultur ist also immer ein Be-
        kenntnis zu den Wertgrundlagen einer Gesellschaft. Des-
        halb wäre ein Staatsziel Kultur in der Verfassung, wie es
        die Enquete-Kommission Kultur des Deutschen Bundes-
        tages empfohlen hat und das viele Kulturpolitiker befür-
        worten, kein folgenloser Verfassungsschnörkel, sondern
        ein Bekenntnis zu den Wertgrundlagen unserer Gesell-
        schaft. Mit einem Staatsziel Kultur würde das kollektive
        Bewusstsein für den Wert der Kultur gestärkt.
        Angesichts der überragenden Bedeutung der Kultur
        für das Selbstverständnis der Kulturnation Deutschland
        sollte sich der Staat auch explizit in seiner Verfassung
        dazu bekennen, diese Kultur auch weiterhin unvermin-
        dert zu schützen und zu fördern.
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        Undine Kuth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Bei der heutigen Abstimmung über die Ein-
        ügung eines Staatszieles Kultur in das Grundgesetz
        erde ich mich im Gegensatz zu meiner Fraktion nicht
        er Stimme enthalten, sondern für ein Staatsziel Kultur
        otieren, also gegen die Beschlussvorlage des federfüh-
        enden Rechtsausschusses, der eine Ablehnung empfoh-
        en hat.
        Ich habe in der Enquete-Kommission „Kultur in
        eutschland“ und in der Abstimmung des Ausschusses
        ür Kultur und Medien für ein Staatsziel Kultur votiert.
        s ist mit meiner Glaubwürdigkeit als grüne Kulturpoli-
        ikerin nicht vereinbar, in der Schlussabstimmung über
        iesen Antrag nicht im Sinne meiner Überzeugung abzu-
        timmen.
        Kunst und Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil
        es Lebens und essenziell für unsere Demokratie und
        erteordnung. Kulturelle Vielfalt, künstlerische Freiheit
        nd der Zugang zu kultureller Bildung sind zentrale Vo-
        aussetzungen für Freiheit und Selbstbestimmung.
        In der heutigen Wirtschafts- und Finanzkrise steht die
        ultur in besonders starken Abwehrkämpfen. Wir erle-
        en, wie Theater ums Überleben kämpfen, Bibliotheken
        eschlossen werden, soziokulturelle Zentren am Rande
        er Selbstausbeutung betrieben werden, wir wissen, dass
        as Durchschnittseinkommen der selbstständigen Künst-
        erinnen und Künstler 12 616 Euro jährlich beträgt und
        ass die Durchschnittsrente der selbstständigen Künstle-
        innen und Künstler bei sage und schreibe 785,12 Euro
        iegt.
        Mit der Bestimmung eines Staatsziels Kultur wird
        ich an dieser Situation nichts schlagartig ändern. Aber
        ir können die Kultur in ihren Auseinandersetzungen
        tärken und anderem Denken ein Stück weit entgegen-
        reten. Das Staatsziel Kultur ist für mich eine wichtige
        nd richtige Werteorientierung für die kulturpolitische
        rbeit auf allen staatlichen Ebenen; insbesondere die
        ommunen würden in ihrer grundsätzlichen Aufgabe
        ur Förderung örtlicher Kultur gestärkt. Deshalb stimme
        ch für ein Staatsziel Kultur.
        Die Debatte um ein Staatsziel Kultur ist wichtig, sie
        ird weitergehen. Ich hoffe, dass Kultur und Kulturpoli-
        ik aus dieser Debatte wie auch aus der gegenwärtigen
        rise ihrer Bedeutung entsprechend gestärkt hervorge-
        en.
        nlage 6
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Drit-
        ten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches
        Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Tages-
        ordnungspunkt 57)
        Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Ich stimme
        em Gesetz insgesamt zu, da es eine Reihe notwendiger
        egelungen sozialpolitischer Art enthält.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25525
        (A) )
        (B) )
        Ich halte die Neuregelungen zum Kurzarbeitergeld
        – die Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge für die
        ersten sechs Monate, die Verlängerung des Kurzarbeiter-
        geldes auf zwei Jahre sowie die volle Übernahme der
        Sozialversicherungsbeiträge nach dem sechsten Monat –
        für geeignet, um in der gegenwärtigen Krise Arbeitslo-
        sigkeit zu vermeiden und Beschäftigung aufrechtzu-
        erhalten.
        Große Bedenken habe ich aber bei der weiteren Aus-
        weitung der Kurzarbeitergeldregelung auf alle Betriebe
        eines Arbeitgebers, auch wenn nur in einem Betrieb des
        Arbeitgebers Kurzarbeit durchgeführt wurde. Dies be-
        deutet die volle Übernahme der Sozialversicherungskos-
        ten für alle Arbeitnehmer, obwohl nur ein Teil von Kurz-
        arbeit betroffen ist. Ich befürchte ein Ausufern der
        Ausgaben bei den Sozialkassen, die nicht durch Kurz-
        arbeit begründbar sind.
        Diese Regelung lädt geradezu zu „Gestaltungsmög-
        lichkeiten“ ein. Schon vor der Verabschiedung des Ge-
        setzes macht das Wort von der „Ausplünderung der So-
        zialkassen“ die Runde.
        Maria Michalk (CDU/CSU): Der von der Bundes-
        regierung eingebrachte Gesetzentwurf zu mehreren
        Sachgebieten enthält sinnvolle Regelungen, die unter an-
        derem davon geprägt sind, kleine und mittelständische
        Unternehmen in einer schwierigen wirtschaftlichen
        Situation zu stärken und die dortigen Arbeitsplätze zu er-
        halten.
        Vor allem die Erweiterung der Kurzarbeiterregelung,
        ab dem siebten Monat der Kurzarbeiterphase das jewei-
        lige Unternehmen von jeglichen Sozialleistungszahlun-
        gen zu entlasten, ist zu begrüßen.
        Dass aber nunmehr diese Regelung für alle Teilbe-
        triebe großer Unternehmen in Summe gelten soll, ohne
        dass die Teilbetriebe bisher Kurzarbeit angemeldet ha-
        ben, ist nicht nur aus ordnungspolitischen Gesichtspunk-
        ten, sondern vor allem aus Gründen der Stabilität der So-
        zialkassen nicht nachvollziehbar. Es liegt auch keine
        belastbare Kostenabschätzung vor. Die statistische Er-
        fassung bzw. Abgrenzungsproblematik ist unklar und
        führt offensichtlich zu mehr Bürokratie. Deshalb kann
        ich diese Regelung nicht mittragen.
        Die weiter in diesem Artikelgesetz enthaltenen Rege-
        lungen, wie Ausbildungsbonus für Insolvenzlehrlinge,
        die neue Arbeitslosengeldregelung für Künstler und wei-
        tere Vereinfachungen und Klarstellungen im Sozialrecht,
        sind durchaus zu begrüßen.
        Karl Schiewerling (CDU/ CSU): Dem Gesetz, das in
        einem sogenannten „Omnibus“-Verfahren im Bundestag
        beraten wurde, habe ich zugestimmt, weil eine Einzelab-
        stimmung nicht möglich war.
        Ausdrücklich stimme ich jedoch der Regelung im
        SGB III 421 t Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 nicht zu. Diese neue
        Regelung zur Kurzarbeit ermöglicht eine unverhältnis-
        mäßige Ausweitung der Kurzarbeit, die die Konzerne
        und Großbetriebe begünstigt, die Arbeitslosenversiche-
        rung hoch belastet und letztendlich von Klein- und Mit-
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        elbetrieben und den Arbeitnehmern bezahlt wird. Das
        ehne ich ab.
        nlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Zur Verantwortung
        des Bundes für die Stärkung der kommunalen
        Selbstverwaltung (Tagesordnungspunkt 58)
        Antje Tillmann (CDU/CSU): Die Linke überbietet
        ich mit ihrem Antrag „Verantwortung des Bundes für
        ie Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ erneut
        it teuren populistischen Forderungen. Ausführungen
        ur Finanzierbarkeit, zu den massiven Auswirkungen
        uf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen oder zu den
        olkswirtschaftlichen Effekten werden konsequent un-
        erlassen.
        Statt linker Umverteilungsphantasien erfordert die ak-
        uelle Krise vielmehr schnelles und effektives Handeln.
        enau dies haben wir mit den Konjunkturpaketen I und II
        etan:
        Bestehende effektive Fördermaßnahmen wie zum
        eispiel das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur
        öglichkeit der energetischen Sanierung von Schulen,
        indergärten, Sportstätten und sonstiger sozialer Infra-
        truktur wurden aufgestockt.
        Auch die Erhöhung der Finanzmittel des Bundes für
        ie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
        irtschaftsstruktur“ im Rahmen eines Sonderprogramms
        ür 2009 um 200 Millionen Euro trägt zur Schaffung ei-
        es investitionsfreundlichen Klimas in den struktur-
        chwachen Regionen bei.
        Allein im Rahmen des kommunalen Investitionspro-
        ramms stellt der Bund 10 Milliarden Euro in den Jahren
        009 bis 2010 – zum Beispiel für Kitas, Schulen, Mehr-
        enerationenhäuser und Hochschulen sowie für Ver-
        ehrswege, Krankenhäuser und ländliche Infrastruktur –
        ur Verfügung, mehr als 7 Milliarden Euro davon gehen
        n die Kommunen.
        Die Liste der Fördermaßnahmen des Bundes lässt
        ich problemlos verlängern. Einige Punkte möchte ich
        ber noch hervorheben:
        Bis einschließlich 2008 hat allein der Bund insgesamt
        2,5 Milliarden Euro an Finanzhilfen für die Städte-
        auförderung bereitgestellt. Wir tragen damit dazu bei,
        tädte und Gemeinden lebenswert zu erhalten, städte-
        auliche Missstände zu beseitigen und eine nachhaltige
        tadtentwicklung möglich zu machen. Das Bund-Län-
        er-Programm „Soziale Stadt“ beispielsweise richtet
        ich auf die nachhaltige Verbesserung der Lebenssitua-
        ionen der Menschen in benachteiligten Stadtquartieren.
        eit dem Programmstart 1999 bis einschließlich 2008
        urden für bundesweit mehr als 520 Fördergebiete in
        30 Kommunen rund 760 Millionen Euro Bundesfinanz-
        ilfen eingesetzt. 2009 stellt der Bund weitere 105 Mil-
        ionen Euro Programmmittel zur Verfügung.
        25526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        Neben der Optimierung und Bündelung der Förder-
        struktur gehört dazu im Rahmen der zur Verfügung ste-
        henden Haushaltsmittel auch der Aufbau des Programms
        „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“, die Stärkung und
        der Erhalt innerstädtischer Altbauquartiere beim Stadt-
        umbau und die Einführung des in Ostdeutschland be-
        währten Programms „Städtebaulicher Denkmalschutz“
        auch in Westdeutschland.
        Die Kommunen profitieren von der Stärkung der Un-
        ternehmen auch im Zuge der Unternehmenssteuer-
        reform. Durch neue ertragsunabhängige Bestandteile im
        Bereich der Gewerbesteuer wurde die Einnahmebasis
        der Kommunen gesichert, ohne dass sie sich auf Dauer
        an den Kosten der Reform beteiligen müssen. CDU und
        CSU haben sichergestellt, dass die Mindereinnahmen
        der öffentlichen Hand, die kurzfristig mit der Unterneh-
        menssteuerreform einhergehen, ausschließlich Bund und
        Länder tragen.
        Wir haben dafür gesorgt, dass Kommunen und kom-
        munale Unternehmen von den steuerlichen Auswirkun-
        gen und Konsequenzen der Zinsschranke nicht betroffen
        sind.
        Der Bund beteiligt sich beispielsweise auch an der
        Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung mit ins-
        gesamt 4 Milliarden Euro an den Aufbaukosten. Die Be-
        teiligung des Bundes an den Investitionskosten für die
        Ausbauphase bis 2013 ist durch Bereitstellung eines
        Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro auf
        Grund des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes seit
        dem vergangenen Jahr sichergestellt. Die nötigen Mittel
        für Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs-, Renovie-
        rungs-, Modernisierungs- und Ausstattungsmaßnahmen
        sind somit bereits verfügbar und werden von den Län-
        dern abgerufen.
        Mit dem Kinderförderungsgesetz wurden auch die
        notwendigen Änderungen im Finanzausgleichsgesetz zur
        Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten in Höhe
        von 1,85 Milliarden Euro in der Ausbauphase von 2009
        bis 2013 und ab 2014 dauerhaft mit 770 Millionen Euro
        jährlich durch eine neue Umsatzsteuerverteilung zuguns-
        ten der Länder auf den Weg gebracht. Der Bund verzich-
        tet zugunsten der Länder auf diese Mittel aus dem Um-
        satzsteueraufkommen, damit die Länder den Trägern der
        öffentlichen Jugendhilfe für den Betrieb der Tagesein-
        richtungen sowie für die laufende Finanzierung der Kin-
        dertagespflege einen entsprechenden Betrag zur Verfü-
        gung stellen können.
        Meine Damen und Herren von den Linken, das nennt
        man Verantwortung! Das sind Maßnahmen, die die Kon-
        junktur stärken! Das will ich im Folgenden an vier Punk-
        ten beweisen:
        Forderung 1: Verankerung eines verbindlichen Anhö-
        rungs- und Mitwirkungsrechtes der kommunalen Spit-
        zenverbände im Grundgesetz.
        Erstens: Mitwirkungsrechte. Die Kommunen werden
        regelmäßig vor kommunalrelevanten Entscheidungen
        auf Bundesebene angehört. Die Forderung der Linken ist
        unnötig. In der Bundesregierung geschieht die Mitwir-
        kung der Kommunen auf der Grundlage der Geschäfts-
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        rdnung der Bundesministerien, nach der eine Beteili-
        ung der kommunalen Spitzenverbände ausdrücklich
        orgesehen ist. Im Deutschen Bundestag sieht die Ge-
        chäftsordnung des Bundestags vor, im Rahmen der Be-
        atungen den auf Bundesebene bestehenden kommunalen
        pitzenverbänden im Ausschuss vor der Beschlussfas-
        ung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wer die
        rbeit in den Ausschüssen verfolgt, der weiß, dass diese
        egelung sehr gut funktioniert!
        Zweitens: Föderalismusreform I. Den existenziellen
        elangen der Kommunen hat die unionsgeführte Koali-
        ion mit der Föderalismusreform I Rechnung getragen.
        ufgabenübertragungen auf Gemeinden und Gemeinde-
        erbände sind seit deren Inkrafttreten nicht mehr zu-
        ässig (Art. 84 Abs. 1, Art. 85 Abs. 1 GG). Die frühere
        raxis von Rot-Grün, den Kommunen immer neue kos-
        enträchtige Aufgaben zu übertragen, hat damit ein Ende
        efunden. CDU und CSU haben sich also erfolgreich für
        ie Anwendung des Grundsatzes „Wer bestellt, bezahlt“
        ingesetzt. Der Weg neuer Aufgaben führt damit grund-
        ätzlich über die Länder. Da die in den jeweiligen Lan-
        esverfassungen verankerten Konnexitätsregelungen un-
        ingeschränkt greifen, ist Aufgabenübertragung auf die
        ommunen ohne entsprechende Finanzierung ausge-
        chlossen.
        Drittens: EU-Vertrag. Das scheinbare Engagement
        er Linken für kommunale Rechte entlarvt sich spätes-
        ens bei ihrer ideologisch begründeten Position gegen
        en EU-Vertrag. Der EU-Vertrag beinhaltet nämlich eine
        ntscheidende Stärkung der kommunalen Ebene. Schließ-
        ch wird im Vertragstext das Subsidiaritätsprinzip durch
        ine klare Kompetenzordnung mit Leben gefüllt. Dazu
        ehört, dass die Kommunen in die Subsidiaritätsprüfung
        inzubeziehen sind und Brüssel nicht mehr wehrlos ge-
        enüber stehen. Mit der 2006 getroffenen Zusammenar-
        eitsvereinbarung mit dem Deutschen Bundestag kön-
        en auf nationaler Ebene Eingriffe aus Brüssel in die
        ommunale Selbstverwaltung früher erkannt und abge-
        ehrt werden. Der Vertrag von Lissabon enthält des
        eiteren ein Protokoll, das die kommunale Gestaltungs-
        reiheit im Bereich der Daseinsvorsorge grundsätzlich
        tärkt. Diese ist dringend notwendig, um angesichts des
        emografischen Wandels ein hohes Niveau kommunaler
        eistungen zu sichern. Hierzu gehören etwa die Kran-
        enhäuser, der öffentliche Personennahverkehr und die
        ersorgung mit Finanzdienstleistungen. Der im EU-Ver-
        assungsvertrag vorgesehene Ausbau der Mitwirkung
        er Kommunen auf europäischer und nationaler Ebene
        m Rahmen der Subsidiaritätskontrolle wurde wesentlich
        on CDU/CSU-Bundestagsfraktion bzw. EVP-Fraktion
        nitiiert und unterstützt.
        Forderung 2: Entlastung der Städte, Gemeinden und
        andkreise für fünf Jahre von Zins- und Tilgungsver-
        flichtungen für Altschulden.
        Ein kurzer Satz: Scheinbar simpel und einleuchtend.
        ie Fraktion Die Linke macht sich wegen solcher Klei-
        igkeiten nicht mal die Mühe zu sagen, wer denn dann
        ür Tilgung und Zinsen aufkommen soll. Die Höhe der
        elastung wird auch nicht beziffert. Hier geht es um
        reditmarktschulden der Kommunen, die sich auf etwa
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25527
        (A) )
        (B) )
        75 Milliarden Euro Ende 2008 belaufen. Bei geringen
        Tilgungs- und Zinsverpflichtungen, die für fünf Jahre
        wegfallen würden, geht es aber im Minimum um 18 Mil-
        liarden Euro, die dann wohl vom Bund aufzubringen wä-
        ren. Sie haben ja in der nun kommenden Nachtragshaus-
        haltsberatung die Möglichkeit, zur Gegenfinanzierung
        Kürzungsvorschläge zu machen, um damit zu beweisen,
        dass dieser Antrag nicht Wahlkampfgeschrei ist, sondern
        ernsthaft von Ihnen verfolgt wird. Sie können ja dann sa-
        gen, dass Sie die Altschuldenfinanzierung wichtiger fin-
        den als Bildungsinvestitionen und Familienförderung.
        Forderung 3: Abschaffung der Gewerbesteuerumlage
        von den Städten und Gemeinden an den Bund.
        Auch die immer wiederkehrende Behauptung der
        Linken eine Abschaffung der Gewerbesteuerumlage an
        den Bund würde die Konjunktur stärken, geht an den
        Fakten vorbei. Darauf habe ich Sie bereits bei Ihrem vor
        ein paar Monaten eingebrachten Antrag eingehend hin-
        gewiesen. Ich werde es aber gern noch einmal tun! Zu
        ungenau und zu ungleichmäßig würde eine Absenkung
        der Gewerbesteuerumlage wirken, um im Großen die
        Wirtschaft vor Ort zu stärken. Diejenigen, die aufgrund
        sinkender Gewerbesteuereinnahmen Schwierigkeiten
        haben, würden keinen Vorteil davon haben, wenn wir die
        in Ihrem Antrag aufgestellten Forderungen umsetzten.
        Finanzschwache Kommunen haben weniger Gewer-
        besteuereinnahmen, weniger Umlage und weniger Vor-
        teil durch eine Abschaffung der Gewerbesteuerumlage.
        Finanzstarke Kommunen haben viel Gewerbesteuer-
        einnahmen, viel Umlage und viel Vorteil durch eine Ab-
        schaffung der Gewebesteuerumlage.
        Natürlich werden auch finanzstarke Kommunen die
        derzeitige wirtschaftliche Situation spüren. Aber die Fi-
        nanzschwachen umso mehr! Wir wollen aber natürlich
        auch den schwächeren Kommunen Finanzmittel zur Ver-
        fügung stellen. Mit Direktzuweisungen an Länder mit
        Zweckbindung für kommunale Zwecke können wir
        zweckgebundener und zielgerichteter fördern.
        Wer die Gewerbesteuerumlage im aktuellen System
        unter Beibehaltung der bestehenden Gewerbesteuer ab-
        schaffen will, verkennt die finanzpolitische Bedeutung
        dieser Umlage: Die Gewerbesteuerumlage geht zurück
        auf die am 1. Januar 1970 eingeführte Gemeindefinanz-
        reform. Kernstück hierbei war ein Steueraustausch zwi-
        schen Bund, Ländern und Gemeinden: Die Gemeinden
        wurden an dem Aufkommen der Einkommensteuer betei-
        ligt, Bund und Länder erhielten einen Anteil an Gewerbe-
        steueraufkommen, Gewerbesteuerumlage. Dies war ein
        Wunsch der Kommunen, da die Gewerbesteuer weit
        mehr Konjunkturschwankungen unterliegt als die Ein-
        kommensteuer.
        Forderung 4: Verbreiterung der Bemessungsgrund-
        lage der Gewerbesteuer.
        Überraschend deutlich ist die Forderung, zur Erweite-
        rung der Finanzierung kommunaler Aufgaben die Mie-
        ten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren in voller
        Höhe dem Gewinn zuzurechnen. Liebe kleinere, mittel-
        ständische Unternehmen, die Sie gerade mit Umsatzein-
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        ußen zu kämpfen haben: Hier gibt es allen Ernstes eine
        artei, die mitten in der Wirtschaftskrise noch mehr
        teuern von Ihnen abpressen will und das sogar, wenn
        ie keine Gewinne machen: Bäcker, Einzelhändler,
        aststättenbetreiber – all diejenigen, die sowieso viel zu
        enig von den Konjunkturprogrammen profitieren, sol-
        en zusätzlich bezahlen!
        Bei all Ihren Forderungen vermisse ich nicht zuletzt
        usführungen zur Finanzierbarkeit Ihrer Vorhaben. Sie
        chreien nur „Mehr! Mehr !Mehr!“ – der Bund soll mehr
        usgeben, ohne System und Klugheit.
        Ich möchte Sie daran erinnern, dass heute von jedem
        uro im Bundeshaushalt 15 Cent Schuldzinsen wegge-
        en, auch deswegen haben wir die Schuldenbegrenzung
        on Bund und Ländern eingeführt
        Die Große Koalition stellt sich ihrer Verantwortung in
        er aktuellen Krise. Sie von den Linken, tun das noch
        icht mal ernsthaft als Oppositionspartei.
        Wir werden den Antrag ablehnen.
        Bernd Scheelen (SPD): Als kommunalpolitischer
        precher der SPD-Bundestagsfraktion und langjähriger
        ürgermeister einer Stadt am linken Niederrhein freue
        ch mich, dass kommunale Fragestellungen in dieser Le-
        islaturperiode häufig auf der Tagesordnung des Deut-
        chen Bundestages stehen. Nach dem „Zipfschen Ge-
        etz“ nimmt ja bekanntlich die Bedeutung eines Themas
        m Verhältnis zu anderen Thematiken schon durch die
        äufung zu.
        Ist dies nun positiv für die zukünftige Entwicklung
        nserer Städte, Kommunen und Landkreise zu werten?
        enn man sich die Anträge der Opposition anschaut,
        önnen einem da schon erhebliche Zweifel kommen.
        Die FDP-Fraktion zum Beispiel untermauerte bisher
        hre kommunale Verbundenheit durch eine auffallende
        äufung von neoliberal geprägten Anträgen mit dem
        iel, das Prinzip der öffentlichen Daseinsvorsorge zu un-
        erhöhlen, gemeindliche Unternehmen wie Stadtwerke,
        ie Betriebe des ÖPNV, die Wasserwirtschaft oder den
        bfallbereich zu bekämpfen und überall die Parole „Pri-
        at vor Staat“ auszugeben. Quantität zeugt hier leider
        icht von Wertschätzung der Kommunalpolitik. Aber es
        erdeutlichte die Rangfolge der Beziehung zu diesem
        olitikbereich.
        Wenden wir uns dem Anlass der Beratungen des heu-
        igen Tages zu: dem Antrag der Fraktion Die Linke „Zur
        erantwortung des Bundes für die Stärkung der kommu-
        alen Selbstverwaltung“. Er enthält eine undifferenzierte
        ielzahl von oberflächlich zusammengeschriebenen
        orderungen ohne Rücksicht auf die Verfassungslage.
        Was in diesem Katalog hingegen fehlt, ist der wich-
        ige europäische Aspekt. Ein Hinweis auf das gestörte
        erhältnis der Fraktion Die Linke zu Europa! Offenbar
        st bei Ihnen nicht bekannt, dass nahezu 70 Prozent der
        uropäischen Richtlinien bzw. Mitteilungen kommunale
        omponenten aufweisen und damit unsere Städte, Ge-
        einden und Landkreise direkt auf der Ebene der Selbst-
        erwaltung tangieren. Offenbar sind Ihnen diverse Ent-
        25528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        scheidungen des Europäischen Gerichtshofes nicht
        bekannt, zum Beispiel jene vom 9. Juni 2009 mit positi-
        vem Ausgang für die Stadtreinigung Hamburg und vier
        Nachbarlandkreise auf dem Gebiet der Abfallversor-
        gung. Von dieser Stelle: Gratulation an die kommunalen
        Spitzenverbände! Eine schallende Ohrfeige für den Neo-
        liberalismus und eine Stärkung unseres Modells der Da-
        seinsvorsorge.
        Es zeigt sich jetzt, dass der Einsatz der SPD-Bundes-
        tagsfraktion für eine Verankerung der interkommunalen
        Zusammenarbeit im Zuge der Novelle des Gesetzes ge-
        gen Wettbewerbsbeschränkungen absolut richtig war.
        Schade nur, dass wir vorläufig an der Haltung von CDU/
        CSU gescheitert sind. Das Urteil des EuGH ist aber An-
        sporn, in der nächsten Legislaturperiode das Thema wie-
        der auf die Agenda zu setzen.
        Im Antrag der Linken geht es meist um Kommunal-
        finanzen. Fördermittel der EU und ihre Auswirkungen
        für Gesamtdeutschland werden allerdings nicht ange-
        sprochen. Als Grundlektüre empfehle ich daher die über
        40 Jahre alte Charta der kommunalen Selbstverwaltung;
        dazu den Lissabon-Vertrag, in dem Mitwirkungsrechte
        auch mit Blick auf das Regionalprinzip aufgeführt we-
        den. Nicht umsonst sind alle kommunalen Spitzenver-
        bände heute europabezogen ausgerichtet, nicht nur im
        Rat der Kommunen, eben im Sinne von „Selbstverwal-
        tung“. Für das „Zipfsche Gesetz“ ist der Ausschluss
        europäischer Aspekte im Antrag bzw. der Auswirkungen
        europäischer Politik auf Städte, Gemeinden und Land-
        kreise ein kaum zu heilender Schwachpunkt!
        Ich möchte kurz auf einzelne Aspekte des Antrags
        eingehen, der bewusst übersieht, dass Kommunen nach
        dem Grundgesetz eben keine dritte Ebene des Staates
        darstellen, sondern Teil der Länder sind. Aus diesem
        Grunde wurde auch der bis zur 5. Legislaturperiode im
        Deutschen Bundestag geführte „Kommunalausschuss“
        nicht weitergeführt. Ich selber bedaure, dass bisher nicht
        die Möglichkeit der Einrichtung eines Unterausschusses
        wahrgenommen wurde. Jedenfalls war es in der 15. Le-
        gislaturperiode die rot-grüne Bundesregierung, die durch
        Änderung der Geschäftsordnung der Bundesministerien
        Anhörungs- und Mitwirkungsrechte der anerkannten
        kommunalen Spitzenverbände wesentlich stärkte. Und
        wir wollen in der nächsten Legislaturperiode für den
        Deutschen Bundestag noch eine entsprechende Erweite-
        rung des Art. 70 GO BT analog § 69 GO BT durchset-
        zen.
        Eine Erweiterung des Grundgesetz-Artikels 28 Abs. 2
        GG war im Rahmen der 1. Föderalismuskommission
        nicht zu erreichen und in der 2. Kommission kein Ver-
        handlungsgegenstand. Anstatt darauf zu beharren, halten
        wir Sozialdemokraten es für geeigneter, alles zu versu-
        chen, die adäquate Einbindung der nationalen und euro-
        päischen Kompetenz kommunaler Spitzenverbände un-
        terhalb des GG, aber auch auf EU-Ebene, zu stärken.
        Auch die Linke könnte dazu beitragen, dass Fachleute
        der kommunalen Spitzenverbände regelmäßig an Bera-
        tungen der Ausschüsse und Anhörungen teilnehmen.
        Die Neuregelung der Art. 84 und 85 GG spiegelt das
        Ziel der kommunalen Spitzenverbände und der Länder,
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        as „Durchgriffsrecht“ des Bundes verfassungsrechtlich
        u regeln. Dies führte auch zur Verankerung von Haf-
        ungsrechten in Länderverfassungen nach dem Motto
        Wer bestellt, bezahlt“. Ergebnis war aber auch, dass
        icht einmal das sehr erfolgreiche, bundesweite Ganz-
        agsschulprojekt der rot-grünen Bundesregierung eine
        ortsetzung finden konnte.
        Trotz des Kooperationsverbots des Art. 104 b GG ha-
        en wir Wege gefunden, wichtige kommunalbezogene
        orhaben durchzusetzen, wie zum Beispiel die Förde-
        ung der Kinderbetreuung für unter Dreijährige, das
        chulstarterpaket, die Aufstockung der Bundesförde-
        ung Stadtumbau Ost und West und das stark kommunal
        usgerichtete Konjunkturpaket II.
        Ihr Antrag dagegen suggeriert einen Bundesegoismus
        it Verweis auf die vermeintlich finanziell unzurei-
        hende Beteiligung des Bundes an den Kosten der Un-
        erkunft, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
        inderung sowie der Eingliederung für Menschen mit
        ehinderung. Sie übersehen geflissentlich, dass es sich
        m einen Kompromiss in Bund-Länder-Verhandlungen
        nter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände
        andelt. Gerade der Bund, jeweils sozialdemokratische
        undesminister, haben hier um eine Entlastung der
        ommunen gerungen. Alle gegenteiligen Behauptun-
        en sind purer Populismus!
        Natürlich ist eine ausreichende kommunale Finanz-
        usstattung wichtig. Deshalb haben wir, die SPD-Bun-
        estagsfraktion, immer wieder den Bestand und die
        tärkung der Gewerbesteuer als Einnahmequelle der
        ommunen verteidigt und uns deshalb für die Verbreite-
        ung der Bemessungsgrundlage eingesetzt. Was die For-
        erung nach Abschaffung der Gewerbesteuerumlage be-
        rifft, scheint die Linke nicht nachvollziehen zu können,
        ass gerade dies den Einstieg in die Abschaffung der Ge-
        erbesteuer insgesamt bedeuten würde. Die Kommunen
        egen ausdrücklich Wert darauf, dass auch Bund und
        änder ein Interesse am Fortbestand der Gewerbesteuer
        aben.
        Noch ein Wort zu den angeführten Investitions- und
        inanzinstrumenten wie ÖPP und CBL. Der Abschluss
        on Cross-Border-Leasingverträgen war Teil kommuna-
        er Selbstverwaltung. Das muss wertfrei unterstrichen
        erden. Kommunen, die durch die weltweite Finanz-
        rise betroffen sind, haben bereits die Möglichkeit der
        eratung und Unterstützung durch die KfW. Dazu brau-
        hen wir keinen Antrag der Linken. Dies hat der sozial-
        emokratische Bundesfinanzminister Peer Steinbrück si-
        hergestellt.
        Bei ÖPP geht es um die Prüfung, welches für die
        ommunen bei anstehenden Investitionen, zum Beispiel
        m Straßen- und Schulbau, bei kommunalen Kranken-
        äusern und sonstigen öffentlichen Einrichtungen, der
        eweils passgenaue Weg ist. Dass die Partnerschaft
        eutschland AG ihre Arbeit aufgenommen hat, ist ein
        ngebot an die Kommunen, das man annehmen kann,
        ber nicht annehmen muss.
        Kommunalpolitik ist ein Querschnittsthema, dass
        uch in der 17. Legislaturperiode von hohem Interesse
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25529
        (A) )
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        sein wird. Hier geht es jedoch nicht um Quantität, um
        die vielleicht medienwirksame Häufung gestellter For-
        derungen oder umfängliche Anträge in politischen Gre-
        mien, hier geht es um Qualität. Erfolgreiche, nachhaltige
        kommunalbezogene Politik in einem demokratischen,
        föderalen Staat kann man nur in einem gemeinsamen,
        abgestimmten Handeln erreichen, unter Wahrung der In-
        teressen des Gemeinwohls, somit auch der Kommunen
        und der einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Das ist
        manchmal mühsam. Aber es beinhaltet die Anerkennung
        und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, die
        mehr ist als die Beachtung rein finanzieller Interessen.
        „Zipf“ ist hier nicht immer hilfreich, der Antrag der Lin-
        ken auch nicht.
        Frank Schäffler (FDP): Vor nicht einmal zwei Mo-
        naten haben wir hier den Antrag der Linken zur Ab-
        schaffung der Gewerbesteuerumlage debattiert. Diese
        Forderung wiederholt die Linke heute und hat den An-
        trag noch um einige Punkte aufgebläht. Während es ih-
        nen beim vorherigen Antrag um Umverteilung bestehen-
        der Steuereinnahmen ging, ist die Kernforderung heute
        die „Verbesserung“ der Gewerbesteuer. Eine gute Steuer
        ist für Linke eine, die den Bürgern möglichst viel ab-
        knöpft. Daneben wird noch die umfassende Rekommu-
        nalisierung – also Verstaatlichung – von Aufgaben ge-
        fordert. Immer mehr Staat, immer weniger Freiheit.
        Diese Forderung tischt uns die Linke ausgerechnet zwei
        Tage nach dem Gedenken an den 17. Juni 1953 auf. Da
        haben wir uns erinnern können, wohin zu viel Staat
        führt. Dass die Linke in ihrem Antrag in unserem Land
        gar einen „Privatisierungswahn“ ausmacht, zeigt, dass er
        für eine ernsthafte Debatte nicht geeignet ist.
        Wir als FDP-Fraktion halten das Thema Stärkung der
        kommunalen Selbstverwaltung, welches im Antragstitel
        enthalten ist, aber durchaus für ein ernstes Thema. Schon
        Theodor Heuss sagte: „Das Wichtigste im Staat sind die
        Gemeinden – und das Wichtigste in den Gemeinden sind
        die Bürger!“ Daher fordern wir, das grundgesetzlich
        garantierte Selbstverwaltungsrecht der Kommunen zu
        stärken. Wir wollen Aufgabenübertragungen an die
        Kommunen begrenzen. Das Konnexitätsprinzip („Wer
        bestellt, bezahlt“), wonach Bund und Länder sich an den
        Kosten übertragener Aufgaben beteiligen müssen, ist in
        das Grundgesetz aufzunehmen.
        Es ist durchaus richtig, die Finanzen der Kommunen
        auf eine solide Grundlage zu stellen. Dieses Ziel ist am
        besten zu erreichen, indem die konjunkturanfällige Ge-
        werbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatz-
        steuer und ein eigenes Hebesatzrecht der Kommunen auf
        die Einkommen- und Körperschaftsteuer ersetzt wird.
        Katrin Kunert (DIE LINKE): Ich werbe heute für ei-
        nen Antrag der Linken zugunsten der Städte, Gemeinden
        und Landkreise, dessen Dringlichkeit gerade erst der
        Verlauf der 35. ordentlichen Hauptversammlung des
        Deutschen Städtetages vom 12. bis zum 14. Mai 2009 in
        Bochum mehr als bestätigt hat. Fast jede und jeder, mit
        dem ich sprach, ob Oberbürgermeisterin oder Oberbür-
        germeister, Bürgermeisterin oder Bürgermeister, unab-
        hängig von der Parteizugehörigkeit, bekräftigte Punkt
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        ür Punkt das von uns vorgeschlagene Maßnahmebündel
        ur Verantwortung des Bundes für die Stärkung der
        ommunalen Selbstverwaltung.
        Sie mögen einwenden, das sei ein subjektiver Ein-
        ruck von mir. Keineswegs! Klicken Sie im Netz die of-
        iziellen Reden und Thesenpapiere dieses Städtetages an,
        ann finden Sie Formulierungen, die haargenau unserem
        ntrag entsprechen. Hier die Probe aufs Exempel: Als
        rsten Punkt fordert die Linke die Verankerung eines
        erbindlichen Anhörungs- und Mitwirkungsrechtes der
        ommunalen Spitzenverbände im Grundgesetz bei Bun-
        esgesetzen und Verordnungen, die die Städte, Gemein-
        en und Landkreise betreffen. Im Originalton liest sich
        as in der Eröffnungsrede des Städtetagspräsidenten, des
        ünchner Oberbürgermeisters Christian Ude, so: „Wir
        ollen bei der Beratung der Gesetze, die wir auch voll-
        iehen müssen, zugezogen werden, und zwar nicht Gna-
        en halber, sondern von Rechts wegen! Es ist zu spät,
        enn wir erst nachträglich feststellen dürfen, wie welt-
        remd manche Regelung aus der Sicht der Praktiker aus-
        efallen ist!“ Und wenn sich auch bereits einiges bei der
        usammenarbeit der verschiedenen Ebenen verbessert
        aben mag, gibt es doch genügend Beispiele dafür, dass
        s eines einklagbaren Mitwirkungsrechts bedarf.
        Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Gesetzesvorha-
        en der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie
        006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-
        es über Dienstleistungen im Binnenmarkt im Gewerbe-
        echt. Die kommunalen Spitzenverbände wiesen in ih-
        em Schreiben ausdrücklich darauf hin, dass sie „wegen
        er sehr kurz bemessenen Frist zur Abgabe einer Stel-
        ungnahme hinsichtlich der Folgen, die sich aus der Um-
        etzung des Gesetzesvorhabens für die Kommunen erge-
        en, nur eine summarische Bewertung abgeben können“
        nd sie „bei dieser kurzen Anhörungsfrist die Anforde-
        ungen an ein ausreichendes Beteiligungsverfahren nicht
        rfüllt sehen“.
        Auch das Tauziehen von Bundes- und Landespolitik
        m die Jobcenter-Reform zeigt glasklar, dass man den
        ommunen den Stuhl vor die Tür setzen kann, wenn
        an aus gutem Grund lieber nicht mit den Anforderun-
        en der Praxis konfrontiert werden will. Seit Dezember
        007 wissen wir, dass die Stellen, die Arbeitslosengeld II
        nd Grundsicherung gewähren, eine neue Rechtsgrund-
        age brauchen, weil das Bundesverfassungsgericht die
        ischverwaltung in den „Arbeitsgemeinschaften“ von
        gentur und Kommunen ablehnt. Bis heute ist nichts
        ntschieden. Dabei geht es um über 6 Millionen Leis-
        ungsempfänger, Tendenz steigend. Es geht um über
        0 000 Beschäftigte, die zunehmend verunsichert, ja
        erbittert sind, weil sie heute noch nicht wissen, wer ihr
        ünftiger Dienstherr sein wird, wo und mit wem sie zu-
        ammenarbeiten sollen. Das ist ein Skandal!
        Dabei ist das Zusammenwirken von Bund, Ländern
        nd Kommunen in Krisenzeiten wichtiger denn je. Des-
        alb greift die Linke vorbehaltlos auch den Impuls des
        tädtetages zur Einrichtung eines kommunalpolitischen
        usschusses im Deutschen Bundestag auf. Damit könnte
        b der 17. Wahlperiode der notwendige Blick auf die
        25530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        Wirkungen von Gesetzen oder Verordnungen für die
        kommunale Ebene wesentlich verbessert werden.
        Ein zweites Beispiel, wie ernst der Antrag der Linken
        die Sorgen und Forderungen der Kommunen nimmt, ist
        die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage – hier im
        Hohen Hause erst kürzlich noch belächelt und mit über-
        großer Mehrheit verhindert. Die Thesen des Städtetags-
        Forums zu den Kommunalfinanzen lesen sich da ganz
        anders. Ich will Ihnen das nicht vorenthalten: „Die Über-
        prüfung der Gewerbesteuerumlage gehört schließlich
        ebenfalls auf die Agenda der Revitalisierungsmaßnahmen.
        Die Gewerbesteuerumlage ist durch Ausgleichsmaßnah-
        men ins Leben gerufen worden, deren Begründungen
        heute weitgehend entfallen sind. Eine systematische Über-
        prüfung der Gewerbesteuerumlage ist daher dringend ge-
        boten. Allerdings handelt es sich bei der Rückführung
        dieser Umlage um keine echte Reformmaßnahme für die
        Gewerbesteuer, sondern lediglich um eine längst über-
        fällige Korrektur eines oftmals ungerechtfertigten Zu-
        griffs von Bund und Ländern auf das Gewerbesteuerauf-
        kommen. Darüber hinaus erscheint es grundsätzlich
        widersinnig, einerseits dem kommunalen Gesamthaus-
        halt originäres Steueraufkommen zu entziehen und dann
        andererseits die dadurch entstehende Finanzierungslücke
        wieder durch gegenläufige Finanzzuweisungssysteme zu
        schließen.“
        Kollege Bernd Scheelen saß als kommunalpolitischer
        Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion mit auf dem Po-
        dium dieses Forums. Von ihm kam dabei kein Wort, was
        irgendeine Distanz zu dieser Forderung erkennbar machte.
        Im Dezember 2008 hingegen wetterte Bernd Scheelen
        noch hier im Bundestag gegen den Antrag der Linken
        „Gewerbesteuerumlage – An den Bund abschaffen, an
        die Länder schrittweise auf Null absenken“ mit diesen
        Worten: „Die Gewerbesteuerumlage ist unerlässlich, da-
        mit das Interesse des Bundes und der Länder an der
        Existenz der Gewerbesteuer Bestand hat.“ Was nun? Er-
        kenntnisgewinn oder doppeltes Spiel angesichts eines
        übervollen Bochumer Saales kommunalpolitischen
        Sachverstandes aus ganz Deutschland?
        Hinsichtlich der Gewerbesteuer fordert Die Linke im
        fünften Punkt des Antrags, die Bemessungsgrundlage
        dieser Steuer unter anderem durch die Einbeziehung der
        Freiberufler und andere nichtgewerbliche selbstständige
        Tätigkeiten wie Architekten, Rechtsanwälte und Ärzte in
        die Gewerbesteuer zu verbreitern, um die Aufkommens-
        stabilität zu erhöhen. Ein klares Wort dazu vom Städte-
        tag: „Das Ziel der Erhöhung der Aufkommensstabilität
        kann durch weitere Maßnahmen zur Verbreiterung der
        Bemessungsgrundlagen erreicht werden. (...) Die Strei-
        chung der Branchenbefreiung für die freien Berufe“ wird
        als eine notwendige Maßnahme dazu angesehen.
        Inzwischen ist die Krise real in den Kommunen ange-
        kommen, nicht nur medial. Wer in den Stadtkämmereien
        vor Monaten noch dachte, der Kelch geht an uns vorbei,
        muss nun ernüchtert registrieren: Nicht nur Finanz-
        dienstleister haben ihre Gewebesteuer-Vorauszahlungen
        auf null gestellt, auch Unternehmen anderer Branchen
        sehen sich zu diesem Schritt gezwungen, vor allem in
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        er Exportwirtschaft, die dramatische Auftragsrück-
        änge zu verkraften hat.
        Die Kurzarbeit, mit der viele Unternehmen die nächs-
        en Monate bewältigen wollen, schlägt immer öfter in
        rbeitslosigkeit um und trifft dann auch die Kommunen
        n Gestalt sprunghaft steigender Sozialkosten. Der Städ-
        etag rechnet hierbei mit einer Größenordnung von
        Milliarden Euro – bei jetzt schon erkennbaren Rück-
        ängen der Gewerbesteuer von mehr als 10 Prozent,
        elbst Rückgänge von fast 20 Prozent werden nicht aus-
        eschlossen.
        Der Überschuss aus 2008 im kommunalen Gesamt-
        aushalt wird sich 2009 in ein Minus von mindestens ei-
        er Milliarde Euro verwandeln. Es wird mit einer drama-
        ischen Verschlechterung des Finanzierungssaldos um
        indestens 8 Milliarden gerechnet. Die Prognose des
        rbeitskreises Steuern vom 14. Mai 2009 rechnet mit
        teuerausfällen für die Kommunen bis zum Jahr 2012
        on 42,6 Milliarden Euro. Nach heutigem Kenntnis-
        tand! Es kann auch schlimmer kommen! Es wird für die
        ommunen absolut unmöglich, sich am eigenen Zopf
        erauszuziehen!
        Selbst wenn man die Zuschüsse des Konjunkturpa-
        ets II dagegenrechnet, ergibt sich unter dem Strich ein
        inus. Das Institut für Makroökonomie und Konjunk-
        urforschung der Hans-Böckler-Stiftung rechnet mit
        ommunalen Mindereinnahmen von 1,9 Milliarden Euro
        n diesem Jahr und sogar 3,4 Milliarden Euro in 2010.
        amit würden den Kommunen 30 bzw. rund 60 Prozent
        er zusätzlichen Mittel des Kommunalen Zukunftsinves-
        itionsprogramms gleich wieder entzogen.
        Problematisch für die Kommunen war und ist die Ver-
        nschlagung der Gelder aus dem Konjunkturprogramm II.
        urch die langen Debatten insbesondere im Bund und
        wischen Bund und Ländern, in denen es hieß, die Mittel
        eien für zusätzliche Projekte und dürften nicht im Haus-
        alt stehen, haben viele Kommunen den Haushalt über-
        rbeitet und für sie wichtige Projekte herausgenommen,
        n der Hoffnung, sie dann über das Konjunkturpro-
        ramm zu finanzieren. Jetzt müssen sie bis maximal zum
        0. November 2009 einen Nachtragshaushalt einbringen,
        nd das zum Teil für Summen, die den ganzen Aufwand
        icht lohnen. Das betrifft auch die Beantragung der Gel-
        er in meinem Land Sachsen-Anhalt. Für den energeti-
        chen Umbau einer Heizungsanlage in einem Kindergar-
        en in Höhe von knapp 35 000 Euro zum Beispiel muss
        enauso viel Papier eingereicht werden, als würde der
        anze Kindergarten neu gebaut werden!
        Ich könnte jetzt weitere Beispiele dafür bringen, wie
        rnst der Antrag der Linken die Sorgen und Forderungen
        er Kommunen nimmt. Ich könnte zitieren, wie die im
        ochum versammelten Kommunalpolitikerinnen und
        ommunalpolitiker zu diesen Forderungen stehen –
        ämlich mit buchstäblich offenen Toren. Gönnen Sie
        ich die Lektüre! Und vor allem: Sagen Sie Ja zu einem
        ntrag, der die Kommunen stärken und ihnen helfen
        oll, aus der Krise herauszukommen!
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25531
        (A) )
        (B) )
        Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Das hier zur Debatte stehende Anliegen der Fraktion Die
        Linke ist im Grundsatz richtig – der Bund kann und
        muss zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung
        beitragen.
        Viele der Vorschläge sind jedoch nicht zielgenau. Sie
        folgen dem Prinzip der Gießkanne, anstatt die knappen
        Mittel dort hinzuleiten, wo wir sie am nötigsten brau-
        chen: bei den finanzschwachen Kommunen. Leider rü-
        cken die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
        Linke mit ihrer „Ich-wünsch-mir-was-Haltung“ ein
        ernsthaftes Problem – nämlich die Finanzkrise vieler
        Kommunen – in ein falsches Licht.
        Die Vorschläge machen deutlich, dass Die Linke noch
        nicht begriffen hat, dass es bei der Finanzlage der Städte
        und Gemeinden hier nicht um einen Ost-West-Konflikt
        geht, sondern um strukturschwache Regionen und fi-
        nanzschwache Kommunen insgesamt.
        Lassen Sie mich dies anhand von drei Beispielen aus
        dem Forderungskatalog der Linken erläutern: So fordert
        die Linke die Einführung einer kommunalen Investi-
        tionspauschale des Bundes für Ostdeutschland und für
        finanzschwache Kommunen in Westdeutschland. Wa-
        rum fordert sie solche Mittel nicht gezielt für finanz-
        schwache Kommunen in Ost und West? Was ist mit den
        Wachstumszentren in Dresden und Leipzig? Die Situa-
        tion von Kommunen im Saarland, in Rheinland-Pfalz
        und in Nordrhein-Westfalen ist in vielen Fällen wesent-
        lich bedrohlicher – wie der kommunale Finanz- und
        Schuldenreport der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Zugege-
        ben: Viele ostdeutsche Kommunen in strukturschwachen
        Regionen leiden in besonderem Maße unter Bevölke-
        rungsverlusten. Dies rechtfertigt aber nicht, die neuen
        Bundesländer pauschal zu berücksichtigen. Hier produ-
        zieren Sie von den Linken, ein erhebliches Legitima-
        tionsdefizit.
        Sie fordern außerdem, Städte, Gemeinden und Land-
        kreise für fünf Jahre von Zins- und Tilgungsverpflich-
        tungen zu entlasten. Warum gleich alle? Warum nicht
        nur die Städte und Gemeinden, die sich aus eigener Kraft
        nicht mehr befreien können? Warum auch die umlagefi-
        nanzierten Landkreise? Wenn deren Mitgliedsgemein-
        den konsolidiert sind, geht es auch den Landkreisen bes-
        ser.
        Wir Grüne haben in unseren Vorschlägen zur Födera-
        lismusreform aufgezeigt, wie man zielgenau den beson-
        ders finanzschwachen Kommunen eine Altschuldenhilfe
        gewähren kann. Offenbar ist dieser Antrag hier nicht mit
        den eigenen Forderungen der Linken zur Föderalismus-
        reform II abgestimmt. Hier gab es in Teilen Überein-
        stimmung zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der
        Fraktion Die Linke in der Frage der Stärkung der kom-
        munalen Finanzausstattung, beispielsweise bei der Auf-
        hebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und
        Kommunen und einer Altschuldenhilfe auch für Kom-
        munen. Davon ist hier keine Rede.
        Ebenso wirkt die geforderte Abschaffung der Gewer-
        besteuerumlage nach dem Gießkannenprinzip. Sie be-
        rücksichtigt nicht die wachsende Kluft zwischen armen
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        nd reichen Kommunen, die durch die Wirtschafts- und
        inanzkrise noch einmal verstärkt wird. Eine Abschaf-
        ung der Gewerbesteuerumlage würde den Kommunen
        war mehr Geld ins Säckel spülen, aber die Kommunen,
        ie es am nötigsten hätten, die finanzschwachen Kom-
        unen in den strukturschwachen Regionen, profitieren
        m wenigsten davon, weil sie weniger Gewerbesteuer-
        innahmen haben.
        Falsch und mutlos ist aber auch die Haltung von
        nion und SPD, die meinen, man könne bei der Gewer-
        esteuer die Hände in den Schoß legen. Wir müssen die
        ewerbesteuereinnahmen noch mehr verstetigen und sie
        achhaltiger und gerechter gestalten. Dazu haben wir
        rüne bereits im Jahre 2003 Vorschläge für eine „kommu-
        ale Wirtschaftssteuer“ vorgelegt, mit der die Bemes-
        ungsgrundlage der bisherigen Gewerbesteuer verbreitert
        ird. Auch Freiberufler sollen in die Gewerbesteuer-
        flicht einbezogen werden. Das vermeidet wirtschaftlich
        ft nicht nachvollziehbare Abgrenzungsprobleme und
        chafft faire Wettbewerbsbedingungen.
        Leider haben Sie von Union und SPD es versäumt,
        ei der Föderalismusreform II die nötigen Weichenstel-
        ungen für die Kommunen und deren Finanzausstattung
        u treffen. Vor dem Hintergrund zunehmender räumli-
        her Disparitäten, der wachsenden Kluft zwischen ar-
        en und reichen Kommunen muss eine Reform der fö-
        eralen Strukturen von den Wurzeln – also den Städten
        nd Gemeinden – her gedacht werden. Statt mit unpräzi-
        en Forderungen über das Land zu ziehen – wie die Lin-
        en dies vormachen – müssen strukturelle Veränderun-
        en vorgenommen werden. Hierzu braucht es Mut zur
        ezielten Umverteilung unter anderem durch eine Alt-
        chuldenhilfe für Kommunen in Haushaltsnotlagen und
        egelungen zu einer Mindestfinanzausstattung von
        ommunen, die verhindern, dass die Länder – auch den
        urch die neuen Verschuldungsregeln aufgebauten – ei-
        enen Konsolidierungsdruck auf die Kommunen abwäl-
        en. Außerdem bedarf es einer Regelung zur Konnexität
        m Grundgesetz, die sicherstellt, dass die Ebene, die die
        Musik bestellt“, sie auch bezahlen muss.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Kran-
        kenhaus (Tagesordnungspunkt 61)
        Willi Zylajew (CDU/CSU): Unser Volk, unsere Ge-
        ellschaft kann mit gewissem Recht stolz auf die stets
        esser werdenden Teilhabemöglichkeiten von Menschen
        it Behinderungen sein. Keine Frage, dies ist ein steti-
        er Prozess, und dies wird auch so bleiben. Schritt für
        chritt wurden in den letzten 60 Jahren die Betreuung,
        ersorgung, Bildung und die Teilhabe am beruflichen
        nd gesellschaftlichen Leben der Menschen verbessert,
        ie ein körperliches, geistiges oder psychisches Handi-
        ap haben. Ich betone ausdrücklich: Auch die anste-
        ende gesetzliche Regelung zum Assistenzbedarf von
        enschen mit Behinderungen im Krankenhaus ist ein
        25532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        weiterer Schritt in dieser guten Entwicklung. Und es ist
        nicht etwa der Schlusspunkt, sondern Teil eines immer-
        währenden Prozesses.
        Das Assistenzpflegebedarfsgesetz ermöglicht Behin-
        derten mit besonderem pflegerischen Bedarf, ihre eige-
        nen, bei ihnen beschäftigten Pflegekräfte in das Kran-
        kenhaus mit einem Kostenanspruch für Übernachtung
        und Verpflegung gegen den jeweiligen Krankenhausträ-
        ger mitzunehmen. Durch das Zusammenspiel der per-
        sönlichen Assistenzkräfte mit dem Krankenhauspersonal
        wird zukünftig eine bessere pflegerische Versorgung für
        Menschen mit Behinderungen ermöglicht.
        Das Pflegegeld wird auf die gesamte Dauer von sta-
        tionären Krankenhausaufenthalten zur Akutbehandlung,
        bei einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabi-
        litation sowie auf die gesamte Dauer von häuslicher
        Krankenpflege, die eine stationäre Behandlung im Kran-
        kenhaus ersetzt, weitergezahlt. Auch diese Regelung ist
        eine gute Hilfestellung in der beschwerlichen Situation
        behinderter pflegebedürftiger Menschen und schafft Si-
        cherheit, vor allem auch in finanzieller Hinsicht.
        Das Gesetz regelt weiterhin die Weiterleistung der
        Hilfe zur Pflege auch für die Dauer des stationären Kran-
        kenhausaufenthaltes für pflegebedürftige Menschen mit
        Behinderungen, die damit die von ihnen beschäftigten
        besonderen Pflegekräfte auch bei stationärer Behand-
        lung weiter beschäftigen können. Dies schafft Planungs-
        sicherheit auf beiden Seiten.
        Ein weiteres Element des Gesetzes ist die Aufnahme
        der Palliativmedizin als Pflichtlehr- und Prüfungsfach
        im Rahmen des Medizinstudiums in die Approbations-
        ordnung für Ärzte. Verbände, zum Beispiel die Caritas,
        fordern schon seit langem eine solche Regelung. Studen-
        tinnen und Studenten können so die späteren Anforde-
        rungen im Berufsleben bei der Versorgung Schwerst-
        kranker und Sterbender besser meistern und sind auf den
        Umgang mit dem Tod besser vorbereitet.
        Im Zusammenhang mit diesem Gesetz regeln wir
        auch eine – auf den ersten Blick kleine – Verbesserung.
        Für die Betroffenen ist es aber von großer Bedeutung.
        Ich nenne die Möglichkeit für Schwerbehinderte zur
        kostenlosen Mitnahme eines Begleithundes zusätzlich zu
        einer Begleitperson in öffentlichen Verkehrsmitteln. Bis-
        lang mussten die Betroffenen zwischen Begleithund und
        Begleitperson entscheiden.
        Zusätzlich wird der neue Tatbestand „Hilfe für die
        Betreuung in einer Pflegefamilie“ geschaffen. An dieser
        Stelle möchte ich vor allem unserem Kollegen Hubert
        Hüppe danken, der an dieser Initiative maßgeblich mit-
        gewirkt und bereits im Februar 2008 im Rahmen eines
        Fachgesprächs der Unionsfraktion zur Situation der Kin-
        der mit Behinderungen bestehende Unzulänglichkeiten
        diskutiert hat. Der geäußerten Kritik von einigen Seiten,
        es gäbe nun kein Wahlrecht der Betroffenen zwischen
        Heimunterbringung oder der Unterbringung in einer
        Pflegefamilie, möchte ich widersprechen. Die Sozialhil-
        feträger werden auch in Zukunft nach dem Wohl des
        Kindes entscheiden, welche Art der Unterbringung für
        das Kind die besser geeignete ist. Außerdem wird gel-
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        endes Recht klargestellt. Denn auch bisher galt ein
        rundsätzlicher Vorrang der Hilfe in Pflegefamilien als
        mbulanter Hilfe vor einer Unterbringung im Heim.
        Natürlich gibt es wie bei jedem Gesetz auch beim As-
        istenzpflegebedarfsgesetz höhere Erwartungen und
        eitere Forderungen. Bei allem Respekt vor Ihrem be-
        inderungspolitischen Engagement, Herr Dr. Seifert, Ih-
        em Änderungsantrag konnte die Koalition nicht folgen.
        an muss die Teilergebnisse würdigen. Und vor allem
        uss man die Entwicklungen im Bereich Behinderten-
        olitik auch immer vor dem geschichtlichen Hintergrund
        ewerten.
        Nach dem Zweiten Weltkrieg musste unser Volk auf-
        rund der schlimmen Entwicklungen während der Herr-
        chaft der Nationalsozialisten zwingend eine Neuord-
        ung hinsichtlich des Umgangs mit behinderten
        enschen vornehmen, dies sowohl im zwischenmensch-
        ichen als auch im kollektiven, gesellschaftlichen und
        taatlichen Bereich. Auf der einen Seite wurden behin-
        erte Menschen oft als Menschen mit gottgewollten Lei-
        en dargestellt. Familiäre Hilfe und gesellschaftliche
        ildtätigkeit waren über Jahrhunderte das Höchste ihrer
        rwartungen. Natürlich war dies nicht ausreichend. Die
        ielen Kriegsversehrten in den Jahren nach 1945 legten
        ann im Prinzip den Grundstein für eine verlässliche,
        taatliche Hilfe.
        Bei Menschen mit angeborener Behinderung war bis
        itte der 50er-Jahre von Förderung, Bildung oder Teil-
        abe kaum eine Rede. Flächendeckend waren in beiden
        eilen Deutschlands allein die Versorgung in der Familie
        hne heilpädagogische Förderung und/oder die Verwah-
        ung in abgelegenen Großeinrichtungen Standard. Dabei
        arf man die überwiegend positiven Leistungen von be-
        roffenen Familienmitgliedern und der Mitarbeiterschaft
        n den Heimen nicht schmälern. Der wirkliche Durch-
        ruch zu einer besseren, zu einer planmäßigen Förde-
        ung von Menschen mit Behinderungen wurde, abgese-
        en vom Reha-Bereich der Berufsgenossenschaften, nur
        urch engagierte Eltern erreicht. Von Cottbus bis
        achen, von Flensburg bis Berchtesgaden werden heute
        ie betroffenen Menschen gefördert und versorgt, haben
        echtsansprüche auf Leistungen von Kassen, Kommu-
        en, Ländern und Staat. Der fachliche, rechtliche und
        aterielle Standard ist gut.
        Es ist unbedingt zu hoffen, dass wir dies auch in Zei-
        en wirtschaftlicher Krisen fortführen. Mit dem Assis-
        enzpflegebedarfsgesetz setzen wir ein gutes Signal, dass
        uch zukünftig die Teilhabe und Förderung von Men-
        chen mit Behinderungen, die in Deutschland eine lange
        radition hat, in unserer Gesellschaft weiter gefördert
        ird.
        Hilde Mattheis (SPD): Es ist gut, dass mit dem Ge-
        etz zum Assistenzpflegebedarf von Menschen mit Be-
        inderungen jetzt im Falle eines Krankenhausaufenthal-
        es die Sicherheit für eine Kostenübernahme besteht und
        egenüber dem Kostenträger der Anspruch auf entspre-
        hende Leistungen geltend gemacht werden kann.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25533
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        Das sogenannte Arbeitgebermodell ermöglicht Men-
        schen mit besonderer Behinderung nach SGB XII eine
        persönliche Pflegekraft zu beschäftigen. In Deutschland
        sind es circa 500 Menschen. Aber im Fall eines Kran-
        kenhausaufenthaltes gab es bislang keinen gesetzlich
        verankerten Anspruch gegen die jeweiligen Kostenträger
        auf Mitaufnahme dieser Pflegekraft ins Krankenhaus
        und auf Weiterzahlung der bisherigen entsprechenden
        Leistungen auch während der Dauer der Krankenhausbe-
        handlung.
        Bislang wurden verschiedene Sozialleistungsberei-
        che berührt, was die Kostenträger dazu verleitete, sich
        als nicht zuständig zu erklären. Das wiederum hatte zur
        Folge, dass die betroffenen Personen im Krankenhaus
        oft für sie nicht förderlichen Situationen ausgeliefert wa-
        ren. Viele Menschen mit einem hohen Hilfebedarf haben
        deshalb Krankenhausaufenthalte vermieden oder auf
        aufwändige Untersuchungen verzichtet.
        Mit diesem Gesetz haben nun Menschen in Deutsch-
        land, die einen sehr speziellen und individuellen Pflege-
        bedarf haben, die Pflegekraft an ihrer Seite, die ihre
        Bedürfnisse genau kennt. Gerade für Menschen mit be-
        sonderem Assistenzbedarf ist die Vertrautheit der Pflege-
        kräfte, die Kontinuität der Pflegemaßnahmen von großer
        Bedeutung. Und wenn diese Pflegekräfte während eines
        Krankenhausaufenthaltes nicht zur Verfügung stehen,
        dann besteht die Gefahr, dass wichtige Pflegemaßnah-
        men unterbleiben, wie zum Beispiel Umlagerungen bei
        Menschen, die spastische Störungsbilder haben. Dann
        drohen Kontrakturbildungen und Dekubitusbildungen.
        Aber auch für einfachere Hilfestellungen, wie zum Bei-
        spiel bei der Nahrungsaufnahme, werden die Pflege-
        kräfte gebraucht.
        Das Gesetz regelt, dass Versicherte mit einem beson-
        deren pflegerischen Bedarf ihre Pflegekräfte mit ins
        Krankenhaus nehmen können. In diesem Anspruch sind
        auch Übernachtung und Verpflegung der Pflegekräfte
        beinhaltet. Außerdem wird das Pflegegeld für die ge-
        samte Dauer des stationären Krankenhausaufenthalts zur
        Akutbehandlung sowie auf die gesamte Dauer von kran-
        kenhausersetzender häuslicher Krankenpflege weiterge-
        zahlt. Ich denke, mit diesen Maßnahmen schaffen wir
        eine große Erleichterung für pflegebedürftige Menschen
        mit Behinderungen, wenn sie sich einer stationären
        Krankenhausbehandlung unterziehen müssen, und wir
        verbessern die Qualität ihrer Versorgung.
        Mit diesem Gesetz regeln wir weitere wichtige
        Punkte, zum einen die „Betreuung von Menschen mit
        Behinderungen in Pflegefamilien“. Auf diese Änderung
        des SGB XII wird meine Kollegin Marlene Rupprecht
        eingehen.
        Dann enthält dieses Gesetz eine Änderung des SGB IX
        im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
        und in Bezug auf die Regelung der Fahrtkosten-
        erstattung. Mit dieser Änderung wird eine einheitliche
        Leistungserbringung sichergestellt und festgelegt, dass
        es künftig möglich sein wird, sich von einer Person be-
        gleiten zu lassen und einen Hund mitzuführen. Es han-
        delt sich also auch im Bereich des SGB IX um eindeu-
        tige Verbesserungen für den betroffenen Personenkreis.
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        Und schließlich regeln wir mit dem Gesetz die Auf-
        ahme der Palliativmedizin als Pflicht- und Prüfungs-
        ach im Rahmen des Studiums der Medizin in die Ap-
        robationsordnung für Ärzte – ein wichtiger Baustein für
        ine gute Versorgung von Menschen in einer Lebens-
        hase, in der keine Therapie mehr greift, aber es um die
        rhaltung von Lebensqualität geht. Bislang war die
        rundlage einer optimalen Versorgung schwerstkranker
        der sterbender Menschen das langjährige Erfahrungs-
        issen von Ärztinnen und Ärzten, das diese erst nach ih-
        em Studienabschluss sammeln konnten. Die Veranke-
        ung der Palliativmedizin in der Ausbildung soll dazu
        eitragen, dass die Studentinnen und Studenten mit ei-
        em gefestigten Grundwissen in diesem Bereich in die
        erufsausübung gehen. Wir sind froh, dass auch die
        rzte selber diese Regelung begrüßen.
        Bedauerlich ist – das möchte ich an dieser Stelle deut-
        ch sagen –, dass es mit unserem Koalitionspartner nicht
        öglich war, sich auf Regelungen zur Erstattung von
        rillen und nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln
        ür Taschengeldempfänger in Heimen zu einigen. Damit
        üssen auch weiterhin viele der etwa 200 000 Behinder-
        n in stationären Einrichtungen auf notwendige Brillen
        nd OTC-Präparate verzichten, weil sie diese von ihrem
        aschengeld nach § 35 SGB XII selbst nicht bezahlen
        önnen. Hier hat die Union vereitelt, für diese Menschen
        ine dringend benötigte Verbesserung ihrer Versorgung
        esetzlich umzusetzen.
        Mit dem Assistenzpflegebedarfsgesetz verbessern wir
        ie Lebens- und Versorgungsqualität behinderter Men-
        chen in verschiedenen Sozialgesetzbüchern und wir
        erbessern die palliativmedizinische Versorgung. Ich
        offe deshalb, dass das Gesetz auch die Zustimmung der
        pposition hat.
        Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Ich
        öchte mich auf zwei Regelungen konzentrieren, die
        ir im Rahmen dieses Gesetzes schaffen. Beide freuen
        ich ungemein und schaffen Verbesserungen für behin-
        erte Menschen.
        Die erste Regelung betrifft die Betreuung behinderter
        inder in Pflegefamilien. Familien können in Zukunft
        eichter Kinder und Jugendliche mit geistiger und kör-
        erlicher Behinderung aufnehmen. Damit können Auf-
        nthalte von diesen Kindern in stationären Einrichtungen
        ermieden oder beendet werden. Die Zuständigkeit für
        ehinderte Kinder und Jugendliche ist bisher geteilt.
        ährend bei seelischer Behinderung die Kinder- und Ju-
        endhilfe – SGB VIII – zuständig ist, greift bei körperli-
        her und geistiger Behinderung die Sozialhilfe
        SGB XII. Dies führt etwa bei Mehrfachbehinderungen
        u Problemen. Zudem gibt es im SGB VIII den Tatbe-
        tand der Vollzeitpflege, im SGB XII nicht. Dies hat zur
        olge, dass seelisch behinderte Kinder oft in Pflegefami-
        ien aufgenommen werden, geistig behinderte Kinder
        ber nicht und stattdessen meist in vollstationären Ein-
        ichtungen der Behindertenhilfe betreut werden.
        Seit über zwei Jahren mache ich mich als Kinderbe-
        uftragte meiner Fraktion in Gesprächen und Beratungen
        ür eine politische Lösung stark. Dabei kämpfe ich für
        25534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
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        die sogenannte große Lösung SGB VIII, das heißt, alle
        behinderten Kinder und Jugendlichen werden unabhän-
        gig vom Grad der Behinderung der Kinder- und Jugend-
        hilfe zugeordnet. Leider ist dieses Vorhaben kurzfristig
        aus finanziellen, personellen und strukturellen Gründen
        nicht umsetzbar.
        Mit dem neuen Gesetz regeln wir die Betreuung von
        geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugend-
        lichen in einer Pflegefamilie deshalb für einen bis Ende
        2013 befristeten Zeitraum als Leistung der Eingliede-
        rungshilfe im SGB XII. Das heißt: Behinderten Kindern
        und Jugendlichen, die Leistungen des Sozialhilfeträgers
        erhalten, stehen dieselben Möglichkeiten offen wie an-
        deren Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Ju-
        gendhilfe. Die Rechte von Familien, Kindern und Ju-
        gendlichen werden so gestärkt. Ich werde mich weiter
        dafür einsetzen, dass Kinderrechte in allen Rechtsberei-
        chen besser berücksichtigt werden. Kinder und Jugendli-
        che – ob mit oder ohne Behinderung – haben ein Recht
        darauf, gesund aufzuwachsen.
        Die zweite Regelung, die ich nennen will, nenne ich
        das „Hundegleichstellungsgesetz“. Es freut mich ganz
        besonders, auch als Berichterstatterin für den Bereich
        Contergangeschädigte, dass wir nunmehr Blindenhunde
        und Behindertenbegleithunde im Behindertenrecht
        gleichgestellt haben. Nach derzeitiger Rechtslage dürfen
        blinde Menschen neben einer Begleitperson auch einen
        Blindenhund kostenlos im öffentlichen Personennahver-
        kehr mitnehmen. Schwerbehinderte Menschen können
        entweder die Begleitperson oder den Hund mitnehmen.
        In der Praxis hat dies dazu geführt, dass sich Menschen
        mit Behinderung bei der Benutzung von Bus und Bahn
        entscheiden müssen, ob sie für die Begleitperson oder
        den Hund eine Fahrkarte lösen. Diese unbefriedigende
        Regelung wird nun beseitigt. Dieser Schritt bedeutet für
        Menschen mit Behinderung eine große Erleichterung im
        Alltag.
        Beide Änderungen gehen übrigens auf konkrete Ein-
        gaben von Bürgerinnen und Bürgern zurück. Als Mit-
        glied des Petitionsausschusses freue ich mich, dass Bür-
        gereingaben ernst genommen und sorgfältig geprüft
        werden und dann wie hier zu Gesetzen mit konkreten
        Verbesserungen führen. Dies unterstreicht die Wichtig-
        keit des Petitionsrechts und ermutigt hoffentlich alle
        Bürgerinnen und Bürger, dieses Recht wahrzunehmen.
        Dr. Erwin Lotter (FDP): Die Koalition setzt heute
        eine Praxis fort, die sich leider in den Jahren von
        Schwarz-Rot in diesem Parlament etabliert hat: Politik
        für Menschen mit Behinderungen wird ins Protokoll ver-
        bannt. Eine öffentliche Aussprache zu Gesetzen der Re-
        gierungskoalition findet nicht mehr statt. Die Kollegin-
        nen und Kollegen, die sich immer wieder über
        Politikverdrossenheit und mangelnde Präsenz des Parla-
        ments im Bewusstsein der Bevölkerung beklagen, sor-
        gen mit ihrer „Freitags-ist-um-15-Uhr-Schluss-Mentali-
        tät“ dafür, dass an Behindertenpolitik interessierte
        Bürgerinnen und Bürger sprichwörtlich in die Röhre
        schauen. Der Bildschirm bleibt schwarz, wer mehr wis-
        sen will, muss sich mühsam auf die Suche nach Plenar-
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        rotokollen im Internet machen oder sich auf die selbst-
        eweihräuchernde Öffentlichkeitsarbeit der Koalition
        erlassen, die sich natürlich mit einem Feuerwerk von
        ressemitteilungen feiern wird.
        Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetz zur
        egelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus
        leiben sich die Regierungsfraktionen neben der Debat-
        enverhinderung auch in einer weiteren Disziplin treu:
        robleme zwar erkennen, aber nicht richtig lösen. Es ist
        nzweifelhaft richtig, dass für behinderte Menschen mit
        inem hohen Pflege- und Betreuungsbedarf bei einem
        rankenhausaufenthalt die Möglichkeit bestehen muss,
        en oder die Assistenten oder Assistentin mitzunehmen.
        nd es muss sichergestellt sein, dass auch trotz eines
        rankenhausaufenthalts der vertraute Assistent weiter
        eschäftigt und finanziert wird. Dieses Anliegen wird
        on der FDP uneingeschränkt unterstützt. Die Aufnahme
        iner Begleitung in das Krankenhaus ist aber bereits
        urch § 2 der Bundespflegesatzverordnung geregelt.
        ieser sieht die aus medizinischen Gründen notwendige
        itaufnahme einer Begleitperson des Patienten vor.
        ine gesetzliche Neuregelung für diesen Bereich ist so-
        it nicht notwendig.
        Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum die neue
        egelung auf behinderte Menschen begrenzt wird, die
        flegekräfte im sogenannten Arbeitgebermodell be-
        chäftigen. Das Pflegeproblem greift weit über die
        ruppe der behinderten Menschen, die ihre Pflege über
        as Arbeitgebermodell realisieren, hinaus. Nicht berück-
        ichtigt wird die weitaus größere Gruppe behinderter
        enschen, die die Assistenz im Wege des Sachleistungs-
        rinzips durch einen ambulanten Dienst in Anspruch
        immt. Der Gesetzentwurf führt also zu einer Ungleich-
        ehandlung des betroffenen Personenkreises. Er ist des-
        alb nicht die Lösung des Problems, sondern bestenfalls
        in Einstieg in die Lösung eines viel größeren Problems.
        Auch die Regelungen zur Palliativmedizin sind wohl
        ut gemeint und werden von der FDP in ihrer Problem-
        eschreibung unterstützt. Als praktizierender Arzt versi-
        here ich Ihnen aber: Ein zusätzliches Vollstopfen der
        pprobationsordnung allein ist der denkbar schlechteste
        eg. Jeder Medizinstudent wird Ihnen bestätigen: Der
        rüfungsstoff wird auswendig gelernt, aber nicht verin-
        erlicht. Zum Arzt wird man nicht im Hörsaal, sondern
        n Klinik und Praxis. Und da muss auch die eigentliche
        usbildung in Palliativmedizin erfolgen. Ich kann nach-
        ollziehen, dass eine stärkere Sensibilisierung der Medi-
        iner für palliativmedizinische Verfahren gewünscht
        ird. Aber wenn dies erfolgreich bereits im Studium er-
        olgen soll, muss die Approbationsordnung an anderen
        tellen gestrafft werden.
        Weil wir Liberale die Ziele des Gesetzentwurfes wei-
        estgehend mittragen, die Umsetzung aber für verfehlt
        alten, enthalten wir uns der Stimme. Wir sind uns si-
        her: In der nächsten Legislatur werden wir uns erneut
        amit befassen müssen, denn von einer umfassenden
        nd vernünftigen Lösung der angesprochenen Probleme
        st dieses Gesetz weit entfernt.
        Dass heute erneut nicht zur Behindertenpolitik debat-
        iert wird, sondern die Reden zu Protokoll gehen, hat
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25535
        (A) )
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        wohl neben dem bereits erwähnten Wunsch vieler Kolle-
        ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen nach einem
        frühen Start ins Wochenende noch einen anderen Grund:
        Zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode steht ein
        Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Belange
        behinderter Menschen auf der Tagesordnung des Deut-
        schen Bundestages. Nichts liegt näher, als heute die Bi-
        lanz von vier Jahren schwarz-roter Behindertenpolitik zu
        ziehen. Und auf einmal wundert man sich nicht mehr,
        dass sich vor allem CDU/CSU und SPD dieser Debatte
        entziehen. Denn nicht mal die niedrig gesteckten Verein-
        barungen des Koalitionsvertrages sind umgesetzt wor-
        den. Die vollmundig angekündigte Weiterentwicklung
        der Eingliederungshilfe ist bereits im Ansatz, bei der
        Einbeziehung der Verbände behinderter Menschen, mit
        Pauken und Trompeten gescheitert und daraufhin sang-
        und klanglos beerdigt worden. Probleme bei der Früh-
        förderung wurden in effektheischenden gemeinsamen
        PR-Aktionen der Behinderten- und Patientenbeauftrag-
        ten angeklagt, aber nicht gelöst. Nicht mal Kleinigkei-
        ten, wie das Problem nicht funktionierender gemeinsa-
        mer Servicestellen im Rahmen des SGB IX, konnten
        gelöst werden. Apropos SGB IX: Die in der vorletzten
        Legislatur mit gutem Grund eingerichtete Internetplatt-
        form www.sgb-IX-umsetzen.de wurde still und heimlich
        abgeklemmt, allerdings leider nicht, weil das SGB IX
        nun umgesetzt wäre. Auch vom Trägerübergreifenden
        Persönlichen Budget, dem Hoffnungsträger der Koali-
        tion in der ersten Hälfte der Legislatur, spricht heute
        kaum noch jemand in Berlin. Dass der Durchbruch die-
        ser Form der Leistungserbringung noch immer auf sich
        warten lässt, stört CDU/CSU und SPD herzlich wenig.
        Anstatt daheim die Hausaufgaben zu machen, hat sich
        Schwarz-Rot ab der zweiten Hälfte der Legislatur nur
        noch um die UN-Konvention über die Rechte behinder-
        ter Menschen gekümmert. Daran wäre nichts auszuset-
        zen, wenn dabei auch nur etwas mehr als Symbolpolitik
        herausgekommen wäre. Aber als es dann in diesem Win-
        ter um die Ratifizierung der Konvention ging, wurde die
        völlige Planlosigkeit der Bundesregierung in Fragen der
        Umsetzung der Konvention offensichtlich. Pläne zur
        Umsetzung der Konvention in deutsches Recht? Fehlan-
        zeige. Klarheit über ableitbare Ansprüche und Rechte
        behinderter Menschen aus der Konvention? Nicht in
        Sicht. Eine korrekte und ehrliche Übersetzung ins Deut-
        sche? Nicht mit dieser Regierung.
        Als Olaf Scholz vor knapp zwei Jahren sein Amt als
        Minister für Arbeit und Soziales antrat, hat er den Bür-
        gerinnen und Bürgern die Schaffung der „weltbesten Ar-
        beitsvermittlung“ versprochen. Aber wann fängt er da-
        mit an? Bei der Jobvermittlung für behinderte Menschen
        ist von diesem Anspruch noch nichts zu sehen.
        Die behindertenpolitische Bilanz dieser Bundesregie-
        rung ist beschämend. Wer gehofft hatte, eine Große
        Koalition könnte in Bund und Ländern mehr erreichen
        als eine Regierung ohne Bundesratsmehrheit, wurde bit-
        ter enttäuscht. Die Große Koalition hinterlässt der kom-
        menden Regierung einen immensen Innovationsstau in
        der Behindertenpolitik. Deshalb ist eines klar: Eine
        Große Koalition hilft behinderten Menschen in unserem
        Land nicht!
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        Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Dass wir diesen Ge-
        etzentwurf heute beraten, ist das Verdienst von Elke
        artz. Elke Bartz war seit dem 21. Lebensjahr infolge
        ines Autounfalls schwerstbehindert und wurde – wie
        blich – anschließend in ein Heim verbannt. Nach jahre-
        angem Kampf gelang es ihr und ihrem Mann Gerhard
        artz, ihr Leben selbstbestimmt in einem eigenen Haus
        u gestalten. Die notwendige Assistenz erkämpften sie
        ich über viele Instanzen und sind somit Mitinitiatoren
        es sogenannten Arbeitgebermodells, das heißt, Men-
        chen mit Pflege- und Assistenzbedarf erhalten ein „per-
        önliches Budget“ und beschäftigen damit die von und
        ei ihnen angestellten Assistenten selbst. Elke Bartz, die
        orsitzende des Forums selbstbestimmter Assistenz be-
        inderter Menschen (ForseA e.V.), verstarb im August
        origen Jahres, kann also diesen Erfolg leider nicht mehr
        it ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus der
        manzipatorischen Behindertenbewegung mitfeiern.
        Im SGB XII steht im § 63: „In einer stationären oder
        eilstationären Einrichtung erhalten Pflegebedürftige
        eine Leistungen zur häuslichen Pflege.“ Dies bedeutet,
        ass Menschen mit Behinderungen bei einem vorüberge-
        enden Aufenthalt im Krankenhaus ihre Assistenzkräfte
        icht mitnehmen können und für diese vertraglich ge-
        undenen Beschäftigten in dieser Zeit auch kein Geld er-
        alten. Da das Krankenhauspersonal lediglich darauf
        ingestellt ist, die – abgesehen von der zu behandelnden
        rankheit – ansonsten „normalen“ Patienten zu be-
        reuen, fehlt diesen sowohl die Zeit als auch die fachli-
        he Kompetenz, die behinderungsbedingt anfallenden
        usätzlichen Pflege- und Assistenzleistungen zu erbrin-
        en. Die Folge: Menschen mit Behinderungen sind un-
        erversorgt, teilweise mit tödlichen Folgen. Auf diese ka-
        astrophale Situation machte ForseA 2006/2007 in einer
        ampagne „Ich muss ins Krankenhaus … und nun?“
        ufmerksam und übergab die 70-seitige Dokumentation
        er Kampagne am 27. September 2007 auf einer Konfe-
        enz der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung,
        arin Evers-Meyer (SPD). Sie versprach schnelle Ab-
        ilfe.
        Neben ForseA wiesen auch andere Institutionen auf
        ie katastrophale Versorgung bzw. Assistenzsicherung
        ür Schwerbehinderte während ihres Krankenhausauf-
        nthaltes hin – zum Beispiel die Landesärztekammer
        essen in einer Vorlage an den Gesundheitsausschuss
        es Bundestages vom 10. Juni 2008. Trotzdem wurde
        ie Bundesregierung nicht aktiv – dies wurde in den
        ntworten von Staatssekretär Rolf Schwanitz (SPD) auf
        eine Fragen in der Fragestunde im Bundestag am
        8. Juni 2008 deutlich.
        Im Mai 2009 kam dann endlich der Gesetzentwurf der
        oalition. Die Behindertenbeauftragte Evers-Meyer
        erkündete in einer Pressemitteilung: „Mit den vorgese-
        enen Änderungen wird sichergestellt, dass pflegebe-
        ürftige behinderte Menschen auch während eines Kran-
        enhausaufenthaltes die für sie notwendigen über das
        ormale Maß hinausgehenden Assistenzleistungen er-
        alten – erbracht durch ihre vertrauten Assistenzkräfte.“
        Etwas anders klang es in der „Anhörung“ und den
        chriftlichen Stellungnahmen von Sachverständigen am
        25536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        27. Mai 2009 im Gesundheitsausschuss. ForseA, der
        Allgemeine Behindertenverband in Deutschland „Für
        Selbstbestimmung und Würde“ e.V. – ABiD –, der Bun-
        desverband evangelische Behindertenhilfe, ambulante
        dienste e.V., die Diakonie, die Deutsche Krankenhausge-
        sellschaft und der Paritätische Wohlfahrtsverband ver-
        wiesen auf zwei entscheidende Mängel: Erstens greift die-
        ses Gesetz nur für Menschen mit Behinderungen, die ihre
        Assistenten über das sogenannte Arbeitgebermodell be-
        schäftigen. Dies ist nur eine sehr kleine Gruppe, da viele
        Betroffene ihre Assistenzleistungen auch über andere Mo-
        delle erhalten. Zweitens greift diese Lösung nur bei
        vorübergehendem Krankenhausaufenthalt, aber nicht bei
        Heilkuren und anderen stationären Aufenthalten in Vorsor-
        geeinrichtungen (zum Beispiel einem Müttergenesungs-
        heim) und auch nicht in Rehabilitationseinrichtungen.
        Trotzdem war die Koalition nicht bereit, entspre-
        chende Korrekturen vorzunehmen. Diesbezügliche Än-
        derungsanträge der Linken im Gesundheitsausschuss
        wurden von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Die Begrün-
        dung für die Ablehnung durch die CDU/CSU kann der
        vorliegenden Beschlussempfehlung entnommen werden:
        „Zwar seien auch andere pflegebedürftige Menschen
        von der Problematik betroffen, doch könne der Gel-
        tungsbereich mit Rücksicht auf die entstehenden hohen
        Kosten aus jetziger Sicht nicht erweitert werden.“
        Die Linke wird dem vorliegenden Gesetzentwurf
        trotzdem zustimmen, weil wenigstens für eine kleine
        Gruppe von Menschen mit Behinderungen das Problem
        der Assistenz im Krankenhaus gelöst wird und weil mit
        diesem Gesetz (im sogenannten Omnibusverfahren) wei-
        tere vernünftige und überfällige Regelungen in anderen
        Bereichen getroffen werden, zum Beispiel die Möglich-
        keit der kostenlosen Mitnahme von einem Behinderten-
        begleithund und (statt bisher „oder“) einer Begleitperson
        für berechtigte Personen und die Hilfe für die Betreuung
        von Kindern mit Behinderungen in einer Pflegefamilie.
        Der Behindertenbeauftragten Evers-Meyer, welche in
        einer weiteren Pressemitteilung am 17. Juni verkündete:
        „Die bange Frage „Ich muss ins Krankenhaus … was
        nun?“ braucht sich jetzt hoffentlich kein behinderter
        Mensch mehr stellen“, und dieser sowie der kommenden
        Bundesregierung sei ins Stammbuch geschrieben: Bange
        Fragen bleiben, auch die Gefahr der Unterversorgung
        von vielen Menschen mit Behinderungen. Wir brauchen
        auch Lösungen, damit Menschen mit Behinderungen
        nicht länger Kuren und andere stationäre Vorsorge- und
        Rehaleistungen verwehrt werden, weil ihr Assistenzbe-
        darf nicht gesichert ist. Wir brauchen den barrierefreien
        Zugang zu allen stationären und ambulanten Angeboten
        zur medizinischen Versorgung. Gemessen an den Ver-
        pflichtungen, die sich aus Art. 25 der UN-Behinderten-
        rechtskonvention ergeben, ist dieser Gesetzentwurf nur
        ein kleiner Schritt. Wir, und hier meine ich die selbstbe-
        stimmte Behindertenbewegung, werden auch im Sinne
        von Elke Bartz weiter kämpfen.
        Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Ein Omnibus hat viele Sitzplätze und jeder wird
        mitgenommen. Genauso erscheint das Assistenzpflege-
        bedarfsgesetz als eine Ansammlung von Regelungen,
        die noch irgendwie in dieser Legislatur beschlossen wer-
        den müssen und einmal mehr, einmal weniger mit Assis-
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        enz, Pflegebedürftigkeit und Behinderung in Zusam-
        enhang stehen.
        Assistenzpflegebedarfsgesetz heißt es, weil es im
        ern den Einsatz von Assistenzpflegekräften im Kran-
        enhaus regelt. Das Gesetz beschreibt das sonore Ziel,
        ass pflegebedürftige behinderte Menschen ihre persön-
        ichen Assistenzpflegekräfte mit in das Krankenhaus
        ehmen können, wenn ein stationärer Aufenthalt not-
        endig wird: eine längst überfällige Regelung, nachdem
        ie Behindertenverbände für Personen mit Assistenz un-
        altbare pflegerische Missstände und vermeidbare To-
        esfälle in Krankenhäusern vermelden und die Unterver-
        orgung in diesem Bereich seit Jahren anprangern. Somit
        ürfte das Gesetz ein Bonbon an pflegebedürftige Men-
        chen mit Behinderung sein, das wir als ersten Schritt in
        ie richtige Richtung begrüßen. Denn erstmalig wird an-
        rkannt, dass hier ein über die Pflege hinausgehender
        nterstützungsbedarf existiert.
        Die Einschränkung aber folgt auf dem Fuße – nur ein
        anz kleiner Teil von Menschen mit Behinderung
        ommt in den Genuss dieser Leistung. Die Sicherstel-
        ung und Kontinuität des Assistenzbedarfs steht nur den-
        enigen zu, die in einem bestimmten Arbeitsverhältnis
        ueinander stehen – also beschäftigten Assistenzen im
        rbeitgebermodell. Ein selbst bestimmtes Arbeitsmodell
        och dazu – es sind diejenigen, die ihre Alltagsunterstüt-
        ung und Pflege durch von ihnen angestellte besondere
        ssistenzkräfte sicherstellen. Und nur die! Sie werden
        ich nun fragen: Und die anderen pflegebedürftigen
        enschen mit Behinderung, die zum Beispiel ihre As-
        istenz von ambulanten Diensten oder anderen Anbie-
        ern erhalten? Diese haben zwar den gleichen Wunsch
        nd auch Bedarf – aber den Fehler: Sie beschäftigen ihre
        ssistenz nicht nach dem Arbeitgebermodell. Aus die-
        em schwer zu begründenden und zu rechtfertigenden
        mstand bekommen sie die neue Leistung nicht. Unver-
        tändlich und inkonsistent ist, dass der Kreis der Inan-
        pruchnehmerinnen und Inanspruchnehmer von einem
        rbeitsmodell abhängig ist und nicht von den vorliegen-
        en Bedarfen. Problematisch wird es, wenn man künftig
        atienten im Krankenhaus erklären muss, warum die
        erson im „Nachbarbett“ mehr Unterstützung bekommt
        ls sie selbst. Obwohl wir den Ansatz des Gesetzes un-
        erstützen, halten wir diese Ungleichbehandlung für
        alsch, weil letztlich aus rein ökonomischen Gesichts-
        unkten heraus so entschieden wurde.
        Beim Einsatz von Assistenzen in Krankenhäusern
        öchte ich noch auf etwas hinweisen: Es darf nicht dazu
        ommen, dass – wie von Experten befürchtet – Kranken-
        äuser sich hier aus ihrer pflegerischen Verantwortung
        tehlen. Ganz nach dem Motto „Ist ja eine oder einer da,
        er bzw. die wird die pflegerische Versorgung für uns
        bernehmen!“ So weit darf es nicht kommen, denn die
        flegerische Versorgung ist originäre Aufgabe des Kran-
        enhauspersonals. Die Kliniken haben einen gesetzli-
        hen Sicherstellungsauftrag zu erfüllen, egal ob ein
        ensch eine Behinderung hat oder nicht. So habe ich
        ein Verständnis dafür, wenn argumentiert wird, dass
        eine Zeit im Krankenhausalltag verbleibt, um eine Per-
        on auch mit besonderem Hilfe- und Unterstützungsbe-
        arf zu lagern oder Essen zu reichen und es deshalb einer
        ssistenz dafür bedarf. Unserer Meinung nach ist der
        nspruch auf Assistenz völlig gerechtfertigt, wenn die
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25537
        (A) )
        (B) )
        Versorgung des besonderen Pflegebedarfs nur durch die
        Assistenz gewährleistet werden kann, beispielsweise wenn
        es bei einer Versorgungsmaßnahme eines weitreichenden,
        individuumsbezogenen Wissens über die zu unterstützende
        Person bedarf, der nur eine persönliche Assistentin oder
        ein persönlicher Assistent nachkommen kann. Es gilt also,
        den besonderen Bedarf der pflegebedürftigen Menschen
        mit Behinderung in den Blick zu nehmen.
        Wir wollen dieses Gesetz, weil es ein erster Schritt in
        die richtige Richtung ist und weil damit grundsätzlich
        anerkannt wird, dass in bestimmten Fällen der Bedarf
        über die normale pflegerische Versorgung hinausgeht,
        die vom Krankenhaus geleistet werden kann. Wir wollen
        aber mehr und dürfen nach der Gesetzesverabschiedung
        nicht dabei stehen bleiben, sondern müssen Mittel und
        Wege zur Erschließung weiterer Bedarfskreise finden.
        Hier ist auch die Krankenhauslandschaft gefordert, mit-
        zudenken und auch interne Lösungen zu finden. Die
        Gruppe demenziell erkrankter und multimorbider Men-
        schen wird zunehmen und zukünftig einen großen Teil
        der Patienteninnen und Patienten im Krankenhaus aus-
        machen. Auch und gerade diese Gruppe hat einen sehr
        hohen Unterstützungsbedarf. Auch bei ihnen spielt die
        Unterstützung durch vertraute Bezugspersonen, wie im
        Falle der Assistenz bei Behinderung, eine wesentliche
        Rolle im Genesungsprozess. Denn Pflegebedürftigkeit
        ist eben oft auch Behinderung. Ohne Assistenz ist dieser
        Personenkreis im Krankenhaus oft unterversorgt. Aber
        sind hier nicht zuvörderst die medizinischen Versor-
        gungssysteme und ihre Institutionen gefragt, personen-
        zentrierte Pflege und Hilfe zu leisten und sich auf die
        „neue“ Patientenlandschaft einzustellen? So neu ist diese
        Klientel für die Krankenhäuser nun auch wieder nicht!
        Und noch ein beförderter Fahrgast im Omnibus des
        Assistenzpflegebedarfgesetzes: die Aufnahme des
        Pflichtlehrfaches Palliativmedizin in die Ausbildung der
        Ärzte. Dazu beglückwünschen wir die Koalition. Sie hat
        sich nun der stetigen Forderung von uns Grünen ange-
        schlossen. Wir propagieren diese Regelung schon lange
        und auch mit Entschiedenheit, wie wir in einem Antrag
        zum Leben am Lebensende vor jetzt über einem Jahr
        zum Ausdruck gebracht haben. Bisher war es dem Gut-
        dünken der Ärzte oder ihrem Eigeninteresse überlassen,
        sich in diesem wichtigen Bereich fortzubilden. Ange-
        sichts der zukünftig noch zunehmenden Herausforde-
        rung der Versorgung Schwerkranker und Sterbender
        muss dieser Bereich verpflichtend werden. Denn nur so
        ist die optimale Versorgungssituation zu gewährleisten
        und trifft auf Mediziner, die ein Grundverständnis von
        palliativer Versorgung haben. Der Omnibus hat an Fahrt
        aufgenommen, und wir wünschen uns jetzt nur, dass er
        sich nicht nur bis zur nächsten Zieletappe bewegt.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Großen Anfrage: Jugend-
        strafrecht im 21. Jahrhundert (Tagesordnungs-
        punkt 60)
        Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
        CSU): Mit einer Großen Anfrage glaubt die Fraktion
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        ündnis 90/Die Grünen der Bundesregierung auf dem
        eld der Jugendkriminalität „auf den Zahn“ fühlen zu
        üssen. Was Bündnis 90/Die Grünen unter dem Arbeits-
        itel „Jugendstrafrecht im 21. Jahrhundert“ versteht, wird
        chon in den ersten Absätzen der Großen Anfrage deut-
        ch. Verharmlosend wird ausgeführt, der weit überwie-
        ende Teil der Jugendkriminalität sei dem Bereich der Ba-
        atell- und Konfliktkriminalität zuzurechnen. Als Beleg
        erden Ladendiebstahl, Schwarzfahren und Körperverlet-
        ung in einem Atemzug genannt. Körperverletzungen als
        agatelldelikte dem Schwarzfahren gleichzustellen, ist
        ber für Opfer von Straftaten keine gute Botschaft. Ge-
        ade jugendlichen Straftätern müssen ihre Grenzen auf-
        ezeigt werden. Dazu gehört auch, dass sich der Staat als
        ehrhafter und starker Staat zeigt, der sich schützend
        or Opfer stellt und auch Körperverletzungsdelikte kon-
        equent verfolgt.
        Dass zu einem vollständigen Bild eines Jugendstraf-
        erfahrens auch die Erörterung des Opferschutzgedan-
        ens gehört, haben Bündnis 90/Die Grünen zwar er-
        annt, das Opfer selbst steht dabei aber nicht im
        ittelpunkt. Bündnis 90/Die Grünen geht es nicht um
        ie Bedürfnisse eines von einem Jugendlichen Verletz-
        en. Es wird vielmehr gefragt, wie sehr die seit dem Jahr
        006 durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz im Ju-
        endstrafverfahren zugelassene Nebenklage den jugend-
        ichen Angeklagten mit zusätzlichen Verfahrenskosten
        elastet. Dabei lässt sich diese Frage allerdings schon
        urch einen Blick ins Gesetz beantworten. Die Neben-
        lage im Jugendstrafverfahren ist nämlich nur bei eini-
        en Verbrechen zugelassen (§ 80 Abs. 3 JGG), und bei
        iesen zahlt der Staat den Opferanwalt (§ 397 a Abs. 1
        tPO). Nicht einmal die Frage, ob es unter dem im Ju-
        endstrafrecht geltenden Erziehungsgedanken nicht ge-
        adezu geboten ist, den jugendlichen Straftäter auch mit
        en Tatfolgen, die für das Opfer eintreten, zu konfrontie-
        en, wird gestellt.
        Dass die Nebenklage im Jugendstrafverfahren bei
        ündnis 90/Die Grünen noch nicht angekommen ist,
        eigt auch deren Frage nach einer Pflichtverteidigerbe-
        tellung für den jugendlichen Angeklagten bei einer an-
        altlichen Opfervertretung. Da die Nebenklage aber nur
        ei namentlich aufgezählten Verbrechen (§ 80 Abs. 3 JGG)
        ulässig ist, steht dem jugendlichen Angeklagten nach
        68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit § 140 Abs. 1 Ziff. 2
        tPO in diesen Fällen immer auch ein Pflichtverteidiger
        u. Auch damit wird deutlich, wie ausgewogen die
        echtspolitik der Großen Koalition ist und wie demge-
        enüber Bündnis 90/Die Grünen Jugendstrafrecht mit
        unnelblick auf den jugendlichen Straftäter fokussiert
        etreibt.
        Demgegenüber erfreulich ist das Ergebnis der Großen
        nfrage, auf deren 205 Fragen die Bundesregierung de-
        ailliert und fundiert auf 169 Seiten geantwortet hat. Als
        azit ist festzuhalten, dass das derzeitige Jugendstrafver-
        ahren den Anforderungen der Rechtswissenschaft ge-
        echt wird. Innen- und Justizministerium betreiben eine
        riminalpolitik mit Augenmaß, die unaufgeregt auf die
        ielfältigen Formen kriminellen jugendlichen Verhaltens
        it einer breiten Palette von Sanktionen reagiert. Immer
        ann, wenn Medien über Gewalttaten Jugendlicher
        25538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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        (14 bis 18 Jahre) und Heranwachsender (18 bis 21 Jahre)
        berichten, wird der Ruf nach Verschärfungen im Jugend-
        strafrecht laut. Dies gilt insbesondere für Taten Heran-
        wachsender. Viele wollen diese konsequent dem Er-
        wachsenenstrafrecht unterwerfen. Wer Auto fahren und
        wählen darf und wer das Vaterland verteidigen kann, sei
        eben kein Kind mehr, heißt es da schnell. Richtig ist,
        dass der Staat, der die Sicherheit seiner Bürger zu ge-
        währleisten hat, auf Straftaten mit Sanktionen reagieren
        muss, aber eben mit Augenmaß. Neueste Erkenntnisse
        über die Entstehung von Jugendkriminalität sind dabei
        ebenso zu berücksichtigen wie die Wirkung von staatli-
        chen Sanktionen auf Jugendliche und Heranwachsende.
        Der jeweilige Reifegrad des Täters erfordert unter-
        schiedliche, differenzierte Reaktionen des Staates.
        Soweit Bündnis 90/Die Grünen die Verfahrensmaxi-
        men und Sanktionsmöglichkeiten, die das Jugendstraf-
        recht bietet, abklopft, sind die Antworten der Bundes-
        regierung wissenschaftlich fundiert abgesichert und teilweise
        mit Statistiken belegt. Eindrucksvoll wird dargelegt,
        dass und womit die Bundesregierung auch im Bereich
        des Jugendstrafrechts und der inneren Sicherheit auf
        dem neuesten wissenschaftlichen Stand ist. Durch Sym-
        posien und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe fließen die
        neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Rechts-
        politik ein.
        Soweit im Fragenkatalog mögliche neue Maßnahmen
        angesprochen werden, wird sich das Parlament überle-
        gen müssen, ob die Forderung nach einem Fahrverbot
        als eigenständige Sanktion für Jugendliche und Heran-
        wachsende nicht doch eine wirkungsvolle Reaktion auch
        auf ein Fehlverhalten, das außerhalb des Bereiches von
        Verkehrsdelikten liegt, sein könnte. Eine Einschränkung
        der Mobilität verfehlt meines Erachtens ihre Wirkung
        nicht. Gegen die Einführung eines Warnschussarrestes
        sprechen die empirischen Forschungsergebnisse. Beim
        Vollzug von Arrest ist die Rückfallquote höher als bei ei-
        ner zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe.
        In die Zukunft gerichtet wird man sich aber Gedanken
        machen müssen, wie sicherzustellen ist, dass die Strafe
        der Tat auf dem Fuße folgt. Dies ist nämlich eine Bot-
        schaft, die jugendliche Straftäter am besten verstehen.
        Die Zeitspanne zwischen Straftat und Gerichtsverhand-
        lung ist, insbesondere im Jugendstrafverfahren, zu lang.
        Ein Themenkomplex lohnt auch debattiert zu werden,
        wie nämlich der zunehmenden Gewaltbereitschaft ge-
        genüber Polizeibeamten bei Einsätzen entgegengewirkt
        werden kann. Der Staat darf nicht tatenlos zusehen, wie
        Jugendgruppen Festnahmehandlungen stören und unter-
        halb der Schwelle einer Beihilfehandlung gegenüber der
        Polizei „Macht“ demonstrieren. Dies muss durch eine
        Ausweitung der Strafbarkeit im Bereich des § 113 StGB
        (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) aufgefangen
        werden. Zu denken ist an die Übernahme von Tatbe-
        standselementen aus dem Straftatbestand des Landfrie-
        densbruchs (§ 125 StGB) in den des § 113 StGB.
        Ergebnis sorgfältiger Lektüre der Antwort der Bun-
        desregierung ist, dass gesetzgeberischer Handlungsbe-
        darf nicht gegeben ist. Defizite im bundespolitischen
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        erantwortungsbereich haben sich nicht ergeben, wie-
        ohl man über Verbesserungen des Jugendstrafverfah-
        ens immer nachdenken kann.
        Jörg van Essen (FDP): Wir haben alle die Warnung
        er Innenminister von Bund und Ländern vor einer zu-
        ehmenden Gewalt gegen Polizeibeamte von Anfang
        ieses Monats als ein alarmierendes Ergebnis der Früh-
        ahrstagung der Innenminister in Erinnerung. Ich habe in
        iesem Zusammenhang einen Kommentar der FAZ noch
        or Augen. Der Kommentator schrieb: „Die zuneh-
        ende Aggressivität von Jugendlichen – bei Fußball-
        pielen, Demonstrationen, in ihrem Kiez –, der man-
        elnde Respekt vor staatlicher Autorität und die
        ehlenden Reaktionen der Politik auf diese Entwicklung
        ind unter Polizisten seit langem das Gesprächsthema
        ummer eins.“
        Vollkommen zu Recht hat daher nicht nur NRW-In-
        enminister Wolf aufgefordert, Polizisten besser gegen
        ewaltexzesse zu schützen. Ihm ist uneingeschränkt zu-
        ustimmen: Gewalt gegen diejenigen, die uns schützen
        nd die Recht und Gesetz durchsetzen, ist völlig
        nakzeptabel. Das heißt für die FDP aber vornehmlich
        ie Ausnutzung des bestehenden Strafrahmens und nicht
        ie reflexartige Forderung nach Verschärfung von Straf-
        orschriften.
        Aber auch das hat die Debatte bei der IMK wieder
        ehr deutlich werden lassen: Wir dürfen vor Jugendge-
        alt nicht die Augen verschließen. Wegsehen hilft hier
        eder den jungen Tätern, die man – das weiß ich auch
        ufgrund meiner früheren Tätigkeit als Oberstaatsan-
        alt – häufig noch auf die richtige Bahn bringen kann,
        nd erst recht nicht den Opfern! Die brutalen Bilder der
        ideoaufzeichnung der Münchener U-Bahn haben uns
        lle sehr betroffen gemacht. Berichte über kaltblütige Ju-
        endgangs in Berlin, Hamburg und anderswo erfüllen
        ns alle mit Sorge.
        Ich freue mich deshalb sehr, dass wir heute mit dieser
        ebatte die Möglichkeit haben, das Thema Jugendkrimi-
        alität grundsätzlich zu beleuchten. Für die FDP kann
        ch Ihnen versichern, dass wir uns den Herausforderun-
        en des Jugendstrafrechts gerne stellen und wir hier für
        ie 17. Legislaturperiode zumindest den Bedarf sehen,
        n einigen wenigen Stellen des Jugendstrafrechts auch
        achzujustieren.
        Die Daten, die die Große Anfrage uns hierfür liefert,
        erden dabei außerordentlich dienlich sein. Ich möchte
        n dieser Stelle aber nicht verhehlen, dass ich verwun-
        ert bin, wie dünn die Datenlage an mancher Stelle er-
        cheint. Ich habe es sehr bedauert, zu oft zu lesen, dass
        keine belastbaren Erkenntnisse“ vorlagen. Bei einem
        olch wichtigen Thema ist dies sehr ärgerlich. Gleichzei-
        ig finde ich es beruhigend, dass die Bundesregierung
        anch einer Forderung widersteht und so zum Beispiel
        uch für die Beibehaltung der Führungsaufsicht im Ju-
        endstrafrecht ist. Das Jugendstrafrecht lebt gerade von
        er Vielzahl ganz unterschiedlicher Instrumente, die es
        em Jugendrichter ermöglicht, eine pädagogisch am Tä-
        er orientierte Maßnahme zu finden.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25539
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        Die FDP hat sich stets für einen nachhaltigen Um-
        gang mit dem Thema eingesetzt. Als das Thema Jugend-
        gewalt zu Jahresbeginn 2008 aufgrund des damaligen
        hessischen Landtagswahlkampfs auch zu einem großen
        bundespolitischen Thema wurde, war es die FDP, die zur
        Besonnenheit mahnte. Das FDP-Bundespräsidium hat
        seinerzeit einen Beschluss mit dem Titel „Sofortpro-
        gramm gegen Jugendgewalt und Jugendkriminalität“
        vorgelegt. Unsere Thesen von damals haben nach wie
        vor Gültigkeit. Anders als andere Streiter auf dem Feld
        haben wir das Thema aber nie nur in Wahlkampfzeiten
        besetzt. Ich selbst habe hierzu in den vergangenen Mo-
        naten verschiedene Vorträge gehalten; auch Partei-
        freunde haben dieses Thema in den Ländern weiter vo-
        rangetrieben.
        Dabei war und ist unser Ansatz allerdings anders als
        der von Bündnis 90/Die Grünen. Dort heißt es – ich zi-
        tiere aus der Webseite der Bundestagsfraktion von Bünd-
        nis 90/Die Grünen –: „Unser Ziel ist, das Jugendstraf-
        recht den aktuellen Bedürfnissen der Jugendlichen von
        heute anzupassen.“ – Was für ein fundamentales Miss-
        verständnis von Strafrecht – und auch erst recht des Ju-
        gendstrafrechts! Ziel des Jugendstrafrechts ist es doch
        vor allem, erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder
        Heranwachsenden entgegenzuwirken, nicht aber, es den
        Bedürfnissen der Täter anzupassen. Um dieses Ziel zu
        erreichen, sind die Rechtsfolgen und, unter Beachtung
        des elterlichen Erziehungsrechts, auch das Verfahren
        vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.
        Es ist genau diese Kuschelpädagogik, die in dem zi-
        tierten Satz der Grünen so deutlich wird, mit der man
        den jungen Menschen nicht nur nicht hilft, sondern viel-
        mehr – so jedenfalls meine Sorge – kriminelle Karrieren
        erst befördert. Dabei wissen wir, dass gerade bei jungen
        Menschen erzieherische Maßnahmen noch greifen kön-
        nen. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass Erziehung
        nicht zwingend immer den Bedürfnissen der Jugendli-
        chen von heute – und wahrscheinlich auch nicht derer
        von gestern – entspricht. Auch in der Antwort der Bun-
        desregierung heißt es zutreffend: Im Jugendstrafrecht
        geht es nicht zuerst um möglichst große Milde, sondern
        um die bestmögliche und jugendgemäße Vermeidung
        künftiger Straffälligkeit.
        Ich sagte bereits, dass die FDP das Thema seit langem
        besetzt, nicht nur zu Wahlzeiten. Gleichzeitig ist es für
        uns aber auch selbstverständlich, dass wir hierzu auch
        Antworten in unserem beim Bundesparteitag in Hannover
        beschlossenen Deutschlandprogramm zur Bundestags-
        wahl geben: Bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität
        muss das breite Instrumentarium des Jugendstrafrechts
        dazu konsequent angewendet werden. Hierfür ist in erster
        Linie eine bessere Vernetzung von Polizei, Justiz, kom-
        munaler Jugendhilfe, Jugendgerichtshilfe und Schule
        vor Ort notwendig, wie sie beispielsweise durch soge-
        nannte Häuser des Jugendrechts in den Kommunen reali-
        siert werden kann.
        Die FDP ist auch für den Ausbau der pädagogischen
        Reaktionsmöglichkeiten auf Fehlverhalten Jugendlicher
        durch den Warnschussarrest. Auch die Anfang des Jah-
        res vorgestellte Studie des Deutschen Instituts für Wirt-
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        chaftsforschung – DIW – hat nochmals deutlich ge-
        acht, wie wichtig es ist, dass einer Straftat die Strafe
        uf dem Fuße folgt. Ein mögliches Instrument hierfür ist
        erade der Warnschussarrest, für dessen Einführung ich
        ich schon lange stark mache. Ich war deshalb offen ge-
        agt sehr enttäuscht, dass der Bundesregierung hier bei
        en Antworten die Kraft gefehlt hat und man sich nur
        inter dem Koalitionsvertrag versteckt. Eine Große An-
        rage gibt gerade auch die Möglichkeit, über die Tages-
        olitik hinaus zu denken. Dies ist hier leider versäumt
        orden. Für meine Partei steht fest: Der Warnschuss-
        rrest soll neben einer zur Bewährung ausgesetzten Ju-
        endstrafe oder einer Aussetzung der Verhängung der
        ugendstrafe angeordnet werden können und dem Ju-
        endlichen so deutlich machen, dass sein schwerer
        echtsverstoß nicht ohne jede unmittelbare Folge bleibt.
        Gleichzeitig ist für die FDP der Ausbau der Präven-
        ion besonders wichtig. Es ist gut, dass dieser Gedanke
        uch in der Großen Anfrage Raum einnimmt. Die FDP
        ill die Ursachen für die Kinder- und Jugendkriminalität
        ekämpfen und beseitigen. Auch hier ist eine bessere
        ernetzung aller Beteiligten aufseiten der Polizei, Justiz,
        ugendhilfe und Schule, aber auch die Einbeziehung von
        ltern vonnöten. Der zu beobachtenden Verrohung der
        esellschaft insbesondere bei Jugendlichen muss ver-
        tärkt entgegengewirkt werden.
        Der Verhinderung von Gewaltverbrechen durch Be-
        ämpfung der Ursachen von ausufernder Gewalt gilt un-
        er ständiges Augenmerk. Ich habe das Gefühl, dass wir
        n diesem Sinne die Antworten noch genau analysieren
        üssen. Ich bin mir sicher, dass wir bei diesem Thema
        inen gemeinsamen Ansatz finden werden, auch wenn
        ch die Sorge habe, dass sich unsere Bewertung zum
        eispiel der Maikrawalle unterscheidet. Ich finde aber,
        s sollte Demokraten einen, auch von jungen Menschen
        inen Respekt nicht vor der Obrigkeit (!), sehr wohl aber
        or Menschen und demokratischen Institutionen einzu-
        ordern. In diesem Sinne freue ich mich darauf, wenn
        ir das so wichtige Thema in der 17. Wahlperiode ge-
        einsam engagiert vorantreiben.
        Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Jugendstrafrecht im
        1. Jahrhundert, welche Erwartungen, welche Änderun-
        en sind erforderlich, welche Forderungen seitens der
        egierung berechtigt?
        Auch wenn die Bundesregierung in der Antwort auf
        ie Große Anfrage den gegenteiligen Eindruck erwecken
        ill, war eines der wesentlichen Ziele in dieser Legis-
        atur, das Jugendrecht dem Erwachsenenstrafrecht anzu-
        ähern. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für
        eranwachsende geht bei einer notwendigen Verbesse-
        ung des Jugendrechts im Sinne einer weiteren Orientie-
        ung auf Erziehung und Resozialisierung in die völlig
        alsche Richtung.
        Erstaunlich ist schon, dass die Regierung in der Ant-
        ort auf die Große Anfrage feststellt, dass wichtige
        andlungsfelder im Bereich der Jugenddelinquenz eben
        icht die Gesetzgebung, sondern Defizite in der prakti-
        chen Umsetzung betreffen, sei es die Beschleunigung
        on Verfahrensabläufen, bis zur Vollstreckung, ausrei-
        25540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
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        chende personelle und sachliche Ausstattung von Poli-
        zei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichten, ganz zu
        schweigen von der Jugendgerichtshilfe. Allerdings, und
        da wird wieder das Katz-und-Maus-Spiel betrieben, liegt
        dies doch alles dummerweise in der Zuständigkeit der
        Länder.
        Umso erschreckender ist es, dass im Rahmen der Fö-
        deralismusreform auch die Kompetenz zur Regelung des
        Jugendstrafvollzugsrechts auf die Länder übertragen
        wurde. Erst wird die Verantwortung weggeschoben, und
        dann heißt es: „Ja, da können wir ja leider nichts ma-
        chen.“
        Und soweit die Bundesregierung die Verschärfung des
        Jugend(straf)rechts immer wieder zum Wahlkampfthema
        macht – ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die
        extremistischen Parolen eines gewissen Herrn Koch aus
        Hessen erinnern –, widerlegt sie sich selbst, indem sie
        sich auf ein übereinstimmendes Fazit von diversen For-
        schungsergebnissen bezieht, dass die Befürchtung spe-
        zialpräventiv negativer Wirkung in den Fällen, in denen
        härtere Sanktionen durch weniger eingriffsstarke ersetzt
        worden sind, sich nicht bestätigt hat. Für die behauptete
        Überlegenheit härterer Sanktionen gibt es keine empiri-
        sche Basis (Antwort auf Frage 39 der Drucksache). Im
        Gegenteil, die Rückfallquoten bei harten Sanktionen
        sprechen eine ganz andere Sprache.
        Das Problem besteht in dem Zustand der Gesellschaft,
        in den sozial ungerechten Verhältnissen, die delinquen-
        tes Handeln befördern. Vorrangige Probleme sind die
        verfehlte Schul- und Bildungspolitik, die völlig unzurei-
        chende personelle und materielle Ausstattung der Justiz
        und der Bewährungshilfe, der Jugendämter und die feh-
        lenden sozialen Betreuungsangebote für Jugendliche und
        Heranwachsende in den Kommunen. Grund ist die Strei-
        chung von finanziellen Mitteln in allen öffentlichen Be-
        reichen. Es gilt vordringlich, die bestehenden Defizite
        im Bereich Bildung und Kultur, Jugendpolitik und Kom-
        munalpolitik zu beheben. Klammer zwischen diesen
        Problemen, die Ursache der Kriminalität sind, ist die So-
        zialpolitik. Die Mittel für Jugend- und Familienhilfen
        müssen erhöht werden. Die Angebote in der Kinder- und
        Jugendsozialarbeit müssen ausgebaut und für jeden zu-
        gänglich gemacht werden.
        Im Bereich der Strafprävention muss man ansetzen,
        bevor Kinder zu jugendlichen Gewalttätern werden. Das
        bedeutet, Beratungsstellen für Eltern zu schaffen, ein
        Aufwachsen in Kinderarmut und ohne Bildungschancen
        etc. zu verhindern, gute Betreuungsangebote zu schaffen
        für Kinder und Jugendliche und generell alle mit Kin-
        dern und Jugendlichen befassten Stellen miteinander zu
        vernetzen.
        Förderlich ist ein schnelles Strafverfahren. Die schnel-
        leren Verfahren können jedoch nur durch bessere perso-
        nelle – also auch finanzielle – Ausstattung von Gerich-
        ten, Staatsanwaltschaften und der Jugendgerichtshilfe
        gesichert werden. Und hier tragen sowohl CDU/CSU als
        auch die SPD langjährige (Landes-)Verantwortung. Es
        müssen jeweils spezialisierte Staatsanwälte und Richter/
        -innen im gesamten Verfahren auftreten. Aber auch der
        Vollzug muss gestärkt, also finanziell gefördert werden.
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        mmerhin erkennt die Bundesregierung, dass wirkungs-
        olle ambulante Maßnahmen einen erheblichen Zeitauf-
        and erfordern, drückt die Zuständigkeit aber in die
        änder ab, in der Hoffnung, dort werde dies berücksich-
        igt, wobei Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass nach
        er Personalbedarfsberechnung „PEBB§Y“ gerade im
        ustizbereich Stellen gestrichen wurden, ohne auf diese
        berlegungen einzugehen.
        Wichtig sind auch Ursachenforschung und die Ausar-
        eitung neuer Konzepte für eine verbesserte Zusammen-
        rbeit aller Stellen und für neue pädagogische Projekte.
        ier sind die Baustellen, an denen bei einem guten Ju-
        endrecht des 21. Jahrhunderts zu arbeiten ist. Mit härte-
        en Sanktionen und Wahlkampfgetöse ist keinem ge-
        ient.
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf
        aum einem Politikfeld – außer vielleicht in der Auslän-
        er- und Flüchtlingspolitik – wird in der politischen De-
        atte so viel populistischer Schindluder getrieben wie
        uf dem Feld des Jugendstrafrechts. Wir haben im hes-
        ischen Landtagswahlkampf 2008 gesehen, wie Roland
        och sich nicht scheute, einen sicherlich schlimmen
        orfall auf unsägliche Art und Weise für sich auszu-
        chlachten. Und wieder einmal folgten die altbekannten
        erschärfungsforderungen von der Herabsetzung des
        trafmündigkeitsalters über die Heraufsetzung der
        öchststrafen bis zur generellen Anwendung des Er-
        achsenenstrafrechts auf Heranwachsende.
        Wir Grüne haben uns dadurch in unseren Vorarbeiten
        u der Großen Anfrage nur bestärkt gesehen und haben
        ie Koch-Kampagne zum Anlass genommen, deutlich
        Halt! So nicht!“ zu sagen. Auch wenn es nicht schlag-
        eilenträchtig ist: Wir wollen eine sachliche Bestands-
        ufnahme und eine möglichst breite Datengrundlage für
        ine rationale Kriminalitätspolitik, gerade für straffällig
        ewordene Jugendliche und junge Erwachsene.
        Die weit reichende Reform des JGG im Jahre 1990
        ar ein Einschnitt. Aber auch danach ging die Debatte
        m das Jugendstrafrecht weiter. Jenseits der kontrapro-
        uktiven und in der Sache nicht begründeten Verschär-
        ungsforderungen gibt es zukunftsweisende Konzepte
        ur Weiterentwicklung des Jugendstrafrechts. Es ist Zeit,
        iese Debatten zu bündeln und gesetzgeberisch zu nut-
        en. Im Februar 2008 haben wir daher unsere Große An-
        rage zum Jugendstrafrecht im 21. Jahrhundert einge-
        eicht, Ende Mai 2009 haben wir die Antwort der
        undesregierung erhalten. Je länger die Beantwortung
        ebraucht hat, desto mehr hofften wir, dass sie gehaltvoll
        ein würde. Gemessen an unseren Erwartungen ist die
        ntwort allerdings höchstens durchwachsen.
        Ich will dennoch ausdrücklich den Dank an die Bun-
        esregierung, an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
        m Bundesjustizministerium und die vielen weiteren be-
        eiligten Stellen voranstellen. Die Bearbeitung der um-
        assenden Fragestellung bedeutete einen erheblichen
        eit- und Arbeitsaufwand, das ist uns bewusst.
        Aber nun zum Inhalt. Auch als Opposition scheuen
        ir uns nicht, das Positive anzuerkennen. Die Bundes-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25541
        (A) )
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        regierung lehnt mit klaren Worten – bis auf das allge-
        meine Fahrverbot – alle konservativen Verschärfungs-
        vorschläge ab. Das begrüßen wir. Wir hoffen sehr, dass
        das angesichts des nahenden Endes der Legislaturpe-
        riode nicht wohlfeil gesprochen war und auch für die
        nächste Bundesregierung – wie auch immer sie zusam-
        mengesetzt sein möge – gelten wird.
        Was aber fehlt, ist ein Konzept und eine Vision für ein
        reformiertes, modernes Jugendstrafrecht des 21. Jahr-
        hunderts, das wir nicht nur im Titel unserer Anfrage ein-
        gefordert haben. Es ist enttäuschend, dass sich die Bun-
        desregierung um klare Aussagen zur Ausweitung und
        Stärkung des Jugendstrafrechts drückt, obwohl es hierzu
        seit Jahrzehnten konkrete Vorschläge gibt. Ich kann nur
        einige herausgreifen.
        Vorab wollen wir aber mit einem Vorurteil aufräu-
        men, das eine ängstliche Debatte prägt und den Konser-
        vativen Munition liefert: Das Jugendstrafrecht ist nicht
        milder als das Erwachsenenstrafrecht, es fasst die Ju-
        gendlichen und jungen Erwachsenen nicht mit Samt-
        handschuhen an. Das Jugendstrafrecht ist anders, weil es
        vorrangig nicht ahndet und sühnt, sondern anleitet, führt
        und gestaltet: Es erzieht! Vieles spricht dafür, in Zukunft
        die flexiblen Maßnahmen des Jugendstrafrechts auch auf
        Menschen bis zum 25. Lebensjahr anzuwenden. Die Ent-
        wicklung der Kriminalitätsbelastung im Altersverlauf ist
        dabei ein zwingendes Argument. Vieles spricht dafür,
        das Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden nicht selte-
        ner, sondern häufiger anzuwenden. Vieles spricht auch
        dafür, Jugendgerichten mehr Möglichkeiten der Hilfe-
        stellung, der Begleitung, der Lenkung von straffällig ge-
        wordenen Jugendlichen an die Hand zu geben, bevor sie
        zu ahndenden Maßnahmen greifen müssen.
        Auf der anderen Seite muss das Jugendstrafrecht auf
        Unbrauchbares und Überlebtes verzichten. Vieles spricht
        dafür, den Arrest zu verändern, zu beschränken, viel-
        leicht sogar auf ihn zu verzichten. Besser wäre es sicher,
        soziale Trainingskurse nicht nur als ambulante, sondern
        auch als stationäre Maßnahme im Jugendstrafrecht vor-
        zusehen. Vieles spricht außerdem dafür, überholte Be-
        griffe, hinter denen sich überholtes Denken verbirgt, aus
        dem Jugendstrafrecht zu streichen – ich denke dabei an
        „Zuchtmittel“ und „schädliche Neigungen“.
        Jede rationale Kriminalitätspolitik, besonders bei Ju-
        gendlichen und jungen Erwachsenen, erfordert eine em-
        pirische Grundlage. Man muss das Feld kennen, das man
        bestellen will. Damit steht es – um es mal sehr vorsichtig
        auszudrücken – nicht zum Besten. Am häufigsten be-
        ginnt die Bundesregierung ihre Antworten mit dem Satz:
        „Gesicherte Erkenntnisse liegen nicht vor.“ Das ist keine
        Zustandsbeschreibung, das ist eine Mangelbeschreibung.
        Und so verwundert es nicht, dass zum Beispiel nicht be-
        kannt ist, ob jugendliche Gewaltkriminalität häufiger
        und schwerer geworden ist oder ob sie nur öfter ange-
        zeigt und anders wahrgenommen wird. Die viel zu weni-
        gen – auch von der Bundesregierung selbst referierten –
        Studien zum Dunkelfeld und sogenannte Wiederholungs-
        befragungen zeigen eher eine Abnahme kriminellen Ver-
        haltens Jugendlicher, und auch die Ergebnisse der neues-
        ten Kriminalstatistik geben entsprechende Hinweise. So
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        iel zu den Grundlagen einer rationalen Kriminalitäts-
        olitik.
        Dabei ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung
        es Bundesverfassungsgerichts und damit sozusagen
        on Verfassungswegen zum theoriegeleiteten und er-
        enntnisbasierten Wissenszuwachs verpflichtet. Der Ge-
        etzgeber muss für sich selbst und für die Gesetzes-
        nwender sichern, aus der Anwendung und Wirkung der
        estehenden Normen des Jugendstrafrechts lernen zu
        önnen. Das geschieht am besten durch Datenerhebun-
        en, die wissenschaftlicher und politischer Erkenntnis-
        ewinnung dienen, zur Suche nach besten Lösungen an-
        pornen und eine demokratische Verantwortung für die
        n allen jugendgerichtlichen Maßnahmen innewohnen-
        en Grundrechtseingriffe geltend zu machen erlauben.
        o weit das Bundesverfassungsgericht.
        Wir stellen also die im Übrigen nicht neue Forderung,
        ie Eingriffselemente des Jugendstrafrechts endlich wis-
        enschaftlich zu begleiten und in ihrer Wirksamkeit zu
        ewerten. Wir können erst dann zufrieden sein, wenn die
        undesregierung bei der nächsten Anfrage zum Jugend-
        trafrecht ihrer Antwort die Bemerkung voranstellen
        ann: „Hierzu liegen ausführliche und aussagekräftige
        ntersuchungen vor.“ Unsere Anfrage beinhaltet – ge-
        ade vor dem Hintergrund der Antwort der Bundesregie-
        ung – ein Arbeitsprogramm: Die Politik muss die Prä-
        ention stärken, gerade bei Jugendlichen und jungen
        rwachsenen. Hier zahlt sich jede Investition mehrfach
        us. Es braucht Konzepte, aber auch finanzielle Mittel
        nd den Willen zur Vorsorge statt zur Nachsorge bei de-
        inquenten Jugendlichen.
        Wir wollen das Jugendstrafrecht stärken und aus-
        auen, sowohl in seinem Anwendungsbereich als auch
        ei der notwendigen Qualifizierung aller, die professio-
        ell mit delinquenten Jugendlichen arbeiten müssen. Die
        eform des Jugendstrafrechts gehört im nächsten Bun-
        estag ganz oben auf die Agenda der Rechtspolitik.
        Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Die-
        es Haus hat sich in einer Aktuellen Stunde im Januar
        008 das letzte Mal ausführlich damit beschäftigt, wie
        er sachgerechte Umgang mit Jugendkriminalität und
        it jungen Straftätern aussehen sollte. Damals standen
        ine aufgeregte öffentliche Diskussion und teilweise popu-
        stische Forderungen nach Verschärfungen des Jugend-
        trafrechts im Hintergrund. Die schrecklichen Bilder ei-
        er einzelnen Tat waren in Hessen Anlass, dieses Thema
        ls scheinbar besonders zugkräftiges Wahlkampfthema
        u instrumentalisieren.
        Es freut mich, dass dem damals nicht nur die Fach-
        eute nahezu einhellig entgegengetreten sind. Auch die
        undesregierung ist bei ihrer Linie einer rationalen Kri-
        inalpolitik geblieben, die gerade im Bereich des Jugend-
        trafrechts nach einer sorgfältigen Beachtung empirischer
        nd kriminologischer Erkenntnisse und Bewertungen
        erlangt und die nicht populistischen Verlockungen und
        lltagstheorien folgen darf. Denn mit vorschnellen Ge-
        etzesänderungen ist weder einer besseren Eingliederung
        unger Straffälliger gedient noch dem Schutz der Allge-
        einheit. Ein heranwachsender Straftäter würde durch
        25542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        eine Geldstrafe, die er nach dem Erwachsenenstrafrecht
        in den meisten Fällen erhielte, kaum besser auf den
        richtigen Weg zu bringen sein als mit einem sozialen
        Trainingskurs, Anti-Aggressivitäts-Training, Wiedergut-
        machungsleistungen oder gemeinnütziger Arbeit. Das
        geltende Jugendstrafrecht bietet viele Möglichkeiten, um
        flexibel und dem Entwicklungsstand angemessen reagie-
        ren zu können. Bei schwerwiegenden Straftaten ermög-
        licht auch das Jugendstrafrecht mehrjährigen Freiheits-
        entzug in Form der Jugendstrafe.
        Und: Populäre Forderungen nach gesetzlichen Ver-
        schärfungen sind schnell und einfach erhoben. Sie ver-
        stellen aber den Blick auf das, was eigentlich getan wer-
        den muss. Das beste gesetzliche Instrumentarium nützt
        nichts, wenn es in der Praxis nicht konsequent umgesetzt
        werden kann, weil die geeigneten sogenannten ambulan-
        ten Maßnahmen nicht flächendeckend angeboten werden
        oder weil Verfahren nicht zügig genug durchgeführt wer-
        den können, weil Jugendhilfe, Polizei und Justiz perso-
        nell und sachlich nicht ausreichend ausgestattet sind,
        oder weil die professionellen Handlungsträger nicht ge-
        nügend für die speziellen Anforderungen des Umgangs
        mit delinquenten jungen Menschen qualifiziert sind oder
        weil schon in der Prävention – sprich: Jugendarbeit –
        nicht genug gemacht wird. Hier ist aber nicht der Bun-
        desgesetzgeber gefordert – denn der hat keine Kompe-
        tenz –, sondern die Länder und Kommunen müssen sol-
        che Defizite beheben.
        Die vorliegende Große Anfrage legt den Finger in
        manche Wunde, die in diesem Bereich bestehen kann.
        Sie verdeutlicht aber auch die Notwendigkeit für empiri-
        sche Erkenntnisse, um gesetzliche Änderungen rechtfer-
        tigen zu können. Nicht zu jeder Frage können Statistiken
        geführt werden oder eigene Forschungen betrieben wer-
        den. Dies erlaubt aber nicht, unzureichende empirische
        Erkenntnisse durch alltagstheoretische Vorstellungen zu
        ersetzen.
        Die Große Anfrage wurde der Bundeskanzlerin zwei
        Tage nach der Aktuellen Stunde im Januar 2008 über-
        sandt. Sie sollte offenbar in der damaligen Diskussion
        auch einen Anstoß für mehr Rationalität darstellen. So
        hat sie auch die Bundesregierung verstanden und einen
        dieser in der Tat „Großen“ Anfrage entsprechenden
        „großen“ Aufwand betrieben, um sie so gut wie möglich
        zu beantworten. Wir haben dies unter Beteiligung vieler
        Stellen, auch in den Ländern, getan. Wir haben alle vor-
        handenen und erreichbaren Erkenntnisse genutzt und
        trotz der in einer Großen Koalition unvermeidbaren Mei-
        nungsunterschiede eine solide Antwort erstellt.
        Auch wenn wir eine umfassende Reform des Jugend-
        kriminalrechts, für die die Fragesteller plädieren, gegen-
        wärtig nicht für geboten halten – dies wird in der Vorbe-
        merkung zu der Antwort erklärt – bin ich überzeugt, dass
        die Große Anfrage und ihre Beantwortung durch die
        Bundesregierung einen wichtigen Beitrag für die weitere
        Versachlichung der Diskussion zum Jugendkriminalrecht
        liefern.
        Trotz aus meiner Sicht fehlendem gesetzlichen Re-
        formbedarf sind Besorgnisse der Bürgerinnen und Bür-
        ger ernst zu nehmen und eventuell problematische Ent-
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        icklungen im Bereich der Jugendkriminalität auf den
        rüfstand zu stellen. Das hat das Bundesministerium der
        ustiz zum Beispiel in einem dreitägigen wissenschaftli-
        hen Symposium gemeinsam mit der Universität Jena im
        ergangenen September getan, dessen Ergebnisse dem-
        ächst in einem Tagungsband veröffentlicht werden.
        uch verschiedene Kommissionen und Arbeitsgruppen
        um sachgerechten Umgang mit Jugendkriminalität, teil-
        eise in einzelnen Bundesländern, haben eine ganze
        eihe überzeugender Handlungsempfehlungen vorge-
        egt – ganz überwiegend nicht an den Gesetzgeber ge-
        ichtet. Diese dürfen nach der wertvollen Arbeit nicht in
        er Schublade verschwinden. Auf bundespolitischer
        bene sollten wir unsere Energie deshalb auch darauf
        ichten, wie wir Unterstützung bei der Umsetzung Erfolg
        ersprechender Ansätze und der Überprüfung ihrer
        irksamkeit leisten können.
        nlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Programm „Stadtumbau Ost“ – Fort-
        setzung eines Erfolgsprogramms (Tagesord-
        nungspunkt 62)
        Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Sicherer, bezahl-
        arer Wohnraum gehört in Deutschland zur Selbstver-
        tändlichkeit – genauso, wie niemand hungern oder frie-
        en muss. Viele denken, das geht im Selbstlauf! Aber
        ein, es bedarf immer wieder enormer Anstrengungen
        ller Beteiligten, um den Anschluss nicht zu verlieren.
        ie schnell das passieren kann, hat man augenscheinlich
        n den DDR-Innenstädten gesehen.
        Dabei ist es Ausdruck unserer freiheitlichen demokrati-
        chen Grundordnung, dass auch die Wohnungswirtschaft
        en Bedürfnissen der Menschen folgt, die gesellschaftli-
        hen Veränderungen nachvollzieht und die wirtschaftli-
        he Entwicklung beachtet. Die Wohnungswirtschaft
        olgt hier den Bedürfnissen der Menschen und nicht um-
        ekehrt. Der Wohnungsmarkt und die soziale Marktwirt-
        chaft heißen: attraktiver, bezahlbarer Wohnraum in ei-
        em positiven sozialen Umfeld. Das zu erhalten ist ein
        nspruchsvolles Ziel.
        Deswegen ist unsere ständige politische Verantwor-
        ung als Bau- und Stadtentwicklungspolitiker, alle
        arktteilnehmer in der Wohnungswirtschaft zu unter-
        tützen. Die nachhaltigste Wohnform für die Menschen
        ind die eigenen vier Wände. Das eigene Zuhause heißt:
        igenverantwortung, Geborgenheit, Sicherheit in allen
        ebensphasen, Sparsamkeit mit allen Ressourcen und
        nergie, Generationenvertrag, Werthaltigkeit und Hei-
        atverbundenheit. Aber das eigene Zuhause ist nicht
        mmer möglich. Von Eigentumsquoten wie in China von
        5 Prozent können wir nur träumen. Die kommunale, ge-
        einnützige und private Wohnungswirtschaft hat enor-
        es für ein attraktives, soziales und bezahlbares Wohn-
        mfeld in Deutschland geleistet, gerade mit Blick auf die
        ewaltigen Verwerfungen in den Jahren nach der Wie-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25543
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        dervereinigung unseres Vaterlandes. Ein Dank an alle
        Akteure an dieser Stelle ist durchaus angebracht.
        Die verfehlte DDR-Wohnungspolitik hatte zum
        Schluss nur noch ein Motto: „Jedem eine Wohnung (nicht
        jedem seine Wohnung), Hauptsache trocken, warm, ver-
        schließbar“. Die historischen Innenstädte ließ man ver-
        fallen, und die Plattenbauten wurden lieblos in schlech-
        ter Qualität hochgezogen. Die Folge: eine enorme
        Wegzugswelle nach der Wende und Leerstand, der die
        Wirtschaftlichkeit der Unternehmen existenziell be-
        drohte.
        Mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ ist es gelun-
        gen, das Problem in den Griff zu bekommen. Das Pro-
        gramm läuft in diesem Jahr aus. Aber die demografische
        Entwicklung hat noch nicht die Talsohle erreicht und be-
        trifft auch Teile der westdeutschen Bundesländer. Das
        Ziel unseres Antrages ist ganz klar: Weiterführung die-
        ses bewährten Programms bis 2016. Wir als Union wer-
        den weiter darüber nachdenken, die beiden Programme
        Stadtumbau Ost und West dann zusammenzuführen.
        Aber zurzeit hat der demografische Wandel in den ost-
        deutschen Bundesländern eine andere Dimension. Ob-
        wohl dank des Programms mit circa 2,5 Milliarden Euro
        aus Bund, Ländern und Kommunen allein bis 2007
        220 000 Wohnungen abgerissen wurden, werden bis
        2016 weitere 250 000 folgen müssen. Es fehlen die
        Geburten der 90iger-Jahre, die in den nächsten Jahren,
        mit Anfang 20, auf Wohnungssuche gehen würden. Die
        26-köpfige Lenkungsgruppe und die beteiligten Institute
        haben gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft hervorra-
        gende Vorarbeit für unsere politische Entscheidungsfin-
        dung geleistet. Der als „lernendes Programm“ angelegte
        Stadtumbau Ost muss seine Schwerpunkte für die nächs-
        ten Jahre anpassen. Unsere Aufmerksamkeit gilt mehr
        als bisher den Innenstädten, der technischen Infrastruk-
        tur und dem sozialen Umfeld.
        Die Platte ist besser als ihr Ruf in Ost und West. Des-
        halb soll das Programm flexibler werden. Die Quote
        50 Prozent Abriss und 50 Prozent Aufwertung soll regio-
        nalspezifisch verändert werden können. Die Verteilung
        der Mittel soll mehr als bisher die Bevölkerungsentwick-
        lung berücksichtigen. Der regionale Bezug der Stadt-
        umbauziele sollte sich in überörtlichen Kooperationen
        wiederfinden. Die regionalen Entwicklungskonzepte
        werden an Bedeutung gewinnen. Ein besonderes Pro-
        blem stellen die innerstädtischen Altbauquartiere dar.
        Sie sind geprägt durch kleinteilige Eigentümerstruktu-
        ren. Gerade das ist es, was die Urbanität eines Stadtker-
        nes ausmacht, für Lebendigkeit, Abwechslung und Un-
        verwechselbarkeit einer Stadt sorgt. Die Einbeziehung
        aller Beteiligten bedarf unserer besonderen Aufmerk-
        samkeit. Die Betroffenen sind umfassend zu informie-
        ren. Die besonderen Bedürfnisse der Bewohner, Eigen-
        tümer und Gewerbetreibenden sind zu beachten. Dafür
        ist die Verbindlichkeit der Stadtentwicklungskonzepte zu
        stärken. Grundstückseigentümer und Versorger brauchen
        Planungssicherheit. Die Fortschreibung der integrierten
        Stadtentwicklungskonzepte sorgt für Kontinuität im Pro-
        grammzeitraum bis 2016.
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        Wir wollen in den folgenden sieben Jahren fast 2 Mil-
        iarden Euro für das Programm bereitstellen. Mehr
        lexibilität, Ausweitung auf die Innenstädte und die In-
        rastruktur sowie die bessere Verzahnung mit anderen
        rogrammen machen einen zügigen Mittelabfluss mög-
        ich. Wir müssen uns aber noch mal die Altschuldenhilfe
        ornehmen. Ohne eine flankierende Regelung sind viele
        nternehmen nicht in der Lage, sich an dem Programm
        u beteiligen. Wir sollten gemeinsam mit unseren Kolle-
        en über eine abschließende Regelung nachdenken, die
        en ostdeutschen Wohnungsunternehmen Planungs-
        icherheit ermöglicht. Anders sehen die Probleme bei
        en privaten Wohnungseigentümern, besonders in den
        rhaltungswürdigen Innenstadtquartieren, aus. Entwe-
        er das Kapital fehlt oder schlicht der Anreiz, es einzu-
        etzen. Neben den bereits gängigen Möglichkeiten der
        igenkapitalstärkung müssen wir aus meiner Sicht über
        ie Investitionszulage nachdenken. Ähnlich geht es den
        ersorgern. Unabhängig von den Problemen der Dimen-
        ionen ihrer Netze und ihrer weiteren Nutzung entstehen
        hnen Kosten für den Rückbau. Hier kann geholfen wer-
        en. Sie bleiben aber auf den Abschreibungskosten sit-
        en. Eine Lösung gemeinsam mit den Ländern für eine
        eilwertabschreibung hilft letztendlich, die Gebühren für
        ie Verbraucher zu stabilisieren. So wie bisher hängt der
        rfolg des Programms maßgeblich von der guten Zu-
        ammenarbeit aller Beteiligten in Bund, Ländern, Kom-
        unen und der Wohnungswirtschaft ab.
        Das Programm soll weiter lernen. Deshalb soll 2012
        in Zwischenbericht erstellt werden. 2015 wollen wir
        uf das bewährte Mittel der Evaluierung zurückgreifen
        it dem Ziel, dass wir dann nach 2016 den spezifischen
        egionalen Gegebenheiten im Norden, Osten, Süden und
        esten Deutschlands folgen können. Die Chancen ste-
        en gut. Die Diskussionen der letzten Monate brachte
        iel Übereinstimmung über alle Fraktionen. Dieses
        hema taugt nicht für Ideologie. Die Haushaltsdiskus-
        ion ruft und wir Fachpolitiker liegen doch wirklich
        icht weit auseinander.
        Deshalb bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung
        um Antrag.
        Ernst Kranz (SPD): An dieser Stelle muss ich zu-
        llererst die der Bedeutung des Programms Stadtumbau
        st und dessen Erfolg unangemessene Etablierung und
        iskussion im Rahmen des Ausschusses für Verkehr,
        au und Stadtentwicklung und im Plenum des Deut-
        chen Bundestages ansprechen. Schon zur Einbringung
        es Antrags zur ersten Lesung in den Deutschen Bundes-
        ag zu später Nachtzeit konnten die Reden nur zu Proto-
        oll gegeben werden. Im Ausschuss fand eine ausführli-
        he Diskussion nicht statt, weil man sich bei der ersten
        ufsetzung zu einer kaum notwendigen Anhörung ver-
        tändigen musste. Auch in der Ausschussrunde nach der
        nhörung war von Anfang an der Tagesordnungspunkt
        hne Diskussion vorgesehen. Nur auf Drängen der Be-
        ichterstatter der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die
        rünen und Linken wurde zum Thema gesprochen, und
        etztendlich kann der Termin der Ansetzung der zweiten
        esung am sehr späten Freitagnachmittag auch nur als
        nzeit bezeichnet werden.
        25544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
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        In der zu Protokoll gegebenen Rede zur ersten Lesung
        habe ich mich schwerpunktmäßig mit den guten Ergeb-
        nissen des erfolgreichen Programms Stadtumbau Ost in
        seiner Laufzeit 2002 bis 2009 beschäftigt, wie sie auch
        durch die Evaluierung bestätigt wurden. Ebenfalls einge-
        gangen bin ich auf die Notwendigkeit und die Ziele der
        Fortsetzung des Programms. Deshalb möchte ich jetzt
        schwerpunktmäßig auf einen zentralen Baustein für die
        Stadtentwicklung und die Voraussetzung zur Beteiligung
        am Programm Stadtumbau Ost, das Stadtentwicklungs-
        konzept, eingehen.
        Das Stadtentwicklungskonzept war Voraussetzung
        und Hauptgegenstand der Antragstellung zur Aufnahme
        in das Stadtumbauprogramm Ost in 2002. Aus meiner
        damaligen Zeit als Bürgermeister ist es mir bestens be-
        kannt und ich empfand es damals schon als eine der ge-
        lungensten Fördermaßnahmen, die Erstellung der Stadt-
        entwicklungskonzepte, nämlich das Beschäftigen mit
        der und Nachdenken über die eigene Zukunft, zu för-
        dern, und das zu 100 Prozent. Die Stadtentwicklungs-
        konzepte sollten alle Belange, die für die Kommunal-
        und Stadtentwicklung relevant sind, enthalten.
        Inzwischen ist es fünf Jahre her, dass wir den Stadt-
        umbau im Baugesetzbuch verankert haben. In den
        §§ 171 a bis d wird geregelt, welche Stadtentwicklungs-
        ziele mit den Stadtumbaumaßnahmen erreicht werden
        sollen, also wie sich die Umbaumaßnahmen in die städ-
        tebauliche Entwicklung einzugliedern haben.
        Das Konzept muss räumlich und sachlich all jene As-
        pekte umfassen, die für die Stadtumbaumaßnahme im
        Fördergebiet sowie für das übrige Stadtgebiet und die
        Stadtentwicklung insgesamt bedeutsam sind. Weiter
        heißt es, das städtebauliche Entwicklungskonzept ist un-
        ter Beteiligung aller Betroffenen und öffentlichen Auf-
        gabenträger, insbesondere der Wohnungseigentümer so-
        wie der Ver- und Entsorgungsunternehmen und, soweit
        sachlich geboten, mit den Umlandgemeinden abzustim-
        men. Darüber hinaus halte ich es aber auch für erforder-
        lich, die sozialen und kulturellen Einrichtungen, aber
        auch die Versorger und Dienstleister mit einzubeziehen.
        Es gab in 2002 auch ein Begleitprogramm „Stadt-
        umbau – nicht ohne uns“. Hier konnten in Zusammen-
        arbeit mit dem Kinderschutzbund die Kinder und Ju-
        gendlichen ihre Belange in den Stadtumbauprozess ein-
        bringen.
        Zusammenfassend kann gesagt werden, ein Stadtent-
        wicklungskonzept soll einen Orientierungsrahmen für
        die längerfristige Entwicklung einer Stadt geben. Ich
        meine, das integrierte Stadtentwicklungskonzept kann,
        wenn es wirklich ernsthaft und sachkundig erstellt wird,
        die Grundlage eines komplexen unbürokratischen Zu-
        sammenwirkens unterschiedlicher Fördertöpfe werden.
        Deshalb müssen wir die Verbindlichkeit der Stadtent-
        wicklungskonzepte weiter stärken. Denn es geht darum,
        allen beteiligten Akteuren mehr Planungssicherheit zu
        verschaffen.
        Darüber hinaus halte ich es aber auch für erforderlich,
        künftig stärker die umliegenden Gemeinden (Regionen)
        mit einzubeziehen. Die regionale Zusammenarbeit ist
        angesagt. Kommunen sollten nicht gegeneinander um
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        ördermittel werben, sondern miteinander. Deshalb bin
        ch dafür, dass Stadtentwicklungskonzepte zu Regional-
        ntwicklungskonzepten aufgewertet und die Belange
        ehrerer in der Region wirkender Kommunen zusam-
        engefasst werden.
        Zum Beispiel bei der sozialen und technischen Infra-
        truktur haben wir meistens Wirkungsbereiche, die über
        ie einzelne Stadt und Gemeinde hinausgehen. Die För-
        erprogramme des Bundes haben meistens auch einen
        inanzierungsanteil durch die Länder und weiterhin
        üssen die Antragsteller einen eigenen Anteil aufbrin-
        en. Also haben wir hier eine Finanzierung auf allen drei
        benen (Bund, Land und Kommune). Im Zusammen-
        piel der verschiedenen Förderebenen und verschiedens-
        er Förderprogramme auf der Grundlage von integrierten
        tadtentwicklungs- bzw. Regionalentwicklungskonzep-
        en sparen wir Bürokratie ein und erhöhen aber zum an-
        eren die Effektivität der Förderprogramme durch eine
        essere Verzahnung. Und nicht zuletzt wird die kommu-
        ale Selbstverwaltung durch die direkte Antragstellung
        urch die Kommunen gestärkt.
        Aber auch ein zweiter Effekt ist mit einer starken Ver-
        nüpfung der Sachkunde vor Ort verbunden. Es können
        irklich regionale Unterschiede in der Antragstellung
        nd Bezuschussung berücksichtigt werden bzw. die kon-
        rete Vor-Ort-Situation der jeweiligen Stadt, Gemeinde
        der Region kann entsprechend der Variabilität des Pro-
        ramms berücksichtigt und somit auch ein möglichst ef-
        ektiver Fördermitteleinsatz gewährleistet werden.
        Zum Schluss als Resümee: Stadt- bzw. Regionalent-
        icklungskonzepte können für verschiedenste Förder-
        rogramme eine gute integrierte Grundlage bilden und
        amit zur wirksameren, aber auch sparsameren Verwen-
        ung der Fördermittel beitragen. Der vorliegende Antrag
        ur Fortsetzung des Programms Stadtumbau Ost soll aus
        icht des Deutschen Bundestags den Rahmen bilden für
        ie Fortsetzung des Programms. Er zeigt die Richtung
        uf, in die das künftige Programm Stadtumbau Ost ge-
        en soll, und das Repertoire, das möglichst zeitnah und
        ezogen auf einzelne Regionen ausgeschöpft werden
        ollte. Die vorliegenden Stellungnahmen der Wohnungs-
        erbände und die Äußerungen innerhalb der Anhörung
        aren durchweg positiv und der weiteren Entwicklung
        es Programms förderlich. Nicht zuletzt zeigt auch die
        instimmige Abstimmung aller Fraktionen in der Aus-
        chusssitzung eine positive Übereinstimmung im Anlie-
        en des Antrags zur Fortführung des Stadtumbaus Ost.
        Joachim Günther (Plauen) (FDP): Das Programm
        tadtumbau Ost zählt zu den wenigen Programmen, die
        ich über Jahre hinweg positiv weiterentwickelt haben.
        und, Länder und Kommunen haben von 2002 bis 2009
        ,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das Pro-
        ramm begann dabei mit dem Schwerpunkt der Beseiti-
        ung des spezifischen Wohnungsleerstandes in den
        euen Bundesländern und integriert immer mehr die Sa-
        ierung und den Umbau der Innenstädte.
        Bis Ende letzten Jahres sind mit diesem Programm
        ast 250 000 Wohnungen abgerissen worden, und an vie-
        en Stellen ist auch die Entwicklung in den Innenstädten
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25545
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        deutlich sichtbar. Somit ist auch vom anfänglich reinen
        wohnungswirtschaftlichen Programm hin zur Stadtent-
        wicklung ein wichtiger Schritt gelungen.
        Rein wohnungspolitisch gesehen war es leider kein
        großer Schritt. Über 1 Million leerstehende Wohnungen
        in den neuen Bundesländern belasten nach wie vor den
        Wohnungsmarkt. Es ist zu befürchten, dass bei nachlas-
        sendem Abriss die Leerstandszahlen nicht zurückgehen
        und es somit in vielen Gebieten zu keinem gesunden Im-
        mobilienmarkt kommen kann, eine Tatsache, die inzwi-
        schen auch auf einige Teile in den alten Bundesländern
        zutrifft und damit schrittweise zu einem gesamtdeut-
        schen Problem wird.
        Nach gegenwärtigen Schätzungen müssen bis 2015
        nochmals 300 000 Wohnungen vom Markt genommen
        werden. Dass dies keine leichte Aufgabe ist und viele
        Ecken und Kanten birgt, hat die Anhörung der Sachver-
        ständigen im Ausschuss verdeutlicht. Hier wurde auch
        klar, dass es zwischen verschiedenen Verbänden und In-
        stituten zum Teil unterschiedliche Auffassungen über die
        Herangehensweise einzelner Elemente gibt.
        Ich möchte hierfür nur zwei bis drei Beispiele anfü-
        gen, damit keine kleinkarierte Diskussion aufkommt.
        Da wäre das Beispiel der Altschulden von kommuna-
        len Unternehmen und Genossenschaften. Obwohl die
        vor Jahren prophezeiten Pleiten durch die Altschulden
        nicht erfolgt sind, sind diese doch ein Hemmschuh bei
        der Entwicklung und Entscheidungsfreude in manchen
        Unternehmen. Die Wohnungsunternehmen benötigten
        über die Rückbauzuschüsse hinaus die Entlastung von
        den Altschulden für alle von ihnen abgerissenen Woh-
        nungen, so Lutz Freitag vom GdW. Ohne eine weitere
        Altschuldenentlastung könnten die Unternehmen sich
        nicht oder nur noch in seltenen Ausnahmefällen am
        Stadtumbau beteiligen, auch weil die Banken aufgrund
        fehlender Umschuldungsmöglichkeiten ihre Zustim-
        mung zum Abriss verweigern würden. Die Folge wäre,
        dass das neue Stadtumbauprogramm seine Wirkung
        nicht entfalten könnte und ganze Wohnquartiere baulich
        und sozial erodieren würden. Selbst bei der Richtigkeit
        der Darstellung des GdW darf man nicht verkennen,
        dass vor allem „Haus und Grund“ deutliche Bedenken
        gegen eine weitere Übernahme von Altschulden durch
        den Staat geäußert haben. Sie sehen hiermit die Chan-
        cengleichheit der privaten Vermieter gefährdet.
        Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Kernstädte.
        Der BFW hat deutlich gemacht, dass der demografische
        Wandel keine Gießkannenförderung zulässt. Der Rück-
        bau der Neubaugebiete habe nicht zur Stärkung der In-
        nenstädte beigetragen, sondern diese Plattenbausiedlun-
        gen stabilisiert und letztendlich der Kernstadt geschadet.
        Ein Abriss im Plattenbaugebiet stabilisiert ausschließlich
        dieses Gebiet. Es werden Wohnungen vom Markt ge-
        nommen, die nie mehr gebraucht werden, mehr nicht.
        Mieter werden gegebenenfalls im eigenen Bestand um-
        gesetzt.
        Der kommende Bevölkerungsrückgang zwingt zur
        konsequenten Konzentration auf die Kernstadt. Die Be-
        wahrung des baukulturellen Erbes ist nur durch be-
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        ohnte und genutzte Baudenkmale möglich. Wo eine
        ktuelle Nutzung nicht mehr möglich ist, muss es hei-
        en: Sichern vor Abriss. Gerade bei einer stärkeren Kon-
        entration auf die Kernstädte muss der Anreiz für private
        ausbesitzer deutlich ausgebaut werden. Viele kleine
        esitzer, vor allem von Einzelobjekten, erzielen mit den
        ieteinnahmen nicht einmal mehr die Unkosten, noch
        eniger einen Gewinn für eventuelle Werterhaltung. Es
        ird eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft sein,
        iese Gruppe besser in dieses Programm zu integrieren.
        Ein Vorschlag wäre ideal gewesen. Statt die Ver-
        chrottungsprämie für alte Pkws zu verschleudern, hätte
        an die 5 Milliarden Euro besser in die Städtebauförde-
        ung investiert. Tausende von Arbeitsplätzen wären neu
        ntstanden und bleibender Wert geschaffen worden.
        ber einige Korrekturen können wir ja nach der Wahl
        urchführen. Ich hoffe, Sie machen dann alle mit!
        Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Klar ist zum einen,
        ass das Programm Stadtumbau Ost fortgesetzt werden
        uss. Ebenso klar ist, dass auch die Linke natürlich an
        er Fortführung dieses Programms beteiligt ist und auch
        n Zukunft beteiligt sein möchte. Klar ist aber auch, dass
        s für eine erfolgreiche Fortsetzung dieses Programms
        inige deutliche Korrekturen geben muss. Das hat sich
        ehr deutlich bei der von den Oppositionsfraktionen ge-
        einsam beantragten Expertenanhörung gezeigt, die am
        7. Mai im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
        icklung stattgefunden hat. Nach Ansicht der Mehrheit
        er Sachverständigen betrifft das die entscheidende
        rage und vor allem die richtige Antwort zur Lösung der
        ltschuldenproblematik.
        Diese Bürde war aus rein politischen Gründen im
        ereinigungsprozess entstanden und belastet die ostdeut-
        che Wohnungswirtschaft bis heute schwer. So müssen
        iele Wohnungsunternehmen in den neuen Bundeslän-
        ern zwischen 60 und 100 Euro Altschulden je Quadrat-
        eter Wohnfläche bilanziell verkraften.
        Erst wenn die ostdeutsche Wohnungswirtschaft von
        ieser Bürde befreit wird, kann sie auch künftig hand-
        ungsfähig und ein wichtiger Partner des Stadtumbaus
        st bleiben. Daher hat die Linke in einem Änderungs-
        ntrag gefordert, beim Aufstellen des Haushaltsplanes
        es Bundes ab dem Jahr 2010 jeweils einen eigenen Titel
        inzurichten, der vorrangig der Tilgung der Altschulden
        stdeutscher Wohnungsunternehmen dient. Dieser Titel
        oll finanziell in einem solchen Maße ausgestattet wer-
        en, wie es zur endgültigen Entschuldung dieser Unter-
        ehmen erforderlich ist.
        Nach jetziger Einschätzung dürfte es sich dabei insge-
        amt um eine Summe von rund 10 Milliarden Euro han-
        eln – eine vergleichsweise kleine Summe, seit wir über
        chutzschirme für Banken reden. Und trotzdem unter-
        treicht diese Zahl noch einmal anschaulich, wie schwer
        ie Bürde ist, die derzeit noch auf den ostdeutschen
        ohnungsunternehmen lastet. Bis zu einer endgültigen
        estlosen Entlastung sollen die Wohnungsunternehmen
        edoch mindestens von den Altschulden der dauerhaft
        eerstehenden und abgerissenen Bestände befreit wer-
        en. Es ist eine völlige Fehleinschätzung einiger Fraktio-
        25546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        nen dieses Hauses, wenn sie in der letzten Ausschusssit-
        zung davon sprechen, dass die Belastungen im Vergleich
        zu den Lasten der privaten Hausbesitzer eher marginal
        seien und eine weitere Entlastung zu ungleichen Wettbe-
        werbsbedingungen untereinander führen würde.
        Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Ohne die
        Lösung der Altschuldenproblematik ist der Stadtumbau
        Ost – und damit die Ziele des Erfolgsprogramms – nicht
        zu erreichen. Noch einmal 250 000 Wohnungen vom
        Markt zu nehmen, erfordert die Aktionsfähigkeit der
        Wohnungsunternehmen. Die Privatbesitzer haben bisher
        am Stadtumbau nicht teilgenommen und werden es auch
        zukünftig nicht tun.
        Zugleich fordert meine Fraktion, dass die vollständige
        Entlastung der Wohnungsunternehmen von ihren Alt-
        schulden nur unter der Bedingung erfolgen kann, dass
        diese für einen Zeitraum von fünf Jahren die Nettokalt-
        miete auf dem bisherigen Niveau belassen und die da-
        rüber hinaus gewonnene Liquidität für die energetische
        Sanierung ihrer Wohnungsbestände einsetzen. Denn der
        Stadtumbau Ost ist kein Selbstzweck. Und der Stadtum-
        bau Ost dient auch nicht nur und keineswegs in erster Li-
        nie der Wohnungswirtschaft.
        Nach Auffassung der Fraktion Die Linke muss der
        Stadtumbau Ost in erster Linie den Menschen dienen,
        die in den Wohnungen leben – den Mietern. Es geht im
        weitesten Sinne um eine menschliche und moderne
        Stadt, die sich nicht zuletzt durch einen sparsameren
        Umgang mit Energie auch als ökologisch klug erweist.
        Diesem Ziel dient die Verpflichtung zur energetischen
        Sanierung der Wohnungsbestände. Auch in diesem
        Sinne bietet der Stadtumbau Ost tatsächlich eine große
        Chance, die genutzt werden sollte – im Interesse der
        Menschen. In eben diesem Interesse der Menschen liegt
        auch das von uns geforderte Einfrieren der Nettokaltmie-
        ten für einen Zeitraum von fünf Jahren. Dieses Miet-
        moratorium gibt den Mietern Sicherheit.
        Außerdem fordert meine Fraktion in einem zweiten
        Änderungsantrag zum Stadtumbau Ost, in die für die
        neue Förderperiode ab 2010 vorgesehenen Richtlinien
        für die Gewährung von Zuwendungen im Rahmen des
        Stadtumbaus Ost zur Unterstützung der vom Abriss oder
        Rückbau ihrer Häuser betroffenen Bewohner verbindli-
        che Vorschriften für das Durchführen von individuellen
        Sozialplanverfahren aufzunehmen. Diese Richtlinien
        umfassen Mindestanforderungen wie die finanzielle und
        materielle Entschädigung der Betroffenen und das Be-
        reitstellen von Umsetz- und Ersatzwohnungen. Nach un-
        serer Auffassung sind die dafür notwendigen finanziel-
        len Mittel als besonderer Titel im Förderprogramm
        Stadtumbau Ost nachzuweisen.
        Was ist der Hintergrund dieser Forderung? Bisher
        bleibt die Regelung der Aufwandsentschädigung für
        vom Abriss betroffene Mieterinnen und Mieter – zum
        Beispiel für den Umzug, für die Wohnungssuche und die
        Renovierung – den jeweiligen Wohnungsunternehmen
        überlassen, die den Abriss vornehmen. Die Wohnungs-
        unternehmen regeln das bisher sehr individuell, sehr un-
        terschiedlich, und mitunter regeln sie das gar nicht. Not-
        wendig aber sind einheitliche Standards, die in allen
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        tadtumbaugebieten gleiche Bedingungen schaffen. Ab-
        iss- und Rückbaumaßnahmen sind für die betroffenen
        ieterinnen und Mieter immer mit einem starken Ein-
        riff in ihre bisherigen Lebensbereiche sowie mit einem
        ohen persönlichen, materiellen und finanziellen Auf-
        and verbunden. Das Sozialplanverfahren – für das es
        ereits viele gute praktische Erfahrungen unter anderem
        us der „behutsamen Stadterneuerung“ gibt – soll dem
        erstellen eines Einvernehmens der davon betroffenen
        ewohnerinnen und Bewohner und demjenigen Woh-
        ungsunternehmen dienen, das den Abriss oder Rückbau
        eranlasst hat. Und erst ein solches Einvernehmen lässt
        ie Akzeptanz für den Stadtumbau Ost wachsen, der
        wie bereits festgestellt – auch in der neuen Förder-
        eriode fortgesetzt werden muss. Zu einer wirklichen
        rfolgsgeschichte kann dieses Programm aber erst wer-
        en, wenn in der alles entscheidenden Frage die ostdeut-
        chen Wohnungsunternehmen von der Bürde ihrer unge-
        echtfertigten Altschulden entlastet und wenn Abriss und
        ückbau sozial verträglich abgefedert werden.
        Die Koalitionäre bezeichnen das Förderprogramm
        tadtumbau Ost als ein lernendes Programm, leider neh-
        en sie diesen Anspruch für sich selbst nicht immer an,
        enn sonst wären unsere Anträge im Ausschuss nicht ab-
        ulehnen gewesen.
        Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        tadtumbau Ost kann in der Tat als eine Erfolgsge-
        chichte bezeichnet werden, hier stimme ich der Großen
        oalition ausdrücklich zu. Bündnis 90/Die Grünen wa-
        en beim Programm von Anfang an dabei, sie haben es
        aßgeblich mit gestaltet und werden es auch weiterhin
        onstruktiv unterstützen. Die bisherigen Ausschuss-
        ebatten waren von einem fraktionsübergreifenden Kon-
        ens gekennzeichnet, und ich wünsche mir, dass dies
        uch in den kommenden Jahren so bleiben wird.
        In den vergangenen acht Jahren ist es gelungen, die
        ritische Leerstandssituation insbesondere bei den kom-
        unalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaugesell-
        chaften zu entschärfen und den Leerstand von rund
        ,3 Millionen auf rund 1,0 Millionen Wohnungen zu
        rücken. Wir haben viele Erfahrungen mit Wandlungs-
        nd Schrumpfungsprozessen in den Städten Ostdeutsch-
        ands gesammelt, und unsere Expertise wird daher in
        estdeutschland gerne nachgefragt. Außerdem will ich
        en „lernenden“ Charakter dieses Programms hervorhe-
        en, der ein Muster dafür ist, wie man mit dynamischen
        rozessen umgehen kann.
        Bei allem Stolz bleiben natürlich auch kritische Fragen
        ffen und einige ungelöste Probleme, mit denen Sie, liebe
        olleginnen und Kollegen, sich in den kommenden
        ahren beschäftigen müssen. Insbesondere die Abrisspro-
        lematik zeigt, dass es erhebliche Defizite in der Konflikt-
        ewältigung und Umgangskultur zwischen Stadtverwal-
        ngen einerseits und Mietern, privaten Eigentümern,
        ber auch allgemein an der Stadtentwicklung interessier-
        en Bürgern andererseits gibt. Partizipation heißt hier das
        auberwort, aber das scheint in manchen Verwaltungen
        her ein Unwort zu sein. Da wundert es mich nicht,
        enn die Bürgerseele kocht; Stadtforen wie zum Bei-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25547
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        spiel in Leipzig, Chemnitz oder Freiberg mischen sich
        zu Recht in die Debatten ein und stellen sich autoritärem
        Verwaltungshandeln und „Abrisswahn“ entgegen.
        Offensichtlich ist es einigen Kommunen nicht gelun-
        gen, überzeugende integrierte Stadtentwicklungskon-
        zepte zu entwickeln, geschweige denn, sie ihren Bürgern
        zu vermitteln. Wenn die unvermeidlichen Konflikte
        nicht zu lösen sind, dann müssen diese wenigstens öf-
        fentlich und dann auch kontrovers diskutiert werden. Be-
        troffene werden oftmals erst dann mit den Tatsachen
        konfrontiert, wenn administrative Entscheidungen nicht
        mehr rückgängig zu machen sind. Hier muss sich drin-
        gend etwas ändern, wir fordern daher die Verbindlichkeit
        eines Partizipationsprozesses für alle Betroffenen und
        die öffentliche Debatte der integrierten Stadtentwick-
        lungskonzepte. Diese sollen nicht als Alibipapiere in
        Schubladen verschimmeln, sondern tatsächlich Blaupau-
        sen für den Stadtumbau in der jeweiligen Stadt darstel-
        len. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die eine Stadt
        zur Stadt machen und die Verwaltung hat eine sich am
        Bürgerwohl orientierende, dienende Funktion zu erfül-
        len. Daher muss sie auch das Gespräch mit Betroffenen
        und Bewegten führen.
        Der bekannte Konflikt zwischen dem Abriss von
        Großwohnsiedlungen und Innenstadtquartieren kann
        nicht autoritär und von oben herab gelöst werden, zumal
        es keine Patentlösung für diesen Konflikt gibt.
        Wer aber nur noch Plattenbausiedlungen schleifen
        will, dem sei gesagt, dass diese zum Teil hochwertige
        Bausubstanz darstellen. Die „Platte“ ist häufig sehr ener-
        gieeffizient, verfügt über gewachsene Sozialstrukturen
        und ist je nach technischer Ausrüstung häufig auch
        altengerecht und somit demografiefest. Und nicht zuletzt
        lassen sich die Neubaugebiete aus DDR-Zeiten ver-
        gleichsweise leicht aufwerten. Wer aber wiederum den
        Abriss in Innenstadtquartieren vornehmen will, nur weil
        hier die Leerstandsquoten so hoch sind, der darf nicht
        vergessen, dass diese einen hohen kulturellen Wert dar-
        stellen. Sie sind stadtbildprägend und entsprechen dem
        von uns angestrebten Ziel einer verdichteten Innenstadt.
        Ein Abriss schafft insbesondere aufgrund der heteroge-
        nen Eigentümerstrukturen neue Konflikte. Es ist fatal,
        wenn zum Beispiel aus Partikularinteressen leerstehende
        Gebäude eines Großvermieters an einer vielbefahrenen
        Ausfallstraße abgerissen werden, danach ein, zwei Miet-
        wohngebäude im Privatbesitz – womöglich noch saniert –
        als nahezu unvermietbare Solitärgebäude übrigbleiben
        und die sanierte zweite Reihe – womöglich auch im Pri-
        vatbesitz – den vollen Straßenlärm genau auf der Gebäu-
        deseite abbekommt, auf der sich zum Beispiel die
        Schlafräume befinden. Dieses Beispiel habe ich mir
        nicht ausgedacht sondern es ist in Chemnitz traurige Re-
        alität. So kann und so darf man Stadtumbaupolitik nicht
        machen, und über Proteste sollte man sich dann auch
        nicht beschweren.
        Ein wesentliches Versäumnis der nationalen Stadtent-
        wicklungspolitik der letzten Jahre ist, dass die Verkehrs-
        und damit die Lärm- und Abgasproblematik ausgeblen-
        det wird. Vieles wird infrage gestellt, aber der Straßen-
        verkehr bleibt für viele offensichtlich ein unvermeidli-
        ches göttliches und daher nicht änderbares Schicksal.
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        Aber auch dazu sind integrierte Stadtentwicklungs-
        onzepte da: Sie sollen im Vorfeld die Konflikte und
        uch schmerzhafte Einschnitte offenlegen und Lösungs-
        ege aufzeigen. Ehrlichkeit und Offenheit sind die Ge-
        ote der Stunde, die Bürgerinnen und Bürger können
        chon einiges an Brüchen und Zumutungen aushalten,
        enn ihnen die Möglichkeit der Mitwirkung eingeräumt
        nd nachvollziehbare und kritisch hinterfragbare Erklä-
        ungen geliefert werden. Aber das muss man auch wol-
        en. Genauso wie ganze Quartiere in Großwohnsiedlun-
        en – zum Beispiel in Wolfen-Nord – der Abrissbirne
        um Opfer gefallen sind, so müssen wir aber auch bei
        estimmten sogenannten Gründerzeitquartieren das
        Undenkbare“ denken. Alte Gebäude sind nicht per se
        ochwertig, sie lassen sich energetisch nur schwierig auf
        en Stand der Technik bringen, auch vor 100 Jahren gab
        s geringwertige, problematische Stadtlagen. Und die
        auqualität – und da kenne ich mich wirklich aus – war
        uch zu Großvaters Zeiten manchmal erschütternd
        chlecht. Für wertvolle und stadtbildprägende Quartiere
        ilt das natürlich nicht. Hier muss die Regel sein, dass
        eerstehende Bausubstanz gesichert oder, wie bei den
        ächterhäusern in Leipzig, temporär genutzt wird. Da-
        ür müssen auch künftig Mittel aus dem Stadtumbau Ost
        ur Verfügung stehen.
        Aber manchmal lässt sich auch mit Aufwertungs- und
        icherungsmaßnahmen nichts mehr machen, manchmal
        elten selbst sanierte Häuser in bestimmten Quartieren
        ls nahezu unvermietbar. Was hindert uns eigentlich da-
        an, diese en bloc rückzubauen? Das tut zwar weh, aber
        ir wäre so etwas jedenfalls lieber als eine weitere ak-
        ive oder passive Perforierung der Städte. Viele werden
        s heute nicht hören wollen, aber wir werden uns diesen
        ntscheidungen stellen müssen. Grundbedingung wäre
        ber auch hier, dass vorher ein weitgehender Konsens
        nsbesondere zwischen den privaten Eigentümern herge-
        tellt wird und sich derartige Rückbaumaßnahmen
        chlüssig in ein Stadtentwicklungskonzept einfügen.
        azu brauchen wir eine – auch finanziell – bessere und
        ezielte Unterstützung privater Hauseigentümer, die mit
        anchen Stadtumbauprozessen schlichtweg überfordert
        ein dürften.
        Es ist eine weitere schmerzhafte und auch immer
        och von vielen negierte Erkenntnis, dass die Schrump-
        ungs- und Entleerungsprozesse in vielen ostdeutschen
        tädten noch nicht am Ende sind. Ganz im Gegenteil, sie
        erden in den nächsten Jahren wieder deutlich an Fahrt
        ufnehmen. Schon die Tatsache, dass uns eine nichtge-
        orene Generation des „Nachwende-Geburtenknicks“ in
        en kommenden Jahren auf dem Wohnungsmarkt fehlen
        ird, macht deutlich, dass in Verbindung mit dem allge-
        einen Bevölkerungsrückgang, der unveränderten Ab-
        anderung aus Ostdeutschland und der wenn auch redu-
        ierten Neubautätigkeit der Wohnungsleerstand weiter
        nsteigen muss. Das Institut für Ökologische Raument-
        icklung in Dresden hat für Sachsen berechnet, dass bis
        um Jahr 2050 jedes Jahrzehnt mindestens die gleiche
        nzahl von Wohnungen vom Markt genommen werden
        uss, wie dies im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends
        eschehen ist. Und damit würden wir gerade einmal die
        eerstandsquote auf dem heutigen Niveau stabilisieren
        önnen. Wie das finanziell gestemmt werden soll, ist mir
        chleierhaft. Der Solidarpakt II, Korb II, aus dem der
        25548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
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        Stadtumbau Ost und auch die Altschuldenhilfe oder
        möglicherweise auch eine I-Zulage Bau als überpropor-
        tionale Leistungen des Bundes finanziert werden, steht
        jedenfalls spätestens ab 2019 für derartige Programme
        nicht mehr zur Verfügung.
        Der Stadtumbau Ost wäre schlichtweg damit überfor-
        dert, wenn er auch noch die demografischen und wirt-
        schaftlichen Probleme Ostdeutschlands lösen müsste. Er
        ist aber ein zentraler Bestandteil im Aufbau Ost, ohne
        den viele Städte an Attraktivität und Überlebensfähigkeit
        verlieren würden, was wiederum die Schrumpfungs- und
        Entleerungsprozesse gerade in Klein- und Mittelstädten
        nur noch beschleunigen würde. Daher gilt es, die Mittel-
        verwendung für den Stadtumbau Ost aus dem Solidar-
        pakt II, Korb II besonders gut zu überlegen. Die Begehr-
        lichkeiten in Bezug auf Altschuldenhilfe und I-Zulage
        Bau sind verständlich, aber auch sehr groß, bloß: Das
        Geld kann halt nur einmal ausgegeben werden. Daher
        plädiere ich dringend dafür, die Frage der Altschulden-
        hilfe in einem anderen Kontext zu diskutieren. Ich habe
        wiederholt deutlich gemacht, dass ich die Altschulden-
        problematik für einen kapitalen Webfehler des Eini-
        gungsvertrages halte. Es macht keinen Sinn, immer wie-
        der neue Mittel in eine Altschuldenhilfe zu stecken, da
        die verbleibenden Altschulden durch Zins und Zin-
        seszins immer wieder neue Schulden schaffen. Auch die
        I-Zulage Bau sollte kritisch diskutiert werden, ich halte
        es für eher wichtig, künftig Mittel zur Unterstützung von
        privaten Eigentümern zur Verfügung zu halten. Aber
        diese Mittel müssen dann aus einem anderen Topf als
        dem Solidarpakt II kommen. Was weg ist, ist weg, und
        diese Mittel aus dem Solidarpakt fehlen dann an anderen
        Stellen, mit denen wir Ostdeutschland attraktiver und zu-
        kunftsfester machen müssen. Ohne Investitionen in Bil-
        dung, Hochschulen, Forschung und Innovationen bleibt
        der Aufbau Ost auf der Strecke. Dadurch verkommt der
        Stadtumbau Ost letztlich nur noch zum Reparaturbetrieb
        eines aus den Fugen geratenen Wohnungsmarktes.
        Der Stadtumbau Ost bietet die große Chance, unsere
        Städte zukunftsfest und lebenswert zu machen. Nur le-
        benswerte Klein-, Mittel- oder Großstädte werden in Zu-
        kunft eine Chance im nationalen und internationalen
        Wettbewerb um junge, qualifizierte und kreative Men-
        schen haben. Das ist von zentraler Bedeutung nicht nur
        für die Städte, sondern für die Regionen, für ganz Ost-
        deutschland. Dafür müssen wir uns mit aller Kraft ein-
        setzen.
        Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Erfolg für die
        nächsten Jahre und bedanke mich bei dieser Gelegenheit
        für die gute, kollegiale und konstruktive Zusammen-
        arbeit in den vergangenen Jahren.
        Anlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Transsexuellengesetzes (Transsexuellen-
        gesetz-Änderungsgesetz – TSG-ÄndG)
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        – Entwurf eines Gesetzes über die Änderung
        der Vornamen und die Feststellung der
        Geschlechtszugehörigkeit (ÄVFGG)
        – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des
        Gesetzes über die Änderung der Vornamen
        und die Feststellung der Geschlechtszugehö-
        rigkeit in besonderen Fällen (Transsexuel-
        lengesetz – TSG)
        – Beschlussempfehlung und Bericht zu den
        Anträgen:
        – Selbstbestimmtes Leben in Würde er-
        möglichen – Transsexuellenrecht umfas-
        send reformieren
        – Transsexuellengesetz aufheben – Rechtli-
        che Gestaltungsmöglichkeiten für Trans-
        sexuelle, Transgender und Intersexuelle
        schaffen
        – Antrag: Reform des Transsexuellengesetzes
        für ein freies und selbstbestimmtes Leben
        (Tagesordnungspunkt 63 a bis c)
        Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir beraten heute über
        inen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und di-
        erse Anträge der Opposition zur Änderung des Trans-
        exuellengesetzes, denen ein Urteil des Bundesverfas-
        ungsgerichts vom 27. Mai 2008 vorausgeht.
        In seinem Urteil hat das BVerfG festgestellt, dass § 8
        bs. 1 Nr. 2 TSG mit dem Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
        it Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG nicht verein-
        ar sei. Im Klartext bedeutet das, es ist verfassungswid-
        ig, für Transsexuelle eine Personenstandsänderung nur
        nter dem Vorbehalt der Ehelosigkeit des Betroffenen
        orzunehmen. Nach derzeit geltendem Recht müssen
        ich verheiratete Transsexuelle erst scheiden lassen, be-
        or sie von Amts wegen dem anderen Geschlecht zuge-
        rdnet werden können, selbst dann, wenn beide Ehepart-
        er die Fortführung ihrer Ehe wünschen. Nach dem
        eltenden Scheidungsrecht müssen sie entgegen den tat-
        ächlichen Umständen den Scheidungsrichter von der
        errüttung ihrer Ehe überzeugen. Das ist kein Zustand.
        em müssen wir entgegenwirken. Wir dürfen nicht zu-
        assen, dass Amtshandlungen zur Farce werden.
        Mit unserem Gesetzentwurf entsprechen wir voll und
        anz den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts.
        erheiratete Transsexuelle, die eine Personenstandsän-
        erung anstreben, können nun bei Erfüllung aller sonsti-
        en Kriterien ihre Ehe fortführen, sofern sich beide Part-
        er ausdrücklich damit einverstanden erklären. Im
        egensatz zu den Anträgen aus den Reihen der Grünen,
        er Linken und der FDP behält unser Antrag die sonsti-
        en Kriterien bei. Damit soll dem Missbrauch vorge-
        eugt werden.
        Allerdings bedeutet die Umsetzung der Vorgaben des
        undesverfassungsgerichtes in der Konsequenz, dass
        ir einer sehr geringen Anzahl von Menschen die Mög-
        ichkeit einer de facto gleichgeschlechtlichen Ehe eröff-
        en. Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen ma-
        hen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25549
        (A) )
        (B) )
        Erstens, und das möchte ich in aller Klarheit sagen:
        Der Wegfall der Ehelosigkeit als Voraussetzung im § 8
        TSG präjudiziert keineswegs die Einführung der gleich-
        geschlechtlichen Ehe. Das Prinzip, wonach eine Ehe nur
        zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen wer-
        den kann, bleibt durch dieses Gesetz zu Recht unberührt.
        Wir würden einer Abschaffung dieses Prinzips auch ve-
        hement entgegenwirken. Das werden wir auch heute tun,
        indem wir den Antrag der Grünen „Änderung der Vorna-
        men und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit“
        ablehnen. Dieser Antrag ist ein völlig unseriöser Gene-
        ralangriff auf die Ehe zwischen Mann und Frau.
        In unserem Gesetzentwurf geht es darum, den betrof-
        fenen Eheleuten die Möglichkeit zu geben, ihre rechtmä-
        ßig geschlossene Ehe fortzuführen, sofern sie es denn
        wünschen, auch wenn einer von beiden eine Personen-
        standsänderung beantragt, nachdem er sich einer unwi-
        derruflichen und im Übrigen zur Zeugungsunfähigkeit
        führenden Geschlechtsumwandlung unterzogen hat.
        Dieses Doppelkriterium wie auch die sonstigen strengen
        Auflagen bleiben bei der Personenstandsänderung in un-
        serem Antrag nämlich unberührt.
        Nun kann ich mir aber beim besten Willen nicht vor-
        stellen, dass jemand sich einer Hormonbehandlung und
        einem operativen Eingriff dieses Ausmaßes unterwirft,
        nur um eine nun gleichgeschlechtlich gewordene Ehe
        fortführen zu können und somit das oben genannte Prin-
        zip der Ehe zwischen Mann und Frau zu unterminieren.
        Ich kann nur erahnen, mit wieviel Unannehmlichkeiten,
        ja Leid diese Behandlungen verbunden sind, sodass mei-
        ner Überzeugung nach nicht davon auszugehen ist, dass
        sie von den betroffenen Menschen leichtfertig in Kauf
        genommen würden, nur um das Gesetz zu umgehen.
        Anders sieht es bei den Gesetzentwürfen vonseiten
        der Opposition aus. Alle verzichten auf den operativen
        Eingriff zur Annäherung an das äußerliche Erschei-
        nungsbild des gewünschten Geschlechts sowie auf die
        Fortpflanzungsunfähigkeit. Gerade vor dem Hinter-
        grund, dass wir die Ehe als Institution schützen wollen,
        wie es das Grundgesetz im Übrigen völlig zu Recht
        vorschreibt, können wir diese Bedingungen bei der Per-
        sonenstandsänderung nicht entbehren. Ich glaube viel-
        mehr, dass die aufrechterhaltenen Bedingungen in unse-
        rem Antrag dafür sprechen, dass die Ehe als auch mir
        persönlich sehr wichtige Institution durch unsere Geset-
        zesänderung des Transsexuellengesetzes nicht gefährdet
        und nicht infrage gestellt wird. Sie wird erst recht nicht
        der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gleichgestellt,
        wie es die Grünen wünschen.
        Zum vom Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 festgeschrie-
        benen besonderen Schutz der Ehe gehört meiner Ansicht
        nach auch, dass sich der Staat nicht in rechtskräftige
        Ehen einmischen darf, sofern diese dem geltenden Recht
        und den Anliegen der Eheleute entsprechen. Diese äu-
        ßerst seltenen de facto gleichgeschlechtlichen Ehen, die
        so manchem Sorgen bereiten könnten, wurden als Ehen
        zwischen Mann und Frau geschlossen und sind somit
        rechtens. Die Frage, die das Bundesverfassungsgericht
        zu entscheiden hatte, ist folgende: Darf der Staat Ehe-
        leute gegen ihren Willen zur Scheidung zwingen, wenn
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        ach der Personenstandsänderung beide dem gleichen
        eschlecht zugeordnet sind? Wir müssen in diesem
        unkt dem Bundesverfassungsgericht beipflichten und
        em Willen der Eheleute folgen. Täten wir das nicht, ge-
        ieten wir bei Beibehaltung des jetzigen Rechts wider
        illen in die Gefahr, die Institution Ehe zu schwächen,
        ämlich dann, wenn wir dem Staat dieses Recht auf er-
        wungene Scheidung beließen. Man stelle sich einmal
        or, der Staat würde sich anmaßen, eine völlig normale
        he gegen den Willen der Beteiligten scheiden zu wol-
        en.
        Natürlich muss aber auch gleichzeitig gewährleistet
        ein, dass die Personenstandsänderung ein Scheidungs-
        rund für beide Partner sein kann. Ich kann nämlich
        uch jene Betroffenen verstehen, die die Personenstands-
        nderungen als so schwerwiegende Veränderung werten,
        ass sie der Ansicht sind, dass die Ehe nicht fortgeführt
        erden kann. Deshalb ist es unabdingbar, dass beide
        artner sowohl bei der Namens- als auch bei der Perso-
        enstandsänderung beteiligt sind und bleiben. Das ist
        iederum ein Punkt, den die Opposition nicht zu be-
        ücksichtigen scheint. Das Recht auf persönliche Selbst-
        estimmung des Antragstellers darf nicht bedeuten, dass
        er unmittelbar betroffene Partner nicht mit einbezogen
        erden darf, im Gegenteil.
        Nun einige Ausführungen zum Zustandekommen die-
        er Gesetzesänderung. Seit einigen Jahren beschäftige
        ch mich als zuständiger Berichterstatter der CDU/CSU-
        raktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages
        it Änderungsvorschlägen zum Transsexuellengesetz.
        s ergibt sich meiner Ansicht nach noch weiterer Ände-
        ungsbedarf, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr be-
        ücksichtigt werden konnte. Tatsächlich hat uns das
        undesverfassungsgericht in seinem Urteil auferlegt, die
        n diesem Änderungsgesetz vorgenommenen Modifizie-
        ungen noch vor dem 1. August 2009 vorzunehmen. So
        ar es nicht möglich, innerhalb eines Jahres legitime
        rozedurale Erleichterungen für die Transsexuellen so-
        ohl bei der Vornamensänderung, der sogenannten klei-
        en Lösung, als auch bei der Personenstandsänderung,
        lso der „großen Lösung“, umzusetzen. Diese müssen
        uf die nächste Legislaturperiode vertagt werden. Diese
        rleichterungen müssen jedoch wohlüberlegt sein und
        icht leichtfertig eingebracht werden, wie es vornehm-
        ich die Grünen und die Linke in ihren jeweiligen Anträ-
        en tun. Außerdem dürfen prozedurale Erleichterungen
        icht mit der Streichung jeglicher Auflagen gleichge-
        etzt werden.
        Lassen Sie mich Ihnen einige dieser potenziellen zu-
        ünftigen Änderungen kurz vorstellen. Da das ursprüng-
        iche Gesetz aus dem Jahre 1980 stammt, berücksichtigt
        s nicht aktuellste medizinische Erkenntnisse zur Trans-
        exualität. So wird im Transsexuellengesetz in § 1
        bs. 1 und 3 Nr. 2 die „Unumkehrbarkeit der inneren
        berzeugung“ in Bezug auf die Zugehörigkeit zum an-
        eren Geschlecht zum Kriterium für eine Namensände-
        ung gemacht, die ihrerseits eine Vorstufe zur Personen-
        tandsänderung ist. Heutzutage gehen Psychologen
        edoch davon aus, dass von einer völligen „Unumkehr-
        arkeit“ in Fragen der sexuellen Zugehörigkeit und Nei-
        ung im Allgemeinen nicht die Rede sein dürfe, da diese
        25550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        Unumkehrbarkeit nie mit völliger Sicherheit festgestellt
        werden könne. Somit könnten sich Ärzte um den Selbst-
        schutz willen weigern, ein solches Zeugnis auszustellen.
        Vielmehr sollte das ärztliche Attest feststellen, dass
        „eine fortdauernde innere Überzeugung“ bezüglich der
        sexuellen Identität vorliege. Dieser Frage wird sich der
        17. Deutsche Bundestag annehmen müssen. Im Übrigen
        erschiene es mir sinnvoll, zugunsten eines ärztlichen auf
        ein explizit „fach“-ärztliches Zeugnis zu verzichten. So-
        mit stünde den Antragstellern frei, sich an den Arzt ihres
        Vertrauens zu wenden, der sie seit Jahren betreut. An-
        dere strittigere Punkte bedürfen noch der intensiven Prü-
        fung. All das wird der nächste Bundestag zu beurteilen
        und gegebenenfalls umzusetzen haben.
        Wichtig ist heute, dass wir dem Gesetzentwurf der
        Koalition zustimmen, denn er geht in die richtige Rich-
        tung: Zum einen bringt er das Transsexuellengesetz mit
        dem Grundgesetz in Einklang und trägt zum anderen den
        legitimen Wünschen von betroffenen Personen Rech-
        nung, ohne die Ehe als Institution zu gefährden oder Na-
        mens- und Personenstandsänderungen zu reinen Forma-
        litäten und somit zur Farce zu degradieren, wie es
        vornehmlich die Grünen und die Linken beabsichtigen.
        Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf
        der Koalition folglich zu und lehnt die Anträge der Op-
        position entschieden ab.
        Gabriele Fograscher (SPD): Wir beraten heute den
        Gesetzentwurf von SPD und CDU/CSU zur Änderung
        des Transsexuellengesetzes in zweiter und dritter Lesung
        sowie Anträge und Gesetzentwürfe der Oppositionsfrak-
        tionen zu umfassenden Änderungen des Transsexuellen-
        gesetzes.
        Der Gesetzentwurf der Koalition setzt ein Urteil des
        Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2008 um, in dem
        das Gericht das Erfordernis der Ehelosigkeit bei Perso-
        nenstandsänderungen als verfassungswidrig erklärt hat.
        Dem Gesetzgeber wurde auferlegt, diesen verfassungs-
        widrigen Zustand bis zum 1. August 2009 zu beseitigen.
        Dieser Auflage kommen wir mit unserem Gesetzentwurf
        nach, der die Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG vor-
        sieht. Diese Neuregelung ermöglicht es Transsexuellen,
        eine Anerkennung ihrer neuen Geschlechtsidentität zu
        bekommen, ohne dass sie sich scheiden lassen müssen.
        Wir begrüßen diese Neuregelung ausdrücklich.
        Leider waren weitergehende und dringend notwen-
        dige Neuregelungen mit der CDU/CSU nicht möglich.
        Das Transsexuellengesetz wurde 1980 beschlossen und
        entspricht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und
        der Lebenswirklichkeit von Transsexuellen. Deshalb
        werden wir in der nächsten Wahlperiode eine umfas-
        sende Novellierung auf den Weg bringen. Ziel einer sol-
        chen Novellierung muss es sein, das Leben und den All-
        tag der Betroffenen zu erleichtern. Dabei ist zu
        berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht in
        mehreren Entscheidungen Teile des Transsexuellenge-
        setzes als verfassungswidrig erklärt hat.
        Seit dem Erlass des TSG hat sich viel verändert. So
        zum Beispiel ist die sichere Diagnose „Transsexualität“
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        eute keine Indikation mehr, geschlechtsangleichende
        aßnahmen vorzunehmen. Fast ein Drittel aller Trans-
        exuellen wollen keine operative Geschlechtsumwand-
        ung vornehmen. Die Ablehnung medizinischer Ein-
        riffe lässt aber keinen Zweifel an der Diagnose
        Transsexualität“ zu. Bei der Konzeption des TSG ging
        er Gesetzgeber davon aus, dass ein Transsexueller mit
        llen Mitteln danach strebe, seine Geschlechtsmerkmale
        u verändern. Deshalb ging man davon aus, dass die
        kleine Lösung“ (Vornamensänderung) nur ein Durch-
        angsstadium zur „großen Lösung“ (Personenstandsän-
        erung und operativer Eingriff) war. Das entspricht nicht
        ehr dem heutigen Stand der Wissenschaft.
        Bei einer umfassenden Novellierung sollten wir des-
        alb die Frage beantworten, ob § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4
        SG, das Erfordernis der Fortpflanzungsunfähigkeit und
        ie operative Geschlechtsumwandlung zur Änderung
        es Personenstandes, vereinbar ist mit dem Grundrecht
        uf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.
        uch ist es notwendig, die Verfahren zur Vornamensän-
        erung zu straffen, indem man auf den Vertreter des öf-
        entlichen Interesses und auf die zwei geforderten Gut-
        chten verzichtet. Ein ärztliches Zeugnis, dass das
        ugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht mit
        oher Wahrscheinlichkeit bescheinigt, ist meiner Mei-
        ung nach ausreichend, ebenso die Antragstellung vor
        em Standesamt.
        Wie ich bereits in meiner Rede zur ersten Lesung zu
        iesem Thema ausgeführt habe, halte ich den Vorschlag
        on Bündnis 90/Die Grünen, auch die Personenstands-
        nderung von den nach Landesrecht für das Personen-
        tandswesen zuständigen Behörden vornehmen zu las-
        en, nicht für richtig. Die Entscheidung über die
        eststellung der Geschlechtszugehörigkeit sollte auf-
        rund der damit verbundenen Rechtsfolgen in der ge-
        ichtlichen Zuständigkeit bleiben.
        Das Transsexuellengesetz ist durch Rechtsprechung
        nd Rechtspraxis in vielen Teilen überholt. Eine umfas-
        ende Reform ist dringend geboten. Der neu gewählte
        undestag wird sich damit befassen müssen.
        Gisela Piltz (FDP): Entscheidend für die FDP-Bun-
        estagsfraktion ist, dass für transsexuelle Männer und
        rauen ein verlässlicher Rechtsrahmen geschaffen wird,
        er ihnen ein freies und selbstbestimmtes Leben ermög-
        icht. Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht
        n den vergangenen Jahren mehrere zentrale Vorschriften
        es TSG für verfassungswidrig erklärt hat, zeigt auf,
        ass eine umfassende Reform notwendig ist.
        Im April dieses Jahres legte das Bundesministerium
        es Innern einen Referentenentwurf vor, der sowohl in-
        altlich als auch vom Verfahren her absolut inakzeptabel
        ar. Eine Beteiligung der Fachverbände wurde erst ein-
        al für nicht nötig erachtet. Erst nach völlig berechtig-
        em Protest der betroffenen Verbände hat das Ministe-
        ium den Entwurf versandt – dann aber mit einer sehr
        urzen Fristsetzung zur Rückäußerung. Die Gering-
        chätzung des Themas, die sich in diesem Verfahren
        eigt, ist nicht hinnehmbar.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25551
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        Ich bin heute sehr froh, dass wir nun doch nicht über
        diesen Entwurf beraten. Immerhin hat die breite und
        scharfe Kritik dazu geführt, dass der Entwurf zurückge-
        zogen wurde. Aber dazugelernt hat die Bundesregierung
        dennoch nicht. Denn der nun vorliegende neue Gesetz-
        entwurf beschränkt sich auf eine kleine Detailregelung
        und setzt nur die zwingend bis August umzusetzenden
        Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Dass die
        Bundesregierung hierfür dann aber ein ganzes Jahr ge-
        braucht hat, ist mir nicht erklärlich.
        2007 hat der Innenausschuss eine Sachverständigen-
        anhörung durchgeführt, in der die geladenen Experten
        dem Gesetzgeber viele wichtige Anregungen mit auf den
        Weg gegeben haben. Von den vielen klugen Erwägun-
        gen, die dort vorgetragen wurden, fand sich in dem
        schon erwähnten Referentenentwurf vom April 2009
        aber leider nichts wieder.
        Die FDP-Fraktion fordert bereits seit vielen Jahren
        eine Gesamtreform des Transsexuellengesetzes. Auf-
        grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        richts ist das TSG derzeit nur noch Stückwerk. Wir brau-
        chen dringend eine echte und umfassende Reform, die
        die verfassungsrechtlichen Vorgaben umsetzt und zu-
        gleich den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen
        gerecht wird. Daher müssen wir uns in der nächsten
        Wahlperiode erneut mit diesem Thema beschäftigen und
        dabei die Fachverbände einbeziehen.
        Die heutige Regelung des TSG bedeutet für viele Be-
        troffene eine große Belastung. Zahlreiche bürokratische
        Hindernisse, die aus heutiger Sicht nicht mehr zu recht-
        fertigen sind, wie die Begutachtung für die Vornamens-
        änderung durch zwei Sachverständige, ziehen Verfahren
        unnötig in die Länge. Zudem kann ein in weiten Teilen
        verfassungswidriges Gesetz nicht einfach so stehen ge-
        lassen werden. Die daraus folgende Rechtsunsicherheit
        ist für die Betroffenen ebenfalls belastend.
        Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion darf
        der geschlechtsverändernde operative Eingriff künftig
        keine zwingende Voraussetzung mehr für eine Personen-
        standsänderung sein. Schon im September 2005 stellte
        das Bundesverfassungsgericht fest, dass aus der Dia-
        gnose „Transsexualität“ nicht mehr zwingend die Indi-
        kation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abzu-
        leiten ist. Zudem finden sich in der Fachliteratur keine
        haltbaren Gründe mehr für eine unterschiedliche perso-
        nenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit
        und ohne Geschlechtsumwandlungen. Das muss ein
        Kernpunkt der neuen gesetzlichen Regelung sein. Auch
        die Dreijahresfrist ist zu lang. Hier muss überlegt wer-
        den, inwieweit der Prognosezeitraum verkürzt werden
        kann.
        Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Bun-
        desregierung werden die Eheschließung und das Erfor-
        dernis der Ehelosigkeit für Transsexuelle neu geregelt.
        Die Streichung von § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG nimmt einen
        wichtigen Punkt der anstehenden Gesamtreform vorweg.
        Die FDP-Fraktion hält es darüber hinaus für erforder-
        lich, dass der Namensträger seinen geänderten Vorna-
        men auch bei einer Eheschließung behält. Die entspre-
        chende Vorschrift in § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG hat das
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        undesverfassungsgericht für verfassungswidrig er-
        lärt. Die entsprechende Vorschrift muss daher ebenfalls
        ufgehoben werden.
        Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz gibt es erstmalig
        ür gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, ihre
        artnerschaft rechtlich absichern zu können. Ich bin
        roh, dass die Lebenspartnerschaft mittlerweile nicht
        ehr nur eine Randerscheinung für Minderheiten ist,
        ondern sich vielmehr in der Mitte der Gesellschaft als
        nerkannte Lebensform etabliert hat. Diese Entwicklung
        aben wir bei transsexuellen Menschen leider noch nicht
        rreicht. In der Bevölkerung herrschen oftmals Unkennt-
        is und Klischees vor in Bezug auf transsexuelle Männer
        nd Frauen. Immer wieder kommt es vor, dass Transse-
        ualität mit Travestie verwechselt wird. Hier ist auch die
        olitik aufgefordert, durch die geeigneten rechtlichen
        ahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Gesell-
        chaft transsexuellen Menschen mit Akzeptanz und To-
        eranz begegnet. Da dieser Zustand leider noch nicht zu-
        riedenstellend erreicht ist, sind transsexuelle Menschen
        mmer wieder auch Diskriminierungen ausgesetzt. Poli-
        ik und Gesellschaft müssen daher gleichermaßen jeder
        rt von Ausgrenzung entschlossen entgegentreten. Dazu
        ehört auch, mit den heutigen Beratungen nicht den
        chlussstrich unter eine TSG-Reform zu ziehen, sondern
        ielmehr dies als ersten Schritt anzusehen, dem alsbald
        eitere folgen müssen.
        Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Am 27. Mai 2008
        ntschied das Bundesverfassungsgericht: „Angesichts
        er Schwere der Beeinträchtigung, die ein verheirateter
        ranssexueller durch die Versagung der rechtlichen An-
        rkennung seiner empfundenen und gewandelten Ge-
        chlechtszugehörigkeit erfährt, wird § 8 Abs. 1 Nr. 2
        SG bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung für nicht
        nwendbar erklärt.“ Das Bundesverfassungsgericht ent-
        chied damit, dass verheiratete transsexuelle Menschen,
        ie ihr Geschlecht angeglichen haben, nicht mehr ge-
        wungen sind, sich scheiden zu lassen. Bis dato erkannte
        er Staat die neu erlangte Geschlechtsidentität nur dann
        n, wenn sich Eheleute scheiden ließen. Das hieß: Der
        taat zwang glücklich verheiratete Menschen zur Schei-
        ung.
        Vor nun fast 30 Jahren wurde in der Bundesrepublik
        as Transsexuellengesetz verabschiedet. Damals war es
        in Fortschritt. Doch es ist inzwischen in die Jahre ge-
        ommen und entspricht heute nicht mehr der gesell-
        chaftlichen Realität. Seit Jahren fordern Betroffene eine
        eform! Aber was tun Sie? Sie packen das Thema nicht
        n. Sie wehren ab. Erst wenn Betroffene es schaffen,
        ich bis zum Bundesverfassungsgericht vorzukämpfen,
        ind Sie bereit zu reagieren – aber auf den letzten Drü-
        ker und möglichst unbemerkt.
        Der vorgelegte Gesetzentwurf beschränkt sich aus-
        chließlich auf die Umsetzung des Bundesverfassungs-
        erichtsurteils, statt das Problem insgesamt anzugehen
        nd endlich die Erfahrungen der Betroffenen aufzugrei-
        en und mit ihnen praktikable Lösungen zu finden. Im
        egensatz zu Ihnen sind wir diesen Weg gegangen. Wir
        ordern, dass jeder Erwachsene einen neuen Vornamen
        25552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        annehmen kann, ohne dass dieser im Zusammenhang
        stehen muss zu seinem Geschlecht oder seiner Ge-
        schlechtsidentität. Wir fordern, dass jeder Erwachsene
        ohne Einschränkungen seinen Personenstand verändern
        kann. Wir fordern, dass das langwierige und demüti-
        gende Begutachtungssystem überwunden wird. Wir
        fordern, dass Transsexuelle nicht länger vom Medizini-
        schen Dienst der Krankenkassen an ihrer Geschlechts-
        angleichung gehindert werden. Wir fordern insbesondere
        die sofortige Streichung der Pflicht zur Fortpflanzungs-
        unfähigkeit, da es ein eklatanter Eingriff in die Men-
        schenrechte transsexueller Menschen ist. Wir fordern,
        dass eine Liberalisierung des Vornamen- und Personen-
        standrechts allen Menschen mehr Möglichkeiten schaf-
        fen soll.
        Unsere Forderungen lassen sich in bestehende Ge-
        setze integrieren. Ein Sondergesetz für Transsexuelle ist
        überflüssig. Hiervon würden auch Transgender und In-
        tersexuelle profitieren, also Menschen, die zwischen den
        Geschlechtern stehen. Doch Sie ignorieren auch diese
        Menschen. Wir können dem Gesetzentwurf der Grünen
        heute zustimmen, da dieser Gesetzentwurf unsere Forde-
        rungen aufgenommen hat und damit den Betroffenen ge-
        recht wird. Wir können dem Gesetzentwurf der FDP
        nicht zustimmen, denn dieser verharrt in unzulänglichen
        Sonderregelungen, statt eine grundsätzliche Liberalisie-
        rung ins Auge zu fassen.
        Trotzdem stimmen wir dem Gesetz der Regierungs-
        koalition zu. Es bedeutet zumindest eine gewisse Ver-
        besserung für die Betroffenen. Und darüber hinaus freut
        uns, dass Sie mit diesem Gesetz zum ersten Mal die Ehe
        zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts er-
        möglichen. Damit werden zumindest ein Teil der Lesben
        und Schwulen, die sich für eine Partnerschaft entschie-
        den haben, nicht mehr wie deklassierte Eheleute vom
        Gesetzgeber betrachtet.
        Wir hoffen, dass mit dem von Ihnen hier beschlosse-
        nen Gesetz der Druck wächst, Menschen in einer einge-
        tragenen Lebenspartnerschaft der Ehe gleichzustellen.
        Stellen sie endlich alle Menschen gleich – egal welche
        geschlechtliche oder sexuelle Orientierung oder Identität
        sie haben. Akzeptieren Sie die Vielfalt dieser Gesell-
        schaft, denn es geht nicht um einige wenige. Es geht da-
        bei um die Vielfalt der gesamten Gesellschaft.
        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN: Wir beraten heute über zwei Gesetzentwürfe,
        die die Belange der transsexuellen Menschen betreffen.
        Das erste Vorhaben ist der Entwurf eines Gesetzes über
        die Änderung der Vornamen und die Feststellung der
        Geschlechtszugehörigkeit, der von meiner Fraktion vor-
        bereitet wurde. Das zweite ist der Entwurf eines Geset-
        zes zur Änderung des Transsexuellengesetzes, und er
        kommt aus den Reihen der Großen Koalition.
        Der von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD vor-
        bereitete Entwurf ist ein trauriger Beweis der Ignoranz
        und des Desinteresses der Koalition gegenüber den
        transsexuellen Menschen. Zwar räumen die Kolleginnen
        und Kollegen der Regierungsparteien in ihren Reden
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        benso wie die Vertreter des Bundesministeriums des In-
        eren und des Bundesministeriums der Justiz ein, dass
        eiterer Änderungsbedarf am Transsexuellengesetz be-
        tehe. Damit geben sie jedoch zugleich zu, dass es ihnen
        icht möglich war, innerhalb eines Jahres längst überfäl-
        ige prozedurale Erleichterungen für die Transsexuellen
        mzusetzen. Wie viel Zeit brauchen Sie denn, um ein
        0-jähriges Gesetz zeitgemäß zu novellieren? Wie lange
        ollen die Menschen noch warten? Müssen sie erneut
        ine Legislaturperiode abwarten? Oder muss der Gesetz-
        eber zum sechsten Mal vom Bundesverfassungsgericht
        ngewiesen werden, Transsexuellen nicht elementare
        rundrechte zu entziehen?
        Aber Ihre Einstellung zum Transsexuellengesetz hat
        eines Erachtens noch einen anderen Ursprung. Ihr
        Twitter-Gesetzentwurf“ ist Ausdruck einer auf Angst
        undierten Wahrnehmung der Geschlechtlichkeit, in der
        ie bipolare Aufteilung in Frauen und Männer, oder bes-
        er gesagt, in Männer und Frauen, die Basis für die tradi-
        ionell geordnete Gesellschaft bildet. Allerdings stammt
        ieses Verständnis von Geschlecht aus Zeiten, in den
        an über Gender, also soziales Geschlecht, nichts
        usste. Danach müsste das Aussehen wie Rollenverhal-
        en einer Person mit dem Personenstand zweifellos über-
        instimmen. Aber mit diesen Überzeugungen liegen sie
        eiter hinter der gesellschaftlichen Entwicklung und den
        issenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte.
        Unser Entwurf dagegen anerkennt die Vielfalt der
        dentitäten und Lebensweisen, lehnt die Angst vor der
        neindeutigkeit der Geschlechter ab und erleichtert den
        enschen, ihren rechtlichen Status dem Sich-selbst-Be-
        reifen anzupassen. Deshalb appelliere ich an die Kolle-
        innen und Kollegen der Großen Koalition: Unterstützen
        ie transsexuelle Menschen in ihrem schwierigen Bemü-
        en, ihre Persönlichkeit zu entfalten, und stimmen Sie
        nserem Gesetz zu!
        Allerdings spiegeln Ihr Vorgehen beim Transsexuel-
        engesetz und manche Reden bei der ersten Lesung noch
        in Problem wider: Sie misstrauen dem Menschen in sei-
        er Selbstbestimmung. Sie glauben nicht an seine Ent-
        cheidungsfähigkeit hinsichtlich seines Geschlechts. Sie
        ollen weiter die Transsexualität diagnostizieren. Das
        eltende Erfordernis der Überprüfung der geschlechtli-
        hen Identität von Staats wegen sowohl bei Vornamens-
        nderung als auch bei Personenstandsänderung tastet al-
        erdings den Sexualbereich des Menschen an, den das
        rundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfas-
        ungsrechtlichen Schutz stellt. Wovor haben Sie Angst?
        ass auf den Straßen Menschen rumlaufen werden, die
        eine „deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild
        es anderen Geschlechts erreicht“ hatten, wie das zurzeit
        as geltende Transsexuellengesetz erfordert?
        Wir haben hingegen mehr Vertrauen in Menschen.
        er von uns vorgelegte Gesetzentwurf geht von dem
        rinzip „in dubio pro libertate“ – im Zweifel für die
        reiheit – aus. Wir als Politik dürfen nicht die ge-
        chlechtliche Identität eines Menschen überprüfen, son-
        ern müssen dafür Rahmenbedingungen schaffen, dass
        ich sein rechtlicher Status lediglich nach seiner inneren
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25553
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        Überzeugung richtet. Wir wollen damit, dass sich der
        Staat aus der Privatsphäre des Menschen, aus seiner ge-
        schlechtlichen Selbstbestimmung zurückzieht und geben
        das Primat dem wahren Geschlechtsempfinden, über das
        nur das Individuum Auskunft geben kann. Stimmen Sie
        daher, sehr gehrte Kolleginnen und Kollegen, im Namen
        der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts jedes
        Menschen unserem Entwurf zu!
        Zum Schluss möchte ich mich dennoch bei Ihnen für
        Ihren Entwurf, dem die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
        zustimmen wird, bedanken. Mit diesem Gesetz eröffnen
        sie das Institut der Ehe zumindest für einige gleichge-
        schlechtliche Paare. Die Forderung nach Öffnung der
        Ehe für gleichgeschlechtliche Paare haben wir Grüne vor
        genau 15 Jahren zum ersten Mal dem Bundestag vorge-
        legt. Und Sie können sich mit Händen und Füssen dage-
        gen wehren, aber Tatsache ist, dass heute der Deutsche
        Bundestag die rechtliche Grundlage für die Öffnung der
        Ehe generell schaffen wird. In der Tat ein historisches
        Moment! Dafür danke ich Ihnen im Namen von Lesben
        und Schwulen, die zwar im Moment nur in bestimmten
        Situationen davon Gebrauch werden machen können,
        aber die eines Tages durch die heute vom Bundestag er-
        öffnete Tür als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bür-
        ger gehen werden.
        Anlage 12
        Amtliche Mitteilungen
        Der Bundesrat hat in seiner 859. Sitzung am 12. Juni
        2009 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
        stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
        des Grundgesetzes nicht zu stellen:
        – Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Fut-
        termittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
        – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti-
        kel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d)
        – Begleitgesetz zur zweiten Föderalismusreform
        – Gesetz zur Verbesserung der Absicherung von Zi-
        vilpersonal in internationalen Einsätzen zur zivi-
        len Krisenprävention
        – Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskon-
        fliktgesetzes
        – Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstif-
        tungsgesetzes
        – Gesetz zur Änderung des Einlagensicherungs-
        und Anlegerentschädigungsgesetzes und anderer
        Gesetze
        – Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens
        „Vorsorge für Schlusszahlungen für inflationsin-
        dexierte Bundeswertpapiere“ (Schlusszahlungsfi-
        nanzierungsgesetz – SchlussFinG)
        – Viertes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteu-
        ergesetzen
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        Achtes Gesetz zur Änderung des Bundesvertrie-
        benengesetzes
        Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Er-
        richtung einer Stiftung Deutsche Geisteswissen-
        schaftliche Institute im Ausland, Bonn
        Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung
        einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Ju-
        den Europas“
        Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung
        und anderer Gesetze
        Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs-
        und Vormundschaftsrechts
        Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtli-
        nie (ARUG)
        Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der
        Höchstspannungsnetze
        Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung
        eines Sondervermögens „Investitions- und Til-
        gungsfonds“
        Gesetz zu dem Abkommen vom 6. November 2008
        zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
        der Republik Österreich zur Vermeidung der
        Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Erb-
        schaftsteuern bei Erbfällen, in denen der Erblas-
        ser nach dem 31. Dezember 2007 und vor dem
        1. August 2008 verstorben ist
        Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Juli 2008 zwi-
        schen der Bundesrepublik Deutschland und den
        Vereinigten Mexikanischen Staaten zur Vermei-
        dung der Doppelbesteuerung und der Steuerver-
        kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
        kommen und vom Vermögen
        Gesetz zu dem Vertrag vom 12. November 2008
        zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
        der Republik Bulgarien über die Zusammenar-
        beit bei der Bekämpfung des grenzüberschreiten-
        den Missbrauchs bei Leistungen und Beiträgen
        zur sozialen Sicherheit durch Erwerbstätigkeit
        und von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit so-
        wie bei illegaler grenzüberschreitender Leiharbeit
        Gesetz zu dem Vertrag vom 16. September 2004
        zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
        der Republik Polen über die Vermarkung und In-
        standhaltung der gemeinsamen Grenze auf den
        Festlandabschnitten sowie den Grenzgewässern
        und die Einsetzung einer Ständigen Deutsch-Pol-
        nischen Grenzkommission
        Gesetz zu der Satzung vom 26. Januar 2009 der
        Internationalen Organisation für erneuerbare
        Energien
        Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzge-
        setzes
        Fünftes Gesetz zur Änderung des Bundeszentral-
        registergesetzes
        25554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        (A) )
        (B) )
        Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge-
        fasst:
        Der Bundesrat begrüßt zwar, dass das Gesetz das An-
        liegen der Gesetzesinitiative des Bundesrates vom
        14. März 2008 – Bundesratsdrucksache 72/08 (Be-
        schluss), Bundestagsdrucksache 16/9021 – aufgreift und
        den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Straftaten
        durch eine Ausdehnung der Aufnahme von Verurteilun-
        gen in das Führungszeugnis verbessern will. Gegen das
        Gesetz ist aber, auch wenn der darin vorgesehene Um-
        fang der zusätzlich aufzunehmenden Verurteilungen
        nicht zu beanstanden ist, Folgendes einzuwenden:
        Nicht zu überzeugen vermag der Lösungsansatz der
        Vorlage – abweichend vom Gesetzentwurf des Bundes-
        rates –, den Umfang des Führungszeugnisses nicht gene-
        rell auszudehnen, sondern zusätzliche Eintragungen nur
        in ein „erweitertes Führungszeugnis“ aufzunehmen, das
        nur unter besonderen Voraussetzungen erteilt wird. Denn
        das Gesetz will zwar einerseits den Kreis der Personen,
        denen ein erweitertes Führungszeugnis erteilt wird, be-
        schränken, kann diesen Personenkreis aber nicht exakt
        abgrenzen. Gemäß der Generalklausel in § 30a Absatz 1
        Nummer 2 Buchstabe c in Verbindung mit Buchstabe b
        BZRG-neu soll das erweiterte Führungszeugnis dann er-
        teilt werden, wenn es für eine Tätigkeit benötigt wird,
        die in einer der beruflichen oder ehrenamtlichen Beauf-
        sichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Min-
        derjähriger „vergleichbaren Weise geeignet ist“, Kontakt
        zu Minderjährigen aufzunehmen. Nach welchen Krite-
        rien beurteilt werden soll, ob Tätigkeiten im Sinne der
        Vorschrift „in vergleichbarer Weise geeignet“ sind, wird
        auch in der Begründung des zugrundeliegenden Gesetz-
        entwurfs nicht näher erläutert. Der Umfang des aus-
        kunftsberechtigten Personenkreises bleibt daher unklar.
        Dies führt zu Auslegungsschwierigkeiten und möglichen
        Schutzlücken.
        Zudem obliegt es nach dem Gesetz der Person, die
        das erweiterte Führungszeugnis vom Antragsteller ver-
        langt, also zum Beispiel dem (künftigen) Arbeitgeber, zu
        beurteilen, ob das erweiterte Führungszeugnis für eine
        die Kriterien des § 30a Absatz 1 BZRG-neu erfüllende
        Tätigkeit benötigt wird. Sie hat das Risiko einer eventu-
        ell unberechtigten Anforderung des erweiterten Füh-
        rungszeugnisses und sich hieraus möglicherweise erge-
        bender Schadenersatzansprüche des Bewerbers zu
        tragen. Dies wird – zumindest in Grenzfällen – zur Ver-
        unsicherung der für die Besetzung einer Stelle verant-
        wortlichen Person hinsichtlich der Frage führen, ob sie
        sich das erweiterte Führungszeugnis einerseits vorlegen
        lassen darf, ohne sich schadenersatzpflichtig zu machen,
        und ob sie sich andererseits das erweiterte Führungs-
        zeugnis vorlegen lassen muss, um etwaigen Schutz-
        pflichten gegenüber Kindern und Jugendlichen, mit de-
        nen der Beschäftigte in Kontakt kommen kann, gerecht
        zu werden.
        Das Gesetz legt damit ein zu starkes Gewicht auf das
        Resozialisierungsinteresse des Verurteilten zu Lasten
        desjenigen, der im Interesse des Kinder- und Jugend-
        schutzes bei der Besetzung einer Stelle tätig werden will.
        Es berücksichtigt dabei nicht hinreichend, dass es sich
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        ei den zusätzlich aufzunehmenden Verurteilungen ge-
        ade hinsichtlich des verletzten Rechtsgutes nicht um
        Bagatelldelikte“ handelt, auch wenn die Strafe gering
        usgefallen ist. Das Resozialisierungsinteresse des Ver-
        rteilten ist hinlänglich durch § 34 Absatz 1 Nummer 1
        ZRG gewahrt, wonach die Aufnahmefrist bei geringfü-
        igen Verurteilungen nur drei Jahre beträgt, wenn nicht
        ine Aufnahme nach § 38 BZRG wegen weiterer Verur-
        eilungen erfolgen muss. Die Gefahr, dass einmalige
        Jugendsünden“ auf Dauer im Führungszeugnis erschei-
        en und der Resozialisierung im Wege stehen, besteht
        lso nicht.
        Schließlich führt das Konzept des Gesetzes zu einem
        rhöhten Bürokratieaufwand.
        Der Bundesrat hält daher seinen am 14. März 2008
        eschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        undeszentralregistergesetzes für vorzugswürdig.
        Erstes Gesetz zur Änderung des Treibhausgas-
        Emissionshandelsgesetzes
        Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende
        ntschließung zu fassen:
        Mit dem Gesetz wird die Bundesregierung ermäch-
        igt, durch Rechtsverordnung Datenerhebungen zur Ein-
        eziehung weiterer Tätigkeiten in den Emissionshandel
        u bestimmen.
        Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Daten-
        rhebungen möglichst unbürokratisch zu gestalten und
        en Normenkontrollrat bei der Ausarbeitung der Rechts-
        erordnung einzubeziehen.
        Angesichts der Tatsache, dass in der kommenden Le-
        islaturperiode Grundsatzentscheidungen für die Umset-
        ung der geänderten Emissionshandelsrichtlinie zu fäl-
        en sind, weist der Bundesrat darauf hin, dass bereits
        um jetzigen Zeitpunkt für eine möglichst unbürokrati-
        che und die Unternehmen so wenig wie möglich belas-
        ende Umsetzung des Emissionshandels Sorge zu tragen
        st.
        Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen
        vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Perso-
        nen vor dem Verschwindenlassen
        Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung
        efasst:
        Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die
        bgabe einer Erklärung zu prüfen, mit der die Zustän-
        igkeit des Ausschusses über das Verschwindenlassen
        ür die Staatenbeschwerde im Sinne von Artikel 32 des
        bereinkommens vom 20. Dezember 2006 zum Schutz
        ller Personen vor dem Verschwindenlassen anerkannt
        ird.
        Begründung:
        Das Verfahren der Staatenbeschwerde zum Ausschuss
        über das Verschwindenlassen ist ein wichtiges Instru-
        ment zur Gewährleistung der Ziele des Übereinkom-
        mens. Da dieses Verfahren nur zur Anwendung
        kommt, wenn sowohl der Beschwerdeführer als auch
        der Beschwerdegegner die Zuständigkeit des Aus-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009 25555
        (A) )
        (B) )
        schusses anerkannt haben, ist es von besonderer Be-
        deutung, dass möglichst viele Vertragsstaaten eine
        entsprechende Anerkennungserklärung abgeben. Die
        Bundesrepublik sollte hier mit gutem Beispiel voran-
        gehen. Die Bundesregierung hat in der Begründung
        des Gesetzentwurfs erklärt, sie werde die Abgabe ei-
        ner Anerkennungserklärung für die Individualbe-
        schwerde nach Artikel 31 des Übereinkommens prü-
        fen (Bundestagsdrucksache 16/12592, S. 39). Diese
        Prüfung ist auf die Anerkennung der Staatenbe-
        schwerde auszudehnen.
        Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 12. Sitzung
        am 27. Mai 2009 folgenden Einigungsvorschlag be-
        schlossen:
        Das vom Deutschen Bundestag in seiner 217. Sitzung
        am 23. April 2009 beschlossene
        Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im an-
        waltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errich-
        tung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwalt-
        schaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften
        – Drucksachen 16/11385, 16/12717, 16/13082 –
        wird bestätigt.
        Der Vermittlungsausschuss hat in der Fortsetzung
        seiner 12. Sitzung am 10. Juni 2009 folgenden Eini-
        gungsvorschlag beschlossen:
        Das vom Deutschen Bundestag in seiner 217. Sitzung
        am 23. April 2009 beschlossene
        Gesetz zur Änderung der Förderung von Biokraft-
        stoffen
        – Drucksachen 16/11131, 16/11641, 16/12465,
        16/13080 –
        wird bestätigt.
        Auswärtiger Ausschuss
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwi-
        schen der Bundesrepublik Deutschland und den Verein-
        ten Nationen und einzelnen, global agierenden, interna-
        tionalen Organisationen und Institutionen im Rahmen
        des VN-Systems in den Jahren 2006 und 2007
        – Drucksachen 16/10036, 16/10285 Nr. 13 –
        Ausschuss für Bildung, Forschung und
        Technikfolgenabschätzung
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Dritter Bericht zur Umsetzung des Bologna-Prozesses
        in Deutschland
        – Drucksache 16/12552 –
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions-
        dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
        tung abgesehen hat.
        (C
        (D
        Auswärtiger Ausschuss
        Drucksache 16/12369 Nr. A.1
        EuB-BReg 12/2009
        Drucksache 16/12369 Nr. A.2
        EuB-BReg 17/2009
        Drucksache 16/12369 Nr. A.3
        EuB-BReg 5/2009
        Drucksache 16/12778 Nr. A.3
        EuB-BReg 23/2009
        Drucksache 16/12778 Nr. A.4
        EuB-BReg 24/2009
        Drucksache 16/12778 Nr. A.5
        EuB-BReg 25/2009
        Drucksache 16/12778 Nr. A.8
        EuB-BReg 28/2009
        Drucksache 16/12778 Nr. A.10
        EuB-BReg 30/2009
        Innenausschuss
        Drucksache 16/11965 Nr. A.2
        EuB-EP 1848; P6_TA-PROV(2009)0633
        Drucksache 16/12954 Nr. A.5
        EuB-EP 1893; P6_TA-PROV(2009)0085
        Finanzausschuss
        Drucksache 16/12954 Nr. A.11
        Ratsdokument 5903/2/09 REV 2
        Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
        Drucksache 16/10958 Nr. A.15
        Ratsdokument 13521/08
        Drucksache 16/10958 Nr. A.16
        Ratsdokument 13531/08
        Drucksache 16/10958 Nr. A.17
        Ratsdokument 13737/08
        Drucksache 16/10958 Nr. A.18
        Ratsdokument 13775/08
        Drucksache 16/11132 Nr. A.8
        EuB-EP 1792; P6_TA-PROV(2008)0451
        Drucksache 16/11517 Nr. A.18
        Ratsdokument 16155/08
        Drucksache 16/12511 Nr. A.5
        Ratsdokument 7004/09
        Drucksache 16/12778 Nr. A.16
        EuB-EP 1875; P6_TA-PROV(2009)0049
        Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
        Verbraucherschutz
        Drucksache 16/12954 Nr. A.13
        Ratsdokument 7771/09
        Drucksache 16/12954 Nr. A.14
        Ratsdokument 8420/09
        Ausschuss für Gesundheit
        Drucksache 16/11819 Nr. A.20
        Ratsdokument 17504/08
        Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
        Drucksache 16/11721 Nr. A.23
        Ratsdokument 16446/08
        Drucksache 16/11721 Nr. A.25
        Ratsdokument 17294/08
        Drucksache 16/11721 Nr. A.26
        Ratsdokument 17295/08
        Drucksache 16/11721 Nr. A.28
        Ratsdokument 17365/08
        228. Sitzung
        Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12