igung
9 (C), dritter Absatz: Der
lesen: „Der Arzt wird ver-
en wir übernommen –, der
is ein Angebot für die psy-
en.“
ässt lebenslange irreparable
chädigungen bei den Mäd-
handelt sich hierbei auch um
ch Migration und Flucht le-
uen in Europa, die in ihren
en wurden. Und es gibt El-
diese grausame Praxis sei für
endig. In Deutschland leben
chenrechtsorganisation Terre
000 von Genitalverstümm-
ie 4 000 bis 5 000 Mädchen,
genommen werden. Somit k
dass eine Genitalverstümmelu
gehenden Aufenthalts im Au
schen Strafrecht unterliegt.
Mehrfach habe ich dazu au
Genitalverstümmlung partei
Nach den vielen Gesprächen
liegt nun ein Gruppengesetzen
verstümmlung ausdrücklich
nommen werden soll. Dies wä
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24457
(A) (C)
(B) (D)
2,6 Millionen Menschen sind auf Kurzarbeit. Kurzarbeit
bedeutet weniger Einkommen und große Unsicherheit,Meckel, Markus SPD 14.05.2009
geld (221. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9)
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Krise ist auf dem Arbeitsmarkt angekommen:
Karl A.
Lösekrug-Möller,
Gabriele
SPD 14.05.2009
Anlage 1
Liste der entschuldi
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Addicks, Karl FDP 14.05.2009
Aigner, Ilse CDU/CSU 14.05.2009
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.05.2009
Bätzing, Sabine SPD 14.05.2009
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.05.2009
Becker, Dirk SPD 14.05.2009
Connemann, Gitta CDU/CSU 14.05.2009
Dreibus, Werner DIE LINKE 14.05.2009
Edathy, Sebastian SPD 14.05.2009
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 14.05.2009
Flach, Ulrike FDP 14.05.2009
Fornahl, Rainer SPD 14.05.2009
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 14.05.2009
Grund, Manfred CDU/CSU 14.05.2009
Hänsel, Heike DIE LINKE 14.05.2009
Haibach, Holger CDU/CSU 14.05.2009
Heil, Hubertus SPD 14.05.2009
Hoff, Elke FDP 14.05.2009
Irber, Brunhilde SPD 14.05.2009
Kortmann, Karin SPD 14.05.2009
Krichbaum, Gunther CDU/CSU 14.05.2009
Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 14.05.2009**
Anlagen zum Stenografischen Bericht
gten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
*** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE
Anlage 2
Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede
zum Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung
des Progressionsvorbehalts für Kurzarbeiter-
Merz, Friedrich CDU/CSU 14.05.2009
Dr. Möllring, Eva CDU/CSU 14.05.2009
Nešković, Wolfgang DIE LINKE 14.05.2009
Nitzsche, Henry fraktionslos 14.05.2009
Pflug, Johannes SPD 14.05.2009*
Raidel, Hans CDU/CSU 14.05.2009
Dr. Scheer, Hermann SPD 14.05.2009
Schily, Otto SPD 14.05.2009
Schneider (Erfurt),
Carsten
SPD 14.05.2009
Dr. Schockenhoff,
Andreas
CDU/CSU 14.05.2009
Schummer, Uwe CDU/CSU 14.05.2009
Seib, Marion CDU/CSU 14.05.2009
Strothmann, Lena CDU/CSU 14.05.2009
Thönnes, Franz SPD 14.05.2009***
Waitz, Christoph FDP 14.05.2009
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
24458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
wie es weitergeht. Da ist jede Erleichterung willkom-
men. Die Gewerkschaften haben auch bereits an viele
Abgeordnete geschrieben und uns aufgefordert, das
Kurzarbeitergeld ganz aus der Besteuerung herauszu-
nehmen. Kurzarbeitergeld wird zwar steuerfrei ausge-
zahlt, führt aber zu einer höheren Besteuerung anderer
Einkünfte der Steuerpflichtigen. Dem Anliegen der Ge-
werkschaften entsprechend legt die Fraktion Die Linke
jetzt einen Gesetzentwurf vor, der den sogenannten
Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld abschaffen
würde.
Die Schwierigkeit liegt nun darin, dass der Progres-
sionsvorbehalt auf einen ganzen Katalog von Einkünften
angewandt wird. Im Wesentlichen sind dies Lohnersatz-
leistungen wie Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Win-
terausfallgeld, Insolvenzgeld, Übergangsgeld, Alters-
übergangsgeld; auch das Krankengeld, Mutterschafts-
geld, Verletztengeld und sogar das Elterngeld erhöhen
heimlich die Steuerlast. Kurzarbeit ist also nur eines der
Probleme, Arbeitslosengeld ist genauso betroffen.
Auch die Arbeitslosenzahlen steigen rapide. Die EU-
Kommission schätzt, dass 2009 und 2010 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland ihren Arbeitsplatz verlieren.
Das ist dramatisch. Jemand, der seinen Arbeitsplatz ver-
liert, wird sich natürlich fragen, warum Leute in Kurzar-
beit, die also ihren Arbeitsplatz noch haben, besser be-
handelt werden als Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz
schon verloren haben. Ich vermute, dass sich dieser Ar-
beitnehmer ungerecht behandelt fühlen würde. Und er
hätte recht damit. Der Gesetzentwurf der Linken klam-
mert diese Ungleichbehandlung aber einfach aus. Ich
denke, so geht es nicht. Wir müssen uns die Auswirkun-
gen des Progressionsvorbehaltes bei Lohnersatzleistun-
gen insgesamt anschauen und dann eine Antwort finden,
die allen Betroffenen gerecht wird. Dabei wird es ein
wichtiger Punkt sein, dass der Progressionsvorbehalt
kleinere Einkommen besonders trifft. Ich möchte das an
einem Beispiel illustrieren.
Wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, je-
weils verheiratet, ein zu versteuerndes Einkommen von
16 872 Euro erzielt, sind darauf 248 Euro Lohnsteuern
zu zahlen. Das sind 1,47 Prozent des zu versteuernden
Einkommens. Wenn diese Arbeitnehmerin oder dieser
Arbeitnehmer nun außerdem noch 1 534 Euro Kurzar-
beitergeld beziehen würde, erhöht sich die Steuerbelas-
tung auf 464 Euro bzw. 2,75 Prozent. Das heißt, die
Steuerbelastung des Gesamteinkommens steigt deutlich
an.
Ich stelle also fest: Der Progressionsvorbehalt erzeugt
für alle Lohnersatzleistungen eine beträchtliche Steuer-
mehrbelastung für die betroffenen Steuerpflichtigen. Ich
schlage deshalb vor, im Rahmen der Ausschussberatun-
gen typische Arbeitnehmerhaushalte zu betrachten, die
Lohnersatzleistungen beziehen, um die steuerliche Mehr-
belastung auf das Gesamteinkommen der Beschäftigten
in den Blick zu nehmen. Das Bundesfinanzministerium
kann ja schon einmal Musterrechnungen erstellen, um
die sozialpolitische Dimension beurteilen zu können.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi-
gungsgesetzes und anderer Gesetze
– Beschlussempfehlung und Bericht: Reform
der Anlegerentschädigung in Deutschland
– Beschlussempfehlung und Bericht: Soziali-
sierung der Verluste verhindern – Siche-
rungsfonds für privaten Finanzsektor schaf-
fen
– Beschlussempfehlung und Bericht: Verbes-
serung des Verbraucherschutzes beim Er-
werb von Kapitalanlagen
(Tagesordnungspunkt 24 a und b, Zusatztages-
ordnungspunkte 5 und 6)
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Auf den ersten Blick
scheint es so, als hätten wir es mit einer Verbesserung zu
tun: Einlagensicherung und Anlegerschutz sollen auf zu-
nächst 50 000 Euro, dann auf 100 000 Euro erhöht wer-
den. Tatsächlich jedoch sind zwei entscheidende Fragen
zu beantworten. Erstens. Wie zahlungsfähig sind die
deutschen Systeme der Einlagen- und Wertpapiersiche-
rung? Zweitens. Wer zahlt, wenn die Sicherungseinrich-
tungen erschöpft sind?
Zu Punkt eins, der Zahlungsfähigkeit der Sicherungs-
einrichtungen, ist Folgendes festzustellen. Alle deut-
schen Einlagensicherungen zusammengenommen – ge-
setzliche und freiwillige – sind nicht in der Lage, einen
Einlagenverlust bei der Deutschen Bank aufzufangen.
Die Sicherungssysteme sind historisch einzig dazu ge-
schaffen worden, Schwierigkeiten bei kleinen und mitt-
leren Geldhäusern auszugleichen.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, die Zah-
lungsfähigkeit geringfügig zu verbessern: über Sonder-
beiträge, die zugleich wieder eng gedeckelt sind, und
über die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. Das bringt
nicht mehr, als würde man fünf Topfkuchen verkaufen,
um damit die Bankenrettungen zu finanzieren.
Die Anhörung mit Sachverständigen im Finanzaus-
schuss kam zum selben Ergebnis. Professor Dr. Wolfgang
Gerke beschreibt das Problem wie folgt: „Aktuell würde
die aus Anlegersicht wünschenswerte Einlagensicherung
bei marktgerechter Beitragskalkulation … zu Insolven-
zen führen.“ Mit anderen Worten: Die Banken sind nicht
in der Lage, gemessen an ihrem Risiko in die Siche-
rungssysteme einzuzahlen. Im Kern gilt daher: Die Bun-
desregierung will hier eine EU-Richtlinie umsetzen,
ohne sie auf ein tragfähiges Standbein zu stellen.
Damit komme ich zur zweiten Frage. Wer zahlt, wenn
die Sicherungseinrichtungen erschöpft sind? Wie so oft
trifft es die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Daher
brauchen wir weitere Schritte, um zu verhindern, dass
Einlagensicherung und Anlegerschutz zulasten von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24459
(A) (C)
(B) (D)
Steuergeld erfolgen. Erstens müssen es die Banken sein,
die für die Sicherung von Einlagen und Wertpapieren
aufkommen. Selbst wenn dies zulasten von Zinserträgen
und Wertpapiergewinnen erfolgt, ist das weit besser als
zulasten von Steuergeld.
Zweitens – dazu haben wir einen Antrag einge-
bracht – brauchen wir einen zusätzlichen Sicherungs-
fonds. Dieser Fonds würde durch eine Sonderabgabe der
privaten Finanzinstitute finanziert. Er dient dazu, dass
sich Banken gegenseitig vor Insolvenz bewahren. Hierzu
können sie untereinander zeitlich befristet nicht werthal-
tige Aktiva übernehmen. Die Sicherheit der Banken
selbst ist der Grundstein, der zugleich Spareinlagen und
Wertpapieranlagen schützt.
Drittens fordern wir, den Verbraucherschutz beim Er-
werb von Kapitalanlagen zu verbessern. Auch hierzu
liegt ein Antrag der Linken vor. Was wir brauchen, ist
eine Zulassungsstelle für Anlageprodukte. Diese kann
sowohl Verbraucherinnen und Verbraucher schützen als
auch Volkswirtschaften vor unüberschaubaren Risiken
bewahren. Deshalb brauchen wir europäische Mindest-
standards für Anlageprodukte.
Wer Verbraucherinnen und Verbraucher schützen
will, ohne sie als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu
belasten, muss an die Quelle des Risikos gehen. Nur so
kann eine Sozialisierung der Verluste verhindert werden.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vor-
mundschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 18)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Im
Kern geht es bei dem Thema Zugewinnausgleich um die
gerechte Teilhabe der Eheleute nach einer Scheidung am
im Zeitraum der Ehe erwirtschafteten Vermögen. Es geht
um die gerechte Verteilung von Vermögen und den
Schutz des schwächeren Ehepartners. Der Zugewinnaus-
gleich ist eine Frage gleichberechtigter Werteteilhabe. Er
ist die Grundlage für die selbstverantwortliche Lebens-
gestaltung von Frauen und Männern nach dem Ende der
Ehe.
Lassen Sie mich zunächst auf einige Zahlen verwei-
sen: 368 922 Eheschließungen standen im Jahr 2007
bundesweit 187 072 Ehescheidungen gegenüber. In der
großen Mehrzahl der Scheidungsfälle wurde ein Zuge-
winnausgleich vorgenommen, da der Ehe meist der so-
genannte gesetzliche Güterstand der Zugewinngemein-
schaft zugrunde lag. Vor den Amtsgerichten wurden
2007 allein 15 939 Verfahren zum ehelichen Güterstand
erledigt. Diese Zahlen machen die große Bedeutung des
Zugewinnausgleichs deutlich.
Lassen Sie mich jedoch gleich einen großen Irrglau-
ben ausräumen. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten
Annahme in der Bevölkerung bedeutet der gesetzliche
Güterstand der Zugewinngemeinschaft nicht, dass alle
während der Ehe erworbenen Gegenstände gemein-
schaftliches Vermögen beider Ehegatten werden. Der
Güterstand der Zugewinngemeinschaft bedeutet viel-
mehr, dass grundsätzlich jeder Ehegatte Alleineigentü-
mer seines vor und während der Ehe erworbenen Vermö-
gens bleibt. Ein Ausgleich der unterschiedlichen
Vermögen der Ehegatten, der sogenannte Zugewinnaus-
gleich, findet erst mit dem Ende der Ehe statt.
Seit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgeset-
zes 1958, also vor 50 Jahren, hat es kaum Änderungen
im Recht des Zugewinnausgleichs gegeben. Und auch
nach 50 Jahren wollen wir heute mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf die Grundkonzeption des Zugewinnaus-
gleichs nicht antasten. Vielmehr geht es um Korrekturen
des bestehenden Systems, um Schwachstellen des bishe-
rigen Rechts, die sich über die Jahre herausgebildet ha-
ben, zu beseitigen.
Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Zugewinn-
ausgleichs und Vormundschaftsrechts wird das geltende
Zugewinnausgleichssystem beibehalten, aber mit zahl-
reichen Maßnahmen sollen insbesondere illoyale Vermö-
gensverschiebungen vermindert werden. Dieser Zu-
wachs an Gerechtigkeit ist das Ergebnis einer guten
Vorarbeit durch das Bundesjustizministerium, aber auch
vor allem intensiver Berichterstattergespräche zwischen
allen Koalitionen und der Einbeziehung von hochkaräti-
gen externen Sachverständigen in diese Berichterstatter-
gespräche. Lassen Sie mich kurz auf die wesentlichen
Elemente dieses Gesetzentwurfes eingehen.
Für die Ermittlung des Endvermögens und damit für
die Ermittlung der Höhe des Zugewinnausgleichs ist der
Zeitpunkt der Berechnung von entscheidender Bedeu-
tung. Als wesentlicher Zeitpunkt sind bei einer Trennung
der Ehegatten in chronologischer Reihenfolge der Tren-
nungszeitpunkt selbst, der Zeitpunkt der Zustellung des
Scheidungsantrages und letztendlich die Beendigung des
Güterstandes zu nennen. Nach geltender Rechtslage galt
als Berechnungszeitpunkt der Zeitpunkt der Zustellung
des Scheidungsantrages. Die Höhe der Ausgleichsforde-
rung war jedoch begrenzt durch das Vermögen, das nach
Beendigung des Güterstandes, also im Zweifel Jahre
später, noch vorhanden war. Dieses Auseinanderfallen
der Zeitpunkte lud zu Manipulationen ein. Nach der
Neuregelung gilt für die Berechnung des Zugewinns und
für die Höhe der Ausgleichsforderung der einheitliche
frühe Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrages.
Der ausgleichsberechtigte Ehepartner wird dadurch we-
sentlich besser geschützt.
Diese Neuregelung bringt jedoch in der Praxis nur
dann einen wirklichen Vorteil, wenn der ausgleichsbe-
rechtigte Ehepartner auch weiß, wie hoch das Endver-
mögen des ausgleichspflichtigen Partners wirklich ist.
Als wichtige Neuregelung stellt sich somit die Änderung
des Auskunftsanspruchs des ausgleichsberechtigten
Partners gegen den ausgleichspflichtigen Partner dar.
Zahlreiche Gespräche mit Praktikern, insbesondere auch
mit Anwältinnen, haben gezeigt, dass in diesem Bereich
enormer Verbesserungsbedarf besteht.
24460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
Nach bestehender Rechtslage war nach Beendigung
des Güterstandes jeder Ehegatte dem anderen Ehegatten
gegenüber verpflichtet, Auskunft über den Bestand des
Vermögens zu geben. Doch wie wir alle wissen, lässt
sich viel sagen, wenn nicht auch entsprechende Belege
vorzulegen sind. Eine solche Vorlage von Belegen zu
Kontrollzwecken sah das geltende Recht jedoch gerade
nicht vor. Damit war der Manipulation Tür und Tor ge-
öffnet. Der ausgleichspflichtige Ehegatte, in den aller-
meisten Fällen noch immer der Ehemann, reduzierte so
auf einfache Weise seine Pflicht zur Zahlung des Zuge-
winnausgleichs, und allen Beteiligten waren oftmals die
Hände gebunden. Aus diesem Grunde wird nun die Be-
legpflicht eingeführt. Damit wird die Kontrolle der ge-
machten Angaben wesentlich erleichtert. Auch dies stellt
somit einen wirksamen Schutz des Ausgleichsberechtig-
ten dar.
Im Rahmen des erweiterten Berichterstattergesprä-
ches im Februar diesen Jahres hat insbesondere auch die
von der FDP benannte Sachverständige Frau Professor
Dr. Dethloff eindringlich darauf hingewiesen, dass aus-
gleichspflichtige Ehegatten versuchen werden, noch vor
dem Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrages,
letztendlich also mit der Trennung der Ehegatten, Ver-
mögenswerte beiseitezuschaffen. Aus diesem Grunde
setzte sich die FDP-Bundestagsfraktion in den Berichter-
stattergespräche gezielt dafür ein, dass der Auskunftsan-
spruch weiter ausgedehnt wird. Nach der uns nun zur
Abstimmung vorliegenden Empfehlung des Rechtsaus-
schusses des Deutschen Bundestages wird der Aus-
kunftsanspruch ergänzt um einen weiteren Auskunftsan-
spruch über den Bestand des Vermögens zum Zeitpunkt
der Trennung. Flankiert wird dieser erweiterte Aus-
kunftsanspruch durch eine Beweislastumkehr, wonach
der Ausgleichspflichtige darzulegen und zu beweisen
hat, dass eine Vermögensminderung in dem Zeitraum
zwischen Trennung und Zustellung des Scheidungsan-
trages nicht auf illoyalen Vermögensminderungen be-
ruht. Damit wird der Schutz des ausgleichsberechtigten
Ehegatten weiter gestärkt.
Vervollständigt wird dieser Schutz durch die Mög-
lichkeit, einen Anspruch auf Zahlung vorzeitigen Zuge-
winns bei einer drohenden Vermögungsverschiebung un-
mittelbar geltend zu machen.
Durch dieses Bündel an Maßnahmen wird nach An-
sicht der FDP-Bundestagsfraktion der Schutz des aus-
gleichsberechtigten Ehepartners deutlich gestärkt.
Als weitere wichtige Änderung ist die Berücksichti-
gung negativen Anfangsvermögens bei der Ermittlung
des Zugewinns zu nennen, die nach Ansicht der FDP-
Bundestagsfraktion zu einer deutlichen Stärkung des
Gerechtigkeitsempfindens beitragen wird. Nach der gel-
tenden Rechtslage konnten Verbindlichkeiten niemals zu
einem negativen Anfangsvermögen führen. Startete zum
Beispiel der Ehemann mit Schulden in die Ehe und wur-
den diese Schulden während der Ehe komplett abgebaut,
wirkte sich dies im Falle eines späteren Zugewinnaus-
gleichs überhaupt nicht aus. Die gemeinsame Schulden-
tilgung der Eheleute kam also allein dem Ehemann zu-
gute. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, dass
eben auch der Abbau von Schulden bei einem Ehepart-
ner letztendlich einen Vermögenszuwachs darstellt. Die-
ses unbefriedigende Ergebnis, dass Schulden beim An-
fangsvermögen nicht berücksichtigt wurden, wird nun
nach 50 Jahren beendet. Zukünftig werden auch Schul-
den, die die Ehegatten mit in die Ehe gebracht haben,
beim Zugewinnausgleich berücksichtigt. Dies ist ein we-
sentlicher Schritt zu mehr Gerechtigkeit nach einer
Scheidung.
Erst im Rahmen der Berichterstattergespräche hat der
Verzicht auf eine sogenannte Kappungsgrenze Eingang
in den vorliegenden Gesetzentwurf gefunden. Die Höhe
der Ausgleichsforderung wird zwar richtigerweise auf
das bei Ende des Güterstandes vorhandene Vermögen
begrenzt. Eine Kappungsgrenze bei 50 Prozent des vor-
handenen Vermögens, wie sie der Gesetzentwurf zu-
nächst vorsah, hätte dem Gerechtigkeitsempfinden stark
widersprochen und war daher abzulehnen. Auch darauf
hat die Sachverständige der FDP dezidiert hingewiesen.
Insgesamt liegt uns damit ein Gesetzentwurf vor, der
die Zustimmung der FDP-Bundestagsfraktion verdient.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Arbeitsplätze im
Transportgewerbe sichern – Mauterhöhung bis
Ende 2009 aussetzen (Tagesordnungspunkt 23)
Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Die Situa-
tion der Güterkraftverkehrsbranche ist schwierig, ja
mehr noch: katastrophal. Es gibt gewaltige Umsatzein-
brüche, und niemand kann voraussehen, wann es wieder
aufwärtsgeht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die
von Ihnen in Ihrem Antrag aufgeführten Fakten sind bis
auf wenige Dinge richtig. Der im Antrag genannte
durchschnittliche Mautsatz zum 1. Januar 2009 war nach
Angabe des BMVBS 13,5 Cent und nicht 12,5 Cent.
Aber um diese Differenz geht es mir gar nicht. Und ich
stimme Ihnen zu, dass die Mauterhöhung die schwierige
Lage für die Branche, die durch die Finanz- und Wirt-
schaftskrise entstanden ist, deutlich verschärft. Weil wir
das in unserer Fraktion genauso sehen, haben wir ja
schon in der vergangenen Woche erklärt, dass hier drin-
gend Handlungsbedarf gegeben ist. Wir haben auch klar
formuliert, wie wir dem Gewerbe helfen wollen.
Bei allen Überlegungen müssen wir aber auch ehrlich
mit den Mautsätzen umgehen. 2003 haben wir uns in der
Koordinierungsrunde zur Mauteinführung – in der übri-
gens alle Fraktionen anwesend waren – auf 15 Cent pro
gefahrenen Kilometer geeinigt. Wir haben die 15 Cent
pro Mautkilometer nur nicht von Anfang an eingeführt,
sondern einen moderateren Mautsatz gewählt, bis die
volle Harmonisierung von 600 Millionen pro Jahr für
das Gewerbe durchgesetzt werden konnte. Dies ist seit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24461
(A) (C)
(B) (D)
Anfang dieses Jahres der Fall. Darum sind diese 15 Cent
fair, weil mit Ihnen die 2007 abgesenkte Kfz-Steuer, das
Innovationsprogramm und die seit diesem Jahr abrufba-
ren De-minimis-Beihilfen und die Förderung von Aus-
und Weiterbildungsmaßnahmen gegenfinanziert werden.
Die abgesenkte Kfz-Steuer, das Innovationsprogramm,
die De-minimis-Beihilfen und die Förderung von Aus-
und Weiterbildung kommen nur den deutschen Logistik-
unternehmen zugute. Die 15 Cent muss auch die auslän-
dische Konkurrenz bezahlen.
Darüber hinaus fordern wir den durchschnittlichen
Mautsatz von 15 Cent nicht nur bis Ende 2009, sondern
bis nach Beendigung der Wirtschaftskrise, aber mindes-
tens bis Ende 2010. Außerdem fordern wir, dass die von
mir erwähnten De-minimis-Beihilfen aufgestockt wer-
den und deren Auszahlung beschleunigt und entbürokra-
tisiert wird. Die De-minimis-Beihilfen erfordern keine
Anzeige und keine Genehmigung der Europäischen
Kommission, waren aber deshalb in einem Rahmen von
drei Jahren auf 100 000 Euro pro Unternehmen begrenzt.
Nun hat die EU-Kommission wegen der Wirtschafts-
krise eine Aufstockung dieser Beihilfen auf 500 000
Euro binnen drei Jahren pro Unternehmen erlaubt. Wir
wollen diesen Rahmen besser ausschöpfen. Die Beihil-
fen sollten deshalb von 600 Euro pro mautpflichtigem
Fahrzeug und Jahr auf 1 000 Euro erhöht werden.
Für sehr wichtig halten wir auch eine Entbürokratisie-
rung des Auszahlungsverfahrens. Momentan zieht sich
die Auszahlung über Wochen hin. Eine Möglichkeit wäre
die von Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg vorge-
schlagene Variante, den Unternehmen sofort nach der Be-
willigung Abschlagszahlungen zu gewähren. Denn das
Wichtigste ist, dass die Unternehmen in dieser Krise li-
quide bleiben.
Dazu trägt das von der Bundesregierung aufgelegte
Kredit- und Bürgschaftsprogramm mit einem Gesamtum-
fang von 115 Milliarden Euro bei. Dieser „Wirtschafts-
fonds Deutschland“ besteht aus einem Kreditteil und aus
einem Bürgschaftsteil, von dem auch die Transportunter-
nehmen profitieren. Und das Bundeswirtschaftsministe-
rium legt richtigerweise größten Wert darauf, dass die
vorgelegten Fälle zügig entschieden werden. Daran sollte
sich das Bundesverkehrsministerium einmal ein Beispiel
nehmen.
Auch könnte das Bundesverkehrsministerium an sei-
ner Informationsphilosophie arbeiten. Im Zuge der Ab-
wrackprämie wurde von vielen laut nach einer Abwrack-
prämie auch für Nutzfahrzeuge gerufen. Offensichtlich
war diesen Kritikern nicht bewusst, dass es beim Erwerb
von schadstoffarmen Fahrzeugen bereits Zuschüsse oder
verbilligte Kredite gibt. Diese Zuschüsse und verbilligten
Kredite gibt es ihm Rahmen des Innovationsprogramms,
welches eine Säule der Harmonisierungsmaßnahmen für
das Transportgewerbe ist, von dem ich vorhin schon
sprach, und – jetzt wiederhole ich mich – für dessen Fi-
nanzierung wir unter anderem den durchschnittlichen
Mautsatz auf 15 Cent und nicht auf 12,5 Cent senken
sollten. Bis zu 4 250 Euro gibt es pro Fahrzeug. Diejeni-
gen, die nach einer Abwrackprämie für Nutzfahrzeuge
riefen, wussten das offensichtlich nicht.
Andere, die dies sehr wohl wissen, nutzen dieses An-
gebot nicht, weil sie sich schlicht und einfach keine
neuen Fahrzeuge leisten können. Die würden zwar weni-
ger Schadstoffe ausstoßen; entsprechend würde die Maut
sinken. Doch ihre alten Fahrzeuge können sie schwerlich
in Zahlung geben. Deren Preise sind teilweise um die
Hälfte gesunken. Ich spreche von den Euro-3-Fahrzeu-
gen.
Da die Mautsätze für diese Fahrzeuge mit bis zu
9,4 Cent pro Kilometer auf jetzt 22,4 Cent pro Kilometer
besonders stark angestiegen sind, ist ein wirtschaftlicher
Einsatz dieser relativ neuen Lkw – drei Jahre und älter –
im Vergleich zu Euro-5-Lkw mit einer Maut von
15,4 Cent pro Kilometer kaum noch möglich. Auch kön-
nen die Transportunternehmen diese Fahrzeuge nur mit
großen Abschlägen verkaufen. Dies führt zu Sonderab-
schreibungen und Bonitätsverschlechterungen bei den
betroffenen Unternehmen. Geringe Veräußerungswerte
und schlechtere Bonitäten erschweren die Anschaffung
neuer Lkw zusätzlich. Dabei fiel nach zähem Ringen bei
der Mauterhöhung zum 1. Januar 2009 die Erhöhung
schon um 2 Cent je Mautkilometer geringer aus als ge-
plant, wofür die anderen Klassen mit 1 Cent stärker be-
lastet wurden.
Minister Tiefensee hat sich erst am Dienstag in einem
Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung be-
sorgt über die Lage im Gewerbe geäußert und eine Ab-
senkung der Maut ausgeschlossen. Aber er muss einse-
hen, dass hier dringender Handlungsbedarf geboten ist.
Aus diesem Grund ist ja auch eine interministerielle
Kommission gebildet worden, die nach Lösungen su-
chen soll. Wir bitten den Herrn Minister, in der Kommis-
sion alles dafür zu tun, dass dem Gewerbe Hilfe gewährt
wird.
Gerne wiederhole ich an dieser Stelle unsere Forde-
rungen: Wir wollen den Mautsatz von aktuell 18,3 Cent
auf durchschnittlich 15 Cent absenken, und zwar bis nach
Beendigung der Wirtschaftskrise, aber bis mindestens
Ende 2010. Damit bleibt nur der Teil der Mauterhöhung
bestehen, der für die Finanzierung der zum Jahresanfang
endlich durchgesetzten Harmonisierung von 600 Millio-
nen Euro benötigt wird. Dies hatten wir schon 2003 ein-
vernehmlich mit dem Gewerbe ausgehandelt. Dafür
kommt das Transportgewerbe in den Genuss der 600 Mil-
lionen Euro in Form der abgesenkten Kfz-Steuer, des In-
novationsprogramms, der De-minimis-Beihilfen und der
Förderung von Aus- und Weiterbildung. Dieses Geld
kommt allein den inländischen Unternehmen zugute,
während die ausländische Konkurrenz die durchschnitt-
lich 15 Cent pro Kilometer bezahlen muss. Es entfällt da-
durch der Teil der Mauterhöhung, der auf dem aktuellen
Wegekostengutachten beruht.
Wir wollen die De-minimis-Beihilfen von aktuell
600 Euro pro mautpflichtigem Fahrzeug und Jahr auf
1 000 Euro aufstocken. Damit schöpfen wir den durch
die EU erhöhten Rahmen besser aus.
24462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
Und wir wollen das Auszahlungsverfahren bei den
De-minimis-Beihilfen beschleunigen und entbürokrati-
sieren.
Nachdem durch die Krise die Eigenkapitaldecke vie-
ler Unternehmen sehr niedrig ist und diese nun auch
durch die sehr geringen Wiederverkaufswerte weiter ge-
schwächt wird, können gerade kleine und mittlere Unter-
nehmen vorgesehene Investitionen nicht mehr tätigen.
Die geringen Wiederverkaufswerte, die durch die Maut-
spreizung verursacht worden sind, zusammen mit der
Mauterhöhung insgesamt verschärfen die Situation im
durch die Krise gebeutelten deutschen Transportgewerbe
enorm.
Und zur Ehrlichkeit gehört: Die Mauterhöhung wäre
in dieser Form nicht beschlossen worden, wenn das
wahre Gesicht der Krise letztes Jahr schon abzusehen
gewesen wäre. Deshalb muss sich Minister Tiefensee
unbedingt der Sorgen im Transportgewerbe annehmen,
damit nicht noch mehr Schaden entsteht.
Uwe Beckmeyer (SPD): Wir beraten heute einen
Antrag der FDP, der die Bundesregierung auffordert, die
Arbeitsplätze im Transportgewerbe zu sichern und dafür
die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Erhöhung der
Maut bis Ende des Jahres 2009 auszusetzen.
Das erste Anliegen des Antrags unterstützen wir als
Sozialdemokraten vorbehaltlos. Es ist als Politik unsere
Aufgabe, dem deutschen Transport- und Logistikge-
werbe durch die Zeit der Wirtschaftskrise zu helfen und
dabei Arbeitsplätze zu sichern. Daher habe ich bereits
vor einem Monat die Vertreter der Branche zu einem Ge-
spräch mit den Verkehrspolitikern meiner Fraktion ein-
geladen und mit ihnen sowie dem Bundesverkehrsminis-
terium vereinbart, dass in direkten Gesprächen – unter
Einbindung weiterer Ressorts – besprochen wird, wie
man helfen kann. Der erste Termin hat vor einer Woche
stattgefunden. Ein nächstes Treffen ist für die kom-
mende Woche vereinbart.
Wir beobachten derzeit, dass die Wirtschaftskrise in
einem rasanten Tempo alle wichtigen Branchen unserer
Volkswirtschaft erreicht. Schlüsselsektoren wie die Au-
tomobilindustrie, die chemische Industrie, der Maschi-
nenbau beklagen einen immensen Einbruch der Auf-
tragslage.
In einem Land, das einen großen Teil seines Wohl-
stands der Exportwirtschaft verdankt, ist klar, dass das
Transport- und Logistikgewerbe ebenfalls direkt von den
Produktionsausfällen betroffen ist. Wo weniger produ-
ziert und exportiert wird, wird auch weniger transpor-
tiert.
Mir ist bewusst, dass sich die wirtschaftliche Situa-
tion für das Logistikgewerbe durch die Wirtschaftskrise
verschlechtert hat. Wir verzeichnen eine Zunahme der
Insolvenzverfahren. Die Zahl der Betriebsaufgaben
steigt. Ausbleibende Aufträge und damit verbundene
Überhänge in der Laderaumkapazität ziehen Flottenstill-
legungen im Straßengütergewerbe nach sich. Leasingra-
ten für den Fuhrpark und Ausgaben für das Personal
müssen jedoch weiterhin geleistet werden.
In dieser Situation kommt dem Staat eine besondere
Bedeutung zu. Wobei wir auch in den Zeiten der Krise
nicht den Blick dafür verlieren dürfen, was der Staat
leisten kann und was nicht. Als Politik sehen wir uns
– verständlicherweise – derzeit einer riesigen Erwar-
tungshaltung ausgesetzt. Trotzdem müssen wir auch sa-
gen, was geht und was nicht.
Meine Frage ist, ob die Antwort auf die Krise, die die
Kolleginnen und Kollegen der FDP-Bundestagsfraktion
mit ihrem vorgelegten Antrag vorschlagen, wirklich
überzeugt.
Auf den ersten Blick erscheint die Schlussfolgerung
„Weniger Maut gleich weniger Ausgaben gleich weniger
Belastung und damit mehr Einnahmen“ sehr einfach und
einleuchtend. Ich will mich der Forderung prinzipiell
nicht verweigern. Trotzdem müssen wir zwei Dinge be-
achten:
Ich bin mir nicht sicher, ob bei einer Absenkung der
Maut die geringere Belastung wirklich beim Transport-
und Logistikgewerbe ankommen würde. Oder ob nicht
vielmehr die Auftraggeber die Chance nutzen und die
Preise aufgrund der aktuell angespannten Lage noch
weiter drücken würden. Dann hätten wir dem Gewerbe
auf Kosten des Steuerzahlers einen Bärendienst erwie-
sen.
Hinzukommt, dass die mit der Veränderung der Maut
zum 1. Januar 2009 prognostizierten Mehreinnahmen in
die Finanzierung von wichtigen Verkehrsinfrastruktur-
projekten fließt. Damit wird dem Transport- und Logis-
tikgewerbe indirekt auch geholfen. Gute Infrastruktur
heißt auch gute Rahmenbedingungen für das Gewerbe.
Wer die Absenkung der Maut fordert, muss daher
auch die Frage beantworten, wie die Mindereinnahmen
kompensiert werden können.
Aus meiner Sicht ist die Beantwortung der von mir
genannten Fragen nicht so einfach. Ich vermute, das war
auch der Grund, warum die Verkehrsminister der Länder
auf ihrer letzten Tagung im April nicht die Forderung
nach einem Aussetzen der Maut erhoben haben.
Ich will an dieser Stelle auch noch einmal in Erinne-
rung rufen, was das gemeinschaftliche Ziel der beiden
Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD bei der
Änderung der Mauthöheverordnung war:
Wir wollten eine Verstetigung und deutliche Verstär-
kung der erforderlichen Investitionen in die Verkehrsin-
frastruktur erreichen. Dieses war nur möglich, wenn die
Mautsätze an die tatsächlichen Wegekosten angepasst
werden. Die bis dato geltenden Mautsätze basierten auf
der Berechnung des Wegekostengutachtens aus dem Jahr
2002.
Mehr Maut bedeutet mehr Investitionen. Durch die
Neufestsetzung der Mauthöhe werden für das Jahr 2009
rund 1 Milliarde Euro zusätzlich an Mauteinnahmen er-
wartet. Die Zahl wird sich in Anbetracht der wirtschaftli-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24463
(A) (C)
(B) (D)
chen Lage sicherlich noch ändern. Fest steht aber: Diese
Gelder sollen zusätzlich in die Verkehrsinfrastruktur, vor
allem in die Fernstraßen, investiert werden.
Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass
wir das deutsche Transportgewerbe im Rahmen der
Mautharmonisierungsmaßnahmen entlasten. Mit einem
Maßnahmenpaket aus Absenkung der Kfz-Steuer, dem
Innovationsprogramm für die Anschaffung schadstoffar-
mer Lkw, den De-minimis-Beihilfen und der Förderung
von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gleichen wir
Wettbewerbsnachteile der Spediteure gegenüber der aus-
ländischen Konkurrenz in einer Größenordnung von
über 600 Millionen Euro aus.
Und: Im Zuge des Konjunkturprogramms haben wir
die Mittel noch einmal um 50 Millionen Euro für die De-
minimis-Beihilfen und die Förderung von Fort- und
Weiterbildungsmaßnahmen aufgestockt.
Mit den Konjunkturpaketen I und II helfen wir gene-
rell, dass Arbeitsplätze und Unternehmen – auch in der
Logistikbranche – gesichert und gestützt werden und
dass die Konjunktur wieder in Gang kommt. Beide Maß-
nahmenpakete zusammen haben einen Umfang von über
80 Milliarden Euro.
Wir müssen nun schauen, wie an verschiedenen Stel-
len die vorhandenen Instrumente passgenauer gemacht
werden können, damit sie auf die besondere Situation in
der Transport- und Logistikbranche zugeschnitten sind.
Dabei müssen wir zum Beispiel über eine Feinjustie-
rung der Kurzarbeiterregelungen reden. Die Koalitions-
fraktionen sind sich einig, dass das Kurzarbeitergeld auf
24 Monate ausgeweitet werden soll und ab dem 7. Mo-
nat die Sozialversicherungsbeiträge vom Staat übernom-
men werden. Das wird auch dem Transport- und Logis-
tikgewerbe helfen, ihre Mitarbeiter zu halten.
Das Problem ist jedoch, dass die Löhne im Transport-
und Logistikgewerbe sich mehrheitlich aus einem
Grundeinkommen und einer ergänzenden Überstunden-
vergütung zusammensetzt. Das Kurzarbeitergeld bezieht
sich jedoch nur auf den Nettolohn. Überstunden bleiben
derzeit außen vor. Das Bundesarbeitsgericht verweist in
einem Urteil darauf, dass bei Arbeitnehmern, in deren
Branchen Überstundenvergütungen üblicherweise im
großen Maße vorkommen, diese auch in die Berechnung
des Kurzarbeitergeldes einbezogen werden sollte. Hier
sollten die Arbeitsmarktexperten noch einmal prüfen, ob
hier nicht eine gesetzliche Klarstellung erfolgen sollte.
Außerdem müssen wir uns anschauen, wie wir die in
der Sache richtigen Liquiditätshilfen der KfW-Bank aus
den beiden bereits beschlossenen Konjunkturprogram-
men in ihrer Wirksamkeit verbessern. Die Unternehmen
der Transport- und Logistikbranche beklagen im ver-
stärkten Maße, dass die Hausbanken trotz der Hilfspro-
gramme der KfW sehr zögerlich mit der Vergabe von
Krediten umgehen. Möglicherweise müssen wir in die-
sem Zusammenhang über ein befristetes Aussetzen der
Eigenkapitalvorschriften (Basel II) für Kreditinstitute
nachdenken.
Darüber hinaus sollten wir prüfen, auf welche Art und
Weise wir den Kombinierten Verkehr in seiner Struktur
in der Zeit der Krise erhalten.
Durch sinkende Preise im Straßengüterverkehr wan-
dern derzeit verstärkt Verkehre von der Schiene wieder
zurück auf die Straße. Das ist nicht im Sinne der Stär-
kung des Kombinierten Verkehrs. Entsprechend sollten
wir nach Wegen suchen, wie wir den Güterverkehr auf
der Schiene halten können.
Ferner sollten wir einen Eigenkapitalfonds prüfen, der
nach Vorbild der Landesförderbanken Unternehmen, die
sich in einer Notlage befinden, mit Eigenkapital versor-
gen könnte.
Parallel dazu wollen wir schauen, ob wir die Instru-
mentarien der Mautharmonisierung punktuell so verän-
dern können, dass sie den Unternehmen in der aktuellen
Phase des Abschwungs gezielt helfen.
Ein erster Schritt darüber hinaus könnte mit der Ver-
längerung der Antragsfrist für die Harmonisierungsmit-
tel über den 15. Mai 2009 gemacht werden.
Gleichzeitig sollten wir prüfen, ob die Begrenzung
der De-minimis-Förderung auf 600 Euro pro Fahrzeug
und 33 000 Euro im Jahr pro Unternehmen flexibler ge-
staltet werden kann.
In ähnlicher Weise sollten wir schauen, ob im Rah-
men der Mautharmonisierung die Förderansätze in der
Förderrichtlinie zur Aus- und Weiterbildung flexibili-
siert werden können.
Denkbar wäre auch, dass die per Berufskraftfahrer-
und Qualifizierungsgesetz obligatorisch vorgesehenen
Nachprüfungen gefördert werden könnten.
Genauso sollten wir überprüfen, ob die Förderung im
Rahmen des De-minimis-Programms und der Aus- und
Fortbildung vorerst als Pauschale oder Abschlagszah-
lung an die Unternehmen ausgereicht werden können.
Außerdem sollten wir prüfen, ob den Unternehmen
ein verbessertes Abschreibungsverfahren für die Euro-3-
Fahrzeuge helfen könnte, in neue Euro-5-Fahrzeuge zu
investieren.
Mit den von mir geschilderten Maßnahmen können
wir ein Paket aus Instrumentarien schnüren, das dem
Transport- und Logistikgewerbe in den kommenden Mo-
naten durch die Wirtschaftskrise helfen kann. Dabei ist
es von großem Vorteil, dass wir bestehende Programme
der Mautharmonisierung und Hilfen der bereits be-
schlossenen Konjunkturprogramme nutzen. So verlieren
wir nicht viel Zeit und können schnell auf die schwierige
Lage reagieren.
Ich glaube, wir sind uns im Ziel, dem Transport- und
Logistikgewerbe zu helfen, alle einig. Lassen Sie uns die
Diskussion über konkrete Hilfen jedoch nicht auf die
Frage „Mauthöhe runter – ja oder nein“ verkürzen und
gemeinsam schauen, wie wir helfen können.
24464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
Jan Mücke (FDP): Die Wirtschaftskrise hat die Gü-
terkraftverkehrsbranche mit aller Wucht getroffen. Bin-
nen eines Quartals verschlechterte sich die Auftragslage
um 25 bis 30 Prozent. Ein Ende der Talfahrt ist nicht ab-
zusehen. Suchte das Gewerbe im vergangenen Herbst
noch händeringend Kraftfahrer, haben mittlerweile
40 Prozent aller deutschen Transportunternehmen Kurz-
arbeit eingeführt. 60 Prozent der Betriebe sahen sich so-
gar bereits gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen.
In dieser Situation täte die Politik gut daran, die Bran-
che bestmöglich zu entlasten. Die Koalition hingegen
überzieht sie seit Jahresbeginn mit der größten Maut-
erhöhung seit Beginn der Mautpflicht. Was das für die
Unternehmen bedeutet, erschließt sich, wenn man weiß,
dass allein 25 bis 40 Prozent der Gesamtkosten eines
Speditionsunternehmens mit eigenem Fuhrpark und
schwerpunktmäßig nationalem Geschäft auf Kraftstoff
und Maut entfallen. In der Bundesrepublik wird mit
0,47 Euro pro Liter Diesel bereits der europaweit zweit-
höchste Steuersatz für Kraftstoffe erhoben. Man kann
sich vorstellen, welche Auswirkungen zusätzliche Belas-
tungen durch eine um 47 Prozent erhöhte Maut auf die
wirtschaftliche Lage der Unternehmen haben. In der der-
zeitigen, angespannten wirtschaftlichen Lage kann diese
häufig nicht einmal teilweise an die Auftraggeber wei-
tergegeben werden.
Zudem ergaben die jüngsten Erhebungen, dass sich
der durchschnittliche Mautsatz nicht, wie von der Bun-
desregierung noch im letzten Jahr stets angeführt, auf
16,3 Cent pro Kilometer, sondern auf 18,4 Cent pro Ki-
lometer erhöht hat. Die Bundesregierung zieht sich zwar
darauf zurück, dass sich dieser Wert nicht allein auf das
Mautaufkommen im Jahr 2009 beziehe, sondern einen
Durchschnittswert der Mautsätze der Jahre 2009 bis
2011 darstelle. Was nutzt den Spediteuren in der heuti-
gen Situation ein Durchschnittswert, der die Prognosen
für spätere Jahre mit einbezieht? Zumal sich aller Vo-
raussicht nach auch diese Prognosen nicht einstellen
werden. Sie gründen auf der Annahme, dass die Unter-
nehmen ihre Flotten kontinuierlich erneuern werden.
Dafür fehlt ihnen aber schlichtweg das Geld. Vielmehr
kämpfen viele Spediteure zurzeit ums reine Überleben.
Hinzu kommt, dass durch die enorme Mautspreizung
Euro-III-Fahrzeuge einen Großteil ihres bisherigen
Marktwertes verloren haben. Dieser fehlt den Unterneh-
men zusätzlich als Finanzierungsanteil. Die aktuelle Zu-
lassungsstatistik des Kraftfahrt-Bundesamtes bestätigt
die Krisenlage: Die Zahl der Neuzulassungen für Sattel-
zugmaschinen nahm gegenüber dem jeweiligen Vorjah-
resmonat im Januar 2009 um 28,7 Prozent, im Februar
2009 sogar um 48,2 Prozent ab. Angesichts dieser Zah-
len ist es nicht nachvollziehbar, wie die Bundesregierung
ihre Ziele erreicht sehen will.
Die FDP-Bundestagsfraktion schlägt daher vor, die
Mauterhöhung des Jahres 2009 bis zum Ende dieses Jah-
res auszusetzen. Die Unternehmen werden hierdurch
schnell und effektiv entlastet. Für viele ist es die letzte
Chance. Wachen wir nicht erst auf, wenn es bereits zu
spät ist! Den Pressemeldungen der letzten Tage war zu
entnehmen, das auch Vertreter der Unionsfraktion eine
Mautentlastung anstreben. Ich hoffe auf Ihre Unterstüt-
zung.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Die Wirtschaftsleis-
tung geht in diesem Jahr um voraussichtlich 6 Prozent
zurück. Güterverkehrsunternehmen verzeichnen Rück-
gänge um bis zu 40 Prozent. Frachtraten auf Schiene und
Straße gehen vor allem wegen des Exporteinbruchs zu-
rück. Spediteure machen Dumpingangebote. Dadurch
kommt es teilweise zur Verlagerung von Verkehren von
der Schiene auf die Straße. Damit einher gehen Kurz-
arbeit und steigende Arbeitslosigkeit in allen Bereichen
der Wirtschaft. Besonders betroffen ist das Transportge-
werbe.
Ich stimme den Kolleginnen und Kollegen von der
FDP in ihrem Anliegen ausdrücklich zu, Arbeitsplätze
sichern zu wollen. Ist allerdings der vorgeschlagene Weg
der Richtige? Ist die geforderte Aussetzung der Erhö-
hung der Lkw-Maut der richtige Weg? Ich denke Nein.
Warum? Die Lkw-Maut ist ein sinnvolles Mittel. Mit
Einführung der Lkw-Maut zum 1. Januar 2005 wurde
die Benachteiligung des in (fast) allen Belangen wesent-
lich umweltfreundlicheren Schienenverkehrs weitge-
hend aufgehoben. Seit der Einführung ist es tatsächlich
zu einer Reduzierung von unnötigen Leerfahrten gekom-
men. Auch sollen künftig weitere Anreize geschaffen
werden, Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern.
Ich stimme aber auch zu, dass Spediteure zurzeit
große Probleme haben, die Lkw-Mauterhöhung weiter-
zugeben. Zum Teil liegt das daran, dass die Weitergabe
der Lkw-Maut einfach nicht vertraglich vereinbart
wurde. Zum Teil zahlt die Wirtschaft aber ganz einfach
nicht die höhere Maut für Lkws, die in einer schlechte-
ren Emissionsklasse sind. Das ist insbesondere für kleine
Spediteure ein Problem, die eben nicht neue und alte
Fahrzeuge haben und jetzt einfach mal die alten mit
schlechten Emissionswerten stehen lassen können. Eine
spezielle Förderung kleiner Spediteure ist EU-beihilfe-
rechtlich nicht unproblematisch, wäre aber nach meiner
Auffassung der bessere Weg, als für alle Lkws die Maut-
erhöhung auszusetzen.
Eine Absenkung der Mauterhöhung wäre aber durch-
aus möglich. Man wird jetzt fragen: Um wie viel? Dazu
sage ich, einfach nur pauschal aussetzen ist der falsche
Weg. Noch einmal zur Erklärung: Die Mauterhöhung er-
folgt in zwei Stufen. Die erste kam zum 1. Januar 2009,
und die zweite kommt zum 1. Januar 2011. Bei einem
Dreiachser in der Schadstoffklasse III oder II mit Parti-
kelminderungsstufe 1 bedeutet das eine Maut von
19 bzw. 21 Cent pro Kilometer. Es kommt damit zu der
eigenartigen Entwicklung, dass 2009 und 2011 die Maut
stark steigt, danach aber wieder fallen wird. Dabei sagt
das Wegekostengutachten von 2007, dass ab 2012 die
Maut steigen müsste, eben weil die Wegekosten steigen,
im Durchschnitt 2012 auf 18 Cent. Nach der Verordnung
ist es aber so, dass dieser Wert schon 2009 erreicht wird
und danach wieder abfällt.
Die Linke sagt: Wenn, dann sollte eine Neufestlegung
der Lkw-Maut erfolgen. Dabei sollte in kleineren Schrit-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24465
(A) (C)
(B) (D)
ten vorgegangen werden. Also könnten die Mautsätze
jetzt durchaus etwas geringer sein und, was sinnvoll
wäre, man könnte ein paar Stufen mehr einfügen, um
dann bis 2012 den Mautsatz steigen zu lassen. Dann hät-
ten gerade die kleineren Spediteure etwas mehr Zeit. Es
würde zwar etwas weniger Geld reinkommen, aber ich
denke, es wäre vertretbar und würde gerade jetzt den
Spediteuren helfen. Letztlich wollen wir die Menschen
bei dem, was wir tun, mitnehmen und nicht gegen sie et-
was durchdrücken.
Auch der Einbau eines Partikelfilters aus dem De-
minimis-Programm kann nun gefördert werden. Mit ei-
nem solchen Dieselrußfilter rutschen die Lkws in die
nächstniedrigere Mautklasse. Das spart dann Maut. Hier
kann durchaus die Förderung von derzeit maximal
2 000 Euro erhöht werden, denn ein Filter kostet
4 500 Euro. Das würde gerade auch für kleine Speditio-
nen eine Entlastung bringen. Wie viele Fahrzeuge über-
haupt schon umgerüstet wurden, dazu gibt die Bundesre-
gierung keine Auskünfte. Es wäre aber wichtig zu
wissen, ob die Unterstützung überhaupt angenommen
wird.
Darüber hinaus brauchen wir ein wirkliches Antikri-
senprogramm, das die Arbeitsplätze der Menschen er-
hält: eine Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes, einen ge-
setzlichen Mindestlohn, ein Investitionsprogramm für
den sozialen und ökologischen Umbau der Gesellschaft.
Damit erhöhen wir die Nachfrage im Land. Und damit
ich nicht falsch verstanden werde, die Linke steht für re-
gionale Wirtschaftskreisläufe, das schließt die Vermei-
dung von unnötigem Güterfernverkehr ein.
Fazit: Der Antrag der FDP macht zwar auf beste-
hende Probleme aufmerksam. Die Aussetzung der Maut-
erhöhung wird von uns aber als nicht richtig erachtet.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der FDP-Antrag ist ein Showantrag, der nichts kostet,
aber Wählerstimmen bei der Lkw-Lobby bringen soll.
Denen sei ein Blick in das FDP-Wahlprogramm empfoh-
len, das am Wochenende beschlossen werden soll. Kein
Wort zur Senkung der Lkw-Maut, die hier gefordert
wird. Und das ist auch logisch. Denn natürlich weiß auch
die FDP, dass eine Senkung der Lkw-Maut eins zu eins
auch zu einer Senkung der Verkehrsinvestitionen führen
würde. Oder glaubt hier irgendjemand, dass angesichts
von prognostizierten Steuerausfällen von 316 Milliarden
Euro bis 2012 der Bundesfinanzminister dann ein-
springt?
Unterschlagen wird in der Diskussion um die Maut-
erhöhung auch gerne, dass ein Großteil der Erhöhung di-
rekt dem deutschen Speditionsgewerbe zugutekommt.
Seit Wochen und Monaten stehen in den Fachzeitschrif-
ten Tipps und Tricks, wie man an diese Hilfen kommen
kann unter der Überschrift „So sichern Sie sich Ihr Geld
vom Staat“. Würde man die Maut zurückdrehen, müsste
man auch diese sogenannten De-minimis-Beihilfen zu-
rückdrehen.
Ich will ein Beispiel geben, was dann nicht mehr
möglich wäre: So gewährt der Bund für die Nachrüstung
eines Lkw mit Dieselrußpartikelfilter aus den De-mini-
mis-Beihilfen 2 000 Euro Zuschuss. Mit dem Filter kom-
men die Lkw dann in die nächstgünstigere Mautstufe.
Ein umgerüsteter Euro-2-Lkw spart 8,4 Cent pro Kilo-
meter, ein Euro-3-Lkw wird zu Euro-4, spart 2,1 Cent
pro Kilometer und erhöht den Restwert beträchtlich. Das
nutzt Spediteuren und Umwelt gleichermaßen. Das wäre
aber nicht mehr möglich, wenn der FDP-Antrag umge-
setzt würde.
Außerdem wissen wir alle, dass die deutsche Lkw-
Maut weit unter dem liegt, was nach dem letzten Wege-
kostengutachten möglich wäre, und dass die externen
Kosten des Lkw-Verkehrs immer noch nicht angelastet
werden. In der Schweiz ist die Maut viermal so hoch wie
in Deutschland, und trotzdem gibt es dort noch in nen-
nenswerten Umfang Lkw-Verkehr. Aber was auf die
Schiene verlagert werden kann, das wird in der Schweiz
verlagert, und so sollten wir das hier auch machen.
Statt über Hilfen für den Lkw zu reden, sollten wir da-
her besser über Hilfen für den Schienengüterverkehr re-
den. Gerade im kombinierten Verkehr drohen große
Rückverlagerungen. Denn die gesamte Verbindung wird
unwirtschaftlich, wenn das Ladungsaufkommen nur um
10 bis 20 Prozent einbricht. Genau das ist aber derzeit
der Fall. Und obendrauf möchte die FDP mit der Union
noch die Gigaliner zulassen, die nach einer aktuellen
Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innova-
tionsforschung, ISI, zu einer massiven Rückverlagerung
des Verkehrs von der Schiene auf die Straße führen und
damit die Klimabilanz des Gütertransports massiv ver-
schlechtern würden. Daher lehnt meine Fraktion diesen
Antrag ab.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Eine starke Partnerschaft – Europa
und Lateinamerika/Karibik (Tagesordnungs-
punkt 26)
Marina Schuster (FDP): Es freut mich, dass es die
Beziehungen zu Lateinamerika und der Karibik nach
langer Pause auf die Tagesordnung des Plenums ge-
schafft haben. Bedauerlich ist nur, dass einer strategisch
so bedeutenden Thematik kein prominenter Platz einge-
räumt wird.
Eigentlich sollte uns diese Vernachlässigung nicht
wundern. Die Lateinamerika-Politik führt bei der Bun-
desregierung nach wie vor nur ein trauriges Schatten-
dasein; das kann auch ihr Antrag nicht verdecken. Jahre-
lang sind Sie wie selbstverständlich davon ausgegangen,
dass die Region unser natürlicher Partner ist, um den
man sich nicht weiter zu bemühen braucht. Selbstver-
ständlich, wir teilen mit den Menschen in der Region
viele kulturelle, religiöse Werte. Doch in einer globali-
24466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
sierten Welt sind natürliche Partner zu einer Rarität ge-
worden. Wir müssen uns viel aktiver einbringen, um die
engen Beziehungen zu dieser Region nicht aufs Spiel zu
setzen.
Das Beispiel Afrika zeigt, wie direkt vor unserer
Haustüre Länder wie China vehement nicht nur ihre
wirtschaftlichen Interessen vertreten und die Europäer
dabei zunehmend ins Hintertreffen geraten. Auch in La-
teinamerika bahnen sich ganz neue Partnerschaften an.
Venezuela sucht demonstrativ den Schulterschluss mit
Iran, China, Nordkorea und Russland – von Chávez mit
zynischem Blick auf die USA „Achse des Guten“ ge-
tauft.
Auch Brasilien ist bestrebt, ein System globaler
Bündnispartner aufzubauen – mit Erfolg: so war die stra-
tegische Partnerschaft mit Indien und Südafrika Aus-
gangspunkt für die Gründung der G 20. Brasilien hat
sich darüber hinaus im Rahmen der WTO zu einem füh-
renden Player entwickelt. Und vergessen wir nicht: Die
asiatische Nachfrage nach Energie und Lebensmitteln
aus Südamerika steigt rasant.
Europa darf nicht den Zug verpassen, auf den andere
schon längst aufgesprungen sind. Dies muss auch im la-
teinamerikanischen Interesse liegen. Denn für die EU
bleiben Demokratie und Rechtsstaat ein zentrales Ele-
ment der Kooperation. In dieser umfassenden Zusam-
menarbeit grenzt sich die EU von anderen Akteuren ab.
Bestes Beispiel sind die EU-Assoziierungsabkom-
men, welche in einigen Ländern zur Verhandlung stehen.
Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bieten diese
auch und gerade eine Plattform für den politischen Dia-
log. Selbstverständlich stellen wirtschaftliche Aspekte
einen zentralen Bestandteil dieser Abkommen dar, dies
aber im beiderseitigen Interesse. Denn entgegen der öf-
fentlichen Wahrnehmung profitieren gerade auch die
Schwellenländer von einer schrittweisen Einbindung in
die Weltwirtschaft. Dies hat der indisch-amerikanische
Ökonom Jagdish Bhagwati in seinem jüngsten Buch be-
legt: Der Rückgang von Armut ist vor allem dort zu
verzeichnen, wo die Prinzipien der sozialen Marktwirt-
schaft und des Freihandels verantwortungsvoll umge-
setzt werden.
Die Gesprächspartner vor Ort sprechen ganz offen
aus: Schickt uns den Wirtschaftsminister und – bei allem
Respekt – eben nicht die Entwicklungsministerin!
Wir können nicht wegschauen, wenn Länder wie
Kuba und Venezuela immer noch der alten Mär eines So-
zialismus unter Palmen nacheifern – auf Kosten einer
langfristigen Entwicklung ihrer Länder. Mit Petrodollars
hat sich etwa der venezolanische Präsident Chávez die
Gunst der armen Bevölkerung erkauft und die vieler
Nachbarländer. Korruption und Verstaatlichungen schre-
cken ausländische Investoren ab. Durch die Abhängig-
keiten von teuren Nahrungsmittelimporten drohen mit
dem sinkenden Ölpreis Versorgungskrisen. Hier wün-
sche ich mir von der Bundesregierung mehr Mut, bilate-
ral Flagge zu zeigen: Die Beschränkung elementarer
Bürgerrechte, die Untergrabung freier Märkte und die
Aushöhlung staatlicher Institutionen dürfen keine Schule
machen. Davon kann ich in Ihrem Antrag nichts finden.
Ich will hier aber nicht verallgemeinern. Bei der Be-
wertung des in den vergangenen Jahren zu beobachten-
den Trends zu Linksregierungen gilt es klar zu differen-
zieren. Mit Brasilien, Argentinien und Chile erleben wir
Regierungen, die eher einen gemäßigten, sozialdemokra-
tischen Kurs verfolgen, die mit dem Chávez-Projekt ei-
nes sozialistisch vereinten Lateinamerikas glücklicher-
weise wenig gemein haben.
Vor diesem Hintergrund dürfen wir uns nichts vorma-
chen: Die starke Betonung regionaler Kooperation, wie
sie im Koalitionsantrag festgehalten ist, wird der aktuel-
len politischen Situation in der Region nicht mehr ge-
recht, auch wenn wir uns das nach wie vor wünschen.
Vielmehr gilt es, sie durch subregionale und gegebenen-
falls auch bilaterale Kooperationsformen zu stärken,
nämlich dann, wenn aufgrund innerer Spannungen, wie
bei der Andengemeinschaft oder dem Mercosur, eine
Blockade eingetreten ist. In diesem Rahmen müssen wir
endlich strategische Fragen angehen wie die Bekämp-
fung der internationalen Kriminalität, des Drogenhan-
dels und der Fortschritte bei der rechtsstaatlichen Ent-
wicklung.
Aber auch viele andere Themen schreien geradezu
nach Kooperation. So hat die Diskussion um nachwach-
sende Kraftstoffe Brasilien fast von einem auf den ande-
ren Tag ins Rampenlicht internationaler Energiepolitik
gerückt. Doch welche Rolle soll Lateinamerika künftig
bei der Energiediversifizierung der EU spielen? Die
Bundesregierung hat auch darauf noch keine Antwort
gegeben. Bis heute ist eine klare Strategie und präzise
Definition von Zielen und Interessen nicht erkennbar.
Daran ändert auch der vorliegende Antrag der Koalition
nichts. So treffend die Bestandsaufnahme auch sein mag,
so wenig überzeugt er in Fragen der politischen Konse-
quenzen. Denn bis heute ist die 1999 in Rio beschwo-
rene strategische Partnerschaft leider nicht mit Leben ge-
füllt worden.
Gleichzeitig ist die Bundesregierung gefordert, auf
eine Kohärenz innerhalb der EU hinzuwirken. Es darf
nicht sein, dass einzelne EU-Mitgliedstaaten politische
Sonderwege zu einzelnen Staaten definieren. Denn da-
mit untergräbt man die Glaubwürdigkeit der Gemeinsa-
men Außen- und Sicherheitspolitik.
Deutschland und die EU schöpfen ihr Potenzial in
Lateinamerika weder politisch noch wirtschaftlich aus.
Dabei haben wir einige Trümpfe in der Hand: das ge-
meinsame Wertefundament, die traditionell guten Bezie-
hungen Deutschlands zu Lateinamerika. Vor allem die
ausgestreckte Hand unserer Partner in Lateinamerika ist
eine exzellente Basis für eine vertiefte Kooperation. Die
Kooperation bietet große Chancen. Sie von der Bundes-
regierung müssen aufpassen, dass in Lateinamerika am
Ende Ihrer Amtszeit nicht nur verpasste Chancen stehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24467
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Beschlussempfehlung und Bericht:
– Antrag: Klare Rahmenbedingungen für den
dualen Rundfunk im multimedialen Zeital-
ter
– Antrag: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk im
Digitalzeitalter
– Antrag: Besondere Rolle des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks nach EU-Kompro-
miss sicherstellen
Beschlussempfehlung und Bericht:
– Antrag: Neuregelung der GEZ-Befrei-
ungstatbestände – Neuverhandlung des
Rundfunkgebührenstaatsvertrages
Beschlussempfehlung und Bericht:
– Unterrichtung: Medien- und Kommunika-
tionsbericht der Bundesregierung 2008
– Entschließungsantrag: Medien- und Kom-
munikationsbericht der Bundesregierung
2008
(Tagesordnungspunkt 25 a bis c)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wir haben bereits
vor einigen Wochen über den Medien-und Kommunika-
tionsbericht debattiert. Insofern will ich mich vor allem
mit den hier vorgelegten Oppositionsanträgen befassen.
Richtig bleibt: Der Medien- und Kommunikationsbe-
richt ist eine umfassende Grundlage für die Beschäfti-
gung mit der Medienpolitik und ihren aktuellen gesetzli-
chen Rahmenbedingungen. Der Bericht beschäftigt sich
mit einer Vielzahl wichtiger Themen, die über die Me-
dienpolitik im engeren Sinne hinausreichen, vom Ju-
gendschutz über das Urheberrecht bis zu Onlinesucht
und Breitbandstrategie. Es ist richtig, dass wir mit unse-
rem Staatsminister für Kultur und Medien den entschei-
denden Mann der Medienpolitik auf Bundesebene mit
Sitz im Kanzleramt haben. Dieses dokumentiert ein-
drucksvoll, dass es sich bei der Medienpolitik um eine
wichtige Querschnittsaufgabe handelt, und die bedeu-
tende Rolle, die die Bundesregierung ihrem Beauftrag-
ten für Kultur und Medien dabei einräumt.
Zu Recht bezeichnet die Bundesregierung die Medien
in ihrem Bericht gleichermaßen als Kultur- und Wirt-
schaftsgut. Dabei betont sie die Bedeutung eines qualita-
tiv hochwertigen und vielfältigen Medienangebots für
unsere Demokratie. Darauf sind wir als Politiker beson-
ders angewiesen. Wir brauchen Plattformen für den öf-
fentlichen Diskurs. Das können nur Medien leisten. Von
der Lokalzeitung bis hin zu den großen Fernsehanstalten
sind sie es, die dazu beitragen, dass wir den Menschen
unsere Politik erläutern und den Wettbewerb unter-
schiedlicher politischer Meinungen möglichst breitflä-
chig abbilden können.
Gerade vor dem Hintergrund der Europawahlen wird
das besonders deutlich. Ich bin zutiefst davon überzeugt,
dass die befürchtete schwache Wahlbeteiligung und die
zu geringen Kenntnisse über die gewachsene Bedeutung
des Europaparlaments auch damit zusammenhängen,
dass in unseren Medien zu wenig über die Arbeit des
Parlaments und seine Kompetenzen berichtet wird.
Weil in den verschiedenen FDP-Anträgen so viel von
einem angeblich unfairen Wettbewerb zwischen öffent-
lich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten die
Rede ist, darf an dieser Stelle darauf hingewiesen wer-
den, dass die beiden großen öffentlich-rechtlichen An-
stalten, ARD und ZDF, immerhin große Europastudios
in Brüssel unterhalten, während Private wie zum Bei-
spiel Sat.1 ihre Studios geschlossen haben. Die Privaten
haben ein Lobbybüro in Brüssel, das die wirtschaftlichen
und verbandspolitischen Interessen der Sender vertritt.
Ein Redaktionsbüro haben sie nicht. Für sie sind die Me-
dien offenbar eher ein Wirtschafts- als ein Kulturgut.
Deshalb unterstütze ich ausdrücklich das Bekenntnis
zu starken öffentlich-rechtlichen Anstalten, das sich im
Medien- und Kommunikationsbericht findet. Ich will
mich nicht in die Gebührendebatte einmischen: Der Be-
richt gibt dazu ebenfalls einige Hinweise, so, dass die
Rundfunkfinanzierung Sache der Länder ist. Ich will
aber darauf hinweisen, dass wir in einer globalisierten
Welt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Kraft der
Orientierung und Integration dringend benötigen. Dafür
muss er finanziell angemessen ausgestattet werden. Der
Bedarf wird durch die KEF transparent und fundiert fest-
gestellt. Insofern halte ich es für die Grundvorausset-
zung einer möglicherweise neu einzuführenden Medien-
abgabe, die die Rundfunkgebühr ersetzen würde, dass
dieses für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufkom-
mensneutral ausgeht. Das muss umso mehr gelten, als
die mediale Inflation in den letzten Jahren die normale
Preissteigerung wegen der deutlich gestiegenen Preise
für Sport- und Filmrechte bei weitem übertroffen hat. Im
Gegensatz zur FDP stelle ich ausdrücklich fest, dass ne-
ben dem Auftrag für Kultur, Bildung und Information
natürlich auch die Unterhaltung und der Sport wichtige
Elemente des Programmangebots eines gebührenfinan-
zierten Rundfunks sind. Die Öffentlich-Rechtlichen
müssen sich neben dem Wettbewerb um Qualität auch
dem Quotenwettbewerb stellen, weil zu einem gebüh-
renfinanzierten Programmangebot gehört, dass es mas-
senwirksam ist. Die Begründung für die Gebührenfinan-
zierung würde wegfallen, wenn im Schnitt nur noch
3 bis 5 Prozent der Zuschauer die öffentlich-rechtlichen
Sender einschalten würden.
Deshalb ist es unverzichtbar, dass sich die öffentlich-
rechtlichen Anstalten auf allen Verbreitungswegen an
ihre Zuschauer oder Zuhörer wenden können. ARD und
ZDF müssen auch über den Verbreitungsweg Internet
ihre Integrationsfunktion in der Gesellschaft erfüllen,
zumal sich immer mehr jüngere Menschen ausschließ-
lich über das Internet informieren. Es ist auch nicht ein-
zusehen, weshalb die zum Teil teure Ware nach sieben
Tagen für den Zuschauer nicht mehr zur Verfügung ste-
hen soll.
24468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
Geradezu rührend ist die Aufforderung der FDP, die
Bundesregierung möge sich gegen eine Diskriminierung
der ausländischen Investoren in der Medienwirtschaft
einsetzen. Wenn man sich die Entwicklung bei ProSie-
benSat.1 anschaut, sieht man: Das Gegenteil der Fall.
Die Investorengruppe KKR/Permira in Verbindung mit
dem ausländischen Sender SBS bekam den Zuschlag
und nicht die Axel-Springer-Gruppe, weil in diesem Fall
das inländische Unternehmen aufgrund der kartellrecht-
lichen Lage ProSiebenSat.1 nicht übernehmen durfte. Es
ist Diskriminierung, wenn KKR/Permira ProSiebenSat.1
und den Axel-Springer-Verlag gemeinsam hätte erwer-
ben können, der Verlag aber nicht den Sender. Wenn
man sich anschaut, wie dort die Informationsangebote
ein Opfer der radikalen Sparmaßnahmen und herunter-
gefahren werden, kann das einem Medienpolitiker in der
Seele wehtun. Ich bin ganz sicher, dass der Axel-Springer-
Verlag ein journalistisch deutlich anspruchsvolleres
Konzept mit dem Sender verfolgt hätte. Insofern ist es zu
bedauern, dass sich die Übernahme so vollzogen hat.
Von Diskriminierung kann man hier also wahrlich nicht
sprechen. Vielmehr zeigt dieser Vorgang die Schutzbe-
dürftigkeit deutscher Sender und Verlage vor ausländi-
schen Investoren, deren Interesse eben ausschließlich
dem Wirtschaftsgut und nicht dem Kulturgut Medien
gilt.
Die FDP spricht sich in ihrem Antrag für einen
werbe- und sponsoringfreien öffentlich-rechtlichen
Rundfunk aus. Letzteres halte ich für richtig, sofern es
sich nicht um Sportsendungen handelt, bei denen der Zu-
schauer Sponsoring erwartet, nicht zuletzt wegen der
Bandenwerbung in den Stadien und der Werbung auf
den Trikots der Mannschaften. Aus Gründen der Glaub-
würdigkeit sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk an-
sonsten auf Sponsoring verzichten.
Aber Werbefreiheit kann ich gerade mit Blick auf die
werbende Wirtschaft nicht unterstützen. Die Wirtschaft
hat ein großes Interesse daran, dass es eine gewisse Kon-
kurrenz zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten
gibt. Sonst hätte das wahrscheinlich einen erheblichen
Anstieg der Tausenderkontaktpreise zur Folge. Es ist für
die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems
nicht falsch, wenn man nicht ausschließlich auf Gebüh-
reneinnahmen angewiesen ist.
Wenn wir über die Breitbandstrategie reden und die
Versorgung des ländlichen Raums mit schnellen Inter-
netzugängen betrachten, ist der Hinweis auf frei wer-
dende Frequenzen im Rahmen der digitalen Dividende
richtig. Ich will bei dieser Gelegenheit allerdings hervor-
heben, dass es eine große Zahl von Konzertveranstaltern
und Medienschaffenden gibt, die hier eine Problematik
sehen, weil die Kommunikation mit drahtlosen Mikrofo-
nen offenbar über einen Frequenzbereich geht, der dann
in Konkurrenz zu den Frequenzen für das Internet stehen
würde. Das muss untersucht werden, übrigens auch des-
halb, weil auch die drahtlose Kommunikation unter Fuß-
ballschiedsrichtern gefährdet wäre. Da die Fußball-
schiedsrichter schon mit drahtloser Kommunikation oft
genug schlecht pfeifen, wäre es nicht auszuhalten, wenn
auch die noch wegfällt.
Im Medienbericht wird zu Recht die große Bedeutung
einer vielfältigen Presselandschaft betont. Auch die
Printinitiative von Minister Neumann geht in diese Rich-
tung. Wir werden nur dann eine vielfältige Zeitungsland-
schaft erhalten können, wenn wir auch viele Zeitungsle-
ser haben. Wir sind dringend darauf angewiesen, dass
insbesondere vor Ort bei den Regional- und Lokalzeitun-
gen ein vielfältiges Angebot erhalten bleibt. Das muss
durch ein vernünftiges Pressekonzentrationsrecht ge-
währleistet sein. Dabei sollten wir auch dafür sorgen,
dass die Parteien, was ihre Beteiligung an Medien, vor
allem Zeitungen, angeht, ein Höchstmaß an Zurückhal-
tung üben müssen. Es ist schon widersprüchlich, wenn
sich gerade die SPD für Staatsferne in Rundfunk und
Fernsehen ausspricht, aber über ihre Beteiligung an Zei-
tungen sogar wirtschaftlich direkt an Sendern beteiligt
ist.
Abschließend ein Wort zur Deutschen Welle. Sie hat
den großen Vorteil, dass wir da als Bund sogar zuständig
sind. Mit Blick auf die neue Aufgabenplanung, über die
wir in einigen Monaten zu befinden haben, will ich beto-
nen, dass wir nach meinem Eindruck damit aufhören
müssen, immer nur Prioritäten zu benennen, wo wir auf
der Welt Schwerpunkte in unserer Präsenz setzen wol-
len. Wir haben nicht den notwendigen Spielraum, um
hier alle Wünsche zu erfüllen. Wir kommen nicht umhin,
auch einmal zu sagen, wo wir unsere Aktivitäten zurück-
fahren müssen, um in anderen Regionen der Welt unse-
ren Auftritt zu stärken.
Der Medien- und Kommunikationsbericht ist eine
gute Grundlage, um die zahlreichen Handlungsempfeh-
lungen in parlamentarische Initiativen zu gießen. Damit
werden wir in der neuen Legislaturperiode unmittelbar
beginnen.
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Mit dem von der
Bundesregierung vorgelegten Medien- und Kommunika-
tionsbericht 2008 liegt eine umfassende Dokumentation
der erfolgreichen Bundesmedienpolitik der letzten Jahre
vor. Die Bündelung der verschiedenen Berichtspflichten
im Bereich der Medien- und Kommunikationspolitik
trägt der Konvergenz der Medien und den tiefgreifenden
Veränderungen der letzten Jahre auf diesem Sektor gut
Rechnung. Gleichzeitig weist der Bericht in die Zukunft.
Indem er Handlungsoptionen für die nächsten Jahre auf-
zeigt, wird er quasi zum medienpolitischen Kursbuch
künftigen Regierungshandelns. Aufgrund des breiten
Themenspektrums möchte ich nur auf drei Initiativen ex-
emplarisch kurz eingehen.
Der schon 1597 vom britischen Philosophen Francis
Bacon geprägte Ausspruch „Wissen ist Macht“ hat heute
nicht im Geringsten an Bedeutung verloren. Wissen be-
zieht man insbesondere auch durch Zeitungslektüre. Wer
keine Zeitungen liest, sich nicht informiert und sich da-
mit kein Wissen zugänglich macht, bringt sich um die
Chance, die Zukunft des Gemeinwesens mitzugestalten.
Aus diesem Grunde liegt mir die „Nationale Initiative
Printmedien – Zeitungen und Zeitschriften in der Demo-
kratie“ besonders am Herzen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24469
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(B) (D)
Tatsache ist leider, dass immer weniger Jugendliche
Zeitung lesen. Zeitungen und Zeitschriften sind aber
auch im digitalen Zeitalter – zumindest noch – die wich-
tigsten Leitmedien. Genau dieses Bewusstsein, den Wert,
den Zeitungen und Zeitschriften in der Gesellschaft als
Kulturgut haben, gilt es vor allem jungen Menschen stär-
ker zu vermitteln. Jugendliche müssen das Handwerks-
zeug, Zeitungstexte sachgerecht nutzen zu können, quasi
als Kulturtechnik wie das Lesen erlernen. Wem die Lese-
kompetenz insbesondere bei Zeitungen fehlt, der wird in
letzter Konsequenz von der Teilnahme am gesellschaftli-
chen Leben ausgegrenzt sein. Dem gilt es entgegenzu-
wirken.
Zu den Partnern der Initiative, die auch bereits vorhan-
dene Projekte in Schulen wie „Zeitung in der Schule“
oder „Zeitschriften in der Schule“ bündelt, gehören unter
anderem der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger,
der Verband Deutscher Lokalzeitungen, der Deutsche
Journalisten-Verband und der Bundesverband Presse-
Grosso. Dieses verdienstvolle private Engagement be-
grüßt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich.
Die „Nationale Initiative Printmedien“ stellt eine Kom-
munikations- und Aktionsplattform dar, die der Unter-
stützung einzelner Förderprojekte dient. Ein Schülerwett-
bewerb ist ein wichtiger Bestandteil.
An diese Bemühung, junge Menschen für Zeitungs-
lektüre zu begeistern, schließt das nächste Projekt, die
Ergründung und Bekämpfung eines neuen Phänomens,
quasi nahtlos an. Nach verschiedenen Studien finden
sich in Deutschland 3 bis 7 Prozent „onlinesüchtige“ In-
ternetnutzer oder solche, die stark suchtgefährdet sind.
Der exzessive Gebrauch der elektronischen Medien von
10 bis 18 Stunden pro Tag ist in der Folge eine Verab-
schiedung vom realen gesellschaftlichen Leben, verbun-
den mit allen negativen sozialen und gesundheitlichen
Konsequenzen. Mangels ausreichender wissenschaftli-
cher Expertise ist Online- oder Neue-Medien-Sucht bis-
her international noch nicht ausreichend erforscht. Vor
diesem Hintergrund begrüßt die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, dass das Bundesministerium für Gesundheit
Anfang 2008 eine zweijährige Studie über „Beratungs-
und Behandlungsangebote zum pathologischen Internet-
gebrauch in Deutschland“ in Auftrag gegeben hat. Der
Bundestagsausschuss für Kultur und Medien hat sich des
Themas ebenfalls bereits angenommen und am 9. April
2008 eine öffentliche Anhörung durchgeführt.
Auf der Basis verlässlicher wissenschaftlicher Analy-
sen werden sich, so hoffe ich, gezielt Präventionsmaß-
nahmen und Behandlungsmethoden entwickeln lassen.
Als solche kommen beispielsweise Warnhinweise zum
Suchtpotenzial, verpflichtende Spieldauereinblendungen
oder auch die Begrenzung der Spieldauer durch techni-
sche Vorkehrungen in Betracht. Wichtig ist insbesondere
aber die gezielte Förderung und Unterstützung von Me-
dienkompetenz sowohl für Kinder und Jugendliche als
auch für Erwachsene durch Zusammenarbeit von Eltern,
Schulen und Medienpädagogik.
Das dritte Projekt, das ich beispielhaft herausgreifen
möchte, dient einer solchen Förderung. Das „Netz für
Kinder“, www.fragFINN.de, ist eine Gemeinschaftsini-
tiative von Bundesregierung und Wirtschaft. Dieses Pro-
jekt trägt dazu bei, Kindern einen bewussten und ange-
messenen Umgang mit dem Internet nahezubringen.
Zum ersten Mal wurde in Europa ein gesicherter
Surfraum für Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren
geschaffen, ohne dabei potenziellen Gefahren oder den
Nachteilen der anderweitig verfügbaren Filtersysteme
ausgesetzt zu sein. „fragFINN“ verbindet auf sinnvolle
Weise speziell für Kinder aufbereitete Inhalte, soge-
nannte Kinderseiten, mit dem gesamten World Wide
Web. Die Initiative hat in den ersten fünf Monaten be-
reits eine „Weißliste“ mit mehreren Tausend Domains
und über 30 Millionen Dokumenten aufgebaut. Täglich
kommen weitere dazu, nachdem auf Vorschlag von Nut-
zern die entsprechenden Seiten zuvor von besonders ge-
schulten Medienpädagogen aufbereitet wurden.
Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass diese Bun-
desregierung medienpolitisch viel auf den Weg gebracht
hat. Angesichts des insbesondere im Medienbereich be-
sonders schnellen, tiefgreifenden und beständigen Wan-
dels werden wir uns allerdings immer wieder auf neue
Herausforderungen einstellen müssen. Die von der Bun-
desregierung gestarteten Initiativen dazu sind vielver-
sprechend. Wir werden diese auch weiterhin parlamenta-
risch begleiten und weiterentwickeln. Mein besonderer
Dank gilt an dieser Stelle Staatsminister Bernd Neumann,
der sich um Kultur und Medien in unserem Land verdient
macht.
Monika Griefahn (SPD): Wir beraten heute ab-
schließend den „Medien- und Kommunikationsbericht
der Bundesregierung 2008“ und die Anträge der Fraktio-
nen der FDP, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Linken zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rund-
funks.
Mit der Vorlage des Medien- und Kommunikations-
berichtes ist die Bundesregierung – wenn auch mit eini-
ger Verspätung – ihren Berichtspflichten gegenüber dem
Deutschen Bundestag zum Thema Medien, insbesondere
zur fortschreitenden Digitalisierung im Medienbereich
und zu Wegen der Überwindung der digitalen Spaltung
der Gesellschaft nachgekommen. Dabei ist festzustellen,
dass sich die Neukonzeptionierung des Berichts, mit
dem verschiedene Berichtspflichten im Bereich der Me-
dien- und Kommunikationspolitik gebündelt wurden,
bewährt hat und der Konvergenz der Medien und den
technischen Entwicklungen der letzten Jahre Rechnung
trägt.
Auch wenn es sicher Unterschiede bei der Bewertung
im Detail gibt, so kann doch insgesamt festgestellt wer-
den, dass der Medien- und Kommunikationsbericht eine
umfassende Grundlage für die Beschäftigung mit der
Medienpolitik, ihren aktuellen gesetzlichen und marktli-
chen Rahmenbedingungen darstellt. Das breite Themen-
spektrum – von Jugendschutz und Computerspielen über
Medienkompetenz und Urheberrecht bis zu Onlinesucht
und der Breitbandkabelstrategie – illustriert die Vielfalt
und Komplexität des Politikfeldes Medienpolitik und
24470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
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macht zugleich die Bedeutung von Medienpolitik als
Querschnittsaufgabe mit all ihren Facetten deutlich.
Mit dem Medien- und Kommunikationsbericht wird
zugleich eine Bilanz der Medienpolitik der vergangenen
Jahre – der letzte Medienbericht datiert ja aus dem Jahr
1998 – gezogen, und gleichzeitig gibt der Bericht Hin-
weise auf die Herausforderungen der Medien- und Kom-
munikationspolitik in den kommenden Jahren. Aus der
Fülle der mit dem Medien- und Kommunikationsbericht
vorgelegten Informationen möchte ich für die SPD-Bun-
destagsfraktion vor allem drei Themen aufgreifen: die
Vielfaltssicherung, den Jugendmedienschutz und mögli-
che Gefährdungen wie Medien- und Onlinesucht.
Wie ein roter Faden zieht sich die Vielfaltssicherung
auch in der digitalen Welt durch den Medien- und Kom-
munikationsbericht. Notwendig ist auch in Zukunft die
verfassungsrechtlich gebotene Vielfaltssicherung, die
durch das Pressekartellrecht des Bundes und das Me-
dienkonzentrationsrecht im Rundfunkstaatsvertrag der
Länder sichergestellt wird. Dieses Grundmodell wirt-
schafts- bzw. wettbewerbsrechtlicher Regelungen einer-
seits und speziell auf die Meinungsvielfalt bezogener
Bestimmungen andererseits hat sich nach gemeinsamer
Auffassung von Bund und Ländern grundlegend be-
währt. Reformbedarf bestehe jedoch insbesondere im
Bereich des Medienkonzentrationsrechts der Länder, da
dieses einseitig auf den Rundfunk fixiert sei und damit
den komplexen Konvergenzentwicklungen nicht mehr
gerecht werde. Bund und Länder prüfen derzeit die
Möglichkeiten einer crossmedial orientierten Fortent-
wicklung der geltenden Bestimmungen, die auch die zu-
nehmende Internationalisierung der Medienbranche
deutlich stärker als bisher wird berücksichtigen müssen.
Neben der gebotenen Vielfaltssicherung wird auch
der Frage der Sicherstellung von Qualität in den Medien
entscheidende Bedeutung zukommen, verbunden mit der
Frage, wie diese seitens des Bundes gefördert werden
kann. Wichtig sind hierbei vernünftige Rahmenbedin-
gungen für die Wirtschaft und ergänzende Fördermaß-
nahmen. Auch das Urheberrecht – angepasst an die He-
rausforderungen der digitalen Welt – spielt für eine
angemessene Finanzierung eines anspruchsvollen und
qualitativ hohen Medienangebots eine zentrale Rolle.
Als problematisch wird in dem Bericht die Situation von
Zeitungen und Zeitschriften beschrieben, die zum Teil
erhebliche Reichweiten- und Auflagenrückgänge sowie
Einbußen bei Anzeigenerlösen hinnehmen müssen.
Hinzu kommt, dass die Nutzung von Zeitungen und
Zeitschriften bei jungen Menschen weit überproportio-
nal sinke. Hier sollte, neben dem Erhalt des Presse-
Grosso, überprüft werden, ob weiterer Handlungsbedarf
besteht.
Medienkompetenz ist ein wichtiges Stichwort. Ein
entscheidender, häufig unterschätzter Faktor für ein qua-
litativ anspruchsvolles Medienangebot ist die Stärkung
der Verantwortung von Medienanbietern und -nutzern.
Ein wichtiger Baustein ist hier zunächst die von uns im
Jahr 2003 initiierte Verbesserung des Jugendmedien-
schutzes. Das Konzept der „regulierten Selbstregulie-
rung“ wird als richtig bestätigt. Zudem wird die Bundes-
regierung die konkreten Ansatzpunkte des aktuellen
Evaluationsberichts des Hans-Bredow-Instituts zum Ju-
gendmedienschutz aufgreifen. Medienkompetenz ist die
Schlüsselqualifikation in der Informations- und Kommu-
nikationsgesellschaft und fördert die Befähigung von
Menschen, sich in unserer von Medien durchdrungenen
Welt kompetent zu integrieren und zu orientieren. Dabei
geht es nicht nur darum, die verschiedenen, sich immer
schneller entwickelnden Medienanwendungen zu ken-
nen und technisch zu beherrschen. Angesichts der Viel-
zahl verfügbarer Quellen geht es vor allem auch um die
Fähigkeit des kritischen Umgangs mit Informationen
und Inhalten. Wichtig sind dabei auch der verantwor-
tungsvolle Umgang mit persönlichen Daten sowie die
Kompetenz, einzuschätzen, was sich durch die freiwil-
lige Preisgabe persönlicher Daten ergeben kann.
Eine besondere Herausforderung für den Jugendme-
dienschutz sind gewalthaltige Computer- und Video-
spiele sowie jugendgefährdende und illegale Inhalte im
Internet. Mit der am 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Än-
derung des Jugendschutzgesetzes wurde ein Teil der Er-
gebnisse der Evaluation zum Jugendmedienschutz be-
reits umgesetzt. Ich habe gerade gestern zusammen mit
dem Geschäftsführer der Unterhaltungssoftware Selbst-
kontrolle, USK, neue Alterskennzeichen vorgestellt, die
jetzt viel klarer gefasst sind als bisher. Ich bin der Mei-
nung, dass solche untergesetzlichen Initiativen viel wirk-
samer und nachhaltiger sind, als wenn wir das Gesetz öf-
fentlichkeitswirksam immer weiter verschärfen, aber
daraus gar keine Konsequenzen entstehen. Gesetzlich ist
im Bereich des Jugendmedienschutzes alles vorhanden,
was man braucht. Es muss von den Ländern nur umge-
setzt und vollzogen werden.
Was aus unserer Sicht darüber hinaus wirklich nötig
ist, ist eine nachhaltige Verbesserung der Medienkompe-
tenz, die unabdingbar ist, um eine digitale Spaltung der
Gesellschaft in eine Infoelite einerseits sowie Technik-
verweigerern und Modernisierungsverlierern anderer-
seits zu vermeiden. Besonders zu erwähnen ist in diesem
Zusammenhang der von uns als SPD-Fraktion initiierte
und inzwischen auf den Weg gebrachte „Deutsche Com-
puterspielepreis“, der im März dieses Jahres zum ersten
Mal vergeben wurde und der – nach dem Vorbild des
Deutschen Filmpreises – Anreize für die Entwicklung
hochwertiger und pädagogisch wertvoller Produkte
schaffen und deren Verbreitung unterstützen soll.
Die Nutzung elektronischer Medien kann auch mit
problematischen gesundheitlichen und sozialen Konse-
quenzen verbunden sein. Wenn, was in jüngster Zeit zu-
nehmend beobachtet werden kann, die Mediennutzung
so exzessiv betrieben wird, dass sie letztlich nicht mehr
selbstbestimmt ist, sind die Auswirkungen und Begleit-
erscheinungen den Symptomen anderer Suchterkrankun-
gen vergleichbar. Das Ursache- und Wirkungsgefüge ist
jedoch noch weitgehend unerforscht. Es spricht viel da-
für, dass das Internet insoweit ein besonderes Gefähr-
dungspotenzial hat, sodass auch von „Onlinesucht“,
„neuer Mediensucht“ oder „pathologischem Internet-
gebrauch“ gesprochen wird. Nach verschiedenen Stu-
dien gelten in Deutschland 3 bis 7 Prozent der Internet-
nutzer als „onlinesüchtig“ und ebenso viele als stark
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24471
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suchtgefährdet. Im Blickpunkt steht dabei die aus-
ufernde Teilnahme an Onlinespielen oder Chats ebenso
wie der übermäßige Konsum sexueller Inhalte. „Online-
süchtige“ verbringen im Extremfall nahezu ihre gesamte
Zeit – 10 bis 18 Stunden pro Tag – mit derartigen Aktivi-
täten. In der Folge vernachlässigen sie ihre Umwelt
mehr und mehr und beeinträchtigen oder verlieren da-
durch ihre übrigen sozialen Kontakte. Mangels ausrei-
chender wissenschaftlicher Expertise ist „Online- oder
Neue-Medien-Sucht“ aber bisher international noch
nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt.
Auch wenn es noch keine Statistiken zur Häufigkeit
in der Bevölkerung gibt, ist der exzessive Internetge-
brauch ein sehr ernst zu nehmendes Problem. Es bedarf
zunächst vor allem einer vertieften Forschung zu Stö-
rungsbildern und der Entwicklung entsprechender dia-
gnostischer Instrumente. Erst auf der Basis verlässlicher
wissenschaftlicher Grundlagen lassen sich gezielte Prä-
ventionsmaßnahmen und Behandlungsmethoden entwi-
ckeln. Präventionsmaßnahmen müssen von staatlichen
Einrichtungen und der Wirtschaft gemeinsam in Angriff
genommen werden. Wir wollen uns dafür einsetzen, zu
prüfen, wie diese Forschungsdefizite schnellstmöglich
abgebaut werden können und ob dieses Krankheitsbild
von der WHO als Krankheit anerkannt werden sollte.
Wir müssen dafür sorgen, dass den Betroffenen und ih-
ren Angehörigen schnellstmöglich geholfen werden
kann.
Die Koalitionsfraktionen haben bei der abschließen-
den Beratung des Medien- und Kommunikationsberich-
tes im Ausschuss eine Entschließung eingebracht und
angekündigt, die zahlreichen Handlungsempfehlungen
aufzugreifen und hierzu zeitnah parlamentarische Ini-
tiativen zu initiieren. Aus Sicht der SPD-Bundestags-
fraktion sind dies insbesondere die Sicherstellung der
verfassungsrechtlich gebotenen Vielfaltsicherung im
Medienbereich und der Schutz der Kommunikations-
grundrechte sowie die Förderung von Qualität und Ver-
antwortung von Medienanbietern und Nutzern als
Grundprinzipien der Medien- und Kommunikationspoli-
tik. Die FDP-Fraktion spricht in ihrem Antrag zum Me-
dien- und Kommunikationsbericht vor allem die Sicher-
stellung der Kommunikations- und Mediengrundrechte
an. Vielleicht können wir als Medienpolitiker eine ent-
sprechende Initiative nach der Bundestagswahl ergrei-
fen.
Gestatten Sie mir abschließend, auf die ebenfalls auf
der Tagesordnung stehenden Anträge der Opposition
zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzugehen. Grund-
sätzlich ist zunächst zu begrüßen, dass sich offensicht-
lich alle Fraktionen im Grundsatz dahin gehend einig
sind, dass es – gerade angesichts der im Medien- und
Kommunikationsbericht beschriebenen Herausforderun-
gen – ein öffentlich-rechtliches Medienangebot geben
muss, wenn auch nicht über dessen Umfang und Reich-
weite. So konstatiert zwar die Fraktion der FDP in ihrem
Antrag, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in
Deutschland einen Pfeiler der modernen Informations-
gesellschaft bildet und die mediale Grundversorgung der
Bevölkerung mit einem qualitativ hochwertigen, infor-
mierenden, bildenden, beratenden und unterhaltenden
Programm absichert.
Auf der anderen Seite fordert sie aber gleichzeitig
– trotz der Einigung zwischen der Europäischen Kom-
mission und der Bundesregierung – eine Präzisierung
der Vereinbarung dahin gehend, die Aufgaben und
Pflichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks klar zu
definieren. Die Bundesregierung soll nach Auffassung
der FDP gegenüber den Ländern für eine Evaluierung
der Aktivitäten – vor allem auch mit Blick auf die Online-
aktivitäten – der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveran-
stalter eintreten und gegebenenfalls für eine Rückführung
auf den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen sor-
gen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich dagegen, wie
die beiden anderen Oppositionsparteien in ihren Anträ-
gen, immer für einen starken öffentlich-rechtlichen
Rundfunk eingesetzt, dem es ermöglicht werden muss,
die mit der Digitalisierung verbundenen Entwicklungs-
potenziale auf allen Übertragungswegen, also auch im
Onlinebereich, uneingeschränkt zu nutzen.
Leider ist es uns als Koalition – auch nach langen und
schwierigen Verhandlungen – nicht gelungen, einen ge-
meinsamen Antrag zur Zukunftsfähigkeit des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks auf den Weg zu bringen, weil die
Unionsfraktion eine abgestimmte Fassung des Antrages
zurückgezogen hat. Vorausgegangen waren dem Rück-
zug der Unionsfraktion Medienberichte, denen zufolge
die Union mit diesem gemeinsamen Antrag einen Rich-
tungswechsel in ihrer Medienpolitik vollzöge. Für die
SPD-Bundestagsfraktion möchte ich nochmals mein Be-
dauern zu diesem Rückzug von der gemeinsam erarbei-
teten Position ausdrücken, weil es damit nach Jahrzehn-
ten medienpolitischer Grabenkämpfe gelungen wäre,
nach der wichtigen Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichtes einen medienpolitischen Grundkonsens
über den Bestand und Erhalt sowie vor allem auch die
Entwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks zu formulieren. Wir werden aber als Fraktion
das Thema „Fortentwicklung der dualen Medienordnung
in Deutschland“ auch weiterhin auf die Tagesordnung
setzen und uns auch weiterhin für einen starken öffent-
lich-rechtlichen Rundfunk auf allen Übertragungswegen
als Garant von Vielfalt und Qualität starkmachen.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Der Me-
dien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung
liefert einen recht umfassenden und detaillierten Ein-
blick in die Medienordnung von Heute und stellt auch ei-
nige Perspektiven und Handlungsnotwendigkeiten für
die Medien- und Kommunikationspolitik der Zukunft
heraus. Wenngleich der Bericht in einigen Bereichen die
relevanten Probleme nicht genügend herausstellt – etwa
beim in den Jahren der Großen Koalition aus der Ba-
lance geratenen Verhältnis zwischen den Sicherheitsinte-
ressen des Staates und der Privatsphäre der Bürger – und
auch gelegentlich nicht die richtigen Schlussfolgerungen
aus den durchaus zutreffenden Erkenntnissen zieht, hat
der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Me-
dien dem Bundestag insgesamt doch eine geeignete Dis-
kussionsgrundlage vorgelegt.
24472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
Über die vorliegenden Entschließungsanträge zum
Medien- und Kommunikationsbericht und über einige
Anträge, die sich mit der Zukunft des dualen Rundfunk-
systems auseinandersetzen, wird heute gemeinsam de-
battiert. Auch die FDP-Fraktion hat bereits vor langer
Zeit einen entsprechenden Antrag in den Bundestag ein-
gebracht, der klare Rahmenbedingungen für den öffent-
lich-rechtlichen Rundfunk im multimedialen Zeitalter
einfordert. Es ist richtig, dass wir diese Anträge gemein-
sam mit dem Bericht der Bundesregierung behandeln,
denn gerade in der Rundfunkpolitik offenbart dieser
doch eine seiner größten offenen Flanken. Und es ist
auch richtig, dass sich der Deutsche Bundestag – trotz
der Zuständigkeit der Länder für Medien und Rund-
funk – mit diesen Themen auseinandersetzt. Denn auch
die Bundespolitik trägt große Verantwortung für den Er-
halt eines qualitativ hochwertigen und pluralistischen
Mediensystems, für fairen Wettbewerb und für die euro-
parechtskonforme Ausgestaltung des öffentlich-rechtli-
chen Rundfunksystems.
Der Antrag der FDP ist bereits fast zwei Jahre alt, der
12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist beschlossene
Sache und befindet sich in der Ratifizierungsphase, und
der 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wird bereits
zwischen den Staatskanzleien der Länder abgestimmt.
Wie immer glänzen die Staatskanzleien nicht gerade mit
besonders präziser Öffentlichkeitsarbeit, trotz der viel
beschworenen notwendigen gesamtgesellschaftlichen
Debatte über das duale Rundfunksystem. Gerade deswe-
gen muss der Deutsche Bundestag hier aufmerksam blei-
ben und vor allem auf die Einhaltung der europarechtli-
chen Vorgaben achten. Nach wie vor bin ich übrigens der
Meinung, dass der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag
nicht vollständig umsetzt, was die Bundesregierung mit
der Europäischen Kommission im sogenannten Beihilfe-
kompromiss im April 2007 ausgehandelt hat. Daher hat
auch unser Antrag nichts von seiner Aktualität einge-
büßt. Der Deutsche Bundestag muss sich endlich in die
Debatte einschalten und die Medienordnung der Zukunft
mitgestalten.
Ein wesentlicher Punkt für einen fairen Wettbewerb
im Mediensektor ist eine effektive, unabhängige und
transparente Aufsicht für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Eine solche existiert bis heute nicht; das hat
auch das Gezerre um den Chefredakteur des ZDF, über
das wir bereits in der ersten Lesung ausgiebig gespro-
chen haben, eindrucksvoll demonstriert. Wir müssen uns
immer wieder vergegenwärtigen, dass die Aktivitäten
von ARD, ZDF und Co., ausgestattet mit über 8 Milliar-
den Euro Gebührengeldern pro Jahr, erhebliche Auswir-
kungen auf den schnelllebigen Medienmarkt entfalten.
Ein neues öffentlich-rechtliches Angebot kann dort sehr
schnell das Ende eines privaten Angebots bedeuten, Ar-
beitsplatz- und Vielfaltsverluste inklusive. Es führt kein
Weg daran vorbei, dass dieser öffentlich-rechtliche
Gigant wirksam kontrolliert wird. Im digitalen und kon-
vergenten Zeitalter, gepaart mit rasantem technologi-
schem Fortschritt, ist eine öffentlich-rechtliche Binnen-
kontrolle durch auch noch so gutwillige ehrenamtliche
Rundfunkräte bei weitem nicht mehr ausreichend. Was
wir benötigen, ist eine moderne, professionelle, einheit-
liche und externe Medienaufsicht für öffentlich-rechtli-
chen sowie privaten Rundfunk, Medien und Telekom-
munikation. Vorbild könnte hier die britische Ofcom
sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch an dieser
Stelle darauf hinweisen, dass eine effektive Kontrolle
natürlich voraussetzt, dass auch belastbare Kritierien
existieren, anhand derer die Kontrolle durchgeführt wer-
den kann. Diese Anforderung hat der öffentlich-rechtli-
che Rundfunkauftrag noch lange nicht erreicht. Daher
muss er dringend präzisiert werden. Es muss klar sein,
was der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen Ge-
bührenmilliarden leisten soll, und vor allem auch, was
nicht. Ich denke, eine damit verbundene Stärkung der
Programmschwerpunkte Information, Bildung und Kul-
tur wäre an dieser Stelle ebenfalls angebracht.
Lassen Sie mich den Kreis der dringlichsten Refor-
men beim dualen Rundfunksystem schließen. Eine an
das Bereithalten sogenannter Rundfunkempfangsgeräte
– das können heute nicht nur Fernseher und Radios, son-
dern auch PCs mit Modem, Telefone und demnächst wo-
möglich auch Kühlschränke sein – anknüpfende Rund-
funkgebührenpflicht passt in das digitale multimediale
und mobile Zeitalter wie Wählscheiben zu Mobiltelefo-
nen. Seit Jahren mühen sich Vertreter vor allem von
CDU/CSU und SPD daran ab, wie sie die fällige Ablö-
sung der Rundfunkgebühr noch länger hinauszögern
können und wie sie danach ein möglichst kompliziertes
und bürokratisches Nachfolgemodell finden können. Da-
bei liegt die einfachste Lösung schon lange auf dem
Tisch. Wir sollten mit Nachdruck darauf hinwirken, dass
die Rundfunkgebühr durch eine allgemeine Medienab-
gabe ersetzt wird. Diese würde von allen erwachsenen
Bürgern mit steuerpflichtigen Einkommen getragen wer-
den und müsste zum Erhalt des bisherigen Gebührenauf-
kommens nur bei circa 11 Euro pro Monat liegen. Die
aberwitzigen Doppelbelastungen – etwa für das Autora-
dio, den PC am Arbeitsplatz und die beruflich bedingte
Zweitwohnung – würden ein Ende haben, ebenso die un-
fairen und unsystematischen Belastungen der Wirtschaft,
die insbesondere den Mittelstand belasten. Betreiber von
Hotels und Pensionen können Ihnen ein Lied davon sin-
gen. Und der Clou bei der Medienabgabe: Auch die Ge-
bühreneinzugszentrale – GEZ –, die man wohl nur noch
als institutionalisiertes Imageproblem für ARD und ZDF
ansehen kann, könnte abgeschafft, die Kosten von gut
200 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden. Die Ge-
bührenschnüffelei und die Jagd nach Schwarzsehern wä-
ren ebenfalls vorbei. Die gäbe es nämlich nicht mehr.
Wenn diese drei Reformbestandteile endlich angegan-
gen werden, sind wir einen großen Schritt weitergekom-
men auf dem Weg hin zu einem zukunftssicheren und
modernen dualen Rundfunksystem. Wir dürfen nicht zu-
lassen, dass der durchaus wichtige öffentlich-rechtliche
Rundfunk aufgrund der medienpolitischen Zurückhal-
tung in Deutschland dauerhaften Schaden nimmt. Auch
das Mediensystem insgesamt muss, vor allem im Hin-
blick auf die noch immer bemerkenswert hohe Qualität
und Vielfalt der Angebote, gestärkt werden. Ich be-
fürchte, dass etwa eine weitgehend unbegrenzte Expan-
sion gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Ange-
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bote in den Bereich der elektronischen Presse zu
dauerhaften Verwerfungen in diesem ohnehin stark unter
Druck geratenen Markt und zur Verringerung von Pres-
sevielfalt führt. Das muss verhindert werden.
Die FDP greift in ihrem Entschließungsantrag zum
Medien- und Kommunikationsbericht die dortigen Im-
pulse auf, entwickelt sie weiter und macht konkrete Vor-
schläge zur Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen
für eine moderne Medien- und Kommunikationswelt im
digitalen und konvergenten Zeitalter. Der FDP-Antrag
zur Reform des dualen Rundfunksystems enthält die
dringlichsten Reformbestandteile, die zur Stärkung und
dauerhaften Sicherung des Systems unabdingbar sind.
Für beide werbe ich um Ihre Unterstützung.
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Die Welt der Me-
dien befindet sich in einem rasanten Wandlungsprozess.
Die Bedingungen der digitalen Kommunikation und ih-
rer Netzwerke sind allgegenwärtig. Das gilt für die
Presse, die Buchverlage, die Film- und die Musikindus-
trie schon jetzt. Deren Zukunft liegt jenseits von Dru-
ckerpresse, CD und DVD. Das sagen uns jedenfalls die
handelnden Akteure und Akteurinnen des Internetzeital-
ters. Damit werden tiefgreifende Umbrüche in den Ge-
schäftsmodellen und der Beschäftigungssituation dieser
Branchen verbunden sein. Schon jetzt ist ein Kultur-
kampf darüber entbrannt, wie das neue Zeitalter zu regu-
lieren ist. Er verläuft zwischen Jung und Alt, zwischen
Digital und Analog. Die schnelle technologische Ent-
wicklung zeigt allerdings, dass wir das Neue nicht nach
den Maßstäben des Alten steuern können.
Auch der klassische Rundfunk und das Fernsehen
werden zunehmend vom Sog der Digitalisierung und der
damit einhergehenden Revolutionierung althergebrach-
ter kultureller Grundlagen erfasst. Während die Sende-
möglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im
Internet mühselig erkämpft werden müssen, entwickeln
private Internet- und Telekommunikationsunternehmen
weltweit Programmangebote jenseits einer demokrati-
schen Medienordnung. Sie mausern sich ohne kulturel-
len Auftrag, ohne öffentliche Kontrolle und Transparenz
zu Sendeanstalten von morgen. Öffentliche Berichter-
stattung wird unter diesen Bedingungen zum Spielball
rein finanzieller Interessen. Das lehnen wir Linke im In-
teresse einer an Transparenz und Objektivität orientier-
ten Berichterstattung ab.
Wenn wir keine moderne Medienordnung schaffen,
werden Radio und Fernsehen vom Internet verdrängt
werden. Dann werden allein private Unternehmen wie
Google und andere zum Rundfunk der Zukunft. Ohne
moderne medienrechtliche Rahmenbedingungen wer-
den die Bedingungen des Marktes und des Wettbewerbs
zum bestimmenden Beweggrund digitaler Kommunika-
tion.
Einflussnahmen auf die öffentliche Meinung werden
dann in naher Zukunft durch die Aufzeichnung des Nut-
zungsverhaltens, durch individuell zugeschnittene Wer-
bung, durch die Bündelung und Verwertung von Inhalten
in vordefinierten Programmpaketen, durch elektronische
Programmführer und durch einseitig dominierte Emp-
fangsgeräte und Set-Top-Boxen erfolgen.
Gegenüber einer vollständigen Kommerzialisierung
von Kultur und Information kann der öffentlich-rechtli-
che Rundfunk ein notwendiges Korrektiv sein. Auch im
Digitalzeitalter bleibt sein Funktionsauftrag bestehen.
Dazu müssen die Öffentlich-Rechtlichen die mit der Di-
gitalisierung verbundenen neuen Entwicklungsmöglich-
keiten frei und ohne Beschränkungen nutzen können.
Das jetzige Verfahren – gefunden im Kompromiss zwi-
schen der Europäischen Kommission und der Bundesre-
gierung – ist für einen zukunftsfähigen öffentlich-recht-
lichen Rundfunk ungeeignet. Es hat sich zu einem
bürokratischen und kostenfressenden Monstrum entwi-
ckelt. Der sogenannte Dreistufentest schafft keine Mi-
nute neues Programm. Stattdessen verschlingt er unnö-
tige Summen an Gebührengeldern – Gelder, die in die
Entwicklung eines zukunftsfähigen Programmangebo-
tes, in dem die Kreativen mehr und die Verwaltungen
weniger zu sagen haben, aus Sicht der Linken besser an-
gelegt wären.
Das Fundament für einen öffentlich-rechtlichen Rund-
funk im Digitalzeitalter ist seine konsequent werbefreie
und nichtkommerzielle Ausrichtung. Nur so lässt sich
seine Akzeptanz und seine Finanzierung durch Gebühren
bei den Bürgerinnen und Bürgern langfristig sicherstellen
und die zunehmende Konkurrenzsituation zu den privaten
Rundfunkanbietern aufheben. Zugleich ist das die we-
sentliche Vorrausetzung, um sich dem Druck des europäi-
schen Wettbewerbsrechts und dem Primat der Kommis-
sion zu entziehen. Ein Werbe- und Sponsoringverbot
– mit Ausnahme des Sports – wäre dazu ein erster wich-
tiger Schritt. Entgegen anderslautender Behauptungen
sind Werbe- und Sponsoringfreiheit durchaus finanzier-
bar, entweder über das Einspar- und Umschichtungspo-
tenzial in den bestehenden Haushalten der öffentlich-
rechtlichen Anstalten oder aber durch die Kompensation
des Ausfalls von Gebührenbefreiungen durch die Träger
sozialer Leistungen. Wir plädieren für Letzteres.
Grietje Staffelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
ist Wirklichkeit geworden, was wir Grünen gerne ver-
hindert hätten: ARD und ZDF müssen nicht nur neue
Onlineangebote dem Dreistufentest unterziehen, sondern
auch das komplette bestehende Onlineangebot der Öf-
fentlich-Rechtlichen muss noch einmal auf den Prüf-
stand. Damit werden die Öffentlich-Rechtlichen im In-
ternet noch stärker lahmgelegt als durch die engen
Restriktionen, die im 12. Rundfunkänderungsstaatsver-
trag ohnehin schon festgelegt sind, wie zum Beispiel das
Verbot presseähnlicher Angebote oder die Siebentage-
frist. Wir Grünen haben uns immer für eine 1:1-Umset-
zung des Brüsseler Kompromisses starkgemacht. Statt-
dessen haben wir es nun mit einem bürokratischen
Monstrum zu tun.
Warum auch das bestehende Onlineangebot im Nach-
hinein noch einmal „zugelassen“ werden muss, ist un-
klar. Es ist unnötig. Viel Geld, Personal und Aufwand
werden für die Durchführung des Dreistufentests von
den Redaktionen abgezogen, was nicht nur die inhaltli-
24474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
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che Arbeit und die Qualität gefährdet, sondern letztend-
lich ein noch unüberschaubares Mehr an Gebührengel-
dern fordert. Nach Schätzungen der ARD wird die
Bestandsprüfung der gemeinschaftlichen Telemedien
mindestens 5 Millionen Euro kosten. Damit wird den
Anstalten ein Berg Arbeit aufgeladen, der wohl nur mit
zusätzlichen Beschäftigten abgetragen werden kann. Das
Programm wird dadurch nicht besser, aber viel teurer.
Hier freuen sich die Verleger der Onlinepresse und
die Privaten; denn sie haben es dank des 12. Rundfunk-
änderungsstaatsvertrags geschafft, ARD und ZDF online
ordentlich auszubremsen. Und sie lassen nicht locker:
Die Attacken bei der Nichtveröffentlichung des Kika-
Gutachtens belegen dies. Dabei sind die neuen Regelun-
gen noch nicht einmal in Kraft.
Ich fordere alle an den Prüfverfahren direkt und indi-
rekt Beteiligten dazu auf, den Populismus eine Weile
beiseite und ARD und ZDF in Ruhe ihre Verfahren aus-
arbeiten zu lassen. Nach einer ersten Evaluierung ist
immer noch Zeit genug, Änderungen vorzunehmen.
Aber ich fordere auch alle am öffentlich-rechtlichen Pro-
gramm interessierten Verbände und Institutionen auf,
von ihrer Möglichkeit Gebrauch zu machen, zu den Te-
lemedienangeboten im Rahmen des Dreistufentests
schriftlich Stellung zu nehmen und damit die Rundfunk-
gremien bei ihrer neuen Aufgabe zu unterstützen. Wenn
hier nämlich nur Stellungnahmen von Verlegern und
dem Privatrundfunk eintreffen, entsteht eine extreme
Schieflage bei der Beurteilung des Angebots.
Wir haben uns immer dafür ausgesprochen, dass die
Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks gewährleistet sein muss. Der öf-
fentlich-rechtliche Rundfunk muss das Internet als dritte
Säule neben Radio und TV nutzen dürfen. Er erreicht
sonst wesentliche Zielgruppen nicht, und der Gebühren-
einzug wird immer ungerechtfertigter.
Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, dass
Rundfunkgebühren richtig und notwendig sind, um den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk und sein Qualitätsange-
bot zu erhalten und allen zugänglich zu machen. Die Ge-
bührenerhebung pro Gerät macht aber in Zeiten der Kon-
vergenz der Geräte und Inhalte keinen Sinn mehr.
Vielmehr brauchen wir eine Medienabgabe pro Haushalt
und Betrieb, unabhängig von den jeweiligen Geräten.
Diese Reform kann kostenneutral und leicht durchge-
führt werden, denn die GEZ würde auch weiterhin die
Gebühren einziehen und verwalten. Sie müsste keine
Kontrollbesuche mehr machen und nach verschiedenen
Geräten „fahnden“; Verwaltungsaufwand und -kosten
könnten reduziert werden. Die Mediengebühr pro Haus-
halt ist unabhängig von technischen Entwicklungen und
neuen Geräten und ist somit ein zukunftsfähiges Modell,
das leidliche Diskussionen über die Gebühren für unter-
schiedliche Gerätetypen unnötig macht.
Dies sind keine leeren Worte im Wind. Wir haben ein
solches Modell durchkalkuliert, und wir gehen sogar von
einer etwas geringeren monatlichen Gebühr für die
Haushalte aus.
Wir wissen aber auch, dass es viele Menschen gibt,
die sich die Gebühr auch heute schon nicht leisten kön-
nen. Die GEZ muss den ihr zugedachten Beurteilungs-
spielraum bei Härtefällen voll ausschöpfen. Es kann
nicht sein, dass nur der befreit wird, der einen entspre-
chenden Bescheid vorlegen kann, und Tausende damit
durchs Raster fallen. Schließlich sollen die Regelungen
zum Nutzen und nicht zulasten der Geringverdienenden
wirken. Diese Befreiungsmöglichkeiten wollen wir auch
bei einer Haushaltsmedienabgabe erhalten. Wir sind ge-
spannt, ob sich die Ministerpräsidenten in diesem Jahr
für unser Modell entscheiden.
Noch einige Worte zum Medien- und Kommunikati-
onsbericht, der heute ebenfalls beraten wird. Er bietet
eine solide Grundlage und einen wunderbaren Überblick
über das, was medienpolitisch geschieht, und auch darü-
ber, was notwendig wäre. Allerdings entsprechen seine
Inhalte nicht annähernd der tatsächlichen Politik unseres
Beauftragten für Kultur und Medien, Bernd Neumann.
Dessen „Medienpolitik“ drehte sich hauptsächlich um
Filmförderung, Computerspielepreis und die Initiative
Printmedien. Das ist sehr schade. Gerade weil die me-
dienpolitischen Aktionsfelder so weit gestreut und ver-
schiedenste Ressorts damit befasst sind, hätten wir uns
mehr Engagement und eine zusammenführende Koordi-
nation des gesamten Politikfeldes gewünscht. Zu medi-
enpolitisch äußerst relevanten Fragen wie der Freiheit im
Netz oder dem diskriminierungsfreien Zugang zu Ange-
boten, zur Vorratsdatenspeicherung oder dem Breit-
bandausbau äußert sich Herr Neumann einfach nicht.
Die neuen Medien scheinen ihm bis auf Computerspiele
seltsam fremd geblieben zu sein. Die wirklich wichtigen
Themen überlässt er dem Familien-, Wirtschafts- oder
Innenministerium.
Im Bericht stellt die Bundesregierung die Freiheit der
Medien in den schillerndsten Farben dar. Doch die Ten-
denzen zur Überwachung der Bürgerinnen und Bürger
im Internet sind erschreckend und stellen das genaue Ge-
genteil dessen dar, was der Bericht propagiert. Der Be-
griff der Medienfreiheit verkommt zur Floskel.
Einige Beispiele. Seit dem 1. Januar 2009 gilt die
Vorratsdatenspeicherung, das heißt, Telekommunika-
tionsanbieter müssen verdachtslos für sechs Monate alle
Verbindungsdaten der Deutschen speichern, also wer
wann wem gemailt hat. Die Inhalte der Kommunikation
wurden zum Glück noch ausgenommen. Hierzu haben
wir kein Wort unseres Medienstaatsministers vernom-
men.
Darüber hinaus erleben die Bürger permanenten
Missbrauch ihrer persönlichen Daten durch die Privat-
wirtschaft, wie erst kürzlich bei Lidl, Telekom oder der
Deutschen Bahn geschehen. Gerade Unternehmen müs-
sen aber Datenschutz gewährleisten. Liebe CDU/CSU,
bitte lassen Sie das von der Bundesregierung vorgeschla-
gene Ende des Listenprivilegs im „Gesetz zur Regelung
des Datenschutzaudits und zur Änderung datenschutz-
rechtlicher Vorschriften“ so stehen und verwässern Sie
es nicht durch entsprechende Anträge. Schenken Sie der
Wirtschaftslobby hier kein Gehör!
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Noch ein letztes Beispiel. Im Bericht steht: „Die Bun-
desregierung sieht die Medienvielfalt nicht konkret ge-
fährdet.“ An anderer Stelle wiederum steht: „Ein Groß-
teil der Nutzer nimmt nur das wahr, was von Google auf
den ersten beiden Seiten ausgeworfen wird.“ Das sind
zwei widersprüchliche Aussagen. Meinungsmacht haben
nicht mehr allein die Bild-Zeitung oder das RTL-Ange-
bot. Meinungsmacht gibt es längst bei Suchmaschinen
und durch die Konvergenz von Print, Radio, TV und In-
ternet.
Die bestehende, für den Rundfunk- und Pressebereich
gut funktionierende Medienkonzentrationskontrolle muss
also ans Internet angepasst werden. Die Ermittlung von
Meinungsmacht über Zuschaueranteile ist veraltet. Wir
brauchen eine moderne Konzentrationskontrolle, die
Google und Co. und mediale Verstrickungen mit ein-
schließt. Beteiligungsbegrenzungen für internationale
Medienunternehmen sind keine Lösung. Wir hätten uns
sehr gewünscht, hier vonseiten des BKM einmal Vor-
schläge und Antworten zu hören.
Wir Grüne sprechen uns in jedem Fall für klarere
Transparenzregeln aus. Surfer, Zuschauer, Leser und
Hörer müssen nachvollziehen können, mit welchen Teil-
habern und Mitgesellschaftern sie es bei den von ihnen
genutzten Medien zu tun haben. Nur dann können sie
frei entscheiden, von wem sie Informationen beziehen
wollen.
Ich wage kaum zu hoffen, dass wir irgendwann ein-
mal ein eigenes Ministerium haben werden, das sich den
drängenden Fragen der Informationsgesellschaft an-
nimmt und sich die Medienpolitik mit ihren vielfältigen
Themenfeldern zur Brust nimmt. Ich hoffe aber sehr,
dass wenigstens der Medien- und Kommunikationsbe-
richt zu einer Art Agenda des nächsten Beauftragten für
Kultur und Medien wird.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Krankenhausinfektionen vermeiden –
Multiresistente Problemkeime wirksam be-
kämpfen (Tagesordnungspunkt 31)
Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): „Das Umden-
ken muss bei den Akteuren im ambulanten und stationä-
ren Bereich stattfinden, und hier als wichtigster Punkt
die Verbesserung der Händehygiene.“ Diesen einfachen,
aber nach wie vor zutreffenden Leitsatz zur Vermeidung
von nosokomialen Infektionen der Übertragung einer Er-
krankung auf Patienten im zeitlichen Zusammenhang
mit einem Krankenhausaufenthalt oder eines Aufenthalts
in einer anderen medizinischen Einrichtung formulierte
Herr Professor Markus Dettenkofer vom Institut für Um-
weltmedizin und Krankenhaushygiene an der Uniklinik
Freiburg bereits im Oktober des vergangenen Jahres.
Diese einfache und zugleich zutreffende Erkenntnis
wurde im Wesentlichen auch durch die Sachverständi-
gen, so zum Beispiel Frau Professor Dr. Petra Gastmeier,
während der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsaus-
schusses am 25. März 2009 bestätigt. In diesem Zusam-
menhang möchte ich eine weitere, mir als Krankenhaus-
arzt wichtige Erkenntnis aus der öffentlichen Anhörung
des Gesundheitsausschusses, hier auch vor dem Plenum
des Deutschen Bundestages besonders hervorheben.
Denn sowohl einzelne Medien als auch die Fraktion Die
Linke verunsichern die Bevölkerung mit Angaben über
durch im Krankenhaus erworbene Infektionen zu Tode
gekommene Patientinnen und Patienten, die den Ein-
druck erzeugen, dass es höchst gefährlich sei, ein deut-
sches Krankenhaus aufzusuchen. Das Nationale Refe-
renzzentrum für Surveillance von nosokomialen
Infektionen, NRZ, führt in seiner schriftlichen Stellung-
nahme diesbezüglich aus:
Erstens. „(…) Zahlen wie 50 000 Tote durch Kran-
kenhausinfektionen seien wissenschaftlich nicht haltbar,
weil Studien dazu methodisch sehr anspruchsvoll sind.
Denn wenn ein Patient mit Infektion stirbt, ist es häufig
sehr schwer abzugrenzen, ob er wirklich ,an‘ der Infek-
tion oder lediglich zeitlich ,mit‘ der Infektion verstorben
ist, das heißt in diesem Falle wäre der Patient wahr-
scheinlich ohnehin an seinen Grundkrankheiten verstor-
ben (…).“
Zweitens. „(…) Das Europäische Center for Disease
Control and Prevention (ECDC) schätzt die Anzahl der
Todesfälle, die als direkte Konsequenz der nosokomia-
len Infektionen pro Jahr in Europa auftreten, auf 37 000.
Unter der Annahme einer gleichmäßig hohen Sterblich-
keit wegen nosokomialer Infektionen in Europa müsste
man somit in Deutschland mit circa 7 500 Todesfällen
wegen nosokomialer Infektion rechnen. Nimmt man ei-
nen Anteil von 20 bis 30 Prozent vermeidbarer Fälle an,
kann man davon ausgehen, dass pro Jahr circa 1 500 bis
4 500 Patienten in Deutschland an einer vermeidbaren
nosokomialen Infektion versterben (…).“
Diese Aussagen werden auch durch Untersuchungen
bestätigt, die während des 33. Interdisziplinären Fortbil-
dungsforums der Bundesärztekammer vorgestellt wur-
den. So veröffentlichte dort unter anderem Frau
Dr. Christine Geffers vom Hygieneinstitut der Charité
Berlin aktuelle Daten zu methicillinresistenten Staphylo-
kokken, MRSA, in Deutschland. Nach den medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnissen von Frau Dr. Geffers
lag in Deutschland der Anteil der MRSA an allen Sta-
phylokokken, S. aureus, in Blutkulturen im Jahr 2007
bei 16 Prozent, nach über 20 Prozent in den Jahren da-
vor. Eine ähnlich gute rückläufige Tendenz ist bei post-
operativen Wundabstrichen festzustellen: Hier lag die
Quote im Jahr 2007 bei 20,7 Prozent, im Jahr zuvor noch
bei 21,9 Prozent. Und wenn die tatsächlichen Infektio-
nen in Kliniken analysiert werden, zeigt sich sogar ein
noch deutlicherer Rückgang. So lag die Inzidenzdichte
für MRSA-Infektionen auf deutschen Intensivstationen
in den Jahren 2006 und 2007 bei 0,3 Infektionen pro
1 000 Patiententage. 1997 waren es noch 50 Prozent
mehr Fälle.
Die Auseinandersetzung mit nosokomialen Infektio-
nen muss vor allem in den Krankenhäusern bzw. in den
medizinischen Abteilungen und auf den pflegerischen
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Stationen erfolgen. Nur hier können die richtigen
Schlüsse in Bezug auf mögliche Konsequenzen bei den
Infektionspräventionsmaßnahmen gezogen werden. Und
dass dieser Ansatz der zielführendere ist, wird durch die
von mir soeben vorgetragenen medizinisch-wissen-
schaftlichen Erkenntnisse unterstrichen.
Dass die deutschen Krankenhäuser sich ihrer diesbe-
züglichen Verantwortung auch bewusst sind, wird da-
durch deutlich, dass mittlerweile 1 116 Krankenschwes-
tern bzw. Krankenpfleger mit der Zusatzqualifikation
„Hygienefachkraft“ in den Häusern beschäftigt werden
und dort eine vorbildliche Arbeit leisten.
Wirklich bedauerlich ist, dass Sie hier wieder einmal
nur einen Antrag eingebracht haben, der wenig zur Lö-
sung von Herausforderungen im Gesundheitssystem bei-
trägt, sondern Ängste und Sorgen bei den Menschen
weckt. Denn wenn es Ihnen ernsthaft um die Bekämp-
fung von Krankenhausinfektionen gegangen wäre, hät-
ten Sie – spätestens nach der Öffentlichen Anhörung des
Gesundheitsausschusses vom 25. März 2009 – Ihren An-
trag „Krankenhausinfektionen vermeiden – Multiresis-
tente Problemkeime wirksam bekämpfen“ auf Bundes-
tagsdrucksache 16/11660 zurückziehen müssen. Und da
Sie diesen Mut zur besseren Erkenntnis nicht besessen
haben, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion daher
heute diesen Antrag hier ablehnen.
Wir stimmen Ihren Forderungen, wie zum Beispiel
nach einer „Eindämmung der Krankenhauskeime“ sowie
einer „wirkungsvollen verbindlichen Regelungen zur er-
folgreichen Eindämmung und Prävention“ nicht zu, da
das Infektionsschutzgesetz, IfSG, sowie die Kranken-
haushygieneverordnungen auf Landesebene bei konse-
quenter Umsetzung sowohl Prävention als auch Be-
kämpfung von Krankenhausinfektionen bereits heute
schon fördern und ermöglichen. Wir stimmen Ihren For-
derungen nach einer „personellen Aufstockung und Qua-
lifizierung des Personals in Gesundheitsämtern“ nicht
zu, da dies Aufgabe der Länder ist und der Bund hier
keine Regelungskompetenz hat. Allerdings möchte ich
in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die
Bundesregierung die Qualitätssicherung in der Hygiene
im Rahmen des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-
Systems, KISS, fördert und bei der Antibiotikaresistenz-
strategie eine enge fachliche Kooperation zwischen
Krankenhäusern und Gesundheitsämtern bereits schon
vorgesehen ist. Wir stimmen Ihren Forderungen nach ei-
ner „Präventionsstrategie gegen nosokomiale Infektio-
nen, die für Krankenhäuser betriebswirtschaftlich sinn-
voll sein soll“ nicht zu, da sowohl KISS als auch die
Antibiotikaresistenzstrategie Vorgaben enthalten, die be-
reits kurzfristig zu einer finanziellen Entlastung der
Krankenhäuser führen, wenn die Eindämmung der Kran-
kenhausinfektionen durch Investition in entsprechende
Hygienemaßnahmen konsequent umgesetzt werden.
Und wir stimmen abschließend Ihren Forderungen nach
einer Kopie „von geeigneten Maßnahmen erfolgreicher
europäischer Nachbarländer“ nicht zu, da bereits schon
bei der MRSA-Bekämpfung das Euregio-Netzwerk zur
MRSA-Bekämpfung bei der Antibiotikaresistenzstrate-
gie zugrunde gelegt wurde. Darüber hinaus wurden bei
der Erstellung der Strategie die Antibiotikaresistenzstra-
tegien in Dänemark, Holland und den USA evaluiert.
Die Auffassung, die Bundesregierung tue zu wenig ge-
gen Krankenhausinfektionen, ist weder gerechtfertigt
noch zutreffend. Vielmehr ist die Bundesregierung im
Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig und initiiert Aktivitäten
in ihrer Zuständigkeit durch Gesetzgebung – Regelungen
des IfSG, Vorbereitung einer Meldepflichtverordnung für
MRSA –, fachliche Empfehlungen – der Kommission für
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, KRINKO –,
Projekte und Impulse – Nationales Referenzzentrum für
die Surveillance von nosokomiale Infektionen und KISS,
„Aktion saubere Hände“, Deutsche Antibiotikaresistenz-
strategie und darin zusammengefasste Aktivitäten.
Weil Ihr Antrag eben nicht auf der Höhe der Zeit ist,
ist dieser abzulehnen. Für die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion sind die Patientensicherheit und die Qualität der
Versorgung von Patientinnen und Patienten hohe Güter.
Ihr Antrag hilft in dieser Beziehung aber nicht weiter.
Dr. Carola Reimann (SPD): Der Antrag der Links-
fraktion fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen
zur Eindämmung der Krankenhausinfektionen zu ergrei-
fen. Wir lehnen diesen Antrag ab, weil er Forderungen
beinhaltet, die von der Bundesregierung längst in An-
griff genommen wurden, und weil er darüber hinaus
auch noch Zuständigkeiten missachtet. Das gilt bei-
spielsweise für die Forderung nach mehr Fachpersonal
in den Gesundheitsämtern. Dafür sind die Bundesländer
und nicht der Bund zuständig. Auch der Erlass von
Krankenhaus-Hygiene-Verordnungen ist Aufgabe der
Länder. Einige Länder, wie zum Beispiel Bremen, Sach-
sen und Berlin, spielen hier eine Vorreiterrolle. Ich er-
warte, dass andere Länder diesem Beispiel folgen.
Krankenhausinfektionen stellen ein ernsthaftes Pro-
blem dar. Die Bundesregierung ist sich dieser Problema-
tik sehr bewusst, und aus diesem Grund ist sie in diesem
Bereich schon seit geraumer Zeit aktiv. Maßnahmen zur
Bekämpfung der Krankenhausinfektion hat die Bundes-
regierung längst in Angriff genommen: Zuallererst ist
hier das Infektionsschutzgesetz zu nennen, das zahlrei-
che Bestimmungen enthält, damit die Gesundheitsämter
Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung nosoko-
mialer Infektionen treffen können. Zudem kann auch den
Kolleginnen und Kollegen der Linken nicht entgangen
sein, dass das Bundesministerium für Gesundheit bereits
eine Verordnung zur Erweiterung der Meldepflicht von
MRSA in enger Abstimmung mit den Ländern, Verbän-
den und Experten erarbeitet hat. Der Gesundheitsaus-
schuss des Bundesrates hat ja bereits einstimmig für die
Verordnung gestimmt. Morgen wird sich dann das Ple-
num des Bundesrates damit befassen. Es ist davon aus-
zugehen, dass die Verordnung im August in Kraft treten
kann. Der Handlungsbedarf ist also längst erkannt, und
entsprechende Maßnahmen sind ergriffen worden. Dazu
bedarf es nicht auch noch eines zusätzlichen Antrages.
Eine effektive Strategie zum Kampf gegen Kranken-
hausinfektionen muss einen Mix aus verschiedenen
Maßnahmen beinhalten. Neben gesetzlichen Bestim-
mungen spielen Kampagnen und Programme für eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24477
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Verbesserung der Krankenhaushygiene eine wichtige
Rolle. Ein Beispiel dafür ist die vom Bundesministerium
für Gesundheit geförderte „Aktion Saubere Hände“. Die
sorgfältige Handdesinfektion ist die wichtigste Maß-
nahme zur Vermeidung der Übertragung von Infektions-
erregern. Bundesweit nehmen fast 500 Krankenhäuser
an dieser Aktion teil. Ich freue mich über die gute Reso-
nanz. Diese vergleichsweise einfachen, aber höchst
wirksamen Programme zur Handdesinfektion sind ein
wichtiger Baustein zur Eindämmung von Krankenhaus-
infektionen.
Neben den hier genannten Programmen und gesetzli-
chen Bestimmungen existieren noch zahlreiche andere,
wirkungsvolle Maßnahmen. Zu nennen ist hierbei das
Krankenhaus-Infektions-Surveilance-System, KISS, das
die Erfassung und Analyse von Daten über Krankenhaus-
infektionen ermöglicht und an dem sich über 800 Kran-
kenhäuser beteiligen. Einen wichtigen Beitrag zur Ver-
besserung der Krankenhaushygiene und zur Verhütung
nosokomialer Infektionen leistet auch die Kommission
für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention,
KRINKO. Sie stellt fachlich fundierte Empfehlungen
auf dem Stand der Wissenschaft für Ärzte, Pfleger und
Reinigungskräfte zur Verfügung.
Die Bundesregierung hat also in ihrem Verantwor-
tungsbereich die notwendigen Maßnahmen auf den Weg
gebracht. Daher ist eine Aufforderung an die Bundesre-
gierung, wie sie im vorliegenden Antrag formuliert ist,
überflüssig. Aus diesem Grund lehnen wir den vorlie-
genden Antrag ab.
Dr. Konrad Schily (FDP): Jährlich kommt es Schät-
zungen zufolge zu 20 000 bis 40 000 Todesfällen auf-
grund von Krankenhausinfektionen. Dies ist auch aus
unserer Sicht ein unhaltbarer Zustand. Hinzu kommt
eine nur zu schätzende Zahl von Patienten, die sich bei
einer medizinischen Behandlung im Krankenhaus infi-
zieren. Diese Fakten beunruhigen uns sehr, da sie für den
einzelnen Patienten zusätzliches und sogar vermeidbares
Leiden bedeuten. Dazu kommen die enormen Zusatz-
kosten, die sich aus den unnötigen und verlängerten
Krankenhausaufenthalten ergeben.
Das Anliegen der Fraktion der Linken, Krankenhaus-
infektionen zu vermeiden, wird somit von der FDP-Bun-
destagsfraktion ausdrücklich geteilt. Wir betrachten je-
doch die im Antrag formulierten Forderungen und
Maßnahmen als wenig zielführend. Als ein Indikator da-
für kann die Behauptung der Linken betrachtet werden,
dass die Bundesregierung eine Mitverantwortung trägt,
die unhygienischen Zustände in den Krankenhäusern zu
beenden. Diese Position können wir nicht unterstützen.
Die Hygiene ist vielmehr eine ureigenste Aufgabe der
Krankenhäuser selbst. In erster Linie müssen die Kran-
kenhäuser die Verantwortung tragen.
Darüber hinaus werden in diesem Antrag Maßnah-
men vorgeschlagen, die bereits gesetzlich umgesetzt
sind. Bei weiteren Maßnahmen muss man fragen, ob sie
wirklich den behaupteten Nutzen bringen oder nicht bes-
ser anders ausgestaltet werden sollten. Allein ein Ver-
weis auf die Erfahrungen europäischer Länder lässt
keine Ableitung auf unsere Situation in Deutschland zu.
Das Blickfeld muss für eine breitere Diskussion geöffnet
werden. Beispielweise ist der Antibiotikagebrauch in
Deutschland eine Diskussion wert.
Die Komplexität der Thematik lässt sich, aus unserer
Sicht, nicht mit diesem Antrag nachhaltig und umfäng-
lich bearbeiten. Deshalb enthält sich die Fraktion der
FDP.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Infektionen mit multiresistenten Keimen sind ein zuneh-
mendes Problem in Krankenhäusern. Seit 1990 ist bei-
spielsweise die Zahl der MRSA-Infektionen in Kliniken
deutlich angestiegen, von 1,7 auf 32 Prozent. Die Linke
schlägt eine umfassende Initiative des Bundes vor, um
das Infektionsrisiko zu senken. Leichter gesagt als getan.
Ich bezweifle, dass dieser Vorschlag wirklich trägt und
zur Lösung des Problems in seiner ganzen Breite führen
kann.
Die Ursachen für die Infektion mit multiresistenten
Keimen sind vielfältig. Und genauso vielfältig sind die
Zuständigkeiten in dieser Frage. Ein Alleingang des
Bundes ist hier schwer möglich. Eine spürbare Ände-
rung der derzeitigen Situation können wir nur herbeifüh-
ren, indem wir alle Verantwortungsträger einbeziehen.
Wie bei allen biologisch aktiven, wandlungsfähigen
Keimen werden wir derartige Infektionen nie umfassend
und komplett verhindern können. Wir können aber einen
Beitrag dazu leisten, dass Menschen vor bleibenden Ge-
sundheitsschäden oder im schlimmsten Fall sogar vor
dem Verlust ihres Lebens geschützt werden.
Ein Aspekt, den die Linke zutreffend benannt hat: In
deutschen Kliniken herrscht eine hohe Arbeitsbelastung.
Es gibt zunehmende Dokumentationspflichten, und der
damit verbundene Zeitmangel kann teilweise dazu füh-
ren, dass Klinikbeschäftigte oder die Krankenhauslei-
tung Maßnahmen zur Infektionsprävention nicht wirk-
sam umsetzen. Die bessere personelle und materielle
Ausstattung der Krankenhäuser, auch mit Hygienefach-
kräften und -fachärzten, liegt allerdings in der Zustän-
digkeit der Länder und der Krankenhausträger. Der
Bund kann hier allenfalls Initiator einer konzertierten
Aktion der Gesundheitsministerkonferenz sein, damit
entsprechende personelle, materielle und organisatori-
sche Ressourcen in Krankenhäusern mobilisiert werden.
Ein weiterer Grund für die zunehmende Ausbreitung
von resistenten Keimen ist ein sorgloser Umgang mit
Antibiotika nicht nur bei der Behandlung von Menschen,
sondern insbesondere auch in der Tiermast. Diesen As-
pekt hat die Linke in ihrem Antrag leider völlig verges-
sen. Die von der Bundesregierung im November 2008
verabschiedete Antibiotikaresistenzstrategie beschränkt
sich leider auf die Beschaffung von Informationen und
die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe.
Wirklich effektive Strategien und Maßnahmen fehlen
bislang.
Viele Wege, über die resistente Keime übertragen
werden, können – auch durch gesetzliche Regelungen
oder Aktionen wie „Saubere Hände“ oder „HAND-
24478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
KISS“ – nicht beseitigt werden, wenn die einzelnen Ak-
teure nicht mitziehen. Die Einhaltung von bereits exis-
tierenden Hygienevorschriften, beispielsweise des
Robert-Koch-Instituts, oder das verantwortungsvolle
Verschreiben von Antibiotika liegen in der Hand der
Ärzte und des Pflegepersonals.
Natürlich hat der Bund im Rahmen des Infektions-
schutzgesetzes Möglichkeiten, auf die Ausbreitung be-
stimmter Erreger Einfluss zu nehmen. Es bleibt aller-
dings die Frage, ob Maßnahmen wie beispielsweise die
vorgeschlagene Einführung einer Meldepflicht wirklich
ausreichen.
Wie sehr in dieser Frage die Zuständigkeiten zersplit-
tert sind und Fortschritte vom Aktivwerden einzelner
Akteure abhängen, zeigt auch eine andere Tatsache: Die
Verbreitung von multiresistenten Keimen ist nicht nur
von Bundesland zu Bundesland, sondern teilweise auch
von Region zu Region und von Krankenhaus zu Kran-
kenhaus unterschiedlich. Hier könnte zwar die Einfüh-
rung einer Meldepflicht das Problembewusstsein schär-
fen, gezielter auf die Einhaltung der Hygienevorschriften
zu achten. Für eine wirkungsvolle Prävention aber brau-
chen wir gezielte Maßnahmen auf allen Ebenen: von der
Einführung von Screeningprogrammen über eine konse-
quente Desinfektion bis hin zum vermehrten Einsatz von
Hygienefachkräften und -fachärzten. Berlin, Bremen und
Sachsen ebenso wie ein Modellprojekt im Raum Münster
machen uns vor, wie es gehen könnte.
Auch die Krankenkassen müssten im Zuge der Quali-
tätsdiskussion ein Interesse daran haben, hier ihren Bei-
trag zu leisten. Denn langfristig wird dadurch das Leid
vieler Betroffenen verhindert, und so werden auch Kos-
ten gesenkt.
Dem vorliegenden Antrag der Linken ist zugutezuhal-
ten, dass damit ein wichtiges Problem aufgegriffen wird.
Der vermittelte Eindruck, dass es in der alleinigen Macht
des Bundes stehe, die Infektionsgefahr durch entspre-
chende Schutzmaßnahmen zu verringern, geht allerdings
an der Realität vorbei. So wünschenswert dies in diesem
Fall vielleicht wäre, weil es die Sache einfacher machen
würde, so wenig stimmt es. Wir können daher dem An-
trag der Linken nicht zustimmen.
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin für Gesundheit: Letzte Woche machte die
WHO mit ihrem weltweiten Aktionstag „Safe Lives:
Clean Your Hands“ auf die Bedeutung der Händehy-
giene zur Eindämmung von Krankenhausinfektionen
aufmerksam. Die Händehygiene ist eine einfache und
kostengünstige, aber zugleich auch sehr wirkungsvolle
Maßnahme, um Krankenhausinfektionen zu vermeiden.
Das Bundesministerium für Gesundheit unterstützt die
Aktion der WHO mit dem deutschen Projekt „Aktion
Saubere Hände“, das bereits vor eineinhalb Jahren ange-
laufen ist. Ein Viertel aller deutschen Krankenhäuser
nehmen aktiv an der Aktion teil. Dies ist nur ein Bei-
spiel, wie sich die Bundesregierung für die Verhinderung
von Krankenhausinfektionen engagiert.
Sie tut dies im Bereich der Rechtsetzung, wie jetzt ak-
tuell die Meldepflichtverordnung für MRSA in Blut und
Liquor zeigt, auf dem Gebiet der fachlichen Expertise,
zum Beispiel durch die KRINKO-Empfehlungen, und
durch gezielte wichtige Projekte wie die „Aktion Saubere
Hände“. Unsere Aktivitäten haben wir in der Deutschen
Antibiotikaresistenzstrategie in einem umfangreichen
Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung und Verhütung von
antimikrobiellen Resistenzen und Krankenhausinfektio-
nen gebündelt. Diese Strategie wird jetzt umgesetzt.
Jeder der beteiligten Akteure muss in seinem Zuständig-
keitsbereich tätig werden, Verantwortung und Engage-
ment zeigen.
Auch bei der Anhörung mit Expertinnen und Exper-
ten wurde deutlich, dass die Bundesregierung bereits die
notwendigen vielfältigen und zielgerichteten Aktivitäten
unternommen hat, um bei dem Problem der Kranken-
hausinfektionen voranzukommen. Der vorliegende An-
trag bringt keine wesentlichen weiteren Aspekte ein.
Ich möchte abschließend noch einmal klarstellen: Die
Risiken für Patientinnen und Patienten, sich bei einem
Krankenhausaufenthalt zu infizieren, müssen minimiert
werden. Die Bundesregierung nimmt diese Problematik
sehr ernst und hat mit den eingeleiteten Maßnahmen zur
Eindämmung der Krankenhausinfektionen und Antibio-
tikaresistenzen den richtigen Weg eingeschlagen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Errichtung eines Sondervermögens „Vorsorge
für Schlusszahlungen für inflationsindexierte
Bundeswertpapiere“ (Schlusszahlungsfinanzie-
rungsgesetz – SchlussFinG) (Tagesordnungs-
punkt 34)
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Alleine den
Titel dieses Gesetzentwurfs auszusprechen, erfordert
höchste Konzentration. Worum es bei diesem Gesetzent-
wurf aber eigentlich geht, möchte ich Ihnen hier zu-
nächst verdeutlichen. Das Ziel ist, für den Bund bei der
Fälligkeit von inflationsindexierten Wertpapieren hohe
Einmalbelastungen vermeiden.
Lassen sie mich zunächst erklären, was sich hinter
dem Begriff „inflationsindexierte Wertpapiere“ verbirgt.
Inflationsindexierte Wertpapiere zeichnen sich dadurch
aus, dass sie im Gegensatz zu nominalverzinslichen
Wertpapieren einerseits nur einen relativ niedrigen jähr-
lichen Zinscoupon haben. Andererseits sind sie aber mit
einem von der Entwicklung des Inflationsindexes abhän-
gigen Rückzahlungsbetrag bei Fälligkeit des Wertpa-
piers verknüpft, der sogenannten Schlusszahlung. Der
Zins enthält zwei Komponenten. Zum einen ist er das
Entgelt für den Konsumverzicht, den der Darlehensge-
ber zugunsten des Darlehensnehmers leistet. Zum ande-
ren enthält der Zins auch einen Ausgleich für den infla-
tionsbedingten Wertverlust, den ein Darlehen zwischen
der Gewährung und der Rückzahlung erleidet. Gerade
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24479
(A) (C)
(B) (D)
die letzte Komponente enthält einen hohen spekulativen
Anteil. Niemand kann vorhersehen, wie sich die Preis-
entwicklung während der Laufzeit eines Darlehens ge-
staltet. Genau hier setzt die inflationsindexierte Anleihe
an. Sie will dieses Risiko für den Gläubiger praktisch
ausschließen, indem anhand der tatsächlichen Verhält-
nisse eine „Nachkalkulation“ vorgenommen wird. Diese
gestaltet sich passgenau und kann ohne jegliche Sicher-
heitsmarge erfolgen. Wenn man dagegen diesen Teil des
Entgeltes am Beginn einer Laufzeit festlegt, so muss
man einen Sicherheitszuschlag machen, weil niemand
die Entwicklung genau vorhersehen kann. Um diesen
einzusparen, kann man mit inflationsindexierten Anlei-
hen arbeiten.
Bei Inflation erhöht sich der Zinsbetrag in jedem Jahr,
und im Fälligkeitsjahr der Papiere kommt die Schluss-
zahlung, die eine Ausgleichszahlung für die Inflation
über die gesamte Laufzeit enthält, auf den Bund zu.
Durch diese Konstruktion der Papiere entstehen Pro-
bleme für den Bundeshaushalt, weil sich zeitlich andere
Belastungen als bei nominalverzinslichen Papieren erge-
ben. Zwar sind die jährlichen Zinszahlungen bei infla-
tionsindexierten Wertpapieren geringer, im Gegenzug ist
aber die von der Inflation abhängige Schlusszahlung zu
leisten, die es bei nominalverzinslichen Papieren nicht
gibt. Daraus resultiert im Falle einer steigenden Infla-
tionsrate eine hohe Einmalbelastung für den Bundes-
haushalt im Fälligkeitsjahr, für die Vorsorge getroffen
werden muss, die es bisher nicht gibt. Die Haushaltspla-
nung berücksichtigt bisher nämlich nur die Couponzah-
lungen, nicht aber die Schlusszahlungen, da die erstma-
lige Fälligkeit einer fünfjährigen Bundesobligation im
Jahr 2013 ansteht und damit nicht im aktuellen Finanz-
planungszeitraum liegt. Die Höhe der im Haushalt aus-
gewiesenen Kredittilgung des Bundes ist daher zu nied-
rig angesetzt. Durch dieses Gesetz soll die Möglichkeit
geschaffen werden, diesen Sprung zu vermeiden.
Ich kann mir an dieser Stelle den Hinweis nicht ver-
kneifen, dass ein modernes Haushaltsrecht den umständ-
lichen Weg, der heute als Gesetz beschlossen werden
soll, vermeiden würde. Hätte man ein doppisches Haus-
haltsrecht, so hätten bereits in den Jahren, in denen die
Anleihen laufen, Rückstellungen für die Schlusszahlung
gebildet werden müssen. Es ist ganz klar, dass für jedes
Jahr der Laufzeit am Ende feststeht, ob eine Schlusszah-
lung fällig wird oder nicht. Durch die entsprechende
Rückstellung würde automatisch zweierlei erreicht: Zum
einen müsste die Rückstellung in dem Jahr gebildet wer-
den, in dem die Inflationsrate eine Schlusszahlung erfor-
derlich macht, und damit würde automatisch die Anlas-
tung im richtigen Haushaltsjahr, dem Verursachungsjahr,
sichergestellt. Zum anderen hätte man die fiskalische
Wirkung, dass im Jahr der Fälligkeit die entsprechenden
Kassenmittel zur Verfügung stehen, ohne dass sie dann
den laufenden Etat außerordentlich belasten. Leider ha-
ben wir ein solches fortschrittliches Haushaltsrecht nicht
und werden es nach der jetzigen Beschlusslage mit der
erweiterten Kameralistik auch nicht bekommen. Deshalb
sind Hilfskonstruktionen erforderlich. Das heute zu be-
schließende Gesetz soll eine solche Hilfskonstruktion
schaffen.
Wie geschieht dies? Es wird ein Sondervermögen er-
richtet, um eine Vorsorge für die Schlusszahlungen die-
ser Wertpapiere zu treffen. Durch die regelmäßigen Zah-
lungen von Geldern im Jahr der Verursachung an das
Sondervermögen wird dem Haushalt Geld entnommen
und im Sondervermögen geparkt und so sichergestellt,
dass bei Fälligkeit eines inflationsindexierten Wertpa-
piers die Schlusszahlung komplett aus dem Sonderver-
mögen geleistet werden kann und der Bundeshaushalt im
Fälligkeitsjahr nicht mit der Schlusszahlung belastet
wird. Dies entspricht einer vorausschauenden und nach-
haltigen Finanzpolitik; denn durch das Sondervermögen
können die Schlusszahlungen von der übrigen Finanz-
entwicklung im Bundeshaushalt im jeweiligen Fällig-
keitsjahr entkoppelt sowie die Kosten periodengerecht
zugeordnet und dadurch transparent gemacht werden.
Dies ist unter den gegebenen Umständen ein vernünfti-
ger Weg, und deshalb wird die Union dem Gesetzent-
wurf auch zustimmen.
Das unschöne Ergebnis dieser „Krücke“ ist die Schaf-
fung einer Sonderrechnung außerhalb des Haushaltes.
Dies wollen wir aus Gründen der Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit eigentlich gerade vermeiden. Es ent-
stehen auf diesem Wege Töpfe und Nebenhaushalte;
man kann sie auch als Schattenhaushalte bezeichnen, die
niemand überblickt und die dem verfassungsrechtlich
bestehenden Transparenzgebot zuwiderlaufen. Deshalb
handelt es sich wirklich nur um eine „Krücke“ und nicht
um eine vernünftige Lösung.
Wenn es nach mir ginge, gäbe es noch einen anderen
Weg, mit dem die Verabschiedung von Gesetzen wie
dem vorliegenden nicht mehr erforderlich wäre. Ich for-
dere nach wie vor – ich werde nicht müde, dies immer
wieder zu unterstreichen, und die auf dem Tisch liegende
Fehlentwicklung gibt mehr als Anlass dazu – die Einfüh-
rung eines modernen, allen Anforderungen genügenden
Haushaltsrechts in Form der öffentlichen Doppik. An-
stelle einer Hilfskonstruktion wäre es auch heute besser,
Nägel mit Köpfen zu machen und das richtige System zu
schaffen. Leider habe ich dafür keine Mehrheit gefun-
den.
Ein unschöner Nebeneffekt der bisherigen Regelung
ist, dass während der Laufzeit des Darlehens der Haus-
halt eine höhere Konsumkraft ausweist, als eigentlich
gegeben ist. Ohne die Belastung im laufenden Haushalt
zum Aufbau einer entsprechenden Rückstellung in Form
eines Sondervermögens werden die dafür notwendigen
Zahlungen aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. In den
Jahren, in denen sie aufgeschoben sind, scheint der Um-
fang der Pflichtzahlungen des Staates zu niedrig und
führt dementsprechend auch nicht zu einer Lenkung der
Mittel in die richtigen Kanäle. Im Gegenteil: Es entsteht
der Eindruck einer höheren Konsumkraft, die aus politi-
schen Gründen regelmäßig auch genutzt wird. Der Staat
gibt also Geld aus, das er eigentlich gar nicht mehr hat.
Genau das müssen wir vermeiden. Da die Vernunft nicht
ausreicht, müssen wir Zwangsmechanismen schaffen.
Dieses Thema gibt mir Veranlassung, einen Appell an
alle Kräfte dieses Hauses zu richten, endlich dem Grund-
satz, auch der Staat kann nur das ausgeben, was er hat,
24480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
Genüge zu tun. In der Beratung findet sich zur Sicher-
stellung dieser Volksweisheit die sogenannte Schulden-
bremse. Nun höre und lese ich insbesondere in der Han-
noverschen Allgemeinen Zeitung, dass Teile dieses
Hauses und damit leider auch Teile der Koalition von der
Schuldenbremse Abstand nehmen wollen. Das ist eine
Versündigung an der Generation unserer Kinder und un-
serer Enkel. Wir konsumieren heute, und diese müssen
morgen dafür zahlen, ohne dass sie die Möglichkeit hat-
ten, unser Verhalten zu beeinflussen, oder wir ihnen ent-
sprechend höhere Werte überlassen hätten. Gerade in der
Krise wird deutlich: Spare in der Zeit, dann hast du in
der Not. – Wenn wir diesem in der Vergangenheit Rech-
nung getragen hätten oder wenn wir wenigstens nicht
mehr ausgegeben hätten, als wir eigentlich erwirtschaftet
haben, dann wäre der Zinsblock im Bundeshaushalt
deutlich geringer. Statt der 43 Milliarden Euro würde er
vielleicht 15 bis 20 Milliarden Euro umfassen, die wir
für den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern oder
für die Beseitigung der Schäden durch die kommunis-
tische Diktatur im östlichen Teil unseres Vaterlandes
aufwenden müssten. Was könnten wir dann nicht alles
Gutes zur Förderung der Wirtschaft und damit zur Be-
kämpfung der augenblicklichen Notlage erreichen!
Ich empfehle Ihnen heute die Zustimmung, obwohl
ich mir persönlich etwas Weitergehenderes wünsche.
Aber für Erkenntnisse ist es ja nie zu spät; vielleicht ist
auch diese Regelungsnotwendigkeit eine Treppenstufe
auf dem Wege zur Erkenntnis, dass wir eines Tages doch
noch das wirklich Richtige tun.
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Die Er-
richtung eines Sondervermögens „Vorsorge für Schluss-
zahlungen für inflationsindexierte Bundeswertpapiere“
hat das Ziel, den Aufbau dieses Marktsegments fortzu-
setzen, um damit über ein breites Spektrum an Instru-
menten für eine möglichst günstige Kreditaufnahme zu
verfügen. Die haushaltspolitischen Folgen der interna-
tionalen Finanz- und Wirtschaftskrise erfordern weitaus
höhere Kreditaufnahmen und daher beabsichtigen wir,
den Aufbau dieses – auch an den internationalen Finanz-
märkten etablierten – Instruments fortzusetzen.
Was sind inflationsindexierte Bundeswertpapiere? Es
sind Schuldverschreibungen, deren Verzinsung an einen
Inflations- bzw. Preisindex gekoppelt ist. Die Indexie-
rung ermöglicht den Investoren eine Absicherung gegen
schwankende Inflationsraten und ermöglicht es dem
Kreditnehmer, den Wertpapiercoupon deutlich zu sen-
ken. Das ist gut für Anleger und Kreditnehmer, die beide
von einer verbesserten Risikoaufteilung profitieren. Der
Bund nutzt dieses Marktsegment bereits seit 2006 und
strebt an, mittelfristig bis zu fünf Prozent der Brutto-
kreditaufnahme am Kapitalmarkt über diese Papiere zu
decken. Bisher hat die Finanzagentur im Auftrag des
Bundes sehr erfolgreich inflationsindexierte Bundes-
wertpapiere mit einem Volumen von 22 Milliarden Euro
auf den Kapitalmarkt gebracht. Für das Haushaltsjahr
2009 hat die Finanzagentur die Emission dieser Papiere
mit einem Volumen von 6 bis 10 Milliarden Euro ange-
kündigt.
Für den Bundeshaushalt ergeben sich aus inflations-
indexierten Bundeswertpapieren zeitlich andere Belas-
tungen als bei nominalverzinslichen. Die jährlichen
Zinszahlungen sind bei inflationsindexierten Bundes-
wertpapieren geringer als bei nominalverzinslichen. Im
Gegenzug ist bei Fälligkeit der inflationsindexierten
Bundeswertpapiere eine von der Entwicklung der Infla-
tion abhängige Schlusszahlung zu leisten, die es bei
nominalverzinslichen Bundeswertpapieren nicht gibt.
Auf den Bundeshaushalt kommt im Fälligkeitsjahr des
inflationsindexierten Bundeswertpapiers eine hohe Ein-
malbelastung zu, während in anderen Jahren keine
Schlusszahlungen inflationsindexierter Bundeswertpa-
piere fällig sind.
Eine vorausschauende und nachhaltige Haushalts- und
Finanzpolitik – nach der jüngsten Steuerschätzung wich-
tiger denn je – erfordert eine Vorsorge für die in Zukunft
mit Sicherheit entstehenden kassenwirksamen Ausgaben
aus der Kreditaufnahme. Aus diesem Grund soll durch
dieses Gesetz ein Sondervermögen des Bundes geschaf-
fen werden, das Vorsorge für die Schlusszahlungen dieser
inflationsindexierten Bundeswertpapiere trifft. Mit der
Errichtung des Sondervermögens können die Schlusszah-
lungen von der übrigen Finanzentwicklung im Bundes-
haushalt im jeweiligen Fälligkeitsjahr entkoppelt sowie
die Kosten periodengenau zugeordnet und dadurch auch
absolut transparent gemacht werden. Durch die kontinu-
ierliche Zuführung von Mitteln an das Sondervermögen
wird sichergestellt, dass bei Fälligkeit eines inflationsin-
dexierten Bundeswertpapiers die Schlusszahlung, also
der den Gesamtnennbetrag übersteigende, der Inflation
während der Laufzeit des Wertpapiers geschuldete Be-
trag, aus dem Sondervermögen geleistet werden kann,
und der Bundeshaushalt im Fälligkeitsjahr insoweit nicht
mit der Schlusszahlung belastet wird.
Ich bitte um Zustimmung und bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.
Otto Fricke (FDP): Wieso müssen wir plötzlich ein
weiteres Sondervermögen, diesmal mit dem Titel „Vor-
sorge für Schlusszahlungen für inflationsindizierte Bun-
deswertpapiere“ errichten? Hat sich das Geschäftsgeba-
ren des Bundes auf dem Kapitalmarkt etwa in den letzten
Jahren derart verändert, dass der Bund seine Geschäfte
absichern muss?
Mindestens 1,5 Milliarden Euro beträgt der Finanzbe-
darf, der sich für die inflationsindizierten Bundeswertpa-
piere allein bis 2012 gegenwärtig ergibt. „Hedgen“ ist
der Begriff, der in der Finanzwelt das Absichern von Ge-
schäften gegen bestimmte Risiken bezeichnet. Genau die-
ses Hedgen gibt den Namen für Hedgefonds, die Minis-
ter Steinbrück so gerne kritisiert. Warum begab sich der
Staat auch auf diese Spielfläche? Weshalb müssen wir
ein Sondervermögen schaffen, um die Finanzierungsge-
schäfte des Bundes zu gewährleisten und Haushaltsklar-
heit herzustellen? In der Vergangenheit war es eben nicht
notwendig, solch einen „Nebenhaushalt“ zu führen, um
Finanzierungskosten periodengerecht zu erfassen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24481
(A) (C)
(B) (D)
Der Grund für solch eine Abgrenzung ist einfach: Der
SPD-Finanzminister und die Koalition haben 2006 be-
gonnen, auf die Entwicklung des Europäischen Infla-
tionsniveaus zu wetten. Die Wette erfolgte in der Form,
dass seit März 2006 Bundesobligationen und Bundesan-
leihen begeben wurden, deren Rückzahlungshöhe von
der Inflationsrate im Euroraum abhängt.
Ich denke, dass sich das Bundesfinanzministerium
wiederholt gefragt hat, warum es ohne Not ein neues Fi-
nanzierungsinstrument, oder sagen wir besser: Wettin-
strument, genutzt hat, dessen Folgen es wirklich nicht
abschätzen, geschweige denn kontrollieren kann.
Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger, aber auch
Unternehmen kennen Bundesschatzbriefe, Bundesanlei-
hen und Tagesanleihen des Bundes und schätzen diese
sichereren Anlageformen. Dies liegt unter anderem da-
ran, dass die Finanzkraft des Bundes von den Rating-
agenturen als nahezu bestmöglich auf der Welt angese-
hen wird. AAA nennt sich das dann und eröffnet den
Weg zu günstigster Finanzierung.
Warum war eine Abweichung von den normalen Fi-
nanzierungsformen notwendig? War sie notwendig? Den
Erklärungsversuch, dass inflationsindizierte Anleihen
international zunehmend begeben werden, kann die FDP
nicht gelten lassen, denn die Nachfrage nach altbekann-
ten Bundeswertpapieren war ungebrochen. Die Argu-
mentation, die anderen machen es ja auch, kann nicht
ziehen.
Welche Rolle sollte und darf der Staat bei der Be-
schaffung seines Kapitalbedarfs einnehmen? Broker?
Oder ist er eben doch in erster Line Treuhändler des
Steuerzahlers? Nach dem Verständnis meiner Fraktion
ist es eben nicht Aufgabe des Staates, Zinswetten einzu-
gehen und dafür Risiken in Kauf zu nehmen. Das zeigt
gerade die aktuelle Finanzmarktsituation.
Hätte die Große Koalition ernsthaft versucht, Zinsen
einzusparen, dann hätte sie die Neuverschuldung zu-
rückfahren müssen, als sie die Gelegenheit dazu hatte.
Zinsen spart man nämlich am besten dadurch, dass man
keine neuen Schulden anhäuft. Vorschläge zur Vermei-
dung von Neuverschuldung der FDP – Stichwort: Libe-
rales Sparbuch: gab es. Ich möchte betonen, dass die
FDP immer wieder konkrete, umsetzbare Vorschläge zur
Reduzierung der Staatsausgaben eingebracht hat. Diese
wurden von der Großen Koalition immer wieder igno-
riert.
Statt also den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen
hat, die Bundesregierung ihre Ausgaben stets stärker er-
höht, als die Wirtschaft gewachsen ist. Um ihre Unfähig-
keit bei der Haushaltskonsolidierung zu überspielen, hat
die Bundesregierung sich auf die Spielwiese des „Ca-
sino-Kapitalismus“ begeben, um das Geld der Steuer-
zahler eben nicht auf Rot oder Schwarz, sondern auf fal-
lende bzw. stagnierende Inflation zu setzten. Vernünftige
Haushaltspolitik sieht anders aus.
Wie aber funktionieren diese neuen Wettinstrumente?
Der Bund garantiert den Anlegern einen Zinssatz, der
um die Inflation angepasst wird. Der Rückzahlungsbe-
trag des Wertpapieres ergibt sich aus dem Nennwert
multipliziert mit dem harmonierten Verbraucherpreis-
index zum Ende der Laufzeit. Um den Einflussfaktor der
Inflationsentwicklung bewusst zu machen, will ich Ih-
nen zwei Beispiele anführen:
Eine Inflationsrate von durchschnittlich 1,5 Prozent
führt dazu, dass einem Anleger, der 10 000 Euro Bun-
desanleihe nominal gezeichnet hat, am Ende der Lauf-
zeit circa 11 600 Euro zurückgezahlt werden.
Beträgt jedoch die Inflation 2,5 Prozent, würde der
gleiche Anleger fast 13 000 Euro zurückbekommen.
Welches Risiko sich hieraus ergibt, brauche ich bei
22 Milliarden Euro an begebenen Wertpapieren nicht
weiter auszuführen – Quelle: www.deutsche-finanzagen
tur.de. Wir sehen also deutlich, dass die Entwicklung der
Inflationsrate einen enormen Einfluss auf die Rückzah-
lung der Anleihen hat.
Zum Hintergrund inflationsindizierter Wettpapiere
möchte ich ein paar Punkte anführen:
Wie entsteht Inflation, welche Einflussgrößen beein-
flussen also die Rückzahlungshöhe der Wertpapiere? Die
Inflation hat mehrere Gründe. Die Ursachen liegen unter
anderem in einer hohen, am Markt befindlichen Geld-
menge, in einem starken Wirtschaftswachstum oder ei-
ner Nachfrage, die nicht von einem entsprechenden An-
gebot gedeckt wird.
Hieraus ergibt sich doch die Frage, welche Erwar-
tungshaltung das Bundesfinanzministerium hatte, als es
die Wertpapiere begeben hat. Hat der Bundesfinanzmi-
nister seit 2006 mit einem Abschwung gerechnet? Ab-
schwung oder Rezession führt nämlich tendenziell erst
einmal zu sinkenden Inflationsraten. In diesem Fall
würde der Finanzminister davon profitieren, dass es der
deutschen Wirtschaft schlecht geht.
Die zweite denkbare Alternative ist, dass der Bundes-
finanzminister die Schwankung der Inflation falsch ein-
geschätzt hat, denn in 2008 lag die Inflation deutlich
über dem von der EZB angepeilten Wert von rund, aber
nicht über 2 Prozent, was die Kosten der Wettpapiere des
Bundes in die Höhe treibt. Das Bundesfinanzministe-
rium hat gewettet, dass die EZB die Inflationsrate im
Zielkorridor von rund 2 Prozent halten wird und das
Bundesfinanzministerium so einen Zinsvorteil gegen-
über bewährten Finanzinstrumenten haben wird. Ob dies
langfristig aufgeht, bezweifle ich.
Wie viele Banker bestätigen, ist kurz und mittelfristig
mit einer stark inflationären Tendenz zu rechnen. Was
für den Bürger an der Zapfsäule ärgerlich ist und für den
Sparer erst recht, bedeutet für den Staat einen Aufwand
in Milliardenhöhe.
Für diesen Mehraufwand beim Inflationsausgleich,
der in Zukunft mit Sicherheit entstehen wird und für den
im Haushaltsplan noch keine Vorsorge getroffen wurde,
soll jetzt ein Sondervermögen errichtet werden.
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Bundesre-
gierung nun endlich bekennt, dass sie die Kosten ihres
aufgenommenen Kapitalbedarfs transparent machen
muss, insbesondere, da so auch im Bundeshaushalt die
Maastricht-Abgrenzungskriterien für die Defizitberech-
24482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
nung nachvollzogen werden. Die Kriterien sehen näm-
lich ausdrücklich vor, dass inflationsbedingte Verände-
rungen des aufgenommenen Kapitals bereits als
entstandene Zinsbelastungen anzusehen sind. Ähnlich
der Zuordnung von Nullcouponanleihen – Zerobonds –
ist nämlich der am Ende der Laufzeit fällige Aufwand
haushälterisch den Jahren zuzuordnen, in dem er ent-
standen ist. Fraglich ist, warum die Bundesregierung erst
jetzt erkennt, dass für die inflationsindizierten Anleihen
Aufwendungen anfallen, die bislang noch nicht abge-
grenzt wurden.
Prinzipiell lehnen wir als FDP-Fraktion Sonderver-
mögen ab. Nach unserer Auffassung widersprechen Son-
dervermögen den Grundsätzen der Wahrheit und Klar-
heit bei der Haushaltsführung. Wozu diese
Sondervermögen führen, haben wir ja am Beispiel des
Erblastentilgungsfonds und des Finanzmarktstabilisie-
rungsfonds gesehen.
Abschließend stellt die FDP-Fraktion fest:
Erstens. Wir lehnen inflationsindizierte Wertpapiere
als Wettgeschäfte ab und sprechen uns gegen die Bege-
bung neuer inflationsindizierter Wertpapiere des Bundes
aus.
Zweitens. Wir sind für eine transparente Regelung der
Zuordnung von Kosten zu den einzelnen Haushaltsjah-
ren. Ich will Ihnen gerne zugestehen, dass im konkreten
Fall keine andere Lösung kameralistisch möglich ist.
Folglich können wir dem Gesetz nicht zustimmen und
wir werden uns enthalten.
Roland Claus (DIE LINKE): In der Begründung
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es, ich
zitiere: „Der Bund hat im Frühjahr 2006 erstmalig eine
inflationsindexierte 10-jährige Bundesanleihe begeben …“
– hier müsste es „ausgegeben“ heißen, meine Damen
und Herren – „… und ist damit der Entwicklung an den
internationalen Kapitalmärkten gefolgt, in denen infla-
tionsindexierte Wertpapiere seit längerem ein etabliertes
Instrument sind“.
Nun ist in der jüngeren Vergangenheit durch einige an
den internationalen Finanzmärkten etablierte Instrumente
die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit der großen
Depression hervorgerufen worden. Die vom Bund aus-
gegebenen Anleihen gehören ausdrücklich nicht dazu,
doch will und muss ich hier dennoch betonen, dass es für
nichts anderes als für politische Ignoranz spricht, wenn
ein dem Gemeinwesen und – in diesem Falle besonders
zu betonen – dem Steuerzahler verpflichteter Politiker
den Produkten der internationalen Finanzmärkte hinter-
herrennt, nur weil diese angeblich etabliert sind. Was da-
bei passieren kann, zeigen uns die Bankenrettungs-
schirme, die Sie derzeit zulasten der Allgemeinheit
spannen. Die inflationsindexierte Anleihe ist nichts an-
deres als ein Wettspiel der Anleger auf die Inflationsent-
wicklung. Je höher diese ausfällt, desto mehr Geld ver-
dienen diese; und zwar verdienen die Anleger:
Steuergeld. Mir fällt es schwer, darin keine Umvertei-
lung des gesellschaftlichen Reichtums zu erkennen.
Aber darin sind Sie ja erfahren.
Mit dem Schlusszahlungsfinanzierungsgesetz wollen
Sie nun drei Jahre nach Erstausgabe der inflationsinde-
xierten Bundeswertpapiere die Grundlage für die Errich-
tung eines Sondervermögens schaffen. Auch das ist typisch
für Ihre Art zu regieren: erst machen, ohne nachzuden-
ken, und dann gucken, was geschieht, und die Kosten
dem Steuerzahler aufbürden. Um Sie nicht durchweg zu
kritisieren: Von einem technokratischen Standpunkt aus
betrachtet, kann es durchaus für sinnvoll erachtet wer-
den, dass der Bund für absehbare Schlusszahlungen für
bereits laufende inflationsindexierte Bundeswertpapiere
Vorsorge betreibt. Durch den Aufbau des Sondervermö-
gens kann die Inflation, die während der Laufzeit eines
inflationsindexierten Bundeswertpapiers stattfindet, pe-
riodengenau berücksichtigt werden und durch die Infla-
tion verursachte Zinsausgaben der indexierten Bundes-
wertpapiere können periodengerecht zugeordnet werden.
Ein solches technokratisches Verständnis macht sich
die Linke nicht zu eigen. Deshalb lehne ich im Interesse
der Menschen, auf deren Geld gewettet wird, die Schaf-
fung weiterer Sondervermögen, die neben dem Bundes-
haushalt bestehen sollen, ab. Es ist aus unserer Sicht
nicht die Aufgabe des Staates, Wettangebote an Käufer
mit hohen Zinserwartungen zu etablieren, um in Ihrer
Diktion zu bleiben. Inflationsindexierte Bundeswertpa-
piere sind nach Ansicht der Linken kein notwendiges
und sinnvolles Finanzierungsinstrument des Bundes.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das Schlussfinanzierungsgesetz regelt die Form der Be-
gleichung inflationsindexierter Schulden.
Gezielt wurde erstmals im Jahr 2006 das Instrument
inflationsindexierter Kreditaufnahme am Kapitalmarkt
gewählt, um als Schuldner bei niedriger Inflation nur
niedrige Zinszahlungen leisten zu müssen. Sowohl Gläu-
biger als auch Schuldner können nämlich vom Konstrukt
dieses Finanzierungsinstruments profitieren: Der Anle-
ger hat die Sicherheit, dass seine Forderungen nicht von
der Inflation aufgefressen werden, der Schuldner, hier
der Bund, senkt seine Finanzierungskosten. Soweit die
Theorie.
In der Praxis müssen wir nun feststellen, dass dieses
Finanzierungsinstrument mit steigender Inflation deut-
lich teurer zu werden droht als die bis dahin klassische
Kreditaufnahme mit Festverzinsung. Die Große Koali-
tion hat allzu leichtfertig den Versuch einer zehnjährigen
inflationsindexierten Anleihe im Jahr 2006 um eine wei-
tere fünfjährige Anleihe noch im letzten Jahr ergänzt.
Angesichts der sehr ungewissen Entwicklung der Teue-
rungsraten wäre es notwendig gewesen, die weitere Neu-
emission inflationsindexierter Papiere kritisch zu über-
prüfen.
Das heute zu beschließende Schlussfinanzierungsge-
setz bügelt eine andere offensichtliche Schwäche der in-
flationsindexierten Anleihen aus. Bislang erfolgte die
Zahlung sämtlicher auflaufender Verpflichtungen an die
Gläubiger erst zum Ende der Laufzeit. Es wurden also
Zahlungsverpflichtungen unübersichtlich in die Zukunft
verlagert. Zur Vermeidung solcher zukünftigen hohen
Einmalzahlungen durch die Schlusszahlungen soll ein
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24483
(A) (C)
(B) (D)
Sondervermögen errichtet werden, welchem ab sofort
schon während der Laufzeit des Papiers die entspre-
chend jeweils zu erwartenden Schlusszahlungen zuge-
führt werden.
Das Schlussfinanzierungsgesetz konkret ist daher also
trotz aller generellen Skepsis am Instrument der infla-
tionsindexierten Wertpapiere zu begrüßen, da hierdurch
Klarheit und Wahrheit zu eingegangenen Verpflichtungen
entsteht. Damit werden zukünftige Kosten jeweils aktuell
„gebucht“ und verhindert, dass ungedeckte Schecks auf
die Zukunft ausgestellt werden.
Das Schlussfinanzierungsgesetz ist damit eine seltene
und in der Großen Koalition aussterbende Art: nämlich
der Erhalt von Klarheit und Wahrheit im immer konfuse-
ren, intransparenteren und unehrlicheren Zahlenwerk.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuld-
verschreibungen aus Gesamtemissionen und
zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprü-
chen von Anlegern aus Falschberatung (Tages-
ordnungspunkt 36)
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): 2008 fand eine
zweifelhafte Ehrung statt. Zum Wort des Jahres wurde
von der Gesellschaft für deutsche Sprache das uns auch
heute anhaltend beschäftigende Wort Finanzkrise gekürt.
Leider ist es eben nicht nur ein Wort, sondern beschreibt
unsere derzeitige Wirtschaftssituation, die auch so
schnell nicht in Vergessenheit geraten wird. Viele Bürger
leiden unter der Krise, bedauerlicherweise auch auf-
grund fehlerhafter Finanzberatungen. Die damit verbun-
dene skeptische Einschätzung des Wertpapierhandels ist
für uns Politiker Herausforderung für eine sinnvoll ver-
tiefende und zugleich behutsame rechtliche Neuregelung
zu sorgen, die wieder Vertrauen schafft; denn für die
Volkswirtschaft ist der Wertpapierhandel essenziell. Dies
ist Ziel des Gesetzes: den gesetzlichen Rahmen des
Wertpapierhandels zu verbessern.
Durch die Modernisierung des Schuldverschreibungs-
rechts soll der Anlegerschutz beim Erwerb von Schuld-
verschreibungen und anderen Anlagen gestärkt werden.
Rechtshistorisch betrachtet enthält das Gesetz eine
Neufassung des Schuldverschreibungsgesetzes von
1899. Das alte Schuldverschreibungsgesetz schränkt die
Befugnisse der Gläubiger aus heutiger Sicht zu stark ein
und ist verfahrensrechtlich veraltet.
Hervorzuheben von den vorgeschlagenen neuen Re-
gelungen sind die grundsätzlichen Änderungen der Bera-
tungs- und Dokumentationspflicht für ein ausgewogene-
res Kräfteverhältnis der Vertragspartner. Sie sollen dem
verbesserten Ausgleich einer gestörten Vertragsparität,
wie sie nicht zu Unrecht oft im Verhältnis zwischen klei-
nem Anleger und großer Bank gesehen werden, dienen.
Doch ich möchte betonen, dass nicht alle jetzt betrof-
fenen Anleger falsch beraten worden sind. Es gab auch
diejenigen, die nur die möglicherweise zu erwartenden
Gewinne im Blick hatten und bewusst die Augen vor den
aufgezeigten Risiken verschlossen haben und nun in die
Klage der tatsächlich Getäuschten mit einstimmen. Hier
müssen wir differenzieren – in der rückwärtigen Sicht
und auch künftig. Mittels Beratungs- und Dokumenta-
tionspflicht soll sich künftig im Nachhinein feststellen
lassen, ob die Beratung fehlerhaft war oder ob man es mit
den Risiken anlegerseitig bewusst nicht ganz so genau ge-
nommen hat. In Zukunft soll die Verpflichtung bestehen,
den Inhalt jeder Anlageberatung zu protokollieren. Dem
Anleger wird ein zivilrechtlicher Herausgabeanspruch
hinsichtlich der Aufzeichnungen des beratenden Unter-
nehmens eingeräumt. Wichtig bei dem Protokoll ist dabei
die allgemeine Verständlichkeit, wozu insbesondere die
Ausgangswünsche des Kunden sowie die vom Berater er-
teilten Empfehlungen und die hierfür maßgeblichen
Gründe gehören. Sinn und Zweck dieser Dokumentations-
pflicht ist – was eigentlich immer selbstverständlich sein
sollte – die Veranlassung zur Einhaltung höchster Sorg-
faltspflichten der Anlageberatung und somit die Förde-
rung der Qualität der Beratung.
Im Streitfall kann das Beratungsprotokoll dann von
jeder Seite herangezogen werden, zur Entlastung oder
auch zu Belastung. Geht aus dem Protokoll ein Bera-
tungsfehler hervor, hat der Anleger das erforderliche Be-
weismittel in Händen. Dem Anleger wird es damit künf-
tig erleichtert, Schadensersatzansprüche durchzusetzen,
indem die Anforderungen an die Dokumentation der Be-
ratung erhöht werden und dem Anleger ein einklagbarer
Anspruch auf Aushändigung der Dokumentation einge-
räumt wird. Selbstverständlich ebenso möglich ist damit
die Exkulpation des Beraters.
Eine weitere Regelung ist die Abschaffung der kurzen
Sonderverjährungsfrist wegen Falschberatung bei Wert-
papieranlagen, die an die regelmäßige Verjährungsfrist
des Bürgerlichen Gesetzbuches angepasst wird. Scha-
densersatzansprüche wegen Falschberatung verjähren da-
mit nicht mehr binnen drei Jahren nach Vertragsschluss.
Die Dreijahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn der An-
leger von dem Schaden Kenntnis hat. Unabhängig von
der Kenntnis des Anlegers vom Schaden verjähren die
Ansprüche jedoch spätestens binnen zehn Jahren, und
das ist aus Gründen der Rechtssicherheit auch unent-
behrlich.
Des Weiteren wird das Verfahren der Gläubigerab-
stimmung grundlegend neu geregelt und an das moderne
und bewährte Recht der Hauptversammlung bei der Ak-
tiengesellschaft angelehnt. Zudem enthält der Gesetzent-
wurf Vorschriften, wer stimmberechtigt ist, und führt die
Möglichkeit eines gemeinsamen Vertreters der Gläubi-
ger ein. Die Verfahrensregelungen zur Einberufung, Frist
und Bekanntmachung von Gläubigerversammlungen
werden modernisiert, die Anfechtung von Gläubigerbe-
schlüssen zugelassen sowie die Möglichkeit einer virtu-
ellen Gläubigerversammlung eingeführt.
Mit der Neufassung des Schuldverschreibungsgeset-
zes erfolgt eine Anpassung an international übliche An-
24484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
forderungen. Das Gesetz schafft eine Rechtsgrundlage für
Umschuldungsklauseln, sogenannte Collective Action
Clauses, die den Gläubigern Handlungsspielräume zu
bestimmten Änderungen der Anleihebedingungen ver-
mitteln. Erforderlich kann das während der Laufzeit ei-
ner Anleihe aus verschiedenen Gründen sein, beispiels-
weise in der Krise oder Insolvenz des Schuldners. Die
Regeln des Gesetzes entsprechen insoweit den interna-
tional üblichen Klauselinhalten. Die bisherige Anwen-
dungsbeschränkung des Gesetzes auf Emittenten mit
Sitz im Inland fällt weg.
Zur Verbesserung der Verständlichkeit von Anleihe-
bedingungen wird eine spezialgesetzliche Regelung zur
Transparenz eingeführt.
Wir haben uns hier einiges vorgenommen und wün-
schen, dass nicht zuletzt dadurch der Wertpapierhandel
wieder ein Stück Vertrauen zurückgewinnen kann, dass
wir die Parteien ähnlich stark ausstatten können, ohne
aber die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen aus dem
Auge zu verlieren. Ich freue mich auf die parlamentari-
schen Beratungen des Regierungsentwurfes.
Klaus Uwe Benneter (SPD): Schade, dass wir so
einen wichtigen Gesetzentwurf nur in dieser Form disku-
tieren. Hinter dem sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes
zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldver-
schreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesser-
ten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen bei Falschbera-
tung“ verbirgt sich ganz konkrete Politik für die
Menschen. Die Finanzkrise trifft nicht nur Banken und
Unternehmen, sie trifft auch Tausende von Anlegern:
Viele haben Geld verloren, weil sie sich über das Risiko
ihrer Wertpapiere nicht im Klaren waren. Vielfach wur-
den sie von den Banken schlecht beraten und ungewollt
zum Kauf gedrängt, weil üppige Provisionen für die Be-
rater gelockt haben. Immer wieder wurden Schutzvor-
schriften nicht eingehalten und die wichtigen Informa-
tionen in schicken Hochglanzprospekten verschleiert
oder gleich komplett weggelassen. So etwas soll es in
Zukunft nicht mehr geben: Wir wollen starke Anleger,
die wissen, für welches Anlageprodukt sie sich entschei-
den und die eine Chance haben, später ihre Rechte
durchzusetzen. Dazu enthält der Gesetzentwurf wesent-
liche Verbesserungen.
Was haben wir vor: Wir wollen Transparenz bei der
Anlageberatung auf eine völlig neue Grundlage stellen.
Ein Bankberatungsgespräch ist deshalb in Zukunft um-
fassend in einem regelmäßig schriftlichen Protokoll zu
dokumentieren. Kein Bankberater kann dann mehr be-
haupten, er habe über alle Risiken des Anlagegeschäftes
aufgeklärt und außerdem sei eigentlich der Kunde
schuld, weil er sich nicht deutlich genug ausgedrückt
habe.
Bis jetzt müssen die Banken nur ganz grobe Auf-
zeichnungen von den Beratungsgesprächen machen.
Dort steht dann zum Beispiel nur, ob überhaupt eine Be-
ratung stattgefunden hat. Was dort aber konkret bespro-
chen wurde, was der Kunde eigentlich wollte und der
Bankberater daraufhin empfohlen hat, taucht dort nicht
auf. Damit ist jetzt Schluss. In Zukunft gilt: Alles ist zu
protokollieren: was der Kunde will, was der Bankberater
daraufhin empfiehlt und warum. Telefonieren beide,
kann der Anleger von der Bank verlangen, dass das Tele-
fongespräch aufgezeichnet wird. Vorher muss er nichts
unterschreiben.
Was erreichen wir damit:
Erstens. Der Kunde kann sich das Protokoll zu Hause
noch einmal in Ruhe durchlesen, nicht nur zur Kontrolle,
sondern auch zum Vergleich. Mit seinem individuellen
Angebot hat er die Möglichkeit, zur Konkurrenz zu ge-
hen, und das nicht mit einem Stapel schicker, aber
nichtssagender Hochglanzprospekte. Was heute in jedem
Mediamarkt bei jeder kleinen Musikanlage selbstver-
ständlich ist, gilt nun endlich auch in der Anlagebera-
tung.
Zweitens. Die Bankberater müssen ab jetzt sehr sorg-
fältig arbeiten. Mit dem Gesetzentwurf soll die Qualität
der Beratung merklich besser werden. Nach einer Studie
des Verbraucherschutzministeriums von Ende 2008 ge-
hen in Deutschland den Anlegern jedes Jahr ungefähr
30 Milliarden Euro durch falsche Beratung verloren.
Eine ungeheure Zahl. Natürlich ist die Anlageberatung
in Deutschland nicht per se schlecht. Der Berater kann ja
wirklich gut ausgebildet sein. Dennoch schwatzt er den
Anlegern ein windiges Zertifikat auf, nur um seine vor-
gegebenen Verkaufsquoten zu erfüllen und die in Aus-
sicht stehenden Provisionen einstreichen zu können.
Jetzt schaffen wir die Möglichkeiten, solche Falschbera-
tungen auch nachzuweisen. Das wird dafür sorgen, zur
Sicherheit lieber noch einmal beim Kunden nachzufra-
gen und die eigenen Empfehlungen doppelt zu überprü-
fen.
Drittens. Wir erleichtern den Betroffenen die Mög-
lichkeit, mit einer Klage zu obsiegen. Eine Schadenser-
satzklage gegen die Bank wegen Falschberatung ist si-
cher das letzte Mittel, die Ultima Ratio. Einmal vor
Gericht haben die Geschädigten dann aber schlechte
Karten. Wie kann ich beweisen, dass vor Jahren der Be-
rater schlecht beraten hat? Ich war bei vielen Geschädig-
ten der pleitegegangenen deutschen Tochter von Lehman
Brothers in Deutschland. 50 000 von ihnen wurden üble
Zertifikate aufgeschwatzt. Dass der Wert der Papiere
auch auf null sinken kann, dass das ganze angelegte
Geld weg sein könnte, wurde geflissentlich verschwie-
gen. In Musterprozessen wollen die geschädigten Anle-
ger nun die Banken verklagen, die diese Papiere in
Deutschland verkauft haben. Schon mehrmals wurden
solche Klagen aber aus Mangel an Beweisen abgewie-
sen. Damit haben viele Kleinanleger ihre private Alters-
vorsorge, ihre Alterssicherung verloren.
Immerhin: Kürzlich hat als erstes Gericht das Landge-
richt Frankfurt am Main die Frankfurter Sparkasse zu
Schadensersatz wegen Falschberatung verurteilt. Ob aber
andere Gerichte genauso entscheiden, steht in den Ster-
nen.
Mit der Neuregelung ist jetzt die Bank im Obligo: Ist
das Protokoll lückenhaft oder unschlüssig, muss die
Bank beweisen, dass ordnungsgemäß beraten wurde. Hat
sich der Kunde zum Beratungsgespräch kein Protokoll
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24485
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aushändigen lassen, kann er die Bank auch auf Heraus-
gabe dieses Protokolls verklagen. Wir wollen auch das
Verjährungsrecht bei Falschberatung ändern. Im norma-
len Bürgerlichen Recht knüpft der Beginn der Verjäh-
rung an zwei Bedingungen an: Anspruchsentstehung und
Kenntnis. Wer einen Anspruch geltend machen will,
muss wissen, dass er einen Schaden hat. Das ist eigent-
lich selbstverständlich und nach dem BGB auch so gere-
gelt.
Nicht so bei Wertpapieren nach dem Wertpapierhan-
delsgesetz: Drei Jahre nach Vertragsschluss mit der Bank
ist der Anspruch auf Schadensersatz verjährt, egal was
der Anleger schon weiß, Schrottpapiere im Depot hin
oder her. Das wird jetzt geändert. Die Dreijahresfrist be-
ginnt in Zukunft erst dann, wenn der Anleger von sei-
nem Schaden erfahren hat, unabhängig davon spätestens
in zehn Jahren. Ein Sonderrecht für die Banken gibt es
nicht mehr. Eine echte Verbesserung. Politik wird künf-
tig den Schaden, den falsche und schlechte Anlagebera-
tung durch maßloses Profitstreben und ungezügelte Gier
angerichtet haben, nicht völlig verhindern können. Aber
mit dem Gesetzentwurf ziehen wir die notwendigen
Konsequenzen für die Zukunft. Was die Vergangenheit
angeht, müssen wir den durch Lehman-Papiere geschä-
digten Kleinanlegern versuchen zu helfen. Nicht nur die
Banken brauchen Bad Banks.
Mechthild Dyckmans (FDP): Die Tageszeitungen
kennen zurzeit fast nur ein Thema: die Wirtschaftskrise,
eine Krise, die sich aus der Finanzmarktkrise heraus ent-
wickelt hat. In diesem Zusammenhang wird auch der
Verbraucherschutz zu Recht immer wieder auf die Ta-
gesordnung gesetzt. Jedem sind die Berichte bekannt,
nach denen Bankberater einem Kunden, der nach einer
sicheren Anlage gefragt hat, ein Zertifikat der Invest-
mentbank Lehman Brothers empfohlen hat. Die Invest-
mentbank Lehman Brothers ist mittlerweile Geschichte.
Zurück bleiben die Verbraucherinnen und Verbraucher,
die Zertifikate dieser Bank erworben hatten. In vielen
Fällen stellt sich die Frage: Haben die Bankberater zu
sehr auf eigene Provisionen geschielt, mehr als auf das
Wohl ihrer Kunden? Hat vielleicht auch so mancher
Kunde das Risiko, welches mit einer solchen Anlage-
form verbunden ist, nicht wahrhaben wollen mit Blick
auf eine Rendite, die höher ist als auf dem klassischen
Sparbuch?
Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf zu er-
klären, der dem Deutschen Bundestag heute in erster
Lesung vorliegt. Der Titel „Gesetz zur Neuregelung der
Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Ge-
samtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit
von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“
führt dabei leicht in die Irre. Nicht, dass die Neuregelung
der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen nicht
wichtig wäre, der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig
auf dem zweiten Teil, der Anlageberatung, auf den ich
hier näher eingehen möchte.
Liberale Verbraucherpolitik geht von dem mündigen
Bürger aus. Verbraucherpolitik ist dabei Wirtschaftspoli-
tik für den Konsumenten. Liberale Verbraucherpolitik
setzt auf eine Stärkung des Menschen im Markt und
nicht auf Schutz vor dem Markt. Moderne Verbraucher
wollen nicht vom Staat bevormundet werden, sondern
bessere Information, mehr Wissen über die Märkte und
effektive Verbraucherrechte. Das Leitbild der FDP-Bun-
destagsfraktion ist dabei die Befähigung des Verbrau-
chers zu eigenverantwortlichen und selbstbestimmten
Entscheidungen. Aus diesem Selbstverständnis heraus
hat die FDP-Bundestagsfraktion am 20. April 2009 auch
eine viel beachtete Diskussionsveranstaltung unter dem
Titel „Wie kommt das Vertrauen der Verbraucher zu-
rück? – Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise“ abge-
halten. Die Anlageberatung war dabei auch ein ganz
wichtiges Thema.
Das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes, eine
hohe Qualität der Anlageberatung sicherzustellen, ist zu
begrüßen. Dies soll durch mehr Verständlichkeit und
Transparenz geschehen. Anleger sollen im Falle einer
fehlerhaften Beratung ihre Ansprüche leichter durchset-
zen können. Im Blick behalten müssen wir jedoch auch
die dadurch entstehenden Bürokratiekosten. Allein die
Protokollierung wird Kosten in Höhe von 50 Millionen
Euro jährlich hervorrufen. Und es steht zu erwarten, dass
sich auch der Kontrollaufwand der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht erhöhen wird. Frau Minis-
terin Aigner hat darüber hinaus in zahlreichen Presse-
erklärungen Anfang des Jahres weitergehende Regelun-
gen angekündigt, sodass sich die Frage stellt, wie sich
diese Ankündigungen zum vorliegenden Gesetzentwurf
verhalten.
Im Mittelpunkt der Vorschläge zum Anlegerschutz im
Rahmen dieses Gesetzentwurfes steht, wie oben darge-
legt, der Schutz des Verbrauchers, also des Privatkun-
den. Die Neuregelungen, auf die im Weiteren noch näher
einzugehen sein wird, haben jedoch einen Anwendungs-
bereich, der alle Kunden einer Bank betrifft. Dies wären
auch Versicherungen oder andere große Unternehmen.
Ein Schutzbedürfnis dieser Gruppen ist nicht wirklich zu
erkennen. Das Wertpapierhandelsgesetz kennt schon
eine Differenzierung in geeignete Gegenparteien, profes-
sionelle Kunden und Privatkunden. Schutzbedürftig
scheinen nur die Privatkunden zu sein. Alternativ könnte
auch überlegt werden, auf den Begriff des Verbrauchers
im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) abzustellen. Um
unnötige Bürokratie und Kosten zu vermeiden, sollte der
Anwendungsbereich dementsprechend eingeschränkt
werden.
Die generelle Aufzeichnungspflicht, die alle Wertpa-
pierdienstleistungen betrifft, wird durch den Gesetzent-
wurf für den Bereich der Anlageberatung konkretisiert.
Es wird ein Protokoll über das Beratungsgespräch ver-
langt, das eine Kontrolle des Gesprächshergangs ermög-
licht. Diese Protokollierung des Gesprächshergangs
halte ich für einen guten Ansatz, da dann deutlich wird,
mit welchen Erwartungen der Kunde die Bank betreten
und mit welchem Produkt er sie verlassen hat. Die bishe-
rige Protokollierung im Rahmen des Wertpapierhandels-
bogens wird zu Recht vielfach als unzureichend empfun-
den. Inwieweit noch eine weitere Konkretisierung des
Inhalts eines solchen Protokolls zu erfolgen hat, wird mit
Sicherheit auch Gegenstand des weiteren Gesetzgebungs-
24486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
(A) (C)
(B) (D)
verfahrens werden. Der Bundesrat schlägt in seiner Stel-
lungnahme zudem eine Beweislastumkehr vor, sollte das
Protokoll nicht vollständig sein oder nicht rechtzeitig
ausgehändigt werden.
Bedenken begegnet jedoch die geplante Einführung
einer Telefonaufzeichnung im Rahmen von telefoni-
schen Beratungen. Anders als in einem schriftlichen Pro-
tokoll werden bei der Aufzeichnung eines Gespräches
auch sensible Information von dem Kunden preisgege-
ben, sei es über familiäre Verhältnisse, sei es über Rat-
schläge eines Anwaltes oder Steuerberaters. Es ent-
stünde eine gigantische Datensammlung, die sicher auch
wieder Begehren bei staatlichen Institutionen auslösen
wird. Darüber hinaus sind auch hier die Kosten nicht zu
unterschätzen, die sich für die deutsche Kreditwirtschaft
laut Bankenverband leicht auf 600 Millionen Euro reine
Anschaffungskosten belaufen würden.
Die Verjährung für Schadenersatzansprüche wegen
fehlerhafter Anlageberatung soll an die allgemeinen Ver-
jährungsregeln angepasst werden. Von einer wirklichen
Vereinheitlichung kapitalmarktrechtlicher Verjährungs-
vorschriften sind wir jedoch nach wie vor weit entfernt.
Insgesamt besteht also für meine Fraktion noch er-
heblicher Beratungsbedarf. Ohne eine Sachverständi-
genanhörung werden wir wohl auch bei diesem Thema
nicht auskommen.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Das Kind ist in den
Brunnen gefallen und die Bundesregierung legt ein – wei-
teres – feuchtes Handtuch zur Rettung bereit. Was ich
damit sagen will: Das hier debattierte Reformwerk im
Bereich des Wertpapier- und Kapitalmarktrechts kommt
zeitlich zu spät. Dass das Recht der Schuldverschrei-
bungen seit seiner Einführung im Zuge der großen zi-
vilrechtlichen Kodifikation Ende des 19. Jahrhunderts
infolge der rasanten Marktentwicklung und der fanta-
siereichen Entwicklung und staatlichen Zulassung im-
mer neuer sogenannter Finanzprodukte aus Sicht der Fi-
nanz- und Rechtspraxis anpassungsbedürftig geworden
war, ist bekannt. Dass diese – zu welchem Zeitpunkt
auch immer – womöglich andere sachliche Schwer-
punkte gesetzt hätten als die Linke, ist dabei so erkenn-
bar wie nebensächlich.
Das staatliche Versagen im Bereich des Finanzmarkts,
mithin die willfährige Zulassungspraxis bezüglich im-
mer subtilerer Finanzprodukte und das tätige Mitwirken
am Handel damit waren und sind mit Blick auf das ideo-
logische und gebetsmühlenartige Festhalten am System
selbst – im falschen Jargon – „systemisch“. Dass der
Schutz der Anleger dabei ins Hintertreffen geraten ist,
während gleichzeitig die gesamte soziale Gemeinschaft
infolge des Schleifens der Sozialsysteme zwangsweise
zum Anlegen angehalten wurde und infolgedessen viele
von der Krise betroffen wurden, ist die blanke Realität.
Um eine Vorstellung von der Ernsthaftigkeit der An-
strengungen der Bundesregierung im Umgang mit ge-
prellten Anlegern und deren schützenswerten Interessen
in Zeiten vor der aktuellen Krise zu geben, sei mir noch
der Hinweis auf die Antwort der Bundesregierung vom
März 2007 auf die von mir eingereichte Kleine Anfrage
zur „Situation der Anlegerinnen und Anleger in so ge-
nannte islamische Holdings“ auf Drucksache 16/4836
erlaubt.
In ihren Antworten bezeugt die Bundesregierung über
weite Strecken Unkenntnis und verweist bei der Frage
nach Hilfestellung für Geschädigte auf Gewaltenteilung
und die Zuständigkeit von Zivilgerichten. Deren Ent-
scheidungen sind aber bekanntlich an Gesetze gebunden,
die zu initiieren nicht zuletzt der Bundesregierung zu-
kommt. Der Euphemismus in der Richtung „besser spät
als nie“ sollte angesichts dessen im Halse stecken blei-
ben.
Was bringt die Regelung denn sachlich? Zum Teilbe-
reich des Schuldverschreibungsgesetzes lässt sich fest-
halten, dass mit dem Entwurf ein weiterer Stein in das
Gesamtgebäude einer Insolvenz- und Sanierungsrechts-
reform gefügt wird. Die Reform bringt vor allem eine
Stärkung des kollektiven Aspekts. Wie sich das im Ver-
hältnis unterschiedlicher Inhabergruppen – insbeson-
dere zwischen institutionellen und individuellen Inha-
bern – auswirkt, wird kritisch zu beobachten sein.
Im Bereich der größeren Schnittmengen, des Anleger-
schutzes, stellt der Entwurf das vernünftigerweise nicht
hintergehbare und längst erforderliche Minimum an an-
leger- bzw. verbraucherschützender Transparenz- und
Dokumentationspflicht her. Zudem werden der Materie
die Verjährungsregeln des BGB zugrunde gelegt. Bis-
lang sollte die Frist schon bei Abschluss des Vertrages
nach erfolgtem Beratungsgespräch mit dem am Verkauf
interessierten Produktvermittler zu laufen beginnen.
Nunmehr soll der Zeitpunkt der Kenntniserlangung
durch den Anleger von etwa im Beratungsgespräch ver-
schwiegenen Risiken etc. maßgeblicher Anknüpfungs-
punkt für die Haftung wegen verkaufsorientierter
Falschberatung sein. Die hierfür erforderliche Strei-
chung des § 37 a des Wertpapierhandelsgesetzes ist
übrigens eine Forderung, die die Linke bereits in ihrem
Beschlussantrag „Verbesserung des Verbraucherschutzes
beim Erwerb von Kapitalanlagen“ auf Drucksache
16/11185 vom Dezember 2008 unter Punkt 4 vorge-
bracht hatte.
Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt nach alledem
mutlos hinter den Möglichkeiten zurück, die wir bereits
im erwähnten Antrag vorgeschlagen haben. Weder die
unabhängige und fachliche Finanzberatung findet hier
Niederschlag noch die über das dortige Vorschlagspro-
gramm hinausreichende Überlegung einer Marktbereini-
gung durch das Hinwirken auf ein konzertiertes Verbot
von bestimmten Finanzprodukten in mindestens europäi-
scher, besser globaler Kooperation. Es besteht also er-
heblicher Nachbesserungsbedarf am sinkenden Schiff.
Lieber wäre mir allerdings ein neues Schiff.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf macht es sich die
Bundesregierung zur Aufgabe, das Recht der Schuldver-
schreibungen zu modernisieren und gewisse Rechte der
Anlegerinnen und Anleger bei erfolgter Falschberatung
zu stärken. Beide Zielvorgaben begrüßen wir ausdrück-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24487
(A) (C)
(B) (D)
lich. Aus grüner Perspektive sind insbesondere jene Re-
gelungen des Gesetzentwurfes von Bedeutung, die der
Verbesserung des Anlegerschutzes im Privatkundenseg-
ment dienen. Meine Ausführungen werden sich daher in
Bezug auf das Schuldverschreibungsrecht auf solche As-
pekte beschränken, die im Zusammenhang mit dem An-
lageprodukt Zertifikat stehen.
Was den Schuldverschreibungsteil anbelangt, so möchte
ich zunächst eine allgemeine Bemerkung voranstellen.
Die Grünen begrüßen eine Modernisierung des Schuld-
verschreibungsrechts. Ein ursprünglich aus dem Jahre
1899 stammendes Gesetz ist dringend an die Entwick-
lungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Gleichwohl
sollte sich diese Modernisierung ausschließlich daran
orientieren, die Vorschriften sachgerechter und prakti-
kabler zu gestalten.
Die Bundesregierung führt in der Gesetzesbegründung
an, man sei sich der Dominanz des angloamerikanischen
Rechts bei der Vertragsgestaltung von Anleihen bewusst.
Darauf folgt der Hinweis, dass insbesondere die Inhalts-
kontrolle der allgemeinen Geschäftsbedingungen nach
§§ 305 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches als Hemm-
schuh gesehen würden. Am Ende entschließt sich die
Bundesregierung nicht dazu, darauf hinzuwirken, dass
die §§ 305 ff. BGB zum Schutze der Verbraucherinnen
und Verbraucher auf Anleihebedingungen für anwendbar
erklärt werden.
Ich warne an dieser Stelle ausdrücklich davor, den
Wettbewerb der Rechtsordnungen dergestalt zu interpre-
tieren, man müsse das deutsche Recht für Schuldver-
schreibungen nur ausreichend emittentenfreundlich aus-
gestalten, um seine internationale Akzeptanz zu erhöhen.
Das geht zulasten eines gerechten Interessenausgleichs,
hält Privatanleger davon ab, Kapital zu investieren und
widerspricht zudem grünen Vorstellungen eines ange-
messenen Anlegerschutzniveaus.
Was die Regelungen im Konkreten betrifft, so ist ins-
besondere der nachträglich eingefügte § 3 Schuldver-
schreibungsgesetz hervorzuheben, der das Leistungsver-
sprechen einer Anleihe transparent machen soll. In der
Gesetzesbegründung wird explizit erwähnt, das diene
auch der Transparenz bei Anlagezertifikaten, die ja ihrer
rechtlichen Konstruktion nach auch Anleihen bezie-
hungsweise Schuldverschreibungen sind, was viele Bür-
gerinnen und Bürger im Zusammenhang mit der Pleite
von Lehman Brothers leidvoll erfahren mussten.
Zunächst ist es begrüßenswert, dass die Bundesregie-
rung die Missstände bei Zertifikaten nicht länger voll-
ständig ignoriert, sondern nach und nach Ideen aufgreift,
die wir Grüne bereits in einem Antrag im Mai 2007 for-
muliert haben. Die Leistungsversprechen bei Zertifi-
katen sind größtenteils intransparent und die Anleihe-
bedingungen so schwammig und voller allgemeiner
Rechtsbegriffe, dass Emittenten regelmäßig Anpassun-
gen zu eigenen Gunsten vornehmen, die sie durch die
Anleihebedingungen gedeckt sehen. Gerichtsurteile, die
hier willkürlichen Gestaltungen einen Riegel vorschie-
ben, sind mir nicht bekannt. Es muss also etwas passie-
ren.
Gleichwohl scheint mir der eingeschlagene Weg der
Bundesregierung eher ein Akt von Symbolwirkung. Man
lehnt die Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB ab, führt
aber zur Besänftigung ein spezielles Transparenzgebot
ein. Das tut auch nicht weh, zumal man in der Begrün-
dung selbst zugibt, dass in der Regel ohnehin angloame-
rikanisches Vertragsrecht gewählt und dieses Transpa-
renzgebot daher keine Rolle spielen wird. Gegenteilig
weisen erste Expertenmeinungen darauf hin, dass § 3
Schuldverschreibungsgesetz so unklar formuliert ist,
dass die geschaffene Rechtsunsicherheit sogar bisher
nach deutschem Recht vorgehende Emittenten ins anglo-
amerikanische Vertragsrecht drängen wird. Denn was
unter einem „bezüglich der jeweiligen Schuldverschrei-
bung sachkundigen Anleger“ zu verstehen ist, bleibt
schleierhaft. Heißt das, gewöhnlichen Anlegerinnen und
Anlegern kann am Bankschalter nur noch ein Indexzerti-
fikat angeboten werden, weil andere Konstruktionen in
den Prospektbedingungen zu unverständlich sind? Und
wer ist der maßgebliche Adressat, wenn, wie durchaus
üblich, der Emittent die Zertifikate zuvor an die Ver-
triebsbank unter Abschlag verkauft? Die Vertriebsbank
dürfte wohl regelmäßig „sachkundig“ im Sinne des Ge-
setzes sein. Hier sollte im Zuge der parlamentarischen
Beratungen dringend nachgebessert und präzisiert wer-
den.
Letztlich wird die Bundesregierung auch nicht um-
hinkommen, sich dem Zertifikatemarkt nochmals in ei-
ner gesonderten Gesetzesinitiative umfassend zu wid-
men. Die Komplexität der Produkte, die fehlende
Nachvollziehbarkeit eines fairen Wertes, versteckte Ge-
bühren und die Monopolstellung, wenn Emittenten zu-
gleich den Vertrieb und das Market Making steuern, ma-
chen eine maßgeschneiderte Regulierung unumgänglich.
Lassen Sie mich nun zu dem Teil des Gesetzes kom-
men, der einer verbesserten Durchsetzbarkeit von An-
sprüchen der Anlegerinnen und Anleger aus Falschbera-
tung dienen soll. Hier nimmt die Bundesregierung in
Angriff, was längst überfällig war und systematisch in
eine Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie MiFID An-
fang 2007 gehört hätte. Damals verweigerte sich die
Bundesregierung aber einer anlegerfreundlichen Weiter-
entwicklung der Anlageberatung. Als Begründung folgte
der formelle Verweis, man habe sich im Koalitionsver-
trag auf eine 1:1-Umsetzung von Richtlinien verpflich-
tet. Nun, nachdem viele Bürgerinnen und Bürger in der
Finanzmarktkrise systematisch schlecht beraten wur-
den, rudert die Bundesregierung zurück und fügt hek-
tisch in einem sachfremden Gesetz einige Punkte zur
Verbesserung des Anlegerschutzes ein. Das ist ein bitte-
res Versäumnis, das die Anlegerinnen und Anleger aus-
baden durften.
Was die Vorschläge zur besseren Durchsetzbarkeit
von Ansprüchen aus Falschberatung im Einzelnen anbe-
langt, so begrüßen wir die Maßnahmen im Großen und
Ganzen. Wie sollten wir auch nicht, schließlich decken
sich die hier vorgeschlagenen Regelungen im Wesentli-
chen mit Forderungen, die wir Grüne bereits in einem
Entschließungsantrag zu besagter Finanzmarktrichtlinie
MiFID im März 2007 eingebracht haben.
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Die Streichung der kurzen Verjährungsfrist in § 37 a
WpHG ist überfällig. Die Anlegerinnen und Anleger
können häufig erst nach langer Zeit feststellen, ob eine
Anlageempfehlung oder -beratung falsch war und daraus
ein Schaden resultierte oder ob die Werteinbuße ihrer
Anlage lediglich auf Marktgegebenheiten zurückzufüh-
ren ist, auf deren Unwägbarkeiten im Rahmen der Bera-
tung hingewiesen wurde. Mit der Streichung der Spe-
zialnorm § 37 a WpHG wird der Rückgriff auf die
Verjährungsregelungen des Allgemeinen Teils des BGB
eröffnet.
§ 37 a WpHG wurde 1998 eingeführt, weil die damals
30 Jahre betragende Regelverjährungsfrist des Bürgerli-
chen Gesetzbuches für die beratenden Wertpapierunter-
nehmen als unangemessenes Risiko erachtet wurde. Seit
der Schuldrechtsmodernisierung 2001 ist dieses Haupt-
motiv jedoch entfallen, da die Regelverjährung auf drei
Jahre verkürzt wurde. Die Norm des § 37 a WpHG hat
ihre Daseinsberechtigung damit verloren. Es schadet
eher dem Ansehen des Finanzplatzes Deutschland, wenn
berechtigten Ansprüchen von Anlegerinnen und Anle-
gern kategorisch mit der Verjährungseinrede begegnet
wird.
Im Übrigen sollte auch erneut geprüft werden, ob nicht
die weiteren kapitalmarktrechtlichen Verjährungsfristen
ebenfalls anzupassen sind. Wir begrüßen die hierzu vom
Bundesrat in seiner Stellungnahme gemachten Vor-
schläge etwa zu Normen des Investmentgesetzes oder
des Börsengesetzes.
Ob die Einführung erweiterter Dokumentationspflich-
ten in der Anlageberatung tatsächlich eine bessere
Durchsetzbarkeit etwaiger Ansprüche bei Falschbera-
tung bedingt, erscheint uns fragwürdig. An dieser Stelle
wird viel auf die konkrete Ausgestaltung des Protokolls
ankommen. Denn Protokolle können auch umgekehrt
eine wunderbare Absicherung der Berater gegen Haf-
tung darstellen und so eine gut gemeinte Intention ins
Gegenteil verkehren. Hier werden wir im weiteren parla-
mentarischen Beratungsverlauf darauf achten, dass ein
sinnvoller Weg zwischen Standardisierung auf Checklis-
tenniveau und zu viel Interpretationsspielraum durch in-
dividuelle Ausgestaltung gefunden wird. Wir können es
uns nicht leisten, ein wirkungsloses Instrument zu schaf-
fen, das dann auch noch gigantische Bürokratie mit sich
bringt.
Eines lässt sich aber zu den angedachten Regelungen
zur Dokumentation bereits jetzt sagen: Der vorgesehene
Sanktionsmechanismus, sofern die Dokumentation nicht,
nicht vollständig oder nicht rechtzeitig angefertigt wird,
ist absolut verfehlt. Denn ein ins Ermessen der Auf-
sichtsbehörde gestelltes Bußgeld nützt dem Anleger für
seine Durchsetzbarkeit von Ansprüchen vor Gericht
herzlich wenig. Vielmehr muss zumindest in diesen Fäl-
len der formellen Mängel des Beratungsprotokolls die
Beweislast zugunsten der Verbraucherinnen und Ver-
braucher erleichtert werden.
Wir werden uns im parlamentarischen Verfahren da-
für starkmachen, grundsätzlich eine Beweislasterleichte-
rung zugunsten der Anlegerinnen und Anleger einzufüh-
ren. Bisher scheitern diese nämlich regelmäßig bereits
bei der substanziierten Darlegung der Pflichtverletzung
des Bankberaters. Die Finanzdienstleister legen schlicht-
weg das Protokoll vor, in welchem regelmäßig pauschal
angekreuzt wurde, dass etwa über Risiken aufgeklärt
wurde. Wir haben unsere Zweifel, dass an diesem Zu-
stand durch ein neues, besseres Protokoll etwas geändert
würde. Darüber hinaus sehen wir darin auch keine unan-
gemessene Benachteiligung der Finanzbranche. Wenn
die Dienstleistung oder das Produkt tatsächlich zum An-
leger passt, kann der Finanzdienstleister das anhand sei-
ner Expertise und umfangreichen Dokumentation pro-
blemlos darstellen.
Abschließend sei daran erinnert, dass die Bundesre-
gierung es versäumt, die strukturellen Probleme bei der
Anlageberatung effektiv anzugehen. Denn der Ansatz ei-
ner gesetzgeberischen Tätigkeit sollte stärker darin be-
stehen, Falschberatung bei der Wurzel zu packen, also
präventiv zu vermeiden, und nicht nur die Kompensa-
tionsmöglichkeiten zu verbessern, wenn der Anleger be-
reits geschädigt ist, das Kind also im Brunnen liegt.
Dazu aber hätte man sich der unbequemen Diskussion
um eine Abschaffung oder zumindest Eindämmung der
provisionsbasierten Finanzdienstleistungen stellen müs-
sen, wovor die Bundesregierung sich jedoch offenkundig
drückt. Langfristig wird an dieser Debatte aber kein Weg
vorbeiführen. Wir Grüne werden jedenfalls vehement für
eine neue Kultur der Anlageberatung streiten.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin der Justiz: Wie schon der Name des
Gesetzes zeigt, verfolgt die Bundesregierung mit dem
Entwurf zwei Ziele. Erstens wird das alte Schuldver-
schreibungsgesetz aus dem Jahr 1899 modernisiert. So
sind international übliche Umschuldungsklauseln künf-
tig in Deutschland eindeutig möglich. In der Krise des
Schuldners können Gläubiger schnell und ohne unnöti-
gen organisatorischen Aufwand auf die Anleihebedin-
gungen durch Mehrheitsentscheidungen einwirken.
Deutsches Recht wird damit wettbewerbsfähiger.
Zweitens stärken wir den Anlegerschutz. Mit der In-
ternationalisierung der Märkte haben sich die als Schuld-
verschreibungen begebenen Produkte weiterentwickelt
und sind teilweise sehr komplex geworden. Die Finanz-
marktkrise hat gezeigt, dass viele Anleger die Risiken
der von ihnen erworbenen Produkte nicht verstanden ha-
ben und – wenn man ehrlich ist – oft auch gar nicht ver-
stehen konnten. Das darf nicht sein. Versprochene Leis-
tungen müssen eindeutig, klar und nachvollziehbar sein.
Der Regierungsentwurf sorgt hier für mehr Nachvoll-
ziehbarkeit und Transparenz. Damit helfen wir Anle-
gern, mögliche Risiken aus einer Schuldverschreibung
zu erkennen, und verbessern letztlich die Produktquali-
tät. Hier sind die Entwicklungen noch nicht abgeschlos-
sen. Die Bundesregierung ist weiterhin bestrebt, dass in-
ternational, zumindest aber auf Ebene der Europäischen
Union einheitliche Standards geschaffen werden.
Zur Stärkung des Anlegerschutzes wird ferner die
Durchsetzung von Ansprüchen aus Falschberatung ver-
bessert. Banken werden künftig verpflichtet, den Inhalt
und Ablauf jeder Anlageberatung zu protokollieren und
dem Kunden eine Ausfertigung des Protokolls auszuhän-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009 24489
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digen. Dies schafft Klarheit für den Fall späterer Kon-
flikte zwischen Kunden und Berater. Wenn der Berater
Angaben und Wünsche des Kunden sowie erteilte Emp-
fehlungen und die für seine Empfehlung maßgeblichen
Gründe protokollieren muss und wenn er dieses Proto-
koll dem Kunden – als Beweismittel für einen etwaigen
späteren Prozess – aushändigen muss, dann wird diese
Verpflichtung ihn zu höherer Sorgfalt bei der Beratung
veranlassen. Das Gesetz wird damit nicht nur die Quali-
tät der Finanzprodukte, sondern auch die Qualität der
Beratung verbessern.
Schließlich wird die Verjährungsfrist bei Schadens-
ersatzansprüchen aus Falschberatung an die allgemeine
zivilrechtliche Verjährung angepasst. Die bestehende
kurze Sonderverjährungsfrist hat anlässlich der Abschaf-
fung der allgemeinen 30-jährigen Verjährungsfrist ihre
Berechtigung verloren. Schadensersatzansprüche verjäh-
ren damit nicht mehr drei Jahre nach Vertragsschluss,
sondern drei Jahre nach Kenntnis des Anlegers von sei-
nem Schaden, spätestens in zehn Jahren. Auf diesem
Weg helfen wir geschädigten Anlegern, ihre berechtigten
Ansprüche durchzusetzen.
Seitens einiger Banken wurde deutliche Kritik an der
Beratungsdokumentation laut. Sie beklagen eine Belas-
tung durch Bürokratie und Kosten. Ich halte diese Kritik
nicht für gerechtfertigt, auch wenn man sicherlich über
Nachbesserungen im Detail nachdenken kann. Die Fi-
nanzkrise hat gezeigt, dass es Defizite bei der Beratung
gibt und Anleger deshalb Produkte gekauft haben, über
deren Risiken sie nicht hinreichend informiert wurden.
Hier besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Die
Beratungsdokumentation ist ein geeignetes und verhält-
nismäßiges Mittel. Aus meiner Sicht liegt die Regelung
letztlich auch im Interesse der Banken selbst, weil so das
Vertrauen der Anleger in die Qualität der Anlagebera-
tung wieder gestärkt werden kann. Auch wenn Sie eine
Vielzahl anderer Gesetze zu beraten haben und die Zeit
hierfür langsam knapp wird: Dieses Gesetz sollte noch in
dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, damit
wir als Gesetzgeber zeigen, dass uns in Reaktion auf die
Finanzkrise auch Regelungen zugunsten der Anleger
wichtig sind. Dieses Gesetz sollte dabei – darauf hat
auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hingewie-
sen – nur ein erster Schritt sein. Weitere Regelungen zur
Verbesserung des Anlegerschutzes sollten dann in der
nächsten Legislaturperiode folgen.
Anlage 11
Amtliche Mitteilungen
Der Abgeordnete Detlef Parr hat mitgeteilt, dass er
seine Unterschrift auf dem Entwurf eines … Gesetzes
zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
auf Drucksache 16/11330 zurückzieht.
Die Abgeordneten Gesine Multhaupt und Detlef Parr
haben mitgeteilt, dass sie ihre Unterschriften auf dem
Antrag Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen
während der Schwangerschaft ausbauen – Volle Teil-
habe für Menschen mit Behinderung sicherstellen auf
Drucksache 16/11342 zurückziehen.
Die Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl hat mitgeteilt,
dass sie ihre Unterschrift auf dem Entwurf eines … Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes zur Vermeidung
und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten
auf Drucksache 16/11347 zurückzieht.
Der Abgeordnete Dr. Karl Addicks hat mitgeteilt,
dass er seine Unterschrift auf dem Entwurf eines … Ge-
setzes zur Änderung des Schwangerschaftskonflikt-
gesetzes auf Drucksache 16/12664 zurückzieht.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die deutsche Perso-
nalpräsenz in internationalen Organisationen
– Drucksache 16/10963 –
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
– Unterrichtung durch den Nationalen Normenkontrollrat
Jahresbericht 2008 des Nationalen Normenkontrollra-
tes Bürokratieabbau – Jetzt Entscheidungen treffen
– Drucksachen 16/10285 Nr. 15, 16/10039 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über das Ministertreffen
der Welthandelsorganisation in Genf vom 21. bis
30. Juli 2008 (Doha-Runde)
– Drucksachen 16/10285 Nr. 23, 16/10171 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung 2008 zur Anwendung des
Standardkosten-Modells und zum Stand des Bürokra-
tieabbaus
– Drucksachen 16/11963 Nr. 1.1, 16/11486 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und
Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in
Deutschland
– Drucksache 16/11835 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik
für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2007 (Rüs-
tungsexportbericht 2007)
– Drucksache 16/11583 –
Ausschuss für Gesundheit
– Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und
Recht der modernen Medizin
Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und
Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und
Hospizarbeit
– Drucksache 15/5858 –
24490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 222. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
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(B) (D)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verkehrsinvestitionsbericht 2008
– Drucksachen 16/12357 Nr. 1.1, 16/11850 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Veränderungsbedarf
des bestehenden Rechtsrahmens für Anwendungen der
Nanotechnologie
– Drucksache 16/6337 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions-
dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Ratsdokument 15908/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.11
Ratsdokument 15910/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.12
Ratsdokument 15920/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.13
Ratsdokument 15923/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.14
Ratsdokument 15927/1/08 REV 1
Drucksache 16/11517 Nr. A.15
Ratsdokument 15939/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.16
Ratsdokument 15944/1/08 REV 1
Drucksache 16/11517 Nr. A.17
Ratsdokument 16053/08
Drucksache 16/12188 Nr. A.12
Ratsdokument 5972/09
Drucksache 16/12778 Nr. A.15
EuB-EP 1869; P6_TA-PROV(2009)0038
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Drucksache 16/11965 Nr. A.4
Ratsdokument 5146/09
Drucksache 16/12511 Nr. A.2
Ratsdokument 6996/09
Finanzausschuss
Drucksache 16/11965 Nr. A.7
Ratsdokument 16960/08
Drucksache 16/12369 Nr. A.7
Ratsdokument 5985/09
Drucksache 16/12369 Nr. A.8
Ratsdokument 5991/09
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 16/2555 Nr. 2.92
Ratsdokument 11510/06
Drucksache 16/11517 Nr. A.7
Ratsdokument 15906/1/08 REV 1
Drucksache 16/11517 Nr. A.8
Ratsdokument 15905/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.9
Ratsdokument 15907/08
Drucksache 16/11517 Nr. A.10
sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19
Drucksache 16/12188 Nr. A.19
Ratsdokument 6158/09
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 16/11517 Nr. A.30
Ratsdokument 16521/08
Drucksache 16/11721 Nr. A.22
Ratsdokument 16545/08
Drucksache 16/11819 Nr. A.14
Ratsdokument 17479/08
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 16/3573 Nr. 1.12
EuB-EP 1408
Drucksache 16/10286 Nr. A.73
Ratsdokument 11010/08
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Drucksache 16/11965 Nr. A.14
Ratsdokument 5112/09
Drucksache 16/12188 Nr. A.32
Ratsdokument 5996/09
nd 91, 1
2, 0, T
22
222. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2009
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11