Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22557
(A) )
(B) )
zu tragen und den Menschen vor Ort ein lebenswertes
werden.Dr. Schwanholz, Martin SPD 05.03.2009
Leben ohne unzumutbare Lärmbelastung zu ermögli-
chen. Die Gesundheit der Menschen ist es wert, die ent-
stehenden Kosten aufzuwenden. Gesundheit, Umwelt
und Infrastruktur dürfen nicht gegeneinander ausgespielt
Dr. Scheer, Hermann SPD 05.03.2009
Schily, Otto SPD 05.03.2009
Anlage 1
Liste der entschuldigt
*
A
u
A
d
B
r
z
z
S
n
h
u
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05.03.2009
Beck (Bremen),
Marieluise
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05.03.2009
Fischbach, Ingrid CDU/CSU 05.03.2009
Fischer (Karlsruhe-
Land), Axel E.
CDU/CSU 05.03.2009*
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 05.03.2009
Gabriel, Sigmar SPD 05.03.2009
Glos, Michael CDU/CSU 05.03.2009
Groneberg, Gabriele SPD 05.03.2009
Dr. Freiherr zu
Guttenberg, Karl-
Theodor
CDU/CSU 05.03.2009
Hettlich, Peter BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05.03.2009
Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 05.03.2009
Korte, Jan DIE LINKE 05.03.2009
Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 05.03.2009
Lopez, Helga SPD 05.03.2009
Dr. Lotter, Erwin FDP 05.03.2009
Lührmann, Anna BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05.03.2009
Meckel, Markus SPD 05.03.2009
Möller, Kornelia DIE LINKE 05.03.2009
Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 05.03.2009
Paula, Heinz SPD 05.03.2009
S
W
Z
A
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der Westeuropäischen Union
nlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Axel Troost (Die Linke)
zur Abstimmung über den Antrag: Ausnahme
von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem
Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregie-
rung (Tagesordnungspunkt 26 e)
Im Namen der Fraktion Die Linke erkläre ich, dass
nser Votum „Ja“ lautet.
nlage 3
Erklärungen nach § 31 Abs. 2 GO
der Abgeordneten Marion Caspers-Merk,
Elvira Drobinski-Weiß, Dr. h. c. Gernot Erler
und Rita Schwarzelühr-Sutter (alle SPD) zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag: Integrierte Planung für Schiene
und Straße im Rheingraben – Gesamtverkehrs-
konzept Südbaden (Tagesordnungspunkt 12)
Der Ausbau der Rheintalbahn ist ein besonders be-
eutsames Projekt für die Region und den europäischen
ahnverkehr. Der Verkehr auf dieser Strecke wird vo-
aussichtlich über das Jahr 2015 hinaus kontinuierlich
unehmen. Dies ist nicht zu kritisieren, denn wir wollen
um Schutz der Umwelt, dass Güterverkehr von der
traße auf die Schiene verlagert wird. Dies darf aber
icht auf Kosten der Anwohnerinnen und Anwohner ge-
en.
Die Ausbauvariante „Baden 21“ ist der richtige Weg,
m den verkehrspolitischen Notwendigkeiten Rechnung
eib, Marion CDU/CSU 05.03.2009
aitz, Christoph FDP 05.03.2009
immermann, Sabine DIE LINKE 05.03.2009
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
22558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
Daher müssen die bisherigen Planungen überdacht
und Alternativtrassen eingehend geprüft werden. Eine
realistische Schätzung der Mehrkosten ist hierbei unver-
zichtbar. Die Mehrkosten müssen am Ende von Bund,
Land und Bahn im Interesse eines richtigen Projekts und
im Interesse der Menschen gemeinsam getragen werden.
Deshalb müssen Bund, Land und Bahn bald an einen
Tisch.
Der Antrag der FDP macht jedoch keinerlei Aussage
zu finanziellen Aspekten. Aufgrund dieses erheblichen
Mangels ist er weder positiv noch negativ zu beurteilen.
Seine Kernaussagen schweben damit im luftleeren
Raum. Dabei könnte die FDP als Teil der baden-
württembergischen Landesregierung durch ein klares
Finanzsignal dazu beitragen, dass endlich eine men-
schen- und umweltverträgliche Lösung machbar wird.
Uns ist eine durchdachte Politik wichtig, die am Ende
auch umgesetzt werden kann und umgesetzt werden
wird. Daher nehmen wir an der Abstimmung nicht teil,
werden jedoch unsere Arbeit zugunsten von „Baden 21“
mit aller Kraft fortsetzen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegeset-
zes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungsge-
setz – HGrGMoG) (Tagesordnungspunkt 9)
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das Thema
klingt nach „Ärmelschonern“ und „Buchhalternase“,
also nach Langeweile, doch genau das Gegenteil ist der
Fall. Ich halte das Haushaltsrecht für eine der Ursachen
unserer öffentlichen Finanzmisere. Ein anderes Haus-
haltsrecht hätte dazu geführt, dass wir nicht in die Situa-
tion gekommen wären, bei einem Gesamthaushaltsvolu-
men von 297 Milliarden Euro 43 Milliarden Zinsen
zahlen zu müssen. Allein diese beiden Werte machen
deutlich, dass wir dringend eine Änderung benötigen,
um die Misere nicht noch größer werden zu lassen.
Das System bestimmt das Denken der Menschen.
Deshalb ist die Vorgabe des Systems auch eine der Ursa-
chen für unsere Haushaltskrise. Wenn man etwas ändern
will, dann muss man die Übel an der Wurzel bekämpfen
und damit zu einem neuen System kommen. Nur das
wird am Ende wirklich helfen.
Wir haben mit unserem gegenwärtigen Haushaltssys-
tem drei Probleme: Es bietet die Möglichkeit, konsum-
tive Ausgaben mit Krediten zu finanzieren. Die Tren-
nung von Fach- und Finanzverantwortung zwischen
Fachminister und Finanzminister versus Fachpolitikern
und Haushaltspolitikern begünstigt leichtfertige Ausga-
beentscheidungen, weil niemand das Ende sieht. Wir be-
trachten bei Projekten nicht die Lebenszykluskosten,
sondern immer nur den Ausgabenaufwand, also den Li-
quiditätsschluss im ersten Jahr. Das begünstigt Entschei-
dungen, die wir uns nicht leisten können und die den
Haushalt sprengen. In unserem gegenwärtigen Haus-
h
z
d
t
w
h
K
I
d
d
m
e
m
h
F
s
z
d
h
l
s
i
f
d
e
k
g
p
d
n
e
m
S
Z
t
W
w
A
d
g
f
t
r
b
d
ö
e
k
d
o
d
S
g
0
K
m
d
(C
(D
altsrecht dürfen wir Investitionen mit Krediten finan-
ieren und später gibt es keine Tilgung. Das führt dazu,
ass konsumtive Ausgaben in hohem Umfang mit Kredi-
en finanziert worden sind. Wie funktioniert das? Wenn
ir ein Auto beschaffen, dann ist das nach der Haus-
altsgruppierung eine Investition und darf damit aus
rediten finanziert werden. Seit Jahrzehnten wurden alle
nvestitionen mit Krediten finanziert. Die Beschaffung
es Autos an sich ist aber noch keine Vermögensverän-
erung. Entweder ist es ein Aktivtausch, in dem ich Bar-
ittel gegen den Vermögensstand „Auto“ tausche, oder
s ist eine „Aktiv-Passiv-Mehrung“, in dem ich den Ver-
ögensgegenstand „Auto“ erwerbe und gleichzeitig hö-
ere Darlehensverpflichtungen eingehe. Erst wenn das
ahrzeug benutzt wird, setzt ein Werteverzehr ein. Die-
er spiegelt sich im Haushalt aber nicht wider. Das führt
u der abstrusen Erscheinung, dass wir für Fahrzeuge,
ie Anfang der 70er-Jahre – seitdem gilt dieses Haus-
altsrecht – erworben haben, heute noch Zinsen bezah-
en, obwohl nicht einmal mehr der Rost sichtbar ist, ge-
chweige denn eine Nutzungsmöglichkeit besteht. Hier
st ganz klar eine konsumtive Nutzung mit Krediten
inanziert.
Wir müssen wieder zu der Grundweisheit zurückfin-
en, dass niemand auf Dauer mehr ausgeben kann, als er
innimmt. Dies gilt auch für den Staat. Durch Kredite
ann man seinen Finanzspielraum mittel- und langfristig
esehen nicht ausweiten. Man kann lediglich den Zeit-
unkt, zu dem eine Ausgabe getätigt wird, „vorziehen“.
Ich will den Mechanismus noch einmal verdeutlichen,
amit klar wird, dass Schulden an sich nichts Gutes und
ichts Böses sind. Feuer kann wärmen, dann ist es gut,
s kann zerstören, dann ist es böse. Es kommt eben im-
er darauf an, was man damit macht. Gelingt es, über
chulden zusätzliche Einnahmen zu erschließen, die
insen und Tilgung überschreiten, dann ist das ein posi-
iver Effekt. Das ist der Fall von Investitionen in der
irtschaft. Denkbar ist dieses aber auch beim Staat,
enn ich an die rentierlichen Einrichtungen wie Wasser,
bwasser, Müll usw. denke. Immer wenn bezogen auf
en Einzelhaushalt eine Kreditaufnahme zu mehr Aus-
aben führt, dann erhöht sie den Schuldensockel und
ührt in die Schuldenfalle. Genau hier muss die Korrek-
ur im öffentlichen Haushaltsrecht ansetzen.
Eine wichtige Vorleistung wird hoffentlich die Föde-
alismuskommission, die parallel im Bundesrat tagt,
ringen. Mit ihren Beschlüssen wird ein vierfacher Para-
igmenwechsel verbunden sein. Dies kommt mir in der
ffentlichen Diskussion viel zu wenig vor, deshalb soll
s noch einmal herausgestellt werden: Der Bund wird
ünftig alle aufgenommenen Schulden tilgen. Sowohl
ie ordentliche Schuldenaufnahme als auch die außer-
rdentliche Schuldenaufnahme wird dazu führen, dass
er Schuldenberg nicht weiter anwächst, sondern mit der
chuldenaufnahme auch gleichzeitig die Tilgung ein-
eleitet wird. Ein kleiner Wermutstropfen ist hier die
,35-Punkte-strukturelle Neuverschuldung, die auf dem
ompromisswege von uns als Union akzeptiert werden
usste. Ich hätte mir hier eine Null gewünscht wie bei
en Ländern.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22559
(A) )
(B) )
Die künftigen Regelungen gelten nicht nur für die
Haushaltsaufstellung, sondern auch für den Vollzug. Es
wird also eine Nachkalkulation stattfinden, sodass Mani-
pulationen über Fehlveranschlagungen auf der Ein-
nahme- oder Ausgabenseite nicht zu einer Verschuldung
führen können. Verkaufserlöse werden künftig berück-
sichtigt, es wird der sogenannte Netto-Investitionsbegriff
verwendet. Es wird also künftig nicht mehr vorkommen
können, dass Veräußerungserlöse zur Finanzierung kon-
sumtiver Staatsausgaben eingesetzt werden können.
Der vierte große Wechsel liegt darin, dass künftig
Sondervermögen den gleichen Regeln unterworfen wer-
den wie der Haushalt an sich. Auf diesem Wege war es
bisher möglich, die Regeln zu umgehen. Bei dem Kon-
junkturpaket II hatten wir uns freiwillig schon dem künf-
tigen Regime unterworfen, indem wir die Tilgung gleich
mit geregelt haben.
Kreditaufnahmen wird es künftig nur noch in vier
Fällen geben: Soll-Ist-Abweichungen sind nicht zu ver-
meiden, sie werden aber sofort auf einem Kreditkonto
verbucht und müssen gemeinsam mit konjunktureller
Sonderverschuldung zurückgeführt werden. Im Auf und
Ab der Konjunktur gibt es ein atmendes System, das in
einer Abwärtsentwicklung zusätzliche Kreditaufnahme
erlaubt, diese muss aber erstens wieder zurückgeführt
werden und zweitens ist sie sofort fällig, wenn das
entsprechende Konto, auf dem sie nachvollzogen wird,
1,5 Prozent des BIP überschreitet. Hier gibt es noch den
politischen Streit zwischen SPD und CDU, ob und wann
dieses Konto zu tilgen ist. Die SPD möchte hinsichtlich
einer konjunkturell schlechten Entwicklung eine Aufwei-
chung, die wir nicht billigen können. Es wird eine struktu-
relle Neuverschuldungskomponente von 0,35 Prozent BIP
für den Bund geben. Dies ist eine Kröte, die die CDU im
Kompromisswege schlucken musste. Wir hätten hier lie-
ber eine Null gesehen.
Selbstverständlich muss der Staat in Notlagen hand-
lungsfähig bleiben. Die entsprechende Möglichkeit, hier
Sondermaßnahmen auch über Kredite zu ergreifen, ist
beschränkt auf externe Ereignisse, also Ereignisse, die
die Politik nicht beeinflussen konnte. Hier ist das Bei-
spiel Erdbeben oder Ähnliches zu nennen. Gleichzeitig
mit einer Kreditaufnahme muss auch über die Rückfüh-
rung der Kredite beschlossen werden. Es gibt hier das
gute Beispiel des Fonds Deutsche Einheit und des Maß-
nahmenpaketes II. Wenn sich im Laufe des Haushalts-
jahres negative Abweichungen ergeben, kann unter
bestimmten Bedingungen eine Anpassung durch Kredit-
aufnahme erfolgen, diese läuft aber sofort in das Aus-
gleichskonto und muss zurückgeführt – also getilgt –
werden.
Das zweite Problem: Durch die Trennung der Finan-
zierungskosten in die Einzelpläne des Finanzministers
und die Sachausgaben in den Fachhaushalt, wird der Fi-
nanzminister mit der Finanzierung völlig allein gelassen.
Die Fachressorts entscheiden mit den Fachpolitikern
über Investitionen auf Kredit und niemand sieht, dass
dadurch ein „Rattenschwanz“ von Zinskosten ausgelöst
wird. Benutzt man ein Gebäude 50 Jahre lang und legt
eine Verzinsung von 5 Prozent zugrunde, dann sind die
a
B
n
d
V
z
t
m
a
n
e
s
Z
h
u
t
d
a
f
d
E
n
c
H
m
s
d
d
t
n
s
D
r
n
D
s
d
z
s
m
k
t
l
F
t
D
h
W
n
W
a
t
h
w
k
(C
(D
nfallenden Zinskosten im Laufe der Jahre höher als der
auaufwand für das Gebäude. Da die Fachpolitik die Fi-
anzierungskosten nicht sieht, entscheidet sie nur über
en Gebäudeaufwand und nicht über die Folgekosten.
erschlimmert wird das noch dadurch, dass allein 25 Pro-
ent der Baukosten, nämlich die Bauplanungs-, -lei-
ungs- und -überwachungskosten im Haushalt des Bau-
inisters aufgrund einer Bund-Länder-Vereinbarung
bgewickelt werden. Auch diese sieht die Fachpolitik
ie.
Der dritte Punkt ist, dass wir nur den Geldaufwand im
rsten Jahr der Beschaffung betrachten. Die Folgekosten
pielen in der Regel bei einer Entscheidung keine Rolle.
war gibt es mit vielfältigen Unterlagen wie der Haus-
altsunterlage „Bau“ und Projektbeschreibungen Neben-
nterlagen, die die Kosten belegen, aber damit beschäf-
igt sich niemand ernsthaft. Am deutlichsten wird das bei
er Personaleinstellung. Die Personalkosten bestehen
us zwei Teilen, zunächst dem unmittelbaren Gegenwert
ür die Arbeitsleistung in Form von Gehalt, aber auch
en anteiligen Pensionskosten, die zwangsweise mit der
instellung von Personal anfallen, auch wenn es später
icht mehr produktiv tätig sein kann. Da keine entspre-
henden Rückstellungen gebildet werden, bildet der
aushalt die Kosten nur unvollständig ab und stellt da-
it eine verkürzte Entscheidungsgrundlage dar.
Das all dieses so falsch läuft, liegt nur an einem fal-
chen Rechnungswesen. Buchführung ist eben nichts für
as Finanzamt oder für den Bundesrechnungshof, son-
ern sollte eigentlich ein Steuerungsinstrument für Poli-
ik und Verwaltung sein. Genau weil diese Funktion
icht ordnungsgemäß wahrgenommen wird, konnten wir
o in die Katastrophe laufen.
Es gibt Systeme, die genau diese Fehler vermeiden.
as ist die Doppik. Die gegenwärtig vorhandene Kame-
alistik verzeichnet nur Einnahmen und Ausgaben, also
ur Liquiditätsflüsse, und registriert keine Wertströme.
as Doppik-System, eine Anlehnung an die Betriebe un-
erer Wirtschaft, bildet Wertströme ab und ist deshalb in
er Lage, auch den Entscheidern ein besseres Bild zu
eichnen. Genau deshalb bin ich persönlich der Auffas-
ung, dass wir zu diesem System übergehen sollten und
üssen. Ich wiederhole: Das System bestimmt das Den-
en!
Die reine Ein- und Ausgabenrechnung der Kameralis-
ik ist geeignet, einen Hoheitsstaat, der sich ausschließ-
ich auf Verwaltungshandeln konzentriert, zu steuern.
ür eine solche Organisationsform ist es einfaches und
ransparentes Steuerungsinstrument. Die Bundesrepublik
eutschland hat sich allerdings vom klassischen Ho-
eitsstaat zu einem leistenden Staat mit umfangreicher
ertschöpfungstätigkeit innerhalb der staatlichen Orga-
isation entwickelt. Insofern ist er in weiten Teilen der
irtschaft ähnlicher geworden und deshalb muss man
ls Steuerungsinstrument auch ein dafür passendes Sys-
em finden. Dem steht nicht entgegen, dass der Bundes-
aushalt in großen Teilen nur Zuwendungen umfasst,
ie zum Beispiel die Zuschüsse an Renten- und Kran-
enversicherungen, für die verbleibenden Teile bedarf es
22560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
eines Paradigmenwechsels im Denken und deshalb ist
der Wechsel notwendig.
Die Bundesregierung erkennt Handlungsbedarf an,
zieht aber mit ihrem Gesetzentwurf noch nicht ausrei-
chende Konsequenzen aus dieser Situation. Sie will die
sogenannte Erweiterte Kameralistik. Dabei bleibt offen,
ob sie tatsächlich die Wertströme innerhalb der Haus-
halte in Titeln abbilden will oder nur in Form von ergän-
zenden Unterlagen im Haushaltsplan. Letzteres halte ich
für vergebene „Liebesmühe“. Die bisherigen Erfahrun-
gen mit Produkthaushalten und Ähnlichem zeigen, dass
sich Parlament und Öffentlichkeit tatsächlich nur mit
den Teilen eines Haushaltes beschäftigen, die sich tat-
sächlich in Einnahmen und Ausgaben der Fachressorts
scharf verwirklichen. Deshalb sind statistische Ergän-
zungen nicht einmal ein halber Weg. Wenn nun mit ho-
hem Aufwand in ein solches Zwischensystem gegangen
werden soll, dann führt uns das im Ergebnis nicht weiter.
Ich bin dafür, den etwas höheren Aufwand in einen tota-
len Systemwechsel zu investieren, um dann auch tat-
sächlich Ergebnisse zu erzielen.
Weil wir das für den richtigen Weg halten, haben wir
den Gemeinden die Einführung der Doppik vorgeschrie-
ben. Auf Länderebene zeigt sich ein gemischtes Bild. Es
ist nicht konsequent, wenn Bund und Teile der Länder
einerseits den Kommunen etwas vorschreiben, es aber
für sich selbst nicht anwenden wollen. International gibt
es den Sonderweg der Kameralistik immer weniger.
Praktisch alle bedeutenden Organisationen wählen die
ohnehin vorhandenen Rechnungssysteme aus der Wirt-
schaft, sind also für Doppik.
Das Nebeneinander von unterschiedlichen Systemen
erschwert das Führen einer volkswirtschaftlichen Ge-
samtstatistik. Diese ist aber zur politischen Steuerung
dringend notwendig. Da man aber nicht verschiedene
Statistiken nebeneinander führen kann – das hätte keinen
Aussagewert –, müssen Umrechnungen auf ein System
erfolgen. Dies haben wir in unserer Gesellschaft so ge-
löst, dass die fortschrittlichen Modernisierer, die die
Doppik anwenden wollen, auch eine Nebenrechnung in
Form einer kameralen Rechnung erstellen müssen, um
daraus dann die volkswirtschafte Gesamtstatistik zu ma-
chen. Wenn man mehrere Systeme nebeneinander hat, ist
das unerlässlich. Das ist ein wichtiges Argument dafür,
wieder ein einheitliches Ufer zu erreichen und für alle
die im Trend der Zeit liegende Doppik wieder einzufüh-
ren.
Ich lade Sie alle herzlich zu einer konstruktiven Dis-
kussion ein und würde mich freuen, wenn wir am Ende
des Gesetzgebungsprozesses alle zu der gemeinsamen
Erkenntnis kommen würden, dass nur die Doppik uns
auf Dauer weiterführen wird.
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Erstens
zum Gesetzentwurf: Der heute zu beratende Gesetzent-
wurf, das Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz,
scheint – zumindest auf den ersten Blick – eine eher
trockene Materie zum Gegenstand zu haben. Das Haus-
haltsgrundsätzegesetz erscheint selten auf den Titelsei-
ten der großbuchstabigen Tagespresse. Die Gesetzes-
n
h
u
u
r
d
H
B
B
h
D
1
d
r
w
t
s
f
L
R
t
P
j
s
n
ä
L
w
r
v
l
B
v
c
P
H
r
l
s
s
b
W
M
a
w
d
T
t
f
g
D
s
c
e
m
w
n
c
(C
(D
ovelle ist dennoch nicht zu unterschätzen; sie hat eine
erausragende Bedeutung für die Haushalte von Bund
nd Ländern. Es handelt sich bei genauerem Hinsehen
m eine grundlegende Reform des föderalen haushalts-
echtlichen Rahmens. Wir beraten einen Gesetzentwurf,
er eine zentrale Weichenstellung für das staatliche
aushalts- und Rechnungswesen vornimmt. Auch der
undesrechnungshof hat in seinem Bericht nach § 99
HO über die Modernisierung des staatlichen Haus-
alts- und Rechnungswesens Reformbedarf gesehen.
as bisherige Haushaltsgrundsätzegesetz aus dem Jahr
969 ist nach fast 40 Jahren auch zweifelsfrei reformbe-
ürftig.
Zweitens. Die Gründe für die Gesetzesnovelle: Wo-
um geht es? Bisher basiert die öffentliche Haushalts-
irtschaft mit ihrer an Ein- und Auszahlungen orientier-
en Sicht auf der Kameralistik. In einigen Bundesländern
ind jedoch bereits vor einigen Jahren grundlegende Re-
ormvorhaben auf den Weg gebracht worden. Einige
änder wollen ihre bislang kameralen Haushalts- und
echungswesensysteme auf ein kaufmännisch orientier-
es Rechnungswesen, die staatliche Doppik, sowie auf
rodukthaushalte umstellen. Die entsprechenden Pro-
ekte in Hessen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind
chon recht weit fortgeschritten. Das kamerale Rech-
ungswesen ist nach geltendem HGrG allerdings unver-
ndert obligatorisch. Daher müssen auch doppische
änder einen kameralen Haushalt in Aufstellung, Be-
irtschaftung und Rechnungslegung vollständig mitfüh-
en. Um diesen Doppelaufwand zu vermeiden, gab es
on Länderseite 2006 eine Initiative, die haushaltsrecht-
ichen Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen.
und und Länder sondierten in den letzten zwei Jahren
or diesem Hintergrund sehr intensiv, ob und unter wel-
hen Bedingungen Doppik und Kameralistik sowie
rodukthaushalt und Titelhaushalt als Alternativen im
aushaltsrahmenrecht verankert werden können.
Drittens. Zentrale Bedingungen für die Modernisie-
ung des Haushaltsrechts: Eine solche Pluralität im staat-
ichen Haushalts- und Rechnungswesen zu ermöglichen,
etzt zum einen voraus, dass die notwendigen finanz-
tatistischen Daten von allen staatlichen Haushalten wie
isher auf einheitlicher Basis bereitgestellt werden.
ichtig ist dies allein schon mit Blick auf die
aastricht-Statistik und den bundesstaatlichen Finanz-
usgleich. Zum anderen ist sicherzustellen, dass die je-
eiligen Systeme einheitliche Regelwerke haben und
amit untereinander vergleichbar sind. Für kamerale
itelhaushalte existiert die bekannte Haushaltssystema-
ik. Für die doppischen Produkthaushalte müssen eben-
alls einheitliche Regeln festgelegt werden. Der vorlie-
ende Gesetzentwurf sichert dies alles ab. Die für die
oppik und Produkthaushalte künftig geltenden Grund-
ätze sind in der HGrG-Novelle fixiert. Die umfangrei-
hen Systematiken und technischen Details sind von
inem Standardisierungsgremium zu erarbeiten.
Viertens. Fazit: Kern der Gesetzesreform. Zusam-
enfassend ist festzuhalten: Mit dieser HGrG-Novelle
ird künftig eine Koexistenz unterschiedlicher Rech-
ungswesensysteme ermöglicht, also auch eine staatli-
he Doppik im Alleinbetrieb zugelassen. Dabei wird in-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22561
(A) )
(B) )
nerhalb der verschiedenen Systeme das notwendige Maß
einheitlicher Vorgaben gesetzt – insbesondere auch für
die Reformbereiche staatliche Doppik und Produkthaus-
halte. Ferner wird unabhängig von der jeweiligen Aus-
richtung der Haushaltswirtschaft weiterhin gewährleis-
tet, dass für statistische Anforderungen und sonstige
Berichtspflichten die Daten auf einheitlicher Grundlage
geliefert werden können.
Fünftens. Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und
die Länderhaushalte: Aus dem Gesetz allein folgen je-
doch keine unmittelbaren Handlungsvorgaben zur
Umgestaltung des Haushalts- und Rechnungswesens bei
Bund und Ländern. Die Gesetzesnovelle eröffnet Optio-
nen. Die Länder, die ein doppisches Rechnungswesen
als für ihre Verhältnisse am besten geeignet halten, wer-
den in die Lage versetzt, ihre Reformmodelle vollständig
umzusetzen. Gleichzeitig können die anderen Länder,
die einen kameralen oder erweitert kameralen Haushalt
als optimal betrachten, ihr Haushaltswesen unverändert
beibehalten. Auch der Bund kann das von ihm favori-
sierte Modell einer modernen, erweiterten Kameralistik
weiterverfolgen.
Damit verkörpert der Gesetzentwurf ein Stück funk-
tionierenden Föderalismus. Es spricht für sich, dass der
Bundesrat den Gesetzentwurf mit überwältigender
Mehrheit unterstützt. Auch die Beratungen der extra ein-
gerichteten Berichterstattergruppe des Haushaltsaus-
schusses waren stets zielorientiert und der inzwischen
fertiggestellte Bericht unterstützt ebenfalls den erforder-
lichen Modernisierungsprozess. Der grobe Rahmen ist
vorhanden, wir sollten daher in den weiteren Beratungen
die Modernisierung des Haushaltsrechts konstruktiv und
sachgerecht begleiten.
Otto Fricke (FDP): Der Gesetzentwurf, mit dem wir
uns heute beschäftigen, scheint auf den ersten Blick
trocken, rein an Haushaltsrecht orientiert und eigentlich
nur etwas für Feinschmecker. Haushaltsgrundsätze-
modernisierungsgesetz, so der Titel. Letztlich handelt es
sich um ein Gesetz, dessen primäre Intention, das will
ich bereits zu Beginn sagen, von der FDP-Bundestags-
fraktion grundsätzlich unterstützt wird.
Wer kurz verstehen will, was die wesentliche Inten-
tion des Gesetzes ist, der mag auf Seite 28 des Gesetz-
entwurfes unter „finanzielle Auswirkungen“ schauen.
Dort heißt es sehr schön: „finanzielle Auswirkungen:
keine. Aus dem Gesetz allein folgen unmittelbar keine
zwingenden Handlungsvorgaben zur Umgestaltung des
Haushalts- und Rechnungswesen für die Gebietskörper-
schaften, es werden lediglich Gestaltungsmöglichkeiten
eröffnet!“ Damit wird klargestellt, dass die Frage, wel-
ches Haushalts- und Rechnungswesens eine Gebietskör-
perschaft, also eine Gemeinde, ein Kreis, ein Bundes-
land oder der Bund selber anwendet, nicht durch dieses
Gesetz endgültig festgelegt wird. Festgelegt wird viel-
mehr der Rahmen, was in einem funktionierenden Staat
dringend notwendig ist, und festgelegt wird außerdem,
wie man bei diesem sehr offenen Rahmen die Vergleich-
barkeit erhält. Neudeutsch würde dies bedeuten, wie
man die richtigen Schnittstellen zur Verfügung stellt. All
d
t
f
u
d
s
u
t
d
s
g
d
t
l
v
m
s
d
D
v
e
z
F
z
j
d
v
s
l
R
k
w
V
a
k
v
l
R
e
n
d
F
w
H
d
k
n
R
R
v
k
a
P
m
p
Ü
G
p
(C
(D
ies wird begrüßt. Denn für die Frage, welches das rich-
ige Rechnungswesen ist, welches die richtige Bilanz-
orm ist, gibt es immer wieder unterschiedliche Ansätze
nd Ideen. So ist es zum Beispiel in der Arbeitsgruppe
es Haushaltsausschusses immer wieder der von mir
ehr geschätzte Kollege Fromme gewesen, der sich klar
nd eindeutig für die Doppik ausgesprochen hat, mit gu-
en Argumenten. Der Kollege Fromme weiß, dass ich
iese Argumente nur zum Teil teile, dass ich aber insbe-
ondere für die Bundesebene einer anderen Überzeu-
ung bin, die mit der Rolle des Haushaltsausschusses in
em gesamten Gefüge zu tun hat. Dazu will ich aber spä-
er noch etwas sagen.
Nochmals zu der Frage, welche grundsätzlichen Mög-
ichkeiten es gibt. Hier gibt der Gesetzentwurf eine her-
orragende Übersicht und sollte von jedem, der sich ein-
al mit den Denkansätzen auseinandersetzen will,
tudiert werden. Ich danke insoweit auch ausdrücklich
enjenigen, die diesen Gesetzentwurf erarbeitet haben.
er Gesetzentwurf hat auch einen weiteren Vorteil, er
ermeidet, dass es doppelte Arbeit gibt, weil man etwa
ine Ebene der Gebietskörperschaften dazu verpflichtet,
ur Vergleichbarkeit nicht nur in der von ihr gewählten
orm des Haushalts- und Rechnungswesens etwas vor-
ulegen, sondern auch das entsprechend Passende für die
eweils andere Ebene, gemeint wäre wohl dann die Bun-
esebene.
Im Übrigen wäre es auch aus Sicht eines Liberalen
ollkommen falsch, wenn man die Koexistenz unter-
chiedlicher Rechnungslegungssysteme nicht ausdrück-
ich ermöglichen würde und hierfür nicht einen klaren
echtsrahmen setzen würde. Ich sehe auch persönlich
eine Alternative zu dem hier gefundenen Gesetzent-
urf, soweit es um die Frage geht, welches die richtigen
oraussetzungen zur Schaffung sind. Hinzuweisen ist
uch noch darauf, dass dieser Gesetzentwurf auf gar
einen Fall eine Ermächtigungsgrundlage für Reform-
orhaben darstellt und auch keine unmittelbaren Hand-
ungspflichten zur Umgestaltung des Haushalts- und
echnungswesens ableitet, jedenfalls grundsätzlich.
Trotz all dieser positiven Vorzüge, die im Grundsatz
igentlich eine Zustimmung meiner Partei zu solch ei-
em Gesetzentwurf in einer, wann auch immer stattfin-
enden 2./3. Lesung ermöglichen würden, lehnt meine
raktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Gesetzent-
urf jedoch ab. Der Grund hierfür liegt im Kern des
aushaltsrechtes an sich. Haushaltsrecht wird immer als
as Königsrecht des Parlaments beschrieben. In demo-
ratischen Zeiten passt diese etwas monarchische Form
icht, sodass man wohl sagen könnte, es ist das nobelste
echt des Parlamentes, im Auftrage der Steuerzahler der
egierung bzw. der Exekutive zu sagen, wofür sie wie
iel Geld wann und zu welchen Bedingungen ausgeben
ann. Das heißt, es ist Kern dessen, was Gewaltenteilung
usmacht. Ohne das Haushaltsrecht verkümmert das
arlament am Ende zu einem ausführenden Organ der
it weit mehr Fachpersonal und spezifischer Sachkom-
etenz ausgestatteten Regierung. Sicherlich, im groben
berblick sind die Parlamente in der Lage, die gesamte
esetzgebung zu beherrschen. Im Detail sind sie es rein
ersonaltechnisch nicht. Wie sollte es auch möglich sein,
22562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
wenn man sieht, was die Aufgaben eines Parlamentes
heute viel mehr als früher sind im Bereich der Informa-
tionsverbreitung, der Erklärung von Gesetzen und Ähn-
lichem mehr. Außerdem wissen wir, dass die meisten
Fachgesetze letztlich zu weit über 95 Prozent aus dem
Ministerium stammen, selbst wenn sie als Koalitions-
initiativen, wie leider viel zu oft in der Vergangenheit
geschehen, dann von den Koalitionsfraktionen übernom-
men werden, um möglichst schnell auch verabschiedet
werden zu können. Dann ist es aber mehr die Pflicht ei-
nes Parlamentes in solchen Zeiten, dass es dafür Sorge
trägt, dass die finanziellen Mittel unter der Kontrolle des
Parlamentes bleiben.
Nun werden viele sagen, aber, Herr Abgeordneter, Sie
haben doch gerade ausgeführt, dass das Gesetz keine Er-
mächtigungsgrundlage ist und keine wesentlichen Ände-
rungen vornimmt. Insoweit stimmt es auch und ist es
auch richtig, dass das Gesetz nur formale Vorschriften
enthält, und es ist auch in Ordnung, dass das Parlament
über diese Änderungen der formalen Vorschriften, über
die Frage, was systematisch wie einzuordnen ist und was
systematisch wie zu benennen ist, gesetzgeberisch ent-
scheidet. Man muss jedoch genau hinschauen, ob nicht
auch wiederum Ermächtigungen an die Exekutive, die
über das Haushaltsrecht ja kontrolliert werden soll, ge-
geben werden. Dieses würde dann bedeuten, dass die zu
kontrollierende Exekutive Rechte bekommt, die das
Haushaltsrecht der Legislative wiederum verändern und,
selbst wenn nicht gewollt, einschränken können.
Ich finde hierfür mehrere Ansätze, will mich aber
heute auf einen Punkt konzentrieren. Dieses ist der § 49 a
Abs. 1 neu. Oft haben wir es bei gesetzlichen Regelun-
gen so gehalten, und so ist es auch grundsätzlich richtig,
dass die Detailregelung durch Verordnungsermächtigung
der Exekutive gegeben wird. Wie ich zuvor ausführte, ist
dieses eigentlich ein Paradoxon, wenn man es beim
Haushaltsrecht so halten würde. Nun finden wir aber im
§ 49 a ein Gremium zur Standardisierung des staatlichen
Rechnungswesens. Auf den ersten Blick hört sich das
nicht besonders gefährlich an, auf den zweiten Blick soll
aber dieses Gremium ganz wesentlich die Spielregeln
des Haushaltsrechtes bestimmen. Auch das wäre an sich
nicht schlimm, wenn dies ein Gremium wäre, das we-
sentlich von der Legislative, sowohl auf Bundes- wie auf
Landesebene, beeinflusst werden würde. Dieses ist aber
gerade nicht der Fall, es soll sich bei diesem Gremium
um ein rein exekutiv gesteuertes Gremium handeln, das
eine „einheitliche Verfahrens- und Datengrundlage“ je-
weils für Kameralistik, Doppik und Produkthaushalte
„gewährleisten“ soll. Die Exekutive erarbeitet damit, so
auch der Gesetzentwurf, die Standards für die Haushalte,
stellt sicher, dass die Finanzstatistik einschließlich der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt
wird, und diese Standards sollen bereits für doppische
Haushalte und Produkthaushalte erstmals zum 1. Januar
2010 überprüft werden. Daneben soll es dann noch eine
„Verwaltungsvereinbarung“ zwischen Bund und Län-
dern geben.
Einer solchen Regelung kann aus den vorgenannten
Gründen die FDP-Bundestagsfraktion nicht zustimmen,
da letztlich das „Handwerksrecht“ der Haushalte der Le-
g
E
d
t
t
S
f
u
P
F
s
t
d
K
T
d
k
d
d
e
h
k
l
G
w
h
s
n
i
f
t
w
a
a
a
w
H
z
h
s
u
w
t
s
s
b
d
n
s
S
„
l
w
m
m
w
(C
(D
islative ganz wesentlich exklusiv auf den Ebenen der
xekutive legt. Darüber hinaus würde im § 49 a Abs. 2
ann auch noch eine weitere Rechtsverordnungsermäch-
igung erlassen, die der Zustimmung „nur des Bundesra-
es“ bedarf, mit der dann nähere Bestimmungen für die
tandards für kamerale und doppische Haushalte sowie
ür Produkthaushalte, insbesondere zum Gruppierungs-
nd Funktionenplan zum Verwaltungskontenrahmen und
roduktrahmen erlassen werden. Alleine dies hätte zur
olge, dass die Exekutive zukünftig alleine darüber ent-
cheidet, wie detailreich ein Haushalt ist. Gerade die De-
ailreichheit gibt aber grundsätzlich den Parlamenten erst
ie Möglichkeit, eine präzisere Steuerung und schnelle
ontrolle vorzunehmen.
Je gröber ein Haushalt etwa gestrickt wäre, je weniger
itel er hätte, umso weniger ist nachvollziehbar, wofür
as Geld ausgegeben wird. Man mag nun in einer Nach-
ontrolle dieses einzeln wieder aufziffern können, je-
och wäre die Transparenz, die bisher gegeben war,
ann sehr schnell dahin. Wenn überhaupt, dann kann
ine solche Entscheidung nur kommen, wenn die Haus-
altsausschüsse zustimmen, und insbesondere nur dann
ommen, wenn in dem Gremium eben dann eine wesent-
iche Beteiligung der Parlamente gesichert ist. Das vom
esetzentwurf angesprochene Bund-Länder-Gremium,
elches der Arbeitsausschuss Haushaltsrecht und Haus-
altssystematik sein soll, kann jedenfalls nicht die Lö-
ung sein.
Dass die gesetzlichen Beteiligungsrechte der Rech-
ungshöfe unberührt bleiben, mag ein wenig beruhigen,
st aber nach unserer Ansicht letztlich Ausfluss der ver-
assungsrechtlichen Position der Rechnungshöfe. Verrä-
erisch jedoch ist, dass zwar sehr viel Wert darauf gelegt
ird, dass die Rechte der Exekutive auf Landesebene,
uf Bundesebene der Höfe und des Statistischen Bundes-
mtes garantiert werden, auf die Rechte des Haushalts-
usschusses, von dem all diese Fragen erst abgeleitet
erden, hingegen in keiner Weise. Vielmehr muss der
aushaltsausschuss, würde der Gesetzentwurf in Geset-
eskraft erwachsen, dieses dann hinnehmen, nicht nur
eute, sondern auch zukünftig.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Ge-
etzentwurf grundsätzlich in die richtige Richtung geht
nd von der FDP hinsichtlich Vergleichbarkeit, Wettbe-
erb zwischen den Systemen und Zukunftsfähigkeit un-
erstützt wird. Die, wenn auch über geschickte Umwege,
tarke Beschneidung der Rechte des Haushaltsausschus-
es und die Nichtberücksichtigung der Parlamentshoheit
ei Fragen des Haushaltsrechtes führen jedoch dazu,
ass meine Fraktion diesen Gesetzentwurf, wenn er
icht verändert wird, ablehnen muss, weil sie eine
chleichende Entmachtung des Parlamentes an dieser
telle nicht mitmachen wird. Ein Parlament, das sein
Königsrecht“ im Detail von den Regierungen regeln
ässt, begibt sich eines solchen Rechtes und führt einen
eiteren Schritt, weg von einer parlamentarischen De-
okratie, hin zu einer exekutiven Demokratie mit parla-
entarischen Begleiterscheinungen.
Roland Claus (DIE LINKE): Mit dem Gesetzent-
urf der Bundesregierung ist die Absicht verbunden,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22563
(A) )
(B) )
Grundsätze der Haushaltswirtschaft zu modernisieren.
Einer Überweisung in die Ausschüsse steht nichts im
Wege. Da der Text der Bundesregierung jedoch maximal
unverständlich ist, will ich zunächst versuchen, den
Sachverhalt ein wenig zu erhellen.
Das Grundgesetz regelt im Art. 109 die Haushalts-
wirtschaftsbeziehungen von Bund und Ländern und
damit auch von Kommunen. Im Haushaltsgrundsätzege-
setz des Bundes werden die Einzelheiten näher beschrie-
ben. Die Haushaltswirtschaft von Bund, Ländern und
Kommunen hat sich inzwischen recht verschieden ent-
wickelt. Ziel einer Arbeitsgruppe des Haushaltsaus-
schusses des Deutschen Bundestages war es deshalb, die
Vergleichbarkeit der Haushaltspläne weiterhin zu ge-
währleisten, auch um weiterhin eine zuverlässige volks-
wirtschaftliche Gesamtrechnung für die Bundesrepublik
zu ermöglichen. Neue Entwicklungen bei der Haushalts-
wirtschaft und Buchhaltung sollten gefördert werden.
Aktuell stehen sich vor allem zwei Systeme der Buch-
führung gegenüber: zum einen die Kameralistik – also
die klassische Buchung von Einnahmen und Ausgaben,
wie sie am meisten bei den Haushalten bei Behörden an-
zutreffen ist. Auf der anderen Seite steht die sogenannte
doppelte Buchführung, auch Doppik genannt, bei der
Kommunen oder auch Länder ihre Buchführung ähnlich
wie Unternehmen vornehmen, also zum Beispiel den
Ressourcenverbrauch regelmäßig widerspiegeln. Be-
reits etwa 300 Kommunen in Deutschland wenden diese
doppelte Buchführung an.
Parallel zu diesen Beratungen der Arbeitsgruppe des
Haushaltsausschusses wurden die Haushaltsbeziehungen
von Bund, Ländern und Kommunen in der Föderalis-
muskommission und in einem speziellen Arbeitskreis er-
örtert. Die Fraktion Die Linke vertritt dazu folgende
Position: Wir stimmen dem Gesetzentwurf in jenen Pas-
sagen zu, in denen es um die weitere Vergleichbarkeit
der Haushalte, um eine auch künftig den Realitäten ent-
sprechende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung geht.
Das bedeutet jedoch für viele Kommunen einen zusätzli-
chen Aufwand, weil sie auch weiterhin nach dem alten,
kameralistischen Buchungssystem die Daten führen
müssen. Die Linke stimmt nicht mit jenen Vorschlägen
überein, die zu einer weiteren Beförderung der doppel-
ten Buchführung gemacht werden. Diese Haushalte
führen letztendlich dazu, dass ihr Inhalt nur noch von
Kämmerinnen und Kämmerern und nicht mehr von Bür-
gerinnen und Bürgern zu verstehen ist. Die Linke ist für
Bürgerhaushalte, also für die Beteiligung der Einwohne-
rinnen und Einwohner an richtungsweisenden kommu-
nalen Entscheidungen auch bei den städtischen Haushal-
ten. Wenn Haushalte immer weniger transparent und
verständlich wären, würden die Möglichkeiten der direk-
ten Demokratie verringert.
Nicht alles, was als Modernisierung daherkommt,
bringt auch wirkliche Verbesserungen. Vor zehn Jahren
haben viele Finanzbeamte und Kämmerer Cross-Border-
Leasing-Geschäfte für eine heilsame Modernisierung ge-
halten. Sie werden nun eines Besseren belehrt. Zum
Schluss: Wichtiger als Änderungen bei der Buchführung
wären Überlegungen von Bundestag und Bundesregie-
r
s
A
N
s
d
a
t
s
g
m
s
D
E
z
g
4
3
r
i
l
g
H
z
G
s
e
z
p
k
L
z
k
m
d
w
d
t
v
G
k
d
s
P
s
m
d
r
h
T
H
l
h
s
Z
u
r
(C
(D
ung für eine langfristig gesicherte bessere Finanzaus-
tattung der Kommunen in unserem Land.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ls haushaltspolitischer Sprecher erlebe ich heute ein
ovum: Das Haushaltsgrundsätzemodernisierungsge-
etz ist ein Projekt der Großen Koalition, das tatsächlich
ie Haushaltspolitik verbessert. Im Gegensatz zum
ktuellen Haushalt mit seinen ganzen Neben- und Schat-
enhaushalten geht es bei diesem Gesetz um eine verbes-
erte, transparentere Form der Haushaltsführung. Dies
ilt vor allem für die transparente Darstellung der Ver-
ögenssituation, für die Berücksichtigung von Ab-
chreibungen und Ressourcenverbrauch, für den Top-
own-Ansatz bei der Haushaltsaufstellung und für die
inführung der Doppik.
Wir haben heute bei der Haushaltsaufstellung einige
entrale Kernprobleme: Durch 5 500 Ausgabetitel man-
elt es doch wesentlich an Transparenz. Allein
000 Klein- und Kleinsttitel machen zusammen nur
,7 Prozent aller Ausgaben aus. Eine Output-Orientie-
ung fehlt ganz. Eine nachhaltige Vermögensrechnung
st bisher nicht möglich. Auch ist bisher keine Darstel-
ung des Ressourcenverbrauchs möglich. Abschreibun-
en können dadurch nicht berücksichtigt werden. Die
aushaltsaufstellung leidet unter dem Bottom-Up-Prin-
ip: Die Ressorts melden ihren Bedarf an. Das heißt, die
esamtkosten bzw. die zur Verfügung stehenden Mittel
ind gar nicht Ausgangspunkt der Planung. Besser wäre
in Top-Down-Verfahren: Da wird ausgehend von den
ur Verfügung stehenden Mitteln geplant. Durch den
roduktorientierten Haushalt, den das Gesetz vorsieht,
ann die Politik klare Ansagen darüber machen, welche
eistungen der Staat erbringen soll, und hierfür Mittel
ur Verfügung stellen. Die Ausführung obliegt dann stär-
er als bislang den Ressorts. Durch Zielvereinbarungen
it den Ressorts und stärkere politische Überwachung
er Mittelverwendung kann diese effizienter kontrolliert
erden. Durch die Kosten- und Leistungsrechnung wer-
en Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wesentlich erleich-
ert. So wird die Transparenz und Nachvollziehbarkeit
on Kosten und Leistungen erhöht. Auch wird durch das
esetz eine Vermögensrechnung ermöglicht. Dadurch
önnen auch Abschreibungen erfasst werden.
Wir Grüne haben diesen Prozess der Modernisierung
es Haushaltsrechts von Beginn an konstruktiv unter-
tützt. In unserem Zukunftshaushaltsgesetz, das wir ins
lenum eingebracht haben, werden maßgebliche Be-
tandteile des nun vorliegenden Haushaltsgrundsätze-
odernisierungsgesetzes bereits vorgeschlagen. Gerade
ie erweiterte Kameralistik ist eine deutliche Verbesse-
ung gegenüber dem bestehenden System. Allerdings
ätten wir uns einen weiteren Schritt zu noch mehr
ransparenz gewünscht: die Einführung der doppischen
aushaltswirtschaft. Dennoch werden Haushaltsaufstel-
ung, Haushaltsbeschluss, Haushaltsvollzug und Haus-
altskontrolle durch das Gesetz transparenter. Der Res-
ourceneinsatz kann stärker daran ausgerichtet werden,
iele effizienter zu erreichen. Die wahre Vermögenslage
nd der wahre Werteverzehr des Bundes werden transpa-
enter.
22564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
Aber auch mit dem neuen Haushaltsverfahren braucht
es ein waches Parlament. Auch die Kolleginnen und
Kollegen der Großen Koalition haben die Aufgabe, das
Haushaltsrecht wieder als echte Kontrollfunktion der
Regierung wahrzunehmen. Gerade bei den größeren
Töpfen, die mit dem neuen Haushaltsgesetz ausgegeben
werden, ist dies von zentraler Bedeutung. Denn Schat-
tenhaushalte, Sondervermögen und demokratisch nicht
ausreichend legitimierte Gremien zur Vergabe von Mit-
teln in Milliardenhöhe – SoFFin – darf es nicht mehr ge-
ben. Denn alle formalen Grundlagen zur Verbesserung
nützen nichts, wenn die Koalition weiterhin eine ehrli-
che und offene Haushaltspolitik vermeiden will. Es steht
zu befürchten, dass zwar formal die Rahmenbedingun-
gen verbessert werden, dass aber in der Praxis die groß-
koalitionäre gefährliche Verschleierungstaktik einer
ehrlichen und transparenten Haushaltswirtschaft entge-
genläuft.
Auch ist fraglich, ob die Planung, 2015 den ersten
Haushalt auf Bundesebene mit der neuen erweiterten
Kameralistik zu beschließen, Bestand haben wird: Denn
verfolgt man die derzeitige desolate und gefährliche
Haushaltspolitik der Großen Koalition, bestehen Zweifel
daran, ob wir für 2015 überhaupt noch einen beschluss-
fähigen Haushalt beraten können werden. Mit einem
Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz das Haus-
haltsrecht verbessern ist das eine, aber dann braucht es
auch eine Koalition, die eine Haushaltsgrundsätzeeinhal-
tungspolitik betreibt. Aber dazu sind Große Koalitionen
ja nicht in der Lage.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung zu dem
Antrag: Den Prozess von Annapolis durch
eigenständige Initiativen unterstützen (Tages-
ordnungspunkt 14)
Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Mit ihrem Antrag
„Den Prozess von Annapolis durch eigenständige Initia-
tiven unterstützen“ rennt Die Linke offene Türen ein, so-
weit sich darin vernünftige Forderungen finden – und
das ist durchaus auch der Fall. Denn viele der von ihr be-
nannten Punkte sind Bestandteil der Politik der Bundes-
regierung. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen, nach
den Wahlen in Israel und den ersten Entscheidungen der
neuen amerikanischen Regierung ein paar Worte zu den
Chancen zu sagen, wieder zu einem Prozess zu kommen,
der den Namen Friedensprozess verdienen würde. Eine
dauerhafte Lösung des Konflikts zwischen Israelis und
Palästinensern kann nur in einer Zwei-Staaten-Lösung
gefunden werden. Wie eine solche Lösung im Wesentli-
chen aussehen kann, ist allen Beteiligten eigentlich klar:
Die sogenannten „Clinton-Parameter“ aus dem Jahr
2000, die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästi-
nensern in Taba 2001 und das inoffizielle Verhandlungs-
ergebnis der Genfer Initiative von 2003 skizzieren die
Kernpunkte: Der Staat Israel liegt im Wesentlichen in
den Grenzen von 1967, das palästinensische Staatsgebiet
u
s
l
m
D
j
p
t
n
S
I
k
s
S
s
i
d
w
k
f
t
H
r
i
b
l
d
F
i
F
s
d
D
H
k
I
f
Ä
K
s
v
n
k
S
W
R
l
i
H
g
w
f
m
F
b
B
(C
(D
mfasst das Westjordanland und den Gazastreifen, Jeru-
alem ist die Hauptstadt beider Staaten, wobei für die re-
igiösen Stätten eine Sonderregelung gefunden werden
uss, Israel räumt die Siedlungen im Westjordanland.
ort, wo in Grenznähe und in der Umgebung Jerusalems
üdische Siedlungen erhalten bleiben sollen, erhält der
alästinensische Staat einen von beiden Seiten akzeptier-
en flächenmäßigen Ausgleich, die Rückkehr der palästi-
ensischen Flüchtlinge erfolgt in den palästinensischen
taat und nur in Ausnahmen und mit Genehmigung
sraels in den Staat Israel.
Das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung ist also relativ
lar. Der Weg dorthin ist das Problem. Auf palästinen-
ischer Seite haben wir es mit einem „failing state“ ohne
taat zu tun, noch dazu geteilt in Westbank und Gaza-
treifen, und einer Autonomiebehörde, die gegenwärtig
m Gazastreifen nicht viel zu melden hat. Dort herrscht
ie Hamas, bei der nicht zuletzt Die Linke nicht müde
ird zu betonen, sie sei demokratisch an die Macht ge-
ommen, aber immer wieder vergisst zu sagen, um was
ür eine Organisation es sich handelt und in welch dikta-
orischer und menschenverachtender Weise sie ihren
errschaftsanspruch durchsetzt. Lesen Sie einmal die Be-
ichte von Menschenrechtsorganisationen wie „amnesty
nternational“ oder „Human Rights Watch“ über die Ver-
rechen der Hamas gegen ihre palästinensischen Lands-
eute im Gazastreifen nach. Und in ihrer Charta schreibt
ie Hamas zu ihrem Verhältnis zu Israel: „Ansätze zum
rieden, die so genannten friedlichen Lösungen und die
nternationalen Konferenzen zur Lösung der Palästina-
rage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffas-
ungen der Islamischen Widerstandsbewegung (…). Für
ie Palästina-Frage gibt es keine andere Lösung als den
schihad.“ Teil dieses Dschihads sind die von der
amas in Israel verübten Terroranschläge, die das kon-
rete Ziel haben, möglichst viele Zivilisten zu töten. Mit
hren vorauseilenden Gesprächsangeboten an die Hamas
allen Sie dem Palästinenserpräsidenten Abbas und den
gyptern, die sich um eine Regierung des nationalen
onsenses bemühen, in den Rücken. Aber ein terroristi-
cher Hintergrund hat Sie ja, meine Damen und Herren
on der Linken, auch in Ihrer Behandlung der kolumbia-
ischen Farc nicht gestört.
Die Aussichten, wieder zu einem Friedensprozess zu
ommen, sind also im Augenblick auf palästinensischer
eite nicht gerade günstig. Das gilt leider auch nach dem
ahlergebnis für Israel. Der von Präsident Peres mit der
egierungsbildung beauftragte Likud-Führer Netanjahu
ehnt bisher eine Zwei-Staaten-Lösung ab. Die sich für
hn abzeichnenden Koalitionspartner scheinen ihn in der
eftigkeit der Ablehnung noch zu übertreffen.
Trotzdem gibt es zwei Entwicklungen, die Hoffnun-
en machen, und einen Grundtrend, der Handeln not-
endig macht. Der Grundtrend: Die Zeit arbeitet nicht
ür, sondern gegen eine Zwei-Staaten-Lösung – je länger
an wartet, desto schwieriger wird sie zu erreichen sein.
Und nun zu den positiven Entwicklungen: Seit der
riedensinitiative von König Abdullah von Saudi-Ara-
ien, die sich die Arabische Liga auf ihrem Gipfel in
eirut 2002 zu eigen gemacht hat, gibt es die grundsätz-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22565
(A) )
(B) )
liche Bereitschaft aller arabischen Nachbarländer, Israel
anzuerkennen. Und der neue amerikanische Präsident
hat sich den Nahost-Konflikt trotz aller Schwierigkeiten
ganz oben auf seine außenpolitische Agenda gesetzt und
mit Senator Mitchell eine außerordentlich erfahrene und
bei Palästinensern und Israelis gleichermaßen aner-
kannte Persönlichkeit zu seinem Nahost-Beauftragten
gemacht.
Was muss jetzt geschehen? Zuallererst muss natürlich
der Waffenstillstand gesichert und gefestigt werden. Die
Raketenangriffe auf Israel müssen aufhören. Nicht zu-
letzt auch mit deutscher technischer Hilfe muss der Waf-
fenschmuggel in den Gazastreifen unterbunden werden.
Das wiederum ist die Voraussetzung für eine Öffnung
der Grenzübergänge in den Gazastreifen für Hilfsgüter,
Menschen und normalen Warenverkehr.
Für die Palästinenser wird es außerdem darum gehen,
wieder zu einer handlungsfähigen Regierung zu kom-
men, die für alle Palästinenser sprechen kann. Mit ägyp-
tischer Vermittlung könnte eine Regierung aus „Techno-
kraten“ ins Amt gebracht werden, die vor allem zwei
Aufgaben hätte: Zum einen müsste sie die internationale
Aufbauhilfe für den Gazastreifen entgegennehmen und
das Aufbauprogramm in die Tat umsetzen. Zum anderen
müsste sie baldige Neuwahlen im Gazastreifen und in
der Westbank organisieren, damit für die eigentlichen
Verhandlungen mit Israel ein demokratisch legitimierter
Partner zur Verfügung steht.
Israel muss endlich und sofort jegliche Siedlungstä-
tigkeit jenseits der grünen Linie einstellen. Es gibt kei-
nerlei Grund, die Erfüllung dieser Forderung von irgend-
welchen Bedingungen abhängig zu machen, die die
Palästinenser zuvor erfüllen müssten, denn jedes neue
Haus in der Westbank ist ein betoniertes Hindernis auf
dem Weg zum Frieden. Das gilt auch – und ich sage das
aus aktuellem Anlass mit besonderem Nachdruck – für
Ost-Jerusalem. Ich schließe mich ausdrücklich der For-
derung von Amos Oz, David Grossmann und den ande-
ren israelischen Preisträgern an, die sich in einem
offenen Brief an den israelischen Bürgermeister von Je-
rusalem, Nir Barkat, gegen die geplante Zerstörung von
88 Häusern, bewohnt von 1 000 Palästinensern im Ost-
Jerusalemer Stadtteil Silwan, gewandt haben. Die Häu-
ser sollen zerstört werden, um Platz für einen Park zu
schaffen. Diese Vorgehensweise ist einer von vielen – so
buchstäblich – Bausteinen einer Strategie, die arabische
Bevölkerung Jerusalems zu reduzieren und die direkte
Verbindung Ost-Jerusalems zur Westbank durch immer
neue jüdische Siedlungen zu unterbrechen. Auf diese
Weise sollen Fakten geschaffen werden, damit Ost-Jeru-
salem nicht als Hauptstadt eines palästinensischen Staa-
tes fungieren kann. Das israelische Ministerium für
Wohnungsbau gibt an, dass es derzeit insgesamt Baupro-
jekte für 4 554 Wohneinheiten in Siedlungen gebe, da-
von 94 Prozent in Ost-Jerusalem. Diese Häuser dürfen
nicht gebaut werden. Die sofortige und unbedingte Ein-
stellung jeglicher Siedlungstätigkeit ist ein entscheiden-
der Schritt, der Israel jetzt abverlangt werden muss.
Israel sollte auch gedrängt werden, endlich sein Ver-
sprechen einzuhalten und Straßensperren in der West-
b
d
a
ü
A
Z
w
E
S
n
w
V
w
T
k
d
s
g
o
b
b
t
u
m
l
l
p
b
c
d
d
w
n
h
O
n
v
a
m
n
s
d
k
d
f
e
O
b
t
u
S
D
b
s
a
v
z
(C
(D
ank abzubauen. Ich habe mit Interesse eine Übersicht
es Israelischen Zentrums für internationale Zusammen-
rbeit (MASHAV) am israelischen Außenministerium
ber die Zusammenarbeit mit der palästinensischen
utonomiebehörde (PA) gelesen. Der Schwerpunkt dieser
usammenarbeit liege unter anderem auf den Gebieten
irtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplatzbeschaffung,
rnährung und Landwirtschaft, Gesundheitsversorgung.
o wichtig und nützlich die einzelnen dort beschriebe-
en Projekte auch sein mögen, angesichts der enormen
irtschaftlichen Schäden, die der palästinensischen
olkswirtschaft durch die Straßenblockaden zugefügt
erden, bleiben diese Projekte weniger als der berühmte
ropfen auf den heißen Stein. Schon vor zehn Jahren
am die Weltbank in einer Schätzung zu dem Ergebnis,
ass die Straßenblockaden die palästinensische Wirt-
chaft mehr als sieben Millionen Dollar pro Tag kosten,
anz zu schweigen von den moralischen Kosten, die die
ft demütigen Abfertigungsprozeduren mit sich bringen.
Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen. „Wir ha-
en ein ,window of opportunity‘, einen kurzen Augen-
lick, ehe wir in eine außerordentlich gefährliche Situa-
ion kommen –, in dem wir einen historischen Schritt in
nseren Beziehungen mit den Palästinensern … machen
üssen. (…) Wir müssen eine Übereinkunft mit den Pa-
ästinensern erreichen, die einen Rückzug aus nahezu al-
en, wenn nicht allen der besetzten Gebiete bedeutet. Ein
aar Prozent dieser Gebiete können in unseren Händen
leiben, aber wir müssen den Palästinensern den glei-
hen Prozentsatz von Gebieten anderswo geben – ohne
iesen Schritt wird es keinen Frieden geben.“ Und auf
ie Frage „einschließlich Jerusalem?“ erfolgt die Ant-
ort „einschließlich Jerusalem – mit, so würde ich mei-
en, speziellen Verabredungen für den Tempel und die
eiligen und historischen Stätten.“ Gesagt hat dies Ehud
lmert in einem Interview mit der Zeitung Yedioth Ahro-
oth, das ich aus einer Übersetzung der New York Re-
iew of Books vom 4. Dezember 2008 entnommen und
us dem Englischen übersetzt habe. Warum, so habe ich
ich gefragt, kommen Politiker erst zu solchen Erkennt-
issen, wenn sie kurz davor stehen, aus dem Amt zu
cheiden? Aber sei es drum. Als Vermächtnis für jeden
enkbaren Nachfolger behalten diese Sätze ihre Gültig-
eit.
Dr. Werner Hoyer (FDP): 4,5 Milliarden US-Dollar,
ie in dieser Woche für den Wiederaufbau des Gazastrei-
ens von fast 80 Nationen zugesagt wurden, sind eine be-
indruckende Zahl. Und trotzdem kann nicht wirklich
ptimismus aufkommen. Denn die Situation in Nahost
leibt verfahren.
Im Kern stehen wir vor einer Situation, in der alle be-
eiligten Parteien des Konfliktes der Fehleinschätzung
nterliegen, sie hätten im jüngsten Waffengang einen
ieg davongetragen. Israel hat seine Ziele nicht erreicht:
er Raketenbeschuss geht weiter, Gilad Shalit ist nicht
efreit, die Tunnelanlagen zu Ägypten waren nie voll-
tändig zerstört oder werden unter Hochdruck wieder
ufgebaut. Und auf der anderen Seite sind durch die un-
erantwortlichen Handlungen der Hamas Tausende Tote
u beklagen, die Grenzen bleiben mehr oder weniger ge-
22566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
schlossen, und das Ziel eines Palästinenserstaates ist in
weitere Ferne gerückt.
Ich kann nicht erkennen, wie sich in dieser Situation
jemand als Sieger betrachten kann. Aber die Tatsache,
dass es ganz offensichtlich so ist, macht es so unglaub-
lich schwer, jetzt zu einer Verhandlungslösung zu kom-
men, oder sagen wir besser: einen Verhandlungsprozess
überhaupt erst einmal wieder zu initiieren.
Es ist schwer, in einer solchen Situation, in der die
Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten nahe dem
Gefrierpunkt ist, Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Vollkommen unrealistisch wäre es, in solch einer Lage
von der einen oder anderen Seite Vorleistungen zu er-
warten. Wir können uns das noch so sehr wünschen, es
wird solche nicht geben. Und genauso falsch wäre es, die
Situation jetzt durch Schuldzuweisungen von außen wei-
ter zu verhärten. Mir ist vollkommen klar, dass es auch
hier im Hause viele reizt, erkanntes Unrecht der einen
oder anderen Seite auch anzuprangern. Aber ich bin zu-
gleich auch der festen Überzeugung, dass wir auf diesem
Wege keinen Schritt weiterkommen werden.
Ein Entspannungsszenario muss zum jetzigen Zeit-
punkt auf der Gleichzeitigkeit von Maßnahmen basieren –
im Idealfall in Form eines Waffenstillstandes mit gleich-
zeitiger Öffnung der Grenzübergänge und einer Freilas-
sung Gilad Shalits. Ich hoffe sehr, dass die ägyptischen
Verhandlungen hierzu Fortschritten kommen können.
Das politische Signal, das von Scharm el Scheikh aus-
gegangen ist, ist anderer Natur. Es ist die deutliche Bot-
schaft, dass die internationale Staatengemeinschaft die
moderaten Kräfte in der Region stützen wird. Das gilt
für Präsident Abbas, zu dem ich derzeit keine Alterna-
tive sehe – und der durch Erfolge gestärkt werden muss,
wenn wir ihn nicht spätestens mit den nächsten Wahlen
verlieren wollen. Und das gilt auch für jede kommende
israelische Regierung.
Neben die Beobachtung, dass Schuldzuweisungen in
die eine oder andere Richtung nicht hilfreich sind,
möchte ich noch einen anderen Punkt stellen. Was gelin-
gen muss, ist, die Gesprächsfähigkeit zwischen den Kon-
fliktparteien so zu institutionalisieren, dass die Tages-
politik den Friedensprozess als solchen nicht dominieren
kann. Ansätze dazu haben wir in den Verhandlungen
zwischen Israel und der Fatah bereits gesehen. Ich
denke, es wäre ein großer Fortschritt, wenn sich dies
breiter aufstellen ließe, breiter sowohl thematisch als
auch hinsichtlich der regionalen Dimension des Konflik-
tes. Der Helsinki-Prozess und das Modell der KSZE
können hier Vorbild sein. Es lohnt sich, über einen sol-
chen Ansatz nachzudenken und ihn mit unseren ameri-
kanischen Freunden, die sich auch in ihrer Nahostpolitik
in der Phase der „policy review“ befinden, zu diskutie-
ren.
Die neue amerikanische Außenministerin hat erken-
nen lassen, schon in ihrem Vortrag im Rahmen ihrer Se-
natsanhörung und jetzt während ihres ersten Besuches in
der Region, dass sie einen solchen Ansatz ebenfalls fa-
vorisiert. Wir sollten sie meiner Meinung nach dabei
nach Kräften unterstützen. Das schließt den scheinbar
b
z
w
U
L
d
U
r
t
A
s
d
b
d
2
n
s
O
b
V
N
l
s
l
B
Z
d
t
O
c
e
d
k
R
R
g
a
t
s
l
ä
n
M
(C
(D
eginnenden Versuch, zu einer Annäherung mit Syrien
u kommen, ausdrücklich ein. Auch mit Blick auf Syrien
ird das Denken in Vorleistungen nicht weiterführen.
nd wir werden auch nicht von heute auf morgen ein
and wie Syrien dort sehen, wo wir es gerne hätten. Auf
em Weg von schwarz nach weiß gibt es viele Grautöne.
nd diese muss man aushalten können, wenn man
ealistische, strategisch ausgerichtete Außenpolitik be-
reiben möchte.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeu-
gen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformge-
setz) (Tagesordnungspunkt 13)
Dr. Matthias Miersch (SPD): Der vorliegende Ge-
etzentwurf für ein 2. Opferrechtsreformgesetz knüpft an
ie Verbesserungen für Opfer in Strafverfahren an, die
ereits unter rot-grüner Bundesregierung vor allem
urch das Opferrechtsreformgesetz vom 1. September
004 erreicht wurden. Der Entwurf nimmt darüber hi-
aus auch Vorschläge des Bundesrates auf, sodass man
chon davon reden kann, dass nunmehr die Stellung des
pfers im Strafverfahren in ein Gesamtkonzept einge-
ettet wird, das zu substanziellen Veränderungen und
erbesserungen führt.
Ein paar Beispiele möchte ich nennen:
Erstens. Die Möglichkeit, sich als Nebenkläger bzw.
ebenklägerin Strafverfahren anzuschließen, wird deut-
ich erweitert. Verfahren, die Delikte gegen höchstper-
önliche Rechtsgüter betreffen, sollen künftig die Mög-
ichkeit der Nebenklage einschließen. Das gilt zum
eispiel für Opfer von sexueller Nötigung, Raub oder
wangsheirat.
Zweitens. In diesem Zusammenhang wird der Kreis
erjenigen, die – unabhängig von ihrer finanziellen Leis-
ungsfähigkeit – einen Anspruch auf Beiordnung eines
pferanwalts auf Staatskosten haben, erweitert. Das si-
hert die konsequente Wahrnehmung der Interessen und
rmöglicht gleichzeitig, durch professionelle Begleitung
er potenziellen Täter- und Opferseite auch besser zu
onfliktschlichtenden Verabredungen – zum Beispiel im
ahmen des Täter-Opfer-Ausgleiches – zu gelangen.
Drittens. Erstmals wird gesetzlich verankert, dass ein
echtsanwalt jederzeit als Zeugenbeistand hinzugezo-
en werden kann.
Viertens. Zum Schutz junger Opfer wird die Schutz-
ltergrenze von 16 auf 18 Jahre angehoben, sodass künf-
ig im Verfahren auch 17-Jährige von speziellen jugend-
chützenden Verfahrensvorschriften erfasst sein werden.
Bereits an diesen Beispielen zeigt sich, dass der vor-
iegende Gesetzentwurf sinnvolle und sachgerechte Ver-
nderungen enthält, sodass ich davon ausgehe, dass wir
ach den Beratungen in den Ausschüssen mit großer
ehrheit diese Änderungen beschließen werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22567
(A) )
(B) )
Gleichzeitig liegt mir in diesem Zusammenhang da-
ran, auf drei weitere Gesichtspunkte hinzuweisen, die
nach meiner Auffassung stets im Rahmen einer entspre-
chenden Veränderung der Opferrechte mit berücksichtigt
werden müssen:
Erstens. Wichtiges Prinzip des Strafverfahrens ist das
Schuldprinzip, sodass stets der Beschuldigte bzw. der
Angeklagte zentrale Person des Strafverfahrens ist und
bleibt. Es ist deshalb zu berücksichtigen, dass eine Stär-
kung der Rechte auf der Opferseite eine Schwächung der
Rechte der Verteidigungsseite mit sich bringen kann.
Durch die Mitwirkung eines Nebenklägers wird das be-
reits heute schon zum Beispiel bei der Ausübung des
Fragerechts der Verteidigung erkennbar. Ich werte es des-
halb als wichtiges und richtiges Zeichen, dass wir in der
letzten Sitzungswoche über die Novellierung des Unter-
suchungshaftrechts debattiert haben und uns hier auch
für eine Stärkung der Rechte des Beschuldigten – zum
Beispiel durch die frühe Beiordnung eines Verteidigers –
ausgesprochen haben. Wir sollten deshalb die jeweiligen
Beratungen durchaus im Kontext sehen.
Zweitens. In § 58 a Abs. 1 Satz 2 Strafprozessord-
nung ist die Aufzeichnung einer Zeugenaussage auf
Bild-Ton-Träger bei Personen unter 18 Jahren unter be-
stimmten Voraussetzungen obligatorisch vorgesehen.
Damit sollen vor allem auch mehrmalige belastende
Aussagesituationen vermieden werden. Von einer ent-
sprechenden Regelung und der damit verbundenen au-
thentischen Dokumentation kann der Strafprozess
grundsätzlich profitieren, sodass wir uns in diesem Zu-
sammenhang mit dem Vorschlag des Deutschen Anwalt-
vereins in den nun folgenden Beratungen befassen soll-
ten, diese Form der Dokumentation über den Entwurf
hinausgehend grundsätzlich – oder zumindest in weite-
ren, bestimmten Fallkonstellationen – obligatorisch vor-
zusehen. In seiner Stellungnahme aus dem Januar 2009
verweist der DAV ausführlich auf Erhebungen von Zeu-
genaussagen im Strafprozess, die die elektronische Auf-
nahme von Zeugenaussagen begründen. Diese sollten
wir in unsere Beratungen auf jeden Fall mit einbeziehen.
Drittens. Auf einen weiteren Aspekt muss man stets
hinweisen, wenn es um Opferschutz geht. Dieser fängt
schließlich nicht bei der Stellung des Opfers bzw. des
Zeugen im Strafverfahren an. Vielmehr geht es hier zu-
nächst um das weite Feld der Prävention. Diesbezüglich
sind vor allem auch die Länder gefordert. Leider können
wir feststellen, dass viele wichtige Projekte und Berei-
che aus finanziellen Gründen beendet und gestrichen
werden. Das ist eine höchst kurzsichtige Politik, die so
nicht weitergehen kann. Wer heute bei Jugendeinrichtun-
gen, bei der Sportförderung oder – um den Justizsektor
zu nennen – bei der Bewährungshilfe streicht, wendet
sich gerade gegen potenzielle Opfer. Man kann nicht erst
mit dem Denken anfangen, wenn das Kind im Brunnen
ist. Das ist die Herausforderung von Politik, und das ge-
hört auch in diese Debatte.
Viertens. Schließlich ein weiterer Punkt: Mit der fi-
nanziellen Ausstattung hängt auch die Ausstattung des
Vollzugs zusammen – ebenfalls seit einiger Zeit Sache
der Länder. Ich will an dieser Stelle auf das Memoran-
d
S
s
v
d
s
d
k
l
v
b
c
a
R
w
S
c
a
f
T
w
M
f
m
k
s
d
K
m
p
f
V
d
w
S
s
h
f
–
z
l
s
1
s
g
d
w
l
u
H
m
m
d
d
(C
(D
um zur Änderung der Strafprozessordung und des
trafgesetzbuches der Behandlungsinitiative Opfer-
chutz e.V. Karlsruhe verweisen. Diese rückt den prä-
entiven Opferschutz im Strafvollstreckungsverfahren in
as Zentrum, indem sie sich für eine psychotherapeuti-
che Behandlung bestimmter Straftäter ausspricht, um
en gebotenen Schutz des Opfers mit den Persönlich-
eitsrechten des Täters in Einklang zu bringen. Wir stel-
en heute fest, dass häufig bereits die richtige Erfassung
orhandener Störbilder in der Hauptverhandlung unter-
leibt und die notwendige Aufarbeitung in den entspre-
henden Vollzugs- bzw. Maßregeleinrichtungen gerade
uch aufgrund der knappen personellen und finanziellen
essourcen nicht stattfindet. Auch diesen Aspekt sollten
ir nicht unberücksichtigt lassen, wenn wir über die
tärkung des Opferschutzes reden. Es ist nicht das einfa-
he Wegsperren. Die wirkliche Bearbeitung und die Ver-
rbeitung entsprechender Defizite in der Vollsteckung
ühren zur Prävention und Vermeidung von Rückfällen.
Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass das
hema Opferschutz und Stärkung der Opferrechte ein
eites Feld betrifft. Manche Ansätze erfordern ein hohes
aß an Differenzierung und vor allem den Blick auf Op-
er und Täter. Ich bin mir sicher, dass wir in den kom-
enden Beratungen all diese Gesichtspunkte ansprechen
önnen und diskutieren werden. Ich freue mich auf kon-
truktive Beratungen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
em 1. Opferrechtsreformgesetz 2004 hat die rot-grüne
oalition die Opfer von Straftaten in den Blick genom-
en und ihre Rolle als schutzwürdige Subjekte im Straf-
rozess gestärkt. Wir haben die Informations- und Ver-
ahrensrechte der Nebenklage gestärkt, Regelungen zur
ermeidung von Mehrfachvernehmungen eingeführt,
en Anspruch auf kostenlose Beiordnung eines Opferan-
altes auf Angehörige von Getöteten ausgeweitet und
chadensersatzansprüche durch die Stärkung des Adhä-
ionsverfahrens besser durchsetzbar gemacht.
Den Weg der Stärkung von Opferrechten geht der
eute zu diskutierende Regierungsentwurf eines 2. Op-
errechtsreformgesetzes weiter. Viele Regelungen sind
jeweils für sich genommen – nicht angreifbar, sondern
u begrüßen. Das gilt für die Verfahrensrechte von Ver-
etzten, insbesondere die Beiordnung von Verletztenbei-
tänden, dies gilt für jugendliche Zeugen zwischen dem
6. und dem 18. Lebensjahr, und dies gilt auch für
chutzbedürftige Zeugen im Strafverfahren.
Aber wir können und wollen nicht alles unbesehen
utheißen. In den Beratungen im Rechtsausschuss wer-
en wir einiges kritisch unter die Lupe nehmen. Hier
ill ich schon einmal die Regelung der Ausschlussmög-
ichkeit des Zeugenbeistandes nach § 68 b StPO nennen
nd auch die Ergänzung des dringenden Verdachts beim
aftgrund der Wiederholungsgefahr, der nach der For-
ulierung künftig auch auf rechtskräftige Freisprüche
itgestützt werden kann.
Ich will aber heute die grundsätzliche Entwicklung
es Strafprozesses ansprechen. Es muss jedem klar sein,
ass das gesamte Strafverfahren und insbesondere der
22568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
Strafprozess vor Gericht von gegenläufigen Interessen
bestimmt ist. Da diese Interessen – der Strafanspruch des
Staates, das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches
Verfahren und der Anspruch auf Achtung der höchstper-
sönlichen Rechte aller Akteure, besonders der Opfer und
Verletzten – alle verfassungsrechtlich abgesichert sind,
müssen sie so in ein filigranes Gleichgewicht gebracht
und gehalten werden, dass keines dieser Rechte in sei-
nem Kern verletzt oder gar ausgehebelt wird. Dabei
funktioniert dieses System insgesamt nach der Regel der
kommunizierenden Röhren. Jede Stärkung der einen
Seite kann oder muss die Schwächung des Gegenparts
bedeuten.
Als wir in der letzten Legislaturperiode das Opfer-
rechtsreformgesetz einbrachten, haben wir auch deutlich
gemacht, dass es uns Grünen besonders wichtig ist – da-
mals im Einvernehmen mit unserem Koalitionspartner
SPD –, die Einbindung in eine Gesamtreform der Straf-
prozessordnung zu erreichen. An dieser StPO-Reform
haben wir zu der Zeit intensiv gearbeitet, konnten sie
aber leider wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht
vollenden. Die Große Koalition hat sich dagegen von
diesem Projekt umgehend verabschiedet – sie hat dies
schon gar nicht in ihren Koalitionsvertrag aufgenom-
men. Aus der Gesamtschau erkennen wir jetzt deshalb
die Unwucht der vorgelegten Änderungsvorschläge des
jetzigen Entwurfs. Nicht die einzelnen Vorschläge – je-
denfalls die meisten nicht – sind problematisch, sondern,
dass Ausgleichsmaßnahmen bei den anderen Prozessbe-
teiligten – besonders bei der Verteidigung und den Be-
schuldigten – fehlen. Denn die Rechte der verschiedenen
Beteiligten im Strafprozess stehen in Wechselwirkung
zueinander und sollten daher in ein Gesamtkonzept ein-
gebunden sein.
Also: Nichts gegen erweiterte Gewährung eines Op-
feranwalts auf Staatskosten – aber wo ist der seit langem
nötige Ausbau der Pflichtverteidigung im Vorverfahren,
verbunden mit eigenem Antragsrecht und entsprechen-
der Belehrung? Es fehlt auch weiterhin die Pflichtvertei-
digung vom ersten Tag der Haft an, obwohl das auch
neulich hier im Plenum anlässlich der Debatte über das
Untersuchungshaftrecht von Kollegen der Koalition fest
zugesagt wurde. Aber damit lassen Sie sich Zeit, da lässt
man die Legislaturperiode auslaufen.
Nichts gegen die Ausdehnung der Anwesenheitsbe-
fugnis des anwaltlichen Verletztenbeistands bei polizeili-
chen Vernehmungen – siehe § 406 f StPO – und des an-
waltlichen Zeugenbeistandes § 68 b StPO – aber wo ist
die entsprechende frühzeitige Einbindung der Verteidi-
gung im Ermittlungsverfahren? Wir brauchen ein Recht
der Verteidigung auf Anwesenheit und Mitwirkung bei
allen Beschuldigtenvernehmungen und bei allen staats-
anwaltlichen und richterlichen Zeugenvernehmungen.
Es ist in Ordnung, die Opfer noch umfassender als
bisher und auch schriftlich über ihre Rechte zu informie-
ren – aber bei Beschuldigten warten wir in Deutschland
und erst recht auf europäischer Ebene immer noch auf
den Letter of Rights. Dabei geht es doch um von der Jus-
tizministerin selbst vehement geforderte rechtsstaatliche
Mindeststandards. Und wenn wir schon bei den Beleh-
r
m
n
w
m
i
p
i
d
–
a
s
m
e
e
s
g
s
m
S
p
a
s
p
w
A
p
n
S
d
m
K
s
s
n
v
l
f
a
H
ti
e
p
b
l
H
d
(C
(D
ungen sind: Warum erhält nicht jeder Zeuge die Infor-
ation, dass er zu einer polizeilichen Vernehmung gar
icht erscheinen muss? So ist die Rechtslage, aber sie ist
eitgehend unbekannt. Wir brauchen eine Pflicht der Er-
ittlungsbehörden, den Beschuldigten über die gegen
hn laufenden Ermittlungen zum frühestmöglichen Zeit-
unkt zu informieren, wir brauchen ein Anhörungsrecht
m Zwischenverfahren und eine Eingangsstellungnahme
er Verteidigung nach der Anklageverlesung.
Wenn wir die Nebenklage weiter stärken, was wir
im vorgelegten Umfang – nicht kritisieren, müssen wir
uch die Position der Verteidigung bedenken. Der Deut-
che Anwaltverein hat den interessanten Vorschlag ge-
acht, das Fragerecht neu zu regeln. Die Verteidigung
rhält nach dem Gericht als erste das Fragerecht, danach
rst die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage. Und
chließlich erlaubt die moderne Aufnahmetechnik ohne
roßen Aufwand und unter Einsparung erheblicher Per-
onalressourcen die lückenlose Aufnahme aller Verneh-
ungen und der Hauptverhandlung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wenn
ie bereit sind, aus Ihrem Opferreformgesetz ein Straf-
rozessreformgesetz zu machen, wenn Sie bereit sind,
uf allen Seiten im Strafverfahren für Verbesserungen zu
orgen, werden Sie uns als konstruktiven Diskussions-
artner gewinnen. So können und sollten Sie Ihren Ent-
urf in den kommenden Beratungen verbessern.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Ent-
fernungspauschale (Zusatztagesordnungspunkt 4)
Olav Gutting (CDU/CSU): Beim Thema Pendler-
auschale verstehen unsere Bürgerinnen und Bürger
ach knapp zwei Jahren Unsicherheit zu Recht keinen
paß mehr. Umso unverständlicher war die Entschei-
ung des Bundesfinanzministeriums, die Berufspendler
it dem Vorläufigkeitsvermerk ohne entsprechende
ommunikation in dem jeweils geänderten Steuerbe-
cheid erneut zu verwirren. Ich möchte jedoch auch klar-
tellen, dass der Vorläufigkeitsvermerk rein rechtlich
icht zu beanstanden ist. Schließlich hatte das Bundes-
erfassungsgericht entschieden, dass bis zu einer gesetz-
ichen Neuregelung die Beschränkung „ab dem 21. Ent-
ernungskilometer“ entfällt.
Die nach dem Urteil entstandene Verunsicherung wäre
llerdings mit einfachen Mitteln zu verhindern gewesen.
ier hätten wir uns aus der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
on eine deutlich bessere Kommunikation – etwa durch
in Begleitschreiben – vorgestellt, welches den Berufs-
endlern die Notwendigkeit des Vorläufigkeitsvermerks
esser erklärt hätte. So aber musste bei den Steuerzah-
ern der Eindruck entstehen, die Politik möchte sich ein
intertürchen offen lassen, um bei nächster Gelegenheit
ie Rückerstattung wieder einzutreiben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22569
(A) )
(B) )
Um die mit diesem Vorläufigkeitsvermerk hervorge-
rufene Verunsicherung rasch zu beenden, hat sich die
Union frühzeitig für eine gesetzliche Wiederherstellung
der alten Pendlerpauschale eingesetzt. Es ist ein Erfolg
der Union, dass unser Koalitionspartner diesem Anlie-
gen folgt und gemeinsam mit uns die jetzt vorliegende
Gesetzesinitiative auf den Weg bringt. Mit dieser Initia-
tive wollen wir gemeinsam die alte Pendlerpauschalen-
regelung wieder in Kraft setzen. Dies bedeutet, dass zu-
künftig nicht nur die Entfernungspauschale ab dem
1. Kilometer gesetzlich wieder eingeführt wird, sondern
dass auch die anderen Regelungen in diesem Zusam-
menhang, welche das Bundesverfassungsgericht nicht
beanstandet hat, wieder eingeführt werden. Mit der Än-
derung der Rechtslage zum 1. Januar 2007 wurde näm-
lich auch die Möglichkeit genommen, Unfallkosten, die
auf dem Weg von oder zur Arbeit entstanden sind, neben
der Pendlerpauschale geltend zu machen. Ebenfalls ab-
geschafft wurde der Abzug der Aufwendungen für die
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für die Wege von
der Wohnung zur Arbeit, wenn diese höher als die Pend-
lerpauschale waren. Für viele Bürgerinnen und Bürger,
die ständig weite Strecken zum Arbeitsplatz pendeln
müssen, bedeutete die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts Balsam für die Seele und vor allem für den
Geldbeutel.
Lassen Sie mich aber auch all jenen aus der Opposi-
tion, welche von Anfang an gegen die Änderung der
Pendlerpauschale waren und nun nach der Entscheidung
des Verfassungsgerichtes mit einer gewissen Häme und
Schadenfreude reagieren, eines deutlich sagen: Die Koali-
tion akzeptiert selbstverständlich das Urteil unseres
höchsten Gerichtes und setzt nun mit dem Gesetzentwurf
die Entscheidung des Verfassungsgerichts konsequent
um und sorgt damit für Rechtssicherheit. Ich gehöre
nicht zu denen, die mit der Entscheidung des Gerichts
vollauf zufrieden sind. Ich erinnere daran, dass selbst das
Bundesverfassungsgericht nicht einstimmig, aber eben
doch mehrheitlich für eine Verfassungswidrigkeit votiert
hat.
Die unpopulären Änderungen bei der Pendlerpau-
schale sind uns damals nicht leichtgefallen. Sie waren
aber notwendig, um den Bundeshaushalt, der am Ende
von Rot-Grün ein strukturelles Defizit von beinahe
60 Milliarden Euro aufwies, zu sanieren. Diese Schul-
denpolitik ist uns teuer zu stehen gekommen und wird
noch lange als Hypothek auf den Schultern unserer Kin-
der und Enkel lasten. Auch wenn das Urteil aus konjunk-
tureller Sicht zum richtigen Zeitpunkt kam, so ist es aus
finanzpolitischer und haushälterischer Sicht nicht zu be-
grüßen. Verantwortlich für diese finanzpolitische Misere
ist nicht das Verfassungsgericht. Wir als Gesetzgeber
sind verantwortlich. Hierbei rächt sich besonders, dass
wir es seit vielen Jahren versäumen, ein einfaches, trans-
parentes und damit gerechtes Einkommensteuersystem zu
schaffen.
Da ist es kein Wunder, dass unser Verfassungsgericht
bei der Kompliziertheit unseres Einkommensteuerrechts
zunehmend einzelne Bestimmungen für verfassungswid-
rig erklärt. Mit jeder Steueränderung – sei es durch die
Schaffung von Ausnahmen, europarechtliche Vorgaben
u
Ä
s
k
d
s
d
f
a
v
a
a
T
d
w
w
m
G
p
r
A
t
s
d
a
2
K
d
b
„
A
p
w
W
i
d
b
t
F
R
s
P
M
n
M
f
m
d
w
s
d
z
(C
(D
nd Urteile – wird dieses System weiter verkompliziert.
nderungsgesetze können dann nur noch Flickschusterei
ein. Es bleibt ein einziges Herumgeschraube am Ein-
ommensteuersystem. Wir müssen daher die Entschei-
ung des Bundesverfassungsgerichts nochmals als An-
toß betrachten, über einen wirklichen Systemwechsel in
er Einkommensteuer nachzudenken. Wir, die Unions-
raktion, sind dazu bereit, eine Einkommensteuerreform
nzuschieben, die gerade die Mittelschicht entlastet, die
ereinfacht und schon aufgrund der Einfachheit ein mehr
n Gerechtigkeit bietet.
Florian Pronold (SPD): Zum wiederholten Male,
ber dieses Mal zum guten Abschluss, haben wir das
hema Entfernungspauschale auf der Tagesordnung. Mit
er Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs
erden wir die alte Gesetzeslage, wie sie 2006 bestand,
ieder dauerhaft herstellen.
Der Gesetzentwurf wird auch von CDU und CSU
itgetragen, die sich bei der Pendlerpauschale schon zur
enüge selbst vorgeführt haben: Im CDU/CSU-Wahl-
rogramm von 2005 wurde eine Menge Steuererleichte-
ungen versprochen. Auf Seite 17 wird aber nicht nur die
bschaffung der Steuerfreiheit von Nacht- und Sonn-
agsarbeit, sondern auch die Kürzung der Pendlerpau-
chale gefordert. Das war die damalige Programmatik
er CDU/CSU.
Die Historie ist, dass die SPD die Pendlerpauschale
b dem ersten Kilometer beibehalten wollte. Das hat
005 in unserem SPD-Wahlmanifest gestanden. In den
oalitionsverhandlungen hat die SPD durchgesetzt, dass
ie Steuerfreiheit der Nacht- und Sonntagsarbeit erhalten
leibt. Im Gegenzug hat sich die CDU/CSU im Punkt
Kürzung der Pendlerpauschale“ durchgesetzt.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens fand eine
nhörung im Deutschen Bundestag statt, in der kein Ex-
erte gesagt hat, dass der damals vorliegende Gesetzent-
urf, den die CDU/CSU wollte, verfassungskonform ist.
ir haben der Union mehrmals angeboten – das habe
ch schon mehrfach in diesem Hohen Haus erwähnt –,
iese Regelung zu ändern – während des Gesetzge-
ungsverfahrens, nach den Urteilen von Finanzgerich-
en. Diese Vorstöße sind aber jeweils gescheitert an der
ührung der Union, insbesondere auch der CSU.
Aber auch FDP und Grüne müssen hier keine großen
eden schwingen. Die FDP wollte die Entfernungspau-
chale immer in ihren Steuerkonzepten opfern. Die
endler hätten die Zeche für die Steuergeschenke an
illionäre gezahlt. Und die Grünen wollten die Entfer-
ungspauschale halbieren, ein schwerer Schlag für die
enschen im ländlichen Raum, die nicht auf einen öf-
entlichen Personennahverkehr zurückgreifen können.
Die CSU hat in Bayern immer so getan, als hätte sie
it den Entscheidungen in Berlin nichts zu tun! Nach
er verloren Kommunalwahl haben Sie sich als Feuer-
ehrmann in Sachen Pendlerpauschale aufgespielt, tat-
ächlich waren Sie Brandstifter und haben auch im Bun-
estag nichts getan, um mit der SPD die alte Regelung
ur Pendlerpauschale wieder herzustellen.
22570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
Deshalb blieb nichts anderes übrig, als das Verfas-
sungsgerichtsurteil abzuwarten. Und es war eine schal-
lende Ohrfeige für die CSU. Nicht an ihren Worten, an
ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Aber die CSU konnte es nicht lassen, weiterhin zu
tricksen und den Menschen Sand in die Augen zu
streuen – auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts.
Frei nach dem Motto: Gibt’s im Sommer Eis und
Schnee, Schuld ist nur die SPD bzw. ihr Finanzminister.
Sie wollte den schwarzen Peter für ihre Sünden dem Fi-
nanzminister unterjubeln. Die Finanzpolitiker der Union
hatten es nach dem Urteil des Verfassungsgericht abge-
lehnt, den alten Rechtszustand gesetzlich festzuschrei-
ben. Wir Sozialdemokraten wollten sofort Rechtssicher-
heit. Die Union hat sich geweigert: Damit mussten alle
aktuellen Bescheide vorläufig ergehen. Und Seehofer hat
eine Kampagne gestartet nach dem Motto, der Finanzmi-
nister will den Menschen die gerade ausbezahlte Pend-
lerpauschale wieder wegnehmen. Ein völliger Schwach-
sinn. Dann hat er eine Bundesratsinitiative gestartet mit
dem Ziel, den alten Rechtszustand sofort gesetzlich fest-
zuschreiben: dasselbe, was seine CSU-Bundestagsabge-
ordneten gerade hier abgelehnt hatten. Und selbst nach
der Initiative der bayerischen Staatsregierung hat die
Unionsführung im Bundestag alle Initiativen der SPD
abgelehnt, die Pendlerpauschale rechtssicher zu machen.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man könnte sagen,
Ende gut, alles gut. Aber: Dieses durchschaubare
Schwarze-Peter-Spiel der CSU lassen wir uns nicht ge-
fallen. Wir Sozis haben für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer gekämpft, die Union hat sie im Regen ste-
hen lassen. Der Schwarze Peter in Sachen Pendlerpau-
schale gehört, farblich richtig zugeordnet, zu den
Schwarzen!
Dr. Volker Wissing (FDP): Die Debatte um die
Pendlerpauschale ist exemplarisch für die politische Ar-
beit der Großen Koalition, exemplarisch bezüglich des
Ergebnisses: Wir führen wieder genau die Regelung ein,
die wir bereits hatten. Millionen von Steuerzahlerinnen
und Steuerzahlern wurden vollkommen unnötig in Unsi-
cherheit gehalten. Die Finanzämter wurden vollkommen
unnötig mit Vorläufigkeitsvermerken immobilisiert. Das
Bundesverfassungsgericht wurde vollkommen unnötig
damit beschäftigt, weil von Anfang an klar war, dass dieses
Gesetz nicht verfassungskonform ist. Die Große Koali-
tion hat mit einem maximalen Aufwand ein Nullergebnis
präsentiert.
Aber auch in Bezug auf den Umgang von CDU/CSU
und SPD mit der Verfassung ist die Pendlerpauschale
exemplarisch für die Arbeit der Großen Koalition. Die
Verfassung ist das Fundament, auf dem unser ganzes
Gemeinwesen ruht. Da werkelt man nicht einfach so
dran herum. Aber bei CDU/CSU und SPD heiligt der
Zweck nahezu alle Mittel. Um eine höhere Steuerbelas-
tung durchzusetzen, strapaziert man eben auch mal die
Verfassung. Und wenn Sie wenigstens aus Ihrem Pend-
lerpauschalendesaster gelernt hätten, aber nein, bei der
Erbschaftsteuerreform haben Sie das gleiche Spiel
betrieben. Der Verfassungsbruch als Kollateralschaden
ist immer wieder Teil des Einigungsprozesses zwischen
C
r
k
s
s
w
v
m
d
r
m
p
S
g
n
ü
ti
a
k
s
N
a
s
n
l
p
L
s
w
b
e
n
b
H
b
S
P
w
s
s
d
w
e
b
v
M
u
v
6
p
d
e
s
k
(C
(D
DU/CSU und SPD. Egal ob innere Sicherheit, Steuer-
echt, Jobcenter, wenn Sie überhaupt zu einer Einigung
ommen, dann eben auch gerne auf Kosten der Verfas-
ung. Und wenn die Probleme gar nicht anders zu lösen
ind, dann wird eben passend gemacht, was nicht passen
ill. Wenn man, wie bei den Jobcentern, unfähig ist, eine
erfassungskonforme Lösung zu finden, dann ändert
an eben die Verfassung. Wie können Sie eigentlich von
en Bürgerinnen und Bürgern die Einhaltung von Spiel-
egeln einfordern, die Sie bei jeder Gelegenheit verletzen?
Aber auch in Bezug auf das Verhalten des Bundes-
inisters der Finanzen war die Debatte um die Pendler-
auschale beispielhaft. Ich weiß nicht, wie oft Peer
teinbrück wiederholt hat, dass er sich der Verfassungs-
emäßheit absolut sicher sei. Am Anfang wollte er wohl
och die Menschen, am Schluss nur noch sich selbst
berzeugen. Aus der Suggestion wurde eine Autosugges-
on. Aber das Verfassungsgericht hat ihn sehr unsanft
uf den Boden der Verfassung zurückgeholt. Steinbrück
am, sah – und ging als begossener Pudel vom Platz. Das
teuerpolitische Chaos der Großen Koalition hat einen
amen, und zwar: Steinbrück. Als Haushaltskonsolidierer
ngetreten, als Steuer- und Schuldenmaximierer abtreten,
o lässt sich die politische Erfolgsbilanz des Finanzmi-
isters zusammenfassen.
In einem weiteren Punkt ist die Debatte um die Pend-
erpauschale beispielhaft, und zwar in Bezug auf die
olitische Gestaltungskraft der Großen Koalition. Große
ösungen wurden den Bürgerinnen und Bürgern ver-
prochen, und nicht einmal kleinste geliefert. Niemand
ird ernsthaft behaupten, dass es den Menschen heute
esser geht als zu Beginn der Großen Koalition. Nicht
in einziges der sozialen Sicherungssysteme ist so orga-
isiert bzw. reformiert, dass man es als zukunftsfähig
etrachten könnte. Nicht eine der großen politischen
erausforderungen, vor denen unser Land steht, kann als
ewältigt betrachtet werden. Vier Jahre CDU/CSU und
PD waren vier verlorene Jahre für unser Land.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Sie die
endlerpauschale heute wieder einführen, ist gut. Besser
äre es allerdings gewesen, Sie hätten sie nie abge-
chafft. Am Ende dieser Großen Koalition müssen Sie
elbst eingestehen, dass wir mit viel Aufwand dort wie-
er stehen, wo wir ohne diese Regierung schon einmal
aren. Ihre Erfolgsbilanz ist gleich null.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Seit Dezember hat
s der Bundesfinanzminister schwarz auf weiß: Die 2006
eschlossene Abschaffung der alten Pendlerpauschale ist
erfassungswidrig! Eine schallende Ohrfeige für den
ann, der versucht hat, ein bestätigtes Steuerprinzip zu
ntergraben, wonach alle beruflich bedingten Kosten
om Einkommen der Steuerpflichtigen abzuziehen sind.
4 Prozent dieser Kosten sind Fahrtkosten zum Arbeits-
latz. Und nun: Rolle rückwärts! Ein Armutszeugnis für
ie Arbeit der Großen Koalition.
Der Höhepunkt der Dreistigkeit ist jedoch, dass die
rzwungene Wiedereinführung der alten Pendlerpau-
chale zum Bestandteil des ersten Konjunkturpakets er-
lärt wurde. Aber auch nach dem Urteil will der Bundes-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22571
(A) )
(B) )
finanzminister langfristig nicht auf seine Steuerquelle in
Höhe von jährlich 2,5 Milliarden Euro verzichten. Wäh-
rend er gleichzeitig, nahezu selbstverständlich, Hunderte
von Milliarden Euro schwere Schutzschirme für Groß-
banken aufspannt, bekommen die Steuerzahlerinnen und
-zahler nur vorläufige Bescheide bei der Pendlerpau-
schale. Noch am 6. Februar sagte das Bundesfinanzmi-
nisterium: „… eine gesetzliche Neuregelung ist auch für
diese Legislaturperiode nicht vorgesehen … Wie eine
künftige endgültige Regelung der Pendlerpauschale aus-
sieht, hängt von den Entscheidungen des nächsten Bun-
destages ab.“ Der Plan war wohl, bis zur Bundestags-
wahl das Thema nicht mehr anzurühren. Danach kann
bei Gefallen wieder abkassiert werden. Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler wären wieder einmal die Ange-
schmierten gewesen, weil die Große Koalition sich nicht
zu einer sofortigen Neuregelung durchringen konnte.
Immerhin haben Sie jetzt, auf öffentlichen Druck hin,
die alte Pendlerpauschale wieder eingeführt. Damit er-
füllen Sie eine alte Forderung der Fraktion Die Linke:
Wir haben Ihnen seit Juni 2006 dreimal die Möglichkeit
geboten, die von Ihnen vorgenommene verfassungswid-
rige und ungerechte Abschaffung der Pendlerpauschale
zurückzunehmen. Aber jetzt bestünde die Gelegenheit
für eine gerechte und verfassungsmäßige Neuregelung.
Von der alten Pendlerpauschale profitierten besonders
Steuerpflichtige mit hohem Einkommen. Ein Beispiel:
Ein alleinstehender Maurer hat 2008 einen Weg von
40 Kilometern zur Arbeit und arbeitet an 220 Tagen im
Jahr. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von
20 000 Euro bekommt er bestenfalls eine Steuerersparnis
von 736 Euro; wäre er Journalist mit einem Einkommen
von 60 000 Euro, könnte er dagegen bis zu 1 108 Euro
sparen. Die Besserverdienenden werden bevorzugt –
wieder einmal. Die Linke will daher die Pendlerpau-
schale in einen Abzug von der Steuerschuld umwandeln.
Damit erhält jede und jeder Steuerpflichtige unabhängig
vom Einkommen den gleichen Betrag je Kilometer er-
stattet. Das wäre gerecht! Aus ökologischen und sozia-
len Gründen sollten darüber hinaus die Kosten für Bus
und Bahn, sofern sie die Pauschale übersteigen, in voller
Höhe abgesetzt werden können. Wir brauchen in diesen
Zeiten einen Schutzschirm für die Menschen – Gerech-
tigkeit bei der Pendlerpauschale gehört dazu!
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bereits der Name des Gesetzentwurfs verrät es: Die
Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD müssen ihre
politische Niederlage bei der Entfernungspauschale ein-
gestehen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
umsetzen. Dies war längst überfällig, und sie hätten allen
Bürgerinnen und Bürgern den Ärger um die Anerkennung
ihrer Fahrtkosten zur Arbeit ersparen können. Sie sind
mit dem Werktorprinzip vor dem Bundesverfassungs-
gericht gescheitert und haben ihr Konsolidierungsziel
von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr verfehlt. Jetzt müssen
sie rückwirkend auszahlen, und das ist richtig.
Noch am 19. Januar 2009 wollte die Bundesregierung
von der heutigen Gesetzesvorlage nichts wissen und er-
klärte in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage (16/11565):
„Es wird keine Gesetzesinitiative für eine rückwirkende
N
d
e
f
d
a
s
li
d
B
R
s
v
K
v
e
p
ä
v
w
o
z
e
d
r
6
v
v
H
r
b
z
m
n
F
m
F
2
2
m
h
v
ü
H
d
S
m
k
s
d
k
u
g
p
n
e
W
(C
(D
euregelung der Pendlerpauschale geben, auch wenn
iese Möglichkeit vom Verfassungsgericht ausdrücklich
röffnet worden sei.“ Dies ist schon eine politische Unver-
rorenheit des Bundesfinanzminsters Steinbrück gegenüber
en steuerpflichtigen Bürgern, weil die Finanzämter bislang
lle Steuererklärungen für die Frage der Entfernungspau-
chale auch rückwirkend offengehalten haben. Offensicht-
ch musste erst der politische Druck im Dampfkessel
er Großen Koalition so stark ansteigen, dass jetzt das
MF einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der endlich
echtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger her-
tellt.
Erinnern wir uns, noch kurz vor dem Verhandlungstag
or dem Bundesverfassungsgericht verteidigten Roland
och von der CDU und Peer Steinbrück von der SPD
ehement das Werktorprinzip. Sie verteidigten damit
ine willkürliche Regelung, die bereits im Rahmen der
arlamentarischen Beratung im Jahr 2006 zum Steuer-
nderungsgesetz 2007 von vielen Sachverständigen als
erfassungswidrig klassifiziert wurde. Koch/Steinbrück
aren beratungsresistent bis zum letzten Tag und sind es
ffensichtlich immer noch. Erst die Verfassungsrealität
wingt zur Aufgabe und Auszahlung vereinnahmter Mehr-
innahmen in einer Größenordnung von 2 bis 2,5 Milliar-
en Euro. Für alle staatlichen Ebenen rechnet die Bundes-
egierung für 2009 mit Steuermindereinnahmen von 5 bis
Milliarden Euro. In dieser Größenordnung haben Sie das
on der Großen Koalition vereinbarte Konsolidierungsziel
erfehlt. Dafür tragen Sie angesichts der explodierenden
aushaltsverschuldung die politische Verantwortung.
Sie hatten 2006 die Möglichkeit, eine verfassungs-
echtlich tragfähige Lösung mit einem Konsolidierungs-
eitrag von 2,5 Milliarden Euro im Jahr zu verabschieden,
um Beispiel mit einem verminderten Centbetrag je Kilo-
eter ab dem ersten Kilometer zur Arbeit. Das haben Sie
icht gewollt und haben finanzpolitisches Chaos bei den
inanzgerichten und den Finanzämtern angerichtet. Erst
it diesem Gesetzentwurf beenden Sie Ihren politischen
ehlritt.
Was passiert nach der Bundestagswahl im Herbst
009? Im Bundestagswahlprogramm der Union von
005 wurde vertreten, die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz
it 25 Cent pro Kilometer für eine Entfernung von
öchstens 50 Kilometer abzugsfähig zu lassen. Die FDP
ertrat die Auffassung, die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz
berhaupt nicht für abzugsfähig zu erklären. An dieser
altung hat sich offensichtlich nichts geändert, wenn man
ie Steuerreformvorschläge von Schwarz-Gelb verfolgt.
ie wollen erhebliche Einschnitte nach der Wahl vorneh-
en, aber heute nicht darüber reden. Die CDU/CSU
ündigt eine Steuerstrukturreform an und will offen-
ichtlich Steuergeschenke mit Steuerbelastungen verbin-
en. Schenken Sie den Wählern reinen Wein ein und
ein Wolkenkuckucksheim. In einer tiefen Rezession
nd explodierender Staatsverschuldung Steuerentlastun-
en für die nächste Legislaturperiode anzukündigen, ist
olitisch unverantwortliches Gerede, weil die unange-
ehmen Nachrichten den Bürgern bis zum Wahltag vor-
nthalten werden. So etwas nenne ich vorbereiteten
ahlbetrug.
22572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über den Vorrang Er-
neuerbarer Energien (Zusatztagesordnungs-
punkt 5)
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Die Verwen-
dung von Biomasse und vor allem die Nutzung von Bio-
gas haben eine große Bedeutung für den Ausbau der er-
neuerbaren Energien und das Erreichen der deutschen
Klimaschutzziele bis 2020. Innerhalb der Nutzung von
Biomasse ist vor allem Biogas ein vielseitig verwendba-
rer und effizienter Energielieferant und ermöglicht Wert-
schöpfung im ländlichen Raum. Wichtige Bedingung für
die effiziente Nutzung von Biogas bei einer Verstromung
vor Ort ist ein sinnvolles Konzept zur Wärmenutzung.
Da das nicht überall zu Verfügung steht, ist die Einspei-
sung von aufbereitetem Biogas in das Erdgasnetz eine
höchst effiziente alternative Möglichkeit, je nach Bedarf
unterschiedliche Nutzungspfade in den Bereichen der
Wärme- und/oder Stromerzeugung oder Mobilität zu be-
dienen. Die Nutzung von Biogas in der zuletzt genann-
ten Anwendung sollte dabei nicht außer Acht gelassen
werden – vermindert sie doch auch die nahezu 100-pro-
zentige Abhängigkeit von Kraftstoffimporten und leistet
einen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Zu-
dem liegt es beim Vergleich der Hektarerträge biogener
Kraftstoffe klar vorn und erzielt deshalb in Bezug auf die
Energieeffizienz besonders gute Ergebnisse, die sich
durch Pflanzenzüchtung noch steigern lassen.
Bioerdgas ist heute jedoch noch teurer als das endli-
che fossile Erdgas. Eine Förderung erfolgt derzeit im
Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes über eine
Verstromungsvergütung. Für die Biogaseinspeisung mit
vorausgehender Aufbereitung ist aus Gründen der Wirt-
schaftlichkeit eine gewisse Anlagengröße erforderlich.
Unsere Anforderung an kleinere wie größere Anlagen ist
allerdings, dass sie nachhaltig betrieben werden. Dazu
braucht es arrondierte Flächen, von denen die Substrate
stammen und die eine Optimierung der Transportwege
zulassen, geschlossene Stoffkreisläufe, bei denen die
Gärreste zurück auf die Äcker gelangen, abwechslungs-
reiche Fruchtfolgen sowie möglicherweise die Verwer-
tung betriebseigener Gülle.
Wie Sie wissen, sind Vergütungen im Rahmen des Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes seit jeher von der Anla-
gengröße abhängig. Große Anlagen können wirtschaftli-
cher arbeiten als kleinere Anlagen und erhalten daher
geringere Vergütungen. Einfallsreiche Anlagenbetreiber
haben diese Situation in den letzten Jahren dahin gehend
genutzt, Biogas in großem Stil zu produzieren und zu-
gleich die bessere Vergütung kleiner Anlagen zu nutzen,
indem sie statt einer großen Biogasanlage viele kleine
Biogasanlagen auf ihrem Grundstück errichtet haben.
Unter dem Ortsnamen „Penkun“ hat diese Vorgehens-
weise für bundesweite Medienberichterstattung gesorgt,
in der zunächst die innovative Anlage sehr gelobt und
später die Gewinnmaximierung ebenso heftig kritisiert
wurde. Diese „Gestaltung“ des Gesetzes hat dem Willen
d
d
v
V
n
u
n
w
g
d
l
k
w
tr
w
e
p
d
I
B
b
l
e
z
s
Z
d
r
r
l
t
f
u
v
i
b
d
n
b
L
s
r
K
G
g
d
s
B
u
a
w
i
e
g
c
r
(C
(D
es Gesetzgebers ohne Zweifel nicht entsprochen. Aller-
ings ist auf juristischer Ebene bislang dagegen nicht
orgegangen worden. Deshalb hat der Gesetzgeber diese
orgehensweise des sogenannten Anlagensplittings im
euen EEG 2009 in § 19 bewusst und ganz ausdrücklich
nterbunden. Das begrüßt die CDU/CSU-Fraktion für
eu zu errichtende Anlagen ebenso ausdrücklich. Damit
ollten wir auch den Anreiz zum Bau sehr großer Bio-
asanlagen mindern – die in den neuen Bundesländern
urchaus ihren Platz finden, doch in den alten Bundes-
ändern, insbesondere in Süddeutschland mit seinen
leinteiligeren ländlichen Strukturen, zu schweren Ver-
erfungen im ländlichen Raum führen können.
Wir sind allerdings auch der Auffassung, dass eine zen-
ale Voraussetzung für das Erreichen unserer Klimaziele
eitere private Investitionen in Anlagen zur Erzeugung
rneuerbarer Energien sind, und dafür sind verlässliche
olitische Rahmenbedingungen unabdingbar. Deshalb
ürfen wir aus Gründen des Vertrauensschutzes und der
nvestitionssicherheit die wirtschaftliche Grundlage von
estandsanlagen – auch derer, die das Anlagensplitting
isher nutzen – nicht zerstören. Investitionen in dreistel-
iger Millionenhöhe stehen infrage, entsprechende Steu-
rverluste durch Abschreibungen sind absehbar und
ahlreiche Arbeitsplätze in strukturschwachen Gegenden
ind in akuter Gefahr. Was in wirtschaftlich „normalen“
eiten möglicherweise zu verkraften wäre, ist in Zeiten
er Finanz- und Wirtschaftskrise kaum zu kompensie-
en. Deshalb muss es für diese Anlagen eine Ausnahme-
egelung geben; zumal mir auch einige Projekte persön-
ich bekannt sind, in denen das „Splitting“ durch
echnische Gründe – optimale Wärmenutzung oder Ver-
ügbarkeit von Generatoren bestimmter Leistung – ver-
rsacht wurde.
Deshalb begrüßen wir als Union ganz besonders den
on den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen
nitiierten Gesetzentwurf des Bundesrates vom Novem-
er 2008 auf Drucksache 16/11833, der eine Sicherung
er Bestandsanlagen fordert. Die FDP hat heute einen
ahezu wortgleichen Antrag in den Bundestag einge-
racht – Drucksache 16/12094 –, den wir jetzt in erster
esung beraten.
Die Union hat sich immer für eine Sicherung der Be-
tandsanlagen stark gemacht. Wir hatten diese Forde-
ung bereits im Sommer letzten Jahres als Antrag in die
oalitionsverhandlungen zum Erneuerbare-Energien-
esetz eingebracht, konnten uns mit dieser Forderung
egenüber dem Koalitionspartner aber leider nicht
urchsetzen. Derzeit wird der § 19 EEG 2009 auf juristi-
cher Ebene beim Bundesverfassungsgericht geprüft.
etreiber von Bestandsanlagen haben Klage eingereicht
nd warten auf eine Entscheidung. Nachdem ein Antrag
uf Erlass einer Einstweiligen Anordnung abgelehnt
urde, steht die Entscheidung in der Hauptsache aus; es
st nicht absehbar, wann sie erfolgen wird. Die Betreiber
iniger Anlagen stehen nach eigenem Bekunden in weni-
en Tagen vor der Insolvenz. Das macht ein unverzügli-
hes Handeln des Gesetzgebers erforderlich.
Unabhängig vom Ausgang des juristischen Verfah-
ens macht auf politischer Ebene die erfolgreiche Verab-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22573
(A) )
(B) )
schiedung des Gesetzentwurfs im Bundesrat Mut. Er
hatte während der Beratungen eine breite Mehrheit im
Umwelt-, im Wirtschafts- sowie im Agrarausschuss ge-
funden. SPD-geführte Länder wie Rheinland-Pfalz,
Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern hatten zu-
gestimmt. Dies gibt Hoffnung, dass auch der Bundestag
eine Regelung zum Bestandsschutz ermöglichen wird.
Dirk Becker (SPD): Mit der Änderung des EEG zum
1. Januar 2009 haben wir durch die Änderung des Anla-
genbegriffs der missbräuchlichen Ausnutzung des EEG
durch die Betreiber großer Biogasanlagen einen Riegel
vorgeschoben. Dies war ausdrücklich der politische
Wille der Mehrheit dieses Parlamentes.
Wille war es auch, eine Rückwirkung dieser Rege-
lung zu beschließen, zumal es sich bei der Änderung im
EEG 2009 lediglich um eine Klarstellung einer auch im
alten EEG bestehenden Rechtslage und keinesfalls um
eine neue Regelung handelt. Der Missbrauch des EEG,
der jährlich zweistellige Millionenbeträge aus der von
den Stromkunden zu finanzierenden EEG-Umlage in die
Taschen ihrer Betreiber spült, durfte nicht noch nach-
träglich legitimiert und belohnt werden, sondern musste
nach unserem Rechtsverständnis zwangsläufig auch
rückwirkend ausgeschlossen werden. Hiergegen wurde
Klage erhoben und zumindest der Antrag auf einstwei-
lige Verfügung durch das Bundesverfassungsgericht ab-
gelehnt. Dies lässt darauf schließen, dass auch in der Sa-
che zugunsten der Regelung im EEG entschieden
werden wird. Und das ist gut so. Um dies jedoch genau
beurteilen zu können, bleibt die Entscheidung in der Sa-
che bzw. die Begründung aus Karlsruhe abzuwarten.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung ihre Stel-
lungnahme zu einem Antrag des Bundesrates auf Ände-
rung des § 19 EEG zurückgestellt, um auf die Gerichts-
entscheidung entsprechend eingehen zu können. Dies
bleibt richtig, auch wenn die FDP nun geschickt den An-
trag des Bundesrates kopiert, politisch Klamauk veran-
staltet, obwohl sie um das gerade beschriebene Verfah-
ren weiß. Es ist doch absurd, eine Gesetzesänderung zu
beantragen, wo das Verfassungsgericht gerade seine Ver-
fassungsfestigkeit prüft.
Die Argumentation des Bundesrates und einiger Ver-
treter der Biogasbranche lautet, dass nicht nur die, die
sich durch Umgehung des EEG einen Vorteil verschafft
haben, nun getroffen werden, sondern auch andere Be-
treiber. Diesen Hinweis nehmen wir sehr ernst. Ich weise
jedoch darauf hin, dass wir vor der Änderung des EEG
über das BMU sehr wohl mit dem Fachverband Biogas
gesprochen haben, um eine Folgenabschätzung vorzu-
nehmen. Die damalige Aussage war, dass wohl nur die
tatsächlichen Missbrauchsfälle betroffen sind. Mittler-
weile sind Zahlen zwischen 40 und 250 Betroffene im
Umlauf, allerdings ohne dass diese Zahlen belastbar und
nachweisbar sind.
Fest steht, dass wir zur Klärung von Streitigkeiten
zwischen Anlagenbetreibern und Netzbetreibern eine
Clearingstelle eingerichtet haben, an die sich jeder Be-
troffene wenden kann. Hier sollen nach meinen Informa-
tionen jedoch nur vier Verfahren anhängig sein. Zwei da-
v
E
r
A
A
t
F
h
w
s
d
k
s
d
w
n
l
g
n
g
w
t
s
d
r
E
h
d
w
b
i
d
Z
g
t
v
S
E
u
B
l
n
d
t
s
d
h
r
p
e
g
G
n
d
h
(C
(D
on betreffen Betreiber, die nach unserer Auffassung das
EG klar umgangen haben und nun auch von der höhe-
en Vergütung für Kleinanlagen auszuschließen sind.
lle anderen Fälle scheinen demnach geklärt, und die
nlagenbetreiber dürften die ihnen zustehende Vergü-
ung erhalten.
Wir brauchen zunächst aber belastbare Zahlen und
akten. Nur auf Basis dieser Fakten und unter Heranzie-
ung der Urteilsbegründung aus Karlsruhe kann beurteilt
erden, ob überhaupt politischer Handlungsbedarf be-
teht oder ob mögliche Grenzfälle nicht über das vorhan-
ene Instrument der Clearingstelle zufriedenstellend ge-
lärt werden können. Falls diese Überprüfung ergeben
ollte, dass dennoch eine gesetzliche Anpassung erfor-
erlich wird, wovon wir derzeit nicht ausgehen, werden
ir handeln. Es kann aber keine Regelung geben, die
achträglich die missbräuchliche Nutzung des EEG zu-
asten der Endverbraucher legitimiert.
Michael Kauch (FDP): Wenn der Gesetzgeber Re-
elungen trifft, die ihm rückwirkend plötzlich selber
icht mehr gefallen, dann darf der Staat diese Regelun-
en trotzdem nicht einfach zulasten der Normadressaten
ieder ändern, zumindest nicht rückwirkend. Das Ver-
rauen der Betroffenen ist schutzwürdig. Da kann man
ich auf die FDP verlassen.
Der Vertrauensschutz gilt selbstverständlich auch
ann, wenn es um das EEG geht. Dass die FDP ihre
echtsstaatliche Überzeugung heute ausgerechnet beim
EG unter Beweis stellt, mag mancher vielleicht als
übsche Pointe empfinden. Denn es ist ja bekannt, dass
ie FDP grundsätzlich andere Vorstellungen darüber hat,
as der Staat tun müsste, um das Potenzial der erneuer-
aren Energien sinnvoll ausschöpfen zu können. Eines
st für uns klipp und klar, und wir haben das immer wie-
er betont: Kaum ein Wirtschaftsbereich ist für die
ukunft unseres Landes wichtiger als die Energieversor-
ung. Und kaum etwas ist hier so wichtig wie das Ver-
rauen der Menschen in stabile Rahmenbedingungen. In-
estoren müssen sich darauf verlassen können, dass der
taat nicht von heute auf morgen seine Meinung ändert.
nergieanlagen, die nach dem geltenden EEG genehmigt
nd errichtet worden sind, genießen also in jedem Fall
estandsschutz. Das Vertrauen der Menschen in verläss-
iche und stabile Rahmenbedingungen steht für die FDP
icht zur Disposition. Die FDP garantiert den Schutz
ieses Vertrauens, und zwar auch dann, wenn das Ver-
rauen sich auf Regelungen bezieht, die die FDP in die-
er Form ursprünglich nicht gewollt und unterstützt hat.
Die Bundesregierung sieht dies offenbar anders: Gegen
ie Stimmen der FDP und trotz eindringlicher Warnung
at die Bundesregierung die Spielregeln beim EEG über-
aschend geändert. Der Anlagenbegriff im EEG wurde
lötzlich so umdefiniert, dass bestehende Anlagen, die in
nger zeitlicher – innerhalb von zwölf aufeinanderfol-
enden Monaten – und lokaler Nähe – auf demselben
rundstück oder in unmittelbarer Nähe – in Betrieb ge-
ommen wurden, bei der Vergütung plötzlich so behan-
elt werden, als ob es sich um eine einzige große Anlage
andelt. Die Bundesregierung hatte nämlich plötzlich
22574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
bemerkt, dass die geltende Regelung auf eine Weise genutzt
wurde, die der Regierung nicht gefiel: Die Investoren
haben bei der Anlagenplanung nämlich versucht, für
sich das Beste herauszuholen. Mit anderen Worten: Die
Investoren haben versucht, ihre Anlagenplanung optimal an
das geltende Recht anzupassen. Als die Bundesregierung
das merkt, ändert sie auch für Altanlagen die Spielregeln
und verringert die gesetzlich garantierte Stromvergütung
– rückwirkend –, und zwar so erheblich, dass viele mittel-
ständische Altanlagen nun auf einmal in ihrer Existenz
gefährdet sind. Dies ist mit der FDP nicht zu machen,
auch dann nicht, wenn wir zur technologiedifferenzierten
Stromvergütung eine andere Meinung haben.
Die FDP legt Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der
klarstellt, dass für Anlagen, die bis zum 1. Januar 2009
in Betrieb genommen worden sind, entsprechende Über-
gangsvorschriften gelten und dass ein wirksamer Be-
standsschutz gilt. Wir haben exakt diesen Sachverhalt
bereits bei der EEG-Novelle als Änderungsantrag vorge-
legt, den CDU/CSU und SPD damals abgelehnt haben.
Die FDP hat die Einbringung eines formulierungsglei-
chen Gesetzentwurfs auch über die Länderkammer be-
gleitet. Auf das Wort der FDP können sich gerade mittel-
ständische Investoren verlassen, nicht nur die Investoren
im Energiebereich, aber auch dort, nicht nur bei den er-
neuerbaren Energien, aber auch dort.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Biomasse hat
unter den erneuerbaren Energien eine besondere Stellung:
Sie ist grundlastfähig und speicherbar; sie ist aber auch
nicht vollständig CO2-neutral und kann zur Überlastung
wertvoller Böden führen. Deshalb ist es erforderlich,
Biomasse zur Energieerzeugung möglichst wirkungsvoll
einzusetzen. Je Hektar Energiepflanzen muss die Energie-
ausbeute so hoch und die Treibhausgaswirkung so gering
wie möglich sein.
Biogas ist deshalb die erste Wahl, weil eine große
Bandbreite an pflanzlichen Eingangsstoffen genutzt werden
kann und bei hohen Energieerträgen die gleichzeitige
Strom- und Wärmenutzung möglich ist. Auch kann Biogas
ins Erdgasnetz eingespeist werden oder Fahrzeuge an-
treiben. Da nur begrenzt Flächen zur Verfügung stehen,
sind aber auch bei Biogas hohe Nachhaltigkeitsstandards
nötig, um den Naturhaushalt nicht zu überfordern und
Konflikte mit der Nahrungsmittelproduktion zu vermeiden.
Und genau an diesem Punkt stößt eine groß dimensio-
nierte Biogaserzeugung an ihre Grenzen. Aneinanderge-
reihte Einzelanlagen auf einem Gelände stellen faktisch
eine Großanlage dar. Sie erfordern enorme Biomasse-
mengen und sind meist ausschließlich auf Maissilage
eingestellt. Die Fruchtfolge und regionale Kreisläufe
werden vernachlässigt. Außerhalb von Ortschaften ange-
siedelt, produzieren sie ausschließlich Strom, und die
Wärmeenergie verpufft in die Umgebung. Das ist
schlicht Verschwendung knapper und wertvoller Roh-
stoffe. Deshalb ist die neue Regelung im EEG 2009 rich-
tig, die Betreiber von Biomasseanlagen zur gleichzeitigen
Strom- und Wärmeabgabe zu zwingen und die EEG-För-
derung zugunsten kleinerer Anlagen nach der Größe aus-
zurichten.
R
d
V
E
g
i
n
A
d
n
z
b
m
u
g
g
e
d
i
v
w
d
d
A
d
u
w
I
ü
k
W
k
d
S
f
o
I
d
T
g
2
s
t
f
w
g
P
v
g
d
d
e
t
2
(C
(D
Der Antrag der FDP geht deshalb in die falsche
ichtung. Das ist aber bei den Liberalen nicht verwun-
erlich – haben sie das EEG ja ohnehin stets bekämpft.
iel sinnvoller ist es, die Einspeisung von Biogas ins
rdgasnetz endlich so durchzusetzen, dass sich die Ab-
abe ins Netz für die Anlagenbetreiber auch lohnt. Dazu
st es erforderlich, die Erdgasunternehmen zur Auf-
ahme von bis zehn Prozent Biogas zu verpflichten.
uch die Aufbereitung auf Einspeisequalität muss Sache
er Röhrenbetreiber sein, damit die Biogaslieferanten
icht zu unerfüllbaren technischen Anforderungen ge-
wungen werden können.
Der Gesetzentwurf der FDP weist zwar auf ein Pro-
lem einzelner Betreiber von Biogasanlagen hin. Man
uss aber auch klar sagen, dass hier das EEG gezielt
mgangen wurde und Anlagen zu einem Zeitpunkt auf-
ebaut wurden, als absehbar war, dass eine strengere Re-
elung im EEG 2009 kommen würde. Die Linke wird
iner Verwässerung des EEG nicht zustimmen und lehnt
en Vorschlag der FDP deshalb ab.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
st schon erstaunlich: Die FDP stellt heute einen Antrag
or zum Schutz von Investitionen, die unter dem welt-
eit erfolgreichsten Gesetz für erneuerbare Energien,
em EEG, getätigt wurden. Das ist gut so. Erstaunlich
aran ist, dass die FDP diese Investitionen schützen will.
nsonsten bekämpft sie nämlich bei jeder Gelegenheit
as EEG und gefährdet damit Milliarden Investitionen
nd Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Natürlich
ürde eine Abschaffung des EEG nicht die getätigten
nvestitionen in Ökostrom-Anlagen gefährden, sie sind
ber die 20-jährige Vergütungsdauer und das Rückwir-
ungsverbot im Grundgesetz geschützt. Aber mit dem
egfall des EEG, wie von der FDP allseits politisch be-
undet, würde der Markt für neue Ökostrom-Anlagen
rastisch einbrechen, was den Absatz aus Fabriken für
olaranlagen, Windkraftanlagen oder Biogasanlagen ge-
ährdet. Damit würden in der heutigen Rezession ganz
hne Not weitere Arbeitsplätze verloren gehen und neue
nvestitionen unmöglich werden.
Nun ist es aber zu begrüßen, dass sich die FDP für
en Bestandschutz von Biogasanlagen einsetzt. In der
at sind einige Investitionen in diesem Bereich höchst
efährdet. Durch die Novelle des EEG, die seit 1. Januar
009 in Kraft ist, stehen Biogasanlagen zum Beispiel im
trukturschwachen und mit hoher Arbeitslosigkeit belas-
eten Penkun vor dem Konkurs. Arbeitsplätze sind ge-
ährdet und ebenso die persönlichen Einlagen von Land-
irten.
Die Große Koalition hat in der EEG-Novelle einen
ravierenden Fehler begangen. Sie hat entgegen dem
rinzip des Rückwirkungsverbotes bereits getätigte In-
estitionen schlechter gestellt, indem sie den Anlagenbe-
riff auch rückwirkend neu definiert hat. Damit gefähr-
en SPD/CDU/CSU in hohem Maße Arbeitsplätze und
en Bestand verschiedener Biogasunternehmen. Dies ist
ine Parallele zum Biokraftstoff-Gesetz, in dem der Ver-
rauensschutz einer ganzen Branche missbraucht und vor
009 bereits eine Besteuerung der reinen Biokraftstoffe
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22575
(A) )
(B) )
vorgenommen wurde, mit dem Ergebnis, dass viele Bio-
dieselanlagen und Pflanzenölmühlen in Konkurs gingen
und 70 000 Arbeitsplätze akut gefährdet sind.
Worum geht es inhaltlich? Manchen Biogasbetreibern
wie in Penkun wird vorgeworfen, erhöhte Vergütung zu
beanspruchen, weil sie eine große Anlage in viele kleine
Anlagen aufgesplittet haben. Kleinere Anlagen bekom-
men pro Kilowattstunde eine höhere Vergütung als große
Anlagen. Es spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber
des alten EEG genau dies verhindern wollte. Wenn aber
Biogasanlagenbetreiber mit der Aufsplittung in kleinere
Anlagen gegen die gesetzlichen Bestimmungen des alten
EEG verstoßen haben sollten, so wäre das ein Fall für
Gerichte. Was nicht angeht, ist eine rückwirkende Geset-
zesänderung mit dem Argument, der frühere Gesetzge-
ber hätte das eben so gemeint. Es ist völlig in Ordnung,
wenn in einer Gesetzesnovelle dies für künftige Investi-
tionen so geregelt wird. Dafür braucht es aber eine Über-
gangsregelung für den Bestandschutz getätigter Investi-
tionen; genau diese fehlt aber in der Novelle des EEG.
Der Bundesrat hat bereits eine entsprechende Geset-
zesänderung vorgeschlagen. Die „geniale“ Leistung der
FDP ist es, den Gesetzestext des Bundesrates in dem hier
vorliegenden Antrag wortgleich zu übernehmen. Beach-
tenswert ist, dass der mehrheitlich von Union und SPD
dominierte Bundesrat an diesem Punkt die von Union
und SPD verabschiedete EEG-Novelle als Fehler an-
sieht. Wir Grünen fordern die Große Koalition auf, end-
lich Klarheit in dieser Angelegenheit zu schaffen, die
gleichzeitig die getätigten Investitionen schützt.
Der Schaden, den Sie von der Großen Koalition in der
Bioenergiebranche mit dem Vertrauensbruch bei Bio-
kraftstoffen und Biogas angerichtet haben, ist sowieso
nicht mehr gutzumachen. Sorgen Sie endlich dafür, dass
wieder Vertrauen in der Branche gefasst werden kann,
und korrigieren Sie rückwirkende Gesetzesänderungen,
die getätigte Investitionen gefährden. Nur dann wird die
Bioenergiebranche den von ihr erwarteten Beitrag zur
Belebung der Wirtschaft in der jetzigen Rezession er-
bringen und gleichzeitig Klimaschutz zusammen mit ei-
nem wertvollen Beitrag zur Sicherheit der Gasversor-
gung leisten können.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 3. September 2008 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und dem
Königreich Dänemark über eine Feste Feh-
marnbeltquerung (Tagesordnungspunkt 15)
Jürgen Koppelin (FDP): Endlich wird eines der
größten Verkehrsprojekte für Norddeutschland realisiert.
Mit der festen Fehmarnbelt-Querung wird endlich eine
bisherige Lücke im europäischen Verkehrsnetz geschlos-
sen.
Am 14. Dezember 1999 legte die damalige schles-
wig-holsteinische Landesregierung aus SPD und Grünen
p
F
2
t
3
s
w
t
m
e
Q
t
B
n
l
S
a
g
m
c
z
g
s
w
v
p
v
d
s
V
f
J
S
g
r
z
g
z
d
g
z
W
A
z
B
o
r
h
m
m
r
c
B
g
s
s
(C
(D
er Kabinettsbeschluss fest, dass eine feste Querung des
ehmarnbelts realisiert werden soll. Nachdem am
. September 2008 das dänische Parlament mit Zweidrit-
elmehrheit seine Zustimmung erteilt hatte, wurde am
. September 2008 der lang ersehnte Staatsvertrag zwi-
chen Dänemark und Deutschland unterzeichnet. Damit
urde endlich der Grundstein gelegt für eines der bedeu-
endsten transeuropäischen Verkehrsprojekte der kom-
enden Jahre. In Dänemark gibt es in der Bevölkerung
ine überwältigende Mehrheit für die feste Fehmarnbelt-
uerung. Die wenigen Kritiker auf deutscher Seite soll-
en vielleicht einmal hinterfragen, warum es diese große
egeisterung in Dänemark gibt, während man bei uns
och immer versucht, mit vielen kleinen Bedenken sich
autstark gegen das Projekt auszusprechen.
Durch den Bau der festen Querung rücken nicht nur
chleswig-Holstein und das dänische Lolland, sondern
uch Skandinavien und Westeuropa zusammen. Der
anze norddeutsche Raum, auch Mecklenburg-Vorpom-
ern, wird davon profitieren. Das ist eine der wesentli-
hen Voraussetzungen dafür, dass der Norden Europas
usammenwächst, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch
esellschaftlich. Die Brücke wird die Mobilität der Men-
chen deutlich steigern. Das wird die Wirtschaftsent-
icklung in der Region beschleunigen, weil durch die
erkürzten Fahrzeiten über den Fehmarnbelt die Trans-
ortkosten sinken werden und deshalb der Austausch
on Waren, Kultur, persönlichen Kontakten, Know-how,
ie Begegnung von Personen sowie Innovationen
chneller wachsen werden. Der Brückenschlag über die
ogelfluglinie schafft erhebliche Impulse für Wachstum,
ür Beschäftigung und für gesellschaftlichen Austausch.
etzt müssen wir endlich beginnen, dass auf deutscher
eite das Projekt intensiv begleitet wird.
Laut Bundesverkehrsministerium sollen zur Bewälti-
ung der neuen Verkehrsströme zwei große Maßnahmen
ealisiert werden: Zum einen soll die Bundesstraße 207
wischen Heiligenhafen und Puttgarden vierspurig aus-
ebaut werden. Der Bund wird dafür 90 Millionen Euro
ahlen, das Land wird einen Teil mitbezahlen. Zum an-
eren soll die Bahnstrecke von Bad Schwartau bis Putt-
arden zweigleisig ausgebaut werden. Auch hier sollte
ügig die Finanzierung geplant werden.
Bislang fehlt jedoch jegliches Konzept, auf welche
eise die Hinterlandanbindung realisiert werden soll.
uch fehlt jedes Konzept, aus welchen Mitteln sie finan-
iert werden soll. Ungeklärt ist, ob das Geld aus dem
undesverkehrswegeplan genommen werden soll oder
b andere Verkehrsprojekte in Schleswig-Holstein zu-
ückgestellt werden müssen. Unklar ist, wie viel über-
aupt an Bundesmitteln bereit steht und wie viel Landes-
ittel nötig sind. Schleswig-Holstein und der Bund
üssen endlich für ein klares Projekt- und Finanzie-
ungskonzept sorgen.
Ein weiterer Aspekt macht deutlich, warum ein sol-
hes Konzept erforderlich ist. Zehn Jahre für Planung,
ürgerbeteiligung und Bau sind – das zeigen die vergan-
enen Schienen- und Straßenprojekte in Schleswig-Hol-
tein – keine wirklich lange Zeit. Dies zeigt, dass in die-
er Frage dringend etwas passieren muss. Für mich als
22576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
Bundestagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein steht
fest, dass das zu entwickelnde Konzept mehr beinhalten
muss als den vierspurigen Ausbau der B 207 und den
zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke Bad Schwar-
tau–Puttgarden. Durch diese Maßnahmen ist das Hinter-
land noch lange nicht an die Fehmarnbelt-Brücke ange-
bunden. Was nützt eine vierspurige Beltquerung, wenn
die Autos dann im Stau vor der zweispurigen Fehmarn-
sund-Brücke stehen? Ich würde es auch sehr begrüßen,
wenn auch die Auswirkungen der Fehmarnbelt-Querung
auf die Zukunft des Schiffverkehrsaufkommens auf dem
Nord-Ostsee-Kanal begutachtet werden könnten. Denn
Auswirkungen wird es geben. Ebenso liegt mir daran,
dass verschiedene vom Bundesbeauftragten für Wirt-
schaftlichkeit in der Verwaltung vorgetragene Bedenken
und Anregungen überprüft und als Anregungen ernst ge-
nommen werden. Das Projekt selbst steht allerdings für
mich zu keinem Zeitpunkt in Frage.
All diese Fragen dürfen nicht erst 2018 beantwortet
werden. Wir brauchen eine zügige, mit dem Bund abge-
stimmte Planung im Rahmen eines Projekt- und Finan-
zierungsplanes. Spätestens bei Baubeginn muss Klarheit
in den von mir aufgezählten Punkten herrschen.
Mir war es wichtig, heute auch diese Punkte anzu-
sprechen, wenn wir über den Vertrag zwischen Deutsch-
land und Dänemark über die feste Fehmarnbelt-Querung
sprechen. Mit diesem Vertrag ist ein neues Kapitel der
deutsch-skandinavischen Beziehungen aufgeschlagen
worden zum Wohle auch der Menschen in dieser Region.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Keine Anrechnung
der Abwrackprämie bei ALG II und Eingliede-
rungshilfe (Zusatztagesordnungspunkt 6)
Karl Schiewerling (CDU/CSU): Mit Ihrem Antrag
fordern Sie die Abwrackprämie auch für ALG-II-Bezieher.
Gern erkläre ich Ihnen, warum dieser Personenkreis die
Abwrackprämie nicht erhält.
Im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ist die Nach-
rangigkeit des ALG II insbesondere gegenüber anderen
Transferleistungen festgeschrieben. Dies bedeutet, dass
grundsätzlich jede Einnahme in Geld oder Geldwert, in
dem Fall die Abwrackprämie im Wert von 2 500 Euro,
als Einkommen leistungsmindernd berücksichtigt wird.
Im Gesetz gibt es Ausnahmen, und zwar für Einnah-
men, die einem anderen Zweck als den Leistungen nach
dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht
so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach
dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Engagiert sich
beispielsweise ein ALG-II-Empfänger bei der freiwilli-
gen Feuerwehr, erhält er eine Aufwandsentschädigung.
Diese Einnahme dient einem anderen Zweck als die
Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch. Da
Aufwandsentschädigungen in aller Regel in überschauba-
ren Größen ausgezahlt werden, dürfen diese „zusätzlichen“
Einnahmen auch behalten werden.
2
H
J
s
a
m
e
ü
d
g
w
A
w
r
s
E
b
z
e
a
B
l
S
s
d
v
z
k
l
P
8
i
M
f
d
li
w
m
z
d
w
ß
W
D
G
Z
d
f
z
V
e
s
U
r
(C
(D
Anders verhält es sich natürlich bei einem Betrag von
500 Euro. Erhält ein SGB-II-Empfänger die Prämie in
öhe von 2 500 Euro, um sich ein neues Auto oder einen
ahreswagen anzuschaffen, beeinflusst das seine wirt-
chaftliche Lage erheblich. Die Besserstellung zeigt sich
uch vor dem Hintergrund, dass Hilfebedürftige ihr Ver-
ögen grundsätzlich vor staatlichen Transferleistungen
inzusetzen haben. Jeder Betroffene verfügt je nach Alter
ber ein Schonvermögen. Wer mehr hat, muss zunächst
ie Ersparnisse aufbrauchen, bevor es Geld vom Staat
ibt. Ein Auto mit einem Wert von bis zu 7 500 Euro
ird nicht als Vermögen angerechnet.
Es ist also nicht so, dass SGB-II-Empfänger alle auf ihr
uto verzichten müssen, doch ein Recht auf einen Neu-
agen muss der Staat in diesem Falle auch nicht garantie-
en. Die Umweltprämie wäre für ALG-II-Empfänger
chlicht und ergreifend eine zusätzliche Einnahmequelle.
s ist nicht ersichtlich, warum dieser Personenkreis, der
ereits Hilfe vom Staat in Form der Grundsicherung erhält,
usätzlich, also „on top“ oben drauf zusätzliches Geld
rhalten soll. Irgendwann ist eine Grenze erreicht. Vor
llem müssen wir das auch denjenigen Bürgerinnen und
ürgern erklären, die knapp über den SGB-II-Regelsätzen
iegen und mit ihren Steuern und Sozialabgaben diesen
taat finanzieren.
Wir führen hier eine Phantomdiskussion. Da die Grund-
icherung für Arbeitsuchende – laut unseren Kollegen aus
er Linksfraktion – per se arm macht, kann ich mir kaum
orstellen, dass nun Massen an ALG-II-Empfängern so
ahlungsfähig sind und sich Neu- oder Jahreswagen leisten
önnen. Nehmen wir einen 58-jährigen Langzeitarbeits-
osen. Dieser hat ein Schonvermögen von 6 000 Euro.
lus die 2 500 Euro Umweltprämie könnte er sich für
500 Euro einen Neu- oder Jahreswagen leisten. Fraglich
st doch, ob er für dieses Geld überhaupt etwas findet.
al angenommen, er bekäme auf dem Markt ein Auto
ür diesen Preis, würde dieses wiederum über dem Wert
es geschützten Vermögens des Pkws von 7 500 Euro
egen. Folglich müsste es dann als Vermögen angerechnet
erden. Das ist doch absurd. Vielleicht mag es Ausnah-
en geben. Doch für diese außerordentliche Aktion, die
udem noch ein kleines Zeitfenster hat, das Gesetz auf
en Kopf zu stellen, halte ich nicht für angemessen.
Andrea Nahles (SPD): Die Umweltprämie oder Ab-
rackprämie, wie sie oft auch genannt wird, ist ein gro-
er Erfolg. Sie erfüllt die in sie gesetzten Erwartungen.
ir kurbeln den Absatz umweltfreundlicher Autos an.
amit helfen wir der Umwelt und stützen die Wirtschaft.
enau das war beabsichtigt. Allein im Februar ist die
ahl der Neuzulassungen um 21,5 Prozent gegenüber
em Vorjahr gestiegen. Insgesamt wurden im Februar
ast 280 000 fabrikneue Autos für den Straßenverkehr
ugelassen. Dabei standen kleinere Autos deutlich im
ordergrund. Weniger gefragt waren teure Pkw. Das ist
in deutlicher Hinweis für mich, dass besonders Men-
chen mit niedrigem und mittlerem Einkommen von der
mweltprämie profitieren. Das ist gut und richtig. Ge-
ade für Menschen mit niedrigem Einkommen ist es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22577
(A) )
(B) )
ganz besonders wichtig, ein Auto zu fahren, welches
kostengünstig im Unterhalt ist.
Aber genau hier kommen wir zum Problem. An Men-
schen mit besonders niedrigem Einkommen geht die
Umweltprämie vorbei. Empfänger von Arbeitslosen-
geld II müssen sich die Prämie als Einkommen anrech-
nen lassen. Das war so nicht gewollt. Wir erwarten von
diesen Menschen, dass sie durch Arbeit selbst ihren Le-
bensunterhalt erwirtschaften. Gerade in ländlichen Re-
gionen gibt es jedoch keine ausreichenden Angebote an
öffentlichem Nahverkehr. Arbeitnehmer brauchen dort
daher ein Auto. Und gerade wer wenig Geld hat wie die-
jenigen, die zu ihrem Lohn noch ergänzend Arbeits-
losengeld II bekommen, der braucht ein verbrauchsar-
mes Auto. Die jetzige Regelung kann so nicht bleiben.
Wir brauchen eine gesetzliche Klarstellung ganz ähnlich
wie beim Kinderbonus, der auch allen Kindern zugute-
kommt.
Wie absurd die jetzige Situation ist, zeigt auch der
folgende Vergleich: Würde nicht eine Umweltprämie ge-
zahlt, sondern gewährte der Händler ganz allgemein ei-
nen Nachlass auf seine Wagen, dann käme es nicht zu ei-
ner Einkommensanrechnung.
Ich glaube nicht, dass der Personenkreis, um den es
geht, besonders groß ist. Das ist aber auch gar nicht der
Punkt. Für mich ist das vielmehr eine Frage der Gerech-
tigkeit. Es gibt für mich keinen erkennbaren Grund, ei-
nem Bezieher von Arbeitslosengeld II die Umweltprä-
mie zu verweigern, während beispielsweise ein leitender
Angestellter sie erhält.
Es geht überhaupt nicht darum, dass Arbeitslosen-
geld-II-Empfänger ein neues oder neues gebrauchtes
Auto auf Steuerzahlerkosten bekommen sollen. Wie je-
der andere Bürger auch müssen sie eigenes Vermögen
einsetzen, das heißt auf ihr Schonvermögen zurückgrei-
fen. Vom Staat erhalten sie lediglich einen Zuschuss, den
jeder bekommen kann, der sein altes Auto verschrotten
lässt. Es geht hier also nicht um eine Besserstellung,
sondern um eine Gleichstellung. Die Umweltprämie soll
nicht eine bestimmte Personengruppe besserstellen, son-
dern wir wollen die Wirtschaft ankurbeln und dabei auch
noch der Umwelt helfen. Hier ist es egal, wer der Emp-
fänger der Umweltprämie und damit der Käufer des Au-
tos ist. Und überhaupt: Es geht lediglich um eine einma-
lige, die Konjunktur stützende Aktion. Niemand muss
hier einen Dammbruch befürchten. Ich spreche mich da-
her ganz deutlich und unmissverständlich für eine Geset-
zesänderung aus. Ich appelliere an unseren Koalitions-
partner, noch einmal zu überlegen und sich nicht
vernünftigen Argumenten zu verschließen. Auf Dauer
kann niemand gegen das Gerechtigkeitsempfinden der
Menschen verstoßen.
Heinz-Peter Haustein (FDP): Es geht um die Ab-
wrackprämie und da insbesondere um die Frage, ob die
Prämie in Höhe von 2 500 Euro bei Beziehern von Ar-
beitslosengeld II als Einkommen auf die Transferleis-
tung angerechnet werden muss oder nicht, also ALG-II-
B
T
m
A
u
s
s
e
E
m
a
p
z
f
k
d
u
g
s
d
s
u
t
i
t
ü
s
h
e
e
n
n
n
s
D
s
l
w
h
A
ß
u
d
D
A
a
f
v
l
A
z
N
d
E
d
(C
(D
eziehern, die die Prämie erhalten entsprechend die
ransferleistung gekürzt werden muss.
Schon hier liegt ja der in der öffentlichen Wahrneh-
ung verbreitete Irrtum: Natürlich bekommen alle die
bwrackprämie, die ihr altes Auto verschrotten lassen
nd sich ein neues Auto oder einen Jahreswagen kaufen,
ofern das alte Fahrzeug wenigstens zwölf Monate auf
ie zugelassen war. Es geht hier einzig um die Frage, ob
s sich bei der staatlichen Prämie um anzurechnendes
inkommen handelt. Lassen Sie mich zur Abwrackprä-
ie Folgendes ausführen:
Erstens. Die Abwrackprämie hat einen Grundmangel,
uf den wir von Beginn an hingewiesen haben: Sie ist
rinzipiell völlig untauglich, den ihr zugedachten Zweck
u erfüllen. Zwar stützt sie – wie gewünscht – die Nach-
rage nach Automobilen. Doch die Menschen kaufen
eine deutschen Fabrikate, sondern wählen mehr auslän-
ische Marken, die günstiger in der Anschaffung sind
nd sparsamer im Verbrauch. Das zeigen die Erfahrun-
en bereits. Dem Ziel der Stärkung der deutschen Wirt-
chaft und der Erhaltung von Arbeitsplätzen aber dient
er Kauf eines japanischen oder eines anderen ausländi-
chen Autos kaum.
Zweitens. Doch da sie nun in Kraft ist, müssen wir
ns mit den praktischen Fragen der Umsetzung beschäf-
igen, unter anderem mit der Anrechnungsfrage. Dabei
st zuallererst zu klären, ob es sich bei dem von dem An-
rag der Fraktion Die Linke aufgegriffenen Sachverhalt
berhaupt um ein relevantes Problem handelt, das ge-
etzlich geregelt werden muss. Hartz IV sieht für Bezie-
er von ALG II vor, dass das vorhandene Fahrzeug, so
s veräußert werden kann, in der Regel einen Verkaufs-
rlös von 7 500 Euro nicht übersteigen darf. Es gibt aber
ur wenige Autos, die als Neuwagen oder wenige Mo-
ate altes Fahrzeug, maximal Jahreswagen, diesen Wert
icht übersteigen. Allenfalls ein Modell eines rumäni-
chen oder italienischen Fabrikats kommt da in Betracht.
och das nur am Rande. So weit könnte man noch fest-
tellen, dass das Anliegen der Linken relevant ist, so-
ange es nur überhaupt ein Fahrzeug gibt, das als Jahres-
agen im Wert unter die Marke von 7 500 Euro sinkt.
Viel wichtiger jedoch ist noch die Frage, ob es über-
aupt eine nennenswerte Zahl von Betroffenen gibt, also
LG-II-Bezieher, die ihr Schonvermögen in dieser Grö-
enordnung für einen Neuwagen verwenden möchten
nd sich damit selbst der knappen eigenen Mittel entle-
igen, die für „Notfälle“ gebraucht werden könnten.
ies scheint mir äußerst zweifelhaft. Denn dass ein
LG-II-Bezieher in einer Situation ohne die Gewissheit
uf in Kürze steigende Einnahmen sein Schonvermögen
ür einen Neuwagen aufbraucht, macht ja für mich nicht
iel Sinn und scheint mir auch nicht sehr wahrschein-
ich. Ich kann mir zumindest kaum vorstellen, dass ein
LG-II-Bezieher in einer so schwierigen Lage sein ihm
ur Verfügung stehendes Geld für den Erwerb eines
euwagens aufbringt, anstatt es in die eigene Fortbil-
ung zu investieren oder noch besser: in die Bildung und
ntwicklung der eigenen Kinder. Wir reden immer über
ie große Bedeutung von Bildung. Das gilt auch und ge-
22578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) )
(B) )
rade für Kinder von ALG-II-Bezieher. Insofern wird
wohl kaum ein Betroffener mit dem eigenen Geld ein
neues Auto kaufen, sondern es sinnvoll und mit Bedacht
investieren, statt in den Konsum zu stecken, und das
auch deshalb, weil der vorhandene zehn Jahre alte Golf
ja bei der hohen Qualität unserer heutigen Kfz noch aus-
reicht, um zum Vorstellungsgespräch zu fahren und da-
für der Neuwagen entgegen der Begründung der Frak-
tion Die Linke nicht erforderlich ist bzw. bei erfolgter
Neuanstellung immer noch gekauft werden kann und
hinter anderen Dingen wie zum Beispiel der Bildung der
Kinder ansteht.
Es scheint mir also aus einer Vielzahl von Gründen
angebracht zu sein, hier in den anstehenden Ausschuss-
beratungen noch einmal sorgfältig abzuwägen und von
der Bundesregierung Aufklärung über die Fallzahlen zu
erhalten. Mit einem herzlichen Glück auf aus dem Erz-
gebirge!
Katrin Kunert (DIE LINKE): Mit dem faktischen
Ausschluss von ALG-II-Beziehenden von der Umwelt-
prämie setzt die Bundesregierung ihren Kurs der Aus-
grenzung und Diskriminierung von ALG-II-Beziehen-
den fort. Die Menschen, die eigentlich am meisten am
Konjunkturpaket partizipieren müssten, werden ausge-
schlossen. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie damit
auch all die Menschen ausgrenzen, die trotz Arbeit auf
ergänzende Leistungen angewiesen sind? Und dass
Menschen mit Behinderungen im Grundsicherungs-
bezug, die ganz besonders einen Pkw brauchen, ebenso
unter diesen Ausschluss fallen? Für mich stellt sich
schon die Frage, ob Sie überhaupt darüber nachgedacht
haben, was Sie da beschließen. Anscheinend nicht. Wie
sonst ist es zu verstehen, dass die SPD überrascht
scheint, dass die Umweltprämie auf die Grundsicherung
für Arbeitsuchende angerechnet wird? Es wäre ja gut,
wenn sich die SPD jetzt eines Besseren besinnt und mit
uns gemeinsam diesen unhaltbaren Zustand ändert; denn
ich halte es für einen unglaublichen Vorgang, der korri-
giert werden muss.
Die Fraktion Die Linke gehört mit Sicherheit zu den
größten Kritikerinnen hinsichtlich der sogenannten Um-
welt- oder, wie sie auch genannt wird, Abwrackprämie;
was vielleicht auch treffender ist. Es ist nämlich fraglich,
ob es überhaupt ökologisch sinnvoll ist, den Neukauf
von Autos zu fördern. Zum einen dürfte in einigen Fäl-
len eine ökologische Lebenszyklusanalyse – Ressour-
cenverbrauch und Emissionen beim Bau, Betrieb und
Entsorgung von Pkw – ergeben, dass es sinnvoller wäre,
ältere und bislang wenig gefahrene Autos länger zu nut-
zen, anstatt sie frühzeitig zu verschrotten. Zum anderen
erhält die Abwrackprämie nur, wer sich anschließend ein
neues Auto kauft. Das Umsteigen auf den öffentlichen
Personenverkehr wird dagegen nicht gefördert. Das hat
auch der Präsident des Umweltbundesamtes, Professor
Dr. Andreas Troge von der CDU, kritisiert. Sein Vor-
schlag: Derjenige, der sein Auto verschrotten lässt und
auf den ÖPNV umsteigt, soll einen staatlichen Zuschuss
von 50 Prozent zu einer Jahreskarte, beispielsweise einer
Bahncard 100, erhalten. Diese Idee unterstützen wir.
p
m
a
N
E
d
O
p
ti
tu
e
j
v
S
v
r
e
1
f
2
s
d
t
s
r
m
u
d
b
U
i
g
g
i
s
d
n
a
s
k
d
b
M
a
m
s
2
h
d
g
A
n
b
e
(C
(D
Überdies ist die Abwrackprämie so gut wie nicht an
rogressive Umweltstandards gekoppelt. Der Neuwagen
uss lediglich die Euro-4-Norm erfüllen. Das ist wenig
mbitioniert, denn diese wird nach EU-Recht für alle
euwagen bereits im Herbst dieses Jahres durch die
uro-5-Norm abgelöst. Zudem hätte man die Zahlung
er Prämie im Falle eines Neukaufs an eine strenge CO2-
bergrenze binden können, etwa an 120 oder 130 Gramm
ro Kilometer. Das alles ist nicht geschehen, sodass theore-
sch der Besitzer eines alten, kleinen Golfs bei Verschrot-
ng auch dann die Umweltprämie erhält, wenn er sich
inen spritfressenden Geländewagen zulegt.
Greenpeace hat im Zusammenhang mit dem Kon-
unkturpaket den Vorschlag unterbreitet, bei Neukäufen
on Kfz nach französischem Vorbild ein Bonus-Malus-
ystem einzuführen. Neuwagen mit einem CO2-Ausstoß
on unter 130 Gramm je Kilometer erhalten in Frank-
eich einen Bonus. So bekommt beispielsweise der Käufer
ines Mercedes Smart 1 000 Euro. Bei Autos mit über
60 Gramm je Kilometer wird ein Malus fällig. So müssen
ür den Kauf eines Citroën C6 oder eines VW Touareg
600 Euro zusätzlich auf den Tisch gelegt werden. Aus-
töße zwischen 130 und 160 Gramm pro Kilometer wer-
en vom französischen Staat in diesem System als neu-
ral bewertet. Die Linke hält diesen Vorschlag für
innvoll und bedenkenswert. Schließlich haben in Frank-
eich seither die Neukäufe klimafreundlicherer Autos
it einem CO2-Ausstoß unter 130 Gramm je Kilometer
m 50 Prozent zugenommen – im Jahr 2008 gegenüber
em Vorjahr. Die Verkäufe von Spritfressern sind im sel-
en Zeitraum um 40 Prozent zurückgegangen.
So weit die generelle Kritik meiner Fraktion an der
mweltprämie und deren Ausgestaltung, die wir bereits
n der Vergangenheit geäußert hatten, die aber nicht dazu
eführt hat, hier Änderungen vorzunehmen.
Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung
efällten Entscheidung für die sogenannte Umweltprämie
st es nicht nur sozialpolitisch nicht zu rechtfertigen,
ondern auch ein Skandal, Bezieherinnen und Bezieher
er Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die Anrech-
ung als Einkommen von der Nutzung dieser Prämie
uszuschließen. Nach der Ansicht der Bundesregierung
ei die Umweltprämie im Monat des Zuflusses als Ein-
ommen zu berücksichtigen. In vielen Fällen würde
urch die Umweltprämie keine Hilfebedürftigkeit mehr
estehen und folglich seien diese Personen „in diesem
onat nicht auf die steuerfinanzierte Fürsorgeleistung
ngewiesen“, so die Antwort der Bundesregierung auf
eine schriftlichen Anfragen.
Es wird vollkommen ignoriert, dass es eine Recht-
prechung des Bundessozialgerichts vom 30. September
008 zu der ähnlich gelagerten Eigenheimzulage gegeben
at. In dem Urteil kommt das Bundessozialgericht zu
em Schluss, dass die Eigenheimzulage als „zweck-
ebundenes Einkommen nicht bei der Berechnung des
rbeitslosengeld II zu berücksichtigen“ ist, „soweit sie
achweislich zur Finanzierung – auch der tatsächlichen
aulichen Errichtung in Eigenarbeit oder durch Dritte –
iner als Vermögen geschützten Immobilie im Sinne des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009 22579
(A) )
(B) )
SGB II verwendet worden ist oder nachweislich die Ab-
sicht bestand, sie derart zu verwenden.“ (BSG AZ B4
AS 19/07, Leitsatz).
Die Zahlung der Abwrackprämie ist in analoger
Weise zweckgebunden und erfordert den Nachweis über
den Kauf eines Neu- oder Jahreswagens sowie über die
Verschrottung des alten Personenkraftfahrzeugs. Es gibt
daher keine Rechtfertigung, Hartz-IV-Beziehende und
Menschen mit Behinderung im Grundsicherungsbezug
von dieser Prämie auszuschließen.
Für Bürgerinnen und Bürger ist dieser Ausschluss
auch nicht nachvollziehbar. So erreichten uns in den
letzten Tagen zahlreiche Anrufe, Mails und Briefe, die
darüber ihr Unverständnis zum Ausdruck brachten. Ein
Bürger schrieb: „Das halte ich für eine ungerechtfertigte
Härte, insbesondere für ALG-II-Beziehende im länd-
lichen Raum, die auf ein Fahrzeug angewiesen sind. Be-
sonders als eine unbillige Härte empfinde ich es, wenn
das Fahrzeug des ALG-II-Empfängers durch einen Un-
fall oder Defekt zu einem wirtschaftlichen Totalschaden
wird und eine Ersatzanschaffung erforderlich wird. Ei-
nen Pkw bis zum Wert von 7 500 Euro kann der ALG-II-
Empfänger anrechnungsfrei besitzen, das heißt, er
könnte zum Beispiel einen Dacia erwerben, der als Neu-
wagen ab 5 000 Euro zu bekommen ist. Damit hätte auch
der ALG-II-Empfänger die Bedingungen zum Erhalt der
Umweltprämie erfüllt. Dass ihm diese dann vom Regel-
satz abgezogen wird, ist nicht nachvollziehbar.“
Der Besitz eines Pkws ist für den Personenkreis der
erwerbstätigen Hilfebedürftigen und für Menschen mit
Behinderung im Grundsicherungsbezug vielfach ein not-
wendiges Mittel, um einer Erwerbsarbeit nachkommen
und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können;
und für alleinerziehende Frauen und Männer gilt das
ganz besonders. Bei anderen Hilfeberechtigten ist ein
Pkw vielfach notwendig, um wieder in Arbeit zu gelangen.
Gerade ihnen bietet die Umweltprämie eine Chance, sich
ein Auto innerhalb der zulässigen Angemessenheits-
grenze zu beschaffen und damit ihre Beschäfti-
gungschancen zu erhöhen.
Mit der Verwehrung der Umweltprämie werden
Hartz-IV-Beziehende und Menschen mit Behinderung
im Grundsicherungsbezug erneut ausgegrenzt und dis-
kriminiert. Da die Umweltprämie laut Gesetz allen Per-
sonen zusteht, die sich für den Kauf eines neuen und
gleichzeitig für die Verschrottung eines alten Fahrzeuges
entscheiden, wird damit auch Art. 3 Grundgesetz ver-
letzt.
Ich fordere Sie daher auf, unserem Antrag zuzustim-
men. Er zielt darauf ab, die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass die Umweltprämie nicht auf die Grund-
sicherung von ALG-II-Beziehenden und von Menschen
mit Behinderung, die im Grundsicherungsbezug sind,
angerechnet wird.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
sogenannte Umweltprämie kurbelt den Absatz der Auto-
industrie an. Mit Umweltschutz hat das wenig zu tun,
d
v
b
t
P
s
s
„
d
t
m
h
v
h
g
M
d
n
2
l
B
z
S
L
w
m
l
g
l
g
d
a
D
f
n
n
d
r
a
Z
d
z
w
is
z
d
r
li
s
n
z
m
w
(C
(D
enn die Neuwagen verbrauchen häufig mehr als das
erschrottete Altfahrzeug. Außerdem entstehen rund 15
is 20 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs eines Au-
os bei der Produktion. Einen Umwelteffekt hätte die
rämie also nur dann, wenn die Neuwagen im Durch-
chnitt 20 Prozent weniger verbrauchten als die ver-
chrotteten Autos.
Bei aller berechtigten Kritik an der unter dem Namen
Abwrackprämie“ firmierenden Absatzhilfe sollte sie je-
och – wenn es sie schon gibt – zumindest so ausgestal-
et werden, dass niemand benachteiligt wird. Dies ist
omentan nicht der Fall. Rund 4,6 Millionen erwerbsfä-
ige Menschen erhalten derzeit Arbeitslosengeld II. Da-
on sind rund 1,3 Millionen Menschen erwerbstätig, das
eißt, sie verdienen so wenig Geld, dass sie ihr Monats-
ehalt mit dem ALG II „aufstocken“ müssen. All diese
enschen können nach der jetzigen Rechtsauffassung
er Bundesregierung, namentlich des Bundesarbeitsmi-
isteriums, eben nicht abschlagsfrei die Prämie von
500 Euro in Anspruch nehmen.
Nach unserer Rechtsauffassung dürfte es hier eigent-
ich kein Problem geben. Schon jetzt sieht das Zweite
uch Sozialgesetzbuch vor, dass Einkommen, die
weckbestimmt sind, nicht angerechnet werden können.
o ist beispielsweise die Eigenheimzulage – wie die
inksfraktion in dem vorliegenden Antrag richtiger-
eise ausführt – ein solch zweckbestimmtes Einkom-
en. Sie ist nicht anzurechnen, soweit sie für den eigent-
ichen Zweck, die Finanzierung einer als Vermögen
eschützten Immobilie, bestimmt ist.
Gleiches gilt für die Abwrackprämie. Nach der Richt-
inie zur Förderung des Absatzes von Personenkraftwa-
en vom 20. Februar 2009 erhält man die Prämie gemäß
en Zuwendungsvoraussetzungen erst dann, wenn das
lte Auto verschrottet und ein neues zugelassen wird.
as „Einkommen“ von 2 500 Euro ist nach unserer Auf-
assung nicht anzurechnen, da es für den Zweck der Fi-
anzierung eines als Vermögen geschützten (angemesse-
en) Kraftfahrzeugs bestimmt ist. Die Prämie stellt einen
urchlaufenden Posten dar, der gar nicht zur Finanzie-
ung des Lebensunterhalts verwendet werden kann.
Dass die Bundesregierung zu einer anderen Rechts-
uffassung kommt, ist ärgerlich und unverständlich.
war gäbe es die Möglichkeit, gegen eine Anrechnung
er Prämie auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende
u klagen. Vermutlich hätte man damit auch Erfolg. Wir
ollen aber eine schnelle, unbürokratische Lösung. Es
t ohnehin nicht anzunehmen, dass sehr viele ALG-II-Be-
iehende sich einen Neuwagen anschaffen. Schließlich ist
as zur Verfügung stehende Vermögen im Regelfall ge-
ing und die Anschaffung eines Neuwagens wahrschein-
ch nicht die drängendste Sorge von Langzeiterwerbslo-
en. Außerdem gilt für Leistungsbezieher im SGB II
ach aktueller Rechtsprechung ein eigenes Kraftfahr-
eug nur bis zum Gegenwert von 7 500 Euro als ange-
essen. Ansonsten kann vor dem Hilfebezug die Ver-
ertung des Autos verlangt werden.
22580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
(A) (C)
(B) (D)
Allerdings könnte vielleicht für eine Gruppe unter
denjenigen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen,
die Abwrackprämie interessant sein. Rund 1,3 Millionen
Menschen sind erwerbstätig, stocken ihr monatliches
Gehalt durch Arbeitslosengeld-II-Leistungen nur auf.
Teilweise sind diese Menschen nur temporär abhängig
von staatlicher Hilfsleistung. Die Wahrscheinlichkeit
aber, dass sie auf ein Auto angewiesen sind, um ihrer Ar-
beit nachkommen zu können, ist durchaus gegeben.
Also: Auch wenn es am Ende nur einige Hundert sein
werden, die sich ein neues Kraftfahrzeug anschaffen
möchten, darf die Abwrackprämie – so unsere Forde-
rung – nicht auf die Grundsicherung angerechnet wer-
den. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Rechtsauffas-
sung, muss auf dem schnellsten Wege eine
entsprechende gesetzliche Änderung eingeleitet werden.
Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Bestrebungen,
dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen!
208. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 5. März 2009
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10