Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21297
(A) )
(B) )
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO Gesetzes ein umfassendes Spektrum geheimer Ermitt-
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
**
A
d
d
(
v
s
d
G
d
n
b
M
O
a
h
t
t
A
w
d
a
Z
h
t
T
l
d
k
Ü
s
p
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Aigner, Ilse CDU/CSU 18.12.2008
Andres, Gerd SPD 18.12.2008
Bahr (Neuruppin), Ernst SPD 18.12.2008
Bareiß, Thomas CDU/CSU 18.12.2008
Brüning, Monika CDU/CSU 18.12.2008
Bülow, Marco SPD 18.12.2008
Deittert, Hubert CDU/CSU 18.12.2008*
Dr. Enkelmann, Dagmar DIE LINKE 18.12.2008
Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 18.12.2008
Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A.
CDU/CSU 18.12.2008**
Leutert, Michael DIE LINKE 18.12.2008
Lührmann, Anna BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.12.2008
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.12.2008
Meckel, Markus SPD 18.12.2008
Müller (Chemnitz),
Detlef
SPD 18.12.2008
Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.12.2008
Pronold, Florian SPD 18.12.2008
Reichel, Maik SPD 18.12.2008
Dr. Scheer, Hermann SPD 18.12.2008
Dr. Schmidt, Frank SPD 18.12.2008
Seib, Marion CDU/CSU 18.12.2008
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Frage
es Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
195. Sitzung, Drucksache 16/11350, Frage 6):
Wann wird die Bundesregierung ihren Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Men-
schen mit Behinderungen dem Bundestag zur Entscheidung
vorlegen, und wie wird bei der Erarbeitung des Aktionsplanes
die Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen und die
sie vertretenden Organisationen entsprechend Art. 4 Abs. 3
der Konvention gewährleistet?
Die Bundesregierung wird die Impulse nutzen, die
on dem VN-Übereinkommen über die Rechte der Men-
chen mit Behinderungen ausgehen. Die Verbesserung
er Teilhabe behinderter Menschen am Leben in unserer
esellschaft wird weiterhin ein Schwerpunkt der Arbeit
er Bundesregierung sein.
Die Überlegungen der Bundesregierung über geeig-
ete Instrumente der Umsetzung der Konvention haben
egonnen. Ein nationaler Aktionsplan für behinderte
enschen ist in diesem Zusammenhang eine mögliche
ption. Der Diskussionsprozess ist jedoch noch nicht
bgeschlossen.
Die Bundesregierung wird in guter Tradition die be-
inderten Menschen und die sie vertretenden Organisa-
ionen eng in die Planungen zur Umsetzung der Konven-
ion einbeziehen.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Jörg Tauss und Monika
Griefahn (beide SPD) zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Gesetz zur Ab-
wehr von Gefahren des internationalen Terro-
rismus durch das Bundeskriminalamt (Tages-
ordnungspunkt 3 b)
Ich verweigere dem Entwurf eines Gesetzes zur Ab-
ehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
urch das Bundeskriminalamt (Drucksache 16/10121)
uch in der Fassung des Vermittlungsausschusses meine
ustimmung.
Nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a des Grundgesetzes, GG,
at der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompe-
enz für die Abwehr von Gefahren des internationalen
errorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fäl-
en, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,
ie Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht er-
ennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine
bernahme ersucht. Der Entwurf dient der einfachge-
etzlichen Umsetzung dieser neuen Gesetzgebungskom-
etenz des Bundes.
Das BKA soll im Zuge der Novellierung des BKA-
21298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
lungsinstrumentarien erhalten. Viele Kritiker – und auch
Sachverständige bei der öffentlichen Anhörung BKA-
Gesetzentwurf im Innenausschuss – monierten daher zu
Recht, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dem
grundsätzlichen Trennungsgebot zwischen Polizei und
Geheimdienst nicht hinreichend Rechnung getragen
wird bzw. dass dieses Trennungsgebot quasi aufgehoben
wird. Diese geheimen Ermittlungsinstrumentarien sollen
auch explizit nicht Beteiligte betreffen, die der Gesetzes-
entwurf vage „Kontaktpersonen“ nennt. Als Kontaktper-
son kann den Buchstaben des Gesetzes folgend jeder
Mensch gelten, der auch nur entfernt mit einem Verdäch-
tigen in Kontakt steht.
Als eine neue Befugnis soll das BKA dabei auch ver-
deckt auf informationstechnische Systeme zugreifen
dürfen, womit die sogenannte Onlinedurchsuchungen
gemeint sind. Das Bundesverfassungsgericht hat mit sei-
ner Entscheidung zum nordrhein-westfälischen Verfas-
sungsschutzgesetz dieser Ausforschung der digitalen
Privatsphäre allerdings enge Grenzen gesetzt, die der
Gesetzentwurf – auch nach der Einigung im Vermitt-
lungsausschuss – nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, die so
weitgehend in die Grundrechte der Betroffenen eingrei-
fen, bedarf grundsätzlich einer vorherigen richterlichen
Prüfung und einer richterlichen Kontrolle bei der Durch-
führung. Der Richtervorbehalt soll eine vorbeugende
Kontrolle der geplanten Überwachungsmaßnahmen durch
eine neutrale Stelle gewährleisten. Die richterliche Kon-
trolle darf nur in begrenzten Ausnahmefällen, etwa bei
Gefahr im Verzuge, etwa während der Nachtzeiten, aus-
gesetzt werden und ist dann unverzüglich nachzuholen.
Der Gesetzentwurf sieht jedoch Ausnahmeregelungen für
besondere Eilfälle bei Maßnahmen wie der Quellentele-
kommunikationsüberwachung oder dem Einsatz ver-
deckter Ermittler vor, die sich aber durch erhebliche Vor-
bereitungszeiten auszeichnen. Im Vermittlungsverfahren
wurde lediglich die Möglichkeit der Eilanordnung durch
den Präsidenten des BKA für die Onlinedurchsuchung
gestrichen. Für die Onlinedurchsuchung wie für die ande-
ren genannten Methoden sind kaum Eilfälle denkbar, in
denen eine vorherige richterliche Entscheidung nicht ein-
zuholen wäre; der Gesetzentwurf verletzt insofern den
Anspruch auf einen effektiven prozessualen Grundrechts-
schutz. Auch müsste die richterliche Kontrolle bei der
Durchführung dieser geheimen Ermittlungsmaßnahmen
deutlich verbessert werden, um den prozessualen Grund-
rechtsschutz sicherzustellen. Die Ergebnisse des Vermitt-
lungsausschusses bei der Onlineuntersuchung weisen in
die richtige Richtung, gehen aber bei weitem nicht weit
genug.
Durch den heimlichen Zugriff auf Computer und an-
dere informationstechnische Systeme werden zudem re-
gelmäßig nicht nur gefahrenbezogene Erkenntnisse, son-
dern auch tiefe Einblicke in die „digitale Privat- und
Intimsphäre“ der durchsuchten Personen und ihr Kom-
munikationsverhalten gewonnen. Hierbei lässt es sich in
vielen Fällen nicht vermeiden, dass die Ermittlungen
auch den Kernbereich privater Lebensgestaltung verlet-
zen. Darüber hinaus wird eine heimliche Ausforschung
regelmäßig auch andere Personen – als die Zielperson –
b
m
d
O
A
d
B
t
S
L
k
„
c
a
O
s
h
h
w
e
c
w
d
d
N
s
k
D
t
d
s
a
L
G
„
m
n
T
h
k
R
d
l
v
T
t
R
a
Z
r
b
N
e
w
2
a
(C
(D
etreffen, deren Daten, aus welchen Gründen auch im-
er, auf dem „Zielcomputer“ gespeichert sind. Schon
iese „Streubreite“ der Maßnahme sollte Anlass sein,
nlinedurchsuchungen grundsätzlich infrage zu stellen.
us diesen Gründen ist es auch absolut unzureichend,
ass der behördeninterne Datenschutzbeauftragte des
KA und nicht etwa der unabhängige Bundesbeauf-
ragte für den Datenschutz dafür Sorge tragen soll, den
chutz des absolut geschützten Kernbereichs privater
ebensführung sicherzustellen.
Darüber hinaus trifft der vorliegende Gesetzentwurf
einerlei Vorkehrungen dafür, die Durchsuchung des
richtigen“ Computers zu garantieren. Onlinedurchsu-
hungen unterscheiden sich von Lauschangriffen oder
uch Telekommunikationsüberwachungen, bei denen die
rte bzw. die Gelegenheiten der Überwachung – von tat-
ächlichen Irrtümern abgesehen – mit Gewissheit festste-
en. Bei Onlinedurchsuchungen hingegen besteht ein er-
ebliches Risiko, dass Unverdächtige betroffen werden,
enn die Infiltration des Zielsystems „von außen“ – über
ine Internetverbindung – bewirkt wird. In der mündli-
hen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht
urde das nicht unerhebliche Risiko einer Ausforschung
es falschen Rechners – unfreiwillig – durch den Präsi-
enten des BKA bestätigt.
Ohnehin hat die Bundesregierung bisher keinen
achweis dafür erbracht, dass präventive Onlinedurch-
uchungen unverzichtbar seien.
Vergleichbare Zweifel sind bezüglich der Notwenig-
eit und Effektivität von Rasterfahndungen angebracht.
er bloße Hinweis auf – nicht zu bestreitende – terroris-
ische Bedrohungen reicht hierfür allein nicht aus. Es be-
ürfte vielmehr des Nachweises, dass das bisherige In-
trumentarium heimlicher Überwachungsmethoden nicht
usreicht und mithin nur Onlinedurchsuchungen in der
age sind, zukünftige Gefahren zu bewältigen.
Darüber hinaus ist mir eine Zustimmung zu diesem
esetzentwurf aufgrund der erneut vorgenommenen
Relativierung der Zeugnisverweigerungsrechte“ un-
öglich, insbesondere mit Blick auf die Arbeit der Jour-
alistinnen und Journalisten, aber auch mit Blick auf die
ätigkeit von Rechtsanwälten und Ärzten. Leider gab es
ier – trotz anderer Forderungen seitens der Länder –
einerlei Bewegung im Vermittlungsverfahren. Diese
elativierung der Zeugnisverweigerungsrechte ist aller-
ings nicht nur ein Problem des BKA-Gesetzes, sondern
etztlich ein Folgeproblem der Änderung der StPO im
ergangenen Jahr. Mit dem Gesetz zur Neuregelung der
elekommunikationsüberwachung und anderer verdeck-
er Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
ichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, verabschiedet
m 9. November 2007, wurden auch die Vorgaben der
eugnisverweigerungsrechte geändert. Ziel dieser Ände-
ung war es, „ein harmonisches Konzept für den Schutz
ei Berufsgeheimnisträgern“ zu schaffen. Mit der
eufassung des § 53 b (alt) bzw. 160 a (neu) des Gesetz-
ntwurfes wurde eine Differenzierung der Zeugnisver-
eigerungsberechtigten nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1,
und 4 – Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete –
uf der einen Seite und den nach § 53 zur Verweigerung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21299
(A) )
(B) )
des Zeugnisses Berechtigten – Anwälte, Notare, Ärzte,
Therapeuten, Journalisten – andererseits vorgenommen.
Für den zuerst genannten Personenkreis ist ein uneinge-
schränktes Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot
vorgesehen, für den zweiten Personenkreis wurde eine
Verhältnismäßigkeitsprüfung etabliert, die dann zu ei-
nem Beweiserhebungsverbot führen kann. Diese Relati-
vierung der Zeugnisverweigerungsrechte wurde von mir
bereits bei der Änderung der StPO kritisiert, weil diese
– gerade mit Blick auf die Angehörigen der Medien –
den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Informanten-
schutzes und des Redaktionsgeheimnisses nicht adäquat
Rechnung trägt. Dies gilt erst recht für die nun vorgese-
henen weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten und Maß-
nahmen des BKA-Gesetzes, insbesondere mit Blick auf
die Onlinedurchsuchung, auf die die Zeugnisverweige-
rungsrechte der StPO jetzt inhaltsgleich übertragen wer-
den.
Zahlreiche Chefredakteure und Herausgeber haben
das BKA-Gesetz als „Anschlag auf die Pressefreiheit“
bezeichnet (vergleiche Der Spiegel, Nr. 51 vom 15. De-
zember 2008, Seite 91 oder Die Zeit Nr. 51 vom 11. De-
zember 2008, Seite 1); ich teile diese Ansicht. Aus den
genannten Gründen muss bei der Umsetzung des BKA-
Gesetzes wie auch bei der Umsetzung der Änderungen
der StPO vom vergangenen Jahr sorgfältig geprüft wer-
den, ob diese Relativierung des Zeugnisverweigerungs-
rechtes und vor allem die vorgesehene Verhältnismäßig-
keitsprüfung in der Praxis tatsächlich den notwendigen
Berufsgeheimnisschutz sicherstellen kann. Sollte es An-
haltspunkte dafür geben, dass diese Relativierung des
Zeugnisverweigerungsrechtes zu einer unangemessenen
Einschränkung des Berufsgeheimnisschutzes – und hier-
bei insbesondere bezüglich der verfassungsrechtlichen
Vorgaben zum Informantenschutz und des Redaktions-
geheimnisses – führt, wird auf solche Entwicklungen
zeitnah reagiert werden müssen.
Nicht allein wegen dieser Punkte, deshalb aber vor al-
lem ist mir eine Zustimmung nicht möglich.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Florian Toncar (FDP) zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung:
Keine U-Bootlieferung an Pakistan (Tagesord-
nungspunkt 19 e)
Den Export von deutschen U-Booten nach Pakistan
lehne ich ab, da zu befürchten ist, dass ein solcher
Schritt zur Verschärfung der regionalen politischen
Spannungen zwischen Pakistan und Indien führen
könnte. Dies wäre nicht im deutschen Interesse. Ferner
besteht aufgrund der finanziellen Notlage Pakistans ein
hohes Risiko, dass das Empfängerland zur Zahlung des
Kaufpreises nicht in der Lage sein wird und die deut-
schen Steuerzahler für die Kosten aufkommen müssen.
Jedoch ist die im zur Abstimmung stehenden Antrag
enthaltene Forderung, Rüstungsexporte grundsätzlich
n
n
h
s
R
k
ü
l
r
g
m
A
s
f
h
a
t
d
d
A
w
b
D
T
E
p
z
F
A
1
a
i
w
l
e
p
w
A
r
p
s
(C
(D
icht durch Hermesbürgschaften abzusichern, abzuleh-
en. Hermesbürgschaften haben sich in der Vergangen-
eit als Mittel der Exportabsicherung bewährt. Aus die-
em Grund stimme ich gegen den vorliegenden Antrag.
Um zu vermeiden, dass Mitgliedstaaten der EU bei
üstungsexporten gegeneinander ausgespielt werden
önnen, ist es notwendig, den Verhaltenskodex der EU
ber Rüstungsexporte schnellstmöglich in einen recht-
ich verbindlichen gemeinsamen Standpunkt zu überfüh-
en. Dies wird es den Mitgliedstaaten ermöglichen, eine
eschlossene Haltung zu Rüstungsexporten einzuneh-
en.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Lale Akgün (SPD) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum
ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhaus-
finanzierung ab dem Jahr 2009 (Krankenhaus-
finanzierungsreformgesetz – KHRG) (Zusatz-
tagesordnungspunkt 10 a)
Ich halte die finanziellen Verbesserungen, die in die-
em Gesetz den Krankenhäusern zugesprochen werden,
ür dringend nötig, aber keinesfalls ausreichend. Ich
ielte es für geboten, die Krankenhäuser finanziell so
uszustatten, dass diesen eine vollständige Kompensa-
ion der letzten Tariferhöhungen möglich ist. Ansonsten
roht weiterer Personalabbau und damit Qualitätsverlust
er Patientenversorgung in den Kliniken.
Dennoch hielte ich es für unverantwortlich, das zur
bstimmung stehende Gesetz abzulehnen. Denn das
ürde bedeuten, dass auch die darin vorgesehenen Ver-
esserungen nicht finanziert bzw. umgesetzt würden.
abei geht es immerhin um 2 Milliarden Euro, mehrere
ausend zusätzliche Stellen für Pflegepersonal und den
instieg in ein neues Tarifsystem zur Finanzierung der
sychiatrischen Kliniken.
Ein weiteres Augenmerk müssen wir auf die Finan-
ierung des Gesundheitsfonds werfen. Die derzeitige
inanzplanung bezieht sich auf gesamtwirtschaftliche
nnahmen, die von einem Wirtschaftswachstum von
,2 Prozent in 2009 ausgehen. Wir alle wissen, dass dies
ngesichts der aktuellen Wirtschaftskrise unrealistisch
st und damit auch die Einnahmen des Gesundheitsfonds
egbrechen; das hätte für die Einnahmen der gesetz-
ichen Krankenkassen ohne den Gesundheitsfonds
benso gegolten.
Ich bin daher der Meinung, dass die bisherige Finanz-
lanung im Gesundheitswesen nicht aufrechterhalten
erden kann.
Am 5. Dezember habe ich, gemeinsam mit anderen
bgeordneten meiner Fraktion, eine persönliche Erklä-
ung anlässlich der Verabschiedung des Maßnahmen-
akets „Beschäftigungssicherung durch Wachstums-
tärkung“ – Drucksache 16/10930 – abgegeben. Darin
21300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
fordern wir weitergehende Schritte durch öffentliche In-
vestitionen.
Angesichts der absehbaren Einnahmeprobleme des Ge-
sundheitsfonds bin ich der Meinung, dass eine der Maß-
nahmen eines weiteren Konjunkturpaketes ein Zuschuss
aus dem Bundeshaushalt in den Fonds sein muss, der die
konjunkturbedingten Einnahmeausfälle kompensiert.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jörg Tauss (SPD) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes
über Personalausweise und den elektronischen
Identitätsnachweis sowie zur Änderung weite-
rer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 12 a)
Ich verweigere dem Entwurf eines Gesetzes über Per-
sonalausweise und den elektronischen Identitätsnach-
weis sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (Druck-
sache 16/10489) meine Zustimmung und bringe dazu
folgende Bedenken vor:
Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzesentwurf vor-
sieht, die Künstlernamen im Melde-, Personal- und Pass-
recht als Datenkategorie wieder einzuführen, nachdem
das geltende Passrecht die Eintragung zum 1. November
2007 – Änderung des Passgesetzes und weiterer Vor-
schriften vom 20. Juli 2007 – abgeschafft hatte und viele
Journalistinnen und Journalisten sowie Künstlerinnen
und Künstler ihre bisherige Identität im Rechts-, Ge-
schäfts- und Reiseverkehr verloren haben.
Das Führen eines Künstlernamens ist Ausdruck
künstlerischen Selbstverständnisses und im Journalis-
mus zudem oft eine zentrale Voraussetzung für die Re-
cherche. Die Eintragung des Künstlernamens in Aus-
weisdokumenten ist Bestandteil einer öffentlichen
Anerkennung und Wertschätzung künstlerischer und
journalistischer Arbeit in der Bundesrepublik Deutsch-
land. Viele Künstler und Journalisten bzw. Autoren un-
terzeichnen im Geschäftverkehr Verträge und Vereinba-
rungen jeglicher Art mit ihrem Künstlernamen.
Akademische Abschlüsse, Zeugnisse und Vollmachten
wurden unter der Verwendung des Künstlernamens ver-
liehen bzw. geschlossen. Gleichzeitig bietet die Wieder-
einführung des Künstlernamens auch im Bereich des in-
vestigativen Journalismus erhebliche Vorteile, da erst
dadurch langwierige, genaue und umfassende Recher-
chen möglich werden. Dies gilt im besonderen Maße,
wenn beispielsweise im rechtsextremen Umfeld Recher-
chen mit dem Klarnamen aufgrund möglicher lebensbe-
drohender Konsequenzen nicht möglich sind. Dies ist zu
begrüßen.
Meine Bedenken richten sich allerdings insbesondere
gegen die geplante Aufnahme biometrischer Merkmale
in den Personalausweis. Ich halte die Aufnahme von bio-
metrischen Merkmalen in den Personalausweis für einen
tiefen Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes, zumal die Bundesregierung bisher kei-
n
d
i
d
B
d
a
d
p
n
m
S
S
P
t
d
d
D
s
s
A
m
s
F
v
d
d
i
i
a
e
A
b
f
s
U
n
w
d
d
B
v
c
d
P
U
(C
(D
en überzeugenden Nachweis dafür erbracht hat, dass
ie Einführung einer solchen Maßnahme unverzichtbar
st und sich beispielweise auf entsprechende Vorgaben
er Europäischen Union stützt. Überdies ignoriert die
undesregierung die bestehenden Risiken und Gefahren,
ie sich aus dem Einsatz eines solchen Multifunktions-
usweises im täglichen Leben ergeben. Wie schon bei
er Einführung von biometrischen Merkmalen im Reise-
ass gilt, dass die verwendeten Techniken zur Gewin-
ung der Daten nach wie vor fehleranfällig sowie leicht
anipulierbar sind. Trotz der bekannten und belegbaren
icherheitsrisiken beharrt die Bundesregierung auf dem
tandpunkt, dass der Sicherheitsgewinn durch den neuen
ersonalausweis erheblich sei. Wie schon beim biome-
rischen Reisepass fehlt auch für den biometrischen Bun-
espersonalausweis jeder Beleg dafür, dass tatsächlich
ie versprochenen Sicherheitsgewinne erreichbar sind.
arüber hinaus fehlen für die Einführung der biometri-
chen Ausweisdokumente nach wie vor jegliche Daten-
chutz- und IT-Sicherheitskonzepte.
Die Speicherung von biometrischen Merkmalen in
usweisdokumenten und die mögliche Weitergabe bio-
etrischer Daten dürfte überdies die nächste Eskalations-
tufe von neuen Datenschutzskandalen bedeuten. Die
olgen der beliebigen Erfassung biometrischer und un-
eränderbarer persönlicher Merkmale wie des Fingerab-
rucks sind nicht hinreichend geprüft worden. Ich halte
ie Einführung dieses Ausweises für ein weiteres Glied
n einer langen Kette von fragwürdigen Entscheidungen
m innen- und sicherheitspolitischen Bereich und stimme
ufgrund der vorgebrachten Bedenken diesem Gesetz-
ntwurf nicht zu.
nlage 7
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jörg Tauss (SPD) zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neu-
ordnung der Entschädigung von Telekommuni-
kationsunternehmen für die Heranziehung im
Rahmen der Strafverfolgung (TK-Entschädi-
gungs-Neuordnungsgesetz – TKEntschNeuOG)
(Tagesordnungspunkt 14 )
Ich stimme dem TKEntschNeuOG zu, da es eine Ver-
esserung der Situation zumindest für diejenigen Betrof-
enen bedeutet, die häufig durch staatliche Stellen in An-
pruch genommen werden. Damit dürften zumindest
nternehmen wie die Deutsche Telekom AG und dieje-
igen Wettbewerber im Festnetz und Mobilfunk entlastet
erden, die überwiegend Privatkunden zu ihrem Kun-
enkreis zählen. Im Rahmen der Einführung der Vorrats-
atenspeicherung in Deutschland werden jedoch auch
etreiber von Telekommunikationsnetzen und Anbieter
on Telekommunikationsdiensten zur Erfassung, Spei-
herung und Herausgabe von Verkehrsdaten verpflichtet,
ie nur im sehr geringen Umfang oder sogar gar keine
rivatkunden beliefern. Obwohl deren Kundenkreis aus
nternehmen, öffentlichen Einrichtungen und anderen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21301
(A) )
(B) )
Netzbetreibern überhaupt nicht im Fokus behördlicher
Ermittlungen steht und daher schon in der Vergangenheit
die Herausgabe von Verbindungsdaten nur in wenigen
Einzelfällen oder zum Teil sogar überhaupt nicht gefor-
dert wurde, entstehen bei allen verpflichteten Telekom-
munikationsunternehmen unterschiedslos die gleichen
hohen Kosten für die Umsetzung der gesetzlichen Ver-
pflichtungen.
Der technische Aufwand zur korrekten und sicheren
Erfassung, Speicherung und zeitnahen Beauskunftung
ist bei Geschäftskunden- und Privatkundenanbietern der
gleiche. Eine angemessene Entschädigung für diese
Gruppe von Verpflichteten sieht das Gesetz jedoch bis-
lang nicht vor. Im Ergebnis führt die heutige Struktur der
TKEntschNeuOG damit zu einer massiven Ungleichbe-
handlung von Telekommunikationsunternehmen mit Pri-
vatkundenverkehr einerseits und solchen mit Geschäfts-
kundenverkehr und überwiegend internationalen TK-
Diensten andererseits.
Eine Entschädigung für ein Heranziehen von Privaten
für originär hoheitliche Aufgaben, die verhältnismäßig
ist, ist jedoch meines Erachtens für alle Betroffenen Un-
ternehmen erforderlich, falls nicht die Verfassungsmäßig-
keit der Telekommunikationsüberwachung insgesamt in-
frage gestellt werden soll. Deshalb kann das vorgelegte
Gesetz nur ein erster Schritt zu angemessenen Entschädi-
gungsregelungen für alle Verpflichteten sein. Über die
Erweiterung der Entschädigungsregeln ist daher umge-
hend weiter zu beraten, oder das muss eben zum Anlass
genommen werden, über Ausgestaltung und Reichweite
der Verpflichtungen der Überwachung, Speicherung und
Beauskunftung in der Telekommunikation neu nachzu-
denken.
Meine Zustimmung zum Entwurf eines TK-Entschä-
digungs-Neuordnungsgesetzes erfolgt ungeachtet meiner
grundsätzlichen verfassungsrechtlichen und rechtspoliti-
schen Bedenken gegenüber der mit dem Gesetz zur Neu-
regelung der Telekommunikationsüberwachung im No-
vember 2007 eingeführten Pflicht zur Speicherung der
Vorratsdaten. Bei dem TK-Entschädigungs-Neuord-
nungsgesetz geht es nicht um die Verpflichtung der TK-
Anbieter zur Speicherung von Telekommunikationsda-
ten, sondern um die Inanspruchnahme im Rahmen der
Strafverfolgung und die diesbezügliche angemessene
Entschädigung. Was die Novellierung der Strafprozess-
ordnung zur Neuregelung der Telekommunikationsüber-
wachung, der Neuordnung der Zeugnisverweigerungs-
rechte und Einführung der Vorratsdatenspeicherung
anbelangt, bleibt die endgültige Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichtes abzuwarten. Sollte das Bundes-
verfassungsgericht diese verfassungsrechtlichen Beden-
ken bestätigen oder aber sollte sich bei der Umsetzung
dieser gesetzlichen Vorgaben herausstellen, dass die
Neuregelungen den Berufsgeheimnisschutz oder aber
die freiheitlichen Grundrechte gefährden, muss der Ge-
setzgeber schnellstmöglich reagieren und verfassungs-
konforme Regelungen zur Telekommunikationsüberwa-
chung inklusive deren Entschädigung schaffen.
A
d
t
m
m
t
A
D
p
A
d
s
l
l
a
A
t
z
d
s
m
d
A
e
s
g
D
u
t
W
n
r
z
c
P
n
a
s
w
h
s
n
a
(C
(D
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes über Personalaus-
weise und den elektronischen Identitäts-
nachweis sowie zur Änderung weiterer Vor-
schriften
– Beschlussempfehlung und Bericht: Keine
Einführung biometrischer Merkmale im
Personalausweis
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Clemens Binninger (CDU/CSU): Die Einführung
es elektronischen Personalausweises ist eines der größ-
en IT-Projekte in dieser Legislaturperiode. Man kann es
it folgenden Schlagworten verbinden: mehr Sicherheit,
ehr Komfort, mehr Nutzen. Gerade in der aktuellen Si-
uation, in der Datensicherheit, Datenschutz und die
ngst vor entwendeten und missbräuchlich genutzten
aten eine besondere Rolle spielt, ist dieses Ausweispa-
ier mit all seinen Sicherheitsfunktionen die richtige
ntwort. Mit dem elektronischen Personalausweis ist
er Bürger Herr seiner Daten: Egal ob im Alltag, im Ge-
chäftsverkehr, bei der Nutzung von Verwaltungsdienst-
eistungen oder beim Einkauf im Internet.
Meine Damen und Herren von der Opposition, natür-
ich ist es legitim, gegen den elektronischen Personal-
usweis zu sein – auch wenn man dafür keine sachlichen
rgumente hat. Aber das, was Sie hier in Ihren Debat-
enbeiträgen machen, ist nichts anderes, als Misstrauen
u schüren. Ich halte das für unverantwortlich. Außer-
em ist es der zum Scheitern verurteilte Versuch, dieses
ichere Produkt zu diskreditieren. Wenn wir überall
ehr Datenschutz und Datensicherheit einfordern und
er Staat dann ein Produkt auf den Weg bringt, das diese
nforderungen in hohem Maße erfüllt, dann sollten wir
s auch anerkennen und nicht aus politischem Kalkül
chlechtreden.
Der elektronische Personalausweis wird für den Bür-
er Zusatzfunktionen und damit Zusatznutzen haben.
iese Zusatzfunktionen sind die elektronische Signatur
nd der elektronische Identitätsnachweis. Beide Funk-
ionen, die übrigens freiwillig bzw. optional sind und auf
unsch des Bürgers jederzeit abgeschaltet werden kön-
en, werden zu einer gravierenden Verbesserung im Be-
eich von E-Goverment oder E-Commerce führen, und
war in einem Maß, wie wir es bisher – da bin ich mir si-
her – noch nicht gekannt haben. Denn der elektronische
ersonalausweis mit diesen Zusatzfunktionen gibt nicht
ur dem Bürger ein Mehr an Sicherheit, sondern er stellt
uch sicher, dass für alle Beteiligten am Internetge-
chäftsverkehr klare Standards und Regeln gelten. So
ird es für Diensteanbieter verpflichtend sein, dass sie
ierfür vom BSI zertifiziert sind. Die Nutzung des E-Per-
onalausweises für den Internetgeschäftsverkehr ist nicht
ur physisch an den Personalausweis gekoppelt, sondern
uch mit einer zusätzlichen sechsstelligen PIN gesichert.
21302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Sie sehen also, zusätzlicher Nutzen und Sicherheit gehen
hier Hand in Hand.
Daneben wird die Wirtschaft, wenn diese Verfahren
implementiert und angewandt werden, in einer Größen-
ordnung von bis zu 120 Millionen Euro von Bürokratie-
kosten entlastet. Es verwundert deshalb nicht, dass der
Normenkontrollrat zum Bürokratieabbau das Projekt
„elektronischer Personalausweis“ ausdrücklich begrüßt
hat. Daneben behält der elektronische Personalausweis
natürlich seine klassische Ausweisfunktion, jetzt aber im
handlichen Scheckkartenformat und gültig für 10 Jahre.
Die Sicherheit bei der Ausweisfunktion haben wir deut-
lich erhöht, indem wir neben den bekannten Daten und
dem Lichtbild zusätzlich auf dem Chip die biometri-
schen Daten des Gesichtsbildes und – freiwillig – die
biometrischen Daten der beiden Zeigefinger des Aus-
weisinhabers speichern.
Ich will dabei auf einen besonderen Punkt hinweisen:
Bei vergangenen Diskussionen wurde immer wieder be-
tont, dass deutsche Ausweisdokumente auch bisher
schon fälschungssicher waren, es deshalb nicht einer
weiteren Verbesserung dieser Fälschungssicherheit be-
dürfe. Dabei wird vergessen, dass Personaldokumente
häufig missbräuchlich verwandt werden, wenn zum Bei-
spiel die Ähnlichkeiten beim Lichtbild dies ermöglichen.
Mehr als zwei Millionen Ausweisdokumente sind in
Deutschland entwendet worden oder abhanden gekom-
men. Das bedeutet, das Missbrauchspotential ist durch-
aus real und nicht als klein einzuschätzen. Mit biometri-
schen Merkmalen auf einem Ausweispapier wird aber
gerade dieses Missbrauchspotenzial entscheidend einge-
grenzt, denn die Ähnlichkeit auf einem Ausweisbild
reicht dann nicht mehr aus, da gleichzeitig auch biome-
trische Merkmale auf dem Chip und die biometrischen
Merkmale der Person übereinstimmen müssen. Damit
wird deutlich: Durch die Aufnahme biometrischer Merk-
male in den elektronischen Personalausweis reduzieren
wir die Missbrauchsanfälligkeit ganz gravierend. Wir
setzen damit außerdem internationale Standards um, und
wir erhalten dem Personalausweis auch zukünftig seine
Funktion als Passersatzpapier.
Der elektronische Personalausweis ist ein Ausweisdo-
kument, das Maßstäbe setzt, sowohl hinsichtlich Sicher-
heit als auch mit Blick auf Komfort und zusätzlichen
Nutzen. Ich bin überzeugt davon, dass der elektronische
Personalausweis in Deutschland zum international be-
achteten Referenzprojekt werden wird. Er hat deshalb
unsere ganze Unterstützung verdient. Entscheidend ist
aber: Der elektronische Personalausweis bedeutet mehr
Sicherheit und Komfort für den Bürger.
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Heute ist der
18. Dezember, und trotzdem ist schon Bescherung: Die
Bürgerinnen und Bürger in unserem Land bekommen
mit dem elektronischen Personalausweis ein modernes,
technisch anspruchsvolles Ausweisdokument, das die
Freiheitsrechte der Bürger wahrt. Um es vorwegzuneh-
men: Niemand, der es nicht möchte, muss sich einen
Fingerabdruck in seinen Personalausweis machen las-
sen. Dafür hat die SPD-Fraktion erfolgreich gekämpft.
D
b
u
s
p
d
B
a
h
d
t
a
p
n
W
b
m
n
K
t
l
m
i
d
s
o
d
a
g
A
f
n
j
e
d
H
v
a
F
B
r
t
g
g
w
a
F
F
k
B
t
d
i
w
v
(C
(D
as ist ein Grund für die hohe Akzeptanz, die das Vorha-
en in der Bevölkerung genießt. Außerdem haben wir
ns bei der technischen Ausstattung weitgehend an der
ehr erfolgreichen Umsetzung des elektronischen Reise-
asses orientiert. Die Ausgabe und Verwendung laufen
a reibungsfrei und werden von den Bürgerinnen und
ürgern gut angenommen. Nach den Rückmeldungen
us den Einwohnermeldeämtern, die ich bekommen
abe, warten bereits etliche Bürger auf die Einführung
es neuen Personalausweises.
Genauso wie der Reisepass wird auch der neue elek-
ronische Personalausweis ein voller Erfolg. Das liegt
uch daran, dass sich seit dem anfänglichen Eckpunkte-
apier bzw. dem Referentenentwurf aus dem Innenmi-
isterium bis zum heutigen Gesetzentwurf viel getan hat.
ir mussten noch an einigen Stellen Überzeugungsar-
eit leisten: Der Personalausweis bleibt ein Pflichtdoku-
ent für Deutsche ab einem Alter von 16 Jahren und
icht, wie vom Bundesinnenministerium vorgesehen, für
inder ab einem Alter von 12 Jahren. Das ist auch rich-
ig so; denn die Absenkung des Alters ist nicht erforder-
ich.
Der Ordens- und Künstlername wird nicht dem ver-
eintlichen Bürokratieabbau geopfert, sondern er bleibt
m Ausweis. Das ist richtig; denn er ist häufig Ausdruck
er Persönlichkeit und Identität des Namensträgers und
omit schützenswert. Außerdem wird es kein zentrales
der dezentrales Register geben, in dem die Fingerab-
rücke der Ausweisinhaber gespeichert sind. Die Finger-
bdrücke werden nur im Personalausweis und sonst nir-
endwo gespeichert, und das auch nur dann, wenn der
ntragsteller dies ausdrücklich wünscht. Wir haben da-
ür gesorgt, dass es nicht zur einer faktischen Diskrimi-
ierung bzw. Benachteiligung kommen wird, wenn sich
emand gegen den Fingerabdruck im Personalausweis
ntscheidet. Wir haben ein Benachteiligungsverbot in
en Gesetzentwurf geschrieben, damit auch durch die
intertüre kein Zwang entsteht. Niemand macht sich
erdächtig, weil er keinen Fingerabdruck im Personal-
usweis hat. Außerdem ist jeder Antragsteller über die
reiwilligkeit der Abgabe der Fingerabdrücke und das
enachteiligungsverbot in schriftlicher Form zu unter-
ichten.
Das ist ein wesentlicher Beitrag hin zu mehr informa-
ioneller Selbstbestimmung. Die Bürgerinnen und Bür-
er entscheiden selbst, ob sie ihre Fingerabdruckdaten
eben wollen oder nicht. Es freut mich deshalb auch,
enn uns der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar
n dieser Stelle ausdrücklich lobt und die tatsächliche
reiheit des Bürgers hier betont sieht.
Im Übrigen verwundern mich unsere Freunde von der
DP schon ein wenig: In liberalen Sonntagsreden pro-
lamiert man die Freiheit und Eigenverantwortung der
ürger. Wenn wir genau dies heute umsetzen, einen Bei-
rag zu mehr Selbstbestimmtheit und freier Entscheidung
er Bürger leisten, soll dies auch wieder falsch sein. Das
st beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar.
Wodurch unterscheidet sich der neue Personalaus-
eis, abgesehen von den Zusatzfunktionen, eigentlich
om heutigen Personalausweis? Der einzige Unterschied
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21303
(A) )
(B) )
ist das digitale Lichtbild auf dem Chip. Das ist den Bür-
gern seit Jahren vom Reispass bekannt. Es lohnt sich da-
her auch gar nicht, sich mit der diesbezüglichen Kritik
der Opposition auseinandersetzen.
Der elektronische Personalausweis ist ein biometrie-
gestütztes Identitätsdokument, das besonders fäl-
schungssicher und vor allem missbrauchssicher ist! Das
wurde bereits erwähnt; die Sicherheitsgewinne sind ein-
deutig erkennbar.
Besonders wichtig ist mir auch, auf die neuen zusätz-
lichen Funktionen des Ausweises hinzuweisen: auf den
elektronischen Identitätsnachweis und die qualifizierte
elektronische Signatur. Mit dem elektronischen Identi-
tätsnachweis schaffen wir die Option für den Bürger,
sich auch im Internet sicher und komfortabel ausweisen
zu können. Jeder, der über das World Wide Web Kauf-
verträge abschließt, kann sich so über die Identität seines
Geschäftspartners sicherer sein. Wir erhöhen so die Si-
cherheit des elektronischen Kommunikationsverkehrs
und schützen auch die Bürger vor Missbrauch.
Ich möchte hier als Beispiel das Problem des Phishing
ansprechen, bei dem Betrüger über gefälschte Internet-
seiten zum Beispiel an die Bankdaten des Benutzers ge-
langen wollen. Durch die neuen elektronischen Aus-
weise wird diese Missbrauchsvariante wesentlich
erschwert. Hier hat der Staat die Pflicht, seine Bürger
wirksam zu schützen. Das haben wir getan.
Außerdem haben wir eine neue und sichere Perspek-
tive im Hinblick auf die Entwicklung des E-Government
geschaffen. Durch die elektronische Identifikation wird
es in Zukunft möglich sein, Behördengänge bequem und
vor allem sicher von zu Hause zu erledigen. Die qualifi-
zierte elektronische Signatur, eine Art elektronische Un-
terschrift, entspricht den Anforderungen des Signaturge-
setzes und sorgt somit für rechtsverbindliches Handeln
im elektronischen Rechtsverkehr.
Insgesamt bieten diese drei Funktionen dem Bürger
mehr Komfort und Sicherheit. Sie sind jedoch nicht
zwingend. Jeder kann, aber muss sie nicht in Anspruch
nehmen. Auch hier haben wir großen Wert auf Freiwil-
ligkeit gelegt. Nur am Rande sei bemerkt: Das Gesetz
führt nach Berücksichtigung des zusätzlichen Aufwandes
unter dem Strich zur einer Bürokratiekostenentlastung der
Deutschen Wirtschaft in Höhe von über 120 Millionen
Euro. Wenn wir uns die gegenwärtige Konjunkturent-
wicklung ansehen, ein kleiner, aber richtiger Schritt zur
Entlastung der Wirtschaft.
Die Debatte über angebliche Sicherheitsdefizite der
gespeicherten Daten auf dem RFID-Chip ist an den Haa-
ren herbeigezogen und wird durch ständige Wiederho-
lung nicht besser. Wir haben uns den ganzen Unsinn von
FDP und Grünen schon beim E-Pass anhören müssen. Es
bleibt auch beim Personalausweis dabei: Das biometri-
sche Lichtbild und gegebenenfalls die Fingerabdrücke
auf dem Chip sind vor unberechtigtem Zugriff sicher.
Durch moderne Kryptierungstechnik ist der Chip vor
Hackerangriffen, also dem unberechtigten Zugriff, ge-
schützt. Das haben uns auch die Experten vom Bundes-
amt für Sicherheit in der Informationstechnik bestätigt.
I
e
m
a
s
r
u
b
w
d
B
s
f
n
s
B
r
u
t
g
d
B
t
t
K
d
d
v
F
S
d
w
J
w
n
n
t
m
b
M
s
w
z
n
b
f
R
j
E
2
z
s
(C
(D
ch bitte deshalb auch die selbsternannten Hacking-
xperten von FDP und Grünen, dies zur Kenntnis zu neh-
en. Diese Missbrauchszenarien haben nichts mit der Re-
lität zu tun und verunsichern nur die Bevölkerung.
Wir haben ein Interesse an der breiten Akzeptanz un-
eres Personalausweises in der Bevölkerung. Die Vo-
aussetzungen hierfür haben wir mit dem modernsten
nd sichersten Ausweisdokument geschaffen. Deshalb
in ich überzeugt dass wir mit dem neuen Personalaus-
eis den Erfolg des E-Passes fortsetzen können. Trotz-
em hoffe ich natürlich, dass sich Ihre weihnachtliche
escherung nicht auf den neuen Personalausweis be-
chränkt.
In diesem Sinne wünschen ich Ihnen bereits jetzt ein
rohes und besinnliches Weihnachtsfest und ein gutes
eues Jahr 2009.
Gisela Piltz (FDP): Der einzige vernünftige Vor-
chlag, den ich in dem vorliegenden Gesetzentwurf der
undesregierung erkennen kann, ist die Wiedereinfüh-
ung von Ordens- und Künstlernamen im Melde-, Pass-
nd Personalausweisrecht. Zahlreiche Proteste der Be-
roffenen haben deutlich gemacht, dass an der Eintra-
ung, Erhebung und Speicherung von Künstler- und Or-
ensnamen ein nachvollziehbares Interesse besteht. Die
etroffenen haben es im Rechtsverkehr leichter, die ver-
raglichen Beziehungen abzuwickeln. Die Große Koali-
ion ist ab und zu doch lernfähig.
Nur leider, sie will es oft nicht. So hätte die Große
oalition als richtige Konsequenz auf eine Speicherung
es Fingerabdrucks ganz verzichten sollen. Die gefun-
ene Lösung der freiwilligen Speicherung ist nicht nach-
ollziehbar. Entweder der Staat braucht zwingend den
ingerabdruck, oder er braucht ihn nicht. Ein weiterer
icherheitsgewinn mit der Speicherung des Fingerab-
rucks ist jedenfalls nicht zu erwarten. Wir alle wissen,
ie schnell der technische Fortschritt innerhalb von zehn
ahren, also dem Gültigkeitszeitraum eines Personalaus-
eises, ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, das Krimi-
elle in diesem Zeitraum Systeme entwickeln, um mit
icht autorisierten Geräten Daten über eine größere Dis-
anz auszulesen.
Fälschungssicherer ist der neue Personalausweis da-
it nicht. Ganz im Gegenteil. Die Bundesregierung hat
isher eben nicht die Frage beantwortet, mit welchen
itteln sie die Fälschungssicherheit des Personalauswei-
es über den gesamten Gültigkeitszeitraum garantieren
ill. Computerexperten haben uns schon dieses Jahr ge-
eigt, dass sie auch die neuen Reisepässe fälschen kön-
en, die ja bekanntermaßen gespeicherte Fingerabdrücke
einhalten. Für die Fälschung wurden ein öffentlich ver-
ügbares Programm, ein Lesegerät und ein günstiger
FID-Chip benötigt. Ungeachtet dieser Probleme wird
etzt ohne Feldversuch ein Gesetz verabschiedet, das die
inführung des neuen Ausweises zum 1. November
010 vorsieht.
Klug wäre gewesen, aus den Pannen beim Reisepass
u lernen. Dort wurde nämlich bei Stichproben festge-
tellt, dass in keinem Fall die datenschutzrechtlichen
21304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Vorschriften eingehalten wurden. Auch bei der Aushän-
digung der Ausweise an Bürgerinnen und Bürger bestan-
den ungeklärte Sicherheitsfragen. Klug wäre es gewe-
sen, erst die Feldtests durchzuführen, um sich dann zu
entscheiden. Es andersherum zu machen, das hat mit Le-
benswirklichkeit nichts mehr zu tun.
Klug wäre es gewesen, Sie hätten überhaupt nachvoll-
ziehbar begründet, warum wir diesen Ausweis brauchen.
Die alten Ausweise sind die fälschungssichersten der
Welt. Und Lesegeräte, die die Ausweise auch auslesen
könnten, gibt es an den wenigsten Grenzstationen und
noch lange nicht in jedem Polizeirevier oder auf jeder
Wache. Ein Ausweis ohne Lesegeräte ist erst recht nicht
sicherer.
Klug wäre gewesen, den neuen Identitätsnachweis si-
cher zu gestalten, insbesondere nachdem wir in diesem
Jahr erfahren haben, was mit gespeicherten Daten so al-
les passieren kann. Deshalb dürfen aus dem Nutzerver-
halten im Internet bei Nutzung des Ausweises keine Nut-
zungsprofile erstellt werden. Die von Ihnen eingebauten
Sicherungen sind aber leider völlig unzureichend. Nach
den Datenschutzskandalen in diesem Jahr kann es noch
nicht reichen, für das Berechtigungszertifikat bei dem
elektronischen Identitätsnachweis lediglich eine Selbst-
verpflichtung der Diensteanbieter hinsichtlich des Da-
tenschutzes und der Datensicherheit vorzusehen, wie in
§ 21 Abs. 2 Satz 2 geregelt. Wenn Sie sich wirklich dem
Datenschutz verpflichtet fühlen würden, hätten Sie
strengere Anforderungen gewählt. Aber der Datenschutz
ist eben bei Ihnen noch nicht angekommen.
Dem Inhaber des Personalausweises brummen Sie be-
sondere Pflichten auf. Er muss nämlich nach § 27 Abs. 3
durch technische und organisatorische Maßnahmen ge-
währleisten, dass er nur in einer Umgebung eingesetzt
wird, die nach dem jetzigen Stand der Technik sicher ist.
Und was sicher ist, bestimmt der Staat, das BSI. Es ist
doch merkwürdig, wie die Pflichten in Ihrem Gesetz ver-
teilt sind. Ich warte auf den Tag, an dem das Innenminis-
terium mir vorschreibt, welche Computer ich zu benut-
zen habe. Und dann am besten gleich einen, der eine
Standardschnittstelle für den Bundestrojaner hat. Kann
man übrigens prima mit dem E-Perso verknüpfen: Wer
wo wann in welchem Onlineshop welche verdächtigen
Materialien einkauft, kann das BKA dann gleich per
Rasterfahndung ermitteln – um dann den Bundestroja-
ner, den man vielleicht gleich auf den Chip des E-Persos
unterbringen könnte, zu aktivieren.
Außerdem muss der vorgelegte elektronische Identi-
tätsnachweis nicht zwingend mit dem Personalausweis
verbunden werden. Das Signaturgesetz sieht bereits eine
qualifizierte elektronische Signatur zur sicheren Identifi-
zierung vor. Eine weitere abgespeckte Version als Stan-
dardidentitätsnachweis ist nicht notwendig; zumal es vor
allem den Bürgerinnen und Bürgern überlassen bleibt,
den sicheren Einsatz der Ausweise zu gewährleisten.
Trotz der Empfehlungen des BSI, die damit auch be-
stimmte Hard- und Softwarekomponenten fördern wer-
den, werden sicherlich viele Bürger auch aus haftungs-
rechtlichen Gründen vor einem solchen Einsatz des
Personalausweises zurückschrecken.
w
n
B
s
A
m
m
n
s
d
d
n
k
v
d
n
m
r
s
E
d
l
d
z
t
k
s
P
d
t
d
P
n
s
m
s
s
v
k
s
w
r
v
n
w
d
w
D
g
Z
g
t
k
(C
(D
Die Bürger wollen den elektronischen Personalaus-
eis in der vorgelegten Form nicht. Ansonsten hätten
icht so viele Bürger die Petition unterstützt, die von
ürgerrechtlern gegen die Einführung des elektroni-
chen Personalausweises eingereicht wurde. Sie haben
ngst, dass sie sich alleine schon deshalb verdächtig
achen, weil sie ihre Fingerabdrücke nicht abgeben
öchten. Eine konsequente Lösung kann daher auch
icht die Einführung eines Benachteiligungsverbotes
ein, sondern muss der völlige Verzicht der Speicherung
er Fingerabdrücke sein. Alles andere ist nur ein Herum-
oktern an einer Entscheidung, bei der man den Bürgern
icht offen und ehrlich sagt, wohin die Reise gehen
ann, nämlich zur biometrischen Totalerfassung der Be-
ölkerung, bei der ein Aufsatteln jederzeit möglich ist.
Klug wäre es auch gewesen, mit der Verabschiedung
es Gesetzes zu wissen, welche Kosten auf die Bürgerin-
en und Bürger, aber auch auf die Verwaltung zukom-
en. Es wäre übrigens auch ehrlich. Klar ist, er wird teu-
er werden. Denn die ganzen Zusatzfunktionen, ob ich
ie brauche oder nicht, müssen doch bezahlt werden.
benso wie die Kartenlesegeräte, die ja irgendwann
och einmal angeschafft werden müssen. Die kommuna-
en Spitzenverbände beklagen schon heute, dass sie für
en E-Pass draufzahlen. Nur um die Dimensionen klar-
umachen: Der E-Pass kostet heute 59 Euro.
Es gibt allerdings einen Profiteur: das Bundesverwal-
ungsamt, Ihre neue Lieblingsbehörde; neben der Tele-
ommunikationsüberwachung jetzt auch noch die Zulas-
ungsprüfung für die Zertifikate des elektronischen
ersonalausweises. Dafür gibt es 33 Stellen. Der Bun-
esbeauftragte für den Datenschutz und die Informa-
ionsfreiheit hat keine neuen Stellen bekommen. Auch
urch Unterlassen zeigen Sie wieder eindrucksvoll Ihre
rioritäten als sogenannte Große Koalition.
Klug wäre es daher aus unserer Sicht, diesem Gesetz
icht zuzustimmen.
Jan Korte (DIE LINKE): Die Unionsfraktion ist sich
icher, der neue elektronische Personalausweis bringt
ehr Sicherheit. Fragt sich nur, welchen Vergleichsmaß-
tab die Fraktion angelegt hat, um diese eigenartige Aus-
age treffen zu können. Auf Evaluationen der Nutzung
on Ausweisdokumenten mit biometrischen Merkmalen
ann die CDU/CSU nicht zurückgegriffen haben. Eine
olche, beispielsweise für den sogenannten E-Pass,
urde bislang nicht durchgeführt. Entsprechende Forde-
ungen der Linksfraktion haben die Damen und Herren
on der Law-and-Order-Fraktion bislang hartnäckig ig-
oriert.
Als Vergleichsmaßstab kann also nur der derzeit ver-
endete Personalausweis herangezogen worden sein. Ist
ieser so unsicher, dass es eines chipkartengroßen Aus-
eisdokumentes mit biometrischen Merkmalen bedarf?
ie Antwort auf diese Frage gab unlängst die Bundesre-
ierung. So bezifferte sie für die Jahre 2001 bis 2007 die
ahl der Urkundendelikte in Sachen Personalausweis auf
erade mal 495! Hinter dieser Zahl verbergen sich im De-
ail 88 Totalfälschungen und 128 Verfälschungen. Nun
önnte man zu dem Schluss kommen, dass diese Anzahl
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21305
(A) )
(B) )
von Fälschungen gravierend hoch sei. Doch Irrtum, denn:
Die 495 Urkundendelikte sind gegen 62 Millionen Perso-
nalausweise, die ausgegeben wurden, aufzurechnen. Pro-
zentual ist die Zahl der Fälschungen demnach kaum noch
messbar. Die Aussage also der CDU/CSU-Fraktion, der
neue Personalausweis würde mehr Sicherheit für die Bür-
gerinnen und Bürger bringen, ist vor diesen Fakten nicht
haltbar und führt demnach in die Irre.
Im Kern geht es der Regierungskoalition mit der Ein-
führung dieses neuen Ausweisdokumentes um die Total-
erfassung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
Und die SPD beteiligt sich an diesem Vorgang. In Ihren
Augen haben Sie jedoch einen bürgerrechtlichen Sieg er-
rungen, indem die Speicherung von Fingerabdrücken auf
dem neuen elektronischen Personalausweis freiwillig er-
folgen soll. Bürgerinnen und Bürger die von diesem
„Sieg“ Gebrauch machen möchten, sollen – laut Koali-
tion – dadurch keinerlei Nachteile erhalten. In der Reali-
tät jedoch ist dies kaum zu gewährleisten. Wer sich nicht
total erfassen lassen möchte, macht sich in Zeiten des so-
genannten und völlig zügellosen Kampfes gegen den in-
ternationalen Terrorismus verdächtig.
Gleichzeitig, so lobt sich die Koalition vorsichtshal-
ber gleich selbst, soll der elektronische Dienstleistungs-
verkehr und das sogenannte E-Gouvernment mit dem
neuen Ausweisdokument sicherer und einfacher werden.
Von wegen, die letzten Datenschutzskandale bei Tele-
kom und LBB haben plastisch vor Augen geführt, dass
der Datenstrom im Internet alles andere als sicher ist.
Bevor also die Koalition derartige Versprechen in die
Welt bläst, sollte sie endlich die gesetzlichen Vorausset-
zungen für den sicheren Verkehr von personenbezoge-
nen Daten schaffen. Hier wird allerdings vonseiten der
Koalition und der Regierung nur geredet, beschwichtigt
und vertröstet. Die gemeinsame Beschlussempfehlung
zum Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten
wurde auf das nächste Jahr verschoben, Gesetzesinitiati-
ven zur Stärkung des Datenschutzes wurden nach den
Protesten der Wirtschaftslobbyisten zurückgezogen und
auf Nimmerwiedersehen zu den Akten gelegt.
Wir sollen also am heutigen Abend die Einführung ei-
nes neuen Ausweisdokumentes beschließen, das weder
mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger bringt,
das zudem hohe Kosten verursacht und auf einer völlig
unausgereiften und fälschungsanfälligen Technik basiert.
Das ist keine seriöse Sicherheits- und Innenpolitik, die
sich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger
orientiert. Der elektronische Personalausweis ist ein wei-
terer Baustein für die Mauern des Überwachungsstaates,
deren Last das Grundgesetz und die Menschen in diesem
Land kaum mehr (er)tragen können.
Die Linke lehnt daher die Einführung des elektroni-
schen Personalausweises ab und bekräftigt erneut ihre
Forderung nach einem sofortigen Sicherheitsgesetzmo-
ratorium.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dieser Gesetzentwurf ist ein fast schon perfektes Bei-
spiel für die Absurditäten, die diese Koalition hervor-
bringt. Der Personalausweis soll ergänzt werden um
e
z
D
w
D
g
s
C
t
w
C
ti
A
k
d
K
w
ta
ti
d
M
lä
W
w
w
S
P
w
a
s
n
i
D
r
D
Ä
K
K
n
f
s
a
A
M
ih
e
li
d
n
e
O
a
(C
(D
inen Chip, auf dem ein Foto und die sonstigen Daten
ur Person gespeichert werden. Was sind die Folgen?
ie direkteste Folge ist: Der Ausweis wird teurer. Und
eil ihn nun jeder besitzen muss, wird es für alle teurer.
as ist die greifbare Folge für alle Bürgerinnen und Bür-
er.
Die zweite Folge sind Sicherheitslücken, zum Bei-
piel durch unbefugtes Auslesen. Die Daten auf dem
hip sind zwar geschützt und kodiert. Aber mit etwas
echnischem Aufwand ist das Auslesen möglich. Es
urde schon die Kommunikation zwischen Lesegerat und
hip unbemerkt aufgezeichnet – und diese Kommunika-
on dann mit einem handelsüblichen PC entschlüsselt.
uch der Bundesdatenschutzbeauftragte hat eine stär-
ere Verschlüsselung gefordert.
Gibt man seinen Personalausweis irgendwo ab, und
as ist ja etwa in ausländischen Hotels üblich, ist das
opieren der Daten noch einfacher. Mit etwas mehr Auf-
and ist auch ein heimliches Auslesen aus der Hosen-
sche möglich. Sicherheit sieht anders aus!
Eine weitere Sicherheitslücke entsteht bei der Produk-
on. Die Erfahrung mit dem biometrischen Pass zeigt: Bei
er Erfassung der Daten und bei der Übertragung von den
eldestellen zum Hersteller gab es diverse Fehler, Unzu-
nglichkeiten, Versehen – kurz: Datenlecks. Es ist in keiner
eise geklärt, wie das beim Personalausweis verhindert
erden soll.
Die Bundesregierung interessieren diese Einwände
enig, das Projekt Biometrie gehört zu des Ministers
teckenpferden, also wird es umgesetzt. Auch ein BKA-
räsident, der klipp und klar sagt: „Unsere Personalaus-
eise sind jetzt schon fälschungssicher“ kann ihn nicht
ufhalten. Und auch die vielen Datenlöcher allenthalben
ind für ihn kein Grund, erst einmal die Sicherheit der
euen Technik und der Meldedaten zu gewährleisten.
Die Kritik des Datenschutzbeauftragten wird schlicht
gnoriert und das nicht nur bei den Sicherheitsfragen.
as Gesetz ignoriert auch Grundregeln des Datenschutz-
echts wie die Verhältnismäßigkeit oder das Recht auf
ateneinsicht und Korrektur. Peter Schaar hat konkrete
nderungen vorgeschlagen, um dies zu beheben. Die
oalition hat auch was geändert – aber nur, um die
ünstler- und Ordensnamen wieder einzuführen.
Die Farce geht aber noch weiter. Auf den Chip kön-
en auch die Fingerabdrucke gespeichert werden – auf
reiwilliger Basis. Dass es freiwillig ist, ist einerseits
chön, denn ich war immer der Auffassung, dass Finger-
bdrücke in die Fahndungskartei gehören, nicht in den
usweis. Andererseits fragt sich: Was soll das dann?
ehr Sicherheit bietet es nicht; denn die meisten werden
re Abdrücke verweigern. Sollen dann alle schon mal auf
ine schwarze Liste kommen, die keinen Fingerabdruck
efern? Ich muss hier so wilde Szenarien entwerfen, weil
ie Idee mit dem freiwilligen Fingerabdruck eben ratio-
alen Erklärungen nicht mehr zugänglich ist.
Ein großes Problem mit diesem neuen Ausweis ist der
lektronische Identitätsnachweis. Das Ziel ist, etwa beim
nlinehandel, jemanden sicher zu identifizieren. Das ist
uch wünschenswert. Aber warum ausgerechnet per
21306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Pflichtdokument? Auch hier gibt es keine sachliche Ant-
wort, sondern nur den Hinweis, dass ja auch diese Funk-
tion freiwillig sei. Selten hat man ein hoheitliches Doku-
ment gesehen, das so stark von Freiwilligkeit bestimmt
wurde!
Der Identitätsnachweis ist nichts anderes als die quali-
fizierte Signatur light. Warum brauchen wir die? Antwort
der Bundesregierung: Weil nicht genügend Leute die
Signatur haben wollten. Die wird mit diesem Nachweis
übrigens untergraben; denn die „echte“ Signatur kann
man nun unter Nutzung der „light“-Variante bestellen.
Sinn und Zweck? Nicht erkennbar! Wenn das Marketing
für die Signatur sein soll – dafür ist ein Personalausweis
nun wirklich nicht gedacht.
Auch hier gibt es Sicherheitslücken. Das Hauptpro-
blem heißt Eins-zu-eins-Kopie. Die Idee ist ja gerade, dass
die Person sich in Abwesenheit identifizieren soll. Also ist
nicht nachprüfbar, wer den Ausweis in den Kartenleser
steckt. Die Kopie des Chips – ich habe es schon gesagt –
ist recht einfach zu bewerkstelligen. Eine PIN-Nummer
zu knacken, ist nicht unmöglich, zumal angesichts der Si-
cherheitslücken in den meisten Computersystemen die
PIN kaum zu schützen ist. Unter diesen Bedingungen eine
solche Identifizierungsfunktion anzubieten, ist schlicht
fahrlässig! Den Nutzerinnen und Nutzern wird vorgegau-
kelt, diese Methode sei sicher – und sie werden es gerne
glauben, denn der Personalausweis gilt ihnen als sicher.
Aber das stimmt leider nur noch teilweise!
Ich könnte jetzt noch viel darüber sagen, dass in diesem
Gesetz die ungesunde Tendenz aus dem Passgesetz fort-
gesetzt wird, die anfallenden Datenbestände auch gleich
noch diversen anderen Nutzungen zuzuführen, oder dass
die Bundesregierung auch beim Personalausweis Monate
brauchte, zu entscheiden, ob sie Ordens- und Künstlerna-
men nun anerkennen will oder nicht. Aber das sind die
Datensammelwut und die handwerklichen Fehler, die bei
dieser Koalition schon zur traurigen Normalitat gehören.
Deshalb sage ich nur: Dieses Gesetz taugt nichts, wir leh-
nen es ab.
Gert Winkelmeier (fraktionslos): Die Vorstellung
klingt sicherlich verlockend, mit einem einzigen Doku-
ment fast alles erledigen zu können: den Einkauf im In-
ternet, Erledigungen per E-Governments. Einfache und
schnelle Kommunikationswege.
Bis vor kurzem klang das noch sehr verlockend. Der-
zeit aber jagt ein Datenskandal den anderen in dieser Re-
publik. Deshalb werden die Anhänger des elektronisch-
biometrischen Personalausweises deutlich weniger. Die
Menschen laufen nicht mehr unkritisch den neuesten Er-
rungenschaften der Technik hinterher. Telekom, Lidl,
jetzt die Landesbank Berlin – alles Datenskandale von
ungeheurem Ausmaß.
Es herrscht mit Recht kein uneingeschränktes Ver-
trauen in die Datensicherheit. Im Gegenteil: Die Forde-
rungen nach einem deutlich besseren Datenschutz neh-
men zu, sie werden vielfältiger und lauter. Dies war auch
bei der großen Datenschutzdemo Anfang Oktober in
Berlin zu sehen, als sich Ärzte, Rechtsanwälte und an-
d
t
K
D
z
n
S
d
z
z
I
n
n
b
h
n
d
m
f
R
n
s
w
r
s
n
d
z
g
n
k
G
l
a
s
s
h
m
u
f
r
r
e
c
–
u
1
t
k
ä
G
(C
(D
ere relevante Berufsgruppen an den Protesten beteilig-
en. Und das ist gut so!
Umso erschreckender ist es, dass Sie in der Großen
oalition auf Ihrem Weg unbeeindruckt fortschreiten.
ie Fingerabdrücke im neuen Personalausweis sind jetzt
war nicht mehr verpflichtend – von der Idee der erken-
ungsdienstlichen Behandlung der Bevölkerung haben
ie Abstand genommen – aber ansonsten beharren Sie
och auf Ihrem Vorhaben, biometrische Merkmale ein-
uführen und uns den unsäglichen RFID-Chip bringen
u wollen.
Warum halten Sie nicht einen Augenblick inne, Herr
nnenminister, und überdenken die Situation neu? We-
igsten sollten Sie die Sicherheitsauswertung für den
euen Reisepass abwarten, ehe Sie sich in ein nächstes
iometrisches Abenteuer stürzen. Es ist weiterhin nicht
undertprozentig gewährleistet, dass die RFID-Chips
icht von Unbefugten ausgelesen werden können. An
er von der Regierung immer wieder propagierten ver-
eintlichen Sicherheit bestehen berechtigte Zweifel.
Wenigstens die Entscheidung in der beim Bundesver-
assungsgericht anhängigen Klage zum biometrischen
eisepass müssten Sie doch abwarten, ehe Sie in die
ächste verfassungsrechtliche Falle tappen. Die Men-
chen haben doch jetzt schon das Gefühl, dass jedes
ichtige Gesetz von Karlsruhe kassiert wird.
Sie warten deshalb nicht ab, weil Sie alles, was an be-
echtigter Gegenwehr geschieht, für nicht wirklich we-
entlich halten. Wesentlich ist Ihnen vor allen Dingen ei-
es: die größtmögliche Kontrolle über die Menschen in
iesem Land. Ihre Gesetze im Bereich der Sicherheit
eigen alle in die gleiche Richtung. Am Ende steht eine
läserne Gesellschaft, in der das Recht auf informatio-
elle Selbstbestimmung nichts ist als ein Placebo. Man
önnte dies auch Überwachungsstaat nennen, wie
eorge Orwell ihn sich im Traum nicht hätte einfallen
assen können. Aber ich verspreche Ihnen: Wir werden
lles dafür tun, dass es dazu nicht kommen wird. Daten-
chutz und Datensicherheit werden zu den zentralen ge-
ellschaftlichen Politikfeldern des 21. Jahrhunderts ge-
ören.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
inister des Innern: Das Gesetz über Personalausweise
nd den elektronischen Identitätsnachweis ist Grundlage
ür eines unserer bedeutendsten IT- und Modernisie-
ungsprojekte: den elektronischen Personalausweis.
Kern dieses Personalausweisgesetzes ist die Einfüh-
ung des elektronischen Identitätsnachweises – kurz
ID-Funktion. Der Ausweis wird es also möglich ma-
hen, Daten wie Name, Anschrift und Alter im Internet
im E-Government wie E-Business – zuverlässig, sicher
nd bequem zu übermitteln.
Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet das: Ab
. November 2010 soll der neue Ausweis im Scheckkar-
enformat und mit Chip ausgegeben werden. Was das
leinere Format betrifft, erfüllen wir damit einen viel ge-
ußerten Wunsch: Der Ausweis wird endlich in jede
eldbörse passen!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21307
(A) )
(B) )
Mit dem Chip sind gleich mehrere neue Funktionen
verbunden. Schon heute wird der Personalausweis nicht
nur gegenüber Behörden, sondern vor allem auch in pri-
vaten Situationen eingesetzt, beispielsweise beim Er-
werb altersbeschränkter Waren, beim Zugang zu Bank-
schließfächern oder beim Abholen von Einschreiben bei
der Post. Einen „Standard-Identitätsnachweis im Netz“
gibt es aber bislang nicht.
Heute müssen wir bei jedem Onlineservice separate
Anmeldeverfahren mit eigenen PINs und Passwörtern
anlegen. Entweder haben Sie ein hervorragendes Ge-
dächtnis für all diese PINs und Passwörter oder Sie
schreiben sie auf einen heimlichen Zettel. Letzteres ist
natürlich absolut nicht im Sinn der IT-Sicherheit! Außer-
dem beklagen die Datenschützer immer wieder, dass die
Datenschutzanforderungen nicht einheitlich umgesetzt
werden und die Bürgerinnen und Bürger nicht nachvoll-
ziehen können, wer welche Daten von ihnen zu welchem
Zwecke online verwendet. Diese Probleme gehen wir
mit dem neuen Ausweis an.
Unser Ansatz berücksichtigt dabei die Forderung der
Wirtschaft nach einem Ausweis für das Netz, der auch
im E-Business eingesetzt werden kann. Gleichzeitig
nehmen wir aber auch die Wirtschaft in die Pflicht, sich
gegenüber dem Bürger zuverlässig als Onlinepartner
auszuweisen und datenschutzrechtliche Anforderungen
einzuhalten. Die Bürgerinnen und Bürger werden zu-
künftig genau sehen können, wer sie nach ihren Daten
fragt, denn die Unternehmen müssen dafür ein Berechti-
gungszertifikat vorweisen, das sie vorher bei einer staat-
lichen Stelle beantragt haben. Beide Seiten – Anbieter
und Nutzer von Internetdienstleistungen – können also
auf die Identität ihres Gegenübers vertrauen.
Der elektronische Identitätsnachweis ist nicht nur zu-
verlässig und bequem, er ist auch besonders effizient
und trägt zum Bürokratieabbau bei. Bürger, Wirtschaft
und Verwaltung profitieren davon. Die eID-Funktion
und die Kombinationsmöglichkeit mit der freiwilligen
elektronischen Signatur bringen großes Einsparpotenzial
mit sich. Man denke nur an die Tausenden Formulare,
die heute zwar am PC ausgefüllt werden können, aber
am Ende doch manuell unterschrieben und per Post ver-
sandt werden müssen. Mit dem neuen Personalausweis
werden vollelektronische Prozesse möglich – bundes-
weit und tausendfach. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Allein die Deutsche Rentenversicherung verschickt täg-
lich vier Tonnen Papier. Berge von Briefen werden mit
dem elektronischen Personalausweis überflüssig, alle
Beteiligten sparen Druck-, Porto-, Transportkosten und
vor allem: Zeit! Der Normenkontrollrat hat das Aus-
weisprojekt deshalb ausdrücklich begrüßt.
Noch ein Hinweis zur Biometrie: Der Personalaus-
weis wird dem Sicherheitsniveau der Pässe angeglichen
und entsprechend den internationalen Vorgaben auch das
Foto im Chip enthalten. Die Bürgerinnen und Bürger
werden die Wahl haben, ob sie – wie beim E-Pass – ne-
ben dem obligatorischen Foto zwei Fingerabdrücke in
ihrem Ausweis speichern lassen. Das sollte jeder tun, der
sicher gehen möchte, dass sein Personalausweis – falls
er einmal verloren geht oder gestohlen wird – nicht
d
b
i
a
H
g
b
t
h
m
c
w
a
a
i
d
b
l
G
M
n
m
W
D
r
a
d
d
A
C
f
t
n
D
z
k
d
a
u
d
(C
(D
urch fremde Personen, die einem ähnlich sehen, miss-
raucht verwendet werden kann. Mit Fingerabdrücken
st die Zuordnung des Dokuments zum echten Inhaber
bsolut eindeutig. Der Bürger hat es also selbst in der
and, sich durch die freiwillige Aufnahme seiner Fin-
erabdrücke in den Personalausweis vor Betrugsrisiken
esonders zu schützen. Übrigens werden rund eine Vier-
el Million Personalausweise jährlich gestohlen oder ge-
en verloren, wir sprechen hier also keinesfalls über
arginale Risiken.
Eines möchte ich ausdrücklich betonen: Eine Spei-
herung der Fingerabdrücke außerhalb des Personalaus-
eises findet nicht statt. Auch für den Internetgebrauch,
lso E-Government und E-Business, werden die Finger-
bdrücke nicht Verwendung finden. Der Zugriff auf die
m Ausweis-Chip gespeicherten biometrischen Daten,
as heißt Foto und gegebenenfalls Fingerabdrücke,
leibt ausschließlich den berechtigten behördlichen Stel-
en vorbehalten – zur sicheren Personenkontrolle an
renzen und im Inland. Dies wird durch technische
aßnahmen sichergestellt. Dafür steht unser internatio-
al anerkanntes Bundesamt für Sicherheit in der Infor-
ationstechnik mit seinem guten Namen.
Die Mitgliedstaaten der EU und andere Länder in der
elt beobachten derzeit gespannt, ob und wie uns in
eutschland die Umsetzung dieses großen Modernisie-
ungs- und Sicherheitsprojekts Elektronischer Personal-
usweis gelingt. Ich bitte Sie, uns darin zu unterstützen,
iese Chance für unsere Bürgerinnen und Bürger und für
en Standort Deutschland zu nutzen.
nlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der
Entschädigung von Telekommunikationsun-
ternehmen für die Heranziehung im Rahmen
der Strafverfolgung (TK-Entschädigungs-
Neuordnungsgesetz – TKEntschNeuOG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Wahrung der
Rechtssicherheit bei der Telekommunika-
tionsüberwachung und anderen verdeckten
Ermittlungsmaßnahmen
(Tagesordnungspunkt 14)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
SU): Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitions-
raktionen ist ein gutes Signal für die Telekommunika-
ionsunternehmen in Deutschland. Sie werden künftig
ach einem nach Pauschalen abgestuften System für die
ienstleistungen, die sie im Auftrag staatlicher Stellen
ur Überwachung der Telekommunikation und zur Aus-
unftserteilung über Bestands-, Verkehrs- und Standort-
aten erbringen, entschädigt. Die bisherige nicht mehr
ngemessene Regelung des § 23 des Justizvergütungs-
nd Entschädigungsgesetzes (JVEG) wird an die geän-
erten Gegebenheiten angepasst. In einer neuen Anlage
21308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
zum Gesetz wird auf sachgerechte und praktikable Art
und Weise für die einzelnen Maßnahmen und Auskünfte
ein Pauschalentschädigungssystem eingeführt. Das ver-
einfacht das Verfahren der Abrechnung deutlich, was
auch vor dem Hintergrund der langsam, aber kontinuier-
lich steigenden Anzahl behördlicher Anfragen bei den Te-
lekommunikationsunternehmen von Bedeutung ist. Erst-
mals wird auch der zusätzliche Personalkostenaufwand,
der bei den Telekommunikationsunternehmen, die als
Ermittlungshelfer der Strafverfolgungsbehörden tätig
werden, vergütet. Diese Tätigkeit ist nicht mit der Aus-
kunftserteilung Dritter nach § 23 JVEG vergleichbar,
sondern eher mit der Tätigkeit eines gerichtlichen Sach-
verständigen, der ein Honorar nach dem JVEG erhält.
An dieser Konzeption orientiert sich auch die gefundene
Lösung für die Telekommunikationsunternehmen. Im Zuge
der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung, die wir
im Rechtsausschuss zu dem Gesetzentwurf durchgeführt
haben, wurde der Entwurf noch an einigen Punkten, die
überwiegend technischer Natur sind und daher hier nicht
weiter ausgeführt werden sollen, geändert. Damit tragen
wir auch berechtigten Bedenken der Länder Rechnung.
In den Beratungen im Rechtsausschuss haben der
Kollege Stünker und ich darauf hingewiesen, dass – an-
ders als von Teilen der Opposition unterstellt – in dem
heute zu beschließenden Gesetzentwurf die Investitions-
kosten nicht geregelt sind. Ich stelle das hier auch noch-
mals klar: In den Pauschalen sind die Investitionskosten
nicht enthalten oder sonst auf eine Weise verdiskontiert.
Im Telekommunikations-Entschädigungs-Neuordnungs-
gesetz geht es vielmehr um die Betriebskosten. Aller-
dings sind meine Fraktion und ich der Auffassung, dass
wir im kommenden Jahr eine Investitionskostenregelung
treffen sollten. Der Gesetzgeber hat mit der Vorratsda-
tenspeicherung die Telekommunikationsunternehmen ver-
pflichtet, Verkehrsdaten nach § 113 a TKG für die Dauer
von sechs Monaten zu speichern. Zwar enthält die EU-
Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung keine Regelung
zur Frage der Kostentragungspflicht bzw. der Entschädi-
gung. Klar ist aber, dass diese Verpflichtung für die Un-
ternehmen mit nicht unerheblichen finanziellen Aufwen-
dungen verbunden ist. Sie hatten bzw. haben zusätzliche
Investitionen in Millionenhöhe für den Ausbau der Spei-
cherkapazitäten zu tätigen. Dabei werden unterschiedli-
che Zahlen gehandelt, die sich zwischen 50 bis 75 Millio-
nen Euro und 322 Millionen Euro bewegen. Es ist daher
als Erstes erforderlich, nachprüfbare Zahlen zu den In-
vestitionskosten, die durch die Vorratsdatenspeiche-
rungspflicht entstanden sind, auf den Tisch zu bekom-
men. In einem zweiten Schritt ist zu überlegen, was eine
angemessene Entschädigung sein könnte. Auch hier
sollte mit Pauschalen gearbeitet werden.
Ähnlich lautet auch die Empfehlung des Forschungs-
berichts „Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über
Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100 g,
100 h StPO“ des Max-Planck-Instituts für ausländisches
und internationales Strafrecht vom Februar 2008. Die
Autoren um Professor Albrecht bringen eine „Teilung
der Kosten für Entwicklung und Unterhaltung der Über-
wachungs- und Kooperationssysteme zwischen Staat
und Unternehmen“ ins Gespräch und empfehlen auf
S
g
r
s
f
T
d
g
w
A
T
E
p
d
A
ß
g
t
w
Ü
u
a
x
m
I
u
w
n
F
l
g
r
A
g
d
d
w
h
a
i
s
d
u
a
z
u
z
r
s
B
a
d
n
t
l
T
w
(C
(D
eite 417 des Forschungsberichts „eine allgemeine, ge-
ebenenfalls vom Einzelfall losgelöste Entschädigungs-
egelung im Rahmen des TKG“.
Dass die Forderung nach einer Investitionskostenent-
chädigung nicht einfach mit dem grundsätzlich zutref-
enden Hinweis auf die staatsbürgerliche Pflicht der
elekommunikationsunternehmen, bei Heranziehung durch
ie Strafverfolgungsbehörden Auskünfte zu erteilen, ab-
etan werden kann, zeigt auch der Beschluss des Ver-
altungsgerichts Berlin vom 17. Oktober 2008 (VG 27
232.08). Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat ein
elekommunikationsunternehmen in erster Instanz mit
rfolg die einstweilige Aussetzung der gesetzlichen Ver-
flichtung zur Vorratsdatenspeicherung durchgesetzt, bis
as Bundesverfassungsgericht im Verfahren nach
rt. 100 GG eine Entscheidung über die Verfassungsmä-
igkeit der Entschädigungslosigkeit der Speicherpflicht
etroffen hat. Dabei haben die Berliner Verwaltungsrich-
er unter Verweis auf den Vorlagebeschluss beachtens-
erte Ausführungen gemacht. Im Ergebnis halten sie die
bertragung öffentlicher Aufgaben – hier das Einrichten
nd Vorhalten von Überwachungs- und Speichertechnik –
n Private vor dem Hintergrund des Schutzgüterkomple-
es der öffentlichen Sicherheit für zumutbar. Nicht zu-
utbar sei jedoch die Übertragung der Kostenlast für die
mplementierungspflicht auf die Telekommunikations-
nternehmen. Mit den vorgetragenen Gründen werden
ir uns, auch wenn die Entscheidung des VG Berlin
icht rechtskräftig ist, noch auseinanderzusetzen haben.
Zum Schluss noch ein Wort zu dem von der FDP-
raktion vorgelegten Gesetzentwurf, mit dem eine Ver-
ängerung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Über-
angsvorschrift des § 150 Abs. 12 b TKG um ein weite-
es Jahr vorgeschlagen wird. Durch die damit bezweckte
ussetzung der Bußgeldvorschriften bei Verstößen ge-
en die Pflicht zur Speicherung der Verkehrsdaten oder
ie Pflicht zur Sicherstellung der Speicherung soll nach
em Titel des Gesetzentwurfs die Rechtssicherheit ge-
ahrt und die Telekommunikationsbranche vor unver-
ältnismäßigem Schaden bewahrt werden. Es ist zu be-
chten, dass Deutschland europarechtlich verpflichtet
st, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Es handelt
ich dabei um eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten,
ie dieser nachzukommen haben, indem sie die Richtlinie
msetzen und die daraus resultierenden Verpflichtungen
uch durchsetzen. Die Umsetzung ist mit dem Gesetz
ur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung
nd anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie
ur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG Ende des Jah-
es 2007 geschehen.
Die Durchsetzung und die Sanktionierung von Ver-
tößen gegen die Speicherpflicht mit dem Mittel des
ußgeldes wurde für eine Übergangszeit von einem Jahr
usgesetzt, um den Telekommunikationsunternehmen
ie Möglichkeit zu geben, die erforderlichen Investitio-
en und Vorkehrungen zu treffen. Die Unternehmen hat-
en nun die erforderliche Zeit, sich auf die neue Rechts-
age einzustellen. Im Telefoniebereich speichern die
elekommunikationsunternehmen nach meiner Kenntnis
eitgehend. Insofern gibt es auch keinen Grund, ab Ja-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21309
(A) )
(B) )
nuar 2009 dies nicht auch von den Internetanbietern zu
verlangen.
Schließlich ist die Vorratsdatenspeicherung auch kein
Selbstzweck. Die Verkehrsdaten werden sowohl zu Straf-
verfolgungszwecken als auch zur Gefahrenabwehr benö-
tigt. Eine weitere Aussetzung der Bußgeldvorschriften ist
deshalb nicht angebracht. Der Gesetzentwurf der FDP ist
nicht weiterführend und deshalb abzulehnen.
Dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen bitte ich
zuzustimmen.
Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Was lange
währt, wird manchmal auch tatsächlich gut. Dies ist bei
der Entschädigung der Telekommunikationsunterneh-
men für die Umsetzung von Anordnungen zur Überwa-
chung der Telekommunikation sowie zur Auskunftser-
teilung über Daten nun endlich der Fall.
Wir haben die Notwendigkeit einer ebenso angemes-
senen wie praktikablen Entschädigung für die Heranzie-
hung der Telekommunikationsunternehmen durch die
Bedarfsträger schon in der letzten Legislaturperiode er-
kannt. Dies unterschied uns jedoch von anderen Akteu-
ren, sodass eine zeitnahe Anpassung der Entschädigung
nach dem JVEG nicht erfolgen konnte.
Wir möchten mit diesem Gesetz klarstellen, dass wir
die konstruktive Zusammenarbeit der Telekommunika-
tionsbranche mit den Bedarfsträgern in den letzten Jah-
ren nicht nur verbal anerkennen, sondern auch materiell
angemessen vergüten.
Bisher fand eine Entschädigung für die im Interesse
des Gemeinwesens so wichtigen Dienstleistungen der
Telekommunikationsunternehmer auf Basis des allge-
meinen Stundensatzes für Zeugen vor Gericht statt. Die-
sen bemisst das Justizvergütungs- und -entschädigungs-
gesetz auf 17 Euro für jede begonnene Stunde. Bei
bestimmten Arbeiten muss der zeitliche Aufwand ab der
zweiten Stunde minutengenau nachgewiesen werden.
Damit ergab sich Folgendes: Der Vergütungssatz
deckt nicht einmal die Kosten der Unternehmen; der ad-
ministrative Aufwand, um diesen unzureichenden Aus-
gleich zu erhalten, ist in manchen Fällen noch dazu hö-
her als der Ausgleich selbst. Hier war eine Neuregelung
der Kompensation geboten. Dies bedeutet eine mate-
rielle Besserstellung in Verbindung mit einer Entbüro-
kratisierung des Verfahrens. Beides haben wir durch eine
realistische Pauschalvergütung erreicht.
Wir haben jetzt eine klassische Win-win-Situation:
Die Bedarfsträger wissen vorher, wie viel eine Aktion
kostet, die Unternehmen sind von übersteigerten Nach-
weispflichten entlastet.
Bitte gestatten Sie mir auch noch einen Exkurs. Die er-
höhten Vergütungssätze sind systemimmanent, weil die
Telekommunikationsunternehmen hier nicht wie ge-
wöhnliche Zeugen in einem Strafprozess agieren, sondern
Leistungen erbringen, die weit darüber hinausgehen: Sie
müssen in vielen Fällen Recherchen durchführen, die
über die bloße Auskunftserteilung hinausgehen und eher
mit der Tätigkeit von Sachverständigen zu vergleichen
s
b
d
d
h
o
s
K
t
c
z
B
m
t
g
e
c
g
s
s
d
n
z
d
A
B
f
2
b
U
t
D
s
B
n
e
s
(C
(D
ind. Dass dies bei der Ausgestaltung der Entschädigung
erücksichtigt werden muss, ist evident.
An dieser Stelle möchte ich auch noch eine Lanze für
ie Unternehmen brechen: Ich kenne keines, das für
iese Angelegenheiten ein eigenes Profitcenter gebildet
ätte – mangels eines Profites! Die Entschädigungssätze
rientieren sich an den Kosten der Unternehmen, decken
ie aber noch immer nicht. Das Geraune interessierter
reise von so erwirtschafteten Gewinnen der verpflich-
eten Unternehmen ist eine – nicht nur vorweihnachtli-
he – Mär.
Wir haben insofern die Entschädigung für die Heran-
iehung der Telekommunikationsunternehmen durch die
edarfsträger im Einzelfall abschließend und – wie ich
eine – sehr ausgewogen geregelt. Das Justizvergü-
ungs- und -entschädigungsgesetz ist entsprechend er-
änzt und neu tariert worden.
In der Diskussion der vergangenen Monate ist noch
in weiterer Aspekt, den ich bisher noch nicht angespro-
hen habe, immer wieder erörtert worden: die Entschädi-
ung für Sachinvestitionen. Dieses Problem ist im Zu-
ammenhang mit der Pflicht der Unternehmen zur
ogenannten Vorratsdatenspeicherung virulent gewor-
en. Das TKG schreibt den Telekommunikationsunter-
ehmen vor, die Vorratsdatenspeicherung bis spätestens
um 1. Januar 2009 umzusetzen. Ein Verstoß gegen
iese Pflicht könnte durch die Bundesnetzagentur nach
usübung ihres pflichtgemäßen Ermessens mit einem
ußgeld geahndet werden.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat nun in einem Ver-
ahren des vorläufigen Rechtsschutzes am 17. Oktober
008 entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland
is zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens wegen der
nterlassung der Vorhaltung von Anlagen zur Vorratsda-
enspeicherung keine Zwangsmaßnahmen ergreifen darf.
ie Argumentation der Kammer verdient Beachtung und
ei hier – zumindest ansatzweise – referiert.
Die Richter führen aus:
Der Dienst des Telekommunikationsanbieters ist
neutral. Er stellt lediglich die Netze zur Verfügung,
die zur Übermittlung von Kommunikation erforder-
lich sind. Verantwortlich für den Inhalt der Kom-
munikation sind die Nutzer. Die Anknüpfung der
Zurechnung an die Zurverfügungstellung einer neu-
tralen Leistung würde, wollte man sie als Zurech-
nungskriterium gelten lassen, den Kreis der danach
Verantwortlichen unüberschaubar weit ziehen; denn
vergleichbare Missbrauchsmöglichkeiten wohnen
einer Vielzahl von Produkten oder Leistungen der
Industriegesellschaft inne, beispielhaft seien Waf-
fen und Automobile genannt … Im bloßen Zurver-
fügungstellen liegt daher kein normatives Element,
das die Heranziehung des Telekommunikationsan-
bieters rechtfertigen könnte …
Eine Parallele zu den gesetzlichen Regelungen, die
anken betreffen, liegt nach Ansicht der Kammer auch
icht vor, „denn im Unterschied zur Geldwäsche ist die
rbrachte Leistung des Telekommunikationsanbieters tat-
ächlich neutral; bei den Bankgeschäften ist es das Ge-
21310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
schäft selbst, nicht die reine Transferleistung der Bank,
die Unrechtsgehalt besitzt …“
Ferner seien die Kosten für die Unternehmen
jährlich nicht so unbedeutend, daß eine Bindung er-
heblicher Betriebsmittel im Sinne von BVerfGE
22,380 von vornherein ausscheidet. Daß diese Kos-
ten für die Vorratsdatenspeicherung – nach Erwar-
tung des Bundesgesetzgebers … – von den betrof-
fenen Telekommunikationsunternehmen bei ihrer
Preisgestaltung einkalkuliert und an die Kunden
weitergegeben werden, was zu einer „geringfügi-
gen“ Steigerung des Verbraucherpreisniveaus im
Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen
führen könne, ersetzt nicht das für die Auferlegung
genuin staatlicher Pflichten auf Private notwendige
Zurechnungskriterium und ist daher zur Begrün-
dung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der
Kostenregelung in Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG
untauglich.
Dies sind sehr ernstzunehmende Argumente, die si-
cher auch einen gewichtigen Einfluss auf die Entschei-
dungspraxis der Bundesnetzagentur haben werden.
Auch wir werden die Bedenken des Gerichts keines-
falls unter den Tisch fallen lassen und die Problematik
weiter im Auge behalten.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Marktteilnehmer
schon ungebührlich lange auf die Anpassung des Justiz-
vergütungs- und -entschädigungsgesetzes warten muss-
ten, ist die Ausklammerung der Entschädigung für die
Vorratsdatenspeicherung sicher im Interesse der Unter-
nehmen, die so nicht noch länger warten müssen. Aus-
klammerung bedeutet nicht Erledigung durch Ignorie-
ren. Im Gegenteil: Hier gilt es, für die Zukunft eine
überzeugende Lösung herbeizuführen.
Martin Dörmann (SPD): Wir halten Wort. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf löst die Große Koalition ihr
Versprechen einer angemessenen Entschädigungsrege-
lung für Telekommunikationsunternehmen ein. Diese
werden heute in erheblichem Umfang zur Unterstützung
von Strafverfolgungsmaßnahmen verpflichtet und auch
tatsächlich herangezogen. Die bisherigen Entschädi-
gungsregeln hierfür waren jedoch unzureichend. Dabei
leisten die Unternehmen einen wichtigen Beitrag für
eine effektive Strafverfolgung und für die Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger. Das reicht von Auskunftsersu-
chen der Strafverfolgungsbehörden über Bestands- und
Verkehrsdaten bis hin zu konkreten Überwachungsmaß-
nahmen.
Bei der Durchführung dieser Maßnahmen entstehen
den TK-Unternehmen nicht unerhebliche Kosten. Dies
betrifft einerseits die notwendigen Investitionen in Hard-
oder Software, vor allem aber auch laufende Sach- und
Personalkosten. Je nach Schwierigkeit ist die Datenab-
frage bzw. Maßnahme mit mehr oder weniger großem
Aufwand verbunden. Zudem müssen die verpflichteten
Unternehmen eine 24-Stunden-Bereitschaft organisie-
ren. Die Politik hat den TK-Unternehmen bereits seit
vielen Jahren eine angemessene Entschädigungsrege-
l
g
d
z
v
h
v
t
E
d
S
J
h
v
o
p
N
s
h
w
n
s
D
S
s
r
g
d
f
w
s
p
k
s
s
A
h
D
t
l
h
r
ü
u
K
d
c
i
m
l
s
k
e
(C
(D
ung in Aussicht gestellt. Eine im Telekommunikations-
esetz enthaltene Verordnungsermächtigung wurde je-
och niemals umgesetzt.
Hinzu kommt, dass mit der Vorratsdatenspeicherung,
u deren technischen Umsetzung die TK-Unternehmen
erpflichtet sind, zusätzliche Anfragen und damit auch
öhere Kosten einhergehen werden.
Die Koalitionsfraktionen haben deshalb den heute zu
erabschiedenden Gesetzentwurf vorgelegt. Die TK-Un-
ernehmen erhalten damit erstmals eine angemessene
ntschädigung für den Sach- und Personalaufwand bei
er Inanspruchnahme ihrer Dienste im Rahmen der
trafverfolgung. Die bislang geltenden Vorschriften im
ustizvergütungs- und Entschädigungsgesetz, JVEG,
atten nur eine verhältnismäßig geringe Entschädigung
orgesehen. Diese hat sich an den Sätzen für Zeugen
rientiert, obwohl die TK-Wirtschaft besonderen Ver-
flichtungen unterliegt und deutlich höhere Kosten hat.
unmehr schaffen wir dort ein neues System aus Pau-
chalen mit leistungsgerechten Entschädigungsbeträgen.
Das Abrechnungsverfahren wird so praktikabel ge-
alten. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf
urden die Pauschalsätze im Gesetzgebungsverfahren
och weiter präzisiert. Sie orientieren sich an dem tat-
ächlichen Aufwand für die unterschiedlichen Dienste.
ie gefundenen Regelungen hinsichtlich der laufenden
ach- und Personalkosten werden von der TK-Wirt-
chaft allgemein begrüßt und positiv kommentiert.
Als nach wie vor problematisch hat sich die Frage he-
ausgestellt, inwieweit auch Investitionskosten in eine
esetzliche Entschädigungsregelung aufgenommen wer-
en sollten. Dies ist ein zusätzliches Anliegen der betrof-
enen Unternehmen. Eine solche Entschädigungsregelung
äre nicht im JVEG, sondern im Telekommunikationsge-
etz anzusiedeln. Allerdings gibt es bislang noch keinen
olitischen Konsens darüber, ob und wie Investitions-
osten entschädigt werden sollten. Insbesondere stellt
ich diese Frage im Hinblick auf die neue Vorratsdaten-
peicherung, vor allem, weil nun auch Untenehmen zu
ufwendungen verpflichtet werden, die bislang kaum
erangezogen wurden, etwa im Bereich des Internets.
er Grad der Betroffenheit ist dabei zwischen den Un-
ernehmen sehr unterschiedlich. Zudem gibt es hierzu
aufende Gerichtsverfahren.
Die Wirtschaftspolitiker der Koalitionsfraktionen ste-
en grundsätzlich einer angemessenen Entschädigungs-
egelung für Investitionskosten durchaus positiv gegen-
ber. Wir sehen die Diskussion noch nicht als beendet an
nd werden uns auch weiterhin für eine vernünftige
ompromisslösung einsetzen. Aber auch unabhängig
avon bringt der vorliegende Gesetzentwurf eine deutli-
he Erleichterung für die TK-Unternehmen, weshalb wir
hn nachdrücklich unterstützen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal zusam-
enfassen: Mit der neuen Entschädigung werden die Te-
ekommunikationsunternehmen erheblich entlastet und
omit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Investitions-
raft gestärkt. Das ist gerade im Hinblick auf die aktu-
lle Konjunkturlage wichtig. Mittelbar können auch die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21311
(A) )
(B) )
Telefonkunden von der neuen Regelung über geringere
Preise profitieren. Die heutige Verabschiedung des Ge-
setzes ist deshalb gut für die Wirtschaft und gut für die
Verbraucherinnen und Verbraucher.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Gestern
wurde uns im Ausschuss für Kultur und Medien der „Me-
dien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung
2008“ vorgestellt. Neben vielen interessanten Informa-
tionen findet sich dort – passenderweise im Abschnitt
„Medienfreiheiten im Wandel von Digitalisierung und
Konvergenz“ folgender Satz im Zusammenhang mit dem
von CDU/CSU und SPD ausgeweiteten Überwachungs-
und Vorratsdatenspeicherungsregime: „Die Bundesregie-
rung ist sich der besonderen verfassungsrechtlichen Sen-
sibilität der Gesetzgebung im Sicherheitsbereich bewusst
und achtet bei allen Maßnahmen darauf, dass die berech-
tigten grundrechtlichen Belange der Journalisten und
Medienunternehmen gewahrt bleiben.“
Einmal abgesehen davon, dass ich mich frage, ob sich
auch „nicht berechtigte Belange“ im Grundgesetz fin-
den, ist diese Aussage erstaunlich. Eine Vielzahl führen-
der Journalisten, wichtiger Akteure der Medienbranche
und vor allem Bürgerrechtler scheint diese Sensibilität
seitens der Bundesregierung zumindest nicht sehen zu
können. Daher möchte ich ausnahmsweise mein „cete-
rum censeo“ schon jetzt anbringen: Die FDP-Bundes-
tagsfraktion lehnt die von Ihnen massiv ausgeweiteten
Sicherheitsvorschriften, deren Effektivität zweifelhaft,
deren negative Wirkungen allerdings unbestritten sind,
ab. Wir werden noch sehen, wie das Bundesverfassungs-
gericht Ihre Aktivitäten bewertet. Ohrfeigen haben Sie
sich ja bereits mehrere eingefangen.
Nun aber zu den konkreten Gesetzesvorhaben: Vor
ungefähr einem Jahr hat der Deutsche Bundestag ein Ge-
setz verabschiedet, das mit dem TK-Entschädigungs-
Neuordnungsgesetz in engem Sachzusammenhang steht.
Mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD wurde das
Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüber-
wachung und damit die Einführung der Vorratsdaten-
speicherung beschlossen. Bereits in dieser Debatte hat
die Entschädigung für die Telekommunikationsunter-
nehmen eine große Rolle gespielt. Der Gesetzgeber hat
die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, seit
1. Januar 2008 alle Telekommunikationsverkehrsdaten
zu speichern. Darüber hinaus ist auch die Speicherung
des Standortes bei Beginn einer Mobilfunkverbindung
vorgeschrieben. Ab 1. Januar 2009 kommt auch die Spei-
cherung der Verkehrsdaten hinzu, die bei der Kommuni-
kation über das Internet anfallen. Der Staat hat damit die
Telekommunikationsunternehmen zu einer staatlichen
Aufgabe verpflichtet, die weit über die Speicherung der
Daten zu eigenen Abrechnungszwecken hinausgeht. Die
FDP-Bundestagsfraktion hat stets darauf hingewiesen,
dass die Verpflichtung von Privaten zur Übernahme
staatlicher Aufgaben keine Selbstverständlichkeit ist. Sie
darf jedenfalls nicht entschädigungslos erfolgen.
Es war ein großer Fehler der Bundesregierung, darauf
zu verzichten, zeitgleich mit der Einführung der Vorrats-
datenspeicherung zum 1. Januar 2008 auch eine ange-
m
l
t
m
z
v
d
S
p
d
w
a
d
m
E
e
g
d
d
d
l
z
a
e
z
g
u
d
r
d
g
D
H
w
V
d
w
k
d
s
h
v
t
d
s
i
c
t
t
t
T
K
a
V
F
s
(C
(D
essene Entschädigungsregelung in Kraft treten zu
assen. Stattdessen werden die Telekommunikationsun-
ernehmen derzeit für ihre Mitwirkung an der Telekom-
unikationsüberwachung als Zeugen nach dem Recht
ur allgemeinen Entschädigung von Zeugen und Sach-
erständigen entschädigt. Die Unternehmen haben wie-
erholt darauf hingewiesen, dass der derzeit geltende
atz für die Zeugenentschädigung von maximal 17 Euro
ro Stunde nicht annähernd kostendeckend ist. Insbeson-
ere durch die Zunahme von Überwachungen in mittler-
eile allen Bereichen der Telekommunikation ist die In-
nspruchnahme der Unternehmen durch den Staat und
amit auch die wirtschaftliche Belastung der Unterneh-
en in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen.
rst nach nunmehr einem Jahr hat sich die Koalition auf
inen Gesetzentwurf zur Telekommunikationsentschädi-
ung geeinigt.
Für die FDP-Bundestagsfraktion bestätige ich, dass
er von der Bundesregierung dabei gewählte Ansatz
urchaus gelungen ist. Die pauschalierte Vergütung für
ie einzelnen Entschädigungstatbestände ist grundsätz-
ich zu begrüßen. Dieses System, das an dem für die ein-
elnen Maßnahmen üblicherweise erforderlichen Zeit-
ufwand ansetzt, ist transparent und ermöglicht endlich
ine eindeutige Zuordnung der Kosten. Das abfragebe-
ogene Pauschalentschädigungssystem wird dazu beitra-
en, dass die Unternehmen von unnötiger Bürokratie
nd weiterem administrativen Aufwand entlastet wer-
en.
Auf Unverständnis stößt allerdings, dass die Bundes-
egierung es nach wie vor nicht für notwendig erachtet,
ie von den Unternehmen in erheblichem Ausmaß vor-
enommenen Investitionen ebenfalls zu entschädigen.
ie Branchenverbände gehen von einem Volumen in
öhe von bis zu 75 Millionen Euro aus, die aufgewendet
erden müssen, um technischen Voraussetzungen für die
orratsdatenspeicherung zu schaffen. Der Gesetzentwurf
er Bundesregierung schweigt vielsagend zu der Frage,
ie mit diesen Kosten zu verfahren sei. Es wird auch
eine Härtefall-Regelung für Unternehmen vorgesehen,
ie aufgrund ihrer geringen Größe oder ihrer Kunden-
truktur kaum Anfragen zur Übermittlung von Daten er-
alten werden, aber dennoch die gesamte Infrastruktur
orhalten müssen. Es ist doppelzüngig von der Koali-
ion, zu behaupten, der Gesetzentwurf sehe lediglich Än-
erungen im Justizvergütungs- und Entschädigungsge-
etz vor, während eine Entschädigung von Investitionen
m Telekommunikationsgesetz zu erfolgen habe, wel-
hes in der Verantwortung des Bundeswirtschaftsminis-
eriums liege. Wir beraten heute das Telekommunika-
ions-Entschädigungs-Neuordnungsgesetz.
Zur Entschädigung gehören eindeutig auch die Inves-
itionskosten. Es ist daher nicht hinnehmbar, wenn die
elekommunikationsunternehmen weiterhin auf diesen
osten sitzenbleiben, nur weil die Bundesregierung es
uch nach einem Jahr noch nicht fertiggebracht hat, eine
erständigung zwischen den einzelnen Ressorts in dieser
rage herbeizuführen.
Die FDP-Bundestagsfraktion legt heute auch ein Ge-
etz zur Abstimmung vor, mit dem wir die Aussetzung
21312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
der Bußgeldpflicht bei Verstößen gegen die Speiche-
rungspflicht bis 2010 ausdehnen wollen. Wir halten die-
ses Moratorium für zwingend erforderlich vor dem
Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung sowie der
Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin zu den
fehlenden Entschädigungsregelungen in diesem Jahr.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat im Juli 2008 ent-
schieden, dass es gegen die Berufsfreiheit von Telekom-
munikationsunternehmen verstößt, wenn der Staat Inves-
titionen ohne Entschädigung erzwingt. Das Gericht hat
in einer weiteren Entscheidung vom Oktober 2008 zu-
dem die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeiche-
rung im Hinblick darauf angezweifelt, dass die gesetzli-
chen Regelungen keine Erstattung der den Unternehmen
durch die Speicherung entstehenden Kosten vorsehen. Vor
diesem Hintergrund halten wir es für geboten, die bereits
zum 1. Januar 2009 einsetzende Bußgeldverpflichtung um
ein Jahr auszusetzen. Ich weise ausdrücklich darauf hin,
dass unser Gesetzentwurf nicht die Aussetzung der Vor-
ratsdatenspeicherung, sondern ausschließlich die Aus-
setzung der Bußgeldverpflichtung zum Ziel hat. Bisher
haben einige Kollegen der Koalitionsfraktionen diesen
Unterschied verkannt.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat wiederholt bekräf-
tigt, dass sie die Vorratsdatenspeicherung ablehnt. Wir
sehen hierin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die
Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Insofern ha-
ben wir die Eil-Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts in diesem Jahr ausdrücklich begrüßt. Dennoch
werden wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung
heute nicht ablehnen. Es ist anzuerkennen, dass damit
eine Verbesserung des derzeitigen Entschädigungssys-
tems erreicht wird. Wir begrüßen, dass die Unternehmen
endlich von einer Neuregelung profitieren können, die
grundsätzlich sachgerecht ist. Die nach wie vor fehlende
Investitionsentschädigung macht den Entwurf aus unse-
rer Sicht jedoch nicht zustimmungsfähig.
Wir werden uns bei dem Gesetzentwurf der Koalition
daher heute der Stimme enthalten und werben um Ihre
Stimme für unseren Gesetzentwurf.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir sprechen heute da-
rüber, Unternehmen für Leistungen zu entschädigen,
ohne dass wir wissen, ob diese Leistungen überhaupt
rechtskonform sind. Denn vieles spricht dafür, dass die
Vorratsdatenspeicherung sowohl gegen Europarecht als
auch gegen das Grundgesetz verstößt. Der ungeheure
Angriff auf die Bürgerrechte, den die Große Koalition
hier unternimmt, wird derzeit vom Bundesverfassungs-
gericht behandelt. Es hat bereits zwei vorläufige Ent-
scheidungen getroffen, die die Hoffnung nähren, dass
dem manifestierten Überwachungswahn der Bundesre-
gierung eine weitere Niederlage beschert wird.
Der Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, zeichnet
sich darüber hinaus durch ein ärgerliches Tarnen und
Täuschen aus. Denn Sie schreiben darin von den Unter-
nehmen als „Ermittlungshelfern“. Nun setzt aber der Be-
griff der Hilfe ein Mindestmaß an Freiwilligkeit voraus.
Davon kann bei der Heranziehung zur Strafverfolgung
k
D
w
w
Ü
f
ü
h
w
j
g
d
t
s
b
r
S
s
n
i
v
G
P
s
r
P
v
g
m
s
Ü
a
f
ü
n
c
w
T
s
M
c
V
z
t
g
n
K
i
d
g
w
w
m
(C
(D
eine Rede sein; vielmehr werden die Unternehmer zur
urchführung kurzerhand gezwungen.
Dann gab es lange Zeit ein Hin und Her bei der Frage,
ofür genau die Unternehmen eigentlich entschädigt
erden sollen: Nur für die konkrete Heranziehung für
berwachungsmaßnahmen oder auch für die Anschaf-
ungskosten der Vorratsdatenspeicherung? Da hat es
ber Monate hin widersprüchliche Angaben aus den Rei-
en der Großen Koalition gegeben. Nun sagen Sie, Sie
üssten überhaupt nicht, ob die Anschaffungskosten, die
a mehrere Millionen betragen, überhaupt zu entschädi-
en seien.
Es ist weit gekommen, wenn ausgerechnet die Linke
er Großen Koalition etwas über den Schutz des Eigen-
ums von Unternehmen erzählen muss. Natürlich müs-
en die Unternehmer, die vom Staat gezwungen werden,
estimmte Anschaffungen für die Vorratsdatenspeiche-
ung zu tätigen, dafür entschädigt werden. Das können
ie schon Art. 14 Grundgesetz entnehmen. Natürlich
ind die Investitionskosten eins zu eins zu erstatten, und
atürlich müssen den Telekommunikationsunternehmen
n jedem Einzelfall die tatsächlich anfallenden Kosten
ergütet werden. Es spricht nichts dagegen, dies aus
ründen der praktischen Handhabung auch in Form von
auschalen zu machen. Nur, diese Pauschalen müssen
ich nachvollziehbar an den anfallenden Kosten orientie-
en. Das ist hier aber nicht der Fall. Teilweise sind die
auschalen viel zu hoch, teilweise überhaupt nicht nach-
ollziehbar.
Wenn der unbescholtene Bürger schon für seine ei-
ene Überwachung bezahlen soll, schulden Sie ihm zu-
indest buchhalterische Sorgfalt. Aber die richtige Lö-
ung lautet natürlich: Ziehen Sie Ihr groß angelegtes
berwachungsprojekt gänzlich zurück, verzichten Sie
uf die Vorratsdatenspeicherung! Sie ist bürgerrechts-
eindlich, teuer und überflüssig.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer
ber das heute anstehende TK-Entschädigungs-Neuord-
ungsgesetz spricht, der muss über die Vorratsdatenspei-
herung sprechen. Denn ohne die Vorratsdatenspeicherung
ürde auch über eine Neuordnung der Entschädigung von
elekommunikationsdienstleistern nicht zu entscheiden
ein.
Nach den entsetzlichen Anschlägen auf Vorortzüge in
adrid reagierte die EU mit einem Vorschlag zur Spei-
herung bestimmter Daten der Telekommunikation auf
orrat, um diese bei Bedarf den Ermittlungsbehörden
ur Verfügung stellen zu können. Jedem leuchtet unmit-
elbar ein – so wurde die Initiative auch ausdrücklich be-
ründet – dass es sich hierbei um eine europäische Maß-
ahme zur Verfolgung grenzüberschreitender schwerster
riminalität handelt. Konsequenterweise wurde deshalb
n der gouvernementalen sogenannten dritten Säule um
ie dort notwendige Einstimmigkeit der Staaten der EU
erungen. Sie war nicht zu erreichen, nicht zuletzt des-
egen, weil sich die Bundesregierung diesem Ansinnen
idersetzte. Das tat sie, weil der Bundestag in einer ein-
ütigen Entschließung nach Art. 23 Grundgesetz erheb-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21313
(A) )
(B) )
liche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorrats-
datenspeicherung formuliert hat.
Daraufhin wurde in Brüssel zu einem üblen Trick ge-
griffen. Eine Maßnahme der Strafverfolgung wurde
flugs zu einer Maßnahme der Wettbewerbsförderung
umetikettiert und mit Mehrheit verabschiedet. Auch die
inzwischen neue Bundesregierung stimmte diesem
Schwindel zu. Und leider hat auch die Mehrheit dieses
Hohen Hauses aus SPD, CDU, CSU die nach wie vor
bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
Vorratsdatenspeicherung aufgegeben und der Bundesre-
gierung grünes Licht gegeben. Besonders in Richtung
der SPD sage ich: Diese Aufgabe bürgerrechtlicher Posi-
tionen wird ihnen noch auf die Füße fallen. Es ist bemer-
kenswert, wie Sie lustvoll an einem permanenten Aus-
nahmezustand in Deutschland mitwirken und jede
Gegenwehr gegen eine Überwachungsgesellschaft auf-
gegeben haben. Zur Klarstellung: Mit den Worten „Lust
am permanenten Ausnahmezustand“ und „Überwa-
chungsgesellschaft“ habe ich den Präsidenten des Bun-
desverfassungsgerichts zitiert. Das Gleiche – der Über-
gang von einem Verfahren in der sogenannten Dritten
Säule in die erste – geschah schon bei der europäischen
Regelung der Weitergabe von Fluggastdaten an die
USA. Dort hat der Europäische Gerichtshof den Trick
der Umetikettierung durchschaut und die Vorschriften
kassiert.
Gegen die europäische Vorratsdatenspeicherung klagt
Irland vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Ausgang
des Verfahrens ist ungewiss. Gegen die Einführung der
Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht klagen über
10 000 Bürgerinnen und Bürger vor dem Bundesverfas-
sungsgericht. Das Gericht hat bereits in zwei einstweili-
gen Anordnungen Teile der Regelung zur Vorratsdaten-
speicherung suspendiert.
Mit der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in
deutsches Recht hat die Koalition in einem bisher einma-
ligen Umfang Private für die staatlichen Zwecke der
Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verpflichtet. Die
Telekommunikationsunternehmen werden zu Hilfspoli-
zisten und Hilfsagenten der Geheimdienste und der
Staatsanwaltschaften. Sie müssen die Daten ihrer Kun-
den – die sie selbst gar nicht benötigen – auf eigene Kos-
ten und in einem ungeheuerlichen Umfang speichern
und auf Vorrat zur Herausgabe an staatliche Instanzen
vorhalten. Frau Bundesministerin Zypries behauptet
zwar immer noch, die Unternehmen müssten nichts spei-
chern, was sie nicht sowieso schon hätten. Die Sachver-
ständigenanhörung zum vorliegenden Gesetz, die wir am
12. März 2008 im Rechtsausschuss durchgeführt haben,
hat das Gegenteil eindrucksvoll zu Tage gefördert. Ich
verweise nur auf die Aussagen der Sachverständigen
Oliver Süme und Felix Müller, Seite 27 und 33 des Pro-
tokolls.
Die Vorratsdatenspeicherung ist auch ein massenhaf-
ter schwerwiegender Eingriff in das grundrechtlich ge-
schützte informationelle Selbstbestimmungsrecht und
räumt gründlich mit dem Grundsatz auf, dass sich ein
Bürger die Polizei vom Halse halten kann, wenn er sich
durch und durch rechtstreu verhält. Mit der Vorratsda-
t
g
n
t
u
g
g
s
s
l
h
K
c
w
f
T
l
s
n
V
h
w
d
d
t
n
s
w
e
f
a
a
r
Ü
d
c
d
u
d
B
c
B
r
u
t
A
D
f
E
h
T
l
(C
(D
enspeicherung wird das ganze Volk potenziell zum Zu-
riffsobjekt von Geheimdiensten und Polizeibehörden.
Heute interessiert aber nur der Aspekt der Inanspruch-
ahme der Telekommunikationsunternehmen, also Priva-
er, für diese hoheitlichen Maßnahmen. Die Investitions-
nd Vorhaltekosten der Vorratsdatenspeicherung sind
igantisch. Es ist völlig unklar, ob sie mit dem vorlie-
enden Gesetz, zum Teil versteckt, in den erhöhten Pau-
chalen abgegolten werden sollen. Die Unternehmen
tellen dies in Abrede und beharren – wie ich finde, völ-
ig zu Recht – darauf, dass die Pauschalen, wenn über-
aupt, nur die Kosten konkreter Abfragen abdecken. Die
ollegen aus der Koalition haben in der schon angespro-
henen Sachverständigenanhörung in ihren Fragen sehr
ohl anklingen lassen, dass sie die Auffassung jeden-
alls nicht zurückweisen, dass in den Pauschalen auch
eile des Investments abgebildet werden. Eine Klarstel-
ung dazu ist notwendig, ist aber ausgeblieben. Sie ist
chon deshalb notwendig, weil die Pauschalen im Falle
achfolgender Strafverfahren und Verurteilungen den
erurteilten in Rechnung gestellt werden. Etwaige Vor-
altekosten müssten dann aber herauszurechnen sein,
eil mit diesen Verurteilte keineswegs belastet werden
ürfen. Sie müssen ja auch nicht anteilig die Gehälter
er sie verfolgenden Polizeibeamten und der sie verur-
eilenden Richter bezahlen.
Das vorliegende Gesetz benachteiligt aber auch dieje-
igen Firmen – es sind nach dem Ergebnis der Sachver-
tändigenanhörung einige Tausend –, die gezwungen
erden sollen, Computer, Programme und Personal auf
igene Kosten für die Vorratsdatenspeicherung und Ab-
rage vorzuhalten, bei denen aber so gut wie nie Daten
bgerufen werden. Ohne Abrufe keine Pauschalen und
uch keinerlei sonstige Entschädigungen. Das kann nicht
ichtig sein und wird auch eine verfassungsrechtliche
berprüfung nicht bestehen.
Wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf wegen
ieser handwerklichen Fehler, aber auch aus grundsätzli-
hen bürgerrechtlichen Gründen ab.
Wir unterstützen den Vorschlag der FDP, wenigstens
ie Pönalisierungsregelung in § 150 Absatz 12 b TKG
m ein Jahr auszusetzen. So kann wenigstens ein Teil
es drohenden Schadens bis zu einer Entscheidung des
undesverfassungsgerichts in Sachen Vorratsdatenspei-
herung abgewendet werden.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Wir bringen heute die Neu-
egelung der Entschädigung von Telekommunikations-
nternehmen für die Überwachung der Telekommunika-
ion und für die Erteilung von Auskünften zum
bschluss. Der heutigen Beschlussfassung ist eine lange
iskussion vorausgegangen.
Die TK-Unternehmen drängen – meist unter Beru-
ung auf hohe Investitionskosten – zu einer deutlichen
rhöhung ihrer Entschädigung. Die Strafverfolgungsbe-
örden und die anderen Behörden, die auf die Hilfe der
K-Unternehmen angewiesen sind, machen die Mehrbe-
astung der öffentlichen Haushalte geltend.
21314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, sage
ich zunächst einmal ganz deutlich: Mit der in diesem
Entwurf vorgesehenen Entschädigung werden keine In-
vestitionskosten abgegolten. Das steht heute nicht zur
Entscheidung. Wenn die FDP dies zum Anlass nimmt
und einen Gesetzentwurf zur Beratung stellt, bei dem es
im Kern um die Investitionskosten geht, dann möchte
ich dazu nur so viel sagen: Gegen das Ziel des FDP-Ent-
wurfs, die Bußgeldbewehrung der Speicherungspflich-
ten ein weiteres Jahr auszusetzen, sprechen viele Argu-
mente, von denen ich lediglich eines ansprechen möchte,
denn auch das Bundesverfassungsgericht hält ein solches
Moratorium offenbar nicht für geboten. Es hat in seinem
Beschluss vom 28. Oktober 2008 ausdrücklich festge-
stellt: „Auch die mit der Speicherungspflicht verbundenen
Kosten gebieten es nicht, für die unter § 150 Abs. 12 b
Satz 2 TKG (und das ist ja die Regelung, auf die der
FDP-Entwurf abzielt) fallenden Diensteanbieter die
Speicherungspflicht generell auszusetzen oder die Über-
gangsregelung zu verlängern.“ Damit ist das Wesentli-
che gesagt.
Zurück zum Entschädigungsgesetz. Heute geht es
ausschließlich um die Entschädigung der Personal- und
Sachkosten, die durch eine einzelne Maßnahme oder
Anfrage bei den Unternehmen anfallen. Diese Kosten,
und zwar nur diese Kosten, sind nach dem Justizvergü-
tungs- und -entschädigungsgesetz zu entschädigen. Sie
können im Falle einer Verurteilung von dem Betroffenen
als Teil der Gerichtskosten eingefordert werden.
Ich möchte den TK-Unternehmen mit Blick auf die
Strafverfolgung und die Prävention an dieser Stelle für
ihre Mitarbeit danken. Die Behörden sind insoweit auf
die zügige Lieferung der Telekommunikationsdaten
durch die Unternehmen angewiesen. Diese übernehmen
damit eine wichtige gesellschaftliche Verantwortung und
leisten einen Beitrag zu unserer Sicherheit.
Diese besondere Verantwortung rechtfertigt es, die
Entschädigung für solche Tätigkeiten spürbar zu verbes-
sern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Unternehmen
mehr tun, als bloße Auskünfte zu erteilen, nämlich dann,
wenn sie quasi als „Ermittlungshelfer“ tätig werden. In
dieser Funktion obliegen ihnen besondere Pflichten.
Dazu gehört zum Beispiel die Vorhaltung der Technik
und des Personals, der Einsatz ihres Know-hows und die
ständige Bereitschaft, auch außerhalb der üblichen Ar-
beitszeit Eilaufträge zu erledigen. Deshalb ist es auch
richtig, diesen Unternehmen hierfür eine höhere Ent-
schädigung zu zahlen als denjenigen, die lediglich einfa-
che Auskünfte erteilen. Die Entschädigung soll sich in-
soweit an den tatsächlichen Kosten orientieren. Und
genau das wird mit diesem Entwurf erreicht.
Der Entwurf hat noch einen weiteren Vorteil, der so-
wohl den TK-Unternehmen als auch den Strafverfol-
gungsbehörden zugutekommt: Durch die Einführung
von Pauschalen für die Personal- und Sachkosten und
von Flatrates für die Bereitstellung der Leitungen wird
die Abrechnung sehr viel einfacher und für alle transpa-
renter. Streitigkeiten über die Abrechnung werden auf
ein Minimum reduziert.
a
T
H
d
A
n
C
f
Z
s
l
v
c
s
m
t
E
s
z
H
6
1
B
h
m
Z
V
S
g
b
s
a
s
E
n
B
f
s
C
P
U
Z
d
e
l
e
l
F
(C
(D
Ich denke, die jetzt gefundene Regelung stellt einen
ngemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der
K-Unternehmen auf der einen Seite und den staatlichen
aushalten auf der anderen Seite her. Ich bitte Sie daher,
em Gesetz zuzustimmen.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Rechte von Bahn-
kunden stärken (Tagesordnungspunkt 15 )
Julia Klöckner (CDU/CSU): „Es fährt ein Zug nach
irgendwo“, so lautet schon 1972 ein Liedtitel von
hristian Anders, viele Fahrgäste an deutschen Bahnhö-
en fragen sich derzeit aber eher, wann überhaupt ein
ug fährt. Die Störung mit den ICE-3-Zügen, ein eng ge-
tecktes Fahrplannetz sowie längere Fahrtzeiten, dies al-
es führt dazu, dass in Deutschland immer mehr Kunden
erärgert sind. Der Grund: Auf einigen wichtigen Stre-
ken drohen Engpässe, weil die Deutsche Bahn die kriti-
chen Achsen vieler ICE-Züge zehnmal häufiger prüfen
uss als zuvor. In vielen Ersatzzügen gibt es seit Mona-
en häufig nur noch Stehplätze und längere Fahrzeiten.
rst nächsten Sommer sollen die Missstände völlig be-
eitigt sein.
Trotzdem stiegen zum Fahrplanwechsel am 14. De-
ember die Preise kräftig. Eine einfache ICE-Fahrt von
amburg nach Berlin kostet jetzt 68 Euro – vorher
5 Euro – von Hannover nach München statt 112 nun
16 Euro. Um durchschnittlich 3,9 Prozent setzt die
ahn die Preise hoch. Unpünktlichkeit und Preiserhö-
ung, eine gewagte Mischung. Damit Sie mich nicht
issverstehen: Sicherheit und die genaue Wartung von
ügen gehen immer vor. Dennoch sind die ständigen
erspätungen und längeren Fahrtzeiten auf der einen
eite und Preiserhöhungen auf der anderen Seite ein Är-
ernis. Vor allem dann, wenn auch ohne technische Pro-
leme die Verspätungen, vor allem für Pendler, groß
ind, abgesehen von den Warteschleifen, Anglizismen
uf den Bahnhöfen und von der Werbung bei der Deut-
chen Bahn, die weitere Ärgernisse sind.
Deshalb lege ich Wert auf die schnelle Regelung zur
ntschädigung von Bahnkunden. Die Fahrgäste dürfen
icht länger im Regen stehen gelassen werden, wenn die
ahn nicht die Dienstleistung einhält, für die ein Bahn-
ahrer bezahlt hat – sogar in Vorleistung getreten ist. Ge-
etzliche Regeln müssen nun endlich her. Die CDU/
SU-Fraktion hat hierzu bereits 2006 ein Zehn-Punkte-
apier vorgelegt. Erst durch massives Drängen der
nionsfraktion hat sich auch die zuständige Ministerin
ypries dem Problem zugewandt. Letztlich musste auch
ie EU-Kommission nachhelfen, damit die Ministerin
inen Gesetzentwurf zur Stärkung der Bahnkunden vor-
egte.
Eine Bemerkung zum Ist-Zustand: Erst bei mehr als
iner Stunde Verzug erstattet die Deutsche Bahn auf Ver-
angen ein Fünftel des Fahrpreises. Allerdings nur im
ernverkehr und als Gutschein und nur auf Gutdünken,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21315
(A) )
(B) )
da es bisher keine gesetzlichen Regelungen hierzu gibt.
Im Nahverkehr, wo rund 90 Prozent der Kunden unter-
wegs sind, gibt es nichts. Höchste Zeit, diesen Zustand
schnellstmöglich zu beenden. Kein anderer Rechtsbe-
reich, der eine so große Anzahl von Menschen betrifft,
ist so ungenügend und lückenhaft geregelt wie das Recht
der Fahrgäste im öffentlichen Personenverkehr. Die der-
zeitigen Fahrgastregelungen reichen zum großen Teil auf
die im Jahr 1938 eingeführte Eisenbahn-Verkehrsord-
nung zurück. Diese legt bis heute fest, dass bei Verspä-
tung und Ausfall eines Zuges kein allgemeiner Entschä-
digungsanspruch für den Bahnreisenden besteht.
Mit der EG-Verordnung über die Rechte und Pflich-
ten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr kommen wir ein
gutes Stück voran und stärken die Fahrgäste ab Mai
2009 in ihren Rechten.
Eines vorneweg: Leider waren Frau Zypries und die
SPD-Kollegen nicht bereit, den Fahrgästen ab 30 Minu-
ten Zugverspätung eine Entschädigung zukommen zu
lassen. Liebe Kollegen der FDP, wir hätten gerne mehr
gemacht, und auch die Bundesländer sowie die Verbrau-
cherministerkonferenz der Bundesländer haben vor kur-
zem ihren Widerstand gegen diese 60-Minuten-Rege-
lung zum Ausdruck gebracht, aber hier müssen Sie die
SPD überreden, nicht uns.
Das Ergebnis, das wir Unionspolitiker zugunsten der
Verbraucher ausgehandelt haben, kann sich dennoch se-
hen lassen. Mit dem Gesetz werden erstmals Erstattun-
gen bei Verspätungen im Bahnverkehr gesetzlich festge-
schrieben, und im Nahverkehr hat jeder Bahnkunde die
Möglichkeit, ab 20 Minuten Verspätung auch mit einem
höherwertigen Zug weiterzufahren. Auch nächtliche Ta-
xifahrten zum vorgesehenen Zielort, falls eine Weiter-
fahrt nicht möglich ist, sowie Barauszahlung werden
möglich. Damit hat die Union ihre bereits vor zwei Jah-
ren in einem Zehn-Punkte-Papier vorgelegten Forderun-
gen durchsetzen können.
Die Verordnung, die Anfang des Jahres im Deutschen
Bundestag behandelt werden soll, bringt folgende Ver-
besserungen mit sich:
Ab einer 60-minütigen Verspätung erhalten Kunden
künftig 25 Prozent des Fahrpreises erstattet. Bei einer
120-minütigen Verspätung bekommen sie 50 Prozent des
Fahrpreises zurück. Diese Regelung umfasst die gesamte
Reisekette, also Nah- und Fernverkehr.
Statt sich mit der bürokratischen Gutscheinaushändi-
gung abfinden zu müssen, kann der Fahrgast künftig auf
Barauszahlung bestehen.
Bei einer absehbaren Verspätung von mehr als 60 Mi-
nuten kann der Fahrgast von der Fahrt absehen und eine
Rückerstattung des gesamten Fahrpreises fordern. Falls
eine Übernachtung erforderlich ist, muss eine Hotelun-
terkunft angeboten werden.
Sonderregeln gelten für Zeitfahrkarten. Die Eisen-
bahnunternehmen sind verpflichtet, in ihren Beförde-
rungsbedingungen eine angemessene Entschädigung vor-
zusehen, wenn der Fahrgast wiederholt Verspätungen
erleidet.
2
S
F
p
s
k
k
k
t
i
z
v
r
w
d
f
c
2
s
s
2
s
b
v
w
s
w
d
e
n
m
g
A
s
s
f
n
w
m
f
h
v
B
Z
u
i
d
d
t
a
B
l
a
(C
(D
Bei einer Verspätung im Nahverkehr von mehr als
0 Minuten kann der Kunde auf ein anderes beliebiges
chienenverkehrsmittel umsteigen, also auch schnellere
ernverkehrszüge nutzen.
Die Verkehrsunternehmen müssen ihre Informations-
olitik verbessern: Die Auskunft, welcher Zug der
chnellste und der preisgünstigste ist, müssen die Ver-
ehrsunternehmen künftig rechtzeitig ihren Kunden zu-
ommen lassen.
Auf Drängen der Union wird es eine gesetzlich veran-
erte neutrale Schlichtungsstelle geben, deren Schlich-
ungssprüche für die Beteiligten bindend sind. Wichtig
st, dass sich auch die Fluglinien hier beteiligen.
Es gilt, im parlamentarischen Verfahren weiter nach-
ubessern: Zurzeit ist in der Verordnung beispielsweise
orgesehen, dass der Bahnfahrer nur dann auf ein ande-
es Beförderungsmittel ausweichen darf, wenn der ge-
ählte, fahrplanmäßige letzte Zug nach 20 Uhr durch
ie Verspätung nicht mehr erreicht wird und dieser Zug
ür den Zielort der letzte an diesem Tag war. Im ländli-
hen Raum gibt es aber auch viele Züge, die bereits vor
0 Uhr die letzten fahrplanmäßigen sind. Der Reisende
teht also vor dem gleichen Problem und gelangt an die-
em Tag nicht mehr an sein Ziel. Daher ist die Uhrzeit
0 Uhr zu streichen und durch eine Formulierung zu er-
etzen, die keine Uhrzeitbeschränkung vorsieht. Auch
ei der Erstattung der Taxikosten ist der Höchstbetrag
on 50 Euro unrealistisch und muss deshalb verdoppelt
erden. Gerade Menschen im ländlichen Raum müssten
onst drauflegen. Weite und kostenintensive Anfahrts-
ege sind im ländlichen Raum die Regel, deshalb greift
ie Faustegel „50 Kilometer kosten 50 Euro“ zu kurz.
Ingesamt ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung
rfreulich und ein gutes Ergebnis für alle Bahnfahrerin-
en und Bahnfahrer in Deutschland. Mehr Rechte und
ehr Hilfe bei der Durchsetzung sind ein wichtiges Si-
nal für alle und können auch für die Deutsche Bahn ein
nsporn sein, künftig noch pünktlicher zu sein, realisti-
chere Fahrtzeiten zu kalkulieren und kundennahe Hilfe-
tellungen zu leisten. Wenn die Deutsche Bahn pünktlich
ährt, drohen ihr weder bürokratische Mehrbelastungen
och finanzielle Mehrkosten. Fahrgastrechte müssen so
irksam sein, dass sich Pünktlichkeit für die Unterneh-
en auszahlt. Das Interesse der Bahn muss es sein, zu-
riedene Kunden mit einem soliden und wettbewerbsfä-
igen Produkt zu überzeugen. Denn sonst trifft das Lied
on Christian Anders bald wirklich auf die Deutsche
ahn zu. Darin sitzt er nämlich allein als Passagier im
ug nach nirgendwo.
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Die Kolleginnen
nd Kollegen von der FDP-Fraktion beschweren sich in
hrem Antrag darüber, dass ein Gesetzentwurf der Bun-
esregierung bislang nur angekündigt wurde, aber nicht
en Weg ins Parlament gefunden hat. Das ist zwar rich-
ig. Allerdings möchte ich gerne, was der FDP-Fraktion
nscheinend entgangen ist, darauf hinweisen, dass der
undesrat in der Sitzung Ende November seine Stel-
ungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
bgegeben hat und daher von einer baldigen ersten Le-
21316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
sung im Parlament ausgegangen werden kann. Das
Thema ist sehr wichtig, aber die Debatte über den An-
trag selbst ist mehr als überflüssig. Da sind Sie mal wie-
der als Tiger gestartet, und werden – das kann ich Ihnen
schon prophezeien – als Bettvorleger landen.
Verspätungen im Bahnverkehr sind für die Kunden
ein stetes Ärgernis. Ich bin ebenso wie die FDP der fes-
ten Überzeugung, dass noch mehr Reisende auf die
Schiene umsteigen würden, wenn die Anzahl der verspä-
teten Züge reduziert werden könnte. Diese Ungewissheit
wirkt sich insbesondere im Fernverkehr aus. Wenn die
Leute die Wahl zwischen dem Zug und einem Flieger
haben, entscheiden sie sich doch zumeist für das Flug-
zeug, obwohl es zeitlich nicht unbedingt vorteilhafter ist.
Die eher gegebene Zuverlässigkeit des Verkehrsträgers
Luft ist hierfür oftmals ausschlaggebend.
Diesen Umstand müssen wir umkehren. Dabei geht es
darum, Anreize zu schaffen, um mehr Pünktlichkeit im
Bahnverkehr sicherzustellen. Entschädigungszahlungen
an die Kunden bilden hier den richtigen Ansatzpunkt.
Schließlich wird es sich die Bahn dreimal überlegen, ob
sie sich dauerhaft einen derartigen finanziellen Verlust
wird leisten können oder ob sie nicht doch lieber ver-
sucht, ihre Betriebsabläufe besser aufeinander abzustim-
men. Insofern ist dem FDP-Antrag in der Sache nichts
entgegenzuhalten.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierungen erfüllt die
meisten Forderungen des FDP-Antrags und geht teil-
weise sogar darüber hinaus. Das betrifft insbesondere
die von der FDP vorgeschlagenen Regelungen zur Ent-
schädigung im Falle einer Verspätung. Eine unbürokrati-
sche Entschädigung für die Bahnkunden zu gewährleis-
ten, ist auch das Ziel der Regierungskoalition. Es kann
schließlich nicht sein, dass der Verbraucher sich einer
Verästelung von Vorschriften gegenübersieht, die für ihn
nur schwer zu durchschauen sind und die die Entschädi-
gungsregelungen für ihn unattraktiv machen. Einfach
und unbürokratisch müssen sie sein und auch pauschal
und einheitlich.
Allerdings schon bei dem letzten Punkt, der Einheit-
lichkeit, setzt sich die FDP mit ihrer zweiten Forderung
in Widerspruch. Dort fordert sie nämlich, auch dann ei-
nen Geldersatzanspruch zu gewähren, wenn der Zug
eine Verspätung von mindestens einer halben Stunde hat.
Die EU-Verordnung, die für den Bereich des transnatio-
nalen Schienenverkehrs unbedingt anzuwenden ist, sieht
allerdings erst eine Entschädigungsleistung im Falle ei-
ner Verspätung von mindestens 60 Minuten vor. Somit
würde ein Bahnkunde, der die Strecke von Paris nach
Köln fährt, anders behandelt als derjenige, der von Mün-
chen nach Berlin den Schienenverkehr benutzt, obwohl
er bei der innerstaatlichen Verbindung deutlich länger
unterwegs wäre. Das ist keinem Bahnkunden zu vermit-
teln. Es ist absolut vernünftig, dass wir uns hier an der
Maßgabe der EU-Verordnung orientieren und für den
Zugverkehr im Inland keine Sonderregelung schaffen.
Würde man dem Vorschlag der FDP unter ihrem
zweiten Punkt folgen, hätte wir allerdings genau die
Sonderregelung, die nach dem ersten Punkt des Antrags
verhindert werden soll. Dem Ansinnen der FDP, eine
e
z
e
e
w
K
K
s
d
g
K
g
s
d
F
D
n
B
d
d
s
V
k
e
R
d
S
h
E
t
r
e
e
M
e
d
f
ü
t
s
w
s
c
d
h
k
T
d
l
n
m
w
n
n
b
k
(C
(D
inheitliche Regelung für Entschädigungsleistungen ein-
urichten, tragen wir in der Weise Rechnung, dass wir
rst ab einer Verspätung von mindestens 60 Minuten
ine teilweise Rückerstattung des Fahrkartenpreises ge-
ährleisten werden.
Bislang sind die Fahrgäste bei Verspätungen auf die
ulanz der Bahnunternehmen angewiesen. Nach der
undencharta der Deutschen Bahn AG wird eine Ent-
chädigung zwar ebenfalls ab einer Verspätung von min-
estens 60 Minuten gewährt, allerdings fällt der zurück-
ewährte Betrag niedriger aus. Während dies laut
undencharta 20 Prozent des Fahrpreises ist, entschädi-
en wir den Bahnkunden mit 25 Prozent. Liegt die Ver-
pätung bei über zwei Stunden legt der Gesetzgeber für
ie Zukunft sogar eine Entschädigung von der Hälfte des
ahrpreises fest. Hier differenziert die Kundencharta der
eutschen Bahn nicht weiter. Wir schaffen damit nicht
ur eine gesetzliche Grundlage für die Ansprüche des
ahnkunden, sondern gehen sogar über das hinaus, was
ie Deutsche Bahn AG normalerweise aus Kulanzgrün-
en den Fahrgästen an Entschädigung gewährt.
Der von der FDP geforderten Einheitlichkeit des Er-
tattungsanspruchs widerspricht es auch, wenn, je nach
erspätung, unterschiedliche Mindestbeträge von Fahr-
arten in Ansatz gebracht werden, damit eine Erstattung
rfolgt. Die Idee ist an sich gar nicht schlecht. Um die
ückzahlung von Kleinstbeträgen zu verhindern, ist es
urchaus richtig, bei einer Verspätung von einer halben
tunde einen Mindestkartenpreis von 8 Euro vorzuse-
en, wobei ich mir schon die Frage stelle, ob bei 2 Euro
rstattungsbetrag wirklich noch ein angemessenes Kos-
en-Nutzen-Verhältnis besteht. Da dürften wohl die Bü-
okratiekosten deutlich höher ausfallen als die zurückzu-
rstattenden Gelder, ohne dass der Verbraucher wirklich
twas davon hat. Einen solchen Vorschlag aus dem
unde der FDP zu hören, finde ich zumindest kühn, um
s vorsichtig auszudrücken.
Nur schreibt die EU-Verordnung leider eh vor, dass
ie Eisenbahnunternehmen zwar Mindestbeiträge ein-
ühren müssen, diese aber die Grenze von 4 Euro nicht
berschreiten dürfen. Es geht also um den Erstattungsbe-
rag und nicht um den Fahrkartenpreis. Der FDP-Vor-
chlag von mindestens 2 Euro Entschädigungsleistung
ürde daher wiederum gegen die EU-Verordnung ver-
toßen und könnte deshalb lediglich für den innerstaatli-
hen Bahnverkehr angewendet werden. Das wäre schon
er zweite Punkt im FDP-Antrag, bei dem von einer Ein-
eitlichkeit der Entschädigungsregelung keine Rede sein
ann.
Ich habe es zu Beginn meiner Rede schon angedeutet:
eilweise gehen wir als Regierungskoalition sogar über
en FDP-Antrag hinaus; denn die Entschädigungszah-
ungen bei Verspätungen helfen dem Bahnkunden in sei-
er konkreten Situation nicht. Er will an sein Ziel kom-
en, wenn denn auch verspätet. Im Fernverkehr ist dies
eniger ein Problem, zumal dort die Bahnunternehmen
ach der EU-Verordnung die Verpflichtung haben, ab ei-
er Verspätung von 60 Minuten kostenlos eine Unter-
ringung in einem Hotel anzubieten. Für den Nahver-
ehr wäre diese Regelung allerdings widersinnig. Wenn
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21317
(A) )
(B) )
der Fahrgast im Nahverkehr aufgrund einer Verspätung
seinen Anschlusszug nicht mehr bekommt, befindet er
sich bereits in der Nähe seines Zielortes. Er will dann
kein Hotel, sondern er will das Reiseziel erreichen. Ist
eine Weiterfahrt dorthin nicht mehr möglich, hilft ihm
nur ein Taxi, um an den Ankunftsort zu gelangen.
Die Unionsfraktion wird sich dafür einsetzen, dass ein
derartiger Aufwendungsersatz durch die Bahnunterneh-
men gesetzlich verankert wird. Damit dürfte dem Bahn-
kunden mehr gedient sein als mit Entschädigungsansprü-
chen bei Verspätungen, die er erst im Nachhinein geltend
machen kann. Wir wollen den Bahnkunden umfassend
schützen und ihn nicht mit seinem Entschädigungsan-
spruch auf einem zugigen Bahnhof stehen lassen, wenn
er aufgrund einer Verspätung seinen letzten Anschluss-
zug verpasst hat.
Nur noch kurz zur Schlichtungsstelle. Die EU-Ver-
ordnung schreibt den Mitgliedstaaten vor, eine unabhän-
gige Stelle zur Durchsetzung der Rechte aus der Verord-
nung einzurichten. Daher bleibt uns als nationalem
Gesetzgeber eh nichts anderes übrig, als der FDP-Forde-
rung nachzukommen, eine unabhängige Schlichtungs-
stelle gesetzlich zu verankern.
„Viel Lärm um nichts“ könnte man als Resümee aus
dem FDP-Antrag ziehen. Viele Forderungen sind in sich
nicht schlüssig und widersprechen dem eigentlichen An-
liegen diametral. Die Forderungen bleiben sogar teil-
weise hinter denen der Regierungskoalition zurück. Die
FDP wollte mit der Fahne voran für die Rechte der
Bahnkunden eintreten und muss nun feststellen, dass sie
tatsächlich eine rote Laterne in den Händen hält.
Gestatten Sie mir aber noch eine – adventlich ver-
söhnliche – Schlussbemerkung: In Sachen Bahnkunden-
schutz ist das Ziel der Großen Koalition nicht, dass in
Deutschland möglichst viele Entschädigungszahlungen
wegen Zugverspätungen fließen. Unser Ziel ist es viel-
mehr, dass Verspätungen vermieden werden, indem wir
mit unserem neuen Gesetz mahnenden und heilsamen
Druck auf die Bahn AG und ihre Wettbewerber ausüben.
Wenn wir uns in diesem Ziel quer durch alle Fraktionen
dieses Hauses einig sind, sehe ich den Gesetzesberatun-
gen mit Vorfreude entgegen.
Marianne Schieder (SPD): Es ist völlig unbestritten,
dass Nutzerinnen und Nutzer von Bussen, Bahnen und
auch von Flugzeugen erwarten dürfen, von den Anbietern
dieser Dienstleistungen schnell, sicher und vor allen Din-
gen pünktlich von A nach B gebracht zu werden.
Viele von uns – gerade wir Abgeordneten aus ländli-
chen Wahlkreisen – kennen die Situation nur allzu gut:
Man sitzt schon wie auf Kohlen im Zug, hetzt sich mit
dem Koffer ab, um noch aufs richtige Gleis zu kommen,
und kann dem Anschlusszug nur noch hinterherwinken
oder wahrscheinlicher hinterherschimpfen.
Es ist selbstverständlich ebenso unbestritten, dass die
Rechte der Fahrgäste für die Fälle, in denen diese zu Be-
ginn dargestellten Grundbedingungen nicht eingehalten
werden, verbessert werden müssen. Als großen Erfolg für
die Verbraucherinnen und Verbraucher betrachte ich es,
d
u
N
w
in
m
ti
d
E
F
n
d
n
s
z
m
B
s
k
v
u
d
n
g
m
f
E
F
o
d
k
e
N
S
Z
k
s
i
m
b
r
s
m
g
K
p
e
L
f
w
n
S
n
r
s
B
(C
(D
ass unter der deutschen Ratspräsidentschaft nach langen
nd zähen Verhandlungen mit der EU-Verordnung
r. 1371/2007 eine doch recht akzeptable Einigung erzielt
erden konnte, die für Verbraucherinnen und Verbraucher
der ganzen EU wesentliche Verbesserungen bringt. Ich
öchte an dieser Stelle deutlich machen, dass unsere Jus-
zministerin Frau Zypries maßgeblichen Anteil daran hat,
ass diese Regelung überhaupt zustande gekommen ist.
s ist ihr zu verdanken, dass in Brüssel die Stärkung der
ahrgastrechte durchgesetzt werden konnte. Dafür hier
och einmal ein herzliches Dankeschön!
Nun geht die Diskussion schon seit geraumer Zeit
arum, ob in Deutschland über diese EU-Verordnung hi-
ausgehende Ansprüche gesetzlich verankert werden
ollen. Solche Forderungen, wie sie der Antrag der FDP
uhauf enthält und wie sie von den Länderverbraucher-
inistern gefordert werden, sind natürlich sehr populär.
ei genauerer Betrachtung des Sachverhaltes entpuppen
ie sich aber schnell als populistisch und zum Teil sogar
ontraproduktiv.
Wir alle wissen sehr genau, dass hier sehr umsichtig
orgegangen werden muss. Es hilft den Verbraucherinnen
nd Verbrauchern nämlich nicht, wenn beispielsweise
urch überzogene Entschädigungen das Bahnfahren
och teurer wird, sich die Fahrzeiten wesentlich verlän-
ern oder Reiseketten aus Nah- und Fernverkehr nicht
ehr angeboten werden. Die EU-Verordnung lässt zwar
ür fünf Jahre befristet die Möglichkeit weitergehender
ntschädigungsregelungen auch für den innerdeutschen
ernverkehr zu, fraglich ist jedoch, ob dies sinnvoll ist und
b den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht mehr ge-
ient ist, wenn es zu möglichst einheitlichen Regelungen
ommt, die für grenzüberschreitenden Fernverkehr
benso wie für den innerdeutschen Fernverkehr und den
ahverkehr gelten. Wem ist gedient mit langwierigen
treitereien über die Frage, ob es sich bei dem verspäteten
ug nun um einen Fernverkehrs- oder einen Nahver-
ehrszug handelt?
Die Bundesregierung hat am 1. Oktober 2008 den Ge-
etzentwurf über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste
m Eisenbahnverkehr vorgelegt. Der Bundesrat hat sich
it dem Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 28. Novem-
er 2008 befasst und eine Reihe von Prüf- und Ände-
ungsvorschlägen beschlossen. Ich gehe davon aus, dass
ich der Deutsche Bundestag Ende Januar/Anfang Februar
it dem Gesetzentwurf befasst, sodass das neue Fahr-
astrechtegesetz noch vor der Hauptreisesaison 2009 in
raft treten wird. Wir werden den Gesetzentwurf bei den
arlamentarischen Beratungen genau prüfen und über das
ine oder andere Detail sicher noch intensiv diskutieren.
Wir werden vor allem für effektive und praktikable
ösungen kämpfen. Insbesondere Menschen auf dem
lachen Land sollen keine Nachteile erleiden müssen,
enn der letzte Anschlusszug aufgrund von Verspätungen
icht mehr erreicht werden konnte. Wir werden dafür
orge tragen, dass Kundinnen und Kunden in Zukunft
och zuverlässiger und mit klarer geregelten Fahrgast-
echten in den Zug steigen können. Wir werden die Men-
chen ganz bestimmt weder „im Regen“ noch auf dem
ahnsteig stehen lassen.
21318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Eines möchte ich zum Schluss meiner Rede aber noch
feststellen: Bei aller berechtigten Kritik ist schon auch
wahr, dass die Bahn viel besser als ihr Ruf und alles in
allem pünktlich und zuverlässig ist, sehr oft viel besser
als Auto und Flugzeug.
Volker Blumentritt (SPD): Ich freue mich, dass die
FDP ihr Verbrauchergewissen entdeckt hat und in ihrem
Antrag einen höheren Regulierungsbedarf aber voraus-
sichtlich zulasten des Unternehmens Bahn fordert. Der
Antrag ist ein halbes Jahr alt, das merkt man auch.
Die Fraktion der SPD hat bereits nachgebessert und
arbeitet derzeit an einem realisierbaren Optimum aus der
Vorgabe von Brüssel, die bis Ende 2009 in nationales
Recht umgesetzt werden soll.
Ich sehe hier, dass die FDP den Schwerpunkt der Dis-
kussion nach wie vor auf die Entschädigungszeiten setzt:
60 Minuten – 25 Prozent, 120 Minuten – 50 Prozent,
oder doch besser: 30 Minuten – 25 Prozent, 60 Minuten –
50 Prozent. Das kann doch hier nicht mehr die Frage
sein. Wenn die Entschädigungszeiten der einzige Punkt
ist, der zu diesem Zeitpunkt noch in die Waagschale ge-
worfen wird, dann kann ich nur sagen, dass sich hier
die Antragsteller nicht über die Medienberichterstat-
tung hinaus mit dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung befasst haben. Das ist Populismus und ein wenig
plump. Wir haben bereits viel zu viel Zeit mit der Dis-
kussion um Entschädigungszeiten vergeudet. Selbst die
Verbraucherverbände sehen das mittlerweile so.
Wir als SPD sagen heute, dass eine Absenkung der
Zeiten vor allem ein für den Fahrgast sichtbares und will-
kommenes Zeichen setzen würde, mit nachhaltig ange-
legter Verbraucherpolitik aber wenig zu tun hat. Die Sum-
men, die bei den Verkehrsunternehmen im Falle einer
früheren Entschädigungszeit anfallen, würden zwangs-
läufig dem Kunden hintenrum wieder aufgebrummt wer-
den. Im Falle des Nahverkehrs würden wir den Ausgleich
über die Regionalisierungsmittel sogar vermutlich aus
der eigenen Steuertasche bezahlen müssen. Das kann
doch nicht im Sinne des Erfinders sein. Im Grunde ist es
auch nicht wirklich das, was der Fahrgast braucht.
Im Vordergrund steht, dass ich als Reisender Verläss-
lichkeit erwarte. Wenn sich durch Verspätung oder Aus-
fall für mich eklatante Mängel in dem von mir zumeist
teuer erkauften Produkt ergeben, erwarte ich zu Recht,
dass diese Mängel so weit wie möglich und möglichst
umgehend beseitigt werden. Ich erwarte Lösungen, die
mir zeitnah helfen, mein Ziel zu erreichen.
Im Gesetzentwurf gibt es bereits Stellschrauben, die
hier für den Fahrgast konkrete Hilfen darstellen können.
Ich nenne nur die Möglichkeit des Umsteigens auf an-
dere, auch höherwertige Züge im Falle einer Verspätung
oder die Taxinutzung bei Nichterreichung eines letzten
Anschlusszuges in den Abendstunden. Ich gebe zu, dass
hier der ein oder andere Punkt noch modifiziert werden
muss. Wir arbeiten dran, vor allem an den Punkten, die
in unseren Augen noch nicht wirklich praxisnah sind.
Erfolgreich verbesserte Fahrgastrechte haben wir nur
d
W
i
t
s
c
e
E
d
P
r
g
F
S
g
s
d
S
a
a
k
s
e
S
g
K
t
s
S
n
u
f
V
S
e
r
t
n
s
w
B
d
V
d
w
s
m
g
s
h
d
2
w
n
s
(C
(D
ann, wenn dem Verbraucher nicht unnötig Steine in den
eg gelegt werden. Der Fahrgast will nicht stundenlang
n der Schlange stehen, um eine Entschädigung zu erhal-
en. Er soll auch keinen neuen Fahrschein kaufen müs-
en, um die Nutzung höherwertiger Züge zur pünktli-
hen Zielerreichung in Anspruch zu nehmen. Noch
inmal grundsätzlich: Aus einer Pflichtverletzung des
isenbahnverkehrsunternehmens darf nicht eine Pflicht
es Fahrgastes erwachsen. Das muss klar sein. Auf diese
unkte müssen wir unseren Fokus legen.
Die FDP fordert ebenfalls eine gesetzliche Veranke-
ung einer unabhängigen Schlichtungsstelle. Das be-
rüße ich ebenso. Wie die Kolleginnen und Kollegen der
DP vielleicht bemerkt haben, haben wir den Begriff der
chlichtung bereits im Gesetzestext verankert. Unabhän-
ige Schlichtung ist ein wertvolles, verbrauchernahes In-
trument, um gerade im Eisenbahnverkehr eine zufrie-
enstellende Einigung zu erzielen. Die geringen
treitwerte fordern dies. Das funktioniert mit der derzeit
us Regierungsmitteln geförderten Schlichtungsstelle
uch ganz gut. Wir brauchen Schlichtung, auch in Zu-
unft. Wir müssen uns jedoch die Frage nach der Ausge-
taltung stellen.
Gesetzlich verordnete Schlichtung gibt es nicht, kann
s auch nicht geben. Das ist ein Widerspruch in sich.
chlichtung muss immer den Charakter von Unabhän-
igkeit und Freiwilligkeit wahren. Hier beißt sich die
atze in den Schwanz, wenn wir weiterhin eine Schlich-
ungsstelle aus Regierungsmitteln finanzieren. Als An-
chubfinanzierung ist dieses Mittel durchaus sinnvoll.
o war es ja zunächst auch gedacht. Das Ziel, eine Fi-
anzierung des Projektes in Trägerschaft der Verkehrs-
nternehmen zu realisieren, ist bis jetzt jedoch ohne Er-
olg geblieben. Deshalb arbeiten wir auch daran, dass die
erkehrsunternehmen für sich selbst den Nutzen der
chlichtung erkennen und bereit sind, eigene Modelle zu
ntwickeln. Erfreulich ist es auf jeden Fall, dass dem Be-
eich der Schlichtung offenbar eine Akzeptanz und Un-
erstützung über alle Parteigrenzen hinweg sicher ist.
Mechthild Dyckmans (FDP): Sechs Tage sind es
och bis Weihnachten. Die Vorfreude vieler Menschen,
ich an den Weihnachtstagen zu sehen, ist enorm. Enorm
ird jedoch auch der Frust dieses Jahr wieder bei vielen
ahnreisenden gerade in der Weihnachtszeit sein, wenn
ie Züge im Fern- und Nahverkehr besorgniserregende
erspätungen aufweisen, Anschlusszüge verpasst wer-
en und die Anreise somit zum unnötigen Stressfaktor
ird. Doch nicht nur in der Weihnachtszeit kommt es zu
olchen Verspätungen bei der Bahn. Ich selbst fahre viel
it der Bahn, und ich weiß deshalb um die große Verär-
erung der Kunden über Verspätungen.
Jeder, der einen Anschlusszug erreichen muss, hat es
chon erlebt: Man sitzt im Zug und sieht die Minuten da-
inschwinden und damit auch den letzten Anschlusszug,
er einen nach Hause bringen soll. Wer nachts nach
3 Uhr auf einem leeren, unwirtlichen Bahnhof stand,
eiß, wovon ich rede. Aber auch tagsüber ist es durchaus
icht angenehm, auf zugigen Bahnhöfen in der Kälte auf
einen verspäteten Zug zu warten. Und wenn die Bahn
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21319
(A) )
(B) )
dann, wie zum Beispiel in Kassel geschehen, den Warte-
raum schließt und stattdessen die Fläche einer Fastfood-
kette zur Verfügung stellt, so erhöht das zwar die Einnah-
men der Bahn, Kundenfreundlichkeit und Service bleiben
jedoch auf der Strecke.
Mit unserem Antrag wollen wir die Rechte von Bahn-
kunden stärken. Wir wissen natürlich auch, dass die
Bundesjustizministerin endlich einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorgelegt hat, der allerdings nicht nur aus
unserer Sicht völlig unzureichend ist. Eine Entschädi-
gung erst bei Verspätungen ab einer Stunde vorzusehen
wird den Nachteilen, die den Fahrgästen durch die Ver-
spätungen entstehen, nicht gerecht. Die Bahn kann nicht
die Fahrpreise immer weiter erhöhen, den Service aber
ungestraft verschlechtern.
Es ist eine Schande, wie in den letzten Jahren dieses
Thema verschleppt wurde. Wir könnten und müssten
schon längst die von uns heute geforderten Entschädi-
gungsansprüche für Fahrgäste bei Zugverspätungen ha-
ben.
Im Juli 2002 haben SPD und Grüne vollmundig eine
„Qualitätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr –
Verbraucherschutz und Kundenrechte stärken“ gestartet.
Und was ist danach geschehen? Nichts. Ein Gutachten
wurde in Auftrag gegeben – einen neutralen Gutachter
hat die Regierung erst auf unseren Druck hin neu ausge-
wählt –, Anträge von FDP, aber auch CDU/CSU aus den
Jahren 2003 und 2004 zu entsprechenden Regelungen
wurden abgelehnt. In der Beschlussempfehlung des da-
mals federführenden Verkehrsausschusses vom 26. Mai
2004 hat die SPD lediglich auf das „Forschungsvorha-
ben“ verwiesen, und die Grünen strebten angeblich eine
„schnelle und unbürokratische Vereinbarung zugunsten
der Fahrgäste“ an. Sie waren der Meinung, „ein Gesetz-
gebungsverfahren nehme mindestens ein oder zwei Jahre
in Anspruch“. Wären Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von SPD und Grünen, damals mutiger gewesen,
könnten wir schon lange entsprechende Regelungen ha-
ben, selbst wenn es zwei Jahre gedauert hätte.
Unsere europäischen Partner haben es uns vorge-
macht: Frankreich, Niederlande, Spanien, Schweden
oder Finnland. Sie alle haben längst nationale Regelun-
gen, die, unterschiedlich ausgestaltet, ab einer Verspä-
tung von 30 Minuten Entschädigungszahlungen vorse-
hen. Auch wenn die europäische Richtlinie, die ab
Dezember 2009 gelten wird, eine Entschädigung erst ab
Verspätungen von einer Stunde vorsieht, sollten wir jetzt
das in den letzten Jahren Versäumte nachholen und den
Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland bei
Zugfahrten endlich zu ihrem Recht verhelfen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): „Zukunft bewe-
gen“, „Die Bahn kommt“, „Bei der DB stehen Sie als
Kunde im Mittelpunkt“. Wenn man sich diese Werbe-
sprüche der DB AG auf der Zunge zergehen lässt, wird
sehr schnell klar, dass wir hier heute nicht über Fahrgast-
rechte diskutieren müssten, wenn die DB nur einen
Bruchteil ihrer Werbeversprechen halten würde. In Zei-
ten, in denen wir uns immer bewusster machen müssen,
dass es gerade in den kommenden Jahren besonders
w
u
n
n
n
i
M
c
D
d
d
d
w
n
l
s
D
e
s
t
g
t
g
d
b
Z
d
b
d
m
a
S
g
D
u
a
e
s
w
l
v
ß
f
w
W
s
B
u
b
u
m
b
R
(C
(D
ichtig wäre, umzudenken und ökologischer zu handeln,
m zum Beispiel die Problematik der Rohstoffe nicht
och weiter voranzutreiben, kann man selbst den ver-
ünftigsten Verbrauchern nicht mehr vorwerfen, dass sie
icht auf die Deutsche Bahn ausweichen, sondern lieber
ns Auto steigen oder das Flugzeug benutzen.
Die Fahrgastrechte für unsere Verbraucher, die ab
ai 2009 in Kraft treten, sind nicht ansatzweise ausrei-
hend, um die Rechte der Bahnkunden gegenüber der
B zu stärken. Die FDP setzt sich seit Jahren dafür ein,
ass die DB endlich Leistung und Service für ihre Kun-
en verbessert und vor allem auch endlich für ihre Kun-
en da ist, wenn die Leistungen mangelhaft sind. Die DB
urde lange genug in Watte gepackt. Ich kenne kaum ei-
en anderen Fall dieser Größenordnung, in dem Nicht-
eistung auch noch belohnt wird.
Die Forderungen der FDP gehen viel weiter und müs-
en im Sinne unserer Verbraucher durchsetzbar werden:
ie Entschädigung muss schon ab einer halben Stunde
rfolgen; in der heutigen Zeit ist selbst eine halbe Stunde
chon eine lange Zeit, gerade wenn es sich um Verspä-
ungen handelt, und dabei müssen die Entschädigungsre-
eln einfach und schnell sein. Es muss eine klare Haf-
ungsfestlegung geben. Dabei muss die Beweispflicht
anz eindeutig bei der DB liegen und nicht beim Kun-
en. Die DB als Dienstleister hat den Nachweis zu er-
ringen, wer die Schuld trägt, wenn Verspätungen oder
ugausfälle unvermeidbar sind.
Unsere derzeitigen Fahrgastrechte liegen weit hinter
enen vieler europäischer Nachbarstaaten. Außerdem
efinden wir uns auch nicht ansatzweise auf der Höhe
er Forderungen aus den Ländern von der Verbraucher-
inisterkonferenz im vergangenen Jahr. Es reicht nicht
us, Fahrgastrechte zu schaffen, die letztendlich nicht im
inne der Bahnkunden sind. Die Verbraucher erwarten
uten Service und Pünktlichkeit; denn sie zahlen für die
ienstleistung der DB. Unsere Verbraucher sollen gute
nd schnelle Entschädigung nicht aus Kulanz, sondern
us der angemessenen gesetzlichen Legitimation heraus
rhalten. Wir müssen den Bahnfahrern die nötige Unter-
tützung geben, ansonsten bleiben diese nämlich im
ahrsten Sinne des Wortes „auf der Strecke“.
Karin Binder (DIE LINKE): In den allermeisten Fäl-
en bringt mich die Bahn sicher, pünktlich und bequem
on A nach B, und ich fahre wirklich viel und regelmä-
ig mit der Bahn. Aber ich habe auch schon andere Er-
ahrungen gemacht. Viele Bahnkundinnen und -kunden
issen, was ich meine: überfüllte oder verschmutzte
aggons, deutlich verspätete Züge, verpasste An-
chlüsse, fehlende Informationen im Zug und auf dem
ahnsteig oder auch falsche Beratung am Schalter.
Wenn das dann vorkommt, ist das meist sehr ärgerlich
nd mit entsprechendem Stress für die Betroffenen ver-
unden. Entschädigungen gibt es in Deutschland kaum,
nd wenn, dann auf Kulanzbasis. Es ist deshalb den
eisten in dieser Runde seit langem klar, was fehlt: Wir
rauchen endlich eine verpflichtende Regelung, die die
echte der Fahrgäste festschreibt.
21320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Aber bislang wurde das Thema immer wieder ver-
schoben, die Ministerien haben sich ausgiebig beharkt.
Die Bundesregierung hat sich in diesem Fall ganz gewiss
keine Lorbeeren verdient.
Wie erfolgreich die eigens zu diesem Thema instal-
lierte Bund-Länder-Arbeitsgruppe zusammengearbeitet
hat, kann man an der Kritik des Bundesrats und den un-
zähligen Änderungswünschen der Länder ableiten.
Aber schlimmer noch als diese Querelen und die Hin-
haltetaktik ist das, was die Bundesregierung sich inhalt-
lich vorstellt: Die vorgesehenen Entschädigungen bei
Verspätungen der Bahn bleiben weit hinter den Forde-
rungen zurück, die zum Beispiel Fahrgastorganisationen
und Verbraucherverbände, aber auch die Verkehrs- und
Verbraucherschutzministerien der Länder erhoben ha-
ben. Sie bleiben natürlich auch hinter denen der Linken
und der anderen Oppositionsfraktionen zurück. Der An-
trag der FDP, den wir beraten, macht dies deutlich.
Die Bundesregierung hat sich einfach für die billigste
Lösung entschieden und zieht sich wieder einmal hinter
die Schutzbehauptung zurück, wegen der EU sei nicht
mehr drin. Sie hat den in der EU-Verordnung vorhande-
nen Spielraum einfach ignoriert. Frau Zypries hat in
Interviews behauptet, dass die Deutsche Bahn im grenz-
überschreitenden Verkehr durch weiter gehende Fahr-
gastrechte benachteiligt werde. Dabei gibt es in Europa
einige Länder, die deutlich kundenfreundlichere Ent-
schädigungsregelungen haben: zum Beispiel die Nieder-
lande oder Frankreich. Auch im Nahverkehr wäre mehr
drin: Einige Verkehrsverbünde gehen auf freiwilliger Ba-
sis schon lange über die vorgesehenen Regelungen hi-
naus und sind daran bisher nicht zugrunde gegangen.
Natürlich kostet das etwas, wenn die Bahn ihre Fahr-
gäste für Verspätungen entschädigen muss. Die Bundes-
regierung nimmt aber die hochgerechneten Horrorzahlen
der Deutschen Bahn für bare Münze und ignoriert völlig
andere Modellrechnungen unabhängiger Institutionen;
denn diese halten ja auch weiter gehende Erstattungsre-
geln für finanziell verkraftbar. Die Bundesregierung in-
teressiert sich offensichtlich mehr für die Kostenrech-
nung und die Bilanz der Deutschen Bahn AG als für die
Stärkung der Verbraucherrechte in Bussen und Bahnen.
Fahrgastrechte stellen wir uns anders vor: 30 Minuten
auf einem kalten Bahnsteig sind genug. Dann müssen
25 Prozent des Fahrpreises erstattet werden. Bei 60 Mi-
nuten sollte es dann schon die Hälfte des Fahrpreises sein,
und zwar im Fern- und im Nahverkehr. Gerade im Nah-
verkehr ist bei Verspätungen auch die freie Wahl der Er-
satzverkehrsmittel sehr wichtig. Damit Fahrgäste ihre
Rechte gegen Verkehrsunternehmen durchsetzen können,
brauchen wir flächendeckend unabhängige Schlichtungs-
stellen. Diese müssen gesetzlich verankert und langfristig
finanziell abgesichert werden.
Abschließend noch eine letzte Bemerkung zum An-
trag der FDP: Unsere Forderungen decken sich in weiten
Teilen mit Ihren. Aber ein Problem haben wir schon: Sie
wollen die Entschädigungen erst ab einem bestimmten
Ticketpreis gewähren. Mit dieser sogenannten Bagatell-
grenze von mindestens 4 bzw. 8 Euro pro einfacher
F
a
u
d
g
f
F
je
w
d
u
M
P
n
e
m
D
K
S
r
b
s
c
s
d
o
F
u
s
R
u
d
n
s
w
r
r
s
D
t
b
b
t
h
n
S
v
s
e
g
b
h
t
r
(C
(D
ahrkarte schließen Sie viele Fahrgäste von Erstattungen
us. Häufig sind das Pendlerinnen und Pendler. Auch
nd vielleicht gerade sie müssen ein Recht auf Entschä-
igung für die entstandenen Unannehmlichkeiten haben.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fahr-
äste haben ein Recht auf eine sichere und pünktliche Be-
örderung sowie eine angemessene Entschädigung im
alle von Verspätungen und Zugausfällen. Bislang gab es
doch keinen gesetzlichen Anspruch darauf. Vielmehr
aren die Fahrgäste auf freiwillige Selbstverpflichtungen
er Verkehrsbetriebe angewiesen, wie beispielsweise die
nter Renate Künast eingeführte Kundencharta oder die
obilitätsgarantien der Nahverkehrsverbünde.
Wir fordern daher seit langem, dass das unzeitgemäße
rivileg der Deutschen Bahn und anderer Verkehrsunter-
ehmen, grundlegende Kundenrechte zu missachten, be-
ndet wird. Für die Bahn und andere Verkehrsbetriebe
uss doch das Gleiche gelten wie für alle anderen
ienstleister auf den Wettbewerbsmärkten auch: Die
undinnen und Kunden müssen bei einem entstandenen
chaden angemessen entschädigt werden.
Deshalb haben wir schon in der letzten Legislaturpe-
iode im Frühjahr 2006 einen Gesetzesentwurf einge-
racht, der die Rechte der Fahrgäste verbindlich regeln
oll. Leider hat die Bundesregierung dieses Verbrau-
herthema lange Zeit ganz bewusst verschlafen. Doch
pätestens seit Herbst 2007 sind sie unter Zugzwang,
enn da wurde auf EU-Ebene beschlossen, dass ab 2009
hnehin grenzüberschreitende Regelungen beim Thema
ahrgastrechte gelten müssen. Diese Regelungen sehen
nter anderem vor, dass Fahrgäste ab 60 Minuten Ver-
pätung 25 Prozent und ab zwei Stunden 50 Prozent des
eisepreises erstattet bekommen.
Seit dieser Zeit – also seit über einem Jahr – wurde
ns im Verbraucherausschuss immer wieder angekün-
igt, dass der Gesetzentwurf zu Fahrgastrechten auf ei-
em guten Weg sei und demnächst vorgelegt würde. Pas-
iert ist lange nichts, was letztlich auch dem ewig
ährenden Streit zwischen Justiz- und Verkehrsministe-
ium einerseits und dem Verbraucherministerium ande-
erseits geschuldet ist. Wir haben im Verbraucheraus-
chuss mehrfach gefordert, dass die Fahrgastrechte in
eutschland weitaus verbraucherfreundlicher ausgestal-
et werden müssen, als es die EG Verordnung vorsieht.
Genauso sehen das übrigens auch die Verbraucherver-
ände und die Verbraucherminister der Länder, die sich
ei der Verbraucherministerkonferenz im letzten Sep-
ember deutlich für mehr Fahrgastrechte stark gemacht
aben und die Entschädigungsregeln der EG-Verord-
ung für unzureichend erklärten. Sogar Minister
eehofer hatte während der Konferenz zugesagt, sich für
erbesserte Fahrgastrechte einzusetzen, wie zum Bei-
piel die 20-Prozent-Entschädigung der Bahnkunden bei
iner Verspätung von 30 Minuten, die auch wir immer
efordert haben. Aber Herr Seehofer hatte offensichtlich
ei seinen Zusagen die damals unmittelbar bevorste-
ende bayerische Landtagswahl im Blick. Denn unmit-
elbar nach der Wahl war dieses Lippenbekenntnis be-
eits Geschichte.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21321
(A) )
(B) )
Der jetzt vorliegende Entwurf fällt – wie nicht anders
zu erwarten war – dürftig aus: Die Bundesregierung hat
wieder einmal einen Diener vor den Interessen der Wirt-
schaft gemacht, anstatt die Rechte der deutschen Ver-
braucherinnen und Verbraucher im Blick zu haben. Laut
Gesetzesentwurf sollen im Wesentlichen nur die Mini-
malregelungen der EG-Verordnung umgesetzt werden.
So sind beispielsweise die Entschädigungsregeln viel zu
lasch und gelten nicht einheitlich für Nah- und Fernver-
kehr. Auch die Forderung der Verbraucherverbände und
der Grünen, die unabhängige Schlichtungsstelle gesetz-
lich zu verankern, wurde nicht umgesetzt. Wieder ein-
mal wurden Verbraucherinteressen nicht ernst genom-
men. Der Ressortstreit geht damit zugunsten des
Verkehrs- und des Justizministeriums aus, und die Ver-
braucherinnen und Verbraucher haben das Nachsehen,
weil sie mit Minimalzugeständnissen abgespeist werden
sollen.
Vor diesem Hintergrund kann ich auch den hier zu be-
ratenden Antrag der FDP unterstützen, die sich bei aller
sonstigen Wirtschaftsverbundenheit ausnahmsweise ein-
mal für die Verbraucherrechte stark macht. Deshalb ap-
pelliere ich an die Bundesregierung. Hören sie auf Ihre
eigenen Landesminister, auf die Verbraucherverbände
und die Opposition und erarbeiten sie ein Gesetz, das die
Rechte der Fahrgäste ernst nimmt und über die Minimal-
anforderungen aus Brüssel hinausgeht!
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Steuerhinterziehung
bekämpfen (Tagesordnungspunkt 16)
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Steuerehrlichkeit und
Bekämpfung der Steuerhinterziehung stehen seit der
spektakulären Verhaftung des Vorstandsvorsitzenden der
Post Klaus Zumwinkel am 14. Februar 2008 und die an-
schließende deutschlandweite Aktion der Steuerfahn-
dung Wuppertal im Mittelpunkt des öffentlichen Interes-
ses. Dies durchaus auch zu Recht. Denn eines sage ich
auch für meine Fraktion ganz klar: Steuerhinterziehung
ist kein Kavaliersdelikt und wird von uns energisch ver-
folgt. Deshalb legen die beiden Koalitionsfraktionen
heute auch den Ihnen vorliegenden Antrag „Steuerhin-
terziehung bekämpfen“ vor, der weitere Möglichkeiten
der Bekämpfung der Steuerhinterziehung aufzeigt und
die Bundesregierung auffordert, sie umzusetzen.
Erstens. Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Trotz
der jahrelangen Steuerhinterziehung von Klaus Zumwin-
kel und anderer muss aber festgehalten werden: Die
Steuerfahndung ist in Deutschland grundsätzlich erfolg-
reich. Rund 40 000 Verfahren pro Jahr, 17 000 Strafver-
fahren, über 1,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen pro
Jahr. Auch im Fall von Klaus Zumwinkel ging ja die
Diskussion in der Öffentlichkeit nicht in die Richtung,
dass hier zu wenig energisch verfolgt würde, sondern
eher in die Richtung, ob hier der Rechtsstaat nicht ge-
wisse Grenzen überschritten habe. Steuerhinterziehung
kann hart bestraft werden, in besonders schweren Fällen
m
R
v
s
v
S
g
w
s
G
r
H
a
b
D
M
W
a
n
r
§
a
t
A
z
H
d
a
U
z
n
e
g
b
b
f
t
U
m
f
a
U
s
e
z
z
l
w
h
w
k
w
V
(C
(D
it bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Der vereinzelte
uf nach einer Erhöhung des Strafmaßes scheint mir
erfehlt, zumal der bisherige Strafrahmen ja auch in
chweren Fällen kaum ausgeschöpft wird.
Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil
om 2. Dezember 2008 jetzt klargestellt, dass bei einer
teuerhinterziehung die Höhe des Hinterziehungsbetra-
es ein Strafzumessungsumstand von besonderem Ge-
icht ist. Das bedeutet, dass jedenfalls bei einem sechs-
telligen Hinterziehungsbetrag die Verhängung einer
eldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milde-
ungsgründen noch schuldangemessen sein wird. Bei
interziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine
ussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur noch bei Vorliegen
esonders gewichtiger Milderungsgründen in Betracht.
ies heißt klipp und klar: Steuerhinterzieher ab einer
illion wandern tatsächlich ins Gefängnis!
Einen bis dato im Gesetz enthaltenen gesetzlichen
ertungswiderspruch möchte aber der Koalitionsantrag
ufheben: Während derjenige, der seine Einkünfte ord-
ungsgemäß deklariert hat und dann lediglich seine Vo-
auszahlungen um einige Tage verspätet leistet, gemäß
240 AO mit einem Säumniszuschlag von 1 Prozent pro
ngefangenen Monat – also 12 Prozent jährlich – belas-
et wird, muss der Steuerhinterzieher gemäß § 235, 238
O pro Monat nur ½ Prozent Hinterziehungszinsen be-
ahlen, also 6 Prozent jährlich. Diese Besserstellung des
interziehers gegenüber dem bloß säumigen Zahler will
er Antrag ändern und auch die Hinterziehungszinsen
uf 12 Prozent anheben.
Zweitens. Umsatzsteuerbetrug. Innerstaatlich ist der
msatzsteuerbetrug das größte Problem. Nach Schät-
ungen des ifo-Institutes haben wir hier allein 2007 ei-
en Einnahmeausfall in Höhe von 11,3 Milliarden Euro
rlitten. Obwohl in der Vergangenheit hier schon einiges
eschehen ist, haben wir im Koalitionsvertrag verein-
art, weiter an der Bekämpfung des USt-Betrugs zu ar-
eiten.
Bisherige Maßnahmen: Das Steuerverkürzungsbekämp-
ungsgesetz verbessert seit 2001 Kontroll- und Sank-
ionsmöglichkeiten der Finanzbeamten. Neu gegründete
nternehmen müssen Umsatzsteuer-Voranmeldungen
onatlich abgeben, mit dem Ziel, Unregelmäßigkeiten
rühzeitig aufzudecken und Firmen zu identifizieren, die
llein zum Zweck des USt-Betrugs gegründet wurden.
nangemeldete USt-Nachschau ist möglich.
Das Steueränderungsgesetz 2003 bzw. HBeglG 2004
ah weitere gesetzliche Regelungen im Interesse einer
ffektiveren USt-Bekämpfung vor, so eine beim Bundes-
entralamt für Steuern eingerichtete zentrale Datenbank
ur Speicherung und Auswertung von USt-Betrugsfäl-
en. Scheinunternehmen können so frühzeitig aufgedeckt
erden.
Bis letztes Jahr gab es im Bereich der Steuerhinterzie-
ung keine Möglichkeit der Telekommunikationsüber-
achung. Durch das Gesetz zur Neuregelung der Tele-
ommunikationsüberwachung vom 9. November 2007
urde im Bereich der bandenmäßigen Umsatzsteuer- und
erbrauchsteuerhinterziehung den Strafverfolgungsbe-
21322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
hörden erstmals eine sogenannte Telefonüberwachung er-
möglicht. Dadurch ist eine wirksamere Verfolgung der
hier tätigen organisierten Kriminalität möglich.
Unsere Hauptaufgabe aber bleibt es, unser Umsatz-
steuersystem weniger betrugsanfällig zu machen. Das
vom Bundesfinanzministerium insoweit favorisierte Re-
verse-Charge-Verfahren ist dieses Jahr auf europäischer
Ebene endgültig gescheitert und wir sind jetzt hier in
Deutschland innerhalb des bestehenden europäischen
Rahmens gefordert. Die Bundesregierung hat dazu am
29. Mai 2008 Vorschläge unterbreitet, die wir in den an-
stehenden Beratungen prüfen werden. Darüber hinaus
müssen meines Erachtens auch andere Optionen erwo-
gen werden, wie etwa die schrittweise Einführung einer
generellen Istbesteuerung.
Drittens. Bekämpfung internationaler Steuerhinterzie-
hung: 1. EU-Zinsteuerrichtlinie (Richtlinie 2003/48/EG).
Seit 2005 wird die EU-Zinssteuerrichtlinie angewendet,
die grundsätzlich einen Informationsaustausch bezüglich
der Zinserträge von Steuerausländern zwischen den EU-
Mitgliedstaaten vorschreibt. Die EU-Zinssteuerrichtli-
nie wurde nach langwierigen Verhandlungen maßgeblich
auf deutsches Drängen vereinbart. 22 EU-Staaten wen-
den die ZStR an, allerdings schließen einige Staaten ihre
überseeischen Gebiete davon aus, so GB die Cayman-
Islands, Virgin-Islands, Anguilla, Bermuda und Gibralta
und die Niederlande Aruba und Niederländischen Antil-
len. Belgien, Luxemburg, Österreich, die Schweiz und
Liechtenstein verweigern die Teilnahme und führen
stattdessen eine jetzt 30-prozentige Quellensteuer ab.
Aber bei der EU-ZStR besteht Verhandlungsbedarf: Sie
gilt derzeit nur für Privatpersonen, nicht für juristische
Personen. Eine Ausdehnung auf Körperschaften, Stiftun-
gen und Trusts ist notwendig. Aber auch bei Privatperso-
nen sind zahlreiche Anlageformen, wie beispielsweise
Investmentfonds, Zertifikate, für die keine laufenden
Zinszahlungen anfallen, und fondsgebundene Lebens-
versicherungen ausgenommen. Alles in allem also der-
zeit noch ein Käse mit vielen Löchern.
2. Amtshilfe. Angesichts der zunehmenden interna-
tionalen Verflechtung der Wirtschaftsaktivitäten und der
gestiegenen Mobilität der Steuerpflichtigen wird die Zu-
sammenarbeit im Verwaltungsvollzug immer wichtiger.
Deshalb sehen Art. 26 und 27 des OECD-DBA-Muster-
abkommens auch den Austausch von Bankinformatio-
nen und die Gewährung von Beitreibungshilfe vor. Nach
einem Bericht des Bundesministeriums der Finanzen
vom 18. März 2008 ist es bisher aber nicht einmal gelun-
gen, mit allen westeuropäischen OECD-Mitgliedstaaten
Bankinformationen nach Maßgabe des OECD-Muster-
abkommens auszutauschen; dazu zählen insbesondere
Belgien, Luxemburg, Österreich und die Schweiz. Aber
auch die Amtshilfe- und Beitreibungs-Richtlinie der EU
sind nach diesem Bericht des BMF derzeit rechtlich wie
praktisch unzureichend und es wird an Verbesserungen
dazu gearbeitet. Der Bundesfinanzminister hat dazu die
volle Unterstützung meiner Fraktion.
3. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). DBA sol-
len eine Doppelbesteuerung vermeiden und schränken
deshalb im Rahmen der zwischenstaatlichen Aufteilung
u
w
k
t
n
m
v
n
H
b
r
z
n
s
v
t
g
s
e
d
A
b
d
t
k
e
v
t
s
w
h
g
e
e
i
a
g
g
d
i
u
o
g
b
g
b
ü
d
d
d
s
G
(C
(D
nd Abgrenzung die nationalen Besteuerungsrechte teil-
eise erheblich ein. Dies provoziert natürlich die Gefahr
ünstlicher Gestaltungen – zum Beispiel Zwischenschal-
ung von Gesellschaften in einem DBA-Staat zur Aus-
utzung begünstigender DBA-Vorschriften. Gegen die
issbräuchliche bzw. unerwünschte Inanspruchnahme
on DBA vereinbart Deutschland in vielen DBAs soge-
annte Vorbehaltsklauseln, um zu verhindern, dass der
auptzweck einer Transaktion oder der Gestaltung darin
esteht, Steuervorteile zu ermöglichen, deren Gewäh-
ung Sinn und Zweck des DBA widerspricht.
Daneben kommen einseitige nationale Maßnahmen
ur Missbrauchsverhinderung infrage. Zu derartigen in-
erstaatlichen Vorschriften gehört unter anderem der
peziell gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme
on DBA-Vergünstigungen bei Quellensteuern gerich-
ete § 50 d Abs. 3 EstG in der Fassung des Jahressteuer-
esetzes 2007, der Mindestanforderungen an eine sub-
tanzielle Präsenz und eigene wirtschaftliche Tätigkeit
iner ausländischen Gesellschaft stellt. Dagegen bringt
er systematische Übergang von der Freistellungs- zur
nrechnungsmethode wenig, da beide Systeme miss-
rauchsanfällig sind. Aus diesem Grund prüfen gerade
ie USA teilweise den Übergang zur Freistellungsme-
hode.
Viertens. Fazit. Missbrauchsbekämpfung und Be-
ämpfung der Steuerhinterziehung können aber nur dann
rfolgreich sein, wenn dem ein verständliches und auch
on den Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich akzep-
iertes Steuerrecht zugrunde liegt. Je mehr an der Steuer-
chraube gedreht wird und je höher die Steuerbelastung
ird, desto mehr Menschen sehen die Steuerhinterzie-
ung als vermeintlichen Ausweg. Wir von der Union sa-
en ein klares Nein zur Steuerhinterziehung, aber ebenso
in klares Ja zu einem maßvollen und akzeptierten Steu-
rsystem, das den Bürgerinnen und Bürgern den Ertrag
hrer Arbeit so weit wie möglich belässt.
Die Unionsfraktion wird den Antrag an den Finanz-
usschuss überweisen. Hier werden wir dann den Antrag
ründlich beraten.
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die Arbeits-
ruppe Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion wie auch
er Bundesfinanzminister beschäftigen sich schon länger
ntensiv mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung
nd Methoden, den schädlichen Wirkungen von Steuer-
asen zu begegnen. Das erklärt, warum es in den vergan-
enen Jahren viele Vorschläge und Gesetze zur Betrugs-
ekämpfung gab.
Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass die Steuer-
estaltungserfindungsgeschwindigkeit der Steuerbetrugs-
ekämpfungsgesetzgebungsgeschwindigkeit noch immer
berlegen ist. Erst jüngste spektakuläre Beispiele haben
ies eindrucksvoll belegt – obwohl ich ungern „ein-
rucksvoll“ sage; dabei schwingt immer etwas Bewun-
erung mit.
Aber es geht hier ja um Betrug an unserer Gesell-
chaft. Jemand erzielt sein Einkommen gestützt auf eine
esellschaft, deren Infrastruktur er nutzt, deren Regel-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21323
(A) )
(B) )
werke ihn vor ungerechter Behandlung schützen, deren
Polizei ihm Sicherheit gibt, deren Theater seine Frau be-
suchen kann – und im Gegenzug entzieht er sich der
Pflicht, seinen Teil zu dieser Gesellschaft beizusteuern.
Das ist wenig eindrucksvoll, eher schäbig.
Aber kriminelle Energie und rücksichtsloser Egois-
mus bei jenen, die ihr in Deutschland Erwirtschaftetes
auf Guernsey oder in Andorra, in Monaco oder auf Isle
of Man verstecken oder bei Helfershelfern in ausgewähl-
ten Banken und bestimmten Instituten, Stiftungen, Un-
ternehmen, auch Regierungen von Steueroasen und sol-
chen Ländern, die nicht genannt werden möchten,
Mängel in der Finanzmarktkontrolle sowie Lücken im
Gesetzesvollzug bilden einen Nährboden, auf dem der
Steuerbetrug auch hierzulande vorzüglich gedeiht.
Die vorgebliche Seriosität in den Führungsgremien
mancher Kreditinstitute ist leider oft nur Tarnung, um ihr
unlauteres und gesetzeswidriges Geschäftsgebaren zu
bemänteln. Der äußere Anschein der Vertrauenswürdig-
keit darf uns allerdings nicht darüber hinwegtäuschen,
dass Steuerkriminalität unsere Zielsetzung einer solidari-
schen Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft aus-
zehrt und ihr finanzielles Fundament unterspült.
Alle Fälle von Steuerkriminalität müssen lückenlos
aufgeklärt und geahndet werden. Wir wollen daher den
eingeschlagenen Weg weitergehen. Viele unserer gesetz-
lichen Regelungen aus den vergangenen Jahren sind sehr
gut – allerdings müssen sie durch eine schärfere Kon-
trolle gegen Steuerhinterziehung effektiver angewendet
werden. Sicher sind auch weitere gesetzliche Vorschrif-
ten erforderlich – jedenfalls solange eine „Kultur“ vor-
herrscht, die als erlaubt ansieht, was nicht explizit per
Gesetz verboten ist.
Die Arbeitsgruppe Finanzen der SPD-Bundestags-
fraktion hat daher weitere Vorschläge zur Bekämpfung
der Steuerkriminalität vorgelegt: klare EU-weite Koordi-
nierung der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Ver-
besserung der Kompetenzen der Ermittlungs- und Straf-
verfolgungsbehörden, Verschärfung und Erweiterung
der EU-Zinsrichtlinie zur Erfassung von Kapitaleinkünf-
ten, Ausweitung auf Kapitaleinkünfte und auf Stiftungen
und Körperschaften, nicht nur auf Privatpersonen, mas-
siver Druck auf Steueroasen, um ihre Attraktivität für
Steuerkriminalität auszutrocknen, aktive Unterstützung
der Arbeit der OECD gegen schädlichen Steuerwettbe-
werb, personelle Verstärkung bei Steuerfahndern, Be-
triebsprüfern und Staatsanwaltschaften, Einrichtung ei-
ner Bundessteuerverwaltung, die – insbesondere bei der
Steuerfahndung – einheitlich im ganzen Bundesgebiet
und auch grenzüberschreitend agiert, Abschaffung der
Steuerbefreiung für Dividenden aus Steuerparadiesen
und verschärfte Nachweis- und Aufbewahrungsfristen
für Kapitaleinkünfte.
Diese Vorschläge finden sich mehr oder weniger deut-
lich im heute in erster Lesung behandelten Antrag „Steu-
erhinterziehung bekämpfen“. Mehr oder weniger deutet
er an, dass die Koalition ihre Erfolge im Kompromiss
findet. Ein Beispiel: Ich hatte vorgeschlagen, einige Län-
der, von denen wir erwarten, dass sie sich stärker an der
Bekämpfung von Steuerhinterziehung, grenzüberschrei-
t
B
L
n
m
B
h
f
f
n
B
w
Ü
A
S
a
e
d
P
n
g
t
S
r
h
u
a
w
R
r
b
v
F
D
s
d
f
(C
(D
ender Steuergestaltung und international organisiertem
etrug beteiligen, explizit zu nennen, etwa die Schweiz,
uxemburg oder Liechtenstein. Dies war den Kollegin-
en und Kollegen von der CDU/CSU aber zu „deutlich“,
an solle „niemanden an den Pranger“ stellen. Zwei
eispiele sollen andeuten, wie hart wir darum gerungen
aben, beide Wünsche in den Antrag zu bringen:
Zur Vermeidung der Benennung von Liechtenstein
anden wir die Formulierung: Der Deutsche Bundestag
ordert die Bundesregierung auf,
weitere Möglichkeiten auf nationaler und interna-
tionaler Ebene, die zur Austrocknung von Steuer-
oasen wirksam beitragen würden, zu prüfen und
konsequent umzusetzen, dazu gehört auch die Prü-
fung der Ratifizierung des Schengen-Abkommens
im Verhältnis zu Staaten, die zur Steuerhinterzie-
hung besonders geeignet erscheinen …
Um die Schweiz nicht explizit nennen zu müssen, ist
un folgende Formulierung zu finden: Der Deutsche
undestag fordert die Bundesregierung auf,
sich auf europäischer Ebene mit Nachdruck dafür
einzusetzen, hinsichtlich der von dritten Staaten mit
den USA getroffenen besonderen Vereinbarungen
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu ge-
währleisten, dass inhaltsgleiche Regelungen auch
im Verhältnis zu europäischen Mitgliedstaaten ge-
troffen werden …
Ich hätte mir hier etwas klarere Formulierungen ge-
ünscht.
Im Folgenden möchte ich Ihnen ein paar unserer
berlegungen erläutern: Im Grundsatz vertreten wir die
uffassung, dass wir einen umfassenderen Ansatz in der
teuerpolitik im Vollzug und wahrscheinlich weniger
uf der Seite der Gesetzgebung benötigen. Unser Ziel ist
s, das Risiko, entdeckt zu werden, für Steuerbetrüger
eutlich zu steigern. Denn ein System, das steuerehrliche
ersonen oder Unternehmen nicht vor Wettbewerbs-
achteilen schützen kann und betrügerischen Gestaltun-
en keinen Einhalt bietet, hat schwerwiegende Gerech-
igkeitsdefizite und Akzeptanzprobleme.
Zur Vermeidung und effektiven Bekämpfung von
teuerkriminalität muss zum Beispiel der geschaffene
echtliche und technische Rahmen auf der Basis einer
inreichenden Personalausstattung konsequent genutzt
nd gegebenenfalls erweitert werden.
Wichtig ist aber auch, die Betrugs- und Missbrauchs-
nfälligkeit des geltenden deutschen Umsatzsteuerrechts
eiter zu reduzieren. Ein großer Schritt in die richtige
ichtung wurde mit dem Jahressteuergesetz 2009 er-
eicht. Denn die Verjährungsfrist für die Verfolgung von
esonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung wird
on fünf auf zehn Jahre angehoben und damit an die
rist für die Verjährung der Steuerfestsetzung angepasst.
amit werden die Steuerfahndung gestärkt und das Ab-
chreckungspotenzial bei Steuerhinterziehung erhöht.
Des Weiteren ist es wichtig, auf europäischer Ebene
ie Koordination der steuerlichen Missbrauchsbekämp-
ung zu verbessern. Es müssen auch auf internationaler
21324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Ebene Maßnahmen gegen Staaten vereinbart werden, die
es Steuersündern besonders einfach machen, ihr Geld im
Ausland anzulegen, weil mit manchen Staaten und Ge-
bieten kein ausreichender Zugang und Austausch von
Bankinformationen stattfindet. Das bedeutet, dass wir
mit Ländern, die es Steuerbetrügern besonders leicht
machen, Geld zu verstecken, besser kooperieren müssen.
Allerdings sollten auch jene Länder mit Deutschland
noch besser kooperieren. Hier scheinen uns die USA in
ihren Verhandlungsergebnissen einen Schritt voraus zu
sein
Ein wichtiges Einzelthema ist der Umsatzsteuerbetrug.
Umsatzsteuerbetrug verletzt das Gerechtigkeitsempfin-
den der Steuerzahler gravierend und belastet die steuer-
ehrlichen Unternehmen übermäßig stark. Umsatzsteuer-
hinterziehung schädigt den Staat auf der Einnahmenseite,
da durch grenzüberschreitende Karussellgeschäfte, Vor-
steuererschleichung durch sogenannte Gründungstäter
oder Steuerhinterziehung mit gefälschten Rechnungen
große Steuermindereinnahmen entstehen. Hier arbeitet
Peer Steinbrück in Europa intensiv an einer koordinierten
Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuer-
betrugs, die am 2. September 2008 Gegenstand im Euro-
päischen Parlament war.
Auch in gesamtwirtschaftlicher Perspektive richtet
der Umsatzsteuerbetrug erheblichen Schaden an. Steuer-
ehrliche Unternehmen haben im Wettbewerb mit steuer-
unehrlichen Unternehmen eine deutlich schlechtere Aus-
gangssituation. Sie werden womöglich vom Markt
verdrängt, legale Arbeitsplätze werden vernichtet, der
Staatshaushalt wird mit den Folgekosten der Arbeitslo-
sigkeit belastet. Den Kampf gegen den Umsatzsteuerbe-
trug führen wir gemeinsam mit den Ländern auf der na-
tionalstaatlichen Ebene und im Austausch mit den
anderen Mitgliedstaaten auch auf EU-Ebene.
Wir haben in den vergangenen Jahren Instrumente
entwickelt, die den Missbrauch von Regelungen im Um-
satzsteuerrecht bekämpfen. Ein kurzer Überblick: An-
fang 2001 trat das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz
in Kraft und verbesserte die Kontroll- und Sanktions-
möglichkeiten der Finanzbeamten vor Ort: Neu gegrün-
dete Unternehmen sind verpflichtet, ihre Umsatzsteuer-
Voranmeldung monatlich abzugeben, um kurzlebige Fir-
men zu identifizieren, die nur zum Zweck des Umsatz-
steuerbetrugs gegründet wurden. Finanzbeamte können
unangemeldet eine Umsatzsteuer-Nachschau durchfüh-
ren, um sich einen objektiven Eindruck eines Unterneh-
mens zu verschaffen. Unternehmer haften für schuldhaft
nicht abgeführte Umsatzsteuer. Um insbesondere den
Umsatzsteuerkarussellbetrug zu bekämpfen, wurde die
gewerbs- oder bandenmäßige Nichtbezahlung der Um-
satzsteuer als Straftat definiert und kann seither auch ent-
sprechend bestraft werden.
Wir haben in den vergangenen Jahren weitere ver-
schiedene Instrumente der Strafverfolgung und Ahndung
von Steuerstraftaten eingesetzt, die den Missbrauch be-
kämpfen sollen.
Die Abgabenordnung sieht in § 370 zur Ahndung von
Steuerhinterziehung neben Geld- auch Freiheitsstrafen
vor, in besonders schweren Fällen sogar mit einem
H
G
E
b
b
M
H
l
t
f
c
u
B
m
m
S
t
S
S
U
o
n
s
f
l
li
u
d
z
f
I
b
V
m
g
d
b
s
t
d
F
d
M
U
g
m
d
l
u
l
e
u
B
(C
(D
öchststrafmaß von zehn Jahren. Gegen Zahlung einer
eldbuße kann zur Beschleunigung des Verfahrens die
instellung der Ermittlungen erfolgen. Bei Verdacht der
andenmäßigen fortgesetzten Umsatzsteuer- und Ver-
rauchsteuerhinterziehung besteht seit diesem Jahr die
öglichkeit der Telefonüberwachung.
Auch mit dem Steueränderungsgesetz 2003 und dem
aushaltsbegleitgesetz 2004 wurden gesetzliche Rege-
ungen im Interesse einer effektiveren Umsatzsteuerbe-
rugsbekämpfung erlassen. Die beim Bundeszentralamt
ür Steuern eingerichtete Zentrale Datenbank zur Spei-
herung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen
nd Entwicklung von Risikoprofilen erfasst bundesweit
etrugsfälle und ermöglicht somit einen schnellen Infor-
ationsaustausch. Sie ist daher ein wichtiges Instru-
ent, das die Finanzbehörden in die Lage versetzt,
cheinunternehmen frühzeitig aufzudecken. Die Zen-
rale Koordinierungsstelle beim Bundeszentralamt für
teuern wurde als Ansprechpartner für die zuständigen
tellen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei
msatzsteuerbetrug eingerichtet. Die Zentrale Stelle ko-
rdiniert aber auch bundesweit die erforderlichen Maß-
ahmen in staaten- und länderübergreifenden Umsatz-
teuerfällen.
Das Verfahren zur länderübergreifenden Namensab-
rage, LUNA, ermöglicht unter anderem bei der erstma-
igen Vergabe einer Steuernummer den bundesweiten On-
nezugriff auf Grunddaten von privaten Steuerzahlern
nd Unternehmen. Dieses Verfahren wird erweitert, in-
em Zugriffsmöglichkeiten ausgebaut und eine Vernet-
ung mit der Informationsdatenbank ZAUBER geschaf-
en wird. Damit steht eine bundesweit nutzbare
nformationsbasis zur Bekämpfung von Umsatzsteuer-
etrug zur Verfügung.
Auch im Bereich der Überprüfung von Umsatzsteuer-
oranmeldungen wurden mittlerweile wirksame Instru-
ente entwickelt. Fast alle Bundesländer setzen ein so-
enanntes regelbasiertes Entscheidungssystem ein, mit
em alle eingehenden Umsatzsteuer-Voranmeldungen
ezüglich ihres typischen Risikos hinsichtlich eines Um-
atzsteuer-Betrugsversuches oder einer ungerechtfertig-
en Erstattung bewertet werden.
Trotz der erwähnten Maßnahmen sind laut Ifo-Institut
ie Umsatzsteuerausfälle noch immer inakzeptabel hoch.
ür 2007 beliefen sich die Schätzungen auf 11,3 Milliar-
en Euro die allein auf Umsatzsteuerbetrug zurückgehen.
Die Zahlen belegen, dass es trotz vieler gesetzlicher
aßnahmen noch immer immanente Schwächen im
msatzsteuerrecht gibt. Daher bin ich für eine grundle-
ende Systemänderung. Diese Konstruktionsfehler sind
it der Vollendung des EG-Binnenmarktes 1993 und
em Wegfall der innergemeinschaftlichen Grenzkontrol-
en zutage getreten. Sie darzustellen, wird eine Aufgabe
nserer Diskussion im Finanzausschuss sein.
Im Wissen, dass die Regierung bereits eigene Vorstel-
ungen entwickelt und Vorschläge erarbeitet, die in die
uropäische Diskussion eingebracht werden, eignet sich
nser Antrag sehr gut, einen großen Schritt in Richtung
ekämpfung der Steuerkriminalität voranzukommen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21325
(A) )
(B) )
Deshalb möchte ich nun nicht sagen: Schöne Besche-
rung! Aber ich wünsche Ihnen und all den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern, die für uns den Parlamentsbetrieb
stets beeindruckend unauffällig und perfekt organisieren,
schöne Weihnachten und einen glücklichen Start ins neue
Jahr 2009!
Dr. Volker Wissing (FDP): Gebietet es wirklich, wie
Sie in ihrem Antrag schreiben, die Steuergerechtigkeit,
alle zur Verfügung stehenden Steuerquellen konsequent
auszuschöpfen? Dieser Antrag der Regierungskoalition
sagt viel aus – weniger über die Steuerbetrugsbekämp-
fung oder gar die Steuermoral in Deutschland als viel-
mehr über die finanzpolitischen Vorstellungen von
CDU/CSU und SPD. Die Bürgerinnen und Bürger, die
Unternehmen in unserem Land werden kurzerhand zu
Steuerquellen degradiert, die es möglichst konsequent
auszuschöpfen gilt. Das ist doch fast schon eine Auffor-
derung zur Steuerflucht.
Es ist nicht nur Ehrlichkeit, es ist vielmehr eine Dreis-
tigkeit, dass Sie so unverblümt sagen, worum es Ihnen
geht: die konsequente Ausschöpfung aller zur Verfügung
stehenden Steuerquellen – oder sollte ich besser sagen:
das konsequente Abkassieren aller Bürgerinnen und
Bürger im Einzugsbereich der deutschen Finanzverwal-
tung. Was ist konsequente Ausschöpfung denn anderes
als vollständiges Abkassieren?
Konsequentes Ausschöpfen, das klingt nicht nach
Verheißung, sondern nach Drohung. Da passt es nur zu
gut ins Bild, dass der Bundesminister der Finanzen unse-
rem Nachbarland androht, dass künftig statt Zuckerbrot
vermehrt die Peitsche eingesetzt würde. Der Bundesmi-
nister der Finanzen leidet offensichtlich unter einem
Gallischen-Dorf-Syndrom und fühlt sich umgeben von
lauter feindlichen Steueroasen. Statt den Dialog zu su-
chen und gemeinsam mit den Staaten, die er als Steuer-
oasen verdächtigt, nach Lösungen zu suchen, setzt er auf
rhetorische Kraftmeierei. Dass diese Strategie nicht zum
Erfolg führen kann, weiß jeder – mit Ausnahme des
Bundesministers der Finanzen. Der weiß zwar ganz ge-
nau, was die Schweizer, Franzosen und Briten in der Fi-
nanz- und Wirtschaftspolitik besser machen müssten,
nur im eigenen Land, da hapert es. Statt die eigenen
Hausaufgaben zu machen, sieht er die Fehler und Ver-
säumnisse nur bei anderen. Ein sehr einfaches Weltbild.
Aber auch ein zutreffendes?
Für die FDP besteht Steuergerechtigkeit nicht in der
konsequenten Ausschöpfung aller zur Verfügung stehen-
den Steuerquellen, sondern zunächst einmal in der Ein-
führung eines einfachen und gerechten Steuersystems
mit niedrigen Sätzen. Steuergerechtigkeit auf ein mög-
lichst konsequentes Abschöpfen der Bürgerinnen und
Bürger sowie der Unternehmen zu reduzieren, keine An-
strengungen zu unternehmen, das Steuersystem einfa-
cher und gerechter zu gestalten, sollte eigentlich eines
Bundesministers der Finanzen unwürdig sein. Es ist zu
wenig, um mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Wenn man das deutsche Steuerrecht anschaut, dann
stellt sich doch die Frage, ob die anderen Länder tatsäch-
lich Steueroasen oder ob nicht Deutschland vielmehr ein
f
L
b
b
r
B
d
N
z
B
B
g
g
w
g
d
B
B
s
l
r
s
I
s
c
h
e
S
n
D
h
h
U
o
w
v
D
d
l
s
m
s
z
u
e
e
g
w
e
F
S
(C
(D
inanzpolitisches Schreckgespenst ist. Wer von anderen
ändern einen Beitrag zur Lösung seiner Steuerpro-
leme einfordert, muss zuerst einmal seine Hausaufga-
en machen. Und diesbezüglich steht die Bundesregie-
ung alles andere als gut da. So verweigert sich die
undesregierung der europäischen Zusammenarbeit bei
er Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges. EUROCA-
ET wurde eigens eingerichtet, um Steuerhinterziehung
u erschweren. Und wer macht dabei nicht mit? Die
undesregierung. Angeblich wegen rechtsstaatlicher
edenken. Das muss man sich einmal auf der Zunge zer-
ehen lassen. Die gleiche Bundesregierung, die sich
erne auf Kollisionskurs mit der Verfassung begibt,
enn es um die Kürzung der Pendlerpauschale geht; die
leiche Bundesregierung, deren Fantasie die Online-
urchsuchungen entstammen und die liebend gerne die
undeswehr im Innern einsetzen würde. Die gleiche
undesregierung kann bei der Bekämpfung des Umsatz-
teuerbetruges nicht mit unseren europäischen Partner-
ändern zusammenarbeiten – aufgrund angeblicher
echtsstaatlicher Probleme. Hier geht es nicht um rechts-
taatliche Probleme, hier geht es um nationalstaatliche
gnoranz.
Der Ihrem Antrag beigefügte Forderungskatalog
pricht eine klare Sprache. Sie fordern mehr Überwa-
hung, mehr Kontrollen, weniger Freiheiten. Aber Sie
aben nicht einen Spiegelstrich für die Schaffung eines
infachen und gerechten Steuersystems mit niedrigen
ätzen übrig. Steuergerechtigkeit ist vor allem eine in-
enpolitische und keine außenpolitische Angelegenheit.
as sollte auch der Bundesminister der Finanzen einse-
en und endlich seine Hausaufgaben machen.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Steuerhinterzie-
ung, insbesondere die Flucht von Gutbetuchten und
nternehmen vor der Besteuerung in sogenannte Steuer-
asen, hat wesentlich zur Finanzkrise beigetragen. Not-
endige Finanzmittel werden so der öffentlichen Hand
orenthalten und stattdessen der Spekulation zugeführt.
ie wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist
ringlicher denn je; die Profiteure von maßloser Speku-
ation und Bereicherung müssen für die von ihnen verur-
achte Krise auch zur Kasse gebeten werden.
Der vorliegende Antrag ist demgegenüber ein Ar-
utszeugnis. CDU/CSU und SPD können es nicht las-
en, erst mal über zwei Seiten Werbung in eigener Sache
u machen. Das – vermeintliche – Bemühen der jetzigen
nd der vorherigen Regierung beim Kampf gegen Steu-
rhinterziehung wird abgefeiert. Immerhin unterlassen
s die Regierungsfraktionen nicht, das vernichtende Er-
ebnis ihrer Bemühungen klar zu benennen, Zitat:
Die durch das verbesserte rechtliche und technische
Vollzugsinstrumentarium erwarteten deutlich spür-
baren Wirkungen sind bisher leider weitgehend aus-
geblieben.
Die von den Regierungsfraktionen am Ende aufge-
orfenen Forderungen weisen in prägnanter Weise auf
tliche ihrer Versäumnisse hin. Warum haben sie diese
orderungen nicht schon längst umgesetzt? Union und
PD sind doch an der Regierung, und das Problem ist
21326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
seit langem bekannt. Etliche ihrer Vorschläge hat die
Fraktion Die Linke immer wieder eingefordert, bei-
spielsweise die Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie, zu-
letzt in unserem Antrag „Steuerhinterziehung bekämp-
fen – Steueroasen austrocknen“ vom Mai 2008.
Nach wie vor krankt die Analyse der Regierungsfrak-
tionen an zentralen Punkten. In trauter Eintracht glauben
SPD und Union, dass Steuersenkungen gegen Steuerhin-
terziehung helfen, und entlasten in dieser irrigen Hoff-
nung fortgesetzt die, bei denen sich Hinterziehung lohnt,
nämlich die hohen Einkommen und großen Vermögen.
Nicht einmal der Flop mit der Steueramnestie von Herrn
Eichel konnte sie von ihrem Glauben abbringen. Sie un-
terschätzen die Maßlosigkeit in der Raffgier vieler Bes-
serverdienender. Dabei hat doch gerade der Fall Zum-
winkel dies schonungslos offenbart.
Herr Zumwinkel war dank Erbe schon Millionär, be-
vor er seine Einkünfte als Chef der Deutschen Post noch
gewaltig weiter vermehren konnte. Allein 2006 steigerte
er seine Gesamtbezüge um über 26 Prozent gegenüber
dem Vorjahr auf 4,24 Millionen Euro. Aber all diese
Millionen waren nicht genug für ihn, er musste auch
noch Steuern über die Steueroase Liechtenstein hinter-
ziehen. Glauben die Regierungsfraktionen wirklich, dass
noch niedrigere Steuersätze Herrn Zumwinkel vom
Steuerhinterziehen abgehalten hätten?
Solange international Steuersatzgefälle existieren,
werden Unternehmen und Wohlhabende Steuern hinter-
ziehen. Mit der fortdauernden Steuersenkungspolitik der
Bundesregierung nimmt diese eine Vorreiterrolle bei de-
ren Aufrechterhaltung ein und heizt damit den interna-
tionalen Steuerwettbewerb an. Die im Antrag vorgenom-
mene Beschränkung auf die Bekämpfung des schädli-
chen Steuerwettbewerbs greift ins Leere. Wie soll der
denn genau abgrenzt werden? Die Schwierigkeiten der
Pleitebank Hypo Real Estate sind durch deren Tochter
Deutsche Pfandbriefbank AG ausgelöst worden; diese
hat ihren Sitz im Steuerparadies Irland. Die Hypo Real
Estate hat so massiv Steuern vermieden – ein himmel-
schreiender Skandal, wenn man bedenkt, dass jetzt die
Steuerzahler Milliarden zur Rettung dieses Steuerver-
meiders aufbringen dürfen. Aber: Irlands Steuerpolitik
fällt nicht unter die Definition von schädlichem Steuer-
wettbewerb.
Die Senkung von Steuersätzen ist keine gerechte und
wirksame Antwort auf Steuerhinterziehung und Steuer-
flucht. Im Gegenteil, diese Politik hat maßgeblich zur Fi-
nanzkrise beigetragen.
Das Trauerspiel um den Fall Zumwinkel ist leider noch
nicht zu Ende. Aktuell dürfen wir Zeuge eines weiteren
bitteren Kapitels sein. Zehn Stunden zu spät hat der
Richter den Durchsuchungsbefehl ausgestellt, der ihm
schon zwei Wochen vorlag. Dadurch ist von Herrn Zum-
winkels Steuerhinterziehungen gerade so viel verjährt,
dass er um eine Haftstrafe herumkommen wird. An eine
zufällige Justizpanne wollte die ermittelnde Staatsanwäl-
tin Margrit Lichtinghagen nicht glauben und hakte nach
– mit dem Ergebnis, dass sie aus der Bochumer Staatsan-
waltschaft rausgemobbt wurde. Das ist jene Staatsanwalt-
s
s
z
t
n
n
ü
g
b
m
t
d
u
G
l
v
w
d
v
d
w
n
u
S
c
b
D
t
g
K
g
n
l
d
S
d
k
V
g
w
S
K
p
a
t
d
z
h
v
a
h
s
(C
(D
chaft, auf die Bundesfinanzminister Steinbrück immer so
tolz ist. Die Financial Times Deutschland vom 15. De-
ember deckt skandalöse Zustände dort auf: Mobbing, In-
rigen und Einflussnahme von oben sind an der Tagesord-
ung. Zitat eines Staatsanwalts: „Wer bestimmte Fälle
icht ruhen lässt, der wird gehängt.“ Das spricht Bände
ber den Zustand der deutschen Steuerstrafverfolgung
egenüber Reichen und Vermögenden. Schon länger ist
ekannt, dass diese, wenn überhaupt, mit ungewöhnlich
ilden Strafen davonkommen.
Das zeigt in eindringlicher Weise eine weitere zen-
rale Ursache für das Versagen der Bundesregierung bei
er Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Die Linke
nd Experten wie der Vorsitzende der Deutschen Steuer-
ewerkschaft Dieter Ondracek fordern seit langem deut-
ich mehr Personal für die Steuerfahndung. Doch in dem
orliegenden Antrag bleiben die Regierungsfraktionen
eiterhin vage und schwammig: Die Formulierung „auf
er Basis einer hinreichenden Personalausstattung“ ist
ieldeutig; sie lässt völlig offen, ob Union und SPD
iese schon für ausreichend erachten oder nicht.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist eine Selbstbe-
eihräucherung und hat eine Alibifunktion. Solange Sie
icht die zentralen Ursachen für Steuerhinterziehung
nd Steuerflucht angehen – durch Eindämmung des
teuerwettbewerbs und eine massive personelle Aufsto-
kung beim Steuervollzug –, werden Sie weiter erfolglos
leiben.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Koalition hat sich viel Zeit gelassen mit diesem An-
rag. Seit der Liechtenstein-Affäre sind Monate vergan-
en. Die Grünen haben schon im Juni ein umfassendes
onzept zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung vor-
elegt, und zwar mit konkreten Vorschlägen, die natio-
al, europaweit und international wirken. Es würde sich
ohnen. Die Deutsche Steuergewerkschaft schätzt, dass
em Fiskus jährlich 70 Milliarden Euro hinterzogene
teuern entgehen.
Auch der Bundesfinanzminister hat immer mal wie-
er auf seine drastische Art deutlich gemacht, wie Be-
ämpfung von Steuerhinterziehung aussehen könnte.
on „Zuckerbrot und Peitsche“ war da die Rede oder auf
ut Neudeutsch von „Carrots and Sticks Approach“, wie
ir letztens im Finanzausschuss gehört haben. Die
chweiz soll auf die „Schwarze Liste“ der OECD. Sogar
apitalverkehrskontrollen wären denkbar, wenn Steuer-
aradiese uneinsichtig sind.
Hinter Steinbrücks markigen Ankündigungen steckt
ber offensichtlich nicht der politische Wille der Koali-
ion. Hier klafft eine riesige Lücke. Die Vorstellungen
er Koalitionsfraktionen sind keine wirksame Strategie
ur Austrocknung von Steueroasen und gegen die Steuer-
interziehung, sondern diffus und zögerlich. Da ist viel
on „prüfen“ die Rede, und gegebenenfalls wolle man
uch verbessern. Das ist eindeutig zu wenig, denn Steuer-
interziehung ist zu einem ernsten Problem für den Zu-
ammenhalt unserer Gesellschaft geworden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21327
(A) )
(B) )
Fangen wir vor unserer Haustür an: Allein 20 Milliar-
den Euro Mehreinnahmen könnte eine verbesserte Steuer-
prüfung bringen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die
Bundesländer beim Steuervollzug Standortpolitik betrei-
ben. Ich möchte hier nur die dubiosen Versetzungen von
offenbar zu eifrigen Frankfurter Steuerfahndern erwäh-
nen, über die der stern kürzlich berichtet hat. Roland
Koch hat laut stern von diesen Fällen nachweisbar ge-
wusst und nichts unternommen. Hier wurde offensichtlich
Steuerverschonung organisiert, denn die Steuermehrein-
nahmen pro Liechtensteiner Steuerhinterziehungsfall be-
trugen nach Versetzung verschiedener Beamter nur noch
208 Euro. Auch wie die aktuellen Liechtensteiner Steuer-
hinterziehungsfälle gehandhabt werden, ist sehr eigenar-
tig: Erst verjährt ein großer Teil der Anklagepunkte gegen
einen Hauptverdächtigen, dann verlässt die Hauptanklä-
gerin die Staatsanwaltschaft. Dieses System ist reform-
bedürftig.
Was wäre zu tun? Erstens deutlich mehr Personal für
Betriebsprüfung, Steuerfahndung, Gerichte und Staats-
anwaltschaften, damit sie in den Fallzahlen nicht ertrin-
ken. Zweitens finanzielle Anreize für die Länder für eine
gleichmäßige Steuererhebung. Zum Beispiel könnten die
Mehreinnahmen bei den Ländern bleiben und nicht in
den Finanzausgleich abfließen. Diese klaren Aussagen
vermisse ich bei der Koalition.
Sehr positiv finde ich, dass vor allem auf Drängen
von deutscher Seite die Zinsrichtlinie überarbeitet wird.
Gut ist auch das Ziel des Antrages, ähnlich transparente
Verfahren zum Beispiel gegenüber der Schweiz durchzu-
setzen, wie es die USA getan hat. Das wird aber nur mit
massivem Druck funktionieren. Die Vorstellungen der
Koalition sind dafür viel zu unkonkret. Nicht koopera-
tionswilligen Steuerfluchtburgen müssen Kapitalver-
kehrskontrollen angedroht werden, die sich noch ver-
schärfen, wenn effektive Zusammenarbeit andauernd
verweigert wird. Androhung einer Quellensteuer auf alle
Überweisungen in die unwilligen Steueroasen ist die
niedrigste Eskalationsstufe. Kontrollmitteilungen bei
Auslandsüberweisungen und bei als Sammelbeförderung
organisierten Bargeldtransporten über die Grenze sind
die nächste Eskalationsstufe. Das Verbot von Devisen-
transfers in Steueroasen, die sich produktiven Verhand-
lungen gänzlich verwehren, ist als die am schärfsten
wirksame Maßnahme als letztes Mittel einzusetzen. Das
ist ein klares Konzept der Grünen, mit dem wir Steuer-
oasen wirksam trockenlegen.
Die Finanzkrise hat die internationale Bereitschaft für
eine bessere Regulierung enorm gesteigert. Diese
Chance muss genutzt werden. Regulierungsoasen sind
auch Steueroasen. Das heißt, wer Hedgefonds besser
kontrollieren will, muss auch die Steueroasen austrock-
nen. Hier muss viel mehr Druck rein. Denn wie schwie-
rig das ist, zeigt der derzeit eskalierende Streit zwischen
Europaparlament und Charlie McCreevy, dem für Fi-
nanzmarktregulierung zuständigen Kommissar. Dessen
Hinhaltetaktik bei der Regulierung von Hedgefonds und
Private Equity geht ja so weit, dass er von Parlamenta-
riern mit einem bezahlten Lobbyisten der Finanzindus-
trie verglichen wird.
d
d
g
d
s
d
D
z
f
2
s
f
z
d
A
S
L
p
f
B
r
f
1
C
s
w
t
n
a
F
s
N
2
R
C
s
g
r
V
m
h
t
f
b
g
i
(C
(D
Als Abschlussbemerkung: Laut diesem Antrag glaubt
ie Koalition immer noch, ihre Abgeltungsteuer würde
ie Steuerflucht bekämpfen. Die Bürgerinnen und Bür-
er sehen das aber anders: 57 Prozent glauben, dass
urch die Abgeltungsteuer mehr Geld ins Ausland ge-
chafft wird. Das ist auch wahrscheinlich. Der Grund ist
ie unsystematische Ausgestaltung der Steuer; denn
epots mit festverzinslichen Wertpapieren werden
war attraktiver, besonders für hohe Einkommen, aber
ür Aktienbesitzer wird die Bundesrepublik ab 1. Januar
009 zum Hochsteuerland. Und das trifft auch die Klein-
parer und die Altersvorsorge.
So sieht Bekämpfung von Steuerhinterziehung jeden-
alls nicht aus. Das grüne Konzept gegen Steuerhinter-
iehung liegt vor, und wir werden unsere Vorschläge bei
en parlamentarischen Beratungen aktiv einbringen.
nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Keine deutsche Beteiligung an der Eu-
ropäischen Verteidigungsagentur (Tagesord-
nungspunkt 17)
Henning Otte (CDU/CSU): Zu vorweihnachtlicher
tunde müssen wir über einen Antrag der Fraktion Die
inke auf Nichtbeteiligung Deutschlands an der Euro-
äischen Verteidigungsagentur debattieren. Die Linke
ordert in ihrem Antrag, die personelle und finanzielle
eteiligung Deutschlands einzustellen, und aus der Eu-
opäischen Verteidigungsagentur auszutreten. Der feder-
ührende Verteidigungsausschuss hat diesen Antrag am
6. Januar 2008 mit den Stimmen der Fraktionen von
DU/CSU, SPD, FDP und Grünen abgelehnt. Das Ab-
timmverhalten in den mitberatenden Ausschüssen, Aus-
ärtiges, Europäische Union, sowie Haushalt, war iden-
isch. Das zeigt, dass der Antrag der Fraktion Die Linke
icht auf gebotener Sachlichkeit, sondern, wie so häufig,
uf ideologischer Ausrichtung beruht. Die CDU/CSU
raktion steht dagegen für sachgerechte bürgernahe Ent-
cheidungen, und daher lehnen wir diesen Antrag mit
achdruck ab.
Zur Versachlichung: Die EDA wurde am 12. Juli
004 vom Europäischen Rat gegründet. Als verbindliche
echtsgrundlage gilt das Council Joint Action 2004/551/
FSP, dem sich bis auf Dänemark alle 26 EU-Mitglied-
taaten angeschlossen haben. Der der EDA zugrundelie-
ende Gedanke ist es, die teilnehmenden Staaten bei ih-
en Bemühungen um eine Stärkung der europäischen
erteidigungsfähigkeiten im Bereich des Krisenmanage-
ents zu unterstützen und damit die Europäische Sicher-
eits- und Verteidigungspolitik weiterzuentwickeln.
Die wesentlichen Aufgabenfelder befassen sich ers-
ens mit der Förderung der europäischen Verteidigungs-
ähigkeiten, zweitens mit der europäischen Rüstungs-
eschaffung, drittens mit der Etablierung einer
emeinsamen technologischen und industriellen Basis
m Verteidigungsbereich und viertens mit der Weiterent-
21328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
wicklung der gemeinsamen Forschung und Technologie
in Europa.
Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
brauchen wir Europäer mehr gemeinsame Entwicklung
und Beschaffung und eine bessere Abstimmung unserer
Schwerpunktaufgaben. Diese Aufgabe leistet die EDA.
Entscheidend ist, dass wir in der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik, GASP, sowie in der Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärker, effektiver
und auch kostengünstiger sind, wenn wir gemeinsam
handeln. Daher sind wir für die EDA und lehnen den
Antrag der Linken ab.
Die europäischen Staaten können in einer auch aus si-
cherheitspolitischer Sicht globalisierten Welt die Freiheit
besser schützen und die Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger stärker gewährleisten, wenn wir gemeinsam agie-
ren. Und darum geht es auch ganz konkret und aktuell
bei der morgen zu verabschiedenden Operation „Ata-
lanta“. Mit der Einrichtung der EDA wurde ein Grund-
stein für die Harmonisierung und Bündelung der Aktivi-
täten und Aufwendungen für militärische Beschaffung
sowie für Forschung und Entwicklung gelegt. Die Eta-
blierung eines europäischen Rüstungsmarktes stellt eine
notwendige Ergänzung dar, mit dem Vorteil, dass sich
eine leistungs- und wettbewerbsfähige Technologiebasis
in Europa herausbildet. Die EDA ist deshalb eine an Be-
deutung gewinnende Institution einer gemeinsamen eu-
ropäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik.
Die EDA ist Bestandteil des Vertrages von Lissabon.
Dies ist ein weiterer Beleg für die Funktionsfähigkeit der
EDA. Mit den Verträgen von Maastricht, Amsterdam
und Nizza sind zudem die rechtlichen Grundlagen für
diese europäische Einrichtung geschaffen worden. Die
kürzlich von den Verteidigungsministern gebilligte Rüs-
tungsstrategie definiert die Rolle der EDA bei der Vorbe-
reitung von zukünftigen kooperativen Rüstungsprojek-
ten. Die Umsetzung des Capability Development Plan,
der europäischen Forschungs- und Technologiestrategie
und der Strategie für eine europäische industrielle und
technische Verteidigungsbasis wurden erfolgreich ein-
bzw. durchgeführt. Die Umsetzung dieser Strategien
durch diverse Maßnahmenpakete kommt allen beteilig-
ten Mitgliedstaaten einschließlich Deutschland zugute.
Die EDA stößt weiterhin diverse Initiativen und kon-
krete Projekte an: So behandelt die EDA derzeit knapp
100 Kooperationsprojekte mit einem Finanzvolumen
von circa 250 Millionen Euro. Das davon bedeutendste
F- und T-Projekt ist das gemeinsame Investitionspro-
gramm „Force Protection“ mit einem Finanzvolumen
von rund 55 Millionen Euro. Insgesamt 19 Mitgliedstaa-
ten sowie Norwegen als Nicht-EDA-Mitgliedstaat neh-
men an diesem Programm teil. Deutschland ist dabei mit
10 Millionen Euro neben Frankreich mit 12 Millionen
Euro und Polen mit 10 Millionen Euro ein wesentlich
beitragender Mitgliedstaat. Die deutsche Industrie
konnte angemessen bei der Auftragsvergabe berücksich-
tigt werden. Das trägt zur Sicherung und Schaffung von
Arbeitsplätzen in Deutschland bei.
d
t
E
E
l
d
A
g
l
w
d
a
E
e
E
D
z
E
e
w
d
v
p
g
k
D
D
e
f
d
D
p
l
w
p
k
d
t
z
r
b
B
M
M
A
a
p
d
B
K
t
E
m
s
(C
(D
Der EDA-Lenkungsausschuss hat am 26. Mai 2008
ie Einrichtung eines weiteren gemeinsamen Investi-
ionsprogramms mit dem Titel „Innovative Concepts and
merging Technologies“, ICET, mit circa 15 Millionen
uro und zehn Mitgliedstaaten sowie Norwegen gebil-
igt. Die dazugehörige Projektvereinbarung wurde von
en Ministern am 10. November 2008 unterzeichnet.
uch hieran beteiligt sich Deutschland.
Der Antrag der Fraktion Die Linke mag der Ideologie
eschuldet sein, nicht aber der Sachkenntnis. Deutsch-
and bringt sich aktiv in die Arbeit und die Weiterent-
icklung der EDA ein. Diese Aktivitäten der EDA wer-
en zu Recht von der Bundesregierung wie von den
nderen 25 beteiligten Mitgliedstaaten unterstützt. Die
DA leistet als kompetentes Kooperationsforum einen
ntscheidenden Beitrag zur Stärkung Europas und der
uropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
urch sie werden unterschiedliche nationale Interessen
usammengeführt.
Eine beantragte Beendigung der Beteiligung an der
DA würde die deutsche Einflussnahme im Bereich der
uropäischen Sicherheitspolitik und ihre weitere Ent-
icklung im erheblichen Maß reduzieren. Zudem würde
ies als politisches Zeichen der Abkehr Deutschlands
on einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-
olitik verstanden werden. Es ist richtig und wichtig, den
emeinsamen europäischen Weg mit dem Ziel der Stär-
ung Europas unter einer einflussreichen Einbindung
eutschlands weiterzuführen. Der Antrag der Fraktion
ie Linke ist sachlich nicht gerechtfertigt. Er schwächt
in gemeinsames Europa. Die CDU/CSU-Fraktion steht
ür ein gemeinsames Europa und für ein Europa, in das
ie sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik
eutschland einfließen. Wir sind eben deutsche Euro-
äer. Sie sind Linke. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
ehnt den Antrag ab.
Andreas Weigel (SPD): Der vorliegende Antrag be-
eist erneut, dass eine seriöse Außen- und Sicherheits-
olitik von der Partei Die Linke nicht erwartet werden
ann. Beim Lesen könnte man den Eindruck gewinnen,
ie Europäische Union beabsichtige, in Zukunft interna-
ionale Krisen ausschließlich mit militärischen Mitteln
u lösen. Man könnte denken, es seien gigantische Auf-
üstungsvorhaben geplant, für die enorme Mehrausga-
en zur Verfügung gestellt werden sollten. Sie stellen die
ehauptung auf, durch die EDA werde eine „weitere
ilitarisierung der EU“ gefördert. Sie erklären, die EU-
itgliedstaaten konzentrierten sich vor allem auf die
ufrüstung und Modernisierung ihrer Streitkräfte, statt
uf eine zivile und konstruktive Außen- und Sicherheits-
olitik zu setzen.
Das stimmt so einfach nicht. Der Umgang der EU mit
em Iran im Streit um dessen Atomprogramm ist nur ein
eispiel dafür, dass die EU in erster Linie versucht,
onflikte friedlich zu lösen und den Fokus auf diploma-
ische, statt auf militärische Lösungsansätze legt. In der
uropäischen Sicherheitsstrategie heißt es zum Umgang
it sicherheitspolitischen Herausforderungen dement-
prechend: „Im Gegensatz zu der massiv erkennbaren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21329
(A) )
(B) )
Bedrohung zur Zeit des Kalten Krieges ist keine der
neuen Bedrohungen rein militärischer Natur und kann
auch nicht mit rein militärischen Mitteln bewältigt wer-
den. Jede dieser Bedrohungen erfordert eine Kombina-
tion von Instrumenten.“ Daher ist es unzulässig, von ei-
ner „weiteren Militarisierung“ der EU zu sprechen.
Sie fordern, Deutschland solle sich weder personell
noch finanziell an der EDA beteiligen. Deutsche Gelder,
die an die EU fließen, sollen nicht für rüstungsrelevante
Aufgaben verwendet werden. Statt Beiträge für die EDA
zu zahlen, sollte das Geld für nationale Abrüstung
verwendet werden. Diese Forderung liegt fernab jeder
Realität. Die Schaffung von Frieden erfordert in einigen
Fällen die Anwendung militärischer Mittel. Das Auf-
gabenspektrum europäischer Armeen umfasst dement-
sprechend neben humanitären Rettungseinsätzen auch
Kampfeinsätze zwecks Krisenbewältigung und Befrie-
dung von Konflikten. Leider stoßen die Streitkräfte Eu-
ropas aber schon heute oft an ihre Grenzen. Viele Ar-
meen sind mangelhaft ausgestattet. Es fehlt an
benötigtem Material, wie etwa geschützten Fahrzeugen
oder Kapazitäten für den Lufttransport.
Wenn wir uns in internationalen Krisen wirkungsvoll
engagieren wollen, brauchen wir funktionsfähige euro-
päische Streitkräfte, die gut ausgerüstet sind. Dies ist
ohne die EDA nicht erreichbar. Ein Vergleich mit den
Vereinigten Staaten von Amerika sollte dies deutlich ma-
chen. Die EU verfügt in etwa über die gleich Anzahl von
Soldaten wie die USA. Aber die Fähigkeiten unserer
Streitkräfte liegen weit hinter denen Washingtons zu-
rück. Woran liegt das? In den USA gibt es eine Armee
und einen Rüstungsmarkt. Dagegen haben wir in der EU
augenblicklich ein unkoordiniertes Nebeneinander von
27 Verteidigungsetats, 27 Armeen, die jeweils in einem
breiten Aufgabenspektrum einsetzbar sein sollen. Wäh-
rend die Verteidigungshaushalte in Europa tendenziell
nicht steigen, werden die Aufgaben, denen wir uns ge-
genübersehen, immer anspruchsvoller.
Macht es denn Sinn, wenn alle Mitgliedstaaten dazu
in der Lage sind, in voller Breite alle militärischen Auf-
gaben zu erfüllen? Müssen wir alle eine vollständig aus-
gerüstete Armee haben, die über ein breites Spektrum
sämtlicher militärischer Fähigkeiten verfügt? Ist es nicht
sinnvoller, sich in einer Gemeinschaft zusammenzu-
schließen? Ist es nicht effektiver, wenn die verschiede-
nen Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden?
Kann nicht gerade auf diesem Wege viel Geld eingespart
werden? Ich denke, diese Fragen kann man mit einem
deutlichen Ja beantworten. Eine Bündelung der Aufga-
ben macht mehr Sinn als das bisherige Nebeneinander
von 27 Staaten.
Durch die Zusammenarbeit der Staaten im Rüstungs-
bereich können Doppelungen, unnötige Verschwendung
von Ressourcen und Mehrausgaben vermieden werden.
Dazu müssen zunächst Fähigkeitslücken identifiziert und
darauf aufbauend die Beschaffung koordiniert werden.
Diese Aufgaben kann nur eine zentrale Verteidigungs-
agentur, die EDA, übernehmen. Sie kann den militäri-
schen Bedarf aller Mitgliedstaaten am besten ermitteln
u
u
R
w
B
l
s
D
z
r
k
Z
l
n
n
d
R
d
s
K
d
d
b
p
t
s
F
e
w
q
h
c
k
w
G
n
k
t
w
j
w
P
f
d
k
s
g
n
w
k
Z
(C
(D
nd feststellen, an welchen Stellen es noch an Material
nd Know-how mangelt.
Durch die EDA können Synergieeffekte erzielt und
edundanzen abgebaut werden. Idealerweise kann eine
irtschaftliche Beschaffung erreicht werden, indem der
edarf gebündelt wird und hinreichend große Stückzah-
en in Auftrag gegeben werden. Ich halte das für sehr
innvoll. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.
ie Zusammenarbeit in der EDA lässt momentan noch
u wünschen übrig.
Bisher fehlt in Europa eine systematische Identifizie-
ung und Definition des militärischen Bedarfs. Es gibt
eine Diskussion über gemeinsame rüstungspolitische
ielvorstellungen. Die Mitgliedstaaten nutzen die Mög-
ichkeiten zur engen Zusammenarbeit in der EDA noch
icht ausreichend. Kooperation findet bislang häufig
och außerhalb der Verteidigungsagentur statt. Beispiele
afür sind der „Tiger“, der NH 90 und der Eurofighter.
Auch Deutschland hat auf dem Feld der europäischen
üstungskooperation noch einiges zu lernen. Insbeson-
ere im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich
pielen wir noch keine ausreichend gewichtige Rolle.
ooperation im Rahmen der EDA findet nicht unter
eutscher Gestaltung statt. Ein Grund dafür liegt auch
arin, dass Deutschland seine Ziele in diesem Bereich
isher nicht klar formuliert hat. Uns fehlt ein Positions-
apier, wie es in Großbritannien oder Frankreich exis-
iert. Englands Defence Industrial Strategy, DIS, bei-
pielsweise sagt genau aus, auf welche wehrtechnischen
ähigkeiten auch in Zukunft gebaut werden soll. Dies
xistiert in dieser Form für Deutschland nicht.
Wir sind auf Kooperation mit anderen Ländern ange-
iesen. Die Bundeswehr kann sich eine moderne und
ualitativ hochwertige Ausrüstung in sämtlichen Teilfä-
igkeiten nicht leisten. Daher brauchen wir Partner, wel-
he in den Bereichen stark sind, in denen bei uns Fähig-
eitslücken klaffen. Tatsächlich brauchen wir also nicht
eniger, sondern eine stärkere Beteiligung an der EDA.
erade durch Zusammenarbeit im Rüstungsbereich kön-
en die Einsparungen, die Sie fordern, erreicht werden.
Die Rüstungsagentur wird ihre Daseinsberechtigung
ünftig vor allem aus der Koordination und der Modera-
ion im Bereich von Forschung ziehen. Darüber hinaus
ird sie ihren Nutzen auch durch eigene Rüstungspro-
ekte unter Beweis stellen.
Dr. Rainer Stinner (FDP): Mit diesem Antrag be-
eist die Fraktion Die Linke, dass sie eine konsequente
olitik betreibt. Allerdings ist diese Politik konsequent
alsch. Sie hat verheerende Folgen für den Frieden auf
ieser Welt. Schon der erste Absatz in Ihrem Antrag ist
omplett falsch. Sie behaupten dort einfach dreist, dass
ich die außen- und sicherheitspolitischen Anstrengun-
en in der EU „vor allem auf die Aufrüstung und Moder-
isierung der Streitkräfte und die Legitimierung für
eltweite Interventionseinsätze im Rahmen der ESVP“
onzentrieren.
Wo leben Sie eigentlich? Haben Sie keinen Zugang zu
eitungen und zum Fernsehen? Auf den Sitzungen des
21330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Europäischen Rates spielt die EDA eine völlig unterge-
ordnete Rolle. Sie biegen sich hier eine Welt zurecht, die
es nicht gibt. Aber wer gegen Streitkräfte ist, wer gegen
internationale Militärbündnisse ist, der muss auch gegen
die Europäische Verteidigungsagentur EDA sein. Sie dä-
monisieren die EDA in absurder Weise zu einem Mons-
trum, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Dabei würde ich mir manchmal wünschen, die EDA
wäre so wirkungsvoll, wie sie schreiben. Eine „Europäi-
sierung der Rüstungspolitik“, die Sie in Bausch und Bo-
gen verdammen, hieße nämlich, wir könnten Beschaf-
fungsvorhaben wesentlich effizienter umsetzen. Die
kleinteiligen nationalstaatlichen Vorbehalte dagegen
kosten den deutschen und europäischen Steuerzahler
Unsummen. Es ist dringend notwendig, dass wir hier
endlich nachhaltig einen anderen Weg beschreiten.
In Konsequenz bedeutet Ihr Antrag eine Renationali-
sierung der Verteidigungs- und damit der Rüstungspoli-
tik. Das wollen wir ausdrücklich nicht, und zwar aus
zwei Gründen: Erstens ist es völlig unwirtschaftlich,
dass 27 EU-Staaten alle eine eigene nationale Rüstungs-
und Beschaffungspolitik betreiben. Zweitens – und das
ist fast noch wichtiger – ist die Einbettung Deutschlands
in europäische Strukturen die beste Sicherheitspolitik für
Deutschland und für Europa.
Das lehnen Sie alles ab.
Ich sage Ihnen: Wir haben die Nase voll von nationa-
ler, von nationalistischer Eigenbrötelei. Das ist das Un-
glück für Deutschland, ein Unglück für Europa gewesen.
Nationalismus und Sozialismus haben in Europa die
Völker in Unglück, in Knechtschaft und Tod getrieben.
Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen. Diese Konse-
quenz ist ein gemeinsames Vorgehen, auch und gerade
bei der Entwicklung von militärischen Fähigkeiten. Dass
wir solche Fähigkeiten brauchen, haben Sie gestern in
der Debatte zur Mission am Horn von Afrika selber zu-
gegeben. Sie nennen das internationale Küstenwache,
aber die Mittel und Methoden sind dieselben, wie bei ei-
nem Vorgehen mit der Marine.
Die Fähigkeiten, die wir brauchen, um in der Welt
von heute zu bestehen, die wollen Sie alle national ent-
wickeln, 27-mal in Europa. Da kann ich nur sagen: Wa-
chen Sie auf in der Welt des Jahres 2008. Seien Sie froh,
dass es heute eine Alternative zu der von Ihnen geforder-
ten nationalen Politik gibt, seien Sie froh, dass unser
Land eingebettet ist in eine europäische Bündnisstruktur.
Seien Sie froh, dass wir die Möglichkeit entwickeln, un-
ser Geld in Europa sinnvoller auszugeben.
Statt die EDA abzuschaffen, müssen wir sie stärken.
Wir müssen dafür sorgen, dass sie ihre Aufgaben wirk-
lich wahrnehmen kann. Wir müssen auf allen Seiten na-
tionale Eifersüchteleien abbauen. Das werden wir mit
der Mehrheit dieses Hauses tun. Wir lehnen ihren Antrag
ab.
Inge Höger (DIE LINKE): Im Juni 2004 warb die
Europäische Rüstungsindustrie mit einer ganzseitigen
Anzeige in vielen europäischen Tageszeitungen dafür,
Rüstung einen zentralen Stellenwert in der europäischen
V
e
u
d
t
z
d
W
f
–
M
h
z
M
g
c
a
t
b
e
t
e
L
i
l
g
G
a
h
r
n
w
d
b
r
L
d
m
a
E
n
v
w
M
r
w
D
V
t
f
a
f
A
r
(C
(D
erfassung zu geben. Die Vertreter der drei größten
uropäischen Rüstungskonzerne EADS, BAE Systems
nd Thales warben explizit für ein Amt zur Rüstungsför-
erung als Teil der europäischen Verfassung. Es ist zwar
ypisch für Rüstungslobbyisten, für staatliche Unterstüt-
ung zu werben. Ungewöhnlich ist, dass Demokratien
iesen Wünschen der Industrie in so weitreichender
eise nachkommen, wie es dann im Europäischen Ver-
assungsvertrag stand.
Wie Sie alle wissen, wurden der Verfassungsvertrag
und der Lissabon-Vertrag – dreimal abgelehnt. Die
enschen in Frankreich, den Niederlanden und in Irland
aben No gesagt. Das Nein in Irland war auch ein Nein
ur europäischen Militärpolitik. Stellvertretend für viele
enschen in Europa hat eine Mehrheit in Irland damit Ja
esagt zu einem sozialen, demokratischen und friedli-
hen Europa. Trotz alledem existiert die Verteidigungs-
gentur, die faktisch eine Rüstungsagentur ist, ohne ver-
ragliche Grundlage nun bereits seit vier Jahren.
Diese Europäische Agentur soll laut Text des Lissa-
on-Vertrags auch beitragen zur „Stärkung der industri-
llen und technologischen Basis des Verteidigungssek-
ors“. Im Klartext: Die europäische Rüstungsindustrie
rhofft sich eine wesentlich einfachere und effektivere
obbypolitik mithilfe der Rüstungsagentur. Die Lobby-
sten haben damit eine zentrale Anlaufstelle für Verhand-
ungen. Es geht um die Sicherung größerer Absatzmen-
en über einen längeren Zeitraum. Es geht also um viel
eld. Zu den Aufgaben der Rüstungsagentur gehört es
uch, die europäische Rüstungsindustrie konkurrenzfä-
ig zu machen. Konkret bedeutet dies staatliche Förde-
ung von Rüstungsexporten.
Natürlich wünscht sich auch die Linke, dass Unter-
ehmen volle Auftragsbücher haben und Menschen des-
egen Arbeit finden. Allerdings ist das Geld in Rüstung
enkbar schlecht investiert. Von dem Geld für einen Ar-
eitsplatz in der Rüstungsindustrie lassen sich vier Leh-
erinnen oder fünf Krankenpflegerinnen bezahlen. Die
inke wünscht sich Investitionen in die Zukunft, in Bil-
ung, in Umweltschutz und Gesundheit, aber nicht in
örderische Rüstungsprojekte.
Die Linke sieht in der Europäischen Verteidigungs-
gentur einen weiteren Beitrag zur Militarisierung der
uropäischen Union. Sollte der Lissabon-Vertrag doch
och ratifiziert werden, dann tritt auch die Aufrüstungs-
erpflichtung in Art. 42 in Kraft. Die Rüstungsagentur
ird dann beurteilen, ob und in welchem Umfang die
itgliedstaaten tatsächlich in die geforderte „Verbesse-
ung der Verteidigungsfähigkeiten“ investieren. Damit
ird Aufrüstung zum Sachzwang, und innenpolitische
ebatten um die Höhe des Rüstungsetats lassen sich mit
erweis auf Brüssel ausbremsen.
Die Linke hält eine solche institutionalisierte Aufrüs-
ung für demokratiefeindlich und unsozial. Die Linke
ordert deswegen einen Stopp der deutschen Beteiligung
n der Europäischen Verteidigungsagentur. Die Linke
ordert globale Schritte zur Abrüstung. Anstelle einer
ufrüstungsagentur brauchen wir eine Agentur für Ab-
üstung und Konversion. Mit einer solchen Friedens-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21331
(A) )
(B) )
agentur und eigenen entschiedenen Abrüstungsschritten
könnte die EU mit gutem Beispiel vorangehen.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Europa muss ein friedliches Europa sein, ein Europa, das
sich für die Schaffung und Bewahrung des Friedens und
die gerechte Gestaltung der Globalisierung einsetzt. Im
Bereich der Sicherheitspolitik müssen wir vor allem die
vorhandenen guten zivilen Ansätze stärken und im Be-
reich der zivilen Konfliktprävention und der zivil-militä-
rischen Zusammenarbeit die Kapazitäten ausbauen.
Wir alle wissen, es gibt bei aller Betonung des Zivilen
auch Umstände, unter denen wir auch einen militäri-
schen Beitrag zur Gewalteindämmung, Gewaltverhü-
tung und Friedenskonsolidierung leisten müssen. Dazu
müssen die Bundeswehr und die anderen Streitkräfte
auch die nötige Ausrüstung besitzen. Auch im Sinne der
Friedenspolitik erfordert dies eine stärkere europäische
Zusammenarbeit im Bereich der Beschaffung.
Hier kommt die Europäische Verteidigungsagentur
ins Spiel. Auch im Bereich der Rüstungsbeschaffung
und Entwicklung müssen wir mehr koordinieren und ge-
meinsam machen. Wir müssen bei der Rüstung generell
stärker priorisieren. Weg mit Prestige- und Großprojek-
ten, die mit realistischen Bedrohungsszenarien nichts zu
tun haben. Aber die Dinge, die wir benötigen, müssen
wir gemeinsam angehen. Rein nationale Beschaffungen,
meist ohne echten Wettbewerb, treiben die Kosten in die
Höhe. Wir geben in Europa insgesamt zu viel Geld für
die Ausstattung des Militärs aus. Ein Weg, das zu än-
dern, ist eine stärkere europäische Kooperation.
Die Europäische Verteidigungsagentur ist dabei nicht
das Allheilmittel, sie ist höchstens das Werkzeug, das
wir nutzen könnten, wenn wir denn wollten. Denn entge-
gen vieler politischer Lippenbekenntnisse haben wir im
Bereich Rüstungsbeschaffung weniger europäische Ko-
operation statt mehr. Der Grund liegt in der jeweiligen
nationalen Industriepolitik. Auch die Bundesregierung
trägt zu diesem Trend bei. Deren Besinnung auf „Kern-
kompetenzen der deutschen Rüstungsindustrie“ war
nämlich kein Einstieg in eine europäische Arbeitstei-
lung, sondern das Verfassen der „Gelben Seiten der
Deutschen Wehrwirtschaft“. So kommen wir nicht wei-
ter.
Wo führt es uns denn hin, wenn wir nicht europäisch
kooperieren und den Bedarf und die Beschaffung harmo-
nisieren? Wir haben diese Woche wieder ein gutes Bei-
spiel gehabt. Da wird der Bau eines Schiffes, des Ein-
satzgruppenversorgers, rein national an die deutsche
Werftenindustrie vergeben. Und die nimmt das Angebot
dankend an, macht keinen Wettbewerb, sondern schließt
sich zusammen. Die Folge: Der dritte EGV kostet das
Zweieinhalbfache der ersten beiden.
Wir müssen die Europäische Verteidigungsagentur im
Ergebnis stärken. An einem Punkt hat die Fraktion der
Linken recht: Wir müssen die parlamentarische Kon-
trolle und Mitbestimmung stärken. Aber nur, wenn wir
europäische Strukturen wie die Agentur nutzen, kommen
wir im Sinne einer gemeinsamen Außen- und Sicher-
h
f
W
t
b
m
Z
n
n
E
t
d
A
v
B
b
d
n
B
d
h
d
h
k
d
h
h
e
s
b
ü
s
d
g
R
d
s
W
1
(C
(D
eitspolitik weiter. Denn weil wir wollen, dass Europa
riedlicher wird, brauchen wir mehr Zusammenarbeit.
eil wir wollen, dass insgesamt weniger Geld für Rüs-
ung ausgegeben wird, brauchen wir mehr Zusammenar-
eit. Weil wir wollen, dass für zivile Konfliktprävention
ehr Mittel zur Verfügung stehen, brauchen wir mehr
usammenarbeit.
Dem Antrag der Fraktion der Linken kann man daher
icht folgen. Es werden teilweise die richtigen Ziele be-
annt, aber der Antrag würde das Gegenteil bewirken.
in friedlicheres Europa und weniger Ausgaben für Rüs-
ung erreichen wir eben nicht, wenn sich jedes Land wie-
er auf seinen Industriepark zurückzieht.
nlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung
– Antrag: Gesamtkonzept zur beruflichen
Teilhabe behinderter Menschen
– Unterrichtung: Bericht der Bundesregie-
rung über die Ausführung der Leistungen
des Persönlichen Budgets nach § 17 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch
– Beschlussempfehlung und Bericht: Persönli-
che Budgets für berufliche Teilhabe jetzt er-
möglichen
(Tagesordnungspunkt 13 a bis c)
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Die berufliche Teilhabe
on Menschen mit Behinderungen hat den Deutschen
undestag in dieser Legislaturperiode schon mehrfach
eschäftigt. Grundtenor der Gesetzesentwürfe der Bun-
esregierung und von Anträgen der Oppositionsfraktio-
en war jeweils: Wie schaffen wir es, dass Menschen mit
ehinderungen mehr Chancen auf Teilhabe im Bereich
es Arbeitslebens erhalten? Und wie bekommen wir es
in, dass möglichst viele Menschen mit Behinderungen
iese Teilhabechancen mitten in der Gesellschaft, das
eißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wahrnehmen
önnen?
Die CDU/CSU sieht zwei große Problembereiche, an
enen festgemacht werden kann, dass Menschen mit Be-
inderungen immer noch keine gleichberechtigten Teil-
abechancen haben. Schwerbehinderte Menschen sind
inem sehr viel höheren Risiko ausgesetzt, arbeitslos zu
ein als nicht behinderte Menschen. Dies zeigt die Ar-
eitslosenquote schwerbehinderter Menschen, die um
ber 60 Prozent höher ist als die allgemeine Arbeitslo-
enquote. Der zweite Problembereich betrifft die fehlen-
en Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Behinderun-
en, denen zurzeit aufgrund ihrer Behinderung in der
egel nur die Werkstatt für behinderte Menschen als Ort
er beruflichen Teilhabe bleibt. Viele dieser Menschen
ind erwerbsunfähig. Im Jahre 2006 gab es etwa 270 000
erkstattplätze mit steigender Tendenz. Das sind über
00 000 Plätze mehr als vor zehn Jahren.
21332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Die Union hat zusammen mit ihrem Koalitionspartner
beide Problembereiche angepackt.
Wir haben mit der „JobPerspektive“ einen Beschäfti-
gungszuschuss für langzeitarbeitslose Menschen mit
mehreren Vermittlungshemmnissen eingeführt. Und das
ist das Neue: Der Zuschuss kann dauerhaft gezahlt wer-
den. Das führt dazu, dass insbesondere Integrationsbe-
triebe mehr Menschen mit Behinderungen im allgemei-
nen Arbeitsmarkt beschäftigen können.
Wir haben beschlossen, Integrationsämtern einen hö-
heren Anteil am Aufkommen der Ausgleichsabgabe zu
gewähren. Mit den zusätzlichen Mitteln wollen wir er-
reichen, dass mehr Arbeitsplätze für schwerbehinderte
Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesichert
werden. Wir haben Vermittlungsgutscheine mit höheren
Beiträgen für die Vermittlung schwerbehinderter Arbeit-
suchender und einen höheren Ausbildungsbonus für
Ausbildungsbetriebe schwerbehinderter Auszubildender
geschaffen.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Zahl der
schwerbehinderten Arbeitslosen seit der Regierungsbe-
teiligung der Union in 2005 um etwa 20 Prozent gesun-
ken ist. Der Rückgang ist zwar nicht so stark wie bei
nicht behinderten Arbeitslosen. Er zeigt aber doch, dass
eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik Voraus-
setzung dafür ist, dass mehr Arbeit auch für Menschen
mit Behinderung vorhanden ist.
Gerade vor fünf Wochen haben wir den Gesetzent-
wurf zur Unterstützten Beschäftigung beschlossen. Mit
der Unterstützten Beschäftigung stärken wir Alternati-
ven zu einer Tätigkeit in einer Werkstatt. Menschen mit
Behinderungen werden mit der Unterstützten Beschäfti-
gung individuell in einem Betrieb des allgemeinen Ar-
beitsmarktes qualifiziert und später bis zu dauerhaft auf
einem regulären Arbeitsplatz weiter begleitet. Wir haben
klargestellt, dass zum Leistungsangebot von Werkstätten
ausgelagerte Plätze im Berufsbildungsbereich und dau-
erhaft ausgelagerte Plätze im Arbeitsbereich gehören.
Auch Menschen mit Behinderungen ohne Chance auf ei-
nen regulären Arbeitsvertrag können mithilfe der ausge-
lagerten Werkstattplätze im allgemeinen Arbeitsmarkt
tätig sein. Für diese Klarstellung hat übrigens die Union
gesorgt.
Wir haben die UN-Konvention für Menschen mit Be-
hinderung im Bundestag abschließend beraten und damit
die Grundlage geschaffen, die Situation von Menschen
mit Behinderungen insbesondere in den Bereichen Be-
schäftigung, Barrierefreiheit, Bildung und Wohnen zu
verbessern.
Wie Sie sehen, haben wir eine ganze Menge auf den
Weg gebracht, um Teilhabechancen von Menschen mit
Behinderungen zu stärken. Der Union ist wichtig, dass
es nicht bei diesen Schritten bleibt.
Arbeitslose schwerbehinderte Menschen müssen
durch eine kompetente Arbeitsvermittlung und -beratung
begleitet werden. Die Arbeitsvermittler und -berater
müssen die speziellen Anforderungen unterschiedlicher
Behinderungsarten und die besonderen Förderinstru-
mente kennen. Aus vielen Gesprächen mit Betroffenen
w
m
R
m
b
i
s
A
t
Z
r
d
u
d
g
b
w
s
P
z
l
K
D
s
s
h
a
s
W
g
k
r
A
F
z
d
d
w
a
a
d
u
l
n
s
c
s
n
w
w
b
S
d
s
r
s
d
d
(C
(D
eiß ich, dass dies längst nicht überall der Fall ist. Es
üssen außerdem genügend personelle und finanzielle
essourcen zur Verfügung gestellt werden. Menschen
it Behinderungen dürfen nicht im Abseits stehen, weil
ei ihnen eine Vermittlung zeit- und kostenaufwendig
st. Beispielsweise habe ich die Auflösung der Zentral-
telle für Arbeitsvermittlung bei der Bundesagentur für
rbeit, die arbeitslose behinderte Akademiker vermit-
elt, immer für falsch gehalten. Die Kompetenzen der
entralstelle müssen wieder gestärkt werden.
Der Union ist wichtig, dass Menschen mit Behinde-
ung grundsätzlich zwischen einer Werkstatt für behin-
erte Menschen und einem anderen Leistungsanbieter
nd Leistungsort wählen können, wenn ein entsprechen-
er Bedarf besteht. Werden Menschen mit Behinderun-
en außerhalb von Werkstätten tätig, ist ein regulärer Ar-
eitsvertrag das vorrangige Ziel. Dies kann zum Beispiel
ie beim Persönlichen Budget für Arbeit in Niedersach-
en geschehen. Wenn der Mensch mit Behinderung kein
ersönliches Budget möchte, sollten diese Alternativen
ur Werkstatt aber auch in Form einer Sachleistung mög-
ich sein. In diesem Zusammenhang kann ich mir einen
ombilohn für Menschen mit Behinderungen vorstellen.
auerhafte Zuschüsse sind besser als kurzfristige und
ehr hohe Zuschüsse wie bei den Eingliederungszu-
chüssen. Hier sind langfristige Kombilöhne denkbar.
Kann ein Mensch mit Behinderung wegen seiner Be-
inderung keinen Arbeitsvertrag bekommen, muss er in
nderer Form auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig
ein können. Das kann beispielsweise auf ausgelagerten
erkstattplätzen passieren. Menschen mit Behinderun-
en werden dann mitten in der Gesellschaft arbeiten
önnen, wenn Arbeitgeber und Kollegen ihre Berüh-
ungsängste ablegen. Der vom Bundesministerium für
rbeit und Soziales in der letzten Woche veröffentlichte
orschungsbericht über die „Entwicklung der Zugangs-
ahlen zu Werkstätten für behinderte Menschen“ belegt
iese Vorbehalte im Umgang mit Menschen mit Behin-
erungen. Diese Vorbehalte können nur dann abgebaut
erden, wenn Menschen mit Behinderungen von klein
uf mitten in der Gesellschaft leben. Dies bedeutet unter
nderem, dass es mehr gemeinsame Erziehung und Bil-
ung in Kindergärten und Schulen geben muss. Kinder
nd Jugendliche mit Behinderungen müssen mehr Mög-
ichkeiten haben, in einer Familie aufzuwachsen und
icht in einem Wohnheim.
Die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen zum Ge-
amtkonzept zur beruflichen Teilhabe und zum Persönli-
hen Budget für berufliche Teilhabe greifen viele An-
ätze auf, die auch mir wichtig sind. Gleichwohl will ich
icht verhehlen, dass ich mich an einigen Punkten ge-
undert – um nicht zu sagen etwas geärgert – habe. Da
ird zum Beispiel im Antrag zum Gesamtkonzept zur
eruflichen Teilhabe die Kampagne „50 000 Jobs für
chwerbehinderte“ der rot-grünen Bundesregierung aus
en Jahren 2000 bis 2002 als vorbildlich dargestellt. Ver-
chwiegen wird, dass diese Kampagne nie sehr erfolg-
eich war. Der einzige Nutzen dieser Aktion war, dass
ie als schlechtes Beispiel dienen kann. 50 000 Jobs wur-
en nie, nicht einmal annähernd geschaffen. Lediglich
ie Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen sank um
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21333
(A) )
(B) )
fast 50 000. Gleichzeitig war die Zahl der belegten
Werkstattplätze im Jahre 2002 fast viermal so hoch wie
im Jahr zuvor und fast dreimal so hoch wie im Jahr da-
nach. Ob hier ein Zusammenhang bestehen könnte, kann
jeder für sich selbst beantworten. Die Kampagne war ein
Strohfeuer, was die Grünen anscheinend selbst in ihrem
Antrag eingestehen. Bereits ein halbes Jahr nach Ende
der Kampagne war die Arbeitslosenzahl wieder um fast
30 000 auf über 170 000 angestiegen.
Außerdem sei an dieser Stelle angemerkt, dass der
Antrag zum Gesamtkonzept zur beruflichen Teilhabe
von veralteten Zahlen ausgeht, was die Einnahmen der
Integrationsämter betrifft.
Noch ein Wort zum Persönlichen Budget, weil ja der
schon etwas ältere Bericht der Bundesregierung heute
ebenfalls beraten wird. Wir waren alle der Meinung,
dass das Persönliche Budget von der Grundidee her eine
gute Sache ist. Menschen mit Behinderungen können
mehr selbst entscheiden, von wem sie eine Leistung er-
halten. Es nehmen zwar immer mehr Menschen das Per-
sönliche Budget in Anspruch. Mit den Zahlen können
wir aber längst nicht zufrieden sein. Viele Menschen ha-
ben immer noch Vorbehalte. Sie fühlen sich verunsi-
chert. Viele Fragen bleiben offen. Leistungsträger geben
nicht die nötige Beratung, die gemeinsamen Servicestel-
len erfüllen ihre Aufgaben häufig ebenso wenig.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass das Persönli-
che Budget noch viel mehr kann, als es heute zeigt. Ziel
muss sein, dass bei einem entsprechenden Bedarf der
Mensch mit Behinderungen selbst entscheiden kann, wo,
von wem und mit welchem Inhalt er Leistungen in An-
spruch nimmt. Dort, wo es Unsicherheiten gibt, müssen
diese beseitigt werden. Es muss eine bessere Beratung
her. Zunächst einmal müssen die Berater geschult wer-
den, bevor sie Menschen mit Behinderungen beraten.
Die gemeinsamen Servicestellen müssen endlich ihrem
gesetzlichen Auftrag nachkommen; sonst sind sie über-
flüssig.
Die Verbesserung der Teilhabechancen von Menschen
mit Behinderungen muss zeitnah weiter vorangetrieben
werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich
weiter für diese Verbesserungen einsetzen.
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Dem Antrag eines
Gesamtkonzepts zur beruflichen Rehabilitation kann ich
rein inhaltlich nicht widersprechen. Aber wir dürfen
nicht so tun, als hätten wir in den vergangenen Jahren
nichts für die berufliche Teilhabe aller Menschen mit
Behinderung getan. Wir dürfen auch nicht so tun, als ob
wir alles allein in der Hand hätten und als Parlament ja
nur drauflos entscheiden müssten.
Mit den CDU-geführten Ländern gibt es starke Wi-
dersacher, die sich einer Politik der Gleichberechtigung
und Diversity, einer Politik die auf Inklusion statt auf
Diskriminierung setzt, verschließen. Wir haben es in
Deutschland mit einer Bürokratie zu tun, die der UN-
Konvention noch nicht folgt und das SGB IX immer
noch nicht ausreichend umsetzt. CDU und CSU in Bay-
ern und Baden-Württemberg haben sich nachweislich
g
i
l
B
w
d
ä
c
u
s
g
h
g
h
A
w
k
t
m
W
t
J
C
I
u
u
t
m
w
D
W
n
b
t
m
j
e
s
M
P
m
g
i
A
U
A
b
t
s
R
A
t
s
s
i
d
(C
(D
egen den Begriff und gegen das Konzept der Inklusion
n der deutschen Übersetzung ausgesprochen. Das stel-
en sie wöchentlich unter Beweis – wir alle kennen das
eispiel der Waldorfschule in Emmendingen; wir alle
issen, dass in Bayern weiter Heime gebaut werden und
as dortige Heimgesetz nicht mal im Ansatz etwas daran
ndern will –: Die Politik von CDU und CSU – aber si-
her nicht aller Mandatsträger, lieber Hubert Hüppe – ist
nglaubwürdig. Sie entscheiden am Willen der Men-
chen mit Behinderung vorbei.
Wir haben vieles erreicht, das wollen wir nicht ver-
essen. Die Chancen für eine erfolgreiche berufliche Re-
abilitation sind seit Einführung des SGB IX stetig
estiegen. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen Schwerbe-
inderter weiter über dem Durchschnitt nichtbehinderter
rbeitnehmer liegen und der unverminderte Stellenauf-
uchs in den Werkstätten, gerade auch für psychisch
ranke Menschen, anhält, wurde viel erreicht. Die Un-
erstützte Beschäftigung hat eine Lücke geschlossen, da-
it der automatische Übergang von Förderschulen in
erkstätten unterbrochen wird. Wir ergänzen die Leis-
ungen an der Schnittstelle Schule/Werkstatt wirksam!
unge Menschen erhalten damit erstmals eine echte
hance auf betriebliche Qualifizierung mit dem Ziel der
ntegration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Das ist neu
nd darauf müssen wir aufbauen.
Aber wir müssen ja viel früher ansetzen – das lehrt
ns die UN-Konvention. Was wir in der Schule nicht
rennen, brauchen wir später nicht wieder aus dem Auto-
atismus der Sondereinrichtungen herauszuholen. Wir
ollen Chancen bieten: jedem und jeder gleichermaßen!
afür müssen wir auch die Außenarbeitsplätze der
erkstätten stärken. Das Integrationsmanagement wird
och nicht von allen Werkstätten intensiv genug betrie-
en. Hier gilt es, weiter dafür zu werben, dass Werkstät-
en für ihre Beschäftigten betriebliche Partner suchen
üssen. Konkurrenz zu regulärer Beschäftigung muss
edoch vermieden werden. Die Budgets für Arbeit sind
in richtiger Weg, um Anreize für Arbeitgeber zu setzen,
ozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen.
it den ersten 70 Budgets für Arbeit geht Rheinland-
falz den richtigen Weg. Diese positiven Erfahrungen
üssen genutzt werden, um die Integrationsbemühun-
en weiter zu verstärken.
Dazu gehört auch der Minderleistungsausgleich. Er
st in § 102 SGB IX und in § 27 Schwerbehinderten-
usgleichsabgabe-Verordnung, SchwbAV, vorgesehen.
nsere Herausforderung besteht darin, die Mittel der
usgleichsabgabe zu ergänzen, damit die sehr gute Ar-
eit der Integrationsämter abgesichert wird. Die Integra-
ionsprojekte sind auf die Ausgleichsabgabe angewie-
en, diese Erfolge dürfen wir nicht gefährden. Im
ahmen des Konjunkturpakets schlage ich daher eine
ufstockung der Ausgleichsabgabe vor, damit Beschäf-
igung für Menschen mit Behinderung erhalten und ge-
chaffen werden kann.
Ein Punkt liegt mir sehr am Herzen: Die 270 000 Be-
chäftigten in den Werkstätten vertrauen darauf, dass wir
hre Arbeitsplätze erhalten. Sie vertrauen auch darauf,
ass wir ihnen Chancen auf eine sozial abgesicherte In-
21334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
tegration bieten. Sie wollen, dass ihre Rückkehr in die
Werkstatt möglich bleibt, auch wenn eine Firma Kon-
kurs anmeldet. Sie wollen auch ihre Rentenansprüche
nicht verlieren. Da die SPD-Bundestagsfraktion mit der
alljährlichen Werkstatträtekonferenz zu den Werkstatträ-
ten ein enges und konstruktives Verhältnis pflegt, arbei-
ten wir daran, diese Erwartungen zu erfüllen. Das wird
nicht von heute auf morgen gehen; denn es hängt nicht
nur die Eingliederungshilfe an diesen Fragen, sondern es
geht um komplexe Wechselverhältnisse zwischen Ren-
ten-, Arbeits- und Sozialhilferecht. Hier arbeiten wir
sehr eng mit den Betroffenen zusammen. Ich weiß nicht,
ob das alle Fraktionen von sich behaupten können. Wir
nehmen uns auch der Finanzierung einer überörtlichen
Werkstattratsarbeit an und wollen gemeinsam mit den
Ländern dahin kommen, dass die Beschäftigten in die-
sem Wandlungsprozess ihrer Werkstätten auch die Mög-
lichkeit bekommen, ihr Auskommen durch menschen-
würdige und tariflich entlohnte Arbeit zu verdienen. Das
fordert die UN-Konvention von uns!
Auch die Werkstätten dürfen wir nicht vergessen! Sie
haben neue Wege beschritten: Ein Drittel aller Integra-
tionsprojekte werden heute schon durch WfbMs betrie-
ben. Die Werkstätten wollen sich mehrheitlich wandeln
und wollen den Veränderungsprozess mitgestalten. Ihre
Kompetenz müssen wir nutzen, auch wenn wir klar sa-
gen: Rechtliche Ansprüche müssen an Personen gebun-
den werden und nicht an Einrichtungen. Nur so können
sich die Angebote der Werkstätten anhand der individu-
ellen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung verän-
dern. Wie müssen die Werkstätten öffnen, auch für an-
dere Formen und Modelle der Unterstützung wie die
sogenannte virtuelle Werkstatt. Schon 2006 habe ich mit
meiner Fraktion einen Workshop im Deutschen Bundes-
tag durchgeführt. Wir wollten klären, welche Alternati-
ven gibt es denn zur traditionellen Werkstatt, und wie
kann die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt
verstärkt werden. Das Ergebnis war eindeutig und hat
uns den Weg gewiesen: Eine Stärkung des Budgetansat-
zes, die wohnortunabhängige betriebliche Platzierung
und Qualifizierung sowie die gesetzliche Regelung per-
sonenzentrierter Leistungen sind gangbare Alternativen.
Das Modell der virtuellen Werkstatt, das im Saarland ge-
laufen ist, wird mittlerweile auch von den Werkstätten
selbst als gesetzlich geregelte und gleichgestellte Alter-
native gefordert. Das haben wir lange noch nicht er-
reicht, aber die SPD-Fraktion arbeitet in der Koalition
dafür, dass wir hier endlich Änderungen bekommen.
Es ist auch notwendig, die Teilzeitarbeit in WfbMs zu
stärken. Das haben wir gemacht, indem wir mit den
Werkstätten gemeinsam klargestellt haben, dass die An-
wendung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes schon
jetzt auch für Werkstätten möglich ist. Diese Klarstel-
lung haben wir ohne gesetzliche Neuregelung erreicht,
weil wir eng mit den Werkstätten und den Betroffenen
zusammenarbeiten.
Die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt
wurde und wird von der SPD massiv gefördert – in den
Ländern und im Bund. Rheinland-Pfalz ist von Malu
Dreyers aufopferungsvoller Arbeit gesegnet wie kein
Zweites. Karl Finke, der Landesbehindertenbeauftragte
i
f
h
u
W
d
d
l
u
V
g
w
l
f
s
e
s
g
u
d
K
B
d
a
B
D
e
d
a
t
g
r
§
a
d
h
g
m
d
A
I
L
d
b
V
B
c
b
b
s
d
f
Z
B
M
f
t
T
(C
(D
n Niedersachen, macht dort einen hervorragenden Job
ür die Integration und Inklusion von Menschen mit Be-
inderung. Unser gemeinsames Ziel muss bleiben: Eine
mfassende Reform der Eingliederungshilfe, bei der die
erkstätten und die Beschäftigten mitgenommen wer-
en. Reine Verpflichtungen reichen nicht. Integration in
en allgemeinen Arbeitsmarkt wird nicht auf Befehl ge-
ingen, wir müssen viele Stellschrauben bewegen und
ns in der nächsten Legislatur sehr konzentriert mit den
orschlägen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Ein-
liederungshilfe auseinandersetzen. Bis dahin werden
ir weiter darauf bestehen: Die Möglichkeit, seinen vol-
en Lebensunterhalt in einem integrativen und barriere-
reien Arbeitsmarkt selbst zu verdienen, ist ein Men-
chenrecht. Deshalb ist es niemandem zuzumuten, dass
r in eine Werkstatt muss, wenn er doch lieber die Unter-
tützung in einem Betrieb haben möchte. Langfristig
ilt: Nur wenn wir zu Normalität in der Kinderbetreuung
nd in der Bildung kommen, werden wir Normalität auf
em Arbeitsmarkt erleben und den Anspruch der UN-
onvention erfüllen können.
Lassen Sie mich noch einige Worte zum persönlichen
udget sagen, weil wir auch über den Bericht der Bun-
esregierung reden. Hier haben wir noch viel zu tun,
ber es gibt eine deutlich positive Entwicklung: Fast alle
udgetnehmer sind mit ihrem Budget sehr zufrieden.
as hat dazu geführt, dass wir in den letzten Monaten
ine steigende Zahl bewilligter Budgets verzeichnen. Ich
enke, darüber darf man sich freuen, wenn auch nicht
usruhen. Es gibt viele Probleme, die wir weiter bearbei-
en müssen: Noch immer gibt es eine mangelhafte trä-
erübergreifende Wirkung der Budgets. Bisher dominie-
en reine Sozialhilfebudgets. Der Kostenvorbehalt des
17 SGB IX sagt, die Budgetleistung darf nicht mehr
ls die Sachleistung kosten. Diese Regelung verhindert
ie Bedarfsgerechtigkeit der Leistungen. Die Menschen
aben Angst, dass sie mit dem Budget weniger Leistun-
en bekommen als sie ohne Budget haben. Diese Angst
uss man ihnen nehmen, denn die Selbstbestimmung
arf nicht an der Finanzierung scheitern.
Das Budget für Werkstattleistungen im allgemeinen
rbeitsmarkt ist nicht möglich, da Sachleistung an die
nstitution Werkstatt gebunden ist. Diese darf aber ihre
eistungen nur sehr bedingt in die Unterstützung auf
em allgemeinen Arbeitsmarkt einbringen, zum Beispiel
ei Tandemarbeitsplätzen. Da müssen wir eine klare
erknüpfung von Leistung und Angebot im Sinne der
udgetnehmer schaffen. Wir brauchen mehr Rechtssi-
herheit, Transparenz und Barrierefreiheit.
Es gibt eine mangelhafte Beratung und Unterstützung
ei der Beantragung des Budgets. Das Ergebnis sind
esonders wenige Budgets für Menschen mit Lern-
chwierigkeiten. Hier schaffen wir Abhilfe. Mit 27 Mo-
ellprojekten hat Bundesminister Olaf Scholz die Öf-
entlichkeitsarbeit für das Budget noch einmal verstärkt.
um Beispiel das Projekt „Arbeit.Selbst.Bestimmt“ in
erlin oder das Projekt „JobBudget“ in Jena schaffen
öglichkeiten für bessere Zugänglichkeit des Budgets
ür Menschen mit Behinderung, insbesondere für die In-
egration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei Reha-
rägern wie der BA hält man sich mit Bargeldbudgets
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21335
(A) )
(B) )
zurück, da dies nicht der Systematik dieses Kostenträ-
gers entspricht. Starke Zurückhaltung gibt es zum Bei-
spiel auch in Sachsen-Anhalt, Budgets bleiben ein
Kampf für die Menschen. Lange Bearbeitungsdauern,
meist über sechs Wochen hinaus bis zu einem Jahr sind
keine Seltenheit. Oft wird erst auf Nachfrage von uns
oder den Landesbehindertenbeauftragten entschieden.
Wir haben mit dem SGB IX ein hervorragendes Ge-
setz, an das sich wenige halten. Lassen Sie uns gemein-
sam darauf hinwirken, dass die guten Ansätze die wir
haben, in der nächsten Legislatur verstärkt werden. Wir
brauchen ein barrierefreies Leistungsgesetz für Teilhabe.
Das SGB IX kann das werden, wenn alle, und ich meine
wirklich alle, das wollen.
Dr. Erwin Lotter (FDP): Zum wiederholten Male hat
es die Behindertenpolitik nicht auf die vorderen Plätze
der Tagesordnung im Bundestag geschafft. Erneut wird
heute nicht über die Belange behinderter Menschen par-
lamentarisch debattiert, sondern die Abgeordneten ge-
ben ihre Redebeiträge zu Protokoll. Eine Aussprache im
eigentlichen Sinne findet nicht statt. Leider hat sich die-
ses Verfahren mittlerweile etabliert. Selbst Gesetze wie
das zur Unterstützten Beschäftigung oder die Ratifizie-
rung der VN-Behindertenrechtskonvention wurden in
diesem Haus nicht debattiert, sondern von den Regie-
rungsfraktionen nur noch abgenickt. Dies wird weder
den Interessen behinderter Menschen noch der politi-
schen Kultur einer parlamentarischen Demokratie ge-
recht.
In diesem Licht erscheint es schon nicht mehr als un-
gewöhnlich, dass wir heute unter anderem einen Bericht
der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen sollen, der
bereits vor ziemlich genau zwei Jahren dem Bundestag
zugeleitet wurde. Bedenkt man dabei, dass in diesen Be-
richten in den allermeisten Fällen über bereits länger zu-
rückliegende Zeiträume geschrieben wird, muss man
sich fragen, warum wir uns heute überhaupt noch mit
diesen alten Hüten befassen sollen. Sollen wir auf der
Grundlage solch veralteter Zahlen und Ergebnisse politi-
sche Entscheidungen treffen?
Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,
ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass die
Behindertenpolitik keinen besonderen Stellenwert bei
Ihnen genießt. Ihr größtes behindertenpolitisches Regie-
rungsziel, nämlich die Weiterentwicklung der Eingliede-
rungshilfe, haben Sie sang- und klanglos aufgegeben
und auf die nächste Legislaturperiode, also frühestens
auf das Jahr 2010 verschoben. Für die Umsetzung der
VN-Behindertenrechtskonvention fühlen Sie sich nicht
zuständig, und die noch unter Leitung des früheren Be-
hindertenbeauftragten der Bundesregierung entstandene
Homepage www.sgb-IX-umsetzen.de wurde vom Minis-
terium bzw. der Behindertenbeauftragten seit 2005 nicht
mehr weitergepflegt und ist jetzt ganz aus dem Internet
genommen worden. Eindeutiger können Sie von Union
und SPD das Einstellen des Regierens in der Behinder-
tenpolitik kaum noch demonstrieren.
Dabei liefern Sie mit dem vorliegenden Bericht zum
Persönlichen Budget selbst die Vorlage für eine mo-
d
d
S
g
b
a
d
g
2
r
P
n
v
b
n
w
B
k
S
n
w
r
K
d
d
b
D
K
L
e
k
g
r
B
t
d
s
h
S
g
T
t
e
t
T
k
W
D
d
w
t
B
G
c
n
(C
(D
erne, auf Teilhabe und Wahlfreiheit ausgelegte Behin-
ertenpolitik. Anhand der Beispiele Großbritanniens,
chwedens und der Niederlande wird eindrucksvoll auf-
ezeigt, dass Budgets anstelle von Sachleistungen der
este Weg zu einem individuelleren, besseren und sogar
uch wirtschaftlicheren Nachteilsausgleich sind.
Während die vorgestellten Länder bereits seit Jahren
ie Leistungsform persönlicher Budgets in den Vorder-
rund stellen, tritt Deutschland auf der Stelle. Schon
006, im Jahr der Berichterstellung, waren der Bundes-
egierung die Gründe für den schleppenden Anlauf des
ersönlichen Budgets in Deutschland bekannt: Neben ei-
er völlig unzulänglichen Informationspolitik sowohl
ieler Sozialhilfeträger als auch zahlreicher Leistungsan-
ieter ist auch die ungeklärte Frage der Finanzierung ei-
er Budgetassistenz in großem Umfang dafür verant-
ortlich, dass viele behinderte Menschen die
udgetleistung nicht kennen oder sie nicht einschätzen
önnen. Sie bleiben dann oftmals vorsichtshalber bei der
achleistung.
Mindestens seit Vorliegen des Berichtes, also seit
unmehr zwei Jahren, ist der Bundesregierung bekannt,
arum die Persönlichen Budgets in Deutschland nicht
ichtig vom Fleck kommen. Wer sonst als eine Große
oalition hätte gemeinsam mit den Bundesländern in
en vergangenen Jahren dafür Sorge tragen können, dass
ie glasklar bekannten Probleme beim SGB IX und ins-
esondere bei den persönlichen Budgets gelöst werden?
iese Chance wurde nicht genutzt, und bei der letzten
onferenz der Arbeits- und Sozialminister aus Bund und
ändern wurde das Thema Behindertenpolitik erneut um
in Jahr verschoben.
Auf allen Ebenen muss jetzt die Information und Auf-
lärung über das trägerübergreifende Persönliche Bud-
et verbessert werden. Es reicht nicht, wenn das Ministe-
ium in Berlin Flyer und Hefte veröffentlicht und die
ehindertenbeauftragte übers Land zieht. Auch die Leis-
ungsträger müssen ihre Kunden über die Leistungsform
es Persönlichen Budgets informieren. Dies wird nur ge-
chehen, wenn die Bereitschaft der Leistungsträger er-
öht wird, vermehrt die Leistung als Budget anstelle von
achleistungen anzubieten.
Die Fraktion der Grünen befasst sich in zwei Anträ-
en mit dem Persönlichen Budget und der beruflichen
eilhabe behinderter Menschen. Die Intention der An-
räge geht zwar in die richtige Richtung, schießt aber in
inigen Punkten übers Ziel hinaus. Das Ziel jeder Leis-
ung an behinderte Menschen muss die Förderung von
eilhabe und Selbstbestimmung sein. Es ist deshalb nur
onsequent, dass auch Leistungen für Beschäftigte in
erkstätten für behinderte Menschen budgetfähig sind.
ies muss vor allem dann gelten, wenn dem Behinderten
adurch der Weg in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert
erden kann.
Auch die FDP hat bereits in parlamentarischen Initia-
iven auf die geringe Inanspruchnahme des Persönlichen
udgets durch Werkstattberechtigte hingewiesen. Ein
rund dafür ist auch der Umstand, dass die sozialversi-
herungsrechtliche Absicherung des betreffenden Perso-
enkreises an die Institution der Werkstatt gebunden ist.
21336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Dies ist nicht zielführend und sollte auch nach Auffas-
sung der FDP korrigiert werden. Dennoch können wir
dem Antrag der Grünen leider nicht zustimmen, da die-
ser vorsieht, diese spezielle Form der sozialversiche-
rungsrechtlichen Absicherung auf einen Personenkreis
auszuweiten, der deutlich über die Werkstattberechtigten
hinausgeht. Hier müssen andere Lösungen gefunden
werden. Gleichwohl unterstützen wir die grundsätzliche
Intention des Antrages und enthalten uns deshalb der
Stimme.
Auch mit dem zweiten, umfassenderen Antrag der
Grünen zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen
hat die FDP Schwierigkeiten. Völlig zu Recht kritisieren
Sie von den Grünen die eingefahrenen Wege der schuli-
schen und beruflichen Bildung behinderter Menschen,
die oftmals schnurstracks in die Behindertenwerkstatt
führen. Ebenfalls mit gutem Recht verweisen Sie auf die
VN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen,
die unmissverständlich klarmacht, dass sich der Teilha-
beanspruch behinderter Menschen ohne jeden Zweifel
auch auf die Arbeitswelt erstreckt. Und auch bei der Ein-
schätzung der Defizite bei der Beratung und Vermittlung
behinderter Arbeitsuchender liegen Sie richtig. Aber zu
sehr suchen die Grünen immer wieder die Lösung der
richtig erkannten Probleme in Antidiskriminierungsge-
setzen für behinderte Menschen. Diese gut gemeinten
Schutzgesetze können sich schlimmstenfalls als nachtei-
lig für behinderte Menschen erweisen. Sie stellen Hür-
den für die Arbeitgeber bei der Einstellung behinderter
Menschen dar, und sie führen zu mehr Bürokratie. Das
ist aber genau der falsche Weg, wenn man Arbeitsplätze
für Menschen mit Vermittlungshemmnissen schaffen
will. Hier sollten die Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen nochmals in sich gehen.
Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss darü-
ber, die hier leider nicht stattfinden kann.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Vor wenigen Tagen,
am 4. Dezember 2008, ratifizierte der Bundestag ein-
stimmig die UN-Konvention über die Rechte von Men-
schen mit Behinderungen. Morgen erfolgt noch die An-
nahme des Gesetzes durch den Bundesrat. Die
Behindertenbewegung wird dies sicher gebührend fei-
ern. Danach beginnt die Umsetzung in Bund, Ländern
und Kommunen, in den Unternehmen, Bildungseinrich-
tungen und allen anderen Bereichen der Gesellschaft.
Ich lade Sie herzlich ein zum Mitfeiern und vor allem
zum gemeinsamen Kampf, um diese Konvention mit Le-
ben zu erfüllen, sie im Alltag für alle Menschen mit und
ohne Behinderungen erlebbar zu machen.
Zu den hier und heute zu beratenden Vorlagen gibt die
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen in Art. 27 klar vor, was Sache sein soll:
„… das gleichberechtigte Recht behinderter Menschen
auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen,
einschließlich Chancengleichheit, gleiches Entgelt für
gleichwertige Arbeit, sichere und gesunde Arbeitsbedin-
gungen, einschließlich Schutz vor Belästigungen, und
Abhilfe bei Beschwerden zu schützen.“ Davon sind wir
in Deutschland noch weit entfernt. Die Linke unterstützt
a
s
u
m
z
u
e
a
t
s
w
k
d
n
M
M
b
b
r
z
m
b
l
w
u
d
d
W
B
K
S
r
f
w
r
b
H
d
r
A
s
ä
E
J
d
g
d
f
d
c
s
a
w
m
a
H
g
(C
(D
usdrücklich das Ziel, die berufliche Teilhabe von Men-
chen mit Behinderungen zu verbessern, ihnen geeignete
nd sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu er-
öglichen und dabei auch ihr Wunsch- und Wahlrecht
u berücksichtigen. Letzteres könnte über eine möglichst
nbürokratische Ausführung des Persönlichen Budgets
rmöglicht werden. Aus diesem Grund unterstützen wir
uch den Antrag der Grünen.
Ergänzend möchte ich anmerken: Von einer Beschäf-
igung bzw. Arbeit muss man auch leben können. Men-
chen mit Behinderungen sollen ihren gesamten Lohn
ie alle anderen auch für ihren Lebensunterhalt behalten
önnen. Gegenwärtig müssen aber sehr viele von ihnen
as meiste – bis auf den gering bemessenen Selbstbehalt –
ach Sozialgesetzbuch XII für behinderungsbedingte
ehrbedarfe wieder abführen.
Die derzeitige Situation ist: Die Arbeitslosenquote bei
enschen mit Behinderungen ist doppelt so hoch wie
ei nicht behinderten Menschen. Arbeitgeber und Ar-
eitgeberinnen sind mehrheitlich immer noch nicht be-
eit, die Kompetenzen dieser Personengruppe zu schät-
en. Menschen mit Behinderungen brauchen vor allem
ehr Chancen, Arbeit auf dem sogenannten ersten Ar-
eitsmarkt zu erlangen. Es ist nicht hinnehmbar, dass sie
ebenslang in Aussonderungseinrichtungen „geparkt“
erden: von der Sonderschule zur Sonderberufsschule
nd dann zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behin-
erte Menschen. Erforderlich sind wirksame Aktivitäten
es Bundes, der Länder und Kommunen, aber auch der
irtschaft. Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften,
etriebsräte sowie nichtbehinderte Kolleginnen und
ollegen. Deswegen wiederhole ich meinen Appell an
ie und euch: Sorgt dafür, dass Menschen mit Behinde-
ungen ausreichend Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt
inden! Seid kollegial und solidarisch! Schaut nicht weg,
enn Kolleginnen und Kollegen wegen ihrer Behinde-
ung ausgegrenzt oder gemobbt werden! Ohne euch blei-
en alle Gesetze und Förderprogramme wirkungslos.
ier seid ihr gefragt.
Ein weiteres offenes Problem bleibt die Entwicklung
er Ausgleichsabgabe. Laut Antwort der Bundesregie-
ung vom 31. Oktober 2008 auf meine Anfrage ist das
ufkommen der Ausgleichsabgabe rückläufig. Damit
anken zwangsläufig auch die Ausgaben der Integrations-
mter und des Ausgleichsfonds – von circa 690 Millionen
uro im Jahr 2002 auf knapp 500 Millionen Euro im
ahr 2007. Insofern wäre es richtig, die Pflichtquote wie-
er von 5 auf 6 Prozent anzuheben. Aber die – zeitweili-
en – Mehreinnahmen dürfen nicht das Ziel sein. Es geht
arum, damit mehr versicherungspflichtige Arbeitsplätze
ür Menschen mit Behinderungen zu generieren. Denn
er Rückgang der Ausgleichsabgabe hat vielfältige Ursa-
hen, unter anderem den, dass generell weniger Arbeit-
uchende eingestellt werden. Ich meine – auch mit Blick
uf die Behindertenrechtskonvention – dass wichtige und
irkungsvolle Maßnahmen zur Förderung von Menschen
it Behinderungen nicht reduziert werden dürfen, weil es
us der Ausgleichsabgabe nicht mehr zu finanzieren ist.
ier müssen dann andere Finanzierungsmöglichkeiten
eschaffen werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21337
(A) )
(B) )
Nicht mehr wirklich ernst nehmen kann ich das Vorge-
hen der Bundesregierung in Bezug auf das Persönliche
Budget: Vor fast genau zwei Jahren erschien der Bericht
der Bundesregierung über die Ausführung der Leistungen
des Persönlichen Budgets, und heute erst hat er es auf die
Tagesordnung des Bundestags geschafft. Warum wohl?
Es scheint, die Bundesregierung hat entweder den Über-
blick verloren oder ist mit der Umsetzung überfordert
oder beides. Im Bericht wimmelt es von Widersprüchen
und undifferenzierten Zahlenangaben. Es gab bereits vor
der Modellphase Budgetprojekte in den Ländern sowie
während der Phase außerhalb der Modellregionen. Bewil-
ligte Budgets in den Ländern wurden einfach addiert, ob-
wohl die Projekte mit unterschiedlichen Zugangsvoraus-
setzungen und Finanzierungsarten experimentierten.
Zudem dokumentierten die Begleitforschungsinstitute
nicht alle bewilligten Budgets.
Die Regierung konstatiert die geringe Inanspruch-
nahme des Budgets und beklagt den noch fehlenden
Markt an Versorgungsangeboten. Gleichzeitig konstatiert
sie, das Budget habe sich bundesweit erfreulich verbrei-
tet, ein Marktangebot entwickle sich schon bei steigender
Nachfrage – hat es in Rheinland-Pfalz mit den meisten
Budgetbewilligungen aber nicht – und Beratungsleistun-
gen würden mancherorts unentgeltlich erbracht – in der
Praxis weigern sich Sozialhilfeträger überwiegend, diese
Leistungen anzuerkennen. Im Bericht wird weder die
Frage erörtert, ob die Einführung des Marktprinzips in die
Versorgungsstruktur Behinderter geeignet ist, noch wird
er dem Auftrag in § 17 gerecht, nach dem die Weiterent-
wicklung von Versorgungsstrukturen und Verfahren zur
Bemessung budgetfähiger Leistungen in Geld erprobt
werden sollten. Auch der Punkt Bedarfsfeststellungsver-
fahren wird vernachlässigt, ebenso eine Analyse über die
nur seltene Bewilligung trägerübergreifender Budgets.
Auf den Hauptkritikpunkt von Verbänden, dass das Bud-
get einerseits den individuellen Bedarf decken soll, ande-
rerseits die Höhe des Budgets die bisherigen Kosten der
Leistungen an Behinderte nicht überschreiten soll, geht
der Bericht nicht ein.
Die bestehenden Probleme bei der effektiven Umset-
zung dieser Leistungsform sind weder mit Öffentlich-
keitsarbeit zu lösen noch mit der Illusion, der Markt
werde es schon richten. Das Instrument Persönliches
Budget ist wichtig, um dem Wunsch- und Wahlrecht der
Anspruchsberechtigten – und damit auch der UN-Behin-
dertenrechtskonvention – gerecht zu werden. Seine volle
Kraft kann es aber nur entfalten, wenn es nicht kosten-
sparend eingesetzt sowie einkommens- und vermögens-
unabhängig gewährt wird. Leider wurde der Antrag der
Linken auf ein bedarfsgerechtes Nachteilsausgleichsge-
setz, Drucksache 16/3698, abgelehnt. Jetzt aber steht die
Bundesregierung von völkerrechtlicher Ebene her in der
Pflicht, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
zu gewährleisten. Bleibt zu hoffen, dass dies auch ein
Umdenken in der Gesellschaft mit sich bringt.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
derzeitige Situation für Menschen mit Behinderungen
am Arbeitsmarkt ist äußerst unbefriedigend. Das Ziel ei-
ner vorrangigen Teilhabe am Arbeitsleben auf dem all-
g
e
h
d
1
S
b
d
s
M
e
d
d
r
f
d
s
s
t
h
l
b
D
M
d
f
e
k
l
d
g
t
„
a
g
u
f
G
s
D
s
t
v
(C
(D
emeinen Arbeitsmarkt ist nur in bescheidenem Umfang
rreicht. Die spezifische Arbeitslosenquote schwerbe-
inderter Menschen lag im Jahr 2007 mit 16,6 Prozent
eutlich höher als die allgemeine Arbeitslosenquote mit
0,1 Prozent. Eine personenbezogene Förderung im
inne einer Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts ins-
esondere bei Personen mit erhöhtem Unterstützungsbe-
arf wird nur selten realisiert. Insgesamt ist zwar die ab-
olute Zahl schwerbehinderter Arbeitsloser gesunken.
enschen mit Behinderungen weisen jedoch weiterhin
ine konstant niedrigere Beschäftigungsquote sowie eine
eutlich höhere Arbeitslosenquote als der Durchschnitt
er Bevölkerung auf. Insbesondere Frauen mit Behinde-
ungen sind von der schlechten Arbeitsmarktlage betrof-
en.
Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass alle Menschen
ort arbeiten können sollten, wo sie möchten. Für Men-
chen mit Behinderungen gibt es schon heute viele In-
trumente, zum Beispiel Lohnkostenzuschüsse, Hilfsmit-
el zur barrierefreien Gestaltung des Arbeitsplatzes oder
elfende Assistenten, die den Wunscharbeitsplatz mög-
ich machen. Trotzdem ist die derzeitige Situation am Ar-
eitsmarkt für Menschen mit Behinderungen nicht rosig.
ie UN-Menschenrechtskonvention über die Rechte der
enschen mit Behinderungen, deren Ratifizierung durch
ie Bundesrepublik Deutschland noch in diesem Jahr er-
olgen wird, stellt in Zukunft hohe Anforderungen und
rzwingt nach Auffassung meiner Fraktion nicht nur eine
onsequente Anwendung der vorhandenen Fördermög-
ichkeiten, sondern eine weiter gehende Umgestaltung
er Arbeitsmarktpolitik für Menschen mit Behinderun-
en.
In Art. 21 der erwähnten UN-Menschenrechtskonven-
ion heißt es:
Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht
von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies
beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Le-
bensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in ei-
nem offenen … und für Menschen mit Behinderun-
gen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld
frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertrags-
staaten sichern und fördern … das gleiche Recht
von Menschen mit Behinderungen auf gerechte und
günstige Arbeitsbedingungen, einschließlich Chan-
cengleichheit und gleichen Entgelts für gleichwer-
tige Arbeit, auf sichere und gesunde Arbeitsbedin-
gungen, einschließlich Schutz vor Belästigungen.
Die Vertragsstaaten verpflichten sich überdies dazu,
Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu
llgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungspro-
rammen, Stellenvermittlung sowie Berufsausbildung
nd Weiterbildung zu ermöglichen“ und „Möglichkeiten
ür Selbständigkeit, Unternehmertum, die Bildung von
enossenschaften und die Gründung eines eigenen Ge-
chäfts zu fördern“.
Von derart ambitionierten Zielsetzungen sind wir in
eutschland noch weit entfernt, aber ich bin froh, dass
ich die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifika-
ion dieser Konvention diese Ziele zu eigen macht. Wir
on den Grünen legen mit diesem Antrag zur beruflichen
21338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
(A) )
(B) )
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein Konzept
im Sinne dieser Konvention vor, die wir alle in diesem
Hohen Hause einstimmig beschlossen haben. Daher
kann es eigentlich nicht anders sein, dass unser Antrag
von allen Fraktionen konstruktiv aufgenommen wird.
Wir wollen die individuelle und dauerhafte Förderung
von Menschen mit Behinderungen und das Recht veran-
kern, dass diese selbst entscheiden können, in welcher
Form sie am Erwerbs- und Arbeitsleben teilhaben möch-
ten. Dies kann eine Beschäftigung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt, in einer Integrationsfirma oder aber bei
Bedarf im geschützten Arbeitsmarkt sein.
Die Bundesregierung zeichnet sich in dieser Legisla-
tur durch Stückwerk aus. Im Nachgang dieser 16. Legis-
laturperiode wird man feststellen, dass die Bundesregie-
rung nicht viel auf der Habenseite verbuchen kann. Wie
schon in den Bereichen etwa der Eingliederungshilfe, der
Barrierefreiheit oder der Antidiskriminierung blieb die
Bundesregierung ein Gesamtkonzept schuldig. Exempla-
risch für den Bereich der beruflichen Teilhabe möchte
ich zwei Punkte ansprechen: die Unterstützte Beschäfti-
gung und das Persönliche Budget für berufliche Teil-
habe.
An unserer grundsätzlichen Zustimmung für eine Un-
terstützte Beschäftigung gibt es keinen Zweifel. Leider
lässt der Entwurf allerdings zu viele Fragen offen, so-
dass nach unserer Einschätzung die neue Maßnahme mit
zu vielen Risiken für die Betroffenen verbunden ist. Wir
sind uns darüber im Klaren, dass der Gesetzentwurf be-
wusst nicht der große Wurf sein soll, sondern nur einen
„Mosaikstein“ im Gesamtkonzept der beruflichen Teil-
habe behinderter Menschen darstellen soll. Auf das Ge-
samtkonzept warten wir weiterhin, wahrscheinlich ver-
geblich.
Aber eines möchte ich ganz klar sagen: Auch ein
„Mosaikstein“ kann bei fahrlässiger Ausgestaltung sei-
ner Bedingungen die ursprünglichen Absichten, ein
Mehr an Alternativen der beruflichen Teilhabe herzustel-
len, in ihr Gegenteil umkehren. Das Gegenteil hieße in
diesem Fall die Einschränkung der Wunsch- und Wahl-
rechte sowie die drohende Perspektivlosigkeit auf dem
Arbeitsmarkt. Denn weder die offenen Fragen der Rück-
kehrmöglichkeiten noch die Überwachung der Qualitäts-
standards bei Ausschreibungen oder die nachhaltige Fi-
nanzierung wurden abschließend geklärt.
Der Automatismus aus Förderschule, Berufsbildungs-
bereich und Werkstatt für behinderte Menschen steht den
Bedürfnissen nach mehr Selbstständigkeit und Selbstbe-
stimmung diametral entgegen. Im Sinne einer Stärkung
des Wunsch- und Wahlrechtes müssen alle Menschen
mit Behinderungen – unabhängig von der Art oder
Schwere ihrer Behinderung – in die Lage versetzt wer-
den, selbst entscheiden zu können, in welcher Form sie
am Arbeitsleben teilhaben möchten. Entscheidend ist,
dass sie individuell gefördert und bei Bedarf nach dem
Prinzip des Nachteilsausgleichs dauerhaft unterstützt
werden.
Ein dauerhafter Minderleistungsausgleich wie etwa
Zuschüsse zum Arbeitsentgelt – Lohnkostenzuschuss –
k
s
U
t
m
s
r
h
s
s
c
h
m
s
d
B
a
a
d
a
p
b
b
a
m
f
ä
Ü
d
s
m
n
r
n
e
d
g
a
V
s
r
v
n
v
W
l
b
a
M
g
g
b
n
w
b
e
t
(C
(D
äme idealerweise – jedoch nicht ausschließlich – für
olche Menschen in Betracht, die ohne angesprochene
nterstützung nach § 43 SGB VI nicht fähig wären „un-
er den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeits-
arktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu
ein“. Dies beträfe insbesondere den Personenkreis, de-
en Teilhabe am Arbeitsleben über eine Werkstatt für be-
inderte Menschen oder eine Tagesförderstätte sicherge-
tellt wird. Eine „Kategorisierung“ ist bislang allerdings
ehr problematisch, da es nach wie vor an einem einheitli-
hen, der Internationalen Klassifikation der Funktionsfä-
igkeit, Behinderung und Gesundheit folgenden Instru-
ent zur Feststellung einer wesentlichen Behinderung
owie des Hilfebedarfes fehlt.
Zu einem dauerhaften Nachteilsausgleich gehört auch
ie Möglichkeit, verschiedene Formen der Unterstützten
eschäftigung zu wählen. Grundlegend ist dabei, dass
uch stark leistungsgeminderte Personen Arbeitsplätze
ußerhalb einer Werkstatt finden können. Das Konzept
er Unterstützten Beschäftigung geht vom Menschen
us, (er)findet und gestaltet neue, passgenaue Arbeits-
lätze bzw. Nischenarbeitsplätze und orientiert sich da-
ei an den Fähigkeiten, Wünschen und Potenzialen des
ehinderten Menschen.
Kostenträger sowohl des Minderleistungsausgleichs
ls auch der Formen der Unterstützten Beschäftigung
üssen sowohl die Träger für Leistungen in Werkstätten
ür behinderte Menschen sein als auch die Integrations-
mter. Auch die Bundesagentur für Arbeit, die nach dem
bergang des behinderten Menschen vom Berufsbil-
ungsbereich in den Arbeitsbereich bislang ihre „Träger-
chaft verliert“, sollte Finanzverantwortung überneh-
en. Nur so fällt für die Bundesagentur für Arbeit der
egative Anreiz beim Übergang vom Berufsbildungsbe-
eich in den Arbeitsbereich weg. Ein fest vereinbarter Fi-
anzschlüssel sowie eine klare Strukturverantwortung
ines Trägers kann diese Zwischenlösung so gestalten,
ass sie dem oder der Betroffenen nicht zum Negativen
ereicht. Optimal und als mittelfristige Perspektive ist
uch hier eine Zusammenführung leistungsgerechter
orschriften der Teilhabe am Arbeitsleben in einem Ge-
etz vonnöten. Die beiden Landschaftsverbände in Nord-
hein-Westfalen beispielsweise starten in einem Modell-
orhaben eine solche Unterstützung. So werden zu-
ächst 200 schwerbehinderte Menschen in den Genuss
on bis zu 50 Prozent der Förderungen, die in einer
erkstatt entstehen würden, kommen. Dieses Geld kann
angfristig in Form von Lohnkostenzuschüssen an Ar-
eitgeber ausgezahlt werden.
Nach dem Wortlaut und dem Geist des Gesetzes sind
uch Leistungen für behinderte Mitarbeiterinnen und
itarbeitern in Werkstätten für behinderte Menschen
rundsätzlich budgetfähig. Mit dem Persönlichen Bud-
et können Leistungen wie Weiterbildungsmodule, Ar-
eitsassistenz und heilpädagogische Hilfen sowohl in-
erhalb als auch außerhalb einer Werkstatt eingekauft
erden, zumindest in der Theorie. In der Praxis gibt es
ei der Inanspruchnahme von Werkstattleistungen über
in Persönliches Budget indes erhebliche Schwierigkei-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008 21339
(A) )
(B) )
Nach heutiger Rechtsgrundlage verlieren Budgetneh-
merinnen und -nehmer von Werkstattleistungen ihre
Sozialversicherungsansprüche, wenn sie im Berufsbil-
dungsbereich ähnliche Angebote anderer Anbieter in An-
spruch nehmen wollen. Bei einer Beschäftigung auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt verlieren die Budgetnehme-
rinnen und -nehmer ihren Status der vollen Erwerbsmin-
derung nach § 43 SGB VI. Die jetzigen Bedingungen der
ungeklärten Sozialversicherungsansprüche schränken die
Inanspruchnahme Persönlicher Budgets für Werkstatt-
leistungen stark ein.
Nach Ansicht der Bundesregierung sind Werkstatt-
leistungen nur dann budgetfähig mit der entsprechenden
sozialen Absicherung, wenn der „werkstattberechtigte“
behinderte Mensch während der Inanspruchnahme bei
der Werkstatt beschäftigt bleibt. Dies widerspricht dem
Grundgedanken des Persönlichen Budgets, der bzw. dem
Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein
möglichst selbstbestimmtes Leben auch außerhalb einer
Einrichtung zu ermöglichen.
Die Inanspruchnahme von Werkstattleistungen über
ein Persönliches Budget muss auch ohne die Anbindung
an eine Werkstatt uneingeschränkt möglich sein. Dies ist
Anliegen unseres Antrages „Persönliches Budget für be-
rufliche Teilhabe jetzt ermöglichen“ auf Drucksache 16/
11299. Budgetnehmerinnen und -nehmer sollen auch
dann vergleichbar den behinderten Werkstattmitarbeite-
rinnen und -mitarbeitern kranken-, pflege- und renten-
versichert sein, wenn sie dem Berufsbildungsbereich
vergleichbare integrative Berufsorientierungs- und Qua-
lifizierungsangebote externer Anbieter oder betriebliche
Alternativen zum Arbeitsbereich der WfbM in Anspruch
nehmen. Ihr Status der Erwerbsunfähigkeit soll vorerst
erhalten bleiben.
Die Begründungen zur Nichtzustimmung der CDU/
CSU, der SPD sowie der FDP sind nicht nachvollziehbar.
So argumentiert die CDU/CSU in der Beschlussempfeh-
lung des federführenden Ausschusses auf Drucksache 16/
11299, unser Antrag würde keine differenzierte Lösung
vorschlagen und bei „eher vagen Forderungen“ bleiben.
Die SPD verweist auf den Gesetzentwurf zur Unterstütz-
ten Beschäftigung sowie die Verhandlungen der Arbeits-
und Sozialministerkonferenz zur Eingliederungshilfe
und begründet somit ihre Ablehnung gegen unseren An-
trag. Auch die FDP kann unserem Antrag nicht zustim-
men, obwohl sie „die Leistungsform des Persönlichen
Budgets auch bei der beruflichen Teilhabe“ stärken
wolle. Für die FDP gehen die im Antrag vorgesehenen
Regelungen zu weit.
Das grüne Gesamtkonzept besteht aus insgesamt
zwölf Punkten. Diese lauten im Einzelnen: Erstens. Per-
sonen- statt Institutionenförderung: Zur Stärkung des
Wunsch- und Wahlrechtes müssen alle Menschen mit
Behinderungen – unabhängig von der Art oder Schwere
ihrer Behinderung – in die Lage versetzt werden, selbst
entscheiden zu können, in welcher Form sie am Arbeits-
leben teilhaben möchten. Zweitens. Ausweitung der
Angebotsstrukturen: Um das Wunsch- und Wahlrecht
konsequent durchzusetzen, bedarf es verschiedener Al-
ternativen zur beruflichen Teilhabe. Um das alltägliche
M
d
g
r
l
d
e
p
l
G
w
s
l
b
a
d
E
m
t
w
s
b
f
u
d
m
u
P
l
s
r
s
k
a
w
ü
d
Z
M
e
g
b
E
t
c
U
w
M
r
w
B
e
O
f
m
g
s
(C
(D
iteinander von jungen Menschen mit und ohne Behin-
erung im gesellschaftlichen Leben zu fördern, muss der
emeinsame Unterricht zur Regel werden. Drittens. Bar-
ierefreie Arbeitsplätze: Das Behindertengleichstel-
ungsgesetz muss mit dem Ziel weiterentwickelt werden,
ass künftig deutlich mehr barrierefreie Arbeitsplätze
ntstehen. Viertens. Diskriminierungsfreie Arbeits-
lätze: Die europarechtlichen Antidiskriminierungsricht-
inien müssen vollständig umgesetzt und das Allgemeine
leichbehandlungsgesetz muss entsprechend geändert
erden. Fünftens. Vorurteile beseitigen: Um Vorurteilen
eitens der Arbeitgeberinnen und -geber bei der Einstel-
ung von Menschen mit Behinderungen zu begegnen,
edarf es zukünftig mehr Kampagnen, wie die bereits
bgelaufene Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehin-
erte“. Sechstens. Rechtsanspruch auf Rehabilitation:
in einheitlicher Rechtsanspruch auf Rehabilitation
uss für alle behinderten und von Behinderung bedroh-
en Menschen gewährleistet sein, unabhängig davon,
elcher der insgesamt sieben Rehabilitationsträger zu-
tändig ist. Siebtens. Beratung und Vermittlung für Ar-
eitsuchende: Bei allen Trägern des SGB II sollen quali-
izierte Ansprechpartner und Abteilungen eingerichtet
nd finanziert werden. Achtens. Werkstätten für behin-
erte Menschen: Auch für den geschützten Arbeitsmarkt
üssen das Selbstbestimmungsrecht sowie das Wunsch-
nd Wahlrecht der behinderten Menschen als oberstes
rinzip gelten. Neuntens. Persönliches Budget für beruf-
iche Teilhabe: Um die Teilhabechancen und Selbstbe-
timmungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinde-
ungen zu stärken, muss das Persönliche Budget gestärkt
owie auch für den Bereich der beruflichen Teilhabe
onsequent umgesetzt werden. Hierfür muss die Budget-
ssistenz als zusätzliche Leistung gewährt und finanziert
erden. Die Inanspruchnahme von Werkstattleistungen
ber ein Persönliches Budget muss auch ohne die Anbin-
ung an eine Werkstatt uneingeschränkt möglich sein.
ehntens. Existenzgründungsberatung: Um behinderten
enschen umfangreicher als bisher die Möglichkeit zu
röffnen, sich selbstständig zu machen, muss es eine ei-
enständige Regelfinanzierung für Existenzgründungs-
eratungen für Menschen mit Behinderungen geben.
lftens. Finanzierung: Damit die Finanzierung der Leis-
ungen durch die Integrationsämter auch in Zukunft si-
hergestellt bleibt, muss die Beschäftigungspflicht der
nternehmen von derzeit 5 auf 6 Prozent angehoben
erden. Zwölftens. Statistik: Um arbeitsmarktpolitische
aßnahmen und Instrumente zukünftig besser evaluie-
en zu können, muss die Zahl der schwerbehinderten Er-
erbstätigen als eine wesentliche Kennzahl durch die
undesagentur für Arbeit statistisch erfasst werden.
Lassen wir das Flickwerk hinter uns. Trauen wir uns
twas zu und machen uns ein wenig von dem Mut und
ptimismus zu eigen, der den Geist der UN-Konvention
ür die Rechte der Menschen mit Behinderungen prägt.
Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
inister für Arbeit und Soziales: Berufliche Teilhabe be-
innt nicht erst am Arbeitsplatz. Der Grundstein wird
chon bei der Einschulung gelegt.
(A) (C)
(B) )
Es ist leider richtig, wenn Bündnis 90/Die Grünen in
ihrem Antrag bedauern, das deutsche Bildungssystem
sei „bisher von der Idee und der Praxis des Förderschul-
Die Unterstützte Beschäftigung schließt dabei die
Möglichkeiten des Persönlichen Budgets jedoch keines-
wegs aus. Wer mit der Unterstützung, die ihm von der
angebots geprägt“. Denn Kinder an Förderschulen errei-
chen zu fast 80 Prozent keinen Schulabschluss. Umso
schwerer ist es für sie, anschließend in Ausbildung und
Beruf Fuß zu fassen.
Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und Kin-
dern ohne Behinderung muss daher unser Ziel sein. Auf
jeden Fall brauchen wir Schritt für Schritt mehr gemein-
samen Unterricht beider Gruppen von Kindern.
Wer schon als Kind den Alltag mit behinderten Freun-
den verbracht hat, trägt diese Erfahrung später auch in
das Berufsleben, sei es als Arzt, Stadtplaner oder Arbeit-
geber. Dieses gemeinsame Lernen ist ein Leitbild des
UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen. Zusammen mit den Ländern, Vertre-
tern aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft wer-
den wir daher im Frühjahr 2009 eine Konferenz zur UN-
Konvention ausrichten, mit der wir vor allem die Frage
der gemeinsamen Bildung vorantreiben werden.
Ziel unserer Politik ist, dass behinderte Bürgerinnen
und Bürger – wo immer dies möglich ist – eine Beschäf-
tigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden. Denn
Integration am Arbeitsplatz ist ein wichtiger Schritt in
Richtung mehr gesellschaftlicher Teilhabe.
Für Jugendliche, die aufgrund ihrer Behinderung
keine Ausbildung in einem Betrieb oder einem Berufs-
bildungswerk machen können, gab es bislang nur die
Werkstatt als Alternative. Das war uns zu wenig. Des-
halb haben wir das Instrument der Unterstützten Be-
schäftigung entwickelt.
Nach dem Grundsatz „Erst platzieren, dann qualifi-
zieren“ werden Menschen mit Behinderungen in einem
Betrieb so lange eingearbeitet und unterstützt, bis ein
Arbeitsvertrag abgeschlossen werden kann. Auch da-
nach kann die berufsbegleitende Unterstützung fortdau-
ern, solange dies erforderlich ist.
Nun sagen manche: Warum wieder ein neues Instru-
ment? Gebt doch einfach das Geld, das für einen Platz in
einer Werkstatt für behinderte Menschen ausgegeben
wird, als Persönliches Budget, dann kann sich der Ein-
zelne davon die Unterstützung auf dem allgemeinen Ar-
beitsmarkt einkaufen.
Nein, es ist nicht der richtige Weg, einen jungen Men-
schen erst im Rahmen des Persönlichen Budgets für
werkstattbedürftig zu erklären und ihn dann mithilfe die-
ser Mittel doch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter-
zubringen.
Wenn jemand auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig
sein kann, dann braucht er dafür einen direkten, transpa-
renten Weg. Er braucht Leistungen, die spezifisch für
den allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Wenn diese Leistung bisher fehlt, muss sie geschaffen
werden. Das haben wir mit der Unterstützten Beschäfti-
gung getan.
B
d
t
s
w
Z
c
u
W
J
t
i
v
g
s
s
k
D
g
s
5
d
l
o
b
g
a
z
Z
s
d
a
z
o
a
r
h
t
d
e
d
s
z
(D
undesagentur für Arbeit angeboten wird, nicht zufrie-
en ist, kann sich über das Persönliche Budget eine Un-
erstützung eigener Wahl einkaufen.
Wir gehen davon aus, dass zurzeit circa 10 000 Per-
önliche Budgets im gesamten Bundesgebiet erbracht
erden: eine erfreuliche Entwicklung verglichen mit den
ahlen im Bericht der Bundesregierung zum Persönli-
hen Budget 2006.
Aber nicht nur mit der Unterstützten Beschäftigung
nd dem Persönlichen Budget sind wir auf dem richtigen
eg. 2004 hat die Bundesregierung die Initiative „job –
obs ohne Barrieren“ ins Leben gerufen. Auf Veranstal-
ungen und mit vielfältigen Projekten stellen Arbeitgeber
hre guten Erfahrungen mit behinderten Beschäftigten
or.
Darüber hinaus haben wir noch das Arbeitsmarktpro-
ramm „Job4000“ aufgelegt. Hiermit schaffen wir zu-
ätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze vor allem für
chwerbehinderte Menschen mit besonderen Einschrän-
ungen.
Im Ergebnis ist unsere Bilanz Anlass, sich zu freuen:
ie Beschäftigungsquote bei den beschäftigungspflichti-
en Arbeitgebern steigt stetig.
2002 betrug sie noch 3,8 Prozent; 2006 waren es
chon 4,3 Prozent. Die vom Gesetzgeber geforderten
Prozent sind zwar noch nicht erreicht, aber wir haben
ie Zielgerade im Blick. Bei den Arbeitgebern im öffent-
ichen Sektor sind es schon 5,9 Prozent und bei den
bersten Bundesbehörden sogar 7,5 Prozent.
Auch die Zahl der behinderten Menschen, die bei den
eschäftigungspflichtigen Arbeitgebern arbeiten, ist im
leichen Zeitraum gestiegen: von 716 057 im Jahr 2002
uf 787 912 im Jahr 2006. Wenn die Zahlen auch Anlass
ur Freunde sind, so sind sie jedoch noch kein Grund zur
ufriedenheit. Noch immer sind mehr als 150 000 Men-
chen mit Behinderungen arbeitslos.
Unsere vielfältigen Programme, Initiativen und För-
ermittel sollen hier helfen. Deshalb auch unser Appell
n Arbeitsgeber und Personalentscheider: Bei der Beset-
ung einer Stelle darf die Frage nicht lauten: „behindert“
der „nichtbehindert“?, sondern wie bei allen anderen
uch: „geeignet“ oder „nichtgeeignet“?
Wir nehmen nun die vor uns liegenden Herausforde-
ungen – insbesondere die Reform der Eingliederungs-
ilfe, die wir gemeinsam mit den Ländern und unter Be-
eiligung der Verbände weiterentwickeln werden – in
en Blick. Auch hier ist die Teilhabe am Arbeitsleben
in wesentlicher Punkt. Denn Arbeit ist und bleibt eine
er entscheidenden Voraussetzungen für volle gesell-
chaftliche Teilhabe. Da bleibt für alle noch eine Menge
u tun.
21340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 196. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
91, 1
0, T
196. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13