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    Plenarprotokoll 16/193 Brüssel am 11./12. Dezember 2008 Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) . . . . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Lötzsch, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung des aktuellen Rentenwerts (Ost) an den aktuellen Rentenwert (Drucksachen 16/6734, 16/8443) . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20683 C 20687 D 20689 A 20690 C 20691 C 20693 A 20695 C 20697 A 20698 A 20700 B 20705 C 20705 C 20707 B 20709 A 20711 A 20712 B 20713 C 20714 A Deutscher B Stenografisc 193. Si Berlin, Donnerstag, de I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dirk Fischer (Hamburg), Ulrich Maurer und Dr. Heinz Riesenhuber . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 31, 35 und 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung des Präsidenten der Abgeordne- tenkammer des Königreichs Marokko, Herrn Mustapha Mansouri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Zum Europäischen Rat in 20681 A 20681 B 20683 A 20683 A 20687 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Markus Meckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20701 C 20703 A 20704 A undestag her Bericht tzung n 4. Dezember 2008 l t : Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein einheitliches Renten- recht in Ost und West (Drucksache 16/9482) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Cornelia Behm, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rentenwert in Ost und West angleichen (Drucksache 16/10375) . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine 20705 A 20705 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20714 D 20715 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor Amann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Fahrverbots als Haupt- strafe (Drucksache 16/8695) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Täterverantwortung (Drucksache 16/10068) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- form der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung (Drucksache 16/10069) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung vom 23. März 2007 des Übereinkommens vom 20. August 1971 über die Internationale Fernmel- desatellitenorganisation „ITSO“ (Drucksache 16/10932) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und des Rinderregistrierungsdurchführungsge- setzes (Drucksache 16/10994) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zwangsvoll- streckung beschleunigen – Gläubiger- rechte stärken (Drucksache 16/7179) . . . . . . . . . . . . . . . . 20715 B 20716 C 20717 B 20718 C 20720 D 20721 D 20723 B 20723 D 20724 B 20725 D 20726 C 20728 B 20729 D 20730 A 20730 A 20730 A 20730 B 20730 B g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Tätigkeit der Ver- kehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaft im Jahr 2006 (Drucksache 16/8277) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielfalt verbindet – Europäische Kultur stärken und weiterentwickeln (Drucksache 16/10339) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Angemessene und zu- kunftsorientierte Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen (Drucksache 16/11223) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börn- sen (Bönstrup), Peter Albach, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- ten Steffen Reiche (Cottbus), Monika Griefahn, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einheit in Vielfalt – Kulturpolitik in und für Europa aktiv gestalten (Drucksache 16/11221) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 45: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zu- satzprotokoll vom 8. Dezember 2005 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Annahme eines zusätzli- chen Schutzzeichens (Protokoll III) (Drucksachen 16/9700, 16/10648) . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Pro- tokollen vom 9. Juli 2008 zum Nord- atlantikvertrag über den Beitritt der Republik Albanien und der Republik Kroatien (Drucksachen 16/10814, 16/11239) . . . . . c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 7. Dezember 2005 zur Ände- rung des Abkommens vom 20. Juni 1996 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland, den Vereinten Nationen und dem Sekretariat des Rah- menübereinkommens der Vereinten Na- tionen über Klimaänderungen über den 20730 B 20730 B 20730 C 20730 C 20730 D 20731 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 III Sitz des Sekretariats des Übereinkom- mens (Drucksachen 16/10815, 16/11218) . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Absi- cherung von Luftqualitätsanforderun- gen in der Verordnung über Großfeue- rungs- und Gasturbinenanlagen und der Verordnung über die Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen (Drucksachen 16/10993, 16/11125 Nr. 2.1, 16/11219) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e)–o) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 485, 486, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 493, 494 und 495 zu Petitionen (Drucksachen 16/11092, 16/11093, 16/11094, 16/11095, 16/11096, 16/11097, 16/11098, 16/11099, 16/11100, 16/11101, 16/11102) Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frank Schwabe, Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Handeln in Verantwortung – Für eine ambitio- nierte zweite Kioto-Verpflichtungs- periode (Drucksache 16/11222) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Rege- lungen des Maßnahmenpakets „Be- schäftigungssicherung durch Wachs- tumsstärkung“ (Drucksachen 16/10930, 16/11171, 16/11190) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/11183) . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 20731 A 20731 C 20732 A 20733 A 20733 B 20733 B 20733 C 20736 D 20738 C 20739 B 20740 A Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienst- leistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG) (Drucksachen 16/10809, 16/11001, 16/11172, 16/11191) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/11184) . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lydia Westrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Kindergeld- erhöhung sofort auch bei Hartz IV wirk- sam machen (Drucksachen 16/10616, 16/11240) . . . . . . . . 20741 B 20742 D 20743 C 20744 A 20745 A 20746 D 20746 D 20747 A 20748 B 20749 B 20750 D 20751 B 20752 D 20753 A 20753 B 20754 D 20756 B 20758 B 20759 C 20760 C 20760 D 20761 C 20763 C 20761 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin Gerster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ge- sellschaftliche Bedeutung des Sports (Drucksache 16/11217) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joa- chim Günther (Plauen), Miriam Gruß, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Positive Auswirkungen des Sports auf die Gesellschaft nutzen und weiter fördern (Drucksache 16/11174) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Maßnahmen für eine moderne und zukunftsfähige Sportpolitik auf den Weg bringen (Drucksache 16/11199) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 20761 D 20765 B 20766 C 20768 C 20769 C 20770 D 20772 A 20772 A 20772 D 20774 D 20775 B 20776 B 20777 C 20777 D 20777 D 20778 A 20779 D 20781 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hoch- schulpakt in gesamtstaatlicher Koope- ration zu einem wirksamen Pakt für mehr und bessere Studienplätze ent- wickeln (Drucksache 16/10881) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE: Hoch- schulpakt II für mehr Qualität, soziale Öffnung und zur Ausfinanzierung des deutschen Hochschulsystems vereinba- ren (Drucksache 16/11178) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Kristina Köhler (Wies- baden), Günter Baumann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Fogra- scher, Dieter Grasedieck, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zur Lage der politi- schen Bildung in Deutschland (Drucksache 16/9766) . . . . . . . . . . . . . . . 20783 A 20784 D 20786 D 20788 A 20789 B 20791 B 20791 C 20791 C 20792 B 20793 C 20796 A 20797 B 20797 C 20799 C 20800 D 20802 C 20803 D 20804 C 20805 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 V b) Antrag der Abgeordneten Christian Ah- rendt, Christoph Waitz, Miriam Gruß, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Politische Bildung zur Bekämp- fung von Rechts- und Linksextremis- mus effektiver fördern und nutzen (Drucksache 16/10312) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Priska Hinz (Herborn), Katrin Göring-Eck- ardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Politische Bil- dung zur Stärkung der Demokratie und Bekämpfung des Rechtsextremismus wei- terentwickeln (Drucksache 16/11201) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Grasedieck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Handgepäck von Flugrei- senden auf den Prüfstand stellen (Drucksachen 16/6641, 16/9139) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2007 (49. Bericht) (Drucksachen 16/8200, 16/10990) . . . . . . . . . Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 20805 D 20805 D 20806 A 20807 C 20809 A 20810 B 20811 D 20813 A 20814 A 20815 B 20816 D 20817 C 20818 A 20818 A 20819 C20833 A Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hedi Wegener (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Thießen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Mo- nika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäische Nachbarschafts- politik zur Förderung von Frieden und Stabilität im Südkaukasus nutzen (Drucksachen 16/8186, 16/9712) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Mi- chael Link (Heilbronn), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 (Drucksachen 16/7864, 16/9713) . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses als 1. Untersuchungsaus- schuss gemäß Artikel 45 a Abs. 2 des Grund- gesetzes: zu dem auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD am 25. Oktober 2006 gefassten Beschluss des Verteidigungsausschusses, sich zum Miss- handlungsvorwurf des ehemaligen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz ge- genüber Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte im US-Gefangenenlager Kandahar, Afghanistan, als Untersu- chungsausschuss gemäß Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu konstituieren (Drucksache 16/10650) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20833 A 20820 D 20822 A 20823 A 20823 D 20824 D 20826 A 20827 B 20827 C 20827 C 20829 A 20829 C 20830 B 20831 C 20832 D VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Herrmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gerd Höfer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zulassung von gentechnisch veränderten Organis- men – Verflechtung zwischen den Be- hörden und der Agro-Gentechnik-In- dustrie beenden und wissenschaftliche Grundlagen verbessern (Drucksachen 16/9314, 16/11163) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gentechnikfreie Regionen stärken – Bundesregierung soll Forderungen aus Bayern aufneh- men und weiterentwickeln (Drucksachen 16/10202, 16/11164) . . . . . Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Auf- stiegsfortbildungsförderungsgesetzes (Drucksache 16/10996) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Förde- rung des lebenslangen Lernens unver- züglich entscheidend voranbringen (Drucksache 16/11202) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Gudrun Kopp, Christoph Waitz, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung 20833 B 20835 D 20837 C 20838 C 20839 D 20841 A 20842 A 20842 B 20842 D 20842 D des Telemediengesetzes (… Telemedienge- setzänderungsgesetz – … TMGÄndG) (Drucksache 16/11173) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Grietje Staffelt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolf Bauer, Dr. Christian Ruck, Ingrid Fischbach, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gregor Amann, Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hunger und Armut in Entwicklungsländern durch die Förderung von ländlicher Entwick- lung nachhaltig bekämpfen (Drucksache 16/11053) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ulrike Höfken, Ute Koczy, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Die Ursachen des Hun- gers beseitigen – Die ländliche Entwick- lung fördern (Drucksache 16/11203) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Hüseyin- Kenan Aydin, Heike Hänsel, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hermes-Bürgschaft für das Ilisu- Staudammprojekt zurückziehen (Drucksachen 16/9308, 16/9838) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ (Drucksachen 16/10571, 16/11117) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Cornelia Behm, Alexander Bonde, 20843 A 20843 A 20844 B 20845 C 20846 C 20847 A 20848 A 20848 B 20848 C 20848 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 VII Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes zur Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen Räume ausbauen (Drucksachen 16/5503, 16/9164 Nr. 2) . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- neten Andreas Weigel, Dr. Rolf Mützenich, Uta Zapf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konvention zum Verbot jeglicher Streumunition zügig ratifizieren und in internationales Völkerrecht über- führen (Drucksache 16/11216) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entgeltgleichheit zwischen den Geschlech- tern wirksam durchsetzen (Drucksache 16/11192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – Für eine tatsächliche Chancengleichheit von Frauen und Männern (Drucksache 16/11175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Möllring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Natio- nen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderun- 20849 D 20849 C 20849 D 20849 D 20850 A 20851 B 20852 D 20853 C 20854 B gen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Überein- kommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinde- rungen (Drucksachen 16/10808, 16/11197, 16/11234) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Historische Chance des VN-Überein- kommens über die Rechte von Men- schen mit Behinderungen nutzen (Drucksachen 16/10841, 16/11234) . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deli- göz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktives Wahlalter bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre absenken (Drucksachen 16/6647, 16/10977) . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Gesetze (Drittes Zivildienstge- setzänderungsgesetz) (Drucksache 16/10995) . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Katrin Kunert, Klaus Ernst, weiterer 20855 A 20855 B 20855 D 20856 A 20857 B 20858 A 20858 C 20858 D 20859 D 20859 D 20861 D 20862 D 20863 C 20865 A VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sozialticket für die Deutsche Bahn AG (Drucksachen 16/10264, 16/11105) . . . . . . . . Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts (Drucksachen 16/11130, 16/11195) . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamen Schutz vor Glücksspielsucht gewährleisten (Drucksache 16/10878) . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Ilse Aigner, Katherina Reiche (Potsdam), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Andrea Wicklein, René Röspel, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: For- schung und Entwicklung für die indus- trielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe in Deutschland bündeln und 20866 A 20866 A 20867 A 20867 D 20868 C 20869 C 20870 A 20870 A 20871 C 20872 B 20873 C 20874 A 20875 C 20875 D 20877 A 20877 C 20878 D 20879 B stärken (Drucksachen 16/9757, 16/11152) . . . . . . . . . Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Grasedieck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die eigenstän- dige Existenzsicherung von Stiefkindern si- cherstellen – § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II refor- mieren (Drucksachen 16/9490, 16/11232) . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstof- fen (Drucksache 16/11131) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Mit- bestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen erweitern – Partizipation umfassend sichern (Drucksache 16/7110) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Kai 20880 B 20880 C 20881 B 20883 B 20884 A 20884 D 20885 C 20886 C 20886 D 20887 B 20888 B 20889 B 20889 D 20890 C 20890 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 IX Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Partizipation von Kindern und Jugendlichen stärken – Mehr Kinder- und Jugendfreundlichkeit durch eine neue Beteiligungskultur (Drucksachen 16/3543, 16/6074) . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 16/10811, 16/11231) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/11263) . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Albach, Dorothee Bär, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Monika Griefahn, Dr. Ger- hard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jan Mücke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freiheits- und Ein- heitsdenkmal gestalten (Drucksache 16/11200) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20890 D 20891 A 20892 B 20893 A 20893 D 20894 D 20896 A 20896 A 20896 B 20896 D 20897 D 20898 B 20899 B 20900 A 20900 D 20901 C 20903 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Heinz Schmitt (Landau) und Petra Bierwirth (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umset- zung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ (Tagesordnungs- punkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Burkert, Frank Schwabe, Dirk Becker, Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz), Dr. Matthias Miersch, Christoph Pries und Gerd Bollmann (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umset- zung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ (Tagesordnungs- punkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lale Akgün, Klaus Barthel, Clemens Bol- len, Willi Brase, Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. Reinhold Hemker, Christian Kleiminger, Rolf Kramer, Lothar Mark, Hilde Mattheis, Andrea Nahles, René Röspel, Ottmar Schreiner, Swen Schulz (Spandau), Christoph Strässer, Andreas Steppuhn, Jella Teuchner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Rege- lungen des Maßnahmenpakets „Beschäfti- gungssicherung durch Wachstumsstärkung“ (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele (FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familien- leistungsgesetz – FamLeistG) (Tagesord- nungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jörg Tauss, Gregor Amann, Willi Brase, Petra Ernstberger, Dieter Grasedieck, Kerstin Griese, Dr. Barbara Hendricks, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Lothar Ibrügger, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Katja Mast, Florian Pronold, René Röspel, Bernd Scheelen, Silvia 20903 D 20904 C 20905 B 20906 C X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Schmidt (Eisleben), Heinz Schmitt (Landau), Swen Schulz (Spandau), Christoph Strässer, Simone Violka und Lydia Westrich (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Förderung von Fami- lien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Fa- milienleistungsgesetz – FamLeistG) (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Norbert Barthle, Antje Blu- menthal, Helmut Brandt, Dr. Maria Böhmer, Marie-Luise Dött, Ilse Falk, Hartwig Fischer (Göttingen), Eberhard Gienger, Ute Granold, Monika Grütters, Anette Hübinger, Dr. Peter Jahr, Andreas G. Lämmel, Katharina Land- graf, Paul Lehrieder, Thomas Mahlberg, Wolfgang Meckelburg, Dr. Eva Möllring, Carsten Müller (Braunschweig), Michaela Noll, Rita Pawelski, Beatrix Philipp, Daniela Raab, Uwe Schummer, Marion Seib, Johan- nes Singhammer, Antje Tillmann, Marcus Weinberg, Elisabeth Winkelmeier-Becker und Wolfgang Zöller (alle CDU/CSU) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familien- leistungsgesetz – FamLeistG) (Tagesord- nungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl (beide SPD) zur Abstimmung über den Antrag: Frei- heits- und Einheitsdenkmal gestalten (Zusatz- tagesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsna- hen Dienstleistungen (Familienleistungsge- setz – FamLeistG) (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Hand- gepäck von Flugreisenden auf den Prüfstand stellen (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 20907 B 20907 D 20908 B 20910 A 20910 A 20910 A 20911 A 20911 D Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Euro- päische Nachbarschaftspolitik zur Förde- rung von Frieden und Stabilität im Süd- kaukasus nutzen – Beschlussempfehlung und Bericht: Frei- heit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Zulas- sung von gentechnisch veränderten Orga- nismen – Verflechtung zwischen den Be- hörden und der Agro-Gentechnik- Industrie beenden und wissenschaftliche Grundlagen verbessern – Beschlussempfehlung und Bericht: Gen- technikfreie Regionen stärken – Bundesre- gierung soll Forderungen aus Bayern auf- nehmen und weiterentwickeln (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförde- rungsgesetzes – Antrag: Förderung des lebenslangen Ler- nens unverzüglich entscheidend voran- bringen (Tagesordnungspunkt 15 a und b) Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 20913 A 20914 B 20915 A 20915 D 20916 D 20917 D 20918 B 20919 B 20920 B 20921 D 20922 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 XI Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Hunger und Armut in Entwicklungslän- dern durch die Förderung von ländlicher Entwicklung nachhaltig bekämpfen – Die Ursachen des Hungers beseitigen – Die ländliche Entwicklung fördern (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Staudamm- projekt zurückziehen (Tagesordnungspunkt 18) Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Mu- seum“ (Tagesordnungspunkt 19) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Meckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . 20925 D 20926 C 20927 C 20928 D 20930 B 20932 A 20933 C 20934 C 20935 B 20936 A 20937 A 20938 A 20938 D 20939 D 20940 D 20941 B 20942 B 20943 C 20944 D Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes zur Ge- meinschaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen Räume ausbauen (Tagesordnungspunkt 20) Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Konvention zum Verbot jegli- cher Streumunition zügig ratifizieren und in internationales Völkerrecht überführen (Ta- gesordnungspunkt 21) Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Andreas Weigel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein- kommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezem- ber 2006 zum Übereinkommen der Ver- einten Nationen über die Rechte von Men- schen mit Behinderungen – Beschlussempfehlung und Bericht: Histo- rische Chance des VN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behin- derungen nutzen (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 20945 D 20946 B 20947 A 20948 C 20949 D 20950 D 20951 B 20952 A 20952 A 20953 B 20955 B 20956 B 20957 A 20958 B 20959 B XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen (Tagesord- nungspunkt 33) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . . Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Freiheits- und Einheitsdenkmal gestalten (Zusatztagesordnungspunkt 8) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20960 B 20963 A 20964 A 20965 B 20966 C 20967 D 20968 C 20969 B 20970 A 20971 A 20971 D 20973 A 20974 A 20975 A 20975 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20681 (A) (C) (B) (D) 193. Si Berlin, Donnerstag, de Beginn: 9
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    1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20903 (A) (C) (B) (D) Das Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ setzt in einigen PunktenKunert, Katrin DIE LINKE 04.12.2008 zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssiche- rung durch Wachstumsstärkung“ (Tagesord- nungspunkt 4) Höfer, Gerd SPD 04.12.2008 Hörster, Joachim CDU/CSU 04.12.2008* Krichbaum, Gunther CDU/CSU 04.12.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 04.12.2008* Bareiß, Thomas CDU/CSU 04.12.2008 Barnett, Doris SPD 04.12.2008* Barth, Uwe FDP 04.12.2008 Bartsch, Dietmar DIE LINKE 04.12.2008 Bellmann, Veronika CDU/CSU 04.12.2008 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 04.12.2008 Blumentritt, Volker SPD 04.12.2008 Bodewig, Kurt SPD 04.12.2008* Bollen, Clemens SPD 04.12.2008 Burchardt, Ulla SPD 04.12.2008 Deittert, Hubert CDU/CSU 04.12.2008* Dzembritzki, Detlef SPD 04.12.2008* Ferner, Elke SPD 04.12.2008 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 04.12.2008* Friedhoff, Paul K. FDP 04.12.2008 Gabriel, Sigmar SPD 04.12.2008 Dr. Geisen, Edmund Peter FDP 04.12.2008 Gloser, Günter SPD 04.12.2008 Günther (Plauen), Joachim FDP 04.12.2008 Hänsel, Heike DIE LINKE 04.12.2008 Haibach, Holger CDU/CSU 04.12.2008* Heynemann, Bernd CDU/CSU 04.12.2008* * Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Heinz Schmitt (Landau), Petra Bierwirth (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes Dr. Lauterbach, Karl SPD 04.12.2008 Lintner, Eduard CDU/CSU 04.12.2008* Polenz, Ruprecht CDU/CSU 04.12.2008 Raidel, Hans CDU/CSU 04.12.2008** Reichenbach, Gerold SPD 04.12.2008 Dr. Reimann, Carola SPD 04.12.2008 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 04.12.2008 Roth (Esslingen), Karin SPD 04.12.2008 Schily, Otto SPD 04.12.2008 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 04.12.2008 Schmidt (Nürnberg), Renate SPD 04.12.2008 Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 04.12.2008 Dr. Schwanholz, Martin SPD 04.12.2008 Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 04.12.2008 Weisskirchen (Wiesloch), Gert SPD 04.12.2008** Wicklein, Andrea SPD 04.12.2008 Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 04.12.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 20904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) wichtige Anreize für die Ankurbelung der Binnennach- frage und für die Stützung der Konjunktur. Damit leistet der Bund einen Beitrag, den Auswirkungen der inter- nationalen Finanzkrise entgegenzuwirken. Begrüßens- wert sind beispielsweise die Maßnahmen für bessere Abschreibungsbedingungen und eine bessere Absetzbar- keit von Handwerkerleistungen. Die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms ist ein wichtiger Impuls für umwelt- und klimafreundliche Investitionen. Die im Gesetzentwurf enthaltene befristete Kfz-Steu- erbefreiung ist nicht zielführend. Es ist vorgesehen, für Neufahrzeuge, die zwischen dem 5. November 2008 und dem 30. Juni 2009 zugelassen wurden oder noch zuge- lassen werden, die Kfz-Steuer für ein Jahr zu erlassen. Erfüllen sie die Pkw-Euro-5-Norm oder Euro-6-Norm, so ist die Kfz-Steuer zwei Jahre lang nicht zu entrichten. Angesichts der hohen Kaufpreise für Neuwagen, fällt eine Steuerbefreiung nicht dermaßen ins Gewicht, dass dadurch die momentan herrschende Kaufzurückhaltung überwunden werden könnte. Vielmehr ist davon auszu- gehen, dass die Steuerbefreiung nur von denjenigen als staatlicher Nachlass mitgenommen wird, die ohnehin be- reits geplant hatten, einen Neuwagen zu erwerben. Inso- fern kommt diese Maßnahme in erster Linie gut situier- ten Personen zugute, die beim Kauf eines Autos im Wert von mehreren 10 000 Euro, nicht auf die Hilfe des Staa- tes angewiesen sind. Zudem fällt die Steuererleichterung beim Erwerb eines teueren Geländewagens mit großem Motor und hohem Spritverbrauch höher aus, als beim Kauf eines Kleinwagens mit geringem Benzinverbrauch. Diese Initiative ist damit unsozial und ökologisch kon- traproduktiv. Obendrein entfaltet eine generelle Steuerbefreiung umweltpolitisch die falsche Lenkungswirkung, um den Kauf verbrauchs- und schadstoffarmer Pkw zu fördern. Alternativen standen zur Verfügung und wurden von Umweltpolitikern mehrmals in die Diskussion gebracht. Dringend benötigt – und dies ist unbestritten – wird vor allem die zeitnahe Umstellung der Kfz-Steuerberech- nung auf Basis des CO2-Ausstoßes. Sollte nach dem Ab- lauf des eingeführten befristeten generellen Steuererlas- ses im Sommer 2009 keine soziale und ökologische Anschlussregelung getroffen werden, so würde dies be- deuten, dass ab Juli 2009 der alte Gesetzesstand wieder eintreten wird, wonach Kraftfahrzeuge steuerlich nach ihrem Hubraum und nicht nach ihrem Schadstoffausstoß bemessen werden. Damit würden wir eine große Chance vergeben, ein Signal zu setzen, das nicht nur konjunktur- politisch, sondern auch umweltpolitisch geeignet wäre, die derzeitige Kaufzurückhaltung tatsächlich zu über- winden. Insgesamt ist es notwendig ein Zukunftsinvesti- tionsprogramm zu entwickeln, welches die Chance nutzt, der abschwächenden Konjunktur zu begegnen und dabei ökologisch und sozial ausgerichtet ist. Von der Weltbank über die UNEP bis hin zu einzelnen Ökonomen wir die Forderung nach einem Green New Deal immer lauter. Deutschland sollte dabei ein Vorreiter sein und nicht Beschlüsse fassen, die ökonomisch nichts bringen und den notwendigen Klimaschutz ausbremsen. Dies sollten wir bei unseren zukünftigen Programmen berücksichtigen. Weil das Programm aber auch positive Bestandteile besitzt und es sich dabei um keine Gewis- sensentscheidung handelt, werde ich dem Gesetz den- noch zustimmen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Burkert, Frank Schwabe, Dirk Becker, Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz), Dr. Matthias Miersch, Christoph Pries und Gerd Bollmann (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Re- gelungen des Maßnahmenpakets „Beschäfti- gungssicherung durch Wachstumsstärkung“ (Tagesordnungspunkt 4) Das Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ setzt in vielen Punkten rich- tige Anreize für die Ankurbelung der Binnennachfrage und für die Stützung der Konjunktur. Damit leistet der Bund einen wichtigen Beitrag, den Auswirkungen der internationalen Finanzkrise entgegenzuwirken. Wir be- grüßen ausdrücklich die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen für bessere Abschreibungs- bedingungen und eine bessere Absetzbarkeit von Hand- werkerleistungen. Diese Regelungen sind geeignet, die drohende Konjunkturschwäche rasch zu überwinden, in- dem Anreize für Investitionen geschaffen werden. In diesem Sinne sind auch weitere Elemente des gesamten Maßnahmenpakets positiv zu würdigen. So wird bei- spielsweise durch die Aufstockung des CO2-Gebäude- sanierungsprogramms ein wichtiger Impuls für umwelt- und klimafreundliche Investitionen gesetzt. Daher wer- den wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Gleichwohl halten wir die im Gesetzentwurf enthal- tene befristete Kfz-Steuerbefreiung für nicht zielführend. Es ist vorgesehen, für Neufahrzeuge, die zwischen dem 5. November 2008 und dem 30. Juni 2009 zugelassen wurden oder noch zugelassen werden, die Kfz-Steuer für ein Jahr zu erlassen. Erfüllen sie die Pkw-Euro-5-Norm oder -Euro-6-Norm, so ist die Kfz-Steuer zwei Jahre lang nicht zu entrichten. Angesichts der hohen Kaufpreise für Neuwagen fällt eine Steuerbefreiung nicht dermaßen ins Gewicht, dass dadurch die momentan herrschende Kaufzurückhaltung überwunden werden könnte. Vielmehr ist davon auszu- gehen, dass die Steuerbefreiung nur von denjenigen als staatlicher Nachlass mitgenommen wird, die ohnehin be- reits geplant hatten, einen Neuwagen zu erwerben. Inso- fern kommt diese Maßnahme in erster Linie gut situier- ten Personen zugute, die beim Kauf eines Autos im Wert von mehreren 10 000 Euro nicht auf die Hilfe des Staa- tes angewiesen sind. Zudem fällt die Steuererleichterung beim Erwerb eines teueren Geländewagens mit großem Motor und hohem Spritverbrauch höher aus als beim Kauf eines Kleinwagens mit geringem Benzinverbrauch. Aus verteilungspolitischer Sicht schlägt diese Initiative somit bereits aus diesem Grund fehl. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20905 (A) (C) (B) (D) Obendrein entfaltet eine generelle Steuerbefreiung umweltpolitisch die falsche Lenkungswirkung, um den Kauf verbrauchs- und schadstoffarmer Pkw zu fördern. In diesem Sinne wären sofort umsetzbare Alternativen durchaus denkbar gewesen. Neben der Kfz-Steuerbefrei- ung bedarf es ergänzender Instrumente, beispielsweise einer Abwrackprämie, mit der alte Autos mit hohem Schadstoffausstoß durch sparsamere Modelle ersetzt werden. Dringend benötigt – und dies ist unbestritten – wird vor allem die zeitnahe Umstellung der Kfz-Steuer- berechnung auf Basis des CO2-Ausstoßes. Sollte nach dem Ablauf des eingeführten befristeten generellen Steuererlasses im Sommer 2009 keine soziale und öko- logische Anschlussregelung getroffen werden, so würde dies bedeuten, dass ab Juli 2009 der alte Gesetzesstand wieder eintreten wird, wonach Kraftfahrzeuge steuerlich nach ihrem Hubraum und nicht nach ihrem Schadstoff- ausstoß bemessen werden. Damit würden wir eine große Chance vergeben, ein Signal zu setzen, das nicht nur konjunkturpolitisch, sondern auch umweltpolitisch ge- eignet wäre, die derzeitige Kaufzurückhaltung tatsäch- lich zu überwinden. Wir würdigen ausdrücklich, dass sich die SPD-Frak- tion damit durchsetzen konnte, die Kfz-Steuerbefreiung auf sechs Monate zu begrenzen. Trotz dieser Kritik wer- den wir dem Gesetzentwurf aus den anfangs genannten Gründen zustimmen, verbinden unser Votum aber mit dem Appell, dass zügig an der Umsetzung einer CO2-ba- sierten Kfz-Steuer gearbeitet wird. In diesem Zusam- menhang appellieren wir auch an die Bundesländer, ihre Zurückhaltung in den Verhandlungen mit dem Bund auf- zugeben und den Weg hierfür freizumachen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lale Akgün, Klaus Bar- thel, Clemens Bollen, Willi Brase, Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. Reinhold Hemker, Christian Kleiminger, Rolf Kramer, Lothar Mark, Hilde Mattheis, Andrea Nahles, Rene Röspel, Ottmar Schreiner, Swen Schulz (Spandau), Christoph Strässer, Andreas Steppuhn, Jella Teuchner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssiche- rung durch Wachstumsstärkung“ (Tagesord- nungspunkt 4) In Anbetracht der weltweiten Rezession müssen alle politischen Ebenen rasch, gezielt und kraftvoll handeln, um die Wirtschafts- und Finanzkreisläufe in Gang zu halten, die Wachstumskräfte zu stärken und Beschäfti- gung zu sichern. Daher haben Bundesregierung und Parlament weitrei- chende Mittel und Instrumente zur Stabilisierung der Fi- nanzmärkte durchgesetzt (500-Milliarden-Programm). Nunmehr geht es um das Maßnahmenpaket „Beschäfti- gungssicherung durch Wachstumsstärkung“ und seine steuerlichen Komponenten. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner stimmen diesen Gesetzen als wichtigen ersten Schritten zur Kri- senbekämpfung zu. Angesichts der Dimensionen der beginnenden Welt- wirtschaftskrise und ihrer Ursachen, angesichts des weg- brechenden deutschen Exports und der anhaltenden binnenwirtschaftlichen Nachfrageschwäche reichen die bisherigen Schritte bei weitem nicht aus. Wenn nicht massiv gegengesteuert wird, drohen anhaltende Stagna- tion, Massenarbeitslosigkeit und Deflation. Die Folgen für die Einkommensentwicklung breiter Bevölkerungsschichten, für sämtliche öffentlichen Haus- halte einschließlich der Sozialversicherungen sowie für die Zukunftschancen unserer Gesellschaft und Wirt- schaft wären dramatisch. Deshalb brauchen wir einen europaweit abgestimm- ten und verstärkten Investitions- und Konjunkturpakt von Bund, Ländern und Kommunen. Da für deren Hand- lungsfähigkeit große finanzielle Ressourcen notwendig sind, wäre eine dauerhaft wirkende Absenkung der Steu- erquote kontraproduktiv. Wir plädieren jedoch dringend für eine Umschichtung der Steuerlasten. Der Rezession muss also schnell, gezielt und massiv auf zwei Wegen begegnet werden: Sowohl zur möglichst wirksamen Stärkung der Bin- nennachfrage als auch aus Gründen sozialer Gerechtig- keit brauchen wir eine gezielte Stützung der unteren und mittleren Einkommen, um in dieser Krise der bereits in den letzten Jahren registrierten zunehmenden Kluft der Einkommens- und Vermögensverteilung entgegenzuwir- ken. Wir brauchen ein umfassendes, auf zehn Jahre ange- legtes und schnell wirksames Programm zur massiven Ausweitung der öffentlichen und privaten Investitionen mit einem Volumen von rund 2 Prozent des Brutto- inlandprodukts, also circa 50 Milliarden Euro im ersten Jahr. Eine Gesamtstrategie, die auch die Ursachen der Krise korrigiert, muss – um wirksam zu sein – folgende Maßnahmen umfassen: Neujustierung der Progression der Einkommensteuer. Die unteren und mittleren Einkommen müssen von der kalten Progression entlastet und der steuerliche Grund- freibetrag muss angehoben werden. Höchste Einkom- men hingegen müssen stärker belastet werden. Dazu be- darf es der Anhebung des Spitzensteuersatzes und einer Wiedereinführung der ausgesetzten Vermögensteuer, ei- ner europaweiten Harmonisierung der Kapital- und Un- ternehmensteuern einschließlich der Börsenumsatz- steuer, Mindeststeuersätze in diesem Bereich sowie einer konsequenten Beseitigung der Steueroasen. – Ermäßigte Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, – die zügige Einführung des gesetzlichen und flächen- deckenden Mindestlohns, – eine expansive Lohnpolitik, flankierende Maßnahmen für Menschen in prekären Lebensverhältnissen wie 20906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) zum Beispiel Prävention und ein Aktionsplan gegen Überschuldung, – Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze einschließlich ei- nes eigenständigen Regelsatzes für Kinder. Investitionen sind entscheidend für Standortqualität und Zukunftsfähigkeit. Mit nur 4,3 Prozent Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland im Jahre 2004 auf dem viertletzten Platz der EU-27-Länder und bei den Infrastrukturinvestitionen mit nur 1,6 Prozent auf dem zweitletzten Platz. Die deut- schen Ausgaben liegen um einen Prozentpunkt unter dem EU-Schnitt von 2,5 Prozent des Bruttoinlandspro- dukts. Dieser andauernde Entzug von öffentlichen Mit- teln hat bereits zu einem erheblichen und schleichenden Verfall der Substanz unserer Verkehrsinfrastruktur, bei den öffentlichen Gebäuden und Plätzen, im Bildungssys- tem und im Gesundheitsbereich geführt; von Moderni- sierungsdefiziten ganz zu schweigen. Insbesondere folgende Initiativen sollen verstärkt werden: Die Politik des Energiesparens und der Hebung der Energieeffizienz muss mit Nachdruck fortgesetzt wer- den. Dabei sind besonders Energiesparmaßnahmen im Bereich der Raumwärme bei privaten Wohngebäuden und öffentlichen Gebäuden zu fördern. Neben der Wir- kung auf die Energieeinsparung sind zusätzlich schon kurzfristig erhebliche Beschäftigungseffekte zu erwarten (circa 600 000 Vollzeitarbeitsplätze). Der absehbare In- vestitionsbedarf liegt in den nächsten zehn Jahren bei etwa 35 Milliarden Euro. Im Verkehrsbericht liegen die Investitionsbedarfe seit langem auf dem Tisch, wie ein Blick auf den Bundesver- kehrswegeplan zeigt. Besonderes Augenmerk ist auf die Defizite bei der Bahninfrastruktur zu legen, die letztlich nur durch zusätzliche Bundesmittel gedeckt werden kön- nen. Im Bereich der Bildung, Forschung und Technologie- förderung muss der Rückstand zum europäischen Durch- schnitt aufgeholt werden. Flächendeckendes und gebührenfreies Angebot an Ganztagesbetreuung und Ganztagsschulen. Der Investitionsstau im Gesundheitswesen insbeson- dere bei den Krankenhäusern muss aufgelöst werden. Dazu brauchen wir eine neue nachhaltige Finanzierungs- struktur. Durch Städtebauförderungsmaßnahmen sind die Kommunen, gestaffelt nach ihrer Finanzsituation, bei der Aufgabe der Stadtsanierung und -erhaltung zu unter- stützen. Zinsverbilligungen sind nicht ausreichend. Ins- besondere Programme zur altersgerechten Wohnraumge- staltung entlasten nicht zuletzt auch die Sozialkassen. Außerdem sind alle weiteren Privatisierungsvorhaben auf allen politischen Ebenen zu stoppen; dies gilt insbe- sondere für jegliche Anteilsverkäufe von Telekom, Post inklusive Postbank und Bahn wie für alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge in Kommunen und Län- dern. Verkäufe unter Wert, die Sozialisierung von Ver- lusten und Privatisierung von Gewinnen sind derzeit we- niger vertretbar denn je. Im Übrigen werden wir darauf achten, dass die EU und die Bundesregierung alle angekündigten Maßnah- men zur Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte, wie sie etwa auf Ebene der G20 vereinbart wurden, zü- gig und vollständig umsetzen. Insgesamt fordern wir die Bundesregierung auf, ihre Gesamtstrategie zu erweitern und ein umfassendes Kon- zept aus den genannten wirtschafts-, arbeits- und sozial- politischen Zusammenhängen zu erarbeiten und umzu- setzen. Umfang und Geschwindigkeit dieses Konzepts müssen der Dimension der Krise entsprechen: Denn je zaghafter wir sind und je länger wir warten, desto schwieriger und teurer gestalten sich die Maßnahmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele (FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Fa- milien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG) (Tages- ordnungspunkt 5) Ich bin der Auffassung, dass es zu einem ordnungsge- mäßen Schulbesuch gehört, dass alle Kinder zu Beginn eines Schuljahres mit Lernmaterialien ausgestattet wer- den, zu denen unter anderem Hefte, Schreibmaterialien, Taschenrechner, Malblöcke, aber auch Turnschuhe für Hallen im Winter und im Sommer für den Außensport gehören. Auch Geld für Klassenausflüge und kulturelle Veranstaltungen muss vorhanden sein. Leider ist dies bei vielen Familien nicht gegeben. Im Bereich der Sozialgesetzgebung ist eine der Ursachen darin zu sehen, dass seinerzeit bei der Verabschiedung des Gesetzes durch die rot-grüne Koalition für den säch- lichen Lebensbedarf Bildungsausgaben nicht berück- sichtigt wurden – und auch heute noch immer nicht be- rücksichtigt werden. Es wurde von dem Bild eines Erwachsenen ausgegangen. Für Kinder betragen die Re- gelsätze altersabhängig 60 oder 80 Prozent des Regelsat- zes für Erwachsene. In diesem jedoch ist ein Posten für Bildung nicht enthalten. Um diese Ungerechtigkeit auszugleichen, gibt es in Deutschland viele Vereine und Einrichtungen, die auf privater Initiative und privatem Engagement vieler Bür- ger beruhen und sich zum Ziel gesetzt haben, hier ent- sprechende Hilfe zu leisten. Dazu gehört zum Beispiel der Verein „Kinder in Not“ in meiner Heimatstadt Osnabrück. Der erste Vorsitzende dieses Vereines, Herr Rechtsanwalt Robert Seidler, hat in seiner schriftlichen Stellungnahme ausführlich die rechtliche Problematik und die für ihn daraus resultie- rende Verfassungswidrigkeit des derzeitigen Rechtszu- standes dargelegt. In seinen mündlichen Erläuterungen in der Anhörung des Finanzausschusses hatte er Beispiele aus dem täglichen Leben genannt, in denen die Not der Kinder beschrieben wurde, der von dem Verein in einem gewissen Umfang abgeholfen werden konnte. Ich begrüße grundsätzlich, dass sich der Deutsche Bundestag dieses Themas annimmt. Ich halte es für drin- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20907 (A) (C) (B) (D) gend erforderlich, dass alle Kinder in gleicher Weise be- züglich der von ihnen zu finanzierenden Kosten für Schulmaterial mit einem Mindeststandard ausgestattet werden, welches diese Kosten auch deckt, wobei mir der Betrag von 100 Euro niedrig erscheint. Zudem muss sichergestellt werden, dass dieses Geld auch tatsächlich bei den Kindern ankommt. Deshalb bin ich folgender Auffassung: Kinder, die ne- ben ihren Eltern Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch beziehen, sollen mit Beginn des Schul- jahres eine zusätzliche Unterstützung für einen Mindest- standard der zu finanzierenden Kosten für Schulmaterial erhalten. Hierbei ist in geeigneter Weise sicherzustellen, dass diese Gelder auch tatsächlich für Schulmaterialien verwendet werden. Die Eltern der Kinder, die über Ein- kommen verfügen, erhalten einen deutlich erhöhten Steuerfreibetrag, der dazu führt, dass die Steuerentlas- tung so hoch ist, dass aus ihr die Aufwendungen für Schulmaterial bestritten werden können. Deshalb fordert die FDP einen einheitlichen Grundfreibetrag für Er- wachsene und Kinder von 8 000 Euro und ein einheitli- ches Kindergeld von 200 Euro im Rahmen einer umfas- senden Steuerreform. Die Eltern der Kinder, die über Einkommen verfügen, jedoch trotz eines Steuerfreibetra- ges Mindestkosten für Schulmaterial nicht aufwenden können, erhalten ergänzend die erforderlichen Mittel durch das erhöhte Kindergeld. Gerade das Zusammen- wirken von Kinderfreibetrag und Kindergeld kann si- cherstellen, dass für erwerbstätige Eltern auch bei niedri- gen Einkünften und steigender Kinderzahl eine entsprechende Förderung stattfindet. Langfristig wollen wir als FDP die staatlichen Trans- ferleistungen in Form eines Bürgergeldes zusammenfüh- ren, welches sicherstellen kann, dass den Bedürftigen weiter geholfen wird und auch bei niedrigen Einkommen Anreize für Erwerbstätigkeit gesetzt werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jörg Tauss, Gregor Amann, Willi Brase, Petra Ernstberger, Dieter Grasedieck, Kerstin Griese, Dr. Barbara Hendricks, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme Lothar Ibrügger, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Katja Mast, Florian Pronold, René Röspel, Bernd Scheelen, Silvia Schmidt (Eisle- ben), Heinz Schmitt (Landau), Swen Schulz (Spandau), Christoph Strässer, Simone Violka und Lydia Westrich (alle SPD) zur namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haus- haltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungs- gesetz – FamLeistG) (Tagesordnungspunkt 5) Mit dem Familienleistungsgesetz wird die finanzielle Situation von Familien verbessert. So werden der Kin- derfreibetrag um 216 Euro auf 6 024 Euro und das Kin- dergeld für das erste und zweite Kind auf 164 Euro, für dritte Kinder auf 170 Euro und für vierte und weitere Kinder auf 195 Euro erhöht. Gleichzeitig wird die steu- erliche Absetzbarkeit von haushaltsnahen Beschäfti- gungsverhältnissen und haushaltsnahen Dienstleistungen deutlich verbessert. Mit einer Entlastung von circa 2 Milliarden Euro pro Jahr ist das Gesetz ein positives Zeichen, soziale Ge- rechtigkeit vor allem für Familien mit Kindern zu garan- tieren. Hierzu gehört auch das Schulbedarfspaket, das eine zusätzliche Leistung in Höhe von 100 Euro für Schüle- rinnen und Schüler aus Familien, die auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, vorsieht. Gerade fi- nanziell benachteiligte Schülerinnen und Schüler können so ihre persönliche Schulausstattung – wie zum Beispiel Schulranzen, Rechen- und Zeichenmaterialien, Turn- zeug etc. – finanzieren. Bedauerlich und nicht nachvollziehbar ist aber, dass die CDU/CSU darauf beharrt, dass dieses wichtige Maß- nahmenpaket nur bis zur 10. Klasse finanziert wird. Ge- rade im Hinblick auf die aktuelle PISA-Studie, die dar- gelegt hat, dass der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg eklatant hoch ist, wäre die Gewährung des Schulbedarfspakets bis zur Jahrgangs- stufe 13 ein richtiges und wichtiges Zeichen gewesen, auch Schülerinnen und Schülern aus sozial benachteilig- ten Familien die gleiche persönliche Schulausstattung zu ermöglichen wie allen anderen Schülern. Die Ausdeh- nung bis zur Jahrgangsstufe 13 hätte zudem einen in der Gesamtleistung nur geringfügigen Mehraufwand von 17 Millionen Euro verursacht. Es ist daher unverständ- lich und das politisch völlig falsche Signal, dass sich die Union dieser Maßnahme mit einer nicht nachvollziehba- ren Begründung verweigert. Eine Korrektur dieser unge- rechten Situation ist aus Sicht der SPD deshalb dringend erforderlich. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Norbert Barthle, Antje Blumenthal, Helmut Brandt, Dr. Maria Böhmer, Marie-Luise Dött, Ilse Falk , Hartwig Fischer (Göttingen), Eberhard Gien- ger, Ute Granold, Monika Grütters, Anette Hü- binger, Dr. Peter Jahr, Andreas G. Lämmel, Ka- tharina Landgraf, Paul Lehrieder, Thomas Mahlberg, Wolfgang Meckelburg, Dr. Eva Möllring, Carsten Müller (Braunschweig), Mi- chaela Noll, Rita Pawelski, Beatrix Philipp, Da- niela Raab, Uwe Schummer, Marion Seib, Jo- hannes Singhammer, Antje Tillmann, Marcus Weinberg, Elisabeth Winkelmeier-Becker und Wolfgang Zöller (alle CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur För- derung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG) (Tagesordnungspunkt 5) Ich begrüße ausdrücklich die festgeschriebenen Maß- nahmen des Familienleistungsgesetzes: die Anhebung des Kindergeldes, die Erhöhung des Kinderfreibetrages, steuerliche Regelungen zu haushaltsnaher Sozialversi- 20908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) cherungspflichtiger Beschäftigung und haushaltsnahen Dienstleistungen einschließlich Pflege- und Betreuungs- leistungen. Es sind wesentliche familienpolitische Leis- tungen. Ich begrüße, dass laut Regierungsentwurf Fami- lien gefördert und steuerlich entlastet werden. Dem Familienleistungsgesetz werde ich zustimmen. Allerdings erachte ich es auf der Grundlage dieses Gesetzes für notwendig, weitere familienpolitische Leis- tungen einzuführen. Ich sehe es als politisches Ziel, in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren folgende Er- weiterungen des Familienleistungspakets umzusetzen: Erstens, die Ausweitung des Schulbedarfspakets – jährliche Leistung von 100 Euro im Rahmen des SGB II und des SGB XII – auf Schülerinnen und Schüler über die 10. Jahrgangsstufe hinaus. Dabei sollen Schüle- rinnen und Schüler an allgemeinbildenden und an be- rufsbildenden Schulen in gleicher Weise gefördert wer- den. Zudem soll geprüft werden, ob die Förderung über den Kreis von SGB-II- und SGB-XII-Empfängern hi- naus Familien mit geringen Einkommen zugutekommen kann. Zweitens, die Ausweitung der Steuerbefreiung von Leistungen von Arbeitgebern zur Unterbringung und Be- treuung von Kindern ihrer Beschäftigten auf Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, statt dies – wie bisher – auf noch nicht schulpflichtige Kinder zu beschränken. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gunter Weißgerber und Rai- ner Fornahl (beide SPD) zur Abstimmung über den Antrag: Freiheits- und Einheitsdenkmal ge- stalten (Zusatztagesordnungspunkt 8) Der Bundestag beschließt heute über den Antrag „Freiheits- und Einheitsdenkmal gestalten“ (Druck- sache 16/11200). Dem stimmen wir aus folgenden Grün- den sehr gerne zu: Wir haben seit dem November 2007 für ein gemeinsames Denkmal in Berlin und Leipzig ge- worben. Wir haben in diesem Kontext dafür gekämpft, für ein Denkmal zu stimmen, welches in beiden Städten den langen Weg von deutscher Teilung im besonderen Abbild der Teilung Berlins über die ostdeutsche Freiheit infolge der friedlichen Revolution 1989/90 mit ihrem ge- waltigem Anteil der Leipziger Montagsdemonstrationen und letztlich bis zur Vereinigung beider deutscher Staa- ten am 3. Oktober 1990 aufzeigt. Sinnbild der 40-jährigen deutschen Teilung war die blutige Grenze inmitten Deutschlands, inmitten Berlins. In besonders brutalem Maße zerschnitt hier die Grenze durch die deutsche Hauptstadt, stand die Einmauerung des freiheitlichen Westteiles von Berlin für das deutsche Nachkriegstrauma. An der Blockade Westberlins, am Mauerbau 1961 nahmen die gesamte deutsche und die Weltöffentlichkeit großen Anteil. Der Volksaufstand von 1953, der unsere von 1989 politischen Forderungen vor- wegnahm und in Ostberlin begann, sowie das geteilte Berlin wurden weltweit zum Synonym für die deutsche Teilung, für die Ost-West-Blockkonfrontation. Hier be- kannte Kennedy, dass er ein Berliner sei, und Reagan forderte den Fall der Mauer. Willy Brandt war der legen- däre regierende „Frontstadt“-Bürgermeister, der für die meisten Ostdeutschen bis 1989 die verkörperte Hoff- nung auf Freiheit und Demokratie blieb. Westberlin war für die SED der Stachel im Fleisch des kommunistischen Systems, für viele Menschen in der DDR war es das Schaufenster in den freien Westen, die freie Informa- tionsquelle und die ständige Nahrung für die Hoffnung auf demokratische Entwicklungen. In Ostberlin etablierte sich frühzeitig eine rege Unter- grundszene samt einer reichen Samisdatliteratur. Die Umweltbibliothek wurde 1987 von der Stasi gestürmt, und die staatlich zelebrierten Luxemburg-Liebknecht- Demonstrationen wurden von der Opposition mutig auf ihre Weise in Anspruch genommen. Beispielhaft sei hier die Kundgebung vom Januar 1989 genannt – wenn auch den Demonstranten damals nicht bekannt war, dass sie mit Luxemburg ausgerechnet eine Gegnerin von freien Wahlen auf ihr Schild hoben. In Berlin wurde die Grenze zuerst löchrig, in Berlin beschloss die freie Volkskammer gemäß dem Willen der meisten Deutschen in Ost und West den Beitritt zur Bun- desrepublik Deutschland, und in dieser Stadt wurde dieser Beitritt der endlich freien und tatsächlich demo- kratischen DDR nach Art. 23 GG der Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen mit den Siegermächten und unseren Nachbarn vollzogen. Mit dem weltweit spektakulären Fall der Mauer kam bildhaft das Ende des Kalten Krieges, kam die Chance auf die europäische Einigung auf friedlichem Wege. Für die Welt steht das vereinigte Berlin, die vereinigte deutsche Hauptstadt als Symbol für die Überwindung der Blockkonfrontation, für das Gelingen freiheitlicher und demokratischer Volksbewegungen in Mittel- und Osteuropa. Deshalb muss Berlin ein Standort des Nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmales werden. Leipzig muss aber seinerseits eine Würdigung erfah- ren, die in erkennbaren Sinnzusammenhang zum Berli- ner Denkmal steht. Die Leipziger Nikolaikirche mit ihren Friedensgebeten seit 1982 war der „Zünder der friedlichen Revolution 1989/90“, der Leipziger Augus- tusplatz war mit seinen machtvollen Massendemonstra- tionen bis zu den Volkskammerwahlen 1990 der wich- tigste Garant für den Bestand des am 9. Oktober Erreichten und der unablässig drehende „Motor der deut- schen Einheit“. Bereits im September 1989 schwollen die Leipziger Demonstrationen unter dem selbstbewussten Ruf „Wir sind das Volk“ zu Zehntausenden Teilnehmern an. Ein Anschwellen, welches in Verbindung mit der Begeiste- rung über die Massenausreisen aus Ungarn und der Wut über die Ignoranz der DDR-Staatsführung, die Bot- schaftsausreisenden mit Zügen quer durch den Süden der DDR zu transportieren, zu bürgerkriegsähnlichen Zu- sammenstößen am Dresdner Hauptbahnhof und zu wei- teren bedrohlichen Situationen an der gesamten Bahn- strecke bis Plauen führten. Nach der am 5. Oktober 1989 in der Leipziger Volks- zeitung (LVZ) veröffentlichten Drohung des Kampfgrup- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20909 (A) (C) (B) (D) peneinsatzes gegen die Bevölkerung wurde es am 7. Oktober in Leipzig, Plauen, auch in Berlin besonders brisant. In diesen drei Städten waren ob bzw. wegen die- ser Drohung Tausende auf den Beinen und hielten der SED und dem MfS mutig die Stirn entgegen. Die in die- sem Zusammenhang gestreute „chinesische Lösung“ des Massakers vom „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking als einer realen Möglichkeit für die SED-Füh- rung im Umgang mit den Demonstranten war eine Dro- hung und durchaus sehr ernst gemeint. Selbst Internie- rungslager zur Konzentration von Sozialismusfeinden an ausgesuchten Orten waren konzipiert. In dieser spannungsgeladenen Stimmung, die an ei- nen positiven und unblutigen Ausgang der für den 9. Ok- tober erwarteten Demonstration in Leipzig nicht denken ließ, kamen dennoch an diesem Montag 70 000 Men- schen aus Leipzig und der DDR zwischen Nikolaikirch- hof und Augustusplatz zusammen. Eine Menschen- menge, die auf SED und MfS so abschreckend wirkte, dass sie aus einer allgemeinen Lähmung heraus den Din- gen hilflos ihren Lauf lassen musste. Zwar begann die Partei- und Staatsführung dann schnell über den begin- nenden Dialogprozess und mittels personeller Änderun- gen in der Führungsspitze zu versuchen, das Heft des Handelns wieder in die Hände zu bekommen, doch ge- langen diese Strategien gegenüber der wachen Bevölke- rung glücklicherweise nicht. Die Menschen in Leipzig, Plauen, Dresden, überall in der DDR wussten, dass die Demonstrationen in großem Stile weitergehen mussten. Die Ergebnisse des 9. Okto- ber von Leipzig bedurften der Sicherung, sollte dieser 9. Oktober 1989 nicht wie der 17. Juni 1953 später als konterrevolutionärer Umsturzversuch der Vergessenheit anheimfallen. Im Windschatten der Leipziger Massen- demonstrationen 1989/90 wuchsen die DDR-weiten Kundgebungen und Demonstrationen zu Ereignissen he- ran, die dann auch ganz schnell aus dem emanzipatori- schen Ruf „Wir sind das Volk“ die politische Forderung „Wir sind ein Volk“ werden ließen, wohl wissend, dass nur die Einheit in Freiheit ein größtes Maß an Sicherheit vor der Restitution der alten Machtverhältnisse in der DDR bot. Der Mauerfall am 9. November 1989 war dann die lo- gische Folge. Wir haben neben der meist in diesem Zu- sammenhang aufkommenden Erklärung der Überforde- rung der SED-Führung eine eher politische Erklärung anzubieten. Die DDR-Führung suchte nach Druckentlas- tung. Geöffnete Grenzen schienen ein passables Mittel in diesem Sinne zu sein. Die Rechnung war einfach und dennoch eine der üblichen Fehleinschätzungen der SED. Die mit der DDR restlos Unzufriedenen sollten gehen, damit den Massendemonstrationen die Kraft nehmend. Die im „Lande“ Verbleibenden sollten die DDR tapezie- ren helfen. Den weitergehenden Montagsdemonstratio- nen sei Dank, diese Rechnung der SED ging nicht auf. Es gelang, die Menschen weiterhin für die Demonstra- tionen bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 zu interessieren und so das Errungene des Herbstes 1989 zu sichern. Demgegenüber war Ostberlin – und das soll keine Gegenrede wohl aber eine Klarstellung sein – im Herbst 1989 die Arena der Befürworter einer weiteren Zwei- staatlichkeit Deutschlands. In Berlin fand am 4. Novem- ber 1989 die größte DDR-Tapezierungsgroßdemonstra- tion statt, der im Nachgang der DDR-Erhaltungsaufruf von Christa Wolf „Für unser Land“ folgte. Dagegen er- ging aus Leipzig der „Leipziger Aufruf“ von Johannes Wenzel für den Aufbau von konföderativen Strukturen zwischen beiden deutschen Staaten mit dem Ziel der Einheit als schnelle Antwort auf den Ostberliner Aufruf. Dies sind unsere Gedanken zum Thema. Achten wir im Diskussionsprozess um die Gestaltung der beiden Standorte auf die Berücksichtigung des historischen Kontextes: Ohne die inner- und außerkirchliche Opposi- tion in der DDR, ohne die immerwährenden Fluchtbe- wegungen in den Westen, ohne die Massenfluchten von 1989, ohne die Montagsgebete und die friedliche Revo- lution, und ohne die Weiterführung dieser Revolution bis zu den Wahlen im März 1990 und in Anbetracht der Möglichkeit eines geglückten Moskauer Putsches, bei- spielsweise der vom August 1991, würden wir heute nicht einmal des 9. Oktobers in Freiheit gedenken, ge- schweige denn uns der deutschen Einheit des Jahres 1990 erfreuen können. Seien wir stolz auf die „Neue Ostpolitik“ der Regierung Brandt/Scheel, auf das KSZE- Engagement der Regierung Schmidt/Genscher, und seien wir dankbar, dass die Regierung Kohl/Genscher Helmut Schmidts Anstrengungen für den NATO-Dop- pelbeschluss weiterführte und damit dem INF-Vertrag von 1987 – Vernichtung sämtlicher atomarer Mittelstre- ckensysteme in Europa – zwischen den USA und der So- wjetunion den Boden bereitete. Beide Politikansätze, die Entspannungs- als auch die Gleichgewichtspolitik, ha- ben beträchtlichen Anteil an der Implosion der Sowjet- union und des Ostblocks. Vergessen wir bei allem Stolz auf eigene Leistungen nicht die Freiheitsbewegungen in unseren östlichen Nachbarstaaten. Ohne die Polen mit ihrer Solidarnośź, ohne die Tschechen mit ihrer Charta 77 und ohne den Mut der „lustigsten Baracke im Ostblock“, den Ungarn, würden noch heute Menschen ohne Hoffnung auf Frei- heit und Demokratie in der Leipziger Nikolaikirche und überall in der DDR beten und sich vor der außer- und in- nerhalb der Kirche beobachtenden Staatsmacht fürchten müssen. Wir danken ausdrücklich den Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP und hier besonders ihren Kultur- politikern, die nach vielen Diskussionen den Weg für die Würdigung von Freiheit und Einheit in Berlin und in Leipzig bei Einbeziehung und Mitverantwortung von Berlin einerseits und des Landes Sachsen und der Stadt Leipzig andererseits durch den Bund frei gemacht ha- ben. Besonderer Dank gilt den vielen Deutschen in Ost und West, die den von uns beschriebenen historischen Kontext ebenso sehen und eine Nichtwürdigung Leip- zigs nicht verstanden hätten. Begleiten wir nun intensiv den weiteren Gestaltungs- prozess für die Denkmale in Berlin und Leipzig und ach- ten darauf, dass bei der Auslobung des Wettbewerbes 20910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) – der wird gewiss eine überragende nationale und inter- nationale Resonanz finden – der historische Bogen rich- tig geschlagen wird. Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/ CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Fa- milien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG) (Tages- ordnungspunkt 5) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Handgepäck von Flugreisenden auf den Prüf- stand stellen (Tagesordnungspunkt 10) Clemens Binninger (CDU/CSU): Vor nicht einmal zweieinhalb Jahren im August 2006 konnten britische Sicherheitskräfte eine Anschlagsserie auf dem Flughafen London Heathrow vereiteln. Terroristen hatten Bomben- anschläge mit Flüssigsprengstoff auf mehrere Flugzeuge geplant, die unzählige Opfer gefordert hätten. Rund ein Jahr später wurden drei Tatverdächtige bei Anschlags- vorbereitungen im Sauerland verhaftet. Geplantes Tat- mittel der „Sauerland-Gruppe“: Sprengsätze aus Wasser- stoffperoxid. Am Rande sei hier erwähnt, dass auch der Frankfurter Flughafen von dieser Gruppe als mögliches Ziel ausgespäht wurde. Das zeigt, dass Flüssigspreng- stoffe nach wie vor ein realistisches Tatmittel für einen terroristischen Anschlag sind. Gerade bei Anschlägen im Bereich der Luftfahrt ist ein besonderes Augenmerk auf Flüssigsprengstoffe zu legen, weil sie im Gegensatz zu den meisten konventionellen Bomben und Waffen eben noch nicht ausreichend von Detektionstechnologien er- kannt werden können. Der Forderung, die Flüssigkeitsbeschränkung aufzu- heben – wie sie unterm Strich der vorliegende FDP-An- trag erhebt –, kann deshalb nicht zugestimmt werden. Es ist wichtig, dass Sicherheitsregeln transparent sind. Nur so entsteht Akzeptanz, und nur so sind ihre Eignung und Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Abwehr einer Gefahr zu bewerten. Selbstverständlich müssen auch Si- cherheitsmaßnahmen wie die Flüssigkeitsbeschränkung diesem Maßstab gerecht werden. Die Bundesregierung hat sich deshalb in der Vergangenheit für die Veröffentli- chung großer Teile der Durchführungsbestimmungen zur Europäischen Luftsicherheitsverordnung eingesetzt. Seit 20. August 2008 ist die neue Durchführungsverordnung (EG 820/2008) in Kraft. Sie beinhaltet große Teile der bislang geheim gehaltenen Anlagen, darunter auch die Regelungen zur Flüssigkeitsbeschränkung in der Liste der verbotenen Gegenstände. Eine wesentliche Forde- rung des vorliegenden Antrags ist damit bereits reali- siert. Wenn wir über Erleichterungen bei den Flüssigkeits- beschränkungen im Handgepäck diskutieren – und ich halte das für wichtig –, dann muss dies in einem verant- wortungsvollen Rahmen geschehen: Sicherheitsmaßnah- men müssen sich am bestehenden Risiko ausrichten. Er- leichterungen sind nur dann möglich, wenn gleichzeitig eine geeignete und praktikable Detektionstechnologie vorliegt. Darüber dürfte eigentlich kein Dissens beste- hen. Die Sicherheit im Luftverkehr ist ein hohes Gut. Wir alle wissen, dass bereits ein einziger Anschlag verhee- rende Wirkung haben kann. Deshalb ist es unsere Pflicht, alles zu tun, um einen solchen Anschlag zu ver- hindern, und dazu gehören auch die Beschränkungen für Flüssigkeiten im Handgepäck. Der FDP-Antrag fordert in diesem Zusammenhang, auch Forschungsvorhaben im Bereich der Detek- tionstechnologie zu unterstützen. Das ist richtig. Das tun wir auch in verschiedenen Bereichen. Ich frage mich aber: Wie passt diese Forderung zusammen mit der öf- fentlichen Empörung, die auch und gerade aus den Rei- hen der FDP in den letzten Tagen im Zusammenhang mit den Labortests der Body-Scanner-Technologie zu ver- nehmen ist? Es ist seit Monaten bekannt, dass die Bun- despolizei diese Technologie ab Dezember unter Labor- bedingungen testet. Es handelt sich dabei aber eben nicht um sogenannte Realtests, die im Flughafenbetrieb statt- finden, wie wir es teilweise aus dem Ausland kennen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Solche Scanner sind in Deutschland nicht im Einsatz. Die Haltung der Bundesregierung zu Ganzkörperscannern, die ich voll und ganz teile, ist eindeutig. Ein Einsatz der heute beste- henden Technologie ist nicht geplant und gänzlich inak- zeptabel, weil sie die Persönlichkeitsrechte des Durch- suchten massiv verletzt. Dieser Haltung ist mittlerweile auch die EU-Kommission gefolgt. Das entbindet uns aber nicht davon, die Forschung bei den richtigen Technologien voranzutreiben. Die Mil- limeter- und Terahertzwellentechnologie, mit denen sol- che Scanner arbeiten, sind in der Lage, Waffen oder Sprengstoffe zu erkennen, die heute vom Sicherheitsper- sonal allenfalls durch Abtasten gefunden werden kön- nen. Deshalb – und hier stimme ich mit der Forderung des Antrags überein – ist es geboten, in diesem Bereich weiterzuforschen. Derartige Technologien können aller- dings erst dann eingesetzt werden, wenn sie nicht zu ei- ner Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte oder des Gesundheitsschutzes führen. Die Flüssigkeitsbeschränkung ist derzeit unverändert die bestmögliche Lösung, der weiterhin bestehenden Ge- fahr eines Anschlags mit Flüssigsprengstoff zu begeg- nen. Eine verantwortungsvolle Überprüfung von Sicher- heitsmaßnahmen im Bereich der Luftsicherheit kann sich daher nur an der Frage orientieren, ob eine geeig- nete Detektionstechnik vorhanden ist. Dies ist derzeit nicht der Fall – darüber besteht Einigkeit unter den Ex- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20911 (A) (C) (B) (D) perten. Das unterstreicht auch der vorliegende Antrag. Deshalb wäre es unverantwortlich, bereits jetzt Erleich- terungen in diesem Bereich einzuführen, obwohl man noch keine geeignete Detektionstechnik hat. Eine solche Vorgehensweise ist mit der Union nicht zu machen. Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Die Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 sieht eine Beschränkung der Mit- nahme von Flüssigkeiten in den Sicherheitsbereich des Flughafens oder an Bord eines Luftfahrzeuges für Passa- giere vor. Seit November 2006 ist es europäischen Flug- gästen daher lediglich erlaubt, Flüssigkeiten mit an Bord zu bringen, wenn sie in Gefäßen mit einem Inhalt von maximal 100 Milliliter abgefüllt sind und in einer trans- parenten, wiederverschließbaren Plastiktüte transpor- tiert werden, die vom Sicherheitsdienst am Flughafen überprüft wird. Das Europäische Parlament hatte am 5. September 2007 eine Resolution angenommen, durch die die Kom- mission aufgefordert wird, das Verbot von Flüssigkeiten zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben. Das Thema ist am 7. Mai 2008 sowohl im Verkehrs- als auch im Innenausschuss des Deutschen Bundestages einge- hend erörtert worden. Beide Fachausschüsse hatten sich dafür ausgesprochen, dass die rechtlichen Bestimmun- gen hinsichtlich der Mitnahme von Flüssigkeiten aufge- hoben werden sollten. Hintergrund der Beschränkungen sind die vereitelten Anschläge mittels Flüssigsprengstoffs am Flughafen London Heathrow im August 2006. Die Pläne der mut- maßlichen Terroristen sahen vor, explosive Flüssigkeiten in Flugzeuge zu schmuggeln. Durch die Flüssigkeits- mengenbegrenzung soll verhindert werden, dass flüssige Explosivstoffe an Bord verbracht werden. Auch wenn die Bedrohungslage, die von einem terro- ristischen Einsatz von Flüssigsprengstoffen ausgeht, nach wie vor unverändert gegeben ist, so sollten den- noch die rechtlichen Bestimmungen zur Mitnahme von Flüssigkeiten in jedem Falle modifiziert werden. Die Röntgengeräte können ohnehin die Gefährlichkeit der Flüssigkeiten nicht feststellen, sodass derzeit nur eine reine Mengenkontrolle stattfindet. Die Bundesregierung sollte vielmehr Forschungsvorhaben unterstützen und fördern, die darauf ausgerichtet sind, einfach und prak- tisch anwendbare Verfahren zu entwickeln, die dazu ge- eignet sind, Sprengstoffe in Flüssigkeiten aufzuspüren. Die Unterstützung von Forschungs- und Entwicklungs- vorhaben auf europäischer Ebene (Teilnahme an der Study Group der ECAC Technical Task Force) als auch auf nationaler Ebene (unter anderem Forschung des BKA) sind erste richtige Schritte. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass eine Anhörung von Sicherheitsexperten im Europäischen Parlament am 24. Mai 2007 in Straßburg ergab, dass ein tatsächlicher Gewinn an Sicherheit durch die EU-Verordnung nicht zu erwarten ist: Die notwendigen Kontrollen an vielen Flughäfen innerhalb der EU werden nicht strikt umge- setzt, sodass bereits in der Durchführung erhebliche Lücken bestehen. Auch die Feststellung, ob die erlaubt mitgeführte Menge harmlos ist oder für einen Terror- anschlag benutzt werden könnte, kann nicht ohne Weite- res getroffen werden. Vielmehr führen die Kontrollen dazu, dass die Flughäfen erhebliche Mehrkosten auf- wenden müssen. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass die Verordnung unverhältnismäßig ist, weil die Pas- sagiere nicht nur großen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sind, sondern auch private Güter in großem Stil vernich- tet werden, die als unerlaubte Gegenstände und Waren am Flughafen zurückgelassen werden, wie zum Beispiel Parfüm, andere Kosmetika oder Getränke. Das Ergebnis der Anhörung zeigt nochmals deutlich, dass die Maß- nahmen im Hinblick auf die tatsächliche Gefährdung und die Sinnhaftigkeit kaum einen Vorteil bringen. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, sich wie in der Vergangenheit so auch zukünftig gegenüber der EU-Kommission für Sicherheitsmaßnahmen gegen Ter- roranschläge in der Luftfahrt einzusetzen, die unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit tat- sächlich erfolgversprechend im Hinblick auf realisti- scherweise bestehende Gefahren sind. So ist es zum Bei- spiel in den letzten Jahren gelungen, eine 100-prozentige Gepäckkontrolle zu erreichen. Ebenso war es zielfüh- rend, auch wenn es die Mitarbeiter von Flughäfen und Airlines als belastend empfinden, die Kontrolle auf alle Personen auszudehnen, die den Sicherheitsbereich eines Flughafens betreten, weil hierdurch die Sicherheit objek- tiv erhöht werden konnte. Lassen Sie mich deshalb zum Schluss folgende Fest- stellung treffen und eine nachhaltige Bitte äußern: Bis- her haben alle Mitgliedstaaten – bis auf Deutschland – für eine Aufhebung der hier infrage stehenden EU-Ver- ordnung gestimmt. Mit Blick auf das Abstimmungsver- halten der anderen Mitgliedstaaten und die zeitgerechte Verabschiedung der neuen EU-LuftsicherheitsVO (EG) 300/2008 „im Paket“ bis April 2010 sollten die rechtli- chen Bestimmungen geändert werden. Ich bitte deshalb den Bundesinnenminister nachdrücklich, sich in der nächsten Ratssitzung ebenfalls dafür einzusetzen, dass der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. September 2007 gefolgt wird, damit eine deutliche Er- leichterung für Fluggäste bei der Mitnahme von Flüssig- keiten herbeigeführt werden kann. Gerold Reichenbach (SPD): Sie alle wissen, dass ich beim besten Willen kein Sicherheitsfanatiker bin, der dafür plädiert Freiheitsrechte immer auf Kosten einer – nennen wir es einmal – Sicherheitsillusion einzuschrän- ken. Wir Sozialdemokraten haben bei sicherheitspoliti- schen Vorhaben immer darauf geachtet, die Abwägung zwischen den verschiedenen betroffenen Grundrechten gewissenhaft vorzunehmen, bevor wir eines durch Ge- setz einschränken oder Gesetze mit entsprechenden Be- fugnissen schaffen. Wir als SPD sehen uns als Garant von Sicherheit und Freiheit in unserem Lande. Wir wer- den immer darauf achten, dass die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten wird. Natürlich mutet es schon seltsam an, wenn die unbe- darfte ältere Dame die Flasche guten Weines, die sie als Gastgeschenk im Handgepäck für den Besuch bei ihrem Enkel mitnehmen wollte, bei der Sicherheitskontrolle 20912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) am Flughafen abgeben muss. Und natürlich stellt sich auch die Frage: Genügen nicht auch die zugelassenen Kleinmengen, um in ausreichender Menge gefährliche Flüssigkeiten an Bord zu bringen? Wir müssen uns also immer die Frage stellen: Bringen denn die für die Passa- giere doch erheblichen Einschränkungen überhaupt mehr Sicherheit, oder sind sie überflüssig? Den durchaus berechtigten Forderungen nach mög- lichst bequemer und behinderungsfreier Abwicklung des Flugverkehrs steht angesichts der weiter bestehenden Bedrohung durch den Terrorismus die Notwendigkeit gegenüber, einen möglichst hohen Sicherheitsstandard bei der Fluggastkontrolle an unseren Flughäfen gewähr- leisten zu müssen. Ich möchte nur einmal daran erinnern, dass für die Sicherung der Atomkraftwerke vor Terror- anschlägen aus der Luft bislang die Kontrolle an den Flughäfen als einzig wirksame Maßnahme zur Verhinde- rung gilt. Darum haben wir unter Rot-Grün eine ganze Reihe von Regelungen getroffen, die Gefahren eindäm- men können, wie etwa im Luftsicherheitsgesetz, das in großen Teilen weiter Bestand hat. Nur die Regelungen zum Einsatz militärischer Mittel gegen als Terrormittel missbrauchte entführte Flugzeuge wurden vom Bundes- verfassungsgericht aufgehoben. Die zentrale Sicherung ist nach wie vor, zu verhin- dern, dass Mittel an Bord eines Flugzeuges gelangen können, die für die Vorbereitung und Durchführung ei- nes Terroranschlages genutzt werden können. Die Flug- infrastruktur ist ein treffliches Ziel für Terroristen; mit dem Absturz einer einzigen Maschine kann man mehrere Hundert Personen in den Tod reißen. Und genau deshalb überwiegt bei solchen Entscheidungen der Sicherheits- aspekt. Der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages – wie von der FDP oft genug zitiert – hat festgestellt, dass die Flüssigkeitsbegrenzung aufzuheben sei, wenn keine weiteren entscheidenden Tatsachen für deren Er- halt angeführt werden. Bislang gibt es aus den Reihen der polizeilichen Terrorbekämpfung keine eindeutige Entwarnung, was die Möglichkeit eines Terroranschla- ges mithilfe gefährlicher Flüssigkeiten betrifft, die mit dem Handgepäck in die Kabine gebracht wurden. So- lange aber Zweifel angebracht sind, können wir kein Ri- siko eingehen. Es ist etwas einfach, nach der Aufhebung einer Rege- lung zu rufen, weil es noch keinen Zwischenfall gab, dessen Verhinderung ja gerade der Sinn und Zweck der Regelung sein sollte. Der Hinweis, bislang seien noch keine gefährlichen Flüssigkeiten sichergestellt worden, geht ins Leere, weil dieser Umstand auch mit einer Prä- ventivwirkung der Kontrollen erklärbar ist. Dass aber Terroristen mit gefährlichen Flüssigkeiten seit einiger Zeit experimentieren und auch entsprechende Anleitun- gen in den Netzwerken zur Verfügung stehen, wissen wir nicht nur aus England, sondern auch aus dem Umfeld der sogenannten Sauerlandgruppe. Wie Sie wissen, meine Damen und Herren Kollegen von der FDP, gibt es aber bislang noch keine geeigneten Geräte zur Detektion gefährlicher Flüssigkeiten. Dies konnten Sie aus einer Antwort der Bundesregierung auf Ihre Kleine Anfrage hin entnehmen. Wegen des dadurch eben nicht auszuschließenden Risikos hat Deutschland auf europäischer Ebene Bedenken geltend gemacht und sich gegen die sofortige Aufhebung der Regelung ohne andere Sicherungsmöglichkeiten gewandt. Solange das Risiko von den Fachleuten nicht ausge- schlossen wird, will die Bundesregierung Alternativen, insbesondere technische Möglichkeiten, erforschen, be- vor die Regelungen angepasst werden. Wir sind als Bun- desrepublik in einer technischen Arbeitsgruppe im Auf- trag der Kommission zur Erarbeitung einheitlicher technischer Mindestanforderungen und abgestimmter Zertifizierungsverfahren mit mehreren Fachleuten ver- treten. Gerätehersteller, die mit der entsprechenden Ge- räteentwicklung betraut sind, werden zu einer Beschleu- nigung seitens der Bundesregierung veranlasst. Im Jahre 2009 sollen nach Auskünften des Verkehrsministeriums die ersten Geräte auf ihre Geeignetheit getestet und zerti- fiziert werden. Wir werden uns einer Aufhebung der bestehenden Regelungen zu Flüssigkeiten im Handgepäck nicht ver- schließen, wenn eine ordnungsgemäße Prüfung und Ab- wägung der Risiken und der Sicherungsalternativen er- gibt, dass sie nicht mehr sinnvoll sind oder der Zweck auch ohne Einschränkung der Passagiere erreicht werden kann. Der Vorwurf, den Sie erheben, die Bundesregie- rung stelle sich gegen alle und halte als einzige beim Thema Flüssigkeiten im Handgepäck an unnötigen Re- gelungen fest, ist deshalb auch nicht haltbar. Vielmehr ist offensichtlich, dass wir möglichst schnell, aber eben ohne Risikoerhöhung –, die Bequemlichkeit für die Flugpassagiere wieder verbessern und die Belastungen bei den Sicherheitskontrollen reduzieren wollen. Wir Sozialdemokraten haben uns schon immer gegen Symboldiskussionen gewandt, mit denen ein Mehr an Sicherheit lediglich vorgegaukelt wird – so wie bei der Diskussion um den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern. Viel wichtiger ist es, dass wir uns darum kümmern, die bestehenden Systeme zu verbessern und sie nicht noch zu schwächen. Darum möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen an- deren Punkt anzusprechen, der weitaus kritischer für eine effektive Sicherheitskontrolle an den Flughäfen ist: Der Umgang mit dem Sicherheitspersonal. Die Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter haben dort eine hochverant- wortliche Aufgabe, die sie unter hoher Konzentration und Stress erfüllen müssen. Dabei dürfen sie sich keine Fehler oder Nachlässigkeiten erlauben. Das geht nur mit gut ausgebildetem und motiviertem Personal. Dieses Personal und die dafür notwendige Kontinuität erhalte ich nicht, wenn ich diesen Bereich ständiger Lohnkon- kurrenz und ständigem Lohndruck aussetze. Darum ist es für meine Fraktion auch nicht nachvollziehbar, dass an einem der größten deutschen Flughäfen, in Frankfurt am Main, die Beschäftigten nicht in eine landeseigene Gesellschaft übernommen werden können, so wie es alle Fraktionen des Hessischen Landtages wollten und die Regierung Koch es den Beschäftigten noch zu Beginn des Jahres versprochen hat, sondern nun die Dienstleis- tung auf Betreiben des Innenministeriums ausgeschrie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20913 (A) (C) (B) (D) ben wird. Hier wird einseitig den Interessen der Airlines nach Kostenreduzierung nachgeben. Wir alle aber wissen, dass sich Lohndruck sowohl auf die Fluktuationsrate als auch auf die Motivation und die Qualität der Mitarbeiter negativ auswirkt. Sicherheit ist nicht zum Billigtarif zu leisten und kann nicht alleine unter Wirtschaftlichkeitsaspekten betrachtet werden. Dies gilt sowohl für die Effektivität der Kontrollen als auch für ihren Gegenstand. Ich halte nichts davon – so wie gefordert –, die Rege- lung jetzt auszusetzen im Vertrauen darauf, dass alsbald entsprechende Techniken zum Aufspüren gefährlicher Flüssigkeiten zur Verfügung stehen, zumal die Argu- mentation in sich widersprüchlich ist. Entweder das Ri- siko ist hinnehmbar – dann brauchen wir auch keine neuen Apparate zu entwickeln, die neue Technikkosten verursachen –, oder es ist nicht hinnehmbar – dann kann es auch nicht akzeptiert werden, nur weil entsprechende Techniken noch nicht zur Verfügung stehen. Deshalb halte ich den eingeschlagenen Weg auch für sinnvoll, die technische Entwicklung voranzutreiben, bis zum Jahre 2010 eine Überprüfung der Regelungen zu Flüssigkeiten im Handgepäck vorzunehmen und dann zu entscheiden. Darum ist der Antrag zum jetzigen Zeitpunkt abzuleh- nen. Gisela Piltz (FDP): Flugzeuge sind keine Chemiela- bors. Und nicht alles, was in Hollywood geht, klappt auch in der Wirklichkeit. Wir alle kennen das aus Actionfilmen: Der Schurke kippt einfach zwei kleine Behälter mit Flüssigkeit zusammen, und schon gibt es den großen Knall. Die Wirklichkeit – das haben Exper- ten mehrfach bestätigt – sieht anders aus. Unter Labor- bedingungen ist es natürlich möglich, hochexplosive und sehr gefährliche Flüssigsprengstoffe herzustellen. Aber Laborbedingungen heißt: ausreichend Zeit, gleichblei- bende Temperaturen, aufwendige Apparaturen. Das alles geht an Bord eines Flugzeugs nicht. Zugleich gibt es Wissenschaftler, die davor warnen, dass die geltenden Regelungen nur Scheinsicherheit ver- sprechen. Schon 50 Milliliter bestimmter Flüssigspreng- stoffe, die äußerlich die Konsistenz von Duschgel haben, können erheblichen Schaden anrichten. Diese werden durch die bestehenden Kontrollen gar nicht entdeckt. Kurz und gar nicht gut heißt das: Die Regelung ist un- geeignet auf der ganzen Linie. Größere Mengen an Flüs- sigkeit – wir müssen uns ja auch einmal vergegenwärti- gen, dass es hier nicht darum geht, dass die Reisenden Fässer mit in die Passagierkabine nehmen, sondern eine Literflasche – stellen keine größere Gefahr dar als die heutzutage erlaubten Mengen. Und wirklich gefährliche Stoffe werden so auch nicht herausgefiltert. Die Rege- lung, wonach Flüssigkeiten im Handgepäck nur noch in Behältern bis 100 Milliliter und in durchsichtigen Plas- tikbeuteln mit nicht mehr als einem Liter Fassungsver- mögen mitgeführt werden dürfen, ist daher völlig unver- hältnismäßig. Sie führt nicht zu mehr Sicherheit, aber sie schränkt Reisende stark ein. Das hat bereits im Septem- ber 2007 das Europaparlament festgestellt –, in einer Entschließung übrigens, die hier im Hause in den Aus- schüssen auch auf Zustimmung der Koalitionsfraktionen gestoßen ist. Es ist mir daher völlig unverständlich, warum Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von Union und SPD, unseren Antrag ablehnen. Sie weigern sich anzuer- kennen, was offensichtlich ist: Die Regelung bringt nichts für mehr Sicherheit. Warum Sie sich dagegen wehren, die Bundesregie- rung mit dem klaren Auftrag nach Brüssel zu schicken, diese unsinnige Regelung zu kippen und sich für verhält- nismäßige Flugsicherheitsbestimmungen einzusetzen, ist mit Logik nicht zu erklären. Ihre eigenen Vertreterinnen und Vertreter in Brüssel und Straßburg sehen das anders. Sie aber wollen die Reisenden auch weiterhin gängeln, und das, obwohl Sie anerkennen, dass die Entschließung des Europaparlaments zutreffend ist. Das ist nicht ver- mittelbar. Das ist politische Taktiererei, die Sie keinem Bürger erklären können. Allein die Mengen an Parfüm, Shampoos oder Ge- tränken, die seither an den Flughäfen vernichtet wurden, summieren sich zu erheblichen Größenordnungen – und erheblichen Werten, denn es handelt sich ja in der Regel nicht um (Leitungs-)Wasser, sondern auch um teure Wässerchen. Die Bundesregierung hat diese Probleme stets ausge- blendet. Trotz mehrfacher Nachfragen seitens der FDP- Fraktion hat sie hier die gebotene Evaluation unterlas- sen. Insofern ist es wenigstens erfreulich, dass die EU- Kommission nunmehr genauere Daten erheben will, wie sich die Regelungen auswirken, um die Beeinträchti- gung der Reisenden besser bewerten zu können. Es ist längst überfällig, diese Evaluation durchzuführen und dann auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, da- mit sich alle Bürgerinnen und Bürger ein Bild darüber machen können, warum sie so gegängelt werden. Ich nenne Ihnen einmal eine Zahl, die die Bundesre- gierung nicht zur Kenntnis nehmen will: 15 bis 18 Ton- nen Flüssigkeiten finden Sicherheitsbeamte allein am Düsseldorfer Flughafen im Monatsdurchschnitt. 15 bis 18 Tonnen pro Monat, die in den großen Tonnen an den Terminaleingängen verschwinden! 15 bis 18 Tonnen, das sind – damit Sie es sich bildlich vorstellen können – 1 500 bis 1 800 Kästen Mineralwasser. Und das ist nur der Flughafen Düsseldorf. Die strikten Regeln zum Mitführen von Flüssigkeiten im Handgepäck sollen nach Überlegungen der EU-Kom- mission 2010 auslaufen. Bis dahin sollen andere Mög- lichkeiten gefunden werden, um gefährliche Flüssigkei- ten aufzuspüren. Wenngleich dies erst einmal eine gute Nachricht ist, muss nach der aktuellen Diskussion in Deutschland und Europa befürchtet werden, dass wir vom Regen in die Traufe kommen. Die Diskussion über die sogenannten Nacktscanner zeigt, dass eine schlechte Regelung durch eine noch viel schlechtere ersetzt wer- den könnte. Die EU-Kommission will bis 2010 eine ge- naue Analyse betreiben, um Alternativen zu den Flug- sicherheitsregeln im Hinblick auf Flüssigkeiten zu finden. In einem Workshop hierzu wurden auch die so- genannten Nacktscanner beraten. Auch wenn diese in der aktuellen Verhandlungsrunde nicht berücksichtigt 20914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) werden sollen und die EU-Kommission von entspre- chenden Plänen erst einmal Abstand genommen hat, wie aus Brüssel zu hören war, sind sie noch lange nicht vom Tisch. So prescht nämlich die Bundesregierung mit diesem Thema nun doch voran. Zuerst hieß es ja im Tonfall in- brünstiger Ablehnung von Herrn Schäuble, man wolle diesen „Unfug“ nicht mitmachen. Doch nun hat die Bun- desregierung zugegeben: Die Nacktscanner sollen für den Praxiseinsatz getestet werden. Die Bundesregierung hat die Menschen in Deutschland getäuscht. Das muss man hier einmal ganz klipp und klar festhalten. Und wenn ich dann Sie, geschätzter Herr Kollege Wiefelspütz, in der Tagesschau sehe, wo Sie letzten Sonntag wiederum im Brustton der Überzeugung vorge- tragen haben, dass Nacktscanner mit der Menschen- würde unvereinbar sind, dann frage ich mich, ob Ihnen schon einmal aufgefallen ist, dass Ihre Fraktion in der Regierungskoalition ist. Aber das ist ja wohl die neue Taktik der SPD: sich aufspielen als zähnefletschender Tiger, der die Bürgerrechte verteidigt, und dann als Bett- vorleger landen, wenn Herr Schäuble böse guckt. Beim BKA-Gesetz haben Sie es ja gerade vorgemacht. Ich empfehle der Bundesregierung übrigens einmal einen Blick in die Unterlagen des Workshops zu Nackt- scannern, der am 6. November in Brüssel stattgefunden hat. Die Ergebnisse sind eindeutig: Nacktscanner, die die Menschenwürde durch Unkenntlichmachung zum Bei- spiel des Gesichts oder durch Überblendung des tatsäch- lichen Körperumrisses mittels Modellen wenigstens an- satzweise besser schützen sollen, taugen nichts. Daraus wird klar: Wer auf Nacktscanner setzt, ist auf dem Holz- weg. Daran werden auch Tests nichts ändern, zumal Sie doch niemandem vormachen können, dass die Bundes- polizei neuerdings Grundlagenforschung betreibt. Das sind Praxistests. Das ist die Vorbereitung zum tatsächli- chen Einsatz am lebenden Objekt, am Reisenden an deutschen Flughäfen. Sicherheit im Flugverkehr ist von größter Bedeutung. Aber Maßnahmen, die gegen Art. 1 unseres Grundgeset- zes, gegen die unantastbare Würde des Menschen ver- stoßen, können und dürfen dazu nicht zur Debatte ste- hen. Ich fordere die Bundesregierung auf, jegliche Tests an Nacktscannern umgehend einzustellen. Vielmehr muss verstärkt daran geforscht werden, gefährliche von nicht gefährlichen Flüssigkeiten unterscheiden zu kön- nen. Nicht Menschen müssen durch die Scanner ge- schleust werden, sondern die Flüssigkeiten, die analy- siert werden sollen. Das wäre eine sinnvolle, effektive und verhältnismäßige Maßnahme. Ich fordere die Bundesregierung an dieser Stelle nochmals nachdrücklich auf: Setzen Sie sich in Brüssel dafür ein, dass die Flugsicherheitsregelungen gründlich geprüft und unverhältnismäßige Regelungen wie die zu Flüssigkeiten im Handgepäck schnellstmöglich abge- schafft werden! Jan Korte (DIE LINKE): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union greift seit einigen Jahren Raum in den Debatten des Deutschen Bundestages – zu Recht; denn nicht nur im Kampf gegen den sogenannten internationalen Terroris- mus wird eine Vielzahl sicherheitspolitischer Maßnah- men auch durch die europäische Ebene beeinflusst. Hierzu gehören zwangsläufig auch die Sicherheit auf europäischen Flughäfen und Sicherheitsbestimmungen im internationalen Luftverkehr. Entsprechende Maßnah- men sollen den Bürgerinnen und Bürgern Schutz bieten, beispielsweise vor terroristischen Anschlägen. Vor diesem Hintergrund beschloss die Europäische Kommission eine Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 622/2003 zur Festle- gung von Maßnahmen für die Durchführung der gemein- samen grundlegenden Normen für die Luftsicherheit. Im Klartext geht es hierbei um das Mitführen von Flüssig- keiten in Flugzeugen. Hiernach dürfen Behältnisse, die mehr als 100 Milliliter Füllmenge haben, nicht mehr im Handgepäck mitgeführt werden. Was am Anfang eine durchaus vernünftige Überlegung war, entpuppte sich in der Praxis als vollkommen bürgerunfreundlich. Dies wird auch in dem von der FDP-Fraktion vorgelegte An- trag festgestellt. Dieser Feststellung möchte sich die Fraktion Die Linke anschließen. Viele Flugreisende haben es in den vergangenen Jahren miterleben müssen: Im Flughafen- shop gekaufte Geschenke für die Daheimgebliebenen mussten an den Kontrollpunkten zurückgelassen wer- den, ebenso wie Parfümflakons, Kosmetika und Ähnli- ches. Dieser Umstand hat nicht nur Bürgerinnen und Bürger verärgert. Auch der Nutzen und die Verhältnis- mäßigkeit dieser Maßnahme sind fraglich. Auch, so wurde in einer Sachverständigenanhörung im Europäi- schen Parlament deutlich, ist der Gewinn an Sicherheit durch diese Verordnung nur schwer nachweisbar, unter anderem auch deshalb, weil die hierfür notwendigen Kontrollen an Flughäfen innerhalb der EU Lücken auf- wiesen. Bei verschiedenen Stichproben der Kontrollen an deutschen Flughäfen wurde deutlich, dass durch die zu- nehmende Privatisierung der Gepäckkontrollen und durch den damit verbundenen Lohn-, Zeit- und Abferti- gungsdruck massive Sicherheitslücken entstehen. Die Linke forderte vor diesem Hintergrund in einem Antrag die Re-Verstaatlichung der Gepäckkontrollen an Flughä- fen bzw. die Einführung eines Mindestlohns für Be- schäftigte in diesem Sicherheitssegment und deren bes- sere Ausbildung. Zusätzlich werden die erheblichen Mehrkosten zur Kontrolle von im Handgepäck mitge- führten Flüssigkeiten nun durch die damit beauftragten Unternehmen an die Beschäftigten weitergegeben. Die- ser Zustand ist unzumutbar und sicherheitspolitisch äu- ßerst bedenklich. Bereits am 5. September 2007 hat das Europäische Parlament die EU-Kommission aufgefordert, die ent- sprechende Verordnung einer Prüfung zu unterziehen und gegebenenfalls außer Kraft zu setzen. Dieses Ansin- nen teilt die Fraktion Die Linke. Wir sind darüber hi- naus, wie auch die FDP-Fraktion, der Meinung, dass mit der angesprochenen Maßnahme der Grundsatz der Ver- hältnismäßigkeit nicht gegeben ist. Vor diesem Hinter- grund teilt meine Fraktion das Ansinnen der Liberalen, die Verordnung (EG) 1546/2006 aufzuheben oder zu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20915 (A) (C) (B) (D) mindest einen Lastenausgleich für die entstehenden Kos- ten einzuführen. Die Sicherheit der Flugreisenden kann nicht auf Kosten der Beschäftigten und der Flugreisen selbst gewährleistet werden. Eine Evaluierung der Kommissionsverordnung wäre aus unserer Sicht jedoch nur ein erster Schritt. Zahlrei- che sicherheitspolitische Maßnahmen der vergangenen Jahre – auch auf europäischer Ebene – sollten dringend evaluiert und nach ihrem Nutzen und dem Prinzip der Wahrung der Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Hierunter ließe sich beispielsweise die Einführung bio- metrischer Merkmale in Reisepässen und Personalaus- weisen subsumieren oder das umstrittene Fluggastdaten- abkommen mit den USA. Wir fordern in Deutschland und in der Europäischen Union einen breiten und inten- siven Diskurs über die europäische Sicherheitsarchitek- tur. Die verloren gegangene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss dabei im Mittelpunkt der Auseinan- dersetzungen stehen. Sicherheit gewinnt man nicht da- durch, dass man Freiheiten abbaut. Deshalb stimmt die Fraktion Die Linke auch dem heute vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion zu. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit seiner Einführung wird das Verbot, Flüssigkeiten mit an Bord eines Flugzeugs zu nehmen, heftigst kriti- siert. Und das völlig zu Recht. Das sei hier gleich zu An- fang gesagt. Eingeführt wurden die Regeln, nachdem in London Terroristen festgenommen worden waren, die mehrere Flugzeuge sprengen wollten. Dazu wollten sie – so nahm man das an – aus Flüssigkeiten selbst gemischten Sprengstoff verwenden. Die Zutaten für diesen Spreng- stoff hatten sie wohl, getarnt als Getränke und anderes, an Bord geschmuggelt. Natürlich herrschte – und das ist auch ganz richtig so – direkt nach den Festnahmen aller- seits höchste Besorgnis, und die Sicherheitsmaßnahmen wurden drastisch verschärft. Unter anderem wurde auch die Mitnahme von Flüssigkeiten an Bord untersagt. Schon kurz danach kamen aber die Zweifel. Erstens war die Gruppe wohl doch nicht so kurz vor der Durch- führung des geplanten Massenmordes, wie man erst meinte und sagte. Zweitens bezweifelten viele Experten, dass man aus verschiedenen Flüssigkeiten eine Bombe hätte an Bord zusammenbrauen können, schon gar nicht ohne sofort dabei aufzufallen. „Zahnpasta zu Brandbom- ben“ ist wohl doch nicht so einfach. Im ersten Moment war es völlig richtig, zu sagen: Es gab den Anschlagsplan, es gibt eine neue, noch nicht ganz geklärte Form des Attentats; jetzt müssen wir erst einmal ganz sicher gehen. Das zu sagen war richtig. Auch nachdem klar war, dass es mit dem Mischen von Sprengstoffen wohl doch nicht so einfach ist, ist die EU ist dabei geblieben und hat massive Beschränkungen bei der Flüssigkeitsmitnahme eingeführt. Wie genau die aus- sehen, ist nicht so recht festzustellen. Zwar ist die ent- sprechende Verordnung öffentlich einsehbar. Aber der Anhang eben nicht. In dem erst steht, was genau verbo- ten ist. Transparent ist das nicht. Und erklären, warum das geheim sein muss, kann auch keiner so recht. Was wäre denn dabei zu sagen, man kann aus ver- schiedenen Flüssigkeiten einen Sprengstoff mischen, da- für braucht man aber mindestens mittlere Mengen, also ist die Mitnahme von soundso viel Millilitern erlaubt, mehr geht leider nicht? Und damit das analysiert werden kann, müssen sie separat vom Handgepäck getragen werden. Stattdessen weiß man nur, dass irgendeine Ge- fahr von Flüssigkeiten ausgeht und deshalb irgendwie ihre Mitnahme reglementiert ist. Denn was genau geht und was nicht, das wird doch an jedem Flughafen anders gehandhabt. Mal wird ganz streng geprüft, mal genauer hingesehen und manches erlaubt. Im Zweifel aber heißt es: Ab auf den Müllhaufen! Wer fliegt, muss schon mal einplanen, am Zielort neues Shampoo zu kaufen, ein neues Feuerzeug und neue Zahnpasta. Und Wein bringt man als Gastgeschenk besser auch nicht mit, denn auch der landet in der Tonne. Viel Logik ist auch nicht im Spiel, und das macht es besonders ärgerlich. Eine fast leere 200-Milliliter-Fla- sche geht nicht; denn das sind per Definition mehr als 100 Milliliter. Fliegt man von Tegel nach London ab, heißt es: Zwei Feuerzeuge sind okay. Auf dem Rückweg ist die Ansage: Feuerzeuge gehen gar nicht. Was flüssig ist, muss in einen wiederverschließbaren Plastikbeutel. Warum? Man sieht Flüssigkeitsbehälter doch auch beim Scannen des Handgepäcks. Manche Flughäfen bestehen sogar auf der Wiederverschließbarkeit, als wäre es nicht Sache der Fluggäste, ob sie ihren Beutel von Hand zu- halten wollen. Oder entsteht die Sicherheit durch den Reißverschluss? So absurd sind diese Regelungen leider. Änderung, gleichmäßige Handhabung, Überprüfung, alles nicht wirklich in Sicht, und das, obwohl die EU-Verordnung genau das vorsieht. Aber Schäubles Motto „Im Zweifel für das Verbot“ hat wohl auch in Brüssel seine Anhän- ger. Für mich ist klar: Ohne eine nachvollziehbare Erklä- rung und ohne einheitliche Handhabung gehören diese Regelungen dahin, wo Tausende von Shampoos, Dusch- gels und Getränken an europäischen Terminals schon ge- sammelt werden: in die Tonne. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Europäi- sche Nachbarschaftspolitik zur Förderung von Frieden und Stabilität im Südkaukasus nutzen – Beschlussempfehlung und Bericht: Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Michael Link (Heilbronn) (FDP): Als wir diesen An- trag in den Deutschen Bundestag einbrachten, war noch nicht abzusehen, welche dramatische Entwicklung – mit ausgeprägten weltpolitischen Konsequenzen – der Süd- 20916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) kaukasus nehmen würde. Die Realität lieferte einen trau- rigen Beleg, weshalb die ursprüngliche Intention, diese Region verstärkt in den Fokus der öffentlichen Wahrneh- mung zu rücken, absolut legitim war. Ich denke, ich kann für alle in diesem Hause sprechen, wenn ich sage, dass wir auf diese Entwicklung sehr gerne verzichtet hätte. Erlauben Sie mir hierzu noch eine rückblickende Bemerkung. Es war zu Anfang dieses Jahres wirklich nicht abzu- sehen, dass einer der Frozen Conflicts so schnell heiß werden könnte. Bei all dem Lob, mit dem das Krisenma- nagement der EU im Allgemeinen und die französische Ratspräsidentschaft im Speziellen überhäuft wurde, müssen wir uns bewusst machen, dass der Fünftagekrieg in Georgien eine manifeste Krise des Systems kooperati- ver Sicherheit in Europa widerspiegelt. Noch immer. Und es wird wahrscheinlich noch einige Zeit benötigen, bis diese Situation überwunden sein wird. Selbstverständlich sind einige positive Punkte des Krisenmanagements zu vermerken. Zuallererst ist zu er- wähnen: Die EU hat sich durch ihre Vermittlung als „Mitspieler“ im Georgien-Konflikt etabliert. Festzustel- len ist aber auch, dass gerade zu Beginn des Krieges wertvolle Zeit verloren ging. Daher muss ein Fazit dieser Krise für uns in der EU sein: Wir brauchen ein konsis- tentes, effizientes und schnelleres Handeln in der Ge- meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP. Es zeigte sich auch, dass in dieser Situation viele der neuen Mitgliedstaaten sich nicht ernst genommen fühlen. Um das Ziel einer möglichst erfolgreichen GASP aber nicht aus den Augen zu verlieren, darf das nicht sein. Gerade Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich müssen daher einen substanziellen Beitrag für das Funktionieren der GASP liefern. Das wird gerade im Hinblick auf die Anstrengungen zur Lösung der vielfältigen Probleme der kaukasischen Region von fundamentaler Bedeutung sein. Denn das Ziel aus unserer Perspektive muss es sein, den Südkaukasus enger an die EU zu binden. Das liegt nicht nur an der immer wichtiger werdenden energie- politischen Bedeutung für Europa. Der Südkaukasus ist ein integraler Baustein in der Strategie, unsere Energielie- feranten zu diversifizieren, aber auch gleichzeitig Bezugs- quelle und Transportweg für Energie. Deshalb begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich die Initiative der Union hinsichtlich der „Östlichen Partnerschaft“. Selbstverständlich muss eine engere Anbindung aber weiterhin an klare Bedingungen geknüpft werden, und ich komme damit zu der noch viel wichtigeren Dimen- sion des Südkaukasus, der politischen. Den Regierungen Georgiens, Armeniens und Aser- baidschans muss stets klargemacht werden, das Demo- kratiedefizite die politische Stabilität unterminieren. Hier haben die regierenden Herren noch einen weiten Weg vor sich. Die demokratische Entwicklung, die lang- fristige Umsetzung von rechtsstaatlichen Reformen sind grundlegende Voraussetzung für eine nähere Anbindung an die EU. Ohne Erfüllung dieser Bedingungen wird die Stabilität des Südkaukasus weiterhin bestenfalls fragil bleiben. Hinsichtlich eines möglichen NATO-Beitritts Georgiens unterstützt die FDP deshalb ausdrücklich die Position der Bundesregierung. Stabilität und Sicherheit im Kaukasus ist ohne einer konstruktive Mitarbeit Russlands jedoch nicht zu reali- sieren. Daher sollte die eskalierende Rhetorik auf beiden Seiten der Vergangenheit angehören. Aber Russland muss den Verpflichtungen, die sich aus dem Sechspunk- teplan ergeben ebenso bedingungslos nachkommen und erfüllen. Dies schließt die Achtung der territorialen Inte- grität Georgiens explizit ein. Und es schließt ganz gene- rell ein, dass Russland endlich nicht nur de iure, sondern de facto akzeptieren muss, dass es sich bei allen allgemein völkerrechtlich anerkannten Staaten auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR um rechtlich und tat- sächlich selbstständige Staaten handelt, deren Stabilität Moskau nicht länger untergraben darf. Das umfasst die Frozen Conflicts ebenso wie die Krim als Teil der Ukraine und die Baltischen Staaten. Es war ein grober Fehler Russlands, Südossetien und Abchasien anzuer- kennen. Dieser Fehler sollte unverzüglich korrigiert wer- den, damit der multilaterale europäische Sicherheitsdia- log substanziell wiederbelebt werden kann. Als geeignetes zwischenstaatliches Forum kann sich dafür durchaus die OSZE erweisen, da alle beteiligten Akteure in dieser Institution gleichberechtigt integriert sind. Auf der Ebene der nichtstaatlichen Akteure halten wir die Aktivitäten der deutschen Politischen Stiftungen beim Südkaukasus, namentlich der Friedrich-Naumann- Stiftung, für unverzichtbar. Denn die Stiftungen können Dialog zwischen Akteuren vermitteln, die auf staatlicher Ebene gegenwärtig nicht gesprächsfähig sind. Russland sollte seitens der EU immer wieder deutlich gemacht werden, dass wir von Moskau konstruktiven Dialog und Kooperation erwarten. Wie sehr Russland hierauf angewiesen ist, zeigt sich auch und gerade in der internationalen Finanzkrise. Doch Dialog und Koopera- tion funktionieren nur zu klipp und klaren Bedingungen. Dazu gehört Russlands Bereitschaft zu konstruktivem Mittun im Südkaukasus – und kein russischer Rückfall ins klassische Great Game im Geiste des frühen 20. Jahr- hunderts. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Zulas- sung von gentechnisch veränderten Organis- men – Verflechtung zwischen den Behörden und der Agro-Gentechnik-Industrie been- den und wissenschaftliche Grundlagen ver- bessern – Beschlussempfehlung und Bericht: Gentech- nikfreie Regionen stärken – Bundesregie- rung soll Forderungen aus Bayern aufneh- men und weiterentwickeln (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Die vorliegenden An- träge wurden im Plenum bereits am 30. Mai und am 25. September dieses Jahres ausführlich behandelt. An den Fakten hat sich seitdem nichts geändert. Dennoch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20917 (A) (C) (B) (D) werde ich die Gelegenheit nutzen, grundlegende Aussa- gen zu wiederholen. Die von Bündnis 90/Die Grünen angeführte Studie als Beleg für angebliche Verflechtungen ist eine Auftragsar- beit von Frau Höfken an den ehemaligen Greenpeace- Mitarbeiter Christoph Then, inhaltlich falsch und ge- spickt mit längst widerlegten, falschen Behauptungen. Zum Thema Verflechtungen. Der Bericht von Herrn Then wurde von den Greenpeace-Anwälten in ihrer Kla- geschrift gegen MON 810 als Beweismittel aufgeführt, lange bevor er überhaupt veröffentlicht wurde. In dem Antrag behaupten Sie, GVO, die ins Freiland ausge- bracht werden, können sich weiter vermehren oder aus- kreuzen. Dies ist schon Gegenstand der jeweiligen Zulassungsprüfung bei jedem einzelnen GVO. In Deutschland wird nur MON-810-Mais kommerziell an- gebaut, welcher in unserer freien Natur überhaupt keinen Kreuzungspartner hat. Er kann sich gar nicht auskreu- zen. – Im nächsten Satz behaupten Sie, GVO würden so- genannte „Kontaminationen“ verursachen, die zu Schä- den an Umwelt, Tieren oder menschlicher Gesundheit führen. Bis heute – und auch das ist Ihnen bestens be- kannt – gibt es keine einzige wissenschaftliche Studie, die irgendeine negative Auswirkung auf Mensch, Tier oder Umwelt nachgewiesen hätte. – Und so ließe sich Ihr Antrag Satz für Satz widerlegen. Die Zusammenarbeit mit forschender Industrie ist im- mer wieder Gegenstand von Kritik im Sinne von uner- laubter Einflussnahme. Dazu ist festzustellen, dass der überwiegende Teil innovativer Forschungsergebnisse generell aus dem Bereich der industriellen Forschung kommt. Forschende Firmen investieren erhebliche Mit- tel aus ihren Gewinnen für zukunftsweisende Innovatio- nen. Dies ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ausdrück- lich zu begrüßen. Es ist sinnvoll und notwendig, einen wissenschaftlichen Dialog zwischen staatlichen Stellen, Universitäten und industriellen Forschungseinrichtungen zu führen. Hierdurch ergeben sich auch Synergieeffekte. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass dabei Neutralität und Objektivität voll gewahrt bleiben müssen. Aus- drücklich sei festgestellt, dass wir keinerlei Verflechtun- gen wollen. Aber Unterstellungen von Verflechtungen, die in keiner Weise bewiesen sind, weisen wir in aller Entschiedenheit als unredlich zurück. Neue, zukunftsweisende Innovationen müssen sach- gerecht und kompetent beurteilt werden. Dafür muss eine unabhängige Risikoabwägung und -bewertung auf allen Stufen durch die zuständigen wissenschaftlichen Institute vorgenommen werden. Äußerst bedenklich, ja ein Alarmzeichen ist es, wenn wissenschaftliche Insti- tute laufende, bereits genehmigte Versuche ihrer For- scher wegen öffentlichen Drucks einstellen. Derartige Einschränkungen der wissenschaftlichen Freiheit sind nicht hinnehmbar und für den Wissenschaftsstandort Deutschland extrem schädlich. Ich halte fest: Die Nut- zung aller wissenschaftlichen Ressourcen ist die Grund- lage für den hohen wissenschaftlichen und technologi- schen Standard in unserem Land. Mit dem zweiten heute zu behandelnden Antrag wurde wenige Tage vor der bayerischen Landtagswahl schon einmal Stimmung gegen die CSU gemacht. Ich sage aber ganz deutlich: Die Ablehnung der Grünen Gentechnik durch Teile der Bevölkerung wird von uns nicht ignoriert. Wenn Landwirte auf den Anbau von GVO verzichten möchten, ist das zu respektieren, ebenso die Wahlfreiheit für den Verbraucher. Auf einem anderen Blatt steht aber die Frage der gentechnikfreien Regionen. Zunächst ist natürlich zu klären, ob eine Schaffung solcher Regionen rechtlich überhaupt mög- lich ist. Die Prüfung auf nationaler und europäischer Ebene ist von uns längst gefordert. Ich schlage vor, die Ergebnisse abzuwarten, die hoffentlich bald verfügbar sind. Wir nehmen die Sorgen der Menschen wegen der Gentechnik sehr ernst. Deshalb gilt es, die Menschen über neue Technologien objektiv und sachgerecht zu in- formieren und Ihnen die wissenschaftlichen Erkennt- nisse zugänglich zu machen. Noch einmal: Die Sicher- heit von Mensch, Tier und Umwelt ist das oberste Gebot. Aus diesem Grund ist auch eine unabhängige staatliche Sicherheitsforschung so wichtig. Diese müssen wir wei- ter intensivieren. Wir dürfen uns bei diesen wichtigen Fragen nicht vom Wissensstand anderer abhängig ma- chen. Aber es gibt keinerlei Anzeichen für irgendeine Gefährdung oder Folgewirkung aus dem Anbau oder der Verwertung zugelassener gentechnisch veränderter Pflanzen. Es sind derzeit die am besten erforschten Pflanzen überhaupt. Wir können moderne Technologien mit großem Fort- schrittspotenzial doch nicht verurteilen, bevor wir nicht Chancen und Risiken sauber abgewogen haben. Bei der Roten Biotechnologie ist dies vor Jahren geschehen – und heute nutzen wir diese Technologie mit großer Selbstverständlichkeit, täglich, praktisch jeder von uns. Medikamente, Vitaminpräparate etc. – der überwiegende Teil dieser pharmazeutischen Produkte wird mithilfe der Gentechnik erzeugt. Aber führend ist Deutschland hier schon lange nicht mehr. Wenn wir bei der Grünen Gentechnik die gleichen Fehler machen, weiter so verfahren wie bisher, werden wir auch auf diesem Sektor für Jahre den Anschluss ver- lieren. Beide Anträge lehnen wir deshalb ab. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Die beiden Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beziehen sich auf die heute und morgen in Brüssel stattfindende Debatte über Verbesserungen bei Zulassungen und Anbau gen- technisch veränderter Pflanzen. Auch wenn wir insge- samt die Anträge nicht unterstützen können, zum Bei- spiel weil wir eine Einstellung der Förderung für Grundlagenforschung mit GVO-Pflanzen ablehnen: Ei- nige der Forderungen decken sich mit denen, die auch wir als SPD an die Überarbeitung des EU-Gentechnik- rechts stellen. Und nicht allein von uns, auch von der CSU sind sie erhoben worden. Wir hatten deshalb bereits im Juni unseren Antragsentwurf „Für eine nachhaltige Weiterentwicklung des europäischen Gentechnikrechts“ vorgelegt, mit dem wir erreichen wollten, dass die Bun- desregierung sich auf EU-Ebene für die Verbindlichkeit für gentechnikfreie Regionen und die Möglichkeit ein- 20918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) setzt, dass Länder und Regionen künftig selbst über den gewerblichen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen oder die Forschung entscheiden können. Der Einsatz für die gentechnikfreien Regionen war eines der Themen, mit denen die CSU ihren Landtagswahlkampf bestritten hatte. Weitere Forderungen der CSU, die wir in unseren Antragsentwurf aufgenommen haben, waren zum Beispiel: mehr Transparenz und Demokratie bei den Zulassungsentscheidungen und eine stärkere Be- rücksichtigung auch von kritischen Stellungnahmen so- wie die Berücksichtigung sozioökonomischer Auswir- kungen. Hierzu nenne ich ein Beispiel, nämlich die Studie des Freistaates Sachsen – Sächsische Landesan- stalt für Landwirtschaft – zu Konsequenzen des Anbaus von GVO in Sachsen. Dort wurde in den Jahren 2006 und 2007 ein Maiszünslermonitoring durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass der GVO-Maisanbau – mit Mais- zünslerresistenz – nicht wirtschaftlich war. Der Mehr- aufwand von 60 Euro pro Hektar für den GVO-Mais sei erst dann ökonomisch lohnend, wenn zum Beispiel bei Silomais ein Mehrertrag eintritt. Es habe sich aber kein linearer Zusammenhang zwischen Maiszünslerbefall und Ertragsminderung ergeben. Eine ökonomische Be- wertung würde in diesem Fall also den fehlenden Nutzen des Bt-Maises offenbaren. Auch deshalb müssen nach unserer Ansicht im Rahmen des Zulassungsverfahrens wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgekosten in die Bewertung einfließen. Wir haben in unserem Antragsentwurf ein Anbauver- bot für nicht koexistenzfähige Pflanzen wie Raps gefor- dert und die Kennzeichnung von GVO-haltigem Saatgut ab der Nachweisgrenze von 0,1 Prozent. Auch dies wa- ren im Landtagswahlkampf in Bayern Forderungen der CSU. Wir haben unseren Antrag nicht einbringen kön- nen; denn CDU und CSU haben die Verhandlungen über unseren Entwurf verweigert. Sie werden verstehen, dass uns dies empört hat: In Bayern mit solchen Forderungen Landtagswahlkampf zu machen und sich in Berlin zu weigern, gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD da- für einzutreten, das ist ein Vorgehen, welches das Anse- hen der Politik und der Politiker schädigt, unser aller Glaubwürdigkeit untergräbt und bei den Menschen zu Verdruss und Frust führt. Vielleicht werden wir ja in den nächsten Stunden bei den Verhandlungen in Brüssel er- kennen können, dass Deutschland sich dennoch für ei- nige dieser Forderungen einsetzt. Wir jedenfalls werden nicht lockerlassen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Grüne Gentechnik ist weltweit eine Erfolgsgeschichte. Mit ihr ist es in einigen großen Schwellenländern gelungen, die Armut in den ländlichen Regionen deutlich zu mindern, die Ernährung für die Bevölkerung zu sichern. Zehn Jahre nach dem Welternährungsgipfel 1996 in Rom ha- ben Länder in Südamerika und Asien große Fortschritte in der Sicherung der Ernährung ihrer Bevölkerung erzie- len können. Das sind in der Mehrzahl Länder, die auch auf den Anbau von gentechnisch verbesserten Pflanzen wie Soja, Mais und Baumwolle gesetzt haben. Die Ernährungssituation in Zentral- und Ostafrika hat sich dagegen verschlechtert; dort lebt jetzt die Hälfte der hungernden Menschen. Folgerichtig hat der Chef der Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung, UNCCD, Luc Gnacadja, in der Okto- bersitzung des Agrarausschusses mehr Forschung, eine Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion und die Ent- wicklung gentechnisch veränderter Pflanzen für von Wüstenbildung bedrohte Regionen gefordert. Entwick- lungsländer fordern eine zweite grüne Revolution. In Deutschland hat die Grüne Gentechnik Akzeptanz- probleme. Politiker wie der jetzige bayerische Minister- präsident, der abfällig das Amt des Agrarministers als Bananenminister bezeichnet hat, haben ihren Anteil da- ran. Eine solche Politik ist kurzsichtig; denn diese Züch- tungsmethode wird sich auch bei uns durchsetzen, so wie sich die Weiße und die Rote Gentechnik bei uns durchgesetzt haben – entgegen der Meinung der Skepti- ker. Sie ist gegenüber den ärmsten Menschen in Ent- wicklungsländern, die unsere Hilfe brauchen, unverant- wortlich. Die beste Hilfe ist die, die dazu beiträgt, dass die Menschen von weiteren Hilfsmaßnahmen unabhän- gig werden. Dazu gehören Unterstützung bei der agrari- schen Entwicklung durch Verbesserung der Ausbildung der Menschen, Weiterentwicklung der Agrartechnik und auch die Züchtung gentechnisch verbesserter Sorten, wie dies vom UNCCD-Chef gefordert wird. Die Einführung des Anbaus von Bt-Baumwolle in In- dien hat innerhalb von sechs Jahren zu einer 80-prozenti- gen Steigerung der Erträge geführt, zu einer Steigerung der Einkommen um 50 Prozent, zu einer Minderung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 40 Prozent. Die von verschiedenen Organisationen erhobenen Vorwürfe, die Rate der Selbsttötungen unter indischen Bauern sei an- gestiegen, wurde widerlegt. Dies zeigt eine kürzlich ver- öffentlichte Studie des International Food Policy Re- search Institute, IFPRI. Es wird deutlich, dass die Vorwürfe aus der Luft gegriffen waren. Sie hatten allein das Ziel, Argumente gegen die Grüne Gentechnik zu su- chen, den Mitleidseffekt der Menschen für eine ideolo- gisch begründete Position zur Grünen Gentechnik zu nutzen. Das Leben der Bauern war für diese Menschen nicht von Interesse; das ist beschämend. Angesichts der Erfolge der Grünen Gentechnik setzt Bündnis 90/Die Grünen alles daran, das Vertrauen in die Wissenschaftler, die solche Pflanzen züchten, die die Zu- lassungen bearbeiten, zu schwächen, Misstrauen zu säen. Dieses pauschale Misstrauen ist nicht gerechtfer- tigt. Wir als FDP wollen Transparenz und die Offenlegung von Interessenskonflikten, aber keine pauschalen Diffa- mierungen. Die Grünen sind offensichtlich nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Züchtungsmethode sich weltweit durchsetzt, die Erfahrung sowie die zahl- reichen Arbeiten seriöser Wissenschaftler, zum Beispiel veröffentlicht auf www.biosicherheit.de, zeigen, dass diese Sorten Vorteile haben und sicher sind. Wir als FDP wollen, dass die Entscheidung über die Zulassung neuer Sorten, gentechnisch oder herkömmlich gezüchtet, allein auf wissenschaftlicher Basis erfolgt. Nur so wird die Na- tur geschützt, werden die Rechte der Verbraucherinnen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20919 (A) (C) (B) (D) und Verbraucher auf sichere Lebensmittel gewahrt, ha- ben die Züchter Rechtssicherheit. Jeder würde es als Ungeheuerlichkeit empfinden, wenn einem Autobauer, der ein den rechtlichen Vorschriften entsprechendes Fahrzeug produziert, die Zulassung einfach mal so verweigert würde. Dies wäre Willkür. Was bei Autos Willkür ist, ist auch bei Pflan- zensorten Willkür. Wir wollen das nicht. Der vor kurzem von österreichischen Wissenschaft- lern vorgelegte Mehrgenerationen-Mäuseversuch ist nicht geeignet, die Sicherheit zugelassener gentechnisch veränderter Sorten in Zweifel zu ziehen. Die zehnfach höhere Belastung des GVO-Futters mit Schimmelpilzen, die zu einer fünffach erhöhten Belastung mit Pilzgiften führte, zusammen mit der sechsfach erhöhten mikrobiel- len Belastung gegenüber dem nichttransgenen Futter wirft die Frage auf, worauf die im Fütterungsversuch ge- zeigten Unterschiede zurückzuführen sind. Das gefun- dene Pilzgift Deoxynivalenol verursacht bei Nutztieren eine Wachstumsverzögerung und schwächt das Immun- system. Es ist ungeklärt, warum trotz dieser Unter- schiede des Futters der Versuch durchgeführt wurde. Die von Bündnis 90/Die Grünen geforderte Über- nahme einer bayerischen Initiative zur hoheitlichen Aus- weisung von sogenannten gentechnikfreien Zonen lehnt die FDP-Bundestagsfraktion ebenfalls ab. Der Europäi- sche Gerichtshof ist in Europa für die bindende Ausle- gung europäischen Rechts zuständig. Er hat sehr eindeu- tig und inhaltlich nachvollziehbar entschieden, dass die hoheitliche Ausweisung von sogenannten gentechnik- freien Regionen nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Die Diskussion um die hoheitliche Ausweisung von soge- nannten gentechnikfreien Regionen ist ein Kampfinstru- ment gegen die Grüne Gentechnik, mehr nicht. In Schleswig-Holstein haben die Grünen innerhalb eines Jahres kaum über 10 000 Stimmen für ein „gentechnik- freies Schleswig-Holstein“ sammeln können – bei einer Bevölkerung von 2,8 Millionen Menschen. Das Thema war bei uns erkennbar kein Renner. Mit der hoheitlichen Ausweisung von sogenannten gentechnikfreien Regionen würde den Landwirten die Freiheit genommen, zu entscheiden, welche der in Europa zugelassenen Sorten sie auf ihrem Land anbauen dürfen. Das ist Bevormundung. Der freiwillige Zusam- menschluss von Landwirten, auf den Anbau gentech- nisch verbesserter Sorten verzichten zu wollen, ist eine gesetzlich gegebene Möglichkeit, die wir unterstützen. Die Entscheidungsfreiheit jedes Landwirts bleibt erhal- ten. Wir brauchen in Deutschland mehr Freiheit und mehr Fachlichkeit bei Entscheidungen statt Bevormun- dung und politische Willkür. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Agrogen- technik polarisiert. Dass gentechnisch veränderte Pflan- zen ungeklärte Risiken bergen, ist kaum ernsthaft zu be- streiten. Koexistenz, also das Nebeneinander von gentechnikfreien und gentechnisch veränderten Pflan- zen, ist auf Dauer unmöglich. Das besorgt viele Bürge- rinnen und Bürger und muss ernst genommen werden. Eine Möglichkeit, sich dieser Sorge entgegenzustem- men, sind die vielen aktiven Bewegungen vor Ort. Es gibt Widerstand nicht nur aus gentechnikfreien Kommu- nen oder Kirchen, sondern auch durch die gentechnik- freien Regionen. Das Netzwerk der Gentechnikfrei-Be- wegung wird immer stärker und breiter: Bäuerinnen und Bauern, Imkereien, Ärztinnen und Ärzte, Vertreterinnen und Vertreter des Lebens- und Futtermittelhandels, von Saatgut- und Verarbeitungsunternehmen, von Biover- bänden, Bildungs- und Kultureinrichtungen, von Me- dien, Politik, Verwaltung, Natur- und Umweltschutz, Or- ganisationen aus der Entwicklungszusammenarbeit und Kirchen. Sie alle arbeiten zusammen, um den unschätz- baren Wert der gentechnikfreien Landwirtschaft zu er- halten und die Verunreinigungsgefahr, die von der Gen- technikindustrie zumindest in Kauf genommen wird, zu unterbinden. Die öffentlichkeitswirksamen Erfolge der ersten bei- den gentechnikfreien Regionen Warbel-Recknitz in Mecklenburg-Vorpommern und Uckermark-Barnim in Brandenburg waren Anfang 2004 die Initialzündung. Viele Initiativen wurden anschließend aktiv und gründe- ten gentechnikfreie Regionen. Deutschlandweit gibt es nun 105 gentechnikfreie Regionen. Dort engagieren sich über 22 000 Landwirtinnen und Landwirte. Das sind über 770 000 Hektar gentechnikfreie landwirtschaftliche Nutzfläche. Hört sich ziemlich stark an. Erst recht ver- glichen mit den lediglich 3 200 Hektar, die in diesem Jahr mit der gentechnisch veränderten Maislinie MON 810 bestellt worden sind. Tausende Aktive stehen sogar we- niger werdenden Landwirtschaftsbetrieben gegenüber. Doch der Schein trügt. Wie so oft hängt die Aktivität jeder gentechnikfreien Region vom Engagement Weniger ab. Bei uns in Bran- denburg ist die gentechnikfreie Region Teltow-Fläming so ein positives Beispiel. Doch auch hier sind der Motor ein einziger Bauer und seine Frau. Die Linke fordert bereits seit langem, dass die vielen gentechnikfreien Re- gionen unterstützt werden, weil sie im Interesse der übergroßen gentechnikskeptischen oder -ablehnenden Mehrheit handeln. Wenn wir wollen, dass sich Regionen selbstbestimmt und selbstermächtigt entscheiden kön- nen, brauchen sie einerseits einen klaren rechtlichen Sta- tus und andererseits eine finanzielle bzw. strukturelle Unterstützung. Nur wenn die Koordination mehrerer gentechnikfreier Regionen zum Beispiel über Landes- mittel finanziert werden könnte – selbstverständlich mit Ausschreibung für eine unabhängige Koordination –, ha- ben die aktiven Landwirtinnen und Landwirte vor Ort die Möglichkeit, mehr politisch und weniger organisato- risch für ihre Interessen arbeiten zu können. Zivilcou- rage und ehrenamtliches Engagement werden von der Politik immer wieder gefordert. Hier könnten wir es un- terstützen, ganz konkret. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Die SPD ist da- für. Die CSU mehrheitlich auch. Die Grünen und wir Linke sowieso. Aber eine Mehrheit kommt wohl trotz- dem nicht zustande. Wieso, frage ich mich. Was befürch- ten die Befürworter der Agrogentechnik eigentlich, wenn sich die Menschen, die diese Risikotechnologie kritisch bewerten, gegen sie schützen können? Warum 20920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) sollte die Politik an dieser Stelle bürgerschaftliches En- gagement behindern anstatt es zu unterstützen? Oder ste- cken doch wieder handfeste wirtschaftliche Interessen dahinter, die aber nicht die Mehrheitsinteressen sind? Wir haben drei konkrete Forderungen: Erstens. Die Bundesregierung muss sich auf europäischer Ebene kon- sequent für eine Möglichkeit einsetzen, rechtlich ver- bindliche Beschlüsse zum GVO-Anbau in den Regionen treffen zu können. Jede Region, jeder Kreis und jede Kommune sollte selbst entscheiden können, ob sie sich auf das Risiko Agrogentechnik einlassen will oder nicht. Zweitens. Die Bundesregierung muss im Gentechnik- gesetz bzw. in der zugehörigen Gentechnik-Pflanzener- zeugungsverordnung verbindliche Abstandsgrenzen zu gentechnikfreien Regionen festlegen, um wenigstens das Verunreinigungsrisiko durch Pollenflug oder -verschlep- pung durch den Wind, bei der Ernte oder beim Transport zu vermeiden. Drittens. Die Landesregierungen sollten die gentech- nikfreien Initiativen und Regionen strukturell-finanziell unterstützen. Noch bevor es auf europäischer Ebene zu einer Entscheidung kommt, könnten die Bundesländer aktiv werden. Denkbar wäre beispielsweise die Finan- zierung einer unabhängigen Koordinierungsstelle. In diesem Sinne stimmen wir dem Antrag der Grünen zu. Über den zweiten Antrag der Grünen, in welchem Verflechtungen zwischen den Behörden und der Gen- techindustrie beschrieben werden, wurde bereits mehr- fach öffentlich debattiert. Die taz titelte dazu „Der deut- sche Gentech-Filz“. Im Prinzip ist dazu nichts mehr zu sagen. Es ist ernüchternd, dass solche Situationen über- haupt möglich sind. Jetzt ist Zeit zu handeln: Die Bundesregierung muss, wie im Antrag gefordert, jede Verflechtung zwischen den Behörden und Lobbyverbänden transparent machen. Natürlich dürfen sich auch Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ehrenamtlich engagieren. Aber wenn sie an einer solch zentralen Stelle beschäftigt sind, dann sollte das zumindest öffentlich bekannt sein. Durch Transparenz würde einiges Misstrauen von Gentechnik- gegnerinnen und Gentechnikgegnern abgebaut werden. Sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene brauchen wir endlich ein wirklich transparentes, wirklich demo- kratisches und unabhängiges Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Solange es so bleibt, wie es aktuell ist, nämlich das genaue Gegen- teil davon, dürfen keine weiteren GVO zugelassen wer- den. Daher unterstützen wir die Forderung nach einem Moratorium. Auch dieser Antrag findet unsere Zustim- mung. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es wäre völlig verantwortungslos, die politischen Entschei- dungen über die für unsere Gesellschaft folgenreiche Einführung von Risikotechnologien wie der Gentechnik auf vermeintlich „unabhängige“ Behörden und die Wis- senschaft abzuschieben. Gerade im Fall der europäi- schen Lebensmittelbehörde EFSA würde das wohl be- deuten, den Bock zum Gärtner zu machen. Unsere Studie „Kontrolle oder Kollaboration? Agrogentechnik und die Rolle der Behörden“ zeigt, dass in Deutschland, bis hin zur EFSA, eine enge Verflechtung zwischen Agro- industrie und den Behörden herrscht, die die risikorei- chen Produkte der Agrogentechnik bewerten und zulas- sen. Gleichzeitig ist die unabhängige Forschung finanziell ausgeblutet worden und völlig an den Rand gedrängt. Die Verantwortung muss in den Händen der demokratisch gewählten Ebenen bleiben und die Unab- hängigkeit der Behörden, die Grundlagen zur Entschei- dungsfindung liefern sollen, erst einmal hergestellt wer- den. Heute will der EU-Umweltministerrat eine Entschei- dung über eine gemeinsame und richtungsweisende Er- klärung zur Zulassung von gentechnisch veränderten Or- ganismen treffen – trotz aller Blockadebemühungen der Bundesregierung. Die Umweltminister wollen sich für die Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren, ver- besserte Risikoforschung, eine stärkere Prüfung von Umweltbelangen sowie eine Stärkung der gentechnik- freien Regionen einsetzen. Sie fordern die Europäische Kommission sowie die Mitgliedstaaten auf, entspre- chende Maßnahmen einzuleiten. Die Bundesregierung hat in den letzten Tagen mit Prüfvorbehalten bezüglich einzelner Formulierungen den Entscheidungsprozess blockiert. Ministerin Aigner zielt offenbar auf eine Ver- hinderung jeder Verbesserung der Risikobewertung und die Stärkung gentechnikfreier Regionen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die CSU im Bayernwahl- kampf versprochen hat. Noch ist nicht klar, wie die Entscheidung ausfällt. Wir jedenfalls unterstützen die Forderungen des EU-Um- weltkommissars Dimas und unserer Nachbarländer Ös- terreich und Frankreich, damit es endlich zu einer Ver- besserung der Risikoforschung beim Einsatz der Agrogentechnik kommt. Es reicht nicht, wenn politi- schen Entscheidungsträgern und Verbraucherinnen und Verbrauchern von EFSA und nationalen Behörden ge- sagt wird, es gebe keine Risiken, wenn gar nicht danach gesucht wird. Hierzu ein Beispiel aus der oben genannten Studie: Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlern von Forschungsinstituten, Gentechnikindustrie und Zu- lassungsbehörden legte dieses Jahr einen Vorschlag zur Risikoforschung vor, mit dem unter dem Etikett „Verein- fachung“ Standards und Anforderungen des „risk assess- ment“ im Grunde reduziert und unterlaufen werden sol- len. Insbesondere geht es darum, die nötigen Einzeluntersuchungen zur Zusammenwirkung von GVO – gentechnisch veränderten Organismen – und Pflanzen zu vermeiden und entgegen bestehender gesetzlicher Vorschriften auf die Betrachtung der Proteine herabzu- stufen. Beschönigend und verschleiernd wird dann for- muliert, dass „durch eine stufenweise Untersuchung ein- facher Teilbereiche zu einer umfassenden und sicheren Bewertung der Umweltrisiken gelangt werden“ könne. Zu den Autoren zählen neben dem Erstautor Romeis Mitarbeiter von BASF, DuPont, Monsanto und Syngenta Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20921 (A) (C) (B) (D) sowie die Experten Joachim Schiemann (BBA bzw. JKI und EFSA), Detlef Barsch (BVL und EFSA) und Jeremy Seet (EFSA). Es stellt sich doch die Frage, auf welche Experten die EU-Kommission und die nationalen Regie- rungen bei einer notwendigen Verschärfung der Prüf- richtlinien vertrauen soll, wenn ihre eigenen Beamten sich bereits im Vorfeld mit der Industrie auf niedrige Standards geeinigt haben? Unter dem Stichwort „Synchronisation der weltweiten GVO-Zulassungen“ läuft derzeit eine massive Lobby- kampagne der Agrogentechnikindustrie mit dem Ziel, die für sie lästigen und zeitraubenden Abstimmungsver- fahren der EU zur Zulassung von gentechnisch verän- derten Organismen zu umgehen. Ginge es nach Kom- missionspräsident Barroso, EU-Kommissarin Fischer- Boel, Exlandwirtschaftsminister Seehofer und wohl auch Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, würden künftig auch nicht zugelassene GVO-Futtermittel bis zu einem Schwellenwert in die EU eingeführt und verfüttert werden. Diese Forderung ist absurd und gefährlich. In keinem anderen Land ist das möglich. Glücklicherweise lässt sich dieser Durchmarsch der „Koalition der Willi- gen“ so einfach nicht in der EU verwirklichen, da die Skepsis gegenüber der Agrogentechnik wächst. Stattdes- sen setzt die Kommission nun auf die Harmonisierung von Laborstandards. Hier muss kritisch die Wirkung überprüft werden. Wir fordern bezüglich der Zulassungsverfahren klare politische Verantwortung, mehr Transparenz, mehr De- mokratie sowie die Entflechtung zwischen Experten in den Behörden und der Agroindustrie. Wir fordern bezüg- lich der Risikoforschung mehr unabhängige Risikofor- schung und die Einbeziehung der sozioökonomischen Faktoren. Umweltbelange müssen nicht nur auf dem Pa- pier, sondern wirklich geprüft werden. Dabei hat die EFSA keine Kompetenz zu Fragen der Probleme von Umweltauswirkungen der Agrogentechnik. Entweder müssen also Umweltexperten einbezogen werden, oder die EU-Umweltbehörde muss diese Fragen selbst reell prüfen. Die CSU hat in ihrem Wahlkampf in Bayern massiv für die Unterstützung von gentechnikfreien Regionen geworben. Statt heuchlerischer Rhetorik wäre heute der richtige Zeitpunkt für konkrete Taten. Aber selbst bei diesem Punkt der Erklärung setzt die Bundesregierung auf Verzögerungstaktik und blockiert durch Prüfvorbe- halte. Wenn es der CSU nicht nur um Wahlkampf ginge, würde sie sich in Brüssel, Berlin und Bayern gleicher- maßen ernsthaft gegen Gentechnik einsetzen. Dass man auf EU-Ebene wirksam gegen Agrogentechnik vorgehen kann, haben andere Länder gezeigt. Wie wichtig ein zuverlässiges und transparentes Zu- lassungsverfahren, unabhängige Forschung und auf vor- beugenden Schutz ausgerichtete Gesetze auf europäi- scher und nationaler Ebene sind, hat zuletzt die Studie des österreichischen Umweltministeriums gezeigt, die im November 2008 publiziert wurde. Dabei wurde in ei- ner Langzeitfütterungsstudie insektenresistenter Mais von Monsanto – Linie NK603 x MON810 – an Mäuse verfüttert. Die Mäuse, an die der Gentechmais verfüttert wurde, hatten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine geringere Fruchtbarkeitsrate sowie bei den Nachkom- men ein geringeres Körpergewicht. Solche nationalen Studien und Erkenntnisse müssen dringend in den Zulas- sungsprozess einfließen können. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen keine Gen- technik auf dem Teller oder Acker. Erst vor wenigen Ta- gen hat dies eine jüngst vorgelegte repräsentative Studie des renommierten Marktforschungsinstituts Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) wieder belegt. Rund 85 Prozent der Verbraucher in Deutschland wollen, dass Milchkühe kein gentechnisch verändertes Futter erhal- ten. Zudem wären Verbraucher zu 80 Prozent auch be- reit, mehr Geld für Milchprodukte ohne Gentechnik zu zahlen. Zwei Drittel der 1 000 Befragten würden Pro- dukte mit dem Hinweis „Ohne Gentechnik“ bevorzugt kaufen. Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen Verbraucherwillen nicht länger zu ignorieren. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Aufstiegsfortbildungsförderungs- gesetzes – Antrag: Förderung des lebenslangen Ler- nens unverzüglich entscheidend voranbrin- gen (Tagesordnungspunkt 15 a und b) Alexander Dobrindt (CDU/CSU): „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, sagt ein altes Sprich- wort. Um Meister zu werden, braucht man Leistungsbe- reitschaft, Ehrgeiz, Zielstrebigkeit, Begabung, Disziplin, Fleiß, Geduld und – Geld. Kursgebühren, Prüfungsge- bühren, Verwaltungsgebühren, Reisekosten, Lohnaus- fall und nicht zuletzt die Finanzierung der laufenden Le- benshaltungskosten sind der materielle Preis für die Zulassung zur Meister-, Techniker- oder Fachwirtprü- fung. Hinzu kommen immaterielle Entbehrungen, der Verzicht auf Feierabende, Wochenenden und Urlaube. Trotzdem absolvieren Jahr für Jahr rund 100 000 Men- schen in Deutschland eine berufliche Fortbildung erfolg- reich. Dies entspricht immerhin knapp der Hälfte der Hochschulabsolventen eines Jahrgangs. Für viele Betriebe sind die Meister, Techniker und Fachwirte attraktiv. Sie verfügen bereits von Anfang an über Berufserfahrung und Handlungskompetenz. Inso- fern sind sie oft gegenüber Hochschulabsolventen im Vorteil. Darüber hinaus sind besonders die Handwerks- meister auf eine selbstständige Tätigkeit gut vorbereitet. Sie übernehmen Betriebe, schaffen Arbeitsplätze und bilden aus. Diese Menschen auf ihrem oft steinigen Weg zu unterstützen, ist für mich eines der wichtigsten bil- dungspolitischen Anliegen. Ich bin daher sehr stolz, dass das AFBG/„Meister-BAföG“ untrennbar mit der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion verbunden ist. 20922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Das AFBG ist nicht nur ein Leistungsgesetz. Es ist auch ein Signal an die Menschen, die in der beruflichen Bildung einen Aufstieg anstreben. Berufliche und akade- mische Bildung sind für uns gleichwertig. Wir brauchen den Elektrotechniker ebenso wie die Elektroingenieurin, die Zahntechnikerin ebenso wie den Zahnarzt, den Flei- schermeister ebenso wie die Ernährungswissenschaftle- rin. Darum ist auch das AFBG ebenso wichtig wie das BAföG. Das BAföG haben wir zu Beginn des laufenden Wintersemesters um 10 Prozent erhöht, die Freibeträge um 8 Prozent. Durch die Anhebung der Freibeträge kön- nen allein 100 000 Studierende zusätzlich BAföG-Leis- tungen in Anspruch nehmen. Wir haben die Förderung für Auslandsabschnitte erweitert und die finanzielle Si- tuation studierender Eltern verbessert. Gleiches wollen wir jetzt für die Fortbildungsteilnehmer tun. Sie haben bereits von der Erhöhung der BAföG-Sätze und Freibe- träge profitiert. Mit der Novelle wollen wir jetzt auch noch den Kreis der Geförderten ausweiten und die At- traktivität der Förderung erhöhen. Dabei lassen sich aus nachvollziehbaren Gründen die BAföG-Konditionen nicht eins zu eins auf die Fortbildungsteilnehmer über- tragen. Die Rahmenbedingungen der Fortbildungskurse sind andere als die der Studiengänge an den Hochschu- len. Für die Kurse sind erhebliche Kursgebühren zu ent- richten, ein großer Teil der Teilnehmer absolviert die Fortbildungen in Teilzeit und berufsbegleitend. Außer- dem schließt die Prüfung oft nicht unmittelbar an den Kurs an. Schließlich müssen die unterschiedlichen Le- benssituationen und Bedürfnisse beider Gruppen bei der Förderung berücksichtigt werden. Anders als die meis- ten Studierenden waren die Fortbildungsteilnehmer in der Regel schon vor Beginn des Kurses mehrere Jahre erwerbstätig. Nicht selten sind sie schon selbst für Ehe- partner und Kinder verantwortlich. Dies ist im Besonde- ren zu berücksichtigen. Ich halte drei Punkte im vorliegenden Gesetzentwurf für besonders wesentlich: Erstens. Wir wollen den Anwendungsbereich des AFBG erweitern. Fortbildungswillige sollen künftig ei- nen Förderanspruch auf eine und nicht nur die erste Auf- stiegsfortbildung erhalten. Wer bereits eine selbst finan- zierte Aufstiegsfortbildung absolviert hat und dadurch nach bisherigem Recht keinen Förderanspruch für eine weitere Fortbildung mehr hat, soll künftig für seine Ei- geninitiative und sein besonderes Engagement nicht mit der Verweigerung der Förderung „bestraft“ werden. Be- sonders älteren Arbeitnehmern eröffnet sich damit eine neue Förderungsmöglichkeit, da sie häufig in jungen Jahren unmittelbar nach der Erstausbildung eine selbst finanzierte, aber dennoch förderschädliche Aufstiegsfort- bildung durchgeführt haben. Künftig wird ihnen – auch nach einer längeren Zeit der Erwerbstätigkeit – eine beruf- liche Weiterbildung oder Umorientierung ermöglicht. Zweitens. Wir wollen auch Fortbildungen im Bereich der Altenpflege und der Erzieherberufe stärker in die Förderung einbeziehen. Angesichts der immer älter wer- denden Bevölkerung und des damit verbundenen erhöh- ten Pflegebedarfs ist es nicht nur erforderlich, das vor- handene Personal in diesem Bereich noch besser zu qualifizieren, sondern auch neue Nachwuchskräfte durch attraktivere Fortbildungsmöglichkeiten zu gewinnen. Gleiches gilt auch für den Bereich der Erzieherberufe. Durch die Öffnung des Anwendungsbereichs für Fortbil- dungen im Fachbereich Sozialwesen an Fachschulen verbessern wir insbesondere die Rahmenbedingungen für die Fortbildung zum staatlich geprüften Erzieher bzw. zur geprüften Erzieherin. Letzteres ist insbesondere im Hinblick auf die beschlossene Ausweitung des Kin- derbetreuungsangebots und die Einrichtung von Ganz- tagsschulangeboten von großer Bedeutung. Drittens. Fortbildungsabsolventen sollen während der Prüfungszeit stärker entlastet werden. Zurzeit besteht für die Vollzeitgeförderten zwischen Ende des Lehrganges und Anfertigen des Prüfungsstücks und/oder dem Able- gen der Prüfung eine Förderlücke beim Unterhaltsbei- trag. Denn die AFBG-Förderung wird bislang nur bis zum letzten Unterrichtstag gewährt. Das Meisterstück wird in der Regel aber erst nach Abschluss der Fortbil- dungsmaßnahme gefertigt. Auch die Prüfung erfolgt sel- ten im unmittelbaren Anschluss an den Lehrgang. Inso- weit befinden sich die Geförderten oftmals gerade in der für sie wichtigen Prüfungsvorbereitungszeit in einer fi- nanziell unsicheren und damit für sie belastenden Situa- tion. Hier soll Abhilfe geschaffen werden. Die Unter- haltsbeiträge sollen künftig als Darlehen bis zu drei Monate nach Ende der Maßnahme fortgezahlt werden. Soweit nur drei Beispiele für die geplanten Verbesse- rungen, mit denen wir fortbildungswillige Menschen un- terstützen wollen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir mit den geplanten Verbesserungen noch mehr beruflich Tätige zu einer Aufstiegsfortbildung anregen können. „Das Werk lobt den Meister“, sagt ein altes deutsches Sprichwort. Dies gilt auch für den vorgelegten Gesetz- entwurf, für den ich mich bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Professor Annette Schavan, herzlich bedanken möchte. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Am 23. April 1996 hat es die erste Beschlussfassung des Deutschen Bundestages zur Einführung eines Aufstiegsfortbil- dungsförderungsgesetzes gegeben. Die damalige Initia- tive der Regierung von CDU/CSU und FDP verdient in- sofern Anerkennung, als sie ein wegweisender Schritt zur Realisierung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung war. Denn erstmals bekamen Fachkräfte einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung in ihrer Fort- und Weiterbil- dung unter dem Gesichtspunkt des Aufstiegs. Sie erfuh- ren damit eine vergleichbare Förderung wie Studenten nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Die Argumente, die der damalige Bundesbildungsmi- nister Dr. Jürgen Rüttgers nannte, haben nach wie vor ihre Berechtigung. Der Rechtsanspruch auf Unterstüt- zung ermöglicht fortbildungswilligen nichtakademi- schen Nachwuchskräften die volle Entfaltung ihrer Nei- gung, Begabung und ihrer Fähigkeiten, und zwar unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen. In- sofern hat das AFBG wie das BAföG neben seiner bil- dungspolitischen auch eine große sozialpolitische Be- deutung. Außerdem sollte die Förderung der Sicherung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20923 (A) (C) (B) (D) und der Aufwertung der beruflichen Bildung in Deutsch- land und damit der Wertschöpfung an diesem Wirt- schaftsstandort dienen. Der in vielen Bereichen anste- hende Generationswechsel, aber auch die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren erforderten schon damals eine hohe Anzahl qualifizierter und innovativer Nach- wuchskräfte. Das AFBG sollte die Erweiterung und den Ausbau beruflicher Qualifikation unterstützen und die Fortbildungsmotivation des Fachkräftenachwuchses stützen. Es sollte zugleich einen Anreiz für potenzielle Existenzgründer geben, sich für den Weg in die Selbst- ständigkeit zu entscheiden. Soweit die Kerngründe, die mit der Einführung dieses Gesetzes verbunden waren. Dass damit der Wegfall von Förderungsmaßnahmen nach den Arbeitsmarktförde- rungsgesetzen einherging, sollte hier nicht verschwiegen werden. Der Paradigmenwechsel hin zu einem staatlich garan- tierten und aus Steuergeldern geförderten Rechtsan- spruch zur Erwachsenenweiterbildung im Sinne berufli- cher Aufstiegsfortbildung war gleichwohl ein wichtiger Wechsel, der dann aber allerdings in der Zukunft durch neue politische Mehrheiten auszugestalten war. Denn nach der Einführung des Meister-BAföGs 1997 blieb die Zahl der geförderten Arbeitnehmer bis zur Jahrtausend- wende immer unter der Zahl von 60 000 Personen. Dann allerdings nahmen die damalige Bundesbildungsministe- rin Edelgard Bulmahn und die Parlamentsmehrheit von SPD und Grünen mit einer großen Reform das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz neu in Angriff und verhalfen der beruflichen Weiterbildung zu einem großen Schritt nach vorn. Die Zahl der Geförderten konnte von unter 60 000 auf über 140 000 nach der No- velle 2001 bis zum Jahr 2005 gesteigert werden. Der finanzielle Aufwand für die Förderung der beruf- lich Qualifizierten wurde verdoppelt. Die ausgezahlten Zuschüsse wurden verfünffacht. Wesentlich war hierfür nicht nur, dass es eine Erweiterung des Gefördertenkrei- ses gab und dass Leistungen im Bereich des Unterhalts wie der Familienförderung verbessert wurden. Die ent- scheidende Maßnahme war, dass unabhängig von einer Vollzeit- oder Teilzeitausbildung und auch unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen erstmals ein Maßnahmezuschuss in beträchtlicher Höhe für alle, die sich einer Aufstiegsfortbildung stellen woll- ten, als Rechtsanspruch zur Verfügung stand. Für diese neue Qualität haben wir Sozialdemokraten uns intensiv eingesetzt und diese neue Qualität haben wir auch durchgesetzt. Denn natürlich ist ein Rechtsan- spruch etwas anderes als ein Stipendium. Wer das Recht auf Bildung als derart zentral ansieht, wie wir Sozialde- mokraten es tun, muss bei den Bildungsausgaben – auch im Erwachsenenbereich – mindestens einen fairen Anteil von Staats wegen übernehmen, wo doch sowieso noch sehr hohe private Aufwendungen bei den betroffenen Arbeitnehmern verbleiben. Im Übrigen durfte es auch nicht so sein, dass die grundsätzliche Förderung einer solchen Aufstiegsfortbildung davon abhing, ob diese in Vollzeitform oder in Teilzeitform durchgeführt wurde. Mit dem Maßnahmebeitrag für alle gab es eine Unter- stützung unabhängig von der Organisationsform und speziell auch für die Teilzeitform, die ja von der persön- lichen Motivation und Beanspruchung her anders, aber mindestens in gleicher Intensität vieles von den Auf- stiegsfortbildungswilligen abverlangt. Wem Weiterbildung und Arbeitnehmerbildung wich- tig ist, der muss sich allerdings auch kontinuierlich mit den Entwicklungen in diesem Bereich auseinanderset- zen, Veränderungen beobachten und zu neuen Initiativen kommen. Was sind nun wichtige Grundfakten, und wel- che Veränderungen gibt es, auf die man sich mit weite- ren politischen Reformen einstellen muss? Erstens. Stärke und Struktur der beruflichen Qualifi- kationsbereiche verändern sich. Was als sogenanntes Meister-BAföG eine gewisse Popularität gewonnen hat, ist doch in Wirklichkeit schon vielmehr ein Fördergesetz für Aufstiegsfortbildung im Bereich von Industrie und Handel. Nur 34 Prozent der Geförderten kommen aus dem Handwerk selbst, 46 Prozent aus dem Bereich von Industrie und Handel. Diese Differenzierung zeigt auf, dass eben nicht nur Handwerksmeister, Techniker, Fach- kaufleute, sondern auch Betriebswirte, mathematisch- technische Assistenten, Programmierer, Softwareent- wickler oder auch Fachkrankenpfleger den wachsenden Teil derjenigen bilden, die eine solche rechtliche Auf- stiegsfortbildung in Anspruch nehmen. Darin bilden sich Veränderungen in der wissensbasierten Ökonomie der Gegenwart und Zukunft ab. Es kommen vor allen Din- gen auch neue Berufsfelder hinzu, die sich aus dem de- mografischen Wandel und den höheren Anforderungen an Berufe in diesen Bereichen widerspiegeln, wie zum Beispiel nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch im Altenpflege- und im Erziehungsbereich. Mit der No- velle zur Aufstiegsfortbildung verbinden wir Sozialde- mokraten deshalb auch die Absicht, diese beruflichen Veränderungen nicht nur nachzuvollziehen, sondern sich auch auf zukünftige Bedarfe rechtzeitig einzustellen. Zweitens. Das Potenzial zur Aufstiegsfortbildung ist deutlich größer als es bisher von den Einzelnen genutzt wird und für die Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt wünschenswert ist. Rund 480 000 schließen Jahr für Jahr eine Berufsausbildung ab, und nur rund ein Fünftel da- von nimmt später eine Aufstiegsfortbildung in den unter- schiedlichen Formen wahr. Dies ist angesichts des ab- sehbaren Fachkräftebedarfes gerade im Bereich der höheren Qualifikationen sicherlich entschieden zu we- nig. Denn absehbar ist jetzt schon, dass es nicht nur eine akademische Fachkräftelücke geben wird, sondern auch eine, die aus der beruflichen Qualifikation erwächst. Woher soll das Potenzial an Menschen kommen, die in der modernen Wissens- und Technologiegesellschaft der Zukunft an entscheidender Stelle im Bereich von Ent- wicklung, Anleitung, Management bis hin zur Unterneh- mensführung Verantwortung übernehmen und zur Leis- tungsfähigkeit beitragen, wenn hier nicht rechtzeitig vorgesorgt wird? Und wie lange wollen wir es noch an- gehen lassen, dass es ein groteskes Missverhältnis zwi- schen Männern und Frauen gibt, was die Chance auf die Wahrnehmung einer Aufstiegsfortbildung angeht? 20924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Aktuell liegen die Zahlen noch so, dass unter den Teilnehmern einer Aufstiegsfortbildung 68 Prozent Männer und nur 32 Prozent Frauen sind. Auch dieses Anliegen, Frauen in ihrer immer noch besonderen Situa- tion, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sprich Aufstiegsfortbildung und Familie angeht, gezielt und differenziert zu fördern, wird für ein neuerliches Re- formgesetz der Maßstab sein müssen. Nicht vergessen werden sollte auch, dass es in Deutschland noch einen besonders hohen Nachholbedarf gibt, was die Qualifizierungs- und Aufstiegschancen für Migranten angeht. Eine moderne Weiterbildungspolitik muss hier noch bestehende Schranken aus dem Weg räu- men und den Einstieg in den Aufstieg durch Qualifizie- rung fördern. Drittens. Was die Altersverteilung der Menschen an- geht, die in einer Aufstiegsfortbildung sind, sind rund 80 Prozent zwischen 20 und 35, konkret fast 30 Prozent zwischen 20 und 25, 34 Prozent zwischen 25 und 30 und 16 Prozent zwischen 30 und 35. Umso mehr muss uns beschäftigen, dass die Vereinbarung von Aufstiegsfort- bildung und eigenen Kindern bisher nur schwer zu reali- sieren war. Geschätzte unter 10 Prozent der in Vollzeit Geförderten, die in einer Aufstiegsfortbildung sind, ha- ben Kinder. Das Missverhältnis ist hier dramatisch; und dies ist offensichtlich nicht nur aus einer bestimmten langfristigen Planung von Ausbildungs- und Berufspha- sen bzw. Familiengründung so, sondern auch weil die Beanspruchung durch die Aufstiegsfortbildung sehr hoch ist und die Unterstützung für Aufstiegsfortbil- dungsmotivierte mit Kindern offensichtlich nicht ausrei- chend ist. Fakt ist jedenfalls, dass nach der langjährigen Systematik in der Förderung gerade die Darlehensbelas- tung für Familienmütter oder -väter mit zwei Kindern besonders hoch war, bekamen diese doch nur 17 Prozent der Aufwendungen als Zuschuss erstattet, während Singles ohne Kinder zu einer deutlich niedrigeren Darle- hensschuld und einem entsprechend höheren Zuschuss kamen. Viertens. Alarmieren musste schließlich alle Politiker, denen etwas an der Aufstiegsfortbildung für Arbeitneh- mer liegt, dass nach dem kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Geförderten seit dem Jahr 2001 bis 2005 auf den Höhepunkt von 141 000 sich diese 2006 erstmals wieder reduzierte und dadurch 5 000 weniger gefördert wurden. Aus diesem ersten Rückgang durfte nach Auf- fassung von uns Sozialdemokraten unter keinen Umstän- den ein dauerhafter Trend werden. Ein rechtzeitiges Ge- gensteuern war für uns deshalb unabdingbar. Wir brauchen mehr Menschen, die zu einer Aufstiegsfortbil- dung bereit sind und dieses ermöglichen können, und wir brauchen vor allem auch mehr erfolgreiche Absol- venten einer solchen zusätzlichen Fortbildung, die ja auch mit beträchtlichen persönlichen Vorleistungen und Anstrengungen verbunden ist. Es darf deshalb auch nicht unberührt lassen, dass es eine nicht unbeträchtliche Quote von Menschen gibt, die eine Aufstiegsfortbildung beginnen, diese aber dann nicht durchhalten können. Ab- bruchquoten von 20 Prozent stehen dann nicht nur für enttäuschte Hoffnungen und Anstrengungen, sondern sind auch ein zusätzliches Potenzial. Genauso muss uns das Faktum beschäftigen, dass im ersten Anlauf nur 80 Prozent der Teilnehmer die Prüfung schaffen. In einzelnen Berufen wie Bilanzbuchhalter oder Steuerfachwirt liegt die Quote gar nur bei 50 bis 60 Prozent. Mit gezielter zusätzlicher Förderung müssen sowohl der Abbruch wie auch die Wiederholungsprü- fung mit entsprechenden Zeitverlusten weiter reduziert werden, damit es mehr erfolgreiche Absolventen und zü- gige Abschlüsse gibt. Auch hierum wird sich eine enga- gierte Reformpolitik zu kümmern haben. Für uns Sozialdemokraten war deshalb sehr früh klar, dass wir es nach den von uns erfolgreich durchgekämpf- ten Verbesserungen beim BAföG nicht bei einer bloßen Übertragung der massiven Verbesserungen vom BAföG auf das Meister-BAföG – die im Übrigen ja schon ge- setzlich vorgeschrieben war – belassen konnten, sondern dass wir auch hier strukturelle und sehr gezielte und nachhaltige Reformen zusätzlich brauchen würden. Dies haben wir ungeachtet einer Koalitionsvereinbarung, bei der noch keine Weiterentwicklung des Aufstiegsfortbil- dungsförderungsgesetzes für diese Legislaturperiode vorgesehen war, als SPD im Laufe des Jahres 2007 für uns intern entwickelt und auch gegenüber dem Koali- tionspartner immer wieder deutlich gemacht. Es erfüllt uns mit einer gewissen Genugtuung, dass dann auch die Ministerin bzw. der Koalitionspartner diesen Vorschlä- gen und diesem Drängen hinhaltend, aber stetig gefolgt sind und wir uns mit dieser Initiative letztlich auch in der Großen Koalition durchsetzen konnten, auch wenn es schon manchmal skurrile Züge annahm, wie in den Pres- seerklärungen der Bundesbildungsministerin immer wie- der nachgebessert wurde und aus dem Nichts-tun-Wol- len zuerst ein Prüfen und dann ein Verändern an ganz wenigen Punkten und schließlich ein durchaus breit an- gelegtes Reformwerk wurde. Dass sich die jetzt vorge- legte Konzeption zu der zweiten großen Novelle zum Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz in wesentlichen Feldern mit den Punkten deckt, die wir von sozialdemo- kratischer Seite im Februar, März in die Diskussion und öffentliche Debatte gebracht haben, kann da nur freuen. Was sind nun die besonders wichtigen Punkte? Ers- tens. Die deutlichen Verbesserungen, die wir von der SPD schon beim BAföG durchkämpfen konnten mit der Erhöhung der Sätze um 10 Prozent und der Freibeträge um 8 Prozent, schlagen sich jetzt auch voll beim Meis- ter-BAföG, sprich bei der Aufstiegsfortbildung nieder. Zweitens. Die geförderte Aufstiegsfortbildung muss nicht mehr zwingend die erste sein, sondern es wird eine Aufstiegsfortbildung gefördert, auch wenn es schon die zweite oder die dritte, aber bis dahin anderweitig finan- zierte sein sollte. Damit werden Aufstiegsfortbildungs- willige nicht mehr dafür bestraft, dass sie vorher schon eigene Initiative entwickelt haben. Im Prozess des le- bensbegleitenden Lernens ist dies sicherlich eine mo- derne politische Antwort auf das Ideal eines modernen kontinuierlichen Fortbildungsprogramms, dem sich der Einzelne möglichst widmen sollte. Drittens. Eine Aufstiegsfortbildung ist immer mit viel Anstrengung und Aufwand, nicht zuletzt in der Prü- fungsphase, verbunden. Deshalb muss sie auch gefördert Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20925 (A) (C) (B) (D) werden, um zum Erfolg zu führen. Dies kann durch eine Verlängerung der Förderung in der Prüfungsphase ge- schehen, die wir in dieser Form erstmals einführen wol- len, und es kann auch durch eine zusätzliche Prämie auf eine erfolgreiche Prüfung unterstützt werden. Auch diese Komponente ist im neuen Gesetzeskonzept enthal- ten. Viertens. Eine lange und teure Aufstiegsfortbildung ist derzeit vor allem für Fachkräfte mit Familie und Kin- dern nur schwer und unter großen Schwierigkeiten zu realisieren. Wir haben uns deshalb als Sozialdemokraten besonders darauf konzentriert, eine Erhöhung des Kin- derzuschlags von derzeit 179 Euro auf immerhin 210 Euro pro Kind und Monat durchzusetzen. Dieser Er- höhungsbetrag soll auch erstmals zu 50 Prozent als Zu- schuss gegeben werden. Gerade diese Bezuschussung ist uns sehr wichtig, um die Darlehensschuld bei Familien mit Kindern möglichst einzudämmen. Schließlich führen wir einen unkomplizierten, nicht an Nachweise gebun- denen Kinderbetreuungszuschuss speziell für Allein- erziehende ein, denn gerade Alleinerziehende in Auf- stiegsfortbildung sind besonderen Anforderungen unterworfen. Fünftens. Was beim BAföG schon Praxis ist, muss beim Meister-BAföG auch gelten: Fortbildungswilligen mit Migrationshintergrund muss der Zugang zu einer Höherqualifizierung erleichtert werden. Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die schon hier geboren sind bzw. eine dauerhafte Bleibeperspektive haben, sol- len künftig auch ohne Anknüpfung an eine vorherige Mindesterwerbsdauer nach dem AFBG gefördert werden können. Sechstens. Dass Menschen, die eine Aufstiegsfortbil- dung erfolgreich abgeschlossen haben, darin unterstützt und anerkannt werden sollten, wenn sie danach ein Un- ternehmen gründen und Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen, ist uns sehr wichtig. Mit der Differenzierung, die hier vorgesehen ist, wird auch schon die Schaffung von nur einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz aner- kannt und entsprechend über den Erlass einer Darlehens- schuld honoriert. Siebtens. Es liegt im Interesse aller, dass die Bil- dungsträger im hoffentlich wachsenden Bereich der Auf- stiegsfortbildung auch die notwendige Qualität der Maß- nahmen garantieren. Mit der Einführung des Nachweises eines Qualitätssicherungssystems bei den Bildungsträ- gern soll dieses nun abgesichert werden. Wie wichtig uns die Aufstiegsfortbildung ist, kann man auch an dem Korridor der zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel sehen. Was im Jahr 2009 mit 30 Millio- nen Euro Mehraufwendungen für Bund und Länder be- ginnt, wird bis zum Jahr 2012 auf über 90 Millionen Euro aufwachsen. Damit hätten wir eine Steigerung der Mittel um gut 60 Prozent bis zum Jahr 2012 zu verzeich- nen, was ein eindrucksvoller Beleg für die Priorität von Weiterbildung sein wird, die wir letztlich dann eben doch in dieser Großen Koalition ausbauen konnten. Wenn mehr nicht in dieser Konstellation zu erreichen war, so wird uns das als Sozialdemokraten nicht davon abhalten, konzeptionell und politisch für weitere Schritte zu werben und zu kämpfen. Tatsächlich muss aus dem BAföG und dem AFBG am Ende ein gemeinsames Erwachsenenbildungsförderungsgesetz werden, das auch die weitergehenden Förderungen von Weiterbil- dung gesetzlich als Rechtsansprüche absichert. Die SPD ist sehr engagiert dafür. Wir wollen ein Erwachsenen- BaföG, und wir wollen die Arbeitsversicherung als Aus- bau der Arbeitslosenversicherung. Aber hier ist leider mit der CDU/CSU nichts zu machen. Hier haben wir ak- tuell noch grundlegende Differenzen in der Großen Koalition. Dass wir gleichwohl so viel auch gemeinsam errei- chen konnten, lässt einen dennoch abschließend sagen: Was 1996 begann und im Jahr 2001 mit Edelgard Bulmahn einen wirklich entscheidenden Schub nach vorne bekam, wird auch mit diesem neuen gemeinsamen Reformvorschlag von SPD und CDU/CSU für die Zu- kunft weiter verbessert werden können. Für uns Sozialde- mokraten, denen die Bildungschancen von Arbeitneh- mern, die Leistungsbereitschaft von Aufstiegswilligen und die Förderung von Kompetenz und Qualifikation in der modernen Wirtschaft immer besondere Anliegen sind, ist dies deshalb auch ein besonders erfreulicher Tag. Wir wünschen uns für die gemeinsamen Schlussbera- tungen noch manche kluge Erkenntnis und Einsicht und dann bei der Verabschiedung ein wirklich gutes gemein- sames Gesetz, zu dessen Unterstützung wir auch die an- deren Fraktionen des Parlaments herzlich einladen. Patrick Meinhardt (FDP): Mit dem uns heute vor- liegenden Gesetzesentwurf legt die Bundesregierung endlich zum ersten Mal ihre längst überfälligen Vorstel- lungen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Deutschland vor. Nach drei Jahren Regierungszeit ist dies auch überfällig. Der Fachkräftemangel ist in Deutschland schon lange Realität. So beklagte der DIHK erst in der vergangenen Woche, dass laut einer eigenen Umfrage unter 20 000 Betrieben bereits jetzt 54 Prozent der Betriebe nicht ge- nügend technische Fachkräfte finden. Darüber hinaus fehlt es an Meistern und Facharbeitern. Diese Entwick- lung kennen wir seit Jahren. Dies macht es umso drin- gend notwendiger, gerade die berufliche Fortbildung attraktiver zu gestalten. Wir müssen es mit intelligenten Maßnahmen ermöglichen, dass Menschen einfacher und unbürokratischer eine höhere Qualifikation erlangen. Die Eigenverantwortung für mehr Bildung zu stärken und in die eigene Zukunft zu investieren, sichert nach- haltig die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutsch- lands. Es gibt ein riesiges Potenzial an Menschen, denen durch ein attraktiveres Meister-BAföG der Weg zu einer höheren Qualifikation eröffnet werden kann. Heute schließen jährlich rund 480 000 Menschen eine Berufs- ausbildung ab, aber nur 97 000 bilden sich erfolgreich zum Meister, Fachwirt oder Kaufmann weiter. Dies sind noch immer viel zu wenige. Zuletzt war die Zahl derer, die das Meister-BAföG überhaupt in Anspruch genom- men haben, sogar rückläufig. Hier müssen wir dringend gegensteuern. In der Weiterbildung hat diese Bundes- 20926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) regierung bildungspolitisch das Gestaltungspotenzial. Hier liegt in der beruflichen Weiterbildung ihre Verant- wortung. Das Ziel einer 50-prozentigen Weiterbildungs- beteiligung muss sich in einem klar erkennbaren Aktionspaket widerspiegeln. Berufliche Bildung und Weiterbildung dürfen nicht länger stiefmütterlich behandelt werden. Daher begrü- ßen wir Liberale grundsätzlich die Initiative der Bundes- regierung, berufliche Höherqualifizierung auch finan- ziell endlich stärker zu fördern. Die berufliche Bildung muss uns genauso viel wert sein wie die akademische Bildung. Bei der Ausgestaltung der finanziellen Förde- rung muss besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, dass sich diese an den Bedürfnissen der Fortbildungswil- ligen ausrichtet und so mehr Menschen zur Fortbildung motiviert. Wir müssen die richtigen Zielgruppen aktivie- ren. Es ist längst überfällig, dass die Bundesregierung nun endlich nicht mehr länger nur die erste Aufstiegsfortbil- dung fördern will, sondern eine. Somit werden nicht län- ger diejenigen bestraft, die bereits eine Fortbildung in Anspruch genommen haben. Mit diesem Schritt werden sich eine ganze Menge von fortbildungswilligen jungen Menschen in diesem Land nicht mehr ärgern. Mit einem Meister-BAföG für die Altenpflege und Erziehung wird ein grundsätzlich positives Signal ge- setzt, auch wenn wir hier kritisch anmerken müssen, dass selbst aus den Fachverbänden dieser Weg mit Fra- gezeichen versehen wird. Bisher hat die Bundesregie- rung in drei Jahren mit einem Weiterbildungsportal im Internet für Erzieherinnen und Erzieher alle Beteiligten enttäuscht. Erziehung per Mausklick ist wirklich nicht auf der Höhe der Zeit. Politisch grundsätzlich richtig muss die folgende Bot- schaft sein: Wir brauchen einen deutlichen Aufwuchs bei der Weiterbildung, nicht nur beschränkt auf den tech- nisch-naturwissenschaftlichen Bereich, sondern eben gerade auch im sozialen Bereich und in der politischen Bildung. Aus der Summe aller von der Regierung vorge- schlagenen Maßnahmen ergibt sich jedoch noch kein stimmiges Weiterbildungskonzept. Das tut jetzt not. Wir brauchen keine zusätzliche BAföG-Bürokratie, sondern Förderungshilfen, die bei den Menschen an- kommen, die etwas für sich und ihre Bildung tun wollen. Dies sage ich insbesondere mit Blick auf die geplanten Regelungen zum Erlass von Rückzahlungsforderungen. In der jetzigen Fassung verspricht dies ein bürokrati- sches Fass ohne Boden zu werden. Doch auch wenn die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf einen ersten Schritt in die richtige Richtung geht, werden wir sie nicht aus der Verantwortung entlassen, endlich auch das private Weiterbildungssparen zu fördern. Wir brauchen dringend eine Offensive zur Förderung des Bildungsspa- rens. Eine echte Weiterbildungsoffensive muss beides abdecken, zum einen die staatliche Unterstützung für Fortbildungswillige und zum anderen die Förderung des Aufbaus von privatem Kapital für Bildungsinvestitio- nen. Diesem Anspruch kann der vorgelegte Gesetzent- wurf jedoch nicht gerecht werden. Wer Bildungsgerechtigkeit ein Leben lang sichern will, muss Bildungsinvestitionen vom ersten Tag an för- dern. Diese finanzielle Förderung darf nicht haltmachen bei einer Prämie, sondern muss gerade die Eigeninitia- tive und Eigenverantwortlichkeit stärken. Es ist gelun- gen, das zunächst nur für Studenten eingeführte BAföG auch auf die berufliche Fortbildung zu übertragen. Jetzt muss es gelingen, ein umfassendes Bildungssparen auf- zubauen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dazu einen richtungweisenden Antrag vorgelegt. Ein ganzheitliches Konzept, gar eine Weiterbildungs- offensive, die zu einer Bewusstseinsveränderung in Deutschland führen könnte, lässt die Bundesregierung bisher leider schmerzlich vermissen. Wir begrüßen ja, dass das lebenslange Lernen in der Großen Koalition an- gekommen ist. Aber lassen Sie sich gesagt sein: Ihre bis- herige Taktik, hier und dort ein kleines Reförmchen – man könnte auch sagen einen halben Schritt vor und mit der Weiterbildungsprämie wieder zwei Schritte zu- rück – werden wir und auch die Fortbildungswilligen, die Wirtschaft und die Weiterbildungsträger Ihnen nicht länger durchgehen lassen. Deutschland benötigt drin- gend eine offensive Weiterbildung. Packen Sie es end- lich an! Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Ich bin ja grundsätzlich begeistert, wenn die Bundes- regierung sich dazu durchringt, im Bereich „Lebenslan- ges Lernen“ ihren vollmundigen Ankündigungen kon- krete Taten folgen zu lassen. Meine Begeisterung lässt sich noch steigern, wenn die Große Koalition gewillt ist, dafür auch Geld locker zu machen. Völlig richtig betont die Bundesregierung auch, dass der Wandel der Industrie- zur Wissensgesellschaft statt einer Ausbildung für das Leben lebenslanges Lernen erfordert. In ihrer Novelle des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG) lässt sie aber erneut die Bereitschaft zu konse- quentem Handeln vermissen, weder verlässt sie die ein- getretenen Trampelpfade, noch macht sie mehr als einen winzigen Schritt nach vorn. Richtig ist, dass im Bereich der Pflegeberufe sowie bei den Erzieherinnen und Erziehern großer Handlungs- bedarf besteht. Nicht nur, weil die Beschäftigten – in der Regel übrigens Frauen – für ihre anspruchsvolle Tätig- keit optimal qualifiziert und nebenher bemerkt auch adäquat entlohnt sein sollten, sondern vor allem deshalb, weil uns nur die beste Frühförderung unserer Kinder gut genug sein sollte und weil wir alle auch im Pflegefall mit Recht ein Leben in Würde erwarten dürfen; und dies schließt unzweifelhaft eine qualifizierte Pflege ein. Dazu kann eine gezielte Förderung der Fortbildungsmaßnah- men in diesem Bereich einen Beitrag leisten. Dies will ich durchaus positiv hervorheben. Nur laufen Sie hier der Entwicklung doch schon fast hoffnungslos hinterher. Wir diskutieren nicht erst seit diesem Jahr darüber, welche Bildungswege an die Hoch- schulen gehören. Auch in anderen beruflichen Bereichen ist längst klar, wo die bisherige berufliche Qualifizierung an Grenzen stößt und Berührungspunkte mit der akade- mischen Bildung entstanden sind. Bis heute ist kaum zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20927 (A) (C) (B) (D) erkennen, dass Sie auf diese Entwicklungen politisch re- agiert hätten; und schon gar nicht haben Sie über die In- strumente der Bildungsförderung hierfür gezielte An- reize gesetzt. Das AFBG kann die neuen Bedarfe nicht alleine ab- fangen. Viele Berufe werden vom AFBG gar nicht er- fasst, weil ihre Aus- und Fortbildung nicht im Berufsbil- dungsgesetz oder in der Handwerksordnung geregelt sind. Unterhalb der Aufstiegsfortbildung bieten wir Menschen in Weiterbildung keinen Anspruch auf Leis- tungen der Ausbildungsförderung an. Das BAföG ist mit seiner Altersgrenze von 30 Jahren und der Elternabhän- gigkeit der Förderung in keiner Weise tauglich für eine Förderung des lebenslangen Lernens. Weiterbildungsför- derung bildet einen Flickenteppich unübersichtlicher Einzelmaßnahmen vom WeGebAU bis zum Meister- BAföG – und mit riesigen Lücken. Ein konsistentes Sys- tem der Förderung existiert nicht. So können Bildungs- barrieren nicht überwunden werden, und lebenslanges Lernen wird damit für die Mehrheit der Bevölkerung keine tatsächlich erfahrbare Realität. Auch Ihre Vorstellungen von der Zielgruppe solch ei- ner Novelle lassen durchaus die Vermutung zu, dass die Bundesregierung die letzten zehn Jahre geschlafen hat. Bildung und gerade die Weiterbildung haben sich verän- dert. Es gibt nicht mehr nur Schulungen mit Frontalun- terricht, die sich in Unterrichtsstunden abrechnen lassen. Gute und kreative Weiterbildung zeichnet sich gerade durch Projektarbeit und Praxisphasen aus. Das AFBG aber bezieht sich weiter auf das „klassische“ Schulungs- konzept. Entwicklungen beispielsweise in der Hoch- schulbildung, wo nicht mehr auf Semesterwochenstun- den geschaut wird, also auf die Zeit, die die Lehrenden aufwenden, sondern auf die Gesamtarbeitszeit der Ler- nenden, bleiben hier völlig unberücksichtigt. Damit bleibt die Novelle mindestens zehn Jahre hinter den De- batten der europäischen Bildungspolitik zurück. Zudem schaffen Sie, Frau Ministerin Schavan, mit diesem Gesetz auch noch falsche Anreize. Bei erfolgrei- chem Abschluss sollen 25 Prozent der Schulden erlassen werden. Der Bundesrat wendet ein, wer eine Aufstiegs- fortbildung aufnimmt, strebt auch ohne einen solchen Anreiz einen erfolgreichen Abschluss an. Das ist völlig richtig, sollte aber auf keinen Fall dazu führen, dieses Geld aus der Weiterbildungsförderung abzuziehen. Un- ser Vorschlag: Legen Sie die frei werdenden Mittel auf die Grundförderung um, dann müsste der Prozentsatz, mit dem Maßnahmen und Unterhalt gefördert werden, nicht wie in den letzten Jahren immer weiter sinken, son- dern könnte endlich einmal steigen. Die vom Bundesministerium für Bildung und For- schung eingesetzte Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens – „Timmermann-Kommission“ – hat bereits vor fünf Jahren sehr viel weiter reichende Konzepte für eine Stärkung der Weiterbildung vorgelegt. So forderte die Kommission nicht nur eine Ausweitung bestehender Leistungen, sondern ausdrücklich die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens, unter dem diese Leistungen vereint werden. Diese wichtigen Vor- schläge für einen ganzheitlichen Ansatz in der Bildungs- förderung sind bei Ihnen offenbar im Papierkorb verschwunden. Die Linke hält die Umsetzung dieser Vorschläge für elementar, und so wiederhole ich hier und heute unsere Forderung, nicht länger im Flick- und Stückwerk zu verharren, sondern mit einem Erwachse- nenbildungsförderungsgesetz verlässliche Rahmenbe- dingungen für Nachfrager und Anbieter der Weiterbil- dung zu schaffen. So viel Mut werden Sie schon brauchen, die bislang doch recht hohle Formel vom le- benslangen Lernen mit Leben zu füllen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In einer wissensbasierten Gesellschaft wie der unseren wird lebenslanges Lernen und die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen immer mehr zur Voraus- setzung für Beschäftigungsfähigkeit. Die Zeiten sind vorbei – falls es sie je gab – in denen eine Ausbildung in jungen Jahren als ausreichende Wissensbasis für die ge- samte weitere Erwerbskarriere dienen konnte. Darüber hinaus brauche ich Ihnen sicherlich nicht weiter zu erläutern, wie gerade in Zeiten des sich immer stärker abzeichnenden Fachkräftemangels eine hohe Weiterbildungsbeteiligung die Grundvoraussetzung für nachhaltige Innovationsfähigkeit und ein anhaltendes Wirtschaftswachstum darstellt. Der letzte Woche vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vorgelegte Innovationsbericht hat wieder einmal gezeigt, mit wel- chen Defiziten unser Land da zu kämpfen hat. Von 17 untersuchten OECD Mitgliedstaaten liegt Deutsch- land nur auf Platz 13. In Deutschland herrscht mit 43 Prozent eine viel zu geringe Weiterbildungsbeteiligung. Die skandinavischen Länder mit Weiterbildungsquoten von 70 Prozent und mehr geben uns da die Zielmarken vor. Für Geringquali- fizierte und benachteiligte Gruppen wie Migranten, äl- tere Arbeitnehmer und Frauen ist die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen dabei von besonderer Be- deutung. Doch gerade diese Menschen weisen in Deutschland momentan eine besonders geringe Weiter- bildungsbeteiligung auf. Wie Sie sehen brauchen wir einen wirklichen Auf- bruch hin zu mehr Weiterbildung. Und da sind alle ge- fordert, jeder Einzelne, die Unternehmen, aber auch der Bund. Es kommt darauf an, die richtigen Rahmenbedin- gungen zu schaffen, damit auch Geringverdienende den Wert einer Weiterbildung erkennen und sich diese auch leisten können. Doch was tut diese Bundesregierung? Im Koalitions- vertrag von Union und SPD hieß es noch vollmundig: „Wir wollen mittelfristig die Weiterbildung zur 4. Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitli- chen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren.“ Doch davon ist nichts umgesetzt worden. An- statt des dringend nötigen Weiterbildungsaufbruchs ver- fährt sie nach dem alten Muster: kleckern statt klotzen. Sie strickt wieder einmal einen Flickenteppich von Maß- nahmen, die nicht viel kosten, aber auch nicht viel brin- gen. 20928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Am 1. Dezember ist die spärliche Weiterbildungsprä- mie in Kraft getreten, die eine jährliche Maximalförde- rung von 154 Euro ermöglicht. Nun überlegen Sie sich einmal, welchen Weiterbildungskurs sie für 154 Euro bekommen. Eins ist klar: Eine umfassende Weiterbil- dung ist damit kaum finanzierbar. Mit dieser Regelung bleibt die Anreizwirkung auf wenige Menschen und kurze Maßnahmen beschränkt. Gleichzeitig legt die Bundesregierung nun einen Ge- setzentwurf vor, um das Aufstiegsfortbildungsförde- rungsgesetz zu reformieren. Durch die Reform soll das sogenannte „Meister-BAföG“ zukünftig auch auf die Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsberufe anwendbar sein; außerdem sollen mediengestützte Fortbildungen und Zweitfortbildungen besser gefördert werden. Die Bundesregierung strebt damit nach eigenen Angaben an, dass ab 2010 jährlich 160 000 Menschen die Förderung in Anspruch nehmen. 2007 waren es 134 000. Insgesamt sollen sich dadurch also 26 000 Menschen mehr als bis- her für Weiterbildung entscheiden. Das ist ein Armuts- zeugnis, denn in Sonntagsreden spricht die Bundesregie- rung davon, den Anteil an der Weiterbildung von derzeit 43 Prozent auf 50 Prozent bis 2015 zu steigern. Außerdem stellt die Bundesregierung viel zu geringe Mittel bereit: 45 Millionen Euro über 4 Jahre. Ein wirk- liches „Erwachsenen-BAföG“, das je nach Lebenssitua- tion einen Mix aus Zuschüssen und Darlehen für jede zertifizierte Weiterbildung bereitstellt, würde aber 450 Millionen Euro pro Jahr erfordern. Gerade in Zeiten der Krise ist die Weiterqualifizierung von Beschäftigten eine gute und für alle lohnenswerte Alternative zu Kurz- arbeit und verlängerten Betriebsferien. Was die Große Koalition hier vorlegt, reicht bei weitem nicht aus. Wir Grünen haben stattdessen ein umfassendes Konzept vorgelegt, wie alle Menschen, unabhängig von Einkommen oder Berufsgruppe, von Weiterbildung pro- fitieren können. Mit unserem Modell des Bildungsspa- rens als einem Baustein zur Förderung des lebenslangen Lernens schaffen wir die Möglichkeit, dass jede und je- der ab 16 Jahren ein Bildungssparkonto eröffnen kann. Bei regelmäßigen Einzahlungen gibt es eine staatliche Bildungssparzulage, die mindestens so hoch ist wie die Bausparförderung. Dabei profitieren von unserem Vor- schlag insbesondere Geringverdiener, weil für sie eine höhere Sparzulage vorgesehen ist, nämlich 100 Prozent bei einer Mindesteinlage von 5 Euro im Monat. Im Ge- gensatz zur Regierung haben wir auch eine verlässliche finanzielle Grundlage eingeplant: Aus unserer Sicht sollte für das Bildungssparen die Wohnungsbauprämie abgeschafft werden. Mit unserem Antrag „Förderung des lebenslangen Lernens unverzüglich entscheidend voranbringen“ zeigen wir, wie eine umfassende Reform der finanziellen Unter- stützung von Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teil- nehmern aussehen muss. Wir schlagen ein neues „Er- wachsenen-BAföG“ vor, in dem das bisherige „Meister- BAföG“ aufgehen wird. Dieses soll einen Rechtsan- spruch auf Förderung für eine staatlich zertifizierte Wei- terbildung gewähren. Mit unserem Ansatz gehen wir in drei entscheidenden Punkten deutlich weiter, als es die Große Koalition hier vorschlägt. Erstens wird mit der von uns vorgeschlagenen Form der Finanzierung sichergestellt, dass jeder und jede Wei- terbildungswillige die von ihm bzw. von ihr gewünschte Maßnahme auch in Anspruch nehmen kann. Dabei wird die Unterstützung entsprechend der individuellen Ein- kommens- und Vermögensverhältnisse durch eine Kom- bination aus Zuschuss und Darlehen gewährt. Damit stellen wir sicher, dass insbesondere die Hürden für die Weiterbildung von Geringqualifizierten gesenkt werden. Ein besonderer Förderschwerpunkt wird darüber hinaus für Frauen und Migranten eingerichtet. Zweitens fördern wir mit unserem Ansatz das Errei- chen jedes staatlich zertifizierten Abschlusses in der Fort- und Weiterbildung. Der angestrebte Abschluss muss dabei nicht im konkreten Zusammenhang mit dem bereits ausgeübten Beruf oder den vorliegenden Qualifi- kationen stehen. Beim Nachholen eines ersten Schulab- schlusses wird die Unterstützung als Vollzuschuss ge- währt. Schließlich haben wir in unserem Antrag eine Reihe von dringend notwendigen Begleitmaßnahmen vorgese- hen, um die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland wirklich nachhaltig zu erhöhen. Dazu gehört unter ande- rem eine flächendeckende, unabhängige Weiterbildungs- beratung, die bei den Verbraucherzentralen angesiedelt ist. Wir wollen eine Absicherung von Langzeit- und Lernkonten gegen die Insolvenz des Arbeitgebers ab der ersten Stunde und die Fortführung in einem neuen Ar- beitsverhältnis durchsetzen. Für kleine und mittlere Un- ternehmen wollen wir zusätzliche Anreize schaffen, da- mit diese die Weiterqualifizierung ihrer Beschäftigten nachhaltig im Unternehmen verankern. Damit Deutschland im Weiterbildungssektor An- schluss an den internationalen Standard findet, ist deut- lich mehr nötig, als die Große Koalition hier vorgelegt hat. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Bildung und Forschung: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir weiterbildungs- willigen Arbeitnehmern nachhaltig verbesserte Rahmen- bedingungen bei ihrer beruflichen Fortbildung anbieten. Wir leisten mit dem novellierten Meister-BAföG einen wichtigen Beitrag zur beruflichen Weiterqualifizierung des Einzelnen, aber auch zur Stärkung der Wettbewerbs- fähigkeit unserer Wirtschaft. Allein im Jahr 2007 wurden nach diesem Gesetz rund 134 000 Menschen individuell gefördert. Dieses Förder- instrument ist damit eine tragende Säule bei der Weiter- entwicklung beruflicher Qualifikationen und nicht zu- letzt bei der Sicherung der Konkurrenzfähigkeit der Betriebe. Neue Produkte, neue Dienstleistungen, aber auch betriebliche Strukturveränderungen erfordern an- dere und verbesserte Qualifikationen. Im nationalen und im globalen Wettbewerb haben die Betriebe die Nase vorn, deren Personal innovativ und anpassungsfähig ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20929 (A) (C) (B) (D) Eine hochwertige berufliche Qualifikation der Beschäf- tigten ist dafür eine elementare Voraussetzung. Deshalb räumen wir der Bildung für die Zukunft un- seres Landes oberste Priorität ein. Mein Ziel ist es, je- dem den Zugang zu Bildung, aber auch den Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Die Leistungen nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz bieten eine spürbare Hilfe. Individuelles Engagement und hohe Leistungsbereitschaft müssen diese Förderung ergänzen. Das Meister-BAföG hat in den vergangenen zwölf Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass sich Fachkräfte für ihre beruflichen Herausforderungen fit gemacht ha- ben. Angesichts der demografischen Entwicklung gibt es hierzu keine Alternative. Ich freue mich, dass es über die Einschätzungen und die Zielrichtung des Gesetzentwurfs einen breiten Kon- sens mit den Sozialpartnern und den Ländern gibt. We- sentliche Anregungen für die Novelle haben wir den Er- fahrungen mit dem bisherigen Gesetz entnommen wie auch aus den Diskussionen mit Fachleuten aus dem Ge- setzesvollzug, mit Bildungsträgern, Fortbildungsteilneh- mern und nicht zuletzt auch mit den Bildungsexperten aus den Koalitionsfraktionen. Von den vorgesehenen zahlreichen Leistungsverbes- serungen möchte ich folgende hervorheben: Es soll eine Aufstiegsfortbildung gefördert werden können, und zwar auch dann, wenn der Fortbildungswillige bereits ei- nen Fortbildungsabschluss erworben hat, den er zum Beispiel aus Eigenmitteln selbst finanziert hat. Es ist nicht einzusehen, dass er deshalb nach der jetzigen Rechtslage keine Förderung bekommt, er also für seine Anstrengungen quasi bestraft wird. Eine solche Eigen- initiative darf sich nicht nachteilig auswirken. Durch ei- nen Darlehenserlass von 25 Prozent bei Bestehen der Prüfung wollen wir die Motivation bei der Weiterbildung, bis zur Prüfung durchzuhalten, verstärken und belohnen. Intention des Gesetzes ist, den Erwerb arbeitsmarktver- wertbarer Fortbildungsabschlüsse zu erleichtern. Dieser Leistungsanreiz ist ein Herzstück der AFBG-Novelle. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, die Aus- und Fortbil- dung sowie Entwicklungsmöglichkeiten für diejenigen, die in der frühkindlichen Erziehung tätig sind, nachhal- tig zu verbessern. Daher sind die Aufstiegsfortbildungen zur Erzieherin und zum Erzieher in die Förderung einbe- zogen. Angesichts des zunehmenden Fachkräftebedarfs in der Altenpflege ist es ein wichtiges Signal, dass nun- mehr auch privatrechtliche Fortbildungen der ambulan- ten und stationären Altenpflege für eine dreijährige Übergangszeit in die Förderung einbezogen werden sol- len. Viele Betriebe, gerade im Handwerk, stehen vor ei- nem Generationswechsel. Wir wollen mit diesem Gesetz auch diejenigen, die eine Aufstiegsfortbildung erfolg- reich absolviert haben, zur Betriebsübernahme und Exis- tenzgründung ermuntern. Durch einen verbesserten und gestaffelten Existenzgründungserlass wird künftig be- reits die Schaffung eines dauerhaften Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes in einem neu gegründeten oder übernom- menen Unternehmen mit einem Darlehensteilerlass ho- noriert. Ein zentrales Ziel der Novelle ist auch, die Vereinbar- keit von Familie und beruflicher Aufstiegsfortbildung zu verbessern. Der besonderen Situation von Teilnehmern mit Kindern tragen wir mit der Erhöhung des Kinderer- höhungsbetrages von 179 auf 210 Euro pro Kind und Monat und dessen Bezuschussung zu 50 Prozent Rech- nung. Alleinerziehende erhalten darüber hinaus einen pauschalierten Kinderbetreuungszuschuss. Notwendig ist auch die Integration von Bildungswilli- gen mit Migrationshintergrund und einer Daueraufent- haltsberechtigung. In ihnen schlummern Begabungsreser- ven und ein Fachkräftepotenzial, auf das wir angesichts der demografischen Entwicklung dringend angewiesen sind. Auf die bisherige Voraussetzung einer dreijährigen Mindesterwerbsdauer vor Beginn der Fortbildung wird nun generell verzichtet. Nachdem kürzlich die Leistungen nach dem BAföG für Schüler und Schülerinnen und für Studierende ver- bessert wurden, machen wir mit diesen Maßnahmen deutlich, dass berufliche Bildung gleichermaßen im Fo- kus steht. Der Gesetzentwurf gehört zu den Maßnahmen der Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“, mit denen das Ziel verfolgt wird, jedem den Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Diese Förderung wird er- gänzt durch das Angebot von Fortbildungsordnungen des BMBF, die gemeinsam mit den Sozialpartnern erar- beitet werden und für Weiterbildung und Personalent- wicklung genutzt werden. Die mithilfe des Meister-BAföGs erworbenen Fortbil- dungsabschlüsse bieten zum Teil sogar die Option, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Ich bin sehr froh da- rüber, dass wir mit den Ländern beim Qualifizierungs- gipfel einen grundsätzlichen Konsens über die Verbesse- rung der Durchlässigkeit erzielt haben. Das zielt auf Erleichterungen beim Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte und auf die Berücksichtigung der in der Aufstiegsfortbildung erworbenen Kompetenzen im Stu- dium. Mit der vorliegenden Gesetzesnovelle verbessern wir den Stellenwert und die Attraktivität der Aufstiegsfort- bildung ganz erheblich. Das zeigt sich nicht zuletzt im Finanzvolumen. Die Bundesregierung wird für die vor- gesehenen Leistungsverbesserungen in den nächsten vier Jahren insgesamt rund 200 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Das ist eine Steigerung um bis zu 60 Prozent. Damit wollen wir die weiterbildungswilligen Arbeitnehmer spürbar entlasten, aber auch zusätzliche Impulse für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft geben. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Län- dern hat sich in den vergangenen Jahren gerade bei die- sem Gesetz bewährt. So berücksichtigt der Gesetzent- wurf Vorschläge der Länder und nimmt die Erfahrungen aus dem Gesetzesvollzug aus den Landesbehörden auf. Die Länder müssen deshalb weiterhin in bewährter Weise ihren Anteil von 22 Prozent an den Gesamtkosten der Aufstiegsfortbildungsförderung tragen. Das ist eine gute Investition in die Zukunft. Bund und Länder kamen beim Bildungsgipfel über- ein, die Bildungs- und Forschungsausgaben bis zum Jahr 2015 auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu stei- 20930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) gern. Mit diesem Gesetz wollen wir hierzu einen Beitrag zur Umsetzung leisten. Damit ist die AFBG-Novelle ein- gebettet in das Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Stärkung des beruflichen Bildungssystems, der Weiterbil- dung und der Durchlässigkeit in den Hochschulbereich. Dazu gehören die im Herbst beschlossene Einführung ei- ner Bildungsprämie und des Weiterbildungssparens. Dazu gehören auch die neu geschaffenen Aufstiegs- stipendien, die über das duale System den Hochschulzu- gang ermöglichen. Darüber hinaus bieten die mithilfe des Meister- BAföGs erworbenen Fortbildungsabschlüsse zum Teil die Möglichkeit, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Der Hochschulzugang und die Berücksichtigung der in der Aufstiegsfortbildung erworbenen Kompetenzen im Studium sollen verbessert werden. Gebündelt werden alle diese Maßnahmen in der Qua- lifizierungsinitiative der Bundesregierung. Gemeinsam ermöglichen sie den Aufstieg durch Bildung. Hierzu leistet die AFBG-Novelle einen wichtigen Beitrag. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Hunger und Armut in Entwicklungsländern durch die Förderung von ländlicher Ent- wicklung nachhaltig bekämpfen – Die Ursachen des Hungers beseitigen – Die ländliche Entwicklung fördern (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Seit ich mich mit Ent- wicklungspolitik beschäftige, stelle ich immer wieder er- staunt fest, dass es Themen gibt, die für einige Monate die Debatte beherrschen, dann aber wieder in der Ver- senkung verschwinden – ungeachtet, wie wichtig sie sind oder ob wir es geschafft haben, das Problem zu lö- sen. Vor kurzem war dieses Thema die Nahrungsmittel- krise, und die Politik hat versucht, umfassend darauf zu reagieren. Es wurden Haushaltsumschichtungen vorge- nommen, Anhörungen angesetzt, Anträge geschrieben, Konferenzen veranstaltet und vieles mehr. Leider kommt es mir dennoch manchmal wie Stückwerk oder besten- falls das Schreiben diverser Papiere vor. Ich frage mich, ob wir es schaffen, auch langfristig in diesem Thema en- gagiert zu bleiben – denn das müssen wir. Das Thema „ländliche Entwicklung“ wurde lange genug sträflich vernachlässigt. Einen Beitrag zu einem langfristigen En- gagement in der ländlichen Entwicklung soll der vorlie- gende Antrag leisten. Im Folgenden möchte ich daraus einige Aspekte hervorheben, die mir besonders wichtig sind. Dazu bietet sich an, zunächst Bilanz zu ziehen: Kom- men wir zuerst zur Habenseite: Wir mussten mit diver- sen Sofortmaßnahmen auf die jüngste Nahrungsmittel- krise reagieren, um das Ärgste zu verhindern. So haben wir im Haushalt des BMZ immerhin über 500 Millionen Euro zusätzlich für Nahrungsmittelhilfe bereitgestellt, die als Nothilfe den am schlimmsten von der Hunger- krise Betroffenen helfen soll. Wir haben ein Paket von weiteren Maßnahmen verabschiedet, welches zwar in erster Linie auf die aktuelle Nahrungsmittelkrise reagie- ren soll, aber auch einiges in Bezug auf den Klimawan- del anstößt. Auch konnte nach langen und zähen Ver- handlungen die sogenannte EU-Milliarde bereitgestellt werden. Insofern denke ich, wir haben durch diese und andere Sofortmaßnahmen wichtige Pflöcke einrammen können. Wir müssen aber nach dem ersten Schrecken über das Ausmaß der Nahrungsmittelkrise auch den Fokus auf die zukünftigen Entwicklungen richten und uns daher fra- gen, was man mittel- bzw. langfristig tun kann und wel- che Faktoren im Rahmen der ländlichen Entwicklung eine Rolle für eine sichere Nahrungsmittelversorgung und die Bekämpfung der Armut spielen. Dafür gibt es keine Patentlösungen, vielmehr ist es ein langwieriges Bohren dicker Bretter. Der vorliegende Antrag be- schreibt sehr detailliert und umfassend die Voraussetzun- gen und Instrumente, die für eine erfolgreiche ländliche Entwicklung notwendig sind. Im Rahmen der heutigen Debatte kann ich leider nur einige wenige Dinge nennen, die mir besonders am Herzen liegen. So freue ich mich besonders, dass wir in den jüngs- ten Haushaltsberatungen beschlossen haben, den Titel für internationale Agrarforschung um insgesamt 8,5 Millionen Euro zu erhöhen. Ziel der Agrarfor- schung soll unter anderem sein, die regional unter- schiedlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Böden und Pflanzen zu erforschen, um auf die zu- künftigen Bedingungen besser reagieren zu können. Dabei kommt man in Diskussionen immer zwangs- läufig auf das Thema Grüne Gentechnik. Diese wird schon heute bei Soja, Mais oder Baumwolle einge- setzt. Vielleicht kann moderne Biotechnologie auch helfen, neue Möglichkeiten in Subtropen oder Tropen zu eröffnen. Dabei müssen wir offen mit unseren Partnerländern über die damit zusammenhängenden Chancen und Risiken sprechen, aber ihnen, also unse- ren Partnerländern, die Entscheidung über deren Ein- satz überlassen. Wenn ich den Antrag der Grünen lese, finde ich es traurig, dass manche glauben, ihre ideologisch motivierten Entscheidungen anderen auf- zwängen zu können. So anmaßend sollten wir nicht sein. Auch fordern wir in unserem Antrag das BMZ auf, ländliche Entwicklung zum Schwerpunkt seiner Tätig- keit zu machen, und ich hoffe, dass sich daran nichts än- dern wird, wenn das nächste Thema hochgespielt wird. Wir müssen unsere Bemühungen bündeln und dürfen uns nicht verzetteln, wie Francis Fukuyama in seinem jüngsten Buch über das „Staaten bauen“ schreibt. Auch hoffe ich, dass es uns gelingt, unsere eigene Bevölke- rung auf diesem Weg mitzunehmen und ein entsprechen- des Problembewusstsein bei den Menschen zu veran- kern. Denn eine nachhaltige ländliche Entwicklung bedeutet auch Einschnitte in unserem Leben – nicht nur aufgrund der finanziellen Mittel, mit denen wir unsere Partnerländer unterstützen, sondern auch beispielsweise Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20931 (A) (C) (B) (D) in Bezug auf Fragen unserer europäischen Landwirt- schaft. Ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Forde- rung nach „Abschaffung von marktverzerrenden Agrar- subventionen in den Industrieländern“, um Produzenten in Entwicklungsländern nicht weiter durch Agrardum- ping zu schädigen, nicht uneingeschränkte Begeisterung auslöst. Wir erleben oft genug Diskussionen, die nicht mehr entlang von Fraktionszugehörigkeit, sondern ent- lang von Ausschussgrenzen verlaufen. Diese Diskussio- nen darf man nicht scheuen – im Gegenteil. Denn nur so kommen wir zu umfassenden und strukturellen Lösun- gen. In diesen Diskussionen müssen wir uns aber auch im- mer wieder vor Augen führen, dass wir dabei über länd- liche Entwicklung in Regionen dieser Welt sprechen, in denen unsere eigenen Erfahrungswerte, Techniken und Vorstellungen nicht so ohne Weiteres übertragbar sind. Wir müssen bei unseren Programmen in den Partnerlän- dern immer berücksichtigen, dass eine erfolgreiche länd- liche Entwicklung von vielen Faktoren abhängt, die man nicht über einen Kamm scheren kann, und müssen daher vor allem den Erfahrungsschatz der örtlichen Bevölke- rung einbringen. Ein Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist für mich das Finden von „standortgerechten“ Lösungen. So habe ich beispielsweise jüngst in Äthiopien eine span- nende Diskussion über die Frage erlebt, ob es möglich ist, ganze Regionen gegen Ernteausfälle aufgrund von Klimakatastrophen zu versichern. In diesem Bereich hat beispielsweise CARE in Indien in Zusammenarbeit mit der Allianz schon erste vielversprechende Erfahrungen gesammelt; diese lassen sich aber nicht eins zu eins auf Äthiopien übertragen. Dennoch glaube ich, dass man mit diesem Instrument – auch wenn es kein Allheilmittel ist – die Situation von vielen Kleinbauern verbessern kann. Es gibt noch viele weitere, oftmals auch prominentere Instrumente, mit denen wir die Partnerländer unterstüt- zen. Doch eines ist uns allen aber auch klar: All das wird wahrscheinlich nicht ausreichen, um jeden Menschen auf der Welt von heute auf morgen eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln zu garantieren. Dazu sehen wir uns schon heute bei fast 1 Milliarde Hungern- den kaum in der Lage – und die zu erwartenden Auswir- kungen des Klimawandels werden es nicht gerade leich- ter machen. Woran liegt das? Darauf gibt es keine Patentantwort. Die Ursachen sind vielfältig und kom- plex, und ich habe in den unterschiedlichsten Diskus- sionsrunden viele wichtige und richtige Dinge gehört. Doch eines kam mir immer zu kurz, nämlich, dass wir leicht vergessen, dass unsere Möglichkeiten und unser Einfluss, aber auch unsere Verantwortlichkeit begrenzt sind. Wenn wir beispielsweise von der Implementierung des Rechts auf Nahrung sprechen, muss man zuallererst an die nationalen Regierungen in den Partnerländern appellieren, auch wenn die internationale Gemeinschaft ihnen in der Umsetzung dieses Rechts natürlich helfen kann und auch hilft. Wenn ich mir aber heute die Liste der FAO, in welchen Ländern aufgrund von Nahrungs- mittelknappheit Unruhen drohen, anschaue, dann finde ich dort auch einige Länder wieder, die auf den diversen Indizes über Bad Governance weit oben stehen. Dabei stellt sich mir die Frage, ob das Problem der Nahrungs- mittelversorgung manchmal nicht eine Frage der Verfüg- barkeit, sondern der Verteilung ist. Dazu gibt es ein- schlägiges Datenmaterial. Und spätestens dann stoßen wir an die Grenzen unseres Einflusses, wenn wir ent- sprechende Regime dazu bewegen möchten, der ärmsten Bevölkerung Zugang zu Nahrung zu gewähren und für Kleinbauern Anreize für höhere Produktion zu schaffen. Wie schwierig es für die Bevölkerungen einiger dieser Länder ist, aus der Armutsfalle zu entrinnen, zeichnet Collier in seinem Buch „The Bottom Billion“ nach. Das bringt mich auf eine zweite Fehleinschätzung: Wir unterstützen in unseren Partnerländern die vielfäl- tigsten Projekte, von denen wir hoffen, dass sie in ihren jeweiligen Sektoren nachhaltige Wirkung erzielen. Viele dieser Projekte sind erfolgreich, einige leider auch weni- ger. Doch wenn wir über den Aufbau funktionierender lokaler Agrarmärkte, Ertragssteigerungen in der Land- wirtschaft oder über die Erhöhung der Kaufkraft von Kleinbauern und der Bevölkerung im ländlichen Raum sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass diese Erfolge leider nicht planbar sind. Doch gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass in manchen entwicklungspoliti- schen Debatten der Traum von einer funktionierenden sozialistischen Planwirtschaft mitschwingt. Es wird be- hauptet: Wenn man nur x in die Hand nimmt, wird am Ende y herauskommen. Das kann, wie William Easterly nachgewiesen hat, natürlich nicht funktionieren. Bedau- erlicherweise können wir Wirkungen und Erfolge in Ab- hängigkeit zum Einsatz nicht prognostizieren. An den gegebenen Realitäten und Unsicherheiten führt kein Weg vorbei. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur kurz auf den Antrag der Grünen eingehen, der heute in erster Lesung mitberaten wird. Sehr amüsiert hat mich die ziemlich vehemente Forderung, die ODA- Mittel zu erhöhen. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, kommt Ihnen diese Einsicht nicht etwas spät? Als Sie dazu Gelegenheit hatten und Regierungsverantwortung trugen, düm- pelte die ODA-Quote zwischen 0,26 und 0,28 Pro- zent. Die unionsgeführte Bundesregierung hat es im- merhin geschafft, diese Quote auf 0,37 Prozent im Jahr 2007 zu steigern. Wir können heute ziemlich gut prognostizieren, in welchem Maße sich das Klima ändern wird und welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Ernährungssi- cherheit hat. Dazu gibt es gute Studien beispielsweise von Germanwatch und Brot für die Welt. Wir können aber nicht abschätzen, wie groß die Anpassungsfähigkeit von Mensch und Natur an die oben genannten Verände- rungen sein wird. Auch wissen wir nicht, ob es uns ge- lingt, baldmöglichst entsprechende Ergebnisse in der Agrarforschung zu erzielen und diese auch jedem Klein- bauern, der sie benötigt, zur Verfügung zu stellen; denn dies kann beispielsweise auch von Governance- oder Bildungsfragen abhängen. Wir sollten also versuchen, all den Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, mit den im Antrag genannten 20932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Instrumenten zu begegnen, wie beispielsweise die Aus- weitung von Agrarforschung, die Fokussierung auf die ländliche Entwicklung sowie das Stärken der Verant- wortlichkeit der jeweiligen Regierung. Vor allem müs- sen wir nach den langwierigen Debatten endlich auch mit der Umsetzung unserer Agenda beginnen. Alles da- rüber Hinausgehende würde zu unverantwortlichen Ver- zögerungen führen, würde unsere eigenen Möglichkei- ten überschätzen und wäre zum Scheitern verurteilt, und das können wir uns nicht leisten. Dr. Sascha Raabe (SPD): Die weltweite Armut hat vor allem ein ländliches Gesicht. Trotz teils gravierender Landflucht und voranschreitender Urbanisierung leben rund 80 Prozent der Menschen in Entwicklungsländern und circa 75 Prozent der absolut Armen im ländlichen Raum. Dort sind die Einkommensmöglichkeiten be- schränkt, Infrastruktur und Industrie sind meist mangel- haft oder gar nicht vorhanden. Demzufolge sind die meisten Menschen in den Entwicklungsländern auf die Landwirtschaft angewiesen. Obwohl sie eigentlich an der Quelle der Nahrungsproduktion tätig sind, reichen die Erträge oft nicht aus, die Ernährung ihrer Familien sicherzustellen. Auch deshalb ist die Zahl der weltweit hungernden Menschen auf 923 Millionen angewachsen. Das Millenniumsziel – die Anzahl der unterernährten Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren – wird damit noch schwieriger zu erreichen. Besorgniserregend ist vor allem die Situation in Sub- sahara-Afrika. Die landwirtschaftliche Produktion ist dort in den vergangenen Jahren kaum gestiegen. Rund 30 Prozent der jährlich in Afrika konsumierten Nah- rungsmittel müssen importiert werden, und das, obwohl circa 70 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind. Dieser Istzustand stellt eine inakzeptable Situation für die Menschen in den betroffenen Gebieten dar. Spätes- tens seit der Anfang des Jahres einsetzenden Nahrungs- mittelkrise sollte jedem deutlich geworden sein, dass diese Importabhängigkeit katastrophale Folgen für die Versorgung der Menschen in den Entwicklungsländern hat. Neben der weltweit stärkeren Nachfrage nach Grund- lebensmitteln wie Reis oder Weizen und veränderten Er- nährungsgewohnheiten, der stetig steigenden Produktion von Agrartreibstoffen und nicht zuletzt der Spekulation unverantwortlicher Händler an den Warenterminbörsen sind es vor allem die immer noch immensen Summen an Agrarexportsubventionen westlicher Staaten, die es den Bauern in den Entwicklungsländern schier unmöglich machen, profitabel zu wirtschaften. Auch wenn das nicht alle hier im Hause gerne hören möchten, Fakt ist: Die subventionierten Nahrungsmittel der Industrienationen zerstören die lokalen Agrarmärkte in den Entwicklungsländern. Allein im letzten Jahr ha- ben die OECD-Staaten 349 Milliarden Dollar an Produk- tions- und Exportsubventionen für ihre Bauern ausgege- ben. Dies kann und darf nicht Sinn und Zweck einer nachhaltigen und damit langfristig auf Selbstständigkeit der betroffenen Länder ausgerichteten Politik sein. Mit Gratislieferungen in arme Länder werden die ein- heimischen Kleinbauern an den Rand ihrer Existenz ge- bracht, die oft nicht mit den auf dem Markt angebotenen Hilfsgütern konkurrieren können. Wie schon in der De- batte um eine geeignete Nahrungsmittelhilfekonvention angemerkt, verstärkt diese Situation die Abhängigkeit der Empfängerländer von Nahrungsmittelhilfe und steht konträr zu dem eigentlichen Ziel, den Empfängerländern langfristig eine eigenständige Existenz- und damit Über- lebensgrundlage zu sichern. Der Weltagrarhandel zwischen Norden und Süden muss daher fair ausgestaltet werden. Fair bedeutet: ge- rechte Marktchancen durch Zollabbau, Abschaffung der Exportsubventionen sowie ein Ende der handelsverzer- renden internen Stützungen in den Industriestaaten. Daher ist es wichtig, richtig und notwendig, dass die Agrarexportsubventionen der EU bis 2013 vollständig abgebaut werden. Je früher, desto besser! In diesem Zusammenhang sollte auch angemerkt wer- den, dass Hunger kein Problem der absolut produzierten Nahrungsmittelmenge ist. Mitnichten! Die Weltlandwirt- schaft könnte heute schon 9 Milliarden Menschen aus- reichend ernähren. Hunger ist ein Problem des Zugangs zur Nahrung. Insbesondere den Kleinbauern fehlt dieser Zugang. Für sie ist es zum Teil unmöglich, produktive Ressourcen wie Land, Kredite, Betriebsmittel etc. zu er- langen. Dieser Mangel stellt ein großes Entwicklungs- hemmnis in vielen Ländern dar. Gerade weil deutlich wurde, dass die Nahrungsmittel- krise nicht in erster Linie eine Versorgungs-, sondern eine Verteilungs- und Armutskrise ist, ist es zwingend erforderlich, die Produktivität der jeweiligen kleinbäuer- lichen Wirtschaftseinheiten zu verbessern. Daher muss es ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung im Rah- men der bi- und multilateralen Zusammenarbeit sein, Förderstrategien der ländlichen Entwicklung zu unter- stützen, die auf kleinbäuerliche Produzenten in benach- teiligten Regionen ausgerichtet sind. Denn die meisten Kleinbauern, die ungefähr 400 Millionen Betriebe mit weniger als 2 Hektar Land pro Betrieb bewirtschaften, produzieren selten Überschüsse. Zum Teil müssen sie sogar Nahrungsmittel zur Versorgung der Familie zukau- fen. Die anerkannte Hebelwirkung von Mikrokrediten könnte auch hier erfolgversprechende Wirkung zeigen. Wenn es um ländliche Entwicklung geht, dann geht es auch immer um Anbauflächen und damit um geeignete Umweltschutzstrategien. An vorderster Stelle stehen da- bei vor allem der Tropen- und Regenwaldschutz. Der Schutz dieser einzigartigen Wälder – sei es nun in Ecuador, in der Republik Kongo oder in Indonesien – muss fester Bestandteil dieser Strategien sein. Denn Re- genwaldschutz bedeutet immer auch Klimaschutz. Es ist daher wichtig, Biodiversitäts- und Agrobiodiversitäts- konzepte zu fördern. Neueste Studien belegen, wie wichtig die Förderung der ländlichen Entwicklung auch für die Gesellschafts- struktur eines Landes oder einer Region sein kann. Da- raus geht hervor, dass Wachstumsraten kleiner und mitt- lerer landwirtschaftlicher Unternehmen besonders zur Armutsbekämpfung beitragen. Gestützt werden diese Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20933 (A) (C) (B) (D) Ergebnisse auch durch den letzten Weltbankbericht Agriculture for Development, der deutlich anführt, wel- che Chancen die Förderung der ländlichen Entwicklung birgt. Es ist daher unverständlich, dass die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit auf bi- und multilateraler Ebene im Bereich Landwirtschaft von 25 Milliarden US- Dollar im Jahr 1986 auf circa 12 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 zurückgegangen ist. Umso begrüßenswerter ist es, dass die Bundesregie- rung erkannt hat, welche immense Bedeutung die ländli- che Entwicklung hat. Die Nettoausgaben für diesen Sek- tor erhöhten sich von 382,3 Millionen Euro im Jahr 2005 auf 576,8 Millionen Euro im Jahr 2006. In diesem Jahr sind mittels verschiedener Instrumente insgesamt 600 Millionen Euro allein für die Ernährungssicherheit neu investiert worden. Aus den oben genannten Gründen halte ich es für wichtig, dass die Bundesregierung im Rahmen der bi- und multilateralen Zusammenarbeit die ländliche Entwicklung zu einem Schwerpunkt der deut- schen Entwicklungszusammenarbeit macht und in den kommenden Haushaltsjahren dieses deutsche Engage- ment fortsetzt. Wenn wir eines aus den Entwicklungen der letzten Jahren – und insbesondere aus den teils frappierenden Folgen der diesjährigen Nahrungsmittelkrise – gelernt haben dürften, dann dies: Ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung sind zwei untrennbar miteinander verwobene Bereiche. Wir werden nur dann langfristigen und damit nachhaltigeren Erfolg im Kampf gegen die Armut und den Hunger auf dieser Welt haben, wenn den Entwicklungsländern gerechte Chancen zur Teilhabe am Welthandel ermöglicht werden. Viele Entwicklungsländer wurden aufgrund der egoistischen und rücksichtslosen Wirtschaftspolitik der Industriestaaten von Export- zu Importländern. Diese Entwicklung, die insbesondere die Ärmsten der Armen zu spüren bekamen, muss wieder ins richtige Gleichge- wicht gerückt werden. Dazu ist es auch notwendig, dass die Bundesregierung – allen voran Bundesentwicklungs- ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul – sich weiterhin dafür einsetzt, dass die WTO-Verhandlungen mit einem entwicklungsorientierten Abkommen abgeschlossen werden. Dieses Abkommen muss die bisher in Hong- kong erreichten Ergebnisse sichern und die vereinbarten Umsetzungen aus Doha anstreben. Es gibt jüngst wieder Hoffnung, dass es vielleicht doch noch bald zu einem er- folgreichen Abschluss der WTO-Runde kommt. Ziel unseres heutigen Antrages ist es, dass wir zu- künftig, in noch engerer Zusammenarbeit, gemeinsam mit den Menschen in den Entwicklungsländern den Bo- den bereiten, den sie morgen bestellen, beackern und dessen Früchte sie in absehbarer Zeit ernten können. Ich meine, wir stellen hierfür die richtigen Gerätschaften be- reit und haben – wenn auch noch an der einen oder ande- ren Stelle mit Abstrichen versehen – viel für gute Vo- raussetzungen getan. Wie reich der Ertrag sein wird, den die Ernte am Ende einbringen wird, liegt aber auch zu ei- nem Großteil in den Händen der Entwicklungsstaaten selbst. Sie tragen ebenfalls eine hohe Verantwortung dafür, dass die Stellschrauben an der richtigen Stelle angezogen werden. Immer noch sind strukturelle und politische Probleme – wie eine ungerechte Land- und Einkommensverteilung oder Korruption – in den Ent- wicklungsländern Ursachen dafür, dass die Entwicklung des ländlichen Raumes nicht vorankommt bzw. nicht den Ärmsten zugutekommt. Die sozialdemokratische Regierung Brasiliens hat hier inzwischen auf dem südamerikanischen Kontinent eine Vorbildfunktion eingenommen, indem sie das Recht auf Nahrung in der nationalen Gesetzgebung verankert hat. Im Interesse der ärmsten Menschen hoffen wir, dass möglichst alle Entwicklungs- und Schwellenländer sich diesem Beispiel anschließen. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen unseres Antrages werden wir diese Länder wirkungsvoll unterstützen können und mit einer gemein- samen Kraftanstrengung vielleicht doch noch die Mil- lenniumsentwicklungsziele erreichen. Marianne Schieder (SPD): Hunger und Armut sind eng verknüpft und vielfach im ländlichen Raum zu fin- den. Daher braucht es einen umfassenden Ansatz, wenn wir den Hunger wirksam bekämpfen wollen. Es kann und darf nicht sein, dass ausgerechnet dort die meisten Hungernden leben, wo Nahrungsmittel produziert wer- den. Im Folgenden einige grundsätzliche Eckpunkte, die wir anstreben müssen, um nachhaltig die Situation zu verbessern. Ernährung muss wieder mehr regional, saisonal und kulturell gedacht werden. Soweit es die natürlichen Ge- gebenheiten erlauben, muss Nahrung wieder dort produ- ziert werden, wo die Menschen sie brauchen. Damit kann vielerorts die Eigenversorgung gestärkt und gleich- zeitig Menschen die Möglichkeit eröffnet werden, Ein- kommen zu generieren. Es ist ein Irrglaube, dass unsere Landwirtschaft hier die Welt ernähren könnte. Wer dies glaubt, den frage ich, von welchem Geld die Menschen im Süden die Lebensmittel aus den Industrienationen be- zahlen sollen? Ganz zu schweigen von den ökologischen Folgen, wenn wir Produkte unnötig transportieren und in einzelnen Regionen die Produktion überdimensioniert steigern. Wir brauchen internationalen Agrarhandel dort, wo er notwendig ist, aber nicht, wo er vorhandene Poten- ziale zerstört. Insgesamt ist es wichtig, beim Anbau von Lebensmit- teln wieder stärker die natürlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, um die natürlichen Ressourcen wie Wasser, Land und Saatgut nachhaltig zu nutzen. Nur so haben wir angesichts weltweit steigender Bevölkerungs- zahlen die Chance, dass auch Generationen nach uns eine zukunftsweisende Lebensmittelproduktion betrei- ben können. Es braucht gerade im Sektor der Landwirtschaft um- fassende Entwicklungsinitiativen für die Länder, die vom Hunger gezeichnet oder davon bedroht sind. So ist es aus meiner Sicht erforderlich, die vorhandenen klein- bäuerlichen Strukturen zu stärken, andererseits aber auch zu einem sozial abgefederten notwendigen Strukturwan- del hin zu wirtschaftlicheren Betriebsgrößen beizutra- gen, ohne den die Erhöhung der bäuerlichen Produktivi- tät nicht möglich sein wird. Dabei ist es notwendig, 20934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) ausreichend Einkommensmöglichkeiten im ländlichen Raum zu schaffen gerade für die Teile der Bevölkerung, die nicht in der Landwirtschaft unterkommen können. Dies könnte unter anderem durch die Weiterverarbeitung der Rohprodukte vor Ort erfolgen. Insgesamt macht es jedoch deutlich, dass wir für die Entwicklung der ländli- chen Räume nicht nur hier in Deutschland ressortüber- greifende Konzepte brauchen. Gerade im Bereich der In- frastrukturpolitik gibt es enormen Nachholbedarf, wenn wir die Situation in den ländlichen Räumen weltweit verbessern wollen. Hinzu kommen unumgängliche In- vestitionen in die Bildungspolitik. Eine Ursache für Hunger ist nicht zuletzt verloren ge- gangenes Wissen bei der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln. Hier gilt es anzusetzen, um ur- sprünglich vorhandenes Know-how wieder zugänglich zu machen und gleichzeitig in einen engen Austausch zu treten, um Fehlentwicklungen, die wir bereits überwun- den haben, bei der Entwicklung in ärmeren Ländern von vorneherein zu vermeiden. Gleichzeitig ist es unsere Pflicht als Land mit vielen Möglichkeiten und Potenzia- len, den Schwächeren insbesondere im Bereich der For- schung unter die Arme zu greifen. Es braucht einen gemeinsamen und gleichberechtig- ten Dialog mit den Partnerländern über den Einsatz moderner Biotechnologien. Es darf nicht sein, dass wir einerseits Wege aus Hunger und Armut durch eine um- fassende ländliche Entwicklung ermöglichen und ande- rerseits neue Abhängigkeiten durch den unreflektierten Einsatz neuer Technologien fördern. So ist Gentechnik für den Kampf gegen Hunger weiterhin sehr stark in- frage zu stellen, da wir die ökologischen Folgen nur sehr begrenzt einschätzen können und mittelfristig die Land- wirte in vielen Ländern in die Abhängigkeit einiger we- niger Konzerne getrieben würden. Einkommen aus der Lebensmittelproduktion müssten sie größtenteils in Saat- gut sowie den damit verbundenen Dünge- und Pflanzen- schutzmitteln investieren. Für Investitionen, um der Ar- mut zu entkommen, würden kaum noch Mittel übrig bleiben. Wie in unserem Antrag auch festgestellt wird, ist eine der Hauptursachen für Hunger die Verteilung von Le- bensmitteln. Hier stehen wir im Moment vor der Situa- tion, dass sich sehr unterschiedliche Partner gegenüber- stehen: einerseits oft sehr klein strukturierte Produzenten und andererseits sehr stark konzentrierte und internatio- nal agierende Händler. Wer in diesem Zusammenspiel von Groß und Klein dominiert, ist klar. Daher gilt es, ein besonderes Augenmerk auf die weitere Gestaltung der internationalen Handelsstrukturen zu legen. Es braucht klare rahmenpolitische Entscheidungen, um mehr Gleichgewicht zwischen den einzelnen Partnern herzu- stellen. Dazu gehört das Zulassen von Schutzmechanis- men für Entwicklungsländer genauso wie der völlige Abbau von verzerrenden Exportsubventionen. Die aufgezeigten Eckpunkte machen deutlich, dass die Bekämpfung des Hungers nicht nur eine Aufgabe der Entwicklungspolitik ist. So wie unsere Landwirt- schaft hier immer stärker von globalen Entwicklungen beeinflusst wird, ist dies zum Teil noch viel stärker in den armen Ländern der Fall. Es darf nicht sein, dass die Landwirtschaft im Süden zusammenbricht, weil wir mit subventionierten Produkten oder Überschussproduktion die lokalen Märkte in wirtschaftlich schwächeren Län- dern unterwandern. Genauso wenig ist es für unsere Landwirtschaft sinnvoll, auf Billigimporte zu setzen, um die Produktion im eigenen Land aus finanzieller Sicht unrentabel zu machen und die Menschen im Süden der Möglichkeit der Eigenproduktion zu berauben. Daher braucht es ein stärkeres Zusammenspiel zwi- schen der Landwirtschaftspolitik im Norden und Süden, in Entwicklungs- und Industrieländern. Hier wie da braucht es ein Mitdenken der Folgen, die durch einzelne Maßnahmen entstehen. Es braucht einen intensiven Dia- log und stärkeres Miteinander. Nur so kann es gelingen, den Hunger zu bekämpfen, die wachsende Weltbevölke- rung zu ernähren und die natürlichen Ressourcen welt- weit so zu nutzen, dass auch Generationen nach uns noch fruchtbare Äcker, Wiesen und Wälder vorfinden. Aus meiner Sicht beinhaltet unser Antrag ein umfas- sendes Bild für eine nachhaltige ländliche Entwicklung, die wir brauchen, um den Hunger zu bekämpfen und weltweit eine stabile Lebensmittelproduktion aufzu- bauen. Dr. Karl Addicks (FDP): Die Anträge, über die wir heute sprechen, sind in vielen Punkten gut und schön. Es steht auch in beiden viel Wichtiges und Richtiges drin. Besonders der Antrag der Koalition hat sich in großer Breite dem Thema gewidmet. Man hat fast den Ein- druck, dass wir hier eine Zusammenstellung des Neun- Punkte-Plans und des Berichtes der Arbeitsgruppe zur Nahrungsmittelkrise aus dem Bundeskanzleramt vorlie- gen haben. Das nenne ich dann mal Gewaltentrennung. Jetzt lässt sich das Parlament schon von der Regierung die Konzepte ausarbeiten. Ich habe von Gewaltenteilung ein anderes Verständnis. Aber wir haben ja schon häufig bei der Großen Koalition gesehen, dass die Konzepte aus den Ministerien gern als Anträge aus der Mitte des Parla- ments deklariert werden. Doch kommen wir nun zu den Anträgen. Den Kolle- gen von den Grünen können wir nur in dem Punkt zu- stimmen, dass ländliche Entwicklung der Schlüssel zu Entwicklung ist. Richtig. Aber dann hört es mit den Ge- meinsamkeiten auch schon auf. Sie fordern einen Paradigmenwechsel, aber das Ein- zige, was Ihnen dazu einfällt, ist die Forderung nach mehr Geld. Das ist doch dann kein Paradigmenwechsel, sondern eher ein „Weiter so“, nur mit mehr Geld. Dabei haben die Entwicklungen doch gezeigt, dass mehr Geld eben gerade nicht mehr Entwicklung und weniger Hun- ger bedeutet. Worin besteht denn Ihr Paradigmenwech- sel? Das ist mir im ganzen Antrag nicht klar geworden. Weiter geht es auf Seite drei: Dort fordern Sie, dass neben bestehenden Sektorschwerpunkten die ländliche Entwicklung als zusätzlicher Schwerpunkt zu fördern ist. Da stimmen wir Ihnen vollkommen zu. Und genau aus diesem Grund haben wir die Verpflichtungen der deutschen Bundesregierung zur Begrenzung der Sektor- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20935 (A) (C) (B) (D) schwerpunkte abgelehnt. Der EU-Verhaltenskodex bin- det uns nämlich jetzt, sodass wir die ländliche Entwick- lung in verschiedenen Ländern eben nicht mehr fördern können, wie wir das gerne täten. Wenn Sie diese Ansicht also offensichtlich teilen, wieso haben Sie sich dann aber im Ausschuss nicht gegen diese Begrenzung ausgespro- chen? Da gehen bei Ihnen wohl wieder Worte und Taten auseinander. Sie fordern auch wieder Quoten, so in dem Feststel- lungsteil des Antrags. Dort erklären Sie noch, dass die Millennium Development Goals mit der Festlegung der Entwicklungsfinanzierung auf 0,7 Prozent BIP bis 2015 nicht zu erreichen sind. Da haben Sie wahrscheinlich recht, wobei ich anmerken möchte, dass die Kernauf- gabe von Entwicklungspolitik nicht die MDGs sind, son- dern Entwicklung, und zwar vor allem wirtschaftliche Entwicklung, damit eines Tages die MDGs auch aus ei- gener Kraft erreicht werden können. MDGs sind näm- lich Meilensteine. Sie aber haben die MDGs zum Selbst- zweck gemacht, und das ist der Grund für die verbreitete Inkohärenz in der Entwicklungspolitik. Zwei Seiten spä- ter aber fordern Sie wieder die Festlegung einer Quote, nämlich 10 Prozent für ländliche Entwicklung. Aber was denn nun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen? Heute diese Quote, morgen jene Quote, je nachdem was gerade in Mode ist. Wir aber wollen hier mehr Konsequenz und vor allem Effizienz. Auf die Grüne Gentechnik komme ich gar nicht erst zu sprechen. Da ist bei den Grünen im Gegensatz zum Koalitionsantrag kein Umdenken erkennbar. Schade. Lassen Sie mich am Schluss noch etwas Grundsätzli- ches sagen. Bei allen Konferenzen in den letzten Mona- ten seit der Nahrungsmittel- und Finanzkrise werden im- mer nur enorme Summen in den Raum geworfen, immer nach dem Motto: Wer bietet mehr? Aber ein kohärentes Konzept, geschweige denn ein abgestimmtes Handeln vermisse ich noch immer. Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Die Ernäh- rungslage in der Welt ist unhaltbar für viel zu viele Men- schen. Die Regierungen der Industrieländer tragen eine große Verantwortung an dieser Situation. Lassen Sie mich die Situation noch einmal kurz skizzieren: Auf dem Welternährungsgipfel 1996 in Rom verspra- chen die Regierungen, den Hunger auf der Welt bis 2015 zu halbieren. Die Halbzeitbilanz in diesem Jahr ist nie- derschmetternd. Die Zahl der Hungernden ist auf über 923 Millionen Menschen angestiegen. Das tägliche Ein- kommen der meisten afrikanischen Männer und Frauen liegt unter 1 Euro. Für ein europäisches Rind hingegen wird 2,50 Euro pro Tag an Subventionen ausgegeben. Die Industriestaaten subventionieren ihre Landwirtschaft mit jährlich rund 268 Milliarden Euro – rund viermal so- viel, wie sie für Entwicklungshilfe ausgeben. Diese Zah- len geben die Unmenschlichkeit dieses Welthandelssys- tems wieder. Die Ministerin Wieczorek-Zeul weist selbst darauf hin: „Alle Programme zur Einlösung des Rechts auf Nahrung werden nichts ändern, wenn es uns nicht ge- lingt, die Strukturen im Welthandel gerechter zu gestal- ten.“ In ihrem Antrag listen die Regierungsparteien die vielfältigen Gründe für die zunehmende Armut und den Hunger auf. Es wird betont, dass die Nahrungsmittel- krise vor allem eine Verteilungs- und Armutskrise ist. Es wird sogar auf die „vorschnelle Handelsliberalisierung ohne Schutzmöglichkeiten … einheimischer Produzen- ten“ hingewiesen. – Diese plötzliche Hellsichtigkeit ist erstaunlich! Doch was folgern Sie daraus, Kolleginnen und Kolle- gen der CDU und SPD: Sie möchten dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise durch Agrartreibstoffe – an deren Produktionssteigerung die Bundesregierung durch die Quotenpolitik massgeblich beteiligt ist – durch Zertifi- zierung entgegentreten. Eine Zertifizierung ist nicht nur aufgrund mangelnder institutioneller Infrastruktur kaum möglich, sie käme auch viel zu spät. Des Weiteren möchten Sie die „Potenziale der modernen Biotechnolo- gie prüfen“, anstatt lokale und angepasste Anbaumög- lichkeiten zu fördern. Auch werden die Wirtschaftspart- nerschaftsabkommen – EPAs – der EU mit den AKP- Staaten – Afrika, Karibik, Pazifik – nicht erwähnt. Diese sind armutsverschärfend und behindern jegliche regio- nale Marktintegration innerhalb Afrikas. Auch gehen Sie nicht auf die Spekulation von Nahrungsmitteln ein, die laut Weltbank ein Hauptgrund für die Verteuerung von Nahrungsmitteln war. Zusammengefasst: Ihre Analyse ist in vielen Punkten zutreffend. Doch ziehen die Regierungsparteien – wie so oft – keine Schlussfolgerungen für ihr Handeln daraus. Ihre Forderungen kratzen nur an der Oberfläche der Ur- sachen des Hungers. Diesen Antrag lehnen wir ab. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeigt da mehr Kohärenz zwischen Analyse und Forderungen auf. Es werden vier zentrale Bereiche aufgelistet, in de- nen dringender Handlungsbedarf besteht: Erstens. Der Forderung, das Recht auf Nahrung ge- mäß Art. 11 des Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte umzusetzen, stimmen wir vorbehaltlos zu. Zweitens. Den Wortbruch der Kanzlerin bezüglich der niedrigen ODA-Quote haben wir mehrfach ange- sprochen. Ein Erreichen der 0,7 Prozent des Bruttoin- landproduktes für Entwicklungshilfe bis 2015 halten wir für unbedingt notwendig. Drittens. Der Forderung nach der Beendigung der systematischen Zerstörung der Ökosysteme und der Übernutzung der natürlichen Ressourcen wie Land, Wasser und Luft schließen wir uns an. Vor allem der Hinweis auf eine nachhaltige Landwirtschaft ohne Ein- satz von gentechnisch modifizierten Organismen und ei- ner angepassten Forschung ist dabei unterstützenswert. Viertens. Leider fällt dann die Frage nach der Demo- kratisierung der „ungerechten internationalen und natio- nalen Governancesysteme und Regelwerke“ weit hinter wünschenswerten Forderungen nach einer Handelspoli- tik zugunsten der Armen zurück. Auch hier werden die EPAs nicht problematisiert werden. Der Anbau von Agrotreibstoffen nach Menschenrechts- und Nachhaltig- 20936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) keitskriterien ist faktisch nicht durchsetzbar. Dass Bünd- nis 90/Die Grünen lediglich die Regulation von kurzfris- tigen Spekulationen mit Agrarrohstoffen fordern, ist enttäuschend. Wir brauchen eine Politik der systemati- schen Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern. Wir brauchen eine Umverteilung von Land zugunsten der Landlosen und Kleinbäuerinnen und -bauern. Wir brauchen staatlich garantierte Arbeitsplätze mit ange- messenen Löhnen. Wir brauchen die Streichung illegiti- mer Schulden. Wir brauchen eine faire und kohärente Handelspolitik zugunsten der Armen. Steueroasen müs- sen geschlossen werden, Spekulationen mit Nahrungs- mitteln verboten und Banken staatlich reguliert werden. Viele wichtige Gründe der Nahrungsmittelkrise finden in dem Antrag der Grünen keine Erwähnung. Dennoch sind die enthaltenen Forderungen erste Schritte auf einem richtigen Weg, weshalb die Linke den Antrag unter- stützt. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen ist nach An- gaben der Welternährungsorganisation bis Ende 2007 von 854 auf 923 Millionen geklettert und hat damit ei- nen historischen Höchststand erreicht. Die Prognosen sind düster. Es ist so gut wie sicher, dass die Zahl der Hungernden bald die Milliardengrenze überschreiten wird. Gerade in den ländlichen Räumen der Entwick- lungsländer sind Hunger und Armut am tiefsten verwur- zelt. In unserem Antrag „Die Ursachen des Hungers be- seitigen – Die ländliche Entwicklung fördern“ fordern wir daher einen fundamentalen Paradigmenwechsel in der Hungerbekämpfung. Die Koalition hingegen hält sich in ihrem Antrag bedeckt und drückt sich um eine wesentliche Frage: die Verpflichtung zur Finanzierung ländlicher Entwicklung. Denn wir brauchen mehr Geld für ländliche Entwick- lung. Deutschland hat sich international dazu verpflichtet, bis 2015 Mittel in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttonatio- naleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen. Davon ist Deutschland noch weit entfernt – trotz der diesjährigen Aufstockung des Entwicklungs- etats. Gemäß dem EU-Stufenplan besteht bereits jetzt eine Finanzierungslücke von 1,6 Milliarden Euro. Deutschland muss zu seinen Verpflichtungen stehen und die schrittweise Erhöhung des Entwicklungshaushalts stärker vorantreiben. Doch mehr Geld für Entwicklungs- zusammenarbeit allein reicht nicht aus. Es muss auch in- nerhalb des Entwicklungsetats mehr Geld für ländliche Entwicklung zur Verfügung stehen, um einen echten Beitrag zur Bekämpfung des Hungers zu leisten. Die Bundesregierung sollte deshalb dem Aufruf der Hunger-Taskforce der Vereinten Nationen folgen, min- destens 10 Prozent der Mittel für die Entwicklungs- zusammenarbeit für eine nachhaltige ländliche Ent- wicklung einzusetzen. Auch die Partnerländer sollten im Gegenzug mindestens zehn Prozent ihrer Staatshaushalte für ländliche Entwicklung bereitstellen. Diese sollten vor allem die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen darin unterstützen, auf angepasste, ressourcenschonende Weise Grundnahrungsmittel zur Selbstversorgung und für lokale und regionale Märkte herzustellen. Denn eine wirksame Bekämpfung der Ursachen des Hungers kann nur gelingen, wenn Strategien der ländlichen Entwick- lung am Recht auf Nahrung ausgerichtet werden. Klein- bäuerinnen, Kleinbauern, Frauen und Mädchen, indi- gene Völker und andere Bevölkerungsgruppen, die am meisten von Hunger betroffen sind, müssen ins Zentrum der ländlichen Entwicklung rücken. Wir konnten sehen, wie bei der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise in kürzester Zeit enorme Summen aus den öffentlichen Kassen mobilisiert wur- den. Dies mag ja aus wirtschaftspolitischer Sicht erfor- derlich sein. Aber wie kann man dann den Menschen er- klären, dass die Bundesregierung nicht bereit war, sich dafür einzusetzen, dass nur 1 Milliarde Euro an über- schüssigen EU-Agrarmitteln umgewidmet wird für die ländliche Entwicklung in den von Hunger betroffenen Ländern? Die Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit ha- ben sich selbst zu helfen. Das geht aber nur, wenn diesen Ländern nicht durch unfaire Handelspolitik jede Mög- lichkeit der Entwicklung aus eigener Kraft geraubt wird. Unfair ist es zum Beispiel, wenn erst im Zuge von oft- mals erzwungenen Liberalisierungsmaßnahmen die Zollschranken beseitigt werden und dann hochsubven- tionierte, nicht vermarktbare Restbestände der EU- Agrarproduktion auf den Märkten der Entwicklungslän- der abgekippt werden. Ärmere Agrarländer müssen sich vor Dumpingfluten schützen können. Eine faire Han- delspolitik muss die wesentlich schwächere Ausgangs- position dieser Länder berücksichtigen und sich an der Chancengleichheit orientieren. Neben der Schaffung fairer Handelsstrukturen müs- sen wir eine weltweite Agrarwende hin zu ressourcen- schonendem Anbau vollziehen. An dieser Stelle sind die Formulierungen des Koalitionsantrags viel zu schwam- mig. Die Förderung der ländlichen Entwicklung darf nicht bedeuten, dass lediglich die konventionelle Land- wirtschaft, wie wir sie kennen, bis in den letzen Winkel der Erde vordringt. Das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden. Es darf nicht bedeuten, dass mittels einer „zwei- ten grünen Revolution“ die Irrungen der ersten wieder- holt werden – plus Gentechnik. Die bisherigen Erfahrun- gen mit dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zeigen: Ihr Anbau für den Fleischkonsum und den Roh- stoffbedarf der Industrieländer treibt in Entwicklungs- und Schwellenländern die lokale kleinbäuerliche Wirt- schaft in neue Abhängigkeiten und beschleunigt soziale Verwerfungen. Wir fordern daher eine Agrarwende, bei der gesunde Nahrungsmittel auf zweifach nachhaltige Weise herge- stellt werden: sozial nachhaltig unter Wahrung der Men- schenrechte und ökologisch nachhaltig unter schonen- dem Umgang mit Ressourcen, vielfältigen Fruchtfolgen, dem Einsatz von organischen Düngern und natürlicher Schädlingsbekämpfung. Dieser grüne Ansatz zur ländlichen Entwicklung ist übrigens auch vom Weltagrarrat IAASTD, dem weltweit führende Agrarexpertinnen und -experten angehören, bestätigt worden. Der im April erschienene Bericht des Weltagrarrats macht deutlich: Nur eine drastische Um- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20937 (A) (C) (B) (D) widmung von Ressourcen zugunsten der Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung kann den Hunger nachhaltig besiegen. Wir brauchen eine schnelle Abkehr von der Art, wie Landwirtschaft betrieben wird, mit ihrer unge- hemmten Intensivierung, mit ihrem Teufelskreis von Monokulturen, Pestizideinsatz, chemischem Dünger, enormem Wasserverbrauch und Bodenzerstörung. Wir brauchen mehr Geld für ländliche Entwicklung. Aber diese muss ökologisch und sozial nachhaltig sein, in einem fairen Handelssystem stattfinden und im Sinne des Rechts auf Nahrung zuallererst den Ärmsten zugute- kommen. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Stau- dammprojekt zurückziehen (Tagesordnungs- punkt 18) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Wie Sie alle wissen, hat die Bundesregierung im März 2007 gemeinsam mit Ös- terreich und der Schweiz Exportkreditgarantien für das Ilisu-Staudammprojekt im Südosten der Türkei über- nommen. Laut BMWi sind die Gesamtkosten für das Projekt mit rund 2 Milliarden Euro beziffert. Der deut- sche Anteil dabei beträgt 93 Millionen Euro für die Be- teiligung der ZÜBLIN AG. Wir sprechen hier also nicht über einen wirklich relevanten Anteil des Projektes. Der Antrag hat, wie viele vor ihm, im Wesentlichen symboli- sche Bedeutung. Die Geschichte dieses Staudammprojektes ist lang, auch die parlamentarische Behandlung dieses Themas füllt bereits ein eigenes Archiv. Regierungs- und Oppo- sitionsfraktionen im Bundestag haben sich in mehreren Legislaturperioden teils kritisch-konstruktiv, teils aus- schließlich kritisch mit diesem sowohl unter regional- politischen wie ethnischen, kulturellen und historischen, wie aber auch unter internationalen Aspekten bedeuten- den Projekt beschäftigt. Es ist nichts Neues für uns, dass der Bau des Ilisu-Staudamms am Tigris im Südosten der Türkei als umstrittenes Projekt gilt. NGOs und auch die kurdische Opposition äußerten in vielen Gesprächen und Stellungnahmen ihre Kritik, die zu immer weiterer Kon- trolle der Abläufe durch die Bundesregierung und durch die Fraktionen des Bundestages geführt hat. Dass die Fraktion Die Linke dies in ihrem Antrag auf Druck- sache 16/9308 erneut aufgreift, gibt uns erneut Anlass zur Diskussion im Bundestag. Wir alle wollen, dass die Menschen nicht heimatlos gemacht werden. Wir alle wollen, dass kulturelle Schätze nicht verloren gehen. Doch was wäre die Alter- native? Die Türkei hat im Vorfeld des Baubeginns er- klärt, das Projekt in jedem Fall durchführen zu wollen, wenn nicht mit deutscher Hilfe, dann mit Lieferanten und Finanziers aus Nicht-OECD-Ländern wie zum Bei- spiel China. Ich bezweifle, dass sich unsere deutschen Exporteure darüber gefreut hätten. Vor allem aber be- streite ich, dass andere Regierungen als die bisher so intensiv beteiligten deutsche, österreichische und schweizerische sowie deren in ständiger Kooperation be- findliche Kreditversicherer auch nur annähernd so viele Verbesserungen an dem Projekt zum Teil im sachlichen Dialog, zum Teil auch im politischen Streit mit der türki- schen Regierung hätten erreichen wollen und können, wie dies der Fall war. Dabei war die türkische Regierung kein einfacher Partner. Der Schutz der historischen Orte war offensicht- lich für sie kein wichtiges Gut. Die Regeln für gerechte Behandlung der betroffenen Menschen, die umgesiedelt werden müssen, hatten keine große Bedeutung, ein Dia- log mit den Flussanrainern über die ökologischen Folgen kam nur nach langem politischem Drängen zustande. Die Liste der Mängel ist weiter fortzusetzen. In diesen mühsamen Gesprächen, für die sich der Bundestag nur bedanken kann, sind Schritt für Schritt Fortschritte ge- macht worden, die dann eine Gewährleistung von Teil- aufträgen möglich gemacht haben. Der Deutsche Bundestag hat über Parteigrenzen hin- weg immer darauf Wert gelegt und als unabdingbar ein- gefordert, dass das Projekt nach internationalen Stan- dards zu realisieren sei. Unsere Bundesregierung hat dafür viel getan. Sie hat ein Komitee nationaler und in- ternationaler Experten benannt, das die Türkei bei der Durchführung des Projekts berät und kontrolliert. Es ist äußerst bedauerlich, dass die zur Projektüberwachung eingesetzten unabhängigen Experten im Frühjahr dieses Jahres Verzögerungen bei der Umsetzung der vereinbar- ten Maßnahmen feststellen mussten. Das zeigt aber auch, dass sich dieses Kontrollgremium bewährt hat. Die Bundesregierung hat ihre Konsequenzen daraus gezogen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, dass die am Projekt beteiligten Exportkreditversicherun- gen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz am 9. Oktober 2008 eine förmliche Umweltstörungsanzeige – Environmental Failure Notice, EFN – an das türkische Baukonsortium eingereicht haben. Damit wurde ein Pro- zess eingeleitet, der die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen in den Bereichen Umsiedlung, Umwelt und Kulturgüter sicherstellt. Am 12. Dezember 2008 läuft die 60-Tage-Frist ab. Wir werden sehen, ob die türkischen Besteller bis dahin die Fehlentwicklungen korrigiert haben werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bittet die Bundesregie- rung gemeinsam mit Österreich und der Schweiz, die Si- tuation sehr genau zu prüfen. Wenn das geschehen ist, unterstützen wir die Bundesregierung mit unseren Mög- lichkeiten in ihrem Ziel, einen neuen Zeitplan für die Realisierung des Projektes zu erstellen und alle verein- barungswidrigen Bautätigketten einzustellen. Ich wünsche mir, dass die Türkei eine Reihe von Maßnahmen einleitet, die zur Verbesserung der derzeiti- gen Lage beitragen. Es wäre schade, wenn die Bundes- regierung von ihrer Bereitschaft, für die nötigen Kredite zu bürgen, abrücken müsste. Exportkreditgarantien sind ein sehr wichtiges Instrument unserer Außenwirtschafts- förderungspolitik. Gerade in Zeiten schwieriger Märkte leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung. 20938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Unsere deutschen Unternehmen sind mit ihnen in der Lage, schwierige Exportgeschäfte – wie dieses am Tigris – abzusichern. Für die in der Folgezeit anstehenden Verhandlungen mit dem türkischen Bauherrn wünsche ich der Bundes- regierung, dass für alle Seiten befriedigende Ergebnisse erzielt werden können. Rolf Hempelmann (SPD): Wir beraten heute einen Antrag der Linken mit der Forderung nach der sofortigen Zurücknahme der deutschen Exportkreditversicherung für das Ilisu-Staudammprojekt. Die Bundesregierung hat im Konsortium mit der Schweiz und mit Österreich im März 2007 Exportkredit- garantien in Höhe von 450 Millionen Euro für das Stau- dammprojekt übernommen. Der deutsche Anteil beläuft sich auf 193 Millionen Euro. Für diese Kreditzusage hat ein internationales Expertenkomitee im Vorfeld 153 Auf- lagen formuliert, die bis Baubeginn von türkischer Seite erfüllt sein müssen. Die Gegner des Ilisu-Staudammpro- jekts kritisieren zu Recht die viel zu langsamen Fort- schritte der Türkei bei der Erledigung dieser Aufgaben. Sie ziehen daraus jedoch die Schlussfolgerung, dass sich die Exportkreditversicherer aus Deutschland, Österreich, Schweiz lediglich aus dem Projekt zurückziehen müs- sen, damit es nicht zustande kommt. Ich fürchte, dass dies genau nicht der Fall sein wird. Der Ilisu-Staudamm ist Teil eines milliardenschweren Investitionsprogramms für Südostanatolien, das der tür- kische Staatspräsident Tayyip Erdogan im Frühjahr die- ses Jahres angekündigt hat. Das Südostanatolien-Projekt ist ein Prestigeprojekt der türkischen Regierung, mit dem die wirtschaftliche Entwicklung Südostanatoliens gefördert werden soll – übrigens einem der Hauptanlie- gen der EU gegenüber dem EU-Beitrittskandidaten Tür- kei. Das Südostanatolien-Projekt beinhaltet genauer den Bau einer Reihe von Staudämmen und Wasserkraftwer- ken als Reaktion auf den wachsenden Strombedarf des Landes. Im Fall von Ilisu ist es jedoch das erste Mal, dass wir bei einem Staudammbau der Türkei als Export- kreditversicherer auftreten. Es ist ebenfalls noch nicht vorgekommen, dass sich die Türkei dabei zur Einhaltung internationaler Standards verpflichtet hat. Andere Staudämmprojekte werden nach türkischen Standards realisiert. Gerade in den letzten Tagen ent- nahm ich der Zeitung, dass die örtlichen türkischen Be- hörden bei einem weiteren Staudammbau im Rahmen des Südostanatolien-Projekts die Bevölkerung zu einem Verkauf ihres Landes zu 75 Cent pro 1 000 Quadratme- ter zwingen wollen. Das wird und das darf im Fall des Ilisu-Projekts nicht geschehen, sofern wir uns weiter da- ran beteiligen. Wir setzen uns im Rahmen der Umsied- lungsmaßnahmen für eine angemessene Land-zu-Land- Entschädigung und für die Durchführung von Fortbil- dungsmaßnahmen ein, damit die betroffenen Menschen eine reale Chance bekommen, sich an anderer Stelle eine neue Lebensgrundlage aufzubauen. Die getroffenen Auflagen sind nicht verhandelbar. Nachdem die Erfüllung der Vereinbarungen von der Tür- kei bisher bestenfalls halbherzig verfolgt wurde und erhebliche Mängel erkennen ließ, haben die Exportkre- ditversicherungen im Oktober 2008 ein Vertragsverlet- zungsverfahren gegen die türkische Seite eingeleitet. Dieses Verfahren macht es nun notwendig, dass die Tür- kei innerhalb einer Frist von 60 Tagen die Auflagen er- füllt. Die Frist läuft Ende kommender Woche ab. Sollte die Türkei bis dahin, bis Mitte Dezember, nicht entschei- dende Fortschritte – und ich betone, dass hier eine deutliche Abkehr von der bisherigen Vorgehensweise vorliegen muss – vorweisen können, kann das Baukon- sortium zur Verhängung eines sofortigen Baustopps an- gewiesen werden, bis die Auflagen erfüllt sind, oder aber die Beteiligung des internationalen Baukonsortiums aus dem Projekt zurückziehen. Dieses Vorgehen entspricht den Fristvorgaben der Kredit- und Bauverträge. Der Opposition sei gesagt, dass die Bundesregierung das Verstoßen der türkischen Seite gegen die Bauauflagen ja bereits ahndet. Der geforderte sofortige Ausstieg aus dem Projekt wider die Vertrags- grundlagen ist jedoch nicht machbar. Ich halte ihn auch nicht für empfehlenswert. Schließlich können wir nur über unsere Projektbeteiligung sicherstellen, dass die Türkei zum Beispiel bei der Umsiedelung der mehr als 50 000 Betroffenen nach internationalen Standards vor- geht und nicht nach türkischen. Kurz und gut, ich plädiere für die Ablehnung des An- trags. Mit dem Ausstieg aus der Kreditfinanzierung erweisen wir der betroffenen Bevölkerung einen Bären- dienst. Sollten die Baumaßnahmen am Staudamm je- doch ausgeweitet werden, ohne dass die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze von Natur, Mensch und Kul- turgütern getroffen worden wären, so sieht die Angele- genheit sehr düster aus. Dieses Druckmittels sollten wir uns nicht berauben. Schließlich sind die Verstöße der Türkei gegen die Auflagen nach Einschätzung inter- nationaler Experten bisher noch heilbar. So haben zwar juristische Enteignungen stattgefunden, aber es wurde noch niemand umgesiedelt. Im Januar wird sich die Situation ändern, wenn nach bisherigem Zeitplan mit den Arbeiten an einem Umleitungstunnel begonnen wer- den soll. Die deutsche Seite wertet diesen Schritt als tat- sächlichen Baubeginn des Staudamms, als einen Point of no Return. Sollte die Türkei bis kommende Woche also nicht ein- deutig dargelegt haben, wie sie die Auflagen zu erfüllen gedenkt, haben wir die klare Bereitschaft, einen soforti- gen Baustopp durchzusetzen und, wenn nötig, auch un- sere Zustimmung zu einer Exportkreditversicherung zu- rückzuziehen. Bis dahin jedoch sollte nichts unversucht gelassen werden, das Projekt im Sinne der betroffenen Bevölkerung, der Kulturgüter und des Umweltschutzes positiv zu beeinflussen. Gabriele Groneberg (SPD): Zum wiederholten Male diskutieren wir hier über einen Antrag, der den Ausstieg aus der Bürgschaftsverpflichtung für den Bau des Ilisu-Staudamms in der Türkei fordert. Ich will zu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20939 (A) (C) (B) (D) erst ganz deutlich sagen, dass wir die von uns bei Ver- tragsabschluss eingeforderten internationalen Standards und ihre strikte Einhaltung beim Bau des Ilisu-Stau- damms sehr ernst nehmen. Dies zeigt die Tatsache, dass Österreich, die Schweiz und Deutschland am 9. Oktober 2008 eine förmliche Umweltstörungsanzeige an das Baukonsortium geschickt haben. Immer wieder sind wir unterrichtet worden, dass die geforderten Standards nicht oder in nicht ausreichendem Maße eingehalten werden. Zum Beispiel gehört zur Er- füllung der Weltbankstandards die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sowie die Erstellung ei- nes Kulturgüterplans und eines Umsiedelungsplans. Ge- rade im hochsensiblen Bereich der Umsiedlung, die im Übrigen erstmals in der Türkei nach Weltbankstandards erfolgen sollte, zeigen sich Defizite bei der Umsetzung. Immer wieder sind Gespräche mit den zuständigen Be- hörden über die Notwendigkeit der Einhaltung der Stan- dards geführt worden – offensichtlich mit geringem Er- folg. Dann gab es den internationalen Expertenbericht, der eben die Nichteinhaltung dokumentiert. Spätestens nach Vorlage des Berichts war klar, dass die türkischen Stellen ihre vertraglichen Pflichten offenbar nicht frist- gerecht umsetzen und die Weltbankstandards in den drei relevanten Bereichen – Umsiedlung, Umwelt und Kul- turgüter – nicht wie vorgesehen einhalten. Die Bundesregierung hat in enger Abstimmung mit den ebenfalls an der Bürgschaft beteiligten Ländern Ös- terreich und Schweiz die Reißleine gezogen und mit dem Versand der Umweltstörungsanzeige bereits Maß- nahmen zum möglichen Ausstieg aus den Verträgen ein- geleitet. Mir ist wichtig, dass dies klar und deutlich gesagt wird – auch in Richtung Nichtregierungsorgani- sationen. Dieser vertraglich festgelegte Prozess ist ein- geleitet worden, um deutlich zu machen, dass die verein- barten Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden müssen, wenn wir weiter bei der Finanzierung dieses Projekt beteiligt sein sollen. Wir lassen uns dabei nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Wir wollen vermeiden, dass die türkischen Bauherren überstürzt das Projekt um- setzen. Jetzt ist für die zuständigen Behörden in der Türkei Zeit, nachzubessern. Denn im Rahmen der Umweltstö- rungsanzeige wurde den türkischen Stellen die Möglich- keit eingeräumt, einen neuen Zeitplan zur Realisierung des Projekts zu erstellen. Wichtig ist in diesem Zusam- menhang, dass bis zur Vorlage des neuen Zeitplans Bau- tätigkeiten im Projektgebiet ruhen. Denn nur solange das eigentliche Bauprojekt noch nicht in Angriff genommen wurde, besteht die Chance, dass die Maßnahmen mit der notwendigen Umsicht in den Bereichen Umsiedlung, Umwelt und Kulturgüter umgesetzt werden. Ende nächs- ter Woche, also am Freitag, 12. Dezember 2008, läuft die 60-Tage-Heilungsfrist aus. Entscheidend für den Fort- gang des Projekts wird sein, ob die türkischen Stellen gewillt sind, das Staudammprojekt nach internationalen Standards umzusetzen. Bei genauer Betrachtung sind durchaus Zweifel ange- bracht, ob eine weitere Beteilung durch uns wirklich ge- wünscht ist. Die derzeit im Projektgebiet stattfindenden Baumaßnahmen sprechen nicht unbedingt dafür, dass die türkische Regierung Interesse an einer weiteren Zusam- menarbeit hat. Es liegt also nicht in unserer Hand! Die Entscheidung, auf welche Art und Weise das Projekt um- gesetzt wird, liegt einzig und allein bei der türkischen Regierung. Die türkischen Stellen kennen unsere Bedin- gungen, und sie wissen auch, dass – sofern sie diese Be- dingungen nicht einfüllen – wir die Liefer- und Kredit- verträge kündigen werden. Nun geht die Linkspartei davon aus, dass mit der Kündigung des Vertrages der schweizerischen, öster- reichischen und deutschen Exportkreditagenturen das Problem gelöst sei. Sie glaubt, dass die Türkei dieses Projekt nicht wird weiter fortsetzen können. Diese An- sicht teile ich nicht, und ich gebe in diesem Zusammen- hang zu bedenken, dass durch die drei Exportkreditversi- cherungen nur ein Viertel der gesamten Projektsumme abgedeckt wird. Deshalb denke ich, wir sollten unseren Einfluss auf dieses Projekt nicht überschätzen. Im Ge- genteil! Wir sollten uns noch einmal die Tatsachen vor Augen führen: Der Ilisu-Staudamm ist ein Prestigepro- jekt der Regierung Erdogan. Die Türkei hat einen enor- men Energiehunger. Mit diesem Staudamm soll ein gro- ßer Teil des Energiebedarfs gedeckt werden – immerhin für circa 2 Millionen Haushalte, und zwar ohne dass da- für Atommeiler oder Kohlekraftwerke gebaut werden müssen. Vor diesem Hintergrund gehe ich davon, dass die türkische Regierung auf eine schnelle Realisierung des Projekts drängen wird, ob mit oder ohne uns. Man muss sich auch fragen, ob wir mit dem Ausstieg aus die- sem Projekt den Menschen in Südostanatolien nicht ei- nen Bärendienst erweisen würden. Denn machen wir uns nichts vor: Nur im Falle unserer Mitwirkung an dem Projekt ist zumindest die Chance gegeben, dass die Ein- haltung internationaler Standards überhaupt eine Rolle spielt. Ob bei einer anderen Finanzierungsgrundlage diese Standards angewendet werden, bezweifle ich. Deshalb hoffe ich, dass bis Freitag nächster Woche konstruktive, realistische Vorschläge zur Einhaltung der internationalen Standards gemacht werden. Insofern kann ich mit Verweis auf die angesprochenen Punkte in Bezug auf den Antrag der Linkspartei nur sagen, dass er inzwischen nicht mehr den aktuellen Sachstand wieder- gibt und eine sozial und ökologisch verträgliche Durch- führung des Staudammprojekts noch nicht einmal in Er- wägung zieht. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Gudrun Kopp (FDP): Der beabsichtigte Bau des Ilisu-Staudamms ist in der Tat eine hochkomplexe und schwierige Entscheidung. Das gilt natürlich auch für die Erteilung einer entsprechenden Exportbürgschaft. Viele Bedenken, die von den Antragstellern im vorliegenden Antrag geäußert werden, erforderten tatsächlich eine eingehende Prüfung. Berücksichtigt werden mussten dabei jedoch nicht nur die konkreten Auswirkungen des Projekts, sondern auch die prinzipiellen Erwägungen, die einer Vergabe von Exportausfallbürgschaften durch die Bundesregie- rung zugrunde liegen. Der Antrag der Linken schildert in epischer Breite die großen Probleme sicherheitspoliti- 20940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) scher, kulturpolitischer, ökologischer und menschen- rechtspolitischer Art, die mit dem Projekt verbunden sind. Vieles von dem nimmt auch die FDP sehr ernst, wobei ich mir die Frage stelle, wie das, was Sie hier über die Türkei und ihr Verhalten in der vorliegenden Frage äußern, eigentlich zusammenpasst mit ihrem vehemen- ten Eintreten für einen möglichst zügigen Beitritt der Türkei zu Europäischen Union. Das gilt insbesondere für Frau Roth, die sich zu diesem Projekt auch vorgestern wieder in extremer Form geäußert hat. Wie wollen Sie denn, Frau Roth, eigentlich glaubhaft für den Beitritt ei- nes Landes zur EU streiten, das „sich in verantwortungs- loser Weise über jegliche Vereinbarungen hinwegsetzt“? Noch wichtiger ist uns als Liberalen aber insbeson- dere die grundsätzliche Frage, ob es wirklich richtig ist, dass hier das Parlament in die Einzelprüfung derartiger Projekte eingreift. Aus diesem Grunde ist aus unserer Sicht der Antrag der Linken in keiner Weise zustim- mungsfähig. Es gibt aus guten Gründen einen Kriterien- katalog, der festlegt, welche Projekte überhaupt geeignet sind, eine Hermesbürgschaft in Anspruch zu nehmen. Über die Ausgestaltung dieser Kriterien ließe sich in der Tat streiten, aber das muss dann eben auch gemacht wer- den. Bei einer Güterabwägung zwischen den Auswirkun- gen des konkreten Projektes und dem letzten Mittel einer Rücknahme der Hermesbürgschaft kommen wir zu an- deren Ergebnissen als Sie. Für die FDP ist klar, dass, wie im Bereich des Welthandels, auch bei der Vergabe von Exportbürgschaften durch den deutschen Staat vergabe- fremde Aspekte wie Umwelt- und Sozialstandards keine Rolle spielen sollten. Die Bundesrepublik Deutschland sollte sich nicht zum Zensor der türkischen, indischen oder chinesischen Energiepolitik machen. Wir als Liberale haben stets betont, dass die Nutzung komparativer Kostenvorteile durch Entwicklungs- und Schwellenländer völlig legitim ist. Deshalb ist der intel- lektuelle Ansatz, diesen Ländern unsere weit fortge- schrittenen Umwelt- und Sozialstandards aufzuzwin- gen, nicht nur illegitim, er schadet auch der Entwicklung dieser Staaten. Überträgt man nun diesen Grundgedan- ken auf den vorliegenden Fall einer Hermesbürgschaft für den Ilisu-Staudamm, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass auch hier derartige Erwägungen keine Rolle spielen sollten. Bei Hermesbürgschaften geht es um die Exportförderung deutscher Unternehmen und nicht darum, anderen Ländern unsere Standards aufzu- zwingen. Im Übrigen ist der vorliegende Antrag in einem Duk- tus verfasst, der die Pläne zum Bau des Ilisu-Staudamms in ein Licht taucht, als wäre dieses Projekt der Ausfluss der Überlegungen einer dunklen Macht. Sie ignorieren vollständig, dass es aus türkischer Sicht eben doch auch gute Gründe für den Bau des Staudamms gibt. So geht es immerhin um die Errichtung einer leistungsfähigen Energieerzeugungsanlage auf Basis erneuerbarer Ener- gien, etwas, was gerade Linke wie Grüne den Entwick- lungs- und Schwellenländern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ins Stammbuch schreiben. Weiterhin kann das Projekt natürlich bei allen Schwie- rigkeiten durchaus zur Entwicklung in einer bisher stark benachteiligten Region der Türkei beitragen. Entscheidend ist aber heute vielmehr, dass wir es ge- genwärtig noch mit einem schwebenden Verfahren zu tun haben. Der entsprechende Expertenbericht legt in der Tat nahe, dass sich die Türkei an viele Vorgaben nicht hält bzw. nicht gehalten hat. Für einen solchen Fall sind eindeutige Verfahren vorgesehen, nämlich etwaige neue Fristen und dann gegebenenfalls die Rücknahme der Ex- portbürgschaft. Diese Prüfungen sollten wir in Ruhe ab- warten, anstatt die entsprechenden Entscheidungen hier aus dem warmen Parlamentssessel heraus vorwegneh- men zu wollen. Darüber hinaus sind jetzt auch die Kreditversicherer aus Deutschland, der Schweiz und Österreich gefordert, sich an ihrer Verantwortung und ihren Kriterien orientie- ren. Sollten diese zu dem Schluss gelangen, dass die Verletzungen von Absprachen durch die Türkei in so ek- latantem Maße vorliegen, wie Sie das behaupten, so wer- den sie von sich aus handeln. Dazu bedarf es keiner poli- tischen Einflussnahme. Eine andere Frage ist, ob dadurch das Gesamtprojekt in irgendeiner Weise ge- bremst würde. Alles in allem will ich zum Abschluss nicht verheh- len, dass es sicherlich Projekte gibt, bei denen es eingän- giger ist, warum es zu einer Hermesbürgschaft kommt. Gleichwohl aber lehnt die FDP-Fraktion aus prinzipiel- len verfahrenstechnischen wie entwicklungs- und außen- wirtschaftspolitischen Gründen den vorliegenden Antrag ab. Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): In diesen Ta- gen muss sich die Bundesregierung entscheiden: Will sie endlich die Notbremse ziehen und sich aus dem Bau des Ilisu-Staudammes im Südosten der Türkei zurückzie- hen? Oder will sie weiterhin dieses unsoziale und die Umwelt zerstörende Großprojekt politisch und finanziell unterstützen? Seit mehr als zwei Jahren beschäftigen wir uns hier und in den Ausschüssen mit dem Thema der Exportkre- ditversicherung für die Züblin AG zum Bau des Ilisu- Staudammes. Meine Partei und die Kollegen von Bünd- nis 90/Die Grünen haben wiederholt und detailliert die Gründe dargelegt, die gegen diese unverantwortliche Hermesbürgschaft der Bundesregierung sprechen. Ich möchte die wichtigsten Punkte dennoch noch einmal kurz ansprechen. Erstens sind bis zu 78 000 Menschen durch das Groß- projekt in ihrer Existenzgrundlage bedroht. Von ihnen werden schätzungsweise mehr als 10 000 Menschen ih- ren Landbesitz verlieren. Die Enteignungen, Umsiedlun- gen und Entschädigungen der betroffenen Bevölkerung, die bereits begonnen haben, bleiben weit hinter den er- forderlichen internationalen Standards zurück. Zudem droht eine doppelte Vertreibung: Das Land, auf dem die Bewohner der Region angesiedelt werden sollen, ist zum Teil bereits bewohnt. Dort werden die Menschen aufge- fordert, ihren Besitz zu Spottpreisen zu verkaufen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20941 (A) (C) (B) (D) Zum Zweiten berührt die Aufstauung des Tigris und des Euphrats im Rahmen des umfangreichen Südostana- tolien-Projektes ganz direkt die Interessen der Nachbar- länder Syrien und Irak. Die Regierungen dieser Länder wurden jedoch nicht in die Planungen für den Ilisu-Stau- damm einbezogen. Wenn es durch das Projekt in be- stimmten Perioden zum Wassermangel kommt, sind in- ternationale Spannungen zwischen der Türkei und den Anrainern nur eine Frage der Zeit. Drittens würden durch eine Flutung der Region um Ilisu einige der wichtigsten Kulturgüter der Mensch- heitsgeschichte unwiederbringlich verloren gehen. Mit der Stadt Hasankeyf würden eine Jahrtausende alte Stadt und deren kulturelle Schätze versinken. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, mit einigen Be- wohnern Hasankeyfs sowie dem Bürgermeister der Stadt persönlich zu reden. Sowohl sie als auch Vertreter der türkischen Umweltverbände treten nach wie vor vehe- ment gegen die Umsetzung des Staudamm-Projektes ein. Wie mir der Bürgermeister Abdulvahap Kusen be- schrieb, würde es auch gravierende Folgen für die lokale Wirtschaft haben, die ohnehin schwach entwickelt ist. Dass die türkische Regierung die an die Vergabe der Exportkreditgarantien geknüpften Auflagen nicht erfüllt, musste im Oktober dieses Jahres selbst die Bundesregie- rung einräumen. Sie drohte zusammen mit Österreich und der Schweiz der türkischen Regierung, die Bürg- schaften für das Ilisu-Projekt zurückzuziehen und gab ihr 60 Tage Zeit, um die 153 Auflagen in die Tat umzu- setzen oder einen entsprechenden Plan zu erstellen. Am 12. Dezember wird diese Frist ablaufen. Nach Einschätzung von Umweltorganisationen und anderen Beobachtern deutet derzeit nichts darauf hin, dass die türkische Regierung gewillt ist, sich an die Auf- lagen zu halten. Für uns bedeutet das: Die Bundesregie- rung muss die bestehenden Bürgschaftsverträge umge- hend widerrufen. Lassen Sie uns ein Zeichen setzen, dass die Zerstö- rung von Gesellschaft und Natur auch im fernen Anato- lien uns hier nicht unberührt lässt, gerade wenn sie mit deutscher Unterstützung geschieht. Hier können Sie sich ganz konkret für die Menschenrechte einsetzen, wenn Sie es mit dem Antrag zu Menschenrechten, der morgen an dieser Stelle verabschiedet wird, wirklich ernst mei- nen. Fordern Sie also mit uns die Bundesregierung auf, aus diesem unverantwortlichen Projekt unverzüglich auszusteigen und die Hermesbürgschaften für Ilisu zu- rückzuziehen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein fal- sches Projekt wird auch durch die Vergabe von Export- kreditgarantien nicht richtig. Der illegale Baubeginn muss zum Stopp der Bürgschaften führen. Noch stehen die Exportkreditgarantien für die am Ilisu-Staudamm- projekt beteiligten Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die deutsche Bundesregie- rung hat eine Hermesbürgschaft in Höhe von 93,5 Mil- lionen Euro für die Züblin AG im März des letzten Jah- res bewilligt, trotz der massiven Einwände vieler Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Im parla- mentarischen Raum haben wir Grünen bereits vor über zwei Jahren dazu aufgefordert, die Hermesbürgschaft nicht zu bewilligen. Leider ohne Erfolg. Aber unsere Ar- gumente haben Wirkungskraft gezeigt. Zusammen mit engagierten Nichtregierungsorganisationen aus Deutsch- land, Österreich, der Schweiz und der Türkei ist es ge- lungen, die negativen Auswirkungen des Staudammpro- jekts einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und den Druck auf die Entscheidungsträger bis heute auf- rechtzuerhalten. Diesem Druck und den offensichtlichen Fehlleistungen der türkischen Regierung bei der Erfül- lung festgelegter Auflagen in den Bereichen Umsied- lung, Umwelt und Kultur konnte sich die Bundesregie- rung nicht verschließen. Zusammen mit Österreich und der Schweiz wurde der Türkei durch eine „Umweltstö- rungsanzeige“ eine Frist bis Ende nächster Woche ge- stellt. Bis dahin muss ein tragfähiges Konzept stehen, das den Willen erkennen lässt, die Auflagen zu erfüllen. Es darf auf keinen Fall zu einem faulen Kompromiss kommen. Seit über anderthalb Jahren kennt die türkische Regierung die Auflagen. Seit über anderthalb Jahren ist nichts passiert, keine Umweltverträglichkeitsprüfung, kein geeigneter Umsiedlungsplan, keine Machbarkeits- studien zur Rettung jahrtausendealter Kulturgüter. Was bisher passiert ist, sind Enteignungen von Menschen, die im Weg stehen, und vorbereitende Baumaßnahmen für den Staudamm. Warum sollten wir davon ausgehen, dass sich an dieser Politik etwas ändert? Wann ist es genug? Wann sieht die Bundesregierung ein, dass sie sich an dem skandalträchtigen Projekt nicht beteiligen darf? Und doch gibt es erste Anzeichen dafür, dass der Tür- kei eine weitere Schonfrist eingeräumt wird und Deutschland, Österreich und die Schweiz weiter am Ball bleiben. Das ist absurd. Besonders die Intensivierung der Bauarbeiten während der 60-Tage-Frist zeigt, dass die Türkei die Sache nicht ernst nimmt. Ob es sich dabei um indirekte oder direkte Baumaßnahmen handelt, ist letztendlich irrelevant. Die Türkei schafft Tatsachen: Der Bau soll so schnell wie möglich vorangetrieben werden. Das ist ein Affront gegen die Bedenken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Und doch scheint dies nicht auszureichen. Die Position der Bundesregierung wurde dem Aus- schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung gestern vorgeführt: Der Damm wird so oder so gebaut, und wenn Deutschland mit im Boot sitzt, können die Dinge zum Positiven beeinflusst werden. Zwar seien die Verfehlungen der Türkei nicht akzeptabel, aber die Mängel behebbar. Das klingt danach, dass wirtschaftli- che Interessen einmal mehr Vorrang vor sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit bekommen. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit würde aus grüner Sicht be- deuten, den Damm erst gar nicht zu bauen und sinnvolle Alternativen für die Entwicklung der Region und die Energieversorgungsprobleme der Türkei zu schaffen. Die Türkei hat hohes Potenzial, Energie aus erneuerba- ren Quellen zu erzeugen. Doch eine Prüfung von Alter- nativen hat nicht stattgefunden. 20942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Die betroffenen Menschen vor Ort jedenfalls haben eine klare Haltung: Sie wollen ihre Heimat nicht verlie- ren und glauben nicht daran, dass der Staudamm ihnen irgendwelche Perspektiven bietet. Der Unterstützung von uns Grünen können sich die Menschen in Ilisu, Hasankeyf und den anderen fast 100 Ortschaften, die be- troffen sind, gewiss sein. Auch auf unserem letzten Par- teitag in Erfurt wurde ein entsprechender Antrag verab- schiedet. Der Widerstand der Zivilgesellschaft in der Türkei wächst. Prominente schalten sich ein, Sänger und Schauspieler informieren und mobilisieren gegen den Staudamm. Ich sage, wir müssen den Menschen vor Ort die Chance geben, ihre Heimat zu retten. Das wird nur möglich sein, wenn es keine Unterstützung deutscher, österreichischer oder schweizerischer Firmen gibt. Des- wegen muss die Hermesbürgschaft jetzt zurückgezogen werden. Erinnern wir uns: Schon einmal haben sich Eng- länder, Schweden und auch die Schweizer Bank UBS, die in einem früheren Stadium an der Verwirklichung des Staudamms beteiligt sein sollten, zurückgezogen, worauf das Projekt erst einmal auf Eis lag. Erst als die Züblin AG einstieg und Exportkreditgarantien in Aus- sicht gestellt wurden, kam wieder Leben in das Projekt. Dem Antrag der Linksfraktion werden wir zustim- men. Er fordert, die Hermesbürgschaft zurückziehen, und das ist auch unsere Position: Raus aus der Hermes- bürgschaft für den Ilisu-Staudamm. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Histori- sches Museum“ (Tagesordnungspunkt 19) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ vervollstän- digt die Geschichtsaufarbeitung – im Geiste der Versöh- nung. Die vorgesehene unselbstständige Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung wird eingebettet in die Träger- schaft des Deutschen Historischen Museums. Ein lange tabuisiertes Kapitel unserer Geschichte wird jetzt öffent- lich aufgearbeitet: Ein Schweigen über das Schicksal der Vertriebenen wird es nicht mehr geben. Das Tor der Er- innerung wird offengehalten. Der Terror des National- sozialismus als Verursacher demaskiert. Ausgerichtet wird die Arbeit der Stiftung am Gedanken der Aufklä- rung und Versöhnung mit unseren europäischen Nach- barn. Wir begrüßen ausdrücklich die vorgesehene Zusam- menarbeit mit internationalen Museen und Forschungs- einrichtungen. Wir stehen zur Offenheit des wissen- schaftlichen Beirats für die Mitwirkung von Fachleuten aus dem Ausland, insbesondere Osteuropa. Vertreibung ist … ein Verbrechen. … Es war Un- recht, alle Deutsche kollektiv zu vertreiben. Das auszusprechen war zwischen den Jahren 1968 und 1995 fast unmöglich. So hat es der Sozialdemokrat Peter Glotz in der Welt am Sonntag 2002 formuliert. Über 60 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Welt- kriegs vergangen, sechs Jahrzehnte seit dem Beginn von Flucht und Vertreibung als Folge des nationalsozialisti- schen Unrechtsregimes. Fast 14 Millionen Deutsche mussten dabei ihre vertraute Heimat verlassen; uner- messliche Strapazen auf der Flucht, Hunger, Vergewalti- gungen und Seuchen. Die Aussicht auf eine ungewisse Zukunft kennzeichnet das Leid, das ihnen widerfuhr. Für 2 Millionen Menschen bedeuteten Flucht und Vertrei- bung den Tod. Doch es waren nicht nur Deutsche, die dieses harte Schicksal traf. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mussten in Europa zwischen 60 und 80 Millionen Menschen ihre Heimat unter Zwang und politischem Druck verlassen. Mehr als 30 Völker oder Volksgruppen haben im vergangenen Jahrhundert ihre Heimat verloren. Keines der individuellen Schicksale, keines der Schicksale, das ganze Nationen betraf, lässt sich gegeneinander aufrechnen. Vielmehr stellen gewalt- same Flucht und Vertreibung elementare Menschen- rechtsverletzungen dar. Auch heute noch sind sie Folge politischer Willkür- handlungen weltweit. Wir Deutschen sind aufgefordert, gerade des Schicksals der Menschen zu gedenken, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen wurden. Für die Verbrechen, Kriegs- leiden und Zerstörungen des Nationalsozialismus tragen wir eine historische Verantwortung. Dieses Gedenken ist Teil unserer deutschen Identität. Unsere Verantwortung heute gilt Versöhnung und Frieden. Die Regierungsparteien haben sich 2005 in der Koali- tionsvereinbarung ausdrücklich zur gesellschaftlichen sowie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung bekannt. Wir haben vereinbart, dass im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sicht- bares Zeichen gesetzt werden soll, in Verbindung mit dem europäischen Netzwerk „Erinnerung und Solidari- tät“. Es soll an das Unrecht von Vertreibung erinnert und Vertreibung für immer geächtet werden. Diese Thematik aufzuarbeiten, ist nicht nur im Inte- resse der Menschen unseres Landes. Es ist auch im Inte- resse aller Europäer, insbesondere unserer östlichen Nachbarstaaten wie Polen oder Tschechien, aber auch Russland. Es war daher richtig, dass der Staatsminister für Kul- tur und Medien, Bernd Neumann, mit Fachleuten im In- und Ausland, mit Kollegen aus der Politik – so auch dem polnischen Kulturminister – klärende Treffen darüber gehabt hat, wie die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Ver- söhnung“ umgesetzt werden kann. Die zahlreichen Ge- spräche, die unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Thematik mit Regierungschefs unserer Nachbar- staaten geführt hat, haben wesentlich zum Abbau von Vorbehalten beigetragen. Eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen haben sich gleichfalls aktiv an dieser Umsetzung beteiligt: Jochen-Konrad Fromme, Stephan Eisel, Markus Meckel, Hans-Joachim Otto und viele mehr. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20943 (A) (C) (B) (D) Das Vorhaben der Bundesregierung, die Ausstellung „Flucht, Vertreibung Integration“ zum Herzstück des neuen Dokumentationszentrum zu machen, ist konse- quent. Diese Ausstellung wurde von der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ unter Beteiligung eines Kreises von namhaften Fachleuten konzipiert. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Bun- despräsidenten. Auf wissenschaftlicher Grundlage ver- anschaulicht sie umfassend die Problematik von Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges, aber auch deren Integration in der Bundes- republik Deutschland und in der damaligen Sowjeti- schen Besatzungszone. Sachlich, gesellschaftspolitisch verantwortungsbe- wusst und auch fachlich richtig ist es, zu prüfen, welche Anregungen und Elemente aus der Ausstellung „Er- zwungene Wege“ übernommen werden können. Diese Initiative der BDV-Stiftung „Zentrum gegen Vertreibun- gen“ ist von Fachleuten des In- wie Auslandes als histo- risch korrekt und anerkennenswert bezeichnet worden. Die Kritik, die in diesem Zusammenhang und auch da- rüber hinaus meine Kollegin Erika Steinbach erfahren hat, war weder gerechtfertigt noch vertretbar. Und was in diesem Zusammenhang die Besetzung des Stiftungsrates angeht, gehe ich davon aus, dass der BDV im Sinne von Verständigung und Versöhnung einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten wird. Der BDV ist ein anerkannter Verband. Mit Beginn der Bundesrepublik hat jede Regierung seit über 60 Jahren – ob schwarz, rot, gelb oder grün – durch ihre Mittelver- gabe an die Vertriebenen diese Akzeptanz dokumentiert. Dazu stehen wir auch weiter. Für notwendig erachtet es unsere Fraktion, bei der Konzipierung den europäischen Aspekt von Flucht und Vertreibung herauszustellen. Das entspricht unseren Vor- stellungen, einen Dokumentationsort entstehen zu las- sen, an dem auch die Schicksale aus den Ländern einbe- zogen werden, mit denen Deutschland im europäischen Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ partnerschaftlich zusammenarbeitet. Es ist sachlich und politisch richtig, das europäische Netzwerk in die Konzeption der Stif- tung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einzubeziehen. Eine solche Konsequenz ist für das Verständnis eines derartigen Erinnerungsortes unverzichtbar. Es ist richtig, dass unsere osteuropäischen Nachbar- länder wie Polen und Tschechien sowie die Slowakei sich an der Realisierung in den Fachgremien beteiligen. Und es würde dem Anliegen dienen, wenn es zu einer – im Grundsatz – offiziellen Geste der Anerkennung von ihrer Seite zu unserem Vorhaben käme. Wir wollen mit diesem Ort ein Zeichen zur Ächtung jeglicher Vertrei- bung und ethnischer Verfolgung in Europa und weltweit setzen. Darüber müsste doch Verständigung möglich sein. Unser ehemaliger Bundespräsident Roman Herzog hat Erinnerungsbereitschaft und Mut von uns gefordert, da ohne gründliches Wissen um seine Geschichte ein Volk die Herausforderungen der Zukunft nicht bestehen könne. Die neue Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöh- nung“ wird diesem Anspruch gerecht. Markus Meckel (SPD): Seit einigen Jahren sorgte die Frage, wie wir in Deutschland mit der Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zwei- ten Weltkrieg umgehen wollen, für heftige Auseinander- setzungen in Gesellschaft und Politik. Die SPD hat das von der Union lange geforderte „Zentrum gegen Vertrei- bungen“ des Bundes der Vertriebenen in der Vergangen- heit immer mit aller Entschiedenheit abgelehnt. An die- ser Ablehnung hat sich nichts geändert. Es ist daher wirklich als großer Erfolg zu werten, dass SPD und Union nun schließlich eine Einigung darüber erzielt ha- ben, die es ermöglicht, gemeinsam an Flucht und Ver- treibung zu erinnern. Mit dem Beschluss zum Aufbau ei- ner unselbstständigen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ unter dem Dache der zu errichtenden Stif- tung „Deutsches Historisches Museum“ bringen wir heute ein Jahre währendes, zähes Ringen zu einem guten Ende. Ein schwieriger, doch ausgesprochen wichtiger Auftrag aus der Koalitionsvereinbarung wird damit er- füllt. Die Frage nach dem Umgang mit der Erinnerung an Flucht, Vertreibungen und Umsiedlungen in Folge des von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges ist je- doch nicht allein eine deutsche Frage und wurde nicht nur innerhalb Deutschlands sehr kontrovers debattiert. Besonders die Beziehungen mit Polen waren durch das Thema zeitweise stark belastet, konstruktive Gespräche darüber mit unserem Nachbarland nicht zu jedem Zeit- punkt möglich. Auch andere Nachbarländer verfolgten die Diskussionen in Deutschland skeptisch. Der SPD war es von Anfang an besonders wichtig, die Perspektiven der europäischen Nachbarn einzubezie- hen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in die Dis- kussion einzubringen. Umso mehr hoffe ich nun, dass der gefundene Kompromiss unseren Nachbarn deutlich macht, dass wir in Deutschland die Geschichte nicht um- deuten wollen, dass wir auf die Frage nach Ursachen und Wirkung sehr differenziert eingehen werden und dass wir die europäische Gesamtperspektive auf unsere Ge- schichte nicht ausblenden. Im Stiftungszweck ist festge- schrieben, dass die unselbstständige Stiftung „im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im histori- schen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der natio- nalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen“ wachhalten soll. Die unselbstständige „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wird in öffentlicher Trägerschaft entstehen und durch die Anbindung an die Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ in die bestehende Museumsland- schaft eingebettet werden. Diese Anbindung an bereits vorhandene und bewährte Strukturen erleichtert in fach- licher und organisatorischer Hinsicht den Prozess in ho- hem Maße. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal betonen, wie wichtig es ist, dass die Stiftung in öffentli- cher Hand entsteht und dass Parlament und Regierung gemeinsam die Grundlage zur Errichtung der Stiftung geschaffen haben. Dies unterstreicht zum einen die Wichtigkeit und Tragweite des Vorhabens. Darüber hi- naus wurde dadurch der Kompromiss zwischen ver- 20944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) schiedenen Parteien und die Akzeptanz unserer europäi- schen Nachbarn erst ermöglicht. Als nächster Schritt steht die Besetzung der Stiftungs- gremien an. Neben Bundestag und Bundesregierung werden der Bund der Vertriebenen, die beiden großen Kirchen in Deutschland sowie der Zentralrat der Juden Mitglieder des Stiftungsrates benennen. Die Gremienbe- setzung der unselbstständigen Stiftung „Flucht, Vertrei- bung, Versöhnung“ sollte unseren Willen zur breiten gesellschaftlichen Beteiligung widerspiegeln sowie zur weiteren Akzeptanz durch die europäischen Partner bei- tragen. Wie wir alle wissen, wird das noch einmal sehr wichtig sein. Dass der zu bildende wissenschaftliche Be- raterkreis der Stiftung neben deutschen auch internatio- nale Wissenschaftler, vor allem auch aus unseren östli- chen Nachbarstaaten, umfasst, halten wir von der SPD für unverzichtbar. Mit der Schaffung der gesetzlichen Grundlage und der Gremienbesetzung ist die Arbeit noch nicht getan. Der größte Auftrag bleibt die Erarbeitung des Konzepts einer Dauerausstellung zu Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert, ihren Hintergründen, Zusammenhängen und Folgen in europäischer Dimension. Der Haupt- akzent wird auf der Flucht und Vertreibung der Deut- schen liegen, doch auch andere – auch von deutscher Seite veranlasste – Flucht- und Vertreibungssituationen sollen thematisiert werden. Die SPD hat ein internatio- nales wissenschaftliches Symposium angeregt, das für die Erarbeitung der Ausstellung eine wichtige Rolle spielen wird und für das Frühjahr 2009 vorgesehen ist. Wenn diese Chance entsprechend genutzt wird, kann das Symposium viel zur Akzeptanz der unselbstständigen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in unseren mittelosteuropäischen Nachbarländern und dabei insbe- sondere in Polen beitragen. Den Teilnehmern des Sym- posiums aus dem In- und Ausland soll die Möglichkeit gegeben werden, aus ihrer Perspektive Kriterien für die- ses Projekt zu benennen und Vorschläge zu unterbreiten. So werden sie wesentlich zur inhaltlichen Ausgestaltung der Ausstellung beitragen können. Die harten und langwierigen Auseinandersetzungen über den Umgang mit der Geschichte von Flucht und Vertreibung haben uns einmal mehr gezeigt, dass wir un- sere Geschichte nicht im Alleingang, sondern nur grenz- überschreitend wirklich verstehen und bearbeiten kön- nen. Ein wichtiger Meilenstein für dieses Verständnis war die gemeinsame Danziger Erklärung der damaligen Präsidenten Deutschlands und Polens, Johannes Rau und Aleksander Kwaśniewski, in der sie 2003 zum Dialog über die auch die Gegenwart noch belastende Geschichte der Vertreibungen und Zwangsmigrationen im 20. Jahr- hundert aufriefen und gleichzeitig allen Entschädigungs- forderungen eine klare Absage erteilten. Auf der Linie dieser Erklärung unterzeichneten dann im Februar 2005 die Kulturminister Polens, Deutschlands, Ungarns und der Slowakei eine Absichtserklärung zur Gründung des Europäischen Netzwerkes „Erinnerung und Solidarität“. Die Tschechische Republik erklärte sich ebenso wie Österreich bereit, auf Projektebene zu kooperieren. Ziel des Europäischen Netzwerkes soll es sein, die schwierige Geschichte des 20. Jahrhunderts in einem grenzüberschreitenden Dialog so aufzuarbeiten, dass da- raus Versöhnung erwachsen kann und nicht Spannungen verstärkt oder neu geschaffen werden. War das Netzwerk zunächst vor allem auf die Geschichte von Vertreibung fo- kussiert, hat sich der Ansatz inzwischen verändert. Heute liegt der Schwerpunkt auf der Beschäftigung mit den beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in Europa und ihre Überwindung. Ich hoffe sehr, dass die Arbeit des Europäischen Netzwerkes „Erinnerung und Solidarität“ durch die Besetzung der nötigen Gremien und die Arbeitsaufnahme des Sekretariats in Warschau im kommenden Jahr an Dynamik gewinnt und dass das Netzwerk – inzwischen eine Stiftung polnischen Rechts – demnächst seine Arbeit beginnen kann. 2009 als Jubiläumsjahr der Umbrüche von 1989 wäre dafür ein guter Zeitpunkt. Wenn wir in Deutschland an 1989 erinnern, können wir dies nicht in angemessener Weise, ohne die Ge- schichte Polens, Tschechiens, Ungarns oder anderer europäischer Länder mitzudenken. Das Europäische Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ bietet uns eine gute Möglichkeit, den engen Rahmen national fokussier- ter Geschichtsbetrachtung zu verlassen. Wenn wir eine gemeinsame europäische Zukunft wollen, müssen wir auch bereit sein, unsere Vergangenheit aus der Sicht an- derer Europäer zu betrachten und ihre Perspektiven ein- zubinden. Ich bin überzeugt, dass dies auch mit der heute zu be- schließenden Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöh- nung“ für das schwierige Thema Flucht und Vertreibung gelingen kann. Doch daran werden alle in diesem Hause mitwirken müssen. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Wir been- den heute – nach zehnjähriger Debatte – eine anhaltende Diskussion um eine angemessene Erinnerungskultur für Flucht und Vertreibung. Vor fast zehn Jahren haben der Bund der Vertriebenen und die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ den Stein ins Rollen gebracht und die Politik zum Handeln getrieben. Die beiden Ausstellun- gen „Erzwungene Wege“ des Bundes der Vertriebenen und „Flucht, Vertreibung, Integration“ des Hauses der Geschichte haben die Debatte über Erinnerung und Ver- treibung entscheidend geprägt. Sie bilden eine Art Schnittstelle zwischen dem breiten öffentlichen Interesse an dem Thema „Flucht und Vertreibung“ und der politi- schen und wissenschaftlichen Diskussion um die Frage eines angemessenen Gedenkens und Erinnerns. Flucht und Vertreibung muss als Teil der deutschen Geschichte anerkannt und aufgegriffen werden. Hinter uns liegt eine kontroverse Debatte, die schluss- endlich – und das möchte ich als Oppositionspolitiker hervorheben – zu einem tragfähigen Ergebnis geführt hat. Dem Staatsminister ist für sein Verhandlungsge- schick mit unseren polnischen Nachbarn – und hier ins- besondere mit dem Staatssekretär in der Kanzlei des Mi- nisterpräsidenten, Professor Wladyslaw Bartoszewski – und für die gute Bilanz zu gratulieren: Endlich wird das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20945 (A) (C) (B) (D) im Koalitionsvertrag festgeschriebene Sichtbare Zei- chen, um an das Unrecht von Flucht und Vertreibung zu erinnern, Wirklichkeit. Endlich wird der Weg frei ge- macht, um eine Ausstellungs- und Dokumentationsstätte in Berlin – im Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof – zu errichten. Bedauerlich ist, dass wir diese Debatte im Bundestag nur in Form zu Protokoll gegebenen Reden und nicht in einer Plenardebatte für die Öffentlichkeit sicht- und hörbar führen können. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden zwei Probleme gelöst: Zum einen wird die lediglich als Interimslösung genutzte Rechtsform des Deutschen His- torischen Museums als GmbH in eine selbstständige bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts umgewandelt. Damit wird die internationale Museums- arbeit erleichtert, und private Zustiftungen können im Hinblick auf die steuerliche Absetzbarkeit privilegiert behandelt werden. Zum anderen wird die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in der Rechtsform ei- ner unselbstständigen Stiftung öffentlichen Rechts in Trägerschaft des Deutschen Historischen Museums er- richtet. Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu und tritt diesem bei. Ich möchte mich hier auf den zweiten Teil des Gesetzentwurfes konzentrieren, in dem die un- selbstständige Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöh- nung“ geregelt wird. Der FDP-Fraktion waren und sind deren zukunftsgewandte Ausrichtung und deren wissen- schaftliche Unabhängigkeit immer besonders wichtig. Neben der Erinnerung an die Geschichte der Vertreibun- gen in Europa muss ein solches Sichtbares Zeichen so- wohl den wissenschaftlichen Anspruch der Erforschung der Vertreibungen als auch den politischen Anspruch ha- ben, Vertreibungen in Zukunft weltweit zu verhindern. Daher muss es auch die Aufgabe haben, den Austausch der jungen Generation über die Grenzen hinweg zu för- dern. Wenn wir die Jugend nicht an dieses Erbe heran- führen, geht die lebendige Erinnerung verloren. Erinne- rung ist wachzuhalten – dies insbesondere deshalb, da die Zeitzeugen, die davon berichten können, jeden Tag weniger werden. Eine europäische Ausrichtung und in- ternationale Kooperationen sind nach unserer Auffas- sung unerlässlich. Der Gesetzentwurf sowie das Konzept der Bundesregierung sehen dies vor. Was jedoch noch fehlt, ist ein prägnanter Name für die Ausstellungs- und Dokumentationsstätte. Hier müssen wir uns alle noch einmal Gedanken machen. Lassen Sie mich noch auf einige im Vorfeld geäußerte Bedenken eingehen: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen, aber auch die Fraktion Die Linke stellen infrage, ob die Mitarbeit des Bundes der Vertriebenen in den Stif- tungsgremien förderlich sei. Es ist in der Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit der Bundesrepublik bewährte Praxis, dass die Verbände der jeweils betroffenen Opfer- gruppen in die Gestaltung des Gedenkens und in die konkrete Erinnerungsarbeit eingebunden werden. Denn damit werden die Kompetenz und besondere Erfahrung der Opferverbände und die von deren zahlreichen Mit- gliedern für die Erinnerungsarbeit nutzbar gemacht. So- mit ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch das Sichtbare Zeichen unter maßgeblicher Beteiligung des Bundes der Vertriebenen errichtet und betrieben wird. Es besteht kein überzeugender Grund, diese Regel im Fall der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zu durchbrechen. Die Fraktion Die Linke kritisiert auch, dass Berlin als Ort gewählt wurde. Meines Erachtens gibt es keinen bes- seren Ort. Wenn die Kritiker beispielsweise Görlitz/ Zgorzelec anführen, so kann ich nur sagen: Auch dort möge ein Gedenkort entstehen. Dies kann aber keines- falls den zentralen Ort in der Hauptstadt ersetzen, um Sichtbarkeit und Wirkung zu erzielen. Aus gutem Grund wird daher auch aller anderen Opfer des Dritten Reiches und des von ihm entfesselten Krieges in der Hauptstadt gedacht. Der Vorwurf Einzelner, die Geschichte werde „umge- schrieben“, Täter würden zu Opfern umfunktioniert, ist unberechtigt. Die Stiftung wird eng mit ausländischen Wissenschaftlern – insbesondere aus den östlichen Nachbarstaaten – zusammenarbeiten, auch um von vorn- herein das Ziel der Versöhnung und der gemeinsamen Aufarbeitung einer furchtbaren Vergangenheit hervorzu- heben. Wir halten es für äußerst wichtig, dass die neue polnische Regierung unter Ministerpräsident Tusk dem Projekt nicht mehr so ablehnend gegenübersteht. Diese Öffnung unserer polnischen Nachbarn dürfen wir nicht enttäuschen. Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Zwei- ten Weltkrieges ist es höchste Zeit, an die durch Krieg ausgelösten Schicksale von Flucht und Vertreibung zu erinnern. Fast 14 Millionen Deutsche, aber auch viele Millionen andere Europäer waren davon betroffen. Auch heute noch befinden sich weltweit Millionen auf der Flucht oder werden vertrieben. Ursachen und Folgen von Flucht und Vertreibung sind aufzuarbeiten. Im Sinne Hans Lembergs muss die „Fackel der Erinnerung“ wei- tergegeben werden. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Eine Rede ist eine Rede ist eine Rede. Und eine Abstimmung in zweiter und dritter Lesung macht aus einem Gesetzent- wurf ein Gesetz. Aber eine für 2.30 Uhr morgens zu Pro- tokoll gegebene Rede ist nichts weiter als ein später nachzulesender Text. Und ein Gesetzentwurf, der ohne irgendeine Debatte im Plenum nachmitternächtlich im Schnellverfahren zum Gesetz wird, muss für die einbrin- gende Regierungsmehrheit entweder ganz und gar un- wichtig oder absolut verheimlichenswert sein. Das als sichtbares Zeichen von der Koalition 2005 ge- plante Dokumentations- und Ausstellungszentrum zu „Flucht und Vertreibung“ ist heute Nacht ganz und gar unsichtbar geworden, aber nunmehr gesetzlich beschlos- sen. Unter dem schön neutralen Titel „Errichtung einer Stiftung Deutsches Historisches Museum“, gegen die politisch nichts einzuwenden ist, wird nun eine auf die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung gerichtete Ausstellungs- und Dokumentationsstelle in Berlin errichtet und vom Bund finanziert. Ein Vorhaben, höchst kontrovers gesehen – im Inland wie im Ausland. Ein Vorhaben höchst missverständlich 20946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) betitelt: „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung.“ Die Fraktion Die Linke hat wiederholt gefragt: Wer soll sich da mit wem versöhnen? Und bisher keine Antwort auf die Frage erhalten. Und wir haben auch immer wieder die Frage gestellt: Wie kann eine solche Institution der Erinnerung ausgerechnet in Berlin, dem Ort, von dem all die mörderischen Verbrechen ausgingen, die dann zum Elend von Flucht und Vertreibung geführt haben, der Versöhnung dienen? Welch eine Chance wurde da vertan? Polens Minister- präsident Tusk hat Deutschland eingeladen, sich am gro- ßen polnischen Anti-Kriegs-Museum in Danzig zu betei- ligen. Kein Interesse. Die Städte Görlitz und Zgorzelec haben sich für eine Doppelausstellung beworben. Kein Interesse. Es gab Vorschläge, Ausstellungen und Doku- mentationen im Dreiländereck Deutschland – Polen – Tschechische Republik zu schaffen. Kein Interesse. Nein, es muss in Berlin sein, und es muss jetzt ganz schnell und klammheimlich etabliert werden, ohne par- lamentarische Aussprache – ohne gesellschaftliche Dis- kussion. Auch ohne internationalen, wissenschaftlichen Diskurs. Eine für Dezember geplante Konferenz mit pol- nischen und tschechischen Historikern findet nicht statt, weil polnische und tschechische Historiker abgesagt ha- ben. Ist egal. Hauptsache, die Stiftung wird heute Nacht gesetzlich. Am 13. November 2008 hat Władysław Bartoszewski der Zeitung Rzeczpospolita gesagt: „Wir wurden um un- sere Meinung gebeten. Wir haben geantwortet, dass wir weder im Namen des polnischen Staates, noch im Na- men der Regierung irgendeine institutionelle Handlung in dieser Sache unternehmen werden. Wir haben in letz- ter Zeit mit der tschechischen Regierung eine gemein- same Haltung gegenüber dem deutschen Vorhaben ver- einbart, die – auf eine einfache Formel gebracht – besagt: Macht wie Ihr denkt, aber passt auf, was Ihr macht!“ Diesen Worten ist wenig hinzuzufügen. Außer: Wer passt auf, was da entsteht und was da gemacht wird? Das Parlament hat wenig Möglichkeiten, wie uns dieser Ge- setzesvorgang zeigt. Und nicht nur er. Im 13-Personen Aufsichtsrat-Gremium der Stiftung haben zwei Bundes- tagsabgeordnete Sitz und Stimme, aber drei Vertreter des Bundes der Vertriebenen – sie stellen die größte Gruppe. Die Fraktion Die Linke lehnt den Gesetzentwurf we- gen der Konzeption der Stiftung, ihres Standortes und der Zusammensetzung des Kontrollgremiums ab. Auch wenn das die Regierungsparteien überhaupt nicht inte- ressiert: Eine offene Debatte im Bundestag hätten sie wenigstens zulassen sollen. Auch um der Versöhnung mit unseren Nachbarn willen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wenn wir hier und jetzt über den Tagesordnungs- punkt Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ disku- tieren, klingt das nach einer reichlich technokratischen Angelegenheit. In Wirklichkeit versteckt sich dahinter aber ein Thema, das immer wieder Anlass zu grundsätz- lichen, ja manchmal sogar dogmatisch geführten Debat- ten gegeben hat, die Frage nämlich, wie und in welcher Form wir an die Vertreibungen von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern wollen. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Große Koalition ja angekündigt, hier ein „sichtbares Zeichen“ setzen zu wollen. Drei Jahre lang hat man sich gefragt, ob dieses seltsame Ding tatsächlich irgendwann sichtbar sein würde. Bislang war es eher ein seltsam konturloses Ge- bilde. Und ehrlich gesagt, inhaltlich ändert sich daran durch den nun vorliegenden Gesetzentwurf so viel nicht. Denn mit der Einrichtung der beim Deutschen Histori- schen Museum angesiedelten „Stiftung Flucht, Vertrei- bung, Versöhnung“ wird lediglich die organisatorische Hülle geschaffen. Die inhaltliche Debatte, was dort in Ausstellungen, Veranstaltungen und sonstigen Program- men genau geschehen soll, muss nun erst richtig losge- hen. Wir wünschen uns, dass die Regierung von nun an offensiver und vor allem öffentlicher mit diesem Thema umgeht. Denn es hat schon etwas Verdruckstes, wenn dieses Vorhaben nun hinter einer stiftungsrechtlichen Neuorganisation des Deutschen Historischen Museums versteckt wird. Da wir nicht genau wissen, was uns in- haltlich erwartet, werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf denn auch enthalten. Lassen Sie mich dennoch etwas Grundsätzliches aus unserer Perspektive zum Thema Vertreibungen sagen. Grundsätzlich sind wir Grüne dafür, der deutschen Opfer der Vertreibungen zu gedenken. Lange Zeit herrschte ge- rade in der westdeutschen politischen Linken die Auffas- sung vor, die deutschen Opfer der Vertreibungen seien die „gerechte Strafe“ für die Verbrechen der Nazis. „Ge- recht“ konnte man dies aber nur finden, wenn man Anhänger der Kollektivschuldthese war. Denn nach indi- vidueller Schuld und Verantwortung wurde von den Ver- treibern ja nicht gefragt. Unter den Vertriebenen waren – wenn auch nicht unbedingt mehrheitlich – auch Kom- munisten und andere Gegner des Naziregimes. Die Ver- treibungen hatten gerade für die politische Linke eine Placebofunktion, was Schuld und Sühne angeht. Da man die Abertausend Deutsche, die aktiv an den Massenmor- den des Holocaust beteiligt waren, nicht alle verurteilen konnte, hatten aus dieser Perspektive die Vertriebenen sozusagen als Stellvertreter die Last der Schuld zu über- nehmen. Ich möchte nicht darauf eingehen, warum das Thema Vertreibungen nach dem Krieg von der politischen Rech- ten ideologisch besetzt und ausgeschlachtet werden konnte. Bis heute ist es so, dass das Thema Vertreibun- gen für revisionistische Klitterungen der deutschen Geschichte missbraucht wird. Wir werden deshalb auf- merksam darauf achten, dass das geplante Dokumenta- tionszentrum den historischen Kontext ausreichend be- rücksichtigt. Die Erinnerung an die Vertreibungen von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und das Geden- ken an deren Opfer darf nicht dazu führen, dass die deut- schen Verbrechen in den Hintergrund geraten. Die Ver- treibungen von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg haben viel Leid verursacht, und sie waren Unrecht. Doch muss jede Erinnerung an deutsche Opfer den histori- schen Zusammenhang deutlich machen. Deshalb werden wir genau hinschauen, welchen Einfluss der Bund der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20947 (A) (C) (B) (D) Vertriebenen auf die inhaltliche Ausrichtung nehmen wird und welche Versatzstücke des „Zentrums gegen Vertreibung“ womöglich in die Konzeption einfließen. Das Projekt sollte keine nationale Angelegenheit sein und auf keinen Fall Argwohn im Ausland wecken. Wir wünschen uns deshalb eine enge Abstimmung mit unse- ren europäischen Nachbarn. Wir setzen uns deshalb nach wie vor für ein europäisches Forschungsnetzwerk ein. Die Leiden der Vergangenheit dürfen nicht für nationale Interessen instrumentalisiert werden. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung machen. Wir sprechen oft von der Integration der Mus- lime in Deutschland. Wäre es deshalb nicht wünschens- wert, wenn ein Vertreter der Muslime in Deutschland im Stiftungsrat oder zumindest im wissenschaftlichen Bei- rat der Stiftung vertreten wäre? Das wäre ein wichtiges „sichtbares Zeichen“ für die Integration heute. Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- kanzlerin: Heute bringen wir eine geschichtspolitische Initiative von besonderer Bedeutung auf den Weg: die Gründung der Stiftung Deutsches Historisches Museum und damit verbunden die Gründung der unselbstständi- gen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Aus- gangspunkt ist der Koalitionsvertrag von 2005, in dem den Regierungsparteien der Auftrag erteilt wird, in Ber- lin ein „sichtbares Zeichen“ zu setzen, um an das Un- recht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibungen für immer zu ächten. Flucht und Vertreibung wirken auch über sechs Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Welt- krieges in Politik und Gesellschaft, ja im Alltag und auch in den Medien nach. Wir müssen uns mit diesem Thema verantwortungsbewusst auseinandersetzen, ist es doch Bestandteil der deutschen Geschichte, aber auch der Biografien vieler unserer Bürgerinnen und Bürger. Es gehört zur Aufbaugeschichte der Bundesrepublik Deutschland und gleichzeitig zur europäischen Ge- schichte als Folge eines von den Nationalsozialisten ent- fesselten verbrecherischen Krieges mit bis heute zum Teil schmerzlichen Implikationen für die Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn. Die Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung der Deutschen muss daher im Kontext der Geschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt und insbesondere im Zusam- menhang mit dem Zweiten Weltkrieg erfolgen. Bei der Umsetzung des Auftrags aus dem Koalitions- vertrag habe ich von Anfang an gleichermaßen Wert auf die Einbindung der Betroffenen als auch auf die wissen- schaftliche Expertise gelegt. Deshalb waren an dem Be- raterkreis, der uns bei der Erstellung der Konzeption unterstützt hat, einerseits parteiübergreifend Persönlich- keiten beteiligt, die über langjährige politische Erfah- rung verfügen und den legitimen Anliegen der Vertriebe- nen verbunden sind. Andererseits waren insbesondere auch Wissenschaftler aus dem In- und Ausland in diesen Kreis eingebunden. Es ist als großer Erfolg zu bezeich- nen, dass im Ergebnis ein Konsens zwischen den Regie- rungsparteien hergestellt werden konnte. Zudem habe ich die Konzeption des sichtbaren Zeichens im Februar dieses Jahres in Warschau in einer Atmosphäre des wechselseitigen Vertrauens und des gegenseitigen Re- spekts auch der polnischen Seite erläutert. Die polnische Regierung hält eine beratende wissenschaftliche Beglei- tung polnischer Historiker für denkbar. Damit ist ein wichtiger Schritt für die Einbindung in europäische Be- züge geleistet, auf die ich großen Wert lege. Ziel ist es, die Erinnerung und das Gedenken an das „Jahrhundert der Vertreibungen“ und das damit verbun- dene, uns alle berührende menschliche Leid wachzuhal- ten. Dabei soll die gesellschaftliche wie historische Auf- arbeitung im Geist der Versöhnung geschehen. Es soll eine Ausstellungs- und Dokumentationsstätte eingerich- tet werden, mit der nicht nur die Erlebnisgeneration an- gesprochen wird. Auch den jüngeren Menschen im In- und Ausland soll dieser Teil unserer Geschichte näher gebracht werden. Im Vordergrund der Ausstellung ste- hen Flucht und Vertreibung der Deutschen insbesondere aus den ehemaligen Ostgebieten während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber nicht nur Deutsche waren vom Schicksal der Vertreibung betroffen, deshalb wird sich die Ausstellung nicht nur auf sie konzentrieren. Von Flucht, Vertreibung und von den sogenannten Zwangs- migrationen waren im 20. Jahrhundert viele Millionen Menschen in ganz Ostmitteleuropa und in der damaligen Sowjetunion betroffen. Aus diesem Grund gehören die gesamteuropäischen Aspekte dieses Themas als genuine Bestandteile selbstverständlich zu dessen Aufarbeitung. Auch die Eingliederung der Vertriebenen und Flücht- linge in West und Ost und ihre Aufbauleistungen sollen einbezogen werden. Für all diese konzeptionellen Elemente galt es, einen passenden rechtlichen und organisatorischen Rahmen zu finden. Mit der Schaffung einer unselbstständigen Stif- tung in der Trägerschaft des Deutschen Historischen Museum ist dies, wie ich meine, in optimaler Weise ge- lungen. Die gewählte Rechtsform ermöglicht nicht nur die bedeutungsgebende Namensgebung Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, sondern steht auch für Konti- nuität und Gewicht dieser Einrichtung. Dass es sich bei dem Träger – dem Deutschen Historischen Museum – um eine Einrichtung handelt, die sich sowohl durch fachwissenschaftliche als auch gesellschaftliche Akzep- tanz auszeichnet, steht außer Frage. Ein ganz besonders geeigneter Träger ist das DHM aber insbesondere auch deshalb, weil die adäquate Einbettung der Thematik der Vertreibungen in den allgemeinen historischen Zusam- menhang dadurch nochmals verdeutlicht wird. Die unselbstständige Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wird einen eigenen Direktor bzw. eine ei- gene Direktorin und eigene Gremien haben. Eine wich- tige Rolle wird dem Stiftungsrat zukommen. In ihm wer- den neben der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag Vertreter des Bundes der Vertriebenen, die bei- den großen Kirchen und der Zentralrat der Juden mitwir- ken. Die auch bisher schon herausgehobene Bedeutung wissenschaftlicher Beratung setzt sich nach Errichtung der unselbstständigen Stiftung in institutionalisierter Form fort, indem die Einrichtung einen eigenen wissen- schaftlichen Beraterkreis haben wird. Mir ist es ganz wichtig hervorzuheben, dass dieses Gremium für die 20948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Mitwirkung von Fachleuten aus dem Ausland, insbeson- dere aus dem östlichen Europa, offen sein soll. Mit der Errichtung der unselbstständigen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ haben wir die Wei- chen gestellt, um diese wichtige Thematik angemessen aufzuarbeiten. Lassen Sie mich noch etwas zur neuen Stiftung Deutsches Historisches Museum sagen. Die Ge- schichte dieses Hauses begann am 7. Oktober 1985 mit der Beauftragung einer Sachverständigenkommission. Ziel war die Schaffung eines Ortes „der Erkenntnis durch historische Erinnerung“, der „einen Überblick über die deutsche Geschichte in ihrem europäischen Zu- sammenhang geben“ sollte. Zum Aufbau wurde eine GmbH mit den Gesellschaftern Bund und Berlin gegrün- det. Diese sollte als vorläufige Trägerorganisation bis zur Eröffnung des Museums fungieren. Inzwischen hat sich das Deutsche Historische Museum als das Museum für deutsche Geschichte von der Antike bis zur Gegen- wart fest etabliert und zählt jährlich über eine halbe Million Besucher aus dem In- und Ausland. Frau Bun- deskanzlerin Merkel hat vor zwei Jahren die Daueraus- stellung im sanierten Zeughaus eröffnet. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt die Ge- schichte des Aufbaus nun ab. Die bisherige Rechtsform einer GmbH war während der Aufbauphase des DHM sinnvoll und ausreichend. Der Bund und das Land Berlin waren sich allerdings schon bei Gründung der GmbH vor über zehn Jahren einig, dass sie nur vorläufigen Cha- rakter haben konnte. Sie ist in der deutschen Museums- landschaft eine seltene Ausnahme. Mit der Umwandlung des Deutschen Historischen Museums in eine Stiftung des öffentlichen Rechts kann nun eine endgültige Rechtsform festgelegt werden. Hierfür sprechen gewich- tige Gründe. Die Rechtsform einer Stiftung des öffentli- chen Rechts hat sich bei den anderen Geschichtsmuseen des Bundes, Stiftung Haus der Geschichte der Bundes- republik Deutschland und Stiftung Jüdisches Museum Berlin, sehr bewährt. Das DHM wird diesen Häusern nun auch organisatorisch gleichgestellt. Museumsstif- tungen genießen auch im Ausland hohes Ansehen und Vertrauen. Die Zusammenarbeit des DHM mit Einrich- tungen im Ausland wird daher erleichtert. Auch steuerbegünstigte Zustiftungen zur Erweiterung des Sammlungsbestands sind nun leichter möglich. Dies ist besonders für das DHM von Bedeutung, das in den vergangenen Jahren wertvolle Objekte aus Schenkungen und Nachlässen erhalten hat. Klar ist: Die hohen Anfor- derungen an Haushaltskontrolle und -transparenz, die für die bisherige GmbH gelten, werden künftig an die Stif- tung gerichtet. Im Gesetzentwurf sind diese Anforderun- gen vollumfänglich verankert. Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass das Gesetz eine hervorragende Grundlage dafür ist, dass das DHM seine erfolgreiche Arbeit in den kommenden Jahren fort- setzen und vertiefen kann. Dass wir hier zu einer so überzeugenden Konstruktion gelangen konnten und die Verabschiedung des Gesetzentwurfs noch in diesem Jahr möglich wird, war nur durch das äußert konstruktive und in der Sache engagierte Zusammenwirken aller Beteilig- ten in der Bundesregierung, dem Bundesrat und dem Deutschen Bundestag zu erreichen. Dafür wie auch für die kompetente Beratung vonseiten der Wissenschaft und der Mitwirkenden, der Betroffenen aus Fachkreisen und der Zivilgesellschaft danke ich herzlich. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes zur Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung der ländli- chen Räume ausbauen (Tagesordnungspunkt 20) Marlene Mortler (CDU/CSU): Die Land- und Forst- wirtschaft im ländlichen Raum bietet Lösungsansätze für bedeutende Zukunftsfragen unserer gesamten Gesell- schaft. Deshalb brauchen wir auch nach 2013 eine starke europäische Agrarpolitik in der ersten und der zweiten Säule. Wir wollen auch übermorgen noch eine Landwirt- schaft haben, die nachhaltig wirtschaftet und die Ver- braucher mit sicheren und hochwertigen Lebensmitteln aus heimischer Erzeugung versorgt. Dagegen unterstellen die Grünen in ihrem Antrag, dass die Akzeptanz für Agrarsubventionen „ohne er- kennbare Gegenleistung für die Gesellschaft“ nicht mehr gegeben ist. Das ist unanständig. Wir haben und halten die höchsten Standards in Europa, und trotzdem behan- deln sie unsere Bauern im Land mit Geringschätzung. Darüber hinaus hätten die Bauern das Vertrauen in die EU-Agrarpolitik der zweiten Säule verloren. Dies sei Folge des von Bundeskanzlerin Merkel verhandelten EU-Finanzrahmens für die Jahre 2007 bis 2013. Das ge- naue Gegenteil ist der Fall. Die aktuelle Situation bei der Nahrungsmittelversor- gung weltweit zeigt, wie fundamental wichtig es für je- des Land ist, landwirtschaftliche Familienbetriebe für die Eigenversorgung bestmöglich zu stärken. Dies gilt auch für die EU und Deutschland. Dass sich Menschen dessen wieder bewusster werden, das geht schon aus dem im März 2008 veröffentlichten Eurobarometer der EU-Kommission hervor. Rund 60 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, dass die Mittelausstattung für die weitere Gemeinsame Agrarpolitik unverändert fort- geführt oder vergrößert werden sollte. Die Aufsetzung der Beschlussempfehlung auf die heutige Tagesordnung steht wohl im Zusammenhang mit dem vor zwei Wochen gefundenen Kompromiss zur Überprüfung der EU-Agrarpolitik. Worum geht es ei- gentlich? Beim Beschluss der EU-Agrarreform 2003 wurde auch entschieden, 2008 eine Halbzeitbewertung durchzuführen. Diese bekam den Namen Health Check, also Gesundheitsüberprüfung. Dabei sollte untersucht werden, ob Anpassungen oder Vereinfachungen nötig und umzusetzen sind. Es war kein Ansatz für eine neue Agrarreform. Dies haben wir immer betont und einge- fordert. Ich erinnere: Die Startposition Deutschlands für die entscheidenden Verhandlungen war nicht einfach. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20949 (A) (C) (B) (D) Deutschland sah sich bei wichtigen Anliegen den gänz- lich anderen Positionen vieler Mitgliedstaaten gegen- über. Mit unserem „exotischen“ Kombi-Flex-Gleitmo- dell macht eben zum Beispiel ein Art. 68 keinen Sinn. Von zwei Ergebnissen des Health Check bin ich im- mer noch besonders enttäuscht. Zum ersten hat die Mehrheit der EU-Landwirtschaftsminister die Erhöhung der Modulation trotz hartem deutschen Widerstands durchsetzen können. Das schmerzt nicht nur, sondern es ist auch unverständlich. In einer Zeit, in der Banken und Wirtschaft mit hohen Geldsummen unterstützt werden, in einer Zeit, wo man eifrig Schutzschirme spannt, lässt Brüssel die Bauern nicht nur im Regen stehen, sondern greift ihnen in ihrer Misere auch noch in die Tasche. Dieses Spiel ist auch bei den Grünen beliebt. Fragen lassen müssen sich außerdem die Landwirt- schaftsminister der anderen EU-Staaten, wie man bei Milchabsatzproblemen – und die haben wir seit Monaten und weltweit – auf die Idee kommen kann, die Milch- quote zu erhöhen? Der Beschluss ist Gift für faire Preise. Trotzdem sind die erreichten Verbesserungen alles an- dere als selbstverständlich. Denn unsere Ministerin konnte in der heiß diskutierten Milchfrage Forderungen von 14 EU-Staaten nach Erhöhung der Quote um mehr als 5 Prozent abwehren. Dafür gibt es einen Milchfonds, der zumindest zum Teil aus „frischem Geld“ finanziert wird. Außerdem wird es in den Jahren 2010 und 2012 auf deutsches Drängen Berichte zur Lage des Milch- marktes in Europa mit der Chance zu Anpassungen ge- ben. Betrachtet man das Gesamtergebnis, gibt es ange- sichts der unterschiedlichen Positionen im EU-Agrarrat neben Schatten auch Licht. Bei Trockenfutter und Stär- kekartoffeln konnte die volle Entkopplung um zwei Jahre verschoben werden. Positiv ist auch, dass die kom- plizierte Regelung zur Stilllegungsverpflichtung nun endlich abgeschafft wird. Bündnis 90/Die Grünen woll- ten das nicht. Bei Cross Compliance konnten Begehr- lichkeiten von Umweltverbänden und Bündnis 90/Die Grünen, die Kontrollen deutlich auszudehnen und bis zu 10 Prozent „Ökostilllegung“ einzuführen, abgewehrt werden. Die Entscheidungen zum Health Check sind ge- fallen. Nun kommt es darauf an, das Stärkungspaket für die Milch schnell und gut zu schnüren. Auf EU-Ebene gibt es keine Verschnaufpause. So sind die Diskussionen um die Zukunft schon voll im Gange. Auch nach 2013 ist eine ehrgeizige und Gemein- same Agrarpolitik erforderlich. Die Grundprinzipien der GAP wie die zufriedenstellenden landwirtschaftlichen Einkommen und stabile Preise für Verbraucher sind nach wie vor wichtig. Im bisherigen Entwurf der Schlussfolgerungen des Rates wird die nachhaltige Bedeutung der Landwirt- schaft für die Gesellschaft in Europa und die europäische Zukunft betont. Er spricht sich darüber hinaus für ein Nahrungsgleichgewicht weltweit aus. Ich halte aller- dings den französischen Schlussfolgerungsentwurf für unangemessen, da er Entscheidungen zum EU-Haushalt oder zur finanziellen Vorausschau vorwegnimmt. Abschließend möchte ich noch einmal Bezug nehmen auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Ländliche Räume sind auch in Zukunft auf eine leistungsfähige Re- gionalpolitik und -förderung angewiesen. Da sind wir uns einig. Die Zielorientierung der einzelnen Maßnah- men und deren Effektivität muss allerdings absolut im Vordergrund stehen. Ihr Ansinnen, alles in einen Topf zu werfen, wird dem nicht gerecht. Die einzelnen Maßnah- men müssen getrennt bleiben mit dem Ziel einer saube- ren Abgrenzung und damit einer höheren Effizienz. So sollen die Landkreise und Gemeinden in ihrem Bestre- ben weiter unterstützt werden, gute Bedingungen und ein gutes Investitionsklima für die Ansiedlung von Ge- werbe und damit von Arbeitsplätzen zu schaffen. Gerade für diese Bereiche stehen Deutschland über die EU-Strukturfonds von 2007 bis 2013 mehrere Mil- liarden Euro EU-Mittel zur Verfügung. Die Kommunen erhalten in den einzelnen Bundesländern Mittel aus dem Finanzausgleich, so zum Beispiel in Bayern über 6 Mil- liarden Euro pro Jahr. Die Gemeinschaftsaufgabe leistet zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur einen wichtigen Bei- trag zur Förderung regionaler Entwicklungspotenziale. Gleichzeitig hat die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbes- serung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes für die Sicherung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung und für eine leistungsfähige Landwirtschaft eine hohe Bedeutung. Aktuell haben wir den Haushaltstitel wieder aufgestockt. Wenn Bankenkreise und die Automo- bilbranche mit Milliarden Euro unterstützt werden, müs- sen wir weiterhin intensiv prüfen, wie wir die Landwirt- schaft – als Basis unseres Seins – in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unterstützen können. Schließlich si- chert die Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft über vier Millionen Arbeitsplätze in unserem Land. Nicht grüne Schauanträge entscheiden über die Zu- kunft des ländlichen Raums, sondern verantwortliches Handeln. Holger Ortel (SPD): Ich möchte meine Rede heute unter den Titel „Die GAK ausbauen, aber den Küsten- schutz nicht vergessen“ stellen. Die Haushaltsverhand- lungen liegen gerade hinter uns. Dort haben wir den Sonderrahmenplan Küstenschutz beschlossen, der jähr- lich bis 2024 25 Millionen Euro nur für den Küsten- schutz bereitstellt. Als Abgeordneter des Wahlkreises mit der längsten Deichlinie begrüße ich das natürlich außerordentlich. 8,1 Millionen Euro mehr für den Küstenschutz in Nie- dersachsen von Bundesseite sind ein Bekenntnis zur Küste. Trotzdem ist nicht sicher, ob diese 380 Millionen Euro ausreichen. Die Herausforderungen des Klimawan- dels werden wohl noch mehr Investitionen erfordern. Ich habe mit den Wasser- und Bodenverbänden gesprochen. Sie halten Investitionen in Höhe von 540 Millionen Euro für notwendig – und das nur für die 600 Kilometer Küste in Niedersachsen in den nächsten zehn Jahren! Wir brau- chen also noch mehr Mittel für den Küstenschutz. 20950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Ich bin trotz allem froh, dass wir die GAK-Mittel nun aufstocken konnten. Die GAK wurde in den vergange- nen Jahren eher als Steinbruch für andere Aufgaben ge- sehen. Die Mittel gingen stets zurück. Ich bin froh, dass wir diesen Trend nun umkehren und zu einer moderaten Aufstockung kommen konnten. Das hat aber auch damit zu tun, dass wir die Gemeinschaftsaufgabe weiterentwi- ckeln wollen. Die GAK hat dem Agrarsektor bislang da- bei geholfen, die anstehenden Anforderungen eines zukünftig liberalisierten Wettbewerbes zu bewältigen. Dafür wollen wir sie auch weiterhin nutzen. Die Weiter- entwicklung der GAK ist nötig und dringlich, weil wir vor neuen Herausforderungen stehen. Genannt seien der Klimawandel oder die Umsetzung der Wasserrahmen- richtlinie. In der Vergangenheit wurde die GAK immer wieder an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Sie wurde teilweise zu einem sektorübergreifenden Instru- ment geformt und hat sich in der Vergangenheit auch als Instrument zur Weiterentwicklung des ländlichen Rau- mes entwickelt. Aber trotz des fortwährenden Anpas- sungsprozesses blieb eine grundlegende Anpassung an die veränderten gesellschaftlichen und agrarpolitischen Erwartungen aus. Das Bild des Landwirtes als Erzeuger von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen wie als Erhalter und Bewirtschafter einer artenreichen Kul- turlandschaft wird weiter gelten, auch wenn der Begriff „Agrarstruktur“ neu definiert werden muss. Das Maßnahmenspektrum ist breit und umfasst mehr als nur Maßnahmen zur Förderung der Produktions- und Vermarktungsstrukturen. Die Förderung der Breitband- lnternetanbindung ist uns ein zentrales Anliegen. Die Notwendigkeit differiert von Land zu Land. Aber auch nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden oder wasserwirt- schaftliche Maßnahmen sind nur ein Teil des Spektrums, das von Land zu Land unterschiedlich aussieht. Die Ver- marktungsstrukturen müssen erweitert werden. Bislang wird dann ideenlos immer die Regionalvermarktung strapaziert. Aber zukünftig müssen wir hier kreativer werden. Es gibt viele regionale Spezialitäten, die es ver- dient hätten, deutschlandweit Verbreitung zu finden. Bei der Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe dürfen wir diese aber nicht überfordern. Sie ist keine Zaubertüte mit unbegrenzten Mitteln, aus der wir alle Maßnahmen der regionalen Entwicklungspolitik bezah- len können. Neben der GAK gibt es ja auch noch die Ge- meinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftstruktur. Die Fördermaßnahmen der GAK sind ein zentrales Element für die Umsetzung der Strategie zur Entwick- lung der ländlichen Räume. Eine Weiterentwicklung der GAK muss einen sektor- wie auch ressortübergreifenden Ansatz wählen, der den breit gefächerten Herausforde- rungen in den ländlichen Räumen gerecht wird. Die inte- grierte ländliche Entwicklung muss weitergedacht wer- den. Wie viele Wege wurden schon durch die zu schweren Lkw zur Lieferung der Silage an Biogasanlagen kaputt- gefahren? Ländlicher und forstwirtschaftlicher Wege- bau müssen auch weiterhin durch die GAK gefördert werden. Diversifizierung und Flurbereinigung müssen vorangebracht werden. Noch immer gibt es hier Ent- wicklungspotenzial. Hier ist die Bundesregierung, wie wir bereits in unserem Antrag formuliert haben, gefor- dert, gemeinsam mit den Ländern die Anwendung bereichsübergreifender Konzepte sicherzustellen. Die Gemeinden dürfen nicht über ihre Leistungsfähigkeit hinweg belastet werden. Deren finanzielle Situation muss Berücksichtigung finden. Bereits jetzt stehen die Beratungen für die Förder- periode 2010 bis 2013 an. Nachdem der europäische Agrarrat vor wenigen Tagen einen Kompromiss zum Health-Check gefunden hat, werden nun die Beratungen zu Änderungen für den GAK-Rahmenplan 2010 bis 2013 schnell vom BMELV in Angriff genommen. Dazu dient unter anderem die Verbändeanhörung zur GAK am 11. De- zember 2008 in Bonn. Die für die GAK zuständigen Ver- treter der Landesministerien und des Bundes warten auf die Anregung der Verbände und ihrer Vorstellungen zur Ausgestaltung des GAK-Rahmenplans und werden diese – entsprechend – aufnehmen. Die ELER-Mittel müssen auf jeden Fall noch effi- zienter eingesetzt werden. Und wir müssen überlegen, wie wir die Mittel zukünftig besser einsetzen können. So zum Beispiel müssen wir überlegen, ob nicht die Förde- rung von landwirtschaftlichen Erzeugergemeinschaften gegenüber einzelbetrieblicher Förderung zu bevorzugen ist. Vereinzelt wurden Gelder ja auch unsinnig ausgege- ben – ein zweites Dorfgemeinschaftshaus oder der dritte Dorfbrunnen angeschafft. Was wir ebenfalls in unserem Antrag fordern, ist die zügige Umsetzung der Maßnahmen des Bundesverkehrs- wegeplanes zur besseren Erschließung des ländlichen Raumes. Wobei klar ist, dass der Bundesverkehrswege- plan nur eine Wunschliste darstellt. Eine Finanzierung ist damit noch nicht gegeben. Ich möchte abschließend sagen, dass wir Sozialdemo- kraten uns zu unserer Verantwortung für die Menschen bekennen. Sie ist fundamentale Leitlinie unserer Politik für die ländlichen Räume. Hans-Michael Goldmann (FDP): Für die FDP sind Land- und Forstwirtschaft, der Weinbau gemeinsam mit den mittelständischen Betrieben der Ernährungswirt- schaft und des Gartenbaus das Rückgrat ländlicher Räume. Intakte ländliche Räume müssen gefördert und gestärkt werden. Es ist gut, dass in dieser zentralen For- derung Einigkeit im Deutschen Bundestag herrscht. Allerdings sind die Unterschiede zur Erreichung des Ziels sehr unterschiedlich. Richtig ist, dass die Bundes- regierung mit ihrer bisherigen Politik die ländlichen Räume eher geschwächt als gestärkt hat. Völlig zu Recht verweisen die Grünen in ihrem Antrag auf den von Bun- deskanzlerin Merkel maßgeblich verhandelten Finanz- rahmen für den EU-Haushalt 2007 bis 2013. Dadurch stehen Deutschland ab 2007 jährlich rund 300 Millionen Euro weniger EU-Mittel für die Förderung der ländli- chen Räume zur Verfügung. Wer wie Bündnis 90/Die Grünen eine derartige Poli- tik aber kritisiert, darf nicht wie die Fraktionsvorsitzende Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20951 (A) (C) (B) (D) Frau Künast gleichzeitig alle EU-Agrarsubventionen von heute auf morgen abschaffen wollen. Das ist völlig unglaubwürdig und wäre ein Schlag gegen die Landwirt- schaft und damit gegen die ländlichen Räume in Deutschland. Noch unglaubwürdiger wird die Position von Bündnis 90/Die Grünen, wenn man sich ansieht, wofür die Mittel des EU-Agrarhaushaltes herhalten sol- len, die Frau Künast ja eigentlich alle abschaffen wollte. So möchten die Grünen die EU-Agrarmittel für die Stär- kung des ländlichen Raumes, die Milchbauern, den Ur- waldschutz, den Klimaschutz und vieles andere ausge- ben. Damit haben die Grünen den EU-Agrarhaushalt zum „Jäger 90“ ihrer populistischen und unausgegore- nen Politik gemacht. Für die FDP-Bundestagsfraktion ist die beste und wichtigste Maßnahme zur Stärkung des ländlichen Rau- mes, dass mittelständische Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft, des Gartenbaus, der Ernährungswirt- schaft und des Weinbaus durch marktwirtschaftliche Re- formen und Bürokratieabbau gestärkt werden. Es ist be- dauerlich, dass die Bundesregierung diese Chance im Rahmen der Beratungen zur Gesundheitsüberprüfung der Gemeinsamen Agrarpolitik nicht genutzt hat. Im Ge- genteil: Die Erhöhung der Modulation und noch mehr Bürokratie über Cross Compliance verschlechtern die agrarpolitischen Rahmenbedingungen für die mittelstän- dischen Betriebe in Deutschland. Der Kompromiss kostet die deutsche Landwirtschaft noch einmal über 200 Millionen Euro. Die Bundesregierung hat damit ihre zentralen agrarpolitischen Ziele verfehlt, nämlich Pla- nungssicherheit und Verlässlichkeit in der Agrarpolitik für die deutschen Landwirte herzustellen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die beiden Anträge zur Förderpolitik im ländlichen Raum, um die es hier geht, sind von der Zeit längst überholt worden. Beispiel: Die Grünen forderten eine Erhöhung der obli- gatorischen Modulation, um Fördergeld aus den Land- wirtschaftsbetrieben in die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK)“ umzuverteilen. Der europäische Agrarrat hat nun nach monatelangen kontro- versen Debatten und gegen die Argumentation auch der Linken vor wenigen Tagen diese Umverteilung be- schlossen: 5 Prozent bis zum Jahr 2013. Die Entschei- dung wurde mit „neuen“ Aufgaben der europäischen Agrarpolitik begründet. Gemeint sind Maßnahmen zum Klimaschutz, Wassermanagement und zum Erhalt der Biodiversität. Es wurde bei dieser Gelegenheit gleich eine neue Ungerechtigkeit beschlossen; denn diese Um- verteilung trifft über den progressiven Berechnungsme- chanismus vor allem die ostdeutsche Landwirtschaft, ohne ihre besonderen Bedingungen zu berücksichtigen. Die Bundesregierung hatte irgendwann nach dem Sommer offensichtlich ihren Widerstand gegen diese Regelungen gegen die Zusage eines Milchfonds aufge- geben, mit dem der Ausstieg aus dem Milchquotensys- tem 2015 gedämpft werden soll, aber nicht etwa mit fri- schem Geld, sondern mit einem Teil des umverteilten Geldes. So spielt man Milchbauern gegen ostdeutsche Landwirtschaftsbetriebe aus! Dabei ist noch weitgehend unklar, wie der Milchfonds denn wirklich konkret wir- ken wird. Ob so das angebliche Ziel der Stärkung der Dörfer und kleinen Städte erreichbar ist, kann mit gutem Recht bezweifelt werden. Eher werden Landwirtschaft und ländliche Räume gegeneinander ausgespielt. In den Beschlüssen zum Haushalt 2009 sind von der Koalition die Mittelzuweisungen des Bundes für die GAK um 40 Millionen Euro erhöht worden. Das hört sich erst einmal viel an. Aber: Die Mittel sind in erster Linie dem Küstenschutz vorbehalten. Nicht dass das nicht auch eine wichtige Aufgabe wäre, keine Frage! Nur, eine wirkliche Aufstockung der Mittel für die Strukturförderung in den ländlichen Räumen findet da- mit nicht statt. Die Linke enthält sich beim Antrag der Koalition und lehnt den Antrag der Grünen ab, da in die- sem ein Finanzierungsmodell vorgeschlagen wird, das wir ablehnen. Mit beiden Anträgen kommen wir hin- sichtlich der Förderung der ländlichen Räume nicht wei- ter. Solange wesentliche Faktoren vollkommen ausge- blendet oder nicht wichtig genommen werden, die zu den Problemen in den ländlichen Gebieten beitragen, werden diese nicht gelöst. So ist ein zentrales Problem die selektive Abwande- rung junger und qualifizierter Frauen aus den ländlichen Gebieten mit gravierenden langfristigen Folgen für die Regionen. Der Ex-Agrarminister Seehofer schien im Frühjahr 2008 das Problem der ländlichen Räume we- nigstens erkannt zu haben, als er eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Thema gründete. Acht Ministerien sollten mitarbeiten, darunter das Wirtschafts-, das Um- welt-, das Bildungs- und das Verkehrsministerium. Aber ausgerechnet das für Frauen zuständige Bundesministe- rium fehlte. Aber wie sollen denn vernünftige Ergeb- nisse in der Politik für ländliche Räume erzielt werden, wenn die Politik hier nicht gleichstellungspolitisch an- setzt, zum Beispiel durch eine geschlechtergerechte För- derpolitik? Gleichstellung im ländlichen Raum müsste doch angesichts der aktuellen Situation das Topthema der Bundesregierung sein. Der Ansatz, die verschiedenen Akteurinnen und Ak- teure im ländlichen Raum unter einen Hut zu bringen und die verschiedenen Politikfelder besser aufeinander abzustimmen, ist ja im Prinzip richtig und wird auch sei- tens der Linken unterstützt. Er muss allerdings ernst ge- nommen werden, und das ist nicht erkennbar. Außer gro- ßen Konferenzen zum Thema ist praktisch kaum etwas passiert. Im Gegenteil: Nach wie vor wird die Verkehrs- infrastruktur weiter ausgedünnt, Bahnstrecken werden abbestellt, Verbindungen zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Regionen reduziert. Das Programm zum Ausbau des schnellen Internets kommt für die Betroffe- nen in den ländlichen Regionen gar nicht oder nur sehr schleppend voran und ist unterfinanziert, mal davon ab- gesehen, dass es mit dem Agrarressort dem verkehrten Politikressort zugeordnet ist, weil es eigentlich zum In- frastrukturministerium gehört. Die lebensnotwendige In- frastruktur im Gesundheitswesen und bei den Bildungs- angeboten, aber auch im kulturellen Bereich wird weiter ausgedünnt, und damit schwinden wichtige Standortfak- toren für die Menschen, die in den ländlichen Regionen leben und leben wollen. Das gilt auch für Unternehmen, 20952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) denen ohne Bildungs- und Kulturinfrastruktur die Fach- kräfte verloren gehen. Vor allem Frauen müssen die Fehlstellen in der öf- fentlichen Infrastruktur ausgleichen und es fehlt immer öfter das existenzsichernde Einkommen. Ihre Zugangs- möglichkeiten zu Fördermitteln in den ländlichen Räu- men sind aus verschiedenen Gründen schlechter als die der Männer. Die Programme sind insgesamt sowieso kompliziert und wie beim LEADER-Programm für ein- zelne Antragsteller nur schwer zugänglich. Auf die spe- zifischen Interessen von Frauen sind sie kaum ausgerich- tet. Eine Strukturpolitik für die ländlichen Räume muss die Interessen der dort lebenden Menschen aktiv und umsichtig berücksichtigen. Gerade skandinavische Län- der machen uns da einiges vor. Die Linke bekennt sich zum verfassungsgemäßen Recht auf gleichwertige Lebensbedingungen im ganzen Land. Die bislang initiierten politischen Maßnahmen, um diese zu erreichen, greifen offensichtlich nicht. Die Anträge der Koalition und der Grünen skizzieren zwar die Probleme ländlicher Räume recht umfassend; sie bie- ten aber nicht das, was zur Lösung der Probleme ge- braucht wird: ein integriertes, geschlechtergerechtes Ent- wicklungskonzept für die ländlichen Räume, das unter Einbeziehung der Akteurinnen und Akteure vor Ort ent- wickelt wurde und dort ansetzt, wo wirklich Unterstüt- zung gebraucht wird. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn der Legislaturperiode hat das CSU-geführte Agrarministerium die Entwicklung ländlicher Räume zur Chefsache erklärt. Lobenswert war der breite Dis- kussionsprozess, der damals angestoßen wurde. Drei Jahre später sind die Ergebnisse allerdings mehr als ent- täuschend. Denn die Koalition scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, das Beste sei es, die vielen Anregun- gen und Konzepte, die in den vergangenen Jahren von einer Vielzahl von im ländlichen Raum beheimateten Akteuren erarbeitet und vorgestellt wurden, zu ignorie- ren. Man folgt lieber weiterhin blind den Vorgaben des Deutschen Bauernverbandes. Mit ihrer Blockadehaltung in den Verhandlungen zum Health Check der EU-Agrar- politik hätte unsere Regierung das nicht deutlicher zum Ausdruck bringen können. Dem setzen wir mit unserem Antrag zur Weiterent- wicklung der Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu einer Ge- meinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum eine an- dere, eine zukunftsfähige Politik entgegen. Klimaschutz, Umwelt- und Naturschutz, Beschäftigungszuwachs, das sind die zentralen Begriffe, an denen sich Politik für die ländliche Entwicklung messen lassen muss. Deshalb ist ein Festhalten an den voraussetzungslosen EU-Agrar- subventionen eine Sackgasse. Die Mittel, die die öffent- liche Hand für die Entwicklung ländlicher Räume notwendigerweise bereitstellt – und dazu gehört selbst- verständlich und in einem bedeutenden Maß der Agrar- bereich –, lassen sich vor den Steuerzahlern nur noch rechtfertigen, wenn die Mittelempfänger auch bereit sind, eine Gegenleistung für die Gesellschaft zu erbrin- gen. Dafür müssen Bund und Länder aber auch passende Programme anbieten. Mit unserem Antrag zeigen wir eine ganze Reihe von Maßnahmen auf, die eine zu- kunftsfähige Entwicklung der ländlichen Räume genau in diesem Sinne ermöglichen. Grundlage aller Fördermaßnahmen müssen Konzepte für die integrierte Entwicklung sein. Regionalmanage- ment und die Weitergabe von Verantwortung auch in fi- nanzieller Hinsicht an die Akteure in den Regionen sol- len gestärkt werden. Wir sollten den Regionen mehr Entscheidungskompetenz zutrauen und mehr Finanzho- heit übertragen. Für die Veredlung und Erzeugung land- wirtschaftlicher Qualitätsprodukte, den Ökolandbau und für kleine Unternehmen und Betriebe, die ihre Produkte und Leistungen zum größten Teil in ihren Regionen ab- setzen, bedarf es einer besseren Unterstützung. Agrarinvestitionen sollen nur noch dann mit öffentli- chen Mitteln unterstützt werden, wenn damit besonders hohe, über den gesetzlichen Mindestanspruch hinausge- hende Standards in den Bereichen Tier-, Natur-, Klima- und Umweltschutz erzielt werden. Zu diesen Standards gehört unseres Erachtens auch der Verzicht auf Agrogen- technik. Denn die wenigen Nutzer von gentechnisch ver- änderten Pflanzen gefährden den wirtschaftlichen Erfolg aller anderen Betriebe, nicht nur der Imker und Bioland- wirte. Das Angebot an Agrarumweltmaßnahmen muss mit dem Ziel der Effizienzsteigerung und der Erhöhung der ökologischen Wirksamkeit bei den einzelnen Program- men neu erarbeitet werden. Darüber hinaus müssen wir auch in Deutschland endlich die gesamte Bandbreite der im Rahmen der ELER-Verordnung angebotenen Förder- maßnahmen zur Verfügung stellen. Sie werden sich sicherlich fragen, womit wir das be- zahlen wollen. Dazu kann ich Ihnen sagen, dass wir bei- spielsweise die weitere Förderung des ländlichen und forstwirtschaftlichen Wegebaus über die Gemeinschafts- aufgabe für verzichtbar halten und bei der Flurbereini- gung die Fördersätze deutlich reduzieren wollen. Allein in der ersten Achse ließe sich so über ein Drittel der bis- her ausgegebenen Gelder einsparen. Wenn Stadt und Land weiter auseinanderdriften, dann liegt es nicht am Mangel an Geld, sondern an der fal- schen Prioritätensetzung. Dem wollen wir mit unserem Antrag begegnen. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Konvention zum Verbot jeglicher Streumunition zügig ratifizie- ren und in internationales Völkerrecht überfüh- ren (Tagesordnungspunkt 21) Eduard Lintner (CDU/CSU): In diesen Tagen erle- ben wir mit, wie in Oslo ein neues, wichtiges Kapitel in der Geschichte des humanitären Völkerrechts geschrie- ben wird. Die Streumunitionskonvention, die dort von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20953 (A) (C) (B) (D) über 100 Staaten unterzeichnet wird, ist ein wichtiger Beitrag zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Kon- flikten. Erst vor wenigen Monaten konnten wir während des Krieges in Georgien beobachten, welch schlimme Folgen der Einsatz von Streumunition auch noch lange nach Beendigung der Kampfhandlungen für die Zivilbe- völkerung hat. Allen, die an der Entstehung dieser Kon- vention beteiligt waren – dazu zählt gerade auch die Bundesregierung – gebührt daher unser Dank. In der Konvention werden erstmals der Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung, die Lagerung sowie der Im- und Export von Streumunition untersagt und die Vernichtung vorhandener Bestände vereinbart. Wie der heute zu beratende Antrag und diese Debatte zeigen, ist die Arbeit aber mit der Unterzeichnung der Konvention noch nicht getan. Zunächst muss die Bundesregierung den Vertrag schnellstens dem Bundestag zur Ratifizie- rung vorlegen, wozu sich in diesem Hause sicherlich eine große Mehrheit finden wird. Die Bundesregierung ist auch aufgefordert, ihr Verständnis des Vertrags in ei- ner Erklärung gegenüber dem Bundestag zu erläutern. Die bereits 2001 begonnene Vernichtung von Streu- munitionsbeständen soll im Sinne des Antrags der Koali- tion bereits innerhalb von vier Jahren zu Ende geführt werden, obwohl die Konvention den Staaten hierfür acht Jahre Zeit einräumt. Der Bundestag soll im jährlichen Rüstungskontrollbericht der Bundesregierung über die einzelnen Vernichtungs- und Entsorgungsschritte unter- richtet werden. Ebenso fordern wir in unserem Antrag mehr Transparenz gegenüber den Ausschüssen des Par- laments, wenn es um die Entwicklung und Beschaffung von Munition geht. Dies alles ist notwendig, damit der Bundestag seiner Kontroll- und Überwachungsfunktion gerecht werden kann. Die Konvention stellt einen großen Fortschritt dar, er- fasst aber bedauerlicherweise nur ein Drittel der welt- weiten Bestände an Streumunition. Die größten Produ- zenten und Anwender, die USA, Russland, China und Israel, waren an den Verhandlungen nur als Beobachter beteiligt und gehören nicht zu den Unterzeichnern. Deutschland muss daher weiter aktiv, vor allem inner- halb der EU und der NATO, für den Beitritt auch dieser Staaten zur Streumunitionskonvention werben. Um die Reichweite des Vertrags zu erhöhen, muss sich die Bun- desregierung auch für eine Übernahme der Konvention in das VN-Übereinkommen über konventionelle Waffen einsetzen. Der Antrag, den meine Fraktion zusammen mit der SPD eingebracht hat, ist nicht der einzige zu diesem Thema. Obwohl der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute nicht auf der Tagesordnung steht, möchte ich doch einige Worte zu ihm verlieren, um unseren ei- genen Standpunkt in der Sache deutlich zu machen. An- träge wie der, der von den Grünen im Frühjahr einge- bracht wurde, mit der Forderung, alle Waffensysteme, die Submunition einsetzen, zu vernichten und gemein- same Operationen mit befreundeten und verbündeten Staaten, die noch Streumunition verwenden, zu verbie- ten, schießen über das Ziel hinaus und disqualifizieren sich auch durch ihre konkreten Formulierungen. Streu- munition, vor allem solche älterer Bauart, ist aus den be- kannten Gründen ohne Zweifel eine Waffe, deren Ein- satz nicht mit dem Völkerrecht zu vereinbaren ist. Daher haben wir uns für ein weitgehendes Verbot eingesetzt und dieses auch erreicht. Aber auch die sogenannte Punktzielmunition mit in die Definition von Streumuni- tion einzubeziehen und sie pauschal als „Terrorwaffe“ zu qualifizieren, wie es im Antrag der Grünen geschieht, schießt deutlich über das Ziel hinaus. Forderungen, wie sie in diesem Antrag erhoben wer- den, verkennen die Erfordernisse militärischer Einsätze und gefährden die Fähigkeit der Bundeswehr, gemein- same Einsätze mit unseren Verbündeten durchzuführen. Und letztlich gefährden sie auch den ganzen Prozess, der nun mit der Unterzeichnungszeremonie in Oslo zu einem vorläufigen Ende kommt. Denn was wäre die Folge ge- wesen, wenn die Bundesregierung dem Antrag der Grü- nen gefolgt wäre? Das Abkommen, dessen Zustande- kommen wir heute lebhaft begrüßen, wäre überhaupt nicht zustande gekommen. Zum Beispiel hätten dann Länder wie Großbritannien, Frankreich und Kanada da- bei nicht mitmachen können. Insofern sind diese Kon- vention und auch der Antrag der Koalition Ausdruck ei- nes Realismus, der für den Erfolg der Anstrengungen geradezu mitentscheidend war. Mit der Streumunitionskonvention wurde ein wichti- ges Ziel, nämlich ein weitgehendes Verbot von Streumu- nition, erreicht und die Bündnisfähigkeit Deutschlands und aller anderen NATO-Unterzeichnerstaaten aufrecht- erhalten. Nach dem Verbot von Antipersonenminen im Vertrag von Ottawa 1997 stellt der Vertrag von Dublin einen weiteren wichtigen Schritt zur Ächtung von Waf- fen dar, die die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig stark gefährden. Wir haben darüber hinaus die Hoffnung, dass, ausgehend von der in dieser Woche unterzeichne- ten Konvention, eine neue Dynamik die Abrüstungsbe- strebungen erfassen wird. Der Einstieg der USA in die Streumunitionskonvention wäre von großer Bedeutung. Äußerungen des neugewählten US-Präsidenten geben Anlass zur Hoffnung, dass das Thema Streumunition für ihn durchaus wieder auf der Agenda steht. Der Deutsche Bundestag kann mit seiner Zustim- mung zu dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfrak- tionen ein Zeichen dafür setzen, dass Deutschland bei den weiteren Bemühungen zur Ächtung von Streumuni- tion ein verlässlicher und berechenbarer Partner bleibt. Andreas Weigel (SPD): Wie ich selbst miterleben durfte, hat Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier gestern Nachmittag für Deutschland die wäh- rend der letzten zwei Jahre ausgehandelte Konvention zum Verbot von Streumunition unterzeichnet. Mit seiner Reise zu der Unterzeichnungszeremonie nach Oslo hat der Minister – ebenso wie rund 50 seiner gestern anwe- senden Amtskollegen – ein klares Zeichen gesetzt, wel- che Bedeutung er der Ächtung dieser menschenverach- tenden Waffe beimisst. Die deutsche Vorreiterrolle und das Verhandlungsge- schick des Auswärtigen Amtes haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich rund 100 Staaten auf ein umfas- 20954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) sendes Verbot jeglicher Streumunitionstypen geeinigt haben. Das ist ein großer Erfolg und ein wichtiger Im- puls zur Wiederbelebung internationaler Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. In einem gemeinsamen Gastbeitrag mit seinem britischen Amtskollegen Miliband in der Frankfurter Rundschau hat Frank- Walter Steinmeier betont – und ich kann dem nur bei- pflichten –, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle keine Themen von gestern sind. „Abrüstung und Rüstungskon- trolle gehören ganz oben auf die internationale Agenda“, schreiben die Minister. Sie fahren fort, die Konvention zum Verbot von Streumunition sei „ein Meilenstein auf dem Weg der konventionellen Rüstungskontrolle“. In der Tat verfolgt die Streumunitionskonvention ei- nen richtungweisenden Ansatz: Wenn gleichgesinnte Regierungen, Parlamente und die Zivilgesellschaft in lange blockierten Rüstungskontroll- und Abrüstungsfra- gen ihre Kräfte bündeln, dann können sie eine Menge bewegen. Das hat sich bereits in der Wirkung der Ot- tawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen gezeigt, die vor genau elf Jahren am 3. Dezember 1997 vereinbart wurde. Die Antipersonenminen-Konvention kam zustande, weil die großen Produzenten- und Anwenderstaaten sich einem Verbot im Rahmen der Vereinten Nationen ver- weigerten. Darum haben Zivilgesellschaft, Parlamenta- rier und progressive Regierungen eine Ächtung außer- halb des UN-Rahmens realisiert. Der so erzeugte öffentliche Druck hat die weltgrößten Minenproduzen- ten, die USA, China und Russland, zwar nicht dazu be- wogen, dem Verbot offiziell beizutreten, wohl aber, es faktisch zu respektieren. Sie schrecken mittlerweile weitgehend davor zurück, mit Antipersonenminen zu handeln oder sie zu verwenden. Genau das Gleiche passiert nun durch die Streumuni- tionskonvention. Sie wird von zahlreichen gewichtigen EU- und NATO-Staaten mitgetragen. Das ist von großer Bedeutung, um den nötigen öffentlichen Druck aufzu- bauen. Gerade in dieser Hinsicht hat das Auswärtige Amt mit seinem ausgewogenen Verhandlungsansatz, der eben auch militärische Argumente berücksichtigt, ganze Arbeit geleistet. Die Konvention sendet ein starkes Signal an diejenigen Länder aus, die heute noch an einer Produktion und Verwendung von Streumunition festhal- ten. Diese Staaten werden in Zukunft zunehmend unter Druck geraten und öffentlich gebrandmarkt. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. Das hat sich etwa im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzun- gen im Sommer dieses Jahres im Kaukasus gezeigt. Zwar haben Russland und Georgien Streumunition ein- gesetzt und das auch als legitim betrachtet. Aber im Nachhinein sehen sich beide Seiten nun erheblichem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt und werfen sich zudem auch selbst gegenseitig den Einsatz von Streumunition vor. Auch die USA haben ihre vormals starre Haltung gegen ein Streumunitionsverbot und gegen eine be- schleunigte Aussonderung besonders heimtückischer Modelle aufgegeben. Von der neuen Administration dür- fen wir im kommenden Jahr wohl noch einige weitere Bewegung erwarten. Barack Obama hat das auch bereits durchblicken lassen. Ich halte es daher für kurzsichtig und unredlich, wenn einige Medien dieser Tage behaupten, die Streumuni- tionskonvention sei wirkungslos und allenfalls ein „Mei- lensteinchen“. Das Gegenteil ist der Fall. Der Züricher Tages-Anzeiger schreibt zu Recht: Der Oslo-Prozess für das Streubombenverbot macht deutlich, worauf es bei der Entwicklung des humanitären Völkerrechts im 21. Jahrhundert an- kommt: Die Initiative muss von unten kommen, Lösungen für ein konkretes Problem anbieten und das Wohl des einzelnen Menschen im Fokus haben. Mit Afghanistan und dem Libanon haben gestern übrigens auch zwei Länder unterzeichnet, die noch 2003 und 2006 massiv mit Streumunition bombardiert wurden und nach wie vor unter den Folgen zu leiden haben. Im- mer wieder gibt es zivile Opfer; denn noch heute sind weite Flächen dieser Länder millionenfach durch Blind- gänger verseucht. Schon viel zu viele Menschen haben so ihre Arme und Beine verloren. Der gestern unter- zeichnete Vertrag bietet der Bevölkerung in den betroffe- nen Regionen umfangreiche Räum- und Opferbeihilfen. Auch das ist ein wesentlicher Fortschritt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in ganz erheblichem Maße die deutsche Position zur Streumunition geprägt. Bereits seit mehreren Jahren haben wir uns nachdrück- lich für ein umfassendes Verbot von Streumunition ein- gesetzt. So ist es uns schließlich gelungen, die Union zu einem Einlenken in dieser Frage zu drängen. Insbeson- dere gegenüber dem Haus von Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung haben wir diesbezüglich einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Ich möchte deshalb noch einmal betonen, dass der mi- litärische Nutzen von Streumunition angesichts heutiger Einsatzszenarien gegen null tendiert und diese Waffe zu- dem auch die sie einsetzenden Truppen in Gefahr bringt. Streumunition sollte schnellstens aus allen Arsenalen dieser Welt entfernt werden. Auf Initiative der SPD-Fraktion hin haben der Vertei- digungs- und der Haushaltsausschuss des Bundestages im Zuge der Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2009 klare Vorgaben an das Verteidigungsministerium be- schlossen, was die endgültige Entsorgung der noch vor- handenen Bundeswehrstreumunition betrifft. Wir haben dem Ministerium einen straffen Entsorgungszeitplan auferlegt und auch die finanziellen Mittel für eine schnellstmögliche Vernichtung sämtlicher deutscher Be- stände bereitgestellt. Wir wollen die Entsorgung der ver- bleibenden deutschen Bestände doppelt so schnell schaf- fen, wie eigentlich in der Konvention vorgesehen, nämlich in vier statt in acht Jahren. Das ist sehr ambitio- niert, aber die brandenburgischen Entsorgungsunterneh- men, die ich im Sommer besucht habe, sind zuversicht- lich, dass das zu schaffen ist. Über die erfolgte Entsorgung wird dem Parlament und der Öffentlichkeit jährlich in einem gesonderten Teil des Abrüstungsbe- richts der Bundesregierung Rechenschaft abgelegt wer- den. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20955 (A) (C) (B) (D) Wir beraten heute einen von uns initiierten Koali- tionsantrag, der eine rasche Ratifizierung des Streumuni- tionsverbots auf den Weg bringt. Mit der 30. Ratifikation wird das Verbot gültig. Unser Antrag sieht vor, dass die Regierung dem Bundestag die Ratifikation des Verbots bereits im ersten Halbjahr 2009 zur Abstimmung vor- legt. Das Verbot soll in Deutschland noch in der laufen- den Legislaturperiode gesetzlich verankert werden, um so auch an andere Vertragsstaaten ein klares Signal für eine schnelle Ratifizierung auszusenden. Unser Antrag verpflichtet die Bundesregierung außerdem dazu, sich weiterhin für eine zügige Universalisierung des Streu- munitionsverbots zu engagieren. Dazu gehört, dass Deutschland seine Bündnispartner in aller Deutlichkeit zu einem Verzicht auf Streumunition drängen soll und dass auch auf deutschem Boden gelagerte Munitionsbe- stände abzuziehen sind. Die Länder, die das Streumunitionsverbot in den ver- gangenen zwei Tagen nicht gezeichnet haben, sind auf- gefordert, das so bald wie möglich bei den Vereinten Nationen in New York nachzuholen. Seitens des Bun- destages haben wir gegenüber Parlamentariern anderer Länder bereits intensiv für einen Beitritt zu dem Streu- munitionsverbot geworben – etwa gegenüber den Mit- gliedern der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Ein weiterer Aspekt, den wir mit unserem Antrag auf- greifen, ist die Entwicklung und Erprobung anderer Mu- nitionsarten. Punktzielmunition ist nicht gleichzusetzen mit Streumunition. Der gestern gezeichnete Konven- tionstext formuliert diesbezüglich anspruchsvolle Vorga- ben, was etwa die Limitierung der Sprengkörperzahl sowie Selbstzerstörungsmechanismen betrifft. Das Par- lament hat hier eine Funktion als unabhängiges Kontroll- organ. Wir fordern von der Bundesregierung regelmä- ßige und detaillierte Nachweise bezüglich der Erfüllung dieser Kriterien. Abschließend möchte ich ausdrücklich all jenen dan- ken, die am Zustandekommen des Streumunitionsver- bots beteiligt waren. Unser Dank gilt der norwegischen Regierung, die dem Oslo-Prozess sozusagen eine Hei- mat gegeben hat. Hervorheben möchte ich auch das au- ßergewöhnliche und beharrliche Engagement zivilge- sellschaftlicher Organisationen, die sich in der Cluster Munition Coalition zusammengeschlossen haben. Durch Gespräche mit meinen Fachkolleginnen und -kollegen bin ich mir sicher, dass die Zivilgesellschaft auch weiter- hin mit dem gesamten Deutschen Bundestag einen Ver- bündeten hat, der die künftige Entwicklung des Streu- munitionsverbots aufmerksam begleiten wird. Florian Toncar (FDP): Die gestrige Unterzeichnung des Abkommens zum Verbot von Streumunition in Oslo ist ein wichtiger Meilenstein für die Ächtung einer gan- zen Waffenart, deren Opfer in der Vergangenheit fast ausschließlich Zivilisten waren. Streumunition ist eine Flächenwaffe, die großflächige Zerstörungen und wegen ihrer hohen Blindgängerquote auch nach dem Ende von Konflikten eine langfristige Bedrohung der ansässigen Bevölkerung bewirkt. Vor allem spielende Kinder wur- den in der Vergangenheit Opfer dieser heimtückischen Gefahr. Dass dieses Abkommen nun geschlossen werden konnte, ist dem beharrlichen Engagement der Bürgerge- sellschaft und insbesondere einiger Nichtregierungsorga- nisationen zu verdanken. Nach der Ottawa-Konvention aus dem Jahr 1997 zum Verbot von Antipersonenminen, die fest mit dem Namen des damaligen Bundesaußenmi- nisters Klaus Kinkel verbunden ist, ist dies bereits die zweite Erfolgsgeschichte, bei der die Bürgergesellschaft den Boden für ein weltweites Abrüstungsabkommen zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts berei- tet. Da die FDP-Bundestagsfraktion bereits vor zwei Jahren in einem Antrag – Drucksache 16/2780 – die um- fassende Ächtung von Streumunition gefordert hat – da- mals noch gegen den Willen von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen –, ist die gestrige Vertragsunter- zeichnung auch aus liberaler Perspektive ein großer Er- folg, über den wir uns sehr freuen. Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen zeigt zehn Forderungen auf, mit denen Deutschland die rasche Implementierung der Oslo-Konvention national und international vorantreiben kann. Dieser Katalog ist eine umfassende und zielführende Zusammenstellung von Maßnahmen, deren Umsetzung jetzt entschlossen angegangen werden muss. Daher ist der Forderungsteil des vorliegenden Antrags zu begrüßen. Dennoch ist auch deutliche Kritik angezeigt. Diese richtet sich auf den Begründungsteil des Antrags, in dem ein verfälschtes Bild über die Rolle der Bundesregierung in dem Verhandlungsprozess der vergangenen zwei Jahre gezeichnet wird. Wenn in dem Antrag ausgeführt wird, die Bundesregierung habe „eine Vorreiterrolle in diesem Prozess innegehabt“, entspricht dies nicht den Tatsachen. Der vor zwei Jahren von den Koalitionsfrak- tionen vorgelegte Antrag – Drucksache 16/1995 – sah noch die Möglichkeit für die Bundesregierung vor, an ei- nem Teil der deutschen Streumunition festzuhalten. Da- bei wurde eine geradezu willkürliche Unterscheidung in für die Zivilbevölkerung „gefährliche“ und vermeintlich „ungefährliche“ Streumunition gemacht. Die Koalitions- fraktionen plädierten damals dafür, jegliche Streumuni- tion mit einer Blindgängerrate von unter 1 Prozent von einem Verbot auszunehmen. Die Bundesregierung igno- rierte die von Fachleuten geteilte Auffassung, dass kein derzeit bekannter Streumunitionstyp dieses Kriterium er- füllen konnte. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob die entsprechenden Streumunitionstypen über sogenannte Selbstzerstörungsmechanismen verfügen oder nicht. Um einer Diskussion über die Verlässlichkeit der deutschen Streumunition aus dem Weg zu gehen, verweigerte die Bundesregierung die Veröffentlichung von Informationen über die Blindgängerraten der deut- schen Bestände. Bei den entscheidenden Verhandlungen im Mai 2008 in Dublin versuchte die Bundesregierung noch bis zu- letzt, eine Klausel in den Vertragstext einzufügen, die ein Festhalten an der entsprechenden Streumunition ermög- licht hätte. Erst unter dem Druck der bei den Verhand- lungen anwesenden Organisationen der Bürgergesell- 20956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) schaft sowie der anderen Verhandlungsdelegationen lenkte die Bundesregierung ein und nahm von ihrem Vorhaben Abstand. Daher wäre es angemessener, davon zu sprechen, dass es trotz und nicht wegen der Haltung der Bundesregie- rung gelungen ist, ein umfassendes Streumunitionsver- bot ohne Schlupflöcher oder Hintertüren zu erreichen. Die Bundesregierung kann sich wahrlich nicht rühmen, eine Vorreiterrolle gespielt zu haben. Vielmehr hat sie sich konsequent für Ausnahmen eingesetzt und ist erst im letzten Moment, als ihr Anliegen ersichtlich geschei- tert war, auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Umso erfreulicher ist es, dass die Bundesregierung nun nicht mehr, wie noch vor zwei Jahren propagiert, bis mindestens 2015 an der Streumunition in deutschen Be- ständen festhalten will, sondern diese Waffen umgehend außer Dienst stellen und sie innerhalb der ersten Frist des Vertrags von vier Jahren vernichten und entsorgen wird. Die Unterzeichung der Oslo-Konvention ist nicht der Endpunkt einer politischen Entwicklung, sondern mar- kiert den Start für den langen Umsetzungsprozess. Neben der Abrüstung der Bestände der Unterzeichner- staaten stehen die weitere Räumung von durch Streumu- nition verseuchten Gebieten sowie die Versorgung von Opfern an. Vor allem aber steht die Bundesregierung in der Pflicht, auf die Staaten einzuwirken, die der Oslo- Konvention noch nicht beigetreten sind. Dazu zählen wichtige Produzenten- und Nutzerstaaten wie Russland, China, Indien, Pakistan, Israel und die USA. Bundes- außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier steht also weiterhin vor der Aufgabe, in diesen Staaten für einen Beitritt zur Oslo-Konvention einzutreten. Hier hat Herr Steinmeier noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir werden genau beobachten, welchen Einsatz der Bundesaußenminister bei diesem wichtigen Unter- fangen an den Tag legen wird. Inge Höger (DIE LINKE): Gestern wurde in Oslo die Konvention zum Verbot von Anwendung, Herstellung, Weiterverbreitung und Lagerung von Streumunition durch mehr als 100 Staaten unterzeichnet. Auch Opfer- hilfe, die Räumung kontaminierter Gebiete und die Ver- nichtung von Lagerbeständen sind in dem Abkommen eingeschlossen. Dieses Abkommen ist ein großer Erfolg. Dieser Erfolg wäre ohne das hartnäckige Engagement zi- vilgesellschaftlicher Gruppen nicht zustande gekommen. Handicap International, Human Rights Watch und das Aktionsbündnis Landminen.de haben gemeinsam mit den Staatsvertretern den Vertragsrahmen seit Anfang 2007 ausgehandelt. Die Fraktion Die Linke unterstützt den Prozess von Oslo, und wir werden auf eine rigorose und schnelle Umsetzung des Abkommens drängen. Diese Position ha- ben wir Anfang dieses Jahres mit dem Antrag zum sofor- tigen Verbot von Streumunition in Deutschland deutlich gemacht, Drucksache 16/7767. Die Bundesregierung ist alles andere als ein Vorreiter dieses Abrüstungsprozesses, auch wenn das nun behaup- tet wird. Im Gegenteil hat die Bundesregierung den Oslo-Prozess behindert und geschwächt. Der Antrag der Regierungskoalition stellt mit seiner zweiten Forderung eine weitere Schwächung der Osloer Konvention zum Verbot von Streumunition dar. Hier wird nach einer Regierungserklärung zur Vereinbarkeit der Ratifizierung und gemeinsamer militärischer Opera- tionen mit Nichtvertragsstaaten gefragt. Es wird auch gleich die Richtung vorgegeben: Gemeinsame Kriegs- einsätze – auch mit dem Einsatz von Streumunition – müssen weiter möglich sein. Die Bündnisfähigkeit Deutschlands wird höher gestellt als das Abkommen zum Verbot von Streumunition. Aus diesem Grund kann dieser Antrag nur abgelehnt werden. Wenn Frank-Walter Steinmeier gestern, am 3. Dezem- ber 2008, in der Frankfurter Rundschau schreibt, andere Staaten sollten dem deutschen Beispiel folgen, dann kann ich dem nur widersprechen. Das deutsche Beispiel steht für Scheinheiligkeit und die Durchsetzung von Ausnah- meregelungen. Weiterhin sollen spezielle Formen von Streumunition produziert und eingesetzt werden können. Für diese Hightech-Munition mit Zielerkennung wurde die Bezeichnung Punktzielmunition geprägt. Nicht hu- manitäre, sondern militärstrategische Überlegungen sind für die Regierung also leitend. So sagte Andreas Weigel, SPD, in der Parlamentsdebatte am 30. Mai 2008 zum Antrag der Linken für ein sofortiges Verbot von Streu- munition in Deutschland, Drucksache 16/7767: „Aus militärstrategischer Sicht verlangen heutige Einsatzsze- narien die Fähigkeit zur Punkt- und nicht zur Flächen- zielbekämpfung. Dafür gibt es Punktzielmunition …“ Deutschland hat zusammen mit anderen NATO-Staa- ten im Osloer Abkommen eine Ausnahme für diese an- geblich fortschrittliche Streumunition durchgesetzt. Mit der Konvention wird ein Verbot von Streumunition un- terzeichnet, das umfassend und ausnahmslos sein soll. Nun wurde die deutsche Produktion von Streubomben beispielweise beim Waffenproduzenten DIEHL zur Punktzielmunition weiterentwickelt. Diese soll weiter- hin international verkauft und eingesetzt werden und darf nun nicht mehr Streumunition heißen. Dieser Schachzug der Neudefinition schließt Munition mit ge- ringerem Gewicht und kleinerer Sprengkörperzahl, mit höherer technischer Zuverlässigkeit und mit Zielerken- nungsvorrichtung aus dem Verbot aus. Die Bundesregierung hat diese Schlupflöcher im Oslo-Vertrag mit dem Druck der möglichen Nichtunter- zeichnung durchgesetzt. Gleichzeitig präsentiert sich die Bundesregierung als Vorreiter dieser internationalen Ab- rüstungsinitiative und lobt sich selbst für diesen „Mei- lenstein auf dem Weg der konventionellen Rüstungskon- trolle“ zum Schutz von Zivilisten. Das ist scheinheilig und eine Täuschung der Öffentlichkeit. Selbstverständlich ist das Oslo-Abkommen ein Rie- senschritt voran zur weltweiten Ächtung und Vernich- tung von Streumunition. Wir werden die Bundesregie- rung an ihre umfassenden Verpflichtungen erinnern, die sie mit der Unterzeichnung der Konvention zum Verbot von Streubomben eingegangen ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20957 (A) (C) (B) (D) Die Linke ist gegen eine rechtliche Unterordnung die- ses Abkommens unter die Bündnisfähigkeit Deutsch- lands und die Durchführbarkeit gemeinsamer militäri- scher Einsätze mit Nichtunterzeichnerstaaten wie den USA. Die Linke fordert ein konsequentes und umfassen- des Verbot von Streumunition. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Unterzeichnung des Oslo-Abkommens hätte es ver- dient, bei Tageslicht und vor vollem Hause gewürdigt zu werden. Denn heute ist ein guter Tag: ein guter Tag für die humanitäre Rüstungskontrolle und Abrüstung und ein guter Tag für den Bundestag. Wir würdigen heute hier die Tatsache, dass annähernd 100 Staaten gestern in Oslo ein Abkommen unterzeichnet haben, das das Potenzial hat, eine ähnlich positive Wirkung zu erzielen wie das Ottawa-Abkommen zu den Anti-Personen-Mi- nen. Das Verbot gilt ab sofort, kennt also keine Über- gangsfristen. Binnen 8 – spätestens 16 – Jahren sollen alle Bestände vernichtet sein. Das Abkommen sieht auch Regelungen für die Räumung von Blindgängern und die Opferhilfe vor. Mit dem Vertrag verpflichten sich die Unterzeichner, künftig auf Einsatz, Herstellung, Lage- rung und Im- oder Export sämtlicher Streumunition zu verzichten. Nichts ist perfekt, auch die Osloer Konvention nicht. Zu Recht wird kritisiert, dass die Hauptbesitzer dieser Waffen, wie USA, Russland oder Israel, dem Abkom- men nicht beigetreten seien. Wir hoffen aber und sind zuversichtlich, dass dieses Beispiel auch auf diese Staa- ten ausstrahlt und stigmatisierend wirkt. Ab heute kann kein Staat mehr Streuwaffen einsetzen, ohne dafür geta- delt und verurteilt zu werden – und das ist gut so. Es kann natürlich nicht sein, dass Deutschland seine Streumunitionsbestände abschafft, andere Staaten ihre aber in Deutschland weiter lagern. Und es kann auch nicht sein, dass Deutschland an Militärmissionen teil- nimmt, bei denen Bündnispartner – quasi in Arbeitstei- lung – diese Waffen zum Einsatz bringen. Dies muss die Bundesregierung im Rahmen des Ratifizierungsprozes- ses explizit klarstellen. Bündnisfähigkeit darf sich nicht danach bemessen, dass man ein Auge zudrückt, wenn andere Staaten Waffen einsetzen, die grausames Leid hervorrufen und die Zivilbevölkerung über Jahrzehnte hinweg terrorisieren. Nachdem 18 Nato- und 19 EU- Staaten die Vereinbarung unterstützen, muss die Bundes- regierung dafür Sorge tragen, dass der Nichteinsatz von Streumunition zum Konsens wird. Deutschland war – das ist richtig – im Streumuni- tionsbereich zum Teil Vorreiter. Aber es war Vorreiter auf dem falschen Pferd, der VN-Waffenkonvention. Und dieses Pferd ritt noch dazu in die falsche Richtung. Deutschland gehörte nicht zu den Kerngruppenstaaten des Oslo-Prozesses, sondern zu den Bremsern. Wenn der Außenminister nun von einem „Meilenstein in der Ge- schichte des Völkerrechts“ spricht, dann müssen wir hier festhalten, dass die Bundesregierung bis zuletzt zu den Staaten gehört hat, die versucht haben, in Dublin die Reichweite des Abkommens abzuschwächen. Schauen Sie sich die Presseberichte von damals an. Wir haben das heftig kritisiert und im Vorfeld der Dubliner Tagung im Mai hier einen Antrag eingebracht, der die Bundesregie- rung aufforderte, mit gutem Beispiel voranzugehen. Hät- ten sich Außenminister Steinmeier und Verteidigungs- minister Jung mit ihrer Position durchgesetzt, hätten wir heute ein verwässertes Abkommen, das eine umfassende völkerrechtliche Ächtung auf Jahre hinaus unwahr- scheinlich machen würde. Wenn es nun in der Presse heißt, Deutschland habe sich bereits 2006 zur Nichtanwendung dieser Munition und zur Vernichtung aller Bestände verpflichtet, dann stimmt genau das nicht. Im April 2006 hatten das Bun- desministerium der Verteidigung und das Auswärtige Amt eine 8-Punkte-Position zu Streumunition vorgelegt, die vorsah, lediglich jene Streumunition aus dem Be- stand zu nehmen, die eine größere Blindgängerrate als 1 Prozent hat und keinen Selbstzerstörungsmechanismus besitzt. Das war ein politisches Doppelspiel und humani- täre Schönfärberei. Bei „zwingendem Erfordernis“ – so die Bundesregierung in der Beantwortung unserer Klei- nen Anfrage vom August 2006 – wollte die Bundes- regierung auch die Rakete M26 mit der Streumunition M77 einsetzen. Diese hat aber eine Blindgängerquote von bis zu 30 Prozent. An dieser Stelle muss die Rolle der Abgeordneten und des Parlaments zur Sprache kommen. Die Abgeord- neten der Regierungsfraktionen haben dem Treiben der Bundesregierung nicht nur tatenlos zugesehen, sondern das 8-Punkte-Programm im Herbst 2006 fast wortgetreu in Antragsform gegossen und hier ohne Aussprache ver- abschiedet. Eine eigene parlamentarische Handschrift war nicht zu erkennen. Kein Abgeordneter war bereit, den Antrag namentlich zu verantworten. De facto war der Antrag „Gefährliche Streumunition verbieten“ ein parlamentarisches Beglaubigungsschreiben zur Regie- rungspolitik. Mehr noch: Abgeordnete der SPD und der Union forderten vor zwei Jahren damit die Bundesregie- rung wortwörtlich auf, „den Einsatz von Streumunition dann vorzusehen, wenn geeignete alternative Munition nicht verfügbar ist“. Ich empfand das beschämend, be- schämend für alle Abgeordnete in diesem Haus. Dies ist das einzige mir bekannte Beispiel, in dem Abgeordnete die Regierung explizit autorisieren, bestimmte Waffen einzusetzen. Wenn ich nun davon spreche, dass der heutige Tag auch ein guter Tag für den Bundestag ist, dann deshalb, weil nun auch einige Abgeordnete der Regierungsfrak- tionen, namentlich der Kollege Weigel und der Kollege Freiherr zu Guttenberg, bereit waren, gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen wie dem Aktionsbünd- nis Landmine.de oder Handicap International – Deutsch- land auf die Bundesregierung einzuwirken; mit Erfolg. Weil ich weiß, wie mühselig es als Abgeordneter ist, die Regierung zu einem Umdenken zu bewegen, gebührt Ih- nen und Ihren Mitstreitern hier mein Dank und meine aufrichtige Anerkennung. Sie legen uns vonseiten der Koalitionsfraktionen heute einen Antrag vor, den wir über weite Strecken für gut und richtig halten. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Bundesregierung dieses Abkommen zü- 20958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) gig zur Ratifizierung vorlegt und Deutschland rasch streumunitionsfrei wird. Lassen Sie uns gemeinsam da- für sorgen, dass anderen Staaten bei der Räumung und Vernichtung sowie Opfern bei Fürsorge und Reintegra- tion geholfen wird. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir im Bundeswehrarsenal keine neuen Waffen beschaffen, die ähnlich verheerende Folgen wie Streumunition ver- ursachen. Ihr Antrag stimmt uns optimistisch, dass wir am sel- ben Strang und in dieselbe Richtung ziehen. Die Bünd- nisgrünen haben daher heute auf einen eigenen Antrag verzichtet. Wir stimmen dem Antrag der Koalitionsfrak- tionen zu. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men der Vereinten Nationen vom 13. Dezem- ber 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativpro- tokoll vom 13. Dezember 2006 zum Überein- kommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – Beschlussempfehlung und Bericht: Histori- sche Chance des VN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderun- gen nutzen (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute das Gesetz zur UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen verabschieden. Noch mehr freue ich mich darüber, dass wir die UN-Konven- tion ohne Vorbehalte und Interpretationserklärungen ver- abschieden. Manchmal sah es nicht so aus, als würde dieses Gesetz ohne weitere Probleme den Bundestag passieren. Ich hoffe, dass nun auch die Länder dem Ge- setz zustimmen. Mit der Ratifizierung der Konvention ist klar: Teil- habe für Menschen mit Behinderungen ist weder Ge- schenk noch Gnade. Man verdankt sie auch nicht der Fürsorge oder gar dem Mitleid der „Nicht-Behinderten“, sondern Teilhabe ist ein Menschenrecht. Ziel der CDU/ CSU in der Politik für Menschen mit Behinderungen ist die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderun- gen in der Gesellschaft. Im Vordergrund steht dabei die Schaffung gemeinsamer Lebenswelten von Menschen mit und ohne Behinderungen. Angefangen bei dem ge- meinsamen Besuch von Kindertagesstätten und Schulen über Ausbildung und Arbeitsleben bis hin zu Wohnen und Leben im Alter. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention ist es un- sere Aufgabe, auch weiterhin dafür Sorge zu tragen, dass die begonnene gesellschaftliche Entwicklung – vom Prinzip der Fürsorge hin zur Teilhabe – fortgeführt wird. Dieses Übereinkommen ist nicht nur ein Meilenstein in der modernen Behindertenpolitik, sondern gleichzeitig auch Leitbild für unsere zukünftige Arbeit. Politische Entscheidungen auf Bundes-, Länder- oder Kommunal- ebene, die Menschen mit Behinderungen direkt oder in- direkt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN- Konvention messen lassen. Unerlässlich ist bei der Umsetzung der UN-Konven- tion die Beteiligung der Betroffenen und ihrer Verbände. Das Motto „Nichts über uns, nichts ohne uns“ sollte keine hohle Phrase, sondern gelebte Realität sein. Ebenso wichtig ist mir die Bewusstseinsbildung der Öf- fentlichkeit, um die Ziele der UN-Konvention als Quer- schnittsaufgabe für die gesamte Gesellschaft bekannt zu machen. Einigen Grundsätzen der UN-Konvention wurde in der deutschen Gesetzgebung schon Rechnung getragen, aber in vielen Punkten bleibt die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen hinter den Zielen der UN- Konvention zurück. Deshalb dürfen wir nicht – zum Bei- spiel durch die Denkschrift der Bundesregierung – den Eindruck erwecken, dass in Deutschland schon alles er- reicht wäre, um Menschen mit Behinderungen eine um- fassende gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Ich sehe eine große politische Herausforderung darin, für die Umsetzung der Ziele der Konvention in allen Lebensbe- reichen dauerhaft Sorge zu tragen. Vor allem in den Be- reichen Barrierefreiheit, Arbeit und Bildung gibt es Handlungsbedarf. Die Weiterentwicklung einer barrierefreien Umwelt muss vorangetrieben werden. Infrastruktur, Fahrzeuge, Gebäude, Verkehrsmittel sowie alle Arten von Medien und Kommunikationstechniken müssen in Zukunft so gestaltet sein, dass sie für Menschen mit Behinderungen ohne weitere Schwierigkeiten und soweit wie möglich ohne die Hilfe Dritter nutzbar sind. Teilhabe am Arbeitsleben bleibt weiterhin ein wichti- ges Ziel in unserer Behindertenpolitik. Dabei setzen wir in erster Linie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Men- schen mit und ohne Behinderungen sollen auch hier mit- einander arbeiten und leben. Auch für Menschen, die jetzt in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, suchen wir Alternativen. Mit dem Gesetz zur Unterstüt- zenden Beschäftigung haben wir bereits einen wichtigen Schritt getan. Darüber hinaus setzt sich die Union in die- sem Zusammenhang auch für das Persönliche Budget im Arbeitsleben ein. Es muss uns gemeinsam mit den Ländern gelingen, Kindern mit Behinderungen einen problemlosen Zugang zum Regelschulsystem zu ermöglichen. Art. 24 der Kon- vention fordert ein inklusives Bildungssystem. Davon sind wir heute – wie wir hier alle wissen – noch weit ent- fernt. In der Expertenanhörung wurde von mehreren Sachverständigen verdeutlicht, dass die Regelbeschu- lung Kindern mit Behinderungen in Deutschland sehr oft verwehrt wird. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass in der deutschen Übersetzung der englische Begriff „inclu- sive education“ mit „integrativer Bildung“ übersetzt wurde. Inklusion und Integration können nicht gleich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20959 (A) (C) (B) (D) verwandt werden. Beide Begriffe meinen etwas sehr Un- terschiedliches. Aus diesem Grund haben wir gemein- sam mit der SPD einen Entschließungsantrag initiiert, der mit breiter Mehrheit im Ausschuss für Arbeit und Soziales angenommen wurde. Mit dem Antrag weisen wir explizit auf die Situation von Kindern mit Behinde- rungen im Bildungssystem hin und machen klar, dass im Sinne der UN-Konvention Handlungsbedarf besteht. Darüber hinaus fordern wir in dem Antrag, dass Schüle- rinnen und Schüler mit Behinderungen in den Fokus der nationalen Bildungsforschung gerückt werden. Bisher wird diese Schülergruppe nur am Rande von Studien un- tersucht. Wir benötigen jedoch aussagekräftige und ver- gleichbare Daten über die Entwicklungschancen und Bildungserfolge behinderter Kinder. Ich möchte heute noch mal auf einen weiteren Über- setzungsfehler in Art. 10 hinweisen. „Inherent right to life“ kann nicht mit „Angeborenes Recht auf Leben“ übersetzt werden. Damit wird so getan, als ob Menschen erst ab der Geburt ein Recht auf Leben hätten. Vor allem im Hinblick auf die Spätabtreibung, bei der in der Praxis ungeborene Kinder fast immer aufgrund einer Behinde- rung bis zur Geburt getötet werden, ist es mir wichtig, dies hier noch mal deutlich zu machen. Wir alle wissen, dass die Konvention nur in den sechs amtlichen UN-Sprachen rechtsverbindlich ist. Da die deutsche Sprache nicht zu den offiziellen UN-Sprachen zählt, kann die deutsche Übersetzung auch nicht der Grundlagentext der zukünftigen Behindertenpolitik sein. Bei allen politischen Entscheidungen und gesellschaftli- chen Handlungen müssen wir auf die offiziellen Texte zurückgreifen. Und nur aus dem Originaltext des Über- einkommens lassen sich die Umsetzungsmaßnahmen ab- leiten. Mit der Ratifikation verpflichten wir uns gegenüber der Bevölkerung, aber auch gegenüber der internationa- len Gemeinschaft, die UN-Konvention einzuhalten und umzusetzen. Das heißt auch, dass jetzt die Arbeit erst richtig beginnt! Karin Evers-Meyer (SPD): Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist ein einmaliges und bahnbrechen- des Dokument. Die Grundstein für die besondere Quali- tät dieser Konvention wurde im Verhandlungsprozess bei den Vereinten Nationen gelegt: Behinderte Men- schen und ihre unmittelbaren Interessenvertretungen wa- ren zu jedem Zeitpunkt eng in die Verhandlungen einge- bunden. Der Grundsatz: „Nichts über uns, ohne uns“ hat in beispielhafter Weise Eingang in die Praxis gefunden. Damit wurden Beteiligungsstandards gesetzt, die auch in der nationalen Gesetzgebung weiterhin Beachtung fin- den müssen. Mit dieser Behindertenrechtskonvention werden erst- mals die Rechte für mehr als 600 Millionen Menschen mit Behinderung auf der ganzen Welt verbindlich festge- legt. Es ist eine Konvention über Menschenrechte. Es geht nicht um Spezialrechte für eine besondere Gruppe, sondern es geht um universelle Menschenrechte, die je- dem zustehen. Das Besondere dieser Behindertenrechts- konvention ist, dass diese universellen Menschenrechte aus einer besonderen Perspektive betrachtet werden, nämlich aus der Perspektive von Menschen mit Behinde- rung – mit ihren typischen Unrechtserfahrungen und ih- ren unterschiedlichen Lebenslagen. Die Festschreibung dieser menschenrechtlichen Sichtweise bestätigt den in Deutschland eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Politik für behinderte Menschen. Nicht mehr die Für- sorge steht im Vordergrund. Wir beenden die Betrach- tung von Behinderung als Defizit. Es geht um Inklusion, um Integration von Beginn an. Es geht um die Chance auf volle Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft. Und schließlich geht es um Wertschät- zung. Dabei begnügt sich diese Konvention nicht mit abstrakten Grundsätzen. Es werden sehr konkret alle existenziellen Lebensbereiche von Menschen mit Behin- derung – im öffentlichen und privaten Raum gleicherma- ßen – benannt. Ich bedaure sehr, hier nur einige Schwer- punkte herausgreifen zu können: Ein wichtiger Punkt für mich und meine politische Arbeit ist der Bereich Bil- dung und Chancengleichheit. Ich sehe hier deutlichen Handlungsbedarf in Deutschland. Lassen Sie mich das nur mit ein paar Zahlen unterstreichen: Der Prozentsatz von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung, die ge- meinsam mit nicht behinderten Kindern eine Schule be- suchen, liegt in diesem Land, seit Jahrzehnten nahezu unverändert, bei rund 15 Prozent. In vielen unserer Nachbarländer liegt dieser Anteil bei weit über 60 Pro- zent. Mehr als die Hälfte der Kinder von Förderschulen verlassen diese ohne Abschluss und für eine noch höhere Zahl von Kindern führt der Weg im Anschluss an die Förderschule direkt in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Hier muss die Frage nach Chancengleichheit endlich mit Nachdruck formuliert werden, und ich bin sehr froh über den Entschließungsantrag zu Art. 24 der Konvention, der unter anderem dazu auffordert, diesen Bereich zu einem festen Bestandteil nationaler Bildungs- studien zu machen. Ich bin der Überzeugung, dass wir eine inklusive Ge- sellschaft nur gestalten können, wenn wir von Beginn an konsequent einen Raum für Vielfalt schaffen – für Men- schen mit und ohne Behinderung. Die Konvention for- dert Vielfalt als Normalität menschlichen Lebens und Zusammenlebens, und sie verfolgt damit genau den von mir formulierten Ansatz. Das gilt natürlich in gleicher Weise für den Bereich der beruflichen Teilhabe, wo Deutschland dank des großen Engagements des Sozial- ministeriums wirklich intensiv mit guten Modellprojek- ten an einer teilhabeorientierten Weiterentwicklung arbeitet und nicht zuletzt mit der Unterstützten Beschäf- tigung auch bereits neue Wege in Gesetzesform gegos- sen hat. Zwei weitere wichtige Punkte, die auch unmittelbar zusammenhängen, sind die Schaffung eines barriere- freien Umfelds und eines personenzentrierten und damit individuellen und bedarfsgerechten Unterstützungssys- tems. Der demografische Wandel und die steigende Zahl von Menschen mit Behinderung machen einen konse- quenten Ausbau barrierefreier Wohn- und Dienstleis- tungsangebote zum Kern einer nachhaltigen Politik. Die 20960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Nachfrage nach barrierefreien Wohn-, Freizeit- und Dienstleistungsangeboten wird weiter steigen. Immer mehr Menschen mit Behinderung wollen in den eigenen vier Wänden wohnen. Die Konvention bestätigt ihr Recht auf eine selbstbestimmte Lebensführung in allen Bereichen. Dafür benötigen sie jedoch nicht nur eine barrierefreie Wohnung und ein barrierefreies Wohnum- feld. Sie brauchen ein breites Angebot an Unterstüt- zungsleistungen, aus dem sie selbstbestimmt und be- darfsgerecht auswählen können. Das ist zwar heute nach Inkrafttreten des BGG und des SGB IX keine reine Vi- sion mehr – auf dem Weg dorthin ist aber noch sehr viel zu tun. Ich bin der Bundesregierung daher sehr dankbar für die Ankündigung, nach der Ratifikation der Konvention einen Aktionsplan auf der Grundlage der Behinderten- rechtskonvention zu erarbeiten – natürlich unter enger Einbeziehung behinderter Menschen und ihrer Interes- senvertretungen. Ich werde meinen Teil dazu beitragen und bereits in den ersten drei Monaten des kommenden Jahres in Fachkonferenzen mit behinderten Menschen in die notwenige Diskussion eintreten. Diese Konvention wird uns in allen Bereichen als Leitbild für eine moderne teilhabeorientierte Gesetzgebung auf nationaler Ebene dienen, und wir werden uns daran messen lassen müs- sen. Das Übereinkommen wird in Zukunft ein wichtiges Referenzdokument sein, auf dessen Grundlage neue Ent- wicklungen in der Behindertenpolitik angestoßen und beurteilt werden. Die Konvention der Vereinten Nationen entwirft ein inklusives Gesellschaftsbild und gibt uns eine konkrete Vorstellung davon, wie sich die Politik für behinderte Menschen entwickeln muss. Die Herausforderung liegt darin, die Lebenssituation behinderter Menschen vor dem Hintergrund des Übereinkommens zu verbessern, Handlungsfelder zu erkennen und dort, wo es notwendig ist, auch zu handeln. Diese Aufforderung zum Handeln richtet sich heute, einen Tag nach dem Welttag der Men- schen mit Behinderung und unmittelbar vor der Ratifika- tion der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Na- tionen, an alle gesellschaftlichen Akteure: an die Politik, an Gewerkschaften und Arbeitgeber, an alle anderen ge- sellschaftlichen Gruppen, an die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung und natürlich an jeden Einzelnen. Das Ziel einer inklusiven Gesellschaft, in der jeder die Unterstützung erfährt, die er braucht, um selbstbestimmt zu leben, teilzuhaben und damit letztlich seine Menschenrechte ausüben zu können, erreichen wir nur, wenn wir uns in unseren Köpfen bewegen. Für die Bundesregierung kann ich sagen, dass sie dazu bereit ist. Für mich ist die Ratifikation dieser Behinderten- rechtskonvention ein Grund zum Feiern, weil sie ein Signal zum Weitermachen ist. Sie gibt mir und anderen, die sich für die Belange behinderter Menschen engagie- ren, Bestätigung für die zurückliegende Arbeit und Mut für die Zukunft. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Es ist unser großes Anliegen, dass die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung im Deutschen Bundestag ra- tifiziert wird und die enthaltenen Ansprüche an die deut- sche Rechtsordnung auch umgesetzt werden. Das ist die Forderung, die wir aus der ganzen Bundesrepublik auf- nehmen und der wir uns nicht entziehen können, nicht entziehen wollen. Die Politik ist in der Pflicht, nicht nur einen schön klingenden Text zu beschließen, sondern auch substanzielle Verbesserungen für die weit mehr als 8 Millionen Menschen mit Behinderung und ihre Fami- lien in Deutschland zu erreichen. Dazu gibt uns die Kon- vention die Richtung vor: mehr Chancengleichheit, wirksame Teilhabeleistungen, mehr Einbeziehung von Anfang an und personenzentrierte Leistungen zur Teil- habe am Arbeitsleben. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen basiert auf den zentralen Menschenrechtsabkommen. Im Mittel- punkt steht die Lebenssituation von behinderten Men- schen und der Schutz ihrer Menschen- und Bürgerrechte. Erstmalig wird auf menschenrechtlicher Ebene festge- schrieben, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf gleichberechtigte Zugehörigkeit zur Gesellschaft ha- ben. In der Anhörung haben viele Sachverständige auf- gezeigt, welche Meilensteine Bundesregierung und Par- lament seit dem Jahr 2000 schon auf den Weg gebracht haben. Ich möchte Frau Professor Degener zitieren, die sich insbesondere zu den Interessen von Frauen und Mädchen mit Behinderung geäußert hat: Wir in Deutschland sind ja auf einem ganz guten Weg. Wir sind eines der wenigen Länder, die schon im SGB IX, aber auch im BGG erstmalig behin- derte Frauen und Mädchen jedenfalls in Gesetzes- texten erwähnt haben. Weiter führt sie aus: Es fehlt aber doch in vielerlei Hinsicht an der Um- setzung, insbesondere was das SGB IX anbelangt. Es reicht nicht aus, ins Gesetz zu schreiben, die In- teressen von behinderten Frauen und Mädchen sind zu berücksichtigen. Man muss auch konkrete Pro- gramme vorsehen. Diese Einschätzung steht exemplarisch für viele Teile unseres Rehabilitationsrechts. Damit gibt Frau Professor Degener aber auch der Hoffnung Ausdruck, dass die Konvention uns einen Schub hin zu einer konkreten Um- setzung der guten Gesetze gibt. Der Paradigmenwechsel ist eingeläutet: mit dem SGB IX, dem Behindertengleichstellungsgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Von der rein medizinischen Sicht auf Behinderung und der staat- lichen Fürsorge für Menschen mit Behinderung sind wir zum Begriff der Teilhabe und der Selbstbestimmung als Ziel staatlichen Handelns für Menschen mit Behinde- rung gekommen. Alle gesetzlichen Beratungen seitdem haben wir nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ gestaltet. Das haben wir auch bei den Beratungen zur Konvention so gehalten. Von Anfang an wurden Men- schen mit Behinderung beteiligt. Die Konvention ist nun der nächste Schritt, wie es auch Frau Professor Degener zum Ausdruck brachte. Der Gesetzentwurf ist zumindest in drei Punkten strit- tig, auf die ich im Folgenden eingehen werde. Da ist zu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20961 (A) (C) (B) (D) nächst die Frage der Übersetzung, darüber hinaus die Bedeutung der Denkschrift und die Frage, ob und wo es gesetzlichen Handlungsbedarf gibt. Zur Übersetzung lässt sich sagen, dass ich mit der deutschen Übersetzung inhaltlich, wie wir alle hier, nicht zufrieden bin. Insbe- sondere der Ansatz der Inklusion in der Bildung, der nun wirklich einen gänzlich anderen Ansatz pädagogischer Arbeit beinhaltet, fehlt schmerzlich. Die SPD-Fraktion hätte sich insgesamt gewünscht, dass sich die Länder, insbesondere die von der Union geführten Länder, davon überzeugen lassen, dass die gemeinsame Beschulung weder quantitativ noch in der Qualität mit dem Inklu- sionsansatz übereinstimmt. Sie waren dazu nicht bereit, und die fachliche Einschätzung von Ländern wie Bayern hat maßgeblich zu der in Teilen falschen Übersetzung beigetragen. Das ist ein schlechtes Zeichen und steht Deutschland nicht gut an. Das haben wir in unserem Ent- schließungsantrag deutlich gemacht. Wir wissen es: Das deutsche Bildungssystem trennt Schülerinnen und Schüler nach ihrer Leistung. Das Er- gebnis sind 13 Prozent durchschnittliche Integrations- quote in Deutschland gegenüber 40 Prozent in Schles- wig-Holstein und 70 Prozent in Europa. PISA-Sieger wie Bayern erringen diesen Sieg auf Kosten der Kinder mit Behinderung, das muss einmal deutlich gesagt wer- den. Denn dort wird nicht gefragt, wie man die Schüler trotz unterschiedlicher Voraussetzungen zusammen un- terrichten kann. Die Entscheidung, ein Kind in die För- derschule zu schicken ist eine bürokratische Entschei- dung, auch gegen den Willen der Eltern. Wir wissen aber auch, dass gemeinsame Beschulung zu einem Zuwachs an Autonomie und sozialer Kompe- tenz der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung führt und damit auch zu besseren Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben. Frau Professor Schöler hat es dargestellt: Es wurde nachgewiesen, dass gemeinsame Beschulung nicht teurer ist als die gegenwärtige Finan- zierung der Sondersysteme. Im Gegenteil: Die Sonder- systeme sind teurer. Die Übersetzung enthält hier und an anderen Stellen fachlich falsche Inhalte. Ich bin sicher, dass wir den Ansatz der Inklusion auch ohne diese Über- setzung weiter vorantreiben, denn wir ratifizieren hier nicht die deutsche Übersetzung. Sie ist auch keine der sechs amtlichen bzw. „authentischen“ Übersetzungen der Konvention. Wir ratifizieren ein internationales Ab- kommen. Dieses Abkommen enthält ein Menschenrecht auf inklusive Bildung und verbietet jegliche Sondersys- teme und Sonderbehandlung. Das heißt, die deutsche Fassung, unabhängig davon ob im Gesetz eine „Amt- lichkeit“ festgestellt wird, ist keine authentische Sprach- fassung. Maßgeblich im juristischen Streitfall ist daher die englische Fassung, die übrigens auch Teil des Geset- zes ist. Auch der Sachverständige Zinke vom Paritäti- schen hat gesagt, dass wichtig ist, welcher Text im Streitfall zählt und nicht, ob die Übersetzung als „amt- lich“ zu bezeichnen ist. Das möchte ich noch einmal ein- deutig festhalten, denn die Konvention gewinnt aus sich selbst heraus Aussagekraft und nicht aus Übersetzungen, die mit ihrem Originaltext nicht gleichgestellt sind. Wir können uns jetzt auch keine Debatte darüber mehr leisten, wollen wir das Inkrafttreten zum 1. Januar 2009 nicht gefährden. Die Denkschrift der Bundesregie- rung gibt den Umsetzungsstand nicht korrekt wieder, wenn sie die Praxis der Teilhabeleistungen verschweigt und wenn sie keinen Handlungsbedarf darstellt. Das SGB IX ist noch nicht richtig zur Entfaltung gekommen. Ich nenne da nur das Persönliche Budget, das Wunsch- und Wahlrecht oder auch die Servicestellen. Das SGB IX ist das einzige Gesetz, das noch nicht im Bewusstsein der Menschen angekommen ist. Die Konvention führt jedoch den Paradigmenwechsel fort, der mit dem SGB IX stattgefunden hat. Die Denkschrift hingegen ist die reine Willensbekundung der Bundesregierung; sie ist nicht maßgeblich für die Auslegung der Konvention. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, und meine Fraktion setzt sich dafür ein, dass wir diesen Be- darf ab dem kommenden Jahr systematisch benennen und angehen. Staatssekretär Franz Thönnes hat es beim parlamentarischen Abend des Deutschen Behindertenra- tes anlässlich des Welttages der Menschen mit Behinde- rung deutlich gemacht: Es wird einen nationalen Aktionsplan geben. Insbesondere möchte ich den kon- kreten Handlungsbedarf benennen, der sich direkt aus den Artikeln des Konventionstextes ergibt. Der Art. 24 fordert ein „inklusives Bildungssystem“. Die inklusive Bildung für alle ist Inhalt unseres Ent- schließungsantrages. Er umfasst weiterhin die statisti- sche Erfassung und Einbeziehung der inklusiven Bil- dung in die Berichterstattung des Bundes und der Länder. Durch die Studie soll deutlich gemacht werden, dass inklusive Bildung der richtige pädagogische und gesellschaftspolitische Ansatz für eine grundlegende Normalisierung der Wahrnehmung von ,,Behinderung“ ist. Es ist uns schon lange bekannt, dass wir einen Be- wusstseinswandel brauchen, um das schrittweise Ende des Sondersystems in der Bildung zu erreichen. Die Län- der haben den Inklusionsbegriff mehrheitlich abgelehnt; es gibt aber auch fortschrittliche Länder wie Schleswig- Holstein mit bis zu 40 Prozent Inklusionsquote. Wir wer- den hier weiter mit den Ländern um eine inklusive Bil- dungslandschaft kämpfen. Der Art. 12 fordert die „Gleiche Anerkennung vor dem Recht“ und eine Überprüfung der Praxis des Be- treuungsrechts. Herr Lachwitz von der Lebenshilfe hat in der Anhörung auf den Handlungsbedarf im Betreu- ungsrecht verwiesen. Obwohl hier keine Entmündi- gungsregelung besteht, ist die Praxis überprüfungswür- dig. In Deutschland wird seit 100 Jahren getrennt, ob jemand nach dem BGB geschäftsfähig ist oder nicht. In der Folge der §§ 104 und 105 BGB werden Verträge mit Menschen mit Behinderung für nichtig erklärt. Das ist Entmündigung, die der Art. 12 ganz klar abgelehnt. Auch Herr Professor Kruckenberg von der Aktion Psy- chisch Kranke und Herr Kaffenberger vom VdK haben das aufgezeigt. Die Unterbringungsgesetze und die Zwangsbehandlungen für psychisch Kranke müssen wir ebenso überprüfen wie die Anwendung dieser Gesetze. Der Art. 19 fordert die rechtliche Absicherung von „Unabhängiger Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“. Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf selbstbestimmte und unabhängige Lebens- 20962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) führung und dürfen nicht gezwungen werden, in einer bestimmten Wohnform zu leben. Gegen diesen An- spruch der Konvention verstößt das System der Teilha- beleistungen in Deutschland, weil es die freie Wahl ein- schränkt und Menschen mit Behinderung zumeist aus Kostengründen in bestimmte Wohnformen zwingt. Der Kostenvorbehalt des § 13 SGB XII schränkt noch immer das Wunsch- und Wahlrecht des SGB IX durch die Über- prüfung der Kosten und der Zumutbarkeit einer ambu- lanten Maßnahme ein. Herr Lachwitz hat das so ausge- drückt: „Wenn man den Artikel 19 … richtig liest, dann muss diese Prüfung ganz entfallen. Dann zählt aus- schließlich das Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen.“ „… die Konvention weist uns hier ganz klar den Weg auf den Menschen, auf seine Wahlmöglichkeiten, auf sein Recht, mitten in der Gemeinde leben zu können und auch personenbezogen zu denken. Wir müssen weg kommen von institutionenbezogenen Hilfen, die … ein- fach nicht passgenau sind.“, sagte Ottmar Miles-Paul dazu in der Anhörung. In der Reform der Eingliederungshilfe muss es einen Paradigmenwechsel geben, der dem Art. 19 Rechnung trägt. Auch die Fortentwicklung des Pflegebedürftig- keitsbegriffs spielt eine große Rolle für die Anwendbar- keit dieser Konvention. Denn auch für pflegebedürftige Menschen, die von der Definition des § 2 SGB IX um- fasst sind, gibt es meist keine freie Wahl des Wohnortes. Der Art. 29 gibt uns auf, die „Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben“ sicherzustellen. Deutschland verpflichtet sich mit der Ratifizierung, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen mit Behinderung gleichbe- rechtigt mit anderen an der Gestaltung öffentlicher Auf- gaben mitwirken können. Hier kommt es besonders auf die Barrierefreiheit unserer Politikziele und unserer Sprache an. Menschen mit Behinderung müssen verständlich über Politik und vor allem über ihre Rechte informiert wer- den. Sie müssen einbezogen werden. Der Art. 6 legt besonderen Fokus auf die Rechte von „Frauen mit Behinderung“. Aus ihm geht hervor, dass auf Mehrfachdiskriminierungen das besondere Augen- merk der Konvention liegt. Professor Degener sagte, wir sind auf einem ganz guten Weg in Deutschland, diese Mehrfachdiskriminierungen abzubauen. Trotzdem: Frauen mit Behinderung sind mehrfacher Diskriminierung aus- gesetzt und bedürfen unserer besonderen Aufmerksam- keit. Sie werden wegen ihrer Behinderung und wegen ih- res Geschlechts ausgegrenzt und können ihren Anspruch auf geschlechtsspezifische Pflege im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen bisher nicht durchsetzen. Sie müssen nun durch besondere Programme zum Empo- werment gefördert werden. Wir brauchen auch Elternas- sistenz, damit Eltern mit Behinderung ihrem Erzie- hungsauftrag gleichberechtigt nachkommen können. Art. 27 mit dem Titel „Arbeit und Beschäftigung“ mahnt uns, barrierefreie Arbeitsplätze und eine perso- nenzentrierte Teilhabe am Arbeitsleben zu organisieren. Wir wollen einen durchlässigen Arbeitsmarkt und die Einbindung der bestehenden Anbieter wie Werkstätten und BBWs, BfWs in den Veränderungsprozess. Die Un- terstützte Beschäftigung kann nur der Anfang gewesen sein. Wir brauchen mehr personenbezogene Unterstüt- zung, mehr Barrierefreiheit und einen Bewusstseinswan- del auch bei den Unternehmen. Diesen Wandel können wir nicht per Gesetz verordnen. Wir können uns aber an der Konvention orientieren und entsprechende Maßnah- men für mehr Chancengleichheit, gute Arbeitsbedingun- gen und gerechten Lohn schaffen. Dafür setzen wir uns als SPD-Fraktion ein. Wir müssen ganz vorn ansetzen und das gemeinsame Lernen von Anfang an – die Inklu- sion – aktiv fördern, wenn wir später die Teilhabe am Arbeitsleben in der freien Wirtschaft effektiv stärken wollen. Dazu hat der hochverehrte ehemalige Bundespräsi- dent Richard von Weizsäcker richtig gesagt: „Was man erst nicht trennt, braucht man später nicht zu integrie- ren.“ Normalität im Umgang setzt voraus, dass sie einem vorgelebt wird. Wir reden hier immer über die Beziehun- gen zwischen Menschen – da muss der Bewusstseins- wandel ansetzen. Damit das Schubladendenken über Menschen mit Behinderung in unserem Land langsam aufhört, muss Inklusion für alle gelten. Wie es der bekannte Vorkämpfer für die Inklusion aus Halle, Professor Dr. Georg Theunissen, formuliert hat: „Folgerichtig geht es unter der Leitidee der Inklusion nicht etwa um eine bloße Eingliederung … behinderter Menschen in die Gesellschaft, auch nicht um eine Nor- malisierung durch eine Anpassung behinderter Men- schen an normale Lebensstandards nichtbehinderter Menschen, sondern um die Umgestaltung der Umwelt im Sinne einer inklusiven Gesellschaft, die die Bürger- rechte aller ihrer Bürger(innen) respektiert und zu reali- sieren hilft.“ Es ist unsere erste Aufgabe, das gesamte System der Rehabilitationsleistungen auf den Prüfstand zu stellen. Wir müssen ein Gesetz schaffen, das Teilhabeleistun- gen einkommens- und vermögensunabhängig, personen- zentriert und barrierefrei zur Verfügung stellt. Daher bleibt es mein Ziel, das SGB IX zum Leistungsgesetz weiterzuentwickeln. Über Fragen der Kostenbeteiligung von Bund und Ländern, der Zuständigkeiten und der Vereinheitlichung der Leistungsansprüche müsste im Vorfeld zu einem Gesetzgebungsverfahren ausgiebig diskutiert werden. Die in der Konvention vorgesehenen „focal points“ müssen nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern entstehen, damit die Umsetzung auf allen staatlichen Ebenen und in allen Politikfeldern effektiv vernetzt und koordiniert wird. Die bestehenden und aufzubauenden Kompetenzzentren des Bundes müssen eingebunden werden. Eines ist klar: Das Leistungsrecht der Teilhabe und Rehabilitation kann nicht so bleiben, wie es ist, da die fortschrittlichen Prinzipien des SGB IX bisher weit- gehend unbeachtet bleiben. Wir brauchen auch umfas- sende Barrierefreiheit, damit alle Menschen gleichbe- rechtigt selbstbestimmte Teilhabe verwirklichen können. Dieser Anspruch zieht sich durch die Konvention wie ein roter Faden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20963 (A) (C) (B) (D) Ich bitte Sie alle, wie im Ausschuss dieses Gesetz und den Entschließungsantrag der Koalition zu unterstützen und mit uns gemeinsam im kommenden Jahr sehr klar den Umsetzungsbedarf zu diskutieren und zu formulie- ren, damit in der neuen Legislatur begonnen werden kann. Erwin Lotter (FDP): Wir ratifizieren heute die VN- Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die Konvention aus- drücklich und stimmt der Ratifizierung zu. Die Ziele der Konvention finden unsere volle Unterstützung, denn sie entsprechen unserem liberalen Menschen- und Gesell- schaftsbild: Behinderung wird als Normalität des Lebens begriffen. Nicht die Behinderten müssen sich der Le- benswelt der Nichtbehinderten anpassen, sondern die Lebenswelt muss so gestaltet werden, dass alle an ihr in vollem Umfang gleichberechtigt teilhaben können, ob mit oder ohne Behinderung. Dennoch ist heute beim besten Willen kein Tag unge- trübter Freude. Zu groß sind die Fehler, die die Bun- desregierung und die sie tragenden Fraktionen im Rati- fizierungsprozess gemacht haben. Trotz monatelanger Diskussionen und zahlreicher Interventionen von Fach- verbänden haben sie eine Übersetzung des englischen Konventionstextes ins Deutsche angefertigt, die nicht nur fehlerhaft ist, sondern vor allem die Konvention den eingefahrenen Gepflogenheiten deutscher Behinderten- politik sprachlich anpasst. Große Teile des dem Ur- sprungstext innewohnenden Innovationspotenzials ge- hen bereits mit der Übersetzung verloren. Ähnlich schwer wiegt die von CDU/CSU und SPD im Vorfeld der Ratifizierung verweigerte Diskussion über Handlungsbedarfe für Bund, Länder und Kommunen, die aus der Konvention resultieren dürften. Die Konvention steht in mehreren Bereichen in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu geltendem Recht in Deutschland. Vor allem bei der inklusiven Beschulung behinderter Kinder sind wir in den Ländern gesetzgebe- risch weit entfernt vom Anspruch der Konvention. Aber auch im Bund sind wir in vielen Punkten noch weit vom Anspruch der Konvention entfernt. Die Experten haben in der Ausschussanhörung eine gänzlich andere Realität der Hilfe- und Unterstützungssysteme beschrieben, als die Bundesregierung das in ihrer Denkschrift darstellt. Auch hier besteht zunächst ein sorgfältiger Prüf- und an- schließend auch Handlungsbedarf. Wir sind der Konven- tion in Deutschland nicht so weit voraus, wie Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das gerne hätten. An Ihr gebrochenes Koalitionsversprechen muss ich Sie bestimmt nicht erinnern; sicher ist Ihnen noch sehr präsent, dass Sie angekündigt hatten, die Ein- gliederungshilfe grundlegend weiterzuentwickeln. Ich gehe kurz auf die zahlreich vorliegenden Ent- schließungs- und Änderungsanträge zur Ratifizierung der Konvention ein. In einem eigenständigen Antrag stellen die Grünen zu Recht zahlreiche Mängel des Rati- fizierungsverfahrens und der amtlichen Übersetzung fest; wir sind uns da in vielen Punkten einig. Sie verbin- den dies aber gleich wieder mit Ihrem Lieblingsthema Antidiskriminierung und fordern, dass Deutschland zur Spitze der europäischen Antidiskriminierungsbewegung werden soll. Da wir wissen, dass Sie von den Grünen un- ter Antidiskriminierung vor allem mehr und neue Büro- kratie verstehen und nicht einkalkulieren, dass sich viele gut gemeinte Schutzgesetze für Behinderte letztlich als nachteilig für diese Menschen herausgestellt haben, kön- nen wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, sondern enthal- ten uns der Stimme. Das gleiche Votum gilt für den Änderungsantrag der Linken, in dem die Streichung des Begriffes „Amtlich“ als Charakteristikum der deutschen Übersetzung gefor- dert wird: Wir glauben nicht, dass dadurch mehr Rechts- sicherheit bei der Auslegung der Konvention durch Ge- richte geschaffen wird. Deshalb enthalten wir uns auch hier der Stimme. Ablehnen müssen wir den Entschließungsantrag der Linken: Zwar sind – wie bei den Grünen – auch hier viele richtige Einschätzungen enthalten, Sie schießen aber über das Ziel hinaus. Wir sind weder der Auffas- sung, dass der Diskriminierungsschutz in Deutschland ungenügend ist, noch müssen wir die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zugunsten von mehr Zen- tralismus ändern, um den Ansprüchen behinderter Men- schen gerecht zu werden. Das können die Länder auch gut in ihrer Zuständigkeit bewältigen. Etwas genauer möchte ich aber auf den Entschlie- ßungsantrag von CDU/CSU und SPD eingehen. Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, seit über eineinhalb Jahren informieren Sie Betroffene und Fach- verbände darüber, dass zwischen der deutschen Realität und der Intention der VN-Konvention ein Graben herrscht, über den man eine Brücke bauen muss. Sie selbst hatten eineinhalb Jahre Zeit, diesen Graben auszu- messen und die Brücke zu planen. Das einzige aber, was Sie in den vergangenen 18 Monaten in dieser Angele- genheit unternommen haben, war gebetsmühlenartig zu wiederholen, es gebe keinen Handlungsbedarf. Gestern, einen Tag vor der Ratifizierung, entdeckten auch Sie von Schwarz und Rot endlich den durchaus vorhandenen Handlungsbedarf in der Behindertenpolitik. Einen Tag vor der Ratifizierung erkennen Sie auf einmal, dass die Vertragsstaaten mit der Ratifizierung sicherstellen müs- sen, dass ein inklusives Bildungssystem angeboten wird. Wer jetzt jedoch erwartet, dass Sie sich von CDU/ CSU und SPD jetzt zu einem Handlungsauftrag an die Länder, die Kultusministerkonferenz oder die Sozial- ministerkonferenz durchringen, der wird doch mehr als überrascht, ja enttäuscht sein. Sie wollen langwierige Prüf- und Forschungsaufträge zur Chancengleichheit von behinderten Kindern im Bildungssystem vergeben, anstatt besser heute als morgen den Kontakt mit den Ländern aufzunehmen, um die tatsächliche Umsetzung der Konvention in Gang zu bringen. Ist das wirklich al- les, was Ihnen zur Umsetzung der Konvention einfällt? Ich befürchte ja, und deshalb werden wir Liberalen Ih- rem Antrag auch nicht zustimmen, sondern uns enthal- ten. Ich werde in Kürze meine Kolleginnen und Kollegen in den FDP-Landtagsfraktionen ansprechen und bitten, 20964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) sich mit den Herausforderungen der VN-Konvention in- tensiv zu befassen. Ich würde mich freuen, wenn meine Kolleginnen und Kollegen in den übrigen Fraktionen des Deutschen Bundestages Gleiches täten. Unterstützen Sie unseren Entschließungsantrag und tragen Sie mit dazu bei, dass die Konvention in Deutschland zu einem Be- wusstseinswandel und zu einer Veränderung des Alltags behinderter Menschen hin zu uneingeschränkter Teil- habe führt! Dr. llja Seifert (DIE LINKE): Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist ein großer Wurf. Wenn diese erste Menschenrechtskon- vention des 21. Jahrhunderts ihre Wirkung voll entfaltet, verändert das nicht nur das Leben von 600 Millionen Menschen mit Behinderungen auf der Welt und über acht Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland, sondern auch die Gesellschaft im Ganzen und die Lebenssituation von uns allen, auch von Ihnen, meine Damen und Herren. Daran ändern weder die kleinlichen Versuche der Bundesregierung, die Konven- tion durch eine inadäquate Übersetzung und eine wirk- lichkeitsfremde Denkschrift abzuschwächen, noch die ebenso peinliche Platzierung der Beratungen im Bundes- tag zu mitternächtlicher Stunde durch die Koalitions- fraktionen etwas. Bezeichnend bleibt die Art und Weise der Ratifizierung der UN-Konvention in unserem Land. Für mich war die Erarbeitung der Konvention unter akti- ver Mitwirkung der Betroffenen am UN-Hauptquartier in New York beispielhaft. Die Tatsache, dass die BRD zu den Erstunterzeichnern gehörte, hat mich sehr gefreut. Danach begann das fast zwei Jahre dauernde Trauer- spiel, dessen Ergebnis wir heute auf dem Tisch haben. Wenn dann mein geschätzter Kollege Hubert Hüppe, CDU, in einem Zeitungsinterview sagt: „Mir wäre Ge- nauigkeit lieber gewesen als Schnelligkeit. Viele Selbst- hilfeverbände haben darauf gedrängt, mit der Ratifika- tion unbedingt in diesem Jahr fertig zu werden … Ich selbst habe sowohl Probleme mit der deutschen Überset- zung wie auch mit der sogenannten Denkschrift der Bun- desregierung.“ Das ist schon sehr unverfroren. Nun schiebt er auch noch der Behindertenbewegung die Schuld für die skandalöse Übersetzung und Denkschrift in die Schuhe. Dabei ist die Ursache nicht die fehlende Zeit, sondern der mangelnde Wille in seiner Partei und bei seinem Koalitionspartner. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die UN-Kon- vention ist für uns, die Menschen mit Behinderungen, unsere Angehörigen und die selbstbestimmte Behinder- tenbewegung als Ganzes ein wichtiges Instrument im Kampf um unser Recht auf umfassende Teilhabe am Le- ben in der Gesellschaft und um die freie Entfaltung unse- rer Persönlichkeit. Sie, die Regierungen in Bund und Ländern, können uns die Handhabung vielleicht er- schweren, aber nicht verhindern. Und die Linke wird fest an der Seite der emanzipatorischen Behindertenbewe- gung stehen. Die Konvention mit ihren 50 Artikeln stellt praktisch alle Politikbereiche vor neue Herausforderungen. Ich greife hier beispielhaft nur vier heraus. In Art. 19 „Selbstbestimmt Leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft“ heißt es im Punkt a): Die Vertrags- staaten gewährleisten, dass „Menschen mit Behinderun- gen gleichberechtigt mit anderen die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in be- sonderen Wohnformen zu leben“. Dies fordert unter an- derem umfassende Veränderungen in der Wohnungspoli- tik, ebenso im Heimrecht und in der Heimpraxis. Auch muss barrierefreies Bauen in allen Bereichen zur Regel werden. Mit Art. 24 „Bildung“ haben die Vertragsstaaten unter anderem sicherzustellen, dass „Menschen mit Behinde- rungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemein- schaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grund- schulen und weiterführenden Schulen haben“, siehe Abs. 2 b. In Deutschland können derzeit gerade einmal 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Behinde- rungen an Regelschulen lernen – 85 Prozent bleibt dies noch verwehrt. Mit Art. 32 „Internationale Zusammenarbeit“ sind die Staaten gefordert, dass die internationale Zusammenar- beit einschließlich internationaler Entwicklungspro- gramme Menschen mit Behinderungen einbezieht und sie die dazu erforderliche Barrierefreiheit schaffen. Und wenn man Art. 4 „Allgemeine Verpflichtungen“ ernst nimmt, darf es zum Beispiel kein Förderprogramm von Trägern der öffentlichen Gewalt mehr geben, welches nicht im Einklang mit der Konvention handelt. Öffent- lich geförderte Infrastrukturprojekte, kulturelle Aktivitä- ten oder Jugendaustausche, die nicht barrierefrei sind, darf es künftig nicht mehr geben. „Nichts über uns ohne uns“ – dieses Credo der Behin- dertenbewegung spiegelt sich ebenfalls in Art. 4 Abs. 3 wider, in dem es heißt: „Bei der Ausarbeitung und Um- setzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzep- ten … bei … Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die Ver- tragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, ein- schließlich Kinder mit Behinderungen, über die sie ver- tretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“ Diese Verpflichtung zur aktiven Einbeziehung gilt für nahezu alle Politikfelder in Bund, Ländern und Kommunen. Bei der raschen Erarbeitung eines Umsetzungskon- zeptes der Konvention in das politische und praktische Alltagsleben könnte das gleich mal praktiziert werden. Erst gestern erklärten sich die im Deutschen Behinder- tenrat, DBR, zusammengeschlossenen Organisationen dazu abermals ausdrücklich bereit. Greifen Sie das An- gebot auf! Erstaunlich ist, wenn heute Vertreter aller Fraktionen und die gesamte Behindertenbewegung auf die gravie- renden Fehler der vorliegenden deutschen Übersetzung mit ihren inhaltlichen Auswirkungen verweisen und die Bundesregierung andererseits im Wissen um diese ihre Übersetzung mit dem Gesetz zur „amtlichen“ erklärt. Auf meine Anfrage erläutert sie am 11. November dann auch noch, dass sie „keinen Anlass für eine Modifikation Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20965 (A) (C) (B) (D) des deutschen Textes“ sieht, Drucksache 16/10945. Des- wegen der Änderungsantrag der Linken, das Wort „amt- lich“ zu streichen. Damit gäbe der Bundestag ein Signal, dass zum Beispiel unter Einbeziehung der „Schatten- übersetzung“ von Netzwerk Art. 3 – ich verwende sie, auch in dieser Rede – diese Übersetzung noch einmal auf den Prüfstand kommt. Insofern werbe ich hier um Zu- stimmung von allen Fraktionen. Die Linke fordert mit ihrem heute auch zur Abstim- mung stehenden Entschließungsantrag Korrekturen an der vorliegenden Übersetzung, eine klare Distanzierung von der wirklichkeitsverfälschenden Denkschrift und vor allem ein Konzept zur Umsetzung der Konvention ins Bundes- und Länderrecht und ins reale Leben. Ähnli- che Forderungen finden sich auch in den Anträgen der Grünen und der Koalition – denen wir deswegen eben- falls zustimmen werden. Das betrifft auch den FDP-An- trag, wobei ich hier ausdrücklich Punkt 2 des Antrages widerspreche. Es ist eine Mär, wenn Sie behaupten, dass eine Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinde- rungen, zum Beispiel der Kündigungsschutz und Zusatz- urlaub im Arbeitsrecht, die Ursache für die doppelt so hohe Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen im Vergleich zu den „Schwerstmehrfachnormalen“ seien. Allerdings geben sie damit auch ein klares Signal, was für ein elitäres Freiheitsideal und Menschenbild die FDP vertritt. Abschließend möchte ich mich namens der Linken sehr herzlich bei denen bedanken, die als Teil der selbst- bestimmten Behindertenbewegung maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der Behindertenrechtskonvention haben. Stellvertretend nenne ich hier Professor Theresia Degener, Dr. Sigrid Arnade, Sabine Häfner und Klaus Lachwitz. Wenn man sich nur vor Augen hält, wie weit die Defi- nition von Behinderung in der UN-Konvention von der in einschlägigen deutschen Gesetzen entfernt ist, ahnt man die Größe der Aufgabe, die vor uns liegt, und die Kraft, die sich entfalten kann, wenn sie nur wirklich frei- gesetzt wird: „Das Verständnis von Behinderung (entwi- ckelt) sich ständig weiter und … Behinderung (entsteht) aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beein- trächtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren …, die sie an der vollen und wirksamen Teil- habe auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit an- deren an der Gesellschaft hindern.“ So heißt es in der Präambel, Punkt e. Sicher, mit der Ratifizierung der Konvention ist zunächst nur ein kleines Problem gelöst. Trotzdem haben wir heute einen Grund zum Feiern. Morgen beginnt der Kampf, um die Umsetzung der Kon- vention ins Alltagsleben. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt das Überein- kommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie das dazugehörige Fakultativprotokoll. Die Konvention der Vereinten Na- tionen erkennt das Recht von Menschen mit Behinderun- gen auf eine umfassende Teilhabe in allen Lebensberei- chen an. Das Dokument ist Ausdruck eines weltweiten Fortschritts in der Behindertenpolitik. Dennoch stellen wir fest: Auch wenn das deutsche Recht für Menschen mit Behinderungen im internationalen Vergleich in vie- len Bereichen keine schlechte Position einnimmt, steht die deutsche Rechtsordnung durch das Übereinkommen vor großen Herausforderungen. Die nun vorliegende deutsche Übersetzung des Übereinkommens sowie die dazugehörige Denkschrift der Bundesregierung stellen den Veränderungsbedarf im deutschen Recht infrage. Die Bundesregierung behindert damit die Weiterent- wicklung des Paradigmenwechsels in der Politik für Menschen mit Behinderungen, der in den letzten beiden Legislaturperioden eingeleitet wurde. Ganz besonders deutlich zeigt sich dies in den Berei- chen der Rechts- und Handlungsfähigkeit behinderter Menschen, der selbstbestimmten Teilhabe sowie dem Recht auf inklusive Bildung. So gibt es ganz offensicht- lich einen Konflikt zwischen dem in der Konvention be- schriebenen Recht auf gleiche Anerkennung als rechts- und handlungsfähige Person und dem bestehenden Kon- zept der rechtlichen Vertretung im deutschen Recht. Das Betreuungsrecht und die PsychKGs der Länder bedürfen einer dringenden Überarbeitung. Zudem erteilt die Konvention der räumlichen Tren- nung von behinderten und nichtbehinderten Menschen eine Absage. Die Denkschrift hingegen erwähnt zwar das Wunsch- und Wahlrecht, § 9 Abs. 1 SGB IX, bei der Entscheidung über Leistungen und bei der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe. Was sie aber nicht benennt, ist der grundsätzliche Konflikt zwischen dem Vorrang der ambulanten Leistung und dem sogenannten Mehr- kostenvorbehalt, § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Letzterer beschränkt das Wunsch- und Wahlrecht, wenn eine sta- tionäre Leistung zumutbar ist und die ambulante unver- hältnismäßig teurer wäre. Außerdem ist das deutsche Bildungssystem bislang von der Idee und der Praxis der Aussonderung geprägt. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zur Errichtung eines in Bezug auf Schüler mit Behinderun- gen inklusiven Schulsystems, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülerinnen mit und ohne Behinderun- gen der Regelfall ist. Die Bundesregierung übersetzt das Wort „inclusion“ fälschlicherweise mit „Integration“ und engt den Begriff der inklusiven Beschulung in ihrer Denkschrift ein. Nach ihrer Auffassung sei „integrative Bildung“ nur möglich, „wenn dort die notwendige son- derpädagogische und auch sächliche Unterstützung so- wie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet“ seien. Die abgestimmte deutsche Übersetzung der Kon- vention ist fehlerhaft. Exemplarisch für die Überset- zungsfehler gelten die Bereiche der Beschulung, des selbstbestimmten Lebens und der Barrierefreiheit. Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordert in ihrer Originalausfertigung ein Recht auf „inclusive education“, Art. 24. Die deutsch- sprachige Fassung spricht in diesem Zusammenhang von einem Recht auf „integrative Bildung“. Integration und Inklusion sind nicht als Synonyme anzusehen. Während Integration von einer Anpassung des behinderten Kindes 20966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) an das bestehende Bildungssystem ausgeht, muss sich nach dem Inklusionskonzept das Bildungssystem an den Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren. In der in- ternationalen Menschenrechtsdebatte ist der Wandel vom Integrations- zum Inklusionskonzept schon lange vollzogen worden. So ist er etwa vom VN-Kinderrechts- ausschuss bereits im Jahr 1997 ausdrücklich beschrieben worden. Ebenso falsch ist die Übersetzung von „living inde- pendently“ als „unabhängige Lebensführung“ statt als „selbstbestimmt leben“. Der Begriff „Selbstbestim- mung“ kommt in der Übersetzung nicht ein einziges Mal vor. Auch der Begriff der „Barrierefreiheit“ wird nicht aufgenommen. „Accessibility“ wird durchgängig mit „Zugänglichkeit“ übersetzt. Die Denkschrift zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen versäumt es, Zielkonflikte zwischen deutschem und internationalem Recht aufzuzeigen sowie Änderungsnotwendigkeiten vorzustellen. Zwar haben Denkschriften zu Vertragsge- setzen einen nur erläuternden Charakter und sind als reine Willensbekundung der Bundesregierung als dem vertragsschließenden Organ der Bundesrepublik anzuse- hen. Auch haben Denkschriften keine unmittelbare rechtliche Bedeutung. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass sie wenigstens im Entscheidungsfindungsprozess eines gerichtlichen Verfahrens beeinflussenden Charak- ter haben. Fernab der inhaltlichen Fehler der Übersetzung und der Denkschrift wird die Ausgestaltung des Umset- zungsinstrumentariums wesentlich darüber entscheiden, wie die Vorgaben des Übereinkommens ins deutsche Recht umgesetzt werden. Die Konvention sieht vier In- strumente vor, um innerstaatliche Anpassungen und Ge- setzesänderungen vorzunehmen. Nach Art. 33 des Über- einkommens wird auf nationaler Ebene eine Stelle eingerichtet, die für die Förderung, den Schutz und die Überwachung des Übereinkommens zuständig ist. Nach Auskunft der Bundesregierung wird das Deutsche Insti- tut für Menschenrechte für diese Aufgaben mandatiert. Darüber hinaus sieht das Übereinkommen sogenannte Focal Points im Sinne von Verantwortungsträgern in der Bundesregierung und den Landesregierungen vor sowie Koordinationsmechanismen zum Austausch mit zivilge- sellschaftlichen Akteuren. Leider ist die deutsche Über- setzung des Übereinkommens auch in diesem Punkt nicht ganz korrekt, da die Übersetzung „Anlaufstelle“ für „Focal Points“ die Frage der institutionellen Zuord- nung, das heißt, dass diese Stelle innerhalb der jeweili- gen Regierungen sein muss, umgeht. Neben dem Bun- desministerium für Arbeit und Soziales als Focal Point müssen diese Stellen auch in den jeweiligen Landes- regierungen eingerichtet werden. Der Koordinationsme- chanismus muss dazu dienen, Transparenz nach außen herzustellen und auf diesem Wege ein Forum für Aus- tausch und Diskussion mit der Zivilgesellschaft zu schaffen. Ein solcher Mechanismus wäre auch bei den Landesbehindertenbeauftragten denkbar. Art. 35 des Übereinkommens verpflichtet die Vertragsstaaten zu- dem, zwei Jahre nach der Ratifizierung einen Bericht über den Umsetzungsstand des Übereinkommens zu er- stellen und an den Ausschuss nach Art. 34 zu übermit- teln. Es sollte ein nationaler Aktionsplan entwickelt wer- den, der den Handlungsbedarf, der durch die Konvention entsteht, offenlegt sowie einen Fahrplan zur Umsetzung präsentiert. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen (Tagesordnungspunkt 33) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen verfolgen wir das Ziel, zum Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung beizutragen. Dies erfolgt, indem der weitere Ausbau der Biokraft- stoffe ab dem Jahr 2015 stärker als bisher auf die Minde- rung der Treibhausgasemissionen ausgerichtet wird. Darüber hinaus beinhaltet das Gesetz weitere Maßnah- men. Es sind dies: Die gesetzliche Quote für Biokraft- stoffe wird für das Jahr 2009 von 6,25 Prozent auf 5,25 Prozent abgesenkt. Für die Jahre 2010 bis 2014 wird die Quote auf einer Höhe von 6,25 Prozent einge- froren. Für das Jahr 2011 ist eine Überprüfung der künf- tigen Quotenhöhen im Rahmen eines Berichts der Bun- desregierung an den Bundestag vorgesehen. Sofern bestimmte Anforderungen im Produktionsver- fahren erfüllt sind, die eine günstige Klimabilanz ge- währleisten, soll erstmals Biomethan auf die Ottokraft- stoff- und die Gesamtquote angerechnet werden können. Darüber hinaus soll die steuerliche Belastung von rei- nem Biodiesel außerhalb der Quote in den kommenden Jahren um jeweils 3 Cent pro Liter gegenüber der bishe- rigen gesetzlichen Regelung abgesenkt werden. Wie dem Gesetzentwurf zu entnehmen ist, erfolgt der Ausbau der zunehmenden Verwendung der Biokraft- stoffe langsamer als bisher geplant: Erst wenn Nachhal- tigkeitskriterien wirksam sind, ist sichergestellt, dass die Biomasse zur Verwendung als Kraftstoff nachhaltig er- zeugt wurde. Um Nutzungskonkurrenzen mit Nahrungs- und Futtermitteln zu vermeiden, wird durch eine Ver- schiebung der Quotenerhöhung Zeit gewonnen, um Bio- masse aus anderen Quellen zu gewinnen. Für eine Über- gangszeit bei der Beimischung von 10 Volumenprozent Ethanol zu Ottokraftstoffen spricht auch die Motorenun- verträglichkeit vieler Altfahrzeuge. Biokraftstoffe der zweiten Generation haben eine deutlich bessere Klima- bilanz als Biokraftstoffe der ersten Generation, stehen aber noch nicht in relevanten Mengen zur Verfügung. Ich freue mich, dass wir mit diesem Gesetzentwurf die Gelegenheit erhalten, über die weitere Ausgestaltung der Beimischung von Biokraftstoffen zu beraten, weil sie zur Energieversorgungssicherheit und zum Klima- schutz beitragen. Uns allen ist die zurückliegende Dis- kussion noch in guter Erinnerung: Sie war geprägt von Verunsicherung und der Sorge, ob der damalige Entwurf unseren Ansprüchen an die Nachhaltigkeitskriterien ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20967 (A) (C) (B) (D) spricht. Minister Gabriel hat die Biosprit-Verordnung gestoppt, was – unter den damaligen Rahmenbedingun- gen – richtig war. Unser Anspruch heute ist, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, welches eine positive Entwick- lung von Biokraftstoffen fördert und gleichzeitig der Sorge entgegentritt, dass ein nicht nachhaltiger Ausbau von Biokraftstoffen die weltweite Hungerkrise ver- schärft und die Zerstörung der Regenwälder vorantreibt. Eine wichtige Weichenstellung sehe ich in der Um- stellung der Biokraftstoffquoten von der energetischen Quote auf den Netto-Beitrag zur Treibhausgasverminde- rung ab 2015. Dabei werden die Treibhausgasemissio- nen bewertet, die bei der Herstellung der Biokraftstoffe entstehen. Damit wird nachhaltige Produktion zielge- richtet gefördert. Nicht nur im Zusammenhang mit dem heutigen Ge- setzentwurf wird allerdings die Frage der Nutzungskon- kurrenz immer wieder aufgeworfen. Der WBGU, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, hat vor wenigen Tagen betont, dass die „vorhandenen nachhaltigen Potenziale zur Ge- winnung von Energie aus Biomasse signifikant sind und genutzt werden sollten“. Ich will aber nicht verhehlen, dass der WBGU eine Einschränkung gemacht hat. Er sagt nämlich auch: „Die Ausschöpfung dieses Potenzials sollte allerdings nur dann vorangetrieben werden, wenn eine Gefährdung der Ernährungssicherheit sowie von Natur- und Klimaschutzzielen ausgeschlossen werden kann. Damit dies gelingt, müssen auf nationaler und in- ternationaler Ebene verpflichtende Nachhaltigkeitsstan- dards eingeführt werden.“ Dem stimme ich ausdrücklich zu. Ich will aber auch eine Lanze für den heimischen Raps brechen. Mit Biodiesel aus heimischem Raps lässt sich eine Minderung bei den Treibhausgasemissionen von 50 Prozent erreichen; zudem ist der Rapspressku- chen kein Abfall, sondern ein wichtiger Eiweißfutter- stoff, der Sojaimporte ersetzt. Es gibt aber auch ackerbauliche Gründe für den Raps- anbau. Er ist in der dreigliedrigen Fruchtfolge ein wich- tiges Element. Raps ist eine Pflanze, die gut zum Aufbau von Humus geeignet ist. Im Moment werden deutsch- landweit 12 Millionen Hektar Ackerfläche bestellt. Jähr- lich könnten in einer dreigliedrigen Fruchtfolge als Obergrenze 4 Millionen Hektar Raps angebaut werden, derzeit sind es rund 2 Millionen Hektar Raps. Dies sage ich deshalb, weil ich die Diskussion um Biokraftstoffe mit einiger Sorge betrachte. Der heimische Markt bei Reinkraftstoffen liegt am Boden. Schon heute haben wir beim Pflanzenöl eine Un- terkompensation, die sich mit der nächsten Stufe weiter verschärfen wird – deshalb müssen die weiteren Stufen der Besteuerung ausgesetzt werden. Zudem muss die Steuerfreiheit in der Landwirtschaft beibehalten werden, und Biomethan muss zukünftig ebenfalls steuerbefreit bleiben. Lassen Sie mich kurz auf E10 eingehen. Aus Gründen der Energieversorgungssicherheit und des Klimaschut- zes bleibt E10 eine wichtige Option. Voraussetzung ist aber die Sicherstellung einer nachhaltigen Produktion. Deshalb brauchen wir dringend die europäische Nach- haltigkeitsverordnung. Deutschland hat zudem ein bila- terales Abkommen mit Brasilien zur Sicherstellung nachhaltiger Biokraftstofflieferungen geschlossen. Deutschland benötigt derzeit 2,5 Millionen Tonnen an Bioethanol. 500 000 bis 700 000 Tonnen lassen sich durch heimische Produktion, die übrige Menge lässt sich durch Importe aus Brasilien decken. Das Abkommen mit Brasilien ist so ausgestaltet, dass den Befürchtungen der Nachhaltigkeit genüge getan ist. Apropos Nachhaltigkeitsverordnung: Wir hätten uns gewünscht, dass schon mit dem heutigen Entwurf eine Nachhaltigkeitsverordnung bzw. eine europäische Lö- sung hätte präsentiert werden können. Dass dies nicht der Fall ist, nehme ich zum Anlass, den Bundesumwelt- minister aufzufordern, sich dafür einzusetzen, dass so schnell wie möglich eine wirkungsvolle Nachhaltigkeits- verordnung auf europäischer Ebene vorgelegt werden kann. Erst wenn eine solche Nachhaltigkeitsverordnung vorliegt, wird die Unsicherheit über die zukünftige Ak- zeptanz von Biokraftstoffen beseitigt werden können. Erst dann wird es Planungssicherheit geben – und ich glaube, das ist, was sowohl Produzenten als auch Konsu- menten brauchen. Herr Minister, nutzen Sie deshalb Ih- ren Einfluss, erhöhen Sie den Druck in der EU und drän- gen Sie darauf, dass wir hier endlich Klarheit haben. Warum brauchen wir eine sinnvolle Strategie bei er- neuerbaren Energien? Stichwort Energieversorgungs- sicherheit: Große Teile der Erdöl- und Erdgasreserven liegen in politisch instabilen Regionen. Die fossilen Rohstoffe sind endlich. Stichwort Klimaschutz: Bei der Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle entsteht Koh- lendioxid, was die Gefährdung des Klimas durch den Treibhauseffekt erhöht. Dem kann durch die Nutzung von Biomasse abgeholfen werden: Durch die Nutzung von erneuerbaren Energien lag die CO2-Reduktion 2007 bei insgesamt 115 Millionen Tonnen. Die Biomasse macht bei den Kraftstoffen nach Angaben aus dem Bun- desministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz immerhin 15 Millionen Tonnen reduzier- tes CO2 aus. Dies ist ein erheblicher Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen. Ich bin der fes- ten Überzeugung, dass das noch mehr werden kann. Die- ses Gesetz ist hierzu ein erster Schritt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch die weiteren Schritte das Ziel eines Ausbaus von Biokraftstoffen unter Berücksichti- gung der Nachhaltigkeitskriterien verfolgen. Marko Mühlstein (SPD): Mit dem vorliegenden Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen diskutieren wir über eine weitere wich- tige Säule des Integrierten Energie- und Klimapakets der Großen Koalition. Über kaum einen anderen Teil des Klimapakets haben wir so intensiv diskutiert wie über die Weiterentwicklung der Biokraftstoffstrategie. Ich denke, es ist uns gelungen, die verschiedenen Sichtwei- sen und Argumente zu einem guten Ganzen zusammen- zuführen. 20968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Als Berichterstatter für Bioenergie der SPD-Fraktion begrüße ich besonders die Möglichkeit, dass zukünftig als Kraftstoff eingesetztes Biogas auf die Erfüllung der Quote angerechnet werden kann. Denn der Kraftstoff Biogas ist hocheffizient und klimafreundlich. So ist der Kraftstoffertrag pro Hektar Anbaufläche bei Biogas im Vergleich zu herkömmlichem Biodiesel um das Sechsfa- che höher. In den letzten Tagen haben uns viele Schreiben und Anrufe erreicht, die den vorliegenden Gesetzentwurf kri- tisieren, da durch ihn der Einsatz von nicht nachhaltig produziertem Palmöl gefördert würde. Hierzu ist klar zu sagen: Diese Behauptung ist nicht richtig. Vielmehr wird durch dieses Gesetz die Anrechnung von Palm- und So- jaöl auf die Quote so lange untersagt, bis eine Nachhal- tigkeitsverordnung in Kraft tritt. An dieser Regelung müssen wir ohne Einschränkungen festhalten. Zukünftig darf kein Quadratmeter Regenwald für Palmöl zum Ein- satz in deutschen Tanks gerodet werden. Damit dies auch langfristig gewährleistet werden kann, muss im Mittelpunkt der anstehenden Arbeiten die schnellstmögliche Umsetzung einer Nachhaltigkeitsver- ordnung stehen. Sobald die Kriterien für nachhaltige Biokraftstoffe von der Europäischen Union beschlossen werden, ist die Bundesregierung gefordert, diese Krite- rien schnell in nationales Recht umzusetzen. Nur so kann es gelingen, die Wiederauflage der teils abstrusen Debatte um Biokraftstoffe, wie sie im Frühjahr dieses Jahres geführt wurde, zu verhindern. Denn Palmöl- und Sojapflanzen werden nun einmal nicht in erster Linie für die Produktion von Biokraftstoffen angebaut, sondern zur Verwendung in anderen Bereichen. So werden über 90 Prozent des nach Europa importierten Palmöls in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie eingesetzt. Das Sojaöl, welches energetisch genutzt wird, ist ein Abfall- produkt der Futtermittelherstellung für unsere deutschen und europäischen Nutztierhalter. Vor diesem Hintergrund sind globale Zertifizierungs- systeme für alle Agrarsektoren eine logische Konse- quenz. Hierfür wird die SPD in den nächsten Monaten und Jahren engagiert kämpfen. An dieser Stelle möchte ich noch auf zwei Punkte ein- gehen, über die aus Sicht der SPD-Fraktion im anstehen- den parlamentarischen Verfahren noch diskutiert werden muss. Wir haben in den letzten Monaten stets die Auf- fassung vertreten, dass die Steuerbefreiung für reinen Biodiesel, der im öffentlichen Personennahverkehr ein- schließlich des Schienennahverkehrs eingesetzt wird, ein wichtiger Beitrag zu einer nachhaltigen und zukunftsfä- higen Kraftstoffstrategie ist. Von dieser Maßnahme würden nicht nur die Verkehrsbetriebe der Kommunen profitieren, sondern auch die Landwirte und Biodiesel- produzenten vor Ort. Darüber hinaus wäre dies ein sinn- voller Beitrag zur Stärkung und zum Aufbau regionaler nachhaltiger Wirtschaftskreisläufe. Des Weiteren müssen wir aus unserer Sicht die Frage der Zulassung des sogenannten Co-Processing intensiv erörtern. Hierbei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem das Pflanzenöl gemeinsam mit dem fossilen Öl den Raffinerieprozess durchläuft. Nach Angaben des Mine- ralölwirtschaftsverbandes kämen aufgrund chemischer Eigenschaften für dieses Verfahren ausschließlich Palm- und Sojaöl zum Einsatz. Selbst wenn die Nachweismög- lichkeit für nachhaltig produziertes Palmöl besteht, ha- ben wir große Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Vor- habens. Denn ursprünglich sollte das Co-Processing dabei helfen, die jährlich steigenden Quoten zu erfüllen. Da aber die Quoten mit Inkrafttreten dieses Gesetzes ab 2010 nicht mehr ansteigen sollen, ist die Begründung für die Zulassung dieses Prozesses obsolet. Ich denke, der vorliegende Gesetzentwurf stellt eine gute Basis dar, um die Diskussion um die Förderung von Biokraftstoffen im Sinne aller Betroffenen zu einem gu- ten Ende zu bringen. Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen aus der Union, gemeinsam mit uns nach den besten Lösungen zu suchen, und freue mich auf ei- nen konstruktiven Dialog – im Sinne des Klimaschutzes und einer nachhaltigen Energiepolitik. Michael Kauch (FDP): Der von der Bundesregie- rung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung der Förde- rung von Biokraftstoffen ist nichts anderes als das Ein- geständnis einer gescheiterten Politik! Die von der Bundesregierung vorgesehene Beimischungsquote für Benzin ist verfehlt und muss zurückgenommen werden. Mittlerweile ist es hinreichend belegt, dass Unverträg- lichkeiten bei Motoren bestehen. Das hätte man auch vorher wissen können. Es freut mich, dass die Bundesregierung nunmehr endlich die von der FDP-Bundestagsfraktion von An- fang an geäußerte Kritik aufgreift, dass die Quotenerhö- hung angesichts fehlender Nachhaltigkeitszertifizierung in der Praxis falsch ist. Diese Quotenerhöhung würde nur zu einem weiteren Sog auf die globalen Ressourcen führen, der nichts anderes als eine Gefahr für die Regen- wälder und damit den globalen Klimaschutz bewirkt. Die Änderungen der Bundesregierungen gehen jedoch nicht weit genug. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert da- her die Bundesregierung auf, von einer Quotenerhöhung ganz abzusehen, solange die Nachhaltigkeitssysteme nicht in der Praxis international funktionieren. Ferner muss die Bundesregierung die Umsetzung eines schlüs- sigen Gesamtkonzepts im Sinne einer effizienten Förde- rung der Markteinführung und einer breiten Nutzung von Biomasse im Rahmen einer Strategie „weg von den fossilen Kraftstoffen“ in Deutschland gewährleisten. Studien zeigen, dass die Nutzung zur Verstromung meist effizienter ist als im Tank. Nur auf einem effizienten Weg wird die Abhängigkeit vom Import fossiler Ener- gieträger gemindert. Vor diesem Hintergrund müssen die bestehenden Beimischungsquoten auf dem heutigen Stand „eingefroren“ werden. Zudem fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Wie- dereinführung der Steuervergünstigung von Rein-Bio- kraftstoffen. Ab 2010 soll statt der zwischenzeitlich zum Teil gestoppten Erhöhung der Beimischungsquote be- fristet wieder eine Steuervergünstigung eingeführt wer- den. Denn diese Steuervergünstigung hilft den reinen Biokraftstoffen, die meist aus heimischer und mittelstän- discher Produktion stammen, während angesichts der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20969 (A) (C) (B) (D) Strukturen auf dem Mineralölmarkt die bestehende Bei- mischungsquote einzig große Lieferanten und Import- biomasse begünstigt. Eine ausgewogene und nachhaltige Klimapolitik erfordert angesichts der vorhandenen Wirt- schaftskrise, dass auch die heimische und mittelständi- sche Wirtschaft gestärkt und gerade nicht geschwächt wird! Lassen Sie mich zum Schluss noch auf den Bereich der Elektromobilität zu sprechen kommen. Für eine be- zahlbare, energiesparende und klimaverträgliche Mobili- tät müssen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Den Weg weisen dafür die technischen Ent- wicklungspfade im Bereich der alternativen Antriebe. Die Elektromobilität bietet eine herausragende Chance, insbesondere für die effiziente Nutzung erneuerbarer Energien, weil Elektrofahrzeuge eine dezentrale Spei- chermöglichkeit für Strom aus fluktuierenden Quellen in Aussicht stellen. Gerade in Schwachlastzeiten, wenn es – beispiels- weise nachts – für Windstrom keine anderen Abnehmer gibt, könnten Elektroautos als Speicher zur Verfügung stehen. Ohnehin wird ein Privatfahrzeug durchschnitt- lich weniger als 2 von 24 Stunden des Tages bewegt. In der verbleibenden Zeit könnten mobile Hochleistungs- batterien der Fahrzeuge künftig als mobile Energiespei- cher in die Energieversorgung integriert werden. Nicht zuletzt eröffnet die Elektromobilität auch eine zusätzli- che Option, die Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Vor diesem Hintergrund müssen die längerfristigen und grundsätzlichen Weichenstellungen beizeiten so vorgenommen werden, dass die Potenziale aller genann- ten technischen Entwicklungen von der Privatwirtschaft in den kommenden Jahren ungehindert genutzt und vo- rangebracht werden können. Dabei geht es um das Of- fenhalten technologischer Entwicklungspfade – auch mit der Unterstützung zukunftsweisender und verlässlicher politischer Signale! Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Die Biokraftstoffstra- tegie der Bundesregierung ist gescheitert. Die Zwangs- beimischung von Agrosprit zu mineralischem Benzin oder Diesel ist ein Irrweg zulasten des Naturhaushaltes und des Klimaschutzes. Ich fordere den Umweltminister deshalb auf, sein Scheitern in dieser Sache einzugeste- hen und das Gesetz samt Änderungsvorlage zurückzu- ziehen. Die Bundesregierung setzt mit ihrer angeblich „öko- logischen Industriepolitik“ selbstbewusst auf das falsche Pferd. Richtig wäre, eine nachhaltige Biomasseerzeu- gung und -nutzung zu fördern, die den Naturhaushalt nicht überfordert und für Wertschöpfung in der Region sorgt. Das schafft dann auch zukunftssichere Arbeits- plätze im ländlichen Raum. In Deutschland und Europa stehen für die Nutzung von Bioenergie nur begrenzte Anbauflächen zur Verfü- gung. Der Bundesumweltminister übersieht diese Tatsa- che, als gäbe es sie nicht. Überhöhte Ziele, gerade bei Biokraftstoffen, überfordern deshalb die Böden und ha- ben keinen Nutzen für den Klimaschutz. Sie führen zu ökologisch schädlichen Anbauweisen und zum massen- haften Import von Agroenergie. In den Ländern des Sü- dens sind Regenwaldzerstörung sowie Vertreibung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern die Folge. Eine inter- nationale Zertifizierung für Energiepflanzen ist nicht kontrollierbar und wird deshalb auch nicht greifen. In Deutschland selbst ist der massive Einsatz von Agrosprit ohnehin Unsinn, wenn die Wende in der Ver- kehrspolitik ausbleibt. Statt auf klimaschädlichen Pkw- und Schwerlastverkehr zu setzen, müssen ein nutzer- freundlicher öffentlicher Nahverkehr und eine attraktive Bahn in der Fläche geschaffen werden. Wer glaubt, er könne die Autobauer mit Bioalkohol beruhigen, ist auf dem Holzweg. Mit dieser Haltung stehen wir nicht allein da: „Durch die Quotenvorgaben für Biokraftstoffe werden zum Teil sogar Bioenergiepfade gefördert, die zur Verschärfung des Klimawandels beitragen.“ Und: „Bioenergie darf nicht zu einer Gefährdung der Ernährungssicherheit füh- ren oder die Zerstörung von Regenwäldern oder anderen naturnahen Ökosystemen auslösen.“ Weiter: „Der Anbau einjähriger Energiepflanzen zur Produktion von Flüssig- kraftstoffen für den Verkehr ist zu wenig an den Zielen des Klimaschutzes ausgerichtet.“ Das sagt nicht irgend- wer, sondern das wichtigste Beratungsgremium der Bun- desregierung in Sachen Klimaschutz, der Wissenschaft- liche Beirat Globale Umweltveränderungen. Dieser sagt als Schlussfolgerung zum Biokraftstoffquotengesetz: „Der WBGU plädiert daher für einen raschen Ausstieg aus der Förderung von Biokraftstoffen im Verkehrsbe- reich.“ Die Linke hat sich als einzige Fraktion im Bundestag von Anfang an gegen die Zwangsquote und – wenn überhaupt – für die gezielte Förderung von reinen Bio- kraftstoffen in dezentralen Strukturen ausgesprochen. Dabei sollte durch steuerliche Erleichterungen ein Marktvorteil zu mineralischen Produkten geschaffen werden. Und: Nur regionale, in sich geschlossene Kreis- läufe zur Herstellung und Verwendung von Biosprit dür- fen unterstützt werden. So macht der Pflanzentreibstoff für den Eigenbedarf in der Land- und Forstwirtschaft so- wie in Bus- und Speditionsflotten vor Ort Sinn. Haupt- sächlich setzen wir uns aber für eine Stärkung der um- weltverträglichen Biogasproduktion ein – und das ist der entscheidende Punkt. Denn hierbei ist je Hektar genutz- ter Biomasse der Energieertrag und somit auch der Kli- maschutzbeitrag am höchsten. Biogas kann sowohl für die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme als auch in Fahrzeugen eingesetzt und ins Erdgasnetz einge- speist werden. Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, Sie wollen mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel, der dem Kli- maschutz dienen soll, neue, riesige, klimaschädliche Kohlekraftwerke subventionieren. Dabei ist auch Ihnen klar, dass solche Energieverschwendungsanlagen den Ausbau effizienter und erneuerbarer Energien blockie- ren. Der Umweltminister will den massenhaften Anbau von Agrosprit fördern, obwohl er weiß, dass riesige Mo- nokulturen und zerstörte Regenwälder das Ergebnis sind. Er klaubt sich Agroenergien aus Schwellen- und 20970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Entwicklungsländern wie Angola und Indonesien zu- sammen, um Mineralöl zu ersetzen. Dabei leiden diese Länder vielmehr unter der Teuerung des knappen Öls als Europa und Deutschland. Hierzulande wirft Herr Gabriel sich aber für die Pkw-Hersteller gegen wirksamen Kli- maschutz ins Zeug, damit die Autobauer auch weiterhin Spritschlucker produzieren können. Der sogenannte Umweltminister entwickelt sich zum größten CO2-Erzeuger in der Bundesrepublik. Er zerstört die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der internationalen Umweltpolitik und jagt die Klimaschutzziele durch den Schornstein. Schöne Bescherung! Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung ist mit ihrer Biokraftstoffstrategie ge- scheitert. Der Beitrag der Biokraftstoffe zur CO2-Einspa- rung sowie als Erdölersatz stagniert. Von den Ausbau- zielen, die noch vor einem Jahr verkündet wurden, ist nichts übrig geblieben. Die Biodieselindustrie pfeift aus den letzten Löchern, die Campa-Biodiesel in Ochsenfurt hat schon zum zweiten Mal Insolvenz angemeldet. Die Einlagen von vielen Bauern wurden vernichtet. Die Landwirte haben Millionen Euro ebenso verloren wie die Hoffnung auf eine Stärkung der ländlichen Räume über eine heimische Wertschöpfung. Noch mehr Hoff- nungen gingen verloren: Das Ethanolauto ist faktisch tot, die dezentralen Ölmühlen machen nach und nach Pleite, und die Ölmühlenbetreiber werden vom Umweltminister sogar als Bäuerlein verhöhnt. Ruiniert sind aber nicht nur viele Pioniere der Bioenergien, sondern mittlerweile sogar der Ruf der Biokraftstoffe. Die schwarz-rote Bun- desregierung hat es innerhalb von drei Jahren hinbekom- men, einen Hoffnungsträger zum Schreckgespenst zu machen. Ist die Bundesregierung mit dieser Katastrophenpoli- tik bereits zufrieden? Nein, sie setzt noch eins drauf. Die Steuern auf Biokraftstoffe sollen auch 2009 und in den Folgejahren weiter erhöht werden. Die Ausbauziele für die Biokraftstoffe werden zurückgenommen, und Palmöl aus dem Regenwald soll zukünftig die heimischen Pflan- zenöle ersetzen. Wer das nicht glaubt, sollte einmal ei- nen Blick in die Novelle des Biokraftstoffquotengesetzes werfen. Dort kann man diesen Zerstörungsplan für die Biokraftstoffe eins zu eins nachlesen. Fast schon fanatisch betreibt der Umweltminister seine Strategie, Pflanzenöle hiesiger Ölmühlen durch die Erzeugnisse der Mineralölkonzerne zu ersetzen: Hand in Hand mit dem Mineralölwirtschaftsverband packt Mi- nister Gabriel den Regenwald in den Tank. Das Mittel der Wahl ist die Cohydrierung, die Minister Gabriel ab 2010 erlauben will. Bei der Cohydrierung werden die Raffinerien gleich in den Regenwald gesetzt und verar- beiten das dortige Palmöl. Gabriel hatte sich mit der Cohydrierung schon mal gegen die schwarz-roten Parla- mentarier und das verschlafene Landwirtschaftsministe- rium durchgesetzt. Dabei wurden aber so viele hand- werkliche Fehler begangen, dass die EU-Kommission schon wegen der erheblichen Formfehler die Verordnung nicht akzeptiert hatte. Bei jeder Gelegenheit macht sich der Minister der Großkonzerne über die mittelständischen Pflanzenöl- mühlenbesitzer lustig. „Big is beautiful“ lautet die De- vise Gabriels. Da wird der Umweltminister zum Interes- senvertreter der Mineralölwirtschaft. Und die Union schaut zu, wie die SPD den Mittelstand mit voller Ab- sicht gegen die Wand fährt. Das diesbezügliche Schwei- gen des Bauernverbandspräsidenten Sonnleitner lässt sich nur dadurch erklären, dass er vor allem Großkon- zernstrukturen unterstützt, anstatt seine Mitglieder aus der bäuerlichen Landwirtschaft. Mit ihrem breiten Versagen haben die Minister Gab- riel, Steinbrück, Glos und vormals Seehofer dazu beige- tragen, dass die Bioenergien heute in der Gesellschaft massiv an Akzeptanz verloren haben. Die schwarz-rote Koalition hat von Beginn an auf die Beimischung gesetzt und sich damit als Handlanger der Mineralölkonzerne betätigt, die aus der ganzen Welt bil- lige und oftmals auf Kosten von Mensch und Natur er- zeugte Biokraftstoffe importieren. Sie hat reine Pflan- zenöltreibstoffe mit einer jährlich wachsenden Steuer belegt und so die allermeisten Hersteller in Deutschland in den Ruin getrieben. Sie hat das Thema Nachhaltigkeit vernachlässigt und mit einem halbherzigen Verord- nungsentwurf auf die lange Bank geschoben. Sie hat sachkundige Hinweise darauf, dass einige Motoren die Biokraftstoffbeimischung nicht vertragen, ignoriert. Sie nimmt billigend in Kauf, dass die eiweißhaltigen Kop- pelprodukte heimischen Pflanzenöls für das Viehfutter nun wieder durch Soja aus Regenwaldplantagen ver- drängt werden. Wir sind davon überzeugt, dass bestehende Konflikte durch entschiedenes politisches Gegensteuern zu ent- schärfen sind. Aber dazu bedarf es weit mehr als des hier vorgelegten Gesetzentwurfs: Wir brauchen ökologische und soziale Leitplanken! Es muss der Grundsatz „Food first“ gelten, und es müssen umweltverträgliche Anbau- methoden umgesetzt werden, etwa der Anbau von Ener- giepflanzen auf degradierten Böden oder der Ausschluss von Gentechnik und von Naturzerstörung. Die zurzeit auf EU-Ebene diskutierten Nachhaltigkeitskriterien wer- den nicht ausreichen – wir brauchen zusätzlich bilaterale Zertifizierungs-Pilotprojekte, um möglichst rasch zu ei- nem weltweiten Zertifikat zu gelangen. Nicht nachhaltig erzeugte Bioenergien müssen vom deutschen und euro- päischen Markt ausgeschlossen werden. Auch die europäische Ebene hat bei den Nachhaltig- keitskriterien bislang versagt. Dringende nationale Ver- ordnungen werden gebremst, und die eigenen Vorschrif- ten verzögern sich. Zudem zeichnet sich bereits ab, dass auch die europäischen Vorgaben wichtige Nachhaltig- keitsaspekte unter anderem im sozialen Bereich vernach- lässigen. Ja, es ist richtig, auf die Elektromobilität zu setzen. Aber auch beim Thema Elektromobilität hat die Bundes- regierung bisher nur viel versprochen und nichts bewegt. Auf meine kürzliche Anfrage, welche Fördermaßnah- men es gibt, bekam ich die lapidare Antwort, dass es keine gebe, aber man sich für die Zukunft Gedanken ma- che. Wir können für die Elektromobilität nur hoffen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20971 (A) (C) (B) (D) dass sich darüber in der Bundesregierung andere Men- schen Gedanken machen als über Biokraftstoffe. Pleiten, Unvermögen und Pannen können wir uns bei diesem zentralen Thema zukünftiger Mobilität nicht erlauben. Und es wäre grundverkehrt, die Biokraftstoffe aufzu- geben, nur weil man unter Schwarz-Rot zu unfähig war, die Chancen zu nutzen, die das Thema beinhaltet hatte und bei einer besseren Regierung weiter beinhalten würde. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Freiheits- und Ein- heitsdenkmal gestalten (Zusatztagesordnungs- punkt 8) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Das Denkmal für die Freiheit, für Bürgermut und Demokra- tie erhält jetzt Kontur. Der Weg für die Ausschreibung ist frei. 15 Millionen Euro sind beschlossen. In der Standortfrage haben Bundeskanzleramt und der Regie- rende Bürgermeister Einigkeit erzielt. In der Mitte der Hauptstadt wird der Standort sein, dem Stadtschloss ge- genüber, auf dem abgeräumten Sockel der Monarchie. Dem Militarismus wird dadurch eine endgültige Absage erteilt; da stimmen wir mit Professor Salomon Korn überein. Für Freiheit und Einheit wird dieses Denkmal stehen, wie sie vor 19 Jahren von couragierten Bürgerinnen und Bürgern mutig demonstriert wurde, wie sie seit gut 200 Jahren auch ein wesentlicher Teil der Geschichte unseres Landes ist. Ob die Märzrevolution, die Vorgänge um die Gründung der Weimarer Republik vor 90 Jahren, die Schaffung des Grundgesetzes, der 17. Juni 1953 es waren: Die glückhaften Momente sowie die Opfer für die Freiheit gehören nicht in den Abstellraum unserer Geschichte; die Wiederaneignung unserer eigenen Ver- gangenheit in all ihren Facetten ist gefragt. Deshalb ist auch ein Informationsort notwendig, in räumlicher Nähe zum Denkmal. Hier kann mit Bilddokumenten, Filmen, Redeausschnitten und anderen zeitgemäßen Präsentatio- nen der Freiheitswille der Deutschen verdeutlicht wer- den, inhaltlich notwendig, historisch gerechtfertigt. Auch Europa muss vorkommen: Ungarn 1956, der Pra- ger Frühling 1968, die polnische Gewerkschaft Solidar- nośź und andere markante Freiheitsbekundungen. Für uns bleibt eindeutig: Das von den Menschen im Lande angenommene Holocaust-Mahnmal und die vie- len notwendigen Gedenkstätten in Berlin und der gesam- ten Republik garantieren: Ein Vergessen und Verdrängen der menschenverachtenden Diktaturvergangenheit wird es nicht geben, darf es nicht geben! Auch Leipzig als Stadt der Friedensgebete und Freiheitsdemonstrationen wird eine Würdigung erhalten. Bonn, der westdeutsche Beitrag, darf nicht vergessen werden. Über die Kon- zeption der neuen Denkmalinitiative wird öffentlich dis- kutiert werden, die Einbeziehung von Vertretern der Zivilgesellschaft ist gleichfalls Wille der drei Initiativ- fraktionen. Unser Land mit seiner überaus komplizierten Geschichte, aber auch die politisch Verantwortlichen werden sich einer intensiven Debatte zu stellen haben. Die Initiative der Deutschen Gesellschaft mit fast 200 bundesweiten, öffentlichen Veranstaltungen zum Thema „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ ist begrüßens- und unterstützenswert. Wir wünschen uns eine breite Diskussion. Eine kontroverse Debatte hat es auch 2001 gegeben, im Vorfeld einer Parlamentsentscheidung zur Denkmalinitiative damals für „Einheit und Freiheit“. Die vier maßgeblichen Ideengeber – Jürgen Engert, Lothar de Maizière, Florian Mausbach, Günter Nooke –, die alle der Deutschen Gesellschaft angehörten, erreichten, dass 177 Abgeordnete sich für ein Berliner Denkmal ausspra- chen. Das Votum scheiterte entsprechend eines Vorschla- ges des Kulturausschusses an den Fraktionen von Sozial- demokraten und PDS. Die Zeit für ein Denkmal war offensichtlich noch nicht reif. Heute, sieben Jahre später, ist es wieder die Linke, die die „Freiheit“ blockiert, die sich der „Einheit“ ver- schließt; ganz anders die Sozialdemokraten, die jetzt offensiv die Idee verfolgen. Hier ist es besonders Profes- sor Richard Schröder, der auf eine umfassende Ge- schichtsaufarbeitung gedrungen hat, die positiven Mo- mente deutscher Vergangenheit nicht auszuklammern. Das Denkmal wird mehr sein als eine berechtigte Huldi- gung an den Herbst 1989, mehr als die Erinnerung an die herausragende Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989. Es soll den Wert der Volkssouveränität vermitteln, den der Verfassung, des Grundgesetzes. Es soll die über 200 Jahre alte Freiheitsgeschichte aufberei- ten, zwei Jahrhunderte auch demokratische Erfolge in Deutschland, zu einer differenzierten Geschichtsbetrach- tung beitragen. Es wäre fragwürdig, falsch und nicht fair gegenüber der jungen Generation unseres Landes, wenn sich diese allein mit der Diktaturgeschichte auseinander- setzen müsste. Die beiden nicht gleichzusetzenden tota- litären Diktaturen waren nicht unsere alleinige Vergan- genheit. Mut schöpfen aus Freiheitsbemühungen, sattelfest werden gegen politischen Extremismus, vorbildliche Zi- vilcourage erfahren, Demokratiestolz haben – das alles sollte Ziel politischer Jugendbildung sein. Ein Denkmal allein kann so etwas nicht leisten. Es kann aber dafür eine Signalfunktion einnehmen, ein Stachel im Fleisch demokratischer Selbstzufriedenheit sein. Und schließ- lich: Das Deutschlandbild der jährlich circa 7,6 Millio- nen in- und ausländischen Berlin-Touristen erhält die Chance einer Aufbereitung, weil beide Seiten unserer Geschichte aufgeblättert werden, die dunklen und die hellen, und zum Nachdenken anregen. Jetzt kann es grünes Licht für die Ausschreibung des Architektenwettbewerbes geben, sodass die Entwürfe 2009 zum 20. Jahrestag des Mauerfalls bereits präsen- tiert und debattiert werden können. „Denk’ mal an Frei- heit, wenn du in Berlin bist!“ – so könnte das Leitmotiv lauten. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Als sich am 3. Ok- tober 1990 die Einheit Deutschlands vollendete, konnte 20972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) zugleich ein Kapitel deutscher Geschichte beendet wer- den, dessen Ausgangspunkt nicht schwärzer hätte begin- nen können. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatten zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur Europa an den Ab- grund geführt. Unsägliches Leid haben die Deutschen damals über die anderen Völker Europas gebracht. Das Kriegsende brachte eine Zäsur. Deutschland wurde auf- geteilt. Der freie Westen und die kommunistische Dikta- tur der Sowjetunion teilten Deutschland in ihre Einfluss- sphären auf. Im Westen entstand ein freiheitlich- demokratischer Rechtsstaat, während der ostdeutschen Bevölkerung eine Einparteiendiktatur aufgezwungen wurde. Nur wer sich dies vor Augen hält, kann die Ereignisse von 1989 und 1990 für unser Land in ihrer ganzen Be- deutung ermessen. Die Einheit in Freiheit war ein Ge- schenk der Geschichte, aber es war eines, das erst auf friedlichem Wege erkämpft werden musste, das den Deutschen nicht einfach so in den Schoß gefallen ist. Der Anfang vom Ende der DDR waren die Montags- demonstrationen in Leipzig. Der Druck auf das Un- rechtsregime erhöhte sich. Nun gab es auch Demonstra- tionen in Berlin. Nach dem Fall der Mauer wurde wohl jedem in der SED bewusst, dass das Ende der Diktatur gekommen war. Jetzt konnten die Staatspartei nur noch als Konkursverwalter eines heruntergewirtschafteten Systems dienen, dessen Folgen uns bis zum heutigen Tag beschäftigen. So präsent jeder Einzelne von uns in diesem Hause noch die Ereignisse vor Augen hat, darf darüber nicht vergessen werden, dass es inzwischen eine Generation gibt, die diesen glücklichen historischen Aufbruch in Einheit und Freiheit nur vom Hörensagen kennt. Daran schließen sich zwei Fragen an: Wie kann man an diese Ereignisse erinnern, und wo sollte man dies tun? Wird der Versuch unternommen, geschichtliche Pro- zesse in statische Denkmäler zu pressen, muss dies na- türlich immer unzulänglich bleiben. Auch wenn es da- rum geht, Gefühlen oder Werten eine Form zu geben, bleibt ein unvollkommener Moment bestehen. Darüber müssen wir uns auch beim Einheits- und Freiheitsdenk- mal im Klaren sein. Da hatte es die Monarchie wesent- lich einfacher. Bei aller Kunstfertigkeit in der Ausfüh- rung strahlten die Denkmäler einen triumphalen Machtanspruch aus, der keine Zweifel daran aufkommen ließ, wer der Herrscher im Lande war. Eine Demokratie tut sich mit derartigen Monumenten durchweg schwerer. Sie will allgemeinverbindliche Werte vermitteln, die ih- rem Wesen immanent sind. Es geht ihr gerade nicht um die Verkörperung einer solitären, absolutistischen Idee. Die Verknüpfung der Einheit mit dem Freiheitsgedan- ken scheint mir daher genau die richtige Antwort der Demokratie auf die Denkmalfrage zu sein. Für uns Deut- sche hängt dies unweigerlich zusammen. Schon die ge- scheiterte Revolution von 1848 hatte versucht, beides miteinander zu verknüpfen. Das Scheitern bedeutete nicht nur eine Rückkehr zum monarchistischen und landständischen Prinzip, sondern auch zum Zerfall unse- res Landes in Dutzende souveräner Einzelstaaten. Die bewegte deutsche Geschichte nach den Ereignissen von 1848/49 hat es – abgesehen von den wenigen erfolgrei- chen Jahren der Weimarer Republik – nicht mehr ge- schafft, diese beiden Ideen in positiver und stabiler Weise miteinander zu verbinden. Die friedliche Revolution von 1989 war es dann, die nicht nur zur Einheit Deutschlands führte, sondern end- lich für alle Deutschen die Freiheit brachte. Auch wenn den geschichtlichen Ereignissen im Nachhinein eine ge- wisse Folgerichtigkeit oder gar Zwangsläufigkeit beige- messen werden mag, kann man wohl von einem glückli- chen, wenn nicht sogar dem glücklichsten Moment in unserer Geschichte sprechen. Deutschland hat durch die Einheit seine volle Souve- ränität wiedererlangt. Und manche Befürchtungen, die in anderen Ländern mit der Wiedervereinigung laut wur- den, haben sich nicht bestätigt. Gesamtdeutschland ist gleichberechtigter und zuverlässiger Partner im Konzert der friedlichen Völker Europas und der Welt geworden. Berlin ist zudem der richtige Standort für das zentrale Einheits- und Freiheitsdenkmal. Auch wenn der Ur- sprung für die Umwälzungen in Leipzig lag, ist Berlin doch zu einem zentralen Gedenkort für Deutschland ge- worden. Warum nicht buchstäblich neben den Schrecken des Nationalsozialismus auch an die positiven Ereignisse in der deutschen Geschichte erinnern? Das ermöglicht ein differenziertes Geschichtsbild, das die schlechten Seiten nicht verschweigt, aber die guten auch nicht uner- wähnt lässt. Dies kann Leipzig nicht leisten. Ein alleiniges Denk- mal in Leipzig könnte nicht auf die wechselvolle Ge- schichte Deutschlands aufmerksam machen, sondern würde als solitär empfunden werden. Das bedeutet – um dies noch einmal klarzustellen – keine Missachtung ge- genüber den Leipzigern. Daher befürworte ich, in Leip- zig ebenfalls einen Gedenkort zu schaffen, der an den Beginn der friedlichen Proteste gegen das SED-Regime erinnert. Dieses Verdienst kommt den Leipzigern zugute, und das werden wir ihnen auch nie vergessen. Und auch der demokratische Neuanfang in schwieriger Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verlangt aus meiner Sicht in Bonn nach einem besonderen Ort des Gedenkens. Das zentrale nationale Denkmal für Freiheit und Einheit ge- hört aber nach Berlin, in unsere Hauptstadt, in die einst geteilte Stadt mit weltweiter Symbolkraft, in eine Stadt, die jährlich von Millionen Menschen aus der Welt be- sucht wird und die gerade bei der Jugend Europas als Reiseziel immer beliebter wird. Der Standort gegenüber dem Stadtschloss könnte kaum besser gewählt sein. Es bildet dann einen Kontra- punkt zum wiedererrichteten Stadtschloss und unter- streicht, dass die Fassade keinen Wunsch nach den guten alten Zeiten verkörpert, sondern die beste städtebauliche Lösung in der Auseinandersetzung mit der Geschichte für diesen Ort ist. Die freiheitliche Demokratie zeigt an dieser Stelle ihr Selbstbewusstsein. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands haben wir ein neues Kapitel im Buch unserer Geschichte aufge- schlagen. Aber wir tun dies in dem Bewusstsein, dass ein Buch mehrere Kapitel hat und insofern Teil eines Gan- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20973 (A) (C) (B) (D) zen ist. Mit dem Einheits- und Freiheitsdenkmal wollen wir nicht einen Schlussstrich ziehen, sondern wir wollen die Gelegenheit nutzen, über alles Dunkle hinweg auch an die guten Seiten der deutschen Geschichte zu erin- nern. Das gegenwärtige Kapitel des wiedervereinigten Deutschland kann nicht verstanden werden, ohne die vorherigen Kapitel lesen zu können. Und eines dieser unverzichtbaren Kapitel ist der Kampf der Deutschen für Freiheit und Einheit. Ihn gilt es an zentraler Stelle in Berlin sichtbar und begreifbar zu machen. Und heute kommen wir der Verwirklichung dieses Zieles ein gan- zes Stück näher. Jetzt gibt es grünes Licht für die Ausschreibung des Architektenwettbewerbs. Wir geben damit den Start- schuss für die Debatte über das richtige Gedenken an diesem Ort. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Die Debatte über die Notwendigkeit und den Sinn eines Freiheits- und Einheitsdenkmals haben wir bereits vor einem Jahr an dieser Stelle geführt. Die Argumente dafür haben sich seitdem nicht geändert: Die Deutschen sollten Orientie- rung und Identität nicht nur aus der Erinnerung an die katastrophalen Ereignisse deutscher Geschichte, sondern auch aus der Erinnerung und Würdigung ihrer positiven Aspekte gewinnen. Deshalb halte ich es nach wie vor für sinnvoll, im Zentrum der Hauptstadt ein Denkmal zu er- richten, das an die einzige erfolgreiche – und noch dazu friedliche – Revolution in Deutschland erinnert. In mei- ner Rede vom 9. November 2007 sprach ich von einem Mahnmal historischen Glückes, das uns daran erinnert, wie kostbar und verletzlich die Freiheit in Einheit ist. Das Denkmal soll die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der letzten Jahrhunderte wür- digen. An erster Stelle stehen dabei die friedliche Revo- lution 1989 und die deutsche Einheit von 1990; sie ist der Anlass und Bezugspunkt des Denkmalprojekts. Aber auch die Revolutionen 1848/49 und 1918, der Volksauf- stand von 1953 sollen Berücksichtigung finden. Ein ent- sprechendes inhaltliches Konzept wurde vom Kultur- staatsminister bereits im Frühjahr vorgelegt und vom Kulturausschuss des Bundestages diskutiert und unter- stützt. Diese inhaltlichen Vorgaben an das Denkmal sind eine beachtliche intellektuelle und künstlerische Heraus- forderung. Um die Rezeption des Denkmals zu erleich- tern, ist ein Ort der Information dringend notwendig. Damit wurden bereits sehr gute Erfahrungen beim Holo- caust-Denkmal gemacht. Ohne den Ort der Information wären die Wirkung und die Anziehungskraft des Denk- mals nur halb so groß. Dieser Informationsort soll die Möglichkeit zur vertiefenden Beschäftigung mit der deutschen Freiheitsgeschichte bieten. Außerdem lässt sich hier Bezug nehmen zu den anderen Orten der fried- lichen Revolution. Als Standort für das Freiheits- und Einheitsdenkmal ist der Sockel des früheren Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf der Schlossfreiheit im Herzen Berlins vorgesehen. Darüber wurde in diesem Jahr bereits heftig diskutiert. Natürlich soll mit der Wahl des Standortes gerade nicht an die wilhelminische Tradition angeknüpft werden. Der Reiz des Ortes besteht doch darin, ihn im Brecht’schen Sinne umzufunktionieren und eine neue Bedeutung zu geben im vollen Bewusstsein seiner historischen Bedeu- tung. Es ist eine durchaus faszinierende Vorstellung, an diesem Ort an die Einheit in Freiheit und Freiheit in Ein- heit zu erinnern, die die Deutschen mit der friedlichen Revolution 1989 errungen haben – nachdem in der deut- schen Geschichte Einheit und Freiheit so oft auf un- glückliche Weise getrennt waren, ja in Widerspruch zu- einander standen. Für diesen Ort spricht auch, dass es sich – sobald der Entwurf des Architekten Stella für das Humboldt-Forum umgesetzt ist – um einen attraktiven und kommunikativen Ort handeln wird. Der Vorteil des Sockels besteht darin, dass die Fläche klar definiert und begrenzt ist, was eindeutige Vorgaben für den Wettbe- werb erlaubt. Die friedliche Revolution war kein Berliner Ereignis; in vielen Städten der DDR sind die Menschen für Frei- heit und Demokratie auf die Straße gegangen und haben dabei Zivilcourage, staatsbürgerlichen Mut bewiesen un- ter großem persönlichem Risiko. Von entscheidender Bedeutung war die große Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989. Deshalb soll auch in Leip- zig der „Beitrag der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zur friedlichen Revolution auf angemessene und sicht- bare Weise“ gewürdigt werden, wie es im Antrag heißt. Diese Würdigung kann nur gemeinsam mit dem Land Sachsen und der Stadt Leipzig erfolgen, genauso wie auch bei den Planungen und der Umsetzung des Frei- heits- und Einheitsdenkmals in der Hauptstadt sowohl das Land Berlin als auch die Deutsche Gesellschaft be- teiligt sind, von der die Initiative für das Denkmal ausge- gangen ist. Berlin stellt das Grundstück zur Nutzung zur Verfügung und beteiligt sich an der Sanierung des Denk- malsockels. Von der Idee eines korrespondierenden Denkmals oder eines Denkmalpaares – wie es in der bis- herigen Debatte vorgeschlagen wurde – halte ich nicht viel, weil es künstlerisch kaum realisierbar wäre und die Bedeutung der Bürgerinnen und Bürger negieren würde, die in all den anderen Orten der ehemaligen DDR de- monstrierten und sich großen Risiken aussetzten. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat in seiner Sitzung am 20. November 2008 beschlos- sen, insgesamt 15 Millionen Euro für das Freiheits- und Einheitsdenkmal zur Verfügung zu stellen – eine erheb- lich höhere Summe als ursprünglich vorgesehen. Daraus sollen sowohl der Informationsort als auch die Würdi- gung der friedlichen Revolution in Leipzig finanziert werden. Die Debatte um die Errichtung des Denkmals hat sich aufgrund der Feststellung des Sanierungsaufwandes des Sockels und der Haushaltsverhandlungen verzögert. Es ist aus meiner Sicht gar nicht wichtig, ob in einem Jahr bereits die Grundsteinlegung erfolgt. Wichtiger ist es, dass ein gelungenes Konzept gefunden und verwirklicht wird. Die Diskussion um den geeignetsten Entwurf kann und sollte der Selbstverständigung der Deutschen die- nen. Sie kann – wie die langjährige Debatte um das Ho- locaust-Mahnmal gezeigt hat – dem Denkmal nur nut- zen. 20974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) Jetzt gilt es, keine weitere Zeit zu verlieren und mit der Ausschreibung des Wettbewerbs zu beginnen. Ich freue mich und bin schon sehr gespannt auf die Ergeb- nisse. Christoph Waitz (FDP): Mit dem heutigen gemein- samen Antrag der Großen Koalition und meiner Fraktion legen wir eine weitere Etappe auf dem Weg zu unserem Freiheits- und Einheitsdenkmal an einem besonderen Ort im Herzen Berlins zurück. Wir machen den Weg frei, da- mit möglichst bald über die Gestalt des Denkmals eine Entscheidung getroffen werden kann. Wenn wir den Zeitplan einhalten, wird das zum Zieldatum im Novem- ber 2009 erfolgen. Wir alle wissen, dass es sich bei diesem Projekt um ein Vorhaben handelt, mit dem wir hier in Berlin nicht nur einen Ort und den Rahmen schaffen, der friedlichen Revolution von 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands zu gedenken. Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages thematisieren wir mit diesem Denkmal nicht nur die Entwicklung in der ehemaligen DDR, die zur wiedergewonnenen Einheit geführt hat. Wir wollen mit dem Denkmal auch an die Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen seit dem 19. Jahr- hundert erinnern. Ein solches Denkmal für den Ort der Schlossfreiheit vor dem Humboldt-Forum mit seinen neobarocken Schlossfassaden entstehen zu lassen, ist eine Herausfor- derung für jeden Wettbewerbsteilnehmer. Es geht nicht nur darum, einen überzeugenden Gestaltungsentwurf zu finden, der der Freiheitsidee Ausdruck verleiht, sondern gleichzeitig eine Gestaltung zu finden, die die Aspekte von Einheit und Freiheit in sich aufnimmt. Hinzu kommt, dass dieses Denkmal mit seiner unmittelbaren Umgebung – gerade mit dem Humboldt-Forum – harmo- nieren und kommunizieren muss. Gleichzeitig ist der Ort dieses Denkmals nicht belie- big. Hier stand das Reiterdenkmal von Wilhelm I., eines Vertreters des preußischen Königshauses, der für die Niederschlagung der süddeutschen Freiheitsbewegungen von 1848 und die Beseitigung der Paulskirchenver- sammlung, der ersten demokratisch gewählten Ver- sammlung, stand. Damit überdauert die Freiheit auch symbolisch eine Zeit der Unterdrückung von Freiheits- bewegungen in Deutschland. Das Podest und Fundament des künftigen Freiheits- und Einheitsdenkmals stehen unter Denkmalsschutz. Nach seiner Rekonstruktion wer- den hier zwangsläufig ein Kommentar und Bezugspunkt des Denkmals liegen. Sie sehen, dass dieser Ort mit seiner Geschichte, dem neuen teilrekonstruierten Stadtschloss und dem nicht mehr existierenden Palast der Republik für die Denk- malsschöpfer eine große Herausforderung ist. Gleichzei- tig ist es aber auch der Ort in Berlin, der sich trefflich da- für eignet, über deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert nachzudenken, in diesem Falle gerade auch über den glücklichen vorläufigen Abschluss, den das 20. Jahrhundert für uns aus deutscher Sicht mit der wiedergewonnenen Einheit gefunden hat. Denkmäler werden regelmäßig mit historischem Ab- stand gebaut. Sie deuten eine geschichtliche Entwick- lung und versuchen eine Wertung. Zwangsläufig werden sie damit auch Ort der Auseinandersetzung über ge- schichtliche Bewertungen. An dieser Schnittstelle in der Mitte Berlins wäre es in meinen Augen daher positiv, wenn es uns gelänge, einen Rahmen zu schaffen, der ein Gespräch über deutsche Freiheits- und „Befreiungs“be- wegungen ermöglicht und Platz für Diskussionen und Auseinandersetzungen lässt, also nicht nur Platz des Fei- erns und der Freude, sondern ein historischer Ort, der auch das Scheitern und die Vergeblichkeit unserer Mü- hen mitbehandelt. Der jetzt vorliegende Beschluss ist in der Frage eines Denkmals in oder für Leipzig zu einem guten Ergebnis gekommen. Denn er lässt die Möglichkeit zu, unter fi- nanzieller Beteiligung des Bundes mit dem Land Sach- sen und der Stadt Leipzig ein eigenständiges Denkmal zu errichten; ein Denkmal, das der Entwicklung bis zu den Demonstrationen im September und Oktober 1989 in Leipzig, aber auch an anderen Orten in der damaligen DDR gerecht wird; ein Denkmal, das nicht wie das Frei- heits- und Einheitsdenkmal in vielfacher Weise mit Be- deutungen aufgeladen ist; ein Denkmal, das vielmehr den Bürgern und Bürgerinnen aus Leipzig und aus ande- ren Orten der DDR ein Gesicht geben könnte. Der fried- lichen Revolution fehlt nicht umsonst ein Held oder eine Heldin. Es war nicht ein konkreter Einzelner, der diesen geschichtlichen Moment gestaltet hat. Es waren Zehn- tausende Bürger und Bürgerinnen, die keinen stummen, aber einen gewaltfreien Protest zu einem guten Ende ge- führt haben. Dafür gebührt ihnen dieses Denkmal, ein Denkmal für die Tausenden von Menschen und für die- sen besonderen geschichtlichen Moment am 9. Oktober 1989 in Leipzig, den sie mit ihrer Zivilcourage gestaltet haben. Und wem von uns die Ereignisse in Leipzig nicht mehr vor Augen stehen, dem empfehle ich die Darstel- lung von Hartmut Zwahr „Ende einer Selbstzerstörung – Leipzig und die Revolution in der DDR“. Nüchtern und teilweise chronistisch beschreibt Zwahr den Leipziger Lauf der Geschichte. Eine Beschreibung, deren Sog man sich nicht entziehen kann. Die Zeitzeugen sterben zwangsläufig. Damit wird Er- innerung aus erster Hand unmöglich. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal ist unsere Chance, über die Lebens- spanne einer einzelnen Generation hinaus an den Kampf für Einheit und Freiheit zu erinnern. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal soll uns aber auch daran erinnern, wie unsere individuellen Freiheitsrechte erkämpft wurden. Für deren Sicherung und ihren Bestand sind wir gemein- sam verantwortlich. Freiheitsrechte der Individuen und Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit befinden sich auch heute in einem Spannungsverhältnis. Aktuelle Stichworte dazu sind die Vorratsdatenspeicherung oder das BKA-Gesetz. Sie machen deutlich, dass es nicht ge- nügt, der Freiheit Denkmäler zu bauen, sondern dass wir uns in der täglichen Arbeit für Freiheitsrechte einsetzen müssen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20975 (A) (C) (B) (D) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Nun wird es ernst. Als Zusatzpunkt zur nächtlichen Tagesordnung wird nun Deutschlands wichtigstes Denkmal der Jetztzeit auf Deutschlands wichtigstem Platz, dem Schlossplatz, und auf Deutschlands teuerstem Sockel, der 10-Millionen-Euro-Erhebung, auf der früher Kaiser Wilhelm I. stand, gesetzlich fundiert und finanziert. Die Koalitionsparteien und die FDP haben das so beschlos- sen – ein Konstrukt, das an die friedliche Revolution im Herbst 1989 einerseits und andererseits an die Wieder- erlangung der deutschen Einheit 1990 erinnern – und zudem noch „eingebettet“ werden soll in die deutsche Freiheits- und Einheitsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Wer die friedliche Revolution im Herbst 1989 mit der Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands 1990 in eins setzt, wird diesem Erbe nicht gerecht, weil beide Vorgänge zwei Stufen eines komplexen internatio- nalen, historischen Prozesses darstellen, die nicht unmit- telbar aufeinander bezogen werden können. Diese Revo- lution mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ ist singulär in der deutschen Geschichte, sodass sie erst recht nicht mit den freiheitlichen Bewegungen und Einheitsbestrebun- gen der vergangenen Jahrhunderte vermengt werden kann. Ich habe schon einmal festgestellt, dass dieses Vorhaben einer Verwischtechnik entspricht, die alles Mögliche zusammenbringen will, ohne zu fragen, ob das überhaupt geht. Aber das macht nichts, Hauptsache wir bekommen ein Denkmal in Berlin, Kostenpunkt mit So- ckel 15 Millionen Euro. Das nenne ich dreiste Ver- schwendung in schwerer Zeit. Und dann „würdigen wir gemeinsam mit dem Land Sachsen und der Stadt Leipzig den Beitrag der Bürgerin- nen und Bürger dieser Stadt zur friedlichen Revolution auf angemessene und sichtbare Weise“. Da kann man sehr gespannt sein, wie dies wohl geht: fern wirkend oder virtuell oder mit Hinweisschildern und lieber doch nur verbal. Die Fraktion Die Linke hat ein Erinnern an Leipzig in Leipzig vorgeschlagen: Erinnern an diejenigen, die oft unter großer persönlicher Gefahr Demokratie und Frei- heit in der DDR einforderten, Erinnern an die Abertau- send Bürger und Bürgerinnen in Leipzig, die demon- striert, protestiert, geredet und andere überzeugt haben, Erinnern an diejenigen, die in den Kasernen und Polizei- wachen geblieben sind und dafür gesorgt haben, dass die Demokratie ohne Blutvergießen begann. Und da aus un- serer Sicht eine solche unblutige Revolution keinen herkömmlichen Denkmalkult erlaubt, möchten wir in Leipzig ein Denkzeichen zusammen mit einem „Ort der Information“ und einem „aktiven Museum“ errichtet se- hen, welches den Nachgeborenen die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Idee der Freiheit eröffnet. Vergeblich bisher. Vielleicht wird eines Tages dennoch dieser Vorschlag aufgenommen, nach ausführlicher, groß angelegter Diskussion im ganzen Land. Das wäre dann wirklich etwas anderes als diese klandestine Vollzugs- nummer heute am frühen Morgen, der wir entschieden unsere Zustimmung verweigern. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ein Denkmal für Freiheit und Einheit in Berlin ist ein großes und ehrbares Unterfangen. Ein Platz, an dem wir uns der guten Momente unserer Geschichte erinnern können, aus dem Inspiration erwächst, an dem Debatten angestoßen werden über Freiheit, über Demokratie, über die Wiedergewinnung der Einheit und wie wir mit ihr umgehen. Viele honorable Persönlichkeiten haben sich zu dem Denkmalprojekt geäußert. Bereits vor mehr als einem Jahr hat der Bundestag dann quasi über Nacht beschlos- sen, ein solches Denkmal 2009 zu errichten. Wir haben damals gesagt: Ein Denkmal, das an die friedliche Revo- lution erinnern soll, an den demokratischen Urruf „Wir sind das Volk“, kann nicht einfach von oben verordnet werden. Wir brauchen dafür eine breite Debatte, an der sich viele beteiligen können, in der über das Ob und über das Wie eines so ernsthaften Anliegens diskutiert wird, in der der demokratische Impuls von unten ernst genom- men wird. Denn es zeichnet doch die Genese von Denk- mälern aus, dass gerade die Debatte über die Errichtung ebenso wichtig sein kann für die eigene Selbstverständi- gung wie das errichtete Denkmal selbst. Ich halte das noch immer für einen ganz zentralen Punkt. Doch die Mehrheit im Hause hat sich damals dagegen und statt- dessen für ein Hauruckverfahren entschieden. Und heute? Obwohl die von uns eingeforderte breite Diskussion nun weitestgehend ausblieb, ist der von der Koalition vorgelegte Zeitplan längst Makulatur gewor- den. In dem uns jetzt vorliegenden Antrag wird die Aus- schreibung eines Gestaltungswettbewerbs gefordert, der vor mehr als einem halben Jahr schon hätte beginnen sollen. Das liegt nun aber gerade nicht etwa daran, dass eine intensive Denkmalsdebatte stattgefunden hätte; das liegt daran, dass die Kosten entgegen aller uns bisher präsentierten Zahlen Stück für Stück immer weiter in die Höhe geschraubt worden sind. Noch im Sommer wurden 5 Millionen Euro genannt. Heute entscheidet der Bun- destag mal eben über das Dreifache der ursprünglichen Kalkulation. Diese Nachlässigkeiten bei einem Denkmal, das si- cher nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hi- naus für Schlagzeilen sorgen wird, dienen nicht dazu, Vertrauen aufzubauen. Ein Denkmal von solcher Trag- weite ist nicht nebenbei zu machen, und der heute vorlie- gende Antrag zeigt nicht unbedingt, dass aus den bishe- rigen Fehlern viel gelernt wurde. Warum etwa muss ein Denkmal für Freiheit und Ein- heit trotz aller Kritik und trotz der enormen Kostenstei- gerungen auf dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal-Sockel er- richtet werden? Sollte es uns nicht um die Erinnerung an friedliche Revolution und demokratische Erneuerung ge- hen statt um Referenzen an ein Nationaldenkmal preu- ßisch-militaristischer Geschichte? Es gibt gute Alterna- tivvorschläge, nicht zuletzt den Pariser Platz, die kaum näher beleuchtet wurden. Hier wäre ein wahrhaft histori- scher Ort, ganz in der Nähe des Brandenburger Tores, das nicht nur für die Teilung Deutschlands, sondern ganz Europas stand. Hier ließe sich auch deutlich machen, 20976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 (A) (C) (B) (D) dass die deutsche Einheit untrennbar verbunden ist mit den Freiheitsbewegungen und Umwälzungen in Ost- europa. Denn ein Denkmal für Freiheit und Einheit kann darauf nicht verzichten: auf die Einbettung dieser Be- griffe in historische Zusammenhänge und auf den Raum für die Diskussion über die Zukunft dieser Werte. Doch auch hier bleibt der vorliegende Antrag unklar: Die Einrichtung eines „Informationsortes“ soll „geprüft“ werden, Ausgang offen. In der ursprünglichen Vorlage wurde sogar die Nutzung des Kaiser-Wilhelm-Sockel- Gewölbes vorgeschlagen. Was für eine Vorstellung: Die Erinnerung an die lichten Momente unserer Geschichte in einem Bunker! 2009 wird ein herausragendes Gedenkjahr, gerade auch für Bündnis 90/Die Grünen. Die Erinnerung an die demokratischen und bürgerschaftlichen Bewegungen, die die friedliche Revolution maßgeblich prägten, soll eine zentrale Rolle spielen ebenso wie die Diskussion über die Zukunft der damals errungenen Freiheiten. Ob das uns hier vorgelegte Verfahren zum Freiheits- und Einheitsdenkmal viel zu dazu beitragen wird, da mehren sich jedoch leider die Zweifel. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 n 2 2 d 91, 1 , 0, T 2 193. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Kai Gehring


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Der Entwurf des Zivildienständerungsgesetzes ver-

    folgt kein zukunftsfähiges Konzept. Er ist im Gegenteil ein
    weiteres Beispiel dafür, dass die zuständige Ministerin
    von der Leyen auch beim Thema Zivildienst Jugendlichen
    wenig zu bieten hat.

    Wir Grüne haben dagegen eine ambitionierte Gesamt-
    konzeption vorgelegt, um aus der Wehrpflicht auszu-
    steigen, auf eine Freiwilligenarmee umzusteuern, den
    Zivildienst umzuwandeln und die Anzahl der Jugendfrei-
    willigendienstplätze zu verdoppeln.

    Dieser Vierschritt wäre ein echter gesellschaftlicher
    Fortschritt und würde zivilgesellschaftliches Engage-
    ment junger Menschen endlich stärker fördern und wert-
    schätzen. Sie dagegen halten mit dem von der Wehrpflicht
    abgeleiteten Zivildienst an einem antiquierten Dogma
    fest. Das ist mehr als bedauerlich, die Wehrpflicht ist
    nichts anderes als ein konservativer „Ladenhüter“. Sie
    immer weiter zu zementieren, ist gerade auch im europäi-
    schen Vergleich absolut rückwärtsgewandt und sicher-
    heitspolitisch überflüssig!

    Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie junge Menschen als
    Bürgerinnen und Bürger ernst, anstatt sie mit Pflicht-
    diensten zu gängeln! Hören Sie auf, Jahr für Jahr die
    Wehrungerechtigkeit weiter zu verschärfen – das geht
    klar zulasten der Ausbildungs-, Studien- und Berufschan-
    cen junger Männer! Es ist unerhört, dass Sie im kommen-
    den Jahr über 30 000 mehr Zivildienstleistende als Wehr-
    pflichtige einberufen wollen. Damit diese jungen Männer
    nicht benachteiligt werden, haben wir in den Haushalts-
    beratungen Mittelkürzungen im Zivildiensthaushalt von
    215 Millionen Euro beantragt. Damit wollen wir Um-
    schichtungen zugunsten eines massiven Ausbaus der
    Freiwilligendienste finanzieren. Denn hier gibt es eine
    riesige Nachfrage und ein erfreuliches Potenzial von en-
    gagementbereiten Jugendlichen: Drei bis vier Bewerbun-
    gen kommen auf einen Freiwilligenplatz. Wir sind davon
    überzeugt, dass viele der Tätigkeiten, die derzeit Zivil-
    dienstleistende übernehmen, mindestens genauso gut von
    Freiwilligen zum Beispiel im Rahmen eines Freiwilligen
    Sozialen Jahres erfüllt werden könnten. Freiwillig statt
    verpflichtet – das ist unsere Leitlinie. So weit unsere
    Grundsatzkritik und unsere Alternativen zum bisherigen
    großkoalitionären Kurs.

    Solange wir für unsere weitreichende Strukturreform
    noch keine parlamentarische Mehrheit haben, stehen wir
    jeder Verbesserung des Zivildienstes offen gegenüber.
    Denn den aktiven Zivildienstleistenden gebührt aller
    Respekt und angemessene Unterstützung! Ihr Gesetzent-
    wurf geht jedoch an den Realitäten dieser Dienstleisten-
    den vorbei. Das schöne neue Label „Lerndienst“ wird
    von Ihnen bereits dadurch ad absurdum geführt, dass Sie
    gerade die Mittel für Vorhaben zur Ausgestaltung des Zi-
    vildienstes als Lerndienst im Haushalt von 750 000 Euro
    auf 350 000 Euro mehr als halbiert haben.

    Im Vorfeld der Sachverständigenanhörung im Bundes-
    tag haben bereits der Bundesrat und Fachverbände be-
    rechtigte Kritik an Ihrem Entwurf geübt: Warum haben
    Sie beispielsweise – wie unter anderem vom Bundesrat
    vorgeschlagen – keine Änderung des § 14 c des Zivil-
    dienstgesetzes vorgesehen, damit Freiwilligendienstleis-
    tende nicht weiter benachteiligt werden? Die bisherigen
    Regelungen widersprechen der Geschlechtergerechtig-
    keit und sind zur Sicherstellung der angemessenen päda-
    gogischen Begleitung ungeeignet. Auch die Möglich-
    keiten zum Ersatz des Pflichtdienstes durch
    Freiwilligendienste müssen dringend ausgeweitet wer-
    den!

    Die Regierungskoalition hat das Zivildienstgesetz
    durch ihre Uneinigkeit verschleppt. Monatelang wurden
    Antworten auf unsere Anfragen vom Ministerium verwei-
    gert, weil Sie nicht sprechfähig waren. Die Gründe liegen
    auf der Hand: Die Union will die optionale Dienstverlän-
    gerung, um das System der Wehrpflicht zu zementieren; in
    der SPD geistert weiterhin der paradoxe „freiwillige
    Pflichtdienst“ herum. Erst auf unseren massiven Druck
    haben Sie die unsinnige optionale Verlängerung des Zi-
    vildienstes wieder aus ihrem Gesetzentwurf gestrichen.

    Als Neuerung ist nun die Ausstellung eines qualifizier-
    ten Zeugnisses übriggeblieben. Dies ist zwar fachlich
    sinnvoll – als Ergebnis eines so langatmigen Gesetzge-
    bungsverfahrens aber auch mehr als dürftig. Statt der
    Selbstblockade der Großen Koalition brauchen wir den
    Mut zu klaren Entscheidungen und richtigen Prioritäten-
    setzungen. Die Zukunft gehört den Freiwilligendiensten.
    Das haben außer Frau von der Leyen und der CDU/CSU
    alle Fraktionen in diesem Hause erkannt. Wir brauchen
    eine geordnete Konversion des Zivildienstes und keinen
    völlig unzulänglichen Entwurf, wie Sie ihn hier und heute
    vorgelegt haben.



Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-

wurfs an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Danke schön.


(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Katrin Kunert,
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Sozialticket für die Deutsche Bahn AG

– Drucksachen 16/10264, 16/11105 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer

Die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen
sind zu Protokoll gegeben: Enak Ferlemann, Uwe
Beckmeyer, Patrick Döring, Katrin Kunert und Markus
Kurth.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Enak Ferlemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Der vorliegende Antrag der Linken ist unsystematisch,

    undifferenziert, undurchdacht und damit ungeeignet,
    mehr als ein populistischer Beitrag zu sein. Die Antrag-
    steller beweisen einmal mehr, dass sie fern der Realität
    leben und nicht wissen, wie Wirtschaft funktioniert. Sie
    beweisen außerdem, dass sie das System unserer sozialen
    Gesetzgebung nicht kennen. Schlimmer noch: Sie schät-
    zen nicht wert, dass Deutschland über ein Sozialsystem
    verfügt, um das andere Staaten uns beneiden. 50 Euro
    soll die DB AG jährlich an Leistungsempfänger ver-
    schenken. Bei Licht besehen ist genau das die Forderung
    der Linken. Denn sie fordern eine Bahncard 25, die zu ei-
    nem Normalpreis von 55 Euro verkauft wird, für 5 Euro
    an Hartz-IV-Leistungsempfänger und andere Transfer-
    leistungsbezieher abzugeben.

    Unsystematisch ist der Antrag, weil die Antragsteller
    außerhalb der Regelsätze für die Bezieherinnen und Be-
    zieher von Transferleistungen zusätzliche Vergünstigun-
    gen von anderer Stelle, nämlich von einem privaten Un-
    ternehmen, beschaffen wollen. Sie möchten neben das
    vorhandene staatliche System zur Finanzierung von Mo-
    bilität ein zweites System für den Erhalt von Transferleis-
    tungen in Form eines verbilligten Produktes von einem
    privaten Unternehmen stellen. Was sie damit erreichen,
    ist Intransparenz – und gerade die können wir dort nicht
    brauchen, wo staatliche Unterstützung erfolgt.

    Unsystematisch ist der Antrag aber auch deshalb, weil
    nur ein Anbieter von Schienenverkehrsleistungen zur
    Kasse gebeten werden soll. Dabei wissen die Antragstel-
    ler, dass neben dem privaten Unternehmen DB AG über
    350 weitere private Anbieter am deutschen Markt sind.
    Mit der Öffnung der Grenzen in Europa für den Güter-
    und Personenverkehr auf der Schiene werden das noch
    mehr.

    Mit welchem Recht – fragt man sich da – soll aus-
    schließlich die DB AG Geschenke machen? Die Linken
    können sich nicht damit abfinden, mit der DB AG ein pri-
    vates Unternehmen und nicht mehr ein staatliches Unter-
    nehmen zu haben; das macht der Antrag deutlich. Die An-
    tragsteller wünschen sich ganz offensichtlich ein
    volkseigenes Unternehmen zurück, in dem sie schalten
    Zu Protokoll
    und walten können, wie sie wollen. Ein Schelm, der da
    denkt, den Antragstellern geht es nicht um die Menschen,
    die im Antrag genannt sind, sondern um Macht, die sie
    über das Unternehmen DB AG ausüben wollen. Es wäre
    ein Fortschritt, würde auch die Linke endlich in der Ge-
    genwart ankommen und in der DB AG einen Wettbewer-
    ber sehen, der seine Produkte und Leistungen wie andere
    Unternehmen anbietet, um Geld zu verdienen. Auch die
    Linke sollte endlich ihren Frieden mit den Regeln der
    Marktwirtschaft machen.

    Zu diesen Regeln gehört nicht, dass ein Unternehmen
    wie die DB AG Geschenke verteilt. Diese Geschenke
    müssten entweder über die Preise von den anderen Fahr-
    gästen erwirtschaftet oder aber vom Steuerzahler per Zu-
    schuss an die DB AG gezahlt werden. Weder die Kunden
    noch die Steuerzahler wären damit einverstanden. Denn
    das führt zu Ungerechtigkeit, und das ist ganz und gar
    nicht im Sinne des Solidarsystems, aufgrund dessen
    Transferleistungen erbracht werden. Viele Menschen ste-
    hen im Erwerbsleben, erzielen aber kleinere Einkommen
    oder müssen mit einer kleineren Rente auskommen, ob-
    wohl sie viele Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt
    und ihr Leben lang gearbeitet haben. Sie wie auch allein-
    erziehende Mütter mit Kindern und einem Einkommen,
    das knapp über dem Hartz-IV-Satz liegt, kämen nicht in
    den Genuss, mit einem Sozialticket auf Reisen gehen zu
    können. All diese Menschen würden sich vollkommen zu
    Recht mehr als ungerecht behandelt fühlen, wenn Trans-
    ferleistungsempfänger besser behandelt würden als sie,
    ja, sie sogar noch mitfinanzieren müssten. Ich kann den
    Antragstellern nicht darin folgen, ein neues soziales Un-
    gleichgewicht zu schaffen, und nichts anderes würden sie
    mit ihrem Antrag bewirken. Ihr Antrag würde nicht zur
    Solidarisierung, sondern zur Entsolidarisierung führen.

    Undifferenziert und undurchdacht sind die Forderun-
    gen der Linken aber auch in ihrer Pauschalität und Igno-
    ranz. Denn es wird ausgeblendet, dass der Staat bereits
    bei der Mobilität die besondere Lage bedürftiger Men-
    schen berücksichtigt. Behinderte Menschen werden
    schon seit langem unterstützt; denn sie zählen zu denen,
    die ohne Zweifel auf solidarische Hilfe angewiesen sind.
    Die kostenlose Benutzung des öffentlichen Personenver-
    kehrs steht behinderten Menschen in Deutschland heute
    schon zu. Für Menschen im Niedriglohnbereich werden
    notwendige Kosten, zum Beispiel für die Monatskarte,
    über ergänzende Hilfeleistungen berücksichtigt. In den
    allermeisten Fällen werden Fahrtkosten für die Bürgerin-
    nen und Bürger erstattet, denen Kosten für Fahrten zu Be-
    werbungsgesprächen entstehen.

    Damit komme ich zu dem Punkt, um den es eigentlich
    uns allen – auch den Linken – gehen muss, wenn wir Mo-
    bilität für alle wollen. Dieser zentrale Punkt ist, Men-
    schen wieder in Arbeit zu bringen und aus dem Bezug von
    Transferleistungen herauszuholen. Das eigene Einkom-
    men ist die Basis dafür, am Leben in der Form teilzuha-
    ben, wie wir es unserer Bevölkerung wünschen. Eigenes
    Geld zur Verfügung zu haben, um damit Mobilität finan-
    zieren zu können, das ist das Ziel. Sozialromantik hatte
    noch nie die Befähigung, bei diesem Ziel Weggefährte zu
    sein. Das Gleiche gilt für Heuchelei, die sich als Idealis-
    mus verkleidet.
    20866 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008
    gegebene Reden


    (A) (C)



    (B) (D)


    Enak Ferlemann
    Ich bin froh, dass wir in den letzten Jahren mit den
    richtigen Arbeitsmarktinstrumenten sehr erfolgreich da-
    rin waren, die Zahl der Erwerbstätigen auf über 40 Mil-
    lionen zu steigern und wieder über 27 Millionen sozial-
    versicherungspflichtige Beschäftigte zu haben. Mit einem
    populistischen Antrag, der die Augen vor der Realität
    schließt, schafft man das nicht. Wir haben durch die gute
    Arbeit dieser Großen Koalition erreicht, dass die Arbeits-
    losenzahlen in einem Maße gesunken sind, wie wir es
    kaum zu hoffen gewagt haben, als wir die vielen Maßnah-
    men beschlossen haben, die jetzt den Erfolg von unter
    3 Millionen Arbeitslosen zeigen.

    Für jeden Einzelnen, der sich auf diese Weise seine so-
    ziale Zufriedenheit, seinen Selbstwert und die Anerken-
    nung seiner Mitmenschen schaffen konnte, hat die Große
    Koalition mehr getan, als die Antragsteller mit ihrem Ide-
    albild von einem vom Staat abhängigen Menschen, der
    als bedauernswertes Opfer eines marktwirtschaftlichen
    Systems auf tröstende Geschenke angewiesen ist, je be-
    wirken würden. Ich wünsche den Antragstellern, ihren
    Tunnelblick aus vergangenen Zeiten um der Menschen in
    diesem Lande willen abzulegen. Die CDU/CSU-Bundes-
    tagsfraktion lehnt diesen Antrag ab.