Anlage 22
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20153
(A) (C)
(B) (D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Berichtigung
186. Sitzung, Seite 19897 (A), erster Absatz: Der
letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Auch die Themen ge-
meinsame Bilanzierungsrichtlinien und IFRS, die in der
Zwischenzeit von den USA und in Europa anerkannt wer-
den, werden dazu führen, dass wir uns gegenseitig besser
verstehen und dass zukünftig in den Märkten mehr Ver-
trauen vorhanden sein wird.“
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20155
(A) )
(B) )
vereinbarung der Großen Koalition vom 18. November gefordert hat. Dazu kommt, dass die am deutschen Kon-
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU)
zur namentlichen Abstimmung über die An-
träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent-
lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
(Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord-
nungspunkt 7)
Ich stimme dem Antrag der FDP und dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen nicht zu, denn laut Koalitions-
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dreibus, Werner DIE LINKE 13.11.2008
Faße, Annette SPD 13.11.2008
Gerster, Martin SPD 13.11.2008
Göppel, Josef CDU/CSU 13.11.2008
Gröhe, Hermann CDU/CSU 13.11.2008
Hänsel, Heike DIE LINKE 13.11.2008
Hintze, Peter CDU/CSU 13.11.2008
Kucharczyk, Jürgen SPD 13.11.2008
Dr. Lauterbach, Karl SPD 13.11.2008
Leutert, Michael DIE LINKE 13.11.2008
Mücke, Jan FDP 13.11.2008
Raidel, Hans CDU/CSU 13.11.2008
Dr. Scheer, Hermann SPD 13.11.2008
Schily, Otto SPD 13.11.2008
Schmidt (Nürnberg),
Renate
SPD 13.11.2008
Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
13.11.2008
Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 13.11.2008
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 13.11.2008
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
005 stellt die SPD die Leitung des Bundesministeriums
ür Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und hat das Vor-
chlagsrecht. Deshalb muss unser Koalitionspartner eine
blösung in eigener Hoheit beschließen bzw. muss der
inister von sich aus zurücktreten.
Der Deutsche Bundestag ist hier aus meiner Sicht
icht gefragt.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Renate Gradistanac (SPD)
zur namentlichen Abstimmung über die An-
träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent-
lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
(Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord-
nungspunkt 7)
In der Ergebnisliste erscheint mein Name unter „Ja“.
ein Votum lautet „Nein“.
nlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Georg Brunnhuber (CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über die
Anträge: Missbilligung der Amtsführung und
Entlassung von Bundesminister Wolfgang
Tiefensee (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatz-
tagesordnungspunkt 7)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
ein Votum lautet „Nein“.
nlage 5
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes-
regierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffne-
ter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung
der gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und
des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie
der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001)
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Ta-
gesordnungspunkt 18 a)
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): In den letzten
ahren habe ich dem oben genannten Mandat zu OEF,
peration Enduring Freedom, nicht zugestimmt. Ich
abe – wie viele nationale und internationale Menschen-
echtsorganisationen – stets kritisiert, dass die internatio-
ale OEF-Operation in Afghanistan massiv zivile Opfer
20156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
tingent beteiligten KSK-Kräfte seit mehreren Jahren
nicht eingesetzt wurden, wobei die Transparenz über ih-
ren Einsatz auch nicht zufriedenstellend gewährleistet
war. Deshalb begrüße ich die im veränderten Mandat
neu zu erkennende Haltung der Bundesregierung, die
diese Punkte im Wesentlichen aufnimmt.
Erstens hat die Bundesregierung die Kritik an der
Mandatsumsetzung im Hinblick auf die vielen zivilen
Opfer, die der Kampf für die „Operation dauerhafte Frei-
heit“ kostet, ernst genommen und dies in ihre Ein-
satzauflagen einbezogen. Dies muss weiterhin und ver-
stärkt geschehen. Die Bundesregierung muss zudem
weiter auf die USA einwirken, dass diese die Vermei-
dung von zivilen Opfern zur obersten Priorität in ihren
Einsätzen machen.
Zweitens hat die Bundesregierung die langjährige
Kritik bezüglich der 100 in Afghanistan stationierten
KSK-Soldaten anerkannt und zieht diese zugunsten ei-
nes verstärkten ISAF-Engagements – das einer starken
parlamentarischen und damit öffentlichen Kontrolle un-
terliegt – zurück. Dies unterstütze ich ausdrücklich. Die
militärische Option der Bekämpfung von Terroristen
kann nur eine von vielen sein. Im Sinne der Nachhaltig-
keit sind die Bekämpfung der existenziellen Not und der
Defizite in der Sicherheit im täglichen Leben und der
menschenrechtlichen Situation in Afghanistan mindes-
tens genauso wichtig. Deshalb freue ich mich über den
Abzug der KSK-Soldaten aus Afghanistan und begrüße
ausdrücklich den Richtungswechsel zu einer Verstär-
kung des ISAF-Engagements und die Aufstockung des
Entwicklungs- und Nothilfebudgets.
Die Bundesregierung, die deutschen Hilfsorganisatio-
nen und viele internationale Organisationen leisten in
Afghanistan gute Arbeit. Mit unserem Engagement in
Afghanistan haben wir uns selbst in die Verantwortung
genommen, in Afghanistan gemeinsam mit den Afgha-
ninnen und Afghanen und der internationalen Gemein-
schaft ein funktionierendes demokratisches Staatswesen
zu etablieren und daran zu arbeiten, dass Afghanistan in
der Zukunft in der Lage ist, die Bedürfnisse der afghani-
schen Bevölkerung selbst zu sichern. Dies ist ein lang-
wieriger Prozess, und trotz einiger Erfolge ist dieser bis-
her nicht frei von Enttäuschungen und Rückschlägen. In
vielen Regionen leben die Menschen weiterhin in abso-
luter Armut, die Sicherheitssituation verschlechtert sich
seit vielen Jahren, und die in der Verfassung erklärten
Menschenrechte sind in den größten Teilen des Landes
noch nicht zur Geltung gebracht worden.
Ich bin der Überzeugung, dass Deutschland genau in
diesem Bereich noch mehr tun muss. Frieden und Si-
cherheit müssen entwickelt werden, denn sonst lassen
sich Hunger und Armut nicht nachhaltig bekämpfen.
Wie kann es sein, dass nach sieben Jahren des internatio-
nalen Engagements Afghanistan immer noch zu den
ärmsten Ländern der Welt gehört und jeden Winter Hun-
gerkatastrophen drohen? Wir müssen die neuen politi-
schen Institutionen unterstützen und helfen, ihrem de-
mokratischen und menschenrechtspolitischen Gehalt zur
Realität zu verhelfen. Denn wie kann es sein, dass sich
in den neuen politischen Institutionen neben einigen De-
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okraten auch Protagonisten aus der Bürgerkriegszeit
nd Drogenbarone tummeln?
Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten.
och ich finde, über eines sollten wir uns stärker be-
usst werden: Die Entwicklung von Frieden, Armutsbe-
ämpfung und der Aufbau von Rechtstaatlichkeit und
emokratie können nur unzureichend von oben nach un-
en aufgebaut werden. Deshalb plädiere ich dafür, dass
ir in unsere Bemühungen die afghanische Bevölkerung
tärker einbeziehen. Wir müssen sie zu aktiven Partnern
nd Mitentscheidern beim Wiederaufbau ihres Landes
achen. Ich hoffe, die Bundesregierung wird diese Ein-
icht in ihrem zukünftigen Engagement noch stärker be-
ücksichtigen. Dafür werde ich mich weiterhin einset-
en.
Ich stimme aus den oben angeführten Gründen der
ortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
räfte zu. An meinen generellen Bedenken bezüglich der
erfassungs- und Völkerrechtsmäßigkeit des OEF-Man-
ates halte ich allerdings fest.
Lothar Mark (SPD): Nachdem das Bundeskabinett
uf Vorschlag des Außenministers die Beteiligung der
isherigen 100 Spezialkräfte (KSK-Truppen) in Afgha-
istan zurückgezogen hat, stimme ich, wenn auch
chweren Herzens, der Verlängerung des Mandats für
ie deutsche Beteiligung am OEF-Mandat zu. Damit be-
chränkt sich die deutsche Beteiligung an der internatio-
alen Terrorbekämpfung gegenwärtig auf eine Beteili-
ung an der maritimen Komponente am Horn von
frika. Im Rahmen des ISAF-Mandats wurden dagegen
usätzliche militärische Aufgaben übernommen, wes-
alb ich diesem nicht zustimmen konnte. Beide Mandate
assen sich nach wie vor schwer voneinander trennen,
uch wenn sich die Operationen nach Inhalt und Auftrag
es Mandats unterscheiden.
Trotz unseres Rückzugs der KSK-Truppen appelliere
ch an die Bundesregierung, die am OEF-Einsatz betei-
igten europäischen Partner dazu aufzufordern, sich ver-
tärkt an der Aufbauarbeit in Afghanistan zu beteiligen,
nd auch die Vereinigten Staaten unter der neuen Regie-
ung Obama dazu zu bringen, künftig hier den Schwer-
unkt zu setzen.
Nach wie vor bin ich der Meinung, dass kein glaub-
ürdiges und schlüssiges Gesamtkonzept für den Einsatz
n Afghanistan mit Chancen auf einen stufenweisen Aus-
tieg und einen sich selbst tragenden Friedensprozess er-
ennbar ist. Erst kürzlich hat der frühere Außenminister
oschka Fischer eine „klare Strategie“ der Vereinigten
taaten und der NATO angemahnt. Auch Altkanzler
erhard Schröder hat sich für die Festlegung eines Zeit-
unkts zum Rückzug der ausländischen Truppen aus Af-
hanistan ausgesprochen. Er dürfe nicht in 20 bis 30 Jah-
en liegen, sondern müsse in der kommenden Dekade
mgesetzt werden, so Schröder bei einem Podiumsge-
präch mit dem ehemaligen österreichischen Bundes-
anzler Franz Vranitzky. Schröder geht davon aus, dass
an mit dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20157
(A) )
(B) )
besser über dieses Thema sprechen könne als mit
George W. Bush.
Das OEF-Mandat des Bundestages umfasst auch die
deutsche Beteiligung an dem bündnisgemeinsamen Bei-
trag zur Unterstützung der USA im Rahmen des Art. 5
NATO-Vertrag, der Operation Active Endeavour (OAE).
OAE besteht aus Überwachungs- und Präsenzoperatio-
nen im gesamten Mittelmeer. Die deutsche Beteiligung
an OAE wurde erstmals im Jahr 2003 durch den Bundes-
tag mandatiert. Hintergrund hierfür waren Entscheidun-
gen des NATO-Rats, die den Einsatz fortentwickelten
und mit einem „robusteren“ Charakter versahen, wo-
durch die Schwelle zu einer Einbeziehung in eine be-
waffnete Unternehmung überschritten wurde. Gegen-
wärtig ist Deutschland an dem Einsatz mit einem U-Boot
beteiligt.
Die Operation Enduring Freedom wurde im An-
schluss an die Terrorangriffe des 11. September 2001 be-
gonnen, nachdem der VN-Sicherheitsrat in seiner Reso-
lution 1368 (2001) vom 12. September 2001 das
Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation bestätigt
und die NATO den Bündnisfall gemäß Art. 5 des NATO-
Vertrages festgestellt hatte. Nach mehr als sieben Jahren
frage nicht nur ich, sondern fragen auch Rechtsexperten,
ob die UN den Selbstverteidigungsfall der USA weiter-
hin feststellen darf und der Bündnisfall nach wie vor ge-
geben ist.
Wolfgang Spanier (SPD): Ich begrüße ausdrück-
lich, dass sich Deutschland zukünftig nicht mehr an der
OEF-Mission auf afghanischem Boden beteiligt. Auf die
Bereitstellung von 100 KSK-Spezialkräften wird ver-
zichtet.
Ich begrüße auch, dass die Obergrenze der einzuset-
zenden Soldatinnen und Soldaten von 1 400 auf 800 be-
grenzt wird.
Nachdrücklich unterstütze ich die grundsätzliche Ein-
stellung der Bundesregierung zur Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus: „Die Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus ist nicht primär eine militärische
Aufgabe. Die internationale Gemeinschaft darf in ihren
umfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung
der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Um-
stände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen,
nicht nachlassen.“
Nach wie vor bleibt aber ein wesentlicher Kritikpunkt
bestehen. Ich zweifle daran, dass der NATO-Bündnisfall,
auf dem der Einsatz beruht, noch gegeben ist. Ich bin
überzeugt, dass nach sieben Jahren eine Prüfung der völ-
kerrechtlichen Einsatzgrundlagen notwendig ist. In die-
ser entscheidenden Frage gibt es leider keinen Fort-
schritt.
Aus diesem Grund lehne ich nach wie vor die Fortset-
zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im
Rahmen von OEF ab.
Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich stimme dem Antrag
der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes zu.
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ch verbinde mit dieser Zustimmung die feste Erwar-
ung, dass die Bundesregierung bei der Ausführung des
andates nicht gegen das Völkerrecht verstößt, indem
ie die Verpflichtung zur Nothilfe unangemessen und
achfremd einengt.
Dies ist in der Vergangenheit dadurch geschehen, dass
ertreter der Bundesregierung die Ansicht geäußert ha-
en, die deutsche Marine dürfe dann nicht mehr eingrei-
en, wenn Piraten nach einem erfolgten Überfall mit dem
ekaperten Schiff und auf dem Schiff festgehaltenen
eiseln davonführen, da die Bedingung der Nothilfe
ann nicht mehr gegeben seien. So ist auch die Befehls-
age der deutschen Marine. Diese Einschränkung ist für
ich sachlich unzumutbar und rechtlich falsch. Die Ver-
flichtung zur Nothilfe besteht selbstverständlich so
ange, wie Personen in Not sind.
Ich werde bei der Umsetzung des Mandates sehr ge-
au beobachten, ob die Einsatzregeln sicherstellen, dass
undeswehrsoldaten nicht durch sachfremde Befehle
es Bundesministeriums der Verteidigung gezwungen
erden, in Extremfällen gegen das Völkerrecht zu ver-
toßen.
Lydia Westrich (SPD): Ich stimme – wie bereits im
ergangenen Jahr – gegen die weitere Verlängerung des
andates der Operation Enduring Freedom (OEF). Als
ntwort auf die schrecklichen Ereignisse des 11. Sep-
ember 2001 war der OEF-Einsatz von großer Bedeu-
ung. Seiner Zielsetzung, „Führungs- und Ausbildungs-
inrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen
u bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu
tellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung ter-
oristischer Aktivitäten abzuhalten“ (Bundestagsdruck-
ache 14/7296, 7. November 2001), ist er bis 2006 auch
u einem guten Teil gerecht geworden. So wurden die
ückzugsgebiete der Taliban- und al-Qaida-Kämpfer
rfolgreich eingeschränkt, ihre Ausbildungslager ausge-
oben und damit Afghanistan wesentlich sicherer ge-
acht.
Völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz war
as Recht zur individuellen und kollektiven Selbstvertei-
igung nach Art. 51 der UN-Charta. Nach Art. 51 der
N-Charta darf dieses Selbstverteidigungsrecht aber nur
o lange dauern, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung
es Weitfriedens und der internationalen Sicherheit er-
orderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Ob das Selbst-
erteidigungsrecht, welches ohne UN-Mandat angewen-
et werden kann, auch nach nunmehr sieben Jahren
augliche Grundlage für den OEF-Einsatz sein kann, ist
ehr denn je fragwürdig. Ein dauerndes Berufen auf das
elbstverteidigungsrecht würde bedeuten, das zentrale
ewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen zu ent-
erten – ein Vorgang, der von anderen Staaten dann zu-
ünftig als Präzedenzfall genutzt werden könnte. Dies
arf uns nicht Recht sein!
Erschwerend kommt hinzu, auch hieran hat sich im
ergangenen Jahr nichts geändert, dass mit der Interna-
ionalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) seit
001 eine von den Vereinten Nationen mandatierte Ope-
20158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
ration besteht, deren Einsatzgebiet im Laufe der Jahre
immer weiter ausgeweitet wurde. Mittlerweile umfasst
das Einsatzgebiet von ISAF ganz Afghanistan, sodass
sich die Operationsgebiete von ISAF und OEF über-
schneiden. Dies wiederum führt dazu, dass militärische
Handlungen der OEF innerhalb der afghanischen Bevöl-
kerung vermehrt der ISAF zugeschrieben werden. Da
das Auftreten und die Operationsweisen der OEF oft-
mals – gelinde gesagt – wenig gedeihlich sind, um für
Vertrauen in der afghanischen Bevölkerung zu werben,
werden deshalb auch immer häufiger beide Operationen
als Besatzungstruppen wahrgenommen. Die unbestreit-
baren Erfolge von ISAF werden damit zunichte gemacht
und die deutschen Truppenkontingente innerhalb des
ISAF unnötig in Gefahr gebracht. Dies zeigen nicht zu-
letzt die zahlreichen Anschläge auch gegen deutsche
ISAF-Truppen im vergangenen Jahr.
All diese Gründe führen mich zu der Erkenntnis, dass
wir uns auf unser ISAF-Engagement konzentrieren soll-
ten und uns dafür stark machen müssen, dass OEF ent-
weder beendet oder zumindest in die ISAF eingegliedert
wird. Damit wäre letztlich auch die Gefahr der miss-
bräuchlichen Verwendung der Erkenntnisse aus Tor-
nado-Aufklärungsflügen gebannt. Denn derzeit ist es
nicht auszuschließen, dass die Daten mandatswidrig
auch für OEF-Einsätze genutzt werden.
Anlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes über die Über-
führung der Anteilsrechte an der Volkswagen-
werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in
private Hand (Tagesordnungspunkt 29)
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Dem vorliegenden
Gesetzentwurf zur Änderung des VW-Gesetzes stimme
ich aufgrund europarechtlicher und grundsätzlich ord-
nungspolitischer Bedenken nicht zu. Mit dem Urteil vom
23. Oktober 2007 hat der EuGH das bisherige VW-Ge-
setz für unvereinbar mit dem Grundsatz der Kapitalver-
kehrsfreiheit (Art. 56 EGV) erklärt. Das nun vorliegende
Gesetz geht zwar in Teilbereichen auf das EuGH-Urteil
ein, räumt aber die grundsätzlichen Bedenken nicht aus.
Die Beibehaltung der Sperrminorität von 20 Prozent soll
gezielt einem bestehenden Anteilseigner Sonderrechte
einräumen. Dies ist meiner Auffassung nach weder mit
dem EuGH-Urteil vereinbar noch ist es wirtschafts- und
ordnungspolitisch zu begründen.
Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik Deutsch-
land vor dem EuGH und damit einhergehende Strafzah-
lungen der EU sind zwangsläufig zu erwarten und wür-
den Deutschland nachhaltig schaden. Darüber hinaus ist
es nicht nachzuvollziehen, warum die Volkswagen AG
weiterhin einen gesetzlichen Sonderstatus erhalten soll.
Aufgrund meiner Bedenken lehne ich den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset-
zes daher ab und stimme mit Nein.
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Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit Urteil vom
3. Oktober 2007 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH)
rei wesentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes
ür unvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfrei-
eit) erklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt
war die Vorschriften zum Entsenderecht in den Auf-
ichtsrat und zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die
benfalls als Kapitalverkehr beschränkend beurteilte
perrminorität soll jedoch weiter Bestand haben. Die
ichtweise, der EuGH habe alle drei Bestandteile des
W-Gesetzes nur im Zusammenwirken mit Art. 56 EGV
ls unvereinbar erklärt, findet meiner Auffassung nach
eine Stütze in dem Urteil. Eine erneute Niederlage der
undesrepublik Deutschland vor dem EuGH ist viel-
ehr – ohne dem Europäischen Gerichtshof vorgreifen
u wollen – angesichts der umfangreichen Spruchpraxis
es EuGH zu den sogenannten goldenen Aktien der öf-
entlichen Hand absehbar.
Die soziale Marktwirtschaft – unsere bewährte Wirt-
chaftsordnung – gründet auf fairem Wettbewerb. Dieser
ettbewerb beruht auch darauf, dass für alle Wettbewer-
er dieselben Rahmenbedingungen gelten. Vor diesem
intergrund ist es für mich nicht nachvollziehbar, wa-
um für Volkswagen nicht dieselben rechtlichen Rege-
ungen gelten sollten, an die sich auch alle anderen Mit-
ewerber zu halten haben. Meines Erachtens ist es
rdnungspolitisch verfehlt und wirtschaftspolitisch frag-
ürdig, an Sonderregelungen für Volkswagen noch län-
er festzuhalten. Daher lehne ich den Gesetzentwurf der
undesregierung zur Änderung des VW-Gesetzes ab
nd stimme mit Nein.
Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Dem Gesetzent-
urf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset-
es stimme ich nur unter schwersten europarechtlichen
nd europapolitischen Bedenken zu. Gleichzeitig stelle
ch mein Votum unter die Maßgabe, dass die Bundesre-
ierung im Falle einer erneuten Klageerhebung seitens
er Europäischen Kommission vor dem EuGH zur Ab-
endung der dann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
u erwartenden Strafzahlungen erneut gesetzgeberisch
nitiativ wird.
Mit Urteil vom 23. Oktober 2007 hat der EuGH drei
esentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes für
nvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfreiheit)
rklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt zwar
ie Vorschriften zum Entsenderecht in den Aufsichtsrat
nd zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die ebenfalls als
apitalverkehr beschränkend beurteilte Sperrminorität
oll jedoch weiter Bestand haben. Die Sichtweise, der
uGH habe alle drei Bestandteile des VW-Gesetzes nur
m Zusammenwirken als mit Art. 56 EGV unvereinbar
rklärt, findet meiner Auffassung nach keine Stütze in
em Urteil. Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik
eutschland vor dem EuGH ist vielmehr angesichts der
mfangreichen Spruchpraxis des EuGH zu den soge-
annten „goldenen Aktien“ der öffentlichen Hand abseh-
ar.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20159
(A) )
(B) )
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Peter Albach, Manfred
Grund, Christian Hirte, Antje Tillmann und
Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/CSU) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes
für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-
punkt 35)
Die Lkw-Mauterhöhung darf nicht mit einer zusätzli-
chen und damit wettbewerbsverzerrenden Belastung
oder gar Insolvenzgefährdung für das Straßengüterver-
kehrsgewerbe verbunden sein. Die gestiegenen Energie-
preise sowie verschärfte Sozialvorschriften bedeuten
eine enorme Belastung für die Transportunternehmen.
Hinzu kommt die unsichere wirtschaftliche Gesamtlage.
Es gilt jetzt, die rechtlichen Möglichkeiten von Steu-
ersenkungen und anderen Kostenerleichterungen für das
Transport- und Verkehrsgewerbe zu prüfen.
Darüber hinaus sind die Investitionen des Bundes in
die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraßen zu
erhöhen. Entsprechend den Regelungen des Auto-
bahnmautgesetzes sind die Mauteinnahmen für die Ver-
kehrsinfrastruktur sowie für Harmonisierungsleistungen
zugunsten des Güterkraftverkehrsgewerbes einzusetzen.
Anlage 8
Erklärung
des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesbesoldungsgesetzes (186. Sitzung, Tages-
ordnungspunkt 8 c)
Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, dass unser Votum „Nein“ lautet.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur
Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
und der Außenwirtschaftsverordnung
– Antrag: Rückbesinnung auf die soziale
Marktwirtschaft – Die europäische Alterna-
tive zu Wirtschaftsprotektionismus und
Ausländerdiskriminierung
(186. Sitzung, Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie: Deutsch-
land profitiert von offenen Märkten und hat ein großes
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nteresse, günstige Rahmenbedingungen für ausländi-
che Investoren zu schaffen. Dies ist ein traditioneller
rundsatz unserer Wirtschaftspolitik. Der wirtschaftli-
he Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg
st nicht zuletzt der Offenheit unseres Investitionsstand-
rts zu verdanken. Wir haben deshalb zusammen mit den
nderen G-8-Staaten auf dem Heiligendamm-Gipfel
ochmals die Bedeutung eines offenen Investitionskli-
as unterstrichen. Dieser Grundsatz ist und bleibt Richt-
chnur für das Handeln der Bundesregierung.
Vor diesem Hintergrund wird häufig die Frage ge-
tellt: Wie sind diese Grundsätze mit der geplanten No-
ellierung des Außenwirtschaftsrechts vereinbar? Und
ie ist die Gesetzesinitiative mit der aktuellen Finanz-
rise vereinbar, in der Unternehmen mehr denn je auf
apital angewiesen sind? Wir bewegen uns in der Tat
ier in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen
nserem Interesse an einem liberalen Investitionsregime
nd der Pflicht des Staates, die öffentliche Ordnung und
icherheit zu schützen. Diese Pflicht besteht auch mit
lick auf ausländische Direktinvestitionen. Aufgabe des
taates ist es, eine angemessene Balance zwischen die-
en Interessen zu finden. Wenn die öffentliche Ordnung
nd Sicherheit zu schützen sind, dann muss der Staat
uch mögliche Risiken identifizieren und ein Schutz-
nstrument bereithalten, um darauf reagieren zu können.
aran ändert auch die Finanzkrise nichts.
Mit Blick auf die Finanzkrise ist es aber unser aller
ufgabe, gegenüber ausländischen Investoren den be-
chränkten Anwendungsbereich des Gesetzes zu ver-
eutlichen: Das Kriterium für eine Prüfung, die Gefähr-
ung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, ist an
trenge Voraussetzungen geknüpft: Notwendig ist, dass
ie Investition ein Grundinteresse der Gesellschaft als
anzes gefährden könnte. Dies ist bei Investitionen in
inzelne Unternehmen nur in seltenen Einzelfällen denk-
ar. Wir haben uns bewusst für diesen zurückhaltenden
nsatz entschieden, um die gebotene Ausgewogenheit
wischen notwendigen staatlichen Interventionen und
en freien Kräften der Wirtschaft herzustellen.
Ich möchte zudem klarstellen: Die Möglichkeit, aus-
ändische Investitionen zu prüfen, bildet kein Instrument
er Industriepolitik. Dies ist uns durch die europarechtli-
hen Vorgaben zu Recht untersagt. Der Europäische Ge-
ichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass
irtschaftspolitische Ziele, etwa die Stärkung des natio-
alen Unternehmertums, nicht unter dem Vorwand des
chutzes der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit be-
ründet werden können. Hinzu kommt: Die europarecht-
ichen Anforderungen an das Verfahren für Prüfungen
ind – zu Recht – hoch. Der Bundesregierung waren da-
er bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs enge
renzen gesetzt.
Im Einzelnen sieht unser Gesetzentwurf Folgendes
or. Einer Prüfung unterliegen grundsätzlich nur Inves-
oren mit Sitz außerhalb der EU. Voraussetzung für jede
rüfung ist, dass der ausländische Erwerber durch den
rwerb mindestens 25 Prozent der Stimmrechte des
eutschen Unternehmens erlangt. Um Umgehungsge-
chäfte zu vermeiden, können Investoren mit Sitz in der
20160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
EU dann geprüft werden, wenn ein Anteilseigner mit
Sitz außerhalb der EU 25 Prozent der Stimmrechte an
dem EU-Investor hält. Investoren aus den Mitgliedstaa-
ten der EFTA werden wie Investoren aus den EU-Mit-
gliedstaaten behandelt.
Das Erfordernis, dass 25 Prozent der Anteile an dem
deutschen Unternehmen erworben werden müssen, stellt
eine hohe Hürde für eine Prüfung dar. Marktwirtschaft-
lich agierende Investoren diversifizieren ihr Portfolio.
So zeigt etwa die Praxis großer Staatsfonds, dass diese in
der Regel in geringem Umfang in einzelne Unternehmen
investieren. Staatsfonds sind und bleiben in Deutschland
hochwillkommen. Wir haben über Jahrzehnte gute Er-
fahrungen mit Staatsfonds gemacht.
Weil der Anwendungsbereich des Gesetzentwurfs
hinsichtlich der erfassten Investoren und des Schwellen-
werts für die zu prüfenden Investitionen beschränkt ist,
haben wir auf die Benennung bestimmter Sektoren ver-
zichtet. Sicherheitsrelevante Transaktionen sind nicht
auf bestimmte Wirtschaftszweige begrenzt. Zudem
müsste ein sektorbezogenes Gesetz häufig an technolo-
gische Weiterentwicklungen angepasst werden. Die Zu-
kunftsbranchen von heute, etwa die Gen- und Biotech-
nologie, steckten vor 20 Jahren zum Teil noch in den
Kinderschuhen oder existierten noch gar nicht, wie zum
Beispiel die Internetwirtschaft.
Das Gesetz vermeidet bürokratische Belastungen für
Investoren. Eine Genehmigungs- oder Anmeldepflicht
ist nicht vorgesehen. Vielmehr können Investitionen nur
innerhalb kurzer Fristen auf Initiative des Bundesminis-
teriums für Wirtschaft und Technologie geprüft werden.
Wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-
nologie innerhalb von drei Monaten nach dem Erwerb
keine Prüfung einleitet, hat der Erwerb Bestand. Wenn
das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
den Erwerb prüft, muss es binnen zwei Monaten nach
Übermittlung der relevanten Unterlagen über eine Unter-
sagung oder Anordnung entscheiden, die der Zustim-
mung des gesamten Kabinetts bedarf. Eine Untersagung
kommt nur in Betracht, wenn die Gefährdung nicht
durch Auflagen zum Erwerb beseitigt werden kann.
Nach Ablauf der Fristen ist eine Prüfung der Investition
ausgeschlossen. Durch die kurzen Fristen wird ein hohes
Maß an Rechts- und Planungssicherheit für Unterneh-
men und Investoren erreicht.
Investoren sind aber nicht darauf angewiesen, abzu-
warten, ob ein Prüfverfahren eröffnet wird. Sie können
sich vielmehr bereits im Vorfeld des Erwerbs vom Bun-
desministerium für Wirtschaft und Technologie eine ver-
bindliche Stellungnahme zur Unbedenklichkeit des Er-
werbs geben lassen.
Der Gesetzentwurf enthält mithin hohe inhaltliche
und verfahrensmäßige Hürden für die Überprüfung von
Investitionsentscheidungen. Darüber hinaus werden wir
bei der Anwendung der Bestimmungen sicherstellen,
dass die Investitionsfreiheit gewahrt wird und Deutsch-
land ein hervorragender Investitionsstandort bleibt.
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nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Die Schaffung einer
Individualbeschwerde im Rahmen des Überein-
kommens über die Rechte des Kindes (Tages-
ordnungspunkt 24)
Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ein Meilenstein in
er Geschichte der Kinderrechte war es, als vor über
6 Jahren am 5. April 1992 das Übereinkommen über
ie Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention,
om 20. November 1989 in Kraft trat. Erstmals wurden
amals verschiedene völkerrechtlich verbindliche
echte formuliert. Sie beziehen sich auf das persönliche,
olitische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben
er Kinder. Ausdruck finden sie in der Festschreibung
on Mindestanforderungen an die Versorgung, den
chutz und die Beteiligung von Kindern am gesell-
chaftlichen Leben.
Die Bedeutung dieser UN-Kinderrechtskonvention
teht außer Frage und ist allen bekannt. Auch in
eutschland wurde die Kinderpolitik dadurch wesent-
ich gestärkt. Die Ratifizierung durch die Bundesrepu-
lik im Jahr 1992 geschah mit der Hinterlegung einer
rklärung, die unter anderem besagt, dass keine Bestim-
ung der UN-Kinderrechtskonvention so ausgelegt wer-
en kann, dass sie das Recht der Bundesrepublik
eutschland beschränkt, Gesetze über die Einreise von
usländern und die Bedingung ihres Aufenthaltes zu er-
assen. Die Länder waren damals nur unter der Bedin-
ung, dass die deutsche Erklärung zur UN-Kinderrechts-
onvention abgegeben wurde, mit der Ratifizierung
inverstanden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-
raktion, Sie haben einen Antrag gestellt zur Schaffung
ines Individualbeschwerderechts im Rahmen der Kin-
errechtskonvention. In gleicher Weise wird dies auch
on nationalen und internationalen Menschenrechts- und
inderrechtsorganisationen gefordert. Durch ein Indivi-
ualbeschwerderecht soll Kindern und Jugendlichen die
öglichkeit gegeben werden, sich direkt beim UN-Aus-
chuss zu beschweren, wenn ihre Rechte verletzt wurden
der werden. Zweifelsohne würde die Einrichtung eines
ndividualbeschwerdeverfahrens die Durchsetzbarkeit
er persönlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozia-
en Rechte Minderjähriger stärken. Klingt gut, zumin-
est rein theoretisch.
Die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskon-
ention, die in den vergangenen Jahren mehrfach Gegen-
tand parlamentarischer Beratungen sowie Kleiner und
roßer Anfragen war, besteht nach wie vor. Die Länder
ind mit einer Rücknahme nach wie vor nicht einverstan-
en. Dieser Aspekt darf nicht übergangen werden. Eine
ücknahme der Erklärung gegen den Willen der Länder
st in keiner Weise ratsam und sinnvoll.
Ich weiß, dass das Argument des Widerstandes der
änder von Kolleginnen und Kollegen anderer Parteien
ielfach als Ausrede interpretiert wird. Es ist jedoch
akt, dass die Bundesländer mehrheitlich gegen eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20161
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(B) )
Rücknahme der Erklärung sind. Die Länder sehen die
Gefahr, dass eine Rücknahme zu Rechtsunsicherheiten
bei der Anwendung des nationalen Aufenthalts- und
Asylrechts führen würde. Darüber hinaus bestehen Be-
denken, dass es zu einem Anstieg der Einreise unbeglei-
teter minderjähriger Ausländer nach Deutschland kom-
men könnte.
Im Übrigen sollte die Sachlage mit weniger Dramatik
behaftet werden, als dies bisweilen geschieht. Das Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht
nicht leichtfertig mit Asylanträgen unbegleiteter Minder-
jähriger um. Sonderbeauftragte Asylsachbearbeiter mit
besonderen rechtlichen und psychologischen Schulun-
gen berücksichtigen unter anderem die speziellen Be-
dürfnisse der Minderjährigen, ihren Entwicklungsstand
sowie die kulturellen Hintergründe. Die asylverfahrens-
rechtliche Anhörung Minderjähriger wird weniger for-
mal durchgeführt als bei Volljährigen. Die Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen sind dabei sehr um Einfühlsamkeit
bemüht. Unbegleiteten Minderjährigen unter 16 Jahren
wird zur Durchführung des Asyl- und des aufenthalts-
rechtlichen Verfahrens vom Vormundschaftsgericht ein
Pfleger bestimmt, der die Interessen des Minderjährigen
und die Stelle der abwesenden Eltern wahrnimmt. Über
das Asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren hinaus
trifft das Jugendamt bei unbegleiteten Minderjährigen
geeignete erziehungsrechtliche Maßnahmen. Dabei orien-
tiert es sich an dem deutschen Kinder- und Jugendhilfe-
recht. Dies sind nur einige Beispiele.
An dieser Stelle muss ganz klar hervorgehoben wer-
den, dass sich das deutsche Recht im Einklang mit der
UN-Kinderrechtskonvention befindet. Aus diesem
Grund werden Verstöße bereits in den Verfahren vor den
deutschen Gerichten geahndet. Dies macht ein weiteres
Verfahren vor den UN-Gremien nicht zwingend notwen-
dig.
Grundsätzlich halte ich – und dies ist auch Meinung
der Bundesregierung – ein Individualbeschwerderecht
für geeignet, Rechtsstellungen und Rechtsbewusstsein
der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der Ver-
tragsstaaten zur Umsetzung ihrer Vertragspflicht zu för-
dern. Ohne Zweifel ist ein derartiges Beschwerdeverfah-
ren ein wichtiges Instrument des internationalen
Menschenrechtsschutzes. Die Rechte der Kinder sind zu
stärken, darin sind wir uns alle einig. Da jedoch das
deutsche Recht in Einklang mit der Kinderrechtskonven-
tion steht, besteht meines Erachtens keine Dringlichkeit,
sich über die Position der Bundesländer hinwegzusetzen.
Die aktuelle Arbeit, die vor Ort in den Ländern und
Kommunen geleistet wird, zeigt eine gute Umsetzung
der Grundsätze sowie der Ideale der UN-Kinderrechts-
konvention.
Ich halte es dennoch für ratsam, bezüglich der Schaf-
fung einer Individualbeschwerde in Kontakt mit den
Ländern zu bleiben. Ich spreche mich deshalb für eine
Überweisung federführend an den Ausschuss für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend aus.
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Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Recht ha-
en alleine reicht nicht aus – Rechte müssen auch durch-
etzbar sein. Um die Kinderrechte weiter zu stärken,
äre die Einführung eines Individualbeschwerderechtes
ür die UN-Kinderrechtskonvention ein wichtiger Bau-
tein.
Im Unterschied zu fünf anderen Menschenrechtsab-
ommen verfügt die UN-Kinderrechtskonvention bis-
ang nicht über ein Individualbeschwerdeverfahren. Was
enau ist das Individualbeschwererecht? In einem sol-
hen Beschwerdeverfahren könnte sich im Falle einer
enschenrechtsverletzung ein Kind selbst oder eine Per-
on in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechte
es Kindes der Vereinten Nationen wenden, der diese
ann untersucht. Die Entscheidung des Ausschusses
äre rechtlich zwar nicht bindend. Dennoch könnte er
uf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfalls
ine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationa-
en Beschwerdemechanismen muss vorher der inner-
taatliche Rechtsweg ausgeschöpft sein.
Die Einführung dieses Instrumentes wäre weltweit
in wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Be-
chwerderecht würde dazu führen, dass die Vertragsstaa-
en ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konven-
ion anerkannten Kinderrechten anpassen und auf deren
inhaltung achten. Die Überwachungsmechanismen
ind derzeit zu schwach, sodass die Verletzung der Kin-
errechte in vielen Vertragsstaaten folgenlos bleibt.
Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
ugend, das Ministerium der Justiz und das Auswärtige
mt sind derzeit in einem Abstimmungsprozess, wie
em Anliegen am sinnvollsten entsprochen werden
ann. Ich bin jedoch zuversichtlich, was die weitere Ent-
icklung angeht, heißt es doch bereits 2005 im vom Mi-
isterium publizierten Nationalen Aktionsplan „Für ein
indergerechtes Deutschland 2005 bis 2010“:
Ein Individualbeschwerderecht ist grundsätzlich
geeignet, Rechtsstellung und Rechtsbewusstsein
der betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der
Vertragsstaaten zur Implementierung ihrer Ver-
pflichtungen zu fördern. Die Bundesregierung wird
die mögliche Einführung eingehend prüfen.
Zudem gibt es bereits ein Individualbeschwerderecht
n fünf anderen Menschenrechtsabkommen, nämlich in
em Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
echte – UN-Zivilpakt, Pakt II –; dem Übereinkommen
egen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
rniedrigende Behandlung oder Strafe; dem Internatio-
alen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
assendiskriminierung, in der Internationalen Konven-
ion zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer
nd ihren Familienangehörigen; dem Übereinkommen
ur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der
rau sowie in der Konvention über die Rechte von Men-
chen mit Behinderungen – dies teilweise über ein Fa-
ultativprotokoll.
Für die Einführung eines Beschwerdeverfahrens ist
er Beschluss der UN-Vollversammlung über einen zu-
20162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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(B) )
sätzlichen Vertrag zu der Kinderrechtskonvention erfor-
derlich. Das Verfahren kann durch Einbringen eines Ent-
wurfes von einer Staatengruppe auf den Weg gebracht
werden. Der Entwurf müsste die zuständigen Gremien
durchlaufen und wäre dann der UN-Vollversammlung
vorzulegen. Diese würde gegebenenfalls ein Zusatzpro-
tokoll beschließen, das daraufhin von den Mitgliedstaa-
ten ratifiziert werden müsste. Es tritt in Kraft, wenn 20
– manchmal 30 – Staaten ihre Ratifikationsurkunde hin-
terlegt haben.
Ein erster Schritt wäre die Einsetzung einer Arbeits-
gruppe bei dem UN-Menschenrechtsrat, die den Text zu
einem Individualbeschwerdeverfahren zur Kinderrechts-
konvention in einem Zusatzprotokoll ausarbeiten würde.
Um das Beschwerderecht auf den Weg zu bringen, muss
also diese Arbeitsgruppe beim UN-Menschenrechtsrat
eingesetzt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf,
sich für eine solche Arbeitsgruppe einzusetzen.
Die SPD-Bundestagsfraktion engagiert sich seit lan-
gem für die Stärkung der Kinderrechte. So fordert sie die
Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder-
rechtskonvention sowie die Verankerung der Kinder-
rechte im Grundgesetz. Unsere Bemühungen sind leider
bislang am Widerstand der Union gescheitert. Zum Jah-
restag der UN-Kinderrechtskonvention am 20. Novem-
ber, die Deutschland 1992 ratifiziert hat, stünde es uns
allen parteiübergreifend gut zu Gesicht, alles in unserer
Macht Stehende zu tun, um die Kinderrechte in unserem
Land und weltweit zu stärken. Ein Individualbeschwer-
deverfahren zur UN-Kinderrechtskonvention ist hier für
mich neben der Rücknahme der Vorbehalte zur Konven-
tion sowie der Verankerung der Kinderrechte im Grund-
gesetz ein weiterer Baustein einer Politik, die Kinder
und ihre Rechte ernst nimmt.
Miriam Gruß (FDP): Kinderpolitik muss als ein ei-
genständiger Bereich der Politik und nicht nur als Teil
der Familienpolitik verstanden werden. Die Kinder- und
Jugendpolitik berührt den Aufgabenbereich der ver-
schiedensten Entscheidungsträger auf regionaler, überre-
gionaler, europäischer und internationaler Perspektive.
Wir müssen uns bei allen Entscheidungen fragen, welche
Wirkungen sie für die jungen Menschen von heute und
morgen haben. Kinder und Jugendliche sind ein wichti-
ger Teil der Gegenwart, und sie sind die Zukunft der Ge-
sellschaft. Es ist daher im Interesse der Staaten, kinder-
freundliche Strukturen zu schaffen und zu fördern und
damit den Bedürfnissen von Kindern in allen Lebensbe-
reichen besondere Bedeutung und Beachtung beizumes-
sen.
Mehr und mehr begreifen wir, dass Kinder keine klei-
nen Erwachsenen sind, sondern ureigenste Bedürfnisse,
Rechte und Pflichten haben und auch einer besonderen
Förderung bedürfen, um sich zu einer eigenständigen
Persönlichkeit zu entwickeln. Eine stärkere Beachtung
von Kinderrechten könnte dazu führen, dass in allen Be-
reichen – insbesondere bei Schutz-, Förder- und Partizi-
pationsrechten – kindgerechte Lebensverhältnisse ge-
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chaffen werden. Denn Kinder müssen und sollen ernst
enommen werden.
Am 5. April 1992 trat für die Bundesrepublik
eutschland das Übereinkommen über die Rechte des
indes in Kraft. Das Übereinkommen, die UN-Kinder-
echtskonvention, gilt als ein Wegweiser für die Schaf-
ung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Mit diesem
bereinkommen wurden erstmals völkerrechtlich ver-
indlich persönliche, politische, wirtschaftliche und kul-
urelle Rechte von Kindern formuliert, die ihren Aus-
ruck in der Festschreibung von Mindestanforderungen
n die Versorgung, den Schutz und die Beteiligung von
indern am gesellschaftlichen Leben finden.
Mit dieser Konvention sind Kinder Inhaber von Rech-
en und Freiheiten, das heißt nicht mehr Objekte des in-
ernationalen Rechts, sondern Rechtssubjekte, deren be-
ondere Schutzbedürftigkeit betont wird; das in Art. 3
er Konvention niedergelegte Prinzip des Kindeswohls
urchzieht das gesamte Abkommen. 193 Staaten haben
ieses Übereinkommen ratifiziert.
Eine Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der in den
enschenrechtsverträgen eingegangenen Verpflichtun-
en erfolgt zunächst über die anlassunabhängige Kon-
rolle im Rahmen von Staatenberichtsverfahren. Die
taaten reichen nach der UN-Kinderrechtskonvention
eim Ausschuss über die Rechte des Kindes Berichte
ber Maßnahmen ein, die sie zur Verwirklichung der im
bereinkommen genannten Rechte getroffen haben, so-
ie über Fortschritte, die dabei erzielt wurden. Die Staa-
en sorgen für eine Verbreitung der Berichte im eigenen
taat.
Erweitert wurde das System der Staatenberichte bei
nderen Menschenrechtsinstrumenten vielfach durch In-
ividualbeschwerdeverfahren. Diese sorgen dafür, dass
ine Menschenrechtsverletzung im Einzelfall erkannt,
enannt, beseitigt und wiedergutgemacht wird. Darüber
inaus dienen sie als Orientierungspunkte für eine men-
chenrechtskonforme Ausgestaltung nationaler Rechts-
rdnungen. Sie können als Instrument des internationa-
en Menschenrechtsschutzes einen wichtigen Beitrag zur
erwirklichung der Menschenrechte leisten.
Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben einzelne
ersonen bislang keine Möglichkeit, sich im Rahmen ei-
es Individualbeschwerdeverfahrens direkt an diesen
usschuss zu wenden, obwohl andere Menschenrechts-
nstrumente wie etwa der Internationale Pakt über bür-
erliche und politische Rechte, das Übereinkommen ge-
en Folter und andere grausame unmenschliche oder
rniedrigende Behandlung oder Strafe, das Internatio-
ale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
assendiskriminierung, die Internationale Konvention
um Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und
hrer Familienangehörigen und das Übereinkommen zur
eseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau
ie auch die Konvention über die Rechte von Menschen
it Behinderungen bzw. deren Fakultativprotokolle dies
urchaus vorsehen und im Rahmen der Europäischen
enschenrechtskonvention (EMRK) sogar ein echtes
erichtliches Verfahren geschaffen wurde.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20163
(A) )
(B) )
Die Individualbeschwerde würde zu mehr Kinder-
freundlichkeit beitragen. Mehr als drei Viertel aller El-
tern in Deutschland wünschen sich nach einer Umfrage
eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Eine Individual-
beschwerde würde dazu beitragen, die Umsetzbarkeit
der UN-Kinderrechtskonvention zu verbessern, und
wäre damit eine Ergänzung der existierenden Berichts-
pflicht.
Eine Individualbeschwerde würde ferner dazu beitra-
gen, die Kinder als vollberechtigte Inhaber von Rechten
anzuerkennen und zu stärken. Mit der Individualbe-
schwerde hätten Kinder das Recht, sich gegen eine Ver-
letzung ihrer Rechte zu wehren. Die Vertragsstaaten
würden stärker als bisher in die Rechenschaftspflicht ge-
nommen.
Im Nationalen Aktionsplan „Für ein kindgerechtes
Deutschland 2005 – 2010“ der Bundesregierung wird
ausgeführt, dass ein Individualbeschwerderecht grund-
sätzlich geeignet ist, Rechtsstellung und Rechtsbewusst-
sein der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft zur
Implementierung ihrer Verpflichtungen zu fördern. Die
Bundesregierung werde die mögliche Einführung einge-
hend prüfen. Das Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend hat darüber hinaus eine Reihe
verschiedener Initiativen ergriffen, um Kinder und Ju-
gendliche, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und
Lehrer sowie die Eltern über Kinderrechte zu informie-
ren.
Der bevorstehende Weltkindertag am 20. November
– Deutschland entschied sich für den 20. September als
deutschen Kindertag – wie auch das Internationale Jahr
des Menschenrechtslernens wären ein guter Zeitpunkt,
um einen Schritt in Richtung einer Individualbe-
schwerde voranzugehen. Ich plädiere deshalb dafür, dass
wir uns gemeinsam für ein Individualbeschwerderecht
im Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention einsetzen –
ein längst überfälliger Schritt auf dem Weg zu Stärkung
der Kinderfreundlichkeit in Deutschland.
Diana Golze (DIE LINKE): Vor 16 Jahren hat die
Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskon-
vention ratifiziert und damit einen wichtigen und zu-
gleich besonderen Menschenrechtsvertrag mitgezeich-
net. Das Besondere an der Kinderrechtskonvention ist,
dass sie der einzige Menschenrechtsvertrag mit einer Be-
richtspflicht ohne ergänzendes Beschwerdeverfahren ist.
Dass das nun geändert werden soll, erscheint auch der
Linken folgerichtig.
Denn glaubt man den Grußworten außerhalb des Par-
lamentes und den großen Reden hier im Plenum, so ist es
hier allseits anerkannt, dass Kinder und Jugendliche als
eine Bevölkerungsgruppe angesehen werden, die zu den
schutzbedürftigsten Menschengruppen der Gesellschaft
gezählt werden. Auch aus diesem Grund unterstützen
wir das Vorhaben, die Kinderrechte durch die Möglich-
keit der individuellen Beschwerde mit anderen Men-
schenrechten gleichzustellen. Auch teilen wir die Auf-
fassung vieler Kinderrechtsorganisationen, dass dieses
Instrument ein wichtiges ist, um internationalen Druck
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u erzeugen, wenn es um die Verwirklichung und die
inhaltung der Kinderrechte geht.
Gerade in den vergangenen Wochen wurde durch den
ildungsgipfel oder auch durch die Vorstöße einiger
erbände zur Bekämpfung der Kinderarmut sehr oft her-
orgehoben, dass Kinder eine Gruppe in unserer Gesell-
chaft bilden, deren besondere Ansprüche auch beson-
ere Aufmerksamkeit im politischen Handeln benötigen.
n solchen Debatten höre ich oft auch von Kolleginnen
nd Kollegen aus anderen Parteien, dass Kinder eine ei-
enständige Bevölkerungsgruppe sind. Indem Sie, sehr
eehrte Kolleginnen und Kollegen, sich für ein Indivi-
ualbeschwerderecht einsetzen und die Bundesregierung
uffordern, ein solches Fakultativprotokoll mitzuzeich-
en, könnten Sie dieser Feststellung einen greifbaren
nd realen Hintergrund geben und somit dazu beitragen,
ass Kinder in ihrer Stellung als vollberechtigte Inhaber
on Rechten anerkannt sind.
Auch wenn die Bundesrepublik auf internationalem
arkett zur Umsetzung von Kinderrechten beiträgt,
leibt bei dieser Debatte, deren Beginn ich nochmals
achdrücklich gutheißen möchte, ein fader Beige-
chmack: Obwohl die Bundesregierung seit 1992 zu den
93 Staaten gehört, die die UN-Kinderrechtskonvention
atifiziert haben, sind diese Kinderrechte in einem Land
itten in Europa, das für sich beansprucht, zu den wich-
igsten Industrieländern zu gehören, immer noch nicht
ollständig anerkannt. Auch 16 Jahre später sind die bei
er Ratifizierung formulierten Vorbehalte nicht vollstän-
ig aufgehoben. Sowohl in der 14. als auch in der
5. Wahlperiode gab es parlamentarische Initiativen, de-
en Ziel es war, diese Vorbehalte endlich zurückzuneh-
en. Seit drei Jahren nun haben wir eine Große Koali-
ion mit einer breiten Mehrheit in Bundestag und
undesrat. Auf die Rücknahme der Vorbehalte zur UN-
inderrechtskonvention warten wir trotzdem bis heute.
Da mit diesem Antrag endlich deutlich wird, dass sich
uch die FDP für die Rechtsstellung von Kindern stark-
acht, müssen sich die Koalitionsfraktionen und die
undesregierung also nicht mehr um die Zustimmung
er Opposition sorgen. Sie können sich einer überwälti-
enden Mehrheit im Parlament sicher sein und gemein-
am mit der Unterzeichnung des Fakultativprotokolls
ndlich auch die Kinderrechte in Gänze anerkennen und
omit alle in Deutschland lebenden Kinder gleichstellen.
Wenn wir dann schon beim Punkt Durchsetzung von
inderrechten sind, könnte dieses Parlament auch mit
iner breiten Mehrheit eine weitere längst überfällige
ntscheidung treffen. Oder gibt es für die Festschrei-
ung von Kinderrechten im Grundgesetz der Bundesre-
ublik Deutschland doch keine so breite Mehrheit, ob-
ohl zum Beispiel die Bekämpfung der Kinderarmut
un seit längerem schon von der Kanzlerin zur Chef-
ache erklärt wurde? Denn der Schutz von Kindern vor
rmut ist ein wichtiger Bestandteil der UN-Kinder-
echtskonvention. Seit dem April des Jahres 1992 ist
iese Konvention geltendes Recht in Deutschland. Da-
it einher geht auch eine Verpflichtung, alle geeigneten
esetzgebungs- und Verwaltungsverfahren sowie sons-
20164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
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tige Maßnahmen zur Realisierung der damit anerkannten
Rechte einzuleiten. An vielen Stellen ist die Gesetzge-
bung bereits so geändert worden, dass sie zur Rück-
nahme einiger Vorbehalte führte. Ein entscheidender
politischer Schritt fehlt: die Verankerung der Rechte von
Kindern und Jugendlichen im Grundgesetz. Kinder wer-
den hier immer noch einzig und allein in Abhängigkeit
zur Erziehungspflicht ihrer Eltern gesehen. Das ist eine
Rechtslage, die weder dem Geist des 21. Jahrhunderts
entspricht noch der Umsetzung der Kinderrechtscharta
gerecht wird.
Sosehr die Bemühungen, die mit der Einrichtung ei-
ner Individualbeschwerde verbunden sind, von uns auch
begrüßt werden, sie dürfen uns nicht über eines hinweg-
täuschen: Der umfassende Schutz von Kindern und ihrer
Rechte muss vor allem durch unsere Gesetzgebung hier
in Deutschland gewährleistet sein.
Auch als derzeit amtierende Vorsitzende der Kommis-
sion des Deutschen Bundestages für die Belange der
Kinder (Kinderkommission) möchte ich mich hinter die
Forderungen der vielen Kinderrechtsorganisationen nach
dem Recht auf Anhörung stellen. Die Einführung einer
Individualbeschwerde käme damit Art. 12 der UN-Kin-
derrechtskonvention entgegen.
Kinder sind vollberechtigte Inhaber von Rechten. Wir
sollten beginnen, sie ihnen auch einzuräumen.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
denke, ich muss Ihnen nicht erläutern, dass die Kinder-
rechte ein Markenzeichen der Grünen sind. Wir werden
daher diesem Antrag zustimmen, weil er richtig ist –
auch wenn wir das von FDP-Anträgen eher selten den-
ken.
Die Kinderrechte stützen sich heute auf einen breiten
gesellschaftlichen und überparteilichen Konsens – aller-
dings nur bei einer oberflächlichen Betrachtung. Guckt
man genauer hin, zeigt sich, wie dringend die Kinder-
rechte eine Stärkung benötigen. Von der Großen Koali-
tion können wir in Sachen Kinderrechte nicht mehr viel
erwarten. Allen Ankündigungen folgte bisher lediglich
ein großes Schweigen. Von Einigkeit keine Spur. Die
Große Koalition hat auch nicht den Mut, sich zu den vor-
liegenden Kinderrechtsanträgen zu positionieren. Ich be-
fürchte, so wird es auch diesem Antrag ergehen. Er wird
in den Ausschüssen nicht auf die Tagesordnung gesetzt
und nicht mehr ins Plenum zurückfinden.
Unsere Fraktion hat hierfür bekanntermaßen zwei Pa-
radebeispiele.
Erstens. Bis heute gibt es der Kinderrechtskonvention
gegenüber Vorbehalte, wegen derer beispielsweise unbe-
gleitete minderjährige Flüchtlinge nicht die gleichen
Rechte wie deutsche Kinder genießen. Wir fordern seit
Jahren die Rücknahme dieser Vorbehalte. Es ist kein Ge-
heimnis, dass wir hier unter Rot-Grün an der SPD ge-
scheitert sind. Nun hat auch die SPD die Kurve gekriegt,
kann sich aber gegenüber der CDU/CSU nicht durch-
setzten. Wenn am 20. November die Kinderrechtskon-
vention wieder ihren Jahrestag hat, wird es auf die Frage
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ach den Vorbehalten wieder nur die gleichen Antworten
eben. Unser Antrag wird seit zweieinhalb Jahren nicht
ehandelt.
Zweitens. Nach den positiven Äußerungen der ehe-
aligen Jugendministerin und heutigen Bundeskanzlerin
erkel, nach der Positionierung von Frau von der Leyen
nd vieler anderer zugunsten einer Stärkung der Kinder-
echte in der Verfassung ist die Union dann wieder
urückgerudert. Von Einigkeit innerhalb der Koalition
ieder keine Spur. Allen Bestrebungen der Kinderkom-
ission des Deutschen Bundestages zum Trotz will die
nion keine Diskussion über das Thema. Auch hier hat
ie SPD-Fraktion spät die Kurve gekriegt. Jetzt stellt sie
ich hin, als wären sie die Erfinder der Initiative. Dabei
am der erste Antrag und der letzte „Wiederbelebungs-
ersuch“ von meiner Fraktion. Ausgebremst wird dieser
ntrag seit eineinhalb Jahren.
Nun haben wir in Deutschland zwar ausgesprochen
ngagierte Bemühungen, ein Monitoring zur UN-Kin-
errechtskonvention zu schaffen. Bis zur Etablierung ist
s aber noch ein weiter Weg. Schwere Kinderrechtsver-
etzungen können dem UN-Ausschuss nur über die vier-
ährige Berichterstattung bekannt werden. Das ist sehr
mwegig, oft zeitversetzt und wenig partizipativ.
Die Möglichkeit einer Individualbeschwerde ist daher
in wichtiger Baustein in einem Monitoringkonzept. Sie
tärkt zudem die Kinder als Träger eigener Rechte und
rhöht die Kontrolle seitens der UN, wenn es um die
inhaltung der Kinderrechte geht. Damit sind die Kin-
errechte zwar nicht international einklagbar, es sollte
ber gewährleistet werden, das Kinderrechtsverletzun-
en – wenn überhaupt – Einzelfälle bleiben. Praktisch
lle und vor allem neuere Menschenrechtsabkommen se-
en ein Individualbeschwerderecht vor. Es spricht also
ein gar nichts dagegen, sich für einen solchen Mecha-
ismus starkzumachen.
Wer jetzt ernsthaft ins Feld führt, Kinder könnten al-
ersbedingt von einer solchen Möglichkeit gar keinen
ebrauch machen, hat ein defizitäres Bild vom Kind und
enig Ahnung von modernen Partizipationsmöglichkei-
en. Gerade Kinder haben ein ausgesprochen ausgepräg-
es Unrechtsempfinden und sind die Altersgruppe, die
ich am stärksten engagiert. Vielen Kindern und Jugend-
ichen ist die UN-Kinderrechtskonvention zwar bekannt,
ber bisher ist sie für sie „weit weg“ und „wenig greif-
ar“. Die reale Lebenssituation jedoch mit den Vorgaben
er Konvention abgleichen zu können und sich gegebe-
enfalls beschweren zu können, macht die Konvention
ür sie erst „anfassbar“. Das Individualbeschwerderecht
rhöht somit den Gebrauchswert der UN-Kinderrechts-
onvention.
Gerade einem menschenrechtlich und demokratisch
ortschrittlichen Land wie Deutschland, das sich aktuell
ntensiv mit der Kinder- und Familienfreundlichkeit be-
chäftigt, würde es gut zu Gesicht stehen, sich bei der
N für eine Beschwerdemöglichkeit starkzumachen.
as allerdings erfordert in der Großen Koalition erst-
als Einigkeit, Mut und Engagement in Sachen Kinder.
oran ich allerdings meine Zweifel habe.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20165
(A) )
(B) )
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Überführung der Anteils-
rechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft
mit beschränkter Haftung in privater Hand
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
VW-Gesetzes
(Tagesordnungspunkt 29)
Paul K. Friedhoff (FDP): Vor gut einem Monat habe
ich hier schon einmal zum VW-Gesetz gesprochen und
klargemacht, dass die FDP-Bundestagsfraktion markt-
ferne und europarechtswidrige Gesetze wie dieses ab-
lehnt. Nun steht heute neben der Schlussabstimmung
über den Regierungsentwurf noch ein Gesetzesentwurf
zu der Thematik von der Linken aus dem März dieses
Jahres zur Debatte. Lassen Sie mich einmal mehr die
liberale Position in dieser Thematik deutlich zu machen.
Die Linke meint, die den derzeitigen Gesetzesinitiati-
ven zugrundeliegende Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes verstoße ihrerseits gegen den EG-Vertrag.
Diese Sicht teilt die FDP-Bundestagsfraktion nicht. Der
EuGH greift nicht etwa – wie im Entwurf behauptet – in
die deutsche Eigentumsordnung ein. Er stellt dagegen
klar, dass vielmehr das auf einen Einzelfall bezogene
VW-Gesetz gegen die deutsche Eigentumsordnung ver-
stößt. Es wird mit der Entscheidung gerade auf eine Wie-
derherstellung der Eigentumsordnung hingewirkt.
Ebenso wie den von der Bundesregierung vorgelegten
Entwurf lehnen wir auch den Gesetzesvorschlag der Lin-
ken ab, weil beide Entwürfe auf halber Strecke stecken
bleiben. Zwar werden im Entwurf der Linken mancher
der auf Europa-Ebene kritisierten Punkte beseitigt, aber
diese Teillösung des Problems wird nicht konsequent zu
Ende geführt. Das Entsenderecht von Bund und Land
wird lediglich begrenzt. Dabei gibt es keine ökonomi-
schen Gründe, im Fall von Volkswagen vom üblichen
deutschen Entsenderecht abzuweichen. Aus unserer
Sicht einzig konsequent wäre die komplette Aufhebung
dieses Einzelfallgesetzes von 1960. Es ist schlicht nicht
mehr zeitgemäß, wenn ein Bundesland bei einem voll im
Wettbewerb stehenden Automobilkonzern hineinregiert.
Mit den dem Bundesland Niedersachsen als Teil-
eigentümer gewährten Sonderrechten hält das Gesetz po-
tentielle Investoren davon ab, Anteile zu kaufen um Ein-
fluss zu gewinnen; der Anteilskauf erscheint durch die
feste Stellung des Sonderaktionärs weniger attraktiv.
Diese Sicht des Europäischen Gerichtshofes ist für jeden
verständigen Teilnehmer des Wirtschaftslebens nach-
vollziehbar.
Ich zähle ihnen noch einmal kurz die Hauptkritik-
punkte der europäischen Rechtsprechung im geltenden
VW-Gesetz auf:
Das Entsenderecht erlaubt es sowohl dem Bund als
auch dem Land Niedersachsen, jeweils zwei Vertreter in
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en VW-Aufsichtsrat zu entsenden, sobald Bund oder
and auch nur zwei Aktien besitzen. Die Stimmrechts-
eschränkung verbietet es einem Aktionär unabhängig
on seinem tatsächlichen Kapitalanteil, mehr als 20 Pro-
ent der Gesamtstimmrechte auszuüben. Die Regelung
ur geminderten Sperrminorität erlaubt es einem Aktio-
är, Satzungsänderungen bereits mit einem Kapitalanteil
on 20 Prozent statt der im deutschen Aktienrecht übli-
hen 25 Prozent zu blockieren.
Die Kombination dieser Regelungen im geltenden
W-Gesetz führt dazu, dass Grundsatzentscheidungen
hne die Stimmen des Landes Niedersachsen nicht mög-
ich sind und der Staatseinfluss fixiert ist. Die Privilegie-
ung des staatlichen Aktionärs gegenüber den übrigen
rivaten beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit und ist
ls Investitionshürde mit dem Europäischen Gemein-
chaftsrecht nicht vereinbar. Diese Kapitalverkehrsbe-
chränkung ist auch nicht etwa zur Sicherung des Allge-
einwohls notwendig, wie oft behauptet. Die von der
undesregierung dafür angeführten sozialpolitischen
der gar industriepolitischen Gründe reichen nicht aus.
uch ein Schutz vor feindlichen Übernahmen kann
eine Rechtfertigung dafür bieten, VW nicht als norma-
es Unternehmen zu behandeln. Dies hat der EuGH
ehrfach deutlich gemacht. Die Bundesregierung meint
ennoch, die Auffassung des Europäischen Gerichtsho-
es beharrlich ignorieren zu können. Die Justizministerin
robiert einfach weiter am Gesetz herum, ohne eine
lare Lösung zu schaffen. Der EuGH wird das VW-Ge-
etz aber zu Recht erst akzeptieren, wenn seine Kritik-
unkte ausgeräumt sind. Die Bundesregierung wird dies
issen. Dennoch ist sie nicht lernwillig, sondern provo-
iert ein Vertragsverletzungsverfahren nach dem nächs-
en. Es kann und darf jedoch nicht sein, dass die deut-
chen Steuerzahler am Ende von Brüssel verhängte
trafgelder bezahlen müssen, nur weil die Bundesregie-
ung dem Land Niedersachsen eine europarechtswidrige
onderrolle länger sichern will.
Nach Ansicht der FDP sind Vetorechte für den Staat
ei einem im Wettbewerb stehenden Unternehmen sys-
emfremd. Wenn in Unternehmenspolitik vom Staat hi-
einregiert werden kann, so ist dies für das Unternehmen
einesfalls förderlich. Hat ein Aktionär Sonderrechte, so
iegt in dieser Begünstigung klar die Gefahr, dass er sie
m Eigeninteresse und zulasten der normalen Aktionäre
usnutzt. Ein Wegfall von Sonderrechten und Goldenen
ktien ist daher zur Stärkung der Hauptversammlung als
egitimem Eigentümergremium geboten.
Ein besonderer gesetzlicher Schutzwall ist nach unse-
er Meinung für das Unternehmen Volkswagen nicht nö-
ig. Der Schutz der Eigentümerinteressen wird ebenso
ie die Durchsetzung der Hauptversammlungsbe-
chlüsse durch Aktiengesetz und Handelsgesetzbuch für
W – wie für alle anderen Aktiengesellschaften – ge-
ährleistet. Das Beibehalten eines Einzelfallgesetzes ist
nnötig. Nötig dagegen ist, die Volkswagen Aktienge-
ellschaft als ein normales Unternehmen zu betrachten.
a Volkswagen nicht gleicher oder ungleicher ist als an-
ere Autobauer, muss der Staatseinfluss konsequent zu-
ückgefahren werden. Die Verfechter einer starken Be-
eiligung der öffentlichen Hand an diesem Unternehmen
20166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
sollten bedenken, dass das VW-Gesetz früher einmal
VW-Privatisierungsgesetz genannt wurde. Wenn die
Bundesregierung im Fall Volkswagen auf Protektionis-
mus setzt, so torpediert sie damit vor allem die Förde-
rung des europäischen Binnenmarktes. Mitgliedsländer
mit protektionistischen Tendenzen in ihrer Industriepoli-
tik wie Frankreich, wo häufig auch deutsche Mittel-
ständler diskriminiert werden, dürften sich durch eine
Beibehaltung des VW-Gesetzes bestätigt sehen.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dafür einset-
zen, dass bei Volkswagen in Zukunft das Verhältnis zwi-
schen Kapitalanteil und Kontrolle wieder proportional
und europarechtskonform nach dem Prinzip „eine Aktie,
eine Stimme“ ausgestaltet wird. Einen Dauerstreit der
Bundesjustizministerin mit der EU-Kommission auf
Kosten der Steuerzahler gilt es zu vermeiden. Das
Zwangsgeldverfahren der EU-Kommission steht in den
Startlöchern. Das Bundeswirtschaftsministerium geht
von einem zu zahlenden Tagessatz von 90 000 Euro aus.
Wenn die Bundesregierung durch ihre Sturheit tatsäch-
lich riskieren mag, dass Steuergelder derart sinnlos
durch den Auspuff gejagt werden, werden wir ihr das im
kommenden Wahljahr nicht vergessen vorzuhalten.
Meine Damen und Herren Kollegen, ich appelliere
noch einmal dringend an Sie: Nutzen Sie in der heutigen
letzten Lesung dieses Gesetzes die Chance, die ord-
nungspolitisch gebotene Normalität auch bei dem gro-
ßen Konzern Volkswagen AG einkehren zu lassen. Die
FDP-Bundestagsfraktion jedenfalls streitet auch in Sa-
chen Volkswagen für die Rückkehr zu den Regeln der
sozialen Marktwirtschaft.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir Grünen unterstützen den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung. Er sichert den Kern des VW-Gesetzes und
passt dieses an die Vorgaben des EuGH an. Die Sonder-
rechte der Beschäftigten hinsichtlich der Schließung und
Verlagerung von Produktionsstätten bleiben erhalten.
Nach Vorgängen wie bei Nokia in Bochum wäre die Ab-
schaffung dieser Arbeitnehmerrechte zu Recht auf völli-
ges Unverständnis gestoßen. Ebenso bleibt der Einfluss
Niedersachsens gewahrt, was für die Beschäftigten und
die Werke in Niedersachsen von zentraler Bedeutung ist.
Doch auch wenn wir mit dem Inhalt des Gesetzent-
wurfes einverstanden sind, so sind wir Grüne doch äu-
ßerst unzufrieden mit dem Agieren der Bundesregierung
in dieser Frage. Insbesondere die Unionsseite hat ständig
quergeschossen. Mal lässt der Wirtschaftsminister sei-
nen Widerwillen in einer Protokollnotiz zum Kabinetts-
beschluss dokumentieren. Mal kündigt Oettinger eine
Bundesratsinitiative gegen das VW-Gesetz an.
Im Ergebnis werden dadurch diejenigen in Brüssel
bestärkt, die das VW-Gesetz ganz abschaffen wollen.
Wie soll denn die Europäische Kommission von der
Rechtmäßigkeit des VW-Gesetzes überzeugt werden,
wenn offensichtlich noch nicht einmal der deutsche
Wirtschaftsminister davon überzeugt ist? Das ganze Hin
und Her hat der deutschen Position in Brüssel schwer ge-
schadet.
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Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch einmal an
ie Kommission appellieren, sich davon nicht beeindru-
ken zu lassen, sondern vielmehr das novellierte VW-
esetz, welches wir heute beschließen, zu akzeptieren.
ie erneute Klage gegen das VW-Gesetz sollte zurück-
ezogen werden. Die Kommission muss meines Erach-
ens aufpassen, nicht die gleichen Fehler wie damals bei
er Dienstleistungsrichtlinie zu machen. Kluge Ord-
ungspolitik darf nicht mit blinder Prinzipienreiterei ver-
echselt werden. Auch bei der Setzung eines wirtschaft-
ichen Ordnungsrahmens gilt es, die Menschen
itzunehmen.
Die Besonderheiten des VW-Gesetzes sind in der Ge-
chichte des Unternehmens begründet. Die Nazis bauten
as Volkswagenwerk mit beschlagnahmtem Gewerk-
chaftsvermögen auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg
ollte niemand die Reste dieses Werkes haben. Darauf-
in bauten die Arbeitnehmer das Werk eigenverantwort-
ich wieder auf. Das VW-Gesetz würdigte diese Ge-
chichte durch besondere Mitentscheidungsrechte der
rbeitnehmerschaft. Wir Grüne stehen zu dieser Ge-
chichte und wollen das VW-Gesetz deshalb erhalten.
Anders übrigens als die FDP, die mit ihren Ände-
ungsanträgen im Wirtschaftsausschuss diese besonde-
en Mitentscheidungsrechte der Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmer abschaffen wollte – obwohl diese über-
aupt nicht vom EuGH moniert worden waren. Ich kann
ir nicht vorstellen, dass die Menschen dieses doppelte
piel der FDP gutheißen: Als Teil der niedersächsischen
andesregierung angeblich für das VW-Gesetz zu strei-
en und in Berlin, wenn es darauf ankommt, dagegen zu
timmen – das ist unredlich.
Ich habe bereits bei der Einbringung des Gesetzent-
urfes betont, dass es für VW jetzt wichtig ist, Ruhe in
en Konzern zu bekommen. Gerade angesichts der Krise
n der Automobilindustrie kann sich VW keinen dauer-
aften internen Machtkampf erlauben. Es ist deshalb
ntscheidend, mit dem VW-Gesetz einen klaren Rahmen
u setzen, auf den sich alle Beteiligten – Volkswagen,
as Land Niedersachsen, Porsche und die Beschäftigten –
instellen können. Dann kann sich Volkswagen endlich
uf das konzentrieren, was letztlich über die Zukunftsfä-
igkeit des Konzerns entscheidet: auf das Bauen von in-
ovativen und umweltfreundlichen Autos.
nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte
wahrnehmen, unabhängige Sozialberatung aus-
weiten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen
(Tagesordnungspunkt 26)
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Zu den
rundlegenden Leistungen unseres Sozialstaates gehört
ie Zusage an jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger:
er aus eigenem Einkommen und eigener Leistung sei-
en Lebensunterhalt und den seiner Familie nicht be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20167
(A) )
(B) )
streiten kann, der hat Anspruch auf eine gesetzlich klar
definierte staatliche Leistung. Diese staatliche Leistung
ist kein Almosen, vielmehr besteht ein Rechtsanspruch
darauf. Zu den tragenden Prinzipien dieser staatlichen
Hilfe gehört aber auch, dass jeder zuerst sein eigenes
Einkommen und Vermögen einsetzen muss, bevor er die
von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mitfinan-
zierte staatliche Hilfe in Anspruch nimmt.
Diese staatliche Hilfe, die wir früher Sozialhilfe ge-
nannt haben, wurde und wird von etlichen Berechtigten,
vor allem aus der älteren Generation, nicht in Anspruch
genommen – aus Scham oder aus einer falsch verstande-
nen Bescheidenheit, man wolle niemand anderem zur
Last fallen. Die alte Sozialhilfe ist jedoch in den letzten
Jahren durch neue Gesetze abgelöst worden a) für die
Seniorinnen und Senioren durch die Grundsicherung im
Alter und b) für alle, die zumindest wenige Stunden er-
werbsfähig sind, durch die Grundsicherung für Arbeitsu-
chende, das Arbeitslosengeld II.
Beide Grundsicherungssysteme haben dazu geführt,
dass viele, die bislang keinen Sozialhilfeantrag gestellt
haben, jetzt die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Die „verdeckte Armut“ ist durch die neuen Grundsiche-
rungssysteme nicht zum neuen Problem geworden, viel-
mehr wird „verdeckte Armut“ jetzt entschiedener aufge-
deckt und bekämpft als je zuvor. Das ist ein guter Erfolg.
Die gesetzlichen Regelungen für die Grundsicherung im
Alter und für die Grundsicherung für Arbeitsuchende
sind nicht die Ursache für „verdeckte Armut“, sondern
sie helfen zusätzlich im Kampf gegen Armut. Das hat
eine Reihe sachlicher Gründe, die es den Betroffenen er-
leichtern, einen Antrag zu stellen:
Erstens. Die Grundsicherung im Alter wird gewährt,
ohne dass Rückgriff auf unterhaltspflichtige Kinder ge-
nommen wird. Das ist ein großer Unterschied zur alten
Sozialhilfe. Diese Regelung führt dazu, dass heute ältere
Menschen nicht mehr darauf verzichten, einen Grundsi-
cherungsantrag zu stellen, weil man niemand „zur Last
fallen“ wolle.
Zweitens. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende,
das Arbeitslosengeld II, hat für die einstigen Empfänger
von Sozialhilfe bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten
und höhere Beträge für das Schonvermögen gebracht.
Beide Verbesserungen sind für etliche Antragsteller, die
in der Vergangenheit vielleicht auf einen Sozialhilfean-
trag verzichtet haben, jetzt doch ein Anreiz, Grundsiche-
rung für sich zu beantragen.
Zu Recht wird gefordert, dass Leistungsberechtigte
eine gute und unabhängige Beratung erhalten. Beratung
ist selbstverständlich auch Aufgabe der Sozialbehörden.
Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, dass in ei-
nem Antrag der Linken die Sozialbehörden in Deutsch-
land unter den Generalverdacht gestellt werden, sie wür-
den Leistungsberechtigte von einer Antragstellung
geradezu abschrecken. Ich stelle fest: Es mag Ausnah-
men geben, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
den örtlichen Sozialämtern, in den Arbeitsgemeinschaf-
ten für Empfänger von Arbeitslosengeld II und in den
Agenturen für Arbeit machen gute Arbeit. Und sie ver-
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ienen auch unsere politische Unterstützung. Wir von
er CDU/CSU wollen, dass die Beratung weiter verbes-
ert wird. Deshalb begrüßen wir es, dass 3 000 zusätzli-
he Stellen in der Arbeitsvermittlung bis zum Jahr 2010
eschaffen werden, um speziell für Empfänger von
rbeitslosengeld II die Beratung nochmals auszubauen.
Darüber hinaus haben wir in Deutschland ein flächen-
eckendes Angebot sozialer Dienste der Wohlfahrtsver-
ände: Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Paritätischer
ohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Zentralwohl-
ahrtsstelle der Juden. Sie sind gerade dort tätig, wo sozia-
Brennpunkte sind, und sie engagieren sich zusätzlich
it einer Reihe von Beschäftigungsgesellschaften für
ie Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. Deshalb
erden die Wohlfahrtsverbände in ihrer Arbeit auch
urch öffentliche Mittel auf der Bundes-, Landes- und
ommunalen Ebene unterstützt. Der Staat unterstützt
lso schon heute die unabhängige Beratung in großem
mfang.
Hinzu kommt, dass die großen Sozialverbände VdK
nd SoVD ebenfalls flächendeckend mit regelmäßigen
prechstunden Beratung in Sozialrechtsfragen anbieten.
Ich will all denen, die sich in dieser Beratungstätig-
eit engagieren, heute ein herzliches Dankeschön sagen.
ie leisten hervorragende Arbeit. Deshalb brauchen wir
ein neues zusätzliches Beratungssystem, wie es die
inkspartei fordert.
Das Entscheidende ist jedoch: Armut bekämpft man
icht mit einem aufgeblähten Apparat zusätzlicher Bera-
ungsinstitutionen, mit mehr Klagen und Gerichtsverfah-
en. Armut bekämpft man mit Arbeit, damit Menschen
icht weiter von staatlicher Unterstützung abhängig
ind. Es gibt einen großen politischen Unterschied: Die
inke will die Armut verwalten. Wir wollen die Armut
ekämpfen. Die Linke will einen rundum versorgenden
taat. Sie will die Menschen entmündigen. Wir wollen,
ass Menschen aus der Abhängigkeit herauskommen
nd möglichst schnell durch eigenes Einkommen wieder
uf eigenen Füßen stehen.
Um die Wege raus aus der Arbeitslosigkeit und rein in
rbeit und selbst erarbeitetes Einkommen weiter zu ver-
essern, haben die Bundesregierung und die Koalitions-
raktionen von CDU/CSU und SPD heute im Deutschen
undestag das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeits-
arktpolitischen Instrumente eingebracht. Zur Qualifi-
ierung und Vermittlung in Arbeit werden jetzt die Maß-
ahmen noch individueller eingesetzt werden können.
ermittlungsbudget und Experimentierbudget führen als
eue Instrumente zu einem flexibleren und der örtlichen
ituation angepassterem Einsatz der Eingliederungsmit-
el. Sie verbessern die Leistungen für benachteiligte
unge Menschen. Unsere aktive Arbeitsmarktpolitik
ird effektiver und zielgenauer. Arbeitslose können
chneller in Erwerbstätigkeit integriert werden.
Nicht Arbeitslosigkeit verwalten, Arbeitslose noch
esser qualifizieren und fördern, damit sie wieder in ei-
en Job kommen können – das ist die richtige Antwort,
m Armut effektiv zu bekämpfen.
20168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
Rolf Stöckel (SPD): Das Thema „verdeckte Armut“
ist heute nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung des
Hauses. Der hier diskutierte Antrag ist allerdings eher
ein Dokument ideologischer Blindheit und fachlicher In-
kompetenz als ein konstruktiver Vorschlag, wie man ver-
deckte Armut noch besser bekämpfen könnte. Um es mit
anderen Worten zu sagen: Die Linke ignoriert die realen
Erfolge der Reformen in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und
Familienpolitik. Der Antrag ist ein erneuter Versuch, po-
pulistischen Honig aus dem Paradigmenwechsel hin zum
vorsorgenden, aktivierenden Sozialstaat zu saugen.
Wir sind uns einig, dass es verdeckte Armut immer
noch gibt und dass sie – soweit der Staat dazu in der
Lage ist – konsequent bekämpft werden muss. Damit be-
ginnen wir nicht heute, und wir müssen auch nicht von
der Linken dazu aufgefordert werden. Sozialdemokraten
haben seit 1998 in den Regierungen Schröder und
Merkel dafür gesorgt, dass Ausmaß und Gründe von
Armutslagen untersucht werden, regelmäßig darüber be-
richtet wird und wirksame Maßnahmen eingeleitet werden.
Wir haben dafür gesorgt, dass gerade die benachteiligten
und ausgegrenzten Menschen neue Rechtsansprüche auf
Teilhabe am Arbeitsmarkt und bessere Leistungen der
Grundsicherungen und Familienförderung erhalten.
Es bleibt richtig: Der beste Schutz vor Armutsrisiken
ist eine Beschäftigung, die den Lebensunterhalt und eine
menschenwürdige Existenz sicherstellt. Heute ist die Ar-
beitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit 16 Jahren ge-
sunken; im Vergleich zu 1998 hat sie sich fast halbiert.
Das DIW stellt fest, dass in Fortschreibung des letzten
Armuts- und Reichtumsberichtes, dessen Daten bis zum
Jahre 2005 reichen, in den Jahren 2006 und folgende
über 1 Million Menschen weniger unterhalb der Armuts-
risikoschwelle leben muss. Bei allen Mängeln und Defi-
ziten, die es natürlich auch noch gibt und an denen wir
im Zuge der Weiterentwicklung der Arbeitsmarktrefor-
men zielgenau arbeiten müssen: Die Behauptung, es
hätte keine Leistungsverbesserungen und keine Förde-
rung der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen und
ihrer Familien gegeben, ist schlicht gesagt demagogi-
scher Unsinn. Neben den vielen Maßnahmen der Ver-
gangenheit wurden erst vor kurzem der Kinderzuschlag
und das Wohngeld von der Koalition nochmals erhöht.
Die Regelsätze der Grundsicherungen werden wie die
Rente angepasst, das Kindergeld erhöht und eine neue
einmalige Leistung bei Bedarf, das Schulstarterpaket,
eingeführt.
Es gibt verdeckte Armut in Deutschland, aber sie
nimmt ab, wie sie in Ihrer Begründung selbst schreiben.
Sie selbst führen die Untersuchungen von Hauser und
Becker zur verdeckten Armut vor und nach der Zusam-
menlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Jahre
2005 an. Danach liegen die Schätzungen für die Nicht-
inanspruchnahme von Leistungsansprüchen vor 2005 bei
fast 50 Prozent der Berechtigten und heute – das ist
wirklich bemerkenswert – unter 20 Prozent.
Für die Nichtinanspruchnahme gibt es natürlich ver-
schiedenste Gründe. Die Welt ist eben nicht, wie die
Linke uns mit ihrem Antrag suggerieren will, nur
schwarz und weiß. Da gibt es neben der Unwissenheit,
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er wir nur durch Aufklärung und Beratung entgegen-
irken können, auch den Verzicht auf oftmals geringe
rgänzende Leistungen – aus Scham, aber auch aus Stolz
der weil die Bürokratie und die Überprüfung von Ver-
ögen oder Partnereinkommen gescheut wird. Aber es
ibt natürlich auch die Fakten des illegalen Aufenthaltes
nd der Schattenwirtschaft, die Menschen davon abhal-
en, Rechtsansprüche durch Antragstellung und Mitwir-
ung einzulösen. Das hat überhaupt nichts mit einem
Missbrauchsvorwurf“ zu tun. Manchmal geht es in der
raxis nur darum, die größere Wohnung, das Auto oder
ie offizielle Bedarfsgemeinschaft mit verdienenden
artnern, Kindern oder Eltern zu erhalten. Die Betroffe-
en müssen auch in Zukunft selbstständig entscheiden
önnen, auf eine Beantragung von Leistungen zu ver-
ichten. Wer Mitwirkungspflichten, Sanktionen und Ar-
eitsgelegenheiten bei der Grundsicherung für Arbeit-
uchende als Folter- und Abschreckungsinstrumente
arstellt, die zu einer erhöhten Nichtinanspruchnahme
ühren, hat von der Gerechtigkeit, der Stabilität und der
inanzierung unseres Sozialstaates entweder nichts ver-
tanden oder ignoriert seine Legitimationsbasis bewusst
us demagogischen Gründen.
Das Prinzip der Nachrangigkeit der staatlichen
rundsicherungen, die Mitwirkungspflichten, die Prinzi-
ien der Hilfe zur Selbsthilfe und der individuellen Be-
arfsabhängigkeit stellen die notwendigen Vorausset-
ungen dafür dar, dass die Beitrags- und Steuerzahler,
ie mit ihrem Einkommen oftmals selbst nur knapp über
er Bedarfsgrenze liegen, bereit sind, unsere sozialen Si-
herungssysteme auch zu tragen. Wir sprechen ja nicht
ehr von Armenhilfe, Fürsorge oder Sozialhilfeempfän-
ern, die in ihrem Dasein mehr oder weniger schlecht
ersorgt und kaum persönlich gefördert werden. Wir
prechen zu Recht von Menschen, die einen Anspruch
uf Grundsicherung, Beratung und Teilhabe auf dem Ar-
eitsmarkt und in der Gesellschaft haben.
Im SGB I, in den §§ 13 und 14, ist der Anspruch aller
ürgerinnen und Bürger auf Aufklärung und Beratung
ber ihre Rechte und Pflichten durch die zuständigen
eistungsträger, Verbände und öffentlich-rechtlichen
ereinigungen geregelt. Es wäre ein Armutszeugnis,
enn wir uns damit abfinden würden, dass diese Aufklä-
ungs- und Beratungspflicht unzureichend umgesetzt
ird oder von einer restriktiven Ausgabenpolitik geprägt
st und deshalb unabhängige Beratungsstellen flächende-
kend eingerichtet und vom Staat finanziert werden
üssten. Nicht nur, dass diese Beratungsstellen ihre Un-
bhängigkeit verlieren würden. Die öffentliche Aufklä-
ung und Beratung muss durch ausreichendes und quali-
iziertes Personal, durch ein besseres Fallmanagement
nd persönliche Hilfen sichergestellt werden.
Was noch zu oft fehlt und was wir dringend brauchen,
st eine Kultur des Staates als „Partner der Bürger“, sind
ngagierte Verwaltungen und die aktive Bürgergesell-
chaft, die sich vernetzen und Armuts- und Benachteili-
ungslagen nicht nur verwalten und alimentieren, son-
ern tatsächlich verändern wollen. Wir brauchen eine
usammenarbeit der Arbeits- und Sozialverwaltung mit
en Beratungsstellen der freien Verbände und Selbsthil-
egruppen, gesellschaftliche Beiräte, Ombudsleute, die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20169
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ihre spezifischen Beiträge zur Bekämpfung der Armut
und Ausgrenzung koordinieren und über die besten An-
gebote und Instrumente öffentlich streiten. Die Praxis
der Jobcenter und Argen entwickelt sich längst in diese
Richtung, und das ist gut so.
Wir stellen mit dem Gesetz, das wir heute in den Bun-
destag eingebracht haben, neue Arbeitsmarktinstru-
mente, insbesondere für Arbeitsuchende mit besonderen
Vermittlungshemmnissen, und Fallpauschalen zur Verfü-
gung, die helfen, auch die vorhandenen Arbeitslosenzen-
tren der freien Träger und Selbsthilfegruppen zu unter-
stützen.
Wir beklagen, dass die Landesregierung in Nord-
rhein-Westfalen mit Billigung des Arbeits- und Sozial-
ministers Laumann und des Ministerpräsidenten
Rüttgers sich aus der Finanzierung dieser Beratungsstel-
len und subsidiären Dienstleister zurückzieht und damit
eine gute Praxis der sozialen Integration, der Bewer-
bungshilfen und Sprachförderung gefährdet, wenn nicht
kaputt macht. Dort, wo die Argen und Kommunen mit
dem Instrumentenkasten des SGB II helfen können,
sinnvolle Angebote zu stützen, werden wir ihnen dabei
helfen. Eine Politik, bei der der Bundeshaushalt immer
mehr zum Ausfallbürgen verfehlter und falscher Landes-
politik, zum Beispiel bei der Beratung und Unterstüt-
zung von Arbeitslosen und in einer mangelhaften Bil-
dungs- und Qualifizierungspolitik der Länder und
Kommunen, werden soll, ist ein Irrweg; den werden wir
sicher nicht mitgehen.
Die Rechtswege müssen barrierefrei, auch in Hinsicht
auf die Prozesskostenhilfe, jedem offenstehen. Wenn im
Antrag der Linken beklagt wird, dass es 60 000 Verfah-
ren vor den Sozialgerichten gibt, dann sind das ganze
1,1 Prozent von der gesamten Fallzahl. Das ist, wenn
man die Widerspruchsverfahren und Klagen vor Verwal-
tungs- und Sozialgerichten in der Vergangenheit sieht,
keine wesentliche Steigerung. Das ist im Rechtsstaat nun
mal so gewollt.
So wie das Grundsicherungsrecht individuelle An-
sprüche und Leistungen garantiert, bleibt auch das Kla-
gerecht individuell. Wir sehen deshalb keinen Bedarf
nach einem Verbandsklagerecht, das den Verbänden
nützt, die Zahl der Klagen noch ausweitet, aber den Be-
troffenen kaum hilft. Armutsbekämpfung stellen wir uns
anders vor. Wir brauchen einen ressortübergreifenden
Ansatz der sozialen Integration und Teilhabe. Das gilt
für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die bessere Kinderbe-
treuung benötigen, für Kinder, die eine qualitativ bessere
Bildung im Ganztagsschulbereich benötigen. Das gilt
auch für Migranten, die nicht nur bessere Sprachkennt-
nisse, sondern auch die beidseitige Bereitschaft zur In-
tegration brauchen. Für Langzeitarbeitslose ist die Job-
perspektive wichtig, für Ältere, Pflegebedürftige und
Behinderte das Persönliche Budget und die Bereitschaft,
Inklusion und Barrierefreiheit konsequent umzusetzen.
Den sozialen Zusammenhang und die Hilfsbereit-
schaft der Zivilgesellschaft können wir fördern, aber
nicht gesetzlich verordnen. Aus all diesen Gründen – vor
allem, weil es bessere, sachgerechtere und erfolgreichere
Konzepte der Armutsbekämpfung gibt – werden wir der
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usschussempfehlung zustimmen und den Antrag der
inken ablehnen.
Heinz-Peter Haustein (FDP): Der Antrag, den wir
ier in zweiter Lesung beraten, trägt den Titel „Ver-
eckte Armut bekämpfen …“ Darin kritisiert Die Linke
as hohe Maß an verdeckter Armut. Die Rede ist von
Millionen Bedarfsgemeinschaften, die eine Berechti-
ung haben, Leistungen zu beziehen, und von lediglich
,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die tatsächlich
eistungen erhalten. Man rechnet demnach richtiger-
eise, es gebe 900 000 Bedarfsgemeinschaften, die ei-
en Anspruch auf staatliche Leistungen haben, aber
eine Leistungen beziehen. Mit dem Rechenergebnis ist
ber auch schon alles, was an dem Antrag richtig ist, er-
chöpfend genannt.
Die Linke schlägt Maßnahmen vor, die die 900 000 Be-
arfsgemeinschaften dazu bringen sollen, staatliche
eistungen zu erhalten. Aber: Dadurch, dass Menschen
n größerem Umfang staatlich alimentiert werden, ist
och nicht die Ursache von Armut bekämpft. Damit be-
ämpfen Sie die Verdeckung der Armut, nicht aber die
verdeckte Armut“! Der Titel führt also in die Irre.
Die FDP hat das Fortentwicklungsgesetz aus guten
ründen abgelehnt. Aber wenn Die Linke in ihrer An-
ragsbegründung implizit unterstellt, die derzeitige
echtslage hätte die Funktion, Leistungsberechtigte von
er Beantragung staatlicher Leistungen abzuschrecken,
uss dem deutlich widersprochen werden. So wird der
lassenkampf beschworen. Eine Hilfe für die Menschen
st das nicht. Im Antrag heißt es, das Fortentwicklungs-
esetz habe „offensichtlich die Funktion, Leistungsbe-
echtigte abzuschrecken“. Die Linke zitiert aus der
egründung des Fortentwicklungsgesetzes: „Die früh-
eitige Unterbreitung von Eingliederungsangeboten ist
in geeignetes Mittel, um … die Bereitschaft des Hilfesu-
henden zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen.“ Im Inte-
esse aller Menschen, die redlich ihrer Arbeit nachgehen
nd mit Steuern und Beiträgen staatliche Sozialleistun-
en erst ermöglichen, muss es verantwortungsvolle Pra-
is sein, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme auch ein-
ufordern, wo Angebote dazu vorliegen.
Der Antrag übersieht, dass die Möglichkeit der Ge-
ährung von Prozesskostenhilfe besteht, dass es ein gu-
es Netz unabhängiger Beratungsstellen der Wohlfahrts-
erbände gibt und dass die über 100 000 Klagen vor
ozialgerichten in Deutschland nicht unbedingt dafür
prechen, dass die Menschen ihre Rechte nicht kennen.
s ist eine Selbstverständlichkeit, zu betonen, dass es
icht sein darf, dass sich Armut negativ auf die Möglich-
eiten der Menschen auswirkt, den Rechtsweg zu be-
chreiten. Rechtsprechung nach dem Geldbeutel ist nicht
ur rechtsstaatlich bedenklich. Sie wird es mit der
echtsstaatspartei FDP auch nicht geben.
Die Linken zitieren eine Studie, die als einen Faktor
ür die Nichtinanspruchnahme von Leistungen man-
elnde Kenntnisse der Rechtslage angibt. Daraus leiten
ie die Notwendigkeit ab, eine vom Träger der Leistun-
en unabhängige Rechtsberatung einzurichten. Sie ver-
itteln damit den falschen Eindruck, die Mitarbeiter der
20170 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
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Argen würden die Anspruchsberechtigten nicht ausrei-
chend oder sogar falsch beraten. Auch das kann man so
nicht stehen lassen. Vielmehr ist eine völlige Unkenntnis
über die Berechtigung zu einer Leistung die Ursache der
Nichtinanspruchnahme, nicht eine falsche Beratung. So
heißt es auch in der von Ihnen zitierten Studie von Irene
Becker: „… möglicherweise ist die Differenz auf Teil-
zeit- oder geringfügig Beschäftigte zurückzuführen, die
ihren … Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem
SGB II nicht kennen.“ (Irene Becker: Armut in Deutsch-
land. Bevölkerungsgruppen unterhalb der ALG-II-
Grenze, Seite 38) Das heißt, die Menschen wissen
schlicht nichts von ihrem Anspruch. Daraus abzuleiten,
sie seien falsch oder unzureichend beraten worden, ist
nicht hinnehmbar. Vieles in den Argen funktioniert
nicht, läuft schlecht. Die FDP will die Struktur ja mit gu-
tem Grund ändern. Aber die Mitarbeiter der Argen, die
nach ihren Möglichkeiten handeln und beraten, muss
man gegen den Vorwurf der Linken in Schutz nehmen.
Andersherum wird „ein Schuh daraus“: Eigeninitiative
der Betroffenen ist durch nichts zu ersetzen. Den Gang
zu einer Arge zur Anspruchsprüfung kann den Betroffe-
nen keiner abnehmen, auch nicht unabhängige Rechtsbe-
rater.
Das Schreckgespenst, das in dem Antrag beschrieben
wird, gibt es nicht. Weder beraten die Mitarbeiter der Ar-
gen falsch und machen eine unabhängige Beratung not-
wendig, noch ist die Intention des Gesetzes die Abschre-
ckung von der Beantragung von Leistungen.
Zur Deckung der Kosten, die durch die neue „unab-
hängige Rechtsberatung“ entstehen, sagt der Antragstel-
ler auch gar nichts.
Lassen Sie uns auf das zu sprechen kommen, was der
Antrag verspricht, jedoch nicht hält: Es muss um die Be-
kämpfung der verdeckten Armut gehen, nicht nur um de-
ren Offenlegung. Denn: Dass es verdeckte Armut gibt,
bestreitet ja niemand ernsthaft. Dazu brauchen wir keine
Studie, wie Sie es fordern. Es gibt Menschen in diesem
Land, die vollzeitbeschäftigt sind und dennoch so wenig
verdienen, dass sie leistungsberechtigt sind. Ich habe
schon oft an dieser Stelle berichtet, dass in meinem
Wahlkreis der Anteil der vollbeschäftigten ALG-II-
Empfänger mit über 25 Prozent so groß ist wie sonst nir-
gends in Deutschland. Schon bei diesen offiziellen Zah-
len brauche ich weder eine Studie noch eine Offenle-
gung, um das Problem zu erkennen. Das Problem liegt
längst offen vor uns. Nur die notwendige Konsequenz
aus dieser Erkenntnis bleibt der Antrag schuldig. Damit
befindet sich die Linke in seltener Eintracht mit der Bun-
desregierung.
Bei uns stimmt das gesamte Gleichgewicht nicht
mehr. Dem Lohnabstandsgebot muss wieder zum Durch-
bruch verholfen werden. Es darf nicht sein, dass jemand,
der arbeitet und sich redlich bemüht, seine Familie zu er-
nähren, am Ende weniger übrig behält als jemand, der zu
Hause ist und sich auf die Solidargemeinschaft verlässt.
Wir brauchen eine konsequente Entlastung. Den Men-
schen muss von dem Erarbeiteten mehr übrig bleiben.
Wir brauchen eine konsequent mittelstandsorientierte
Politik. Unser Bürgergeldkonzept wäre daher genauso
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ringend umzusetzen wie die notwendigen Flexibilisie-
ungen im Tarif- und Arbeitsrecht.
Geben wir den Menschen den Freiraum zurück, ei-
enverantwortlich für ihr Leben zu sorgen! Dann tun wir
as Beste zur Bekämpfung der Armut.
Katja Kipping (DIE LINKE): In Deutschland leben
ehr Menschen in Armut als gemeinhin angenommen
nd zugegeben. Das erlebe ich natürlich zum einen im-
er wieder im Rahmen meiner täglichen Arbeit, aber
uch Sozialverbände, wie beispielsweise die Caritas, be-
ichten von einer großen Anzahl an verdeckt armen Per-
onen und nennen dort besonders Familien mit Kindern
nd Alleinerziehende. In der Antwort auf unsere Kleine
nfrage zum Ausmaß der verdeckten Armut im Rechts-
ereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Druck-
ache 16/3551, gibt die Bundesregierung zu, dass sie die
n der Studie von Irene Becker, die 2006 eine umfas-
ende Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt hat,
etroffenen Aussagen für grundsätzlich zutreffend hält.
ch rufe Ihnen gern noch einmal die wesentlichen Ergeb-
isse der Forschungen von Irene Becker ins Gedächtnis:
tatt der circa 10 Millionen potenziell Berechtigten auf
eistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
SGB II) bezogen im Juli 2005 nur circa 6,8 Millionen
nd im Mai 2006 circa 7,4 Millionen Berechtigte die ih-
en zustehenden Leistungen. Bei den Bedarfsgemein-
chaften (BG) bezogen statt circa 5 Millionen anspruchs-
erechtigter Bedarfsgemeinschaften im Juli 2005 nur
irca 3,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften und im Mai
006 nur circa 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften die
hnen zustehenden Leistungen nach dem SGB II.
Demnach nahmen im Untersuchungszeitraum meh-
ere Millionen Bedürftige ihren Rechtsanspruch auf
taatliche Unterstützung nicht wahr. Es handelt sich da-
ei häufig um Personen, die zwar laut Gesetz einen An-
pruch auf Sozialleistungen hätten, aber keinen Antrag
uf deren Erhalt gestellt haben. Die Gründe für diese
ichtinanspruchnahme können dabei recht verschieden
ein. Häufig besteht Angst vor Stigmatisierung, Diskri-
inierung oder Repressionen, wie Arbeitszwang oder
erfolgungsbetreuung. Viele dieser Personen geben an,
ass sie schlechte Erfahrungen mit Ämtern und Behör-
en gemacht hätten und diese nun meiden. Teilweise be-
teht auch schlichte Unkenntnis über Ansprüche. Irene
ecker hat sich zudem auch bestimmte Personengruppen
anz genau angeschaut und festgestellt: „Das Problem
er verdeckten Armut betrifft insbesondere Erwerbstä-
ige; die Zahl der Bedürftigen (etwa 2,8 Millionen) be-
äuft sich hier auf etwa das Dreifache der Zahl der soge-
annten Aufstocker (0,9 Millionen).“ (Becker, Irene
2006): Armut in Deutschland: Bevölkerungsgruppen
nterhalb der ALG-II-Grenze, Seite 36 ff.)
Somit lassen mehrere Millionen Erwerbstätige ihren
eringen Verdienst nicht auf den ihnen eigentlich zuste-
enden Geldbetrag „aufstocken“. Der Bezug eines
rbeitseinkommens schützt demnach nicht vor Bedürf-
igkeit. An diesen Zahlen lässt sich übrigens auch erken-
en, dass sich die von interessierter Seite immer gern
ropagierte These über negative Arbeitsanreize der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20171
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(B) )
staatlichen Grundsicherungszahlungen nicht aufrecht-
erhalten lässt.
Auch die Gruppe der Alleinerziehenden hat sich Irene
Becker genauer angeschaut und kommt zum Ergebnis:
„Bei Alleinerziehenden ergibt sich dagegen eine gegen-
über denjenigen mit faktischem ALG-II-Bezug etwa
doppelt so hohe Zahl der bedürftigen Bedarfsgemein-
schaften“ (Becker, Irene (2006): a. a. O.)
Nun kann man darauf verweisen, dass die Studie etli-
che Änderungen im Bereich der Sozialgesetzgebung,
wie beispielsweise die Einführung der Grundsicherung
für Ältere und Erwerbsgeminderte, nicht berücksichtigt.
Allerdings gibt es sowohl nach Kenntnis der Bundes-
regierung als auch nach meinem Wissen keine aktuelle-
ren Untersuchungen zu verdeckter Armut. Im Gegenteil:
Die Bundesregierung hat die Erkenntnisse aus der
Becker-Studie im 3. Nationalen Armuts- und Reichtums-
bericht nicht aufgegriffen. Warum wohl? Soll verdeckte
Armut etwa verdrängt werden, frei nach dem Motto
„Was ich nicht kenne, das gibt es auch nicht“?
Ich fordere im Namen meiner Fraktion die Bundes-
regierung auf, eine Nachfolgestudie in Auftrag zu geben,
um das tatsächliche Ausmaß der Nichtinanspruchnahme
von Leistungsansprüchen zum heutigen Zeitpunkt aufzu-
decken und in der Folge entsprechende passgenaue Maß-
nahmen zu deren Bekämpfung sowie zu einer Entstig-
matisierung des Bezuges von sozialen Leistungen in die
Wege leiten zu können. Dazu möchten wir aber schon
heute ganz konkrete Vorschläge unterbreiten. Zum einen
müssen alle zuständigen Leistungsstellen zu einer sach-
gerechten Aufklärung über die Rechtslage der Unterstüt-
zung suchenden Personen sowie zu einer Unterlassung
sämtlicher Maßnahmen, die zur Abschreckung von Leis-
tungsberechtigten führen, verpflichtet werden. Wir for-
dern darüber hinaus einen Rechtsanspruch für jeden und
jede auf ergänzende Beratung, persönliche Hilfe und Un-
terstützung bei einer unabhängigen geeigneten Stelle.
Das können zum Beispiel Einrichtungen der freien
Wohlfahrtspflege oder auch Beratungsstellen von be-
rufsständischen Vereinigungen und Verbänden auf dem
Gebiet des Sozialrechts sein. In diesem Zusammenhang
fordern wir die Bundesregierung ebenfalls auf, den Auf-
bau und Erhalt der notwendigen Infrastruktur für unab-
hängige Beratung und Unterstützung organisatorisch
und finanziell zu unterstützen und die Organisationen
bzw. Vereinigungen von Betroffenen entsprechend anzu-
erkennen. Des Weiteren fordern wir einen strikten Ver-
zicht auf alle Maßnahmen, welche die Gewährleistung
und faktische Einklagbarkeit von sozialen Rechten wei-
ter einschränken. Ich nenne dazu nur die Bundesratsini-
tiative zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, die die
Einführung von Gebühren vorsieht, um Leute von einem
Gang zum Gericht abzuhalten.
Und nicht zu vergessen unsere wichtigste Forderung
und Erkenntnis: Grundsätzlich ist zur Vermeidung von
verdeckter Armut die Einführung einer sozialen und re-
pressionsfreien Grundsicherung die beste Maßnahme.
Zudem schiebt sie Stigmatisierungen und Diskriminie-
rungen einen wirksamen Riegel vor.
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Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
ntrag der Linken greift ein wenig bekanntes, aber den-
och zentrales Phänomen der unzureichenden Organisa-
ion unseres Sozialstaates auf: die verdeckte Armut. Aus
nwissenheit oder aus Angst vor Stigmatisierung und
or aufwendigen wie unangenehmen behördlichen Ver-
ahren nehmen zu viele Menschen, leider auch Familien
it Kindern, nicht ihre Ansprüche auf Sozialleistungen
ahr. Ausweislich der Studie der Armutsforscherin Irene
ecker „Armut in Deutschland“ vom Februar 2007 über-
teigt die Zahl der bedürftigen Bedarfsgemeinschaften
ie Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit tatsächlichem
eistungsbezug erheblich – im Jahr 2005 waren dies
,2 Millionen, im Jahr 2006 rund 0,9 Millionen Haus-
alte. Das ist entschieden zu viel und Ausdruck einer un-
ureichenden Organisation bzw. Ausführung der sozia-
en Leistungen in diesem Lande.
Mehr als bedenklich sollte auch die nicht abebbende
lageflut im Rechtskreis des SGB II stimmen. Wenn in
anchen Bundesländern 60 Prozent der Widersprüche
nd bis zu 50 Prozent der sich anschließenden Klagen
rfolgreich sind, dann besteht dringender Handlungsbe-
arf. Der Bundesregierung und den für das Justizwesen
uständigen Bundesländern fällt jedoch nichts weiter
in, als Rechte der Betroffenen vor den Behörden und
en Gerichten zu schwächen. Das ist offenkundig der
alsche Weg. Wesentlich effektiver ist es, erst gar keine
ründe für Widerspruchs- und Gerichtsverfahren entste-
en zu lassen. Deshalb müssen die Qualität der Arbeit in
en Job-Centern verbessert und die Rechte der Betroffe-
en gestärkt werden. Die Vorschläge der Bundesländer,
ie hohe Hürden für einkommensschwache Rechtsu-
hende durch die Einführung von Sozialgerichtsgebüh-
en und eine Einschränkung der Beratungs- und Prozess-
ostenhilfe vorsehen, würden nicht nur in unakzeptabler
eise den Rechtsschutz der Betroffenen einschränken.
ie vermindern auch den Druck auf die Sozialleistungs-
räger, rechtsförmig zu bescheiden.
Gleiches gilt für die aktuellen Planungen der Koali-
ionsfraktionen und der Bundesregierung im Rahmen der
eform der Arbeitsmarktinstrumente. Die Instrumen-
enreform sieht vor, dass Rechtsmittel von ALG-II-Be-
echtigten gegen Entscheidungen der Grundsicherungs-
räger des SGB II keine aufschiebende Wirkung mehr
aben. Das galt bereits vorher für alle Leistungs- und
berleitungsbescheide der Grundsicherungsträger und
oll nunmehr auch für alle Bescheide gelten, mit denen
eistungen zurückgenommen, widerrufen, herabge-
etzt, Pflichten aufgegeben und zur Beantragung einer
orrangigen Leistung oder persönlichen Meldung aufge-
ordert wird. Mit diesen Plänen zur Einschränkung von
echtsstaatlichkeit machen SPD und Union in Bund und
and Sozialleistungsbeziehende zu Bürgern zweiter
lasse. Für ALG-II-Berechtigte werden damit die Wir-
ung von Rechtsmitteln und die allen Bürgern der Bun-
esrepublik Deutschland zustehenden Bürgerrechte mas-
iv eingeschränkt. Das Gebot der Stunde ist jedoch – wie
ündnis 90/Die Grünen es fordern –, die aufschiebende
irkung von Widersprüchen und weitere Verfahrens-
echte auszuweiten.
20172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
Keine der von CDU und SPD in Bund und Ländern
favorisierten Maßnahmen zur Eindämmung von Sozial-
gerichtsverfahren ist geeignet, eine verbesserte Qualität
der Entscheidungen und der Beratungen in den Jobcen-
tern zu gewährleisten und damit verdeckte Armut zu re-
duzieren. Wir Grüne fordern organisatorische Innovatio-
nen in den Jobcentern durch Mitarbeiterschulung,
Planungssicherheit durch unbefristete Beschäftigungs-
verhältnisse und effiziente dezentrale Organisations-
strukturen. Dagegen sind die Vorschläge von Bundesar-
beitsminister Scholz zur Reorganisation der Trägerschaft
der Jobcenter, bei denen nur das Etikett „Zentren für Ar-
beit und Grundsicherung (ZAG)“ neu ist, nicht geeignet,
die organisierte Unverantwortlichkeit und das konflikt-
reiche Nebeneinander von Kommunen und Bundesagen-
tur für Arbeit in den Argen zu beseitigen.
Auch die Forderungen der Linken zur Bekämpfung
von verdeckter Armut sind nur begrenzt tauglich. Der
Vorschlag, ein Verbandsklagerecht einzuführen, ergibt
keinen Sinn, da es beim Arbeitslosengeld II um die
Wahrnehmung subjektiver Ansprüche geht. Sinn und
Zweck eines Verbandsklagerechtes ist es, Dritten durch
Verbände ein Klagerecht einzuräumen, wenn sie selbst
kein subjektives Recht in Anspruch nehmen können, so
zum Beispiel im Umweltrecht. Dies ist im Falle des
SGB II erkennbar nicht der Fall. Die Leistungsansprüche
sind subjektiv herleitbar und individuell klagefähig, so-
dass es einer Verbandsklage nicht bedarf.
Die Linke spricht zu Recht die unzulängliche Bera-
tung von Sozialleistungsbeziehenden in den Behörden
an. Doch liegt dies nicht an unzureichenden Gesetzes-
vorgaben, sondern an der mangelnden Umsetzung des
bestehenden Rechts. Deshalb sind Bund und Länder in
der Pflicht, via Rechtsaufsicht ein korrektes Verwal-
tungshandeln, insbesondere die Einhaltung der Bera-
tungspflicht durchzusetzen und gleichzeitig die Rechts-
schutzmöglichkeiten der Betroffenen auszubauen. Auch
die zentralstaatlichen Lösungen der Fraktion Die Linke,
die eine Finanzierung des Bundes für Beratungseinrich-
tungen vorsehen, sind der falsche Weg. Denn dies würde
empfindlich die Unabhängigkeit der Beratungseinrich-
tungen treffen. Grundsätzlich ist für uns Grüne eine un-
abhängige Beratung der richtige Weg. Unabhängige Be-
ratungsstellen können zeitaufwendige Beratungen besser
durchführen als eine Behörde, und als Gegengewicht zur
Verwaltung dienen. Bündnis 90/Die Grünen setzen auf
Subsidiarität, auf die bereits bestehende unabhängige
Beratungsstruktur und die Kompetenz vor Ort. Kommu-
nen verstehen es besser, zu organisieren und festzustel-
len, welcher Beratungsbedarf besteht. Es ist Aufgabe der
Kommunalpolitik, in den Arbeitsgemeinschaften darauf
hinzuwirken, dass eine Infrastruktur an Initiativen und
Beratungsstellen zur Verfügung steht und die entspre-
chenden Mittel eingesetzt werden. Wir fordern in diesem
Zusammenhang ausdrücklich die Finanzierungsverant-
wortung der Länder und Kommunen für unabhängige
Beratungsstellen ein und kritisieren den Rückzug der
Länder aus der Finanzierung. Ein besonders schlechtes
Beispiel ist die CDU/FDP-Landesregierung in Nord-
rhein-Westfalen, die Ende September 2008 vollständig
die Landesförderung der Arbeitslosenzentren abschaffte.
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Eines muss jedoch klar sein: Auch eine gut ausge-
aute und unabhängige Beratungsinfrastruktur kann im
ampf gegen verdeckte Armut wenig ausrichten, wenn
ie Betroffenen in ihren Rechten und Rechtsschutzmög-
ichkeiten eingeschränkt werden. Bündnis 90/Die Grü-
en wollen die Rechte der Betroffenen im Verfahren
tärken sowie die Qualität behördlicher Entscheidungen
nd der Eingliederungsleistungen verbessern. Wir wol-
en Wunsch- und Wahlrechte bei den Leistungen zur
ingliederung einführen, damit die Instrumente indivi-
uell und passgenau genutzt werden können, statt die
etroffenen in sinnlosen Qualifizierungs- und Beschäfti-
ungsmaßnahmen kreisen zu lassen. In unserem Antrag
Rechte von Arbeitssuchenden stärken – Kompetentes
allmanagement sicherstellen“ – Drucksache 16/9599 –
aben wir ausführlich dargelegt, wie wir uns dies im
inzelnen für die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden vor-
tellen.
Die Linke fordert in ihrem Antrag, mit ungeeigneten
itteln die Beratungsinfrastruktur, nicht jedoch die Ver-
ahrensrechte der Betroffenen zu stärken. Wir stimmen
eshalb dem Antrag nicht zu.
nlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur arbeitsmarkt-
adäquaten Steuerung der Zuwanderung
Hochqualifizierter und zur Änderung weite-
rer aufenthaltsrechtlicher Regelung (Ar-
beitsmigrationssteuerungsgesetz)
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der
Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
halts und der Integration von Unionsbür-
gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
– Beschlussempfehlung und des Bericht: Zu-
wanderung durch ein Punktesystem steuern –
Fachkräftemangel wirksam bekämpfen
(Tagesordnungspunkt 27 a und b)
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Das Ar-
eitsmigrationssteuerungsgesetz setzt einen Teil der
aßnahmen um, die die Bundesregierung am 16. Juli
008 im „Aktionsprogramm – Beitrag der Arbeitsmigra-
ion zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland“
eschlossen hat. Es geht im Wesentlichen um Änderun-
en des Aufenthaltsgesetzes. Die Bundesregierung will
it diesem Gesetzentwurf einen Teil dazu beitragen, den
achkräftebedarf in der deutschen Wirtschaft besser ab-
udecken. Vor diesem Hintergrund hat sie vorgeschla-
en, den Blick auch auf solche Ausländer zu richten, die
ich mit dem Status der Duldung im Inland aufhalten,
in gewisses Qualifikationsniveau besitzen und bereits
achweislich gut in den Arbeitsmarkt integriert sind.
olche Personen sollen, wenn sie bestimmte Vorausset-
ungen erfüllen, eine Aufenthaltsperspektive in Deutsch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20173
(A) )
(B) )
land erhalten können. Um es gleich vorweg ganz klar zu
sagen: Dieser Schritt ist ausländerrechtlich betrachtet al-
les andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen
uns bewusst sein, dass es sich bei diesem Personenkreis
um Ausländer handelt, die an sich ausreisepflichtig sind
und die lediglich aus bestimmten rechtlichen oder tat-
sächlichen Gründen, die sie teilweise nicht selbst zu ver-
treten haben, nicht abgeschoben werden. Wir als CDU/
CSU-Fraktion möchten dies an dieser Stelle ganz klar
festhalten.
Die Tatsache, dass einige dieser Personen unter be-
stimmten Voraussetzungen nun eine Aufenthaltserlaub-
nis erhalten sollen, ist eine Neuerung und als wirkliche
Ausnahmeregelung zu verstehen. Es handelt sich dabei
nicht um eine Bleiberechtsregelung aufgrund humanitä-
rer Erwägungen, sondern um eine Regelung im Interesse
solcher Unternehmen, die seit längerer Zeit eine qualifi-
zierte und bewährte ausländische Fachkraft mit Dul-
dungsstatus beschäftigen und auf diese Fachkraft ange-
wiesen sind. Diese Unternehmen – die gibt es in
München, Hamburg, Düsseldorf, aber auch in Altötting
und Burghausen – sollen eine bessere Planungssicherheit
erhalten, indem den betroffenen Arbeitnehmern eine
Aufenthaltsperspektive gegeben wird – nicht mehr und
nicht weniger. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung,
dass es zumindest in Teilen der deutschen Wirtschaft ei-
nen Bedarf an Fachkräften gibt, der nicht immer zeitnah
mit deutschen Arbeitnehmern oder EU-Bürgern gedeckt
werden kann. Hintergrund ist die positive wirtschaftliche
Entwicklung, die wir in Deutschland zumindest in den
letzten Jahren hatten.
Allerdings müssen wir die Konjunkturentwicklung
der letzten Wochen und Monate selbstverständlich zur
Kenntnis nehmen. Möglicherweise wird die Debatte
über den Fachkräftemangel in wenigen Monaten vor
diesem Hintergrund ganz anders als noch vor kurzem
geführt werden. Wenn mit diesem Gesetz trotzdem be-
stimmten Ausländern mit Duldungsstatus eine Aufent-
haltsperspektive eröffnet wird, dann muss man festhal-
ten: Wir stellen durch entsprechende Definition des
Personenkreises sicher, dass daraus keine Zuwanderung
in die Sozialsysteme wird. Es geht nur um Fachkräfte,
also qualifizierte Arbeitnehmer mit Duldungsstatus, die
bereits über einen längeren Zeitraum ununterbrochen im
Inland beschäftigt waren. Diese Personen wurden somit
bereits über mehrere Jahre in ihrem Unternehmen ge-
braucht und werden auch weiterhin gebraucht. Das Inte-
resse des Unternehmens, solche Leute weiterzubeschäf-
tigen, ist verständlich. Nur deshalb ist es verantwortbar,
diesen an sich ausreisepflichtigen Personen einen gefes-
tigteren Aufenthalt im Inland zu ermöglichen.
Wir haben uns in der Großen Koalition im parlamen-
tarischen Verfahren verständigt, bei den Fachkräften mit
qualifizierter Berufsausbildung die notwendige Dauer
der ununterbrochenen Vorbeschäftigung noch einmal
von zwei auf drei Jahre anzuheben. Wir wollen damit
noch besser sicherstellen, dass Missbrauchspotenzialen
und Pull-Effekten ein Riegel vorgeschoben wird. Dies ist
für uns als CDU/CSU eine entscheidende Vorausset-
zung, die erfüllt werden muss, damit die Gewährung ei-
ner Aufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten überhaupt
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erantwortbar ist. Aus Sicht der Innenpolitiker der
nion ist das ein Schritt, den wir uns nicht leicht ge-
acht haben. Wir glauben aber, dass mit der Beschäfti-
ungsdauer von drei Jahren, zu der noch das erste Jahr
inzukommt, das verstreichen muss, bis ein Ausländer
it Duldungsstatus überhaupt einen Zugang zum Ar-
eitsmarkt erhält, somit also mit einer Voraufenthaltszeit
on vier Jahren, im Wesentlichen nur solche Personen
rfasst sind, bei denen eine Rückkehr in ihr Herkunfts-
and faktisch in den meisten Fällen ohnehin sehr un-
ahrscheinlich ist.
Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass die
usländerbehörden und die Arbeitsagenturen die gesetz-
ichen Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einer
ufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten in Betracht
ommt, sehr genau im Blick haben. Die Verwaltung wird
or allem prüfen müssen, ob der betroffene Arbeitneh-
er in dem Betrieb, in dem er tätig ist, tatsächlich eine
einem Abschluss angemessene, qualifizierte Beschäfti-
ung ausübt. Wir gehen davon aus, dass die Verwaltung
ier insbesondere auch konsequent überprüft, ob die
ntlohnung des Arbeitsnehmers derjenigen einer qualifi-
ierten Fachkraft entspricht, und zwar während der ge-
amten vorausgesetzten Vorbeschäftigungszeiten. Wir
enken, dass wir gerade mit der Erhöhung der notwendi-
en Vorbeschäftigungsdauer bei den Fachkräften mit
ualifizierter Berufsausübung von zwei auf drei Jahre
och stärker betonen, dass wirklich nur qualifizierte
achkräfte von der Regelung erfasst werden.
Wir stellen außerdem konsequent sicher, dass von
iesen Regelungen keine Fehlanreize für einen Zuzug in
ie sozialen Sicherungssysteme ausgehen. Aus diesem
rund verlangen wir mit unserem Änderungsantrag,
ass eine Fachkraft mit qualifizierter Berufsausbildung
nd Duldungsstatus zusätzlich zu der ununterbrochenen
eschäftigungsdauer von drei Jahren innerhalb des letz-
en Jahres zumindest weitgehend – das heißt nach dem
nderungsantrag: abgesehen von Zuschüssen für Unter-
unft und Heizung – nicht auf ergänzende Sozialleistun-
en angewiesen war.
Abschließend halte ich zum Themenbereich der Ge-
uldeten fest: Unter Abwägung des Für und Wider und
nsbesondere vor dem Hintergrund, dass nur solche Ge-
uldeten erfasst werden, die als Fachkräfte seit mehreren
ahren in ihren Betrieben gebraucht werden, ist es ver-
retbar, unter den hier eng definierten Voraussetzungen
ine Aufenthaltsperspektive zu eröffnen.
Ich betone es noch einmal: Uns als Union geht es bei
ieser Regelung darum, den Unternehmen in Deutsch-
and in Fällen eines konkreten Bedarfs an Fachkräften zu
elfen. Es geht nicht um eine Aufenthaltsregelung mit
inem wie auch immer gearteten humanitären Hinter-
rund. Daran sollte niemand – auch nicht bei den Kolle-
en von der SPD – zweifeln.
Ein weiterer Schritt, zu dem wir uns in diesem Gesetz
ntschlossen haben, ist die Absenkung der Mindestver-
ienstschwelle für die Erteilung einer Niederlassungser-
aubnis an einen hoch qualifizierten Ausländer. Ich er-
aube mir an dieser Stelle – wie schon bei der ersten
esung dieses Gesetzentwurfs – wieder den Hinweis,
20174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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(B) )
dass ich die Heftigkeit der öffentlichen Diskussion über
die Verdienstschwelle für überzogen halte. Ich glaube
nicht, dass diese Verdienstschwelle von bislang
86 400 Euro bislang eine unüberwindbare Hürde für die
Gewinnung von hoch qualifizierten Kräften aus dem
Ausland war. Denn es gab und es gibt auch unterhalb
dieser Schwelle eine Reihe von Möglichkeiten, eine of-
fene Stelle auch mit einer Fachkraft aus dem Ausland zu
besetzen. Gleichwohl mag eine Absenkung dieser
Schwelle auf derzeit 63 600 Euro vertretbar sein. Ich bin
aber davon überzeugt: Wichtiger als diese oder jene Ge-
haltsschwelle ist die Frage, was deutsche Unternehmen
für wirkliche Spitzenkräfte zu bezahlen bereit sind.
Wenn ein Unternehmen einen Arbeitsplatz, für den ganz
spezielle Kenntnisse notwendig sind, mit einem Bewer-
ber aus dem Inland nicht besetzen kann und deshalb ei-
nen Spezialisten aus dem Ausland benötigt, dann sollte
es diesen auch anständig bezahlen. Es sind nicht zuletzt
die Verdienstmöglichkeiten, die viele Hochqualifizierte
in den letzten Jahren motiviert haben, vielleicht eher in
die USA oder auch in eines unserer Nachbarländer als zu
einem Unternehmen nach Deutschland zu gehen. Des-
halb denke ich: Nur wer einer Spitzenkraft auch attrak-
tive Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entloh-
nung anbietet, wird im globalisierten Wettstreit um die
sogenannten High Potentials eine Chance haben. Der
Gesetzgeber kann in dieser Frage nur begrenzt Einfluss
nehmen. Deshalb greifen die weitgehend eindimensio-
nale Ausrichtung der Diskussion auf die Verdienstschwelle
oder der Ruf mancher Unternehmen nach pauschalen,
möglichst starken Lockerungen des Arbeitsmarktzu-
gangs für Ausländer zu kurz.
Aus Sicht der Union müssen oberste Priorität – in je-
der konjunkturellen Entwicklung – die gute Ausbildung
und Qualifizierung der Menschen im Inland haben. Das
bleibt auch mit diesem Gesetz so. Wir müssen das Fach-
kräftepotenzial im Inland erschließen, bevor wir nach
Zuwanderung rufen. Ich bin davon überzeugt, dass weite
Teile des inländischen Fachkräftebedarfs durch das Ar-
beitskräftepotenzial im Inland gedeckt werden können.
Wer dagegen bei guten Auftragslagen nur nach aus-
ländischen Arbeitskräften ruft, muss die Frage beant-
worten, was mit diesen Menschen geschehen soll, wenn
einmal die Auftragsbücher nicht so voll sind. Diese
Frage haben wir als CDU/CSU-Fraktion an allererster
Stelle im Blick. Deshalb gilt für uns: Qualifizierung geht
vor Zuwanderung. Der Gesetzgeber darf bei der Frage
des Fachkräftebedarfs nicht nur kurzfristig denken, son-
dern muss die gesamtwirtschaftlichen mittel- und lang-
fristigen Auswirkungen eines Zuzugs ausländischer
Arbeitskräfte im Blick haben. Die konjunkturelle Ent-
wicklung hat sich in den letzten Monaten sehr deutlich
eingetrübt. Dehalb gilt bei allen Schritten, die auf einen
Zugang zum Arbeitsmarkt aus dem Ausland gerichtet
sind: Es darf daraus kein Zuzug in die sozialen Siche-
rungssysteme werden. Aus diesem Grunde haben wir ge-
rade auch den vorliegenden Gesetzentwurf im Bereich
der Geduldeten noch einmal so nachjustiert, wie ich es
beschrieben habe.
Ich lege weiter Wert darauf, dass wir auch im Bereich
der Erteilung der Niederlassungserlaubnis Sorge dafür
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ragen, dass Missbrauch bekämpft wird. Durch die Er-
änzung des § 55 Aufenthaltsgesetz wird ein zusätzli-
her Ausweisungstatbestand eingeführt, der mit der Ab-
enkung des Mindestverdienstes für die Erteilung einer
iederlassungserlaubnis an Hochqualifizierte zusam-
enhängt. Denn diese Absenkung birgt natürlich auch
in Missbrauchspotenzial. Wenn ein Ausländer seinen
rbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages über
eine Qualifikation oder seine Berufserfahrung täuscht
nd dieser Arbeitsvertrag die Grundlage dafür ist, dass
r ein Einreisevisum oder eine Niederlassungserlaubnis
rhält, dann muss die Ausländerbehörde darauf zumin-
est reagieren können. Deshalb erhält die Ausländerbe-
örde die Möglichkeit, im Wege einer Ermessensent-
cheidung darüber zu befinden, ob der Aufenthalt zu
eenden ist. Durch die Gestaltung als Ermessensauswei-
ungstatbestand können auch etwaige Interessen des Ar-
eitgebers berücksichtigt werden. Denn es ist – wenn
uch meines Erachtens nicht unbedingt wahrscheinlich –
edenfalls nicht ganz undenkbar, dass der Arbeitgeber
rotz einer solchen Täuschung so überzeugt von seinem
rbeitnehmer ist, dass er bereit ist, diesem auch weiter-
in ein Gehalt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze
er gesetzlichen Rentenversicherung zu bezahlen.
Zu dem Antrag der FDP-Fraktion, die Zuwanderung
urch ein Punktesystem zu regeln, haben der Kollege
einhard Grindel und ich schon am 29. Mai bei der ers-
en Beratung dieses Antrags das Nötige gesagt. Sie ken-
en deshalb die Position der CDU/CSU-Fraktion. Das
ernargument der FDP ist, dass man mit einem Punkte-
ystem gewissermaßen punktgenau eine Zuwanderung
rmöglichen könnte, die den Bedürfnissen des Arbeits-
arktes gerecht wird. Das halte ich für einen Irrglauben.
us Sicht der Union muss es dabei bleiben: Eine Zuwan-
erung auf den Arbeitsmarkt kommt nur in Betracht,
enn im konkreten Fall ein Arbeitsplatzangebot vor-
iegt. Jedes andere – wie auch immer im Detail gearte-
e – System, das auf diese Voraussetzung verzichtet, pro-
oziert Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme.
Auch das Argument, wonach der Zugang für Auslän-
er zum Arbeitsmarkt unterhalb der Gehaltsschwelle für
ie Niederlassungserlaubnis weitgehend versperrt wäre,
timmt eindeutig nicht. Allein im Jahr 2007 wurden rund
3 000 Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitneh-
er erteilt. Es stimmt auch nicht, dass nach geltendem
echt immer und stets die Vorrangprüfung zur Anwen-
ung kommen müsste. Richtig ist stattdessen: Die Bun-
esagentur für Arbeit kann schon auf Grundlage des gel-
enden Rechts den Zugang zum Arbeitsmarkt für
inzelne Berufsgruppen und regionale Wirtschaftszweige
uch ohne die sogenannte Vorrangprüfung ermöglichen,
enn es im konkreten Fall arbeitsmarkt- und integra-
ionspolitisch verantwortbar ist. Bei diesem Rahmen
üssen wir bleiben.
Aus diesem Grunde lehnen wir die Vorschläge der
DP ab.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält im
brigen auch eine Regelung zur Entfristung des § 23 a
ufenthaltsgesetz. Damit können die Bundesländer auch
eiterhin Härtefallkommissionen für das Aufenthalts-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20175
(A) )
(B) )
recht bilden. Der entsprechende Gesetzentwurf der FDP,
der hier noch zur Abstimmung steht, hat sich deshalb da-
mit erledigt.
Abschließend möchte ich betonen: Mit dem heute zur
Abstimmung stehenden Gesetz wollen wir die Unterneh-
men in Deutschland unterstützen, die Fachkräfte benöti-
gen. Es enthält verantwortbare Schritte mit Augenmaß
und für konkrete Fälle, in denen qualifizierte ausländi-
sche Arbeitnehmer mit Duldungsstatus gut in den deut-
schen Arbeitsmarkt integriert sind. Es handelt sich um
eine speziell zugeschnittene Lösung für Unternehmen,
die auf diese Arbeitnehmer angewiesen sind. Deshalb
und nur deshalb ist es vertretbar, einem Geduldeten in
diesem speziellen Fall eine Aufenthaltserlaubnis zu er-
teilen. Analogien zu diesem Fall oder Rufe nach weiter-
gehenden Bleiberechten für Personen mit Duldungssta-
tus kommen für uns nicht in Betracht.
Dieses Gesetz setzt deshalb auf punktgenaue, bedarfs-
gerechte Lösungen und vermeidet pauschale Schritte zur
Öffnung des Arbeitsmarkzugangs nach dem Motto „Öff-
net die Schranken“. Es bleibt abzuwarten, inwieweit bei
einer sich offenbar abkühlenden Konjunktur die Diskus-
sion über den Fachkräftemangel, vor allem vonseiten der
Wirtschaft, auch weiterhin mit dem gleichen Eifer wie
noch vor wenigen Monaten weitergeführt werden wird.
Ich denke aber, das vorliegende Gesetz gibt der Wirt-
schaft ein klares Signal, dass wir als Große Koalition
dort, wo es einen legitimen Bedarf für die Beschäftigung
einer ausländischen Fachkraft gibt, offen für pragmati-
sche Lösungen sind, die die legitimen Interessen der
Wirtschaft berücksichtigen.
Rüdiger Veit (SPD): Den Rahmen für die heutige
Debatte gibt das Aktionsprogramm der Bundesregierung
zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland vom
16. Juli 2008 vor. Im wiederum hierfür den Vorlauf dar-
stellenden Beschluss, der anlässlich der Kabinettklausur
in Meseberg im Juli 2007 gefasst wurde, heißt es: „Wir
wollen eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwan-
derung hochqualifizierter Fachkräfte vorsehen und die
Position unseres Landes im Wettbewerb um die Besten
stärken.“
Und nun haben wir das Arbeitsmigrationssteuerungs-
gesetz. Der Titel vermittelt hehre Ziele, aber auch her-
metische Zwecke. Die Regelung der arbeitsbedingten
Zuwanderung und die zielgenaue Öffnung des heimi-
schen Arbeitsmarkts sind wichtige Aspekte für unser
wirtschaftliches Wohlergehen. Wer etwas steuern will,
muss sich auch im Klaren darüber sein, wie kurz die
Leine gefasst wird. Ich möchte daher das ambitionierte
Ziel des vorgenannten Arbeitsprogramms zu Beginn
meiner Rede hervorheben: eine Öffnung und Verbesse-
rung des Arbeitsmarktzugangs für Hochqualifizierte und
Fachkräfte in Deutschland. Dabei ist mir klar, dass wir
noch nicht am optimalen Ende des Weges sind; aller-
dings haben wir mit den Schritten, die wir nun im
ASMG unternehmen, einen guten Teil der Strecke ge-
macht.
Im Einzelnen: Das zuwanderungspolitische Paket des
Aktionsprogramms enthält ein Bündel von Maßnahmen,
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ie gemeinsam zum 1. Januar 2009 in Kraft treten sollen.
as vorliegende Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz de-
iniert die maßgeblichen Neuerungen:
Erstens. Wir senken die Einkommensgrenze für
ochqualifizierte. Wie ich ja bereits in der ersten Lesung
usführen konnte, wird die Mindesteinkommensgrenze
ür die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an Hoch-
ualifizierte von dem Doppelten der Beitragsbemes-
ungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung (der-
eit 43 200 Euro mal zwei = 86 400 Euro) auf die
eitragsbemessungsgrenze (West) der allgemeinen Ren-
enversicherung in Höhe von derzeit 63 600 Euro ge-
enkt. Neben der Frage, wie wir die Zuwanderung von
erart Hochqualifizierten stimulieren und Anreize setzen
önnen, richtet sich der Blick des AMSG richtigerweise
ber auch auf das im Bundesgebiet ruhende Potenzial:
uf diejenigen, die noch keinen verfestigten Aufenthalts-
tatus innehaben, aber aufgrund der Situation in ihrem
erkunftsstaat, nicht zwangsweise aus Deutschland ab-
eschoben werden können.
Wir führen daher zweitens eine Statusverbesserung
ür sogenannte Bildungsinländer und Bildungsinlände-
innen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ein. Mit dem
MSG können wir beruflich gut qualifizierten Gedulde-
en, die ihre Ausbildung in Deutschland erfolgreich ab-
eschlossen haben, und Geduldeten, die sich aufgrund
hrer bereits im Herkunftsland erworbenen Qualifika-
ionen am Arbeitsmarkt bewährt haben, eine Aufent-
altsperspektive bieten und damit das durch die Bleibe-
echtsregelung der IMK vom 17. November 2006 und die
esetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b AufenthG
ntstandene Bild komplettieren. Wir erfassen dabei drei
ersonengruppen: zunächst Geduldete, die erfolgreich in
eutschland eine Berufsausbildung absolviert oder stu-
iert haben, sodann geduldete Hochschulabsolventen
nd -absolventinnen, deren ausländischer Studienab-
chluss in Deutschland anerkannt ist oder mit einem
eutschen Hochschulabschluss vergleichbar ist, und die
wei Jahre lang eine dem Abschluss angemessene Be-
chäftigung ausgeübt haben und schließlich geduldete
achkräfte, die drei Jahre lang in einer qualifizierten Be-
chäftigung tätig waren und die im letzten Jahr vor der
ntragstellung nicht auf öffentliche Mittel für die Siche-
ung des Lebensunterhalts angewiesen waren.
Für die letztgenannte Gruppe ist von Beachtung, dass
er Bezug von Mitteln zur Deckung der notwendigen
osten für die Unterkunft beziehungsweise Wohngeld
nschädlich ist. Auch wird hinsichtlich der dreijährigen
orbeschäftigung in den Verwaltungsvorschriften klar-
estellt, dass kurzfristige Unterbrechungen der Erwerbs-
ätigkeit von bis zu drei Monaten irrelevant sind.
Hinsichtlich der zweiten Gruppe ist angesichts der
roblematik, die zunehmend unter dem Gesichtspunkt
er Verschwendung von geistigen Ressourcen diskutiert
ird, die Öffnung für Geduldete mit einem dem deut-
chen Abschluss vergleichbaren ausländischen Hoch-
chulabschluss von einiger Bedeutung.
Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass weitere
aßgebliche Maßnahmen durch Verordnung geregelt
erden; von Interesse ist dabei insbesondere die Rege-
20176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
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lung eines erleichterten Zugangs zu einer Ausbildung für
Geduldete, die nach den allgemeinen Regelungen noch
keinen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang besitzen.
Eine Veränderung des Status als Geduldete ist hiermit
während der Ausbildung noch nicht verbunden. Die Ver-
ordnungsregelung verbessert aber die Stellung auf dem
Ausbildungsmarkt erheblich. Nach erfolgreicher Ausbil-
dung erfolgt diese jedoch über den neuen § 18 a Abs. 1
Nr. 1 a) AufenthG.
Daran anknüpfend möchte ich noch einen Aspekt her-
vorheben, der mir am AMSG neben der Einbettung in
das Aktionsprogramm wichtig war: Im parlamentari-
schen Verfahren haben wir den ursprünglichen Gesetzent-
wurf durch die Einbeziehung von Änderungen der für die
Ausbildungsförderung maßgeblichen Gesetze SGB III
und BAföG sinnvoll ergänzt. Die durch das Aktionspro-
gramm initiierten Verbesserungen des Ausbildungszu-
gangs für Geduldete werden nun im Ausbildungsförde-
rungsrecht gespiegelt, so dass Geduldete, die eine
Ausbildungsstelle bekommen und damit allein nicht ih-
ren Lebensunterhalt sichern können, nicht auf die Aus-
bildung verzichten müssen. Sie können nunmehr, wenn
sie einen vierjährigen ununterbrochenen Aufenthalt in
Deutschland nachweisen, die Förderung beantragen.
Ohne die Möglichkeit der Ausbildungsförderung wäre
der verbesserte Zugang für Geduldete in betriebliche
Ausbildung oder Studium eine leere Hülse geblieben.
Mit der Aufnahme der Regelungen zur Ausbildungsför-
derung von Geduldeten beweist das AMSG jedoch, dass
hinsichtlich des Angebots zur Statusverbesserung keine
halben Sachen gemacht werden.
Schließlich ist hier die Entfristung der Härtefallrege-
lung zu nennen, die zu den eindeutigen Pluspunkten
dieses Gesetzes zählt. Denn mittlerweile haben alle Bun-
desländer Härtefallkommissionen geschaffen, die natür-
lich nicht alle gleich arbeiten. Im Großens und Ganzen
wird jedoch das gute Wirken der Härtefallkommissionen
nicht bestritten. Und daran sollten wir festhalten.
Insgesamt kann man das AMSG also als den berühm-
ten Schritt in die richtige Richtung bewerten. In diesem
Sinne steht die SPD-Bundestagsfraktion weiteren aus-
länderrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben im Bereich
der Arbeitsmigration aufgeschlossen gegenüber.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der vorliegende
Gesetzentwurf zur Steuerung der Arbeitsmigration bleibt
auch nach Ausschussberatungen und in letzter Minute
gestrickten Änderungen der Koalition weit hinter sachli-
chen Erfordernissen und dem Diskussionsstand zurück.
Die vorgesehene Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes
für Akademiker aus allen EU-Staaten, die Senkung der
Mindesteinkommensgrenze und der vereinzelte Verzicht
auf die Vorrangprüfung sind Minimalschritte. Sie sind
entschieden zu kurz gesprungen. Die Absenkung der
Mindesteinkommen geht nicht weit genug.
Die grundsätzliche Beibehaltung der bürokratischen
Vorrangprüfung für Hochqualifizierte bleibt eine Belas-
tung besonders für den Mittelstand. Wie sollen gerade
klein- und mittelständische Unternehmen so ihre Perso-
nalplanung betreiben? Auch die nach wie vor zu hohen
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inkommensgrenzen sind Hürden, die dem Hochtechno-
ogiestandort Deutschland insgesamt und unserem Mit-
elstand schaden. Vor allem aber werden die wenigen
nd unzureichenden Verbesserungen konterkariert durch
ine geradezu reaktionäre Politik im Bereich der Arbeit-
ehmerfreizügigkeit in der EU.
Eine weitere Beschränkung der EU-Arbeitnehmer-
reizügigkeit für Arbeitnehmer aus neu beigetretenen
itgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland ist
ontraproduktiv. Die Bundesregierung muss von ihrem
orhaben dringend ablassen, bei der EU-Kommission
ine erneute Verlängerung der Einschränkung bis 2011
nzumelden. Wieso differenzieren Sie für diesen kurzen
eitraum von zwei Jahren nochmals nach Akademikern
nd anderen? Das schafft Bürokratie bei Unternehmen,
nsicherheit bei den Arbeitnehmern, das schafft Unver-
tändnis bei unseren Nachbarn. Vielmehr ist die Öffnung
es deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus den
euen EU-Staaten erforderlich.
Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, dass wir
ns weiterentwickeln können und die entsprechenden
apazitäten hierfür haben. Gerade dann, wenn es kon-
unkturelle Schwierigkeiten gibt, brauchen wir Innova-
ionen, Forschung und Entwicklung, und das geht nur
it Hochqualifizierten und Fachkräften. Dazu müssen
ir das Problem des Fachkräftemangels dringend behe-
en. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind sich
inig, dass der stärkere Zuzug von Fachkräften nach
eutschland über ein Punktesystem ein Beitrag zur Be-
ämpfung der Arbeitslosigkeit bei uns ist. Denn der Ein-
atz jeder weiteren Fachkraft zieht weitere Arbeitsplätze
ach sich. Jede neue Entwicklung stärkt die Unterneh-
en in Deutschland.
Gebraucht werden nicht nur Hochqualifizierte, wie es
ie Bundesregierung teilweise vorsieht, sondern auch
acharbeiter und Saisonarbeitskräfte. In der Landwirt-
chaft beispielsweise trifft die weitere bürokratische Ver-
chiebung der Geltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
uf komplettes Unverständnis. Die Bundesregierung be-
ient hier lediglich ungerechtfertigte Ängste. Die Erfah-
ungen aus den anderen EU-Staaten zeigen, dass eine
berbordende Zuwanderung auf den deutschen Arbeits-
arkt nicht erfolgen wird. Hier wäre die Bundesregie-
ung in der Pflicht, die Bevölkerung wahrheitsgetreu
ufzuklären, anstatt die Angstmache durch Verlängerung
er Dauer der Übergangsregelungen zu verstärken.
Ohne ein einheitliches System droht Deutschland, den
ettbewerb um die klügsten Köpfe zu verlieren. Aber
nstatt die bewusste Gestaltung dieser Politik beherzt in
ie eigenen Hände zu nehmen, wird der Schwarze Peter
er EU zugeschoben: Die grundsätzliche Idee mit der
lue Card entbindet uns jedoch nicht davon, unsere
ausaufgaben zu machen. Die nationalen Arbeitsmärkte
ivergieren stark. Die deutsche Regierung muss sich
elbst an die Arbeit machen.
Die FDP hat die Aufhebung der Befristung der Härte-
allkommissionen gefordert. Ich begrüße es nachdrück-
ich, dass sich die Bundesregierung diesen Vorschlag
etzt zu eigen gemacht hat. Die Kommissionen sind ein
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20177
(A) )
(B) )
erfolgreiches Instrument für kritische Prüfung migra-
tionspolitischer Maßnahmen.
Die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass
wir mittelfristig den wirtschaftlichen Standard nicht
mehr werden halten können, wenn wir uns nicht für qua-
lifizierte Zuwanderung öffnen. Das Gegenmodell zur res-
triktiven Politik von CDU/CSU und SPD hat die FDP
vorgelegt: Wir brauchen ein Punktesystem, das die Zu-
wanderung nach klaren Kriterien steuert und auch unsere
Interessen und Erwartungen an die Zuwanderer klar de-
finiert. Dabei spielen vor allem die Qualifikation, die be-
rufliche Erfahrung, das Alter und die Kenntnisse der
deutschen Sprache eine große Rolle.
Entscheidend ist: Wen wollen wir nach Deutschland
einladen? Wer kann unsere Gesellschaft weiterbringen?
Für diese brauchen wir eine Willkommenskultur, die es
für Hochqualifizierte und Fachkräfte aus dem Ausland
leichter macht, sich für Deutschland zu entscheiden.
Die Bundesregierung will steuern, aber sie steuert mit
stotterndem Motor auf Zickzackkurs. Deutschland
braucht nicht das angstgeleitete zuwanderungspolitische
Stückwerk von CDU/CSU und SPD, sondern eine mo-
derne, klare, nachvollziehbare Zuwanderungssteuerung
aus einem Guss.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Zeit der parla-
mentarischen Beratung hat die Bundesregierung leider
nicht genutzt, die Kritik – nicht nur der Opposition, son-
dern auch von verschiedenen Verbänden – zu nutzen, um
substantielle Verbesserungen für Migrantinnen und Mi-
granten sowie in der BRD lebende Menschen mit Dul-
dung zu schaffen. Das Arbeitsmigrationssteuerungsge-
setz hätte anstelle seiner einseitigen Konzentration auf
die Interessenlage der deutschen Wirtschaft unter ande-
rem die Gelegenheit geboten, die Härten der Bleibe-
rechtsregelung abzumildern. Das tut es aber nicht. Für
die hier lebenden geduldeten Menschen wird zwar mit
§ 18 a ein neuer Aufenthaltstitel in das Aufenthaltsge-
setz, AufenthG, eingeführt. Doch selbst hier hat sich die
Bundesregierung nicht durchringen können, ihren groß-
spurigen Worten von Integration auch mal Taten folgen
zu lassen. Die Zeit ihres Asylverfahrens soll nicht ange-
rechnet werden. Ihnen wird sogar im Vergleich zu Inha-
berinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis aus
humanitären Gründen die Verfestigung des Aufenthalts
erschwert. Hinzu kommt, dass selbst diese Regelung le-
diglich eine Ermessensregelung ist. Denn auch sonst
bleibt sich die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Diskri-
minierungspolitik treu. Es bleibt bei den arbeitserlaubnis-
rechtlichen, leistungsrechtlichen sowie gegebenenfalls
auch residenzpflichttechnischen faktischen Arbeits-, Aus-
bildungs- und Studierverboten. Die im Heimatland er-
worbenen Qualifikationen werden nach wie vor nicht
oder nur teilweise anerkannt.
In § 18 a AufenthG sind die Ausschlussgründe der
Altfallregelung nach § 104 a AufenthG übernommen
bzw. hinsichtlich notwendiger Kenntnisse der deutschen
Sprache gar verschärft worden. Gefordert wird Sprach-
niveau B 1. Damit wird in diesen Fällen eine höhere
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esslatte angelegt, als bei der Erteilung einer Aufent-
altserlaubnis nach der Altfallregelung.
Die Linke hat die gesetzliche Altfallregelung gerade
uch wegen deren Ausschlussgründe kritisiert. Die Er-
ahrungen haben diese Kritik bestätigt. Die Handhabung
er Altfallregelung erfolgt in den einzelnen Bundeslän-
ern teilweise sehr unterschiedlich. Dies gilt etwa für die
nwendung der Kriterien „ausreichender Wohnraum“
nd “eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes“.
un sind aber genau diese von uns abgelehnten Aus-
chussgründe nahezu identisch in die Regelung zur Ar-
eitsmarktsteuerung übernommen worden. Auch hier
ird soziale Selektion groß geschrieben. Ziel der Rege-
ungen – so die Begründung im Änderungsantrag der
egierungsfraktionen – ist, dass kein „Anreiz für einen
ezielten Zuzug von Ausländern nach Deutschland“ ge-
chaffen wird, um „hier geduldet zu werden“. Was hier
lso als großer humanitärer Akt der Bundesregierung
ropagiert wird, wird praktisch kaum Auswirkungen ha-
en. Insgesamt wird die Anzahl der Geduldeten, die von
em neuen Aufenthaltstitel profitierten können, sehr ge-
ing sein.
Und genau darum geht es im Grundsatz in der Migra-
ions- und Flüchtlingspolitik der Bundesregeierung im
llgemeinen und im Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz
m Konkreten. Es geht um Auslese und rassistischen
ierarchisierung. Migrantinnen und Migranten werden
eweils abgestuft soziale und politische Rechte verwei-
ert bzw. zugestanden. Und dies erfolgt entlang der Be-
ürfnisse der deutschen Wirtschaft, des Standortnationa-
ismus und der Arbeitsmärkte. Die Linke hat diesen
ützlichkeitsrassismus der bundesdeutschen Zuwande-
ungsgesetzgebung und -politik immer kritisiert.
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. So oder
hnlich muss wohl die Migrationspolitik der Bundesre-
ierung zu beschreiben. Allerdings geht es dabei weni-
er um eine Zerreißprobe zwischen hellen und dunklen
ächten. Vielmehr kann sich die Bundesregierung nicht
wischen den Forderungen der deutschen Wirtschaft und
eren Profitstreben einerseits und ihrem deutschnationa-
en und völkischen Homogenisierungsnostalgie anderer-
eits entscheiden. Deutlich wird dies nicht nur darin,
ass sie gegenüber den aus ihrer Sicht nützlichen Hoch-
ualifizierten kulanter ist als gegenüber den lange in der
RD lebenden Geduldeten, denen mit zahlreichen Res-
riktionen das Leben erschwert wird.
Deutlich wird dies eben auch in ihrer Politik gegen-
ber den Interessen der deutschen Wirtschaft. So wird
war die Mindestgehaltsgrenze in § 19 AufenthG Abs. 2
r. 3 von 86 400 auf 63 600 Euro Jahresgehalt gesenkt.
atürlich wurden gleichzeitig neue Widerrufsmöglich-
eiten innerhalb der ersten fünf Jahre eingeführt. Dem
undesrat geht die Absenkung der Mindestgehalts-
renze nicht weit genug, wie der Presseerklärung „Deut-
ichere Akzente bei der Arbeitsmigration“ vom 10. Ok-
ober 2008 zu entnehmen ist. Aus seiner Sicht bleibt
achkräften aus mittelständischen Unternehmen der Zu-
ang zum Arbeitsmarkt verschlossen. Kritisiert wird
om Bundesrat auch, dass keine Absenkung der Mindest-
nvestitionssumme für Selbstständige vorgesehen ist.
20178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
Um dies noch einmal ganz deutlich zu sagen: Die
Linke befürwortet sehr wohl, dass Menschen in die Bun-
desrepublik kommen können. Auch, um hier zu arbeiten.
Wir lassen aber nicht zu, dass hoch qualifizierte gegen
gering qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten,
Arbeitsmigrantinnen und -migranten gegen Flüchtlinge,
Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge gegen
„Deutsche“, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger
gegen Arbeitslose, Frauen gegen Männer, Ossis gegen
Wessis, Kinderlose gegen Eltern bzw. Familien, Alt ge-
gen Jung ausgespielt wurden. Doch die Bundesregierung
will genau dies. Sie tut alles, um im Interesse der deut-
schen Wirtschaft billige, flexible und vor allem fügsame
Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu sichern. Sie tut
alles, um im kapitalistischen Interesse, Niedriglohnjobs
auszuweiten und die Konkurrenz zwischen Migrantinnen
und Migranten mit den ansässigen Einwohnerinnen und
Einwohnern zu verschärfen.
Sie nimmt wissentlich und gezielt in Kauf, dass quali-
fizierte Migrantinnen und Migranten in der Regel unqua-
lifizierten Tätigkeiten nachgehen müssen. Die Integra-
tionsbeauftragte Böhmer lamentiert zwar im Focus vom
28. Oktober 2008 von „dringendstem Handlungsbedarf“
und sie wolle den „Anerkennungsdschungel lichten“.
Gleiches in ihrer Presseerklärung vom 8. Mai 2008 zur
Vorstellung der Studie „Brain Waste“. Da stellt sie fest:
„Notwendig seien transparente, bundesweit vergleich-
bare und zügige Verfahren zur Anerkennung von im
Ausland erworbenen Qualifikationen. Darauf sollten
künftig alle Zugewanderten einen Anspruch haben.“
Wir haben mit unserem Antrag „Für eine erleichterte
Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bil-
dungs- und Berufsabschlüssen“, Drucksache 16/7109,
die Situation der circa eine halbe Million eingewander-
ten Akademikerinnen und Akademiker verbessern wol-
len. Wir fordern die Entwicklung und Finanzierung eines
Konzepts für eine bundeseinheitliche, vereinfachte und
beschleunigte Anerkennung von im Ausland erworbenen
Schul-, Berufs- und Hochschulabschlüssen und machen
zahlreiche konkrete Vorschläge, etwa zur Teilanerken-
nung und Ergänzungsqualifizierung, zu vereinfachten
praktischen Anerkennungsverfahren, zu vereinfachten
Abschlussprüfungen usw. Doch Frau Böhmer und die
Bundesregierung lehnen unseren Antrag aber ab. Ge-
nauso haben sie einen uneingeschränkten Arbeitsmarkt-
zugang für Asylsuchenden und Geduldeten, wie wir ihn
in unserem Antrag Drucksache 16/4907 forderten, abge-
lehnt.
Die Linke ist für Arbeit, die ein Auskommen garan-
tiert, und für gleiche Rechte für alle; sie ist gegen Lohn-
dumping, das die Bundesregierung zu verschärfen ver-
sucht. Dass bei der Bundesregierung Humanität unter
Nützlichkeitserwägungen bzw. -vorbehalt steht, zeigt
auch, dass sie sich hinsichtlich der Härtefallregelung le-
diglich zu einer Entfristung durchringen konnte. Grund-
sätzlich ist diese natürlich ersteinmal zu begrüßen. Ich
will es aber der Bundesregierung nicht ersparen, hier
eines noch mal klar zu stellen: Die Bundesregierung ist
es, die mit ihrer restriktiven Migrations- und Flücht-
lingspolitik erst die Härtefälle schafft, die über die Här-
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efallregelung geheilt werden. Das betrifft vor allem
uch die mehr als dürftige Bleiberechtsregelung.
Schlimm genug also, dass es überhaupt einer Härte-
allregelung bedarf. Aber diese stellt eben kein sonderli-
hes Ruhmesblatt dar. Nicht nur, weil es nicht einmal
ine verbindliche Verpflichtung zur Einrichtung einer
ärtefallkommission auf Länderebene gibt. Nein, es
leibt letztlich der obersten Landesbehörde überlassen,
b sie dem Votum der Kommission folgt und einen Auf-
nthaltstitel erteilt. Auch die Entfristung ist letztlich
icht bindend. Die Möglichkeit, die eingerichteten Här-
efallkommissionen wieder abzuschaffen bleibt unbe-
ührt.
Die Linke hat immer gefordert, dass es bundesrecht-
ich verbindliche Vorgaben geben muss. Die Linke lehnt
as vorgelegte Arbeitsmigratiossteuerungsgesetz ab. Wir
önnen keinen Regelungen zustimmen, die einem Kon-
ept Rechnung zu tragen, in der BRD lebende Dritt-
taatsangehörige gegenüber erwünschten Hochqualifi-
ierten weiterhin zu diskriminieren. Die Linke fordert,
ass das Aufenthaltsrecht vom konkreten Arbeitsplatz
nabhängig sein muss. Tatsächliche Verbesserungen in
er Migrationspolitik wären die Ratifizierung der Inter-
ationalen Konvention der Vereinten Nationen zum
chutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer
amilienangehörigen und die Einführung von Mindest-
tandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ob
ie nun aus Deutschland kommen oder aus anderen EU-
ändern oder Drittstaaten. Die Bundesregierung muss
ndlich dafür sorgen, dass unter gleichen Arbeitsbedin-
ungen am gleichen Ort und für die gleiche Arbeit auch
er gleiche Lohn gezahlt wird. Es muss endlich ein ge-
etzlicher Mindestlohn eingeführt werden, damit Be-
chäftigte nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden
önnen. Das Arbeitserlaubnisrechts muss endlich abge-
chafft, Fortbildungsmaßnahmen für arbeitslose Akade-
ikerinnen und Akademiker gewährleistet und ausländi-
che Bildungsabschlüsse anerkannt werden, wie das Die
inke in den Anträgen auf den Drucksachen 16/4907,
6/3912, 16/7109 und im Gesetzentwurf 16/369 gefor-
ert hat. Solchen gesetzlichen Regelungen kann dann
uch Die Linke zustimmen.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche
usammenarbeit und Entwicklung, gelangte im Septem-
er dieses Jahres in ihrem „International Migration Out-
ook“ zu ernüchternden Feststellungen. Erstens. Nach
eutschland wandern immer weniger Ausländer ein –
in maßgeblicher Grund, weswegen hierzulande die Er-
erbsbevölkerung besonders stark abnimmt. Zweitens.
uf Grundlage der Hochqualifiziertenregelung des Zu-
anderungsgesetzes kamen in den letzten beiden Jahren
erade einmal 900 Fachkräfte nach Deutschland. Drit-
ens. Und schließlich ist gerade bei der Gruppe der Hoch-
ualifizierten die Abwanderungsquote aus Deutschland
esonders hoch.
Die Maßnahmen der Großen Koalition gegen diesen
rend sind halbherzig. Dies gilt zum Beispiel im Hin-
lick auf die Mindesteinkommensgrenze für Hochquali-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20179
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(B) )
fizierte oder die Mindestinvestitionssumme für Selbst-
ständige. In beiden Fällen wurden zum Beispiel die
Vorschläge des Bundesrates zum „Abbau unnötiger Zu-
wanderungshürden“ mit kleingeistigen Argumenten vom
Tisch gewischt.
Und dennoch: Meine Fraktion wird dieses Gesetz
nicht ablehnen, sondern sich der Stimme enthalten. Denn
dieses Gesetzespaket enthält auch positive Aspekte. Be-
sonders begrüßen wir die Entfristung der Härtefallrege-
lung in § 23 a des Aufenthaltsgesetzes. Ohne diesen
Schritt wäre die nach unserem Ermessen erfolgreiche
Arbeit der Härtefallkommissionen der Länder Ende
2009 ausgelaufen. Weiterhin begrüßen wir es, dass be-
ruflich qualifizierte Geduldete nun zum Zwecke der Be-
schäftigung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen
bzw. dass die Große Koalition – christdemokratischen
Bedenkenträgern zum Trotz – die Ausbildungsförderung
nun auch von Geduldeten verbessern will. Wir meinen
aber, dass der Kreis derjenigen, die nach diesem Gesetz
ein Bleiberecht erhalten sollen, viel zu eng gefasst ist. Es
ist für uns zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum
nicht auch das Durchlaufen des Schulsystems ein Zei-
chen für eine Verwurzelung in der hiesigen Gesellschaft
sein soll.
Wir meinen: Soll die neue Regelung wirksam sein, so
dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt
werden. Die Große Koalition stellt in ihrer Begründung
des Gesetzentwurfs ja selbst fest: „Sowohl die Bleibe-
rechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 als
auch die gesetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b
AufenthG stellen für die Erlangung eines sicheren Auf-
enthaltsstatus für zahlreiche, insbesondere jüngere Ge-
duldete hohe Hürden auf.“
Die Bleiberechtsregelung der Großen Koalition bleibt
in vielfältiger Weise weit hinter den eigenen hochge-
steckten Zielen zurück. Wer dies ändern will, muss die
erkannten Hürden für die Inanspruchnahme dieser Rege-
lung systematisch beseitigen. Bleibt es jedoch bei dem
restriktiven Ansatz der Großen Koalition, könnte es sein,
dass die Ziele dieses Gesetzes nicht erreicht werden,
nämlich aus der Gruppe der Geduldeten zumindest die
qualifizierten Fachkräfte mit einem Aufenthaltstitel aus-
zustatten.
Das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz ist und
bleibt Stückwerk. Zum einen wehrt sich die Große Ko-
alition – allen guten Erfahrungen anderer westeuropäi-
scher Volkswirtschaften zum Trotz – partout gegen die
Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern aus den Beitrittsländern, obwohl dies gerade von
denjenigen Bundesländern gefordert wird, von denen
immer behauptet wird, man müsse sie davor schützen.
Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg
wissen, dass sie von dieser Freizügigkeit, die ja 2011 oh-
nehin kommen wird, schon jetzt profitieren könnten.
Zum anderen traut sich Schwarz-Rot nicht, ein Punkte-
system zur Zuwanderung vorzuschlagen, das die abseh-
bar gravierenden Probleme des Alterungsprozesses un-
serer Gesellschaft zumindest ein Stück weit abmildern
könnte.
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Deutschland hat bereits viel Zeit verloren. Rot-Grün
at schon 2002 hierfür eine gesetzliche Regelung vorge-
chlagen. Und obwohl sowohl die Zuwanderungskom-
ission der CDU als auch die Kommission von Roman
erzog „Zur Reform der sozialen Sicherungssysteme“
estgestellt haben, dass „Zuwanderung einen Beitrag zur
bmilderung des Alterungsprozesses leisten kann“,
temmen sich die Konservativen gegen diese gesell-
chaftliche Notwendigkeit.
Neben uns Grünen fordert nicht nur die EU-Kommis-
ion und das Europäische Parlament, fordert nicht nur
as Institut der deutschen Wirtschaft und die Vereini-
ung der Bayerischen Wirtschaft, sondern fordert nun-
ehr selbst der Bundesrat in seinem Beschluss zum Ar-
eitsmigrationssteuerungsgesetz die Große Koalition
uf, „umgehend mit der Vorbereitung eines Punktesys-
ems zur demografischen Zuwanderung zu beginnen“.
ber zu einer solch grundlegenden Modernisierung des
eutschen Zuwanderungsrechts hat Schwarz-Rot nicht
ehr die Kraft. Es ist Zeit für einen grünen Neuanfang.
nlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Sicherung der inter-
kommunalen Zusammenarbeit (Tagesord-
nungspunkt 28)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Auch ich halte Ver-
altungszusammenarbeit zwischen kommunalen Ge-
ietskörperschaften für ein geeignetes und vielfach
rforderliches Mittel interner Staatsorganisation, um
osteneffizient und im Interesse des Gemeinwohls Leis-
ungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erbringen.
ie interkommunale Zusammenarbeit ist ein wesentli-
her Bestandteil der Organisationshoheit unseres Staa-
es.
Ich habe jedoch drei Einwände gegen den hier von
er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten An-
rag:
Erstens. Bei der Frage der innerstaatlichen Organisa-
ion verfügt der Bundesgesetzgeber nur über sehr einge-
chränkte Kompetenz. Ganz im Sinne unseres Bestre-
ens nach Subsidiarität ist jede Instanz unterhalb des
undesstaats auch wieder für die eigene Organisation
uständig. Demnach sind bei staatlich zu lösenden Auf-
aben – wie der Einrichtung von Förderprogrammen für
nterkommunale Kooperationen – zuerst und im Zweifel
ie Länder für eine Umsetzung zuständig, während über-
eordnete Glieder zurücktreten.
Die Aktivitäten des Bundesamtes für Bauordnung
nd Raumwesen können den Ländern hier als Orientie-
ung dienen. Es führt zahlreiche Modellvorhaben zu er-
olgreicher interkommunaler Kooperation durch. Die
undesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen haben
ereits Förderprogramme aufgelegt, die sich eng an die
mpfehlungen des Bundesamtes halten und sich guter
esonanz erfreuen. Bayern und das Saarland befinden
ich derzeit in der Planungsphase. Im Gespräch mit Ver-
20180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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tretern der zuständigen Landesbehörden wurde mir ver-
mittelt, dass es nicht erwünscht sei, wenn der Bund hier
in Konkurrenz mit den Ländern treten und die Förderung
im kommunalen Bereich an sich ziehen würde. Für mich
ist dies nachvollziehbar: Die Landesregierungen kennen
die lokalen Bedürfnisse, ein bundeseinheitliches Pro-
gramm würde der Komplexität des Themas gewiss nicht
gerecht.
Zweitens. Für den Antrag besteht kein Bedarf. Der
derzeit verhandelte Regierungsentwurf zur Novellierung
des Vergaberechts regelt die interkommunale Zusam-
menarbeit bereits in § 99 Abs. 1 Satz 2 GWB-E neu. Er
wird gegenwärtig zwischen den Berichterstattern bera-
ten. Gemäß Entwurf liegt bei interkommunaler Zusam-
menarbeit nur dann keine ausschreibungspflichtige Ver-
gabe vor, wenn kein privates Kapital am Auftragnehmer
beteiligt ist und dieser nicht am Markt agiert oder im
Wesentlichen für öffentliche Auftraggeber tätig ist. Das
heißt: Ist privates Kapital am Auftragnehmer beteiligt,
muss ausgeschrieben werden.
Diese Negativdefinition des öffentlichen Auftrages ist
nicht ganz unproblematisch. Im Berichterstattergespräch
haben wir heute erörtert, wie wir den Regierungsentwurf
so fortentwickeln, dass einerseits das Interesse des Staa-
tes an einer möglichst freien Ausübung seiner Organisa-
tionshoheit gesichert ist, andererseits verhindert wird,
dass unter dem Deckmantel der Organisationshoheit öf-
fentliche Aufträge gezielt am Vergaberecht vorbeidiri-
giert und ganze Wirtschaftszweige gegenüber der Staats-
wirtschaft benachteiligt werden.
Und damit bin ich bei drittens. Natürlich dürfen wir
die Auswirkungen einer Stärkung der interkommunalen
Zusammenarbeit auf mittelständische Unternehmen der
Privatwirtschaft nicht aus den Augen lassen. Der Ver-
such, hier einen Ausgleich der Interessen zwischen öf-
fentlichen Auftraggebern, Bürgern und Unternehmern zu
finden, hat uns in unseren Beratungen zur Novelle des
Vergaberechts immer wieder vor dasselbe Problem ge-
stellt:
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirt-
schaft, der Zentralverband des Deutschen Handwerks
und der Bundesverband für Informationswirtschaft – un-
terstützt von einer Reihe von weiteren Wirtschaftsunter-
nehmen – sprechen sich mit Nachdruck gegen die Rege-
lung in § 99 GWB aus. Wenn der Gesetzgeber die
Kooperation unter rechtlich selbstständigen staatlichen
Einheiten in Zukunft ausdrücklich von der Ausschrei-
bungspflicht freistelle, schließe er mittelständische Un-
ternehmen der Privatwirtschaft von einem großen Teil
des Marktes aus.
Für die Position der Wirtschaftsverbände sprechen
wirtschaftspolitische Überlegungen, mit denen ich mich
als CSUler durchaus identifizieren kann: Die Ausschrei-
bung bestimmter Dienstleistungen der Daseinsvorsorge,
etwa im Bereich der Abwasserentsorgung, könnte die
Marktzugangschancen von Privatunternehmen und ge-
rade auch von Mittelständlern verbessern. Dies ist poli-
tisch von unserer Fraktion zunächst einmal gewollt.
Auch politisch gewollt ist es, im Bereich der öffentli-
chen Aufträge kosteneffizient zu wirtschaften. Es ist si-
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herlich problematisch, wenn es öffentlichen Auftragge-
ern durch Inhouse-Vergaben oder interkommunale
ooperation möglich ist, Aufträge vom Vergaberecht
nsgesamt auszunehmen. Deshalb sollte tatsächlich im-
er sorgfältig geprüft werden, ob nicht eine Vergabe an
rivate Unternehmen unter dem Aspekt der Kosten-
rsparnis und Entlastung der öffentlichen Haushalte vor-
eilhafter ist, als die Aufträge selbst auszuführen.
Als Kommunalpolitiker kann ich aber auch die Be-
enken der anderen Seite verstehen. Würde die inter-
ommunale Kooperation dem Vergaberecht unterwor-
en, würde das de facto auf eine Privatisierungspflicht
inauslaufen. So weit entmündigen können und wollen
ir unsere Kommunen nicht. Die Entscheidung, ob eine
eistung am Markt eingekauft oder selbst ausgeführt
ird, obliegt alleine den betroffenen staatlichen Einhei-
en. So geht es hier in erster Linie darum, Kommunen zu
rmöglichen, miteinander interkommunale Kooperatio-
en einzugehen, und nicht darum, sich dem Wettbewerb
u verschließen und aus der Verantwortung zu stehlen.
nter diesem Gesichtspunkt werden wir noch einmal
ber die entsprechenden Regelungen diskutieren. Es ist
ichtig und wichtig, dass wir das im Verlauf der Beratun-
en zur Vergaberechtsnovelle tun. Die Garantie der kom-
unalen Selbstverwaltung ist ein hohes Gut im Selbst-
erständnis des deutschen Staates und gehört geschützt.
Es ist also sowieso schon ein schwieriges Thema, das
ie hier mit Ihrem Antrag anschneiden. Stellen Sie sich
ie Diskussionen vor, die wir auf Bundesebene mit der
irtschaft – zu Recht – provozieren würden, wenn wir
etzt zusätzlich zu unseren Bestrebungen in der Novelle
es Vergaberechts, die Vergabe öffentlicher Aufträge ab-
usichern, noch Förderprogramme für die Kooperatio-
en auflegen.
Werte Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, insge-
amt ist es ein schwer erkämpfter, ausgewogener Vor-
chlag, der uns mit der Vergaberechtsnovelle vorliegt.
ir werden mit angemessenen Nachbesserungen im par-
amentarischen Verfahren als Große Koalition – neben
er Absicherung der staatlichen Organisationshoheit ge-
enüber der EU-Kommission – auch und gerade für den
ittelstand, der es in diesem Land bitter nötig hat, etwas
oranbringen. Ihr Antrag ist also nicht nur überflüssig,
ondern schlägt Wogen, die wir gerade mühsam versu-
hen zu glätten.
Darauf können wir derzeit dankend verzichten, wir
aben andere Probleme.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Die inter-
ommunale Zusammenarbeit sorgt in schöner Regelmä-
igkeit und das seit Jahrzehnten für heftige Diskussionen
wischen Befürwortern der öffentlichen Wirtschaftstä-
igkeit und deren Gegnern. Aufgeheizt hat sich die Dis-
ussion in jüngster Zeit jedoch vor allem durch die Viel-
ahl der Vertragsverletzungsverfahren, mit denen uns die
uropäische Kommission im Bereich der interkommu-
alen Zusammenarbeit überzieht. Das ist in hohem
aße ärgerlich und nicht hinnehmbar. Dahinter steht
um einen die grundsätzlich tendenziöse Haltung der
ommission, dass der freie Wettbewerb durch die kom-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20181
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(B) )
munale Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigt werde. Zum
anderen stehen dahinter natürlich auch Interessenver-
bände der Wirtschaft. Diese wollen mit der Kommission
als Speerspitze ihren privaten Unternehmen neue Märkte
auf Kosten der kommunalen Wirtschaftstätigkeit er-
schließen. Zu beiden Punkten haben wir eine klare Mei-
nung: Für uns ist die kommunale Zusammenarbeit ein
Erfolgsmodell, das wir gegen jegliche ungerechtfertigten
Angriffe verteidigen. Das tut die Bundesregierung im
Übrigen auch, und zwar mit großem Nachdruck gegen-
über der Kommission. Denn die Maßnahmen der EU-
Kommission sind und bleiben ein unzulässiger Eingriff
in unser Staatsorganisationsrecht. Sie richten sich ein-
deutig gegen unsere föderale Struktur. Die Kommission
ignoriert dabei völlig, dass es in einem föderalen Staat
zusätzlicher Regelungen zwischen den Hoheitsträgern
bedarf, um die Zusammenarbeit sicherzustellen. Bei die-
sen Regelungen geht es um Verwaltungsorganisation
und nicht um Beschaffung. Aber auch das versucht die
Bundesregierung der Kommission bereits ein ums an-
dere Mal klarzumachen. Abgesehen davon haben wir im
Rahmen der laufenden Vergaberechtsreform eine Rege-
lung zur Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zu-
sammenarbeit aufgenommen. Damit schaffen wir nun
eindeutig Rechtssicherheit.
Eines bleibt abschließend noch festzuhalten: Die in-
terkommunale Zusammenarbeit unterliegt bereits heute
grundsätzlich weder dem europäischen Vergaberecht
noch dem deutschen Vergaberecht im GWB. Mit dem
Antrag werden also wieder einmal Eulen nach Athen ge-
tragen. Bleibt nur noch die Frage, warum Bäume unnütz
sterben mussten, um diesen Antrag auf Papier zu brin-
gen. Nachhaltig ist das nicht.
Paul K. Friedhoff (FDP): Wir debattieren hier einen
Antrag der Grünen aus dem Juni dieses Jahres zur inter-
kommunalen Zusammenarbeit. Mit dieser sollen Kom-
munen die Möglichkeit erhalten, mit Beschaffungen
oder Dienstleistungen eine andere Kommune direkt zu
beauftragen. Problematisch ist, dass es bei dieser Art öf-
fentlicher Auftragsvergabe den Kommunen möglich ist,
ein Vergabeverfahren zu umgehen. Ich glaube kaum,
dass die Fraktion der Grünen einen Antrag wie den vor-
liegenden heute noch so stellen würde. Denn die Stel-
lungnahmen der überwiegenden Mehrheit der Sachver-
ständigen im Rahmen der Anhörung zum Vergaberecht
im Oktober dieses Jahres sprachen deutlich gegen die
aus dem Antrag sprechende Sichtweise. Sie bestätigten
vielmehr die von meiner Fraktion vorgebrachten Hin-
weise auf die Gefahren, die in der interkommunalen Zu-
sammenarbeit liegen. Die mittelständische Wirtschaft
dieses Landes kann kaum verstehen, warum ihre Unter-
nehmen als private Auftragnehmer sich den hohen
Anforderungen der Vergabeverfahren stellen sollen,
während öffentlichen Auftragnehmern der bequeme Weg
ohne jede Ausschreibung, also ohne Wettbewerb, offen-
stünde. Eine krasse Wettbewerbsverzerrung zulasten der
regionalen Unternehmen wäre unausweichlich die Folge
einer Ausweitung interkommunaler Zusammenarbeit.
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Gerade von den Grünen, die doch das Gebot der
ransparenz angeblich so hoch halten, hätte ich erwartet,
ass sie für größtmögliche Transparenz auch in deut-
chen Vergabeverfahren sind. Stattdessen wollen sie die
nterkommunale Zusammenarbeit fördern, in der sie eine
verwaltungsinterne Lösung“ sehen, für die das Verga-
erecht nicht gelten solle.
Die Begründung hierfür ist absurd: Die Anwendung
es Vergaberechts würde einen faktischen Privatisie-
ungszwang auslösen. Dies ist schlichter Unsinn. Es
ordert nämlich niemand, dass sich kommunale, also öf-
entliche Auftragnehmer, an Ausschreibungen von öf-
entlichen Auftraggebern nicht mehr beteiligen dürfen.
s wird nur gefordert, dass für alle potenziellen Auftrag-
ehmer die gleichen Bedingungen eines fairen Wettbe-
erbs um den zu erlangenden Auftrag gelten. Wenn die
ffentlichen Bewerber gut und effizient sind, brauchen
ie den Wettbewerb mit den privaten nicht zu fürchten.
enn sie ineffizient und zu teuer sind, sollten sie ihr Ge-
chäftsmodell überprüfen. Die Vergabe an zu teure oder
u schlechte Auftragnehmer kann jedoch niemals im
inne der vergebenden Kommune sein; denn diese muss
tets wirtschaftlich haushalten und beschaffen. Wenn die
rünen in ihrem Antrag denn auch schreiben, dass die
on ihnen so geschätzte Art des Zusammenwirkens von
emeinden ein erforderliches Mittel ist, um kosteneffi-
ient Leistungen zu erbringen, haben sie dabei scheinbar
en Grundgedanken des Vergaberechts völlig aus den
ugen verloren. Dieser liegt darin, für die öffentliche
and einen wirtschaftlichen Einkauf von Leistungen zu
ewährleisten. Diese Wirtschaftlichkeit lässt sich ohne
ettbewerb nicht erreichen.
Die Möglichkeit einer vom Grünen-Antrag favorisier-
en Auftragsvergabe nach Gutdünken an befreundete
ommunale Betriebe klingt für Bürgermeister sicherlich
ttraktiv, aber sie gefährdet den Wettbewerb bei öffentli-
hen Aufträgen: Während sich Kommunen zur Auslas-
ung ihrer Eigenbetriebe Aufträge hin- und herschanzen
önnen, bleiben die privaten Unternehmer außen vor.
ie Transparenz sinkt, und die Wirtschaftlichkeit dieser
rt der Beschaffung ist nicht gewährleistet. Daher weise
ch hier auch noch einmal darauf hin, dass der in diesem
usammenhang von der Bundesregierung geplante neue
99 Abs. 2 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
en dem Ziel wirtschaftlicher Vergabe widerspricht.
Eine Wirtschaftlichkeitskontrolle würde bei verstärk-
er kommunaler Verflechtung immer weniger stattfin-
en. Unter dem Leitbild einer transparenten Auftrags-
ergabe der öffentlichen Hand verbietet sich geradezu
ie Schaffung der Möglichkeit, Betriebe anderer Kom-
unen ohne Ausschreibung zu beauftragen. Das Verga-
erecht soll fairen Wettbewerb sicherstellen und es nicht
twa den Kommunen einfach machen, unerwünschten
ettbewerb auszuschalten.
Lassen sie mich eines nochmals klarstellen: Wenn
ommunale Unternehmen gut wirtschaften, brauchen sie
en Wettbewerb mit der Privatwirtschaft nicht zu fürch-
en. Es gibt deshalb auch keinen Grund, die städtischen
etriebe von den Vergabevorschriften auszunehmen und
o vor Wettbewerb zu schützen.
20182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir als Linke unterstützen
den Antrag der Grünen, die interkommunale Zusammen-
arbeit zu sichern. Der Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung zur Modernisierung des Vergaberechts, der viele
Schwächen hat, ist wenigstens in dieser Hinsicht positiv.
Er nimmt die interkommunale Zusammenarbeit von der
Vergabe aus. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition stand-
haft bleibt und nicht angesichts der massiven Lobby-
arbeit von BDI und Konsorten doch noch umfällt. Da
diese Lobby auch in Brüssel massiv tätig ist und bei Tei-
len der EU-Kommission auf ein offenes Ohr trifft, ist das
Anliegen, die interkommunale Zusammenarbeit auch
europarechtlich abzusichern, sinnvoll.
Es muss in der Entscheidungshoheit der demokratisch
legitimierten Kommunen verbleiben, ob sie eine Auf-
gabe an einen privaten Dritten vergeben möchten oder
ob sie diese vergaberechtsfrei in Eigenregie ausführen.
Dabei muss es unerheblich sein, ob dies eine Kommune
alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Kommunen
erledigt.
Wohlgemerkt geht es uns dabei um regionale Zusam-
menarbeit und um regionale Wirtschaftskreisläufe. Es
geht um die Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen
oder innerhalb einer Region auch über die Grenzen von
Bundesländern oder Staaten hinweg. Interkommunale
Zusammenarbeit darf nicht dazu führen, die Kommunen
miteinander in den bundesweiten Wettbewerb zu treiben.
Wenn eine Kommune am einen Ende der Republik sich
die Versorgung der Menschen in einer Kommune am an-
deren Ende oder gar im Ausland unter den Nagel reißt,
würde sie sich von ihrer Aufgabe, der Sicherstellung von
öffentlichen Gütern und Dienstleistungen für die Bürge-
rinnen und Bürger im eigenen Gebiet, zu weit entfernen.
In solchen Fällen agieren die Kommunen nicht anders
als Private und haben dafür keinen besonderen Schutz
verdient. Anders gesagt: Wenn die Stadtwerke München
mit der Gemeinde Sauerlach kooperieren, um ein geo-
thermisches Kraftwerk zu errichten, so macht das Sinn.
Eine europaweite Ausschreibung wäre hier irrwitzig.
Wenn die Mannheimer Stadtwerke die Köthener Stadt-
werke aufkaufen, spielen sie nur das Spiel der großen
EVU mit.
Interkommunale Zusammenarbeit nimmt angesichts
der prekären finanziellen Situation von Kommunen ei-
nen immer größeren Stellenwert ein. Insbesondere für
kleinere und strukturschwächere Gemeinden ist die Zu-
sammenarbeit mit anderen Kommunen ein wichtiges
Mittel, ihre Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit zu
erhalten. Wer diese Zusammenarbeit jedoch als reines
Instrument von Rationalisierung versteht, greift zu kurz.
Dann erreicht er keine Verbesserung der öffentlichen
Leistungen. Im Gegenteil, die Wege der Bürgerinnen
und Bürger zu den Einrichtungen ihrer Gemeinde wer-
den immer länger und umständlicher.
Uns muss es darum gehen, im Sinne der öffentlichen
Daseinsvorsorge, der Bereitstellung öffentlicher Infra-
struktur und des Ausbaus sozialer und kultureller Ange-
bote die Kommunen in die Lage zu versetzen, durch
Zusammenarbeit mit ihren Nachbarkommunen Syner-
gieeffekte im Sinne der Bevölkerung zu nutzen. In
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ielen Regionen gibt es hierzu bereits langjährige Erfah-
ungen. Man denke nur an den öffentlichen Personen-
ahverkehr.
Es wird jedoch auch immer Bereiche geben, in denen
ommunale Kooperation schwierig ist. Insbesondere
ort, wo die Kommunen miteinander im Wettbewerb ste-
en, bei der Einwohnerzahl und bei der Gewerbeansied-
ung. Zumindest bei Letzterem würde der Vorschlag der
rünen, im Falle gemeinsamer grenzüberschreitender
ewerbegebiete einen Verteilungsmodus für die Gewer-
esteuer einzuführen, einen positiven Effekt haben kön-
en.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Möglichkeit, das eigene Lebensumfeld direkt zu ge-
talten, macht den besonderen Reiz kommunalpoliti-
chen Engagements aus. Gerade deshalb ist es problema-
isch, dass der Bezugsrahmen für kommunalpolitische
rbeit immer unübersichtlicher wird: durch die privatisie-
ungsbedingte Intransparenz, die gestiegene Regelungs-
ichte seitens Bund und Land und vor allem – darum geht
s hier heute – das Hineinregeln der EG-Wettbewerbs-
olitik in die kommunale Selbstverwaltung.
Ein besonders dringlicher Konflikt zwischen EG-Ver-
aberecht und kommunaler Selbstverwaltung betrifft die
nterkommunale Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund
es demografischen Wandels ist die gemeinsame Aufga-
enwahrnehmung verschiedener kommunaler Gebiets-
örperschaften unverzichtbar, um Daseinsvorsorge in
irtschaftlich tragfähigen Einheiten zu sichern. Die zu-
ünftige Bedeutung verschiedener Kooperationsformen
immt dabei gerade auch in Schlüsselbereichen wie der
ildungsinfrastruktur zu.
Die EU-Kommission war in der Vergangenheit be-
trebt, unter Berufung auf einschlägige Rechtsprechung
es Europäischen Gerichtshofs interkommunale Zusam-
enarbeit in die europaweite Ausschreibungspflicht ein-
ubeziehen. Und genau hier setzt unsere Kritik an. Denn
urch diese Ausschreibungspflicht versucht die EU-
ommission, einen faktischen Privatisierungszwang zu
rzeugen. In dem Moment, da eine Gebietskörperschaft
ie Leistungserbringung aus der Hand gibt, ist der Markt
röffnet. So die Position der Kommission. Ein solcher
rivatisierungszwang kann und darf aber nicht hinge-
ommen werden; denn bei interkommunaler Zusammen-
rbeit – da sind wir uns hier wohl alle einig – handelt es
ich um einen Vorgang interner Staatsorganisation.
Die Bundesregierung ist deshalb aufgerufen, sich für
ie Freistellung interkommunaler Zusammenarbeit vom
ergaberecht auf EU-Ebene einzusetzen. Entscheidend
abei ist allerdings, dass sich die Freistellung nur auf
olche Formen der Zusammenarbeit bezieht, die ohne
eteiligung Privater stattfindet. Denn sobald Private ins
piel kommen, greift das EG-Vergaberecht. Und das ist
uch richtig so, denn europäisches und nationales Verga-
erecht bleiben notwendige Schwerter gegen Korruption
uf einem milliardenschweren Markt.
Gleichzeitig machen wir in unserem Antrag auch
eutlich, dass es noch andere Hausaufgaben zu machen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20183
(A) )
(B) )
gilt, um die interkommunale Zusammenarbeit zu si-
chern. Es reicht nicht, auf die EU zu zeigen. So muss die
Unterscheidung zwischen mandatierender und delegie-
render Vereinbarung im deutschen Vergaberecht abge-
schafft werden. Die Europäische Union kennt diese Un-
terscheidung nicht. Ein weiterer erforderlicher Beitrag
der Länder besteht darin, in ihren eigenen Rechtsvor-
schriften klarzustellen, dass interkommunale Zusam-
menarbeit aus den genannten Gründen nur ohne private
Beteiligung stattfinden kann. Leider ist das noch nicht
überall der Fall.
In unserem Antrag haben wir Ihnen aufgelistet, was
auf europäischer, Bundes- und Landesebene zu tun ist,
um die interkommunale Zusammenarbeit abzusichern
und auszubauen. Ich denke, es wäre ein gutes Zeichen,
wenn wir uns als Deutscher Bundestag in dieser Frage
mit breiter Mehrheit zu unserer politischen Verantwor-
tung für die kommunale Ebene bekennen würden.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung und Entbürokratisierung des
Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbauge-
setz) (Tagesordnungspunkt 21 b)
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die Gesetzesbezeich-
nung „Steuerbürokratieabbaugesetz“ ist meines Erach-
tens etwas irreführend, da mit dem uns vorliegenden Ge-
setz im Wesentlichen die Umstellung von der papiernen
auf die elektronische Steuererklärung eingeführt wird.
Im Jahr 1997 nutzten 6,5 Prozent der Deutschen das
Internet. Zehn Jahre später waren es bereits 62,7 Prozent
der Gesamtbevölkerung, die einen Zugang zum Internet
hatten. Dies sind 40,8 Millionen Menschen in Deutsch-
land. Dies ist ein offensichtliches Zeichen, dass die Digi-
talisierung unseres Lebens nach und nach fortschreitet.
Statt Briefe werden E-Mails geschrieben, statt an den
Bankschalter zu gehen, erledigen die Menschen ihre Fi-
nanzgeschäfte online, und Bücher werden häufiger bei
Onlineanbietern anstatt im Bücherladen um die Ecke ge-
kauft. Auch der Trödelmarkt ist mit Ebay online zu fin-
den.
Das uns heute zur abschließenden Beratung vorlie-
gende Steuerbürokratieabbaugesetz setzt diese digitale
Entwicklung fort. „Elektronik statt Papier“ könnte das
Leitmotto dieses Gesetzes sein. Mit diesem Gesetzent-
wurf soll die Strategie, papierbasierte Verfahrensabläufe
durch elektronische Kommunikation zu ersetzen, fortge-
setzt und vertieft werden. Folgende Maßnahmen seien
hier exemplarisch erwähnt: standardmäßige elektroni-
sche Übermittlung von Steuererklärungen der Unterneh-
men, standardisierte und elektronische Übermittlung der
Inhalte der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung
für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2010
beginnen. Die Verpflichtung, anlässlich der Aufnahme
der beruflichen und gewerblichen Tätigkeit Auskunft
über steuerrelevante rechtliche und tatsächliche Verhält-
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isse zu geben, soll künftig auf elektronischem Wege er-
üllt werden. Steuerpflichtige sollen bestimmte, dem Fi-
anzamt bisher auf Papierbasis vorzulegende Belege und
nterlagen künftig elektronisch bereitstellen.
Die Grundsatzfrage, die sich durch das ganze Gesetz-
ebungsverfahren hingezogen hat, war die, ob wir die
teuerpflichtigen künftig verpflichten, ihre Steuererklä-
ungen in elektronischer Form abzugeben, oder ob wir
hnen nicht die grundsätzliche Wahlfreiheit lassen, ent-
eder in Papierform oder elektronisch ihre Erklärung
bzugeben.
Außerhalb der staatlichen Verwaltung haben wir
ahlfreiheit. Auch wenn immer mehr Bürgerinnen und
ürger per E-Mail kommunizieren, so ist dennoch noch
iemand auf die Idee gekommen, die Postkarte abzu-
chaffen oder gar zu verbieten. Auch das Onlinebanking
uss freiwillig bleiben, da es durchaus berechtigte Sor-
en hinsichtlich dessen Stör- und Betrugsanfälligkeit
ibt.
Die bisher für einzelne Steuererklärungen wie etwa
ie Umsatzsteuervoranmeldung geltende Pflicht zur
lektronischen Abgabe mit lediglich der Möglichkeit,
ass die Finanzverwaltung im Gnadenwege bei Härtefäl-
en davon Ausnahmen zulässt, ist unbefriedigend. Viele
lein- und Kleinstunternehmen sind aus wirtschaftli-
hen Gründen nicht in der Lage, die Voraussetzungen für
ie elektronische Abgabe zu schaffen. Der Aufwand
äre für sie zu hoch, und gerade dies kann nicht Sinn
nd Zweck eines Steuerbürokratieabbaugesetzes sein.
uch ist es eines Rechtsstaates unwürdig, den Bürger,
er die Voraussetzungen der elektronischen Abgabe
icht erfüllen kann, als Bittsteller auf eine Härtefall-
usnahmeregelung zum Finanzamt zu schicken.
Aus diesen Gründen schafft dieses Steuerbürokratie-
bbaugesetz einen neuen § 150 Abs. 8 Abgabenordnung,
er einmal generell für alle Steuererklärungen den Be-
riff des Härtefalls definiert und somit gegebenenfalls
inen entsprechenden Anspruch des Bürgers auf die wei-
ere Abgabe der Steuererklärung in Papierform begrün-
et. Dieser neue § 150 Abs. 8 Abgabenordnung lautet
ie folgt:
Ordnen die Steuergesetze an, dass die Finanzbe-
hörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten
auf eine Übermittlung der Steuerklärung nach amt-
lich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfern-
übertragung verzichten kann, ist einem solchen An-
trag zu entsprechen, wenn eine Erklärungsabgabe
nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch
Datenfernübertragung für den Steuerpflichtigen
wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Dies
ist insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der
technischen Möglichkeiten für eine Datenfernüber-
tragung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes
nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen
Aufwand möglich wäre oder wenn der Steuer-
pflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen
und Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der
Lage ist, die Möglichkeiten der Datenfernübertra-
gung zu nutzen.
20184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
In der Begründung heißt es dazu:
Einem Steuerpflichtigen ist die Erklärungsabgabe
nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch
Datenfernübertragung insbesondere nicht zuzumu-
ten, wenn er nicht über die erforderliche technische
Ausstattung verfügt und es für ihn nur mit nicht un-
erheblichem finanziellen Aufwand möglich wäre,
die für eine elektronische Übermittlung der Steuer-
erklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Daten-
satz mittels Datenfernübertragung erforderlichen
technischen Möglichkeiten zu schaffen. Eine unbil-
lige Härte ist darüber hinaus anzunehmen, wenn der
Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kennt-
nissen und Fähigkeiten nicht oder nur einge-
schränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten einer
Datenfernübertragung zu nutzen. In der Praxis dürf-
ten diese Voraussetzungen insbesondere bei
Kleinstbetrieben gegeben sein. Der Härtefall-An-
trag kann auch konkludent (z. B. in Gestalt der Ab-
gabe einer herkömmlichen Feststellungserklärung
auf Papier) gestellt werden. In diesem Fall sind
Sachverhaltsermittlungen der Finanzbehörde nur
geboten, wenn das Vorliegen eines Härtefalls nicht
als glaubhaft angesehen werden kann.
Im Ergebnis bedeutet diese neue Regelung in § 150
Abs. 8 Abgabenordnung sowie die dazu gehörige Geset-
zesbegründung, dass die Bürgerinnen und Bürger eine
weitgehende Wahlfreiheit haben, ob sie künftig ihre
Steuererklärung weiterhin in Papierform oder elektro-
nisch abgeben. Dies liegt auch im Interesse der Finanz-
verwaltung, da naturgemäß die Einführung der elektroni-
schen Steuererklärung in vielen Bereichen mit
Startschwierigkeiten verbunden ist und eine generelle
Verpflichtung diese Startschwierigkeiten deutlich ver-
größern würde.
Weiter enthält ein neuer § 50 Abs. 1 Einkommen-
steuer-Durchführungsverordnung die Bestimmung, dass
künftig Spender den Spendenempfänger bevollmächti-
gen können, die Spendenbestätigung der Finanzbehörde
nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Daten-
fernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Über-
mittlungsverordnung zu übermitteln. Diese Regelung hat
zu großer Verunsicherung geführt, da viele kleinere Ver-
eine, Kirchengemeinden und sonstige Spendenempfän-
ger das Problem haben, dass sich die notwendigen Inves-
titionen in Soft- und Hardware im Verhältnis zu ihrem
Spendenaufkommen wirtschaftlich nicht rechnen. Sie
haben deshalb im Gesetzgebungsverfahren klargestellt,
dass § 50 Abs. 1 Einkommensteuer-Durchführungsver-
ordnung nur eine Bevollmächtigung enthält, diese aber
keine Verpflichtung für den Spendenempfänger beinhal-
tet. Der Spendenempfänger ist danach frei, eine solche
Bevollmächtigung auch nicht auszunutzen, wenn er
nicht über die entsprechende technischen Voraussetzun-
gen verfügt. Dies ist eine wichtige Klarstellung für klei-
nere Vereine und Kirchengemeinden, die die aufgetrete-
nen Irritationen beseitigt.
Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf weitere
Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Vereinfa-
chung und Verbesserung des Steuerrechts, beispiels-
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eise die Möglichkeit von gemeinsamen Außenprüfun-
en der Finanzverwaltung und der Rentenversicherung
n Unternehmen. Außerdem haben wir die Schwellen-
erte insbesondere für die monatlich abzugebende Um-
atzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldungen
ngehoben.
Abschließend möchte ich mich für die zügigen Bera-
ungen zu diesem Gesetz bei Ihnen, sehr verehrte Kolle-
innen und Kollegen, sowie den Mitarbeiterinnen und
itarbeitern des Ausschussekretariats recht herzlich
edanken. Hoffen wir, dass es bei der weiteren Realisie-
ung dieses Gesetzes zu einem wirklichen Steuerbürokra-
eabbau für alle kommt und es keine Benachteiligungen
wischen den Steuerpflichtigen gibt – egal ob die Unter-
agen elektronisch oder postalisch übersandt wurden.
Gabriele Frechen (SPD): Wir verabschieden heute
as Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierung
es Steuerverfahrens. Hauptgegenstand des Gesetzes ist
ie Nutzung der elektronischen Medien. Künftig sollen
nter anderem Steuererklärungen und Bilanzen von Un-
ernehmen nicht mehr auf Papier, sondern auf elektroni-
chem Wege an die Finanzbehörden übermittelt werden.
ir haben uns entschieden, die Umstellung ab dem
. Januar 2010 verpflichtend zu machen. Der Ausbau der
nfrastruktur in den Finanzbehörden ist aufwendig und
rbeitsintensiv. Diese Investitionen sind nur dann wir-
ungs- und sinnvoll zu vertreten, wenn das Verfahren
mfassend genutzt wird.
Außerdem ist es unsere Aufgabe, für gleiche Lebens-
erhältnisse zu sorgen. Dazu gehört auch, dass die Steuer-
rhebung und der Steuervollzug in allen Ländern und für
lle Steuerpflichtigen gleichmäßig erfolgen. Das geht
ur mit einem wirkungsvollen Risikomanagement. Das
eht wiederum mit einem vertretbaren Aufwand an Bü-
okratie nur, wenn alle Daten auf elektronischem Wege
orliegen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme darauf
ingewiesen, dass angesichts des Umfangs des Projekts
eitliche Verschiebungen nicht ausgeschlossen werden
önnen und bat um eine flexiblere Lösung. Dieser Bitte
es Bundesrats sind wir nachgekommen. Wir werden
rüfen, ob zum 31. Dezember 2010 die Voraussetzungen
orliegen. Ist dies nicht der Fall, wird der erstmalige An-
endungszeitpunkt verschoben.
Die Frage, ob eine freiwillige Umstellung nicht aus-
eichend wäre, haben wir in der Anhörung mit den Sach-
erständigen ausführlich diskutiert. Herr Ondracek von
er Deutschen Steuer-Gewerkschaft sagte dazu: „Ohne
erpflichtende Erklärung wird es nicht funktionieren.
ielleicht kriegen wir 20 Prozent, aber das ist nicht das
iel, das man erreichen will, sondern die 70 bis
0 Prozent-Marke sollte schon die Folge sein.“ Herr
chwab von der Bundessteuerberaterkammer stimmte
hm in diesem Punkt ausdrücklich zu:
„Leider muss ich im Kern Herrn Ondracek Recht
geben. Deswegen bin ich mit meinen Kollegen in
der Bundessteuerberaterkammer der Meinung, dass
man das langfristig durchaus verpflichtend machen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20185
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kann. Aber man muss natürlich Härtefallregelungen
vorsehen – das haben wir auch in unserer Stellung-
nahme noch einmal geschrieben –, dass die Perso-
nen, die das tatsächlich nicht machen können, aus-
genommen werden.“
Genau das haben wir im Laufe des parlamentarischen
Verfahrens beschlossen: Wenn es dem Steuerpflichtigen
aus persönlichen oder aus wirtschaftlichen Gründen
nicht zugemutet werden kann, ist seinem Antrag, die
Steuererklärungen weiter auf Papier abzugeben, stattzu-
geben. Das heißt: Wenn der oder die Steuerpflichtige
nicht mit dem Umgang eines Computers vertraut ist oder
wenn die technischen Voraussetzungen nicht vorliegen
oder nur mit erheblichem finanziellen Aufwand herzu-
stellen wären, kann die Abgabe der Erklärung weiterhin
auf Papier erfolgen. Dieser Antrag wird keinen zusätzli-
chen bürokratischen Aufwand erfordern, da die Abgabe
selbst als Antrag gewertet wird.
Auch Spenden und Mitgliedsbeiträge können künftig
papierlos übermittelt werden, wenn der Spender das
wünscht. Durch diese Regelung werden allerdings weder
der Zuwendende noch der Zuwendungsempfänger ver-
pflichtet, die Spendenbestätigung der Finanzverwaltung
auf elektronischem Weg zu übermitteln. Als weiteren
Beitrag zum Bürokratieabbau werden mit diesem Gesetz
die Grenzen für die Verpflichtung zur monatlichen Ab-
gabe der Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteu-
eranmeldung angehoben. Das ist gerade für kleine Be-
triebe eine wesentliche Erleichterung.
Auch die Möglichkeit der gemeinsamen Prüfung der
Finanzbehörden und der Rentenversicherung wird die
Betriebe deutlich entlasten. Es stellt für Betriebe und Be-
rater oftmals eine Belastung dar, wenn die Lohnsteuer-
prüfung gerade abgeschlossen ist und alle Ordner wieder
an ihrem Platz stehen und dann kurz darauf der Sozial-
versicherungsprüfer kommt und die gleichen Ordner und
Unterlagen wieder herausgegeben werden müssen. Das
kommt heute leider sehr häufig vor und bindet in der
Praxis nicht nur räumliche sondern auch personelle Res-
sourcen.
Es ist unbestritten, dass allein die Umstellung auf
elektronische Übermittlung nicht der einzige Schritt
beim Bürokratieabbau sein kann. Aber wer behauptet,
das wäre so gut wie nichts, der weiß nicht, wovon er
spricht. Es ist ein Heidenaufwand, die Daten, die man
elektronisch besitzt, auf Papier auszudrucken, postfertig
zu verpacken und zu versenden, damit sie dort, wo sie
ankommen, dann den umkehrten Weg gehen, bis sie wie-
der in elektronischer Form vorliegen.
Herr Schaub von der Bundessteuerberaterkammer
sagte dazu in der Anhörung:
„Die elektronische Übermittlung von Daten darf
keine Einbahnstraße sein, das heißt, auch der Steu-
erpflichtige muss einen Anspruch darauf haben,
Daten elektronisch zurückübertragen zu bekom-
men. Ganz besonders der Steuerberater sollte einen
Anspruch auf Bescheid-Rückübertragung haben
und eine Abweichungsanalyse bekommen. Das
würde die Akzeptanz auf beiden Seiten erhöhen
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und gehört einfach zur elektronischen Übermittlung
dazu.“
Unser Ziel ist die vorausgefüllte Steuerklärung des Fi-
anzamts, die von den Steuerpflichtigen elektronisch
bermittelt wird, beim Finanzamt das Risikomanage-
ent durchläuft und mit einem detaillierten Bescheid,
er elektronisch übermittelt wird, endet. Damit stellen
ir die gleichmäßige Besteuerung sicher und schaffen
ersonalkapazitäten, die wir für die wirklich bedeuten-
en Fälle in der Betriebsprüfung nutzen können.
Dr. Volker Wissing (FDP): Während die Bundes-
egierung über ein zusammengeflicktes 50-Milliarden-
onjunkturpaket berät, fallen in Deutschland jährlich
0 Milliarden Bürokratiekosten an. Unternehmen müs-
en diese gigantische Summe in wirtschaftlich äußerst
chwierigen Zeiten aufbringen, um von der Politik zu
erantwortende bürokratische Pflichten zu erfüllen. Mil-
iardensummen fehlen damit für Investitionen. Das kos-
et Arbeitsplätze und ist in diesen Zeiten schwer zu ver-
raften.
Angesichts der gegenwärtigen Rezession ist es wich-
iger denn je, Steuerbürokratie abzubauen. Man ist
eshalb fast geneigt, sich zu freuen, dass die Bundesre-
ierung ein Steuerbürokratieabbaugesetz vorlegt. Aber
enn man genau hinsieht, vergeht einem das Lachen
anz schnell wieder.
In Ihrer Gesetzesbegründung schreiben Sie hochtra-
end, die Bundesregierung sei entschlossen – ich zitie-
e –, „einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zum
ollständigen Abbau überflüssiger Steuerbürokratie zu
rreichen“. Ich frage Sie: Wo ist denn dieser Meilen-
tein? Es wäre ja schön, wenn Sie die Steuerzahlerinnen
nd Steuerzahler endlich von Ihrem Steuerdschungel be-
reien würden. Aber wenn Sie Steuerbürokratie abbauen,
tellen Sie sich immer zuerst die Frage: Was können wir
enn Gutes für die Verwaltung tun? Sie denken nur an
ie Finanzverwaltung. Die Interessen der Privaten igno-
ieren Sie einfach. Die Bundesregierung kümmert sich
m die Verwaltung. Alle anderen müssen sich um sich
elbst kümmern.
Das Steuerrecht wird mit Ihrem Gesetz nicht entbüro-
ratisiert, es wird nur digitalisiert. Sie denken offenbar,
enn man den deutschen Steuerwahnsinn in elektroni-
cher Form verwaltet, sei alles schon viel einfacher. Mit
hrem Motto „Elektronik statt Papier“ sollen alle Unter-
ehmen ihre Steuerdaten auf elektronischem Wege an
ie Finanzbehörde übermitteln. Aber die elektronische
bermittlung ist eine Einbahnstraße. Eine elektronische
ückübertragung des Steuerbescheides von der Finanz-
erwaltung zum Unternehmen mit entsprechender Ab-
eichungsanalyse findet nicht statt. Sie verpflichten
teuerzahler, bei staatlichen Behörden alles elektronisch
inzureichen und schicken dann einfach Papier zurück.
Damit liegt der Vorteil wieder einmal alleine bei der
inanzverwaltung. Sie vereinfachen den Beamten die
rbeit und denken, damit sei den Unternehmen gehol-
en. Das ist doch absurd. Sie haben es wieder einmal ge-
chafft, einseitig der Verwaltung etwas Gutes zu tun. Sie
20186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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sollten deshalb aufhören, das Ganze als großen Wurf für
die Unternehmen zu verkaufen. Ihr Bürokratieabbauge-
setz ist kein Meilenstein. Aus Sicht der Steuerzahler ist
es eher ein Armutszeugnis. Machen Sie doch endlich
einmal ein Steuergesetz für die Bürgerinnen und Bürger.
Der Bundesfinanzminister kann sich das vielleicht nicht
mehr vorstellen, aber in Deutschland leben nicht nur Be-
amte.
Eigentlich hätte heute gemeinsam mit Ihrem Steuer-
bürokratieabbaugesetz das Jahressteuergesetz 2009 bera-
ten werden sollen. Das hätte einen Überblick über das
ermöglicht, was Sie auf der einen Seite für die Verwal-
tung alles vereinfachen, und über die vielen neuen Son-
derregeln auf der anderen Seite, mit denen Sie die Steu-
erzahler weiter quälen.
Während wir hier debattieren, planen Sie Änderungen
in 22 verschiedenen Steuergesetzen und haben kurz vor
Abschluss der Beratungen rund 70 Änderungsanträge
dazu vorgelegt. Weil Sie mit den vielen Änderungsanträ-
gen am Ende selbst überfordert waren, musste die Bera-
tung ausgesetzt werden. Das ist der wahre Kern Ihrer
Finanzpolitik. Sie betreiben einen Bürokratieaufbau
nach dem anderen.
Die FDP macht dieses Steuerchaos nicht mit. Wir
wollen kein Steuerrecht für die Verwaltung. Wir wollen
ein Steuerrecht für die Bürgerinnen und Bürger. Es muss
dringend einfacher werden. Und genau das schaffen Sie
nicht. Deshalb sollten Sie aufhören mit Ihrer Flickschus-
terei. Sie sprechen von Steuerbürokratieabbau und ma-
chen ständig das genaue Gegenteil.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): „Gesetz zur Moder-
nisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens
(Steuerbürokratieabbaugesetz)“ – schon dieser Titel
weckt irreführende Erwartungen, die im Eingangstext
des Entwurfs auch noch bestätigt werden. Das Bundes-
finanzministerium verbreitet damit den Anschein, einen
entscheidenden Durchbruch zu mehr Steuervereinfa-
chung erreicht zu haben. Diesem Anschein wird das vor-
liegende Gesetz nicht gerecht.
Das Ziel der Steuervereinfachung steht mit dem der
Steuergerechtigkeit zum Teil in Einklang, zum Teil in
Widerspruch. Grundsätzlich gilt festzuhalten, dass dort,
wo ein Überborden an Steuerbürokratie festzustellen ist,
dies im Steuerrecht selbst mit seinen unzähligen Sonder-
regelungen und Ausnahmetatbeständen begründet ist.
Diese überbordende Komplexität des Steuerrechts führt
dazu, dass viele Menschen mangels Zeit oder Einblick
ihnen zustehende Vergünstigungen nicht wahrnehmen
und somit zu viel Steuern bezahlen. Das betrifft insbe-
sondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
kleine Selbstständige, die sich keine Steuerberatung leis-
ten können oder wollen. Insofern trägt die Komplexität
zur Steuerungerechtigkeit bei.
Andererseits spiegelt die Komplexität des Steuer-
rechts auch die zunehmende Komplexität des Lebens
und die Vielfalt der Lebensformen wider. Steuergerech-
tigkeit im Sinne von steuerlicher Gleichbehandlung
heißt auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden
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uss. Daher sollten notwendige individuelle Aufwen-
ungen im Steuerrecht berücksichtigt werden. „Einfach“
nd „leistungsgerecht“ stehen so in einem gewissen
iderspruch zueinander.
Dennoch gibt es Ansatzpunkte für Vereinfachungen.
iele Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände sind
berholt oder das Ergebnis von durchgesetzten Sonder-
nteressen. Ein prominentes Beispiel ist das Ehegatten-
plitting, das aus gleichstellungs-, familien- und sozial-
olitischen Gründen nicht mehr zeitgemäß ist. Die
usschließliche Berücksichtigung von Ehegatten privile-
iert diese ungerechtfertigt gegenüber anderen Lebens-
eisen. Die Streichung von ungerechtfertigten Sonderre-
elungen und die Einführung von realistischen
auschalbeträgen wäre ein gangbarer Weg zur Steuer-
ereinfachung.
Doch wer solches im vorliegenden Gesetzentwurf
ucht, wird herbe enttäuscht. Leider geht der Entwurf
ber verfahrensrechtliche Regelungen nicht hinaus –
ateriellrechtliche Steuervereinfachungen sind ausge-
prochen dünn gesät. Es werden vielmehr Fragen des
atenaustauschs behandelt und die Neufestsetzung von
estimmten Betragsgrenzen vorgenommen. Insofern
urde dieses eher an technischen Fragen orientierte Ge-
etzeswerk mit einem ausgesprochen großspurigen Titel
ersehen.
Trotzdem meint die Bundesregierung, mit dem Ge-
etz Steuerverwaltung und Wirtschaft um viele Millio-
en Euro zu entlasten. So sollen damit alle Unternehmen
erpflichtet werden, ab 2011 ihre Steuererklärungen auf
lektronischem Wege an die Finanzbehörde zu übermit-
eln. Aufseiten der Finanzämter soll die elektronische
bermittlung eine computergestützte Vorabprüfung er-
öglichen und somit die Finanzbeamtinnen und -beam-
en entlasten. Zugleich wird dies als ein effektiverer
teuervollzug verkauft, der dauerhaft und verlässlich
taatliche Einnahmen sicherstellen soll. Aber ob das so
unktioniert, darf bezweifelt werden. Die Vielzahl an
teuerrechtsänderungen konnte oftmals nicht rechtzeitig
n die elektronischen Programme eingearbeitet werden.
n den vergangenen Jahren waren Neuerungen durch das
undesfinanzministerium lausig vorbereitet, sodass sie
iel Nacharbeit und Kosten verursacht haben – nicht zu-
etzt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fi-
anzverwaltung.
Im Detail kann festgehalten werden: Trotz der Neu-
ormulierung von § 150 Abs. 8 AO sind die Ausnahme-
atbestände, um auf eine elektronische Übermittlung ver-
ichten zu können, zu unpräzise formuliert und damit
eitgehend ins Ermessen der Finanzverwaltung gestellt.
it der klaren Benennung von Gewinn-, Umsatz- und/
der Betriebsgrößen hätte zumindest geregelt werden
önnen, wann die Finanzverwaltung einem Antrag auf
usnahme unbedingt stattzugeben hat. Damit ist ein we-
entlicher Kritikpunkt aus der Sachverständigenanhö-
ung nicht ausgeräumt. An den vorliegenden Änderungs-
nträgen ist zu begrüßen, dass mit der erstmaligen
nwendung der elektronischen Übermittlung der Bilan-
en sowie der Gewinn- und Verlustrechnung mehr Flexi-
ilität ermöglicht wird. Erfreulich ist auch, dass das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20187
(A) )
(B) )
Unterschriftenprozedere für unmittelbar bei der Alters-
vorsorge zulageberechtigte Ehegatten vereinfacht wurde.
In der Gegenäußerung der Regierung zur Stellungnahme
des Bundesrates war zu lesen, dass man die Möglichkeit
zur Selbstveranlagung – § 150 Abs. 8 AO – prüfen
wolle. Ich stelle mit Erleichterung fest, dass dieses An-
sinnen – im Gegensatz zum Referentenentwurf – keinen
Eingang in das Gesetz gefunden hat. Insbesondere vor
dem Hintergrund der ungenügenden Personalausstattung
bei den Finanzbehörden hätte eine Steuerumgehung in
größerem Ausmaß nicht ausgeschlossen werden können.
Summa summarum bringt der Gesetzentwurf eine
leichte Vereinfachung für die Finanzverwaltung und
kaum nennenswerte Verbesserungen für die Steuer-
pflichtigen. Geringfügige Verbesserungen und die nicht
aufgegriffene berechtigte Kritik am Ermessensspielraum
der Finanzverwaltung sowie der großspurige und damit
irreführende Gesetzestitel sind letztlich Grund für die
Fraktion Die Linke, sich der Stimme zu enthalten.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dieses Gesetz hält nicht, was der Titel verspricht. Ich
muss ganz klar betonen: Für die Bürgerinnen und Bürger
bringt dieses Gesetz kaum Erleichterungen. Bürokratie-
abbau im Sinne dieses Gesetzes bedeutet weniger Arbeit
für die Finanzverwaltung, aber neue Pflichten für die
Steuerpflichtigen.
Die Bürgerinnen und Bürger warten seit Jahren auf
die versprochene durchgreifende Steuervereinfachung.
Statt Vereinfachung hat die große Koalition das Steuer-
recht deutlich komplizierter gemacht. Zum Beispiel
durch die Streichung der ersten 20 Kilometer bei der
Entfernungspauschale, durch die völlig unsystematische
Ausgestaltung der Abgeltungssteuer – zu der wir jetzt im
Jahressteuergesetz schon wieder ein Dutzend Ände-
rungsanträge beraten mussten – oder auch durch die Be-
grenzung des Abzugs von Steuerberatungskosten, um
nur einige zu nennen. Auch mit dem Steuerbürokratieab-
baugesetz wird es für die Bürgerinnen und Bürger nicht
einfacher werden, ihrer Steuerpflicht nachzukommen.
Im Kern des Gesetzes geht es darum, bisher papierba-
sierte Steuererhebungsverfahren auf elektronische Ver-
fahren umzustellen. Nicht nur die Grünen, sondern auch
die Sachverständigen in der öffentlichen Expertenanhö-
rung haben grundsätzlich kritisiert, dass hier eine neue
Pflicht für die Steuerpflichtigen eingeführt wird.
Die große Koalition hat darauf reagiert und eine Es-
cape-Regelung geschaffen. Die ist aber wiederum büro-
kratisch. Die Steuerpflichtigen müssen einen Antrag
stellen, dass sie an dem neuen elektronischen Verfahren
nicht teilnehmen können, aus wirtschaftlichen oder per-
sönlichen Gründen. Die Finanzverwaltung muss dann
auf die elektronische Abgabe verzichten. Der Schriftver-
kehr hat sich damit also verdoppelt. Statt wie bisher die
Steuererklärung in den Briefumschlag zu stecken und
abzuschicken, müssen die Steuerpflichtigen jetzt einen
Antrag stellen und dann dürfen sie wie vorher auch die
Steuererklärung per Post abschicken. Es ist wirklich
schon fraglich, worin hier die Erleichterungen für die
Bürgerinnen und Bürger bestehen sollen. Dieses Verfah-
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en muss deshalb nach einiger Zeit überprüft werden, ob
s für die Steuerpflichtigen einfach zu handhaben ist und
ie Steuerbehörden tatsächlich im Sinne der Antragstel-
enden entscheiden.
Bürokratieabbau kann keine Einbahnstraße sein. Die
teuererhebung müsste viel bürgernäher werden. Es
äre viel besser, auf den Zwang zu verzichten und die
teuerpflichtigen für die elektronische Übermittlung zu
belohnen“, zum Beispiel durch einen Bonus bei der
etztendlich fälligen Steuerschuld, denn schließlich er-
paren die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Steuererklä-
ung elektronisch übermitteln, der Finanzverwaltung
iel Arbeit.
Kritik am Gesetz kommt auch von den Datenschüt-
ern. Das Verfahren der qualifizierten elektronischen Si-
natur sei derzeit alternativlos. Deshalb sehen sie die im
esetz geschaffene Möglichkeit, anstelle der elektroni-
chen Signatur auf andere sichere Verfahren beim elek-
ronischen Besteuerungsverfahren zurückzugreifen oder
uf beides ganz zu verzichten, mit Besorgnis. Die Daten-
chützer sehen es deshalb als notwendig an, dass diese
nderen Verfahren von unabhängigen Gutachtern, bei-
pielsweise der Bundesnetzagentur, beurteilt werden.
ußerdem muss es für die Steuerpflichtigen auch immer
öglich sein, bei der elektronischen Kommunikation
it dem Fisku, die qualifizierte elektronische Signatur
u nutzen. Diese ernsthaften Bedenken und Forderungen
er Datenschützer müssen bei der Umsetzung des Geset-
es berücksichtigt werden.
Weitere Änderungen im Gesetz, wie höhere Schwel-
enwerte für monatliche bzw. vierteljährliche Umsatz-
teuer- und Lohnsteuervoranmeldungen, sind durchaus
innvoll, denn dies entlastet kleinere Unternehmen und
erwaltung. Ebenso zu begrüßen ist es, dass die Verwal-
ung bei offenen BFH-Verfahren die Steuer vorläufig
estsetzen kann, denn damit bleiben den Bürgern
rechtswahrende“ Einsprüche erspart und der Verwal-
ung natürlich deren Bearbeitung.
Insgesamt bringt der Gesetzentwurf einige kleine
ortschritte, die Pflicht zur Abgabe einer elektronischen
teuererklärung und das bürokratische Verfahren, dies
u vermeiden, sind aber problematisch. Meine Fraktion
ird sich deshalb bei der Abstimmung zu diesem Gesetz
nthalten.
nlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rahmenbedingungen für die
Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen
(Tagesordnungspunkt 31)
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Mit der heuti-
en Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur
erbesserung der Rahmenbedingungen für die Absiche-
ung flexibler Arbeitszeitregelungen, auch Flexi II ge-
annt, erfolgt eine konsequente Umsetzung des Koali-
20188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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tionsvertrages von 2005. Damit wird das Flexi-I-Gesetz
aus dem Jahre 1998 weiterentwickelt. Unser Hauptziel:
Wir wollen Langzeitkonten attraktiver machen. – Wa-
rum? Wir wollen, dass die Menschen ihre Lebensarbeits-
zeit flexibler gestalten können. Langzeitkonten gewin-
nen auch an Bedeutung im Hinblick darauf, dass die
gesetzliche Förderung der Altersteilzeit auslaufen wird
und wir Ende der 20er-Jahre dieses Jahrhunderts ein
Renteneintrittsalter von 67 Jahren haben werden. Mit
Langzeitarbeitskonten sind Arbeitnehmer auch für be-
sondere Lebensphasen vorbereitet. Zum Beispiel bei Fa-
milien- und Pflegezeiten. Darum geben wir den Beschäf-
tigten mit diesem Gesetz ein Steuerungsinstrument an
die Hand, mit dem sie ihre Lebensarbeitszeiten in Zu-
kunft besser lenken können.
Wie macht man das? Erstens durch die deutliche Un-
terscheidung von Langzeitkonten gegenüber Kurzzeit-
oder Flexikonten. Sie haben unterschiedliche Funktio-
nen. Zweitens durch die Absicherung der Langzeitar-
beitskonten gegen Risiken. Drittens durch eine flexible
Ausgestaltung über Tariföffnungsklauseln, Ausnahme-
und Übergangsregelungen. Und genau dies haben wir
gemacht.
Erstens ist es wichtig, Langzeitkonten gegenüber
Flexi- oder Kurzzeitkonten abzugrenzen. Kurzzeitkon-
ten dienen nur der Arbeitszeitflexibilisierung und haben
nicht den Anspruch, größere Guthaben anzusparen. Sie
dienen zum Beispiel dazu, kurzfristig die werktägliche
wöchentliche Arbeitszeit mit angesammelten Überstun-
den abzubauen. Bei Langzeitkonten geht es um eine
langfristige Ansammlung von Arbeitszeiten, Überstun-
den oder auch Urlaubszeiten inklusive Sozialversiche-
rungsbeiträgen und Steuern. Diese angesparte Arbeits-
zeit soll zu gesetzlich begründeten Anlässen wie
Kinderbetreuung, Pflege, Zeiten der Qualifizierung oder
Weiterbildung oder auch zur Verwendung vor Bezug der
Altersrente genutzt werden. Steuern und Sozialversiche-
rungsbeiträge fallen hier erst an, wenn es zur Auszah-
lung aus dem Langzeitkonto kommt. Damit der Arbeit-
nehmer Wertguthaben wirklich als Steuerungsinstrument
nutzen kann, muss er eine Übersicht seiner angesparten
Arbeitszeit haben. Deshalb wird der Arbeitgeber ver-
pflichtet, jährlich einen Kontoauszug zu erstellen, damit
der Arbeitnehmer weiß, wie viel er auf seinem Konto an-
gespart hat.
Zweitens sichern wir mit diesem Gesetz Wertgutha-
ben gegen Risiken ab. Wir haben zunächst den Insolvenz-
schutz von Wertguthaben – ein Kernpunkt dieses
Gesetzes – optimiert. Generell ist die Frist zur Informa-
tionspflicht über den Insolvenzschutz auf zwei Monate
verkürzt worden. Unsichere Insolvenzschutzmaßnahmen
wie Patronatserklärungen und konzerninterne Bürg-
schaften sind nicht mehr zulässig. Arbeitnehmer erhalten
die Möglichkeit zur Kündigung der Wertguthabenver-
einbarung bei fehlendem Insolvenzschutz und haben
einen Schadensersatzanspruch bei ungenügendem Insol-
venzschutz. Eine Prüfung des Insolvenzschutzes durch
die Deutsche Rentenversicherung Bund rundet hier das
Bündel der Maßnahmen zum Insolvenzschutz von Wert-
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uthaben ab. Die sichere Anlage von Wertguthaben ist
in weiterer Punkt. Hoch spekulative Anlagen sollen
usgeschlossen werden. Bei Wertguthaben soll der Akti-
nanteil auf 20 Prozent beschränkt werden. Außerdem
ird Werterhaltgarantie zum Zeitpunkt der Entnahme
efordert, die dem Arbeitnehmer die Auszahlung der
indestens eingebrachten Summe garantiert. Ausnah-
en in Bezug auf einen höheren Aktienanteil sind aber
urch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen sowie
ei Verwendung des Wertguthabens vor Bezug der Al-
ersrente möglich.
Des Weiteren ist die Portabilität von Wertguthaben
erbessert worden. Neben der Auszahlung des Wertgut-
abens beim Arbeitgeberwechsel bestehen nun zwei
eue Möglichkeiten. Durch die Neuerung ist es jetzt
öglich, bei einem Arbeitgeberwechsel das Wertgutha-
en auf den neuen Arbeitgeber oder die Deutsche Ren-
enversicherung Bund zu übertragen, die in diesem Fall
as Konto führt und verwaltet.
Während der Beratungen war es Notwendigkeit, den
esetzesentwurf an der einen oder anderen Stelle nach-
ujustieren. So wurde der Schwellenwert für den Insol-
enzschutz gesenkt. Im Gesetzentwurf war noch das
reifache der monatlichen Bezugsgröße vorgesehen, ab
em das Guthaben gegen Insolvenz gesichert ist. Der In-
olvenzschutz soll früher beginnen. Deshalb haben wir
en Schwellenwert auf eine monatliche Bezugsgröße re-
uziert. Dies entspricht einem Betrag von 2 485 Euro in
en alten und 2 100 Euro in den neuen Bundesländern.
Auch den Schwellenwert zur Übertragung von Wert-
uthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund ha-
en wir von der 12-fachen Bezugsgröße auf die 6-fache
ezugsgröße abgesenkt. Das bedeutet in den alten Bun-
esländern ein Volumen von 14 900 Euro und in den
euen Bundesländern von 12 600 Euro. Damit kommen
ir einer Forderung des Bundesrates entgegen und er-
öglichen die Führung von Wertguthaben bei der Deut-
chen Rentenversicherung Bund schon ab einer geringe-
en Höhe.
In der Praxis ist die Umwandlung von Wertguthaben
n die betriebliche Altersvorsorge teilweise sehr exzessiv
usgenutzt worden. Dadurch konnte die Sozialversiche-
ungspflicht bei der Entgeltumwandlung oberhalb von
Prozent umgangen werden. Dies entspricht aber nicht
er Intention von Wertguthaben. Zukünftig – Stichtag ist
er 13. November 2008 – wird dies nicht mehr möglich
ein. Hiermit werden betriebliche Altersvorsorge und
ertguthaben genauer voneinander abgegrenzt.
Eine weitere Änderung bezieht sich auf die in § 7 c
GB IV genannten Freistellungszwecke. Freistellungen
um Zwecke pflegebedürftiger Angehöriger, Elternzeit,
ualifizierungszeiten oder Verwendung des Guthabens
or Bezug der Rente sind bei Bezug von Kurzarbeiter-
eld künftig gleich zu behandeln. Die Regelungen zu der
bertragung von Wertguthaben treten zum 1. Juli 2009
n Kraft. So ist hier die Möglichkeit gegeben, dass sich
ie Deutsche Rentenversicherung Bund optimal auf die
euerungen einstellen und vorbereiten kann.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20189
(A) )
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Während der Beratungen des Gesetzentwurfs ist über
eine ganze Reihe von Fragen diskutiert worden, die aus
meiner Sicht für die Verabschiedung des Gesetzentwurfs
nur vorläufig beendet worden sind oder noch ungeklärt
geblieben sind. Dazu gehört die Frage des Aktienanteils
und der Werterhaltungsgarantie, weiterhin die Frage, ob
die Portabilität auch auf andere als die Deutsche Renten-
versicherung Bund möglich ist oder die Rückübertra-
gung auch auf neue Arbeitgeber zugelassen werden kann.
Auch die Frage, ob Wertguthaben ins Schonvermögen
übertragen werden sollen, konnte nicht endgültig geklärt
werden.
Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir mit dem Gesetz
eine gute Grundlage für die Gestaltung von Arbeitszeit-
konten legen. Die Bundesregierung wird bis zum
31. März 2012 einen Bericht zu den Auswirkungen der
Änderungen vorlegen. Bis dahin gilt es, Erfahrungen mit
Langzeitkonten zu sammeln, vor diesem Hintergrund
eine Überprüfung der jetzigen Regelung vorzunehmen
und die noch offenen Fragen zu klären. Während des
Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzentwurf zu
einem sogenannten Omnibus entwickelt, das heißt, es
sind Artikel mit Änderungen von anderen Gesetzen an-
gehängt worden, die nicht direkt mit Langzeitarbeitskon-
ten zu tun haben. Zur Erläuterung dieser Vorhaben ver-
weise ich auf den Ausschussbericht.
Wolfgang Grotthaus (SPD): Das uns vorliegende
Gesetz ist ein gutes Gesetz, denn es macht die Langzeit-
konten von angesparter Arbeit sicherer, es schafft Klar-
heit, um welche Konten – hier Wertguthabenkonten ge-
nannt – es sich handelt. Es schafft die Möglichkeit einer
eingeschränkten Portabilität, und mit dem Gesetz wird
dafür gesorgt, dass das von den Arbeitnehmern ange-
sparte Kapital nicht spekulativ angelegt werden kann.
Gleichzeitig eröffnet es aber auch den Tarifvertragspar-
teien, bei dem letztgenannten Punkt in Eigenverantwor-
tung im Rahmen eines Tarifvertrages andere als im Ge-
setz formulierte Vorgaben zu vereinbaren.
Die Zusammenarbeit in den Koalitionsfraktionen lief
gut. Verbesserungen zum Wohle derjenigen, die Wert-
guthabenkonten ansparen wollen, wurden zügig abge-
schlossen. Die Koalitionsfraktionen konnten Forderun-
gen, die ich nachfolgend aufzeigen möchte, durchsetzen.
Im Änderungsantrag wurden diese Verbesserungen in
das Gesetz aufgenommen. Im Einzelnen: die Herabset-
zung des Schwellenwertes, ab dem der Insolvenzschutz
greift; die Herabsetzung der Wertgrenze für die Übertra-
gung von Wertguthaben auf die DRV; die Verhinderung
der beitragsfreien Übertragung von Wertguthaben in die
betriebliche Altersversorgung; die genaue Formulierung,
zu welchem Zweck Zeit aus dem Wertguthaben genom-
men werden kann; schließlich die Gültigkeit der Freistel-
lungszwecke auch bei Kurzarbeit.
Gerne hätten wir noch in das Gesetz mit aufgenom-
men, dass auch Kurzzeitkonten – Gleitzeit – dem Insol-
venzschutz unterliegen. Dies war aber aufgrund des Ko-
alitionsvertrages nicht möglich. Auch war keine
Einigkeit zu erzielen bei der Hereinnahme der Langzeit-
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onten in das Schonvermögen von ALG-II-Empfängern.
ach unserer Vorstellung haben Wertguthaben, für die
ine unwiderrufliche Festlegung auf eine ausschließliche
ltersbindung besteht, den Charakter einer Altersvorsor-
eleistung wie zum Beispiel die Riester-Rente; so hätten
iese Wertguthaben ebenso wie die als Schonvermögen
ei Bezug von ALG II behandelt werden können. Hier
ündigen wir heute schon an, dass wir diese zwei The-
en im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes wieder
uf die Tagesordnung setzen werden.
Also ein gutes Gesetz, das nicht alle unsere Wünsche
rfüllt, das aber für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer eine größere Zeitsouveränität und Sicherheit bei
hrer Lebensarbeitszeitgestaltung ermöglicht.
Den zu diesem Gesetz eingebrachten Antrag der Lin-
en lehnen wir ab.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Bundesregierung
egt heute einen Gesetzentwurf zur Schlussberatung vor,
it dem die Arbeitswelt durch Flexibilisierung der Ar-
eitszeiten im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitge-
er verbessert werden soll. Arbeitszeitkonten sollen
ünftig noch besser als bisher für eine selbstbestimmte
estaltung des Arbeitslebens eingesetzt werden können.
ber insolvenzrechtlich geschützte und portable Ar-
eitszeitkonten sollen Arbeitnehmer Unterbrechungen
es Erwerbslebens (zum Beispiel für Erziehungs- und
flegezeiten) ermöglichen können. Auch soll durch Ar-
eitszeitkonten die Flexibilität beim Übergang vom Er-
erbsleben in den Ruhestand verbessert werden. Im
ordergrund des vorliegenden Gesetzentwurfs steht das
emühen, einerseits die Portabilität der Wertguthaben zu
tärken, andererseits den Insolvenzschutz der Wertgutha-
en von Langzeitkonten zu verbessern.
Dabei baut der vorgelegte Gesetzentwurf auf dem un-
er liberaler Mitwirkung im April 1998 erlassenen
esetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Ar-
eitszeitregelungen (BGBl. 1998 I Seite 688) auf, das
ie Grundlage für die Flexibilisierung der Arbeitszeit
ildete. Die FDP-Bundestagsfraktion hat den Gedanken
ines selbstbestimmten Arbeitslebens seitdem, unter an-
erem mit dem Konzept eines flexiblen Renteneintritts
b dem 60. Lebensjahr bei Wegfall aller Zuverdienst-
renzen und mit Vorschlägen zur Stärkung der betriebli-
hen und privaten Vorsorge, konsequent weiterentwi-
kelt. Arbeitszeitkonten, welche die Arbeitnehmer im
bergang von der vollen Erwerbstätigkeit in den Ruhe-
tand einsetzen können, ergänzen dieses Modell eines
lexiblen Rentenzugangs in geradezu idealer Weise.
Allerdings wurden in der Anhörung und in den
chriftlichen Stellungnahmen von den Sachverständigen
um Teil erhebliche Zweifel an den Regelungen des Ge-
etzentwurfs geäußert, sodass die FDP-Fraktion dem
orliegenden Gesetzentwurf am Ende nicht zustimmen
ann. Ich will dies im Folgenden begründen:
Erstens: Mangels einer Bestandsschutzregelung für
en Rechtsrahmen bereits bestehender Arbeitszeitkonten
ührt der Gesetzentwurf die Gefahr herbei, dass viele Ar-
20190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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beitgeber kurzfristig bestehende Arbeitszeitkonten auf-
lösen. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, dass auch für
bereits existierende Arbeitszeitkonten das neue Recht
gilt. Daraus ergibt sich, dass für bestehende Arbeitszeit-
konten die neu eingeführte Werterhaltungsgarantie
greift. Arbeitgeber, deren Arbeitszeitkonten im Zusam-
menhang mit der Finanzmarktkrise in den letzten Mona-
ten starke Einbußen erlitten haben, könnten daher ein In-
teresse daran haben, die bestehenden Arbeitszeitkonten
vor Inkrafttreten der Werterhaltsgarantie aufzulösen. Da-
bei ist davon auszugehen, dass auch die Wertguthaben
seriöser Arbeitgeber, die keine spekulative Anlagestrate-
gien verfolgten und beispielsweise in Aktienfonds mit
deutschen Unternehmenswerten investierten, in den letz-
ten Monaten hohe Verluste aufweisen.
Zweitens: Der im Gesetzentwurf vorgesehene Weg
zur Verbesserung der Portabilität über die gesetzliche
Rentenversicherung ist in der gegenwärtigen Fassung
aus mehreren Gründen insbesondere für die Arbeitneh-
mer unattraktiv. Zum einen wird ein Rückübertragungs-
anspruch des Kontos eines Beschäftigten von der
Rentenversicherung auf einen neuen Arbeitgeber ausge-
schlossen. Er muss dann bei einem neuen Arbeitgeber
ein neues Wertkonto bilden, wenn er einmal ein beste-
hendes Konto auf die Rentenversicherung übertragen
hat. Das kann dazu führen, dass er am Ende über meh-
rere Konten verfügt. Diese Regelung ist insbesondere
deswegen ärgerlich, weil der Vertreter der Deutschen
Rentenversicherung in der Anhörung geäußert hat, dass
eine Rückübertragung durchaus denkbar sei, wenn die
entsprechenden Vorschriften zur Werterhaltsgarantie an-
gepasst würden. Die im Gesetzentwurf abstrakt genann-
ten „Gründe der Verwaltungssicherheit und Finanzie-
rung“ sind also gar nicht der wirkliche Grund für die
mangelnde Portabilität, sondern die fehlende Ausarbei-
tung durch die Bundesregierung.
Zum anderen blieb in der Anhörung unklar, ob die
Anlage der Arbeitszeitkonten bei der Rentenversiche-
rung überhaupt attraktiv ist. Der Arbeitnehmer muss die
Verwaltungskosten für das Wertguthaben tragen. Zu-
gleich gelten die konservativen Anlagevorschriften für
öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger. Man
könnte und sollte darüber nachdenken, den Arbeitneh-
mern ein Wahlrecht zuzugestehen, welchen Risikograd
sie bei der Anlage ihres Wertkontos haben möchten, was
sich natürlich auch auf die Garantiesumme auswirkt.
Wenn die Anlage zu unattraktiv ist, wird dieser Weg der
Portabilität nicht genutzt werden.
Aus den Stellungnahmen zur Anhörung ergab sich
auch, dass eine treuhänderische Übernahme von Arbeits-
zeitkonten durch private Institutionen durchaus möglich
ist. Im Gesetzentwurf werden dagegen viele Gründe auf-
gezählt, warum eine treuhänderische Übernahme der Ar-
beitszeitkonten durch private Anbieter nicht zulässig
sein soll. Dabei steht vor allem der Schutz der Sozialver-
sicherungsbeiträge im Vordergrund, also weniger die In-
teressen der Arbeitnehmer als die Interessen der Sozial-
versicherungsträger. Mit dieser Interessengewichtung
wird die Attraktivität des Gesetzes für Arbeitnehmer
aber beschnitten.
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Drittens: Mit dem Gesetz sollen Wertguthaben wäh-
end der Ansparphase besser als bisher geschützt wer-
en. Dafür sollen die Vermögensanlagevorschriften des
80 ff. SGB IV, die für öffentlich-rechtliche Sozialversi-
herungsträger gelten, künftig auf Arbeitszeitkonten an-
ewendet werden. In der Anhörung wurde aber mehr-
ach darauf hingewiesen, dass für die Versicherungen
er Verweis auch auf die Anlagevorschriften des § 80 ff.
GB IV problematisch ist. Denn die Versicherungen
önnten dann gezwungen sein, die Mittel aus Wertgutha-
en gesondert zu verwalten, neben den Geldern, die nach
en Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes
ngelegt werden. Dabei bieten bereits das Versiche-
ungsaufsichtsgesetz und die darauf basierende Anlage-
erordnung einen sehr hohen Sicherungsstandard.
Viertens werden bei dem Versuch, Arbeitszeitkonten
esser gegen Insolvenz zu schützen, Regelungen einge-
ührt, die der weiteren Verbreitung von Arbeitszeitkon-
en im Wege stehen werden. Zwar wird damit auf die
atsache reagiert, dass in der Praxis bisher viele Arbeits-
eitkonten nicht wirksam insolvenzgesichert waren und
s dadurch zu Ausfällen von Arbeitszeitkonten bei Insol-
enzen kam.
Kontraproduktiv für die weitere Verbreitung von Ar-
eitszeitkonten ist aber der im Gesetzentwurf vorgese-
ene Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand oder
ie Geschäftsführer eines Unternehmens, wenn sich der
nsolvenzschutz nachträglich als nicht wirksam erweist.
n der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass bereits
eute ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitge-
er besteht, wenn er eine Insolvenzabsicherung unter
ortäuschung falscher Tatsachen unterlassen hat.
Darüber hinaus soll das Wertguthaben des Kontos
ünftig durch Dritte, insbesondere Treuhänder, geführt
erden. Es stellt sich die Frage, ob das nicht gerade für
leinere Betriebe einen zu hohen Abfluss an Kapital be-
eutet. In der Anhörung wurde angemahnt, auch andere
ls die im Gesetzentwurf vorgesehenen Sicherungs-
nstrumente, beispielsweise schuldrechtliche, gegen In-
olvenzfälle zuzulassen.
Unklar bleibt schließlich auch, warum Arbeitszeit-
onten künftig nur noch in Geldform und nicht mehr als
eitkonten geführt werden können. Eine wirkliche Be-
ründung liefert der Gesetzentwurf hier nicht. So wird
ediglich die Vertrags- und Tarifautonomie beschnitten.
Im Ergebnis enthält der heute zu beratende Gesetzent-
urf zu viele undurchdachte Regelungen, bei deren In-
rafttreten zu befürchten ist, dass sich Arbeitszeitkonten
icht weiter verbreiten, sondern die Verbreitung sogar
ehindert wird. Damit ist das Gesetz nicht zustimmungs-
ähig. Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich – weil sie
ich zu dem grundsätzlichen Ziel weiterhin bekennt –
er Stimme enthalten.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Wie stellte das Han-
elsblatt am 9. November treffsicher fest: „Für die Ar-
eitgeber ist derweil einer der erfreulichsten Aspekte des
esetzes, dass die Koalition nicht alle Arbeitszeitkonten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20191
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einschränken will: Kurzfristige Gleitzeitkonten und ähn-
liche Modelle sollen weitgehend verschont bleiben.“ Es
wird Sie sicherlich nicht verwundern, dass dies auch un-
ser Hauptkritikpunkt ist. Ausgerechnet die große Masse
der Arbeitszeitkonten, mit denen die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zudem wesentlich zum Ausgleich
wirtschaftlicher Schwankungen beitragen, nämlich die
Gleit- und Kurzzeitkonten, sind ausdrücklich von einem
Insolvenzschutz ausgenommen. Insbesondere die Sach-
verständigenanhörung hat deutlich gemacht, dass es da-
für keinen sachlichen Grund und keine Notwendigkeit
gibt: Modelle zur Sicherung von Gleit- und Kurzzeitkon-
ten befinden sich längst auf dem Markt.
Begrüßenswert ist, dass sich die Koalition völlig un-
erwartet als lernfähig erwiesen hat, indem sie im Ände-
rungsantrag auf die Zeitgrenzen beim Insolvenzschutz
verzichtet. Unklar bleibt allerdings, warum Wertkonten
nicht vom ersten Cent an gesichert werden können, sind
sie doch von den übrigen Arbeitszeitkonten funktionell
getrennt.
Einem selbstgestellten Anspruch wird auch der geän-
derte Gesetzentwurf nicht gerecht: Er stellt keine Alter-
native zur auslaufenden Förderung der Altersteilzeit
durch die Bundesagentur für Arbeit und zur Anhebung
der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung
auf 67 Jahre dar. Zum einen ist der Adressatenkreis des
Gesetzes auf relativ wenige Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer begrenzt. Zum anderen muss selbst dieser
kleine Kreis den vorzeitigen Austritt aus dem Erwerbsle-
ben erst herausarbeiten.
Langzeitarbeitszeitkonten sollen die Zeitsouveränität
der Beschäftigten erhöhen. Sie sollen insbesondere für
Familienzeiten und Weiterbildung genutzt werden. Dies
setzt aber voraus, dass diese Konten durch nicht vergü-
tete Arbeitszeit gespeist werden, was wiederum bedeu-
tet, dass zunächst länger gearbeitet werden muss. Diese
Verdichtung der Arbeit geht ausschließlich auf Kosten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie geht zu-
lasten der Gesundheit und der Familienplanung. Dies
legt den Verdacht nahe, dass die Bundesregierung dieses
Instrument vorrangig für Besserverdienende gedacht hat,
die durch das Ansparen hoher Einmalzahlungen oder
Prämien eher in der Lage sein werden, von dieser Form
der Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit Gebrauch zu
machen.
Bereits bei der Einführung des Gesetzes habe ich da-
rauf aufmerksam gemacht, dass die im § 7 c vorhandene
Öffnungsklausel nicht geeignet ist zu verhindern, dass
die nunmehrigen Wertkonten auch zum Ausgleich kon-
junktureller Schwankungen herangezogen werden kön-
nen. Angesichts der stärkeren Verhandlungsposition des
Arbeitgebers wird sich diese Möglichkeit der Inan-
spruchnahme des Wertkontos in den Verträgen zuhauf
wiederfinden.
Die Übertragbarkeit von Wertkonten auf die Deutsche
Rentenversicherung Bund trägt der wachsenden Anzahl
gebrochener Erwerbsbiografien Rechnung. Doch auch
diese Regelung, sowohl im ersten Entwurf als auch in
der zur Abstimmung vorliegenden Fassung, beantwortet
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icht die Frage, warum diese Portabilität eine Einbahn-
traße sein muss. Weshalb soll es nicht möglich sein, ein
uf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenes
ertguthaben auf einen neuen Arbeitgeber zu übertra-
en? Diese Frage konnte auch in der Sachverständigen-
nhörung nicht beantwortet werden.
Ein Problem ist nach wie vor ausgespart: Die beste-
ende Gesetzeslage verhindert nicht, dass Wertkonten,
ie auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertra-
en wurden, bei einem zwischenzeitlichen Bezug von
rbeitslosengeld II aufgelöst werden müssen. Damit
ird besonders bei jungen Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmern die Hemmschwelle für den Eintritt in die
lexibilisierung der Lebensarbeitszeit besonders hoch
ein. Doch gerade für diese Generation wäre dies wich-
ig, weil sie von der Heraufsetzung des Renteneintritts-
lters besonders betroffen sind.
Unbestritten ist die Insolvenzsicherung der Langzeit-
rbeitskonten gegenüber der bisherigen Gesetzeslage
urch den vorliegenden geänderten Gesetzentwurf ein
chritt in die richtige Richtung. Leider bleibt aber vieles
nausgegoren – wie es ein Experte so schön formuliert
at –: „Das Flexi-II-Gesetz in seiner Unausgereiftheit
eckt insgesamt Assoziationen an ein Montagsauto.“
ürden Sie sich, meine Damen und Herren, bewusst für
inen solchen Wagen entscheiden?
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
lexibilität ist keine Einbahnstraße, die wir nur von Ar-
eitnehmern verlangen können. Immer mehr Menschen
ollen und müssen ihre Erwerbsbiografien an ihre indi-
iduellen Bedürfnisse und Erfordernisse anpassen, und
ierfür sind Langzeitarbeitszeitkonten ein wichtiges In-
trument. Familienphasen, Weiterbildung, Auszeiten, ein
ndividueller Ausstieg aus dem Erwerbsleben – für diese
wecke eignen sich im Idealfall Langzeitkonten.
In der konkreten Ausgestaltung von Langzeitkonten
ag bislang aber einiges im Argen. Die Koalition wollte
as mit ihrem Gesetzentwurf ändern, aber aus grüner
icht ist sie dabei – trotz einiger Verbesserungen im Be-
atungsverfahren – viel zu kurz gesprungen. Deswegen
erden wir den Entwurf ablehnen. Die Gründe dafür lie-
en auf der Hand:
Erstens. Der Insolvenzschutz von Langzeitarbeitskon-
en bleibt lückenhaft. Nach wie vor bleiben generell Gut-
aben ungesichert, die weniger als 2 485 Euro betragen.
is zu dieser Grenze ist bei einer Insolvenz das Risiko
on Beschäftigten, ihr bereits erarbeitetes Entgelt zu ver-
ieren, sehr groß. Unsere Forderung bleibt, dass Lang-
eitkonten ab dem ersten Euro geschützt sein müssen.
ber selbst wenn ein Beschäftigter auf seinem Konto
ehr als 2 485 Euro angespart hat, trägt er weiter einsei-
ig Risiken: Denn hat sein Arbeitgeber nicht für ausrei-
henden Versicherungsschutz gesorgt, bekommt er zu-
ünftig zwar einen Schadenersatzanspruch eingeräumt –
b er den gegenüber seinem insolventen Arbeitgeber
ber auch durchsetzen kann, muss bezweifelt werden.
m Ende bleibt dasselbe Ergebnis: Das Guthaben ist
utsch.
20192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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Zweitens. Die Übertragbarkeit von Langzeitarbeits-
konten ist weiterhin unzureichend. Arbeitgeberwechsel
sind heute die Regel und nicht mehr die Ausnahme.
Trotzdem ermöglicht die Neuregelung nicht die konti-
nuierliche Kontoführung über mehrere Beschäftigungs-
verhältnisse hinweg. Die Konsequnez: Will ein neuer
Arbeitgeber das zuvor erarbeitete Konto nicht überneh-
men, bleibt nur, es aufzulösen. Damit sind aber auch die
Pläne, die mithilfe des Langzeitkontos realisiert werden
sollten, hinfällig geworden,
Lediglich für Beschäftigte, die bereits ein hohes Gut-
haben von mindestens 14 900 Euro angespart haben, hat
die Bundesregierung eine weitere Option geschaffen: Sie
können ihr Guthaben auf die Deutsche Rentenversiche-
rung übertragen. Dann ist es jedoch nur noch für be-
stimmte gesetzlich normierte Zwecke nutzbar, wie zum
Beispiel die Eltern- oder die Pflegezeit. Diese Lösung
hat einen weiteren Haken: Unakzeptabel ist aus grüner
Sicht, dass ein Beschäftigter ein bestehendes Guthaben
nicht wieder von der Rentenversicherung auf einen spä-
teren Arbeitgeber übertragen kann, selbst wenn dieser
das Konto übernehmen würde. Für diese Beschränkung
gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Auch die Ver-
treter der Rentenversicherung haben bestätigt, dass eine
Rückübertragung grundsätzlich möglich wäre.
Drittens. Die Rechte der Arbeitnehmer werden bezo-
gen auf die Nutzung ihrer Langzeitkonten nicht gestärkt.
Der Arbeitnehmer, der ein Langzeitarbeitskonto aufge-
baut hat, kann nach den Plänen der Bundesregierung
auch weiterhin nicht weitgehend frei über sein Guthaben
verfügen. Einen Anspruch auf Entnahme oder Freistel-
lung gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber wird es auch
zukünftig nicht geben. Diese Regelung wäre aus unserer
Sicht aber notwendig, auch wenn wir im Normalfall ein
einvernehmliches Arrangement erwarten.
Viertens. Langzeitkonten gelten nicht als Schonver-
mögen im SGB II. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer ge-
zwungen werden können, ihre Wertguthaben zur Siche-
rung ihres Lebensunterhalts wegen Arbeitslosigkeit zu
verbrauchen. Auch das entspricht nicht unserer Vorstel-
lung. Angesichts solcher konkreten Gefahren werden
viele Arbeitnehmer zögern, Zeit und Geld in ein Lang-
zeitkonto zu investieren. Selbstgestecktes Ziel der Bun-
desregierung war es, Langzeitkonten attraktiver und si-
cherer zu machen. Aber auch nach den Beratungen ist
die Mängelliste lang geblieben, zu lang, als dass wir
Grünen dem Gesetzentwurf zustimmen könnten.
Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales: Die eigene Lebensar-
beitszeit planen, eine ganze Erwerbsbiografie lang
selbstbestimmt gestalten – das sind berechtigte Wünsche
vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Ihnen
vorliegende Gesetzentwurf wird diesen Wünschen mit
klareren Regelungen und besserer Absicherung gerecht.
Schon heute können Beschäftigte durch viele gesetzliche
Ansprüche ihre Zeit selbstbestimmt planen. Dies gilt
etwa bei der Pflege, bei der Teilzeitarbeit, bei der Kin-
dererziehung und bei der Bildung. Aber auch über die
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lternzeit hinausgehende Familienzeiten und sogenannte
abbaticals gewinnen in der betrieblichen Praxis immer
ehr an Bedeutung.
Durch Langzeitkonten kann der Beschäftigte über das
anze Arbeitsleben hinweg souverän über die eigene Ar-
eitszeit verfügen. Diese vor zehn Jahren eingeführte
rundidee attraktiver zu gestalten, dazu dient das Ge-
etz. Arbeitszeit kann angespart, ja sogar vorgespart
erden, und sie wird erst verbeitragt und versteuert,
enn der Beschäftigte tatsächlich einen Freistellungs-
eitraum nutzt.
Allerdings weisen die derzeit bestehenden Regelun-
en Lücken auf, insbesondere, weil sich viele in der Pra-
is nicht an die gesetzlichen Verpflichtungen halten,
enn es um den Schutz der Langzeitkonten geht. Wir
etzen uns mit dem vorliegenden Gesetz engagiert für
iese Verbesserungen ein, weil wir wissen, dass die jetzi-
en Regelungen zum Insolvenzschutz nicht richtig grei-
en oder nicht beachtet werden.
Man darf nicht vergessen, dass Wertguthaben neben
rbeitsentgelt noch Sozialversicherungsbeiträge und
ohnsteuer beinhalten. Diese Entgelte und die Einnah-
en der öffentlichen Kassen müssen wirksam geschützt
nd verlässlich sein. Wenn der Insolvenzschutz nicht ge-
ährleistet ist, gilt die Vereinbarung zukünftig bei feh-
ender Heilung nicht, und Steuern und Abgaben werden
ofort fällig. Das ist ein deutlicher Anreiz, diese leicht-
ertig ungeschützte Situation zu vermeiden.
Erstmals wird auch das Anlagerisiko für Wertgutha-
en geregelt. Langzeitkonten sind kein Privatvermögen
nd keine private Kapitalanlage, sondern ein Instrument
ur Ermöglichung von Freistellungszeiten im Lauf der
rwerbsbiografie. Dieses hart erarbeitete Arbeitsentgelt
st kein Spielgeld von irgendwelchen Schnellverspre-
hern und Finanzjongleuren. Bei der Erarbeitung des
esetzentwurfes war von der Finanzkrise noch keine
ede. Wir haben jedoch von Anfang an die richtigen Re-
eln vorgesehen, die einen optimalen Ausgleich zwi-
chen Sicherheit und Renditechance schaffen.
Der Gesetzesentwurf greift Anregungen der Tarifpart-
er auf und enthält erstmals Vorschriften zur Portabilität
on Wertguthaben. Wer keinen neuen Arbeitgeber fin-
et, auf den er bei Wechsel des Arbeitsplatzes sein Wert-
uthaben übertragen kann, der kann dies in Zukunft auf
ie Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen und
ei gesetzlichen oder mit dem aktuellen Arbeitgeber ver-
inbarten Freistellungszeiten darauf zugreifen.
Diese Regelungen werden durch den Änderungsan-
rag der Regierungsfraktionen weiter verbessert: Durch
ie deutliche Absenkung des Schwellenwertes können
ehr Menschen von dieser Regelung profitieren und
üssen ihre Guthaben nicht mehr auflösen. Damit schaf-
en wir es, die Funktion von Wertguthaben als Lebensar-
eitszeitkonten zu sichern. Ich bin mir sicher: Auf der
rundlage dieses Gesetzes werden derartige Konten
chon in wenigen Jahren eine weite Verbreitung gefun-
en haben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20193
(A) )
(B) )
Anlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung Unterstützter Beschäftigung (Ta-
gesordnungspunkt 33)
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion will für mehr Menschen mit Behinderun-
gen Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
ermöglichen. Die Bundesregierung geht mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf zur Unterstützten Beschäftigung
einen weiteren Schritt in diese richtige Richtung.
Der Gesetzentwurf sieht die Unterstützte Beschäfti-
gung als eine neue Leistung zur Teilhabe am Arbeitsle-
ben als Alternative zu einer Werkstatt für behinderte
Menschen vor. Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist
ein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die neue Maßnahme
ist insbesondere für behinderte Menschen gedacht, die
vor der Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Men-
schen stehen. Hierzu zählen vor allem junge Menschen
mit Behinderung, denen eine berufsvorbereitende Maß-
nahme oder eine Berufsausbildung wegen Art oder
Schwere ihrer Behinderung nicht möglich ist. Daneben
richtet sich die Unterstützte Beschäftigung an Men-
schen, bei denen sich im Laufe ihres Erwerbslebens eine
Behinderung eingestellt hat, beispielsweise aufgrund ei-
nes Unfalls oder einer psychischen Erkrankung.
Die neue Leistung Unterstützte Beschäftigung glie-
dert sich in zwei Phasen. Die erste Phase ist die „indivi-
duelle betriebliche Qualifizierung“. Sie dauert in der
Regel zwei Jahre und soll mit einem regulären Arbeits-
verhältnis enden. In der zweiten Phase wird „Berufsbe-
gleitung“ so lange geleistet, wie weitere Unterstützung
nötig ist, um den Arbeitsplatz zu sichern.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Gesetz-
entwurf einen weiteren Baustein für verbesserte Teilha-
bechancen von Menschen mit Behinderungen in der Ge-
sellschaft. Für uns ist entscheidend, dass es sich bei der
Unterstützten Beschäftigung um eine Maßnahme handelt,
in der die Menschen mit Behinderungen neu erworbenes
Wissen sofort praktisch im Betrieb anwenden können.
Träger der neuen Maßnahme suchen einen geeigneten
Betrieb aus und vermitteln dem Menschen mit Behinde-
rungen die nötigen Kenntnisse. Wir wissen, dass dieses
Prinzip „Erst platzieren, dann qualifizieren“ in der Praxis
funktioniert. Erfolge von Leistungsanbietern, die bereits
jetzt im Bereich Unterstützter Beschäftigung tätig sind,
bestätigen dies.
Gegenüber dem Gesetzentwurf haben die Koalitions-
fraktionen in der gestrigen Ausschusssitzung einen Ände-
rungsantrag beschlossen. Aus Sicht der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion ist zum einen die Klarstellung wichtig,
dass ausgelagerte Werkstattplätze im Berufsbildungsbe-
reich und dauerhaft ausgelagerte Werkstattplätze im Ar-
beitsbereich zum Leistungsangebot der Werkstätten für
behinderte Menschen gehören. Zum weiteren ist es gut,
dass die Integrationsämter in Zukunft einen höheren An-
teil am Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe erhalten.
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Unser Ziel bleibt es, Menschen mit und ohne Behin-
erung im Arbeitsleben zusammenzubringen, auch über
ie Möglichkeiten der Unterstützten Beschäftigung hi-
aus. Ausgelagerte Werkstattplätze, ob im Berufsbil-
ungsbereich oder auf Dauer angelegt im Arbeitsbe-
eich, geben diesen Menschen mit Behinderungen
eilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt au-
erhalb des Werkstattgebäudes. Wir wollen erreichen,
ass sich Menschen mit und ohne Behinderungen auch
n der Arbeitswelt begegnen. Die Klarstellung verdeut-
icht, dass ausgelagerte Werkstattplätze zum Leistungs-
ngebot der Werkstätten gehören, auch wenn sie auf
auer eingerichtet sind. Wir wollen Werkstätten für be-
inderte Menschen mit der Klarstellung unterstützen,
ukünftig noch mehr auf ausgelagerte Werkstattplätze
ls Teilhabeangebot zu setzen. Natürlich bleibt das Ziel,
ass ausgelagerte Werkstattplätze letztendlich zu sozial-
ersicherungspflichtigen Arbeitsplätzen werden. Wir
ollen aber nicht, dass die Betroffenen zurückgeholt
erden, wenn dies nicht gelingt. Ebenso soll es mehr
usgelagerte Werkstattplätze für Menschen mit Behinde-
ungen geben, bei denen aller Wahrscheinlichkeit nach
in sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis
icht in Betracht kommen wird. Auch diese Menschen
aben ein Recht auf gemeinsame Lebenswelten im Be-
eich der Arbeit.
Deutlich sage ich aber an dieser Stelle auch, dass die
larstellung alleine nicht ausreichen wird, wesentlich
ehr Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am all-
emeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es muss zu-
ünftig für Menschen mit Behinderungen möglich sein,
nterstützungsleistungen auch ohne Anbindung an eine
erkstatt für behinderte Menschen zu wählen.
Der zweite Punkt, die erhöhten Mittel der Integra-
ionsämter aus dem Aufkommen der Ausgleichsabgabe,
st ebenfalls bedeutsam. Die Integrationsämter bekom-
en durch die Unterstützte Beschäftigung eine neue
ufgabe, die Berufsbegleitung. Uns ist nicht nur wichtig,
ass die Integrationsämter diese neue Aufgabe gut be-
ältigen. Sie sollen auch ausreichende finanzielle Mittel
ür ihre aktuellen Aufgaben, beispielsweise für die För-
erung von Integrationsprojekten, sogenannte Minder-
eistungsausgleiche – auch wenn ich diesen Begriff nicht
ag –, und für Arbeitsassistenzen haben. Die Mittel, die
en Integrationsämtern zusätzlich zur Verfügung gestellt
erden, sollen deshalb nicht für Werkstätten- oder
ohnheimförderung verwendet werden. Obwohl dieser
achrang der Werkstätten- oder Wohnheimförderung in
er Schwerbehindertenausgleichsabgabe-Verordnung ein-
eutig geregelt ist, habe ich manchmal den Eindruck,
ass man gerne auf die Mittel aus der Ausgleichsabgabe
urückgreift, wenn es um den Bau von Werkstätten- oder
ohnheimen geht.
Auch die weiteren Änderungen im Gesetzentwurf der
undesregierung will ich hier nicht unter den Tisch fal-
en lassen, weil sie vielen Menschen mit Behinderungen
essere Teilhabechancen ermöglichen. Zu diesen Ände-
ungen gehört, dass die individuelle betriebliche Qualifi-
ierung für Menschen mit Behinderungen zukünftig von
wei auf drei Jahre verlängert werden kann, wenn dies
ach Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist.
20194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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Zeiten der Unterstützten Beschäftigung werden nur noch
zur Hälfte auf die Dauer des Berufsbildungsbereichs an-
gerechnet und nicht voll, wie noch im Gesetzentwurf
vorgesehen. Menschen mit Behinderungen können so
besser auf einen Werkstattplatz im Arbeitsbereich, zum
Beispiel auch auf ausgelagerten Werkstattplätzen, vorbe-
reitet werden.
Rehabilitationsträger können nach unserem Ände-
rungsantrag in den Gemeinsamen Empfehlungen zur
Unterstützten Beschäftigung nicht nur Empfehlungen zu
Qualitätsanforderungen der Maßnahmeträger, sondern
auch zu Leistungsinhalten abgeben. Schließlich sind In-
tegrationsfachdienste als mögliche Leistungsanbieter im
Gesetz ausdrücklich genannt, was eine ausreichende
Leistungsanbietervielfalt gewährt.
Zusammenfassend ist zu sagen: Die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion sieht die Unterstützte Beschäftigung mit
den von uns beschlossenen Änderungen als weitere gute
Möglichkeit, mehr Teilhabechancen am allgemeinen Ar-
beitsmarkt zu eröffnen. Der Erfolg der neuen Maßnahme
wird maßgeblich zum einen davon abhängen, wie inten-
siv die Unterstützung der Menschen mit Behinderungen
ausfällt. Zum anderen wird es darauf ankommen, dass
Unternehmen am allgemeinen Arbeitsmarkt die neue
Maßnahme annehmen. Deshalb hoffen wir bei der Um-
setzung natürlich auch auf die Unterstützung durch Ar-
beitgeber.
Der von uns heute zu beschließende Gesetzentwurf ist
nicht der Schlusspunkt unserer Bemühungen. Auch für
diejenigen Menschen mit Behinderungen, für die die
neue Maßnahme nicht in Betracht kommt, müssen mehr
Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als
Alternative zu einer Tätigkeit in Werkstätten für behin-
derte Menschen ermöglicht werden. Hieran werden wir
weiter arbeiten.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Heute ist ein gu-
ter Tag für – hoffentlich viele – junge Menschen mit Be-
hinderungen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur
Unterstützten Beschäftigung öffnet sich eine neue Per-
spektive, ein neuer Weg für Teilhabe am Arbeitsleben.
Heute erfüllen wir nicht nur eine Selbstverpflichtung
aus dem Koalitionsvertrag. Es ist uns von der SPD eine
Herzensangelegenheit, Menschen mit Behinderungen
ein „Mittendrin“ und damit mehr Wahlmöglichkeiten,
auch im Arbeitsleben, zu eröffnen. Denn Arbeit ist mehr
als Broterwerb. Deswegen kommt dem Bereich der Teil-
habe am Arbeitsleben eine besondere Bedeutung zu.
Wie ein Mosaik füllen wir Stück für Stück den Rah-
men für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit
Behinderung. Das persönliche Budget ist Teil des großen
Rahmens, die Unterstützte Beschäftigung kommt heute
dazu. Unterstützte Beschäftigung hat das Ziel, jungen
Menschen mit Behinderung in Unternehmen einen Ar-
beitsplatz zu ermöglichen, den sie ohne dieses Gesetz
nicht bekommen. Es strebt also nach dem Maximum an
Normalität und Teilhabe für Menschen mit Behinderun-
gen.
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Von selbst kommt diese Inklusion nicht. Das ist die
rkenntnis über Jahrzehnte hinweg. Deshalb danke ich
usdrücklich dem Ministerium für Arbeit und Soziales
ür den Entwurf und die fachliche Begleitung der parla-
entarischen Beratung. Ebenso danke ich meinen Kolle-
innen und Kollegen im Ausschuss für die sachorien-
ierte Debatte und denen, die dem Gesetz zustimmen, für
hre Unterstützung.
Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige
eschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist das
iel. Welche flankierenden Maßnahmen sind erforder-
ich? Welche Mosaiksteine sind notwendig? In welcher
röße und in welcher Farbe? Zunächst gilt es festzustel-
en, dass nur mehr „Werkstatt-Steine“ den Potenzialen
ieler Menschen mit Behinderungen nicht gerecht wür-
en. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind
in wesentlicher Teil des Mosaiks. Mit unserem Gesetz
ügen wir hier sogar noch einen neuen Teil hinzu, indem
ir rechtliche Klarheit für ausgelagerte Arbeitsplätze
chaffen.
Mit der Unterstützten Beschäftigung kommen neue
teine in einer neuen Farbe zum Mosaik hinzu. Unter-
tützte Beschäftigung zielt auf den Arbeitsmarkt außer-
alb von Werkstätten. Unterstützte Beschäftigung setzt
ei den Stärken der Menschen mit Behinderungen an
nd „assistiert“ dort, wo Unterstützungsbedarf ist. Ge-
au deshalb folgt das Vorgehen der Regel: Erst platzie-
en, dann qualifizieren – und dann, wenn nötig, beglei-
en.
Ich habe im Vorfeld dieser Gesetzgebung mit zahlrei-
hen Menschen mit Behinderungen gesprochen. Sie
ollen mittendrin sein und hätten sich diese Chance
chon früher gewünscht. Ich bin froh, dass auch die An-
örung ergeben hat, dass die Verbände der Unterstützten
eschäftigung umfassend zustimmen.
Ich habe noch einmal Yvonne vor Augen, die junge
rau, die trotz ihrer Behinderung eine leistungsfähige,
otivierte Arbeitnehmerin sein will – und mit unserem
esetz auch werden kann. Ihre Sichtweise habe ich Ih-
en zur ersten Lesung vorgestellt. Was heißt das für
vonne? Mehr als einen Platz im Leben, nein, auch ei-
en Platz im Arbeitsleben – mittendrin eben. Sie will
voll dabei sein und die Ärmel hochkrempeln“. Sie wird
uch ein Gewinn sein für das Unternehmen. Denn plat-
iert am Arbeitsplatz können nun für sie die optimale
ualifizierung erfolgen und die notwendige berufliche
egleitung genau an ihrem Arbeitsplatz.
Mit den Änderungsanträgen haben wir für nötige Klar-
tellungen gesorgt. Ich will drei herausgreifen. Zur Finan-
ierung kommen den Ländern weitere 10 Prozent der
usgleichsabgabe zu. Wir haben die klare Erwartung,
ass diese Mittel genau für Unterstützte Beschäftigung
erwendet werden. Wir stärken die Integrationsfach-
ienste: Bei Wechsel von Unterstützter Beschäftigung in
ine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen hälftige
nrechnung der individuellen Qualifizierung auf den Be-
ufsbildungsbereich. Somit besteht Klarheit, dass die
utzer und Nutzerinnen der Unterstützten Beschäftigung
ie Sicherheit haben, auch in oder wieder zurück in die
Werkstatt“ gehen zu können, wenn sie sich zu viel zuge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20195
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traut haben. Die Auffangsituation „Werkstattarbeit“
bleibt.
Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist das
Ziel dieses Gesetzentwurfs. Unterstützte Beschäftigung
ist der Weg, der neue Teil unseres Mosaiks. Wir schät-
zen, dass es bis zu fünf Jahre dauern wird, bis dieser von
möglichst vielen genutzt wird. Um den Weg gut auszu-
bauen, muss nun begonnen werden, gemeinsame Emp-
fehlungen zu den Qualitätsanforderungen zu erarbeiten.
Ich bin zuversichtlich, dass sich eine Trägerlandschaft
entwickeln wird, die dafür sorgt, dass sich der Rahmen
unserer Politik für und mit Menschen mit Behinderun-
gen weiter füllt – mit mehr Farben und mehr Möglich-
keiten, sich zu entscheiden. Und das führt zum Mitten-
drin-Sein – auch für Yvonne.
Dr. Erwin Lotter (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak-
tion begrüßt, dass Menschen mit Behinderung mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf die Chance und entspre-
chende Hilfen an die Hand gegeben werden sollen, um
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis Fuß zu fas-
sen. Wie auch für Menschen ohne eine Behinderung ist
der Arbeitsplatz ein entscheidender Beitrag für ein
selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Anerken-
nung.
So gut auch die Intention des Gesetzentwurfes ist, er
gibt dennoch Anlass zu einigen kritischen Anmerkun-
gen, die auch in der Anhörung des Ausschusses für Ar-
beit und Soziales zum vorliegenden Gesetzentwurf the-
matisiert wurden:
Der Adressatenkreis der neuen Fördermaßnahme ist
unklar definiert. Für die Betroffenen ist es aber natürlich
von entscheidender Bedeutung, ob sie, und auch nach
Absolvierung welchen Zugangsverfahrens, in den Ge-
nuss der neuen Fördermaßnahme kommen können. Die
Aussagen der Anhörung, insbesondere seitens der Prak-
tiker, lassen ohnehin erwarten, dass die Maßnahme letzt-
lich nur für einen relativ geringen Personenkreis Anwen-
dung finden kann. Die Praktiker sprachen hier von etwa
5 Prozent der Werkstattberechtigten, die möglicherweise
infrage kommen.
Hinsichtlich der Zielrichtung des Gesetzentwurfes ist
die Argumentation der Befürworter ohnehin wider-
sprüchlich: Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes der
Bundesregierung ist die dauerhafte Sicherung des Ar-
beitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung, was ja als
sehr optimistisch bezeichnet werden muss. Ohne Einglie-
derungszuschüsse und einen Minderleistungsausgleich,
so stellten es die Praktiker in der Anhörung eindringlich
dar, wird das Beschäftigungsverhältnis langfristig nicht
haltbar sein. Das wurde auch durch Abgeordnete der Re-
gierungskoalition im Ausschuss vertreten, mit dem Hin-
weis, dass derartige Unterstützungsleistungen auch wei-
terhin möglich seien. Die dauerhafte Sicherung des
Arbeitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung ist so-
mit ein Ziel – und das wissen auch die Kollegen der Re-
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ierungsfraktionen –, das nur von einem relativ geringen
ersonenkreis erreicht werden kann.
Zudem wurde in der Anhörung hervorgehoben, dass
it dem Gesetzentwurf ein, so wörtlich, „neues Mosaik-
teinchen voneinander abgegrenzter Leistungen“ ge-
chaffen wird. Das Wunsch- und Wahlrecht der Men-
chen mit Behinderung droht dabei nicht ausreichend
eachtet zu werden. Der Wechsel zwischen verschiede-
en Ausbildungswegen, etwa der Werkstatt und der
aßnahme „unterstützte Beschäftigung“, scheint pro-
lematisch. Ob Personen, die bereits im Arbeitsbereich
iner Werkstatt tätig sind, auch von der neuen Förder-
aßnahme profitieren könnten, bleibt nach wie vor un-
eklärt.
In der Anhörung wurde darüber hinaus betont, dass
ie volle Anrechnung der Dauer der unterstützten Be-
chäftigung auf eine sich möglicherweise ergebende
otwendigkeit, doch in die Werkstatt zu wechseln, und
ie im Berufsbildungsbereich zu erbringende Ausbil-
ungsdauer problematisch ist. Die Fachleute betonten,
ass eben die Ausbildungsinhalte nicht unbedingt de-
kungsgleich seien. Die im Ausschuss beschlossenen
nderungsanträge bieten hinsichtlich der zeitlichen An-
echnung zwar eine Verbesserung. Eine individuelle, auf
ie jeweilige Ausbildungssituation bezogene Regelung
äre hier sicherlich sinnvoller und eher im Sinne der Be-
roffenen gewesen.
Es bleibt festzuhalten, dass die unterstützte Beschäfti-
ung eine weitere Maßnahme im bestehenden Sachleis-
ungsprinzip darstellt. Die FDP-Bundestagsfraktion hätte
ich eine weitergehende, das Wunsch- und Wahlrecht der
etroffenen stärkende Lösung vorstellen können, wie
twa die Werkstattleistungen grundsätzlich budgetfähig
u machen. Dieses wäre sicherlich eine Maßnahme, die
uf diesen ersten Schritt – so bezeichnen Vertreter der
egierungsfraktionen ja gerne den Gesetzentwurf – zeit-
ah folgen müsste.
Dennoch – so wurde es in der Anhörung deutlich –
cheint der vorliegende Entwurf zumindest einem klei-
en Teil der Menschen mit Behinderung Chancen zu er-
ffnen, dem wir uns auch nicht entgegenstellen möchten.
ie FDP-Bundestagsfraktion wird sich dementspre-
hend zu dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Linke unterstützt
as Ziel, behinderten Menschen mit besonderem Unter-
tützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozial-
ersicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen
nd zu erhalten. Wir haben die Hoffnung, dass einige
enschen mit Behinderungen mit diesem Instrument
rbeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt finden.
rgänzend möchte ich anmerken, dass wir hier Arbeit
einen, von der man auch leben kann. Menschen mit
ehinderungen sollen ihren gesamten Lohn für ihren Le-
ensunterhalt wie alle anderen auch behalten können
nd nicht bis auf den gering bemessenen Selbstbehalt
ach SGB XII für die behinderungsbedingten Mehrbe-
arfe wieder abführen müssen.
20196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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Der Ansatz – erst platzieren, dann qualifizieren – ist
grundsätzlich sinnvoll. Menschen mit Behinderungen
brauchen mehr Chancen, Arbeit auf dem sogenannten
ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Es ist nicht hinnehm-
bar, dass Menschen mit Behinderungen lebenslänglich in
Aussonderungseinrichtungen geparkt werden: von der
Sonderschule zur Sonderberufsschule und dann zur Be-
schäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behin-
derungen.
Die Linke teilt aber nicht die Euphorie der Koalition.
An der Situation, dass die Arbeitslosenquote bei Men-
schen mit Behinderungen doppelt so hoch ist wie bei
Nichtbehinderten, wird sich mit dem Instrument der Un-
terstützten Beschäftigung kaum etwas ändern. Hier sind
mehr und wirksamere Aktivitäten des Bundes, der Län-
der und Kommunen, aber auch der Wirtschaft erforder-
lich.
Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften, die Be-
triebsräte, die nicht behinderten Kolleginnen und Kolle-
gen. Mein Appell an Sie und an euch: Sorgt dafür, dass
Menschen mit Behinderungen ausreichend Platz auf dem
ersten Arbeitsmarkt finden. Seid kollegial und solida-
risch! Schaut nicht weg, wenn Kolleginnen und Kolle-
gen wegen ihrer Behinderung ausgegrenzt oder gemobbt
werden! Ohne euch bleiben alle Gesetze und Förderpro-
gramme wirkungslos. Hier seid ihr gefragt.
Viele der Fragen und Probleme aus den zu Protokoll
gegebenen Reden in der ersten Lesung im Bundestag am
16. Oktober und aus der sechzigminütigen Anhörung am
5. November sind bis heute nicht gelöst. Ich begrüße,
wenn der Bund Menschen mit Behinderungen, die nicht
im Sinne des Gesetzes als schwerbehindert gelten, bei
der Beschaffung von Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
helfen will. Gerade diese Menschen fallen allzu oft
durch jedes Raster. Die maximal zweijährige arbeits-
platzbegleitende Ausbildung ist gut. Aber was dann?
Wie wird danach die notwendige dauerhafte Förderung
bzw. Assistenz zum Erhalt des Arbeitsplatzes gesichert?
Hier steht die Antwort der Bundesregierung aus.
Erst gestern fand im Bundestag die erste Lesung des
Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Ratifizierung
der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit
Behinderungen statt. Besonders der Artikel 27 – Arbeit
und Beschäftigung – der Konvention ist Grundlage und
Maßstab für dieses Gesetz, aber auch Artikel 31 – Statis-
tik und Datensammlung – spielt bei diesem Gesetz eine
wichtige Rolle. Deswegen bleibt nicht akzeptabel die
– von mir schon in der ersten Lesung kritisierte – Ab-
schaffung der Informationspflicht der Bundesagentur für
Arbeit über die Beschäftigungsquote schwerbehinderter
Menschen bei öffentlichen Arbeitgebern. Ist das die Art,
wie die Bundesregierung die UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen
will? Wem nützt die Abschaffung der Informations-
pflicht? Wenn der Überblick fehlt, werden auch die An-
strengungen im öffentlichen Dienst, Menschen mit Be-
hinderungen zu beschäftigen, geringer. Auch ein
effizienter Einsatz von Mitteln für die Förderung von
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rbeit für Menschen mit Behinderungen ist dann nicht
ehr möglich.
Ein weiteres offenes Problem ist die Entwicklung der
usgleichsabgabe. Laut Antwort der Bundesregierung
om 31. Oktober 2008 auf meine Anfrage ist das Auf-
ommen der Ausgleichsabgabe rückläufig. Damit san-
en zwangsläufig auch die Ausgaben der Integrations-
mter und des Ausgleichsfonds – von circa 690 Mil-
ionen Euro im Jahr 2002 auf knapp 500 Millionen Euro
m Jahr 2007. Es ist ein Trugschluss, zu meinen, dass die
usätzlichen aus dem Instrument der Unterstützten Be-
chäftigung resultierenden Aktivitäten auch noch aus der
usgleichsabgabe finanziert werden können.
Es gibt also aus Sicht der Linken neben dem Für viel
ider zu diesem Gesetz. Insofern ist die Zustimmung
erbunden mit der Erwartung und Forderung an die Bun-
esregierung, mehr zu tun, um Menschen mit Behinde-
ungen im Geist der UN-Behindertenrechtskonvention in
rbeit zu bringen und in den nächsten Wochen und Mo-
aten die benannten Mängel des Gesetzes auszuräumen.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um
s vorweg zu nehmen: An unserer grundsätzlichen Zu-
timmung für eine Unterstützte Beschäftigung gibt es
einen Zweifel. Auch der nun zu beschließende Gesetz-
ntwurf ist für einige Menschen mit Behinderungen hilf-
eich, weil er die Teilhabe am Arbeitsleben bedarfsge-
echt und personenzentriert verbessern kann.
Leider lässt der Entwurf allerdings zu viele Fragen of-
en, sodass nach unserer Einschätzung die neue Maß-
ahme mit zu vielen Risiken für die Betroffenen verbun-
en ist.
Zwar – und das ist anzuerkennen – haben die Aus-
chussverhandlungen zu einigen Verbesserungen ge-
ührt. So gibt es eine Änderung der Anrechnungsforma-
itäten der Unterstützten Beschäftigung auf die Zeiten im
erufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte
enschen. Auch die Änderungen der Ausgleichsabga-
enverordnung ist – auch wenn nicht hinreichend – so
och zumindest anzuerkennen.
Nichtsdestotrotz werden Bündnis 90/Die Grünen ge-
en den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen. Wir sind
ns darüber im Klaren, dass der Gesetzentwurf bewusst
icht der große Wurf sein soll, sondern nur einen „Mosa-
kstein“ im Gesamttableau der beruflichen Teilhabe be-
inderter Menschen darstellen soll. Auf das Gesamtta-
leau warten wir weiterhin, wahrscheinlich vergeblich.
Aber eines möchte ich ganz klar sagen: Auch ein
Mosaikstein“ kann bei fahrlässiger Ausgestaltung sei-
er Bedingungen die ursprünglichen Absichten, ein
ehr an Alternativen der beruflichen Teilhabe herzustel-
en, in ihr Gegenteil umkehren. Das Gegenteil hieße in
iesem Fall die Einschränkung der Wunsch- und Wahl-
echte sowie die drohende Perspektivlosigkeit auf dem
rbeitsmarkt. Denn weder die offenen Fragen der Rück-
ehrmöglichkeiten, noch die Überwachung der Quali-
ätsstandards bei Ausschreibungen noch die nachhaltige
inanzierung wurden abschließend geklärt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20197
(A) )
(B) )
Hierzu im Einzelnen:
Rückkehrmöglichkeiten. Schon im Vorfeld haben wir
kritisiert, dass die neue Maßnahme der Unterstützten Be-
schäftigung keine Rückkehrmöglichkeit in die Werkstatt
für behinderte Menschen beinhaltet. Damit bestehen
weiterhin zwei wesentliche Probleme: Erstens werden
keine behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die
sogenannten Werkstattbeschäftigten – einer Werkstatt
die neue Leistung in Anspruch nehmen, wenn keine
Rückkehrmöglichkeit besteht. Zweitens ist weiterhin un-
geklärt, was mit Menschen passiert, die trotz Berufsbe-
gleitung keine dauerhaften Chancen auf dem allgemei-
nen Arbeitsmarkt haben.
Ausschreibungen. Generell muss bezweifelt werden,
ob Ausschreibungen das richtige Mittel sind, um die ho-
hen Qualitätsstandards bei der Maßnahme durchzuset-
zen. Die Anhörung hat gezeigt, dass enorme Zweifel
darüber bestehen. Qualitätsstandards können einfach aus
dem Internet abgeschrieben werden. Dies berichteten zu-
mindest die Sachverständigen des Deutschen Gewerk-
schaftsbundes und der Aktion Psychisch Kranke e. V.
sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte
Beschäftigung.
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband betont in
seiner Informationen an den Ausschuss Arbeit und So-
ziales, dass die Erfahrungen in der Frühförderung ge-
zeigt hätten, „dass die Verständigung zu Rahmenemp-
fehlungen ein sehr langwieriger Prozess sein kann und
im Ergebnis die Empfehlungen von den jeweiligen Re-
habilitationsträgern nur bedingt umgesetzt werden“. In-
sofern sei es bedauerlich, dass die Bundesregierung sich
im Rahmen des geplanten Gesetzes nur bedingt für eine
Konkretisierung zur Qualität der Leistung entschieden
hat.
Um die Wahlmöglichkeiten nicht weiter einzuschrän-
ken, kommen Bündnis 90/Die Grünen zu dem Ergebnis,
dass vergaberechtliche Ausschreibungen hier abzuleh-
nen sind. Diese schränken die Anzahl der Anbieter ein
und somit letztendlich auch das Wunsch- und Wahlrecht
behinderter Menschen. Zudem besteht die Gefahr, dass
der billigste Anbieter ausgewählt wird. Die Qualität
bliebe auf der Strecke.
Finanzierung. Für die Berufsbegleitung sollen die In-
tegrationsämter, die sich hauptsächlich aus Mitteln der
Ausgleichsabgabe finanzieren, verantwortlich sein. Die
allermeisten Integrationsämter haben schon jetzt erhebli-
che finanzielle Schwierigkeiten, ihren gesetzlichen Auf-
gaben nachzukommen. Die Unterstützte Beschäftigung
bedeutet für sie eine zusätzliche Belastung.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter
und Hauptfürsorgestellen erklärt in ihrer Stellungnahme,
dass Modellrechnungen von einzelnen Integrationsäm-
tern zeigen, dass die Finanzierung der Berufsbegleitung
– zum Beispiel Kosten der Betreuung der schwerbehin-
derten Menschen am Arbeitsplatz und Lohnkostenzu-
schüsse an Arbeitgeber – bundesweit rasch zweistellige
Millionenbeträge erreichen wird.
Bisher leiten die Integrationsämter 30 Prozent der
Ausgleichsabgabe an den Ausgleichsfonds weiter. Nach
Änderungen am Gesetzentwurf werden es zukünftig nur
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och 20 Prozent sein. Die Bundesagentur für Arbeit er-
ält bislang 26 Prozent aus den Mitteln des Ausgleichs-
onds. Nach den Änderungen am Entwurf werden es nur
och 16 Prozent sein. Die Bundesländer forderten in ih-
er Stellungnahme, über den Bundesrat nur 10 Prozent
u zahlen und nur 14 Prozent an die Bundesagentur zu
berweisen.
Insgesamt scheint das ein Kompromiss zu sein, den
an wohl begrüßen kann. Ob die Finanzierung damit je-
och dauerhaft gewährleistet und ob nicht am Ende an
nderen Instrumenten wie dem Lohnkostenzuschuss
der den Integrationsprojekten gespart wird, darf weiter-
in bezweifelt werden.
Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen umfassende-
en Ansatz zur beruflichen Teilhabe behinderter Men-
chen. Im Sinne einer Stärkung des Wunsch- und Wahl-
echtes müssen nach unserer Auffassung alle Menschen
it Behinderungen – unabhängig von der Art oder
chwere ihrer Behinderung – in die Lage versetzt wer-
en, selbst entscheiden zu können, in welcher Form sie
m Arbeitsleben teilhaben möchten. Entscheidend ist,
ass sie individuell gefördert und bei Bedarf nach dem
rinzip des Nachteilsausgleichs dauerhaft unterstützt
erden.
Die Finanzierung so wichtiger Instrumente wie des
ohnkostenzuschusses, der Arbeitsplatzausstattung oder
er Integrationsfirmen muss nachhaltig gesichert wer-
en. Darum müssen sich mittelfristig neue Finanzie-
ungsformen zur Ermöglichung dauerhafter Minderleis-
ungsausgleiche entwickeln.
Nach unserer Auffassung sollten Kostenträger sowohl
es Minderleistungsausgleichs als auch der Formen der
nterstützten Beschäftigung sowohl die Träger für Leis-
ungen in Werkstätten für behinderte Menschen als auch
ie Integrationsämter sein. Auch die Bundesagentur für
rbeit, die nach dem Übergang des behinderten Men-
chen vom Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbereich
islang ihre „Trägerschaft verliert“, sollte Finanzverant-
ortung übernehmen. Nur so fällt für die Bundesagentur
ür Arbeit der negative Anreiz beim Übergang von dem
erufsbildungs- in den Arbeitsbereich weg. Durch einen
est vereinbarten Finanzschlüssel und eine klare Struk-
urverantwortung eines Trägers kann diese Zwischenlö-
ung so gestaltet werden, dass sie dem oder der Betroffe-
en nicht zum Negativen gereicht. Optimal und als
ittelfristige Perspektive ist jedoch eine Zusammenfüh-
ung leistungsrechtlicher Vorschriften der Teilhabe am
rbeitsleben in einem Gesetz vonnöten.
Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
inisterium für Arbeit und Soziales: Nach den Beratun-
en in den Ausschüssen liegt heute der Gesetzentwurf
ur Einführung Unterstützter Beschäftigung zur Abstim-
ung vor. Die Verabschiedung und Umsetzung dieses
esetzes ist neben der Ratifikation der VN-Konvention
ber die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur-
eit das wichtigste Vorhaben, an dem wir im Bereich der
ehindertenpolitik arbeiten. Denn, Arbeit zu haben, das
ann man kaum oft genug betonen, ist eben mehr als nur
ebensunterhalt sichern. Arbeit zu haben, das heißt auch
20198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
Selbstbestätigung, stolz auf das Geleistete sein zu kön-
nen, anderen zu erzählen, was man macht, dazu zu gehö-
ren. Wer Arbeit hat, kann sein Leben selbst in die Hand
nehmen und gestalten. Das gilt grundsätzlich für uns alle
und doch für Menschen mit Behinderungen in ganz be-
sonderer Weise. Aus diesem Grund führen wir mit der
Unterstützten Beschäftigung einen neuen Fördertatbe-
stand ein.
Er soll behinderten Menschen mit einem besonderen
Unterstützungsbedarf bei der Eingliederung in eine so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung helfen. Es geht
um Personen, die von einer Ausbildung oder auch einer
berufsvorbereitenden Maßnahme aus behinderungsbe-
dingten Gründen überfordert, gleichwohl in einer Werk-
statt für behinderte Menschen unterfordert wären. Für
diesen Personenkreis wird es künftig die Unterstützte
Beschäftigung geben.
Bereits heute können regionale Anbieter langjährige
und gute Erfahrungen mit Unterstützter Beschäftigung
vorweisen. Sie zeigen, dass auch behinderte Beschäftigte
mit einem hohen Unterstützungsbedarf dauerhaft in Be-
trieben des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein können,
wenn sie von allen Beteiligten die dafür erforderliche
Unterstützung bekommen. Diese Erfolge sind für uns
Ansporn und Motivation genug, die Unterstützte Be-
schäftigung mit Beginn des kommenden Jahres bundes-
weit anzubieten. Wir haben damit auch die Chance, in-
nerhalb Europas Schrittmacher zu werden; denn auch die
Europäische Kommission beabsichtigt, Ideen zu sam-
meln, wie Unterstützte Beschäftigung in Europa geför-
dert werden kann.
Wir wollen damit auch erreichen, dass mehr behin-
derte Menschen als bislang ihren Lebensunterhalt außer-
halb von Werkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
verdienen können – gemeinsam mit nicht behinderten
Menschen. Die Vorarbeiten sind in enger Zusammenar-
beit mit den Verbänden behinderter Menschen erfolgt.
Ich bin deshalb davon überzeugt, dass wir ein praxis-
taugliches Instrument entwickelt haben, das Menschen
mit Behinderung und Arbeitgeber konkret an ihren
Bedürfnissen abholt. Wir wollen und wir werden einen
realistischen und Erfolg versprechenden Weg in den all-
gemeinen Arbeitsmarkt und in sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung weisen.
Auch die Zusammenarbeit mit den Ländern war eng
und konstruktiv, nicht zuletzt die Einigung bei der Neu-
verteilung der Ausgleichsabgabe zeigt das. Künftig wer-
den die Integrationsämter der Länder 80 statt wie bisher
70 Prozent des Aufkommens an der Ausgleichsabgabe
erhalten. Der Anteil der Bundesagentur für Arbeit sinkt
daher von bisher 26 auf künftig 16 Prozent. Das ist sinn-
voll, weil die Bundesagentur für Arbeit seit Einführung
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht mehr für
alle arbeitslosen schwerbehinderten Menschen zuständig
ist. Den Integrationsämtern der Länder hingegen werden
durch die Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstütz-
ten Beschäftigung Mehrkosten entstehen. Die Neuvertei-
lung stellt also sicher, dass die Unterstützte Beschäfti-
gung von Anfang an auch finanziell auf einem festen
Fundament steht.
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Zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung Unter-
tützter Beschäftigung hat am vergangenen Mittwoch
ie Anhörung stattgefunden. Diese hat bestätigt, dass wir
it dem Gesetzentwurf ein gutes, praxistaugliches Kon-
ept vorgelegt haben. Das zeigten insbesondere die Äu-
erungen der Sachverständigen, die bereits heute nach
em Konzept der Unterstützten Beschäftigung arbeiten.
nlage 18
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes
für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-
punkt 35)
Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Endlich
ird nun umgesetzt, was dem Transportgewerbe schon
003 bei der Beschlussfassung über die Einführung der
aut versprochen wurde. Es ist höchste Zeit für diese
esetzesänderung. Die deutschen Spediteure kämpfen
omentan besonders hart ums Überleben. Mit der Zu-
timmung zu diesem Gesetz gewähren wir ihnen das
olle Harmonisierungsvolumen von 600 Millionen Euro,
as wir ihnen 2003 versprochen haben.
Warum erst jetzt? Das Verkehrsministerium hätte den
anzen Vorgang beschleunigen müssen. Es hätte intensi-
er daran arbeiten müssen. Jedoch ganz mutwillig ge-
chah diese Verzögerung nicht. Die Verzögerung ist auch
er Tatsache geschuldet, dass die Harmonisierung in ei-
er Form geschehen musste, die die EU-Kommission to-
erieren konnte.
Der erste Versuch bestand darin, dass die Mautgebüh-
en den deutschen Spediteuren teilweise erstattet werden
ollten. Die EU-Kommission lehnte jedoch diese teil-
eise Erstattung der Mautgebühren als Diskriminierung
b. Alternativ entwickelte die Bundesregierung zusam-
en mit den Verbänden ein sogenanntes Mautbonussys-
em mit einem Volumen von 350 Millionen Euro. Auch
ieses lehnte die EU-Kommission ab, genauso wie sie
teuersparmodelle und günstige Abschreibungsmodelle
blehnte.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben immer und zu
der Zeit auf der vollen Harmonisierung bestanden. Weil
ber eine volle Harmonisierung aus den verschiedensten
ründen scheiterte, haben wir seinerzeit dem ursprüng-
ch versprochenen Mautsatz von 15 Cent nicht zuge-
timmt und auf einem reduzierten Satz von 12,4 Cent be-
tanden. Dieser verminderte Mautsatz war immer unser
austpfand. Und für uns war immer klar, nur bei einer
ollen Harmonisierung in Höhe von 600 Millionen Euro
erden wir erst einer Mauterhöhung zustimmen. Bei
ieser Absenkung des Mautsatzes von 15 auf 12,4 Cent
onnte man aus europarechtlichen Gründen die ausländi-
chen Transportunternehmer leider nicht ausnehmen, so-
ass diese auch von der Absenkung profitierten. Das
ussten wir in Kauf nehmen. Erst 2007 konnte schließ-
ich die Kfz-Steuer gesenkt und ein Innovationspro-
ramm aufgelegt werden. Beide Maßnahmen bedeuteten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20199
(A) )
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für das Gewerbe eine Unterstützung von 250 Millionen
Euro pro Jahr.
Es fehlten noch 350 Millionen Euro. Heute wollen
wir diesem Gesetz zustimmen und damit die versproche-
nen 600 Millionen Euro pro Jahr für das Gewerbe voll-
machen. Endlich ist ein Weg gefunden, den die EU-
Kommission nicht mehr beanstanden kann.
Die Bundesregierung wird das „Harmonisierungspa-
ket“ mit Kleinbeihilfen, sogenannten De-minimis-Beihil-
fen, und einem Förderprogramm für Aus- und Weiterbil-
dung ergänzen. Die Verbände hatten deutlich gemacht,
dass die Unternehmen nicht nur für Investitionen Unter-
stützung benötigen, sondern vor allem auch bei den lau-
fenden Ausgaben. Wir haben dann also vier Säulen, auf
denen die Harmonisierung ruht: die Kfz-Absenkung, das
Innovationsprogramm bis Ende September 2009, die
Kleinbeihilfen und das Förderprogramm für Aus- und
Weiterbildung.
Für die Kleinbeihilfen ist keine Anzeige und keine
Genehmigung der Europäischen Kommission erforder-
lich. Europarechtlich bedeutet es also kein Risiko. Ge-
fördert werden die Bereiche Qualifizierung, Beschäfti-
gung, Sicherheit und Umwelt. Wenn also ein Fahrer eine
Fortbildung zum Gabelstaplerfahrer macht oder wenn er
mit der neuesten Sicherheitstechnik umzugehen lernt,
wird dies zu 100 Prozent bezuschusst werden, genauso
wie der Einbau der erwähnten Sicherheitstechnik bezu-
schusst wird. Aber dies ist nur bis zu einer Höchstgrenze
von 33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr möglich.
Mehr lässt die EU nicht zu. Für große Unternehmen mit
einem großen Fuhrpark ist diese Höchstgrenze von
33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr natürlich nicht
ausreichend. Deshalb wurde nach einem Ausgleich ge-
sucht, und man hat ihn in der zusätzlichen Förderung
von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gefunden. Die
Förderung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist
damit die vierte Harmonisierungssäule neben abgesenk-
ter Kfz-Steuer, dem Innovationsprogramm und den
Kleinbeihilfen.
Für diese Art der Förderung ist eine Anzeige bei der
Europäischen Kommission erforderlich, aber keine Ge-
nehmigung. Im Gegensatz zu den Kleinbeihilfen sind
nach der Verordnung für Ausbildungsbeihilfe nur be-
stimmte Kosten förderfähig, und diese auch nur mit ei-
nem bestimmten Prozentsatz.
Vorstellbar ist, dass neben diesem Fördergeld für
Aus- und Weiterbildung im De-minimis-Katalog ein zu-
sätzliches Förderungsprogramm für Aus- und Weiterbil-
dung aufgelegt wird. Die Unternehmen könnten dann
wählen, welche Art der Förderung sie wählen. Kleinere
Unternehmen würden voraussichtlich die Aus- und Wei-
terbildungskosten über De-minimis fördern lassen. Un-
ternehmen, die die Förderhöchstbeträge bei De-minimis
erreicht haben, könnten für Aus- und Weiterbildungskos-
ten zusätzlich Zuschüsse über ein gesondertes Fortbil-
dungsbeihilfeprogramm erhalten.
Da die Unternehmen individuell entscheiden können,
ob und in welchem Maße sie von den drei Maßnahmen
– Innovationsprogramm, Kleinbeihilfen, Förderprogramm
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ür Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – Gebrauch
achen, sind die konkreten Harmonisierungsvolumina
ro Jahr nicht exakt vorhersehbar. Das wird berücksich-
igt, indem die Beträge zwischen den einzelnen Maßnah-
en flexibel gestaltet werden. Das Gesetz sagt also, dass
50 Millionen Euro von den Mauteinnahmen für diese
aßnahmen verwendet werden dürfen, aber nicht, wie
iel für die einzelne Maßnahme. Diese Flexibilität macht
inn.
Aber lassen wir uns nicht täuschen: Mit dem heutigen
esetz bestimmen wir nur, dass die Mauteinnahmen für
ie eben beschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen
erwendet werden dürfen. Das Gesetz sagt also, wir dür-
en das Geld für Kleinbeihilfen sowie Aus- und Weiter-
ildung verwenden. Das Gesetz sagt aber nicht, wie dies
enau geschehen soll. Was also unbedingt ausgearbeitet
erden muss, ist ein verbindlicher Katalog, aus dem her-
orgeht, wie diese Mauteinnahmen konkret verwendet
erden sollen.
Auch hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf nicht
estgelegt, welche Institution die Harmonisierungsmaß-
ahmen durchführen soll. Dies ändern wir mit unserem
nderungsantrag. Das Bundesamt für Güterverkehr,
elches auch schon das Innovationsprogramm sehr er-
olgreich koordiniert, ist hierfür der ideale Partner. Mit
em Änderungsantrag geben wir dem Bundesamt für
üterverkehr die gesetzliche Ermächtigung hierfür an
ie Hand.
Nun klingt das alles sehr gut und so, als ob sich das
ransportgewerbe nun auf die volle Harmonisierung
reuen könnte. Das ist auch so; aber das ist nur die eine
eite der Medaille. Denn diese Ausgaben müssen auch
inanziert werden. Womit ich zur Erhöhung der Lkw-
aut komme.
Dies ist nicht das Thema der heutigen Entscheidung,
ber es hängt unmittelbar damit zusammen. Ich will
uch nicht noch einmal die Diskussion eröffnen. Aber
ir dürfen nicht übersehen, welcher Belastung das
ransportgewerbe mit der Erhöhung der Maut ausgesetzt
ird. Wir als Bundestag waren formell bei der Erhöhung
er Maut nicht unmittelbar beteiligt, da die Maut im
ahmen einer Regierungsverordnung erhöht wird.
ichtsdestotrotz haben wir in unserer Fraktion die Maut-
rhöhung stets kritisch gesehen und dies natürlich auch
eäußert, und zwar in einer Reihe von Gesprächen, die
uf informeller Arbeitsebene stattgefunden haben. Zu-
indest konnten wir auf diese Art und Weise noch wei-
er führende Erhöhungen, wie zum Beispiel die Staffe-
ung der Mauthöhe nach Strecke, verhindern.
Und wir haben erreicht – darüber bin ich sehr froh –,
ass die Mehreinnahmen durch die Erhöhung voll und
anz in die Verkehrsinfrastruktur fließen. Ich persönlich
in der Ansicht, dass der bisherige Schlüssel bzw. die
estlegung, dass die Einnahmen aus der Maut nur über-
iegend – 51 Prozent sind dann überwiegend – in die
traßeninfrastruktur fließt, geändert werden sollte. Diese
estlegung ist bei der Einführung der Maut im Vermitt-
ungsverfahren mit den Ländern von diesen durchgesetzt
orden. Denn ich bin überzeugt, dass die Maut und be-
onders die Erhöhung der Maut leichter akzeptiert wür-
20200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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den, wenn wir den Unternehmern sagen könnten: Ja, ihr
müsst mehr bezahlen, und ja, es ist belastend. Aber,
schaut her, das Geld fließt voll und ganz in die Straße zu-
rück. Es wird nicht für die Wasserstraße oder die Schiene
verwendet, sondern es wird für mehr Parkplätze verwen-
det und für intelligente Verkehrsleitsysteme, die Stau
vermeiden helfen. Und vor allem wird es für den Ausbau
und den Erhalt der Straße verwendet. – Wir müssen da-
rauf hinarbeiten, dass das Geld ausschließlich denen zu-
gute kommt, die auch zahlen müssen.
Heute geht es aber nicht um diese Frage, sondern aus-
schließlich um die bisher bestehende Lücke von
350 Millionen Euro bei den Harmonisierungsmaßnah-
men. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben uns immer da-
für eingesetzt und nie diesen Weg aufgegeben. Es hat
lange gedauert, aber heute sind nun die 600 Millionen
Euro, wie versprochen, erreicht. Nur unter dieser Bedin-
gung waren wir, wenn auch schweren Herzens wegen
der schwierigen Situation des Transportgewerbes, bereit,
eine Mauterhöhung zu akzeptieren.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, bitten um Zustimmung
zu unserem Änderungsantrag und stimmen natürlich
dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Autobahnmaut-
gesetzes für schwere Nutzfahrzeuge in der dann geän-
derten Form zu.
Uwe Beckmeyer (SPD): Selten hat der Bundestag
die Gelegenheit, bei einem Gesetzesvorhaben Hand an-
zulegen, mit dem gleich so viele vorrangige Ziele dieser
Koalition in so vorbildlicher Weise umgesetzt werden.
Und angesichts der breiten Zustimmung gestern im Ver-
kehrsausschuss des Hauses kann ich wohl auch behaup-
ten, dass dies der Bundestag offensichtlich in seiner gro-
ßen Mehrheit auch so sieht.
Lassen Sie mich kurz darlegen, warum wir für uns in
Anspruch nehmen können, mit diesem Zweiten Gesetz
zur Änderung des Autobahnmautgesetzes die berühmten
„Sieben auf einen Streich“ erreicht zu haben. Als Ver-
kehrspolitiker muss ich natürlich die herausragende Be-
deutung der hier vorliegenden Weiterentwicklung der
Lkw-Maut für das A und O von Verkehr – nämlich der
Verkehrsinfrastruktur – hervorheben. Für 2009 steht uns
damit fast 1 Milliarde Euro aus der Lkw-Maut zusätzlich
für notwendige Investitionen zur Verfügung. Für den
Finanzplanungszeitraum bis 2012 werden es immer noch
durchschnittlich circa 700 Millionen pro Jahr sein. Wie
dringend dieses Geld benötigt wird, kann sicher jeder
Wahlkreisabgeordnete leicht nachvollziehen.
Als sozialdemokratischer Verkehrspolitiker liegt mir
die damit verbundene Schaffung und Sicherung von Ar-
beitsplätzen besonders am Herzen; denn der Logistik-
sektor bildet mit heute 2,6 Millionen unmittelbar in die-
sem Bereich Beschäftigten einen der größten und sich
am dynamischsten entwickelnden Arbeitsmärkte Deutsch-
lands.
Als wirtschaftspolitisch orientierter Verkehrspolitiker
weiß ich, welche Bedeutung die Transportwege für den
exportorientierten Wirtschaftsstandort Deutschland ha-
ben. Nur mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruk-
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ur kann Deutschland den Titel des Exportweltmeisters
uch weiterhin erfolgreich verteidigen.
Daran nahtlos anschließend darf ich als maritimer
erkehrspolitiker auf den dringenden Ausbaubedarf der
afenhinterlandanbindungen hinweisen, die nicht zu ei-
em Flaschenhals des Im- und Exporthandels werden
ürfen.
Als umweltbewusster Verkehrspolitiker begrüße ich
ie weitere Spreizung der Mautsätze je nach den unter-
chiedlichen Schadstoffklassen der Fahrzeuge. Mit der
ukünftig 100-prozentigen Spreizung – statt bisher 50-pro-
entig – werden schadstoffarme Lkw dann noch stärker
egünstigt und schadstoffintensivere stärker belastet. Wie
irkungsvoll dieses Instrumentarium ist, hat schon die
eaktion des Transportgewerbes bis heute bewiesen. Das
on uns aufgelegte Innovationsprogramm zur Anschaf-
ung von Euro-5-Fahrzeugen war in Windeseile ausge-
ucht, sodass wir die ursprünglichen 100 Millionen Euro
m weitere 78 Millionen aufstocken mussten. Der Ein-
atz emissionsarmer Fahrzeuge wird sich durch die stär-
ere Spreizung zukünftig noch dynamischer entwickeln.
ur so kann es uns gelingen, beim Güterverkehr – trotz
rheblicher Wachstumsquoten jedes Jahr – auch den not-
endigen Klimaschutzbeitrag zu leisten.
Als ein den Wettbewerb befürwortender Verkehrspo-
itiker freut es mich besonders, dass es uns gelungen ist,
er Festlegung des Koalitionsvertrages entsprechend,
ettbewerbsnachteile des deutschen Transportgewerbes
egenüber seinen internationalen Konkurrenten mit dem
ugesagten Volumen von 600 Millionen Euro pro Jahr
uszugleichen. Welche Schwierigkeiten dabei in Brüssel
u überwinden waren, ist allen Beteiligten schmerzhaft
n Erinnerung.
Als ordnungspolitischer Verkehrspolitiker halte ich
ie sachgerechte Anlastung der Wegekosten und die da-
it verbundene angemessen nutzerfinanzierte Verkehrs-
nfrastruktur für wünschenswert. Deshalb war es not-
endig, das Wegekostengutachten aus dem Jahr 2002
etzt aktuell fortzuschreiben. Nur mit dieser Anpassung
er Maut und der Mautsätze ist es möglich, dem schwe-
en Lkw auch zukünftig die von ihm verursachten tat-
ächlichen Wegekosten anzulasten.
Dem dramaturgisch weit über das Ziel hinausschießen-
en „Aufschrei“ des betroffenen Gewerbes darf ich ent-
egenhalten, dass für einen Euro-5-Lkw eine Kostenstei-
erung von 14 Cent oder 7 Prozent nächstes Jahr ansteht.
iese 7 Prozent müssen in Relation zu einen Kostenan-
eil von 6,8 Prozent der kilometerbezogenen Straßenbe-
utzungsgebühren bei der Kostenstruktur im Güterkraft-
erkehr insgesamt gesetzt werden. Also eine sehr
oderate Anhebung von unter 0,5 Prozent und nicht die
olportierten 40 Prozent!
Außerdem wurde bei aller Kritik am neuen Wegekos-
engutachten 2007, das beim hier vorliegenden Gesetz-
ntwurf Berücksichtigung fand, einfach ignoriert, dass
arin diverse Besserstellungen für den schweren Lkw
gegenüber den bisherigen Annahmen – eingearbeitet
urden. So kommt die Veränderung des Verhältnisses
on höheren Zinsen zu niedrigeren Abschreibungen dem
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20201
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Lkw genauso zugute wie die Erkenntnis, dass der Ein-
fluss schwerer Achsübergänge einen geringeren Ver-
schleiß von Deck- und Binderschichten der Autobahnen
hat. Auch die Ausdifferenzierung in mittlere und schwere
Lkw mit der entsprechenden Kostenanlastung beim mitt-
leren Lkw und die nach oben korrigierte Schätzung der
Fahrleistung von Pkw senken die spezifischen Mautkos-
ten der Lkw. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen und
gehört der Redlichkeit halber mit erwähnt.
Abschließend möchte ich noch eine kurze Bemerkung
zum Verhandlungsverlauf zwischen Bund und den Län-
dern machen. Es entbehrt nicht einer gewissen Schizo-
phrenie, wenn einzelne Länder einen hohen Ausgabestau
bei den Verkehrsinvestitionen beklagen, eine Mittelauf-
stockung durch den Bund vehement fordern und gleich-
zeitig dem Bund aber die entsprechenden Einnahmen
verweigern wollen. In unserem gemeinsamen Interesse
an einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur wurde
diese Widersprüchlichkeit letztendlich doch überwun-
den.
Jan Mücke (FDP): Das deutsche Transportgewerbe
kann im europäischen Wettbewerb nur schwer bestehen.
Dies liegt mitnichten an seiner mangelnden Leistungsfä-
higkeit. Vielmehr ist es im Vergleich zu Unternehmen
aus dem europäischen Ausland deutlich stärker von der
hiesigen hohen Steuer- und Abgabenlast betroffen. Diese
setzt sich aus der absurden Mineralölsteuer ebenso zu-
sammen wie aus den enormen Sozialabgaben für die Be-
schäftigten. Die Einführung einer Lkw-Maut auf Bun-
desautobahnen würde diese Situation noch zusätzlich
verschärfen. Um dies abzuwenden, hat die damalige
Bundesregierung im Jahre 2003 dem Gewerbe zugesagt,
einen Ausgleich in Form eines jährlichen Harmonisie-
rungsvolumens in Höhe von 600 Millionen Euro zu
schaffen. Ende 2008 – ganze fünf Jahre später – vermag
die Bundesregierung endlich ein Programm vorzulegen,
das den Ausgleich in voller Höhe bringen soll. Bezahlen
soll es das Gewerbe jedoch ganz überwiegend selbst.
Der debattierte Gesetzentwurf sieht vor, dass die in die-
sem Rahmen geplanten Beihilfeprogramme ausschließ-
lich aus Mauteinnahmen gespeist werden. Mit anderen
Worten: Die Spediteure finanzieren die Harmonisierung
selbst: eine Entlastung nach Machart der Großen Koali-
tion.
Mit der Einführung der Lkw-Maut sollten zusätzliche
Mittel akquiriert werden, um mehr der vielerorts drin-
gend notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen
realisieren zu können. Mit Zunahme der Mauteinnahmen
hat die Koalition jedoch kontinuierlich die allgemeinen
Haushaltmittel gekürzt. Dies führte dazu, dass unter
Schwarz-Rot – trotz Maut – weniger in Bundesfernstra-
ßen investiert wurde als zuvor unter Rot-Grün. Von zu-
sätzlichem Geld für zusätzliche Projekte kann daher seit
langem keine Rede mehr sein. Der Bund stiehlt sich seit
Jahren zunehmend aus seiner Verantwortung.
Hinzukommen soll eine weitere Kürzung der für In-
vestitionen zur Verfügung stehenden Mittel, wenn der
Bund sich nun auch zur Finanzierung der Beihilfepro-
gramme aus dem Mauttopf bedient. Minister Tiefensee
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traft sich mit diesem Schritt ein weiteres Mal selbst Lü-
en, wenn er behauptet, die Mauteinnahmen würden zu
00 Prozent Infrastrukturprojekten zugutekommen.
Nach dem Änderungsantrag wird das Bundesamt für
üterverkehr mit der Bearbeitung der Beihilfeanträge
etraut. Es ist erfreulich, dass die Koalition damit einen
rsten Schritt macht, das Bewilligungsverfahren näher
uszugestalten. Aber es ist eben nur der erste Schritt.
nsonsten besteht momentan noch allerorts Unklarheit.
ber den Inhalt der zu erarbeitenden Förderrichtlinien
st ebenso noch nichts Greifbares bekannt wie über den
tarttermin. Der 1. Januar 2009 ist angesichts der Viel-
ahl noch offener Fragen jedenfalls äußerst unwahr-
cheinlich.
Ebenso unverantwortlich wie durchsichtig ist die Ent-
cheidung der Koalition, die für die Bewältigung dieser
ür das Bundesamt für Güterverkehr zusätzlichen Auf-
abe notwendigen Stellen erst in den Haushalt 2010 ein-
ustellen. Diese werden ebenfalls aus den Mauteinnah-
en bezahlt. Das heißt aber zugleich, dass auch diese
ittel für Investitionen fehlen. Der Minister könnte sich
och seltener mit dem Spaten in der Hand vor die Kame-
as stellen und müsste stattdessen erklären, warum trotz
mmenser Mauterhöhung und existenzgefährdenden
ehrbelastungen kein spürbarer Anstieg der Investitio-
en zu verzeichnen ist, ein Umstand, den es im Wahljahr
009 unbedingt zu verhindern gilt.
Stattdessen sollen nach Aussage des Bundesministe-
iums im Jahr 2009 die Anträge von 79 befristet Be-
chäftigten bearbeitet werden. Deren Finanzierung er-
olgt im Haushalt an versteckter Stelle und wird keine
uswirkungen auf die Höhe der zur Verfügung stehen-
en Investitionsmittel haben. Jedoch bringt sie zweifa-
he Einarbeitungszeiten und eine deutliche Reduzierung
er Effektivität der Verwaltung mit sich. Zudem er-
cheint angesichts der 100 000 erwarteten Anträge jähr-
ich die Zahl der Bearbeiter äußerst gering. Auf jeden
inzelnen entfallen 1 266 Anträge. Es steht konkret zu
efürchten, dass sich die Anträge beim Bundesamt sta-
eln werden – ein Vorgang, der der Bundesregierung
icht unbekannt ist. Auch beim Luftfahrt-Bundesamt
ar und ist eine deutlich zu dünne Personaldecke Ursa-
he für anhaltend lange Bearbeitungszeiten von Flug-
astbeschwerden. Noch 2008 wurden Beschwerden aus
en Jahren 2005 und 2006 bearbeitet. Die Koalition
acht gerade den gleichen Fehler noch einmal und wird
as gleiche Resultat erzielen. Leidtragende wären die
ransportunternehmer.
Für die FDP sind gleiche Wettbewerbsbedingungen
uf dem europäischen Binnenmarkt entscheidend. Aus
iesem Grund begrüßt sie die Harmonisierungsmaßnah-
en zugunsten des deutschen Gewerbes. Dass es diese
aßnahmen letztlich dann doch selbst bezahlen soll,
onterkariert diese Absicht. Wir werden daher den vor-
iegenden Gesetzentwurf ablehnen.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Die Lkw-Maut für ei-
en 40-Tonner kostet zwischen 60 und 82 Cent pro Kilo-
eter. Sie gilt auf dem gesamten Straßennetz. Und sie
ilt für alle Lkw ab 3,5 Tonnen. Dass ist weder eine öko-
20202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
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logische Wunschvorstellung noch eine Horrorvision.
Das ist schlicht Realität. Natürlich nicht in Deutschland,
sondern in der Schweiz. In Deutschland kostet die Lkw-
Maut für große Lkw derzeit zwischen 11 und 15,5 Cent
pro Kilometer. Nach langem Hickhack haben sich Bund
und Länder nun zum Glück darauf geeinigt, dass die
Maut nächstes Jahr erhöht werden kann. Sie kostet dann
für große Lkw zwischen 15,5 und 28,7 Euro.
Das Niveau der deutschen Lkw-Maut liegt dann nicht
mehr nur bei einem Sechstel, sondern bei einem Viertel
der Schweizer Lkw-Maut. Trotzdem wurde und wird so
getan, als ob Deutschland deswegen kurz vor dem wirt-
schaftlichen Kollaps steht. Die Schweiz ist aber nun
wahrlich kein wirtschaftliches Krisenland. Ich glaube,
das werden auch diejenigen nicht behaupten, die gegen
die Mauterhöhung sind.
Natürlich freut sich die verladende Wirtschaft nicht,
wenn die Transportkosten steigen. Auf die Endpreise
wirkt sich aber selbst die Schweizer Maut nur minimal
aus. Um ganze 0,5 Prozent ist das Preisniveau dort ge-
stiegen. Das ist verkraftbar, meine ich.
Bei all dem geht es ja nicht darum, ohne Sinn und
Verstand die Spediteure zu schikanieren. Es geht doch
darum, dass die Wegekosten angelastet werden. Das,
was der Bau der Straßen gekostet hat, und das, was Lkw
zu deren Abnutzung beitragen, sollen Lkw auch bezah-
len. Dass der Widerstand gegen die Mauterhöhung und
damit gegen dieses Prinzip ausgerechnet aus der Wirt-
schaft und ihrem Sprachrohr, der FDP, kommt, verwun-
dert doch sehr. Das klingt mir doch sehr nach Autobahn-
sozialismus. Dabei war die Tatsache, dass ausländische
Lkw früher umsonst die Autobahnen befahren durften
und nicht in Deutschland tankten, ein Grund dafür, dass
die Einführung der Lkw-Maut eine breite gesellschaftli-
che Zustimmung erfahren hat. Nun müssen sich auch
ausländische Lkw an den Wegekosten im „Transitland
Nr. 1“ beteiligen. Mit der Mauterhöhung steigt der Bei-
trag ausländischer Lkw zur Finanzierung deutscher Ver-
kehrsinvestitionen.
Zusammen mit der Mautkompensation – und nur um
die geht es bei diesem Gesetz ja – wird aus der Lkw-
Maut ein Wettbewerbsvorteil für deutsche Spediteure
oder vielmehr ein Abbau bestehender Wettbewerbsnach-
teile. Deswegen stimmen wir diesem Gesetz zu. Dieser
Abbau bestehender Wettbewerbsnachteile lässt sich ge-
nau beziffern. Er beträgt ab nächstem Jahr 600 Millionen
Euro im Jahr, bislang sind es nur 250 Millionen Euro.
Dieser Zusammenhang ist natürlich allen bekannt, die
sich mit der Lkw-Maut befassen. Umso erstaunlicher
finde ich es, dass dies in der öffentlichen Diskussion um
die Mauterhöhung so gut wie keine Rolle gespielt hat.
Und umso ärgerlicher finde ich es, dass die 350 Millio-
nen Euro mehr von der Spediteurslobby nicht gewürdigt
werden. Die Forderung, diese nicht aus der Lkw-Maut,
sondern aus dem Haushalt zu finanzieren, halte ich für
unverschämt. Das kommt einer Aufkündigung des
Mautkompromisses gleich. Denn nur weil die Bundesre-
gierung unsägliche fünf Jahre für eine EU-konforme Re-
gelung zur Kompensation der nationalen Spediteure ge-
braucht hat, nur deswegen lag doch die durchschnittliche
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authöhe um 1,5 Cent unter den 15 Cent, die das alte
egekostengutachten errechnet hatte.
Die nun beschlossene Mauterhöhung geht zu mehr als
er Hälfte auf den Mautkompromiss zurück. Dieser Teil
er Mauterhöhung bedeutet deswegen nicht nur keinen
achteil, sondern sogar einen Vorteil für die nationalen
pediteure, wie ich eben ausgeführt habe.
Nur die weiteren 1,3 Cent gehen auf das neue Wege-
ostengutachten zurück. Und da hat die Bundesregie-
ung schon 0,7 Cent herausgerechnet, damit der Mautan-
tieg nicht ganz so abrupt ausfällt. Der Anstieg der
authöhe ist allerdings immer noch recht drastisch. Ich
egrüße zwar, dass die Maut für EURO-III-Lkw nun in
wei Stufen erhöht wird. Besser wäre allerdings gewe-
en, die Maut für alle Emissionsklassen in zwei oder drei
tufen anzuheben. Das wäre umweltpolitisch vertretbar
ewesen, hätte die abrupte Preissteigerung aber etwas
bgemildert. Das wollte der Bund anscheinend nicht,
eil er die Einnahmen bereits verplant hat.
Apropos Einnahmen: Mit den Rechenkünsten der Re-
ierung ist es nicht weit her. Der Bund-Länder-Kompro-
iss zur Mauthöhe soll angeblich nicht zu niedrigeren
innahmen führen. Nun ja. Für etwa 50 Prozent der Lkw
die EURO-III-Lkw – wird die Maut um 2 Cent ge-
enkt. Für die anderen 50 Prozent soll die Maut 0,1 Cent
ehr betragen. Dass die Einnahmen da gleich bleiben
ollen, können Sie nicht einmal einem Grundschüler ein-
eden.
2009 und 2010 hätte man auf einen Teil der Einnah-
en verzichten können. Dafür hätte man ab 2012 die
aut und damit die Einnahmen weiter erhöhen können,
ls es nun vorgesehen ist. Das hätte auch einen relativ
onstanten Einnahmefluss zur Folge. Nun kommt es zur
erkwürdigen Entwicklung, dass die Maut 2009 und
011 die höchsten Einnahmen bringen wird, diese ab
012 kontinuierlich sinken werden. Dabei sagt das We-
ekostengutachten klar, dass die Maut 2012 von 17 auf
8 Cent steigen müsste. Jetzt werden es 2009 eher 18 bis
9 Cent, die erst in einigen Jahren auf die von der Regie-
ung genannten 16,3 Cent absinken werden, wenn es ei-
entlich 18 sein müssten. Das macht keinen Sinn.
Umweltpolitisch wäre ein etwas langsamerer Anstieg
er Maut zu verkraften gewesen. Die Anreize zur Um-
üstung älterer Lkw wären ausreichend gewesen. Aber
0 Prozent der Lkw-Flotte kann man nicht mal eben in
wei Monaten alle mit einem Partikelfilter ausstatten,
umal es auch noch nicht für alle Fahrzeugmodelle sol-
he Filter gibt; zum Glück aber für die meisten. Ich be-
rüße, dass der Einbau eines Partikelfilters aus dem De-
inimus-Programm gefördert werden soll. Dafür schafft
ieses Gesetz die rechtliche Grundlage. Ein Grund mehr,
iesem zuzustimmen.
Winfried Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ch begrüße, dass der Bundesrat am Freitag die Mauthö-
everordnung beschlossen und damit den Weg frei ge-
acht hat für eine stärkere Mautspreizung und eine Er-
öhung der Einnahmen, die der Verkehrsinfrastruktur
ugutekommen werden. Es freut mich besonders, dass in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20203
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letzter Minute auch Roland Koch für die Mauterhöhung
gestimmt hat, denn die Haltung vieler Bundesländer
habe ich als unehrlich empfunden. Da wird immer wie-
der eine Erhöhung der Verkehrsinvestitionen eingefor-
dert und gleichzeitig gegen die Mauterhöhung gewettert.
Das ging logisch nicht zusammen, und Roland Koch hat
das am Ende auch noch gemerkt.
Das vorliegende Gesetz schafft die Möglichkeit, deut-
sche Lkw-Spediteure im Vergleich zur ausländischen
Konkurrenz um 600 Millionen Euro zu entlasten. Damit
wird der Mautkompromiss von 2003 eingelöst. Die För-
derung von Umweltschutz und Sicherheit, die darüber
möglich wird, ist sinnvoll und sehr zu begrüßen. So ist
es zum Beispiel mit den De-minimis-Beihilfen auch
möglich, die Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern geför-
dert zu bekommen. Leider hat der Bundesrat den Anreiz
für die Nachrüstung von Euro-III-Lkw gerade gesenkt.
Aber – das sage ich auch an die Adresse der Spediteure –
die nächste Mauterhöhung kommt bestimmt. Es wäre
daher falsch, auf die Nachrüstung zu verzichten, mit der
Lkw in die Euro-IV-Mautstufe aufsteigen. Dies trägt
zum Werterhalt der Lkw bei und zum Umweltschutz.
Es ist bekannt, dass uns die Mauterhöhung nicht weit
genug geht. Wir sind für eine Ausweitung der Maut in
einem ersten Schritt auf alle fernverkehrsrelevanten
Bundesstraßen und auf Lkw ab 3,5 Tonnen, wie es in Öster-
reich und in vielen anderen Ländern längst Standard ist.
Im Rahmen der Verhandlungen über die neue Euro-
vignettenrichtlinie sollte sich die Bundesregierung für
eine vollständige Anrechnung der externen Kosten ein-
setzen. Es kann nicht sein, dass Klimaschäden und Un-
fallfolgekosten nicht in die Berechnung der externen
Kosten aufgenommen werden. Außerdem müssen die
Klimakosten deutlich höher bewertet werden, als es das
Methodenhandbuch vorgibt. Statt einer Vielzahl kompli-
zierter Auf- und Abschläge sind wir für eine pauschale
Anlastung der externen Kosten mit 60 Prozent auf die
Infrastrukturkosten. Wir sind auch dafür, dass statt einer
Festlegung von Maximalbegrenzungen für die Lkw-
Maut in der Richtlinie ein Mindestmautsatz definiert
wird, der in allen Mitgliedstaaten verpflichtend einge-
führt wird. Denn es kann nicht sein, dass der Schienen-
güterverkehr verpflichtend Trassenpreise entrichten
muss, während Lkw gerade in den neuen Mitgliedstaaten
auf vielen Autobahnen, die mit Mitteln der EU kofinan-
ziert worden sind, mautfrei fahren.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat der Verord-
nung zur Änderung autobahnmautrechtlicher Vorschrif-
ten und der Fahrzeug-Zulassungsverordnung zuge-
stimmt und damit die Weichen dafür gestellt, dass wir
die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur verstetigen
und deutlich erhöhen können.
Die Lkw-Maut leistet einen wesentlichen Beitrag zur
Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und zum Sub-
stanzerhalt der Bundesautobahnen. Wir stellen für die
Zukunft sicher, dass die von den Lkw verursachten In-
frastrukturkosten von diesen auch getragen werden und
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ntsprechende Infrastrukturinvestitionen zum Bau und
rhalt der Autobahnen vorgenommen werden können.
llein die schweren Lkw verursachen rund 45 Prozent
er gesamten Wegekosten der Bundesautobahnen.
Unsere Ziele bei der Anpassung der Mauthöheverord-
ung und der Änderung des Autobahnmautgesetzes sind
lar: Wir wollen eine Verstetigung und deutliche Verstär-
ung der erforderlichen Investitionen in die Verkehrsin-
rastruktur erreichen. Gerade in der gegenwärtigen kon-
unkturellen Ausgangslage werden solche ergänzenden
mpulse dringend benötigt zur Stützung der Konjunktur
nd zur Sicherung vieler Arbeitsplätze in Deutschland.
ir sollten zudem nicht aus dem Blick verlieren, dass
ir mit den Änderungen auch dazu beitragen, die in der
undesregierung vereinbarten Klimaziele zu erreichen.
Mehr Maut bedeutet vor allem mehr Investitionen;
urch die Neufestsetzung der Maut werden im Jahr
009 rund 1 Milliarde Euro mehr an Mauteinnahmen er-
ielt, die zusätzlich für Investitionen in die Verkehrsin-
rastruktur, insbesondere für die Straße, zur Verfügung
tehen. Über den Finanzplanungszeitraum von 2009 bis
012 werden es durchschnittlich 740 Millionen Euro pro
ahr an Mehreinnahmen für die Verkehrsinvestitionen
ein.
Angesichts des prognostizierten Verkehrswachstums
ind diese Mittel unverzichtbar. Wir müssen mit einer
unahme des Lkw-Verkehrs auf unseren Fernstraßen bis
025 um über 80 Prozent rechnen.
Um Mobilität angesichts dieses enormen Verkehrs-
achstums langfristig zu sichern, brauchen wir einen
eiteren Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur. Sonst
tehen die deutsche Wirtschaft und die Bürgerinnen und
ürger, die auf das Auto angewiesen sind, im Stau.
Die genannten durchschnittlich rund 740 Millionen
uro Mehreinnahmen pro Jahr ergeben für die nächsten
ier Jahre rund 3 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln
ür Infrastrukturmaßnahmen. Gerade in der gegenwärti-
en konjunkturellen Ausgangslage sind derartige ergän-
ende Impulse ein wichtiger Beitrag zur Stützung der
onjunktur und zur Sicherung vieler Arbeitsplätze. Wer
uf rund 3 Milliarden Euro für zusätzliche Infrastruktur-
aßnahmen verzichtet, der gefährdet damit letztlich viele
rbeitsplätze.
Mit der stärkeren Spreizung der Mautsätze sowie der
egünstigung von mit Partikelfiltern nachgerüsteten Lkw
ei der Maut, werden wir einen wichtigen Beitrag zur
rreichung der nationalen Klima- und Umweltziele leis-
en, und wir werden einen deutlichen Investitionsanreiz
ür den Einsatz emissionsarmer Lkw geben.
Heute steht die Änderung des Autobahnmautgesetzes
uf der Tagesordnung, das in direktem Zusammenhang
ur Änderung der Mauthöheverordnung zu sehen ist. Es
egelt unter anderem die Verwendung von Mauteinnah-
en für Maßnahmen zur Förderung deutscher Unterneh-
en im Straßengüterverkehr.
Von Beginn an war klar, dass die Erhöhung der Maut
ntrennbar mit der Umsetzung weiterer Harmonisie-
ungsmaßnahmen verbunden sein wird. Der bislang ab-
20204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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gesenkte Mautsatz wird zur vollen Finanzierung der im
Jahr 2003 gegebenen Harmonisierungszusage von jähr-
lich 600 Millionen Euro eingesetzt werden. Er wird da-
mit zu einer Entlastung des deutschen Straßengüterver-
kehrs durch konkrete Fördermaßnahmen führen.
Neben den bereits bestehenden Entlastungsmaßnah-
men wie der Kfz-Steuer-Absenkung und dem Förderpro-
gramm für emissionsarme Lkw – Innovationsprogramm –
sollen außerdem ein Klein-Beihilfe-Programm – soge-
nannte De-minimis-Förderung – sowie ein Förderpro-
gramm für Aus- und Weiterbildung aufgelegt werden.
Unter diese De-minimis-Förderung fällt ein Programm
mit Maßnahmen zur Qualifizierung, Beschäftigung, Si-
cherheit und Umweltschutz. Daneben wollen wir die
Aus- und Weiterbildung in einem gesonderten Pro-
gramm fördern.
Das gesamte Maßnahmenpaket liegt im Interesse der
Zukunftsvorsorge für den Standort Deutschland. Wir
sorgen damit für mehr Investitionen in die Infrastruktur,
für einen verbesserten Klimaschutz und eine Stützung
der Konjunktur. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.
Anlage 19
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetzes (Tagesordnungspunkt 38)
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Ohne Wenn und
Aber: das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Das sagt
nicht nur der Bericht über die Auswirkungen des Bun-
deselterngeld- und Elternzeitgesetzes, den das Parlament
nun vorliegen hat, nein, die Eltern sagen es selber. Und
wer ist besser geeignet, das zu beurteilen, als die Betrof-
fenen?
Das Elterngeld hat annähernd 100 Prozent der Fami-
lien in Deutschland erreicht, deren Kinder im ersten
Quartal 2007 geboren wurden. Damit stärken wir die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch die Inan-
spruchnahme der Partnermonate ermöglichen wir insbe-
sondere Vätern, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbrin-
gen. Haben vor Einführung des Elterngeldes lediglich
3,5 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch genommen,
liegt der Anteil der Väter, deren Elterngeldanträge für
Kinder bewilligt wurden, die von Anfang Januar 2007
bis Ende März 2007 geboren wurden, bei knapp 16 Pro-
zent.
Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung „Wege
in die Vaterschaft“ macht zudem deutlich:
Erstens. Junge Männer wollen Familie. Sie wollen
Kinder. Mehr als neun von zehn der befragten kinderlo-
sen Männer sagen Ja zu Kindern. Allerdings – und das
spricht für das verantwortungsbewusste Denken junger
Männer – 95,5 Prozent der befragten Männer sehen es
als ihre Aufgabe an, der Familie ein Heim bieten zu kön-
nen. Dabei ist die wichtigste Voraussetzung für die Va-
terschaft, eine Familie ernähren zu können. Deshalb war
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ür nahezu für ein Drittel – 57,2 Prozent – der potenziel-
en Väter klar, ein Kind solle erst dann kommen, wenn
s die finanzielle Seite zulässt.
Zweitens. Die Bertelsmann-Studie hat aber auch ge-
eigt, dass neben einer finanziellen Grundlage für viele
äter auch wichtig ist, später Zeit für das Kind zu haben
nd sich an der Betreuung zu beteiligen.
Durch das Engagement der Väter bei der Betreuung
er Kinder profitieren sowohl Kind als auch Vater; denn
ur so kann eine echte Bindung entstehen. Aber auch
ütter profitieren davon, weil die Väter endlich ihren
eitrag dazu leisten, den Müttern den Rücken freizuhal-
en, in das Berufsleben zurückkehren zu können. Die Er-
ebnisse der Evaluation zum Elterngeld zeigen es ganz
eutlich: Fast jede zweite Mutter gab bei den Befragun-
en an, nach weniger als anderthalb Jahren wieder er-
erbstätig zu sein. Auch sind viele Mütter – 39 Prozent –
it ihrer beruflichen Planung zufrieden.
Um die positiven Effekte des Elterngeldes jedoch
och weiter zu stärken, nimmt der aktuelle Gesetzent-
urf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-
lterngeld- und Elternzeitgesetzes vor der Debatte des
valuationsberichtes Änderungen vor, deren Notwen-
igkeit bereits jetzt deutlich wurde. Neben der Einfüh-
ung einer Mindestbezugsdauer von zwei Monaten und
er Einführung einer sogenannten Elternzeit für Großel-
ern bei minderjährigen Eltern beinhaltet der Gesetzent-
urf auch die Möglichkeit für Eltern, den ursprünglich
estellten Elterngeldantrag – auch ohne Begründung –
inmalig zu ändern. Außerdem wird für Wehr- und Zivil-
ienstleistende eine Erweiterung des maßgeblichen Be-
essungszeitraums vorgesehen.
Die Änderungen, auf die ich im Folgenden näher ein-
ehen möchte, können nach der Zustimmung des Bun-
esrates zum 1. Januar 2009 in Kraft treten.
Besonders am Herzen lag uns die noch ausstehende
egelung für Großeltern, die ihre Enkelkinder betreuen
nd erziehen. Die Neuregelung sieht vor, dass Groß-
ltern in diesen besonderen Fällen auch Elternzeit bean-
pruchen können. Für den Anspruch auf Freistellung von
er Arbeit müssen bei diesen Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmern auch die grundsätzlich für den Eltern-
eitanspruch geltenden Voraussetzungen – zum Beispiel
eben in einem Haushalt – vorliegen. Sinn und Zweck
er Regelung ist die mögliche Unterstützung von Eltern
ei der Betreuung und Erziehung ihres Kindes durch die
roßeltern, wenn ein Elternteil minderjährig ist oder als
unger Volljähriger die Schule besucht bzw. eine Ausbil-
ung absolviert und noch höchstens zwei Jahre bis zum
egulären Abschluss braucht.
Da Eltern nach dem Grundgesetz bis zur Volljährig-
eit ihres Kindes das Recht und die Pflicht haben, sich
m das Wohl ihres Kindes zu sorgen und ihr Kind zu un-
erstützen, knüpft die Vorschrift in der ersten Variante an
ie Minderjährigkeit der Eltern bzw. eines Elternteils des
eugeborenen Kindes an. Minderjährige Eltern sind in
er Regel noch schulpflichtig bzw. befinden sich in der
usbildung. Die Regelung soll es ihnen ermöglichen,
ie aktuell angestrebte schulische oder berufliche Aus-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20205
(A) )
(B) )
bildung abzuschließen. Die Großeltern können den jun-
gen Eltern und ihrem Enkelkind helfen, die zunächst oft
schwierige Situation im Anschluss an eine „Teenager-
Schwangerschaft“ zu bewältigen. Auswirkungen dieser
in der Lebenswirklichkeit üblichen familiären Unterstüt-
zung können so abgemildert werden.
Obwohl junge volljährige Eltern selbst nicht mehr un-
ter elterlicher Sorge stehen, sind ihre Lebensumstände
oft mit denen minderjähriger Eltern vergleichbar. Daher
soll in der zweiten Variante jungen Volljährigen die
Möglichkeit eröffnet werden, ihre vor Vollendung des
18. Lebensjahres begonnene schulische oder berufliche
Ausbildung ohne erhebliche Verzögerung fortzusetzen
und abzuschließen. Hiermit kann eine wesentliche Vo-
raussetzung für den Einstieg in das Berufsleben geschaf-
fen werden, damit die Eltern ihre wirtschaftliche Exis-
tenz in den Folgejahren sichern können. Um die
Interessen der jungen Eltern bzw. der Großeltern und die
der Arbeitgeber angemessen zu berücksichtigen, wird
der für die Elternzeit der Großeltern nutzbare Zeitraum
auf die letzten beiden Ausbildungsjahre des anspruchs-
vermittelnden Elternteils bezogen. Andernfalls würde
auch der besonderen Konstellation bei „Teenager-
Schwangerschaften“ sachlich nicht mehr hinreichend
Rechnung getragen. Allen Beteiligten wird in dieser Si-
tuation so eine reale Chance geboten, im Hinblick auf
die Absicherung der Lebenssituation der jungen Familie
zusammenzuwirken.
Im Interesse eines zügigen Ausbildungsabschlusses
wird aber durch die Erweiterung des Kreises der An-
spruchsberechtigten alternativ den Auszubildenden die
Möglichkeit eröffnet, den Großeltern einen Anspruch
auf Elternzeit zu vermitteln, wenn keiner der Elternteile
selbst Elternzeit in Anspruch nimmt. In diesem Fall kön-
nen die Großeltern die Rolle des minderjährigen Eltern-
teils oder wegen seiner fortgesetzten Ausbildung einge-
schränkten Elternteils übernehmen. Insgesamt gesehen
bleibt es aber bei dem mit dem Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetz intendierten Grundsatz, dass Eltern sich
der Betreuung ihrer Kinder vorrangig selbst widmen sol-
len. Dem entspricht auch, dass die Eltern, nicht aber die
Großeltern, Elterngeld in Anspruch nehmen können.
Auszubildende, die ihre Ausbildung fortsetzen, gelten
nach § 1 Abs. 6 BEEG als nicht voll erwerbstätig und
können bei Vorliegen der weiteren Anspruchsvorausset-
zungen Elterngeld beanspruchen.
Der Anspruch der Großeltern auf Elternzeit setzt wie
bei allen anderen Elternzeitberechtigten nach § 15
Abs. 1 BEEG voraus, dass die oder der Anspruchsbe-
rechtigte mit dem Kind in einem Haushalt lebt und das
Kind selbst betreut und erzieht. Es wird nicht vorausge-
setzt, dass der anspruchsvermittelnde Elternteil ebenfalls
mit im Haushalt der Großeltern lebt. Die Großelternteile
haben bei Vorliegen aller entsprechend erforderlichen
Voraussetzungen die Möglichkeit, sich die Betreuung ih-
res Enkelkindes zu teilen und gleichzeitig ihrer Beschäf-
tigung in Teilzeit nachzugehen und so die Bindung an
das Unternehmen aufrechtzuerhalten.
Weil die Nutzung der Partnermonate an den Wegfall
des vor der Geburt des Kindes erzielten Erwerbseinkom-
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ens gebunden ist, eröffnet die bisherige Regelung in
4 BEEG unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten je
achdem, ob vor der Geburt beide Eltern oder nur ein
lternteil Erwerbseinkommen erzielt haben. Waren beide
lternteile vor der Geburt erwerbstätig, erfüllt schon die
utter die Voraussetzung der Partnermonate und der Va-
er könnte auch einen einzelnen Elterngeldmonat in An-
pruch nehmen.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht hier eine Ände-
ung insofern vor, als dass wir nun eine einheitliche Min-
estbezugsdauer von zwei Monaten für alle Eltern vorse-
en, die Elterngeld in Anspruch nehmen möchten. Mit
ieser Änderung wird eine intensivere Bindung auch des
weiten Elternteils zum Kind unterstützt. Vätern wird
egenüber Dritten die Entscheidung erleichtert, sich
ehr Zeit für ihr Kind zu nehmen. Die Flexibilität des
lterngelds bleibt bestehen, da die Elterngeldmonate
uch weiterhin nicht am Stück genommen werden müs-
en, sondern frei auf den Zeitraum der ersten 14 Lebens-
onate des Kindes verteilt werden können.
Gesetzlich geregelt war bisher, dass der Antragsteller
inmal – in besonderen Härtefällen – den Antrag auf El-
erngeld ändern kann. Die Praxis hat jedoch zeigt, dass
s weitere Fälle gibt, in denen eine Änderung des Eltern-
eldantrags für die Familie wichtig sein kann, zum Bei-
piel der plötzliche Erhalt eines Arbeitsplatzes. Zukünf-
ig soll deshalb der Antrag auf Elterngeld auch ohne
ngabe von Gründen einmal geändert werden können.
er Verzicht auf eine Begründung erhöht die Flexibilität
ür die Eltern und entlastet die Verwaltung von einer Be-
ründungsprüfung. Die Möglichkeit einer einmaligen
eiteren Änderung im besonderen Härtefall, wie zum
eispiel bei Tod eines Elternteils oder einer plötzlich
uftretenden schweren Krankheit, bleibt unberührt. Die
nderung ist wie die erste Antragstellung für drei Mo-
ate rückwirkend möglich.
Eine weitere Änderung, die wir mit dem vorliegenden
esetzentwurf vornehmen werden, betrifft die Arbeitge-
erbescheinigung. Durch die Änderung wird die Rege-
ung zur Arbeitgeberbescheinigung den entsprechenden
egelungen im Unterhaltsvorschussgesetz und im Bun-
eskindergeldgesetz angepasst. Die Änderung sieht vor,
ass der Arbeitgeber – soweit erforderlich – der zustän-
igen Behörde eine Bescheinigung über Arbeitslohn,
teuern und Sozialabgaben auszustellen hat und nicht,
ie bisher, diese dem Arbeitnehmer ausstellen muss.
Eine letzte Änderung, auf die ich gerne eingehen
öchte, betrifft die Wehr- und Zivildienstleistenden. Der
ehrdienst nach dem Wehrpflichtgesetz und dem Vier-
en Abschnitt des Soldatengesetzes sowie der Zivildienst
ach dem Zivildienstgesetz haben ihre besondere rechtli-
he Grundlage im Wehrverfassungsrecht. Sie sind mit
esonderen Einschränkungen auch hinsichtlich der Be-
ufsausübungsfreiheit verbunden. Wehr- und Zivildienst-
eiten sollen und dürfen natürlich daher nicht zu einem
achteil bei der Berechnung des einkommensabhängi-
en Elterngelds führen. Da sich die Höhe des Eltern-
elds, soweit es 300 Euro überschreitet, nach der Höhe
es im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes
rzielten steuerpflichtigen Erwerbseinkommens berech-
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net, kann das nach der Geburt des Kindes zustehende El-
terngeld durch im Bemessungszeitraum liegenden Wehr-
und Zivildienstzeiten ohne entsprechendes Erwerbsein-
kommen verringert werden. Diesen Nachteil wollen wir
nun ausgleichen, indem die betroffenen Monate – wie in
den Fällen schwangerschaftsbedingter Erkrankung – aus
dem Bemessungszeitraum herausgenommen und durch
weiter in der Vergangenheit liegende Monate ersetzt
werden.
Das Elterngeld ist und bleibt ein Erfolg. Das zeigen
die Umfragen der Evaluation, und das zeigt die anstei-
gende Geburtenrate. Im vergangenen Jahr sind laut Sta-
tistischem Bundesamt 12 000 Kinder mehr geboren wor-
den als im Vorjahr 2006. Dies zeigt, dass die von der
Bundesregierung getroffenen familienpolitischen Maß-
nahmen einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf leisten und somit Maßnahmen sind,
die den Wünschen und Bedürfnissen vieler Familien ent-
sprechen.
Dieter Steinecke (SPD): Das Bessere, so lautet ein
altes Sprichwort, ist der Feind des Guten. Und so beraten
wir heute über Änderungen an einem ausgesprochen gu-
ten und gelungenen Gesetz.
Das Elterngeld- und Elternzeitgesetz, in Kraft getre-
ten am 1. Januar 2007, stellt einen wahrhaftigen Meilen-
stein in der bundesdeutschen Familienpolitik dar. Wir
haben gerade in dieser Woche intensiv über die bisheri-
gen Erfahrungen beraten. Und in der Grundlage waren
sich die Vertreterinnen und Vertreter der meisten Frak-
tionen einig: Es ist ein gutes Gesetz, das seine Zielset-
zungen weitgehend erreicht. Das Elterngeld- und Eltern-
zeitgesetz wirkt.
Diese Wirkungen sind durchaus vielfältig. Ich habe
nicht die Zeit, alle Auswirkungen detailliert darzustellen
und zu bewerten. Daher beschränke ich mich auf zwei in
meinen Augen grundlegende Aspekte.
Das Elterngeld ist ein wesentlicher Beitrag zur Be-
kämpfung von Kinder- und Elternarmut in unserem
Lande. Junge Eltern müssen nicht mehr erhebliche Ein-
kommenseinbußen durch die Geburt ihres Kindes oder
ihrer Kinder befürchten. Paare, in denen beide Partner
erwerbstätig sind, bekommen das wegfallende Einkom-
men zu 67 Prozent ersetzt. Für die Bezieherinnen und
Bezieher geringer Einkommen gilt sogar ein noch höhe-
rer Satz. Paare mit nur einem Verdiener bekommen eine
Zusatzleistung, ebenso Bezieher von Grundsicherungs-
leistungen. Das Elterngeld wird nämlich nicht auf Leis-
tungen nach SGB II angerechnet. Dies ist sozial ausge-
wogen, ist sozial gerecht.
Doch die Wirkung des Gesetzes ist nicht nur rein
wirtschaftlicher Natur. Es hat vielmehr tiefgreifende
Auswirkungen auf das Leben innerhalb der jungen Fa-
milien in unserem Land. Ich spiele hier vor allem auf die
Rolle der Väter an. Im letzten Quartal 2006 gab es das
Elterngeld noch nicht, wohl aber das Erziehungsgeld.
Selbiges wurde damals zu 3,5 Prozent von Männern in
Anspruch genommen. Bereits im ersten Quartal des El-
terngeldes betrug der Väteranteil bezogen auf die bewil-
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igten Anträge 7 Prozent. Dieser Anteil wuchs in der
olge deutlich und wird weiter ansteigen. Bezieht man
usätzlich die Geburtenzahlen in die Betrachtung ein, so
ommt man zu einer erstaunlichen Zahl: 15 Prozent aller
m Jahre 2007 geborenen Kinder haben einen Vater, der
lternzeit genommen hat.
Vielfach ist zu hören, dass diese Zahl noch zu niedrig
ei. Ich kann und will da keine Zielgröße vorschlagen.
ber ich stelle fest, dass diese Zahl einen grundlegenden
esellschaftlichen Wandel widerspiegelt. Viele junge
änner nehmen die Gelegenheit dankbar an, intensiver
nd aktiver als ihre Väter am Familienleben, an der
flege und Erziehung ihrer Kinder teilzuhaben. Das ist
ine positive gesellschaftliche Entwicklung. Drauf kön-
en wir als Urheberinnen und Urheber des Gesetzes
tolz sein, besonders wir Sozialdemokraten.
Ich betone hier meine Fraktionszugehörigkeit aus be-
onderem Grund. Denn dass eine moderne Familienpoli-
ik auch die Männer aktiver in ihre Familien einbinden
ollte, war uns Sozialdemokraten schon lange klar, als
ns und übrigens auch der zuständigen Bundesministerin
us reaktionären Kreisen der Union noch diffamierende
ampfbegriffe wie „Windelpraktikum“ oder „Wickelvo-
ontariat“ entgegenschallten. Diese Erkenntnis ist für
ich als Vater nicht neu: Ich hätte mich seinerzeit sehr
ber die Möglichkeit gefreut, mich intensiver um meine
amals neugeborene, mittlerweile erwachsene Tochter
ümmern zu können. Ich bin halt fünfundzwanzig Jahre
u früh zur Welt gekommen.
Das Umdenken hinsichtlich der gesellschaftlichen
olle junger Väter ist inzwischen auch in der Wirtschaft
ngekommen. Eine repräsentative Umfrage unter Perso-
alverantwortlichen hat ergeben, dass es mehr als
0 Prozent begrüßen, wenn auch Väter Elternzeit neh-
en. Auch hier zähle ich mich dazu, diesmal in meiner
igenschaft als Arbeitgeber: Gerade vor wenigen Mona-
en hat einer meiner männlichen Mitarbeiter Elternzeit
enommen, und ich durfte mitbekommen, wie gut ihm
nd seiner jungen Familie diese Zeit getan hat.
Ich fasse kurz zusammen: Wir Sozialdemokraten ha-
en im Wahlkampf 2005 ein Elterngeld versprochen.
ir haben dieses Versprechen zum Jahresbeginn 2007
ingelöst und das Erziehungsgeld durch ein Elterngeld
ach skandinavischem Vorbild abgelöst. Der Erfolg gibt
ns Recht: Leistungen nach dem Elterngeld- und Eltern-
eitgesetz werden von fast 100 Prozent der Familien an-
enommen. Nahezu 75 Prozent der Gesamtbevölkerung
alten die Regelung für gut.
Ich sagte es bereits eingangs: Nichts ist so gut, dass es
icht noch besser gemacht werden könnte. In diesem Be-
usstsein sind die Folgen des Elterngeld- und Elternzeit-
esetzes seit seinem Inkrafttreten sorgfältig beobachtet
orden. Sie werden auch in Zukunft einem wissen-
chaftlichen Monitoring unterliegen. Das gibt Bundesre-
ierung und Parlament die Möglichkeit, Gesetzesfolgen
rühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls rasch zu han-
eln. Genau das tun wir gerade.
Wir reagieren auf vier Erkenntnisse. Erstens. Vielfach
erden in unserem Lande sehr junge Menschen Eltern,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20207
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die sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung befin-
den. Um diese zu beenden, nehmen sie die Hilfe ihrer El-
tern in Anspruch, also der Großeltern des Kindes. Diese
Großeltern, obwohl quasi „Doppeleltern“, konnten bis-
her keine Elternzeit beanspruchen.
Zweitens. Vereinzelt musste Elterngeld für weniger
als zwei Monate bewilligt werden.
Drittens. Wehr- und Zivildienstleistende hatten mitun-
ter nicht zu rechtfertigende Nachteile bei der Berech-
nung des Elterngeldes.
Viertens. Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann ein
einmal gestellter und bewilligter Antrag nur in Härtefäl-
len geändert werden. Dadurch konnten junge Mütter und
Väter nicht immer flexibel genug auf sich ändernde Er-
werbssituationen reagieren.
In all diesen Punkten schaffen wir mit dem vorliegen-
den Entwurf Abhilfe und machen ein gutes, gelungenes
und wirkungsvolles Gesetz noch besser.
Es ist, je nach Sichtweise und Situation, ein altes so-
zialdemokratisches Problem wie eine alte sozialdemo-
kratische Tugend: Selbstzufriedenheit ist unsere Sache
nicht. Wir begnügen uns nicht mit dem Erreichten, wir
legen nie die Hände in den Schoß. So muss ich denn
auch abschließend feststellen, dass das Bessere seinen
Feind findet im noch viel Besseren. So wird auch in Zu-
kunft noch über die eine oder andere Frage im Zusam-
menhang mit dem Elterngeld- und Elternzeitgesetz zu
reden sein. Beispielweise ist es für die SPD weder ge-
recht noch der Sache dienlich, dass Paare, die gleichzei-
tig in Elternteilzeit sind, ihre Anspruchsmonate gleich-
sam doppelt verbrauchen. Das muss geändert werden.
Eine weitere offene Frage sehe ich hinsichtlich der Ein-
kommens- und damit Anspruchsermittlung bei Selbst-
ständigen.
Doch der bisherige Gang der Gesetzgebung wie der
Folgenbeobachtung und -bewertung gibt mir die tiefe
Zuversicht, dass es uns auch in Zukunft gelingen wird,
das Elterngeld- und Elternzeitgesetz immer wieder den
gesellschaftlichen Entwicklungen und den daraus resul-
tierenden Anforderungen anzupassen. Eines zeigt sich
ganz deutlich: Die Belange von Kindern und Eltern in
Deutschland sind bei uns in guten Händen. Das gilt auch
in Zukunft.
Ina Lenke (FDP): Um es gleich vorweg zu sagen:
Diese Änderung des Bundeselterngeldgesetzes ist nicht
auf der Grundlage einer notwendigen Evaluation des
jetzt fast zwei Jahre bestehenden Elterngeldgesetzes
konzipiert worden. Das Familienministerium hat die
Evaluation seit Monaten angekündigt. Sie hat diese Zu-
sagen nicht eingehalten. Herausgekommen ist lediglich
ein Bericht mit Daten und Fakten. Das kritisiere ich für
die FDP heftigst.
Nun soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine
Mindestbezugszeit des Elterngeldes von zwei Monaten
eingeführt werden, die Antragstellung auf Elterngeld fle-
xibilisiert, eine „Großelternzeit“ eingeführt, und Wehr-
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nd Zivildienstzeiten sollen künftig die Höhe des Eltern-
eldes nicht verringern.
In der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senio-
en, Frauen und Jugend am 16. September 2008 wurde
eutlich, dass sich das Konzept der Partnermonate von
em eines Mindestelterngeldbezugs unterscheidet. Bei
iner Mindestelterngeldbezugszeit verfällt der Gesamtan-
pruch von 14 Monaten, wenn diese Mindestzeit nicht in
nspruch genommen wird. Flexible Gestaltungsmög-
ichkeiten der Eltern etwa durch die Zusammenlegung
it Urlaubszeiten oder einer Überstundenabgeltung sind
lso nicht mehr möglich. Ich befürchte, dass die Min-
estbezugszeit bei beruflich stark engagierten Vätern
azu führt, dass keine Elternzeit beantragt wird. Diese
orschrift ist nicht erforderlich, da jetzt mehr als
9 Prozent aller Männer Elterngeld für zwei oder mehr
onate in Anspruch nehmen.
Der Deutsche Juristinnenbund hat eindringlich davor
ewarnt, ohne ein umfassendes Konzept von Verlänge-
ungstatbeständen bereits jetzt singuläre Tatbestände wie
ie Wehrpflicht- und Zivildienstzeiten in das BEEG auf-
unehmen, ohne auch die Einbeziehung anderer mögli-
her Privilegierungstatbestände wie etwa Zeiten eines
reiwilligen Sozialen Jahres zu prüfen. Also wieder mit
eißer Nadel gestrickt.
Bei der Großelternregelung wird erwerbstätigen
roßeltern das Fernbleiben vom Arbeitgeber ohne Be-
ahlung offeriert, das kaum jemand so in Anspruch neh-
en wird.
In der Anhörung wurde deutlich, dass ein über diesen
esetzentwurf hinausgehender Reformbedarf beim El-
erngeld besteht. Aus Sicht der Selbstständigen steht die
estehende Teilzeitregelung oftmals einem Elterngeld-
ezug entgegen. Wenn Vater und Mutter nach der Geburt
es Kindes beide halbtags arbeiten und Teilzeiteltern-
eld beziehen, wird der zeitliche Anspruch halbiert und
chrumpft auf nur 7 Monate.
Im Bundeselterngeldgesetz haben Sie selbst in § 25
estgeschrieben – ich zitiere –: „Die Bundesregierung
egt dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober 2008
inen Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes
owie über die gegebenenfalls notwendige Weiterent-
icklung dieser Vorschriften vor.“ Ich fordere Sie auf:
egen Sie endlich einen Bericht vor, der kein Märchen-
uch ist, sondern neben den Stärken des Elterngeldes
uch die notwendige Weiterentwicklung aufzeigt!
Wir lehnen dieses unzureichende Änderungsgesetz
b.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich nenne die we-
entlichen Punkte des Gesetzentwurfs der Koalition:
inheitliche Mindestbezugszeit von zwei Monaten, Fle-
ibilisierung des Antrags auf Elterngeld und Unterstüt-
ung von Großeltern bei sogenannten Teenieeltern. Am
ergangenen Mittwoch wurde im Ausschuss der Evalua-
ionsbericht zum Elterngeld von Frau von der Leyen vor-
estellt. Im Ergebnis frage ich mich schon: Warum hat
an mit einer Änderung des Gesetzes nicht bis dahin ge-
artet und die Ergebnisse der Evaluation in den Entwurf
20208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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einfließen lassen? Oder ist es, wie von der FDP im Aus-
schuss dargelegt, keine wirkliche Evaluation, sondern
eine Schönrechnung der Regierung unter Ausblendung
wesentlicher Probleme?
Warum wird die Mindestbezugsdauer des Elterngel-
des auf zwei Monate angehoben, obwohl dies nach An-
sicht von Experten eher kontraproduktiv ist hinsichtlich
der Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter? Dies
bestätigt sich letztlich durch den Evaluierungsbericht der
Regierung. Lediglich 2 Prozent der elterngeldberechtig-
ten Väter nehmen die vollen zwölf Monate Elternzeit.
Die meisten nehmen nur einen Monat. Soll diese Zahl
jetzt reduziert werden, da diese Möglichkeit verwehrt
wird?
Zur Großelternzeit: Löblich, dass die Regierung end-
lich einmal ein Problem erkannt hat und auch gleich ver-
sucht, eine Lösung zu finden. Schade, dass die vorge-
schlagene Lösung der Regierungskoalition nicht zum
gewünschten Ergebnis führt, sondern in der Praxis kaum
Niederschlag findet.
Es geht um die Förderung von Teeniemüttern, um
Mütter im Alter von bis zu 18 Jahren oder noch in Aus-
bildung befindliche volljährige Mütter. In dieser Alters-
gruppe dürften die Großeltern, also die Eltern der Müt-
ter, in aller Regel noch im Erwerbsleben stehen. Die
Möglichkeit, in dieser Situation Elternzeit zu nehmen,
um sich um das Enkelkind zu kümmern, dürfte von da-
her kaum in Anspruch genommen werden, da nach dem
Willen der Regierungskoalition ein Elterngeld nicht ge-
zahlt werden soll. Wer ersetzt den Verdienstausfall, wie
es beim Elterngeld grundsätzlich vorgesehen ist? Oder
sollen – der Not gehorchend – wieder vermehrt Groß-
mütter aus dem Berufsleben ausscheiden, da sie in der
Regel weniger verdienen als die entsprechenden Groß-
väter? Das nenne ich konsequente Gleichstellungspolitik
der Regierung.
Die Kosten, welche durch entsprechende Zahlung ei-
nes Elterngeldes an die Großeltern entstehen würden,
halten sich im überschaubaren Rahmen, da von dieser
Lösung nur wenige Familien betroffen sind und mit der
Möglichkeit des Bezugs auch keine Lebensentwürfe ge-
fördert werden, wie es von der Union unterstellt wird.
Frei nach dem Motto: Geh’, mein Kind, werd’ schwan-
ger, ich möchte Großelterngeld beziehen. Da ist die
Koalition, allen voran ihre Ministerin, mal wieder völlig
realitätsfremd. Da, wo Änderungsbedarf besteht – einer
Erhöhung des Mindestelterngeldes bei gleichzeitigem
Teilelterngeldbezug –, wird nichts gemacht.
Hier bietet der Antrag der Linken die Lösung. Wie in
unserem Antrag aufgezeigt, sollen Eltern, welche gleich-
zeitig Elternzeit nehmen und die Erwerbstätigkeit redu-
zieren, auch nur „reduzierte“ Elternzeit verbrauchen,
also die Möglichkeit haben, ihr Kind bzw. ihre Kinder
über den vollen Zeitraum der Elternmonate zu betreuen.
Dies kommt auch dem erklärten Willen, die partner-
schaftliche Erziehung zu fördern, entgegen. Der Ansatz
der Regierungskoalition ist insoweit kontraproduktiv –
aber immerhin konsequent kontraproduktiv.
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Das Elterngeld bleibt auch nach dem vorliegenden
esetzentwurf eine sozialpolitische Mogelpackung, die
ür die Mehrheit der Eltern nicht hält, was sie verspricht.
as Elterngeld benachteiligt Eltern mit niedrigem oder
ar keinem Einkommen. Im Wissen darum, dass jedes
iebte Kind in Deutschland auf einem Einkommensni-
eau lebt, das es von einer angemessenen sozialen und
esellschaftlichen Teilhabe ausschließt, verschärfen Sie
ie Kinderarmut weiter. Und ich kann nur wiederholen:
ie Auswirkungen auf Alleinerziehende sind statistisch
ar nicht zu ermitteln, weil das Gesetz diesbezügliche
rhebungen nicht vorsieht. Solche Problemlagen werden
usgeblendet.
Mit der Einführung des Elterngeldes ist prinzipiell
ine positive Entwicklung in der Familienpolitik einge-
eitet worden. Das findet unsere Unterstützung. Aber
iese Gesetzesänderung bietet keine Lösung der beste-
enden Probleme. Die Lösung wird durch unseren An-
rag aufgezeigt, weshalb ich daher dringend um Zustim-
ung ersuche.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
inführung eines neuen Instrumentes wie das Elterngeld
ührt fast zwangsläufig dazu, dass schon schnell in De-
ailfragen Korrektur- oder Verbesserungsbedarf ansteht.
o verhält es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf.
as Anliegen, hier erste Änderungen vorzunehmen, ist
achvollziehbar. Nicht nachvollziehbar allerdings ist das
erhalten der Bundesregierung: Erst hieß es, wir machen
eine Änderungen, solange wir über die Wirkung des
esetzes nichts wissen; dann kam dieses Änderungsge-
etz, über das wir heute sprechen, ohne dass der Bericht
ber die Wirkung des Elterngeldes vorlag. Dann endlich
ar der Bericht erarbeitet, doch das Ministerium verzö-
ert die Herausgabe um mehrere Wochen. Und bevor wir
ns mit diesem Bericht parlamentarisch befassen konn-
en, sollen wir zu nachtschlafender Zeit Änderungen am
lterngeld beschließen, die sachlich zum Teil nicht ge-
echtfertigt und wissenschaftlich nicht fundiert sind. Das
inde ich eine Zumutung.
Wenn die Wirkungsuntersuchung sowieso keine Aus-
irkungen auf Ihre Vorschläge hat, dann hätten Sie ja
uch gleich eine große Reform machen können und die
irklich wichtigen Themen wie den doppelten An-
pruchsverbrauch bei gleichzeitiger Teilzeit oder die Be-
echnung des Elterngeldes neu regeln können.
Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht – so sehe ich
hre Änderungsvorschläge, und deshalb werden wir sie
uch ablehnen.
Grundsätzlich ist die Intention zu begrüßen, den Be-
essungszeitraum bei Wehr- und Zivildienst zu verän-
ern. Es gibt allerdings auch andere, vergleichbare Tat-
estände. Ich möchte nur das Freiwillige Soziale Jahr,
as Freiwillige Ökologische Jahr oder § 17 c Zivildienst-
esetz ansprechen, die als gleichwertige Ersatzdienstzei-
en gelten und die aus meiner Sicht Berücksichtigung
inden müssten. Schauen wir ins wahre Leben: Ein
ann und eine Frau arbeiten im Krankenhaus. Er macht
ivildienst, sie ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit wel-
her Begründung machen Sie hier Unterschiede? Vor
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20209
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Gericht hält diese Regelung nicht stand. Das haben ih-
nen die Experten in der Anhörung ganz klar bescheinigt.
Zur Großelternzeit: Auch hier sehe ich die gute Idee.
Doch was nutzt eine Großelternzeit ohne finanzielle Ab-
sicherung? Hier profitieren vor allem Menschen, die die-
ser Absicherung nicht bedürfen oder die sowieso keine
Arbeit haben. Für alle anderen greift die Regelung nicht.
Es erschließt sich mir auch nicht, warum die Regelung
ausschließlich für Großeltern und nicht für andere nahe-
stehenden Personen gelten sollte.
Ich bin mit meinen Kritikpunkten noch nicht am
Ende, möchte jedoch gern noch etwas zum Entschlie-
ßungsantrag der Linken sagen. Wir befinden uns in vie-
len Bereichen bei der Beurteilung des Elterngeldes und
den hier notwendigen Reformen im Konsens. Was ich al-
lerdings nicht teile, ist die Idee, die sozialpolitische
Funktion des Elterngeldes auszuweiten. Das Elterngeld
entspricht einer Lohnersatzleistung. Wenn wir wollen,
dass das Elterngeld höher ausfällt, dann müssen wir da-
ran mit Mindestlohn, Progressivmodell und geschlech-
tergerechter Entlohnung etwas ändern.
Nicht vergessen wollen wir auch, dass die Bundesre-
gierung mit dem Elterngeld den zweiten Schritt vor dem
ersten gemacht hat: Die Kinderbetreuung in Deutschland
ist immer noch Mangelware. Und da kann sich die Mi-
nisterin hinstellen und sagen, das sei geklärt, der Ausbau
laufe. Das ist mitnichten so einfach. Die Finanzierung ist
immer noch nicht geklärt, denn die 8 Milliarden Euro
von Ländern und Kommunen stehen eben noch nicht zur
Verfügung. Und wer ein wenig Ahnung von der Finanz-
situation der Kommunen hat, der weiß auch, wie schwie-
rig die Lage ist. Hier hätten wir von Bundesseite mehr
auf die Kommunen zugehen müssen und zudem die Län-
der deutlich verpflichten müssen, ihren Anteil zu leisten.
Das ist nicht geschehen. So ein handwerklicher Fehler
darf einer Regierung nicht passieren.
Anlage 20
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vor-
mundschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 43)
Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute
erneut mit dem Familienrecht, und zwar dieses Mal ins-
besondere mit dem ehelichen Güterrecht. In Deutschland
wird derzeit jede dritte Ehe geschieden. Vor diesem Hin-
tergrund ist die Bedeutung der Ausgleichsansprüche aus
der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der betroffe-
nen Eheleute von großer Relevanz. Dies ist neben dem
Unterhalt, den wir gerade umfassend neu geregelt haben,
und dem Versorgungsausgleich, der sich derzeit im Ge-
setzgebungsverfahren befindet, nun noch der güterrecht-
liche Ausgleich. Dieser ist heute, 50 Jahre nach seinem
Inkrafttreten, besonders aktuell. Bei der Zugewinnge-
meinschaft handelt es sich um den gesetzlichen Güter-
stand, in dem die überwiegende Mehrzahl der Ehepart-
ner lebt. Bei der Scheidung müssen die Ehegatten
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unächst ihr gemeinsames Vermögen auseinandersetzen.
eder Ehepartner erhält zudem die Hälfte des Vermö-
enszuwachses, der während der Ehezeit erzielt wurde.
ieser Grundentscheidung des Gesetzgebers liegt die
nnahme zugrunde, dass beide Ehegatten während der
he ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten gemeinsam ein-
etzen und damit das während der Ehe erwirtschaftete
ermögen grundsätzlich gemeinsam erarbeiten.
Das deutsche Güterrecht hat sich weitestgehend be-
ährt. Wir wollen daher mit dem vorliegenden Entwurf
ediglich punktuelle Änderungen vornehmen. Die zen-
rale Neuregelung des Entwurfs sieht vor, dass künftig
uch Schulden, die bereits zum Zeitpunkt der Eheschlie-
ung vorhanden waren und während der Ehe getilgt wur-
en, beim Zugewinnausgleich berücksichtigt werden.
ach geltendem Recht bleiben diese Schulden bei der
rmittlung des Zugewinns unberücksichtigt. Ob die
hepartner während der Ehe voreheliche Verbindlichkei-
en eines Partners getilgt haben, ist demnach für die Be-
echnung des Zugewinns ohne Belang. So muss der Ehe-
atte, der während der Ehe anfänglich vorhandene
chulden tilgt, diesen Vermögenszuwachs derzeit nicht
usgleichen.
Besonders negativ wirkt sich diese Regelung auf jene
hegatten aus, die die Verbindlichkeiten des Partners til-
en und zugleich eigenes Vermögen erwerben. In diesen
ällen entsteht eine doppelte Ungerechtigkeit: Hier
leibt nicht nur die Schuldentilgung und der damit ver-
undene Vermögenszuwachs beim anderen Ehepartner
nberücksichtigt. Der Ehepartner, der die Schulden des
nderen getilgt hat, muss darüber hinaus auch seinen ei-
enen Vermögenszuwachs zur Hälfte dem anderen Ehe-
artner ausgleichen. Diese Ergebnisse sind sachlich
icht gerechtfertigt und werden von den Menschen zu
echt als äußerst ungerecht empfunden. Der Gesetzent-
urf sieht deshalb vor, dass auch ein sogenanntes negati-
es Anfangsvermögen zu berücksichtigen ist. Im Ergeb-
is stellen wir damit sicher, dass beim Ausgleich alleine
er Betrag maßgeblich ist, um den das Vermögen des
hepartners während der Ehe wirtschaftlich gewachsen
st.
Des Weiteren wollen wir die Ehepartner künftig bes-
er vor Vermögensmanipulationen schützen. Für die Be-
echnung des Zugewinnausgleichs kommt es auf die
echtshängigkeit der Scheidung an. Stichtag für das
ndvermögen ist demnach also die Zustellung des
cheidungsantrages. Die endgültige Höhe der Aus-
leichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt, den
as Vermögen zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Schei-
ung hat. Es besteht somit die Gefahr, dass in der Zeit
wischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft der Schei-
ung Vermögen zulasten des ausgleichsberechtigten
hegatten beiseitegeschafft wird. Damit läuft die Stich-
agsregelung regelmäßig ins Leere.
Wir wollen deshalb den ausgleichsberechtigten Ehe-
atten künftig besser vor solchen Manipulationen schüt-
en. Der Gesetzentwurf sieht hierfür vor, dass der Zeit-
unkt der Rechtshängigkeit nicht nur für die Berechnung
es in diesem Fall rein theoretischen Zugewinnaus-
20210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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gleichs, sondern auch für die endgültige Höhe der Aus-
gleichsforderung maßgeblich ist.
Eine weitere Regelung betrifft die Zeit vor Zustellung
des Scheidungsantrages. Der Schutz des ausgleichsbe-
rechtigten Ehegatten ist in dieser Phase nach geltendem
Recht völlig unzureichend. Insbesondere gibt es für ihn
keinerlei Möglichkeit, sich in dieser Phase gegen Ver-
mögensverschiebungen zur Wehr zu setzen. Künftig er-
hält er daher die Möglichkeit, seine Ansprüche im Wege
eines vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens
zu sichern. Mit dieser Neuregelung verhindern wir, dass
der andere Ehepartner wie bisher sein Vermögen ganz
oder teilweise beiseiteschafft.
Wir wollen zudem wie im Unterhaltsrecht eine Pflicht
zur Vorlage von Belegen einführen. Damit greifen wir
eine allgemeine Forderung aus der Praxis auf. Darüber
hinaus sieht der Entwurf vor, eine Auskunftspflicht über
das Anfangsvermögen einzuführen und die Auskunfts-
pflicht auch auf die Fälle einer vorzeitigen Aufhebung
der Zugewinngemeinschaft oder eines vorzeitigen Aus-
gleichs des Zugewinns zu erstrecken. Jeder Ehegatte er-
hält so die Möglichkeit, sicher abzuschätzen, ob ihm ein
Anspruch auf Zugewinn zusteht oder nicht.
Der Entwurf enthält noch eine Reihe von weiteren
Änderungen, die nicht mit dem Güterrecht zusammen-
hängen. Der Entwurf bietet jedoch eine gute Gelegen-
heit, um diese Neuregelungen jetzt zu realisieren: Die
Regelungen zur Auseinandersetzung der ehelichen Woh-
nung und des Hausrates, bisher in der sogenannten
Hausratsverordnung geregelt, sollen nunmehr aus
rechtssystematischen Gründen in das Bürgerliche Ge-
setzbuch integriert und als Anspruchsgrundlagen ausge-
staltet werden. Die Kernvorschriften der Hausratsver-
ordnung werden dabei im Wesentlichen übernommen,
sodass die Auseinandersetzung auch weiterhin in einem
eigenen Verfahren erfolgt, das sich nicht an den von der
Parteiherrschaft bestimmten Grundsätzen der Zivilpro-
zessordnung orientiert und das schnell, zweckmäßig und
einfach durchgeführt werden kann.
Schließlich sollen mit dem Gesetz die vormund-
schaftsrechtlichen Genehmigungspflichten an den mo-
dernen Zahlungsverkehr angepasst werden. Ein Vormund
oder Betreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten
einen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder überwei-
sen will, braucht dafür nach geltendem Recht die Geneh-
migung des Vormundschaftsgerichts, wenn auf dem
Konto mehr als 3 000 Euro Guthaben sind. Dies gilt un-
abhängig vom jeweiligen Betrag. Ferner gibt es eine
Reihe von Banken, die dem Betreuer die Teilnahme am
automatisierten Zahlungsverkehr verweigern. Mit diesen
Beschränkungen ist für den Betreuer ein nicht unerhebli-
cher bürokratischer Aufwand verbunden. Wir wollen
deshalb, dass Betreuer und Vormund künftig über das Gi-
rokonto, das sie treuhänderisch verwalten, ohne gericht-
liche Genehmigung verfügen können. Da Eltern, Ehegat-
ten, Lebenspartner und Abkömmlinge schon heute von
der Genehmigungspflicht befreit sind, werden hierdurch
in erster Linie die Betreuer entlastet.
Für den Betreuten wird es angesichts der Aufsicht
durch das Vormundschaftsgericht auch künftig hinrei-
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hend Schutz vor Missbrauch geben. Der Betreuer muss
ie bisher Einnahmen und Ausgaben des Betreuten ge-
au abrechnen und die Kontobelege einreichen. Im Übri-
en werden bedeutsame Rechtsgeschäfte auch in
ukunft unter dem Vorbehalt stehen, dass das Vormund-
chaftsgericht sie genehmigt hat. Insgesamt handelt es
ich also um einen sehr ausgewogenen Entwurf, der le-
iglich moderate Änderungen im Bereich des Familien-
echts vorsieht. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir
n diesem Haus eine breite Zustimmung finden werden.
Es hat bereits im Vorfeld eine Vielzahl von Stellung-
ahmen der Verbände und Betroffenen gegeben, die den
ntwurf überwiegend positiv bewerten. Die Kritik be-
ieht sich hier in erster Linie auf Detailfragen. Die Anre-
ungen enthalten eine Reihe von Vorschlägen, die wir
m weiteren Verfahren genau prüfen müssen und die
urchaus noch zu der einen oder anderen Ergänzung des
ntwurfs führen können. Beispielhaft möchte ich in die-
em Zusammenhang den Vorschlag nennen, wonach sich
er Auskunftsanspruch auch auf Bestandsveränderungen
n der Zeit seit der Trennung erstrecken sollte. Eine wei-
ere Anregung, die es zu prüfen gilt, betrifft die güter-
echtliche Behandlung von Wertsteigerungen bei Vermö-
ensgegenständen aus dem Anfangsvermögen – etwa
mmobilien –, die nicht auf der Lebensleistung der Ehe-
eute beruhen.
Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft tre-
en, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetz
nd der Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Ich
offe auf konstruktive Beratungen.
Christine Lambrecht (SPD): Wir beraten heute in
rster Lesung den von der Bundesregierung vorgelegten
esetzentwurf zur Reform des Zugewinnausgleichs und
es Vormundschaftsrechts.
Was den Zugewinnausgleich betrifft, beschäftigen wir
ns mit einem Rechtsinstitut, das heute, fast 50 Jahre
ach seinem Inkrafttreten, so aktuell und bedeutsam ist
ie nie, da heute etwa jede dritte Ehe geschieden wird.
ugleich lebt die Mehrzahl der Ehepaare im gesetzlichen
üterstand, das heißt, bei einer Scheidung müssen sich
ie Eheleute auch über den Zugewinnausgleich auseinan-
ersetzen.
Das Recht des Zugewinnausgleichs bestimmt, dass
ie Eheleute je zur Hälfte an den Vermögenszuwächsen
us ihrer Ehe, also dem Zugewinn, beteiligt werden. Er
st Folge der während der Ehedauer bestehenden Zuge-
inngemeinschaft, dem gesetzlichen Güterstand. Dies
at sich bewährt und soll vom Grundsatz her auch so
leiben. Das neue Recht hält daran fest, denn ein Güter-
tand muss einfach, klar und praktisch leicht handhabbar
ein. Denn klar ist: Auch in Zukunft muss ein fairer und
raxistauglicher Ausgleich möglich sein.
Der Reformentwurf soll aber künftig zu mehr Gerech-
igkeit bei der Verteilung des Zugewinns nach der Tren-
ung führen. Damit steigen wir in die Beratung ein, wie
er wirtschaftliche Erfolg aus der Ehezeit tatsächlich zur
älfte auf die Ehepartner verteilt wird. Wie immer wer-
en wir uns hierbei wieder mit den Wünschen und Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20211
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dürfnissen der Menschen zu beschäftigen haben. Der
rechtliche Rahmen für Ehe, Lebenspartnerschaften und
Familie muss zeitgemäß sein und den Bedürfnissen der
Menschen entsprechen. An dieser Richtschnur werden
wir uns bei den Beratungen wie immer orientieren.
Der Reformentwurf sieht zum einen vor, dass künftig
bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs zu berück-
sichtigen ist, ob ein Ehepartner bereits mit Schulden in
die Ehe gegangen ist. Die Tilgung dieser Schulden soll
mit dem Reformentwurf berücksichtigt werden. Bislang
werden Schulden, die ein Ehegatte bei der Eheschlie-
ßung hat, bei der Ermittlung des Zugewinns überhaupt
nicht berücksichtigt. Der Ehegatte, der im Laufe der Ehe
mit seinem dazu erworbenen Vermögen nur seine an-
fänglich vorhandenen Schulden zurückzahlt, musste die-
sen Vermögenszuwachs bisher nicht ausgleichen. Viele
Menschen finden das ungerecht. Dies gilt umso mehr,
wenn der Ehegatte für die Verbindlichkeiten des anderen
Ehegatten aufkommt und zusätzlich eigenes Vermögen
erwirbt. Nicht allein, dass die Begleichung der Schulden
und der damit verbundene Vermögenszuwachs beim
Partner gar nicht mit einberechnet wird, der Ehegatte
muss auch noch das eigene Vermögen bei Beendigung
des Güterstandes teilen.
Dies zeigt sich deutlich an einem Beispiel: Ein Ehepaar
lässt sich nach 20-jähriger Ehe scheiden, der Ehemann
Fritz hatte bei Eheschließung gerade ein Unternehmen
gegründet und 30 000 Euro Schulden gemacht. Wenn er
dadurch im Verlauf der Ehe einen Vermögenszuwachs
von 50 000 Euro erzielte, betrug sein Endvermögen
20 000 Euro. In dem Fall, dass seine Ehefrau Lisa bei
Eheschließung keine Schulden hatte und während der
Ehe ein Vermögen von 50 000 Euro erzielte, da sie wäh-
rend der Ehezeit berufstätig war, müsste Lisa ihrem
Mann Fritz einen Ausgleich in Höhe von 15 000 Euro
zahlen. Dabei hat sich Lisa eventuell neben dem Beruf
noch um die Kinder gekümmert; nur so war ihr Mann in
der Lage, sich seinem Geschäft zu widmen, und im-
stande, seine Schulden zu bezahlen und Gewinn zu ma-
chen. Das soll mit dem Reformentwurf geändert werden.
Künftig würden dann die Schulden als Negativbetrag zu
Beginn der Ehe berücksichtigt. Beide Ehegatten hätten
dann jeweils einen Zugewinn von 50 000 Euro erzielt.
Deshalb müsste Ehefrau Lisa künftig keinen Zugewinn-
ausgleich an ihren Mann Fritz zahlen.
Des Weiteren soll mit dem Reformentwurf in Zukunft
besser verhindert werden, dass ein Ehepartner zulasten
des anderen Ehegatten Vermögenswerte beiseiteschafft.
Für die Berechnung des Zugewinns kommt es nach noch
geltendem Recht auf den Zeitpunkt der förmlichen Zustel-
lung des Scheidungsantrags an. Die endgültige Höhe der
Ausgleichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt,
den das Vermögen zu einem regelmäßig deutlich späteren
Zeitpunkt hat, nämlich dem der rechtskräftigen Scheidung
durch das Gericht. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr,
dass der ausgleichspflichtige Ehegatte sein Vermögen
zulasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten beiseite-
schafft.
Es liegt beispielsweise eine Vermögensmanipulation
vor, wenn der gut verdienende Ehemann die Scheidung
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inreicht und einen hohen Zugewinn hat, während seine
rau kein eigenes Vermögen hat und der Mann für eine
rlaubsreise mit seiner neuen Freundin einen großen
etrag ausgibt. Zudem könnte er behaupten, weiteres
eld an der Börse verloren zu haben. Wenn das Schei-
ungsurteil rechtskräftig wird, könnte dem Ehemann
öglicherweise kein Vermögen nachzuweisen sein. Die
hefrau hat dann keinen Anspruch mehr. Vor solchen
anipulationen soll der Ehegatte, der einen Ausgleich
ekommt, künftig geschützt werden. Der Reformentwurf
ieht daher vor, dass schon zum Zeitpunkt, wenn der
cheidungsantrag dem Partner zugestellt wird, der Zuge-
inn berechnet wird und die konkrete Höhe der Aus-
leichsforderung dann schon feststeht, nicht erst dann,
enn das Scheidungsurteil viel später rechtskräftig ist.
ann bleiben Ansprüche wie der von der Ehefrau im
eispielfall bestehen.
Mit dem Reformentwurf soll zudem der einstweilige
echtsschutz verbessert werden. Der Schutz des Ehegat-
en, der einen Ausgleich bekommt, ist vor der Zustellung
es Scheidungsantrags an den Partner nur gering ausge-
rägt. Dies zeigt folgendes Beispiel. Ein Ehegatte, der
ich scheiden lassen will, ist Alleineigentümer einer ver-
ieteten Eigentumswohnung, die als Kapitalanlage einen
icht unerheblich Teil seines Vermögens darstellt. Nach
er Ankündigung „Du bekommst von mir nichts“ wird die
ohnung unmittelbar nach der Trennung zum Verkauf in-
eriert, obwohl dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Der
ndere befürchtet nun, dass der Verkauf nur dazu dienen
oll, den Erlös beiseitezuschaffen, um keinen Zugewinn-
usgleich zahlen zu müssen. Nach geltender Rechtslage
ann der Ehegatte nichts dagegen unternehmen. Künftig
önnte er aber seine Ansprüche in einem vorläufigen
echtsschutzverfahren vor Gericht sichern. Damit soll
erhindert werden, dass der andere Ehepartner sein Ver-
ögen ganz oder in Teilen beiseiteschafft.
Wir werden über diese Änderungen im Güterrecht zu
iskutieren haben, und ich freue mich in diesem Sinne
uf die anstehenden Beratungen. In dem Reformgesetz
ind auch Änderungen des Betreuungsrechts enthalten.
uch hier müssen wir die Rechtswirklichkeit den Be-
ürfnissen der Menschen anpassen. Ein Vormund oder
etreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten einen
ur kleinen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder
berweisen will, braucht derzeit die Genehmigung des
ormundschaftsgerichts, sobald das Guthaben auf dem
onto 3 000 Euro überschreitet. Dies erfordert einen enor-
en bürokratischen Aufwand. Wegen dieser Regelung
ird Berufsbetreuern sogar die Teilnahme am automati-
ierten Zahlungsverkehr an Geldautomaten oder Online-
anking usw. von einigen Kreditinstituten verwehrt. Die
anken geben an, im automatisierten Kontoverkehr nicht
usreichend kontrollieren zu können, ob das Kontogut-
aben die Grenze von 3 000 Euro jeweils einhält. Das
oll durch den Gesetzentwurf geändert werden, indem
er begrenzte Betrag wegfällt.
Beispielsweise könnte einer 70-jährigen, an einem
irntumor erkrankten Dame, die aus ihrer Altersversor-
ung monatlich 2 000 Euro erhält, ein Berufsbetreuer
estellt werden. Da sie für ärztliche Behandlungen nicht
20212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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selten Vorschüsse ihrer Krankenkasse erhält, liegt ihr
Kontoguthaben häufig über 3 000 Euro.
Bei diesem Guthabenstand benötigt ihr Betreuer für
jede alltägliche Überweisung/Auszahlung von ihrem
Konto eine vormundschaftliche Genehmigung. Zur Ver-
meidung dieses unnötigen Verwaltungsaufwands soll er
künftig ohne gerichtliche Genehmigung verfügen kön-
nen. In erster Linie werden dadurch die Betreuer entlas-
tet, die nicht in einem engen familiären Verhältnis zum
Betreuten stehen. Eltern, Ehegatten, Lebenspartner und
Abkömmlinge sind schon heute von der Genehmigungs-
pflicht befreit. Vor einem Missbrauch ist der Betreute
auch weiterhin durch die Aufsicht des Vormundschafts-
gerichts gut geschützt. Der Betreuer muss über Einnah-
men und Ausgaben des Betreuten genau abrechnen und
die Kontobelege einreichen. Geld, das nicht für die lau-
fenden Ausgaben benötigt wird, muss der Betreuer für
den Betreuten verzinslich anlegen.
Die Vorsorgevollmacht hat sich bewährt. Viele Men-
schen haben bereits die Möglichkeit in Anspruch genom-
men, beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotar-
kammer Vorsorgevollmachten registrieren zu lassen. Per
Vorsorgevollmacht können Menschen bestimmen, wer
für sie wirtschaftliche und medizinische Entscheidungen
trifft, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Die
Registrierung im Vorsorgeregister hilft, den Bevoll-
mächtigten im Bedarfsfall zuverlässig aufzufinden. Vor-
sorgevollmachten beinhalten häufig auch eine Betreu-
ungsverfügung, das heißt die Festlegung, wer Betreuer
werden soll, falls wegen unvorhergesehener Umstände
trotz der Vorsorgevollmacht ein Betreuer bestellt werden
muss. Die Vorteile der Registrierung sollen jetzt auch für
reine Betreuungsverfügungen gelten, die nicht mit einer
Vorsorgevollmacht verbunden sind. Auch diese können
in Zukunft gegen Gebühr ins Zentrale Vorsorgeregister
eingetragen werden.
Wir werden auf diese Änderungen im Betreuungs-
recht nochmals ausführlich eingehen. Auch auf die an-
stehenden Beratungen bin ich hier sehr gespannt.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
368 922 Eheschließungen waren im Jahr 2007 bundes-
weit zu verzeichnen. In den meisten Fällen lag der Ehe
der sogenannte gesetzliche Güterstand der Zugewinnge-
meinschaft zugrunde. Im Gegensatz zu einer weit ver-
breiteten Annahme in der Bevölkerung bedeutet dies
nicht, dass alle während der Ehe erworbenen Gegen-
stände gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten
werden. Grundsätzlich bleibt jeder der Eheleute Allein-
eigentümer seines vor und während der Ehe erworbenen
Vermögens. Ein Ausgleich der Vermögen, der soge-
nannte Zugewinnausgleich, findet erst mit dem Ende der
Ehe statt. Allein im Jahr 2007 kam es bundesweit zu
187 072 Ehescheidungen, und dabei wurde in der großen
Mehrzahl der Fälle ein Zugewinnausgleich vorgenom-
men. Anhand allein dieser Zahlen lässt sich die Bedeu-
tung des Zugewinnausgleichs, vor allem auch für ge-
schiedene Frauen, erahnen. Dieser Zugewinnausgleich,
der zu einem Ausgleich des während der Ehe erworbe-
nen Vermögens führt, hat sich in der Praxis der letzten
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0 Jahre bewährt, sodass an diesem Verfahren grund-
ätzlich festgehalten werden sollte.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt es nun
uch nicht zu einer radikalen Reform des Güterrechts,
ielmehr sollen die bekannten Probleme des geltenden
echts behoben werden. Eine solche Reform des Güter-
echts ist schon seit langem überfällig. Bereits 2003 rich-
ete die FDP-Bundestagsfraktion an die damalige
undesregierung die Frage (Kleine Anfrage, Bundes-
agsdrucksache 15/1435), ob nicht auch vonseiten der
egierung ein Bedarf zur Novellierung des ehelichen
üterrechts gesehen werde. Die Antwort fiel sehr
chlicht aus: Man prüfe, ob ein Überarbeitungsbedarf
estehe. – Nun bedurfte es fünf Jahre der Prüfung, bis
ndlich ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt.
Die größte Änderung dürfte die Berücksichtigung ei-
es negativen Anfangsvermögens bei der Ermittlung des
ugewinns sein. Nach der geltenden Rechtslage können
erbindlichkeiten niemals zu einem negativen Anfangs-
ermögen führen. Dies hat zur Folge, dass die für die
chuldentilgung verwandte Summe nicht in die Aus-
leichsberechnungen mit einbezogen wird und so zu ei-
er Verkürzung des Zugewinns führt. Dies bedeutet, dass
er Ehegatte mit Schulden vor der Ehe massiv begüns-
igt wird; das Prinzip der gleichmäßigen Vermögensteil-
abe ist nicht mehr gewahrt. Die im Gesetzentwurf ent-
altene Regelung führt dazu, dass diese anfänglichen
chulden berücksichtigt werden und es damit letztend-
ich zu einem gerechteren Ergebnis kommt.
Problematischer erscheint jedoch bereits die Frage,
as Gegenstand des Zugewinnausgleiches sein sollte.
er Gesetzentwurf greift diese in der juristischen Fach-
elt vieldiskutierte Frage überhaupt nicht auf. Grundge-
anke des Zugewinnausgleiches ist es aber doch vor al-
em, dass nur solche Vermögensmehrungen in den
ugewinn einfließen, die auf einer gemeinsamen Leis-
ung der Partner beruhen. Aus diesem Grunde werden
rbschaften oder Schenkungen schon nach geltender
echtslage nicht in den Zugewinn einbezogen. Fraglich
rscheint deshalb, warum nicht auch eheneutraler Vermö-
enserwerb wie zum Beispiel der Lottogewinn oder aber
uch das erhaltene Schmerzensgeld nicht vom Zugewinn
usgeschlossen sein sollten. Auch der 67. Deutsche Juris-
entag hat sich dafür ausgesprochen, eheneutralen Erwerb
on der Teilung auszunehmen. Im Rahmen einer Anhö-
ung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
uss auf diese Problematik eingegangen werden.
Ebenfalls einer kritischen Prüfung bedarf die Frage,
arum Wertsteigerungen von bereits bei Beginn des Gü-
erstandes vorhandenen Vermögensgegenständen das
ndvermögen mehren und damit letztendlich den Zuge-
inn vergrößern sollen. Zu denken ist hier insbesondere
n Fälle, in denen zum Beispiel Grundbesitz in Form
on landwirtschaftlichen Flächen mit in die Ehe einge-
racht wird. Werden diese landwirtschaftlichen Flächen
ährend der Ehe in Bauland umgewandelt, findet eine
ermögensmehrung statt, die nach geltendem Recht in
en Zugewinnausgleich einzubeziehen ist. An einer die
eteiligung rechtfertigenden gemeinsamen Wertschöp-
ung fehlt es bei einer derartigen Wertsteigerung jedoch.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20213
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Neben der Frage des Gegenstandes, der der Teilung
unterliegen soll, ist auch der Teilungszeitraum von ent-
scheidender Bedeutung. Für den Beginn des Teilungs-
zeitraums ist nach geltendem Recht auf den Zeitpunkt
der Eheschließung abzustellen. Forderungen aus dem
Bereich der Rechtswissenschaft, auf den Beginn der tat-
sächlichen Lebensgemeinschaft abzustellen, sind äußerst
kritisch zu betrachten, da durch die bloße Eingehung ei-
ner unverbindlichen Lebensgemeinschaft solch weitrei-
chende Folgen wie der Beginn der Zugewinngemein-
schaft nicht ausgelöst werden sollten. Bezüglich des
Endzeitpunktes wird nach geltender Rechtslage für den
Berechnungszeitpunkt des Zugewinnausgleichs bei der
Scheidung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Schei-
dungsantrages abgestellt. Die Höhe der Ausgleichsfor-
derung ist jedoch durch den Wert des Vermögens be-
grenzt, das bei Beendigung des Güterstandes, also
wesentlich später, noch vorhanden ist. In dem dazwi-
schenliegenden Zeitraum sind Manipulationen zulasten
des ausgleichberechtigten Gläubigers nicht selten. Be-
züglich des Endzeitpunkts sieht der Gesetzentwurf des-
halb sowohl für die Berechnung des Zugewinns als auch
für die Höhe der Ausgleichsforderung nun den Zeitpunkt
der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vor. Dies
stellt eine Besserung der geltenden Rechtslage dar. Oft
kommt es jedoch auch zu Vermögensverschiebungen
schon vor der Zustellung des Scheidungsantrages. Um
einen möglichst effektiven Schutz vor Vermögensmani-
pulationen zu gewährleisten, sollte auch überlegt wer-
den, ob bei der Berechnung grundsätzlich auf den Zeit-
punkt der tatsächlichen Trennung abzustellen ist. In
einer Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestages sollte auch darauf eingegangen werden.
Insbesondere sind Einzelheiten zur Feststellung des
Trennungszeitpunktes zu klären.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Zugewinnaus-
gleich hat sich in der Praxis als Mittel des gerechten
Ausgleichs des in der Ehe erwirtschafteten Vermögens
bewährt. Jedoch sind im Laufe der Zeit – immerhin gut
50 Jahre – Schwächen oder besser gesagt Schwachstel-
len des Güterrechts offensichtlich geworden, welche es
ermöglichten, missbräuchlich wirtschaftliche Vorteile
zulasten des schwächeren Ehepartners zu erlangen. Ins-
besondere die Möglichkeit der nachträglichen Vermö-
gensmanipulation, eine fehlende Belegpflicht und die
fehlende Berücksichtigung des negativen Anfangsver-
mögens von Ehepartnern sind in der Praxis bemängelt
worden.
Bislang war es nicht möglich, die Schulden eines
Ehegatten, welche dieser mit in die Ehe brachte, zu be-
rücksichtigen, da Anfangsvermögen nicht negativ sein
konnte. Das heißt, bei der Berechnung des Zugewinns
blieben die möglicherweise im Laufe der Ehe getilgten
Schulden des einen Ehepartners unberücksichtigt. Im
Klartext heißt das, dass es Fälle gab, in denen die Frau
nicht nur die Schulden des Mannes gezahlt hat, sondern
ihm nach der Scheidung auch noch ausgleichsverpflich-
tet war, ihm also auch noch Geld „nachzahlen“ musste.
Dieser Missstand soll mit der vorgelegten Gesetzes-
reform beseitigt werden. Und das ist auch gut so, denn
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chulden stellen tatsächliche Vermögenswerte dar, die
ei der Berechnung des Zugewinns einfließen sollten.
Das Auseinanderfallen der Stichtage von Trennung
nd Scheidung bei der Berechnung des erwirtschafteten
ermögens soll künftig dergestalt entfallen, dass maß-
eblicher Zeitpunkt für die Vermögensberechnung die
ustellung des Scheidungsantrags an den Antragsgegner
ein soll (Rechtshängigkeit der Scheidung). Damit kann
erhindert werden, dass bis zum rechtskräftigen Schei-
ungsurteil das Vermögen durch einen Ehegatten unred-
ich noch derart manipuliert wird, dass an Vermögen
ichts mehr vorhanden ist und infolgedessen auch keine
usgleichspflicht besteht. Die Vorverlagerung des Stich-
ags auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Schei-
ung scheint gut zu sein. Ob eine weitere Vorverlage-
ung, zum Beispiel auf den Zeitpunkt des Beginns des
rennungsjahres, sinnvoll ist, um möglichen Vermö-
ensverschiebungen während dieser Zeit vorzubeugen,
uss in den Beratungen geklärt werden.
Die geplanten Änderungen hinsichtlich der genehmi-
ungsfreien Geschäfte in § 1813 BGB passen sich
chließlich dem modernen Zahlungsverkehr an, wobei
ine Gefährdung des Vermögens des Mündels nicht er-
öht werden dürfte.
Die geplante Neuregelung in Nr. 3 verzichtet zwar bei
erfügungen über das Guthaben eines Girokontos auf
ie Festsetzung einer Betragsgrenze im Sinne des § 1813
bs. 1 Nr. 2 BGB (3 000 Euro) mit der Folge, dass eine
usätzliche Kontrolle bei Überschreitung der Betrags-
renze durch den Genehmigenden wegfällt. Aber das
etreutenvermögen wird auf der einen Seite bereits
urch bestehende vormundschaftsrechtliche Vorschriften
rundsätzlich hinreichend geschützt – zum Beispiel
1802 BGB Vermögensverzeichnis, § 1806 BGB Anle-
en von Mündelgeld, § 1812 BGB Genehmigung des
egenvormunds oder Gerichts usw. –, und auf der ande-
en Seite bestehen bereits jetzt Befreiungen von be-
timmten Pflichten bei der Vermögensverwaltung, insbe-
ondere auch von der Genehmigungspflicht gemäß
1813 BGB und der Rechnungslegungspflicht, zum
eispiel für nahe Familienangehörige als Betreuerinnen
nd Betreuer.
Von daher ist der Entwurf grundsätzlich positiv einzu-
chätzen. Wir werden sehen, was am Ende nach den Re-
eln des Struckschen Gesetzes davon noch bleibt.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Jede dritte Ehe in Deutschland wird heute
eschieden. Dass dies nicht immer reibungslos verläuft,
rklärt sich von selbst. Darum muss es im Falle einer
rennung zukünftig fairer und transparenter zugehen.
Bisher konnten gut verdienende Ehemänner seelenru-
ig gemeinsam in der Ehe erarbeitete Vermögenswerte
eiseiteschaffen, bis die Scheidung rechtskräftig wurde,
der falsche Auskunft über das Vermögen geben, um
en Rest für ein Leben mit der neuen Partnerin durchzu-
ringen. Zukünftig ist Schluss mit dem Schummeln bei
er Scheidung.
20214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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Das Justizministerium hat sich mit dieser Reform, die
bereits unter Rot-Grün geplant war, leider viel Zeit ge-
lassen. Es wird Zeit, dass sie nun zum Abschluss ge-
bracht wird. Die Reform kommt den – leider immer
noch – meist finanziell schwächer gestellten Frauen zu-
gute. Gemeinsam erworbenes Vermögen muss auch bei-
den Partnern zu gleichen Teilen zukommen. Soviel Ge-
rechtigkeit sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Der neue Entwurf geht in die richtige Richtung. Wir
unterstützen die Erstreckung der Auskunftspflicht auf das
Anfangsvermögen und die Verpflichtung, auf Verlangen
Belege für das Anfangs- und Endvermögen vorzulegen.
Das erleichtert die Feststellung und Durchsetzung des Zu-
gewinnausgleichsanspruchs. Schließlich zählt nicht nur
das Plus auf dem Konto, sondern auch das Minus.
Doch auch hier sind noch Verbesserungen möglich.
Die gleichen Rechte, wie sie am Ende der Ehe bestehen,
sollten auch während der Ehe eingeräumt werden. Das
ist zwar zum Teil, aber nicht in vollem Umfang gegeben.
Wir haben darüber schon in vergangenen Legislatur-
perioden mehrfach diskutiert. Dem Bundesrat ist zugute-
zuhalten, dass er die Debatte mit seiner Stellungnahme
zu dem Gesetzentwurf nochmals anstößt. Ihm ist aber
auch nichts Besseres eingefallen, als seinen alten Vor-
schlag noch einmal aufzuwärmen. Der Bundesrat macht
hier aber nur halbe Sachen. Außerdem stellt er nicht klar,
dass der Auskunftsanspruch ein höchstpersönliches
Recht ist, das nicht von Gläubigern gepfändet werden
kann. Auch wenn es schwierig ist, es würde sich lohnen,
weiter nach einer Lösung zu suchen.
Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf die Schul-
den aus der Zeit vor der Ehe berücksichtigt und damit
deren – oft gemeinsam erwirtschaftete – Tilgung grund-
sätzlich einem Ausgleich bei Scheidung zugänglich
macht. Zum Beispiel startet ein Partner nach der Ausbil-
dung in die Selbstständigkeit, verschuldet sich und
bringt diese Schulden mit in die Ehe. Nicht selten wird
es die Ehefrau sein, die ihrem Mann den Rücken frei-
hält, durch Mitarbeit im Betrieb oder durch eigene finan-
zielle Leistungen oder Verzicht dazu beiträgt, die Schul-
den abzubauen. Das Vermögen des Mannes, das am
Ende der Ehe vorhanden ist, wird also gerechter aufge-
teilt.
Aber, Frau Bundesministerin, hier muss ich doch et-
was Wasser in den Wein gießen. Denn der Gesetzent-
wurf relativiert dieses Ergebnis erheblich. Er sieht vor,
dass der ausgleichspflichtige Partner zumindest die
Hälfte seines Vermögens behalten darf. Diese Kap-
pungsgrenze bewirkt neue Ungerechtigkeiten. Die bes-
sere Partizipation und ihre Höhe hängen davon ab, ob
und wie viel Vermögenszuwachs der mitarbeitende Part-
ner selbst erreichen konnte. Bleiben wir in dem Beispiel:
Gelang es dem Ehemann, von 100 000 Euro Schulden auf
ein Vermögen von 100 000 Euro zu kommen, während
die Ehefrau rollenverteilungsbedingt von null auf nur
10 000 Euro kam, wird der ihr bei gleicher Teilhabe zuste-
hende Ausgleichsanspruch von 95 000 auf 50 000 Euro
gekürzt. Auch wenn wir nicht das Alleinernährermodell
propagieren, muss in solchen Fällen für mehr Gerechtig-
keit gesorgt werden.
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Im Extremfall stehen beide bei der Scheidung vermö-
ensmäßig bei null. Dann gibt es überhaupt keine Teil-
abe des mitarbeitenden Ehepartners, obwohl mögli-
herweise erhebliche Schulden des anderen gemeinsam
bgebaut wurden. Nun mag man darüber diskutieren,
ass ein schuldenfreier Start in ein neues Leben möglich
ein soll, obwohl auch hier der Teilhabegedanke durch-
rochen würde. Wir haben auch bei der Unterhalts-
eform die Gründung einer Zweitfamilie erleichtert.
ber ich finde, wir müssen bei der Reform des Zuge-
innausgleichs nicht noch einen Startbonus auf Kosten
es anderen Partners geben. Ich plädiere also dafür, dass
ir in den Ausschussberatungen darüber reden, die Kap-
ungsgrenze zumindest auf das gesamte vorhandene
ermögen zurückzuführen. So sieht es auch schon das
eltende Recht vor. Bislang wird es aber nur in wenigen
onstellationen relevant, weil die anfangs bestehenden
chulden noch nicht berücksichtigt werden.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Auch wenn die Schei-
ungsrate in den letzten Jahren erfreulicherweise gesun-
en ist, lassen sich Scheidungen weder in schlechten
och in guten wirtschaftlichen Zeiten vermeiden. Es ist
aher die Aufgabe des Gesetzgebers, die Folgen der
rennung für die Beteiligten durch ein möglichst gerech-
es Recht zu regeln. Ich bin deshalb froh, dass der Bun-
estag heute die Beratungen über die Reform des Zuge-
innausgleichs aufnimmt.
Der Gesetzentwurf soll für mehr Gerechtigkeit vor al-
em nach einer Scheidung sorgen. Die meisten Ehepaare
eben im gesetzlichen Güterstand. In diesem Güterstand
ird der sogenannte Zugewinn bei Ende der Ehe ausge-
lichen. Das bedeutet: Bei der Scheidung kann der Ehe-
atte, dessen Vermögen während der Ehe einen geringe-
en Zuwachs hatte als das Vermögen des anderen
hegatten, von diesem Ausgleich in Geld verlangen. Der
eformentwurf will Schwachstellen in der Praxis besei-
igen und damit noch besser gewährleisten, dass es bei
em Ausgleich wirklich gerecht zugeht. Vor allem un-
edliche Vermögensverschiebungen zulasten des Ehegat-
en, der einen Ausgleichsanspruch hat, sollen in Zukunft
esser verhindert werden. Der Gesetzentwurf sieht hier-
ür folgende Neuerungen vor:
Künftig soll für die Berechnung der konkreten Höhe
er Ausgleichsforderung bereits der Zeitpunkt der Zu-
tellung des Scheidungsantrags maßgeblich sein. Bisher
ar dafür erst der spätere Zeitpunkt der Rechtskraft der
cheidung maßgeblich. In der Zwischenzeit bestand in
er Praxis die Gefahr, dass der ausgleichspflichtige Ehe-
atte Vermögen beiseiteschafft.
Weiter soll künftig auch berücksichtigt werden, wenn
in Ehepartner bei der Eheschließung mehr Schulden als
ermögen hat. Nach der Neuregelung wird auch das so-
enannte negative Anfangsvermögen berücksichtigt und
ei der Berechnung des späteren Ausgleichsanspruchs in
ie Bilanz der Ehe eingestellt. Heute übernimmt der
hepartner, der sein Vermögen im Lauf der Ehe um den
etrag mehrt, der den Schulden des anderen entspricht,
m Zugewinnausgleich praktisch die Hälfte dieser Schul-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20215
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den. Die Neuregelung schließt damit eine Gerechtig-
keitslücke im ehelichen Güterrecht. Dennoch bleibt die
sehr einfache und klare Struktur des Zugewinnaus-
gleichs erhalten.
Schließlich wird es für beide Ehegatten einfacher, die
Zugewinngemeinschaft ohne Auflösung der Ehe zu be-
enden. Vermögensmanipulationen zulasten des aus-
gleichsberechtigten Ehegatten sollen darüber hinaus
durch Verbesserungen des vorläufigen Rechtsschutzes
verhindert werden. Der ausgleichsberechtigte Ehegatte
soll künftig seinen Anspruch auf vorzeitigen Zugewinn-
ausgleich unmittelbar geltend machen und damit seinen
Geldanspruch im vorläufigen Rechtsschutz durch Arrest
direkt sichern können. Damit kann der Ehepartner, dem
Schaden droht, mithilfe des Gerichts verhindern, dass
der andere sein Vermögen ganz oder in Teilen beiseite-
schafft.
Der Entwurf führt ergänzend die Pflicht ein, Belege
über das Vermögen vorzulegen. Gleichzeitig wird die
Auskunftspflicht auf das Anfangsvermögen und auf die
Fälle des vorzeitigen Ausgleichs des Zugewinns und der
vorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft er-
streckt.
Außerdem wird die Hausratsverordnung von 1944
aufgehoben. Deren notwendige materiell-rechtliche Re-
gelungen werden in das Bürgerliche Gesetzbuch inte-
griert. Dabei werden die Kernstrukturen der Hausrats-
verordnung in ein Recht umgestaltet, das modernen
Anforderungen genügt.
Die vorgeschlagenen Regelungen haben bisher im
Wesentlichen Zustimmung gefunden. Bei den vorliegen-
den Änderungsvorschlägen und Prüfbitten des Bundes-
rates zum Regierungsentwurf geht es um Detailänderun-
gen, die den Grundansatz der Reform nicht infrage
stellen.
Der Gesetzentwurf sieht eine weitere wichtige Neue-
rung vor, die allerdings nicht den Zugewinnausgleich
betrifft, sondern die Verfügung eines Vormunds oder Be-
treuers über das Guthaben auf einem Giro- oder Konto-
korrentkonto. Das geltende Recht führt zu erheblichen
Problemen bei der Teilnahme von Vormündern und Be-
treuern am automatisierten Giroverkehr. Das Bürgerliche
Gesetzbuch von 1900 sieht Genehmigungspflichten vor,
wenn das Guthaben auf dem Konto heute mehr als
3 000 Euro beträgt. Mit dem Entwurf werden die vor-
mundschaftsgerichtlichen Genehmigungspflichten an
den modernen Zahlungsverkehr angepasst. Die Schutz-
vorschriften des Vormundschaftsrechts sind auch ohne
diese besondere Genehmigungspflicht ausreichend, um
das Vermögen von Mündeln und Betreuten vor unge-
rechtfertigen Abflüssen zu bewahren.
Ich bin zuversichtlich, dass auch die Beratungen im
Bundestag zügig verlaufen werden. Dann können die
Regelungen für einen gerechten und effektiven Zuge-
winnausgleich schon gleichzeitig mit der Reform des Fa-
milienverfahrensrechts zum 1. September 2009 in Kraft
treten.
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nlage 21
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur
Änderung anderer Vorschriften (GeROG) (Ta-
gesordnungspunkt 44)
Enak Ferlemann (CDU/CSU): Die Raumordnung in
eutschland zukunftsfähig zu machen, ist das Ziel, das
ir mit der Neufassung des Raumordnungsgesetzes ver-
olgen. Wir brauchen die Neufassung als eine moderne
rundlage für eine effiziente, zukunftsfähige und koor-
inierende Raumentwicklung in Deutschland.
Um es vorweg zu nehmen, ich bin überzeugt, dass wir
ieses Ziel mit den Ergebnissen aus den parlamentari-
chen Beratungen, die in zwei Änderungsanträge gegos-
en sind, auch erreicht haben.
Gesetzestechnisch haben wir Neuland betreten. Denn
ufgrund der verfassungsrechtlichen Lage nach der Fö-
eralismusreform I haben wir es mit einem neu geschaf-
enen Kompetenztyp zu tun. Neu ist die Kompetenz des
undes, die Raumordnung in den Ländern umfassend zu
egeln. Wenn es um neue Kompetenzverteilung zwi-
chen dem Bund und den Ländern geht, können, wie wir
lle wissen, Verhandlungen schwierig werden und zu
ontroversen führen. Deshalb war es wichtig, eine neue
ystematik zu finden, die einerseits bundesrechtliche
ollregelungen schafft, wo dies aus fachlichen Gründen
ngezeigt ist, die sich andererseits aber gesetzgeberisch
ugunsten des Landesrechts da zurückhält, wo landes-
pezifische Besonderheiten ihren Raum brauchen. Diese
ystematik zu finden, ist gelungen.
Den Beteiligten aufseiten des Bundes und den Vertre-
ern der Länder gilt deshalb mein Dank für die gute Zu-
ammenarbeit bei der Aufstellung des Entwurfs und den
onsens, gemeinsam an einer zukunftsfähigen Raum-
rdnungsgesetzgebung mitzuwirken.
Bedanken möchte ich mich im Besonderen bei Dr.
rno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik. Er
at den Koalitionsfraktionen mit dem Planspiel „Neu-
rdnung des Rechts der Raumordnung“ wertvolle Ergeb-
isse geliefert. Das Planspiel diente der prospektiven
rüfung des Gesetzentwurfs zum ROG. Wie schon beim
augesetzbuch hat sich die Durchführung eines Plan-
piels als sehr zweckdienlich erwiesen. Die Einschätzun-
en und Empfehlungen, die wir bekommen haben, beru-
en in hohem Maße auf den Erfahrungen der beteiligten
raktiker. Sie stellen wertvolle Anregungen und Hin-
eise dafür dar, wo der Gesetzentwurf der Bundesregie-
ung gut ist oder noch verbesserbar und für die Praxis
auglicher gemacht werden sollte. Deshalb gilt mein
ank zugleich auch allen Mitwirkenden der am Plan-
piel beteiligten Planungsträgern und Raumordnungsbe-
örden aus den verschiedenen Regionen.
Erfreulich war insbesondere die grundsätzlich zustim-
ende Bewertung des Regierungsentwurfs zur Neufas-
ung des Raumordnungsgesetzes. Übereinstimmend von
en am Planspiel Beteiligten begrüßt wurde die einheitli-
20216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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che Regelung der Raumordnung in einem Bundesgesetz,
wie auch das Konzept, die Neuregelung des Rechts der
Raumordnung im Wesentlichen an der alten rahmen-
rechtlichen Rechtsstruktur auszurichten. Auch die Ziel-
setzung, den Ländern trotz Wahrnehmung der konkurrie-
renden Gesetzgebung Spielräume für ergänzende
Regelungen im Landesrecht zu belassen, hat Zustim-
mung gefunden. Anregungen zur Änderung oder Ergän-
zung des Gesetzentwurfs betrafen überwiegend nur Teil-
aspekte der jeweiligen Regelungen und wurden auch
nicht in jedem Falle übereinstimmend geäußert. Die
übereinstimmend oder zumindest mehrheitlich getrage-
nen Anregungen hat die Bundesregierung zu einem Teil
mit der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundes-
rates aufgegriffen.
Die Koalitionsfraktionen haben sich in der parlamen-
tarischen Beratung mit den Ergebnissen der von den
Mitwirkenden am Planspiel gemachten Erfahrungen
ebenso wie mit den von den beteiligten Verbänden abge-
gebenen Stellungnahmen auseinandergesetzt. Im Ergeb-
nis hat dies dazu geführt, dass auch noch Änderungen,
mit denen wir zu weiteren Verbesserungen des Gesetzes
beitragen werden, über den Antrag der Koalitionsfrak-
tionen aufgenommen worden sind.
Ich denke, dass wir auch einen guten Weg gefunden
haben, verbliebene Gegensätzlichkeiten zwischen dem
Bund und den Ländern im Hinblick auf die zukünftige
Koordinationsfunktion des Bundes auszugleichen. Diese
Gegensätzlichkeiten richteten sich unter anderem auf die
übergeordnete Koordinierungsfunktion des Bundes zum
Beispiel für die zukünftig einer gesamtdeutschen Sicht
unterliegenden Konzepte für Flug- und Seehäfen, die da-
mit im Zusammenhang stehende Bundesverkehrswege-
planung und Rohstofflagerstätten.
Meine Fraktion hat Verständnis für die Sorgen, und
wir haben ihnen mit dem Änderungsantrag der Koali-
tionsfraktionen zu Artikel 1 Rechnung getragen. Das
war auch im Sinne der FDP, die sich diesem Änderungs-
antrag angeschlossen hat. Im Paragraf 17 wird ein Abs. 6
angefügt, in dem geregelt ist, dass bei Aufstellung von
Plänen nach den Abs. 2 und 3 dem Bundesverkehrsmi-
nisterium eine Verpflichtung zur Unterrichtung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufge-
geben ist. Damit wird dem Fachausschuss eine
Mitwirkungsmöglichkeit über die entsprechende Raum-
ordnung, die als Rechtsverordnung ergeht, eingeräumt.
Die Pläne nach Abs. 2 und 3 betreffen die übergeordne-
ten Konzeptionen wie zum Beispiel für Flug- und Seehä-
fen. Die parlamentarische Mitwirkung ist damit sicher-
gestellt. Das ist vor allen Dingen auch im Sinne der
Länder, der Verbände und Unternehmen.
Ich ziehe mein Fazit: Ich bin froh, dass wir heute die
Neufassung des Raumordnungsgesetzes beschließen
können. Wir stehen vor großen Herausforderungen, für
die wir Lösungen erarbeiten müssen. Demografischer
Wandel, Bevölkerungsrückgang, Klimawandel, Ressour-
censchonung, Förderung von Entwicklungspotential,
Unterstützung für zukunftsweisende Wirtschaft, Siche-
rung der Daseinsvorsorge. Das sind Stichworte, die für
bedeutende Aspekte stehen, die raumordnerisch zu ei-
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em Ganzen zusammengebracht und einer gemeinsamen
ösung zugeführt werden müssen, um im nationalen, eu-
opäischen und globalen Kontext zukunftsfähig zu sein.
Das Raumordnungsgesetz bietet so, wie wir es jetzt
assen, die Gewähr, unsere Zukunft den Veränderungen
nzupassen. Damit ist das Gesetz, wie ich finde, hervor-
agend gelungen. Die Koalitionsfraktionen werden des-
alb das Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsge-
etzes und zur Änderung anderer Vorschriften in der sich
us den Änderungsanträgen ergebenden Fassung mit
roßer Überzeugung beschließen. Ich lade die Opposi-
ionsfraktionen herzlich ein, gemeinsam mit uns dem
esetzentwurf in der veränderten Fassung zuzustimmen.
Petra Weis (SPD): Zum wiederholten Male müssen
ir uns zu später, in diesem Fall sogar zu nächtlicher
tunde mit einem Thema aus dem Bereich Bau und
tadtentwicklung beschäftigen, das wie viele andere grö-
ere Aufmerksamkeit in Form einer prominenteren De-
attenzeit durchaus verdient hätte. Die Raumordnung ist
ielleicht nicht auf den ersten, aber spätestens auf den
weiten Blick von ganz erheblicher Bedeutung für die
ukünftige Entwicklung unseres Landes.
Seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Bun-
esregierung am 24. September haben wir einen ausge-
prochen intensiven, dialogorientierten und stets zielfüh-
enden Beratungsprozess hinter uns, der – wenn ich mir
iese Bemerkung erlauben darf – auch anderen Gesetz-
ebungsvorhaben durchaus gut anstehen würde. Es ist
elungen, sowohl Änderungsvorschläge des Bundesrates
ls auch solche, die aus den Ergebnissen des Planspiels
esultieren, in den Entwurf, der heute zur Abstimmung
teht, mit einzubeziehen. Es spricht also viel dafür, dass
ie Bestimmungen des Gesetzes von denen, die es um-
etzen müssen, in der Praxis reibungslos angewandt wer-
en können. Dafür möchte ich mich bei allen am Prozess
eteiligten auch im Namen meiner Fraktion ganz herz-
ich bedanken – die Beteiligten des Deutschen Instituts
ür Urbanistik als Ausrichter des Planspiels ausdrücklich
ingeschlossen.
Wir beschreiten in der Raumordnung gesetzgeberi-
ches Neuland. Der Handlungsbedarf ergibt sich aus den
rgebnissen der Förderalismusreform. Wir wenden hier
en neuen Typ einer konkurrierenden Gesetzgebung an,
er den Ländern ausdrücklich abweichende Regelungen
rlaubt. Um eine größtmögliche Einheit der Raumord-
ung in der Bundesrepublik auch zukünftig zu gewähr-
eisten, kommt es nun darauf an, eine vernünftige Ba-
ance zwischen bundeseinheitlichen Standards und den
andesspezifischen Besonderheiten herzustellen.
Der Koalition ist es mit diesem Gesetzentwurf für ein
eues Raumordnungsrecht gelungen, den Anforderungen
n eine zukunftsgerichtete Raumordnung in Deutschland
erecht zu werden. Diese positive Bewertung beziehe
ch nicht nur auf den gerade beschriebenen vorbildlichen
rozess im Zuge der Erarbeitung und Beratung des Ge-
etzentwurfes, sondern selbstverständlich auch auf die
nhaltlichen Weichenstellungen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20217
(A) )
(B) )
Das Gesetz orientiert sich an der Zielsetzung einer
einheitlichen Gesetzgebung, die von allen Beteiligten als
grundsätzlich richtig anerkannt worden ist. Es verspricht
darüber hinaus eine nachhaltige Planung und Koordinie-
rung vor allem mit Bezug auf die neu entstandenen
Herausforderungen an die Raumordnung in einer globa-
lisierten Welt. Dem Klimawandel und dem Bevölke-
rungsrückgang kommt dabei auch in diesem Zusammen-
hang eine ganz besondere Bedeutung zu.
So ist es nur folgerichtig, dass die „Grundsätze der
Raumordnung“ und die aktuellen Leitbilder und Hand-
lungsstrategien für die Raumentwicklung in der Bundes-
republik angepasst werden.
Es ist ebenso folgerichtig, dass neben dem Klima-
schutz und der Sicherung der Daseinsvorsorge vor dem
Hintergrund einer rückläufigen Bevölkerungsentwick-
lung vor allem die Entwicklung der Innenstädte und da-
mit einhergehend die Reduzierung der Flächeninan-
spruchnahme hervorgehoben werden.
Die interkommunale Zusammenarbeit – insbeson-
dere zwischen Städten und dem sie umgebenden ländli-
chen Raum – und die grenzüberschreitende Zusammen-
arbeit sind ebenso zu nennen wie die vollständige
Umsetzung der EU-Richtlinie zur strategischen Umwelt-
prüfung. Damit wird wie schon beim Baugesetzbuch die
Rechtsanwendung erleichtert.
Ich habe schon im Rahmen der ersten Lesung darauf
hingewiesen und will es an dieser Stelle gern wiederho-
len: Die Raumordnung hat die Aufgabe, für einen nach-
haltigen Ausgleich der vielfältigen ökonomischen, öko-
logischen und sozialen Ansprüche an den Raum zu
sorgen. Sie ist damit die Basis einer nachhaltigen Infra-
strukturpolitik und damit gleichzeitig unverzichtbare Vo-
raussetzung für eine moderne Wirtschafts- und Gesell-
schaftspolitik.
Sie ermöglicht darüber hinaus die Entwicklung länder-
übergreifender Standortkonzepte von nationaler und in-
ternationaler Bedeutung vor dem Hintergrund der öko-
nomischen Entwicklung und der nachhaltigen Mobilität
gleichermaßen. Sie fördert die koordinierte Zusammen-
arbeit zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, den
Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und die am-
bitionierten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie ist da-
mit eine gesellschaftliche und politische Gemeinschafts-
aufgabe, und sie gelingt auch nur als solche.
Es wird in Zukunft nötig sein, die Entwicklungen in
regelmäßigen Abständen zu evaluieren. Die Ergebnisse
werden Aufschluss über den Grad der Zielerreichung ge-
ben und Grundlage für weitere Handlungsschritte sein.
Mit diesem Gesetz führen wir die lange Tradition der
Raumordnung in der Bundesrepublik verantwortungsbe-
wusst weiter. Die Bedeutung der Raumordnung wird an-
gesichts der beschriebenen Herausforderungen weiter
zunehmen. Ziel der Raumordnungspolitik ist und bleibt
es, den einzelnen Räumen und Regionen optimale Ent-
wicklungschancen zu ermöglichen. Ich bin überzeugt,
dass das neue Gesetz der Zielerreichung in besonderer
Weise dienlich sein kann.
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Patrick Döring (FDP): Zu Beginn möchte ich mich
n dieser Stelle herzlich bei den Kolleginnen und Kolle-
en aus den übrigen Fraktionen bedanken. Wir haben, so
enke ich, bei der Beratung dieses Gesetzes sehr kolle-
ial zusammen gearbeitet und so im Ausschuss noch ei-
ige wertvolle Änderungen der Regierungsvorlage er-
eicht. In dem einen oder anderen Punkt hätte man sich
ielleicht noch mehr vorstellen können – doch insgesamt
aben auch die Koalitionäre sich hier sehr offen gezeigt.
Die in meinen Augen mit Abstand bedeutsamste Er-
änzung ist sicherlich die Parlamentsbeteiligung bei der
ufstellung von Raumordnungsplänen des Bundes. Ur-
prünglich war bisher von der Regierung nur vorgesehen
ewesen, den zuständigen Ausschuss nach Fertigstel-
ung dieser Rechtsverordnung zu informieren. Wir hät-
en in diesem Hause also im Zweifelsfall erst viel zu spät
on Entwicklungen erfahren. Wohin das führen kann, er-
eben wir ja just beim Raumordnungsplan für die Aus-
chließliche Wirtschaftszone: Die Auswirkungen des
lanes sind zum Teil immens – vor allem für die Off-
hore-Windenergie! Durch den Raumordnungsplan wer-
en die Wachstumsmöglichkeiten dieses umwelt- und
limafreundlichen Energieträgers empfindlich einge-
chränkt und damit nicht zuletzt sogar die deutschen
lima- und Nachhaltigkeitsziele gefährdet. Und unser
aus wird an einem solchen bedeutsamen Verfahren bis-
er nicht beteiligt!
Nachdem in Zukunft der Bund auch Raumordnungs-
läne mit Festlegungen zu länderübergreifenden Stand-
rtkonzepten für See-, Binnen- und Flughäfen als
echtsverordnung erlassen kann, bin ich froh, dass wir
n diesem Verfahren eine frühzeitige Parlamentsbeteili-
ung erreicht haben. Es wäre doch geradezu abenteuer-
ich, wenn jeder Kreis- oder Landtag in die Diskussion
ber ihn betreffende Raumordnungspläne einbezogen
ürde, aber ausgerechnet der Deutsche Bundestag bei
en Raumordnungsplänen des Bundes außen vor bliebe.
ch freue mich, dass die Koalitionsfraktionen diese An-
egung aufgenommen und wir in einem gemeinsamen
ntrag den Gesetzentwurf entsprechend ergänzt haben.
Auch an anderer Stelle konnten wir den Gesetzent-
urf noch durch eine kleine, aber wichtige Änderung
ntscheidend verbessern: Die wirtschaftsnahe Infrastruk-
ur ist in der nun vorliegenden Fassung wieder als Be-
ang in den Grundsätzen der Raumordnung erfasst. Ich
atte hierzu ja bereits in der ersten Lesung zu diesem
esetzentwurf meine Bedenken vorgetragen. Durch die
treichung dieses Aspektes auf der einen und die deutli-
he Aufwertung der Belange des Umwelt- und Klima-
chutzes auf der anderen Seite, war der Gesetzentwurf in
einen Augen nicht ausgewogen. Die Argumentation
es Ministeriums, dass die Erwähnung der wirtschafts-
ahen Infrastruktur überflüssig sei, weil die Belange der
irtschaft im bisherigen Gesetz ausführlicher berück-
ichtigt waren und daher von den zuständigen Behörden
erinnerlicht worden seien, hat offenbar auch bei den
egierungsfraktionen nicht verfangen. Es wäre ja auch
n der Tat ein reichlich merkwürdiger Vorgang, wenn
ehörden sich bei ihren Entscheidungen auf Gesetze be-
ufen würden, die ihre Gültigkeit verloren haben. Spätes-
ens vor den Gerichten wäre eine solche Argumentation
20218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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wohl in sich zusammengebrochen. Ungültige Gesetze
sind ungültig – es mutet schon etwas merkwürdig an,
wenn man das an dieser Stelle nochmals feststellen
muss. Gültig geworden wäre hingegen ein Gesetz, dass
die Umweltbelange deutlich höher bewertete als die
Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Der nun
vorliegende Vorschlag ist in dieser Hinsicht – und auch
zum Beispiel im Hinblick auf die Rohstoffförderung in
Deutschland – bei weitem ausgewogener.
Darüber hinaus hat die Koalition noch einige Verän-
derungsvorschläge aus dem Expertenplanspiel übernom-
men. Dieses Verfahren möchte ich an dieser Stelle aus-
drücklich loben; auch wenn dieses Lob natürlich ein
wenig zwiespältig ist, denn an sich sollte es selbstver-
ständlich sein, dass externe Experten offen und unvor-
eingenommen in einen Gesetzgebungsprozess eingebun-
den werden. Dieses iterative Verfahren dürfte von mir
aus gerne Schule machen. Denn wie man auch im vorlie-
genden Fall sieht, trägt dies zu einer merklichen qualita-
tiven Verbesserung der Gesetzgebung bei: Die Experten
haben eine ganze Reihe an Vorschlägen gemacht, die in
dem vorliegenden Gesetzesvorschlag jetzt auch umge-
setzt wurden und die Anwendbarkeit des Raumord-
nungsgesetzes merklich verbessern werden.
Von daher gibt meine Fraktion dem hier zur Beratung
vorliegenden Gesetzentwurf in dieser Fassung gerne ihre
Zustimmung. Es ist ein gutes und ein schlankes Gesetz,
das den Anforderungen der Zukunft deutlich besser ge-
recht zu werden verspricht. Dabei denke ich nicht nur an
die politischen Herausforderungen – etwa an den demo-
grafischen Wandel, dessen Bedeutung in vielfacher
Weise seinen Niederschlag in dieser Vorlage gefunden
hat. Auch den Bedingungen unseres neu justierten föde-
ralen Systems wird Rechnung getragen. Wir werden al-
lerdings sehen müssen, wie das neue Raumordnungsge-
setz sich dann auch in der Praxis bewehrt, schließlich ist
es das erste Mal nach Abschluss der ersten Stufe der Fö-
deralismusreform, dass wir in die konkurrierende Ge-
setzgebung mit den Ländern eintreten. Ich bin gespannt,
wie sich unser Gesetz behaupten wird!
Das neue Raumordnungsrecht hier und heute mit ei-
ner breiten Mehrheit zu verabschieden, kann daher aller-
dings auch nur der erste Schritt sein. Wir werden auch in
Zukunft ein wachsames Auge darauf haben müssen, wie
das Gesetz sich in der Praxis und im Zusammenspiel mit
den Ländern bewehrt. Ich habe deshalb bereits in den
Ausschussberatungen angeregt, dass zur Mitte der nächs-
ten Legislaturperiode eine Evaluierung des Gesetzes und
seiner Bestimmungen vorgenommen werden sollte, ein
Petitum, das ich an dieser Stelle gerne noch einmal wie-
derholen möchte. Denn kein Gesetz ist so gut, dass es
nicht noch besser gemacht werden könnte – und das gilt
natürlich ganz besonders im vorliegenden Fall. Denn die
tatsächlichen Konsequenzen und Wechselwirkungen
vieler der Bestimmungen dieses Gesetzes werden sich
erst in der Praxis erkennen lassen. Für den Anfang aber
haben wir hier ein paar gute erste Schritte in die richtige
Richtung gemacht.
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Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Es gibt in der Politik
mmer wieder Momente, in denen manche denken, mit
er Verabschiedung oder Neufassung eines Gesetzes
ätte sich das Thema für längere Zeit oder gar für eine
leine Ewigkeit erledigt. Das hier zur Debatte stehende
aumordnungsgesetz, die Neufassung des seit 1997 gel-
enden Raumordnungsgesetzes, scheint zumindest aus
icht der Koalitionsfraktionen ein solcher Fall zu sein.
ie man hört, rechnet man auf der Regierungsbank nach
er Verabschiedung dieser Neuregelung wohl mit einer
angen Phase der Ruhe – gewissermaßen Ruhe im Raum,
uhe in der Raumordnung. Dies scheint mir jedoch eine
ewagte Prognose zu sein.
Diese abweichende Einschätzung der Bundestags-
raktion Die Linke hat vor allem mit dem Grund zu tun,
er eine Neufassung dieses Raumordnungsgesetzes
berhaupt notwendig macht, und dieser Grund ist die
öderalismusreform, in welcher der Bund nicht zuletzt
eim Thema Raumordnung erhebliche Kompetenzen an
ie Länder abgegeben hat. Wir haben es seitdem mit ei-
er konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu tun,
ie den Ländern ein verfassungsrechtlich verbürgtes
echt auf Abweichung zugesteht. Die Neuregelung
uss und soll daher versuchen, einen Weg zwischen
em Regelanspruch des Bundes und den gesetzgeberi-
chen Möglichkeiten der Länder zu finden. Genau dieser
eg aber dürfte nicht einfach zu finden sein, da in wich-
igen Bereichen der Raumordnung klare Regelungen zu
en jeweiligen Kompetenzen fehlen. Wer hat denn nun
ei gesamtstaatlichen und länderübergreifenden Zielen
as Sagen, der Bund mit seinem übergreifenden An-
pruch oder die Länder mit ihrem verfassungsrechtlich
erbürgten Abweichungsrecht?
Um es nur an zwei, drei Beispielen deutlich zu ma-
hen: Wer setzt sich beispielsweise beim Thema Um-
elt- und Naturschutz, beim Thema Rohstoffnutzung
der auch beim Thema CO2-Einlagerung durch? Das
ehlen einer klaren Regelung dürfte das Erreichen ge-
amtstaatlicher, länderübergreifender Raumordnungs-
iele erheblich erschweren, wenn nicht gänzlich unmög-
ich machen – da die Raumordnungspläne des Bundes
eine Bindungswirkung für die Länder haben. Eine di-
ekte Mitwirkung des Bundestages beim Aufstellen von
aumordnungsplänen des Bundes ist überhaupt nicht
orgesehen. Ein solches Recht würde sich wohl keine
ommune und kein Bundesland nehmen lassen. Da ist
m Raumordnungsgesetz erst noch einiges in Ordnung
u bringen, ehe es die Zustimmung der Bundestagsfrak-
ion Die Linke finden kann.
Aus Sicht der Linken wirft die vorliegende Neufas-
ung wesentlich mehr Fragen auf, als sie Antworten lie-
ert. Aus unserer Sicht geht es im Interesse des gesamten
andes und einer bundesweiten Raumordnung vor allem
m drei wesentliche Fragen:
Erste Frage: Wer entscheidet wann wo und wie künf-
ig über den Umgang mit unseren natürlichen Ressour-
en? Das ist eine Frage, die wir nicht erst dann beant-
orten sollten, wenn die „Quellen“ versiegen, wie eine
er Übersetzungen dieses ursprünglich aus dem Franzö-
ischen kommenden Wortes lautet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20219
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Zweite Frage. Gerade das Thema Raumplanung kann
als ein sehr feinfühliger Seismograf für den Grad demo-
kratischer Mitwirkung an weit über lokale und regionale
Grenzen hinaus und weit in die Zukunft reichende Ent-
scheidungen dienen. Vor diesem Hintergrund ist zu fra-
gen, welche realen Möglichkeiten zum Beispiel Vereine
und Verbände, aber auch engagierte und nicht zuletzt be-
troffene Bürgerinnen und Bürger haben, sich viel früher
und rechtzeitiger als bisher an den Überlegungen von
Politik und Verwaltung zu beteiligen. Wie kann künftig
verhindert werden, dass Vereine und Verbände, enga-
gierte Bürgerinnen und Bürger immer erst dann einbezo-
gen werden, wenn schon alle Messen gelesen sind?
Dritte Frage. Politik und erst recht Raumordnungspo-
litik finden nicht irgendwie und irgendwo im luftleeren
Raum statt, sondern in diesem Falle mitten in Europa.
Daher ist natürlich auch nach der Europatauglichkeit
dieser Neufassung des Raumordnungsgesetzes zu fra-
gen. Besteht sie den Europa-Check, oder muss das Ge-
setz schon bald nach seinem Inkrafttreten wieder nach-
gebessert und erst europafest gemacht werden? Auch ein
solches Reparaturunternehmen würde die – wie bereits
eingangs erwähnt – von den Koalitionsfraktionen offen-
bar angestrebte Ruhe in der Raumordnung empfindlich
stören. Und nicht zuletzt möchte ich an dieser Stelle als
einen weiteren Kritikpunkt den mangelhaften Abgleich
des Gesetzentwurfes mit dem Umweltgesetzbuch an-
sprechen, das derzeit ebenfalls überarbeitet wird. Eine
sachliche und begriffliche Anpassung scheint dringend
geboten.
Immerhin finden sich in der Neufassung auch einige
Passagen, die aus unserer Sicht als bemerkenswert bis
durchaus positiv zu bewerten sind. Dazu gehört die neue
Formulierung von der Konzentration der Siedlungstätig-
keit auf „vorhandene Siedlungen“ – ein neuer Begriff im
Gesetzestext. Allerdings lässt der Gesetzentwurf leider
offen, wie das ohnehin nicht besonders anspruchsvolle
Ziel der Bundesregierung erreicht werden soll, bis zum
Jahre 2020 die Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar
täglich zu reduzieren. Auch in diesem Falle hätten wir
uns eine klarere und abrechenbarere Regelung im Gesetz
gewünscht. Und im Übrigen erscheint es „öko-logisch“,
den Flächenverbrauch nicht nur zu reduzieren, sondern
in einen Flächengewinn umzuwandeln.
Insgesamt gesehen kann die Bundestagsfraktion Die
Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir wer-
den uns auch nicht enthalten, sondern die Neufassung
des Raumordnungsgesetzes ablehnen. Außerdem gebe
ich den Koalitionsfraktionen Brief und Siegel, dass wir
uns hier in diesem Hause schon bald erneut mit dieser
Thematik beschäftigen müssen. Dafür werden, so glaube
ich, die Länder schon sorgen. Ich denke, wir sprechen
uns spätestens Mitte der nächsten Legislaturperiode wie-
der. Ich frage mich nur, ob ein solcher Umgang mit dem
so wichtigen Thema Raumordnung in Ordnung ist.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Raumplanung wird als Möglichkeit, wichtige Fachpla-
nungen aufeinander abzustimmen und eine zukunfts-
fähige Entwicklung zu sichern, zumeist unterschätzt.
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as scheint auch für die Bundesregierung zu gelten. Vor
urzem habe ich noch im Parlament gesagt, dass man
en Stellenwert der Raumplanung bei der Bundesregie-
ung daran ablesen kann, dass sie die Novellierung des
aumordnungsgesetzes erst kurz vor dem Ende der Legis-
turperiode angeschoben hat.
Heute muss ich noch einen obendrauf setzen; sie hätte
ie Terminplanung für das Inkrafttreten des Gesetzes
och vor der Bundestagswahl um ein Haar verschwitzt.
aher musste das Gesetz in dieser Woche so hastig im
usschuss behandelt und im Plenum mitten in der Nacht
elesen werden. Ich finde es übrigens beschämend, dass
er Bundestag dieses Gesetz zu dieser Tageszeit aufsetzt.
Heute Abend muss ich resümieren, im Ausschuss wie
uch in einer fraktionsübergreifenden Beratung haben
ich keine Neuigkeiten ergeben, und ich sehe das Gesetz
eiterhin mit gemischten Gefühlen.
Es greift wichtige Forderungen unserer Zeit auf. Es
eagiert auf die aktuellen Diskussionen zu Klima- und
essourcenschutz, demografischer Entwicklung und
lächenschutz. Ich begrüße ausdrücklich, dass Raum-
rdnungspläne des Bundes erstellt werden können. Ge-
ade hier besteht Handlungsbedarf, denn viele Fach-
lanungen müssen über Landesgrenzen hinaus erfolgen.
abei denke ich als Bau- und Verkehrspolitiker in erster
inie an die Infrastruktur, aber natürlich gilt das auch für
aturschutzfragen, Rohstoffsicherung und anderes.
och immer scheitert eine sinnvolle vorausschauende
aumplanung an den Egoismen der Länder. Aus diesem
rund vermisse ich eine Bindungswirkung für die Län-
er an die Raumordnungspläne des Bundes.
Ich muss daher der Bundesregierung ins Stammbuch
chreiben: Auch das künftige Raumordnungsrecht bleibt
inter seinen Möglichkeiten zurück. Schuld daran ist nicht
ur die Lustlosigkeit der Bundesregierung, sondern auch
ie Möglichkeit der abweichenden Gesetzgebung durch
ie Länder. Dadurch sind leider die Möglichkeiten des
undes als Gesetzgeber de facto eingeschränkt. Gute An-
ätze des Gesetzes werden verwässert. Vor allem ist das
esetz zu inkonkret. Dabei denke ich zum Beispiel an
lanungsgrundsätze, wie die Bündelung von linienhafter
nfrastruktur. Ich denke dabei an konkrete Planungsziele,
eispielsweise zum Flächenschutz. Als Verkehrspolitiker
enke ich an klare verkehrspolitische Zielsetzungen, bei-
pielsweise zu Verkehrsverlagerungen. Aus meiner Sicht
präche auch nichts dagegen, Potenziale zur Energieein-
parung, also Maßnahmen der Kraft-Wärme-Kopplung
um Beispiel, zu benennen. Last not least – Raumord-
ungspläne sind nicht zuletzt Umweltplanungen. Da sollte
s nahe liegen, Biotopverbundsysteme wie das Natura-
000-Netz, Naturparke, Regionalparke, Areale mit Kli-
afunktionen und Ähnliches in diesen Planwerken obli-
atorisch zu berücksichtigen.
Auch die Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten
ür die Öffentlichkeit und Umweltverbände sind nicht
ptimal. Das beginnt bei der Frage, warum abweichen-
es Recht gegenüber dem Umweltrecht zur Regelung
er Strategischen Umweltprüfung für Raumordnungs-
läne geschaffen wurde. Naturschutz- und Umweltver-
20220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
bände sollten zwingend bei der Aufstellung dieser Pläne
beteiligt werden. Sinnvoll wäre die Festlegung, dass
Raumordnungspläne im Internet abrufbar sein müssen.
Auch bei Aussagen zu Raumordnungsverfahren wün-
sche ich mir mehr Transparenz. Sie sollten grundsätzlich
mit Öffentlichkeitsbeteiligung und mit Beteiligung der
Natur- und Umweltschutzverbände analog der soge-
nannten Trägerbeteiligung erfolgen.
Der Änderungsantrag zur Information des Bundestages
über Planaufstellungen ist wertlos. Das Spektakulärste
an dieser Initiative ist wohl der Schulterschluss von
Schwarz, Rot und Blau-Gelb. Der Antrag ist unnötig, da
eine Information des Ausschusses über einen Raumord-
nungsplan des Bundes eine Selbstverständlichkeit sein
sollte. Wichtiger wäre die Gestaltungsmöglichkeit durch
das Parlament. Aber von einer Einvernehmensregelung
ist im Änderungsantrag nichts zu finden.
Ich kann der Bundesregierung bescheinigen, dass sie
den Handlungsbedarf im Wesentlichen erkennt und teil-
weise in das neue Raumordnungsgesetz einfließen lässt.
Allerdings sieht sie sich offenbar durch die Länder ge-
bremst und bleibt auf halbem Weg stehen. Aus diesem
Grund werden meine Fraktion und ich den Gesetzent-
wurf weder ablehnen noch befürworten, sondern wir
werden uns enthalten.
Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das
neue Raumordnungsgesetz entsteht vor dem Hintergrund
der derzeitigen strukturverändernden Herausforderun-
gen. Es soll insbesondere auf den demografischen Wan-
del und den Klimawandel antworten. Zugleich ist das
neue Gesetz eine Folge der Föderalismusreform I im
Jahre 2006. Im Zuge der Föderalismusreform wurde die
Raumordnung in den neu geschaffenen Kompetenztyp
einer konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungs-
möglichkeit der Länder überführt.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Raumord-
nungsrecht macht der Bund erstmals von dieser neuen
Gesetzgebungskompetenz Gebrauch. Er betritt somit ge-
setzgeberisches Neuland. Um trotz des Abweichungs-
rechts der Länder die Rechtseinheit möglichst zu erhal-
ten, zielt der Gesetzentwurf auf eine Balance zwischen
der Wahrung weitgehender bundeseinheitlicher Stan-
dards einerseits und der gesetzgeberischen Zurückhal-
tung des Bundes hinsichtlich landesspezifischer Beson-
derheiten andererseits. Ein wichtiges Anliegen des
Gesetzentwurfs ist, auf diese Weise den Ländern mög-
lichst wenig Anlass zu geben, abweichendes Recht zu
setzen.
Lassen Sie mich noch einmal die inhaltlichen Schwer-
punkte und Zielsetzungen der Gesetzesnovellierung kurz
anreißen. Erstens. Die nach übereinstimmender Ansicht
von Bund und Ländern bewährten Regelungen des gel-
tenden Raumordnungsgesetzes werden übernommen.
Dies gilt insbesondere für das klassische Instrument der
Raumordnung, den Raumordnungsplan. Damit besteht
auch weiterhin die rechtliche Grundlage für eine effi-
ziente raumordnerische Steuerung von aktuell und zu-
künftig sensiblen raumwirksamen Projekten wie zum
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eispiel Factory Outlet Centern oder Windenergieanla-
en einschließlich des Repowerings.
Zweitens. Das neue Gesetz zielt auf Rechtsvereinfa-
hung und Deregulierung ab.
Drittens. Die gesetzlichen Grundsätze der Raumord-
ung werden aktualisiert; insbesondere werden als
rundsatz erstmals geregelt die Berücksichtigung der
rfordernisse des Klimaschutzes, die Berücksichtigung
es demografischen Wandels, die Stärkung der inter-
ommunalen Zusammenarbeit, die Erhaltung und Ent-
icklung der Innenstädte und die Reduzierung der Flä-
heninanspruchnahme.
Viertens. Die Regelungen über die Planerhaltung wer-
en präzisiert. Dies ist ein Beitrag zur Rechtssicherheit
on Raumordnungsplänen.
Fünftens. Die informelle Planung und das raumordne-
ische Zusammenwirken werden gestärkt. Diese praxis-
ahen, auf konsensuale Lösungen abzielenden Steue-
ungsinstrumente setzen auf „Koordination durch
ooperation“. Private und Behörden sollen auf gleicher
ugenhöhe zusammenwirken und gemeinsam vertragli-
he Vereinbarungen, regionale Entwicklungskonzepte
owie regionale oder interkommunale Kooperations-
trukturen erarbeiten und umsetzen.
Sechstens. Die Regelungen über den Planungs- und
oordinierungsauftrag des Bundes werden ergänzt. Da-
it kann den neuen Herausforderungen an die Raumord-
ung begegnet werden, die sich aus länderübergreifen-
en und europäischen Entwicklungen ergeben.
Der Gesetzentwurf wurde in enger Abstimmung mit
en für die Raumordnung zuständigen Länderministe-
ien und den kommunalen Spitzenverbänden entwickelt.
udem wurde der Gesetzentwurf im Rahmen eines das
esetzgebungsverfahren begleitenden Planspiels von
ieben Landes- und Regionalplanungen aus allen Teilen
eutschlands auf seine Praxistauglichkeit, insbesondere
uf die Verzahnung mit dem bestehenden Raumord-
ungsrecht der Länder, überprüft. Über das Planspiel be-
tand auch noch während des Gesetzgebungsverfahrens
ontakt zu den Ländern. Die Ergebnisse des Planspiels
estätigen grundsätzlich das neue Raumordnungsgesetz;
ie wurden inzwischen dem Bundestagsausschuss für
erkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgestellt. Zu den
rgebnissen des Planspiels gehören mehrere Verbesse-
ungsvorschläge. Eine Reihe davon sind schon im Re-
ierungsentwurf umgesetzt worden. Weitere Vorschläge
reift das Votum des federführenden Ausschusses auf.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom
9. September 2008 keine grundsätzlichen Bedenken
egen den Gesetzentwurf erhoben. Die Stellungnahme
etrifft vor allem Ergänzungen und Klarstellungen zu
en Grundsätzen der Raumordnung sowie die Raumord-
ung des Bundes. Die Bundesregierung begrüßt die
eitgehende Übereinstimmung mit dem Bundesrat. Sie
at sich einigen Vorschlägen des Bundesrates ange-
chlossen. Diese Vorschläge hat gleichermaßen der fe-
erführende Bundesstagsausschuss für Verkehr, Bau und
tadtentwicklung beschlossen; sie liegen Ihnen nunmehr
ur Abstimmung vor.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20221
(A) )
(B) )
Im Übrigen hält die Bundesregierung an dem von ihr
vorgeschlagenen behutsamen Ausbau der Bundesraum-
ordnung fest, namentlich an der Möglichkeit des Bun-
des, Raumordnungspläne nach § 17 Abs. 2 des neuen
Raumordnungsgesetzes aufzustellen. Diese Raumord-
nungspläne – das sei nochmals betont – greifen nicht in
Länderkompetenzen ein, sondern ermöglichen eine früh-
zeitige Abstimmung von Bundes- und Landesplanungen;
sie unterstützen eine fachübergreifende, integrierte Ver-
kehrsplanung und dienen damit letztlich dem Wirt-
schaftsstandort Deutschland.
Ich bin sicher, dass wir mit dem neuen Raumord-
nungsgesetz eine von Bund und Ländern gemeinsam ge-
tragene moderne Grundlage für eine effiziente und zu-
kunftsfähige, koordinierende Raumentwicklung in
Deutschland schaffen. Damit können wichtige Aspekte
und Ziele in Einklang gebracht werden. Das gilt insbe-
sondere für die Unterstützung von zukunftsweisender
Wirtschaft und von Entwicklungspotenzialen, die Siche-
rung der Daseinsvorsorge sowie den Ressourcenschutz.
Anlage 22
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes
– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsrechtes
– Beschlussempfehlung und Bericht:
– Antrag: Einbürgerungen erleichtern –
Ausgrenzungen ausschließen
– Antrag: Für die Abschaffung der Op-
tionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz
– Antrag: Klare Grenzen für die Rück-
nahme und den Verlust der deutschen
Staatsangehörigkeit ziehen
(Tagesordnungspunkt 45 a und b)
Günter Baumann (CDU/CSU): Wir beraten in der
zweiten und dritten Lesung abschließend die Gesetzent-
würfe der Bundesregierung, des Bundesrates, der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen und die drei Anträge der
Linksfraktion zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
setzes.
Der vorliegende Entwurf der Koalition setzt im We-
sentlichen die höchstrichterliche Rechtsprechung um.
Dabei ist zu bemerken, dass das Bundesverfassungsge-
richt die Verfassungsmäßigkeit von Rücknahmeentschei-
den grundsätzlich bejaht, auch wenn dem Betroffenen
die Staatenlosigkeit droht. Für den Gesetzgeber hatte
sich jedoch Regelungsbedarf bei bestimmten Fallkon-
stellationen herauskristallisiert. Entscheidend werden
mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände-
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ung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vier Problem-
omplexe geregelt: erstens eine klare Definition, unter
elchen Gesichtspunkten eine deutsche Staatsbürger-
chaft aberkannt werden kann; zweitens die Befristung
er Rücknahmeentscheidung; drittens die Frage der Wir-
ung auf schutzbedürftige Belange unbeteiligter Dritter
nfolge der Rücknahme einer Einbürgerung und viertens
ie Auswirkung auf die Staatsbürgerschaft von Kindern
ei erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft.
Die Rücknahme der deutschen Staatsbürgerschaft
roht nur, wenn einer oder mehrere der folgenden Tatbe-
tände vorliegen: arglistige Täuschung, Drohung oder
estechung, ferner auf Entscheidungen, die durch be-
usst unrichtige oder unvollständige, für den Antrag je-
och wesentliche Angaben erwirkt wurden. Dies ist für
ich eine folgerichtige Entscheidung. Denn wer den
taat und damit unsere Rechtsordnung wissentlich
äuscht, verdient nicht noch als Belohnung die deutsche
taatsbürgerschaft. Somit ist für mich auch die vorge-
chlagene Regelung der Linkspartei entschieden abzu-
ehnen, in der sie fordert, dass auch derjenige die deut-
che Staatsbürgerschaft behalten soll, der sich diese
urch Täuschung erschlichen hat. Dies verdeutlicht wie-
er einmal die konträre Haltung der Linkspartei zu unse-
en freiheitlich demokratischen Grundsätzen.
Auch bei der Befristung von Rücknahmeentscheiden
ind wir, denke ich, zu einer guten Lösung gekommen.
ieser Gesetzentwurf beschränkt die Möglichkeit der
ücknahme einer deutschen Staatsbürgerschaft auf eine
eitspanne von fünf Jahren nach der Einbürgerung. So-
ar Bündnis 90/Die Grünen haben an dieser getroffenen
egelung nichts auszusetzen. Ich nutze hier die Gele-
enheit, gleich auf den Gesetzentwurf von Bündnis 90/
ie Grünen etwas näher einzugehen. Wieder einmal er-
iegt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Annahme,
ass Migranten, die dauerhaft in Deutschland leben, au-
omatisch integriert wären. Deshalb fordern sie auch, die
rüfung der Sprachkenntnisse, die eine Voraussetzung
ür die Einbürgerung darstellt, für über 54-Jährige, die
eit mindestens 15 Jahren in Deutschland leben, und für
nter 14-Jährige, die hier zur Schule gehen, abzuschaf-
en. Ich fürchte, ich muss mich auch hier wiederholen:
in 15-jähriger Aufenthalt in Deutschland ist nicht auto-
atisch mit genügend deutschen Sprachkenntnissen
leichzusetzen. Schon allein der Integrationsgipfel hat
ezeigt, dass eben ein großer Teil der Kinder und Ju-
endlichen mit Migrationshintergrund nicht über ausrei-
hende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und
amit weniger Chancen auf gute Bildung und Lehrstel-
en haben. Werte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen, es sollte bei all Ihren Forderun-
en auch bedacht werden, dass die Einbürgerung den
bschluss einer erfolgreichen Integration darstellt und
icht vorab wahllos verteilt wird.
Ein zentraler Punkt, bei dem Handlungsbedarf be-
teht, ist die Frage, wie sich eine Rücknahme einer
taatsbürgerschaft auf Dritte auswirkt, die nicht selbst
etäuscht haben, aber im Zusammenhang mit der er-
chlichenen Staatsbürgerschaft ebenfalls die deutsche
taatsbürgerschaft erworben haben. Ich denke, hier wur-
en tragfähige Regelungen in das Gesetz eingebracht.
20222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
(A) )
(B) )
Für miteingebürgerte Dritte, deren Einbürgerung als
Ehepartner oder Kind akzessorisch zur Einbürgerung der
antragstellenden Person ist, ist bei der Rücknahme der
Einbürgerung eine eigene Ermessensentscheidung vor-
gesehen. Es ist dabei zu prüfen, ob die miteingebürgerte
Person an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Be-
stechung oder an den wissentlich unrichtigen oder un-
vollständigen Angaben beteiligt war. Darüber hinaus ist
zu prüfen, ob diese Person sich inzwischen einen eige-
nen Einbürgerungsanspruch erworben hat oder ob sich
die Person gut integriert hat. Somit werden die schutz-
würdigen Belange Dritter mit der Herstellung gesetzmä-
ßiger Zustände abgewogen.
Eine weitere Fallkonstellation stellen Kinder dar, die
durch eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft eines
deutschen Staatsbürgers ihre deutsche Staatsangehörig-
keit verlieren können. In Anlehnung an ein Verfassungs-
gerichtsurteil werden diese Fälle so geregelt, dass ein
Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft nicht eintreten
soll, wenn das Kind nicht älter als fünf Jahre ist. Denn es
wird davon ausgegangen, dass ein Kind unter fünf Le-
bensjahren noch kein Bewusstsein von seiner Staatsan-
gehörigkeit hat und somit auch nicht Art. 16 Abs. 1 Satz
1 GG berührt wird.
Über die Regelung dieser Problemkomplexe hinaus
halte ich die Einführung einer Strafvorschrift, wie sie der
Bundesrat gefordert hat, für sachgerecht. Hierbei kann
der Betroffene mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf
Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn er
unrichtige oder unvollständige Angaben zu wesentlichen
Voraussetzungen der Einbürgerung macht oder benutzt,
um für sich oder andere eine Einbürgerung zu erschlei-
chen. Diese Regelung, Täuschungsverhalten strafrecht-
lich zu ahnden, knüpft an bereits bestehende Regelungen
des Bundesvertriebenengesetzes und des Asylverfahrens
an. Denn laut Bundesrat sind Fälschungen von Identi-
tätspapieren für die Erlangung der deutschen Staatsbür-
gerschaft keine Einzelfälle. Um diesen Täuschungen
vorzubeugen, unterstütze ich voll und ganz eine straf-
rechtliche Verfolgung. Denn auch hierbei ist dem Aspekt
der inneren Sicherheit Deutschlands und der Gefahr des
internationalen Terrorismus Rechnung zu tragen. Denn
gerade die Einbürgerung könnte auch von Extremisten
als Mittel zur Vorbereitung und Ausübung von Terror-
anschlägen genutzt werden. Infolgedessen kann das Ple-
num des Deutschen Bundestages nur zu einem Votum
kommen: den Gesetzentwurf der Bundesregierung in ge-
änderter Fassung anzunehmen und die weiteren Gesetzes-
entwürfe und Anträge abzulehnen.
Rüdiger Veit (SPD): Der Gesetzentwurf der Bundes-
regierung, den wir heute beraten, stellt eine Reaktion auf
die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts und des Bundesverwaltungsgerichts dar. In insge-
samt drei Urteilen haben sie folgende Fragen behandelt:
Welches ist die zeitliche Grenze, bis zu der eine Einbür-
gerung zurückgenommen werden kann, wenn der Einge-
bürgerte die deutsche Staatsangehörigkeit durch arglis-
tige Täuschung erhalten hat? Welche Auswirkungen hat
das auf seine durch Geburt eingebürgerten Kinder oder
auf seine erleichtert eingebürgerten Angehörigen? Und
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uletzt: Wie wirkt sich eine erfolgreiche Vaterschaftsan-
echtung aus, wenn ein Kind die deutsche Staatsangehö-
igkeit nur aufgrund der Abstammung vom vermeintlich
eutschen Vater erworben hat?
Es war an uns, diese Fragen durch klare Regelungen
m Gesetz zu beantworten. Das haben wir getan. Dass
ir die verfassungsrechtlichen Grenzen geachtet haben,
ie uns die Rechtsprechung vorgegeben hat, ist eine
elbstverständlichkeit. Dass wir dabei aber auch politi-
che Gestaltungsräume genutzt haben, ist ebenso selbst-
erständlich. Diesbezüglich möchte ich auf eines hin-
eisen: Wenn ein Ausländer oder eine Ausländerin
ufgrund von Täuschung eingebürgert wird, so hat er
der sie sich die Rücknahme der Einbürgerung selbst zu-
uschreiben. Wenn aber ein Kind auf dieser Grundlage
rleichtert eingebürgert worden ist, so geht die Einbürge-
ung auf das schuldhafte Handeln des Vaters oder der
utter zurück. Das Kind hat nicht getäuscht. Umso
ichtiger ist es, dass die Interessen des Kindes im Vor-
ergrund stehen, wenn es darum geht, das Ermessen da-
über auszuüben, ob seine erleichterte Einbürgerung
benfalls zurückgenommen wird. Deshalb haben wir die
eachtung des Kindeswohls im vorliegenden Gesetzent-
urf ausdrücklich in die Ermessensausübung aufgenom-
en.
So weit zu den Details unseres Gesetzentwurfes. Die
egelung der genannten Fragen war aus Gründen der
echtsstaatlichen Klarheit geboten. Ich halte es aber
benso für geboten, nicht nur über Detailaspekte, son-
ern auch über Grundsatzfragen des Staatsangehörig-
eitsrechtes zu debattieren. Eine solche Debatte haben
ir zwar aus dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahren
ewusst ausgeklammert – zu unterschiedlich sind die
iesbezüglichen Auffassungen innerhalb der Großen
oalition –, das soll mich aber nicht daran hindern,
eute ein weiteres Mal den Blick darauf zu lenken, was
ir Sozialdemokraten langfristig anstreben: die doppelte
taatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder.
Dieses Ziel ist bislang bekanntlich noch nicht ver-
irklicht worden. Vielmehr haben wir mit der Reform
es Staatsangehörigkeitsrechts 2000 nur einen Kompro-
iss erreicht. Nach der sogenannten Optionslösung er-
erben Kinder, die in Deutschland geboren werden und
eren Eltern ein langfristiges Aufenthaltsrecht haben,
wei Staatsbürgerschaften. Wenn sie volljährig sind,
üssen sie sich zwischen der deutschen Staatsangehö-
igkeit und der ihrer Eltern entscheiden. Haben sie sich
is zum 23. Lebensjahr nicht entschieden, so verlieren
ie die deutsche Staatsangehörigkeit.
Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass
oppelte Staatsbürgerschaft vermieden werden soll.
och warum eigentlich? Ich darf Sie daran erinnern,
ass bereits jetzt mehr als die Hälfte derer, die eingebür-
ert werden, ihre alte Staatsbürgerschaft aufgrund der
esetzlichen Regelungen beibehalten können. Diese
ielfache Hinnahme von Doppelstaatigkeit hat bislang
icht zu integrationspolitischen Problemen geführt. Ein
roblem entsteht vielmehr dadurch, dass wir Doppel-
taatigkeit gerade bei den hier geborenen Menschen jen-
eits des 18. Lebensjahrs nicht hinnehmen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20223
(A) )
(B) )
Sie sind in Deutschland groß geworden, und ihre Le-
benswirklichkeit liegt hier. Das ändert aber nichts daran,
dass sich viele von ihnen ihrer Familie und deren Tradi-
tionen ebenso verbunden wie verpflichtet fühlen. Ent-
scheiden sie sich gegen die deutsche Staatsangehörig-
keit, erhalten sie eine Niederlassungserlaubnis. Zwar
können sie damit in Deutschland bleiben, gleichwohl
finden sie sich hier als Ausländer im eigenen Land wie-
der – und dies nach 18 Jahren als gleichberechtigte Mit-
bürger. Entscheiden sie sich gegen die Staatsangehörig-
keit ihrer Eltern, kann das als Abkehr von der Familie
und deren Traditionen verstanden werden. Das bringt sie
in persönliche Konflikte. Warum ersparen wir ihnen das
nicht? Nähmen wir ihre doppelte Staatsangehörigkeit
hin, würden wir nicht nur ihre individuellen Loyalitäts-
konflikte beseitigen. Wir würden ihnen auch, unter Bei-
behaltung eigener Traditionen, die Möglichkeit geben;
sich als Deutsche aktiv an Wahlen zu beteiligen und zu
Wahlen anzutreten. Das wäre ein ebenso einfacher wie
konsequenter Beitrag zur Integration von Menschen aus
Einwandererfamilien.
Bevor ich schließe, möchte ich noch knapp auf die
verbleibenden Anträge eingehen. Der Antrag des Bun-
desrates enthält mehrere Verschärfungen, die wir nicht
mittragen können. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
nen weist mit der Streichung des Optionsmodells in die
richtige Richtung. Leider stammt er jedoch von 2006
und bezieht sich damit auf eine veraltete Fassung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes, das 2007 geändert worden
ist. Deshalb kann ihm bereits aus formalen Gründen
nicht zugestimmt werden. Ich komme schließlich zu den
Anträgen der Fraktion Die Linke: Drucksache 16/9654
fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, mit dem die Rücknahme und der Verlust der
deutschen Staatsangehörigkeit geregelt werden. Diese
Aufforderung betrachte ich durch unseren Gesetzent-
wurf als erledigt. Der Antrag auf Drucksache 16/1770
schließlich fordert die erleichterte Einbürgerung. Auch
er ist formal veraltet. Deshalb fehlt in dem Antrag ein
Hinweis darauf, dass wir 2007 eine Erleichterung mit
dem Richtlinienumsetzungsgesetz geschaffen haben.
Wir konnten die Verkürzung der Einbürgerungsfrist von
acht bzw. sieben Jahre auf sechs Jahre für Migranten er-
wirken, die besondere Integrationsleistungen, also vor
allem Deutschkenntnisse, vorweisen können.
Deshalb plädiere ich dafür, die Anträge des Bundesra-
tes und der Opposition abzulehnen. Unseren Antrag hin-
gegen bitte ich anzunehmen – im Wissen darum, dass
dies nicht die letzte Reform des Staatsangehörigkeits-
rechts gewesen sein kann.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Rücknahme
der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn sie durch arg-
listige Täuschung, Drohung oder Bestechung erworben
wurde, bedarf nach jüngstem Entscheid des Bundesver-
fassungsgerichtes eines eigenen Gesetzes. Die Verwal-
tungsvorschriften, die seit Gründung der Bundesrepublik
dazu angewandt wurden, reichen demnach nicht mehr
aus. Eine eigengesetzliche Regelung dient der Rechtssi-
cherheit. So weit begrüßt die FDP ausdrücklich die Ge-
setzesinitiative der Bundesregierung. Das sensible und
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ichtige Thema Staatsangehörigkeit muss verlässlich
nd durchschaubar ausgestaltet sein.
Das Staatsbewusstsein von nicht schulpflichtigen
indern scheint mir nicht geeignet, darauf wesentliche
echtsfolgen zu gründen. Die Begründung, sie hätten
in eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit entwi-
kelt, ist meines Erachtens fragwürdig. Es ist dennoch
innvoll, Kindern ab fünf Jahren einen eigenen Staatsan-
ehörigkeitsrechtsschutz zu gewähren. Für diese Rege-
ung spricht, dass die betroffenen Kinder nicht unter den
echtsvergehen ihrer Eltern leiden sollten.
Die Frist von fünf Jahren, die die Bundesregierung
en Behörden zum Nachweis der unrechtmäßig erwor-
enen Staatsangehörigkeit setzen will und die das Ver-
assungsgericht vorgeben zu müssen glaubt, scheint mir
eichlich kurz zu sein. So kann vermutlich kaum wirk-
am verhindert werden, dass eine verlockende Ziellinie
n Aussicht gestellt wird, die Betrügern oder Bestechern
rfolg garantiert. Doch die Vorgaben des obersten Ge-
ichts sind umzusetzen.
Dass, wie die Bundesregierung vorschlägt, die Rege-
ung auch rückwirkend geltend soll, erscheint nach den
tattgehabten Beratungen als weniger schlüssig. Da das
undesverfassungsgericht für zurückliegende Fälle durch-
us zur Bestätigung von Rücknahmeentscheidungen ge-
ommen ist, scheint es mir rechtsstaatlich sauberer, die
irkung des Gesetzes sich nur ex nunc entfalten zu las-
en.
Eine eigenständige Strafbarkeit für die Erschleichung
er Einbürgerung ist sinnvoll – aber die Strafbewehrung
es Sachverhaltes ist bereits ausreichend gegeben. Zu-
em lässt der Regierungsentwurf die notwendige Präzi-
ion vermissen. Der Verweis auf das Bundesvertriebe-
engesetz ist in diesem Zusammenhang sachlich nicht
achvollziehbar.
Grüne und Linke ergehen sich in ihren Anträgen in
orschlägen, wie die deutsche Staatsangehörigkeit leich-
er erworben werden können soll. Das soll sozusagen
illiger gemacht werden, mit anderen Worten: Die deut-
che Staatsangehörigkeit soll entwertet werden. Beson-
ers die Linke ist ja stets bemüht, den Erwerb der deut-
chen Staatsangehörigkeit möglichst zu verramschen.
Linke und Grüne fordern einträchtig die Abschaffung
es Optionsmodells. Die FDP hat dieses Modell seiner-
eit vorgeschlagen. Aber nicht nur deshalb lehnen wir
iese Vorstöße ab. Vielmehr hat es überhaupt keinen
inn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es noch
einerlei verwertbare Daten gibt.
Wir sollten erst einmal die Wirkung des bestehenden
echts hinreichend lange beobachten, statt ideologisch
n der Gesetzgebung herumzuschrauben. Es ist einfach
innvoll, erst einmal Erfahrungsberichte abzuwarten,
ie sich diese Regelung auswirkt.
Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschen
st es nach Auffassung der Linken nicht zumutbar, sich
ei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit
u entscheiden. Sie halten auch die Mehrstaatigkeit für
innehmbar. Ausgerechnet in Form der Staatsangehörig-
20224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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keit sollen emotionale Bindungen ans Herkunftsland ei-
nes Migranten beibehalten werden können und deshalb
die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich möglich
sein. Diese Stärkung von emotionalen Herkunftsbindungen
durch doppelte Staatsangehörigkeit ist kontraproduktiv.
Es ist bezeichnend, dass die Linke die emotionalen Bin-
dungen an das Zielland konsequent vernachlässigt.
Tatsächlich ist das Umgekehrte notwendig: Migranten
müssen sich der Realität stellen. Integration in die deut-
sche Gesellschaft kann nur gelingen, wenn man sich zu
gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen Staats-
bürger in die deutsche Gesellschaft integriert, dazu steht
und auch emotional daran bindet.
Doppelstaatsangehörigkeit verhindert die Klärung der
eigenen Loyalität und damit Identität, die für eine erfolg-
reiche Integration Voraussetzung ist. Deshalb sind die
Probleme der doppelten Staatsangehörigkeit, außer in
Sonderfällen, zum Beispiel bei Kindern aus binationalen
Ehen, nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Sie behin-
dert die Integration, wenn Migranten mit Doppelstaats-
angehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne gleich-
zeitig politisch und kulturell zwei Nationen angehören.
Migrantenschicksale zeigen oft, dass dies eben nicht
möglich ist: Wer weder ganz hier sein, noch ganz dort
bleiben will, ist nirgendwo als gleichberechtigter Mit-
bürger akzeptiert – ganz unabhängig vom formalrechtli-
chen Status.
Die Staatsangehörigkeit sollte für Migranten genauso
eindeutig entschieden sein wie für geborene Mitbürger.
Es ist schon zu fragen, warum Migranten diesbezüglich
gegenüber den geborenen Deutschen privilegiert werden
sollen. Dass Grüne und Linke diese Frage nicht stellen,
heißt nicht, dass die Menschen in diesem Land sie nicht
stellen. Grüne und vor allem Linke ignorieren vorsätzlich,
dass erfolgreiche Zuwanderungsländer wie die USA sehr
wohl von ihren Neubürgern ein klares und ausschließli-
ches Bekenntnis zu ihrem neuen Staat fordern. Die USA
verlangen beispielsweise in ihrem Einbürgerungseid einen
unmissverständlichen und nachdrücklichen Loyalitäts-
schwur der Neubürger und zugleich eine explizite Ab-
sage an bisherige staatsbürgerschaftliche Loyalitäten.
Nur so kann nach US-Auffassung sowohl dem Neubür-
ger als auch den Alteingesessenen das Gefühl vermittelt
werden, jetzt zur neuen Staatsgesellschaft wirklich dazu-
zugehören.
Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen
der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls
die Akzeptanz von Migranten. Das allerdings wäre kon-
traproduktiv und hilft auf dem Weg zu wirklicher Inte-
gration von Migranten in unsere Gesellschaft nicht wei-
ter.
Die Vorschläge der Linken würden den bisherigen
Grundfehler deutscher Zuwanderungs- und Integrations-
politik verschärfen. Dieser Fehler ist, so zu tun, als gäbe
es keine Anforderungen und keine Werte in der deut-
schen Gesellschaft, die zu bewältigen, zu beherzigen
oder abzuverlangen sind. Die Linken haben die Diskus-
sion der letzten fünf Jahre zum Thema „Toleranz durch
Wegschauen“ verschlafen und wollen blind den Weg for-
cieren, der überhaupt erst in Deutschland, Frankreich,
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en Niederlanden und anderswo die Integrationspro-
leme verursacht hat. Die FDP lehnt solche Anträge ab.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wer sich auf Dauer
n einem Staat niederlässt – zumal wenn sich dieser als
emokratie versteht –, hat Anspruch auf politische und
oziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip auf
wei Arten erfüllt werden: über einen unkomplizierten
ugang zur Staatsbürgerschaft oder über das Wahlrecht
uch für im Land lebende Menschen ohne deutschen
ass.
Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist ge-
au das Gegenteil. Weder schafft sie die Möglichkeit ei-
es entsprechenden Wahlrechts – nicht mal auf kommu-
aler Ebene – noch versucht sie, Einbürgerungen
atsächlich zu ermöglichen. Sie erschwert und verhindert
tattdessen Einbürgerungen.
Die geltende Rechtslage und Einbürgerungspraxis
tellen zu hohe Hürden auf. Zu kritisieren sind unter an-
erem die hohen Einbürgerungsgebühren, zu langwie-
ige Verfahren, da grundsätzlich die vorherige Aufgabe
er bisherigen Staatsangehörigkeit verlangt wird, und
er Ausschluss von Personen, die Sozialleistungen in
nspruch nehmen.
Für Die Linke ist es demokratiepolitisch bedenklich,
enn die Einbürgerung von der sozialen Integration von
igrantinnen und Migranten abhängig gemacht wird. Es
st für uns ein demokratiepolitisches Problem, wenn
enschen der Zugang zur Staatbürgerschaft ihres Wohn-
andes erschwert wird bzw. weitgehend verschlossen
leibt.
Genau dies ist in der Bundesrepublik aber der Fall,
ie die rückläufigen Einbürgerungszahlen zeigen. So
urde im Jahr 2000 mit 186 688 Einbürgerungen zwar
in Höchststand erreicht, doch lässt sich dieser im We-
entlichen mit Sonderfaktoren der damaligen Gesetzes-
nderung erklären. Seitdem sank die Zahl der jährlichen
inbürgerungen kontinuierlich auf bis zu 127 153 im
ahr 2004 und nur noch 113 030 im Jahr 2007 ab. Der
ückgang von 2000 bis 2007 beträgt zwischen 32 und
0 Prozent.
Im europäischen Vergleich schneidet die Bundesrepu-
lik Deutschland ohnehin schlecht ab. Auch die sehr
iedrige Einbürgerungsquote ist ein absolutes Desaster.
on den Menschen ohne deutschen Pass haben sich ge-
ade mal 1,56 Prozent im Jahr 2007 einbürgern lassen.
Doch daran will die Bundesregierung nichts ändern.
it dem vorliegenden Gesetzentwurf schafft es die Bun-
esregierung gerade mal, auf Urteile des Bundesverfas-
ungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zu
eagieren. Darin wurde die Bundesregierung aufgefor-
ert, eine klare spezialgesetzliche Regelung zur Rück-
ahme der Staatsangehörigkeit zu erlassen. Doch die
undesregierung belässt es nicht einfach dabei, die
ücknahme bzw. den Entzug der Staatsangehörigkeit zu
egeln. Nein, wie so oft im Ausländerrecht wird eine
oppelbestrafung eingeführt. Damit diese Regelung
icht auch nur ansatzweise einen positiven Beige-
chmack erhält, wird noch zusätzlich eine Strafvorschrift
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20225
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eingeführt. Für unrichtige oder unvollständige Angaben
zur Erschleichung der Staatsangehörigkeit soll eine Frei-
heitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden kön-
nen. So sieht das Rechtsstaatsverständnis der Bundesre-
gierung und insbesondere der CDU/CSU aus.
Das ist nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern
sichert den Drang der Bundesregierung nach sozialer Se-
lektion zusätzlich ab. Denn unrichtige Angaben werden
vermutlich am ehesten noch zu den Fragen der Lebens-
unterhaltssicherung gemacht. Da spielt es dann keine
Rolle, ob lediglich ein Anspruch auf Sozialleistungen
bestand, der aber nicht angegeben wurde, da dieser nicht
wahrgenommen wird. Wir lehnen nicht nur die Strafvor-
schrift ab. Die Linke lehnt auch das Erfordernis der Le-
bensunterhaltssicherung ab. Die Staatszugehörigkeit und
politische Gleichberechtigung dürfen nicht vom Ein-
kommen abhängig sein.
Genauso wenig dürfen in einem Land geborene Kin-
der ungleich behandelt werden. Für uns ist das eine
Frage der Gerechtigkeit. Für alle Kinder müssen die
gleichen Grundvoraussetzungen für ihre Entwicklung
geschaffen werden. Dies kann nur über die automatische
Einbürgerung bei Geburt im Inland geschehen. Diese bei
Volljährigkeit der Kinder dann wieder infrage zu stellen
und sie zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit oder
der ihrer Eltern entscheiden zu lassen, ist absurd. Dieser
Entscheidungszwang wird der Lebenssituation der mit
mehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungen
Erwachsenen nicht gerecht.
Herr Wolff von der FDP hat der Linken in seiner Rede
zur ersten Lesung unseres Antrags zur Optionspflicht
– siehe Plenarprotokoll 16/183 auf Seite 19573 – vorge-
worfen, wir wollten durch die Abschaffung der Options-
pflicht den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit so
billig wie möglich machen und wir würden damit ideolo-
gisch an der Gesetzgebung herumschrauben. Doch ha-
ben wir nichts anderes gefordert als der Sachverständige
der FDP in der Anhörung zum Staatsangehörigkeits-
recht. Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann hat sich – wie übri-
gens auch alle anderen Sachverständigen – eindeutig
gegen die Optionspflicht ausgesprochen. Dies ist nach-
zulesen in seiner Stellungnahme Ausschussdrucksache
16(4)311 C. In dieser plädiert er dann auch entsprechend
für eine ersatzlose Abschaffung.
Viel Schaumschlägerei veranstaltet ja auch die SPD
immer wieder gerne; so auch bezogen auf die Forderung
nach der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit.
Herr Wiefelspütz hat Initiativen der SPD zur Ermögli-
chung der doppelten Staatsangehörigkeit im Deutschen
Bundestag bereits am 26. Mai 1993 angekündigt; nach-
zulesen im Plenarprotokoll 12/160 auf Seite 13575. Da-
mals noch, um die Zustimmung der SPD zum sogenann-
ten Asylkompromiss zu rechtfertigen. Sein Kollege
Rudolf Körper tat selbiges in der Debatte vom 14. Juni
2007 zur Rechtfertigung der Zustimmung der SPD zum
Richtlinienumsetzungsgesetz – Plenarprotokoll 16/103,
Seite 10591. Herr Bürsch von der SPD-Fraktion hat
seine Rede in der Plenarsitzung vom 16. Oktober 2008
mit dem Satz beendet: „Daher wird die SPD über das
hier zu beschließende Gesetz hinaus weiter für die Ab-
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chaffung des Optionsmodells und die generelle Mög-
ichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eintreten.“ Es
leibt bei der SPD dabei: Seit 15 Jahren – davon übri-
ens zehn Jahre an der Regierung – nur Gerede. Ver-
chärfungen der Gesetzeslage werden unterstützt und
it der CDU/CSU durch das Parlament getrieben, und
enn es mal um Verbesserungen für Migrantinnen und
igranten geht, kommt nur heiße Luft.
Mit unserem Antrag „Einbürgerung erleichtern – Aus-
renzungen ausschließen“ soll die Einbürgerung bundes-
eit erleichtert und hierdurch das Signal an die in
eutschland lebende Bevölkerung vermittelt werden,
ass Menschen mit Migrationshintergrund als gleichbe-
echtigter Teil dieser Gesellschaft angesehen werden.
inbürgerungen sollen nach fünfjährigem tatsächlichen
ebensmittelpunkt in der Bundesrepublik möglich sein.
azu sind nach unserer Auffassung mündliche Sprach-
enntnisse ausreichend. Wir wollen die Staatsangehörig-
eit per Geburt – ius soli – und die grundsätzliche
rmöglichung der Mehrfachstaatsangehörigkeit. Außer-
em müssen Einbürgerungen unabhängig vom Einkom-
en sein. Das bedeutet auch, dass die Einbürgerungsge-
ühren radikal gesenkt werden müssen.
Leider will eine Mehrheit in diesem Parlament keine
rleichterte Einbürgerung und vereinfachte Einbürge-
ungsverfahren.
Nun, das sagt einiges über dass Demokratieverständ-
is der Parlamentsmehrheit aus.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Die Einbürgerungszahlen in Deutschland liegen
ach drei schwarz-roten Jahren im Keller. Im Jahr 2007
ind sie nochmals um 9,5 Prozent zurückgegangen und
iegen nunmehr auf dem Niveau von vor 1991. Und die
roße Koalition? Ihnen fällt außer warmen Worten und
iner reichlich schlichten Werbekampagne anscheinend
ar nichts ein, wie Sie diesen negativen Trend umkehren
önnten. Im Gegenteil: Sie haben das Thema Einbürge-
ung komplett aus dem Nationalen Integrationsplan aus-
eklammert; Sie haben die Einbürgerungsmöglichkeiten
ür junge Migrantinnen und Migranten verschärft; Sie
aben einen absurd unintelligenten Einbürgerungstest
ingeführt, der – im deutlichen Unterschied zu der Will-
ommenskultur der USA – Ausdruck kleinkarierten
isstrauens und des Willens zur Abschreckung gegen-
ber einbürgerungswilligen Personen ist; schließlich hal-
en Sie – entgegen des Rats von sieben der acht Sachver-
tändigen in der diesbezüglichen Innenausschussanhö-
ung – an dem unsäglichen Optionszwang fest.
Wir Grünen stellen heute unseren Gesetzentwurf zur
iberalisierung des deutschen Staatsangehörigkeits-
echts zur Abstimmung. Wir schlagen darin unter ande-
em vor, die Fristen für eine Anspruchseinbürgerung von
cht auf sechs Jahre zu verkürzen; die Einbürgerung von
igrantinnen und Migranten der ersten Zuwandererge-
eration zum Beispiel beim Nachweis von Deutsch-
enntnissen zu erleichtern; Mehrstaatigkeit nicht nur bei
nionsbürgern und Schweizern, sondern auch bei Ange-
örigen besonders eng assoziierter Staaten wie der Tür-
ei hinzunehmen; schließlich das sogenannte Options-
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modell auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte zu
entsorgen, wo es dringend hingehört.
Diese Vorschläge entsprechen dem Grünen Integra-
tionskonzept aus dem Jahr 2006, das den programmati-
schen Titel „Perspektive Staatsbürgerschaft“ trägt. Un-
sere Gesellschaft sollte es sich zur ureigensten Aufgabe
machen, alles zu tun, damit unsere künftigen Staatsbür-
gerinnen und Staatsbürger so bald wie möglich die Vo-
raussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen.
Wir werden uns bei dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung der Stimme enthalten. Im Grunde werden hier
die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rück-
nahme einer Einbürgerung bei arglistiger Täuschung
weitgehend umgesetzt. Wir Grünen hatten in unserem
oben genannten Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass eine
solche Rücknahme nur innerhalb eines Zeitraums von
fünf Jahren nach der Einbürgerung bzw. nicht rückwir-
kend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft vorge-
nommen werden dürfte.
Wir kritisieren, dass die Bundesregierung vom Votum
des Bundesrates nur einen restriktiven Punkt, nämlich
die Einführung einer neuen Strafvorschrift, übernommen
hat und nicht dessen – ja ohnehin äußerst seltenen – Vor-
schläge zur Liberalisierung staatsangehörigkeitsrechtli-
cher Vorschriften aufgegriffen hat. Wir Grünen halten
zum Beispiel – im Einklang mit dem Europäischen Über-
einkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. Novem-
ber 1997, auf das das Bundesverfassungsgerichtsurteil
2 BvR 96/04 in RZ 25 ja auch Bezug nimmt – eine Al-
tersgrenze für die Kinder der bzw. desjenigen, der bzw.
dem der deutsche Pass wieder entzogen werden soll, von
18 Jahren für rechtlich möglich und angemessen. Aber
mit Vorschlägen zur Liberalisierung und Humanisierung
des Staatsangehörigkeitsrechts ist diese Koalition allen
Sonntagsreden zum Trotz offenkundig überfordert.
Aber Schlafmützigkeit ist augenscheinlich kein Privi-
leg der Regierungskoalition. Die FDP hat zum Beispiel
gestern im Innenausschuss vorgeschlagen, im Hinblick
auf das sogenannte Optionsmodell erst einmal eine lang-
wierige Evaluierung durchzuführen, ganz nach dem
Motto: Wer nicht mehr weiter weiß, der gründet einen
Arbeitskreis. Ein solcher Vorschlag ist aus meiner Sicht
reine Zeitverschwendung und geht einseitig zulasten
derjenigen Heranwachsenden, die schon heute gezwun-
gen sind, sich zwischen der Staatsangehörigkeit ihrer El-
tern und derjenigen des Landes zu entscheiden, in dem
sie leben und aufgewachsen sind.
Anlage 23
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Düngegesetzes
(Tagesordnungspunkt 46)
Johannes Röring (CDU/CSU): Mit dem heute zu
verabschiedenden Düngegesetz soll das Düngemittel-
gesetz von 1977 ersetzt werden. Dies derzeit geltende
Düngemittelgesetz hat die Aufgabe, die grundsätzlichen
Anforderungen an die Zusammensetzung, die Kenn-
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eichnung und die Anwendung von Düngemitteln zu re-
eln, um die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln,
flanzlichen Rohstoffen sowie den Schutz der Anwender
on Düngemitteln und der Gesundheit von Verbrauchern
owie von Tieren und des Naturhaushalts sicherzustellen.
och zeigt die aktuelle Praxis, dass es den Anforderun-
en, die an ein modernes Gesetz gestellt werden müssen,
icht mehr entspricht und aktuellen Entwicklungen nicht
erecht wird. Denn es hat sich gezeigt, dass neben den
isherigen Regelungen zu Düngemitteln verstärkt auch
spekte der Anwendung in der Praxis in das Gesetz auf-
enommen werden sollten. Aus diesem Grund ist ein
auptaspekt des Gesetzes, dass es die Flexibilisierung
er Zulassung von Düngemitteln, um teilweise lange
artezeiten und damit einhergehende Rechtsunsicherheit
ei der Aufbringung neuer Düngemittel zu vermeiden,
rmöglicht.
Des Weiteren war und ist das Gesetz die Grundlage
ür verschiedene Verordnungen, beispielhaft zu nennen
ind hier die Düngeverordnung und die Düngemittelver-
rdnung, die ja auch erst vor kurzem novelliert wurde.
Diese gesetzgeberischen Aktivitäten zeigen, welche
otwendigkeit aktuell besteht, sich verstärkt mit der Be-
eutung des Düngens von Nutzpflanzen im Rahmen der
flanzenproduktion der Land- und Forstwirtschaft in
eutschland, aber auch im globalen Maßstab zu be-
chäftigen.
Wir wissen alle, dass eine gezielte und auf den Nähr-
toffbedarf ausgerichtete Pflanzenernährung und Dün-
ung unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen und
ukunftsorientierten Landwirtschaft ist. Die ziel- und
weckgerichtete Düngung der Nutzpflanzen ist dabei
ine der entscheidenden Komponenten, denn nur mit
hrem Einsatz kann der steigende Bedarf an qualitativ
ochwertigen Nahrungsmitteln auch in Zukunft gedeckt
erden und können die Erträge der Kulturpflanzen auf
ohem Niveau stabilisiert werden.
Wir sind uns auch bewusst, dass eine langfristig tragfä-
ige Landwirtschaft neben der ökonomischen Entwick-
ng, der Forderung nach ausreichender Versorgung mit
ahrungsmitteln sowie ihren sozialen Aspekten auch die
elange des Umweltschutzes berücksichtigen muss. Wir
rauchen daher Rahmenbedingungen, die eine hohe
ährstoffeffizienz ermöglichen. Die Nährstoffe können
adurch besonders gezielt eingesetzt werden. Denn auf
iese Weise können wir die gezielte Nährstoffversor-
ung von Pflanzen mit den Forderungen des Umwelt-
chutzes bestmöglich kombinieren.
Im Rahmen dieser Debatte muss aber auch die Effizienz
ine besondere Rolle spielen, denn das Thema der Nähr-
toffversorgung von Pflanzen hat nicht nur eine natio-
ale, sondern eine mehr als globale Dimension.
Im Jahr 2030 werden rund 8 Milliarden Menschen auf
er Erde leben, also bis zu 40 Prozent mehr als heute.
urch eine Verschiebung der Essgewohnheiten in vielen
eilen der Welt, durch verringerte Niederschlagsmengen
n Verbindung mit einem weltweiten Temperaturanstieg
st des Weiteren von verstärkter Wasserknappheit auszu-
ehen, die unmittelbar zum Verknappen von Flächen
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und zu absinkender Produktivität führt. Demzufolge
wird die Versorgungsproblematik noch größer, da wir
auch erkennen müssen, dass das weltweit verfügbare
Ackerland wenig bis gar nicht ausgedehnt werden kann.
Wir leben also in einer Welt, in der sich das Bevölke-
rungswachstum in besorgniserregender Weise erhöht,
wir folglich auf den vorhandenen Flächen mehr an-
bauen, mehr Erträge erreichen müssen, um immer mehr
Menschen satt machen zu können.
Dazu ist es notwendig, eine hoch ertragreiche Land-
wirtschaft zu fördern, die besonders auch in Deutschland
und Europa, mit den vielen sehr fruchtbaren Böden, ei-
nen hohen Grad an Eigenversorgung sicherstellt, aber
auch als Möglichkeit dient, den Weltmarkt zu beliefern,
und die Anschauungsobjekt für zukunftsfähige Land-
wirtschaft auch in anderen Teilen der Welt ist.
Abschließend möchte ich noch einmal konkret auf das
zu beschließende Düngegesetz Bezug nehmen und zusam-
menfassen, dass die Ablösung des Düngemittelgesetzes
durch das Düngegesetz die Grundlage für regionalspezifi-
sche Vorgaben für die Düngung, die Flexibilisierung der
Düngemittelzulassung, verbesserte Kontrollmöglichkeiten
und eine klarere Kennzeichnung von Düngemitteln schafft.
Dadurch schaffen wir Rahmenbedingungen, die eine ge-
zielte und auf den Nährstoffbedarf ausgerichtete Pflanzen-
ernährung und Düngung in Deutschland sicherstellen.
Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in ab-
schließender Lesung ein neues Gesetz. Das Düngegesetz
wird das aus dem Jahr 1977 stammende und heute in
verschiedenen Punkten nicht mehr zeitgemäße Dünge-
mittelgesetz ablösen. Mit einem neuen Gesetz machen
wir bereits durch den Namen deutlich, dass wir neben
den Regelungen für die Zusammensetzung von Dünge-
mitteln, deren Kennzeichnung und Inverkehrbringen
einen stärkeren Akzent auch auf die Anwendung und
Ausbringung setzen. So schaffen wir ein straffes, umfas-
sendes und zugleich modernes, an die Bedürfnisse des
Marktes und des Bodenschutzes angepasstes Gesetz.
Wer sich das Gesetz anschaut, wird unschwer erken-
nen, dass ein Großteil der Absätze mit dem Satz beginnt:
„Das Bundesministerium wird ermächtigt …“ Das ist ei-
nerseits notwendig; denn es stellt sicher, dass wir schnel-
ler auf Veränderungen reagieren können als zuvor. Es ist
jedoch andererseits auch ein erheblicher Vertrauensvor-
schuss, den wir der Bundesregierung mit diesem Gesetz
geben. Ich bin davon überzeugt, dass sie dem gerecht
wird und auch zukünftig die Interessen des Ressourcen-
schutzes wie auch die der Anbieter und Anwender von
Düngemitteln vertritt.
Boden, Wasser und Luft gehören zu unseren wichtigs-
ten Ressourcen. Sie sind Grundlage für die Zukunft un-
serer Ernährungssicherheit, und ihre Unversehrtheit
muss auch für alle zukünftigen Generationen gewähr-
leistet werden. Daher bedarf es unser aller Aufmerksam-
keit, die Fruchtbarkeit unserer Böden langfristig zu si-
chern und, wenn möglich, zu verbessern. Dabei ist der
Boden nicht als bloßes Nährmedium zu betrachten, son-
dern als hochkomplexes System und als Lebensraum für
unzählige Lebensformen, die nur in ihrer Gesamtheit
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ine gesunde und funktionierende Einheit darstellen.
ine Vernachlässigung führt schnell zu kaum reversiblen
chäden durch Wasser- oder Winderosion, Verdichtun-
en oder Verschlämmungen mangels organischer Sub-
tanz oder Umsetzung durch Klein- oder Kleinstlebewe-
en. Die Funktionsfähigkeit des Bodens lässt sich nicht
uf die Bereitstellung von Nährstoffen reduzieren; sie
mfasst sämtliche Bereiche der Bodenfruchtbarkeit. Da-
er begrüße ich klare und auch strenge Vorgaben für die
nwendung und auch verbesserte Kontrollmöglichkei-
en für die Behörden der Länder.
Organische Substanz und der Humusgehalt eines Bo-
ens sind sein Aushängeschild. Sie geben Auskunft
icht nur über Standort und Klima, Bewuchs und Nähr-
toffaustauschvermögen, sondern auch über seine Be-
irtschaftung und Lebendigkeit. Wir brauchen leben-
ige Böden, um auch langfristig die Fruchtbarkeit zu
ichern. Nicht zuletzt stellen unsere Böden wichtige
enken für Kohlenstoff dar. Ein Hektar Ackerkrume mit
inem Humusgehalt von 2 Prozent beinhaltet allein in
en oberen 10 Zentimetern etwa 17 Tonnen Kohlenstoff.
mgerechnet wären dies über 60 Tonnen Kohlendioxid
ro Hektar. Grünland hat einen durchschnittlichen Hu-
usgehalt von 6,5 Prozent. Rechnen Sie sich das hoch
uf 17 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche,
nd Sie werden den Stellenwert des Humusgehaltes in
nseren Böden auch in unseren Bemühungen zur Treib-
ausgasreduktion unschwer erkennen! Die Wertigkeit
nserer Böden ist eine wichtige Stellschraube, die unse-
er Aufmerksamkeit bedarf.
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Die Versorgung
er Nutzpflanzen mit Pflanzennährstoffen ist eine we-
entliche Grundlage für eine nachhaltige Pflanzenpro-
uktion. Nur mit einer ausgewogenen Nährstoffzufuhr
önnen das Ertragspotenzial der Pflanzen genutzt und
ie Bodenfruchtbarkeit erhalten werden, und das wie-
erum ist die Voraussetzung für die Versorgung der
enschen mit preiswerten und qualitativ hochwertigen
ebensmitteln. Gleichzeitig können unsachgemäße An-
endung und ungeeignete Zusammensetzungen von
üngemitteln mögliche Gefahren für Gesundheit und
mwelt bergen. Hier gilt es, bestimmte Anforderungen
n Herstellung, Inverkehrbringen und Anwendung zu
tellen.
Von daher ist es richtig, ein neues, modernisiertes Ge-
etz zu verabschieden, das die Grundlagen der Anwen-
ung, des Inverkehrbringens, des Verbringens und der
ennzeichnung von Düngemitteln regelt. Es ist damit
on zentraler Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft
nd die Düngemittelindustrie.
Hingegen ist es aus Sicht der FDP nicht richtig, durch
iverse Doppelregelungen zusätzliche Bürokratie für die
ittelständische Landwirtschaft zu schaffen. Überregu-
ierungen sind nicht zielführend, nicht praxis- und nicht
mweltgerecht. Ein Düngegesetz darf niemals Details
egeln wollen. Hier wird es scheitern.
Jede Fläche am jeweiligen Standort – mit der spezifi-
chen Bodenart, dem Bodentyp, der Nährstoffversorgung,
er Bodenbearbeitung, der Fruchtfolge, den Witterungs-
20228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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und Anbauverhältnissen und Betriebsausrichtungen –
hat spezielle Ansprüche an die Düngung. Deshalb ist ein
zu eng gefasstes Gesetz ein schlechtes Gesetz.
Stattdessen kommt dem Grundsatz der guten fachli-
chen Praxis eine entscheidende Rolle in der Landwirt-
schaft zu. Die gute fachliche Praxis wird der Produktion
– dem Pflanzenbau, dem Boden, dem Wasser, dem Kli-
maschutz, der Umwelt – immer gerechter als die Einhal-
tung starrer theoretischer Vorschriften. Zudem ist sie im-
mer von Nachhaltigkeit geprägt.
Von daher lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den vor-
liegenden Entwurf ab. Die Landwirte brauchen weniger
und nicht mehr Bürokratie.
Lassen Sie mich meine Kritik an zwei Beispielen ver-
deutlichen:
§ 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs als Ermächti-
gung zum Erlass einer Verordnung zum Verbringen von
Düngemitteln ist überflüssig, da seine Inhalte auch in § 5
– Inverkehrbringen – mit geregelt werden können. Da-
mit hätte man eine schlankere Regelung, die weniger
praxisfern wäre und statt zu Bürokratieaufbau auch zu
Bürokratieabbau führte. Beispielhaft möchte ich das
Verbringen von Gülle vom väterlichen Milchviehbetrieb
zum Ackerbaubetrieb des Sohnes anführen. Reichen hier
die Kriterien für das Inverkehrbringen nicht aus?
Ebenso bürokratisch ist die vorgesehene Schaffung
eines schlagspezifischen Düngekatasters. Die Aufzeich-
nungspflichten sind auch jetzt schon umfassend geregelt.
Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsan-
trag von Bündnis 90/Die Grünen zu dem Düngegesetz-
entwurf. Dieser wird den Anforderungen an die Praxis
nicht gerecht, denn er macht die Düngegesetzgebung an
einem einzigen Bodenbestandteil – dem Humus – fest.
Das wird allerdings den vielfältigen natürlichen Boden-
verhältnissen nicht gerecht. Ein Sandboden zum Beispiel
wird niemals ein Humusboden, ein Ackerboden ist beim
Humusgehalt niemals vergleichbar mit einem Dauer-
grünlandboden. Es gibt unzählige Varianten von Böden
– vergleichbar mit Individuen. Deshalb mein Fazit: Die-
ser Vielzahl natürlicher Verhältnisse gerecht zu werden,
geht am sinnvollsten über die gute fachliche Praxis.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Neufas-
sung des Düngegesetzes ist überfällig, auch die Linke
stimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und
den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu, die sich
im Änderungsantrag der Koalition wiederfinden.
Die Düngung gehört neben Sortenwahl und Pflan-
zenschutz zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Pro-
duktionsmitteln im Ackerbau. Sie bringt für Erträge,
Ertragssicherheit und Qualität im Anbau von Kultur-
pflanzen die größten Effekte. Allerdings ist bei ihrer
Verwendung durchaus Augenmaß geboten.
Der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmit-
teln hat eine herausragende Bedeutung beim Kampf um
die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung. Die Grund-
lage bildet zunächst der Zugang zum Bodeneigentum.
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eshalb unterstützt Die Linke ausdrücklich die Forderung
es Weltagrarrates nach Landreformen. Aber Boden-
igentum allein sichert keine Existenz. In vielen Regio-
en der Erde sind es ausgerechnet die Bäuerinnen und
auern, die chronisch Hunger leiden. Fehlende Infra-
truktur, fehlende finanzielle Mittel, zum Beispiel für
otwendigen Dünger und Pflanzenschutzmittel, man-
elnde Ausbildung oder Kriege, die die Landwirtschaft
erstören, tragen zu mangelnder Versorgung bei.
Um 80 Millionen Menschen wächst die Bevölkerung
ro Jahr, dazu kommt steigendes Einkommen für viele
enschen in den Schwellenländern. Beide Faktoren füh-
en zu steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln und
amit zu weltweit steigender Nahrungsmittelproduktion.
ie größten produktionstechnisch zu erschließenden Re-
erven zur Steigerung der Weltnahrungsmittelproduktion
iegen dabei nicht in den deutschen und (west-)europäi-
chen Agrarregionen, sondern in vielen osteuropäischen,
siatischen, südamerikanischen und afrikanischen Re-
ionen. Die Mobilisierung dieser Reserven durch eine
erechte Verteilung des Zugangs zu den nötigen Res-
ourcen ist also der Schlüssel zur Erfüllung des Millen-
iumsziels der Halbierung der Hungernden bis 2015.
Der Bedarf nach weltweit wachsender Nahrungsmittel-
roduktion führt also auch zu steigendem Düngebedarf
erade in vielen nichteuropäischen Ländern. Angesichts
er aber zum Teil begrenzten Reserven der dafür not-
endigen Rohstoffe, zum Beispiel Phosphat, bedeutet
as, den in Deutschland und Europa eingesetzten Dünger
ffizient und umweltschonend wie rohstoffsparend ein-
usetzen. Mal davon abgesehen, dass auch aus ökologi-
chen Gründen im eigenen Land ein sinnvoller Umgang
it Düngung selbstverständlich sein sollte, schon allein
us Kostengründen im betriebswirtschaftlichen Sinn.
Im Düngegesetz wird das zum einen durch die stär-
ere Berücksichtigung von Wirtschaftsdüngern erreicht
nd zum Zweiten durch die einfacheren Verfahren, neue
üngemittel und Düngeverfahren in die landwirtschaft-
iche Praxis zu bringen. In den vergangenen Jahrzehnten
aren die Industrieländer Vorreiter in der Entwicklung
andwirtschaftlicher Verfahrenstechnik, und diese Rolle
st gerade in Bezug auf die Effizienz und Umweltver-
räglichkeit der Düngung von existenzieller Bedeutung.
ktuelle technische Entwicklungen, wie sie im Präzisions-
ckerbau schon angelegt sind, zeigen die Möglichkeiten
mwelt- und ressourcenschonender Fortschritte.
Deutschland und Europa haben nach Ansicht der Lin-
en nach wie vor die Verantwortung, aber auch die
otenziale zur Entwicklung innovativer und nachhaltiger
erfahren. Die Ressourcen dazu sind vorhanden, sie
üssen verantwortlich genutzt werden. In Bezug auf die
ntwicklung der Agrarwissenschaften gibt es dabei An-
ass zu Sorge. Der Stellenabbau in der Ressortforschung
nd in den universitären und außeruniversitären Einrich-
ungen geht weiter, die finanzielle und materielle Aus-
tattung der Agrarwissenschaften wird im Vergleich zur
üngeren Vergangenheit dürftiger. Wenn Wissenschaft
ur noch in Exzellenz-Dimensionen gedacht wird, hat
ngewandte Forschung keine Chance auf Anerkennung.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20229
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Trotzdem oder gerade deshalb gilt es, jetzt nicht noch
mehr Grundlagen für eine leistungsfähige Agrarwissen-
schaft in Deutschland zu zerstören, sondern die Krise der
Agrarwissenschaften, die der Wissenschaftsrat attestiert
hat, zu beenden. Die Bedeutung unserer Rolle als reiche
Industrie- und Dienstleistungsnation muss ernst genom-
men werden, um Ressourcen für die Agrarforschung im
Dienst weltweit notwendiger Fortschritte aufbringen zu
können.
Im Entschließungsantrag der Grünen findet sich ins-
besondere eine Kritik an einer zu geringen Berücksichti-
gung des Humus im Düngegesetz. Humus ist natürlich
ein wichtiger Faktor der Bodenfruchtbarkeit. Für den
Humuserhalt im Acker zu sorgen, ist per se ein Interesse
des Pflanzenbauers. Dabei kann man allerdings auch
über das Ziel hinausschießen: Allein die Höhe des Ge-
halts an organischer Substanz im Boden sagt noch nichts
über die Humusqualität und Nachhaltigkeit des Acker-
baus aus. Gerade in den sehr viehintensiven Regionen
im Nordwesten und Westen Deutschlands ist in den ver-
gangenen Jahrzehnten der Humusgehalt gestiegen, was
im Prinzip ja positiv ist. Bei dieser Debatte bleibt aller-
dings unberücksichtigt, dass dieser Effekt nur aufgrund
des gewaltigen Futterimports aus aller Welt und des da-
mit sehr hohen Düngeniveaus organischer Wirtschafts-
dünger wie Gülle oder Hühnertrockenkot möglich war.
Aus Sicht des Humusgehaltes in den Böden mag das po-
sitiv sein, nachhaltig ist es nicht.
Noch immer liegt in der Gesamtbilanz Deutschlands ein
durchschnittlicher Stickstoffüberschuss von über 70 kg N
pro ha und Jahr vor. Das ist ein Wert, der nicht aus der
„mineralischen“ Düngung des reinen Ackerbaubetriebs
stammt, sondern mit der hohen Nährstoffsättigung an
viehreichen Standorten zusammenhängt. Die Forderung der
Grünen, „Maßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserung
des Humusgehalts“ in das Düngegesetz aufzunehmen,
schießt daher über das Ziel hinaus und lässt die vielen und
wichtigen anderen Kennwerte der Bodenfruchtbarkeit un-
berücksichtigt. Die Linke wird daher dem Entschlie-
ßungsantrag der Grünen nicht zustimmen.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
Sachsen enthalten laut Sächsischer Landesanstalt für
Landwirtschaft etwa 40 Prozent der Ackerböden zu we-
nig Phosphor und Humus. Selbst wenn die Lage in ande-
ren Bundesländern besser sein sollte, so zeigt diese Zahl
doch eins: Es kann keine Rede davon sein, dass die
Landwirtschaft bereits heute flächendeckend für eine
ausreichende Humusreproduktion auf Deutschlands
Äckern sorgt. Da hilft auch das ganze Gerede nichts,
dass die Landwirte schon aus Eigeninteresse für eine
ausreichende Humuszufuhr zum Boden sorgen würden.
Die Praxis sieht anders aus – und eigentlich weiß es auch
jeder.
Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Auf-
rechterhaltung und Herstellung eines standort- und nut-
zungstypischen Humusgehaltes bereits hinreichend in der
guten fachlichen Praxis und in Cross-Compliance geregelt
sei, wie es Vertreter des Bauernverbandes und der Union
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mer wieder betonen. Laut Cross-Compliance ist eine
umusbilanzierung nicht erforderlich, wenn ein Anbau-
erhältnis von drei Kulturen mit mindestens 15 Prozent
er Bedeckung der Ackerfläche eingehalten wird. Das
ekommen Sie mit drei humuszehrenden Kulturen wie
ais, Raps und Kartoffeln locker hin, obwohl sie den
umusgehalt dabei ruinieren können. Selbst wenn Sie
ur noch Mais anbauen, dann sind die Maßnahmen, die
emäß Cross-Compliance nach Anwendung der Humus-
ilanzierung zu ergreifen sind, eher schwach. Auch die
orschrift des Bodenschutzgesetzes in § 17, „den stand-
rttypischen Humusgehalt des Bodens insbesondere
urch eine ausreichende Zufuhr an organischer Substanz
u erhalten“, spielt in der Praxis wohl kaum eine Rolle,
a das Bodenschutzrecht zur Art der Umsetzung nir-
endwo eine nähere Aussage macht. Von Kontrollierbar-
eit und von Kontrolle kann so keine Rede sein.
Eine größere Bedeutung für die landwirtschaftliche
raxis als das Bodenschutzgesetz hat sicherlich das Dün-
erecht. Deswegen war es Bündnis 90/Die Grünen ein
entrales Anliegen, bisher humusfreie Düngemittel mit
rganischer Substanz anzureichern. Es ist ein Versäum-
is des Düngerechts, dass bisher weder der Humusgehalt
er Böden noch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder
iederherstellung eines standort- und nutzungstypi-
chen Humusgehaltes dort eine Rolle spielen. Dabei ist
s Zweck des Gesetzes, die Bodenfruchtbarkeit zu erhal-
en und zu verbessern. Die Humusversorgung der Böden
at anerkanntermaßen einen erheblichen Einfluss auf die
odenfruchtbarkeit. Wie kann man im Düngemittelrecht
ie Düngung dann auf die Mineralstoffzufuhr reduzieren?
nd warum regelt das Düngerecht die Mineralstoffzufuhr
is ins kleinste Detail, während die ebenso wichtige Hu-
usreproduktion völlig den Landwirten überlassen
leibt?
Aus diesem Grund sind wir Grüne froh, dass sich die
roße Koalition immerhin dazu durchringen konnte, den
rhalt und die nachhaltige Verbesserung des standort-
nd nutzungstypischen Humusgehaltes in den Gesetzes-
ext aufzunehmen. Auch ist es ein Fortschritt, dass es zu-
ünftig zulässig sein soll, Düngemittel in Verkehr zu
ringen, die den standort- und nutzungstypischen Hu-
usgehalt erhalten oder nachhaltig verbessern. Damit
ird Schluss damit sein, dass organische Substanz nur
ugeführt werden darf, wenn sie gleichzeitig auch einen
eitrag zur Mineralstoffversorgung leistet.
Aber dies kann nur der erste Schritt sein. Es ist nötig,
ie Berücksichtigung des Humusgehaltes auch in den
eiteren Vorgaben des Düngerechts durchzubuchstabie-
en. Dies betrifft etwa die Kennzeichnungsvorgaben und
ie Überwachung. Wichtiger noch sind aber Verord-
ungsermächtigungen bzw. die Einarbeitung in die Dün-
everordnung und die Düngemittelverordnung; denn vor
llem diese sind in der Praxis relevant. Hier muss die
undesregierung noch nacharbeiten.
Um geeignete Maßnahmen zur Sicherung einer opti-
alen Humusversorgung der Böden festlegen zu kön-
en, wäre aus unserer Sicht die Humusbilanzierung ge-
äß VDLUFA-Standpunkt vorzugeben. Dies würde
20230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
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jedem Landwirt vor Augen führen, ob er tatsächlich ge-
nug für die Humusreproduktion tut. Der Gewinn würde
den Aufwand für einen großen Teil der Betriebe sicher
überwiegen, auch wenn es im übrigen Bundesgebiet
nicht annähernd so viele humusunterversorgte Böden ge-
ben sollte wie in Sachsen.
Der vorliegende Gesetzesentwurf reicht auch aus
wasserpolitischer Sicht nicht aus. Die Gewässerbelas-
tung mit Nitraten stammt zu einem großen Teil aus der
Landwirtschaft. Sie ist eine der Hauptursachen dafür,
dass die Bundesrepublik die Ziele zum Erhalt der Biodi-
versität sowie die Qualitätsanforderungen der Wasser-
Rahmenrichtlinie und auch des Meeresschutzes voraus-
sichtlich nicht erreichen wird. Die Verminderung der
Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft muss des-
halb vom Düngerecht stärker forciert werden. Dass die
Verminderung der Stickstoffüberschüsse eine Gratwan-
derung ist, wenn man weiter hohe Erträge ermöglichen
will, ist uns Bündnisgrünen bewusst. Aber gerade dies
macht die Größe der Herausforderung an das Dünge-
recht deutlich. Denn es ist durchaus möglich, die Effi-
zienz der Stickstoffdüngung zu erhöhen, ohne die Er-
träge erheblich zu vermindern.
Nachdem ich nun gesagt habe, was uns am vorliegen-
den Gesetzentwurf noch fehlt, möchte ich doch noch
einmal festhalten, dass das neue Düngegesetz im Ver-
gleich zum bisherigen Düngemittelgesetz an vielen Stel-
len durchaus in die richtige Richtung geht und Fort-
schritte bringt. Begrüßenswert ist unter anderem, dass er
für die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern strengere
Regeln schafft. Dennoch hätten wir, was die Humusre-
produktion und die Stickstoffüberschüsse betrifft, noch
deutlichere Fortschritte erwartet. Deswegen werden wir
uns in der Abstimmung zum Gesetzentwurf enthalten.
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Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
Anlage 19
Anlage 20
Anlage 21
Anlage 22
Anlage 23