Anlage 22
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20153
        (A) (C)
        (B) (D)
        Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
        Berichtigung
        186. Sitzung, Seite 19897 (A), erster Absatz: Der
        letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Auch die Themen ge-
        meinsame Bilanzierungsrichtlinien und IFRS, die in der
        Zwischenzeit von den USA und in Europa anerkannt wer-
        den, werden dazu führen, dass wir uns gegenseitig besser
        verstehen und dass zukünftig in den Märkten mehr Ver-
        trauen vorhanden sein wird.“
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20155
        (A) )
        (B) )
        vereinbarung der Großen Koalition vom 18. November gefordert hat. Dazu kommt, dass die am deutschen Kon-
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU)
        zur namentlichen Abstimmung über die An-
        träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent-
        lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
        (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord-
        nungspunkt 7)
        Ich stimme dem Antrag der FDP und dem Antrag von
        Bündnis 90/Die Grünen nicht zu, denn laut Koalitions-
        2
        f
        s
        A
        M
        n
        A
        M
        A
        M
        A
        J
        O
        h
        r
        n
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Dreibus, Werner DIE LINKE 13.11.2008
        Faße, Annette SPD 13.11.2008
        Gerster, Martin SPD 13.11.2008
        Göppel, Josef CDU/CSU 13.11.2008
        Gröhe, Hermann CDU/CSU 13.11.2008
        Hänsel, Heike DIE LINKE 13.11.2008
        Hintze, Peter CDU/CSU 13.11.2008
        Kucharczyk, Jürgen SPD 13.11.2008
        Dr. Lauterbach, Karl SPD 13.11.2008
        Leutert, Michael DIE LINKE 13.11.2008
        Mücke, Jan FDP 13.11.2008
        Raidel, Hans CDU/CSU 13.11.2008
        Dr. Scheer, Hermann SPD 13.11.2008
        Schily, Otto SPD 13.11.2008
        Schmidt (Nürnberg),
        Renate
        SPD 13.11.2008
        Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        13.11.2008
        Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 13.11.2008
        Zimmermann, Sabine DIE LINKE 13.11.2008
        (C
        (D
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        005 stellt die SPD die Leitung des Bundesministeriums
        ür Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und hat das Vor-
        chlagsrecht. Deshalb muss unser Koalitionspartner eine
        blösung in eigener Hoheit beschließen bzw. muss der
        inister von sich aus zurücktreten.
        Der Deutsche Bundestag ist hier aus meiner Sicht
        icht gefragt.
        nlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Renate Gradistanac (SPD)
        zur namentlichen Abstimmung über die An-
        träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent-
        lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
        (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord-
        nungspunkt 7)
        In der Ergebnisliste erscheint mein Name unter „Ja“.
        ein Votum lautet „Nein“.
        nlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Georg Brunnhuber (CDU/
        CSU) zur namentlichen Abstimmung über die
        Anträge: Missbilligung der Amtsführung und
        Entlassung von Bundesminister Wolfgang
        Tiefensee (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatz-
        tagesordnungspunkt 7)
        In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
        ein Votum lautet „Nein“.
        nlage 5
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur namentlichen Abstimmung über die Be-
        schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes-
        regierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffne-
        ter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung
        der gemeinsamen Reaktion auf terroristische
        Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
        kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und
        des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie
        der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001)
        des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Ta-
        gesordnungspunkt 18 a)
        Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): In den letzten
        ahren habe ich dem oben genannten Mandat zu OEF,
        peration Enduring Freedom, nicht zugestimmt. Ich
        abe – wie viele nationale und internationale Menschen-
        echtsorganisationen – stets kritisiert, dass die internatio-
        ale OEF-Operation in Afghanistan massiv zivile Opfer
        20156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        tingent beteiligten KSK-Kräfte seit mehreren Jahren
        nicht eingesetzt wurden, wobei die Transparenz über ih-
        ren Einsatz auch nicht zufriedenstellend gewährleistet
        war. Deshalb begrüße ich die im veränderten Mandat
        neu zu erkennende Haltung der Bundesregierung, die
        diese Punkte im Wesentlichen aufnimmt.
        Erstens hat die Bundesregierung die Kritik an der
        Mandatsumsetzung im Hinblick auf die vielen zivilen
        Opfer, die der Kampf für die „Operation dauerhafte Frei-
        heit“ kostet, ernst genommen und dies in ihre Ein-
        satzauflagen einbezogen. Dies muss weiterhin und ver-
        stärkt geschehen. Die Bundesregierung muss zudem
        weiter auf die USA einwirken, dass diese die Vermei-
        dung von zivilen Opfern zur obersten Priorität in ihren
        Einsätzen machen.
        Zweitens hat die Bundesregierung die langjährige
        Kritik bezüglich der 100 in Afghanistan stationierten
        KSK-Soldaten anerkannt und zieht diese zugunsten ei-
        nes verstärkten ISAF-Engagements – das einer starken
        parlamentarischen und damit öffentlichen Kontrolle un-
        terliegt – zurück. Dies unterstütze ich ausdrücklich. Die
        militärische Option der Bekämpfung von Terroristen
        kann nur eine von vielen sein. Im Sinne der Nachhaltig-
        keit sind die Bekämpfung der existenziellen Not und der
        Defizite in der Sicherheit im täglichen Leben und der
        menschenrechtlichen Situation in Afghanistan mindes-
        tens genauso wichtig. Deshalb freue ich mich über den
        Abzug der KSK-Soldaten aus Afghanistan und begrüße
        ausdrücklich den Richtungswechsel zu einer Verstär-
        kung des ISAF-Engagements und die Aufstockung des
        Entwicklungs- und Nothilfebudgets.
        Die Bundesregierung, die deutschen Hilfsorganisatio-
        nen und viele internationale Organisationen leisten in
        Afghanistan gute Arbeit. Mit unserem Engagement in
        Afghanistan haben wir uns selbst in die Verantwortung
        genommen, in Afghanistan gemeinsam mit den Afgha-
        ninnen und Afghanen und der internationalen Gemein-
        schaft ein funktionierendes demokratisches Staatswesen
        zu etablieren und daran zu arbeiten, dass Afghanistan in
        der Zukunft in der Lage ist, die Bedürfnisse der afghani-
        schen Bevölkerung selbst zu sichern. Dies ist ein lang-
        wieriger Prozess, und trotz einiger Erfolge ist dieser bis-
        her nicht frei von Enttäuschungen und Rückschlägen. In
        vielen Regionen leben die Menschen weiterhin in abso-
        luter Armut, die Sicherheitssituation verschlechtert sich
        seit vielen Jahren, und die in der Verfassung erklärten
        Menschenrechte sind in den größten Teilen des Landes
        noch nicht zur Geltung gebracht worden.
        Ich bin der Überzeugung, dass Deutschland genau in
        diesem Bereich noch mehr tun muss. Frieden und Si-
        cherheit müssen entwickelt werden, denn sonst lassen
        sich Hunger und Armut nicht nachhaltig bekämpfen.
        Wie kann es sein, dass nach sieben Jahren des internatio-
        nalen Engagements Afghanistan immer noch zu den
        ärmsten Ländern der Welt gehört und jeden Winter Hun-
        gerkatastrophen drohen? Wir müssen die neuen politi-
        schen Institutionen unterstützen und helfen, ihrem de-
        mokratischen und menschenrechtspolitischen Gehalt zur
        Realität zu verhelfen. Denn wie kann es sein, dass sich
        in den neuen politischen Institutionen neben einigen De-
        m
        u
        D
        w
        k
        D
        t
        w
        s
        u
        m
        s
        r
        z
        F
        k
        V
        d
        a
        b
        n
        s
        d
        s
        n
        g
        A
        z
        h
        l
        a
        d
        i
        l
        s
        u
        r
        p
        w
        i
        s
        k
        J
        S
        G
        p
        g
        r
        u
        s
        k
        m
        (C
        (D
        okraten auch Protagonisten aus der Bürgerkriegszeit
        nd Drogenbarone tummeln?
        Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten.
        och ich finde, über eines sollten wir uns stärker be-
        usst werden: Die Entwicklung von Frieden, Armutsbe-
        ämpfung und der Aufbau von Rechtstaatlichkeit und
        emokratie können nur unzureichend von oben nach un-
        en aufgebaut werden. Deshalb plädiere ich dafür, dass
        ir in unsere Bemühungen die afghanische Bevölkerung
        tärker einbeziehen. Wir müssen sie zu aktiven Partnern
        nd Mitentscheidern beim Wiederaufbau ihres Landes
        achen. Ich hoffe, die Bundesregierung wird diese Ein-
        icht in ihrem zukünftigen Engagement noch stärker be-
        ücksichtigen. Dafür werde ich mich weiterhin einset-
        en.
        Ich stimme aus den oben angeführten Gründen der
        ortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
        räfte zu. An meinen generellen Bedenken bezüglich der
        erfassungs- und Völkerrechtsmäßigkeit des OEF-Man-
        ates halte ich allerdings fest.
        Lothar Mark (SPD): Nachdem das Bundeskabinett
        uf Vorschlag des Außenministers die Beteiligung der
        isherigen 100 Spezialkräfte (KSK-Truppen) in Afgha-
        istan zurückgezogen hat, stimme ich, wenn auch
        chweren Herzens, der Verlängerung des Mandats für
        ie deutsche Beteiligung am OEF-Mandat zu. Damit be-
        chränkt sich die deutsche Beteiligung an der internatio-
        alen Terrorbekämpfung gegenwärtig auf eine Beteili-
        ung an der maritimen Komponente am Horn von
        frika. Im Rahmen des ISAF-Mandats wurden dagegen
        usätzliche militärische Aufgaben übernommen, wes-
        alb ich diesem nicht zustimmen konnte. Beide Mandate
        assen sich nach wie vor schwer voneinander trennen,
        uch wenn sich die Operationen nach Inhalt und Auftrag
        es Mandats unterscheiden.
        Trotz unseres Rückzugs der KSK-Truppen appelliere
        ch an die Bundesregierung, die am OEF-Einsatz betei-
        igten europäischen Partner dazu aufzufordern, sich ver-
        tärkt an der Aufbauarbeit in Afghanistan zu beteiligen,
        nd auch die Vereinigten Staaten unter der neuen Regie-
        ung Obama dazu zu bringen, künftig hier den Schwer-
        unkt zu setzen.
        Nach wie vor bin ich der Meinung, dass kein glaub-
        ürdiges und schlüssiges Gesamtkonzept für den Einsatz
        n Afghanistan mit Chancen auf einen stufenweisen Aus-
        tieg und einen sich selbst tragenden Friedensprozess er-
        ennbar ist. Erst kürzlich hat der frühere Außenminister
        oschka Fischer eine „klare Strategie“ der Vereinigten
        taaten und der NATO angemahnt. Auch Altkanzler
        erhard Schröder hat sich für die Festlegung eines Zeit-
        unkts zum Rückzug der ausländischen Truppen aus Af-
        hanistan ausgesprochen. Er dürfe nicht in 20 bis 30 Jah-
        en liegen, sondern müsse in der kommenden Dekade
        mgesetzt werden, so Schröder bei einem Podiumsge-
        präch mit dem ehemaligen österreichischen Bundes-
        anzler Franz Vranitzky. Schröder geht davon aus, dass
        an mit dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20157
        (A) )
        (B) )
        besser über dieses Thema sprechen könne als mit
        George W. Bush.
        Das OEF-Mandat des Bundestages umfasst auch die
        deutsche Beteiligung an dem bündnisgemeinsamen Bei-
        trag zur Unterstützung der USA im Rahmen des Art. 5
        NATO-Vertrag, der Operation Active Endeavour (OAE).
        OAE besteht aus Überwachungs- und Präsenzoperatio-
        nen im gesamten Mittelmeer. Die deutsche Beteiligung
        an OAE wurde erstmals im Jahr 2003 durch den Bundes-
        tag mandatiert. Hintergrund hierfür waren Entscheidun-
        gen des NATO-Rats, die den Einsatz fortentwickelten
        und mit einem „robusteren“ Charakter versahen, wo-
        durch die Schwelle zu einer Einbeziehung in eine be-
        waffnete Unternehmung überschritten wurde. Gegen-
        wärtig ist Deutschland an dem Einsatz mit einem U-Boot
        beteiligt.
        Die Operation Enduring Freedom wurde im An-
        schluss an die Terrorangriffe des 11. September 2001 be-
        gonnen, nachdem der VN-Sicherheitsrat in seiner Reso-
        lution 1368 (2001) vom 12. September 2001 das
        Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation bestätigt
        und die NATO den Bündnisfall gemäß Art. 5 des NATO-
        Vertrages festgestellt hatte. Nach mehr als sieben Jahren
        frage nicht nur ich, sondern fragen auch Rechtsexperten,
        ob die UN den Selbstverteidigungsfall der USA weiter-
        hin feststellen darf und der Bündnisfall nach wie vor ge-
        geben ist.
        Wolfgang Spanier (SPD): Ich begrüße ausdrück-
        lich, dass sich Deutschland zukünftig nicht mehr an der
        OEF-Mission auf afghanischem Boden beteiligt. Auf die
        Bereitstellung von 100 KSK-Spezialkräften wird ver-
        zichtet.
        Ich begrüße auch, dass die Obergrenze der einzuset-
        zenden Soldatinnen und Soldaten von 1 400 auf 800 be-
        grenzt wird.
        Nachdrücklich unterstütze ich die grundsätzliche Ein-
        stellung der Bundesregierung zur Bekämpfung des inter-
        nationalen Terrorismus: „Die Bekämpfung des inter-
        nationalen Terrorismus ist nicht primär eine militärische
        Aufgabe. Die internationale Gemeinschaft darf in ihren
        umfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung
        der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Um-
        stände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen,
        nicht nachlassen.“
        Nach wie vor bleibt aber ein wesentlicher Kritikpunkt
        bestehen. Ich zweifle daran, dass der NATO-Bündnisfall,
        auf dem der Einsatz beruht, noch gegeben ist. Ich bin
        überzeugt, dass nach sieben Jahren eine Prüfung der völ-
        kerrechtlichen Einsatzgrundlagen notwendig ist. In die-
        ser entscheidenden Frage gibt es leider keinen Fort-
        schritt.
        Aus diesem Grund lehne ich nach wie vor die Fortset-
        zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im
        Rahmen von OEF ab.
        Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich stimme dem Antrag
        der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes zu.
        I
        t
        M
        s
        s
        V
        b
        f
        g
        G
        d
        l
        m
        p
        l
        n
        B
        d
        w
        s
        v
        M
        A
        t
        t
        e
        z
        s
        r
        s
        z
        R
        e
        h
        m
        d
        d
        U
        s
        d
        f
        v
        d
        t
        m
        S
        G
        w
        k
        d
        v
        t
        2
        (C
        (D
        ch verbinde mit dieser Zustimmung die feste Erwar-
        ung, dass die Bundesregierung bei der Ausführung des
        andates nicht gegen das Völkerrecht verstößt, indem
        ie die Verpflichtung zur Nothilfe unangemessen und
        achfremd einengt.
        Dies ist in der Vergangenheit dadurch geschehen, dass
        ertreter der Bundesregierung die Ansicht geäußert ha-
        en, die deutsche Marine dürfe dann nicht mehr eingrei-
        en, wenn Piraten nach einem erfolgten Überfall mit dem
        ekaperten Schiff und auf dem Schiff festgehaltenen
        eiseln davonführen, da die Bedingung der Nothilfe
        ann nicht mehr gegeben seien. So ist auch die Befehls-
        age der deutschen Marine. Diese Einschränkung ist für
        ich sachlich unzumutbar und rechtlich falsch. Die Ver-
        flichtung zur Nothilfe besteht selbstverständlich so
        ange, wie Personen in Not sind.
        Ich werde bei der Umsetzung des Mandates sehr ge-
        au beobachten, ob die Einsatzregeln sicherstellen, dass
        undeswehrsoldaten nicht durch sachfremde Befehle
        es Bundesministeriums der Verteidigung gezwungen
        erden, in Extremfällen gegen das Völkerrecht zu ver-
        toßen.
        Lydia Westrich (SPD): Ich stimme – wie bereits im
        ergangenen Jahr – gegen die weitere Verlängerung des
        andates der Operation Enduring Freedom (OEF). Als
        ntwort auf die schrecklichen Ereignisse des 11. Sep-
        ember 2001 war der OEF-Einsatz von großer Bedeu-
        ung. Seiner Zielsetzung, „Führungs- und Ausbildungs-
        inrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen
        u bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu
        tellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung ter-
        oristischer Aktivitäten abzuhalten“ (Bundestagsdruck-
        ache 14/7296, 7. November 2001), ist er bis 2006 auch
        u einem guten Teil gerecht geworden. So wurden die
        ückzugsgebiete der Taliban- und al-Qaida-Kämpfer
        rfolgreich eingeschränkt, ihre Ausbildungslager ausge-
        oben und damit Afghanistan wesentlich sicherer ge-
        acht.
        Völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz war
        as Recht zur individuellen und kollektiven Selbstvertei-
        igung nach Art. 51 der UN-Charta. Nach Art. 51 der
        N-Charta darf dieses Selbstverteidigungsrecht aber nur
        o lange dauern, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung
        es Weitfriedens und der internationalen Sicherheit er-
        orderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Ob das Selbst-
        erteidigungsrecht, welches ohne UN-Mandat angewen-
        et werden kann, auch nach nunmehr sieben Jahren
        augliche Grundlage für den OEF-Einsatz sein kann, ist
        ehr denn je fragwürdig. Ein dauerndes Berufen auf das
        elbstverteidigungsrecht würde bedeuten, das zentrale
        ewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen zu ent-
        erten – ein Vorgang, der von anderen Staaten dann zu-
        ünftig als Präzedenzfall genutzt werden könnte. Dies
        arf uns nicht Recht sein!
        Erschwerend kommt hinzu, auch hieran hat sich im
        ergangenen Jahr nichts geändert, dass mit der Interna-
        ionalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) seit
        001 eine von den Vereinten Nationen mandatierte Ope-
        20158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        ration besteht, deren Einsatzgebiet im Laufe der Jahre
        immer weiter ausgeweitet wurde. Mittlerweile umfasst
        das Einsatzgebiet von ISAF ganz Afghanistan, sodass
        sich die Operationsgebiete von ISAF und OEF über-
        schneiden. Dies wiederum führt dazu, dass militärische
        Handlungen der OEF innerhalb der afghanischen Bevöl-
        kerung vermehrt der ISAF zugeschrieben werden. Da
        das Auftreten und die Operationsweisen der OEF oft-
        mals – gelinde gesagt – wenig gedeihlich sind, um für
        Vertrauen in der afghanischen Bevölkerung zu werben,
        werden deshalb auch immer häufiger beide Operationen
        als Besatzungstruppen wahrgenommen. Die unbestreit-
        baren Erfolge von ISAF werden damit zunichte gemacht
        und die deutschen Truppenkontingente innerhalb des
        ISAF unnötig in Gefahr gebracht. Dies zeigen nicht zu-
        letzt die zahlreichen Anschläge auch gegen deutsche
        ISAF-Truppen im vergangenen Jahr.
        All diese Gründe führen mich zu der Erkenntnis, dass
        wir uns auf unser ISAF-Engagement konzentrieren soll-
        ten und uns dafür stark machen müssen, dass OEF ent-
        weder beendet oder zumindest in die ISAF eingegliedert
        wird. Damit wäre letztlich auch die Gefahr der miss-
        bräuchlichen Verwendung der Erkenntnisse aus Tor-
        nado-Aufklärungsflügen gebannt. Denn derzeit ist es
        nicht auszuschließen, dass die Daten mandatswidrig
        auch für OEF-Einsätze genutzt werden.
        Anlage 6
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Änderung des Gesetzes über die Über-
        führung der Anteilsrechte an der Volkswagen-
        werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in
        private Hand (Tagesordnungspunkt 29)
        Thomas Bareiß (CDU/CSU): Dem vorliegenden
        Gesetzentwurf zur Änderung des VW-Gesetzes stimme
        ich aufgrund europarechtlicher und grundsätzlich ord-
        nungspolitischer Bedenken nicht zu. Mit dem Urteil vom
        23. Oktober 2007 hat der EuGH das bisherige VW-Ge-
        setz für unvereinbar mit dem Grundsatz der Kapitalver-
        kehrsfreiheit (Art. 56 EGV) erklärt. Das nun vorliegende
        Gesetz geht zwar in Teilbereichen auf das EuGH-Urteil
        ein, räumt aber die grundsätzlichen Bedenken nicht aus.
        Die Beibehaltung der Sperrminorität von 20 Prozent soll
        gezielt einem bestehenden Anteilseigner Sonderrechte
        einräumen. Dies ist meiner Auffassung nach weder mit
        dem EuGH-Urteil vereinbar noch ist es wirtschafts- und
        ordnungspolitisch zu begründen.
        Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik Deutsch-
        land vor dem EuGH und damit einhergehende Strafzah-
        lungen der EU sind zwangsläufig zu erwarten und wür-
        den Deutschland nachhaltig schaden. Darüber hinaus ist
        es nicht nachzuvollziehen, warum die Volkswagen AG
        weiterhin einen gesetzlichen Sonderstatus erhalten soll.
        Aufgrund meiner Bedenken lehne ich den Gesetzent-
        wurf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset-
        zes daher ab und stimme mit Nein.
        2
        d
        f
        h
        z
        s
        e
        S
        S
        V
        a
        k
        B
        m
        z
        d
        f
        s
        W
        b
        H
        r
        l
        b
        o
        w
        g
        B
        u
        w
        z
        u
        i
        g
        d
        w
        z
        i
        w
        u
        e
        d
        u
        K
        s
        E
        i
        e
        d
        D
        u
        n
        b
        (C
        (D
        Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit Urteil vom
        3. Oktober 2007 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH)
        rei wesentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes
        ür unvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfrei-
        eit) erklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt
        war die Vorschriften zum Entsenderecht in den Auf-
        ichtsrat und zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die
        benfalls als Kapitalverkehr beschränkend beurteilte
        perrminorität soll jedoch weiter Bestand haben. Die
        ichtweise, der EuGH habe alle drei Bestandteile des
        W-Gesetzes nur im Zusammenwirken mit Art. 56 EGV
        ls unvereinbar erklärt, findet meiner Auffassung nach
        eine Stütze in dem Urteil. Eine erneute Niederlage der
        undesrepublik Deutschland vor dem EuGH ist viel-
        ehr – ohne dem Europäischen Gerichtshof vorgreifen
        u wollen – angesichts der umfangreichen Spruchpraxis
        es EuGH zu den sogenannten goldenen Aktien der öf-
        entlichen Hand absehbar.
        Die soziale Marktwirtschaft – unsere bewährte Wirt-
        chaftsordnung – gründet auf fairem Wettbewerb. Dieser
        ettbewerb beruht auch darauf, dass für alle Wettbewer-
        er dieselben Rahmenbedingungen gelten. Vor diesem
        intergrund ist es für mich nicht nachvollziehbar, wa-
        um für Volkswagen nicht dieselben rechtlichen Rege-
        ungen gelten sollten, an die sich auch alle anderen Mit-
        ewerber zu halten haben. Meines Erachtens ist es
        rdnungspolitisch verfehlt und wirtschaftspolitisch frag-
        ürdig, an Sonderregelungen für Volkswagen noch län-
        er festzuhalten. Daher lehne ich den Gesetzentwurf der
        undesregierung zur Änderung des VW-Gesetzes ab
        nd stimme mit Nein.
        Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Dem Gesetzent-
        urf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset-
        es stimme ich nur unter schwersten europarechtlichen
        nd europapolitischen Bedenken zu. Gleichzeitig stelle
        ch mein Votum unter die Maßgabe, dass die Bundesre-
        ierung im Falle einer erneuten Klageerhebung seitens
        er Europäischen Kommission vor dem EuGH zur Ab-
        endung der dann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
        u erwartenden Strafzahlungen erneut gesetzgeberisch
        nitiativ wird.
        Mit Urteil vom 23. Oktober 2007 hat der EuGH drei
        esentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes für
        nvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfreiheit)
        rklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt zwar
        ie Vorschriften zum Entsenderecht in den Aufsichtsrat
        nd zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die ebenfalls als
        apitalverkehr beschränkend beurteilte Sperrminorität
        oll jedoch weiter Bestand haben. Die Sichtweise, der
        uGH habe alle drei Bestandteile des VW-Gesetzes nur
        m Zusammenwirken als mit Art. 56 EGV unvereinbar
        rklärt, findet meiner Auffassung nach keine Stütze in
        em Urteil. Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik
        eutschland vor dem EuGH ist vielmehr angesichts der
        mfangreichen Spruchpraxis des EuGH zu den soge-
        annten „goldenen Aktien“ der öffentlichen Hand abseh-
        ar.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20159
        (A) )
        (B) )
        Anlage 7
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Peter Albach, Manfred
        Grund, Christian Hirte, Antje Tillmann und
        Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/CSU) zur Ab-
        stimmung über den Entwurf eines Zweiten Ge-
        setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes
        für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-
        punkt 35)
        Die Lkw-Mauterhöhung darf nicht mit einer zusätzli-
        chen und damit wettbewerbsverzerrenden Belastung
        oder gar Insolvenzgefährdung für das Straßengüterver-
        kehrsgewerbe verbunden sein. Die gestiegenen Energie-
        preise sowie verschärfte Sozialvorschriften bedeuten
        eine enorme Belastung für die Transportunternehmen.
        Hinzu kommt die unsichere wirtschaftliche Gesamtlage.
        Es gilt jetzt, die rechtlichen Möglichkeiten von Steu-
        ersenkungen und anderen Kostenerleichterungen für das
        Transport- und Verkehrsgewerbe zu prüfen.
        Darüber hinaus sind die Investitionen des Bundes in
        die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraßen zu
        erhöhen. Entsprechend den Regelungen des Auto-
        bahnmautgesetzes sind die Mauteinnahmen für die Ver-
        kehrsinfrastruktur sowie für Harmonisierungsleistungen
        zugunsten des Güterkraftverkehrsgewerbes einzusetzen.
        Anlage 8
        Erklärung
        des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-
        NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
        den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Bundesbesoldungsgesetzes (186. Sitzung, Tages-
        ordnungspunkt 8 c)
        Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die
        Grünen, dass unser Votum „Nein“ lautet.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur
        Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
        und der Außenwirtschaftsverordnung
        – Antrag: Rückbesinnung auf die soziale
        Marktwirtschaft – Die europäische Alterna-
        tive zu Wirtschaftsprotektionismus und
        Ausländerdiskriminierung
        (186. Sitzung, Tagesordnungspunkt 12 a und b)
        Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-
        desminister für Wirtschaft und Technologie: Deutsch-
        land profitiert von offenen Märkten und hat ein großes
        I
        s
        G
        c
        i
        o
        a
        n
        m
        s
        s
        v
        w
        k
        K
        h
        u
        u
        S
        B
        S
        s
        u
        a
        i
        D
        A
        s
        d
        d
        s
        d
        G
        e
        b
        A
        z
        d
        l
        d
        c
        r
        w
        n
        S
        g
        l
        s
        h
        G
        v
        t
        P
        E
        d
        s
        (C
        (D
        nteresse, günstige Rahmenbedingungen für ausländi-
        che Investoren zu schaffen. Dies ist ein traditioneller
        rundsatz unserer Wirtschaftspolitik. Der wirtschaftli-
        he Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg
        st nicht zuletzt der Offenheit unseres Investitionsstand-
        rts zu verdanken. Wir haben deshalb zusammen mit den
        nderen G-8-Staaten auf dem Heiligendamm-Gipfel
        ochmals die Bedeutung eines offenen Investitionskli-
        as unterstrichen. Dieser Grundsatz ist und bleibt Richt-
        chnur für das Handeln der Bundesregierung.
        Vor diesem Hintergrund wird häufig die Frage ge-
        tellt: Wie sind diese Grundsätze mit der geplanten No-
        ellierung des Außenwirtschaftsrechts vereinbar? Und
        ie ist die Gesetzesinitiative mit der aktuellen Finanz-
        rise vereinbar, in der Unternehmen mehr denn je auf
        apital angewiesen sind? Wir bewegen uns in der Tat
        ier in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen
        nserem Interesse an einem liberalen Investitionsregime
        nd der Pflicht des Staates, die öffentliche Ordnung und
        icherheit zu schützen. Diese Pflicht besteht auch mit
        lick auf ausländische Direktinvestitionen. Aufgabe des
        taates ist es, eine angemessene Balance zwischen die-
        en Interessen zu finden. Wenn die öffentliche Ordnung
        nd Sicherheit zu schützen sind, dann muss der Staat
        uch mögliche Risiken identifizieren und ein Schutz-
        nstrument bereithalten, um darauf reagieren zu können.
        aran ändert auch die Finanzkrise nichts.
        Mit Blick auf die Finanzkrise ist es aber unser aller
        ufgabe, gegenüber ausländischen Investoren den be-
        chränkten Anwendungsbereich des Gesetzes zu ver-
        eutlichen: Das Kriterium für eine Prüfung, die Gefähr-
        ung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, ist an
        trenge Voraussetzungen geknüpft: Notwendig ist, dass
        ie Investition ein Grundinteresse der Gesellschaft als
        anzes gefährden könnte. Dies ist bei Investitionen in
        inzelne Unternehmen nur in seltenen Einzelfällen denk-
        ar. Wir haben uns bewusst für diesen zurückhaltenden
        nsatz entschieden, um die gebotene Ausgewogenheit
        wischen notwendigen staatlichen Interventionen und
        en freien Kräften der Wirtschaft herzustellen.
        Ich möchte zudem klarstellen: Die Möglichkeit, aus-
        ändische Investitionen zu prüfen, bildet kein Instrument
        er Industriepolitik. Dies ist uns durch die europarechtli-
        hen Vorgaben zu Recht untersagt. Der Europäische Ge-
        ichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass
        irtschaftspolitische Ziele, etwa die Stärkung des natio-
        alen Unternehmertums, nicht unter dem Vorwand des
        chutzes der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit be-
        ründet werden können. Hinzu kommt: Die europarecht-
        ichen Anforderungen an das Verfahren für Prüfungen
        ind – zu Recht – hoch. Der Bundesregierung waren da-
        er bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs enge
        renzen gesetzt.
        Im Einzelnen sieht unser Gesetzentwurf Folgendes
        or. Einer Prüfung unterliegen grundsätzlich nur Inves-
        oren mit Sitz außerhalb der EU. Voraussetzung für jede
        rüfung ist, dass der ausländische Erwerber durch den
        rwerb mindestens 25 Prozent der Stimmrechte des
        eutschen Unternehmens erlangt. Um Umgehungsge-
        chäfte zu vermeiden, können Investoren mit Sitz in der
        20160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        EU dann geprüft werden, wenn ein Anteilseigner mit
        Sitz außerhalb der EU 25 Prozent der Stimmrechte an
        dem EU-Investor hält. Investoren aus den Mitgliedstaa-
        ten der EFTA werden wie Investoren aus den EU-Mit-
        gliedstaaten behandelt.
        Das Erfordernis, dass 25 Prozent der Anteile an dem
        deutschen Unternehmen erworben werden müssen, stellt
        eine hohe Hürde für eine Prüfung dar. Marktwirtschaft-
        lich agierende Investoren diversifizieren ihr Portfolio.
        So zeigt etwa die Praxis großer Staatsfonds, dass diese in
        der Regel in geringem Umfang in einzelne Unternehmen
        investieren. Staatsfonds sind und bleiben in Deutschland
        hochwillkommen. Wir haben über Jahrzehnte gute Er-
        fahrungen mit Staatsfonds gemacht.
        Weil der Anwendungsbereich des Gesetzentwurfs
        hinsichtlich der erfassten Investoren und des Schwellen-
        werts für die zu prüfenden Investitionen beschränkt ist,
        haben wir auf die Benennung bestimmter Sektoren ver-
        zichtet. Sicherheitsrelevante Transaktionen sind nicht
        auf bestimmte Wirtschaftszweige begrenzt. Zudem
        müsste ein sektorbezogenes Gesetz häufig an technolo-
        gische Weiterentwicklungen angepasst werden. Die Zu-
        kunftsbranchen von heute, etwa die Gen- und Biotech-
        nologie, steckten vor 20 Jahren zum Teil noch in den
        Kinderschuhen oder existierten noch gar nicht, wie zum
        Beispiel die Internetwirtschaft.
        Das Gesetz vermeidet bürokratische Belastungen für
        Investoren. Eine Genehmigungs- oder Anmeldepflicht
        ist nicht vorgesehen. Vielmehr können Investitionen nur
        innerhalb kurzer Fristen auf Initiative des Bundesminis-
        teriums für Wirtschaft und Technologie geprüft werden.
        Wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-
        nologie innerhalb von drei Monaten nach dem Erwerb
        keine Prüfung einleitet, hat der Erwerb Bestand. Wenn
        das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
        den Erwerb prüft, muss es binnen zwei Monaten nach
        Übermittlung der relevanten Unterlagen über eine Unter-
        sagung oder Anordnung entscheiden, die der Zustim-
        mung des gesamten Kabinetts bedarf. Eine Untersagung
        kommt nur in Betracht, wenn die Gefährdung nicht
        durch Auflagen zum Erwerb beseitigt werden kann.
        Nach Ablauf der Fristen ist eine Prüfung der Investition
        ausgeschlossen. Durch die kurzen Fristen wird ein hohes
        Maß an Rechts- und Planungssicherheit für Unterneh-
        men und Investoren erreicht.
        Investoren sind aber nicht darauf angewiesen, abzu-
        warten, ob ein Prüfverfahren eröffnet wird. Sie können
        sich vielmehr bereits im Vorfeld des Erwerbs vom Bun-
        desministerium für Wirtschaft und Technologie eine ver-
        bindliche Stellungnahme zur Unbedenklichkeit des Er-
        werbs geben lassen.
        Der Gesetzentwurf enthält mithin hohe inhaltliche
        und verfahrensmäßige Hürden für die Überprüfung von
        Investitionsentscheidungen. Darüber hinaus werden wir
        bei der Anwendung der Bestimmungen sicherstellen,
        dass die Investitionsfreiheit gewahrt wird und Deutsch-
        land ein hervorragender Investitionsstandort bleibt.
        A
        d
        1
        d
        v
        d
        R
        p
        d
        v
        S
        s
        s
        D
        l
        b
        E
        m
        d
        D
        A
        l
        g
        k
        e
        F
        e
        d
        v
        K
        d
        M
        s
        o
        I
        d
        l
        d
        v
        s
        G
        s
        d
        R
        i
        L
        v
        F
        (C
        (D
        nlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Die Schaffung einer
        Individualbeschwerde im Rahmen des Überein-
        kommens über die Rechte des Kindes (Tages-
        ordnungspunkt 24)
        Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ein Meilenstein in
        er Geschichte der Kinderrechte war es, als vor über
        6 Jahren am 5. April 1992 das Übereinkommen über
        ie Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention,
        om 20. November 1989 in Kraft trat. Erstmals wurden
        amals verschiedene völkerrechtlich verbindliche
        echte formuliert. Sie beziehen sich auf das persönliche,
        olitische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben
        er Kinder. Ausdruck finden sie in der Festschreibung
        on Mindestanforderungen an die Versorgung, den
        chutz und die Beteiligung von Kindern am gesell-
        chaftlichen Leben.
        Die Bedeutung dieser UN-Kinderrechtskonvention
        teht außer Frage und ist allen bekannt. Auch in
        eutschland wurde die Kinderpolitik dadurch wesent-
        ich gestärkt. Die Ratifizierung durch die Bundesrepu-
        lik im Jahr 1992 geschah mit der Hinterlegung einer
        rklärung, die unter anderem besagt, dass keine Bestim-
        ung der UN-Kinderrechtskonvention so ausgelegt wer-
        en kann, dass sie das Recht der Bundesrepublik
        eutschland beschränkt, Gesetze über die Einreise von
        usländern und die Bedingung ihres Aufenthaltes zu er-
        assen. Die Länder waren damals nur unter der Bedin-
        ung, dass die deutsche Erklärung zur UN-Kinderrechts-
        onvention abgegeben wurde, mit der Ratifizierung
        inverstanden.
        Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-
        raktion, Sie haben einen Antrag gestellt zur Schaffung
        ines Individualbeschwerderechts im Rahmen der Kin-
        errechtskonvention. In gleicher Weise wird dies auch
        on nationalen und internationalen Menschenrechts- und
        inderrechtsorganisationen gefordert. Durch ein Indivi-
        ualbeschwerderecht soll Kindern und Jugendlichen die
        öglichkeit gegeben werden, sich direkt beim UN-Aus-
        chuss zu beschweren, wenn ihre Rechte verletzt wurden
        der werden. Zweifelsohne würde die Einrichtung eines
        ndividualbeschwerdeverfahrens die Durchsetzbarkeit
        er persönlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozia-
        en Rechte Minderjähriger stärken. Klingt gut, zumin-
        est rein theoretisch.
        Die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskon-
        ention, die in den vergangenen Jahren mehrfach Gegen-
        tand parlamentarischer Beratungen sowie Kleiner und
        roßer Anfragen war, besteht nach wie vor. Die Länder
        ind mit einer Rücknahme nach wie vor nicht einverstan-
        en. Dieser Aspekt darf nicht übergangen werden. Eine
        ücknahme der Erklärung gegen den Willen der Länder
        st in keiner Weise ratsam und sinnvoll.
        Ich weiß, dass das Argument des Widerstandes der
        änder von Kolleginnen und Kollegen anderer Parteien
        ielfach als Ausrede interpretiert wird. Es ist jedoch
        akt, dass die Bundesländer mehrheitlich gegen eine
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20161
        (A) )
        (B) )
        Rücknahme der Erklärung sind. Die Länder sehen die
        Gefahr, dass eine Rücknahme zu Rechtsunsicherheiten
        bei der Anwendung des nationalen Aufenthalts- und
        Asylrechts führen würde. Darüber hinaus bestehen Be-
        denken, dass es zu einem Anstieg der Einreise unbeglei-
        teter minderjähriger Ausländer nach Deutschland kom-
        men könnte.
        Im Übrigen sollte die Sachlage mit weniger Dramatik
        behaftet werden, als dies bisweilen geschieht. Das Bun-
        desamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht
        nicht leichtfertig mit Asylanträgen unbegleiteter Minder-
        jähriger um. Sonderbeauftragte Asylsachbearbeiter mit
        besonderen rechtlichen und psychologischen Schulun-
        gen berücksichtigen unter anderem die speziellen Be-
        dürfnisse der Minderjährigen, ihren Entwicklungsstand
        sowie die kulturellen Hintergründe. Die asylverfahrens-
        rechtliche Anhörung Minderjähriger wird weniger for-
        mal durchgeführt als bei Volljährigen. Die Mitarbeiter
        und Mitarbeiterinnen sind dabei sehr um Einfühlsamkeit
        bemüht. Unbegleiteten Minderjährigen unter 16 Jahren
        wird zur Durchführung des Asyl- und des aufenthalts-
        rechtlichen Verfahrens vom Vormundschaftsgericht ein
        Pfleger bestimmt, der die Interessen des Minderjährigen
        und die Stelle der abwesenden Eltern wahrnimmt. Über
        das Asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren hinaus
        trifft das Jugendamt bei unbegleiteten Minderjährigen
        geeignete erziehungsrechtliche Maßnahmen. Dabei orien-
        tiert es sich an dem deutschen Kinder- und Jugendhilfe-
        recht. Dies sind nur einige Beispiele.
        An dieser Stelle muss ganz klar hervorgehoben wer-
        den, dass sich das deutsche Recht im Einklang mit der
        UN-Kinderrechtskonvention befindet. Aus diesem
        Grund werden Verstöße bereits in den Verfahren vor den
        deutschen Gerichten geahndet. Dies macht ein weiteres
        Verfahren vor den UN-Gremien nicht zwingend notwen-
        dig.
        Grundsätzlich halte ich – und dies ist auch Meinung
        der Bundesregierung – ein Individualbeschwerderecht
        für geeignet, Rechtsstellungen und Rechtsbewusstsein
        der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der Ver-
        tragsstaaten zur Umsetzung ihrer Vertragspflicht zu för-
        dern. Ohne Zweifel ist ein derartiges Beschwerdeverfah-
        ren ein wichtiges Instrument des internationalen
        Menschenrechtsschutzes. Die Rechte der Kinder sind zu
        stärken, darin sind wir uns alle einig. Da jedoch das
        deutsche Recht in Einklang mit der Kinderrechtskonven-
        tion steht, besteht meines Erachtens keine Dringlichkeit,
        sich über die Position der Bundesländer hinwegzusetzen.
        Die aktuelle Arbeit, die vor Ort in den Ländern und
        Kommunen geleistet wird, zeigt eine gute Umsetzung
        der Grundsätze sowie der Ideale der UN-Kinderrechts-
        konvention.
        Ich halte es dennoch für ratsam, bezüglich der Schaf-
        fung einer Individualbeschwerde in Kontakt mit den
        Ländern zu bleiben. Ich spreche mich deshalb für eine
        Überweisung federführend an den Ausschuss für Fami-
        lie, Senioren, Frauen und Jugend aus.
        b
        s
        w
        f
        s
        k
        l
        g
        c
        M
        s
        d
        d
        w
        a
        e
        l
        s
        e
        s
        t
        t
        E
        s
        d
        J
        A
        d
        k
        w
        n
        k
        i
        d
        R
        g
        e
        n
        R
        t
        u
        z
        F
        s
        k
        d
        (C
        (D
        Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Recht ha-
        en alleine reicht nicht aus – Rechte müssen auch durch-
        etzbar sein. Um die Kinderrechte weiter zu stärken,
        äre die Einführung eines Individualbeschwerderechtes
        ür die UN-Kinderrechtskonvention ein wichtiger Bau-
        tein.
        Im Unterschied zu fünf anderen Menschenrechtsab-
        ommen verfügt die UN-Kinderrechtskonvention bis-
        ang nicht über ein Individualbeschwerdeverfahren. Was
        enau ist das Individualbeschwererecht? In einem sol-
        hen Beschwerdeverfahren könnte sich im Falle einer
        enschenrechtsverletzung ein Kind selbst oder eine Per-
        on in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechte
        es Kindes der Vereinten Nationen wenden, der diese
        ann untersucht. Die Entscheidung des Ausschusses
        äre rechtlich zwar nicht bindend. Dennoch könnte er
        uf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfalls
        ine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationa-
        en Beschwerdemechanismen muss vorher der inner-
        taatliche Rechtsweg ausgeschöpft sein.
        Die Einführung dieses Instrumentes wäre weltweit
        in wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Be-
        chwerderecht würde dazu führen, dass die Vertragsstaa-
        en ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konven-
        ion anerkannten Kinderrechten anpassen und auf deren
        inhaltung achten. Die Überwachungsmechanismen
        ind derzeit zu schwach, sodass die Verletzung der Kin-
        errechte in vielen Vertragsstaaten folgenlos bleibt.
        Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
        ugend, das Ministerium der Justiz und das Auswärtige
        mt sind derzeit in einem Abstimmungsprozess, wie
        em Anliegen am sinnvollsten entsprochen werden
        ann. Ich bin jedoch zuversichtlich, was die weitere Ent-
        icklung angeht, heißt es doch bereits 2005 im vom Mi-
        isterium publizierten Nationalen Aktionsplan „Für ein
        indergerechtes Deutschland 2005 bis 2010“:
        Ein Individualbeschwerderecht ist grundsätzlich
        geeignet, Rechtsstellung und Rechtsbewusstsein
        der betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der
        Vertragsstaaten zur Implementierung ihrer Ver-
        pflichtungen zu fördern. Die Bundesregierung wird
        die mögliche Einführung eingehend prüfen.
        Zudem gibt es bereits ein Individualbeschwerderecht
        n fünf anderen Menschenrechtsabkommen, nämlich in
        em Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
        echte – UN-Zivilpakt, Pakt II –; dem Übereinkommen
        egen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
        rniedrigende Behandlung oder Strafe; dem Internatio-
        alen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
        assendiskriminierung, in der Internationalen Konven-
        ion zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer
        nd ihren Familienangehörigen; dem Übereinkommen
        ur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der
        rau sowie in der Konvention über die Rechte von Men-
        chen mit Behinderungen – dies teilweise über ein Fa-
        ultativprotokoll.
        Für die Einführung eines Beschwerdeverfahrens ist
        er Beschluss der UN-Vollversammlung über einen zu-
        20162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        sätzlichen Vertrag zu der Kinderrechtskonvention erfor-
        derlich. Das Verfahren kann durch Einbringen eines Ent-
        wurfes von einer Staatengruppe auf den Weg gebracht
        werden. Der Entwurf müsste die zuständigen Gremien
        durchlaufen und wäre dann der UN-Vollversammlung
        vorzulegen. Diese würde gegebenenfalls ein Zusatzpro-
        tokoll beschließen, das daraufhin von den Mitgliedstaa-
        ten ratifiziert werden müsste. Es tritt in Kraft, wenn 20
        – manchmal 30 – Staaten ihre Ratifikationsurkunde hin-
        terlegt haben.
        Ein erster Schritt wäre die Einsetzung einer Arbeits-
        gruppe bei dem UN-Menschenrechtsrat, die den Text zu
        einem Individualbeschwerdeverfahren zur Kinderrechts-
        konvention in einem Zusatzprotokoll ausarbeiten würde.
        Um das Beschwerderecht auf den Weg zu bringen, muss
        also diese Arbeitsgruppe beim UN-Menschenrechtsrat
        eingesetzt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf,
        sich für eine solche Arbeitsgruppe einzusetzen.
        Die SPD-Bundestagsfraktion engagiert sich seit lan-
        gem für die Stärkung der Kinderrechte. So fordert sie die
        Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder-
        rechtskonvention sowie die Verankerung der Kinder-
        rechte im Grundgesetz. Unsere Bemühungen sind leider
        bislang am Widerstand der Union gescheitert. Zum Jah-
        restag der UN-Kinderrechtskonvention am 20. Novem-
        ber, die Deutschland 1992 ratifiziert hat, stünde es uns
        allen parteiübergreifend gut zu Gesicht, alles in unserer
        Macht Stehende zu tun, um die Kinderrechte in unserem
        Land und weltweit zu stärken. Ein Individualbeschwer-
        deverfahren zur UN-Kinderrechtskonvention ist hier für
        mich neben der Rücknahme der Vorbehalte zur Konven-
        tion sowie der Verankerung der Kinderrechte im Grund-
        gesetz ein weiterer Baustein einer Politik, die Kinder
        und ihre Rechte ernst nimmt.
        Miriam Gruß (FDP): Kinderpolitik muss als ein ei-
        genständiger Bereich der Politik und nicht nur als Teil
        der Familienpolitik verstanden werden. Die Kinder- und
        Jugendpolitik berührt den Aufgabenbereich der ver-
        schiedensten Entscheidungsträger auf regionaler, überre-
        gionaler, europäischer und internationaler Perspektive.
        Wir müssen uns bei allen Entscheidungen fragen, welche
        Wirkungen sie für die jungen Menschen von heute und
        morgen haben. Kinder und Jugendliche sind ein wichti-
        ger Teil der Gegenwart, und sie sind die Zukunft der Ge-
        sellschaft. Es ist daher im Interesse der Staaten, kinder-
        freundliche Strukturen zu schaffen und zu fördern und
        damit den Bedürfnissen von Kindern in allen Lebensbe-
        reichen besondere Bedeutung und Beachtung beizumes-
        sen.
        Mehr und mehr begreifen wir, dass Kinder keine klei-
        nen Erwachsenen sind, sondern ureigenste Bedürfnisse,
        Rechte und Pflichten haben und auch einer besonderen
        Förderung bedürfen, um sich zu einer eigenständigen
        Persönlichkeit zu entwickeln. Eine stärkere Beachtung
        von Kinderrechten könnte dazu führen, dass in allen Be-
        reichen – insbesondere bei Schutz-, Förder- und Partizi-
        pationsrechten – kindgerechte Lebensverhältnisse ge-
        s
        g
        D
        K
        r
        f
        Ü
        b
        t
        d
        a
        K
        t
        t
        s
        d
        d
        d
        M
        g
        t
        S
        b
        ü
        Ü
        w
        t
        S
        a
        d
        e
        b
        h
        s
        o
        l
        V
        P
        n
        A
        i
        g
        g
        e
        n
        R
        z
        i
        B
        w
        m
        d
        M
        g
        (C
        (D
        chaffen werden. Denn Kinder müssen und sollen ernst
        enommen werden.
        Am 5. April 1992 trat für die Bundesrepublik
        eutschland das Übereinkommen über die Rechte des
        indes in Kraft. Das Übereinkommen, die UN-Kinder-
        echtskonvention, gilt als ein Wegweiser für die Schaf-
        ung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Mit diesem
        bereinkommen wurden erstmals völkerrechtlich ver-
        indlich persönliche, politische, wirtschaftliche und kul-
        urelle Rechte von Kindern formuliert, die ihren Aus-
        ruck in der Festschreibung von Mindestanforderungen
        n die Versorgung, den Schutz und die Beteiligung von
        indern am gesellschaftlichen Leben finden.
        Mit dieser Konvention sind Kinder Inhaber von Rech-
        en und Freiheiten, das heißt nicht mehr Objekte des in-
        ernationalen Rechts, sondern Rechtssubjekte, deren be-
        ondere Schutzbedürftigkeit betont wird; das in Art. 3
        er Konvention niedergelegte Prinzip des Kindeswohls
        urchzieht das gesamte Abkommen. 193 Staaten haben
        ieses Übereinkommen ratifiziert.
        Eine Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der in den
        enschenrechtsverträgen eingegangenen Verpflichtun-
        en erfolgt zunächst über die anlassunabhängige Kon-
        rolle im Rahmen von Staatenberichtsverfahren. Die
        taaten reichen nach der UN-Kinderrechtskonvention
        eim Ausschuss über die Rechte des Kindes Berichte
        ber Maßnahmen ein, die sie zur Verwirklichung der im
        bereinkommen genannten Rechte getroffen haben, so-
        ie über Fortschritte, die dabei erzielt wurden. Die Staa-
        en sorgen für eine Verbreitung der Berichte im eigenen
        taat.
        Erweitert wurde das System der Staatenberichte bei
        nderen Menschenrechtsinstrumenten vielfach durch In-
        ividualbeschwerdeverfahren. Diese sorgen dafür, dass
        ine Menschenrechtsverletzung im Einzelfall erkannt,
        enannt, beseitigt und wiedergutgemacht wird. Darüber
        inaus dienen sie als Orientierungspunkte für eine men-
        chenrechtskonforme Ausgestaltung nationaler Rechts-
        rdnungen. Sie können als Instrument des internationa-
        en Menschenrechtsschutzes einen wichtigen Beitrag zur
        erwirklichung der Menschenrechte leisten.
        Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben einzelne
        ersonen bislang keine Möglichkeit, sich im Rahmen ei-
        es Individualbeschwerdeverfahrens direkt an diesen
        usschuss zu wenden, obwohl andere Menschenrechts-
        nstrumente wie etwa der Internationale Pakt über bür-
        erliche und politische Rechte, das Übereinkommen ge-
        en Folter und andere grausame unmenschliche oder
        rniedrigende Behandlung oder Strafe, das Internatio-
        ale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
        assendiskriminierung, die Internationale Konvention
        um Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und
        hrer Familienangehörigen und das Übereinkommen zur
        eseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau
        ie auch die Konvention über die Rechte von Menschen
        it Behinderungen bzw. deren Fakultativprotokolle dies
        urchaus vorsehen und im Rahmen der Europäischen
        enschenrechtskonvention (EMRK) sogar ein echtes
        erichtliches Verfahren geschaffen wurde.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20163
        (A) )
        (B) )
        Die Individualbeschwerde würde zu mehr Kinder-
        freundlichkeit beitragen. Mehr als drei Viertel aller El-
        tern in Deutschland wünschen sich nach einer Umfrage
        eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Eine Individual-
        beschwerde würde dazu beitragen, die Umsetzbarkeit
        der UN-Kinderrechtskonvention zu verbessern, und
        wäre damit eine Ergänzung der existierenden Berichts-
        pflicht.
        Eine Individualbeschwerde würde ferner dazu beitra-
        gen, die Kinder als vollberechtigte Inhaber von Rechten
        anzuerkennen und zu stärken. Mit der Individualbe-
        schwerde hätten Kinder das Recht, sich gegen eine Ver-
        letzung ihrer Rechte zu wehren. Die Vertragsstaaten
        würden stärker als bisher in die Rechenschaftspflicht ge-
        nommen.
        Im Nationalen Aktionsplan „Für ein kindgerechtes
        Deutschland 2005 – 2010“ der Bundesregierung wird
        ausgeführt, dass ein Individualbeschwerderecht grund-
        sätzlich geeignet ist, Rechtsstellung und Rechtsbewusst-
        sein der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft zur
        Implementierung ihrer Verpflichtungen zu fördern. Die
        Bundesregierung werde die mögliche Einführung einge-
        hend prüfen. Das Bundesministerium für Familie, Senio-
        ren, Frauen und Jugend hat darüber hinaus eine Reihe
        verschiedener Initiativen ergriffen, um Kinder und Ju-
        gendliche, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und
        Lehrer sowie die Eltern über Kinderrechte zu informie-
        ren.
        Der bevorstehende Weltkindertag am 20. November
        – Deutschland entschied sich für den 20. September als
        deutschen Kindertag – wie auch das Internationale Jahr
        des Menschenrechtslernens wären ein guter Zeitpunkt,
        um einen Schritt in Richtung einer Individualbe-
        schwerde voranzugehen. Ich plädiere deshalb dafür, dass
        wir uns gemeinsam für ein Individualbeschwerderecht
        im Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention einsetzen –
        ein längst überfälliger Schritt auf dem Weg zu Stärkung
        der Kinderfreundlichkeit in Deutschland.
        Diana Golze (DIE LINKE): Vor 16 Jahren hat die
        Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskon-
        vention ratifiziert und damit einen wichtigen und zu-
        gleich besonderen Menschenrechtsvertrag mitgezeich-
        net. Das Besondere an der Kinderrechtskonvention ist,
        dass sie der einzige Menschenrechtsvertrag mit einer Be-
        richtspflicht ohne ergänzendes Beschwerdeverfahren ist.
        Dass das nun geändert werden soll, erscheint auch der
        Linken folgerichtig.
        Denn glaubt man den Grußworten außerhalb des Par-
        lamentes und den großen Reden hier im Plenum, so ist es
        hier allseits anerkannt, dass Kinder und Jugendliche als
        eine Bevölkerungsgruppe angesehen werden, die zu den
        schutzbedürftigsten Menschengruppen der Gesellschaft
        gezählt werden. Auch aus diesem Grund unterstützen
        wir das Vorhaben, die Kinderrechte durch die Möglich-
        keit der individuellen Beschwerde mit anderen Men-
        schenrechten gleichzustellen. Auch teilen wir die Auf-
        fassung vieler Kinderrechtsorganisationen, dass dieses
        Instrument ein wichtiges ist, um internationalen Druck
        z
        E
        B
        V
        v
        s
        d
        I
        u
        g
        g
        d
        a
        n
        u
        d
        v
        P
        b
        n
        s
        1
        r
        m
        t
        v
        d
        d
        1
        r
        m
        t
        B
        K
        a
        m
        B
        d
        g
        s
        e
        s
        K
        e
        E
        b
        p
        w
        n
        s
        A
        r
        d
        m
        G
        (C
        (D
        u erzeugen, wenn es um die Verwirklichung und die
        inhaltung der Kinderrechte geht.
        Gerade in den vergangenen Wochen wurde durch den
        ildungsgipfel oder auch durch die Vorstöße einiger
        erbände zur Bekämpfung der Kinderarmut sehr oft her-
        orgehoben, dass Kinder eine Gruppe in unserer Gesell-
        chaft bilden, deren besondere Ansprüche auch beson-
        ere Aufmerksamkeit im politischen Handeln benötigen.
        n solchen Debatten höre ich oft auch von Kolleginnen
        nd Kollegen aus anderen Parteien, dass Kinder eine ei-
        enständige Bevölkerungsgruppe sind. Indem Sie, sehr
        eehrte Kolleginnen und Kollegen, sich für ein Indivi-
        ualbeschwerderecht einsetzen und die Bundesregierung
        uffordern, ein solches Fakultativprotokoll mitzuzeich-
        en, könnten Sie dieser Feststellung einen greifbaren
        nd realen Hintergrund geben und somit dazu beitragen,
        ass Kinder in ihrer Stellung als vollberechtigte Inhaber
        on Rechten anerkannt sind.
        Auch wenn die Bundesrepublik auf internationalem
        arkett zur Umsetzung von Kinderrechten beiträgt,
        leibt bei dieser Debatte, deren Beginn ich nochmals
        achdrücklich gutheißen möchte, ein fader Beige-
        chmack: Obwohl die Bundesregierung seit 1992 zu den
        93 Staaten gehört, die die UN-Kinderrechtskonvention
        atifiziert haben, sind diese Kinderrechte in einem Land
        itten in Europa, das für sich beansprucht, zu den wich-
        igsten Industrieländern zu gehören, immer noch nicht
        ollständig anerkannt. Auch 16 Jahre später sind die bei
        er Ratifizierung formulierten Vorbehalte nicht vollstän-
        ig aufgehoben. Sowohl in der 14. als auch in der
        5. Wahlperiode gab es parlamentarische Initiativen, de-
        en Ziel es war, diese Vorbehalte endlich zurückzuneh-
        en. Seit drei Jahren nun haben wir eine Große Koali-
        ion mit einer breiten Mehrheit in Bundestag und
        undesrat. Auf die Rücknahme der Vorbehalte zur UN-
        inderrechtskonvention warten wir trotzdem bis heute.
        Da mit diesem Antrag endlich deutlich wird, dass sich
        uch die FDP für die Rechtsstellung von Kindern stark-
        acht, müssen sich die Koalitionsfraktionen und die
        undesregierung also nicht mehr um die Zustimmung
        er Opposition sorgen. Sie können sich einer überwälti-
        enden Mehrheit im Parlament sicher sein und gemein-
        am mit der Unterzeichnung des Fakultativprotokolls
        ndlich auch die Kinderrechte in Gänze anerkennen und
        omit alle in Deutschland lebenden Kinder gleichstellen.
        Wenn wir dann schon beim Punkt Durchsetzung von
        inderrechten sind, könnte dieses Parlament auch mit
        iner breiten Mehrheit eine weitere längst überfällige
        ntscheidung treffen. Oder gibt es für die Festschrei-
        ung von Kinderrechten im Grundgesetz der Bundesre-
        ublik Deutschland doch keine so breite Mehrheit, ob-
        ohl zum Beispiel die Bekämpfung der Kinderarmut
        un seit längerem schon von der Kanzlerin zur Chef-
        ache erklärt wurde? Denn der Schutz von Kindern vor
        rmut ist ein wichtiger Bestandteil der UN-Kinder-
        echtskonvention. Seit dem April des Jahres 1992 ist
        iese Konvention geltendes Recht in Deutschland. Da-
        it einher geht auch eine Verpflichtung, alle geeigneten
        esetzgebungs- und Verwaltungsverfahren sowie sons-
        20164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        tige Maßnahmen zur Realisierung der damit anerkannten
        Rechte einzuleiten. An vielen Stellen ist die Gesetzge-
        bung bereits so geändert worden, dass sie zur Rück-
        nahme einiger Vorbehalte führte. Ein entscheidender
        politischer Schritt fehlt: die Verankerung der Rechte von
        Kindern und Jugendlichen im Grundgesetz. Kinder wer-
        den hier immer noch einzig und allein in Abhängigkeit
        zur Erziehungspflicht ihrer Eltern gesehen. Das ist eine
        Rechtslage, die weder dem Geist des 21. Jahrhunderts
        entspricht noch der Umsetzung der Kinderrechtscharta
        gerecht wird.
        Sosehr die Bemühungen, die mit der Einrichtung ei-
        ner Individualbeschwerde verbunden sind, von uns auch
        begrüßt werden, sie dürfen uns nicht über eines hinweg-
        täuschen: Der umfassende Schutz von Kindern und ihrer
        Rechte muss vor allem durch unsere Gesetzgebung hier
        in Deutschland gewährleistet sein.
        Auch als derzeit amtierende Vorsitzende der Kommis-
        sion des Deutschen Bundestages für die Belange der
        Kinder (Kinderkommission) möchte ich mich hinter die
        Forderungen der vielen Kinderrechtsorganisationen nach
        dem Recht auf Anhörung stellen. Die Einführung einer
        Individualbeschwerde käme damit Art. 12 der UN-Kin-
        derrechtskonvention entgegen.
        Kinder sind vollberechtigte Inhaber von Rechten. Wir
        sollten beginnen, sie ihnen auch einzuräumen.
        Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
        denke, ich muss Ihnen nicht erläutern, dass die Kinder-
        rechte ein Markenzeichen der Grünen sind. Wir werden
        daher diesem Antrag zustimmen, weil er richtig ist –
        auch wenn wir das von FDP-Anträgen eher selten den-
        ken.
        Die Kinderrechte stützen sich heute auf einen breiten
        gesellschaftlichen und überparteilichen Konsens – aller-
        dings nur bei einer oberflächlichen Betrachtung. Guckt
        man genauer hin, zeigt sich, wie dringend die Kinder-
        rechte eine Stärkung benötigen. Von der Großen Koali-
        tion können wir in Sachen Kinderrechte nicht mehr viel
        erwarten. Allen Ankündigungen folgte bisher lediglich
        ein großes Schweigen. Von Einigkeit keine Spur. Die
        Große Koalition hat auch nicht den Mut, sich zu den vor-
        liegenden Kinderrechtsanträgen zu positionieren. Ich be-
        fürchte, so wird es auch diesem Antrag ergehen. Er wird
        in den Ausschüssen nicht auf die Tagesordnung gesetzt
        und nicht mehr ins Plenum zurückfinden.
        Unsere Fraktion hat hierfür bekanntermaßen zwei Pa-
        radebeispiele.
        Erstens. Bis heute gibt es der Kinderrechtskonvention
        gegenüber Vorbehalte, wegen derer beispielsweise unbe-
        gleitete minderjährige Flüchtlinge nicht die gleichen
        Rechte wie deutsche Kinder genießen. Wir fordern seit
        Jahren die Rücknahme dieser Vorbehalte. Es ist kein Ge-
        heimnis, dass wir hier unter Rot-Grün an der SPD ge-
        scheitert sind. Nun hat auch die SPD die Kurve gekriegt,
        kann sich aber gegenüber der CDU/CSU nicht durch-
        setzten. Wenn am 20. November die Kinderrechtskon-
        vention wieder ihren Jahrestag hat, wird es auf die Frage
        n
        g
        b
        m
        M
        u
        r
        z
        w
        m
        U
        d
        s
        k
        v
        A
        e
        d
        e
        l
        j
        u
        e
        s
        e
        E
        d
        a
        g
        a
        h
        r
        n
        t
        G
        w
        t
        t
        s
        l
        a
        b
        d
        n
        f
        e
        k
        f
        i
        s
        U
        D
        m
        W
        (C
        (D
        ach den Vorbehalten wieder nur die gleichen Antworten
        eben. Unser Antrag wird seit zweieinhalb Jahren nicht
        ehandelt.
        Zweitens. Nach den positiven Äußerungen der ehe-
        aligen Jugendministerin und heutigen Bundeskanzlerin
        erkel, nach der Positionierung von Frau von der Leyen
        nd vieler anderer zugunsten einer Stärkung der Kinder-
        echte in der Verfassung ist die Union dann wieder
        urückgerudert. Von Einigkeit innerhalb der Koalition
        ieder keine Spur. Allen Bestrebungen der Kinderkom-
        ission des Deutschen Bundestages zum Trotz will die
        nion keine Diskussion über das Thema. Auch hier hat
        ie SPD-Fraktion spät die Kurve gekriegt. Jetzt stellt sie
        ich hin, als wären sie die Erfinder der Initiative. Dabei
        am der erste Antrag und der letzte „Wiederbelebungs-
        ersuch“ von meiner Fraktion. Ausgebremst wird dieser
        ntrag seit eineinhalb Jahren.
        Nun haben wir in Deutschland zwar ausgesprochen
        ngagierte Bemühungen, ein Monitoring zur UN-Kin-
        errechtskonvention zu schaffen. Bis zur Etablierung ist
        s aber noch ein weiter Weg. Schwere Kinderrechtsver-
        etzungen können dem UN-Ausschuss nur über die vier-
        ährige Berichterstattung bekannt werden. Das ist sehr
        mwegig, oft zeitversetzt und wenig partizipativ.
        Die Möglichkeit einer Individualbeschwerde ist daher
        in wichtiger Baustein in einem Monitoringkonzept. Sie
        tärkt zudem die Kinder als Träger eigener Rechte und
        rhöht die Kontrolle seitens der UN, wenn es um die
        inhaltung der Kinderrechte geht. Damit sind die Kin-
        errechte zwar nicht international einklagbar, es sollte
        ber gewährleistet werden, das Kinderrechtsverletzun-
        en – wenn überhaupt – Einzelfälle bleiben. Praktisch
        lle und vor allem neuere Menschenrechtsabkommen se-
        en ein Individualbeschwerderecht vor. Es spricht also
        ein gar nichts dagegen, sich für einen solchen Mecha-
        ismus starkzumachen.
        Wer jetzt ernsthaft ins Feld führt, Kinder könnten al-
        ersbedingt von einer solchen Möglichkeit gar keinen
        ebrauch machen, hat ein defizitäres Bild vom Kind und
        enig Ahnung von modernen Partizipationsmöglichkei-
        en. Gerade Kinder haben ein ausgesprochen ausgepräg-
        es Unrechtsempfinden und sind die Altersgruppe, die
        ich am stärksten engagiert. Vielen Kindern und Jugend-
        ichen ist die UN-Kinderrechtskonvention zwar bekannt,
        ber bisher ist sie für sie „weit weg“ und „wenig greif-
        ar“. Die reale Lebenssituation jedoch mit den Vorgaben
        er Konvention abgleichen zu können und sich gegebe-
        enfalls beschweren zu können, macht die Konvention
        ür sie erst „anfassbar“. Das Individualbeschwerderecht
        rhöht somit den Gebrauchswert der UN-Kinderrechts-
        onvention.
        Gerade einem menschenrechtlich und demokratisch
        ortschrittlichen Land wie Deutschland, das sich aktuell
        ntensiv mit der Kinder- und Familienfreundlichkeit be-
        chäftigt, würde es gut zu Gesicht stehen, sich bei der
        N für eine Beschwerdemöglichkeit starkzumachen.
        as allerdings erfordert in der Großen Koalition erst-
        als Einigkeit, Mut und Engagement in Sachen Kinder.
        oran ich allerdings meine Zweifel habe.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20165
        (A) )
        (B) )
        Anlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Gesetzes über die Überführung der Anteils-
        rechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft
        mit beschränkter Haftung in privater Hand
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        VW-Gesetzes
        (Tagesordnungspunkt 29)
        Paul K. Friedhoff (FDP): Vor gut einem Monat habe
        ich hier schon einmal zum VW-Gesetz gesprochen und
        klargemacht, dass die FDP-Bundestagsfraktion markt-
        ferne und europarechtswidrige Gesetze wie dieses ab-
        lehnt. Nun steht heute neben der Schlussabstimmung
        über den Regierungsentwurf noch ein Gesetzesentwurf
        zu der Thematik von der Linken aus dem März dieses
        Jahres zur Debatte. Lassen Sie mich einmal mehr die
        liberale Position in dieser Thematik deutlich zu machen.
        Die Linke meint, die den derzeitigen Gesetzesinitiati-
        ven zugrundeliegende Entscheidung des Europäischen
        Gerichtshofes verstoße ihrerseits gegen den EG-Vertrag.
        Diese Sicht teilt die FDP-Bundestagsfraktion nicht. Der
        EuGH greift nicht etwa – wie im Entwurf behauptet – in
        die deutsche Eigentumsordnung ein. Er stellt dagegen
        klar, dass vielmehr das auf einen Einzelfall bezogene
        VW-Gesetz gegen die deutsche Eigentumsordnung ver-
        stößt. Es wird mit der Entscheidung gerade auf eine Wie-
        derherstellung der Eigentumsordnung hingewirkt.
        Ebenso wie den von der Bundesregierung vorgelegten
        Entwurf lehnen wir auch den Gesetzesvorschlag der Lin-
        ken ab, weil beide Entwürfe auf halber Strecke stecken
        bleiben. Zwar werden im Entwurf der Linken mancher
        der auf Europa-Ebene kritisierten Punkte beseitigt, aber
        diese Teillösung des Problems wird nicht konsequent zu
        Ende geführt. Das Entsenderecht von Bund und Land
        wird lediglich begrenzt. Dabei gibt es keine ökonomi-
        schen Gründe, im Fall von Volkswagen vom üblichen
        deutschen Entsenderecht abzuweichen. Aus unserer
        Sicht einzig konsequent wäre die komplette Aufhebung
        dieses Einzelfallgesetzes von 1960. Es ist schlicht nicht
        mehr zeitgemäß, wenn ein Bundesland bei einem voll im
        Wettbewerb stehenden Automobilkonzern hineinregiert.
        Mit den dem Bundesland Niedersachsen als Teil-
        eigentümer gewährten Sonderrechten hält das Gesetz po-
        tentielle Investoren davon ab, Anteile zu kaufen um Ein-
        fluss zu gewinnen; der Anteilskauf erscheint durch die
        feste Stellung des Sonderaktionärs weniger attraktiv.
        Diese Sicht des Europäischen Gerichtshofes ist für jeden
        verständigen Teilnehmer des Wirtschaftslebens nach-
        vollziehbar.
        Ich zähle ihnen noch einmal kurz die Hauptkritik-
        punkte der europäischen Rechtsprechung im geltenden
        VW-Gesetz auf:
        Das Entsenderecht erlaubt es sowohl dem Bund als
        auch dem Land Niedersachsen, jeweils zwei Vertreter in
        d
        L
        b
        v
        z
        z
        n
        v
        c
        V
        o
        l
        r
        p
        a
        s
        s
        m
        B
        o
        A
        k
        l
        m
        d
        f
        p
        k
        s
        p
        w
        z
        t
        s
        S
        r
        S
        b
        t
        n
        k
        l
        i
        a
        A
        l
        r
        t
        w
        s
        V
        w
        u
        s
        D
        d
        r
        t
        (C
        (D
        en VW-Aufsichtsrat zu entsenden, sobald Bund oder
        and auch nur zwei Aktien besitzen. Die Stimmrechts-
        eschränkung verbietet es einem Aktionär unabhängig
        on seinem tatsächlichen Kapitalanteil, mehr als 20 Pro-
        ent der Gesamtstimmrechte auszuüben. Die Regelung
        ur geminderten Sperrminorität erlaubt es einem Aktio-
        är, Satzungsänderungen bereits mit einem Kapitalanteil
        on 20 Prozent statt der im deutschen Aktienrecht übli-
        hen 25 Prozent zu blockieren.
        Die Kombination dieser Regelungen im geltenden
        W-Gesetz führt dazu, dass Grundsatzentscheidungen
        hne die Stimmen des Landes Niedersachsen nicht mög-
        ich sind und der Staatseinfluss fixiert ist. Die Privilegie-
        ung des staatlichen Aktionärs gegenüber den übrigen
        rivaten beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit und ist
        ls Investitionshürde mit dem Europäischen Gemein-
        chaftsrecht nicht vereinbar. Diese Kapitalverkehrsbe-
        chränkung ist auch nicht etwa zur Sicherung des Allge-
        einwohls notwendig, wie oft behauptet. Die von der
        undesregierung dafür angeführten sozialpolitischen
        der gar industriepolitischen Gründe reichen nicht aus.
        uch ein Schutz vor feindlichen Übernahmen kann
        eine Rechtfertigung dafür bieten, VW nicht als norma-
        es Unternehmen zu behandeln. Dies hat der EuGH
        ehrfach deutlich gemacht. Die Bundesregierung meint
        ennoch, die Auffassung des Europäischen Gerichtsho-
        es beharrlich ignorieren zu können. Die Justizministerin
        robiert einfach weiter am Gesetz herum, ohne eine
        lare Lösung zu schaffen. Der EuGH wird das VW-Ge-
        etz aber zu Recht erst akzeptieren, wenn seine Kritik-
        unkte ausgeräumt sind. Die Bundesregierung wird dies
        issen. Dennoch ist sie nicht lernwillig, sondern provo-
        iert ein Vertragsverletzungsverfahren nach dem nächs-
        en. Es kann und darf jedoch nicht sein, dass die deut-
        chen Steuerzahler am Ende von Brüssel verhängte
        trafgelder bezahlen müssen, nur weil die Bundesregie-
        ung dem Land Niedersachsen eine europarechtswidrige
        onderrolle länger sichern will.
        Nach Ansicht der FDP sind Vetorechte für den Staat
        ei einem im Wettbewerb stehenden Unternehmen sys-
        emfremd. Wenn in Unternehmenspolitik vom Staat hi-
        einregiert werden kann, so ist dies für das Unternehmen
        einesfalls förderlich. Hat ein Aktionär Sonderrechte, so
        iegt in dieser Begünstigung klar die Gefahr, dass er sie
        m Eigeninteresse und zulasten der normalen Aktionäre
        usnutzt. Ein Wegfall von Sonderrechten und Goldenen
        ktien ist daher zur Stärkung der Hauptversammlung als
        egitimem Eigentümergremium geboten.
        Ein besonderer gesetzlicher Schutzwall ist nach unse-
        er Meinung für das Unternehmen Volkswagen nicht nö-
        ig. Der Schutz der Eigentümerinteressen wird ebenso
        ie die Durchsetzung der Hauptversammlungsbe-
        chlüsse durch Aktiengesetz und Handelsgesetzbuch für
        W – wie für alle anderen Aktiengesellschaften – ge-
        ährleistet. Das Beibehalten eines Einzelfallgesetzes ist
        nnötig. Nötig dagegen ist, die Volkswagen Aktienge-
        ellschaft als ein normales Unternehmen zu betrachten.
        a Volkswagen nicht gleicher oder ungleicher ist als an-
        ere Autobauer, muss der Staatseinfluss konsequent zu-
        ückgefahren werden. Die Verfechter einer starken Be-
        eiligung der öffentlichen Hand an diesem Unternehmen
        20166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        sollten bedenken, dass das VW-Gesetz früher einmal
        VW-Privatisierungsgesetz genannt wurde. Wenn die
        Bundesregierung im Fall Volkswagen auf Protektionis-
        mus setzt, so torpediert sie damit vor allem die Förde-
        rung des europäischen Binnenmarktes. Mitgliedsländer
        mit protektionistischen Tendenzen in ihrer Industriepoli-
        tik wie Frankreich, wo häufig auch deutsche Mittel-
        ständler diskriminiert werden, dürften sich durch eine
        Beibehaltung des VW-Gesetzes bestätigt sehen.
        Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dafür einset-
        zen, dass bei Volkswagen in Zukunft das Verhältnis zwi-
        schen Kapitalanteil und Kontrolle wieder proportional
        und europarechtskonform nach dem Prinzip „eine Aktie,
        eine Stimme“ ausgestaltet wird. Einen Dauerstreit der
        Bundesjustizministerin mit der EU-Kommission auf
        Kosten der Steuerzahler gilt es zu vermeiden. Das
        Zwangsgeldverfahren der EU-Kommission steht in den
        Startlöchern. Das Bundeswirtschaftsministerium geht
        von einem zu zahlenden Tagessatz von 90 000 Euro aus.
        Wenn die Bundesregierung durch ihre Sturheit tatsäch-
        lich riskieren mag, dass Steuergelder derart sinnlos
        durch den Auspuff gejagt werden, werden wir ihr das im
        kommenden Wahljahr nicht vergessen vorzuhalten.
        Meine Damen und Herren Kollegen, ich appelliere
        noch einmal dringend an Sie: Nutzen Sie in der heutigen
        letzten Lesung dieses Gesetzes die Chance, die ord-
        nungspolitisch gebotene Normalität auch bei dem gro-
        ßen Konzern Volkswagen AG einkehren zu lassen. Die
        FDP-Bundestagsfraktion jedenfalls streitet auch in Sa-
        chen Volkswagen für die Rückkehr zu den Regeln der
        sozialen Marktwirtschaft.
        Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Wir Grünen unterstützen den Gesetzentwurf der Bundes-
        regierung. Er sichert den Kern des VW-Gesetzes und
        passt dieses an die Vorgaben des EuGH an. Die Sonder-
        rechte der Beschäftigten hinsichtlich der Schließung und
        Verlagerung von Produktionsstätten bleiben erhalten.
        Nach Vorgängen wie bei Nokia in Bochum wäre die Ab-
        schaffung dieser Arbeitnehmerrechte zu Recht auf völli-
        ges Unverständnis gestoßen. Ebenso bleibt der Einfluss
        Niedersachsens gewahrt, was für die Beschäftigten und
        die Werke in Niedersachsen von zentraler Bedeutung ist.
        Doch auch wenn wir mit dem Inhalt des Gesetzent-
        wurfes einverstanden sind, so sind wir Grüne doch äu-
        ßerst unzufrieden mit dem Agieren der Bundesregierung
        in dieser Frage. Insbesondere die Unionsseite hat ständig
        quergeschossen. Mal lässt der Wirtschaftsminister sei-
        nen Widerwillen in einer Protokollnotiz zum Kabinetts-
        beschluss dokumentieren. Mal kündigt Oettinger eine
        Bundesratsinitiative gegen das VW-Gesetz an.
        Im Ergebnis werden dadurch diejenigen in Brüssel
        bestärkt, die das VW-Gesetz ganz abschaffen wollen.
        Wie soll denn die Europäische Kommission von der
        Rechtmäßigkeit des VW-Gesetzes überzeugt werden,
        wenn offensichtlich noch nicht einmal der deutsche
        Wirtschaftsminister davon überzeugt ist? Das ganze Hin
        und Her hat der deutschen Position in Brüssel schwer ge-
        schadet.
        d
        c
        G
        D
        g
        t
        d
        n
        w
        l
        m
        s
        d
        s
        w
        h
        l
        s
        A
        s
        r
        r
        A
        h
        m
        S
        L
        t
        s
        w
        d
        i
        h
        e
        z
        d
        e
        a
        h
        n
        A
        g
        d
        W
        n
        (C
        (D
        Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch einmal an
        ie Kommission appellieren, sich davon nicht beeindru-
        ken zu lassen, sondern vielmehr das novellierte VW-
        esetz, welches wir heute beschließen, zu akzeptieren.
        ie erneute Klage gegen das VW-Gesetz sollte zurück-
        ezogen werden. Die Kommission muss meines Erach-
        ens aufpassen, nicht die gleichen Fehler wie damals bei
        er Dienstleistungsrichtlinie zu machen. Kluge Ord-
        ungspolitik darf nicht mit blinder Prinzipienreiterei ver-
        echselt werden. Auch bei der Setzung eines wirtschaft-
        ichen Ordnungsrahmens gilt es, die Menschen
        itzunehmen.
        Die Besonderheiten des VW-Gesetzes sind in der Ge-
        chichte des Unternehmens begründet. Die Nazis bauten
        as Volkswagenwerk mit beschlagnahmtem Gewerk-
        chaftsvermögen auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg
        ollte niemand die Reste dieses Werkes haben. Darauf-
        in bauten die Arbeitnehmer das Werk eigenverantwort-
        ich wieder auf. Das VW-Gesetz würdigte diese Ge-
        chichte durch besondere Mitentscheidungsrechte der
        rbeitnehmerschaft. Wir Grüne stehen zu dieser Ge-
        chichte und wollen das VW-Gesetz deshalb erhalten.
        Anders übrigens als die FDP, die mit ihren Ände-
        ungsanträgen im Wirtschaftsausschuss diese besonde-
        en Mitentscheidungsrechte der Arbeitnehmerinnen und
        rbeitnehmer abschaffen wollte – obwohl diese über-
        aupt nicht vom EuGH moniert worden waren. Ich kann
        ir nicht vorstellen, dass die Menschen dieses doppelte
        piel der FDP gutheißen: Als Teil der niedersächsischen
        andesregierung angeblich für das VW-Gesetz zu strei-
        en und in Berlin, wenn es darauf ankommt, dagegen zu
        timmen – das ist unredlich.
        Ich habe bereits bei der Einbringung des Gesetzent-
        urfes betont, dass es für VW jetzt wichtig ist, Ruhe in
        en Konzern zu bekommen. Gerade angesichts der Krise
        n der Automobilindustrie kann sich VW keinen dauer-
        aften internen Machtkampf erlauben. Es ist deshalb
        ntscheidend, mit dem VW-Gesetz einen klaren Rahmen
        u setzen, auf den sich alle Beteiligten – Volkswagen,
        as Land Niedersachsen, Porsche und die Beschäftigten –
        instellen können. Dann kann sich Volkswagen endlich
        uf das konzentrieren, was letztlich über die Zukunftsfä-
        igkeit des Konzerns entscheidet: auf das Bauen von in-
        ovativen und umweltfreundlichen Autos.
        nlage 12
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte
        wahrnehmen, unabhängige Sozialberatung aus-
        weiten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen
        (Tagesordnungspunkt 26)
        Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Zu den
        rundlegenden Leistungen unseres Sozialstaates gehört
        ie Zusage an jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger:
        er aus eigenem Einkommen und eigener Leistung sei-
        en Lebensunterhalt und den seiner Familie nicht be-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20167
        (A) )
        (B) )
        streiten kann, der hat Anspruch auf eine gesetzlich klar
        definierte staatliche Leistung. Diese staatliche Leistung
        ist kein Almosen, vielmehr besteht ein Rechtsanspruch
        darauf. Zu den tragenden Prinzipien dieser staatlichen
        Hilfe gehört aber auch, dass jeder zuerst sein eigenes
        Einkommen und Vermögen einsetzen muss, bevor er die
        von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mitfinan-
        zierte staatliche Hilfe in Anspruch nimmt.
        Diese staatliche Hilfe, die wir früher Sozialhilfe ge-
        nannt haben, wurde und wird von etlichen Berechtigten,
        vor allem aus der älteren Generation, nicht in Anspruch
        genommen – aus Scham oder aus einer falsch verstande-
        nen Bescheidenheit, man wolle niemand anderem zur
        Last fallen. Die alte Sozialhilfe ist jedoch in den letzten
        Jahren durch neue Gesetze abgelöst worden a) für die
        Seniorinnen und Senioren durch die Grundsicherung im
        Alter und b) für alle, die zumindest wenige Stunden er-
        werbsfähig sind, durch die Grundsicherung für Arbeitsu-
        chende, das Arbeitslosengeld II.
        Beide Grundsicherungssysteme haben dazu geführt,
        dass viele, die bislang keinen Sozialhilfeantrag gestellt
        haben, jetzt die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen.
        Die „verdeckte Armut“ ist durch die neuen Grundsiche-
        rungssysteme nicht zum neuen Problem geworden, viel-
        mehr wird „verdeckte Armut“ jetzt entschiedener aufge-
        deckt und bekämpft als je zuvor. Das ist ein guter Erfolg.
        Die gesetzlichen Regelungen für die Grundsicherung im
        Alter und für die Grundsicherung für Arbeitsuchende
        sind nicht die Ursache für „verdeckte Armut“, sondern
        sie helfen zusätzlich im Kampf gegen Armut. Das hat
        eine Reihe sachlicher Gründe, die es den Betroffenen er-
        leichtern, einen Antrag zu stellen:
        Erstens. Die Grundsicherung im Alter wird gewährt,
        ohne dass Rückgriff auf unterhaltspflichtige Kinder ge-
        nommen wird. Das ist ein großer Unterschied zur alten
        Sozialhilfe. Diese Regelung führt dazu, dass heute ältere
        Menschen nicht mehr darauf verzichten, einen Grundsi-
        cherungsantrag zu stellen, weil man niemand „zur Last
        fallen“ wolle.
        Zweitens. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende,
        das Arbeitslosengeld II, hat für die einstigen Empfänger
        von Sozialhilfe bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten
        und höhere Beträge für das Schonvermögen gebracht.
        Beide Verbesserungen sind für etliche Antragsteller, die
        in der Vergangenheit vielleicht auf einen Sozialhilfean-
        trag verzichtet haben, jetzt doch ein Anreiz, Grundsiche-
        rung für sich zu beantragen.
        Zu Recht wird gefordert, dass Leistungsberechtigte
        eine gute und unabhängige Beratung erhalten. Beratung
        ist selbstverständlich auch Aufgabe der Sozialbehörden.
        Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, dass in ei-
        nem Antrag der Linken die Sozialbehörden in Deutsch-
        land unter den Generalverdacht gestellt werden, sie wür-
        den Leistungsberechtigte von einer Antragstellung
        geradezu abschrecken. Ich stelle fest: Es mag Ausnah-
        men geben, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
        den örtlichen Sozialämtern, in den Arbeitsgemeinschaf-
        ten für Empfänger von Arbeitslosengeld II und in den
        Agenturen für Arbeit machen gute Arbeit. Und sie ver-
        d
        d
        s
        c
        g
        A
        d
        b
        W
        f
        le
        m
        d
        w
        d
        k
        a
        U
        u
        S
        k
        S
        k
        L
        n
        t
        r
        n
        s
        L
        b
        S
        d
        u
        a
        A
        b
        f
        B
        m
        z
        n
        V
        n
        S
        t
        j
        w
        s
        b
        n
        u
        (C
        (D
        ienen auch unsere politische Unterstützung. Wir von
        er CDU/CSU wollen, dass die Beratung weiter verbes-
        ert wird. Deshalb begrüßen wir es, dass 3 000 zusätzli-
        he Stellen in der Arbeitsvermittlung bis zum Jahr 2010
        eschaffen werden, um speziell für Empfänger von
        rbeitslosengeld II die Beratung nochmals auszubauen.
        Darüber hinaus haben wir in Deutschland ein flächen-
        eckendes Angebot sozialer Dienste der Wohlfahrtsver-
        ände: Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Paritätischer
        ohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Zentralwohl-
        ahrtsstelle der Juden. Sie sind gerade dort tätig, wo sozia-
        Brennpunkte sind, und sie engagieren sich zusätzlich
        it einer Reihe von Beschäftigungsgesellschaften für
        ie Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. Deshalb
        erden die Wohlfahrtsverbände in ihrer Arbeit auch
        urch öffentliche Mittel auf der Bundes-, Landes- und
        ommunalen Ebene unterstützt. Der Staat unterstützt
        lso schon heute die unabhängige Beratung in großem
        mfang.
        Hinzu kommt, dass die großen Sozialverbände VdK
        nd SoVD ebenfalls flächendeckend mit regelmäßigen
        prechstunden Beratung in Sozialrechtsfragen anbieten.
        Ich will all denen, die sich in dieser Beratungstätig-
        eit engagieren, heute ein herzliches Dankeschön sagen.
        ie leisten hervorragende Arbeit. Deshalb brauchen wir
        ein neues zusätzliches Beratungssystem, wie es die
        inkspartei fordert.
        Das Entscheidende ist jedoch: Armut bekämpft man
        icht mit einem aufgeblähten Apparat zusätzlicher Bera-
        ungsinstitutionen, mit mehr Klagen und Gerichtsverfah-
        en. Armut bekämpft man mit Arbeit, damit Menschen
        icht weiter von staatlicher Unterstützung abhängig
        ind. Es gibt einen großen politischen Unterschied: Die
        inke will die Armut verwalten. Wir wollen die Armut
        ekämpfen. Die Linke will einen rundum versorgenden
        taat. Sie will die Menschen entmündigen. Wir wollen,
        ass Menschen aus der Abhängigkeit herauskommen
        nd möglichst schnell durch eigenes Einkommen wieder
        uf eigenen Füßen stehen.
        Um die Wege raus aus der Arbeitslosigkeit und rein in
        rbeit und selbst erarbeitetes Einkommen weiter zu ver-
        essern, haben die Bundesregierung und die Koalitions-
        raktionen von CDU/CSU und SPD heute im Deutschen
        undestag das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeits-
        arktpolitischen Instrumente eingebracht. Zur Qualifi-
        ierung und Vermittlung in Arbeit werden jetzt die Maß-
        ahmen noch individueller eingesetzt werden können.
        ermittlungsbudget und Experimentierbudget führen als
        eue Instrumente zu einem flexibleren und der örtlichen
        ituation angepassterem Einsatz der Eingliederungsmit-
        el. Sie verbessern die Leistungen für benachteiligte
        unge Menschen. Unsere aktive Arbeitsmarktpolitik
        ird effektiver und zielgenauer. Arbeitslose können
        chneller in Erwerbstätigkeit integriert werden.
        Nicht Arbeitslosigkeit verwalten, Arbeitslose noch
        esser qualifizieren und fördern, damit sie wieder in ei-
        en Job kommen können – das ist die richtige Antwort,
        m Armut effektiv zu bekämpfen.
        20168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Rolf Stöckel (SPD): Das Thema „verdeckte Armut“
        ist heute nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung des
        Hauses. Der hier diskutierte Antrag ist allerdings eher
        ein Dokument ideologischer Blindheit und fachlicher In-
        kompetenz als ein konstruktiver Vorschlag, wie man ver-
        deckte Armut noch besser bekämpfen könnte. Um es mit
        anderen Worten zu sagen: Die Linke ignoriert die realen
        Erfolge der Reformen in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und
        Familienpolitik. Der Antrag ist ein erneuter Versuch, po-
        pulistischen Honig aus dem Paradigmenwechsel hin zum
        vorsorgenden, aktivierenden Sozialstaat zu saugen.
        Wir sind uns einig, dass es verdeckte Armut immer
        noch gibt und dass sie – soweit der Staat dazu in der
        Lage ist – konsequent bekämpft werden muss. Damit be-
        ginnen wir nicht heute, und wir müssen auch nicht von
        der Linken dazu aufgefordert werden. Sozialdemokraten
        haben seit 1998 in den Regierungen Schröder und
        Merkel dafür gesorgt, dass Ausmaß und Gründe von
        Armutslagen untersucht werden, regelmäßig darüber be-
        richtet wird und wirksame Maßnahmen eingeleitet werden.
        Wir haben dafür gesorgt, dass gerade die benachteiligten
        und ausgegrenzten Menschen neue Rechtsansprüche auf
        Teilhabe am Arbeitsmarkt und bessere Leistungen der
        Grundsicherungen und Familienförderung erhalten.
        Es bleibt richtig: Der beste Schutz vor Armutsrisiken
        ist eine Beschäftigung, die den Lebensunterhalt und eine
        menschenwürdige Existenz sicherstellt. Heute ist die Ar-
        beitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit 16 Jahren ge-
        sunken; im Vergleich zu 1998 hat sie sich fast halbiert.
        Das DIW stellt fest, dass in Fortschreibung des letzten
        Armuts- und Reichtumsberichtes, dessen Daten bis zum
        Jahre 2005 reichen, in den Jahren 2006 und folgende
        über 1 Million Menschen weniger unterhalb der Armuts-
        risikoschwelle leben muss. Bei allen Mängeln und Defi-
        ziten, die es natürlich auch noch gibt und an denen wir
        im Zuge der Weiterentwicklung der Arbeitsmarktrefor-
        men zielgenau arbeiten müssen: Die Behauptung, es
        hätte keine Leistungsverbesserungen und keine Förde-
        rung der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen und
        ihrer Familien gegeben, ist schlicht gesagt demagogi-
        scher Unsinn. Neben den vielen Maßnahmen der Ver-
        gangenheit wurden erst vor kurzem der Kinderzuschlag
        und das Wohngeld von der Koalition nochmals erhöht.
        Die Regelsätze der Grundsicherungen werden wie die
        Rente angepasst, das Kindergeld erhöht und eine neue
        einmalige Leistung bei Bedarf, das Schulstarterpaket,
        eingeführt.
        Es gibt verdeckte Armut in Deutschland, aber sie
        nimmt ab, wie sie in Ihrer Begründung selbst schreiben.
        Sie selbst führen die Untersuchungen von Hauser und
        Becker zur verdeckten Armut vor und nach der Zusam-
        menlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Jahre
        2005 an. Danach liegen die Schätzungen für die Nicht-
        inanspruchnahme von Leistungsansprüchen vor 2005 bei
        fast 50 Prozent der Berechtigten und heute – das ist
        wirklich bemerkenswert – unter 20 Prozent.
        Für die Nichtinanspruchnahme gibt es natürlich ver-
        schiedenste Gründe. Die Welt ist eben nicht, wie die
        Linke uns mit ihrem Antrag suggerieren will, nur
        schwarz und weiß. Da gibt es neben der Unwissenheit,
        d
        w
        e
        o
        m
        g
        u
        t
        k
        „
        P
        d
        P
        n
        k
        z
        b
        s
        d
        f
        F
        s
        a
        G
        p
        d
        z
        d
        d
        c
        m
        g
        v
        s
        a
        b
        B
        ü
        L
        V
        w
        r
        w
        i
        c
        m
        a
        r
        f
        u
        i
        e
        s
        g
        d
        Z
        d
        f
        (C
        (D
        er wir nur durch Aufklärung und Beratung entgegen-
        irken können, auch den Verzicht auf oftmals geringe
        rgänzende Leistungen – aus Scham, aber auch aus Stolz
        der weil die Bürokratie und die Überprüfung von Ver-
        ögen oder Partnereinkommen gescheut wird. Aber es
        ibt natürlich auch die Fakten des illegalen Aufenthaltes
        nd der Schattenwirtschaft, die Menschen davon abhal-
        en, Rechtsansprüche durch Antragstellung und Mitwir-
        ung einzulösen. Das hat überhaupt nichts mit einem
        Missbrauchsvorwurf“ zu tun. Manchmal geht es in der
        raxis nur darum, die größere Wohnung, das Auto oder
        ie offizielle Bedarfsgemeinschaft mit verdienenden
        artnern, Kindern oder Eltern zu erhalten. Die Betroffe-
        en müssen auch in Zukunft selbstständig entscheiden
        önnen, auf eine Beantragung von Leistungen zu ver-
        ichten. Wer Mitwirkungspflichten, Sanktionen und Ar-
        eitsgelegenheiten bei der Grundsicherung für Arbeit-
        uchende als Folter- und Abschreckungsinstrumente
        arstellt, die zu einer erhöhten Nichtinanspruchnahme
        ühren, hat von der Gerechtigkeit, der Stabilität und der
        inanzierung unseres Sozialstaates entweder nichts ver-
        tanden oder ignoriert seine Legitimationsbasis bewusst
        us demagogischen Gründen.
        Das Prinzip der Nachrangigkeit der staatlichen
        rundsicherungen, die Mitwirkungspflichten, die Prinzi-
        ien der Hilfe zur Selbsthilfe und der individuellen Be-
        arfsabhängigkeit stellen die notwendigen Vorausset-
        ungen dafür dar, dass die Beitrags- und Steuerzahler,
        ie mit ihrem Einkommen oftmals selbst nur knapp über
        er Bedarfsgrenze liegen, bereit sind, unsere sozialen Si-
        herungssysteme auch zu tragen. Wir sprechen ja nicht
        ehr von Armenhilfe, Fürsorge oder Sozialhilfeempfän-
        ern, die in ihrem Dasein mehr oder weniger schlecht
        ersorgt und kaum persönlich gefördert werden. Wir
        prechen zu Recht von Menschen, die einen Anspruch
        uf Grundsicherung, Beratung und Teilhabe auf dem Ar-
        eitsmarkt und in der Gesellschaft haben.
        Im SGB I, in den §§ 13 und 14, ist der Anspruch aller
        ürgerinnen und Bürger auf Aufklärung und Beratung
        ber ihre Rechte und Pflichten durch die zuständigen
        eistungsträger, Verbände und öffentlich-rechtlichen
        ereinigungen geregelt. Es wäre ein Armutszeugnis,
        enn wir uns damit abfinden würden, dass diese Aufklä-
        ungs- und Beratungspflicht unzureichend umgesetzt
        ird oder von einer restriktiven Ausgabenpolitik geprägt
        st und deshalb unabhängige Beratungsstellen flächende-
        kend eingerichtet und vom Staat finanziert werden
        üssten. Nicht nur, dass diese Beratungsstellen ihre Un-
        bhängigkeit verlieren würden. Die öffentliche Aufklä-
        ung und Beratung muss durch ausreichendes und quali-
        iziertes Personal, durch ein besseres Fallmanagement
        nd persönliche Hilfen sichergestellt werden.
        Was noch zu oft fehlt und was wir dringend brauchen,
        st eine Kultur des Staates als „Partner der Bürger“, sind
        ngagierte Verwaltungen und die aktive Bürgergesell-
        chaft, die sich vernetzen und Armuts- und Benachteili-
        ungslagen nicht nur verwalten und alimentieren, son-
        ern tatsächlich verändern wollen. Wir brauchen eine
        usammenarbeit der Arbeits- und Sozialverwaltung mit
        en Beratungsstellen der freien Verbände und Selbsthil-
        egruppen, gesellschaftliche Beiräte, Ombudsleute, die
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20169
        (A) )
        (B) )
        ihre spezifischen Beiträge zur Bekämpfung der Armut
        und Ausgrenzung koordinieren und über die besten An-
        gebote und Instrumente öffentlich streiten. Die Praxis
        der Jobcenter und Argen entwickelt sich längst in diese
        Richtung, und das ist gut so.
        Wir stellen mit dem Gesetz, das wir heute in den Bun-
        destag eingebracht haben, neue Arbeitsmarktinstru-
        mente, insbesondere für Arbeitsuchende mit besonderen
        Vermittlungshemmnissen, und Fallpauschalen zur Verfü-
        gung, die helfen, auch die vorhandenen Arbeitslosenzen-
        tren der freien Träger und Selbsthilfegruppen zu unter-
        stützen.
        Wir beklagen, dass die Landesregierung in Nord-
        rhein-Westfalen mit Billigung des Arbeits- und Sozial-
        ministers Laumann und des Ministerpräsidenten
        Rüttgers sich aus der Finanzierung dieser Beratungsstel-
        len und subsidiären Dienstleister zurückzieht und damit
        eine gute Praxis der sozialen Integration, der Bewer-
        bungshilfen und Sprachförderung gefährdet, wenn nicht
        kaputt macht. Dort, wo die Argen und Kommunen mit
        dem Instrumentenkasten des SGB II helfen können,
        sinnvolle Angebote zu stützen, werden wir ihnen dabei
        helfen. Eine Politik, bei der der Bundeshaushalt immer
        mehr zum Ausfallbürgen verfehlter und falscher Landes-
        politik, zum Beispiel bei der Beratung und Unterstüt-
        zung von Arbeitslosen und in einer mangelhaften Bil-
        dungs- und Qualifizierungspolitik der Länder und
        Kommunen, werden soll, ist ein Irrweg; den werden wir
        sicher nicht mitgehen.
        Die Rechtswege müssen barrierefrei, auch in Hinsicht
        auf die Prozesskostenhilfe, jedem offenstehen. Wenn im
        Antrag der Linken beklagt wird, dass es 60 000 Verfah-
        ren vor den Sozialgerichten gibt, dann sind das ganze
        1,1 Prozent von der gesamten Fallzahl. Das ist, wenn
        man die Widerspruchsverfahren und Klagen vor Verwal-
        tungs- und Sozialgerichten in der Vergangenheit sieht,
        keine wesentliche Steigerung. Das ist im Rechtsstaat nun
        mal so gewollt.
        So wie das Grundsicherungsrecht individuelle An-
        sprüche und Leistungen garantiert, bleibt auch das Kla-
        gerecht individuell. Wir sehen deshalb keinen Bedarf
        nach einem Verbandsklagerecht, das den Verbänden
        nützt, die Zahl der Klagen noch ausweitet, aber den Be-
        troffenen kaum hilft. Armutsbekämpfung stellen wir uns
        anders vor. Wir brauchen einen ressortübergreifenden
        Ansatz der sozialen Integration und Teilhabe. Das gilt
        für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die bessere Kinderbe-
        treuung benötigen, für Kinder, die eine qualitativ bessere
        Bildung im Ganztagsschulbereich benötigen. Das gilt
        auch für Migranten, die nicht nur bessere Sprachkennt-
        nisse, sondern auch die beidseitige Bereitschaft zur In-
        tegration brauchen. Für Langzeitarbeitslose ist die Job-
        perspektive wichtig, für Ältere, Pflegebedürftige und
        Behinderte das Persönliche Budget und die Bereitschaft,
        Inklusion und Barrierefreiheit konsequent umzusetzen.
        Den sozialen Zusammenhang und die Hilfsbereit-
        schaft der Zivilgesellschaft können wir fördern, aber
        nicht gesetzlich verordnen. Aus all diesen Gründen – vor
        allem, weil es bessere, sachgerechtere und erfolgreichere
        Konzepte der Armutsbekämpfung gibt – werden wir der
        A
        L
        h
        d
        d
        5
        g
        4
        L
        w
        n
        k
        a
        s
        d
        L
        i
        n
        k
        „
        G
        t
        R
        d
        m
        K
        i
        g
        r
        B
        z
        e
        c
        r
        u
        g
        x
        z
        w
        t
        v
        S
        s
        E
        n
        k
        s
        n
        R
        f
        g
        S
        g
        m
        (C
        (D
        usschussempfehlung zustimmen und den Antrag der
        inken ablehnen.
        Heinz-Peter Haustein (FDP): Der Antrag, den wir
        ier in zweiter Lesung beraten, trägt den Titel „Ver-
        eckte Armut bekämpfen …“ Darin kritisiert Die Linke
        as hohe Maß an verdeckter Armut. Die Rede ist von
        Millionen Bedarfsgemeinschaften, die eine Berechti-
        ung haben, Leistungen zu beziehen, und von lediglich
        ,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die tatsächlich
        eistungen erhalten. Man rechnet demnach richtiger-
        eise, es gebe 900 000 Bedarfsgemeinschaften, die ei-
        en Anspruch auf staatliche Leistungen haben, aber
        eine Leistungen beziehen. Mit dem Rechenergebnis ist
        ber auch schon alles, was an dem Antrag richtig ist, er-
        chöpfend genannt.
        Die Linke schlägt Maßnahmen vor, die die 900 000 Be-
        arfsgemeinschaften dazu bringen sollen, staatliche
        eistungen zu erhalten. Aber: Dadurch, dass Menschen
        n größerem Umfang staatlich alimentiert werden, ist
        och nicht die Ursache von Armut bekämpft. Damit be-
        ämpfen Sie die Verdeckung der Armut, nicht aber die
        verdeckte Armut“! Der Titel führt also in die Irre.
        Die FDP hat das Fortentwicklungsgesetz aus guten
        ründen abgelehnt. Aber wenn Die Linke in ihrer An-
        ragsbegründung implizit unterstellt, die derzeitige
        echtslage hätte die Funktion, Leistungsberechtigte von
        er Beantragung staatlicher Leistungen abzuschrecken,
        uss dem deutlich widersprochen werden. So wird der
        lassenkampf beschworen. Eine Hilfe für die Menschen
        st das nicht. Im Antrag heißt es, das Fortentwicklungs-
        esetz habe „offensichtlich die Funktion, Leistungsbe-
        echtigte abzuschrecken“. Die Linke zitiert aus der
        egründung des Fortentwicklungsgesetzes: „Die früh-
        eitige Unterbreitung von Eingliederungsangeboten ist
        in geeignetes Mittel, um … die Bereitschaft des Hilfesu-
        henden zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen.“ Im Inte-
        esse aller Menschen, die redlich ihrer Arbeit nachgehen
        nd mit Steuern und Beiträgen staatliche Sozialleistun-
        en erst ermöglichen, muss es verantwortungsvolle Pra-
        is sein, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme auch ein-
        ufordern, wo Angebote dazu vorliegen.
        Der Antrag übersieht, dass die Möglichkeit der Ge-
        ährung von Prozesskostenhilfe besteht, dass es ein gu-
        es Netz unabhängiger Beratungsstellen der Wohlfahrts-
        erbände gibt und dass die über 100 000 Klagen vor
        ozialgerichten in Deutschland nicht unbedingt dafür
        prechen, dass die Menschen ihre Rechte nicht kennen.
        s ist eine Selbstverständlichkeit, zu betonen, dass es
        icht sein darf, dass sich Armut negativ auf die Möglich-
        eiten der Menschen auswirkt, den Rechtsweg zu be-
        chreiten. Rechtsprechung nach dem Geldbeutel ist nicht
        ur rechtsstaatlich bedenklich. Sie wird es mit der
        echtsstaatspartei FDP auch nicht geben.
        Die Linken zitieren eine Studie, die als einen Faktor
        ür die Nichtinanspruchnahme von Leistungen man-
        elnde Kenntnisse der Rechtslage angibt. Daraus leiten
        ie die Notwendigkeit ab, eine vom Träger der Leistun-
        en unabhängige Rechtsberatung einzurichten. Sie ver-
        itteln damit den falschen Eindruck, die Mitarbeiter der
        20170 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Argen würden die Anspruchsberechtigten nicht ausrei-
        chend oder sogar falsch beraten. Auch das kann man so
        nicht stehen lassen. Vielmehr ist eine völlige Unkenntnis
        über die Berechtigung zu einer Leistung die Ursache der
        Nichtinanspruchnahme, nicht eine falsche Beratung. So
        heißt es auch in der von Ihnen zitierten Studie von Irene
        Becker: „… möglicherweise ist die Differenz auf Teil-
        zeit- oder geringfügig Beschäftigte zurückzuführen, die
        ihren … Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem
        SGB II nicht kennen.“ (Irene Becker: Armut in Deutsch-
        land. Bevölkerungsgruppen unterhalb der ALG-II-
        Grenze, Seite 38) Das heißt, die Menschen wissen
        schlicht nichts von ihrem Anspruch. Daraus abzuleiten,
        sie seien falsch oder unzureichend beraten worden, ist
        nicht hinnehmbar. Vieles in den Argen funktioniert
        nicht, läuft schlecht. Die FDP will die Struktur ja mit gu-
        tem Grund ändern. Aber die Mitarbeiter der Argen, die
        nach ihren Möglichkeiten handeln und beraten, muss
        man gegen den Vorwurf der Linken in Schutz nehmen.
        Andersherum wird „ein Schuh daraus“: Eigeninitiative
        der Betroffenen ist durch nichts zu ersetzen. Den Gang
        zu einer Arge zur Anspruchsprüfung kann den Betroffe-
        nen keiner abnehmen, auch nicht unabhängige Rechtsbe-
        rater.
        Das Schreckgespenst, das in dem Antrag beschrieben
        wird, gibt es nicht. Weder beraten die Mitarbeiter der Ar-
        gen falsch und machen eine unabhängige Beratung not-
        wendig, noch ist die Intention des Gesetzes die Abschre-
        ckung von der Beantragung von Leistungen.
        Zur Deckung der Kosten, die durch die neue „unab-
        hängige Rechtsberatung“ entstehen, sagt der Antragstel-
        ler auch gar nichts.
        Lassen Sie uns auf das zu sprechen kommen, was der
        Antrag verspricht, jedoch nicht hält: Es muss um die Be-
        kämpfung der verdeckten Armut gehen, nicht nur um de-
        ren Offenlegung. Denn: Dass es verdeckte Armut gibt,
        bestreitet ja niemand ernsthaft. Dazu brauchen wir keine
        Studie, wie Sie es fordern. Es gibt Menschen in diesem
        Land, die vollzeitbeschäftigt sind und dennoch so wenig
        verdienen, dass sie leistungsberechtigt sind. Ich habe
        schon oft an dieser Stelle berichtet, dass in meinem
        Wahlkreis der Anteil der vollbeschäftigten ALG-II-
        Empfänger mit über 25 Prozent so groß ist wie sonst nir-
        gends in Deutschland. Schon bei diesen offiziellen Zah-
        len brauche ich weder eine Studie noch eine Offenle-
        gung, um das Problem zu erkennen. Das Problem liegt
        längst offen vor uns. Nur die notwendige Konsequenz
        aus dieser Erkenntnis bleibt der Antrag schuldig. Damit
        befindet sich die Linke in seltener Eintracht mit der Bun-
        desregierung.
        Bei uns stimmt das gesamte Gleichgewicht nicht
        mehr. Dem Lohnabstandsgebot muss wieder zum Durch-
        bruch verholfen werden. Es darf nicht sein, dass jemand,
        der arbeitet und sich redlich bemüht, seine Familie zu er-
        nähren, am Ende weniger übrig behält als jemand, der zu
        Hause ist und sich auf die Solidargemeinschaft verlässt.
        Wir brauchen eine konsequente Entlastung. Den Men-
        schen muss von dem Erarbeiteten mehr übrig bleiben.
        Wir brauchen eine konsequent mittelstandsorientierte
        Politik. Unser Bürgergeldkonzept wäre daher genauso
        d
        r
        g
        d
        m
        u
        m
        a
        r
        s
        u
        A
        b
        s
        i
        s
        g
        I
        n
        S
        L
        (
        u
        n
        s
        b
        c
        2
        i
        r
        s
        b
        s
        a
        N
        s
        m
        V
        d
        d
        s
        B
        g
        d
        t
        l
        n
        (
        u
        g
        h
        A
        t
        n
        p
        (C
        (D
        ringend umzusetzen wie die notwendigen Flexibilisie-
        ungen im Tarif- und Arbeitsrecht.
        Geben wir den Menschen den Freiraum zurück, ei-
        enverantwortlich für ihr Leben zu sorgen! Dann tun wir
        as Beste zur Bekämpfung der Armut.
        Katja Kipping (DIE LINKE): In Deutschland leben
        ehr Menschen in Armut als gemeinhin angenommen
        nd zugegeben. Das erlebe ich natürlich zum einen im-
        er wieder im Rahmen meiner täglichen Arbeit, aber
        uch Sozialverbände, wie beispielsweise die Caritas, be-
        ichten von einer großen Anzahl an verdeckt armen Per-
        onen und nennen dort besonders Familien mit Kindern
        nd Alleinerziehende. In der Antwort auf unsere Kleine
        nfrage zum Ausmaß der verdeckten Armut im Rechts-
        ereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Druck-
        ache 16/3551, gibt die Bundesregierung zu, dass sie die
        n der Studie von Irene Becker, die 2006 eine umfas-
        ende Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt hat,
        etroffenen Aussagen für grundsätzlich zutreffend hält.
        ch rufe Ihnen gern noch einmal die wesentlichen Ergeb-
        isse der Forschungen von Irene Becker ins Gedächtnis:
        tatt der circa 10 Millionen potenziell Berechtigten auf
        eistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
        SGB II) bezogen im Juli 2005 nur circa 6,8 Millionen
        nd im Mai 2006 circa 7,4 Millionen Berechtigte die ih-
        en zustehenden Leistungen. Bei den Bedarfsgemein-
        chaften (BG) bezogen statt circa 5 Millionen anspruchs-
        erechtigter Bedarfsgemeinschaften im Juli 2005 nur
        irca 3,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften und im Mai
        006 nur circa 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften die
        hnen zustehenden Leistungen nach dem SGB II.
        Demnach nahmen im Untersuchungszeitraum meh-
        ere Millionen Bedürftige ihren Rechtsanspruch auf
        taatliche Unterstützung nicht wahr. Es handelt sich da-
        ei häufig um Personen, die zwar laut Gesetz einen An-
        pruch auf Sozialleistungen hätten, aber keinen Antrag
        uf deren Erhalt gestellt haben. Die Gründe für diese
        ichtinanspruchnahme können dabei recht verschieden
        ein. Häufig besteht Angst vor Stigmatisierung, Diskri-
        inierung oder Repressionen, wie Arbeitszwang oder
        erfolgungsbetreuung. Viele dieser Personen geben an,
        ass sie schlechte Erfahrungen mit Ämtern und Behör-
        en gemacht hätten und diese nun meiden. Teilweise be-
        teht auch schlichte Unkenntnis über Ansprüche. Irene
        ecker hat sich zudem auch bestimmte Personengruppen
        anz genau angeschaut und festgestellt: „Das Problem
        er verdeckten Armut betrifft insbesondere Erwerbstä-
        ige; die Zahl der Bedürftigen (etwa 2,8 Millionen) be-
        äuft sich hier auf etwa das Dreifache der Zahl der soge-
        annten Aufstocker (0,9 Millionen).“ (Becker, Irene
        2006): Armut in Deutschland: Bevölkerungsgruppen
        nterhalb der ALG-II-Grenze, Seite 36 ff.)
        Somit lassen mehrere Millionen Erwerbstätige ihren
        eringen Verdienst nicht auf den ihnen eigentlich zuste-
        enden Geldbetrag „aufstocken“. Der Bezug eines
        rbeitseinkommens schützt demnach nicht vor Bedürf-
        igkeit. An diesen Zahlen lässt sich übrigens auch erken-
        en, dass sich die von interessierter Seite immer gern
        ropagierte These über negative Arbeitsanreize der
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20171
        (A) )
        (B) )
        staatlichen Grundsicherungszahlungen nicht aufrecht-
        erhalten lässt.
        Auch die Gruppe der Alleinerziehenden hat sich Irene
        Becker genauer angeschaut und kommt zum Ergebnis:
        „Bei Alleinerziehenden ergibt sich dagegen eine gegen-
        über denjenigen mit faktischem ALG-II-Bezug etwa
        doppelt so hohe Zahl der bedürftigen Bedarfsgemein-
        schaften“ (Becker, Irene (2006): a. a. O.)
        Nun kann man darauf verweisen, dass die Studie etli-
        che Änderungen im Bereich der Sozialgesetzgebung,
        wie beispielsweise die Einführung der Grundsicherung
        für Ältere und Erwerbsgeminderte, nicht berücksichtigt.
        Allerdings gibt es sowohl nach Kenntnis der Bundes-
        regierung als auch nach meinem Wissen keine aktuelle-
        ren Untersuchungen zu verdeckter Armut. Im Gegenteil:
        Die Bundesregierung hat die Erkenntnisse aus der
        Becker-Studie im 3. Nationalen Armuts- und Reichtums-
        bericht nicht aufgegriffen. Warum wohl? Soll verdeckte
        Armut etwa verdrängt werden, frei nach dem Motto
        „Was ich nicht kenne, das gibt es auch nicht“?
        Ich fordere im Namen meiner Fraktion die Bundes-
        regierung auf, eine Nachfolgestudie in Auftrag zu geben,
        um das tatsächliche Ausmaß der Nichtinanspruchnahme
        von Leistungsansprüchen zum heutigen Zeitpunkt aufzu-
        decken und in der Folge entsprechende passgenaue Maß-
        nahmen zu deren Bekämpfung sowie zu einer Entstig-
        matisierung des Bezuges von sozialen Leistungen in die
        Wege leiten zu können. Dazu möchten wir aber schon
        heute ganz konkrete Vorschläge unterbreiten. Zum einen
        müssen alle zuständigen Leistungsstellen zu einer sach-
        gerechten Aufklärung über die Rechtslage der Unterstüt-
        zung suchenden Personen sowie zu einer Unterlassung
        sämtlicher Maßnahmen, die zur Abschreckung von Leis-
        tungsberechtigten führen, verpflichtet werden. Wir for-
        dern darüber hinaus einen Rechtsanspruch für jeden und
        jede auf ergänzende Beratung, persönliche Hilfe und Un-
        terstützung bei einer unabhängigen geeigneten Stelle.
        Das können zum Beispiel Einrichtungen der freien
        Wohlfahrtspflege oder auch Beratungsstellen von be-
        rufsständischen Vereinigungen und Verbänden auf dem
        Gebiet des Sozialrechts sein. In diesem Zusammenhang
        fordern wir die Bundesregierung ebenfalls auf, den Auf-
        bau und Erhalt der notwendigen Infrastruktur für unab-
        hängige Beratung und Unterstützung organisatorisch
        und finanziell zu unterstützen und die Organisationen
        bzw. Vereinigungen von Betroffenen entsprechend anzu-
        erkennen. Des Weiteren fordern wir einen strikten Ver-
        zicht auf alle Maßnahmen, welche die Gewährleistung
        und faktische Einklagbarkeit von sozialen Rechten wei-
        ter einschränken. Ich nenne dazu nur die Bundesratsini-
        tiative zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, die die
        Einführung von Gebühren vorsieht, um Leute von einem
        Gang zum Gericht abzuhalten.
        Und nicht zu vergessen unsere wichtigste Forderung
        und Erkenntnis: Grundsätzlich ist zur Vermeidung von
        verdeckter Armut die Einführung einer sozialen und re-
        pressionsfreien Grundsicherung die beste Maßnahme.
        Zudem schiebt sie Stigmatisierungen und Diskriminie-
        rungen einen wirksamen Riegel vor.
        A
        n
        t
        U
        v
        f
        m
        w
        B
        s
        d
        L
        1
        h
        z
        l
        K
        m
        u
        e
        d
        z
        e
        d
        f
        G
        h
        d
        n
        d
        c
        r
        k
        W
        S
        t
        t
        R
        t
        r
        t
        h
        Ü
        s
        L
        s
        v
        f
        R
        L
        K
        k
        d
        s
        B
        W
        r
        (C
        (D
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        ntrag der Linken greift ein wenig bekanntes, aber den-
        och zentrales Phänomen der unzureichenden Organisa-
        ion unseres Sozialstaates auf: die verdeckte Armut. Aus
        nwissenheit oder aus Angst vor Stigmatisierung und
        or aufwendigen wie unangenehmen behördlichen Ver-
        ahren nehmen zu viele Menschen, leider auch Familien
        it Kindern, nicht ihre Ansprüche auf Sozialleistungen
        ahr. Ausweislich der Studie der Armutsforscherin Irene
        ecker „Armut in Deutschland“ vom Februar 2007 über-
        teigt die Zahl der bedürftigen Bedarfsgemeinschaften
        ie Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit tatsächlichem
        eistungsbezug erheblich – im Jahr 2005 waren dies
        ,2 Millionen, im Jahr 2006 rund 0,9 Millionen Haus-
        alte. Das ist entschieden zu viel und Ausdruck einer un-
        ureichenden Organisation bzw. Ausführung der sozia-
        en Leistungen in diesem Lande.
        Mehr als bedenklich sollte auch die nicht abebbende
        lageflut im Rechtskreis des SGB II stimmen. Wenn in
        anchen Bundesländern 60 Prozent der Widersprüche
        nd bis zu 50 Prozent der sich anschließenden Klagen
        rfolgreich sind, dann besteht dringender Handlungsbe-
        arf. Der Bundesregierung und den für das Justizwesen
        uständigen Bundesländern fällt jedoch nichts weiter
        in, als Rechte der Betroffenen vor den Behörden und
        en Gerichten zu schwächen. Das ist offenkundig der
        alsche Weg. Wesentlich effektiver ist es, erst gar keine
        ründe für Widerspruchs- und Gerichtsverfahren entste-
        en zu lassen. Deshalb müssen die Qualität der Arbeit in
        en Job-Centern verbessert und die Rechte der Betroffe-
        en gestärkt werden. Die Vorschläge der Bundesländer,
        ie hohe Hürden für einkommensschwache Rechtsu-
        hende durch die Einführung von Sozialgerichtsgebüh-
        en und eine Einschränkung der Beratungs- und Prozess-
        ostenhilfe vorsehen, würden nicht nur in unakzeptabler
        eise den Rechtsschutz der Betroffenen einschränken.
        ie vermindern auch den Druck auf die Sozialleistungs-
        räger, rechtsförmig zu bescheiden.
        Gleiches gilt für die aktuellen Planungen der Koali-
        ionsfraktionen und der Bundesregierung im Rahmen der
        eform der Arbeitsmarktinstrumente. Die Instrumen-
        enreform sieht vor, dass Rechtsmittel von ALG-II-Be-
        echtigten gegen Entscheidungen der Grundsicherungs-
        räger des SGB II keine aufschiebende Wirkung mehr
        aben. Das galt bereits vorher für alle Leistungs- und
        berleitungsbescheide der Grundsicherungsträger und
        oll nunmehr auch für alle Bescheide gelten, mit denen
        eistungen zurückgenommen, widerrufen, herabge-
        etzt, Pflichten aufgegeben und zur Beantragung einer
        orrangigen Leistung oder persönlichen Meldung aufge-
        ordert wird. Mit diesen Plänen zur Einschränkung von
        echtsstaatlichkeit machen SPD und Union in Bund und
        and Sozialleistungsbeziehende zu Bürgern zweiter
        lasse. Für ALG-II-Berechtigte werden damit die Wir-
        ung von Rechtsmitteln und die allen Bürgern der Bun-
        esrepublik Deutschland zustehenden Bürgerrechte mas-
        iv eingeschränkt. Das Gebot der Stunde ist jedoch – wie
        ündnis 90/Die Grünen es fordern –, die aufschiebende
        irkung von Widersprüchen und weitere Verfahrens-
        echte auszuweiten.
        20172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Keine der von CDU und SPD in Bund und Ländern
        favorisierten Maßnahmen zur Eindämmung von Sozial-
        gerichtsverfahren ist geeignet, eine verbesserte Qualität
        der Entscheidungen und der Beratungen in den Jobcen-
        tern zu gewährleisten und damit verdeckte Armut zu re-
        duzieren. Wir Grüne fordern organisatorische Innovatio-
        nen in den Jobcentern durch Mitarbeiterschulung,
        Planungssicherheit durch unbefristete Beschäftigungs-
        verhältnisse und effiziente dezentrale Organisations-
        strukturen. Dagegen sind die Vorschläge von Bundesar-
        beitsminister Scholz zur Reorganisation der Trägerschaft
        der Jobcenter, bei denen nur das Etikett „Zentren für Ar-
        beit und Grundsicherung (ZAG)“ neu ist, nicht geeignet,
        die organisierte Unverantwortlichkeit und das konflikt-
        reiche Nebeneinander von Kommunen und Bundesagen-
        tur für Arbeit in den Argen zu beseitigen.
        Auch die Forderungen der Linken zur Bekämpfung
        von verdeckter Armut sind nur begrenzt tauglich. Der
        Vorschlag, ein Verbandsklagerecht einzuführen, ergibt
        keinen Sinn, da es beim Arbeitslosengeld II um die
        Wahrnehmung subjektiver Ansprüche geht. Sinn und
        Zweck eines Verbandsklagerechtes ist es, Dritten durch
        Verbände ein Klagerecht einzuräumen, wenn sie selbst
        kein subjektives Recht in Anspruch nehmen können, so
        zum Beispiel im Umweltrecht. Dies ist im Falle des
        SGB II erkennbar nicht der Fall. Die Leistungsansprüche
        sind subjektiv herleitbar und individuell klagefähig, so-
        dass es einer Verbandsklage nicht bedarf.
        Die Linke spricht zu Recht die unzulängliche Bera-
        tung von Sozialleistungsbeziehenden in den Behörden
        an. Doch liegt dies nicht an unzureichenden Gesetzes-
        vorgaben, sondern an der mangelnden Umsetzung des
        bestehenden Rechts. Deshalb sind Bund und Länder in
        der Pflicht, via Rechtsaufsicht ein korrektes Verwal-
        tungshandeln, insbesondere die Einhaltung der Bera-
        tungspflicht durchzusetzen und gleichzeitig die Rechts-
        schutzmöglichkeiten der Betroffenen auszubauen. Auch
        die zentralstaatlichen Lösungen der Fraktion Die Linke,
        die eine Finanzierung des Bundes für Beratungseinrich-
        tungen vorsehen, sind der falsche Weg. Denn dies würde
        empfindlich die Unabhängigkeit der Beratungseinrich-
        tungen treffen. Grundsätzlich ist für uns Grüne eine un-
        abhängige Beratung der richtige Weg. Unabhängige Be-
        ratungsstellen können zeitaufwendige Beratungen besser
        durchführen als eine Behörde, und als Gegengewicht zur
        Verwaltung dienen. Bündnis 90/Die Grünen setzen auf
        Subsidiarität, auf die bereits bestehende unabhängige
        Beratungsstruktur und die Kompetenz vor Ort. Kommu-
        nen verstehen es besser, zu organisieren und festzustel-
        len, welcher Beratungsbedarf besteht. Es ist Aufgabe der
        Kommunalpolitik, in den Arbeitsgemeinschaften darauf
        hinzuwirken, dass eine Infrastruktur an Initiativen und
        Beratungsstellen zur Verfügung steht und die entspre-
        chenden Mittel eingesetzt werden. Wir fordern in diesem
        Zusammenhang ausdrücklich die Finanzierungsverant-
        wortung der Länder und Kommunen für unabhängige
        Beratungsstellen ein und kritisieren den Rückzug der
        Länder aus der Finanzierung. Ein besonders schlechtes
        Beispiel ist die CDU/FDP-Landesregierung in Nord-
        rhein-Westfalen, die Ende September 2008 vollständig
        die Landesförderung der Arbeitslosenzentren abschaffte.
        b
        K
        d
        l
        n
        s
        u
        l
        E
        d
        B
        g
        „
        F
        h
        E
        s
        M
        f
        d
        A
        b
        M
        2
        t
        b
        g
        m
        F
        z
        g
        s
        e
        n
        S
        z
        (C
        (D
        Eines muss jedoch klar sein: Auch eine gut ausge-
        aute und unabhängige Beratungsinfrastruktur kann im
        ampf gegen verdeckte Armut wenig ausrichten, wenn
        ie Betroffenen in ihren Rechten und Rechtsschutzmög-
        ichkeiten eingeschränkt werden. Bündnis 90/Die Grü-
        en wollen die Rechte der Betroffenen im Verfahren
        tärken sowie die Qualität behördlicher Entscheidungen
        nd der Eingliederungsleistungen verbessern. Wir wol-
        en Wunsch- und Wahlrechte bei den Leistungen zur
        ingliederung einführen, damit die Instrumente indivi-
        uell und passgenau genutzt werden können, statt die
        etroffenen in sinnlosen Qualifizierungs- und Beschäfti-
        ungsmaßnahmen kreisen zu lassen. In unserem Antrag
        Rechte von Arbeitssuchenden stärken – Kompetentes
        allmanagement sicherstellen“ – Drucksache 16/9599 –
        aben wir ausführlich dargelegt, wie wir uns dies im
        inzelnen für die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden vor-
        tellen.
        Die Linke fordert in ihrem Antrag, mit ungeeigneten
        itteln die Beratungsinfrastruktur, nicht jedoch die Ver-
        ahrensrechte der Betroffenen zu stärken. Wir stimmen
        eshalb dem Antrag nicht zu.
        nlage 13
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur arbeitsmarkt-
        adäquaten Steuerung der Zuwanderung
        Hochqualifizierter und zur Änderung weite-
        rer aufenthaltsrechtlicher Regelung (Ar-
        beitsmigrationssteuerungsgesetz)
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der
        Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
        halts und der Integration von Unionsbür-
        gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
        – Beschlussempfehlung und des Bericht: Zu-
        wanderung durch ein Punktesystem steuern –
        Fachkräftemangel wirksam bekämpfen
        (Tagesordnungspunkt 27 a und b)
        Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Das Ar-
        eitsmigrationssteuerungsgesetz setzt einen Teil der
        aßnahmen um, die die Bundesregierung am 16. Juli
        008 im „Aktionsprogramm – Beitrag der Arbeitsmigra-
        ion zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland“
        eschlossen hat. Es geht im Wesentlichen um Änderun-
        en des Aufenthaltsgesetzes. Die Bundesregierung will
        it diesem Gesetzentwurf einen Teil dazu beitragen, den
        achkräftebedarf in der deutschen Wirtschaft besser ab-
        udecken. Vor diesem Hintergrund hat sie vorgeschla-
        en, den Blick auch auf solche Ausländer zu richten, die
        ich mit dem Status der Duldung im Inland aufhalten,
        in gewisses Qualifikationsniveau besitzen und bereits
        achweislich gut in den Arbeitsmarkt integriert sind.
        olche Personen sollen, wenn sie bestimmte Vorausset-
        ungen erfüllen, eine Aufenthaltsperspektive in Deutsch-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20173
        (A) )
        (B) )
        land erhalten können. Um es gleich vorweg ganz klar zu
        sagen: Dieser Schritt ist ausländerrechtlich betrachtet al-
        les andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen
        uns bewusst sein, dass es sich bei diesem Personenkreis
        um Ausländer handelt, die an sich ausreisepflichtig sind
        und die lediglich aus bestimmten rechtlichen oder tat-
        sächlichen Gründen, die sie teilweise nicht selbst zu ver-
        treten haben, nicht abgeschoben werden. Wir als CDU/
        CSU-Fraktion möchten dies an dieser Stelle ganz klar
        festhalten.
        Die Tatsache, dass einige dieser Personen unter be-
        stimmten Voraussetzungen nun eine Aufenthaltserlaub-
        nis erhalten sollen, ist eine Neuerung und als wirkliche
        Ausnahmeregelung zu verstehen. Es handelt sich dabei
        nicht um eine Bleiberechtsregelung aufgrund humanitä-
        rer Erwägungen, sondern um eine Regelung im Interesse
        solcher Unternehmen, die seit längerer Zeit eine qualifi-
        zierte und bewährte ausländische Fachkraft mit Dul-
        dungsstatus beschäftigen und auf diese Fachkraft ange-
        wiesen sind. Diese Unternehmen – die gibt es in
        München, Hamburg, Düsseldorf, aber auch in Altötting
        und Burghausen – sollen eine bessere Planungssicherheit
        erhalten, indem den betroffenen Arbeitnehmern eine
        Aufenthaltsperspektive gegeben wird – nicht mehr und
        nicht weniger. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung,
        dass es zumindest in Teilen der deutschen Wirtschaft ei-
        nen Bedarf an Fachkräften gibt, der nicht immer zeitnah
        mit deutschen Arbeitnehmern oder EU-Bürgern gedeckt
        werden kann. Hintergrund ist die positive wirtschaftliche
        Entwicklung, die wir in Deutschland zumindest in den
        letzten Jahren hatten.
        Allerdings müssen wir die Konjunkturentwicklung
        der letzten Wochen und Monate selbstverständlich zur
        Kenntnis nehmen. Möglicherweise wird die Debatte
        über den Fachkräftemangel in wenigen Monaten vor
        diesem Hintergrund ganz anders als noch vor kurzem
        geführt werden. Wenn mit diesem Gesetz trotzdem be-
        stimmten Ausländern mit Duldungsstatus eine Aufent-
        haltsperspektive eröffnet wird, dann muss man festhal-
        ten: Wir stellen durch entsprechende Definition des
        Personenkreises sicher, dass daraus keine Zuwanderung
        in die Sozialsysteme wird. Es geht nur um Fachkräfte,
        also qualifizierte Arbeitnehmer mit Duldungsstatus, die
        bereits über einen längeren Zeitraum ununterbrochen im
        Inland beschäftigt waren. Diese Personen wurden somit
        bereits über mehrere Jahre in ihrem Unternehmen ge-
        braucht und werden auch weiterhin gebraucht. Das Inte-
        resse des Unternehmens, solche Leute weiterzubeschäf-
        tigen, ist verständlich. Nur deshalb ist es verantwortbar,
        diesen an sich ausreisepflichtigen Personen einen gefes-
        tigteren Aufenthalt im Inland zu ermöglichen.
        Wir haben uns in der Großen Koalition im parlamen-
        tarischen Verfahren verständigt, bei den Fachkräften mit
        qualifizierter Berufsausbildung die notwendige Dauer
        der ununterbrochenen Vorbeschäftigung noch einmal
        von zwei auf drei Jahre anzuheben. Wir wollen damit
        noch besser sicherstellen, dass Missbrauchspotenzialen
        und Pull-Effekten ein Riegel vorgeschoben wird. Dies ist
        für uns als CDU/CSU eine entscheidende Vorausset-
        zung, die erfüllt werden muss, damit die Gewährung ei-
        ner Aufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten überhaupt
        v
        U
        m
        g
        h
        m
        b
        v
        e
        l
        w
        A
        l
        A
        k
        v
        m
        s
        g
        h
        E
        z
        s
        d
        g
        q
        n
        F
        d
        d
        G
        d
        u
        B
        t
        Ä
        k
        g
        d
        i
        d
        J
        t
        e
        d
        l
        h
        e
        g
        g
        e
        d
        l
        l
        L
        (C
        (D
        erantwortbar ist. Aus Sicht der Innenpolitiker der
        nion ist das ein Schritt, den wir uns nicht leicht ge-
        acht haben. Wir glauben aber, dass mit der Beschäfti-
        ungsdauer von drei Jahren, zu der noch das erste Jahr
        inzukommt, das verstreichen muss, bis ein Ausländer
        it Duldungsstatus überhaupt einen Zugang zum Ar-
        eitsmarkt erhält, somit also mit einer Voraufenthaltszeit
        on vier Jahren, im Wesentlichen nur solche Personen
        rfasst sind, bei denen eine Rückkehr in ihr Herkunfts-
        and faktisch in den meisten Fällen ohnehin sehr un-
        ahrscheinlich ist.
        Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass die
        usländerbehörden und die Arbeitsagenturen die gesetz-
        ichen Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einer
        ufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten in Betracht
        ommt, sehr genau im Blick haben. Die Verwaltung wird
        or allem prüfen müssen, ob der betroffene Arbeitneh-
        er in dem Betrieb, in dem er tätig ist, tatsächlich eine
        einem Abschluss angemessene, qualifizierte Beschäfti-
        ung ausübt. Wir gehen davon aus, dass die Verwaltung
        ier insbesondere auch konsequent überprüft, ob die
        ntlohnung des Arbeitsnehmers derjenigen einer qualifi-
        ierten Fachkraft entspricht, und zwar während der ge-
        amten vorausgesetzten Vorbeschäftigungszeiten. Wir
        enken, dass wir gerade mit der Erhöhung der notwendi-
        en Vorbeschäftigungsdauer bei den Fachkräften mit
        ualifizierter Berufsausübung von zwei auf drei Jahre
        och stärker betonen, dass wirklich nur qualifizierte
        achkräfte von der Regelung erfasst werden.
        Wir stellen außerdem konsequent sicher, dass von
        iesen Regelungen keine Fehlanreize für einen Zuzug in
        ie sozialen Sicherungssysteme ausgehen. Aus diesem
        rund verlangen wir mit unserem Änderungsantrag,
        ass eine Fachkraft mit qualifizierter Berufsausbildung
        nd Duldungsstatus zusätzlich zu der ununterbrochenen
        eschäftigungsdauer von drei Jahren innerhalb des letz-
        en Jahres zumindest weitgehend – das heißt nach dem
        nderungsantrag: abgesehen von Zuschüssen für Unter-
        unft und Heizung – nicht auf ergänzende Sozialleistun-
        en angewiesen war.
        Abschließend halte ich zum Themenbereich der Ge-
        uldeten fest: Unter Abwägung des Für und Wider und
        nsbesondere vor dem Hintergrund, dass nur solche Ge-
        uldeten erfasst werden, die als Fachkräfte seit mehreren
        ahren in ihren Betrieben gebraucht werden, ist es ver-
        retbar, unter den hier eng definierten Voraussetzungen
        ine Aufenthaltsperspektive zu eröffnen.
        Ich betone es noch einmal: Uns als Union geht es bei
        ieser Regelung darum, den Unternehmen in Deutsch-
        and in Fällen eines konkreten Bedarfs an Fachkräften zu
        elfen. Es geht nicht um eine Aufenthaltsregelung mit
        inem wie auch immer gearteten humanitären Hinter-
        rund. Daran sollte niemand – auch nicht bei den Kolle-
        en von der SPD – zweifeln.
        Ein weiterer Schritt, zu dem wir uns in diesem Gesetz
        ntschlossen haben, ist die Absenkung der Mindestver-
        ienstschwelle für die Erteilung einer Niederlassungser-
        aubnis an einen hoch qualifizierten Ausländer. Ich er-
        aube mir an dieser Stelle – wie schon bei der ersten
        esung dieses Gesetzentwurfs – wieder den Hinweis,
        20174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        dass ich die Heftigkeit der öffentlichen Diskussion über
        die Verdienstschwelle für überzogen halte. Ich glaube
        nicht, dass diese Verdienstschwelle von bislang
        86 400 Euro bislang eine unüberwindbare Hürde für die
        Gewinnung von hoch qualifizierten Kräften aus dem
        Ausland war. Denn es gab und es gibt auch unterhalb
        dieser Schwelle eine Reihe von Möglichkeiten, eine of-
        fene Stelle auch mit einer Fachkraft aus dem Ausland zu
        besetzen. Gleichwohl mag eine Absenkung dieser
        Schwelle auf derzeit 63 600 Euro vertretbar sein. Ich bin
        aber davon überzeugt: Wichtiger als diese oder jene Ge-
        haltsschwelle ist die Frage, was deutsche Unternehmen
        für wirkliche Spitzenkräfte zu bezahlen bereit sind.
        Wenn ein Unternehmen einen Arbeitsplatz, für den ganz
        spezielle Kenntnisse notwendig sind, mit einem Bewer-
        ber aus dem Inland nicht besetzen kann und deshalb ei-
        nen Spezialisten aus dem Ausland benötigt, dann sollte
        es diesen auch anständig bezahlen. Es sind nicht zuletzt
        die Verdienstmöglichkeiten, die viele Hochqualifizierte
        in den letzten Jahren motiviert haben, vielleicht eher in
        die USA oder auch in eines unserer Nachbarländer als zu
        einem Unternehmen nach Deutschland zu gehen. Des-
        halb denke ich: Nur wer einer Spitzenkraft auch attrak-
        tive Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entloh-
        nung anbietet, wird im globalisierten Wettstreit um die
        sogenannten High Potentials eine Chance haben. Der
        Gesetzgeber kann in dieser Frage nur begrenzt Einfluss
        nehmen. Deshalb greifen die weitgehend eindimensio-
        nale Ausrichtung der Diskussion auf die Verdienstschwelle
        oder der Ruf mancher Unternehmen nach pauschalen,
        möglichst starken Lockerungen des Arbeitsmarktzu-
        gangs für Ausländer zu kurz.
        Aus Sicht der Union müssen oberste Priorität – in je-
        der konjunkturellen Entwicklung – die gute Ausbildung
        und Qualifizierung der Menschen im Inland haben. Das
        bleibt auch mit diesem Gesetz so. Wir müssen das Fach-
        kräftepotenzial im Inland erschließen, bevor wir nach
        Zuwanderung rufen. Ich bin davon überzeugt, dass weite
        Teile des inländischen Fachkräftebedarfs durch das Ar-
        beitskräftepotenzial im Inland gedeckt werden können.
        Wer dagegen bei guten Auftragslagen nur nach aus-
        ländischen Arbeitskräften ruft, muss die Frage beant-
        worten, was mit diesen Menschen geschehen soll, wenn
        einmal die Auftragsbücher nicht so voll sind. Diese
        Frage haben wir als CDU/CSU-Fraktion an allererster
        Stelle im Blick. Deshalb gilt für uns: Qualifizierung geht
        vor Zuwanderung. Der Gesetzgeber darf bei der Frage
        des Fachkräftebedarfs nicht nur kurzfristig denken, son-
        dern muss die gesamtwirtschaftlichen mittel- und lang-
        fristigen Auswirkungen eines Zuzugs ausländischer
        Arbeitskräfte im Blick haben. Die konjunkturelle Ent-
        wicklung hat sich in den letzten Monaten sehr deutlich
        eingetrübt. Dehalb gilt bei allen Schritten, die auf einen
        Zugang zum Arbeitsmarkt aus dem Ausland gerichtet
        sind: Es darf daraus kein Zuzug in die sozialen Siche-
        rungssysteme werden. Aus diesem Grunde haben wir ge-
        rade auch den vorliegenden Gesetzentwurf im Bereich
        der Geduldeten noch einmal so nachjustiert, wie ich es
        beschrieben habe.
        Ich lege weiter Wert darauf, dass wir auch im Bereich
        der Erteilung der Niederlassungserlaubnis Sorge dafür
        t
        g
        c
        s
        N
        m
        e
        A
        s
        u
        e
        e
        d
        h
        s
        b
        s
        b
        a
        j
        t
        A
        h
        d
        d
        R
        t
        n
        K
        s
        e
        m
        A
        d
        w
        l
        t
        v
        d
        d
        s
        6
        m
        R
        d
        d
        t
        e
        a
        w
        t
        m
        F
        Ü
        A
        w
        (C
        (D
        ragen, dass Missbrauch bekämpft wird. Durch die Er-
        änzung des § 55 Aufenthaltsgesetz wird ein zusätzli-
        her Ausweisungstatbestand eingeführt, der mit der Ab-
        enkung des Mindestverdienstes für die Erteilung einer
        iederlassungserlaubnis an Hochqualifizierte zusam-
        enhängt. Denn diese Absenkung birgt natürlich auch
        in Missbrauchspotenzial. Wenn ein Ausländer seinen
        rbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages über
        eine Qualifikation oder seine Berufserfahrung täuscht
        nd dieser Arbeitsvertrag die Grundlage dafür ist, dass
        r ein Einreisevisum oder eine Niederlassungserlaubnis
        rhält, dann muss die Ausländerbehörde darauf zumin-
        est reagieren können. Deshalb erhält die Ausländerbe-
        örde die Möglichkeit, im Wege einer Ermessensent-
        cheidung darüber zu befinden, ob der Aufenthalt zu
        eenden ist. Durch die Gestaltung als Ermessensauswei-
        ungstatbestand können auch etwaige Interessen des Ar-
        eitgebers berücksichtigt werden. Denn es ist – wenn
        uch meines Erachtens nicht unbedingt wahrscheinlich –
        edenfalls nicht ganz undenkbar, dass der Arbeitgeber
        rotz einer solchen Täuschung so überzeugt von seinem
        rbeitnehmer ist, dass er bereit ist, diesem auch weiter-
        in ein Gehalt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze
        er gesetzlichen Rentenversicherung zu bezahlen.
        Zu dem Antrag der FDP-Fraktion, die Zuwanderung
        urch ein Punktesystem zu regeln, haben der Kollege
        einhard Grindel und ich schon am 29. Mai bei der ers-
        en Beratung dieses Antrags das Nötige gesagt. Sie ken-
        en deshalb die Position der CDU/CSU-Fraktion. Das
        ernargument der FDP ist, dass man mit einem Punkte-
        ystem gewissermaßen punktgenau eine Zuwanderung
        rmöglichen könnte, die den Bedürfnissen des Arbeits-
        arktes gerecht wird. Das halte ich für einen Irrglauben.
        us Sicht der Union muss es dabei bleiben: Eine Zuwan-
        erung auf den Arbeitsmarkt kommt nur in Betracht,
        enn im konkreten Fall ein Arbeitsplatzangebot vor-
        iegt. Jedes andere – wie auch immer im Detail gearte-
        e – System, das auf diese Voraussetzung verzichtet, pro-
        oziert Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme.
        Auch das Argument, wonach der Zugang für Auslän-
        er zum Arbeitsmarkt unterhalb der Gehaltsschwelle für
        ie Niederlassungserlaubnis weitgehend versperrt wäre,
        timmt eindeutig nicht. Allein im Jahr 2007 wurden rund
        3 000 Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitneh-
        er erteilt. Es stimmt auch nicht, dass nach geltendem
        echt immer und stets die Vorrangprüfung zur Anwen-
        ung kommen müsste. Richtig ist stattdessen: Die Bun-
        esagentur für Arbeit kann schon auf Grundlage des gel-
        enden Rechts den Zugang zum Arbeitsmarkt für
        inzelne Berufsgruppen und regionale Wirtschaftszweige
        uch ohne die sogenannte Vorrangprüfung ermöglichen,
        enn es im konkreten Fall arbeitsmarkt- und integra-
        ionspolitisch verantwortbar ist. Bei diesem Rahmen
        üssen wir bleiben.
        Aus diesem Grunde lehnen wir die Vorschläge der
        DP ab.
        Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält im
        brigen auch eine Regelung zur Entfristung des § 23 a
        ufenthaltsgesetz. Damit können die Bundesländer auch
        eiterhin Härtefallkommissionen für das Aufenthalts-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20175
        (A) )
        (B) )
        recht bilden. Der entsprechende Gesetzentwurf der FDP,
        der hier noch zur Abstimmung steht, hat sich deshalb da-
        mit erledigt.
        Abschließend möchte ich betonen: Mit dem heute zur
        Abstimmung stehenden Gesetz wollen wir die Unterneh-
        men in Deutschland unterstützen, die Fachkräfte benöti-
        gen. Es enthält verantwortbare Schritte mit Augenmaß
        und für konkrete Fälle, in denen qualifizierte ausländi-
        sche Arbeitnehmer mit Duldungsstatus gut in den deut-
        schen Arbeitsmarkt integriert sind. Es handelt sich um
        eine speziell zugeschnittene Lösung für Unternehmen,
        die auf diese Arbeitnehmer angewiesen sind. Deshalb
        und nur deshalb ist es vertretbar, einem Geduldeten in
        diesem speziellen Fall eine Aufenthaltserlaubnis zu er-
        teilen. Analogien zu diesem Fall oder Rufe nach weiter-
        gehenden Bleiberechten für Personen mit Duldungssta-
        tus kommen für uns nicht in Betracht.
        Dieses Gesetz setzt deshalb auf punktgenaue, bedarfs-
        gerechte Lösungen und vermeidet pauschale Schritte zur
        Öffnung des Arbeitsmarkzugangs nach dem Motto „Öff-
        net die Schranken“. Es bleibt abzuwarten, inwieweit bei
        einer sich offenbar abkühlenden Konjunktur die Diskus-
        sion über den Fachkräftemangel, vor allem vonseiten der
        Wirtschaft, auch weiterhin mit dem gleichen Eifer wie
        noch vor wenigen Monaten weitergeführt werden wird.
        Ich denke aber, das vorliegende Gesetz gibt der Wirt-
        schaft ein klares Signal, dass wir als Große Koalition
        dort, wo es einen legitimen Bedarf für die Beschäftigung
        einer ausländischen Fachkraft gibt, offen für pragmati-
        sche Lösungen sind, die die legitimen Interessen der
        Wirtschaft berücksichtigen.
        Rüdiger Veit (SPD): Den Rahmen für die heutige
        Debatte gibt das Aktionsprogramm der Bundesregierung
        zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland vom
        16. Juli 2008 vor. Im wiederum hierfür den Vorlauf dar-
        stellenden Beschluss, der anlässlich der Kabinettklausur
        in Meseberg im Juli 2007 gefasst wurde, heißt es: „Wir
        wollen eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwan-
        derung hochqualifizierter Fachkräfte vorsehen und die
        Position unseres Landes im Wettbewerb um die Besten
        stärken.“
        Und nun haben wir das Arbeitsmigrationssteuerungs-
        gesetz. Der Titel vermittelt hehre Ziele, aber auch her-
        metische Zwecke. Die Regelung der arbeitsbedingten
        Zuwanderung und die zielgenaue Öffnung des heimi-
        schen Arbeitsmarkts sind wichtige Aspekte für unser
        wirtschaftliches Wohlergehen. Wer etwas steuern will,
        muss sich auch im Klaren darüber sein, wie kurz die
        Leine gefasst wird. Ich möchte daher das ambitionierte
        Ziel des vorgenannten Arbeitsprogramms zu Beginn
        meiner Rede hervorheben: eine Öffnung und Verbesse-
        rung des Arbeitsmarktzugangs für Hochqualifizierte und
        Fachkräfte in Deutschland. Dabei ist mir klar, dass wir
        noch nicht am optimalen Ende des Weges sind; aller-
        dings haben wir mit den Schritten, die wir nun im
        ASMG unternehmen, einen guten Teil der Strecke ge-
        macht.
        Im Einzelnen: Das zuwanderungspolitische Paket des
        Aktionsprogramms enthält ein Bündel von Maßnahmen,
        d
        D
        f
        H
        a
        f
        q
        s
        z
        B
        t
        s
        d
        k
        a
        a
        s
        H
        g
        f
        r
        A
        t
        g
        i
        t
        h
        r
        g
        e
        P
        D
        d
        u
        s
        d
        z
        s
        F
        s
        A
        r
        d
        K
        u
        V
        g
        t
        P
        d
        w
        s
        s
        m
        w
        (C
        (D
        ie gemeinsam zum 1. Januar 2009 in Kraft treten sollen.
        as vorliegende Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz de-
        iniert die maßgeblichen Neuerungen:
        Erstens. Wir senken die Einkommensgrenze für
        ochqualifizierte. Wie ich ja bereits in der ersten Lesung
        usführen konnte, wird die Mindesteinkommensgrenze
        ür die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an Hoch-
        ualifizierte von dem Doppelten der Beitragsbemes-
        ungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung (der-
        eit 43 200 Euro mal zwei = 86 400 Euro) auf die
        eitragsbemessungsgrenze (West) der allgemeinen Ren-
        enversicherung in Höhe von derzeit 63 600 Euro ge-
        enkt. Neben der Frage, wie wir die Zuwanderung von
        erart Hochqualifizierten stimulieren und Anreize setzen
        önnen, richtet sich der Blick des AMSG richtigerweise
        ber auch auf das im Bundesgebiet ruhende Potenzial:
        uf diejenigen, die noch keinen verfestigten Aufenthalts-
        tatus innehaben, aber aufgrund der Situation in ihrem
        erkunftsstaat, nicht zwangsweise aus Deutschland ab-
        eschoben werden können.
        Wir führen daher zweitens eine Statusverbesserung
        ür sogenannte Bildungsinländer und Bildungsinlände-
        innen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ein. Mit dem
        MSG können wir beruflich gut qualifizierten Gedulde-
        en, die ihre Ausbildung in Deutschland erfolgreich ab-
        eschlossen haben, und Geduldeten, die sich aufgrund
        hrer bereits im Herkunftsland erworbenen Qualifika-
        ionen am Arbeitsmarkt bewährt haben, eine Aufent-
        altsperspektive bieten und damit das durch die Bleibe-
        echtsregelung der IMK vom 17. November 2006 und die
        esetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b AufenthG
        ntstandene Bild komplettieren. Wir erfassen dabei drei
        ersonengruppen: zunächst Geduldete, die erfolgreich in
        eutschland eine Berufsausbildung absolviert oder stu-
        iert haben, sodann geduldete Hochschulabsolventen
        nd -absolventinnen, deren ausländischer Studienab-
        chluss in Deutschland anerkannt ist oder mit einem
        eutschen Hochschulabschluss vergleichbar ist, und die
        wei Jahre lang eine dem Abschluss angemessene Be-
        chäftigung ausgeübt haben und schließlich geduldete
        achkräfte, die drei Jahre lang in einer qualifizierten Be-
        chäftigung tätig waren und die im letzten Jahr vor der
        ntragstellung nicht auf öffentliche Mittel für die Siche-
        ung des Lebensunterhalts angewiesen waren.
        Für die letztgenannte Gruppe ist von Beachtung, dass
        er Bezug von Mitteln zur Deckung der notwendigen
        osten für die Unterkunft beziehungsweise Wohngeld
        nschädlich ist. Auch wird hinsichtlich der dreijährigen
        orbeschäftigung in den Verwaltungsvorschriften klar-
        estellt, dass kurzfristige Unterbrechungen der Erwerbs-
        ätigkeit von bis zu drei Monaten irrelevant sind.
        Hinsichtlich der zweiten Gruppe ist angesichts der
        roblematik, die zunehmend unter dem Gesichtspunkt
        er Verschwendung von geistigen Ressourcen diskutiert
        ird, die Öffnung für Geduldete mit einem dem deut-
        chen Abschluss vergleichbaren ausländischen Hoch-
        chulabschluss von einiger Bedeutung.
        Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass weitere
        aßgebliche Maßnahmen durch Verordnung geregelt
        erden; von Interesse ist dabei insbesondere die Rege-
        20176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        lung eines erleichterten Zugangs zu einer Ausbildung für
        Geduldete, die nach den allgemeinen Regelungen noch
        keinen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang besitzen.
        Eine Veränderung des Status als Geduldete ist hiermit
        während der Ausbildung noch nicht verbunden. Die Ver-
        ordnungsregelung verbessert aber die Stellung auf dem
        Ausbildungsmarkt erheblich. Nach erfolgreicher Ausbil-
        dung erfolgt diese jedoch über den neuen § 18 a Abs. 1
        Nr. 1 a) AufenthG.
        Daran anknüpfend möchte ich noch einen Aspekt her-
        vorheben, der mir am AMSG neben der Einbettung in
        das Aktionsprogramm wichtig war: Im parlamentari-
        schen Verfahren haben wir den ursprünglichen Gesetzent-
        wurf durch die Einbeziehung von Änderungen der für die
        Ausbildungsförderung maßgeblichen Gesetze SGB III
        und BAföG sinnvoll ergänzt. Die durch das Aktionspro-
        gramm initiierten Verbesserungen des Ausbildungszu-
        gangs für Geduldete werden nun im Ausbildungsförde-
        rungsrecht gespiegelt, so dass Geduldete, die eine
        Ausbildungsstelle bekommen und damit allein nicht ih-
        ren Lebensunterhalt sichern können, nicht auf die Aus-
        bildung verzichten müssen. Sie können nunmehr, wenn
        sie einen vierjährigen ununterbrochenen Aufenthalt in
        Deutschland nachweisen, die Förderung beantragen.
        Ohne die Möglichkeit der Ausbildungsförderung wäre
        der verbesserte Zugang für Geduldete in betriebliche
        Ausbildung oder Studium eine leere Hülse geblieben.
        Mit der Aufnahme der Regelungen zur Ausbildungsför-
        derung von Geduldeten beweist das AMSG jedoch, dass
        hinsichtlich des Angebots zur Statusverbesserung keine
        halben Sachen gemacht werden.
        Schließlich ist hier die Entfristung der Härtefallrege-
        lung zu nennen, die zu den eindeutigen Pluspunkten
        dieses Gesetzes zählt. Denn mittlerweile haben alle Bun-
        desländer Härtefallkommissionen geschaffen, die natür-
        lich nicht alle gleich arbeiten. Im Großens und Ganzen
        wird jedoch das gute Wirken der Härtefallkommissionen
        nicht bestritten. Und daran sollten wir festhalten.
        Insgesamt kann man das AMSG also als den berühm-
        ten Schritt in die richtige Richtung bewerten. In diesem
        Sinne steht die SPD-Bundestagsfraktion weiteren aus-
        länderrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben im Bereich
        der Arbeitsmigration aufgeschlossen gegenüber.
        Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der vorliegende
        Gesetzentwurf zur Steuerung der Arbeitsmigration bleibt
        auch nach Ausschussberatungen und in letzter Minute
        gestrickten Änderungen der Koalition weit hinter sachli-
        chen Erfordernissen und dem Diskussionsstand zurück.
        Die vorgesehene Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes
        für Akademiker aus allen EU-Staaten, die Senkung der
        Mindesteinkommensgrenze und der vereinzelte Verzicht
        auf die Vorrangprüfung sind Minimalschritte. Sie sind
        entschieden zu kurz gesprungen. Die Absenkung der
        Mindesteinkommen geht nicht weit genug.
        Die grundsätzliche Beibehaltung der bürokratischen
        Vorrangprüfung für Hochqualifizierte bleibt eine Belas-
        tung besonders für den Mittelstand. Wie sollen gerade
        klein- und mittelständische Unternehmen so ihre Perso-
        nalplanung betreiben? Auch die nach wie vor zu hohen
        E
        l
        t
        u
        e
        n
        f
        M
        k
        V
        e
        a
        Z
        u
        U
        s
        d
        n
        u
        K
        j
        t
        m
        w
        b
        e
        D
        k
        s
        n
        m
        d
        F
        s
        s
        a
        d
        r
        ü
        m
        r
        a
        d
        W
        a
        d
        d
        B
        H
        d
        s
        f
        l
        j
        (C
        (D
        inkommensgrenzen sind Hürden, die dem Hochtechno-
        ogiestandort Deutschland insgesamt und unserem Mit-
        elstand schaden. Vor allem aber werden die wenigen
        nd unzureichenden Verbesserungen konterkariert durch
        ine geradezu reaktionäre Politik im Bereich der Arbeit-
        ehmerfreizügigkeit in der EU.
        Eine weitere Beschränkung der EU-Arbeitnehmer-
        reizügigkeit für Arbeitnehmer aus neu beigetretenen
        itgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland ist
        ontraproduktiv. Die Bundesregierung muss von ihrem
        orhaben dringend ablassen, bei der EU-Kommission
        ine erneute Verlängerung der Einschränkung bis 2011
        nzumelden. Wieso differenzieren Sie für diesen kurzen
        eitraum von zwei Jahren nochmals nach Akademikern
        nd anderen? Das schafft Bürokratie bei Unternehmen,
        nsicherheit bei den Arbeitnehmern, das schafft Unver-
        tändnis bei unseren Nachbarn. Vielmehr ist die Öffnung
        es deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus den
        euen EU-Staaten erforderlich.
        Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, dass wir
        ns weiterentwickeln können und die entsprechenden
        apazitäten hierfür haben. Gerade dann, wenn es kon-
        unkturelle Schwierigkeiten gibt, brauchen wir Innova-
        ionen, Forschung und Entwicklung, und das geht nur
        it Hochqualifizierten und Fachkräften. Dazu müssen
        ir das Problem des Fachkräftemangels dringend behe-
        en. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind sich
        inig, dass der stärkere Zuzug von Fachkräften nach
        eutschland über ein Punktesystem ein Beitrag zur Be-
        ämpfung der Arbeitslosigkeit bei uns ist. Denn der Ein-
        atz jeder weiteren Fachkraft zieht weitere Arbeitsplätze
        ach sich. Jede neue Entwicklung stärkt die Unterneh-
        en in Deutschland.
        Gebraucht werden nicht nur Hochqualifizierte, wie es
        ie Bundesregierung teilweise vorsieht, sondern auch
        acharbeiter und Saisonarbeitskräfte. In der Landwirt-
        chaft beispielsweise trifft die weitere bürokratische Ver-
        chiebung der Geltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
        uf komplettes Unverständnis. Die Bundesregierung be-
        ient hier lediglich ungerechtfertigte Ängste. Die Erfah-
        ungen aus den anderen EU-Staaten zeigen, dass eine
        berbordende Zuwanderung auf den deutschen Arbeits-
        arkt nicht erfolgen wird. Hier wäre die Bundesregie-
        ung in der Pflicht, die Bevölkerung wahrheitsgetreu
        ufzuklären, anstatt die Angstmache durch Verlängerung
        er Dauer der Übergangsregelungen zu verstärken.
        Ohne ein einheitliches System droht Deutschland, den
        ettbewerb um die klügsten Köpfe zu verlieren. Aber
        nstatt die bewusste Gestaltung dieser Politik beherzt in
        ie eigenen Hände zu nehmen, wird der Schwarze Peter
        er EU zugeschoben: Die grundsätzliche Idee mit der
        lue Card entbindet uns jedoch nicht davon, unsere
        ausaufgaben zu machen. Die nationalen Arbeitsmärkte
        ivergieren stark. Die deutsche Regierung muss sich
        elbst an die Arbeit machen.
        Die FDP hat die Aufhebung der Befristung der Härte-
        allkommissionen gefordert. Ich begrüße es nachdrück-
        ich, dass sich die Bundesregierung diesen Vorschlag
        etzt zu eigen gemacht hat. Die Kommissionen sind ein
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20177
        (A) )
        (B) )
        erfolgreiches Instrument für kritische Prüfung migra-
        tionspolitischer Maßnahmen.
        Die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass
        wir mittelfristig den wirtschaftlichen Standard nicht
        mehr werden halten können, wenn wir uns nicht für qua-
        lifizierte Zuwanderung öffnen. Das Gegenmodell zur res-
        triktiven Politik von CDU/CSU und SPD hat die FDP
        vorgelegt: Wir brauchen ein Punktesystem, das die Zu-
        wanderung nach klaren Kriterien steuert und auch unsere
        Interessen und Erwartungen an die Zuwanderer klar de-
        finiert. Dabei spielen vor allem die Qualifikation, die be-
        rufliche Erfahrung, das Alter und die Kenntnisse der
        deutschen Sprache eine große Rolle.
        Entscheidend ist: Wen wollen wir nach Deutschland
        einladen? Wer kann unsere Gesellschaft weiterbringen?
        Für diese brauchen wir eine Willkommenskultur, die es
        für Hochqualifizierte und Fachkräfte aus dem Ausland
        leichter macht, sich für Deutschland zu entscheiden.
        Die Bundesregierung will steuern, aber sie steuert mit
        stotterndem Motor auf Zickzackkurs. Deutschland
        braucht nicht das angstgeleitete zuwanderungspolitische
        Stückwerk von CDU/CSU und SPD, sondern eine mo-
        derne, klare, nachvollziehbare Zuwanderungssteuerung
        aus einem Guss.
        Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Zeit der parla-
        mentarischen Beratung hat die Bundesregierung leider
        nicht genutzt, die Kritik – nicht nur der Opposition, son-
        dern auch von verschiedenen Verbänden – zu nutzen, um
        substantielle Verbesserungen für Migrantinnen und Mi-
        granten sowie in der BRD lebende Menschen mit Dul-
        dung zu schaffen. Das Arbeitsmigrationssteuerungsge-
        setz hätte anstelle seiner einseitigen Konzentration auf
        die Interessenlage der deutschen Wirtschaft unter ande-
        rem die Gelegenheit geboten, die Härten der Bleibe-
        rechtsregelung abzumildern. Das tut es aber nicht. Für
        die hier lebenden geduldeten Menschen wird zwar mit
        § 18 a ein neuer Aufenthaltstitel in das Aufenthaltsge-
        setz, AufenthG, eingeführt. Doch selbst hier hat sich die
        Bundesregierung nicht durchringen können, ihren groß-
        spurigen Worten von Integration auch mal Taten folgen
        zu lassen. Die Zeit ihres Asylverfahrens soll nicht ange-
        rechnet werden. Ihnen wird sogar im Vergleich zu Inha-
        berinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis aus
        humanitären Gründen die Verfestigung des Aufenthalts
        erschwert. Hinzu kommt, dass selbst diese Regelung le-
        diglich eine Ermessensregelung ist. Denn auch sonst
        bleibt sich die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Diskri-
        minierungspolitik treu. Es bleibt bei den arbeitserlaubnis-
        rechtlichen, leistungsrechtlichen sowie gegebenenfalls
        auch residenzpflichttechnischen faktischen Arbeits-, Aus-
        bildungs- und Studierverboten. Die im Heimatland er-
        worbenen Qualifikationen werden nach wie vor nicht
        oder nur teilweise anerkannt.
        In § 18 a AufenthG sind die Ausschlussgründe der
        Altfallregelung nach § 104 a AufenthG übernommen
        bzw. hinsichtlich notwendiger Kenntnisse der deutschen
        Sprache gar verschärft worden. Gefordert wird Sprach-
        niveau B 1. Damit wird in diesen Fällen eine höhere
        M
        h
        a
        f
        d
        d
        A
        u
        N
        s
        b
        w
        l
        R
        g
        s
        a
        p
        b
        d
        r
        t
        A
        i
        H
        j
        g
        d
        l
        N
        r
        ä
        g
        g
        M
        z
        d
        l
        s
        d
        q
        B
        t
        ü
        z
        N
        N
        k
        B
        g
        l
        t
        F
        g
        v
        i
        (C
        (D
        esslatte angelegt, als bei der Erteilung einer Aufent-
        altserlaubnis nach der Altfallregelung.
        Die Linke hat die gesetzliche Altfallregelung gerade
        uch wegen deren Ausschlussgründe kritisiert. Die Er-
        ahrungen haben diese Kritik bestätigt. Die Handhabung
        er Altfallregelung erfolgt in den einzelnen Bundeslän-
        ern teilweise sehr unterschiedlich. Dies gilt etwa für die
        nwendung der Kriterien „ausreichender Wohnraum“
        nd “eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes“.
        un sind aber genau diese von uns abgelehnten Aus-
        chussgründe nahezu identisch in die Regelung zur Ar-
        eitsmarktsteuerung übernommen worden. Auch hier
        ird soziale Selektion groß geschrieben. Ziel der Rege-
        ungen – so die Begründung im Änderungsantrag der
        egierungsfraktionen – ist, dass kein „Anreiz für einen
        ezielten Zuzug von Ausländern nach Deutschland“ ge-
        chaffen wird, um „hier geduldet zu werden“. Was hier
        lso als großer humanitärer Akt der Bundesregierung
        ropagiert wird, wird praktisch kaum Auswirkungen ha-
        en. Insgesamt wird die Anzahl der Geduldeten, die von
        em neuen Aufenthaltstitel profitierten können, sehr ge-
        ing sein.
        Und genau darum geht es im Grundsatz in der Migra-
        ions- und Flüchtlingspolitik der Bundesregeierung im
        llgemeinen und im Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz
        m Konkreten. Es geht um Auslese und rassistischen
        ierarchisierung. Migrantinnen und Migranten werden
        eweils abgestuft soziale und politische Rechte verwei-
        ert bzw. zugestanden. Und dies erfolgt entlang der Be-
        ürfnisse der deutschen Wirtschaft, des Standortnationa-
        ismus und der Arbeitsmärkte. Die Linke hat diesen
        ützlichkeitsrassismus der bundesdeutschen Zuwande-
        ungsgesetzgebung und -politik immer kritisiert.
        „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. So oder
        hnlich muss wohl die Migrationspolitik der Bundesre-
        ierung zu beschreiben. Allerdings geht es dabei weni-
        er um eine Zerreißprobe zwischen hellen und dunklen
        ächten. Vielmehr kann sich die Bundesregierung nicht
        wischen den Forderungen der deutschen Wirtschaft und
        eren Profitstreben einerseits und ihrem deutschnationa-
        en und völkischen Homogenisierungsnostalgie anderer-
        eits entscheiden. Deutlich wird dies nicht nur darin,
        ass sie gegenüber den aus ihrer Sicht nützlichen Hoch-
        ualifizierten kulanter ist als gegenüber den lange in der
        RD lebenden Geduldeten, denen mit zahlreichen Res-
        riktionen das Leben erschwert wird.
        Deutlich wird dies eben auch in ihrer Politik gegen-
        ber den Interessen der deutschen Wirtschaft. So wird
        war die Mindestgehaltsgrenze in § 19 AufenthG Abs. 2
        r. 3 von 86 400 auf 63 600 Euro Jahresgehalt gesenkt.
        atürlich wurden gleichzeitig neue Widerrufsmöglich-
        eiten innerhalb der ersten fünf Jahre eingeführt. Dem
        undesrat geht die Absenkung der Mindestgehalts-
        renze nicht weit genug, wie der Presseerklärung „Deut-
        ichere Akzente bei der Arbeitsmigration“ vom 10. Ok-
        ober 2008 zu entnehmen ist. Aus seiner Sicht bleibt
        achkräften aus mittelständischen Unternehmen der Zu-
        ang zum Arbeitsmarkt verschlossen. Kritisiert wird
        om Bundesrat auch, dass keine Absenkung der Mindest-
        nvestitionssumme für Selbstständige vorgesehen ist.
        20178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Um dies noch einmal ganz deutlich zu sagen: Die
        Linke befürwortet sehr wohl, dass Menschen in die Bun-
        desrepublik kommen können. Auch, um hier zu arbeiten.
        Wir lassen aber nicht zu, dass hoch qualifizierte gegen
        gering qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten,
        Arbeitsmigrantinnen und -migranten gegen Flüchtlinge,
        Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge gegen
        „Deutsche“, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger
        gegen Arbeitslose, Frauen gegen Männer, Ossis gegen
        Wessis, Kinderlose gegen Eltern bzw. Familien, Alt ge-
        gen Jung ausgespielt wurden. Doch die Bundesregierung
        will genau dies. Sie tut alles, um im Interesse der deut-
        schen Wirtschaft billige, flexible und vor allem fügsame
        Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu sichern. Sie tut
        alles, um im kapitalistischen Interesse, Niedriglohnjobs
        auszuweiten und die Konkurrenz zwischen Migrantinnen
        und Migranten mit den ansässigen Einwohnerinnen und
        Einwohnern zu verschärfen.
        Sie nimmt wissentlich und gezielt in Kauf, dass quali-
        fizierte Migrantinnen und Migranten in der Regel unqua-
        lifizierten Tätigkeiten nachgehen müssen. Die Integra-
        tionsbeauftragte Böhmer lamentiert zwar im Focus vom
        28. Oktober 2008 von „dringendstem Handlungsbedarf“
        und sie wolle den „Anerkennungsdschungel lichten“.
        Gleiches in ihrer Presseerklärung vom 8. Mai 2008 zur
        Vorstellung der Studie „Brain Waste“. Da stellt sie fest:
        „Notwendig seien transparente, bundesweit vergleich-
        bare und zügige Verfahren zur Anerkennung von im
        Ausland erworbenen Qualifikationen. Darauf sollten
        künftig alle Zugewanderten einen Anspruch haben.“
        Wir haben mit unserem Antrag „Für eine erleichterte
        Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bil-
        dungs- und Berufsabschlüssen“, Drucksache 16/7109,
        die Situation der circa eine halbe Million eingewander-
        ten Akademikerinnen und Akademiker verbessern wol-
        len. Wir fordern die Entwicklung und Finanzierung eines
        Konzepts für eine bundeseinheitliche, vereinfachte und
        beschleunigte Anerkennung von im Ausland erworbenen
        Schul-, Berufs- und Hochschulabschlüssen und machen
        zahlreiche konkrete Vorschläge, etwa zur Teilanerken-
        nung und Ergänzungsqualifizierung, zu vereinfachten
        praktischen Anerkennungsverfahren, zu vereinfachten
        Abschlussprüfungen usw. Doch Frau Böhmer und die
        Bundesregierung lehnen unseren Antrag aber ab. Ge-
        nauso haben sie einen uneingeschränkten Arbeitsmarkt-
        zugang für Asylsuchenden und Geduldeten, wie wir ihn
        in unserem Antrag Drucksache 16/4907 forderten, abge-
        lehnt.
        Die Linke ist für Arbeit, die ein Auskommen garan-
        tiert, und für gleiche Rechte für alle; sie ist gegen Lohn-
        dumping, das die Bundesregierung zu verschärfen ver-
        sucht. Dass bei der Bundesregierung Humanität unter
        Nützlichkeitserwägungen bzw. -vorbehalt steht, zeigt
        auch, dass sie sich hinsichtlich der Härtefallregelung le-
        diglich zu einer Entfristung durchringen konnte. Grund-
        sätzlich ist diese natürlich ersteinmal zu begrüßen. Ich
        will es aber der Bundesregierung nicht ersparen, hier
        eines noch mal klar zu stellen: Die Bundesregierung ist
        es, die mit ihrer restriktiven Migrations- und Flücht-
        lingspolitik erst die Härtefälle schafft, die über die Här-
        t
        a
        f
        c
        e
        H
        b
        o
        e
        n
        t
        r
        l
        d
        k
        z
        s
        z
        d
        u
        d
        n
        S
        F
        s
        s
        L
        e
        g
        d
        s
        s
        k
        s
        m
        s
        L
        1
        d
        a
        N
        Z
        b
        l
        D
        e
        w
        A
        w
        g
        t
        q
        b
        T
        b
        (C
        (D
        efallregelung geheilt werden. Das betrifft vor allem
        uch die mehr als dürftige Bleiberechtsregelung.
        Schlimm genug also, dass es überhaupt einer Härte-
        allregelung bedarf. Aber diese stellt eben kein sonderli-
        hes Ruhmesblatt dar. Nicht nur, weil es nicht einmal
        ine verbindliche Verpflichtung zur Einrichtung einer
        ärtefallkommission auf Länderebene gibt. Nein, es
        leibt letztlich der obersten Landesbehörde überlassen,
        b sie dem Votum der Kommission folgt und einen Auf-
        nthaltstitel erteilt. Auch die Entfristung ist letztlich
        icht bindend. Die Möglichkeit, die eingerichteten Här-
        efallkommissionen wieder abzuschaffen bleibt unbe-
        ührt.
        Die Linke hat immer gefordert, dass es bundesrecht-
        ich verbindliche Vorgaben geben muss. Die Linke lehnt
        as vorgelegte Arbeitsmigratiossteuerungsgesetz ab. Wir
        önnen keinen Regelungen zustimmen, die einem Kon-
        ept Rechnung zu tragen, in der BRD lebende Dritt-
        taatsangehörige gegenüber erwünschten Hochqualifi-
        ierten weiterhin zu diskriminieren. Die Linke fordert,
        ass das Aufenthaltsrecht vom konkreten Arbeitsplatz
        nabhängig sein muss. Tatsächliche Verbesserungen in
        er Migrationspolitik wären die Ratifizierung der Inter-
        ationalen Konvention der Vereinten Nationen zum
        chutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer
        amilienangehörigen und die Einführung von Mindest-
        tandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ob
        ie nun aus Deutschland kommen oder aus anderen EU-
        ändern oder Drittstaaten. Die Bundesregierung muss
        ndlich dafür sorgen, dass unter gleichen Arbeitsbedin-
        ungen am gleichen Ort und für die gleiche Arbeit auch
        er gleiche Lohn gezahlt wird. Es muss endlich ein ge-
        etzlicher Mindestlohn eingeführt werden, damit Be-
        chäftigte nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden
        önnen. Das Arbeitserlaubnisrechts muss endlich abge-
        chafft, Fortbildungsmaßnahmen für arbeitslose Akade-
        ikerinnen und Akademiker gewährleistet und ausländi-
        che Bildungsabschlüsse anerkannt werden, wie das Die
        inke in den Anträgen auf den Drucksachen 16/4907,
        6/3912, 16/7109 und im Gesetzentwurf 16/369 gefor-
        ert hat. Solchen gesetzlichen Regelungen kann dann
        uch Die Linke zustimmen.
        Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        EN): Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche
        usammenarbeit und Entwicklung, gelangte im Septem-
        er dieses Jahres in ihrem „International Migration Out-
        ook“ zu ernüchternden Feststellungen. Erstens. Nach
        eutschland wandern immer weniger Ausländer ein –
        in maßgeblicher Grund, weswegen hierzulande die Er-
        erbsbevölkerung besonders stark abnimmt. Zweitens.
        uf Grundlage der Hochqualifiziertenregelung des Zu-
        anderungsgesetzes kamen in den letzten beiden Jahren
        erade einmal 900 Fachkräfte nach Deutschland. Drit-
        ens. Und schließlich ist gerade bei der Gruppe der Hoch-
        ualifizierten die Abwanderungsquote aus Deutschland
        esonders hoch.
        Die Maßnahmen der Großen Koalition gegen diesen
        rend sind halbherzig. Dies gilt zum Beispiel im Hin-
        lick auf die Mindesteinkommensgrenze für Hochquali-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20179
        (A) )
        (B) )
        fizierte oder die Mindestinvestitionssumme für Selbst-
        ständige. In beiden Fällen wurden zum Beispiel die
        Vorschläge des Bundesrates zum „Abbau unnötiger Zu-
        wanderungshürden“ mit kleingeistigen Argumenten vom
        Tisch gewischt.
        Und dennoch: Meine Fraktion wird dieses Gesetz
        nicht ablehnen, sondern sich der Stimme enthalten. Denn
        dieses Gesetzespaket enthält auch positive Aspekte. Be-
        sonders begrüßen wir die Entfristung der Härtefallrege-
        lung in § 23 a des Aufenthaltsgesetzes. Ohne diesen
        Schritt wäre die nach unserem Ermessen erfolgreiche
        Arbeit der Härtefallkommissionen der Länder Ende
        2009 ausgelaufen. Weiterhin begrüßen wir es, dass be-
        ruflich qualifizierte Geduldete nun zum Zwecke der Be-
        schäftigung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen
        bzw. dass die Große Koalition – christdemokratischen
        Bedenkenträgern zum Trotz – die Ausbildungsförderung
        nun auch von Geduldeten verbessern will. Wir meinen
        aber, dass der Kreis derjenigen, die nach diesem Gesetz
        ein Bleiberecht erhalten sollen, viel zu eng gefasst ist. Es
        ist für uns zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum
        nicht auch das Durchlaufen des Schulsystems ein Zei-
        chen für eine Verwurzelung in der hiesigen Gesellschaft
        sein soll.
        Wir meinen: Soll die neue Regelung wirksam sein, so
        dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt
        werden. Die Große Koalition stellt in ihrer Begründung
        des Gesetzentwurfs ja selbst fest: „Sowohl die Bleibe-
        rechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 als
        auch die gesetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b
        AufenthG stellen für die Erlangung eines sicheren Auf-
        enthaltsstatus für zahlreiche, insbesondere jüngere Ge-
        duldete hohe Hürden auf.“
        Die Bleiberechtsregelung der Großen Koalition bleibt
        in vielfältiger Weise weit hinter den eigenen hochge-
        steckten Zielen zurück. Wer dies ändern will, muss die
        erkannten Hürden für die Inanspruchnahme dieser Rege-
        lung systematisch beseitigen. Bleibt es jedoch bei dem
        restriktiven Ansatz der Großen Koalition, könnte es sein,
        dass die Ziele dieses Gesetzes nicht erreicht werden,
        nämlich aus der Gruppe der Geduldeten zumindest die
        qualifizierten Fachkräfte mit einem Aufenthaltstitel aus-
        zustatten.
        Das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz ist und
        bleibt Stückwerk. Zum einen wehrt sich die Große Ko-
        alition – allen guten Erfahrungen anderer westeuropäi-
        scher Volkswirtschaften zum Trotz – partout gegen die
        Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
        mern aus den Beitrittsländern, obwohl dies gerade von
        denjenigen Bundesländern gefordert wird, von denen
        immer behauptet wird, man müsse sie davor schützen.
        Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg
        wissen, dass sie von dieser Freizügigkeit, die ja 2011 oh-
        nehin kommen wird, schon jetzt profitieren könnten.
        Zum anderen traut sich Schwarz-Rot nicht, ein Punkte-
        system zur Zuwanderung vorzuschlagen, das die abseh-
        bar gravierenden Probleme des Alterungsprozesses un-
        serer Gesellschaft zumindest ein Stück weit abmildern
        könnte.
        h
        s
        m
        H
        f
        A
        s
        s
        s
        d
        g
        m
        b
        a
        t
        A
        d
        m
        A
        w
        b
        e
        k
        t
        D
        c
        t
        d
        t
        t
        s
        b
        B
        z
        g
        i
        d
        g
        u
        r
        f
        B
        b
        E
        R
        s
        (C
        (D
        Deutschland hat bereits viel Zeit verloren. Rot-Grün
        at schon 2002 hierfür eine gesetzliche Regelung vorge-
        chlagen. Und obwohl sowohl die Zuwanderungskom-
        ission der CDU als auch die Kommission von Roman
        erzog „Zur Reform der sozialen Sicherungssysteme“
        estgestellt haben, dass „Zuwanderung einen Beitrag zur
        bmilderung des Alterungsprozesses leisten kann“,
        temmen sich die Konservativen gegen diese gesell-
        chaftliche Notwendigkeit.
        Neben uns Grünen fordert nicht nur die EU-Kommis-
        ion und das Europäische Parlament, fordert nicht nur
        as Institut der deutschen Wirtschaft und die Vereini-
        ung der Bayerischen Wirtschaft, sondern fordert nun-
        ehr selbst der Bundesrat in seinem Beschluss zum Ar-
        eitsmigrationssteuerungsgesetz die Große Koalition
        uf, „umgehend mit der Vorbereitung eines Punktesys-
        ems zur demografischen Zuwanderung zu beginnen“.
        ber zu einer solch grundlegenden Modernisierung des
        eutschen Zuwanderungsrechts hat Schwarz-Rot nicht
        ehr die Kraft. Es ist Zeit für einen grünen Neuanfang.
        nlage 14
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Sicherung der inter-
        kommunalen Zusammenarbeit (Tagesord-
        nungspunkt 28)
        Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Auch ich halte Ver-
        altungszusammenarbeit zwischen kommunalen Ge-
        ietskörperschaften für ein geeignetes und vielfach
        rforderliches Mittel interner Staatsorganisation, um
        osteneffizient und im Interesse des Gemeinwohls Leis-
        ungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erbringen.
        ie interkommunale Zusammenarbeit ist ein wesentli-
        her Bestandteil der Organisationshoheit unseres Staa-
        es.
        Ich habe jedoch drei Einwände gegen den hier von
        er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten An-
        rag:
        Erstens. Bei der Frage der innerstaatlichen Organisa-
        ion verfügt der Bundesgesetzgeber nur über sehr einge-
        chränkte Kompetenz. Ganz im Sinne unseres Bestre-
        ens nach Subsidiarität ist jede Instanz unterhalb des
        undesstaats auch wieder für die eigene Organisation
        uständig. Demnach sind bei staatlich zu lösenden Auf-
        aben – wie der Einrichtung von Förderprogrammen für
        nterkommunale Kooperationen – zuerst und im Zweifel
        ie Länder für eine Umsetzung zuständig, während über-
        eordnete Glieder zurücktreten.
        Die Aktivitäten des Bundesamtes für Bauordnung
        nd Raumwesen können den Ländern hier als Orientie-
        ung dienen. Es führt zahlreiche Modellvorhaben zu er-
        olgreicher interkommunaler Kooperation durch. Die
        undesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen haben
        ereits Förderprogramme aufgelegt, die sich eng an die
        mpfehlungen des Bundesamtes halten und sich guter
        esonanz erfreuen. Bayern und das Saarland befinden
        ich derzeit in der Planungsphase. Im Gespräch mit Ver-
        20180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        tretern der zuständigen Landesbehörden wurde mir ver-
        mittelt, dass es nicht erwünscht sei, wenn der Bund hier
        in Konkurrenz mit den Ländern treten und die Förderung
        im kommunalen Bereich an sich ziehen würde. Für mich
        ist dies nachvollziehbar: Die Landesregierungen kennen
        die lokalen Bedürfnisse, ein bundeseinheitliches Pro-
        gramm würde der Komplexität des Themas gewiss nicht
        gerecht.
        Zweitens. Für den Antrag besteht kein Bedarf. Der
        derzeit verhandelte Regierungsentwurf zur Novellierung
        des Vergaberechts regelt die interkommunale Zusam-
        menarbeit bereits in § 99 Abs. 1 Satz 2 GWB-E neu. Er
        wird gegenwärtig zwischen den Berichterstattern bera-
        ten. Gemäß Entwurf liegt bei interkommunaler Zusam-
        menarbeit nur dann keine ausschreibungspflichtige Ver-
        gabe vor, wenn kein privates Kapital am Auftragnehmer
        beteiligt ist und dieser nicht am Markt agiert oder im
        Wesentlichen für öffentliche Auftraggeber tätig ist. Das
        heißt: Ist privates Kapital am Auftragnehmer beteiligt,
        muss ausgeschrieben werden.
        Diese Negativdefinition des öffentlichen Auftrages ist
        nicht ganz unproblematisch. Im Berichterstattergespräch
        haben wir heute erörtert, wie wir den Regierungsentwurf
        so fortentwickeln, dass einerseits das Interesse des Staa-
        tes an einer möglichst freien Ausübung seiner Organisa-
        tionshoheit gesichert ist, andererseits verhindert wird,
        dass unter dem Deckmantel der Organisationshoheit öf-
        fentliche Aufträge gezielt am Vergaberecht vorbeidiri-
        giert und ganze Wirtschaftszweige gegenüber der Staats-
        wirtschaft benachteiligt werden.
        Und damit bin ich bei drittens. Natürlich dürfen wir
        die Auswirkungen einer Stärkung der interkommunalen
        Zusammenarbeit auf mittelständische Unternehmen der
        Privatwirtschaft nicht aus den Augen lassen. Der Ver-
        such, hier einen Ausgleich der Interessen zwischen öf-
        fentlichen Auftraggebern, Bürgern und Unternehmern zu
        finden, hat uns in unseren Beratungen zur Novelle des
        Vergaberechts immer wieder vor dasselbe Problem ge-
        stellt:
        Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirt-
        schaft, der Zentralverband des Deutschen Handwerks
        und der Bundesverband für Informationswirtschaft – un-
        terstützt von einer Reihe von weiteren Wirtschaftsunter-
        nehmen – sprechen sich mit Nachdruck gegen die Rege-
        lung in § 99 GWB aus. Wenn der Gesetzgeber die
        Kooperation unter rechtlich selbstständigen staatlichen
        Einheiten in Zukunft ausdrücklich von der Ausschrei-
        bungspflicht freistelle, schließe er mittelständische Un-
        ternehmen der Privatwirtschaft von einem großen Teil
        des Marktes aus.
        Für die Position der Wirtschaftsverbände sprechen
        wirtschaftspolitische Überlegungen, mit denen ich mich
        als CSUler durchaus identifizieren kann: Die Ausschrei-
        bung bestimmter Dienstleistungen der Daseinsvorsorge,
        etwa im Bereich der Abwasserentsorgung, könnte die
        Marktzugangschancen von Privatunternehmen und ge-
        rade auch von Mittelständlern verbessern. Dies ist poli-
        tisch von unserer Fraktion zunächst einmal gewollt.
        Auch politisch gewollt ist es, im Bereich der öffentli-
        chen Aufträge kosteneffizient zu wirtschaften. Es ist si-
        c
        b
        K
        i
        m
        p
        e
        t
        d
        k
        f
        h
        w
        L
        w
        t
        e
        n
        z
        U
        ü
        r
        g
        m
        v
        S
        d
        W
        j
        d
        z
        n
        s
        s
        W
        l
        d
        g
        M
        v
        s
        c
        h
        k
        ß
        z
        t
        k
        z
        E
        n
        M
        z
        K
        (C
        (D
        herlich problematisch, wenn es öffentlichen Auftragge-
        ern durch Inhouse-Vergaben oder interkommunale
        ooperation möglich ist, Aufträge vom Vergaberecht
        nsgesamt auszunehmen. Deshalb sollte tatsächlich im-
        er sorgfältig geprüft werden, ob nicht eine Vergabe an
        rivate Unternehmen unter dem Aspekt der Kosten-
        rsparnis und Entlastung der öffentlichen Haushalte vor-
        eilhafter ist, als die Aufträge selbst auszuführen.
        Als Kommunalpolitiker kann ich aber auch die Be-
        enken der anderen Seite verstehen. Würde die inter-
        ommunale Kooperation dem Vergaberecht unterwor-
        en, würde das de facto auf eine Privatisierungspflicht
        inauslaufen. So weit entmündigen können und wollen
        ir unsere Kommunen nicht. Die Entscheidung, ob eine
        eistung am Markt eingekauft oder selbst ausgeführt
        ird, obliegt alleine den betroffenen staatlichen Einhei-
        en. So geht es hier in erster Linie darum, Kommunen zu
        rmöglichen, miteinander interkommunale Kooperatio-
        en einzugehen, und nicht darum, sich dem Wettbewerb
        u verschließen und aus der Verantwortung zu stehlen.
        nter diesem Gesichtspunkt werden wir noch einmal
        ber die entsprechenden Regelungen diskutieren. Es ist
        ichtig und wichtig, dass wir das im Verlauf der Beratun-
        en zur Vergaberechtsnovelle tun. Die Garantie der kom-
        unalen Selbstverwaltung ist ein hohes Gut im Selbst-
        erständnis des deutschen Staates und gehört geschützt.
        Es ist also sowieso schon ein schwieriges Thema, das
        ie hier mit Ihrem Antrag anschneiden. Stellen Sie sich
        ie Diskussionen vor, die wir auf Bundesebene mit der
        irtschaft – zu Recht – provozieren würden, wenn wir
        etzt zusätzlich zu unseren Bestrebungen in der Novelle
        es Vergaberechts, die Vergabe öffentlicher Aufträge ab-
        usichern, noch Förderprogramme für die Kooperatio-
        en auflegen.
        Werte Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, insge-
        amt ist es ein schwer erkämpfter, ausgewogener Vor-
        chlag, der uns mit der Vergaberechtsnovelle vorliegt.
        ir werden mit angemessenen Nachbesserungen im par-
        amentarischen Verfahren als Große Koalition – neben
        er Absicherung der staatlichen Organisationshoheit ge-
        enüber der EU-Kommission – auch und gerade für den
        ittelstand, der es in diesem Land bitter nötig hat, etwas
        oranbringen. Ihr Antrag ist also nicht nur überflüssig,
        ondern schlägt Wogen, die wir gerade mühsam versu-
        hen zu glätten.
        Darauf können wir derzeit dankend verzichten, wir
        aben andere Probleme.
        Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Die inter-
        ommunale Zusammenarbeit sorgt in schöner Regelmä-
        igkeit und das seit Jahrzehnten für heftige Diskussionen
        wischen Befürwortern der öffentlichen Wirtschaftstä-
        igkeit und deren Gegnern. Aufgeheizt hat sich die Dis-
        ussion in jüngster Zeit jedoch vor allem durch die Viel-
        ahl der Vertragsverletzungsverfahren, mit denen uns die
        uropäische Kommission im Bereich der interkommu-
        alen Zusammenarbeit überzieht. Das ist in hohem
        aße ärgerlich und nicht hinnehmbar. Dahinter steht
        um einen die grundsätzlich tendenziöse Haltung der
        ommission, dass der freie Wettbewerb durch die kom-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20181
        (A) )
        (B) )
        munale Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigt werde. Zum
        anderen stehen dahinter natürlich auch Interessenver-
        bände der Wirtschaft. Diese wollen mit der Kommission
        als Speerspitze ihren privaten Unternehmen neue Märkte
        auf Kosten der kommunalen Wirtschaftstätigkeit er-
        schließen. Zu beiden Punkten haben wir eine klare Mei-
        nung: Für uns ist die kommunale Zusammenarbeit ein
        Erfolgsmodell, das wir gegen jegliche ungerechtfertigten
        Angriffe verteidigen. Das tut die Bundesregierung im
        Übrigen auch, und zwar mit großem Nachdruck gegen-
        über der Kommission. Denn die Maßnahmen der EU-
        Kommission sind und bleiben ein unzulässiger Eingriff
        in unser Staatsorganisationsrecht. Sie richten sich ein-
        deutig gegen unsere föderale Struktur. Die Kommission
        ignoriert dabei völlig, dass es in einem föderalen Staat
        zusätzlicher Regelungen zwischen den Hoheitsträgern
        bedarf, um die Zusammenarbeit sicherzustellen. Bei die-
        sen Regelungen geht es um Verwaltungsorganisation
        und nicht um Beschaffung. Aber auch das versucht die
        Bundesregierung der Kommission bereits ein ums an-
        dere Mal klarzumachen. Abgesehen davon haben wir im
        Rahmen der laufenden Vergaberechtsreform eine Rege-
        lung zur Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zu-
        sammenarbeit aufgenommen. Damit schaffen wir nun
        eindeutig Rechtssicherheit.
        Eines bleibt abschließend noch festzuhalten: Die in-
        terkommunale Zusammenarbeit unterliegt bereits heute
        grundsätzlich weder dem europäischen Vergaberecht
        noch dem deutschen Vergaberecht im GWB. Mit dem
        Antrag werden also wieder einmal Eulen nach Athen ge-
        tragen. Bleibt nur noch die Frage, warum Bäume unnütz
        sterben mussten, um diesen Antrag auf Papier zu brin-
        gen. Nachhaltig ist das nicht.
        Paul K. Friedhoff (FDP): Wir debattieren hier einen
        Antrag der Grünen aus dem Juni dieses Jahres zur inter-
        kommunalen Zusammenarbeit. Mit dieser sollen Kom-
        munen die Möglichkeit erhalten, mit Beschaffungen
        oder Dienstleistungen eine andere Kommune direkt zu
        beauftragen. Problematisch ist, dass es bei dieser Art öf-
        fentlicher Auftragsvergabe den Kommunen möglich ist,
        ein Vergabeverfahren zu umgehen. Ich glaube kaum,
        dass die Fraktion der Grünen einen Antrag wie den vor-
        liegenden heute noch so stellen würde. Denn die Stel-
        lungnahmen der überwiegenden Mehrheit der Sachver-
        ständigen im Rahmen der Anhörung zum Vergaberecht
        im Oktober dieses Jahres sprachen deutlich gegen die
        aus dem Antrag sprechende Sichtweise. Sie bestätigten
        vielmehr die von meiner Fraktion vorgebrachten Hin-
        weise auf die Gefahren, die in der interkommunalen Zu-
        sammenarbeit liegen. Die mittelständische Wirtschaft
        dieses Landes kann kaum verstehen, warum ihre Unter-
        nehmen als private Auftragnehmer sich den hohen
        Anforderungen der Vergabeverfahren stellen sollen,
        während öffentlichen Auftragnehmern der bequeme Weg
        ohne jede Ausschreibung, also ohne Wettbewerb, offen-
        stünde. Eine krasse Wettbewerbsverzerrung zulasten der
        regionalen Unternehmen wäre unausweichlich die Folge
        einer Ausweitung interkommunaler Zusammenarbeit.
        T
        d
        s
        i
        „
        b
        d
        r
        f
        f
        f
        E
        n
        w
        ö
        s
        W
        s
        z
        S
        s
        G
        v
        G
        z
        d
        A
        H
        g
        W
        t
        k
        a
        c
        t
        k
        D
        A
        i
        Z
        §
        g
        t
        d
        v
        d
        m
        b
        e
        W
        k
        d
        t
        B
        s
        (C
        (D
        Gerade von den Grünen, die doch das Gebot der
        ransparenz angeblich so hoch halten, hätte ich erwartet,
        ass sie für größtmögliche Transparenz auch in deut-
        chen Vergabeverfahren sind. Stattdessen wollen sie die
        nterkommunale Zusammenarbeit fördern, in der sie eine
        verwaltungsinterne Lösung“ sehen, für die das Verga-
        erecht nicht gelten solle.
        Die Begründung hierfür ist absurd: Die Anwendung
        es Vergaberechts würde einen faktischen Privatisie-
        ungszwang auslösen. Dies ist schlichter Unsinn. Es
        ordert nämlich niemand, dass sich kommunale, also öf-
        entliche Auftragnehmer, an Ausschreibungen von öf-
        entlichen Auftraggebern nicht mehr beteiligen dürfen.
        s wird nur gefordert, dass für alle potenziellen Auftrag-
        ehmer die gleichen Bedingungen eines fairen Wettbe-
        erbs um den zu erlangenden Auftrag gelten. Wenn die
        ffentlichen Bewerber gut und effizient sind, brauchen
        ie den Wettbewerb mit den privaten nicht zu fürchten.
        enn sie ineffizient und zu teuer sind, sollten sie ihr Ge-
        chäftsmodell überprüfen. Die Vergabe an zu teure oder
        u schlechte Auftragnehmer kann jedoch niemals im
        inne der vergebenden Kommune sein; denn diese muss
        tets wirtschaftlich haushalten und beschaffen. Wenn die
        rünen in ihrem Antrag denn auch schreiben, dass die
        on ihnen so geschätzte Art des Zusammenwirkens von
        emeinden ein erforderliches Mittel ist, um kosteneffi-
        ient Leistungen zu erbringen, haben sie dabei scheinbar
        en Grundgedanken des Vergaberechts völlig aus den
        ugen verloren. Dieser liegt darin, für die öffentliche
        and einen wirtschaftlichen Einkauf von Leistungen zu
        ewährleisten. Diese Wirtschaftlichkeit lässt sich ohne
        ettbewerb nicht erreichen.
        Die Möglichkeit einer vom Grünen-Antrag favorisier-
        en Auftragsvergabe nach Gutdünken an befreundete
        ommunale Betriebe klingt für Bürgermeister sicherlich
        ttraktiv, aber sie gefährdet den Wettbewerb bei öffentli-
        hen Aufträgen: Während sich Kommunen zur Auslas-
        ung ihrer Eigenbetriebe Aufträge hin- und herschanzen
        önnen, bleiben die privaten Unternehmer außen vor.
        ie Transparenz sinkt, und die Wirtschaftlichkeit dieser
        rt der Beschaffung ist nicht gewährleistet. Daher weise
        ch hier auch noch einmal darauf hin, dass der in diesem
        usammenhang von der Bundesregierung geplante neue
        99 Abs. 2 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
        en dem Ziel wirtschaftlicher Vergabe widerspricht.
        Eine Wirtschaftlichkeitskontrolle würde bei verstärk-
        er kommunaler Verflechtung immer weniger stattfin-
        en. Unter dem Leitbild einer transparenten Auftrags-
        ergabe der öffentlichen Hand verbietet sich geradezu
        ie Schaffung der Möglichkeit, Betriebe anderer Kom-
        unen ohne Ausschreibung zu beauftragen. Das Verga-
        erecht soll fairen Wettbewerb sicherstellen und es nicht
        twa den Kommunen einfach machen, unerwünschten
        ettbewerb auszuschalten.
        Lassen sie mich eines nochmals klarstellen: Wenn
        ommunale Unternehmen gut wirtschaften, brauchen sie
        en Wettbewerb mit der Privatwirtschaft nicht zu fürch-
        en. Es gibt deshalb auch keinen Grund, die städtischen
        etriebe von den Vergabevorschriften auszunehmen und
        o vor Wettbewerb zu schützen.
        20182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir als Linke unterstützen
        den Antrag der Grünen, die interkommunale Zusammen-
        arbeit zu sichern. Der Gesetzentwurf der Bundesregie-
        rung zur Modernisierung des Vergaberechts, der viele
        Schwächen hat, ist wenigstens in dieser Hinsicht positiv.
        Er nimmt die interkommunale Zusammenarbeit von der
        Vergabe aus. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition stand-
        haft bleibt und nicht angesichts der massiven Lobby-
        arbeit von BDI und Konsorten doch noch umfällt. Da
        diese Lobby auch in Brüssel massiv tätig ist und bei Tei-
        len der EU-Kommission auf ein offenes Ohr trifft, ist das
        Anliegen, die interkommunale Zusammenarbeit auch
        europarechtlich abzusichern, sinnvoll.
        Es muss in der Entscheidungshoheit der demokratisch
        legitimierten Kommunen verbleiben, ob sie eine Auf-
        gabe an einen privaten Dritten vergeben möchten oder
        ob sie diese vergaberechtsfrei in Eigenregie ausführen.
        Dabei muss es unerheblich sein, ob dies eine Kommune
        alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Kommunen
        erledigt.
        Wohlgemerkt geht es uns dabei um regionale Zusam-
        menarbeit und um regionale Wirtschaftskreisläufe. Es
        geht um die Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen
        oder innerhalb einer Region auch über die Grenzen von
        Bundesländern oder Staaten hinweg. Interkommunale
        Zusammenarbeit darf nicht dazu führen, die Kommunen
        miteinander in den bundesweiten Wettbewerb zu treiben.
        Wenn eine Kommune am einen Ende der Republik sich
        die Versorgung der Menschen in einer Kommune am an-
        deren Ende oder gar im Ausland unter den Nagel reißt,
        würde sie sich von ihrer Aufgabe, der Sicherstellung von
        öffentlichen Gütern und Dienstleistungen für die Bürge-
        rinnen und Bürger im eigenen Gebiet, zu weit entfernen.
        In solchen Fällen agieren die Kommunen nicht anders
        als Private und haben dafür keinen besonderen Schutz
        verdient. Anders gesagt: Wenn die Stadtwerke München
        mit der Gemeinde Sauerlach kooperieren, um ein geo-
        thermisches Kraftwerk zu errichten, so macht das Sinn.
        Eine europaweite Ausschreibung wäre hier irrwitzig.
        Wenn die Mannheimer Stadtwerke die Köthener Stadt-
        werke aufkaufen, spielen sie nur das Spiel der großen
        EVU mit.
        Interkommunale Zusammenarbeit nimmt angesichts
        der prekären finanziellen Situation von Kommunen ei-
        nen immer größeren Stellenwert ein. Insbesondere für
        kleinere und strukturschwächere Gemeinden ist die Zu-
        sammenarbeit mit anderen Kommunen ein wichtiges
        Mittel, ihre Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit zu
        erhalten. Wer diese Zusammenarbeit jedoch als reines
        Instrument von Rationalisierung versteht, greift zu kurz.
        Dann erreicht er keine Verbesserung der öffentlichen
        Leistungen. Im Gegenteil, die Wege der Bürgerinnen
        und Bürger zu den Einrichtungen ihrer Gemeinde wer-
        den immer länger und umständlicher.
        Uns muss es darum gehen, im Sinne der öffentlichen
        Daseinsvorsorge, der Bereitstellung öffentlicher Infra-
        struktur und des Ausbaus sozialer und kultureller Ange-
        bote die Kommunen in die Lage zu versetzen, durch
        Zusammenarbeit mit ihren Nachbarkommunen Syner-
        gieeffekte im Sinne der Bevölkerung zu nutzen. In
        v
        r
        n
        k
        d
        h
        l
        G
        G
        b
        n
        D
        s
        s
        t
        A
        r
        d
        e
        p
        g
        i
        d
        b
        k
        w
        k
        n
        B
        s
        d
        m
        z
        d
        K
        e
        d
        e
        P
        n
        a
        s
        d
        V
        d
        s
        B
        S
        a
        b
        a
        d
        (C
        (D
        ielen Regionen gibt es hierzu bereits langjährige Erfah-
        ungen. Man denke nur an den öffentlichen Personen-
        ahverkehr.
        Es wird jedoch auch immer Bereiche geben, in denen
        ommunale Kooperation schwierig ist. Insbesondere
        ort, wo die Kommunen miteinander im Wettbewerb ste-
        en, bei der Einwohnerzahl und bei der Gewerbeansied-
        ung. Zumindest bei Letzterem würde der Vorschlag der
        rünen, im Falle gemeinsamer grenzüberschreitender
        ewerbegebiete einen Verteilungsmodus für die Gewer-
        esteuer einzuführen, einen positiven Effekt haben kön-
        en.
        Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ie Möglichkeit, das eigene Lebensumfeld direkt zu ge-
        talten, macht den besonderen Reiz kommunalpoliti-
        chen Engagements aus. Gerade deshalb ist es problema-
        isch, dass der Bezugsrahmen für kommunalpolitische
        rbeit immer unübersichtlicher wird: durch die privatisie-
        ungsbedingte Intransparenz, die gestiegene Regelungs-
        ichte seitens Bund und Land und vor allem – darum geht
        s hier heute – das Hineinregeln der EG-Wettbewerbs-
        olitik in die kommunale Selbstverwaltung.
        Ein besonders dringlicher Konflikt zwischen EG-Ver-
        aberecht und kommunaler Selbstverwaltung betrifft die
        nterkommunale Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund
        es demografischen Wandels ist die gemeinsame Aufga-
        enwahrnehmung verschiedener kommunaler Gebiets-
        örperschaften unverzichtbar, um Daseinsvorsorge in
        irtschaftlich tragfähigen Einheiten zu sichern. Die zu-
        ünftige Bedeutung verschiedener Kooperationsformen
        immt dabei gerade auch in Schlüsselbereichen wie der
        ildungsinfrastruktur zu.
        Die EU-Kommission war in der Vergangenheit be-
        trebt, unter Berufung auf einschlägige Rechtsprechung
        es Europäischen Gerichtshofs interkommunale Zusam-
        enarbeit in die europaweite Ausschreibungspflicht ein-
        ubeziehen. Und genau hier setzt unsere Kritik an. Denn
        urch diese Ausschreibungspflicht versucht die EU-
        ommission, einen faktischen Privatisierungszwang zu
        rzeugen. In dem Moment, da eine Gebietskörperschaft
        ie Leistungserbringung aus der Hand gibt, ist der Markt
        röffnet. So die Position der Kommission. Ein solcher
        rivatisierungszwang kann und darf aber nicht hinge-
        ommen werden; denn bei interkommunaler Zusammen-
        rbeit – da sind wir uns hier wohl alle einig – handelt es
        ich um einen Vorgang interner Staatsorganisation.
        Die Bundesregierung ist deshalb aufgerufen, sich für
        ie Freistellung interkommunaler Zusammenarbeit vom
        ergaberecht auf EU-Ebene einzusetzen. Entscheidend
        abei ist allerdings, dass sich die Freistellung nur auf
        olche Formen der Zusammenarbeit bezieht, die ohne
        eteiligung Privater stattfindet. Denn sobald Private ins
        piel kommen, greift das EG-Vergaberecht. Und das ist
        uch richtig so, denn europäisches und nationales Verga-
        erecht bleiben notwendige Schwerter gegen Korruption
        uf einem milliardenschweren Markt.
        Gleichzeitig machen wir in unserem Antrag auch
        eutlich, dass es noch andere Hausaufgaben zu machen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20183
        (A) )
        (B) )
        gilt, um die interkommunale Zusammenarbeit zu si-
        chern. Es reicht nicht, auf die EU zu zeigen. So muss die
        Unterscheidung zwischen mandatierender und delegie-
        render Vereinbarung im deutschen Vergaberecht abge-
        schafft werden. Die Europäische Union kennt diese Un-
        terscheidung nicht. Ein weiterer erforderlicher Beitrag
        der Länder besteht darin, in ihren eigenen Rechtsvor-
        schriften klarzustellen, dass interkommunale Zusam-
        menarbeit aus den genannten Gründen nur ohne private
        Beteiligung stattfinden kann. Leider ist das noch nicht
        überall der Fall.
        In unserem Antrag haben wir Ihnen aufgelistet, was
        auf europäischer, Bundes- und Landesebene zu tun ist,
        um die interkommunale Zusammenarbeit abzusichern
        und auszubauen. Ich denke, es wäre ein gutes Zeichen,
        wenn wir uns als Deutscher Bundestag in dieser Frage
        mit breiter Mehrheit zu unserer politischen Verantwor-
        tung für die kommunale Ebene bekennen würden.
        Anlage 15
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Modernisierung und Entbürokratisierung des
        Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbauge-
        setz) (Tagesordnungspunkt 21 b)
        Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die Gesetzesbezeich-
        nung „Steuerbürokratieabbaugesetz“ ist meines Erach-
        tens etwas irreführend, da mit dem uns vorliegenden Ge-
        setz im Wesentlichen die Umstellung von der papiernen
        auf die elektronische Steuererklärung eingeführt wird.
        Im Jahr 1997 nutzten 6,5 Prozent der Deutschen das
        Internet. Zehn Jahre später waren es bereits 62,7 Prozent
        der Gesamtbevölkerung, die einen Zugang zum Internet
        hatten. Dies sind 40,8 Millionen Menschen in Deutsch-
        land. Dies ist ein offensichtliches Zeichen, dass die Digi-
        talisierung unseres Lebens nach und nach fortschreitet.
        Statt Briefe werden E-Mails geschrieben, statt an den
        Bankschalter zu gehen, erledigen die Menschen ihre Fi-
        nanzgeschäfte online, und Bücher werden häufiger bei
        Onlineanbietern anstatt im Bücherladen um die Ecke ge-
        kauft. Auch der Trödelmarkt ist mit Ebay online zu fin-
        den.
        Das uns heute zur abschließenden Beratung vorlie-
        gende Steuerbürokratieabbaugesetz setzt diese digitale
        Entwicklung fort. „Elektronik statt Papier“ könnte das
        Leitmotto dieses Gesetzes sein. Mit diesem Gesetzent-
        wurf soll die Strategie, papierbasierte Verfahrensabläufe
        durch elektronische Kommunikation zu ersetzen, fortge-
        setzt und vertieft werden. Folgende Maßnahmen seien
        hier exemplarisch erwähnt: standardmäßige elektroni-
        sche Übermittlung von Steuererklärungen der Unterneh-
        men, standardisierte und elektronische Übermittlung der
        Inhalte der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung
        für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2010
        beginnen. Die Verpflichtung, anlässlich der Aufnahme
        der beruflichen und gewerblichen Tätigkeit Auskunft
        über steuerrelevante rechtliche und tatsächliche Verhält-
        n
        f
        n
        U
        g
        S
        r
        i
        w
        a
        W
        B
        n
        s
        m
        g
        g
        d
        e
        d
        l
        K
        c
        d
        w
        u
        A
        d
        n
        A
        a
        d
        g
        e
        t
        d
        w
        (C
        (D
        isse zu geben, soll künftig auf elektronischem Wege er-
        üllt werden. Steuerpflichtige sollen bestimmte, dem Fi-
        anzamt bisher auf Papierbasis vorzulegende Belege und
        nterlagen künftig elektronisch bereitstellen.
        Die Grundsatzfrage, die sich durch das ganze Gesetz-
        ebungsverfahren hingezogen hat, war die, ob wir die
        teuerpflichtigen künftig verpflichten, ihre Steuererklä-
        ungen in elektronischer Form abzugeben, oder ob wir
        hnen nicht die grundsätzliche Wahlfreiheit lassen, ent-
        eder in Papierform oder elektronisch ihre Erklärung
        bzugeben.
        Außerhalb der staatlichen Verwaltung haben wir
        ahlfreiheit. Auch wenn immer mehr Bürgerinnen und
        ürger per E-Mail kommunizieren, so ist dennoch noch
        iemand auf die Idee gekommen, die Postkarte abzu-
        chaffen oder gar zu verbieten. Auch das Onlinebanking
        uss freiwillig bleiben, da es durchaus berechtigte Sor-
        en hinsichtlich dessen Stör- und Betrugsanfälligkeit
        ibt.
        Die bisher für einzelne Steuererklärungen wie etwa
        ie Umsatzsteuervoranmeldung geltende Pflicht zur
        lektronischen Abgabe mit lediglich der Möglichkeit,
        ass die Finanzverwaltung im Gnadenwege bei Härtefäl-
        en davon Ausnahmen zulässt, ist unbefriedigend. Viele
        lein- und Kleinstunternehmen sind aus wirtschaftli-
        hen Gründen nicht in der Lage, die Voraussetzungen für
        ie elektronische Abgabe zu schaffen. Der Aufwand
        äre für sie zu hoch, und gerade dies kann nicht Sinn
        nd Zweck eines Steuerbürokratieabbaugesetzes sein.
        uch ist es eines Rechtsstaates unwürdig, den Bürger,
        er die Voraussetzungen der elektronischen Abgabe
        icht erfüllen kann, als Bittsteller auf eine Härtefall-
        usnahmeregelung zum Finanzamt zu schicken.
        Aus diesen Gründen schafft dieses Steuerbürokratie-
        bbaugesetz einen neuen § 150 Abs. 8 Abgabenordnung,
        er einmal generell für alle Steuererklärungen den Be-
        riff des Härtefalls definiert und somit gegebenenfalls
        inen entsprechenden Anspruch des Bürgers auf die wei-
        ere Abgabe der Steuererklärung in Papierform begrün-
        et. Dieser neue § 150 Abs. 8 Abgabenordnung lautet
        ie folgt:
        Ordnen die Steuergesetze an, dass die Finanzbe-
        hörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten
        auf eine Übermittlung der Steuerklärung nach amt-
        lich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfern-
        übertragung verzichten kann, ist einem solchen An-
        trag zu entsprechen, wenn eine Erklärungsabgabe
        nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch
        Datenfernübertragung für den Steuerpflichtigen
        wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Dies
        ist insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der
        technischen Möglichkeiten für eine Datenfernüber-
        tragung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes
        nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen
        Aufwand möglich wäre oder wenn der Steuer-
        pflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen
        und Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der
        Lage ist, die Möglichkeiten der Datenfernübertra-
        gung zu nutzen.
        20184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        In der Begründung heißt es dazu:
        Einem Steuerpflichtigen ist die Erklärungsabgabe
        nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch
        Datenfernübertragung insbesondere nicht zuzumu-
        ten, wenn er nicht über die erforderliche technische
        Ausstattung verfügt und es für ihn nur mit nicht un-
        erheblichem finanziellen Aufwand möglich wäre,
        die für eine elektronische Übermittlung der Steuer-
        erklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Daten-
        satz mittels Datenfernübertragung erforderlichen
        technischen Möglichkeiten zu schaffen. Eine unbil-
        lige Härte ist darüber hinaus anzunehmen, wenn der
        Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kennt-
        nissen und Fähigkeiten nicht oder nur einge-
        schränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten einer
        Datenfernübertragung zu nutzen. In der Praxis dürf-
        ten diese Voraussetzungen insbesondere bei
        Kleinstbetrieben gegeben sein. Der Härtefall-An-
        trag kann auch konkludent (z. B. in Gestalt der Ab-
        gabe einer herkömmlichen Feststellungserklärung
        auf Papier) gestellt werden. In diesem Fall sind
        Sachverhaltsermittlungen der Finanzbehörde nur
        geboten, wenn das Vorliegen eines Härtefalls nicht
        als glaubhaft angesehen werden kann.
        Im Ergebnis bedeutet diese neue Regelung in § 150
        Abs. 8 Abgabenordnung sowie die dazu gehörige Geset-
        zesbegründung, dass die Bürgerinnen und Bürger eine
        weitgehende Wahlfreiheit haben, ob sie künftig ihre
        Steuererklärung weiterhin in Papierform oder elektro-
        nisch abgeben. Dies liegt auch im Interesse der Finanz-
        verwaltung, da naturgemäß die Einführung der elektroni-
        schen Steuererklärung in vielen Bereichen mit
        Startschwierigkeiten verbunden ist und eine generelle
        Verpflichtung diese Startschwierigkeiten deutlich ver-
        größern würde.
        Weiter enthält ein neuer § 50 Abs. 1 Einkommen-
        steuer-Durchführungsverordnung die Bestimmung, dass
        künftig Spender den Spendenempfänger bevollmächti-
        gen können, die Spendenbestätigung der Finanzbehörde
        nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Daten-
        fernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Über-
        mittlungsverordnung zu übermitteln. Diese Regelung hat
        zu großer Verunsicherung geführt, da viele kleinere Ver-
        eine, Kirchengemeinden und sonstige Spendenempfän-
        ger das Problem haben, dass sich die notwendigen Inves-
        titionen in Soft- und Hardware im Verhältnis zu ihrem
        Spendenaufkommen wirtschaftlich nicht rechnen. Sie
        haben deshalb im Gesetzgebungsverfahren klargestellt,
        dass § 50 Abs. 1 Einkommensteuer-Durchführungsver-
        ordnung nur eine Bevollmächtigung enthält, diese aber
        keine Verpflichtung für den Spendenempfänger beinhal-
        tet. Der Spendenempfänger ist danach frei, eine solche
        Bevollmächtigung auch nicht auszunutzen, wenn er
        nicht über die entsprechende technischen Voraussetzun-
        gen verfügt. Dies ist eine wichtige Klarstellung für klei-
        nere Vereine und Kirchengemeinden, die die aufgetrete-
        nen Irritationen beseitigt.
        Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf weitere
        Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Vereinfa-
        chung und Verbesserung des Steuerrechts, beispiels-
        w
        g
        i
        w
        s
        a
        t
        g
        M
        b
        r
        ti
        z
        l
        d
        d
        d
        u
        t
        s
        W
        1
        I
        a
        k
        u
        v
        e
        a
        n
        g
        r
        v
        h
        z
        k
        d
        p
        v
        w
        r
        v
        d
        v
        V
        Z
        8
        S
        i
        (C
        (D
        eise die Möglichkeit von gemeinsamen Außenprüfun-
        en der Finanzverwaltung und der Rentenversicherung
        n Unternehmen. Außerdem haben wir die Schwellen-
        erte insbesondere für die monatlich abzugebende Um-
        atzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldungen
        ngehoben.
        Abschließend möchte ich mich für die zügigen Bera-
        ungen zu diesem Gesetz bei Ihnen, sehr verehrte Kolle-
        innen und Kollegen, sowie den Mitarbeiterinnen und
        itarbeitern des Ausschussekretariats recht herzlich
        edanken. Hoffen wir, dass es bei der weiteren Realisie-
        ung dieses Gesetzes zu einem wirklichen Steuerbürokra-
        eabbau für alle kommt und es keine Benachteiligungen
        wischen den Steuerpflichtigen gibt – egal ob die Unter-
        agen elektronisch oder postalisch übersandt wurden.
        Gabriele Frechen (SPD): Wir verabschieden heute
        as Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierung
        es Steuerverfahrens. Hauptgegenstand des Gesetzes ist
        ie Nutzung der elektronischen Medien. Künftig sollen
        nter anderem Steuererklärungen und Bilanzen von Un-
        ernehmen nicht mehr auf Papier, sondern auf elektroni-
        chem Wege an die Finanzbehörden übermittelt werden.
        ir haben uns entschieden, die Umstellung ab dem
        . Januar 2010 verpflichtend zu machen. Der Ausbau der
        nfrastruktur in den Finanzbehörden ist aufwendig und
        rbeitsintensiv. Diese Investitionen sind nur dann wir-
        ungs- und sinnvoll zu vertreten, wenn das Verfahren
        mfassend genutzt wird.
        Außerdem ist es unsere Aufgabe, für gleiche Lebens-
        erhältnisse zu sorgen. Dazu gehört auch, dass die Steuer-
        rhebung und der Steuervollzug in allen Ländern und für
        lle Steuerpflichtigen gleichmäßig erfolgen. Das geht
        ur mit einem wirkungsvollen Risikomanagement. Das
        eht wiederum mit einem vertretbaren Aufwand an Bü-
        okratie nur, wenn alle Daten auf elektronischem Wege
        orliegen.
        Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme darauf
        ingewiesen, dass angesichts des Umfangs des Projekts
        eitliche Verschiebungen nicht ausgeschlossen werden
        önnen und bat um eine flexiblere Lösung. Dieser Bitte
        es Bundesrats sind wir nachgekommen. Wir werden
        rüfen, ob zum 31. Dezember 2010 die Voraussetzungen
        orliegen. Ist dies nicht der Fall, wird der erstmalige An-
        endungszeitpunkt verschoben.
        Die Frage, ob eine freiwillige Umstellung nicht aus-
        eichend wäre, haben wir in der Anhörung mit den Sach-
        erständigen ausführlich diskutiert. Herr Ondracek von
        er Deutschen Steuer-Gewerkschaft sagte dazu: „Ohne
        erpflichtende Erklärung wird es nicht funktionieren.
        ielleicht kriegen wir 20 Prozent, aber das ist nicht das
        iel, das man erreichen will, sondern die 70 bis
        0 Prozent-Marke sollte schon die Folge sein.“ Herr
        chwab von der Bundessteuerberaterkammer stimmte
        hm in diesem Punkt ausdrücklich zu:
        „Leider muss ich im Kern Herrn Ondracek Recht
        geben. Deswegen bin ich mit meinen Kollegen in
        der Bundessteuerberaterkammer der Meinung, dass
        man das langfristig durchaus verpflichtend machen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20185
        (A) )
        (B) )
        kann. Aber man muss natürlich Härtefallregelungen
        vorsehen – das haben wir auch in unserer Stellung-
        nahme noch einmal geschrieben –, dass die Perso-
        nen, die das tatsächlich nicht machen können, aus-
        genommen werden.“
        Genau das haben wir im Laufe des parlamentarischen
        Verfahrens beschlossen: Wenn es dem Steuerpflichtigen
        aus persönlichen oder aus wirtschaftlichen Gründen
        nicht zugemutet werden kann, ist seinem Antrag, die
        Steuererklärungen weiter auf Papier abzugeben, stattzu-
        geben. Das heißt: Wenn der oder die Steuerpflichtige
        nicht mit dem Umgang eines Computers vertraut ist oder
        wenn die technischen Voraussetzungen nicht vorliegen
        oder nur mit erheblichem finanziellen Aufwand herzu-
        stellen wären, kann die Abgabe der Erklärung weiterhin
        auf Papier erfolgen. Dieser Antrag wird keinen zusätzli-
        chen bürokratischen Aufwand erfordern, da die Abgabe
        selbst als Antrag gewertet wird.
        Auch Spenden und Mitgliedsbeiträge können künftig
        papierlos übermittelt werden, wenn der Spender das
        wünscht. Durch diese Regelung werden allerdings weder
        der Zuwendende noch der Zuwendungsempfänger ver-
        pflichtet, die Spendenbestätigung der Finanzverwaltung
        auf elektronischem Weg zu übermitteln. Als weiteren
        Beitrag zum Bürokratieabbau werden mit diesem Gesetz
        die Grenzen für die Verpflichtung zur monatlichen Ab-
        gabe der Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteu-
        eranmeldung angehoben. Das ist gerade für kleine Be-
        triebe eine wesentliche Erleichterung.
        Auch die Möglichkeit der gemeinsamen Prüfung der
        Finanzbehörden und der Rentenversicherung wird die
        Betriebe deutlich entlasten. Es stellt für Betriebe und Be-
        rater oftmals eine Belastung dar, wenn die Lohnsteuer-
        prüfung gerade abgeschlossen ist und alle Ordner wieder
        an ihrem Platz stehen und dann kurz darauf der Sozial-
        versicherungsprüfer kommt und die gleichen Ordner und
        Unterlagen wieder herausgegeben werden müssen. Das
        kommt heute leider sehr häufig vor und bindet in der
        Praxis nicht nur räumliche sondern auch personelle Res-
        sourcen.
        Es ist unbestritten, dass allein die Umstellung auf
        elektronische Übermittlung nicht der einzige Schritt
        beim Bürokratieabbau sein kann. Aber wer behauptet,
        das wäre so gut wie nichts, der weiß nicht, wovon er
        spricht. Es ist ein Heidenaufwand, die Daten, die man
        elektronisch besitzt, auf Papier auszudrucken, postfertig
        zu verpacken und zu versenden, damit sie dort, wo sie
        ankommen, dann den umkehrten Weg gehen, bis sie wie-
        der in elektronischer Form vorliegen.
        Herr Schaub von der Bundessteuerberaterkammer
        sagte dazu in der Anhörung:
        „Die elektronische Übermittlung von Daten darf
        keine Einbahnstraße sein, das heißt, auch der Steu-
        erpflichtige muss einen Anspruch darauf haben,
        Daten elektronisch zurückübertragen zu bekom-
        men. Ganz besonders der Steuerberater sollte einen
        Anspruch auf Bescheid-Rückübertragung haben
        und eine Abweichungsanalyse bekommen. Das
        würde die Akzeptanz auf beiden Seiten erhöhen
        n
        ü
        m
        d
        w
        P
        d
        r
        K
        5
        s
        s
        v
        l
        t
        k
        t
        d
        g
        w
        g
        b
        r
        v
        e
        s
        u
        f
        s
        d
        d
        r
        u
        s
        k
        w
        s
        I
        n
        d
        Ü
        R
        v
        w
        S
        e
        F
        A
        f
        s
        (C
        (D
        und gehört einfach zur elektronischen Übermittlung
        dazu.“
        Unser Ziel ist die vorausgefüllte Steuerklärung des Fi-
        anzamts, die von den Steuerpflichtigen elektronisch
        bermittelt wird, beim Finanzamt das Risikomanage-
        ent durchläuft und mit einem detaillierten Bescheid,
        er elektronisch übermittelt wird, endet. Damit stellen
        ir die gleichmäßige Besteuerung sicher und schaffen
        ersonalkapazitäten, die wir für die wirklich bedeuten-
        en Fälle in der Betriebsprüfung nutzen können.
        Dr. Volker Wissing (FDP): Während die Bundes-
        egierung über ein zusammengeflicktes 50-Milliarden-
        onjunkturpaket berät, fallen in Deutschland jährlich
        0 Milliarden Bürokratiekosten an. Unternehmen müs-
        en diese gigantische Summe in wirtschaftlich äußerst
        chwierigen Zeiten aufbringen, um von der Politik zu
        erantwortende bürokratische Pflichten zu erfüllen. Mil-
        iardensummen fehlen damit für Investitionen. Das kos-
        et Arbeitsplätze und ist in diesen Zeiten schwer zu ver-
        raften.
        Angesichts der gegenwärtigen Rezession ist es wich-
        iger denn je, Steuerbürokratie abzubauen. Man ist
        eshalb fast geneigt, sich zu freuen, dass die Bundesre-
        ierung ein Steuerbürokratieabbaugesetz vorlegt. Aber
        enn man genau hinsieht, vergeht einem das Lachen
        anz schnell wieder.
        In Ihrer Gesetzesbegründung schreiben Sie hochtra-
        end, die Bundesregierung sei entschlossen – ich zitie-
        e –, „einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zum
        ollständigen Abbau überflüssiger Steuerbürokratie zu
        rreichen“. Ich frage Sie: Wo ist denn dieser Meilen-
        tein? Es wäre ja schön, wenn Sie die Steuerzahlerinnen
        nd Steuerzahler endlich von Ihrem Steuerdschungel be-
        reien würden. Aber wenn Sie Steuerbürokratie abbauen,
        tellen Sie sich immer zuerst die Frage: Was können wir
        enn Gutes für die Verwaltung tun? Sie denken nur an
        ie Finanzverwaltung. Die Interessen der Privaten igno-
        ieren Sie einfach. Die Bundesregierung kümmert sich
        m die Verwaltung. Alle anderen müssen sich um sich
        elbst kümmern.
        Das Steuerrecht wird mit Ihrem Gesetz nicht entbüro-
        ratisiert, es wird nur digitalisiert. Sie denken offenbar,
        enn man den deutschen Steuerwahnsinn in elektroni-
        cher Form verwaltet, sei alles schon viel einfacher. Mit
        hrem Motto „Elektronik statt Papier“ sollen alle Unter-
        ehmen ihre Steuerdaten auf elektronischem Wege an
        ie Finanzbehörde übermitteln. Aber die elektronische
        bermittlung ist eine Einbahnstraße. Eine elektronische
        ückübertragung des Steuerbescheides von der Finanz-
        erwaltung zum Unternehmen mit entsprechender Ab-
        eichungsanalyse findet nicht statt. Sie verpflichten
        teuerzahler, bei staatlichen Behörden alles elektronisch
        inzureichen und schicken dann einfach Papier zurück.
        Damit liegt der Vorteil wieder einmal alleine bei der
        inanzverwaltung. Sie vereinfachen den Beamten die
        rbeit und denken, damit sei den Unternehmen gehol-
        en. Das ist doch absurd. Sie haben es wieder einmal ge-
        chafft, einseitig der Verwaltung etwas Gutes zu tun. Sie
        20186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        sollten deshalb aufhören, das Ganze als großen Wurf für
        die Unternehmen zu verkaufen. Ihr Bürokratieabbauge-
        setz ist kein Meilenstein. Aus Sicht der Steuerzahler ist
        es eher ein Armutszeugnis. Machen Sie doch endlich
        einmal ein Steuergesetz für die Bürgerinnen und Bürger.
        Der Bundesfinanzminister kann sich das vielleicht nicht
        mehr vorstellen, aber in Deutschland leben nicht nur Be-
        amte.
        Eigentlich hätte heute gemeinsam mit Ihrem Steuer-
        bürokratieabbaugesetz das Jahressteuergesetz 2009 bera-
        ten werden sollen. Das hätte einen Überblick über das
        ermöglicht, was Sie auf der einen Seite für die Verwal-
        tung alles vereinfachen, und über die vielen neuen Son-
        derregeln auf der anderen Seite, mit denen Sie die Steu-
        erzahler weiter quälen.
        Während wir hier debattieren, planen Sie Änderungen
        in 22 verschiedenen Steuergesetzen und haben kurz vor
        Abschluss der Beratungen rund 70 Änderungsanträge
        dazu vorgelegt. Weil Sie mit den vielen Änderungsanträ-
        gen am Ende selbst überfordert waren, musste die Bera-
        tung ausgesetzt werden. Das ist der wahre Kern Ihrer
        Finanzpolitik. Sie betreiben einen Bürokratieaufbau
        nach dem anderen.
        Die FDP macht dieses Steuerchaos nicht mit. Wir
        wollen kein Steuerrecht für die Verwaltung. Wir wollen
        ein Steuerrecht für die Bürgerinnen und Bürger. Es muss
        dringend einfacher werden. Und genau das schaffen Sie
        nicht. Deshalb sollten Sie aufhören mit Ihrer Flickschus-
        terei. Sie sprechen von Steuerbürokratieabbau und ma-
        chen ständig das genaue Gegenteil.
        Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): „Gesetz zur Moder-
        nisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens
        (Steuerbürokratieabbaugesetz)“ – schon dieser Titel
        weckt irreführende Erwartungen, die im Eingangstext
        des Entwurfs auch noch bestätigt werden. Das Bundes-
        finanzministerium verbreitet damit den Anschein, einen
        entscheidenden Durchbruch zu mehr Steuervereinfa-
        chung erreicht zu haben. Diesem Anschein wird das vor-
        liegende Gesetz nicht gerecht.
        Das Ziel der Steuervereinfachung steht mit dem der
        Steuergerechtigkeit zum Teil in Einklang, zum Teil in
        Widerspruch. Grundsätzlich gilt festzuhalten, dass dort,
        wo ein Überborden an Steuerbürokratie festzustellen ist,
        dies im Steuerrecht selbst mit seinen unzähligen Sonder-
        regelungen und Ausnahmetatbeständen begründet ist.
        Diese überbordende Komplexität des Steuerrechts führt
        dazu, dass viele Menschen mangels Zeit oder Einblick
        ihnen zustehende Vergünstigungen nicht wahrnehmen
        und somit zu viel Steuern bezahlen. Das betrifft insbe-
        sondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
        kleine Selbstständige, die sich keine Steuerberatung leis-
        ten können oder wollen. Insofern trägt die Komplexität
        zur Steuerungerechtigkeit bei.
        Andererseits spiegelt die Komplexität des Steuer-
        rechts auch die zunehmende Komplexität des Lebens
        und die Vielfalt der Lebensformen wider. Steuergerech-
        tigkeit im Sinne von steuerlicher Gleichbehandlung
        heißt auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden
        m
        d
        u
        W
        V
        ü
        i
        s
        p
        a
        g
        w
        g
        P
        v
        s
        ü
        m
        s
        D
        b
        w
        s
        v
        s
        n
        v
        e
        t
        Ü
        m
        t
        S
        s
        f
        S
        i
        I
        B
        v
        l
        n
        f
        t
        z
        w
        M
        o
        k
        A
        s
        r
        a
        A
        z
        b
        (C
        (D
        uss. Daher sollten notwendige individuelle Aufwen-
        ungen im Steuerrecht berücksichtigt werden. „Einfach“
        nd „leistungsgerecht“ stehen so in einem gewissen
        iderspruch zueinander.
        Dennoch gibt es Ansatzpunkte für Vereinfachungen.
        iele Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände sind
        berholt oder das Ergebnis von durchgesetzten Sonder-
        nteressen. Ein prominentes Beispiel ist das Ehegatten-
        plitting, das aus gleichstellungs-, familien- und sozial-
        olitischen Gründen nicht mehr zeitgemäß ist. Die
        usschließliche Berücksichtigung von Ehegatten privile-
        iert diese ungerechtfertigt gegenüber anderen Lebens-
        eisen. Die Streichung von ungerechtfertigten Sonderre-
        elungen und die Einführung von realistischen
        auschalbeträgen wäre ein gangbarer Weg zur Steuer-
        ereinfachung.
        Doch wer solches im vorliegenden Gesetzentwurf
        ucht, wird herbe enttäuscht. Leider geht der Entwurf
        ber verfahrensrechtliche Regelungen nicht hinaus –
        ateriellrechtliche Steuervereinfachungen sind ausge-
        prochen dünn gesät. Es werden vielmehr Fragen des
        atenaustauschs behandelt und die Neufestsetzung von
        estimmten Betragsgrenzen vorgenommen. Insofern
        urde dieses eher an technischen Fragen orientierte Ge-
        etzeswerk mit einem ausgesprochen großspurigen Titel
        ersehen.
        Trotzdem meint die Bundesregierung, mit dem Ge-
        etz Steuerverwaltung und Wirtschaft um viele Millio-
        en Euro zu entlasten. So sollen damit alle Unternehmen
        erpflichtet werden, ab 2011 ihre Steuererklärungen auf
        lektronischem Wege an die Finanzbehörde zu übermit-
        eln. Aufseiten der Finanzämter soll die elektronische
        bermittlung eine computergestützte Vorabprüfung er-
        öglichen und somit die Finanzbeamtinnen und -beam-
        en entlasten. Zugleich wird dies als ein effektiverer
        teuervollzug verkauft, der dauerhaft und verlässlich
        taatliche Einnahmen sicherstellen soll. Aber ob das so
        unktioniert, darf bezweifelt werden. Die Vielzahl an
        teuerrechtsänderungen konnte oftmals nicht rechtzeitig
        n die elektronischen Programme eingearbeitet werden.
        n den vergangenen Jahren waren Neuerungen durch das
        undesfinanzministerium lausig vorbereitet, sodass sie
        iel Nacharbeit und Kosten verursacht haben – nicht zu-
        etzt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fi-
        anzverwaltung.
        Im Detail kann festgehalten werden: Trotz der Neu-
        ormulierung von § 150 Abs. 8 AO sind die Ausnahme-
        atbestände, um auf eine elektronische Übermittlung ver-
        ichten zu können, zu unpräzise formuliert und damit
        eitgehend ins Ermessen der Finanzverwaltung gestellt.
        it der klaren Benennung von Gewinn-, Umsatz- und/
        der Betriebsgrößen hätte zumindest geregelt werden
        önnen, wann die Finanzverwaltung einem Antrag auf
        usnahme unbedingt stattzugeben hat. Damit ist ein we-
        entlicher Kritikpunkt aus der Sachverständigenanhö-
        ung nicht ausgeräumt. An den vorliegenden Änderungs-
        nträgen ist zu begrüßen, dass mit der erstmaligen
        nwendung der elektronischen Übermittlung der Bilan-
        en sowie der Gewinn- und Verlustrechnung mehr Flexi-
        ilität ermöglicht wird. Erfreulich ist auch, dass das
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20187
        (A) )
        (B) )
        Unterschriftenprozedere für unmittelbar bei der Alters-
        vorsorge zulageberechtigte Ehegatten vereinfacht wurde.
        In der Gegenäußerung der Regierung zur Stellungnahme
        des Bundesrates war zu lesen, dass man die Möglichkeit
        zur Selbstveranlagung – § 150 Abs. 8 AO – prüfen
        wolle. Ich stelle mit Erleichterung fest, dass dieses An-
        sinnen – im Gegensatz zum Referentenentwurf – keinen
        Eingang in das Gesetz gefunden hat. Insbesondere vor
        dem Hintergrund der ungenügenden Personalausstattung
        bei den Finanzbehörden hätte eine Steuerumgehung in
        größerem Ausmaß nicht ausgeschlossen werden können.
        Summa summarum bringt der Gesetzentwurf eine
        leichte Vereinfachung für die Finanzverwaltung und
        kaum nennenswerte Verbesserungen für die Steuer-
        pflichtigen. Geringfügige Verbesserungen und die nicht
        aufgegriffene berechtigte Kritik am Ermessensspielraum
        der Finanzverwaltung sowie der großspurige und damit
        irreführende Gesetzestitel sind letztlich Grund für die
        Fraktion Die Linke, sich der Stimme zu enthalten.
        Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Dieses Gesetz hält nicht, was der Titel verspricht. Ich
        muss ganz klar betonen: Für die Bürgerinnen und Bürger
        bringt dieses Gesetz kaum Erleichterungen. Bürokratie-
        abbau im Sinne dieses Gesetzes bedeutet weniger Arbeit
        für die Finanzverwaltung, aber neue Pflichten für die
        Steuerpflichtigen.
        Die Bürgerinnen und Bürger warten seit Jahren auf
        die versprochene durchgreifende Steuervereinfachung.
        Statt Vereinfachung hat die große Koalition das Steuer-
        recht deutlich komplizierter gemacht. Zum Beispiel
        durch die Streichung der ersten 20 Kilometer bei der
        Entfernungspauschale, durch die völlig unsystematische
        Ausgestaltung der Abgeltungssteuer – zu der wir jetzt im
        Jahressteuergesetz schon wieder ein Dutzend Ände-
        rungsanträge beraten mussten – oder auch durch die Be-
        grenzung des Abzugs von Steuerberatungskosten, um
        nur einige zu nennen. Auch mit dem Steuerbürokratieab-
        baugesetz wird es für die Bürgerinnen und Bürger nicht
        einfacher werden, ihrer Steuerpflicht nachzukommen.
        Im Kern des Gesetzes geht es darum, bisher papierba-
        sierte Steuererhebungsverfahren auf elektronische Ver-
        fahren umzustellen. Nicht nur die Grünen, sondern auch
        die Sachverständigen in der öffentlichen Expertenanhö-
        rung haben grundsätzlich kritisiert, dass hier eine neue
        Pflicht für die Steuerpflichtigen eingeführt wird.
        Die große Koalition hat darauf reagiert und eine Es-
        cape-Regelung geschaffen. Die ist aber wiederum büro-
        kratisch. Die Steuerpflichtigen müssen einen Antrag
        stellen, dass sie an dem neuen elektronischen Verfahren
        nicht teilnehmen können, aus wirtschaftlichen oder per-
        sönlichen Gründen. Die Finanzverwaltung muss dann
        auf die elektronische Abgabe verzichten. Der Schriftver-
        kehr hat sich damit also verdoppelt. Statt wie bisher die
        Steuererklärung in den Briefumschlag zu stecken und
        abzuschicken, müssen die Steuerpflichtigen jetzt einen
        Antrag stellen und dann dürfen sie wie vorher auch die
        Steuererklärung per Post abschicken. Es ist wirklich
        schon fraglich, worin hier die Erleichterungen für die
        Bürgerinnen und Bürger bestehen sollen. Dieses Verfah-
        r
        e
        d
        l
        S
        w
        S
        „
        l
        s
        r
        v
        z
        g
        G
        s
        t
        a
        s
        a
        s
        A
        m
        m
        z
        d
        z
        l
        s
        s
        V
        t
        f
        „
        t
        F
        S
        z
        w
        e
        A
        g
        V
        r
        n
        (C
        (D
        en muss deshalb nach einiger Zeit überprüft werden, ob
        s für die Steuerpflichtigen einfach zu handhaben ist und
        ie Steuerbehörden tatsächlich im Sinne der Antragstel-
        enden entscheiden.
        Bürokratieabbau kann keine Einbahnstraße sein. Die
        teuererhebung müsste viel bürgernäher werden. Es
        äre viel besser, auf den Zwang zu verzichten und die
        teuerpflichtigen für die elektronische Übermittlung zu
        belohnen“, zum Beispiel durch einen Bonus bei der
        etztendlich fälligen Steuerschuld, denn schließlich er-
        paren die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Steuererklä-
        ung elektronisch übermitteln, der Finanzverwaltung
        iel Arbeit.
        Kritik am Gesetz kommt auch von den Datenschüt-
        ern. Das Verfahren der qualifizierten elektronischen Si-
        natur sei derzeit alternativlos. Deshalb sehen sie die im
        esetz geschaffene Möglichkeit, anstelle der elektroni-
        chen Signatur auf andere sichere Verfahren beim elek-
        ronischen Besteuerungsverfahren zurückzugreifen oder
        uf beides ganz zu verzichten, mit Besorgnis. Die Daten-
        chützer sehen es deshalb als notwendig an, dass diese
        nderen Verfahren von unabhängigen Gutachtern, bei-
        pielsweise der Bundesnetzagentur, beurteilt werden.
        ußerdem muss es für die Steuerpflichtigen auch immer
        öglich sein, bei der elektronischen Kommunikation
        it dem Fisku, die qualifizierte elektronische Signatur
        u nutzen. Diese ernsthaften Bedenken und Forderungen
        er Datenschützer müssen bei der Umsetzung des Geset-
        es berücksichtigt werden.
        Weitere Änderungen im Gesetz, wie höhere Schwel-
        enwerte für monatliche bzw. vierteljährliche Umsatz-
        teuer- und Lohnsteuervoranmeldungen, sind durchaus
        innvoll, denn dies entlastet kleinere Unternehmen und
        erwaltung. Ebenso zu begrüßen ist es, dass die Verwal-
        ung bei offenen BFH-Verfahren die Steuer vorläufig
        estsetzen kann, denn damit bleiben den Bürgern
        rechtswahrende“ Einsprüche erspart und der Verwal-
        ung natürlich deren Bearbeitung.
        Insgesamt bringt der Gesetzentwurf einige kleine
        ortschritte, die Pflicht zur Abgabe einer elektronischen
        teuererklärung und das bürokratische Verfahren, dies
        u vermeiden, sind aber problematisch. Meine Fraktion
        ird sich deshalb bei der Abstimmung zu diesem Gesetz
        nthalten.
        nlage 16
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Verbesserung der Rahmenbedingungen für die
        Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen
        (Tagesordnungspunkt 31)
        Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Mit der heuti-
        en Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        erbesserung der Rahmenbedingungen für die Absiche-
        ung flexibler Arbeitszeitregelungen, auch Flexi II ge-
        annt, erfolgt eine konsequente Umsetzung des Koali-
        20188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        tionsvertrages von 2005. Damit wird das Flexi-I-Gesetz
        aus dem Jahre 1998 weiterentwickelt. Unser Hauptziel:
        Wir wollen Langzeitkonten attraktiver machen. – Wa-
        rum? Wir wollen, dass die Menschen ihre Lebensarbeits-
        zeit flexibler gestalten können. Langzeitkonten gewin-
        nen auch an Bedeutung im Hinblick darauf, dass die
        gesetzliche Förderung der Altersteilzeit auslaufen wird
        und wir Ende der 20er-Jahre dieses Jahrhunderts ein
        Renteneintrittsalter von 67 Jahren haben werden. Mit
        Langzeitarbeitskonten sind Arbeitnehmer auch für be-
        sondere Lebensphasen vorbereitet. Zum Beispiel bei Fa-
        milien- und Pflegezeiten. Darum geben wir den Beschäf-
        tigten mit diesem Gesetz ein Steuerungsinstrument an
        die Hand, mit dem sie ihre Lebensarbeitszeiten in Zu-
        kunft besser lenken können.
        Wie macht man das? Erstens durch die deutliche Un-
        terscheidung von Langzeitkonten gegenüber Kurzzeit-
        oder Flexikonten. Sie haben unterschiedliche Funktio-
        nen. Zweitens durch die Absicherung der Langzeitar-
        beitskonten gegen Risiken. Drittens durch eine flexible
        Ausgestaltung über Tariföffnungsklauseln, Ausnahme-
        und Übergangsregelungen. Und genau dies haben wir
        gemacht.
        Erstens ist es wichtig, Langzeitkonten gegenüber
        Flexi- oder Kurzzeitkonten abzugrenzen. Kurzzeitkon-
        ten dienen nur der Arbeitszeitflexibilisierung und haben
        nicht den Anspruch, größere Guthaben anzusparen. Sie
        dienen zum Beispiel dazu, kurzfristig die werktägliche
        wöchentliche Arbeitszeit mit angesammelten Überstun-
        den abzubauen. Bei Langzeitkonten geht es um eine
        langfristige Ansammlung von Arbeitszeiten, Überstun-
        den oder auch Urlaubszeiten inklusive Sozialversiche-
        rungsbeiträgen und Steuern. Diese angesparte Arbeits-
        zeit soll zu gesetzlich begründeten Anlässen wie
        Kinderbetreuung, Pflege, Zeiten der Qualifizierung oder
        Weiterbildung oder auch zur Verwendung vor Bezug der
        Altersrente genutzt werden. Steuern und Sozialversiche-
        rungsbeiträge fallen hier erst an, wenn es zur Auszah-
        lung aus dem Langzeitkonto kommt. Damit der Arbeit-
        nehmer Wertguthaben wirklich als Steuerungsinstrument
        nutzen kann, muss er eine Übersicht seiner angesparten
        Arbeitszeit haben. Deshalb wird der Arbeitgeber ver-
        pflichtet, jährlich einen Kontoauszug zu erstellen, damit
        der Arbeitnehmer weiß, wie viel er auf seinem Konto an-
        gespart hat.
        Zweitens sichern wir mit diesem Gesetz Wertgutha-
        ben gegen Risiken ab. Wir haben zunächst den Insolvenz-
        schutz von Wertguthaben – ein Kernpunkt dieses
        Gesetzes – optimiert. Generell ist die Frist zur Informa-
        tionspflicht über den Insolvenzschutz auf zwei Monate
        verkürzt worden. Unsichere Insolvenzschutzmaßnahmen
        wie Patronatserklärungen und konzerninterne Bürg-
        schaften sind nicht mehr zulässig. Arbeitnehmer erhalten
        die Möglichkeit zur Kündigung der Wertguthabenver-
        einbarung bei fehlendem Insolvenzschutz und haben
        einen Schadensersatzanspruch bei ungenügendem Insol-
        venzschutz. Eine Prüfung des Insolvenzschutzes durch
        die Deutsche Rentenversicherung Bund rundet hier das
        Bündel der Maßnahmen zum Insolvenzschutz von Wert-
        g
        e
        a
        e
        w
        g
        m
        m
        d
        b
        t
        v
        h
        n
        m
        b
        t
        d
        G
        z
        v
        d
        d
        s
        d
        d
        d
        g
        b
        B
        d
        n
        w
        m
        s
        r
        i
        a
        r
        4
        d
        d
        s
        W
        S
        z
        Q
        v
        g
        Ü
        i
        d
        N
        (C
        (D
        uthaben ab. Die sichere Anlage von Wertguthaben ist
        in weiterer Punkt. Hoch spekulative Anlagen sollen
        usgeschlossen werden. Bei Wertguthaben soll der Akti-
        nanteil auf 20 Prozent beschränkt werden. Außerdem
        ird Werterhaltgarantie zum Zeitpunkt der Entnahme
        efordert, die dem Arbeitnehmer die Auszahlung der
        indestens eingebrachten Summe garantiert. Ausnah-
        en in Bezug auf einen höheren Aktienanteil sind aber
        urch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen sowie
        ei Verwendung des Wertguthabens vor Bezug der Al-
        ersrente möglich.
        Des Weiteren ist die Portabilität von Wertguthaben
        erbessert worden. Neben der Auszahlung des Wertgut-
        abens beim Arbeitgeberwechsel bestehen nun zwei
        eue Möglichkeiten. Durch die Neuerung ist es jetzt
        öglich, bei einem Arbeitgeberwechsel das Wertgutha-
        en auf den neuen Arbeitgeber oder die Deutsche Ren-
        enversicherung Bund zu übertragen, die in diesem Fall
        as Konto führt und verwaltet.
        Während der Beratungen war es Notwendigkeit, den
        esetzesentwurf an der einen oder anderen Stelle nach-
        ujustieren. So wurde der Schwellenwert für den Insol-
        enzschutz gesenkt. Im Gesetzentwurf war noch das
        reifache der monatlichen Bezugsgröße vorgesehen, ab
        em das Guthaben gegen Insolvenz gesichert ist. Der In-
        olvenzschutz soll früher beginnen. Deshalb haben wir
        en Schwellenwert auf eine monatliche Bezugsgröße re-
        uziert. Dies entspricht einem Betrag von 2 485 Euro in
        en alten und 2 100 Euro in den neuen Bundesländern.
        Auch den Schwellenwert zur Übertragung von Wert-
        uthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund ha-
        en wir von der 12-fachen Bezugsgröße auf die 6-fache
        ezugsgröße abgesenkt. Das bedeutet in den alten Bun-
        esländern ein Volumen von 14 900 Euro und in den
        euen Bundesländern von 12 600 Euro. Damit kommen
        ir einer Forderung des Bundesrates entgegen und er-
        öglichen die Führung von Wertguthaben bei der Deut-
        chen Rentenversicherung Bund schon ab einer geringe-
        en Höhe.
        In der Praxis ist die Umwandlung von Wertguthaben
        n die betriebliche Altersvorsorge teilweise sehr exzessiv
        usgenutzt worden. Dadurch konnte die Sozialversiche-
        ungspflicht bei der Entgeltumwandlung oberhalb von
        Prozent umgangen werden. Dies entspricht aber nicht
        er Intention von Wertguthaben. Zukünftig – Stichtag ist
        er 13. November 2008 – wird dies nicht mehr möglich
        ein. Hiermit werden betriebliche Altersvorsorge und
        ertguthaben genauer voneinander abgegrenzt.
        Eine weitere Änderung bezieht sich auf die in § 7 c
        GB IV genannten Freistellungszwecke. Freistellungen
        um Zwecke pflegebedürftiger Angehöriger, Elternzeit,
        ualifizierungszeiten oder Verwendung des Guthabens
        or Bezug der Rente sind bei Bezug von Kurzarbeiter-
        eld künftig gleich zu behandeln. Die Regelungen zu der
        bertragung von Wertguthaben treten zum 1. Juli 2009
        n Kraft. So ist hier die Möglichkeit gegeben, dass sich
        ie Deutsche Rentenversicherung Bund optimal auf die
        euerungen einstellen und vorbereiten kann.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20189
        (A) )
        (B) )
        Während der Beratungen des Gesetzentwurfs ist über
        eine ganze Reihe von Fragen diskutiert worden, die aus
        meiner Sicht für die Verabschiedung des Gesetzentwurfs
        nur vorläufig beendet worden sind oder noch ungeklärt
        geblieben sind. Dazu gehört die Frage des Aktienanteils
        und der Werterhaltungsgarantie, weiterhin die Frage, ob
        die Portabilität auch auf andere als die Deutsche Renten-
        versicherung Bund möglich ist oder die Rückübertra-
        gung auch auf neue Arbeitgeber zugelassen werden kann.
        Auch die Frage, ob Wertguthaben ins Schonvermögen
        übertragen werden sollen, konnte nicht endgültig geklärt
        werden.
        Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir mit dem Gesetz
        eine gute Grundlage für die Gestaltung von Arbeitszeit-
        konten legen. Die Bundesregierung wird bis zum
        31. März 2012 einen Bericht zu den Auswirkungen der
        Änderungen vorlegen. Bis dahin gilt es, Erfahrungen mit
        Langzeitkonten zu sammeln, vor diesem Hintergrund
        eine Überprüfung der jetzigen Regelung vorzunehmen
        und die noch offenen Fragen zu klären. Während des
        Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzentwurf zu
        einem sogenannten Omnibus entwickelt, das heißt, es
        sind Artikel mit Änderungen von anderen Gesetzen an-
        gehängt worden, die nicht direkt mit Langzeitarbeitskon-
        ten zu tun haben. Zur Erläuterung dieser Vorhaben ver-
        weise ich auf den Ausschussbericht.
        Wolfgang Grotthaus (SPD): Das uns vorliegende
        Gesetz ist ein gutes Gesetz, denn es macht die Langzeit-
        konten von angesparter Arbeit sicherer, es schafft Klar-
        heit, um welche Konten – hier Wertguthabenkonten ge-
        nannt – es sich handelt. Es schafft die Möglichkeit einer
        eingeschränkten Portabilität, und mit dem Gesetz wird
        dafür gesorgt, dass das von den Arbeitnehmern ange-
        sparte Kapital nicht spekulativ angelegt werden kann.
        Gleichzeitig eröffnet es aber auch den Tarifvertragspar-
        teien, bei dem letztgenannten Punkt in Eigenverantwor-
        tung im Rahmen eines Tarifvertrages andere als im Ge-
        setz formulierte Vorgaben zu vereinbaren.
        Die Zusammenarbeit in den Koalitionsfraktionen lief
        gut. Verbesserungen zum Wohle derjenigen, die Wert-
        guthabenkonten ansparen wollen, wurden zügig abge-
        schlossen. Die Koalitionsfraktionen konnten Forderun-
        gen, die ich nachfolgend aufzeigen möchte, durchsetzen.
        Im Änderungsantrag wurden diese Verbesserungen in
        das Gesetz aufgenommen. Im Einzelnen: die Herabset-
        zung des Schwellenwertes, ab dem der Insolvenzschutz
        greift; die Herabsetzung der Wertgrenze für die Übertra-
        gung von Wertguthaben auf die DRV; die Verhinderung
        der beitragsfreien Übertragung von Wertguthaben in die
        betriebliche Altersversorgung; die genaue Formulierung,
        zu welchem Zweck Zeit aus dem Wertguthaben genom-
        men werden kann; schließlich die Gültigkeit der Freistel-
        lungszwecke auch bei Kurzarbeit.
        Gerne hätten wir noch in das Gesetz mit aufgenom-
        men, dass auch Kurzzeitkonten – Gleitzeit – dem Insol-
        venzschutz unterliegen. Dies war aber aufgrund des Ko-
        alitionsvertrages nicht möglich. Auch war keine
        Einigkeit zu erzielen bei der Hereinnahme der Langzeit-
        k
        N
        e
        A
        g
        d
        b
        k
        m
        a
        e
        n
        i
        k
        l
        m
        b
        b
        k
        G
        Ü
        b
        d
        P
        b
        w
        V
        B
        s
        b
        t
        G
        b
        d
        b
        e
        d
        a
        g
        c
        c
        Ü
        s
        f
        s
        z
        s
        v
        k
        d
        f
        (C
        (D
        onten in das Schonvermögen von ALG-II-Empfängern.
        ach unserer Vorstellung haben Wertguthaben, für die
        ine unwiderrufliche Festlegung auf eine ausschließliche
        ltersbindung besteht, den Charakter einer Altersvorsor-
        eleistung wie zum Beispiel die Riester-Rente; so hätten
        iese Wertguthaben ebenso wie die als Schonvermögen
        ei Bezug von ALG II behandelt werden können. Hier
        ündigen wir heute schon an, dass wir diese zwei The-
        en im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes wieder
        uf die Tagesordnung setzen werden.
        Also ein gutes Gesetz, das nicht alle unsere Wünsche
        rfüllt, das aber für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
        ehmer eine größere Zeitsouveränität und Sicherheit bei
        hrer Lebensarbeitszeitgestaltung ermöglicht.
        Den zu diesem Gesetz eingebrachten Antrag der Lin-
        en lehnen wir ab.
        Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Bundesregierung
        egt heute einen Gesetzentwurf zur Schlussberatung vor,
        it dem die Arbeitswelt durch Flexibilisierung der Ar-
        eitszeiten im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitge-
        er verbessert werden soll. Arbeitszeitkonten sollen
        ünftig noch besser als bisher für eine selbstbestimmte
        estaltung des Arbeitslebens eingesetzt werden können.
        ber insolvenzrechtlich geschützte und portable Ar-
        eitszeitkonten sollen Arbeitnehmer Unterbrechungen
        es Erwerbslebens (zum Beispiel für Erziehungs- und
        flegezeiten) ermöglichen können. Auch soll durch Ar-
        eitszeitkonten die Flexibilität beim Übergang vom Er-
        erbsleben in den Ruhestand verbessert werden. Im
        ordergrund des vorliegenden Gesetzentwurfs steht das
        emühen, einerseits die Portabilität der Wertguthaben zu
        tärken, andererseits den Insolvenzschutz der Wertgutha-
        en von Langzeitkonten zu verbessern.
        Dabei baut der vorgelegte Gesetzentwurf auf dem un-
        er liberaler Mitwirkung im April 1998 erlassenen
        esetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Ar-
        eitszeitregelungen (BGBl. 1998 I Seite 688) auf, das
        ie Grundlage für die Flexibilisierung der Arbeitszeit
        ildete. Die FDP-Bundestagsfraktion hat den Gedanken
        ines selbstbestimmten Arbeitslebens seitdem, unter an-
        erem mit dem Konzept eines flexiblen Renteneintritts
        b dem 60. Lebensjahr bei Wegfall aller Zuverdienst-
        renzen und mit Vorschlägen zur Stärkung der betriebli-
        hen und privaten Vorsorge, konsequent weiterentwi-
        kelt. Arbeitszeitkonten, welche die Arbeitnehmer im
        bergang von der vollen Erwerbstätigkeit in den Ruhe-
        tand einsetzen können, ergänzen dieses Modell eines
        lexiblen Rentenzugangs in geradezu idealer Weise.
        Allerdings wurden in der Anhörung und in den
        chriftlichen Stellungnahmen von den Sachverständigen
        um Teil erhebliche Zweifel an den Regelungen des Ge-
        etzentwurfs geäußert, sodass die FDP-Fraktion dem
        orliegenden Gesetzentwurf am Ende nicht zustimmen
        ann. Ich will dies im Folgenden begründen:
        Erstens: Mangels einer Bestandsschutzregelung für
        en Rechtsrahmen bereits bestehender Arbeitszeitkonten
        ührt der Gesetzentwurf die Gefahr herbei, dass viele Ar-
        20190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        beitgeber kurzfristig bestehende Arbeitszeitkonten auf-
        lösen. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, dass auch für
        bereits existierende Arbeitszeitkonten das neue Recht
        gilt. Daraus ergibt sich, dass für bestehende Arbeitszeit-
        konten die neu eingeführte Werterhaltungsgarantie
        greift. Arbeitgeber, deren Arbeitszeitkonten im Zusam-
        menhang mit der Finanzmarktkrise in den letzten Mona-
        ten starke Einbußen erlitten haben, könnten daher ein In-
        teresse daran haben, die bestehenden Arbeitszeitkonten
        vor Inkrafttreten der Werterhaltsgarantie aufzulösen. Da-
        bei ist davon auszugehen, dass auch die Wertguthaben
        seriöser Arbeitgeber, die keine spekulative Anlagestrate-
        gien verfolgten und beispielsweise in Aktienfonds mit
        deutschen Unternehmenswerten investierten, in den letz-
        ten Monaten hohe Verluste aufweisen.
        Zweitens: Der im Gesetzentwurf vorgesehene Weg
        zur Verbesserung der Portabilität über die gesetzliche
        Rentenversicherung ist in der gegenwärtigen Fassung
        aus mehreren Gründen insbesondere für die Arbeitneh-
        mer unattraktiv. Zum einen wird ein Rückübertragungs-
        anspruch des Kontos eines Beschäftigten von der
        Rentenversicherung auf einen neuen Arbeitgeber ausge-
        schlossen. Er muss dann bei einem neuen Arbeitgeber
        ein neues Wertkonto bilden, wenn er einmal ein beste-
        hendes Konto auf die Rentenversicherung übertragen
        hat. Das kann dazu führen, dass er am Ende über meh-
        rere Konten verfügt. Diese Regelung ist insbesondere
        deswegen ärgerlich, weil der Vertreter der Deutschen
        Rentenversicherung in der Anhörung geäußert hat, dass
        eine Rückübertragung durchaus denkbar sei, wenn die
        entsprechenden Vorschriften zur Werterhaltsgarantie an-
        gepasst würden. Die im Gesetzentwurf abstrakt genann-
        ten „Gründe der Verwaltungssicherheit und Finanzie-
        rung“ sind also gar nicht der wirkliche Grund für die
        mangelnde Portabilität, sondern die fehlende Ausarbei-
        tung durch die Bundesregierung.
        Zum anderen blieb in der Anhörung unklar, ob die
        Anlage der Arbeitszeitkonten bei der Rentenversiche-
        rung überhaupt attraktiv ist. Der Arbeitnehmer muss die
        Verwaltungskosten für das Wertguthaben tragen. Zu-
        gleich gelten die konservativen Anlagevorschriften für
        öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger. Man
        könnte und sollte darüber nachdenken, den Arbeitneh-
        mern ein Wahlrecht zuzugestehen, welchen Risikograd
        sie bei der Anlage ihres Wertkontos haben möchten, was
        sich natürlich auch auf die Garantiesumme auswirkt.
        Wenn die Anlage zu unattraktiv ist, wird dieser Weg der
        Portabilität nicht genutzt werden.
        Aus den Stellungnahmen zur Anhörung ergab sich
        auch, dass eine treuhänderische Übernahme von Arbeits-
        zeitkonten durch private Institutionen durchaus möglich
        ist. Im Gesetzentwurf werden dagegen viele Gründe auf-
        gezählt, warum eine treuhänderische Übernahme der Ar-
        beitszeitkonten durch private Anbieter nicht zulässig
        sein soll. Dabei steht vor allem der Schutz der Sozialver-
        sicherungsbeiträge im Vordergrund, also weniger die In-
        teressen der Arbeitnehmer als die Interessen der Sozial-
        versicherungsträger. Mit dieser Interessengewichtung
        wird die Attraktivität des Gesetzes für Arbeitnehmer
        aber beschnitten.
        r
        d
        §
        c
        g
        f
        d
        S
        k
        b
        d
        a
        r
        v
        b
        f
        t
        T
        z
        e
        v
        b
        h
        d
        I
        I
        h
        b
        V
        k
        w
        k
        d
        a
        i
        s
        k
        Z
        g
        l
        w
        k
        n
        b
        f
        s
        d
        d
        b
        G
        (C
        (D
        Drittens: Mit dem Gesetz sollen Wertguthaben wäh-
        end der Ansparphase besser als bisher geschützt wer-
        en. Dafür sollen die Vermögensanlagevorschriften des
        80 ff. SGB IV, die für öffentlich-rechtliche Sozialversi-
        herungsträger gelten, künftig auf Arbeitszeitkonten an-
        ewendet werden. In der Anhörung wurde aber mehr-
        ach darauf hingewiesen, dass für die Versicherungen
        er Verweis auch auf die Anlagevorschriften des § 80 ff.
        GB IV problematisch ist. Denn die Versicherungen
        önnten dann gezwungen sein, die Mittel aus Wertgutha-
        en gesondert zu verwalten, neben den Geldern, die nach
        en Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes
        ngelegt werden. Dabei bieten bereits das Versiche-
        ungsaufsichtsgesetz und die darauf basierende Anlage-
        erordnung einen sehr hohen Sicherungsstandard.
        Viertens werden bei dem Versuch, Arbeitszeitkonten
        esser gegen Insolvenz zu schützen, Regelungen einge-
        ührt, die der weiteren Verbreitung von Arbeitszeitkon-
        en im Wege stehen werden. Zwar wird damit auf die
        atsache reagiert, dass in der Praxis bisher viele Arbeits-
        eitkonten nicht wirksam insolvenzgesichert waren und
        s dadurch zu Ausfällen von Arbeitszeitkonten bei Insol-
        enzen kam.
        Kontraproduktiv für die weitere Verbreitung von Ar-
        eitszeitkonten ist aber der im Gesetzentwurf vorgese-
        ene Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand oder
        ie Geschäftsführer eines Unternehmens, wenn sich der
        nsolvenzschutz nachträglich als nicht wirksam erweist.
        n der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass bereits
        eute ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitge-
        er besteht, wenn er eine Insolvenzabsicherung unter
        ortäuschung falscher Tatsachen unterlassen hat.
        Darüber hinaus soll das Wertguthaben des Kontos
        ünftig durch Dritte, insbesondere Treuhänder, geführt
        erden. Es stellt sich die Frage, ob das nicht gerade für
        leinere Betriebe einen zu hohen Abfluss an Kapital be-
        eutet. In der Anhörung wurde angemahnt, auch andere
        ls die im Gesetzentwurf vorgesehenen Sicherungs-
        nstrumente, beispielsweise schuldrechtliche, gegen In-
        olvenzfälle zuzulassen.
        Unklar bleibt schließlich auch, warum Arbeitszeit-
        onten künftig nur noch in Geldform und nicht mehr als
        eitkonten geführt werden können. Eine wirkliche Be-
        ründung liefert der Gesetzentwurf hier nicht. So wird
        ediglich die Vertrags- und Tarifautonomie beschnitten.
        Im Ergebnis enthält der heute zu beratende Gesetzent-
        urf zu viele undurchdachte Regelungen, bei deren In-
        rafttreten zu befürchten ist, dass sich Arbeitszeitkonten
        icht weiter verbreiten, sondern die Verbreitung sogar
        ehindert wird. Damit ist das Gesetz nicht zustimmungs-
        ähig. Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich – weil sie
        ich zu dem grundsätzlichen Ziel weiterhin bekennt –
        er Stimme enthalten.
        Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Wie stellte das Han-
        elsblatt am 9. November treffsicher fest: „Für die Ar-
        eitgeber ist derweil einer der erfreulichsten Aspekte des
        esetzes, dass die Koalition nicht alle Arbeitszeitkonten
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20191
        (A) )
        (B) )
        einschränken will: Kurzfristige Gleitzeitkonten und ähn-
        liche Modelle sollen weitgehend verschont bleiben.“ Es
        wird Sie sicherlich nicht verwundern, dass dies auch un-
        ser Hauptkritikpunkt ist. Ausgerechnet die große Masse
        der Arbeitszeitkonten, mit denen die Arbeitnehmerinnen
        und Arbeitnehmer zudem wesentlich zum Ausgleich
        wirtschaftlicher Schwankungen beitragen, nämlich die
        Gleit- und Kurzzeitkonten, sind ausdrücklich von einem
        Insolvenzschutz ausgenommen. Insbesondere die Sach-
        verständigenanhörung hat deutlich gemacht, dass es da-
        für keinen sachlichen Grund und keine Notwendigkeit
        gibt: Modelle zur Sicherung von Gleit- und Kurzzeitkon-
        ten befinden sich längst auf dem Markt.
        Begrüßenswert ist, dass sich die Koalition völlig un-
        erwartet als lernfähig erwiesen hat, indem sie im Ände-
        rungsantrag auf die Zeitgrenzen beim Insolvenzschutz
        verzichtet. Unklar bleibt allerdings, warum Wertkonten
        nicht vom ersten Cent an gesichert werden können, sind
        sie doch von den übrigen Arbeitszeitkonten funktionell
        getrennt.
        Einem selbstgestellten Anspruch wird auch der geän-
        derte Gesetzentwurf nicht gerecht: Er stellt keine Alter-
        native zur auslaufenden Förderung der Altersteilzeit
        durch die Bundesagentur für Arbeit und zur Anhebung
        der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung
        auf 67 Jahre dar. Zum einen ist der Adressatenkreis des
        Gesetzes auf relativ wenige Arbeitnehmerinnen und Ar-
        beitnehmer begrenzt. Zum anderen muss selbst dieser
        kleine Kreis den vorzeitigen Austritt aus dem Erwerbsle-
        ben erst herausarbeiten.
        Langzeitarbeitszeitkonten sollen die Zeitsouveränität
        der Beschäftigten erhöhen. Sie sollen insbesondere für
        Familienzeiten und Weiterbildung genutzt werden. Dies
        setzt aber voraus, dass diese Konten durch nicht vergü-
        tete Arbeitszeit gespeist werden, was wiederum bedeu-
        tet, dass zunächst länger gearbeitet werden muss. Diese
        Verdichtung der Arbeit geht ausschließlich auf Kosten
        der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie geht zu-
        lasten der Gesundheit und der Familienplanung. Dies
        legt den Verdacht nahe, dass die Bundesregierung dieses
        Instrument vorrangig für Besserverdienende gedacht hat,
        die durch das Ansparen hoher Einmalzahlungen oder
        Prämien eher in der Lage sein werden, von dieser Form
        der Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit Gebrauch zu
        machen.
        Bereits bei der Einführung des Gesetzes habe ich da-
        rauf aufmerksam gemacht, dass die im § 7 c vorhandene
        Öffnungsklausel nicht geeignet ist zu verhindern, dass
        die nunmehrigen Wertkonten auch zum Ausgleich kon-
        junktureller Schwankungen herangezogen werden kön-
        nen. Angesichts der stärkeren Verhandlungsposition des
        Arbeitgebers wird sich diese Möglichkeit der Inan-
        spruchnahme des Wertkontos in den Verträgen zuhauf
        wiederfinden.
        Die Übertragbarkeit von Wertkonten auf die Deutsche
        Rentenversicherung Bund trägt der wachsenden Anzahl
        gebrochener Erwerbsbiografien Rechnung. Doch auch
        diese Regelung, sowohl im ersten Entwurf als auch in
        der zur Abstimmung vorliegenden Fassung, beantwortet
        n
        s
        a
        W
        g
        a
        h
        d
        g
        A
        w
        b
        F
        s
        t
        a
        a
        d
        S
        u
        h
        w
        W
        e
        F
        b
        w
        v
        h
        s
        i
        Z
        l
        d
        S
        r
        w
        g
        t
        h
        B
        v
        l
        z
        A
        m
        t
        c
        k
        o
        a
        A
        f
        (C
        (D
        icht die Frage, warum diese Portabilität eine Einbahn-
        traße sein muss. Weshalb soll es nicht möglich sein, ein
        uf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenes
        ertguthaben auf einen neuen Arbeitgeber zu übertra-
        en? Diese Frage konnte auch in der Sachverständigen-
        nhörung nicht beantwortet werden.
        Ein Problem ist nach wie vor ausgespart: Die beste-
        ende Gesetzeslage verhindert nicht, dass Wertkonten,
        ie auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertra-
        en wurden, bei einem zwischenzeitlichen Bezug von
        rbeitslosengeld II aufgelöst werden müssen. Damit
        ird besonders bei jungen Arbeitnehmerinnen und Ar-
        eitnehmern die Hemmschwelle für den Eintritt in die
        lexibilisierung der Lebensarbeitszeit besonders hoch
        ein. Doch gerade für diese Generation wäre dies wich-
        ig, weil sie von der Heraufsetzung des Renteneintritts-
        lters besonders betroffen sind.
        Unbestritten ist die Insolvenzsicherung der Langzeit-
        rbeitskonten gegenüber der bisherigen Gesetzeslage
        urch den vorliegenden geänderten Gesetzentwurf ein
        chritt in die richtige Richtung. Leider bleibt aber vieles
        nausgegoren – wie es ein Experte so schön formuliert
        at –: „Das Flexi-II-Gesetz in seiner Unausgereiftheit
        eckt insgesamt Assoziationen an ein Montagsauto.“
        ürden Sie sich, meine Damen und Herren, bewusst für
        inen solchen Wagen entscheiden?
        Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        lexibilität ist keine Einbahnstraße, die wir nur von Ar-
        eitnehmern verlangen können. Immer mehr Menschen
        ollen und müssen ihre Erwerbsbiografien an ihre indi-
        iduellen Bedürfnisse und Erfordernisse anpassen, und
        ierfür sind Langzeitarbeitszeitkonten ein wichtiges In-
        trument. Familienphasen, Weiterbildung, Auszeiten, ein
        ndividueller Ausstieg aus dem Erwerbsleben – für diese
        wecke eignen sich im Idealfall Langzeitkonten.
        In der konkreten Ausgestaltung von Langzeitkonten
        ag bislang aber einiges im Argen. Die Koalition wollte
        as mit ihrem Gesetzentwurf ändern, aber aus grüner
        icht ist sie dabei – trotz einiger Verbesserungen im Be-
        atungsverfahren – viel zu kurz gesprungen. Deswegen
        erden wir den Entwurf ablehnen. Die Gründe dafür lie-
        en auf der Hand:
        Erstens. Der Insolvenzschutz von Langzeitarbeitskon-
        en bleibt lückenhaft. Nach wie vor bleiben generell Gut-
        aben ungesichert, die weniger als 2 485 Euro betragen.
        is zu dieser Grenze ist bei einer Insolvenz das Risiko
        on Beschäftigten, ihr bereits erarbeitetes Entgelt zu ver-
        ieren, sehr groß. Unsere Forderung bleibt, dass Lang-
        eitkonten ab dem ersten Euro geschützt sein müssen.
        ber selbst wenn ein Beschäftigter auf seinem Konto
        ehr als 2 485 Euro angespart hat, trägt er weiter einsei-
        ig Risiken: Denn hat sein Arbeitgeber nicht für ausrei-
        henden Versicherungsschutz gesorgt, bekommt er zu-
        ünftig zwar einen Schadenersatzanspruch eingeräumt –
        b er den gegenüber seinem insolventen Arbeitgeber
        ber auch durchsetzen kann, muss bezweifelt werden.
        m Ende bleibt dasselbe Ergebnis: Das Guthaben ist
        utsch.
        20192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Zweitens. Die Übertragbarkeit von Langzeitarbeits-
        konten ist weiterhin unzureichend. Arbeitgeberwechsel
        sind heute die Regel und nicht mehr die Ausnahme.
        Trotzdem ermöglicht die Neuregelung nicht die konti-
        nuierliche Kontoführung über mehrere Beschäftigungs-
        verhältnisse hinweg. Die Konsequnez: Will ein neuer
        Arbeitgeber das zuvor erarbeitete Konto nicht überneh-
        men, bleibt nur, es aufzulösen. Damit sind aber auch die
        Pläne, die mithilfe des Langzeitkontos realisiert werden
        sollten, hinfällig geworden,
        Lediglich für Beschäftigte, die bereits ein hohes Gut-
        haben von mindestens 14 900 Euro angespart haben, hat
        die Bundesregierung eine weitere Option geschaffen: Sie
        können ihr Guthaben auf die Deutsche Rentenversiche-
        rung übertragen. Dann ist es jedoch nur noch für be-
        stimmte gesetzlich normierte Zwecke nutzbar, wie zum
        Beispiel die Eltern- oder die Pflegezeit. Diese Lösung
        hat einen weiteren Haken: Unakzeptabel ist aus grüner
        Sicht, dass ein Beschäftigter ein bestehendes Guthaben
        nicht wieder von der Rentenversicherung auf einen spä-
        teren Arbeitgeber übertragen kann, selbst wenn dieser
        das Konto übernehmen würde. Für diese Beschränkung
        gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Auch die Ver-
        treter der Rentenversicherung haben bestätigt, dass eine
        Rückübertragung grundsätzlich möglich wäre.
        Drittens. Die Rechte der Arbeitnehmer werden bezo-
        gen auf die Nutzung ihrer Langzeitkonten nicht gestärkt.
        Der Arbeitnehmer, der ein Langzeitarbeitskonto aufge-
        baut hat, kann nach den Plänen der Bundesregierung
        auch weiterhin nicht weitgehend frei über sein Guthaben
        verfügen. Einen Anspruch auf Entnahme oder Freistel-
        lung gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber wird es auch
        zukünftig nicht geben. Diese Regelung wäre aus unserer
        Sicht aber notwendig, auch wenn wir im Normalfall ein
        einvernehmliches Arrangement erwarten.
        Viertens. Langzeitkonten gelten nicht als Schonver-
        mögen im SGB II. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer ge-
        zwungen werden können, ihre Wertguthaben zur Siche-
        rung ihres Lebensunterhalts wegen Arbeitslosigkeit zu
        verbrauchen. Auch das entspricht nicht unserer Vorstel-
        lung. Angesichts solcher konkreten Gefahren werden
        viele Arbeitnehmer zögern, Zeit und Geld in ein Lang-
        zeitkonto zu investieren. Selbstgestecktes Ziel der Bun-
        desregierung war es, Langzeitkonten attraktiver und si-
        cherer zu machen. Aber auch nach den Beratungen ist
        die Mängelliste lang geblieben, zu lang, als dass wir
        Grünen dem Gesetzentwurf zustimmen könnten.
        Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        minister für Arbeit und Soziales: Die eigene Lebensar-
        beitszeit planen, eine ganze Erwerbsbiografie lang
        selbstbestimmt gestalten – das sind berechtigte Wünsche
        vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Ihnen
        vorliegende Gesetzentwurf wird diesen Wünschen mit
        klareren Regelungen und besserer Absicherung gerecht.
        Schon heute können Beschäftigte durch viele gesetzliche
        Ansprüche ihre Zeit selbstbestimmt planen. Dies gilt
        etwa bei der Pflege, bei der Teilzeitarbeit, bei der Kin-
        dererziehung und bei der Bildung. Aber auch über die
        E
        S
        m
        g
        b
        G
        s
        w
        w
        z
        g
        x
        w
        s
        d
        g
        f
        A
        L
        m
        u
        w
        l
        s
        f
        b
        u
        z
        E
        i
        c
        G
        R
        g
        s
        n
        v
        d
        g
        d
        b
        e
        t
        d
        m
        m
        f
        b
        G
        s
        d
        (C
        (D
        lternzeit hinausgehende Familienzeiten und sogenannte
        abbaticals gewinnen in der betrieblichen Praxis immer
        ehr an Bedeutung.
        Durch Langzeitkonten kann der Beschäftigte über das
        anze Arbeitsleben hinweg souverän über die eigene Ar-
        eitszeit verfügen. Diese vor zehn Jahren eingeführte
        rundidee attraktiver zu gestalten, dazu dient das Ge-
        etz. Arbeitszeit kann angespart, ja sogar vorgespart
        erden, und sie wird erst verbeitragt und versteuert,
        enn der Beschäftigte tatsächlich einen Freistellungs-
        eitraum nutzt.
        Allerdings weisen die derzeit bestehenden Regelun-
        en Lücken auf, insbesondere, weil sich viele in der Pra-
        is nicht an die gesetzlichen Verpflichtungen halten,
        enn es um den Schutz der Langzeitkonten geht. Wir
        etzen uns mit dem vorliegenden Gesetz engagiert für
        iese Verbesserungen ein, weil wir wissen, dass die jetzi-
        en Regelungen zum Insolvenzschutz nicht richtig grei-
        en oder nicht beachtet werden.
        Man darf nicht vergessen, dass Wertguthaben neben
        rbeitsentgelt noch Sozialversicherungsbeiträge und
        ohnsteuer beinhalten. Diese Entgelte und die Einnah-
        en der öffentlichen Kassen müssen wirksam geschützt
        nd verlässlich sein. Wenn der Insolvenzschutz nicht ge-
        ährleistet ist, gilt die Vereinbarung zukünftig bei feh-
        ender Heilung nicht, und Steuern und Abgaben werden
        ofort fällig. Das ist ein deutlicher Anreiz, diese leicht-
        ertig ungeschützte Situation zu vermeiden.
        Erstmals wird auch das Anlagerisiko für Wertgutha-
        en geregelt. Langzeitkonten sind kein Privatvermögen
        nd keine private Kapitalanlage, sondern ein Instrument
        ur Ermöglichung von Freistellungszeiten im Lauf der
        rwerbsbiografie. Dieses hart erarbeitete Arbeitsentgelt
        st kein Spielgeld von irgendwelchen Schnellverspre-
        hern und Finanzjongleuren. Bei der Erarbeitung des
        esetzentwurfes war von der Finanzkrise noch keine
        ede. Wir haben jedoch von Anfang an die richtigen Re-
        eln vorgesehen, die einen optimalen Ausgleich zwi-
        chen Sicherheit und Renditechance schaffen.
        Der Gesetzesentwurf greift Anregungen der Tarifpart-
        er auf und enthält erstmals Vorschriften zur Portabilität
        on Wertguthaben. Wer keinen neuen Arbeitgeber fin-
        et, auf den er bei Wechsel des Arbeitsplatzes sein Wert-
        uthaben übertragen kann, der kann dies in Zukunft auf
        ie Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen und
        ei gesetzlichen oder mit dem aktuellen Arbeitgeber ver-
        inbarten Freistellungszeiten darauf zugreifen.
        Diese Regelungen werden durch den Änderungsan-
        rag der Regierungsfraktionen weiter verbessert: Durch
        ie deutliche Absenkung des Schwellenwertes können
        ehr Menschen von dieser Regelung profitieren und
        üssen ihre Guthaben nicht mehr auflösen. Damit schaf-
        en wir es, die Funktion von Wertguthaben als Lebensar-
        eitszeitkonten zu sichern. Ich bin mir sicher: Auf der
        rundlage dieses Gesetzes werden derartige Konten
        chon in wenigen Jahren eine weite Verbreitung gefun-
        en haben.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20193
        (A) )
        (B) )
        Anlage 17
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Einführung Unterstützter Beschäftigung (Ta-
        gesordnungspunkt 33)
        Hubert Hüppe (CDU/CSU): Die CDU/CSU-Bun-
        destagsfraktion will für mehr Menschen mit Behinderun-
        gen Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
        ermöglichen. Die Bundesregierung geht mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf zur Unterstützten Beschäftigung
        einen weiteren Schritt in diese richtige Richtung.
        Der Gesetzentwurf sieht die Unterstützte Beschäfti-
        gung als eine neue Leistung zur Teilhabe am Arbeitsle-
        ben als Alternative zu einer Werkstatt für behinderte
        Menschen vor. Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist
        ein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz
        auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die neue Maßnahme
        ist insbesondere für behinderte Menschen gedacht, die
        vor der Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Men-
        schen stehen. Hierzu zählen vor allem junge Menschen
        mit Behinderung, denen eine berufsvorbereitende Maß-
        nahme oder eine Berufsausbildung wegen Art oder
        Schwere ihrer Behinderung nicht möglich ist. Daneben
        richtet sich die Unterstützte Beschäftigung an Men-
        schen, bei denen sich im Laufe ihres Erwerbslebens eine
        Behinderung eingestellt hat, beispielsweise aufgrund ei-
        nes Unfalls oder einer psychischen Erkrankung.
        Die neue Leistung Unterstützte Beschäftigung glie-
        dert sich in zwei Phasen. Die erste Phase ist die „indivi-
        duelle betriebliche Qualifizierung“. Sie dauert in der
        Regel zwei Jahre und soll mit einem regulären Arbeits-
        verhältnis enden. In der zweiten Phase wird „Berufsbe-
        gleitung“ so lange geleistet, wie weitere Unterstützung
        nötig ist, um den Arbeitsplatz zu sichern.
        Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Gesetz-
        entwurf einen weiteren Baustein für verbesserte Teilha-
        bechancen von Menschen mit Behinderungen in der Ge-
        sellschaft. Für uns ist entscheidend, dass es sich bei der
        Unterstützten Beschäftigung um eine Maßnahme handelt,
        in der die Menschen mit Behinderungen neu erworbenes
        Wissen sofort praktisch im Betrieb anwenden können.
        Träger der neuen Maßnahme suchen einen geeigneten
        Betrieb aus und vermitteln dem Menschen mit Behinde-
        rungen die nötigen Kenntnisse. Wir wissen, dass dieses
        Prinzip „Erst platzieren, dann qualifizieren“ in der Praxis
        funktioniert. Erfolge von Leistungsanbietern, die bereits
        jetzt im Bereich Unterstützter Beschäftigung tätig sind,
        bestätigen dies.
        Gegenüber dem Gesetzentwurf haben die Koalitions-
        fraktionen in der gestrigen Ausschusssitzung einen Ände-
        rungsantrag beschlossen. Aus Sicht der CDU/CSU-Bun-
        destagsfraktion ist zum einen die Klarstellung wichtig,
        dass ausgelagerte Werkstattplätze im Berufsbildungsbe-
        reich und dauerhaft ausgelagerte Werkstattplätze im Ar-
        beitsbereich zum Leistungsangebot der Werkstätten für
        behinderte Menschen gehören. Zum weiteren ist es gut,
        dass die Integrationsämter in Zukunft einen höheren An-
        teil am Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe erhalten.
        d
        d
        n
        d
        r
        T
        ß
        d
        i
        l
        a
        D
        h
        z
        a
        d
        v
        w
        w
        a
        r
        e
        n
        h
        r
        K
        m
        g
        k
        U
        W
        t
        i
        m
        A
        d
        w
        f
        d
        l
        m
        d
        w
        W
        N
        d
        d
        d
        z
        W
        B
        l
        b
        r
        z
        z
        n
        (C
        (D
        Unser Ziel bleibt es, Menschen mit und ohne Behin-
        erung im Arbeitsleben zusammenzubringen, auch über
        ie Möglichkeiten der Unterstützten Beschäftigung hi-
        aus. Ausgelagerte Werkstattplätze, ob im Berufsbil-
        ungsbereich oder auf Dauer angelegt im Arbeitsbe-
        eich, geben diesen Menschen mit Behinderungen
        eilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt au-
        erhalb des Werkstattgebäudes. Wir wollen erreichen,
        ass sich Menschen mit und ohne Behinderungen auch
        n der Arbeitswelt begegnen. Die Klarstellung verdeut-
        icht, dass ausgelagerte Werkstattplätze zum Leistungs-
        ngebot der Werkstätten gehören, auch wenn sie auf
        auer eingerichtet sind. Wir wollen Werkstätten für be-
        inderte Menschen mit der Klarstellung unterstützen,
        ukünftig noch mehr auf ausgelagerte Werkstattplätze
        ls Teilhabeangebot zu setzen. Natürlich bleibt das Ziel,
        ass ausgelagerte Werkstattplätze letztendlich zu sozial-
        ersicherungspflichtigen Arbeitsplätzen werden. Wir
        ollen aber nicht, dass die Betroffenen zurückgeholt
        erden, wenn dies nicht gelingt. Ebenso soll es mehr
        usgelagerte Werkstattplätze für Menschen mit Behinde-
        ungen geben, bei denen aller Wahrscheinlichkeit nach
        in sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis
        icht in Betracht kommen wird. Auch diese Menschen
        aben ein Recht auf gemeinsame Lebenswelten im Be-
        eich der Arbeit.
        Deutlich sage ich aber an dieser Stelle auch, dass die
        larstellung alleine nicht ausreichen wird, wesentlich
        ehr Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am all-
        emeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es muss zu-
        ünftig für Menschen mit Behinderungen möglich sein,
        nterstützungsleistungen auch ohne Anbindung an eine
        erkstatt für behinderte Menschen zu wählen.
        Der zweite Punkt, die erhöhten Mittel der Integra-
        ionsämter aus dem Aufkommen der Ausgleichsabgabe,
        st ebenfalls bedeutsam. Die Integrationsämter bekom-
        en durch die Unterstützte Beschäftigung eine neue
        ufgabe, die Berufsbegleitung. Uns ist nicht nur wichtig,
        ass die Integrationsämter diese neue Aufgabe gut be-
        ältigen. Sie sollen auch ausreichende finanzielle Mittel
        ür ihre aktuellen Aufgaben, beispielsweise für die För-
        erung von Integrationsprojekten, sogenannte Minder-
        eistungsausgleiche – auch wenn ich diesen Begriff nicht
        ag –, und für Arbeitsassistenzen haben. Die Mittel, die
        en Integrationsämtern zusätzlich zur Verfügung gestellt
        erden, sollen deshalb nicht für Werkstätten- oder
        ohnheimförderung verwendet werden. Obwohl dieser
        achrang der Werkstätten- oder Wohnheimförderung in
        er Schwerbehindertenausgleichsabgabe-Verordnung ein-
        eutig geregelt ist, habe ich manchmal den Eindruck,
        ass man gerne auf die Mittel aus der Ausgleichsabgabe
        urückgreift, wenn es um den Bau von Werkstätten- oder
        ohnheimen geht.
        Auch die weiteren Änderungen im Gesetzentwurf der
        undesregierung will ich hier nicht unter den Tisch fal-
        en lassen, weil sie vielen Menschen mit Behinderungen
        essere Teilhabechancen ermöglichen. Zu diesen Ände-
        ungen gehört, dass die individuelle betriebliche Qualifi-
        ierung für Menschen mit Behinderungen zukünftig von
        wei auf drei Jahre verlängert werden kann, wenn dies
        ach Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist.
        20194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Zeiten der Unterstützten Beschäftigung werden nur noch
        zur Hälfte auf die Dauer des Berufsbildungsbereichs an-
        gerechnet und nicht voll, wie noch im Gesetzentwurf
        vorgesehen. Menschen mit Behinderungen können so
        besser auf einen Werkstattplatz im Arbeitsbereich, zum
        Beispiel auch auf ausgelagerten Werkstattplätzen, vorbe-
        reitet werden.
        Rehabilitationsträger können nach unserem Ände-
        rungsantrag in den Gemeinsamen Empfehlungen zur
        Unterstützten Beschäftigung nicht nur Empfehlungen zu
        Qualitätsanforderungen der Maßnahmeträger, sondern
        auch zu Leistungsinhalten abgeben. Schließlich sind In-
        tegrationsfachdienste als mögliche Leistungsanbieter im
        Gesetz ausdrücklich genannt, was eine ausreichende
        Leistungsanbietervielfalt gewährt.
        Zusammenfassend ist zu sagen: Die CDU/CSU-Bun-
        destagsfraktion sieht die Unterstützte Beschäftigung mit
        den von uns beschlossenen Änderungen als weitere gute
        Möglichkeit, mehr Teilhabechancen am allgemeinen Ar-
        beitsmarkt zu eröffnen. Der Erfolg der neuen Maßnahme
        wird maßgeblich zum einen davon abhängen, wie inten-
        siv die Unterstützung der Menschen mit Behinderungen
        ausfällt. Zum anderen wird es darauf ankommen, dass
        Unternehmen am allgemeinen Arbeitsmarkt die neue
        Maßnahme annehmen. Deshalb hoffen wir bei der Um-
        setzung natürlich auch auf die Unterstützung durch Ar-
        beitgeber.
        Der von uns heute zu beschließende Gesetzentwurf ist
        nicht der Schlusspunkt unserer Bemühungen. Auch für
        diejenigen Menschen mit Behinderungen, für die die
        neue Maßnahme nicht in Betracht kommt, müssen mehr
        Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als
        Alternative zu einer Tätigkeit in Werkstätten für behin-
        derte Menschen ermöglicht werden. Hieran werden wir
        weiter arbeiten.
        Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Heute ist ein gu-
        ter Tag für – hoffentlich viele – junge Menschen mit Be-
        hinderungen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur
        Unterstützten Beschäftigung öffnet sich eine neue Per-
        spektive, ein neuer Weg für Teilhabe am Arbeitsleben.
        Heute erfüllen wir nicht nur eine Selbstverpflichtung
        aus dem Koalitionsvertrag. Es ist uns von der SPD eine
        Herzensangelegenheit, Menschen mit Behinderungen
        ein „Mittendrin“ und damit mehr Wahlmöglichkeiten,
        auch im Arbeitsleben, zu eröffnen. Denn Arbeit ist mehr
        als Broterwerb. Deswegen kommt dem Bereich der Teil-
        habe am Arbeitsleben eine besondere Bedeutung zu.
        Wie ein Mosaik füllen wir Stück für Stück den Rah-
        men für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit
        Behinderung. Das persönliche Budget ist Teil des großen
        Rahmens, die Unterstützte Beschäftigung kommt heute
        dazu. Unterstützte Beschäftigung hat das Ziel, jungen
        Menschen mit Behinderung in Unternehmen einen Ar-
        beitsplatz zu ermöglichen, den sie ohne dieses Gesetz
        nicht bekommen. Es strebt also nach dem Maximum an
        Normalität und Teilhabe für Menschen mit Behinderun-
        gen.
        E
        a
        f
        m
        g
        t
        i
        B
        Z
        l
        G
        l
        v
        d
        e
        f
        w
        s
        S
        s
        h
        b
        u
        n
        r
        t
        c
        w
        s
        h
        B
        F
        m
        G
        n
        Y
        n
        „
        a
        z
        Q
        B
        s
        z
        A
        d
        v
        d
        e
        A
        r
        N
        d
        „
        (C
        (D
        Von selbst kommt diese Inklusion nicht. Das ist die
        rkenntnis über Jahrzehnte hinweg. Deshalb danke ich
        usdrücklich dem Ministerium für Arbeit und Soziales
        ür den Entwurf und die fachliche Begleitung der parla-
        entarischen Beratung. Ebenso danke ich meinen Kolle-
        innen und Kollegen im Ausschuss für die sachorien-
        ierte Debatte und denen, die dem Gesetz zustimmen, für
        hre Unterstützung.
        Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige
        eschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist das
        iel. Welche flankierenden Maßnahmen sind erforder-
        ich? Welche Mosaiksteine sind notwendig? In welcher
        röße und in welcher Farbe? Zunächst gilt es festzustel-
        en, dass nur mehr „Werkstatt-Steine“ den Potenzialen
        ieler Menschen mit Behinderungen nicht gerecht wür-
        en. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind
        in wesentlicher Teil des Mosaiks. Mit unserem Gesetz
        ügen wir hier sogar noch einen neuen Teil hinzu, indem
        ir rechtliche Klarheit für ausgelagerte Arbeitsplätze
        chaffen.
        Mit der Unterstützten Beschäftigung kommen neue
        teine in einer neuen Farbe zum Mosaik hinzu. Unter-
        tützte Beschäftigung zielt auf den Arbeitsmarkt außer-
        alb von Werkstätten. Unterstützte Beschäftigung setzt
        ei den Stärken der Menschen mit Behinderungen an
        nd „assistiert“ dort, wo Unterstützungsbedarf ist. Ge-
        au deshalb folgt das Vorgehen der Regel: Erst platzie-
        en, dann qualifizieren – und dann, wenn nötig, beglei-
        en.
        Ich habe im Vorfeld dieser Gesetzgebung mit zahlrei-
        hen Menschen mit Behinderungen gesprochen. Sie
        ollen mittendrin sein und hätten sich diese Chance
        chon früher gewünscht. Ich bin froh, dass auch die An-
        örung ergeben hat, dass die Verbände der Unterstützten
        eschäftigung umfassend zustimmen.
        Ich habe noch einmal Yvonne vor Augen, die junge
        rau, die trotz ihrer Behinderung eine leistungsfähige,
        otivierte Arbeitnehmerin sein will – und mit unserem
        esetz auch werden kann. Ihre Sichtweise habe ich Ih-
        en zur ersten Lesung vorgestellt. Was heißt das für
        vonne? Mehr als einen Platz im Leben, nein, auch ei-
        en Platz im Arbeitsleben – mittendrin eben. Sie will
        voll dabei sein und die Ärmel hochkrempeln“. Sie wird
        uch ein Gewinn sein für das Unternehmen. Denn plat-
        iert am Arbeitsplatz können nun für sie die optimale
        ualifizierung erfolgen und die notwendige berufliche
        egleitung genau an ihrem Arbeitsplatz.
        Mit den Änderungsanträgen haben wir für nötige Klar-
        tellungen gesorgt. Ich will drei herausgreifen. Zur Finan-
        ierung kommen den Ländern weitere 10 Prozent der
        usgleichsabgabe zu. Wir haben die klare Erwartung,
        ass diese Mittel genau für Unterstützte Beschäftigung
        erwendet werden. Wir stärken die Integrationsfach-
        ienste: Bei Wechsel von Unterstützter Beschäftigung in
        ine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen hälftige
        nrechnung der individuellen Qualifizierung auf den Be-
        ufsbildungsbereich. Somit besteht Klarheit, dass die
        utzer und Nutzerinnen der Unterstützten Beschäftigung
        ie Sicherheit haben, auch in oder wieder zurück in die
        Werkstatt“ gehen zu können, wenn sie sich zu viel zuge-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20195
        (A) )
        (B) )
        traut haben. Die Auffangsituation „Werkstattarbeit“
        bleibt.
        Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige
        Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist das
        Ziel dieses Gesetzentwurfs. Unterstützte Beschäftigung
        ist der Weg, der neue Teil unseres Mosaiks. Wir schät-
        zen, dass es bis zu fünf Jahre dauern wird, bis dieser von
        möglichst vielen genutzt wird. Um den Weg gut auszu-
        bauen, muss nun begonnen werden, gemeinsame Emp-
        fehlungen zu den Qualitätsanforderungen zu erarbeiten.
        Ich bin zuversichtlich, dass sich eine Trägerlandschaft
        entwickeln wird, die dafür sorgt, dass sich der Rahmen
        unserer Politik für und mit Menschen mit Behinderun-
        gen weiter füllt – mit mehr Farben und mehr Möglich-
        keiten, sich zu entscheiden. Und das führt zum Mitten-
        drin-Sein – auch für Yvonne.
        Dr. Erwin Lotter (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak-
        tion begrüßt, dass Menschen mit Behinderung mit dem
        vorliegenden Gesetzentwurf die Chance und entspre-
        chende Hilfen an die Hand gegeben werden sollen, um
        auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem sozialversi-
        cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis Fuß zu fas-
        sen. Wie auch für Menschen ohne eine Behinderung ist
        der Arbeitsplatz ein entscheidender Beitrag für ein
        selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Anerken-
        nung.
        So gut auch die Intention des Gesetzentwurfes ist, er
        gibt dennoch Anlass zu einigen kritischen Anmerkun-
        gen, die auch in der Anhörung des Ausschusses für Ar-
        beit und Soziales zum vorliegenden Gesetzentwurf the-
        matisiert wurden:
        Der Adressatenkreis der neuen Fördermaßnahme ist
        unklar definiert. Für die Betroffenen ist es aber natürlich
        von entscheidender Bedeutung, ob sie, und auch nach
        Absolvierung welchen Zugangsverfahrens, in den Ge-
        nuss der neuen Fördermaßnahme kommen können. Die
        Aussagen der Anhörung, insbesondere seitens der Prak-
        tiker, lassen ohnehin erwarten, dass die Maßnahme letzt-
        lich nur für einen relativ geringen Personenkreis Anwen-
        dung finden kann. Die Praktiker sprachen hier von etwa
        5 Prozent der Werkstattberechtigten, die möglicherweise
        infrage kommen.
        Hinsichtlich der Zielrichtung des Gesetzentwurfes ist
        die Argumentation der Befürworter ohnehin wider-
        sprüchlich: Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes der
        Bundesregierung ist die dauerhafte Sicherung des Ar-
        beitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung, was ja als
        sehr optimistisch bezeichnet werden muss. Ohne Einglie-
        derungszuschüsse und einen Minderleistungsausgleich,
        so stellten es die Praktiker in der Anhörung eindringlich
        dar, wird das Beschäftigungsverhältnis langfristig nicht
        haltbar sein. Das wurde auch durch Abgeordnete der Re-
        gierungskoalition im Ausschuss vertreten, mit dem Hin-
        weis, dass derartige Unterstützungsleistungen auch wei-
        terhin möglich seien. Die dauerhafte Sicherung des
        Arbeitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung ist so-
        mit ein Ziel – und das wissen auch die Kollegen der Re-
        g
        P
        m
        s
        s
        s
        b
        n
        M
        b
        e
        m
        g
        d
        s
        N
        d
        d
        d
        c
        Ä
        r
        d
        w
        t
        g
        t
        s
        B
        e
        z
        a
        R
        n
        s
        n
        ö
        D
        c
        d
        s
        v
        u
        M
        A
        E
        m
        B
        b
        u
        n
        d
        (C
        (D
        ierungsfraktionen –, das nur von einem relativ geringen
        ersonenkreis erreicht werden kann.
        Zudem wurde in der Anhörung hervorgehoben, dass
        it dem Gesetzentwurf ein, so wörtlich, „neues Mosaik-
        teinchen voneinander abgegrenzter Leistungen“ ge-
        chaffen wird. Das Wunsch- und Wahlrecht der Men-
        chen mit Behinderung droht dabei nicht ausreichend
        eachtet zu werden. Der Wechsel zwischen verschiede-
        en Ausbildungswegen, etwa der Werkstatt und der
        aßnahme „unterstützte Beschäftigung“, scheint pro-
        lematisch. Ob Personen, die bereits im Arbeitsbereich
        iner Werkstatt tätig sind, auch von der neuen Förder-
        aßnahme profitieren könnten, bleibt nach wie vor un-
        eklärt.
        In der Anhörung wurde darüber hinaus betont, dass
        ie volle Anrechnung der Dauer der unterstützten Be-
        chäftigung auf eine sich möglicherweise ergebende
        otwendigkeit, doch in die Werkstatt zu wechseln, und
        ie im Berufsbildungsbereich zu erbringende Ausbil-
        ungsdauer problematisch ist. Die Fachleute betonten,
        ass eben die Ausbildungsinhalte nicht unbedingt de-
        kungsgleich seien. Die im Ausschuss beschlossenen
        nderungsanträge bieten hinsichtlich der zeitlichen An-
        echnung zwar eine Verbesserung. Eine individuelle, auf
        ie jeweilige Ausbildungssituation bezogene Regelung
        äre hier sicherlich sinnvoller und eher im Sinne der Be-
        roffenen gewesen.
        Es bleibt festzuhalten, dass die unterstützte Beschäfti-
        ung eine weitere Maßnahme im bestehenden Sachleis-
        ungsprinzip darstellt. Die FDP-Bundestagsfraktion hätte
        ich eine weitergehende, das Wunsch- und Wahlrecht der
        etroffenen stärkende Lösung vorstellen können, wie
        twa die Werkstattleistungen grundsätzlich budgetfähig
        u machen. Dieses wäre sicherlich eine Maßnahme, die
        uf diesen ersten Schritt – so bezeichnen Vertreter der
        egierungsfraktionen ja gerne den Gesetzentwurf – zeit-
        ah folgen müsste.
        Dennoch – so wurde es in der Anhörung deutlich –
        cheint der vorliegende Entwurf zumindest einem klei-
        en Teil der Menschen mit Behinderung Chancen zu er-
        ffnen, dem wir uns auch nicht entgegenstellen möchten.
        ie FDP-Bundestagsfraktion wird sich dementspre-
        hend zu dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten.
        Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Linke unterstützt
        as Ziel, behinderten Menschen mit besonderem Unter-
        tützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozial-
        ersicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen
        nd zu erhalten. Wir haben die Hoffnung, dass einige
        enschen mit Behinderungen mit diesem Instrument
        rbeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt finden.
        rgänzend möchte ich anmerken, dass wir hier Arbeit
        einen, von der man auch leben kann. Menschen mit
        ehinderungen sollen ihren gesamten Lohn für ihren Le-
        ensunterhalt wie alle anderen auch behalten können
        nd nicht bis auf den gering bemessenen Selbstbehalt
        ach SGB XII für die behinderungsbedingten Mehrbe-
        arfe wieder abführen müssen.
        20196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Der Ansatz – erst platzieren, dann qualifizieren – ist
        grundsätzlich sinnvoll. Menschen mit Behinderungen
        brauchen mehr Chancen, Arbeit auf dem sogenannten
        ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Es ist nicht hinnehm-
        bar, dass Menschen mit Behinderungen lebenslänglich in
        Aussonderungseinrichtungen geparkt werden: von der
        Sonderschule zur Sonderberufsschule und dann zur Be-
        schäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behin-
        derungen.
        Die Linke teilt aber nicht die Euphorie der Koalition.
        An der Situation, dass die Arbeitslosenquote bei Men-
        schen mit Behinderungen doppelt so hoch ist wie bei
        Nichtbehinderten, wird sich mit dem Instrument der Un-
        terstützten Beschäftigung kaum etwas ändern. Hier sind
        mehr und wirksamere Aktivitäten des Bundes, der Län-
        der und Kommunen, aber auch der Wirtschaft erforder-
        lich.
        Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften, die Be-
        triebsräte, die nicht behinderten Kolleginnen und Kolle-
        gen. Mein Appell an Sie und an euch: Sorgt dafür, dass
        Menschen mit Behinderungen ausreichend Platz auf dem
        ersten Arbeitsmarkt finden. Seid kollegial und solida-
        risch! Schaut nicht weg, wenn Kolleginnen und Kolle-
        gen wegen ihrer Behinderung ausgegrenzt oder gemobbt
        werden! Ohne euch bleiben alle Gesetze und Förderpro-
        gramme wirkungslos. Hier seid ihr gefragt.
        Viele der Fragen und Probleme aus den zu Protokoll
        gegebenen Reden in der ersten Lesung im Bundestag am
        16. Oktober und aus der sechzigminütigen Anhörung am
        5. November sind bis heute nicht gelöst. Ich begrüße,
        wenn der Bund Menschen mit Behinderungen, die nicht
        im Sinne des Gesetzes als schwerbehindert gelten, bei
        der Beschaffung von Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
        helfen will. Gerade diese Menschen fallen allzu oft
        durch jedes Raster. Die maximal zweijährige arbeits-
        platzbegleitende Ausbildung ist gut. Aber was dann?
        Wie wird danach die notwendige dauerhafte Förderung
        bzw. Assistenz zum Erhalt des Arbeitsplatzes gesichert?
        Hier steht die Antwort der Bundesregierung aus.
        Erst gestern fand im Bundestag die erste Lesung des
        Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Ratifizierung
        der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit
        Behinderungen statt. Besonders der Artikel 27 – Arbeit
        und Beschäftigung – der Konvention ist Grundlage und
        Maßstab für dieses Gesetz, aber auch Artikel 31 – Statis-
        tik und Datensammlung – spielt bei diesem Gesetz eine
        wichtige Rolle. Deswegen bleibt nicht akzeptabel die
        – von mir schon in der ersten Lesung kritisierte – Ab-
        schaffung der Informationspflicht der Bundesagentur für
        Arbeit über die Beschäftigungsquote schwerbehinderter
        Menschen bei öffentlichen Arbeitgebern. Ist das die Art,
        wie die Bundesregierung die UN-Konvention über die
        Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen
        will? Wem nützt die Abschaffung der Informations-
        pflicht? Wenn der Überblick fehlt, werden auch die An-
        strengungen im öffentlichen Dienst, Menschen mit Be-
        hinderungen zu beschäftigen, geringer. Auch ein
        effizienter Einsatz von Mitteln für die Förderung von
        A
        m
        A
        v
        k
        k
        ä
        l
        i
        z
        s
        A
        W
        v
        d
        r
        A
        n
        e
        s
        k
        e
        r
        r
        f
        n
        d
        s
        f
        l
        B
        M
        b
        d
        g
        u
        n
        i
        h
        b
        „
        n
        M
        l
        d
        r
        A
        k
        t
        F
        (C
        (D
        rbeit für Menschen mit Behinderungen ist dann nicht
        ehr möglich.
        Ein weiteres offenes Problem ist die Entwicklung der
        usgleichsabgabe. Laut Antwort der Bundesregierung
        om 31. Oktober 2008 auf meine Anfrage ist das Auf-
        ommen der Ausgleichsabgabe rückläufig. Damit san-
        en zwangsläufig auch die Ausgaben der Integrations-
        mter und des Ausgleichsfonds – von circa 690 Mil-
        ionen Euro im Jahr 2002 auf knapp 500 Millionen Euro
        m Jahr 2007. Es ist ein Trugschluss, zu meinen, dass die
        usätzlichen aus dem Instrument der Unterstützten Be-
        chäftigung resultierenden Aktivitäten auch noch aus der
        usgleichsabgabe finanziert werden können.
        Es gibt also aus Sicht der Linken neben dem Für viel
        ider zu diesem Gesetz. Insofern ist die Zustimmung
        erbunden mit der Erwartung und Forderung an die Bun-
        esregierung, mehr zu tun, um Menschen mit Behinde-
        ungen im Geist der UN-Behindertenrechtskonvention in
        rbeit zu bringen und in den nächsten Wochen und Mo-
        aten die benannten Mängel des Gesetzes auszuräumen.
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um
        s vorweg zu nehmen: An unserer grundsätzlichen Zu-
        timmung für eine Unterstützte Beschäftigung gibt es
        einen Zweifel. Auch der nun zu beschließende Gesetz-
        ntwurf ist für einige Menschen mit Behinderungen hilf-
        eich, weil er die Teilhabe am Arbeitsleben bedarfsge-
        echt und personenzentriert verbessern kann.
        Leider lässt der Entwurf allerdings zu viele Fragen of-
        en, sodass nach unserer Einschätzung die neue Maß-
        ahme mit zu vielen Risiken für die Betroffenen verbun-
        en ist.
        Zwar – und das ist anzuerkennen – haben die Aus-
        chussverhandlungen zu einigen Verbesserungen ge-
        ührt. So gibt es eine Änderung der Anrechnungsforma-
        itäten der Unterstützten Beschäftigung auf die Zeiten im
        erufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte
        enschen. Auch die Änderungen der Ausgleichsabga-
        enverordnung ist – auch wenn nicht hinreichend – so
        och zumindest anzuerkennen.
        Nichtsdestotrotz werden Bündnis 90/Die Grünen ge-
        en den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen. Wir sind
        ns darüber im Klaren, dass der Gesetzentwurf bewusst
        icht der große Wurf sein soll, sondern nur einen „Mosa-
        kstein“ im Gesamttableau der beruflichen Teilhabe be-
        inderter Menschen darstellen soll. Auf das Gesamtta-
        leau warten wir weiterhin, wahrscheinlich vergeblich.
        Aber eines möchte ich ganz klar sagen: Auch ein
        Mosaikstein“ kann bei fahrlässiger Ausgestaltung sei-
        er Bedingungen die ursprünglichen Absichten, ein
        ehr an Alternativen der beruflichen Teilhabe herzustel-
        en, in ihr Gegenteil umkehren. Das Gegenteil hieße in
        iesem Fall die Einschränkung der Wunsch- und Wahl-
        echte sowie die drohende Perspektivlosigkeit auf dem
        rbeitsmarkt. Denn weder die offenen Fragen der Rück-
        ehrmöglichkeiten, noch die Überwachung der Quali-
        ätsstandards bei Ausschreibungen noch die nachhaltige
        inanzierung wurden abschließend geklärt.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20197
        (A) )
        (B) )
        Hierzu im Einzelnen:
        Rückkehrmöglichkeiten. Schon im Vorfeld haben wir
        kritisiert, dass die neue Maßnahme der Unterstützten Be-
        schäftigung keine Rückkehrmöglichkeit in die Werkstatt
        für behinderte Menschen beinhaltet. Damit bestehen
        weiterhin zwei wesentliche Probleme: Erstens werden
        keine behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die
        sogenannten Werkstattbeschäftigten – einer Werkstatt
        die neue Leistung in Anspruch nehmen, wenn keine
        Rückkehrmöglichkeit besteht. Zweitens ist weiterhin un-
        geklärt, was mit Menschen passiert, die trotz Berufsbe-
        gleitung keine dauerhaften Chancen auf dem allgemei-
        nen Arbeitsmarkt haben.
        Ausschreibungen. Generell muss bezweifelt werden,
        ob Ausschreibungen das richtige Mittel sind, um die ho-
        hen Qualitätsstandards bei der Maßnahme durchzuset-
        zen. Die Anhörung hat gezeigt, dass enorme Zweifel
        darüber bestehen. Qualitätsstandards können einfach aus
        dem Internet abgeschrieben werden. Dies berichteten zu-
        mindest die Sachverständigen des Deutschen Gewerk-
        schaftsbundes und der Aktion Psychisch Kranke e. V.
        sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte
        Beschäftigung.
        Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband betont in
        seiner Informationen an den Ausschuss Arbeit und So-
        ziales, dass die Erfahrungen in der Frühförderung ge-
        zeigt hätten, „dass die Verständigung zu Rahmenemp-
        fehlungen ein sehr langwieriger Prozess sein kann und
        im Ergebnis die Empfehlungen von den jeweiligen Re-
        habilitationsträgern nur bedingt umgesetzt werden“. In-
        sofern sei es bedauerlich, dass die Bundesregierung sich
        im Rahmen des geplanten Gesetzes nur bedingt für eine
        Konkretisierung zur Qualität der Leistung entschieden
        hat.
        Um die Wahlmöglichkeiten nicht weiter einzuschrän-
        ken, kommen Bündnis 90/Die Grünen zu dem Ergebnis,
        dass vergaberechtliche Ausschreibungen hier abzuleh-
        nen sind. Diese schränken die Anzahl der Anbieter ein
        und somit letztendlich auch das Wunsch- und Wahlrecht
        behinderter Menschen. Zudem besteht die Gefahr, dass
        der billigste Anbieter ausgewählt wird. Die Qualität
        bliebe auf der Strecke.
        Finanzierung. Für die Berufsbegleitung sollen die In-
        tegrationsämter, die sich hauptsächlich aus Mitteln der
        Ausgleichsabgabe finanzieren, verantwortlich sein. Die
        allermeisten Integrationsämter haben schon jetzt erhebli-
        che finanzielle Schwierigkeiten, ihren gesetzlichen Auf-
        gaben nachzukommen. Die Unterstützte Beschäftigung
        bedeutet für sie eine zusätzliche Belastung.
        Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter
        und Hauptfürsorgestellen erklärt in ihrer Stellungnahme,
        dass Modellrechnungen von einzelnen Integrationsäm-
        tern zeigen, dass die Finanzierung der Berufsbegleitung
        – zum Beispiel Kosten der Betreuung der schwerbehin-
        derten Menschen am Arbeitsplatz und Lohnkostenzu-
        schüsse an Arbeitgeber – bundesweit rasch zweistellige
        Millionenbeträge erreichen wird.
        Bisher leiten die Integrationsämter 30 Prozent der
        Ausgleichsabgabe an den Ausgleichsfonds weiter. Nach
        Änderungen am Gesetzentwurf werden es zukünftig nur
        n
        h
        f
        n
        r
        z
        ü
        m
        d
        a
        o
        h
        r
        s
        r
        m
        S
        d
        a
        d
        P
        w
        L
        d
        d
        r
        t
        d
        U
        t
        d
        A
        s
        b
        w
        f
        B
        f
        t
        s
        n
        m
        r
        A
        m
        g
        z
        m
        G
        ü
        z
        B
        k
        L
        (C
        (D
        och 20 Prozent sein. Die Bundesagentur für Arbeit er-
        ält bislang 26 Prozent aus den Mitteln des Ausgleichs-
        onds. Nach den Änderungen am Entwurf werden es nur
        och 16 Prozent sein. Die Bundesländer forderten in ih-
        er Stellungnahme, über den Bundesrat nur 10 Prozent
        u zahlen und nur 14 Prozent an die Bundesagentur zu
        berweisen.
        Insgesamt scheint das ein Kompromiss zu sein, den
        an wohl begrüßen kann. Ob die Finanzierung damit je-
        och dauerhaft gewährleistet und ob nicht am Ende an
        nderen Instrumenten wie dem Lohnkostenzuschuss
        der den Integrationsprojekten gespart wird, darf weiter-
        in bezweifelt werden.
        Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen umfassende-
        en Ansatz zur beruflichen Teilhabe behinderter Men-
        chen. Im Sinne einer Stärkung des Wunsch- und Wahl-
        echtes müssen nach unserer Auffassung alle Menschen
        it Behinderungen – unabhängig von der Art oder
        chwere ihrer Behinderung – in die Lage versetzt wer-
        en, selbst entscheiden zu können, in welcher Form sie
        m Arbeitsleben teilhaben möchten. Entscheidend ist,
        ass sie individuell gefördert und bei Bedarf nach dem
        rinzip des Nachteilsausgleichs dauerhaft unterstützt
        erden.
        Die Finanzierung so wichtiger Instrumente wie des
        ohnkostenzuschusses, der Arbeitsplatzausstattung oder
        er Integrationsfirmen muss nachhaltig gesichert wer-
        en. Darum müssen sich mittelfristig neue Finanzie-
        ungsformen zur Ermöglichung dauerhafter Minderleis-
        ungsausgleiche entwickeln.
        Nach unserer Auffassung sollten Kostenträger sowohl
        es Minderleistungsausgleichs als auch der Formen der
        nterstützten Beschäftigung sowohl die Träger für Leis-
        ungen in Werkstätten für behinderte Menschen als auch
        ie Integrationsämter sein. Auch die Bundesagentur für
        rbeit, die nach dem Übergang des behinderten Men-
        chen vom Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbereich
        islang ihre „Trägerschaft verliert“, sollte Finanzverant-
        ortung übernehmen. Nur so fällt für die Bundesagentur
        ür Arbeit der negative Anreiz beim Übergang von dem
        erufsbildungs- in den Arbeitsbereich weg. Durch einen
        est vereinbarten Finanzschlüssel und eine klare Struk-
        urverantwortung eines Trägers kann diese Zwischenlö-
        ung so gestaltet werden, dass sie dem oder der Betroffe-
        en nicht zum Negativen gereicht. Optimal und als
        ittelfristige Perspektive ist jedoch eine Zusammenfüh-
        ung leistungsrechtlicher Vorschriften der Teilhabe am
        rbeitsleben in einem Gesetz vonnöten.
        Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        inisterium für Arbeit und Soziales: Nach den Beratun-
        en in den Ausschüssen liegt heute der Gesetzentwurf
        ur Einführung Unterstützter Beschäftigung zur Abstim-
        ung vor. Die Verabschiedung und Umsetzung dieses
        esetzes ist neben der Ratifikation der VN-Konvention
        ber die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur-
        eit das wichtigste Vorhaben, an dem wir im Bereich der
        ehindertenpolitik arbeiten. Denn, Arbeit zu haben, das
        ann man kaum oft genug betonen, ist eben mehr als nur
        ebensunterhalt sichern. Arbeit zu haben, das heißt auch
        20198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Selbstbestätigung, stolz auf das Geleistete sein zu kön-
        nen, anderen zu erzählen, was man macht, dazu zu gehö-
        ren. Wer Arbeit hat, kann sein Leben selbst in die Hand
        nehmen und gestalten. Das gilt grundsätzlich für uns alle
        und doch für Menschen mit Behinderungen in ganz be-
        sonderer Weise. Aus diesem Grund führen wir mit der
        Unterstützten Beschäftigung einen neuen Fördertatbe-
        stand ein.
        Er soll behinderten Menschen mit einem besonderen
        Unterstützungsbedarf bei der Eingliederung in eine so-
        zialversicherungspflichtige Beschäftigung helfen. Es geht
        um Personen, die von einer Ausbildung oder auch einer
        berufsvorbereitenden Maßnahme aus behinderungsbe-
        dingten Gründen überfordert, gleichwohl in einer Werk-
        statt für behinderte Menschen unterfordert wären. Für
        diesen Personenkreis wird es künftig die Unterstützte
        Beschäftigung geben.
        Bereits heute können regionale Anbieter langjährige
        und gute Erfahrungen mit Unterstützter Beschäftigung
        vorweisen. Sie zeigen, dass auch behinderte Beschäftigte
        mit einem hohen Unterstützungsbedarf dauerhaft in Be-
        trieben des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein können,
        wenn sie von allen Beteiligten die dafür erforderliche
        Unterstützung bekommen. Diese Erfolge sind für uns
        Ansporn und Motivation genug, die Unterstützte Be-
        schäftigung mit Beginn des kommenden Jahres bundes-
        weit anzubieten. Wir haben damit auch die Chance, in-
        nerhalb Europas Schrittmacher zu werden; denn auch die
        Europäische Kommission beabsichtigt, Ideen zu sam-
        meln, wie Unterstützte Beschäftigung in Europa geför-
        dert werden kann.
        Wir wollen damit auch erreichen, dass mehr behin-
        derte Menschen als bislang ihren Lebensunterhalt außer-
        halb von Werkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
        verdienen können – gemeinsam mit nicht behinderten
        Menschen. Die Vorarbeiten sind in enger Zusammenar-
        beit mit den Verbänden behinderter Menschen erfolgt.
        Ich bin deshalb davon überzeugt, dass wir ein praxis-
        taugliches Instrument entwickelt haben, das Menschen
        mit Behinderung und Arbeitgeber konkret an ihren
        Bedürfnissen abholt. Wir wollen und wir werden einen
        realistischen und Erfolg versprechenden Weg in den all-
        gemeinen Arbeitsmarkt und in sozialversicherungs-
        pflichtige Beschäftigung weisen.
        Auch die Zusammenarbeit mit den Ländern war eng
        und konstruktiv, nicht zuletzt die Einigung bei der Neu-
        verteilung der Ausgleichsabgabe zeigt das. Künftig wer-
        den die Integrationsämter der Länder 80 statt wie bisher
        70 Prozent des Aufkommens an der Ausgleichsabgabe
        erhalten. Der Anteil der Bundesagentur für Arbeit sinkt
        daher von bisher 26 auf künftig 16 Prozent. Das ist sinn-
        voll, weil die Bundesagentur für Arbeit seit Einführung
        des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht mehr für
        alle arbeitslosen schwerbehinderten Menschen zuständig
        ist. Den Integrationsämtern der Länder hingegen werden
        durch die Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstütz-
        ten Beschäftigung Mehrkosten entstehen. Die Neuvertei-
        lung stellt also sicher, dass die Unterstützte Beschäfti-
        gung von Anfang an auch finanziell auf einem festen
        Fundament steht.
        s
        d
        m
        z
        ß
        d
        A
        w
        2
        M
        G
        m
        s
        v
        d
        g
        v
        s
        d
        n
        l
        r
        s
        w
        a
        m
        t
        d
        S
        a
        je
        a
        G
        li
        s
        s
        F
        v
        w
        d
        k
        s
        d
        m
        l
        g
        (C
        (D
        Zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung Unter-
        tützter Beschäftigung hat am vergangenen Mittwoch
        ie Anhörung stattgefunden. Diese hat bestätigt, dass wir
        it dem Gesetzentwurf ein gutes, praxistaugliches Kon-
        ept vorgelegt haben. Das zeigten insbesondere die Äu-
        erungen der Sachverständigen, die bereits heute nach
        em Konzept der Unterstützten Beschäftigung arbeiten.
        nlage 18
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
        setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes
        für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-
        punkt 35)
        Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Endlich
        ird nun umgesetzt, was dem Transportgewerbe schon
        003 bei der Beschlussfassung über die Einführung der
        aut versprochen wurde. Es ist höchste Zeit für diese
        esetzesänderung. Die deutschen Spediteure kämpfen
        omentan besonders hart ums Überleben. Mit der Zu-
        timmung zu diesem Gesetz gewähren wir ihnen das
        olle Harmonisierungsvolumen von 600 Millionen Euro,
        as wir ihnen 2003 versprochen haben.
        Warum erst jetzt? Das Verkehrsministerium hätte den
        anzen Vorgang beschleunigen müssen. Es hätte intensi-
        er daran arbeiten müssen. Jedoch ganz mutwillig ge-
        chah diese Verzögerung nicht. Die Verzögerung ist auch
        er Tatsache geschuldet, dass die Harmonisierung in ei-
        er Form geschehen musste, die die EU-Kommission to-
        erieren konnte.
        Der erste Versuch bestand darin, dass die Mautgebüh-
        en den deutschen Spediteuren teilweise erstattet werden
        ollten. Die EU-Kommission lehnte jedoch diese teil-
        eise Erstattung der Mautgebühren als Diskriminierung
        b. Alternativ entwickelte die Bundesregierung zusam-
        en mit den Verbänden ein sogenanntes Mautbonussys-
        em mit einem Volumen von 350 Millionen Euro. Auch
        ieses lehnte die EU-Kommission ab, genauso wie sie
        teuersparmodelle und günstige Abschreibungsmodelle
        blehnte.
        Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben immer und zu
        der Zeit auf der vollen Harmonisierung bestanden. Weil
        ber eine volle Harmonisierung aus den verschiedensten
        ründen scheiterte, haben wir seinerzeit dem ursprüng-
        ch versprochenen Mautsatz von 15 Cent nicht zuge-
        timmt und auf einem reduzierten Satz von 12,4 Cent be-
        tanden. Dieser verminderte Mautsatz war immer unser
        austpfand. Und für uns war immer klar, nur bei einer
        ollen Harmonisierung in Höhe von 600 Millionen Euro
        erden wir erst einer Mauterhöhung zustimmen. Bei
        ieser Absenkung des Mautsatzes von 15 auf 12,4 Cent
        onnte man aus europarechtlichen Gründen die ausländi-
        chen Transportunternehmer leider nicht ausnehmen, so-
        ass diese auch von der Absenkung profitierten. Das
        ussten wir in Kauf nehmen. Erst 2007 konnte schließ-
        ich die Kfz-Steuer gesenkt und ein Innovationspro-
        ramm aufgelegt werden. Beide Maßnahmen bedeuteten
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20199
        (A) )
        (B) )
        für das Gewerbe eine Unterstützung von 250 Millionen
        Euro pro Jahr.
        Es fehlten noch 350 Millionen Euro. Heute wollen
        wir diesem Gesetz zustimmen und damit die versproche-
        nen 600 Millionen Euro pro Jahr für das Gewerbe voll-
        machen. Endlich ist ein Weg gefunden, den die EU-
        Kommission nicht mehr beanstanden kann.
        Die Bundesregierung wird das „Harmonisierungspa-
        ket“ mit Kleinbeihilfen, sogenannten De-minimis-Beihil-
        fen, und einem Förderprogramm für Aus- und Weiterbil-
        dung ergänzen. Die Verbände hatten deutlich gemacht,
        dass die Unternehmen nicht nur für Investitionen Unter-
        stützung benötigen, sondern vor allem auch bei den lau-
        fenden Ausgaben. Wir haben dann also vier Säulen, auf
        denen die Harmonisierung ruht: die Kfz-Absenkung, das
        Innovationsprogramm bis Ende September 2009, die
        Kleinbeihilfen und das Förderprogramm für Aus- und
        Weiterbildung.
        Für die Kleinbeihilfen ist keine Anzeige und keine
        Genehmigung der Europäischen Kommission erforder-
        lich. Europarechtlich bedeutet es also kein Risiko. Ge-
        fördert werden die Bereiche Qualifizierung, Beschäfti-
        gung, Sicherheit und Umwelt. Wenn also ein Fahrer eine
        Fortbildung zum Gabelstaplerfahrer macht oder wenn er
        mit der neuesten Sicherheitstechnik umzugehen lernt,
        wird dies zu 100 Prozent bezuschusst werden, genauso
        wie der Einbau der erwähnten Sicherheitstechnik bezu-
        schusst wird. Aber dies ist nur bis zu einer Höchstgrenze
        von 33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr möglich.
        Mehr lässt die EU nicht zu. Für große Unternehmen mit
        einem großen Fuhrpark ist diese Höchstgrenze von
        33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr natürlich nicht
        ausreichend. Deshalb wurde nach einem Ausgleich ge-
        sucht, und man hat ihn in der zusätzlichen Förderung
        von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gefunden. Die
        Förderung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist
        damit die vierte Harmonisierungssäule neben abgesenk-
        ter Kfz-Steuer, dem Innovationsprogramm und den
        Kleinbeihilfen.
        Für diese Art der Förderung ist eine Anzeige bei der
        Europäischen Kommission erforderlich, aber keine Ge-
        nehmigung. Im Gegensatz zu den Kleinbeihilfen sind
        nach der Verordnung für Ausbildungsbeihilfe nur be-
        stimmte Kosten förderfähig, und diese auch nur mit ei-
        nem bestimmten Prozentsatz.
        Vorstellbar ist, dass neben diesem Fördergeld für
        Aus- und Weiterbildung im De-minimis-Katalog ein zu-
        sätzliches Förderungsprogramm für Aus- und Weiterbil-
        dung aufgelegt wird. Die Unternehmen könnten dann
        wählen, welche Art der Förderung sie wählen. Kleinere
        Unternehmen würden voraussichtlich die Aus- und Wei-
        terbildungskosten über De-minimis fördern lassen. Un-
        ternehmen, die die Förderhöchstbeträge bei De-minimis
        erreicht haben, könnten für Aus- und Weiterbildungskos-
        ten zusätzlich Zuschüsse über ein gesondertes Fortbil-
        dungsbeihilfeprogramm erhalten.
        Da die Unternehmen individuell entscheiden können,
        ob und in welchem Maße sie von den drei Maßnahmen
        – Innovationsprogramm, Kleinbeihilfen, Förderprogramm
        f
        m
        p
        t
        m
        4
        M
        v
        S
        G
        d
        v
        f
        b
        g
        w
        v
        w
        f
        n
        Ä
        w
        f
        d
        G
        d
        T
        f
        S
        f
        M
        a
        a
        w
        T
        w
        d
        R
        N
        e
        g
        a
        m
        t
        l
        d
        g
        b
        F
        w
        S
        F
        l
        w
        s
        (C
        (D
        ür Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – Gebrauch
        achen, sind die konkreten Harmonisierungsvolumina
        ro Jahr nicht exakt vorhersehbar. Das wird berücksich-
        igt, indem die Beträge zwischen den einzelnen Maßnah-
        en flexibel gestaltet werden. Das Gesetz sagt also, dass
        50 Millionen Euro von den Mauteinnahmen für diese
        aßnahmen verwendet werden dürfen, aber nicht, wie
        iel für die einzelne Maßnahme. Diese Flexibilität macht
        inn.
        Aber lassen wir uns nicht täuschen: Mit dem heutigen
        esetz bestimmen wir nur, dass die Mauteinnahmen für
        ie eben beschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen
        erwendet werden dürfen. Das Gesetz sagt also, wir dür-
        en das Geld für Kleinbeihilfen sowie Aus- und Weiter-
        ildung verwenden. Das Gesetz sagt aber nicht, wie dies
        enau geschehen soll. Was also unbedingt ausgearbeitet
        erden muss, ist ein verbindlicher Katalog, aus dem her-
        orgeht, wie diese Mauteinnahmen konkret verwendet
        erden sollen.
        Auch hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf nicht
        estgelegt, welche Institution die Harmonisierungsmaß-
        ahmen durchführen soll. Dies ändern wir mit unserem
        nderungsantrag. Das Bundesamt für Güterverkehr,
        elches auch schon das Innovationsprogramm sehr er-
        olgreich koordiniert, ist hierfür der ideale Partner. Mit
        em Änderungsantrag geben wir dem Bundesamt für
        üterverkehr die gesetzliche Ermächtigung hierfür an
        ie Hand.
        Nun klingt das alles sehr gut und so, als ob sich das
        ransportgewerbe nun auf die volle Harmonisierung
        reuen könnte. Das ist auch so; aber das ist nur die eine
        eite der Medaille. Denn diese Ausgaben müssen auch
        inanziert werden. Womit ich zur Erhöhung der Lkw-
        aut komme.
        Dies ist nicht das Thema der heutigen Entscheidung,
        ber es hängt unmittelbar damit zusammen. Ich will
        uch nicht noch einmal die Diskussion eröffnen. Aber
        ir dürfen nicht übersehen, welcher Belastung das
        ransportgewerbe mit der Erhöhung der Maut ausgesetzt
        ird. Wir als Bundestag waren formell bei der Erhöhung
        er Maut nicht unmittelbar beteiligt, da die Maut im
        ahmen einer Regierungsverordnung erhöht wird.
        ichtsdestotrotz haben wir in unserer Fraktion die Maut-
        rhöhung stets kritisch gesehen und dies natürlich auch
        eäußert, und zwar in einer Reihe von Gesprächen, die
        uf informeller Arbeitsebene stattgefunden haben. Zu-
        indest konnten wir auf diese Art und Weise noch wei-
        er führende Erhöhungen, wie zum Beispiel die Staffe-
        ung der Mauthöhe nach Strecke, verhindern.
        Und wir haben erreicht – darüber bin ich sehr froh –,
        ass die Mehreinnahmen durch die Erhöhung voll und
        anz in die Verkehrsinfrastruktur fließen. Ich persönlich
        in der Ansicht, dass der bisherige Schlüssel bzw. die
        estlegung, dass die Einnahmen aus der Maut nur über-
        iegend – 51 Prozent sind dann überwiegend – in die
        traßeninfrastruktur fließt, geändert werden sollte. Diese
        estlegung ist bei der Einführung der Maut im Vermitt-
        ungsverfahren mit den Ländern von diesen durchgesetzt
        orden. Denn ich bin überzeugt, dass die Maut und be-
        onders die Erhöhung der Maut leichter akzeptiert wür-
        20200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        den, wenn wir den Unternehmern sagen könnten: Ja, ihr
        müsst mehr bezahlen, und ja, es ist belastend. Aber,
        schaut her, das Geld fließt voll und ganz in die Straße zu-
        rück. Es wird nicht für die Wasserstraße oder die Schiene
        verwendet, sondern es wird für mehr Parkplätze verwen-
        det und für intelligente Verkehrsleitsysteme, die Stau
        vermeiden helfen. Und vor allem wird es für den Ausbau
        und den Erhalt der Straße verwendet. – Wir müssen da-
        rauf hinarbeiten, dass das Geld ausschließlich denen zu-
        gute kommt, die auch zahlen müssen.
        Heute geht es aber nicht um diese Frage, sondern aus-
        schließlich um die bisher bestehende Lücke von
        350 Millionen Euro bei den Harmonisierungsmaßnah-
        men. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben uns immer da-
        für eingesetzt und nie diesen Weg aufgegeben. Es hat
        lange gedauert, aber heute sind nun die 600 Millionen
        Euro, wie versprochen, erreicht. Nur unter dieser Bedin-
        gung waren wir, wenn auch schweren Herzens wegen
        der schwierigen Situation des Transportgewerbes, bereit,
        eine Mauterhöhung zu akzeptieren.
        Wir, die CDU/CSU-Fraktion, bitten um Zustimmung
        zu unserem Änderungsantrag und stimmen natürlich
        dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Autobahnmaut-
        gesetzes für schwere Nutzfahrzeuge in der dann geän-
        derten Form zu.
        Uwe Beckmeyer (SPD): Selten hat der Bundestag
        die Gelegenheit, bei einem Gesetzesvorhaben Hand an-
        zulegen, mit dem gleich so viele vorrangige Ziele dieser
        Koalition in so vorbildlicher Weise umgesetzt werden.
        Und angesichts der breiten Zustimmung gestern im Ver-
        kehrsausschuss des Hauses kann ich wohl auch behaup-
        ten, dass dies der Bundestag offensichtlich in seiner gro-
        ßen Mehrheit auch so sieht.
        Lassen Sie mich kurz darlegen, warum wir für uns in
        Anspruch nehmen können, mit diesem Zweiten Gesetz
        zur Änderung des Autobahnmautgesetzes die berühmten
        „Sieben auf einen Streich“ erreicht zu haben. Als Ver-
        kehrspolitiker muss ich natürlich die herausragende Be-
        deutung der hier vorliegenden Weiterentwicklung der
        Lkw-Maut für das A und O von Verkehr – nämlich der
        Verkehrsinfrastruktur – hervorheben. Für 2009 steht uns
        damit fast 1 Milliarde Euro aus der Lkw-Maut zusätzlich
        für notwendige Investitionen zur Verfügung. Für den
        Finanzplanungszeitraum bis 2012 werden es immer noch
        durchschnittlich circa 700 Millionen pro Jahr sein. Wie
        dringend dieses Geld benötigt wird, kann sicher jeder
        Wahlkreisabgeordnete leicht nachvollziehen.
        Als sozialdemokratischer Verkehrspolitiker liegt mir
        die damit verbundene Schaffung und Sicherung von Ar-
        beitsplätzen besonders am Herzen; denn der Logistik-
        sektor bildet mit heute 2,6 Millionen unmittelbar in die-
        sem Bereich Beschäftigten einen der größten und sich
        am dynamischsten entwickelnden Arbeitsmärkte Deutsch-
        lands.
        Als wirtschaftspolitisch orientierter Verkehrspolitiker
        weiß ich, welche Bedeutung die Transportwege für den
        exportorientierten Wirtschaftsstandort Deutschland ha-
        ben. Nur mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruk-
        t
        a
        V
        H
        n
        d
        d
        s
        z
        z
        b
        w
        R
        v
        f
        b
        u
        s
        k
        N
        e
        w
        l
        d
        W
        g
        z
        a
        z
        i
        d
        m
        i
        w
        j
        d
        r
        s
        d
        g
        g
        D
        t
        n
        v
        m
        k
        t
        e
        d
        –
        w
        v
        (C
        (D
        ur kann Deutschland den Titel des Exportweltmeisters
        uch weiterhin erfolgreich verteidigen.
        Daran nahtlos anschließend darf ich als maritimer
        erkehrspolitiker auf den dringenden Ausbaubedarf der
        afenhinterlandanbindungen hinweisen, die nicht zu ei-
        em Flaschenhals des Im- und Exporthandels werden
        ürfen.
        Als umweltbewusster Verkehrspolitiker begrüße ich
        ie weitere Spreizung der Mautsätze je nach den unter-
        chiedlichen Schadstoffklassen der Fahrzeuge. Mit der
        ukünftig 100-prozentigen Spreizung – statt bisher 50-pro-
        entig – werden schadstoffarme Lkw dann noch stärker
        egünstigt und schadstoffintensivere stärker belastet. Wie
        irkungsvoll dieses Instrumentarium ist, hat schon die
        eaktion des Transportgewerbes bis heute bewiesen. Das
        on uns aufgelegte Innovationsprogramm zur Anschaf-
        ung von Euro-5-Fahrzeugen war in Windeseile ausge-
        ucht, sodass wir die ursprünglichen 100 Millionen Euro
        m weitere 78 Millionen aufstocken mussten. Der Ein-
        atz emissionsarmer Fahrzeuge wird sich durch die stär-
        ere Spreizung zukünftig noch dynamischer entwickeln.
        ur so kann es uns gelingen, beim Güterverkehr – trotz
        rheblicher Wachstumsquoten jedes Jahr – auch den not-
        endigen Klimaschutzbeitrag zu leisten.
        Als ein den Wettbewerb befürwortender Verkehrspo-
        itiker freut es mich besonders, dass es uns gelungen ist,
        er Festlegung des Koalitionsvertrages entsprechend,
        ettbewerbsnachteile des deutschen Transportgewerbes
        egenüber seinen internationalen Konkurrenten mit dem
        ugesagten Volumen von 600 Millionen Euro pro Jahr
        uszugleichen. Welche Schwierigkeiten dabei in Brüssel
        u überwinden waren, ist allen Beteiligten schmerzhaft
        n Erinnerung.
        Als ordnungspolitischer Verkehrspolitiker halte ich
        ie sachgerechte Anlastung der Wegekosten und die da-
        it verbundene angemessen nutzerfinanzierte Verkehrs-
        nfrastruktur für wünschenswert. Deshalb war es not-
        endig, das Wegekostengutachten aus dem Jahr 2002
        etzt aktuell fortzuschreiben. Nur mit dieser Anpassung
        er Maut und der Mautsätze ist es möglich, dem schwe-
        en Lkw auch zukünftig die von ihm verursachten tat-
        ächlichen Wegekosten anzulasten.
        Dem dramaturgisch weit über das Ziel hinausschießen-
        en „Aufschrei“ des betroffenen Gewerbes darf ich ent-
        egenhalten, dass für einen Euro-5-Lkw eine Kostenstei-
        erung von 14 Cent oder 7 Prozent nächstes Jahr ansteht.
        iese 7 Prozent müssen in Relation zu einen Kostenan-
        eil von 6,8 Prozent der kilometerbezogenen Straßenbe-
        utzungsgebühren bei der Kostenstruktur im Güterkraft-
        erkehr insgesamt gesetzt werden. Also eine sehr
        oderate Anhebung von unter 0,5 Prozent und nicht die
        olportierten 40 Prozent!
        Außerdem wurde bei aller Kritik am neuen Wegekos-
        engutachten 2007, das beim hier vorliegenden Gesetz-
        ntwurf Berücksichtigung fand, einfach ignoriert, dass
        arin diverse Besserstellungen für den schweren Lkw
        gegenüber den bisherigen Annahmen – eingearbeitet
        urden. So kommt die Veränderung des Verhältnisses
        on höheren Zinsen zu niedrigeren Abschreibungen dem
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20201
        (A) )
        (B) )
        Lkw genauso zugute wie die Erkenntnis, dass der Ein-
        fluss schwerer Achsübergänge einen geringeren Ver-
        schleiß von Deck- und Binderschichten der Autobahnen
        hat. Auch die Ausdifferenzierung in mittlere und schwere
        Lkw mit der entsprechenden Kostenanlastung beim mitt-
        leren Lkw und die nach oben korrigierte Schätzung der
        Fahrleistung von Pkw senken die spezifischen Mautkos-
        ten der Lkw. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen und
        gehört der Redlichkeit halber mit erwähnt.
        Abschließend möchte ich noch eine kurze Bemerkung
        zum Verhandlungsverlauf zwischen Bund und den Län-
        dern machen. Es entbehrt nicht einer gewissen Schizo-
        phrenie, wenn einzelne Länder einen hohen Ausgabestau
        bei den Verkehrsinvestitionen beklagen, eine Mittelauf-
        stockung durch den Bund vehement fordern und gleich-
        zeitig dem Bund aber die entsprechenden Einnahmen
        verweigern wollen. In unserem gemeinsamen Interesse
        an einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur wurde
        diese Widersprüchlichkeit letztendlich doch überwun-
        den.
        Jan Mücke (FDP): Das deutsche Transportgewerbe
        kann im europäischen Wettbewerb nur schwer bestehen.
        Dies liegt mitnichten an seiner mangelnden Leistungsfä-
        higkeit. Vielmehr ist es im Vergleich zu Unternehmen
        aus dem europäischen Ausland deutlich stärker von der
        hiesigen hohen Steuer- und Abgabenlast betroffen. Diese
        setzt sich aus der absurden Mineralölsteuer ebenso zu-
        sammen wie aus den enormen Sozialabgaben für die Be-
        schäftigten. Die Einführung einer Lkw-Maut auf Bun-
        desautobahnen würde diese Situation noch zusätzlich
        verschärfen. Um dies abzuwenden, hat die damalige
        Bundesregierung im Jahre 2003 dem Gewerbe zugesagt,
        einen Ausgleich in Form eines jährlichen Harmonisie-
        rungsvolumens in Höhe von 600 Millionen Euro zu
        schaffen. Ende 2008 – ganze fünf Jahre später – vermag
        die Bundesregierung endlich ein Programm vorzulegen,
        das den Ausgleich in voller Höhe bringen soll. Bezahlen
        soll es das Gewerbe jedoch ganz überwiegend selbst.
        Der debattierte Gesetzentwurf sieht vor, dass die in die-
        sem Rahmen geplanten Beihilfeprogramme ausschließ-
        lich aus Mauteinnahmen gespeist werden. Mit anderen
        Worten: Die Spediteure finanzieren die Harmonisierung
        selbst: eine Entlastung nach Machart der Großen Koali-
        tion.
        Mit der Einführung der Lkw-Maut sollten zusätzliche
        Mittel akquiriert werden, um mehr der vielerorts drin-
        gend notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen
        realisieren zu können. Mit Zunahme der Mauteinnahmen
        hat die Koalition jedoch kontinuierlich die allgemeinen
        Haushaltmittel gekürzt. Dies führte dazu, dass unter
        Schwarz-Rot – trotz Maut – weniger in Bundesfernstra-
        ßen investiert wurde als zuvor unter Rot-Grün. Von zu-
        sätzlichem Geld für zusätzliche Projekte kann daher seit
        langem keine Rede mehr sein. Der Bund stiehlt sich seit
        Jahren zunehmend aus seiner Verantwortung.
        Hinzukommen soll eine weitere Kürzung der für In-
        vestitionen zur Verfügung stehenden Mittel, wenn der
        Bund sich nun auch zur Finanzierung der Beihilfepro-
        gramme aus dem Mauttopf bedient. Minister Tiefensee
        s
        g
        1
        G
        b
        e
        a
        A
        Ü
        i
        S
        z
        s
        s
        f
        g
        z
        m
        M
        n
        r
        i
        M
        n
        2
        r
        s
        f
        A
        d
        c
        d
        s
        l
        e
        b
        p
        n
        w
        c
        g
        d
        m
        d
        T
        a
        d
        m
        M
        k
        l
        n
        m
        g
        (C
        (D
        traft sich mit diesem Schritt ein weiteres Mal selbst Lü-
        en, wenn er behauptet, die Mauteinnahmen würden zu
        00 Prozent Infrastrukturprojekten zugutekommen.
        Nach dem Änderungsantrag wird das Bundesamt für
        üterverkehr mit der Bearbeitung der Beihilfeanträge
        etraut. Es ist erfreulich, dass die Koalition damit einen
        rsten Schritt macht, das Bewilligungsverfahren näher
        uszugestalten. Aber es ist eben nur der erste Schritt.
        nsonsten besteht momentan noch allerorts Unklarheit.
        ber den Inhalt der zu erarbeitenden Förderrichtlinien
        st ebenso noch nichts Greifbares bekannt wie über den
        tarttermin. Der 1. Januar 2009 ist angesichts der Viel-
        ahl noch offener Fragen jedenfalls äußerst unwahr-
        cheinlich.
        Ebenso unverantwortlich wie durchsichtig ist die Ent-
        cheidung der Koalition, die für die Bewältigung dieser
        ür das Bundesamt für Güterverkehr zusätzlichen Auf-
        abe notwendigen Stellen erst in den Haushalt 2010 ein-
        ustellen. Diese werden ebenfalls aus den Mauteinnah-
        en bezahlt. Das heißt aber zugleich, dass auch diese
        ittel für Investitionen fehlen. Der Minister könnte sich
        och seltener mit dem Spaten in der Hand vor die Kame-
        as stellen und müsste stattdessen erklären, warum trotz
        mmenser Mauterhöhung und existenzgefährdenden
        ehrbelastungen kein spürbarer Anstieg der Investitio-
        en zu verzeichnen ist, ein Umstand, den es im Wahljahr
        009 unbedingt zu verhindern gilt.
        Stattdessen sollen nach Aussage des Bundesministe-
        iums im Jahr 2009 die Anträge von 79 befristet Be-
        chäftigten bearbeitet werden. Deren Finanzierung er-
        olgt im Haushalt an versteckter Stelle und wird keine
        uswirkungen auf die Höhe der zur Verfügung stehen-
        en Investitionsmittel haben. Jedoch bringt sie zweifa-
        he Einarbeitungszeiten und eine deutliche Reduzierung
        er Effektivität der Verwaltung mit sich. Zudem er-
        cheint angesichts der 100 000 erwarteten Anträge jähr-
        ich die Zahl der Bearbeiter äußerst gering. Auf jeden
        inzelnen entfallen 1 266 Anträge. Es steht konkret zu
        efürchten, dass sich die Anträge beim Bundesamt sta-
        eln werden – ein Vorgang, der der Bundesregierung
        icht unbekannt ist. Auch beim Luftfahrt-Bundesamt
        ar und ist eine deutlich zu dünne Personaldecke Ursa-
        he für anhaltend lange Bearbeitungszeiten von Flug-
        astbeschwerden. Noch 2008 wurden Beschwerden aus
        en Jahren 2005 und 2006 bearbeitet. Die Koalition
        acht gerade den gleichen Fehler noch einmal und wird
        as gleiche Resultat erzielen. Leidtragende wären die
        ransportunternehmer.
        Für die FDP sind gleiche Wettbewerbsbedingungen
        uf dem europäischen Binnenmarkt entscheidend. Aus
        iesem Grund begrüßt sie die Harmonisierungsmaßnah-
        en zugunsten des deutschen Gewerbes. Dass es diese
        aßnahmen letztlich dann doch selbst bezahlen soll,
        onterkariert diese Absicht. Wir werden daher den vor-
        iegenden Gesetzentwurf ablehnen.
        Lutz Heilmann (DIE LINKE): Die Lkw-Maut für ei-
        en 40-Tonner kostet zwischen 60 und 82 Cent pro Kilo-
        eter. Sie gilt auf dem gesamten Straßennetz. Und sie
        ilt für alle Lkw ab 3,5 Tonnen. Dass ist weder eine öko-
        20202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        logische Wunschvorstellung noch eine Horrorvision.
        Das ist schlicht Realität. Natürlich nicht in Deutschland,
        sondern in der Schweiz. In Deutschland kostet die Lkw-
        Maut für große Lkw derzeit zwischen 11 und 15,5 Cent
        pro Kilometer. Nach langem Hickhack haben sich Bund
        und Länder nun zum Glück darauf geeinigt, dass die
        Maut nächstes Jahr erhöht werden kann. Sie kostet dann
        für große Lkw zwischen 15,5 und 28,7 Euro.
        Das Niveau der deutschen Lkw-Maut liegt dann nicht
        mehr nur bei einem Sechstel, sondern bei einem Viertel
        der Schweizer Lkw-Maut. Trotzdem wurde und wird so
        getan, als ob Deutschland deswegen kurz vor dem wirt-
        schaftlichen Kollaps steht. Die Schweiz ist aber nun
        wahrlich kein wirtschaftliches Krisenland. Ich glaube,
        das werden auch diejenigen nicht behaupten, die gegen
        die Mauterhöhung sind.
        Natürlich freut sich die verladende Wirtschaft nicht,
        wenn die Transportkosten steigen. Auf die Endpreise
        wirkt sich aber selbst die Schweizer Maut nur minimal
        aus. Um ganze 0,5 Prozent ist das Preisniveau dort ge-
        stiegen. Das ist verkraftbar, meine ich.
        Bei all dem geht es ja nicht darum, ohne Sinn und
        Verstand die Spediteure zu schikanieren. Es geht doch
        darum, dass die Wegekosten angelastet werden. Das,
        was der Bau der Straßen gekostet hat, und das, was Lkw
        zu deren Abnutzung beitragen, sollen Lkw auch bezah-
        len. Dass der Widerstand gegen die Mauterhöhung und
        damit gegen dieses Prinzip ausgerechnet aus der Wirt-
        schaft und ihrem Sprachrohr, der FDP, kommt, verwun-
        dert doch sehr. Das klingt mir doch sehr nach Autobahn-
        sozialismus. Dabei war die Tatsache, dass ausländische
        Lkw früher umsonst die Autobahnen befahren durften
        und nicht in Deutschland tankten, ein Grund dafür, dass
        die Einführung der Lkw-Maut eine breite gesellschaftli-
        che Zustimmung erfahren hat. Nun müssen sich auch
        ausländische Lkw an den Wegekosten im „Transitland
        Nr. 1“ beteiligen. Mit der Mauterhöhung steigt der Bei-
        trag ausländischer Lkw zur Finanzierung deutscher Ver-
        kehrsinvestitionen.
        Zusammen mit der Mautkompensation – und nur um
        die geht es bei diesem Gesetz ja – wird aus der Lkw-
        Maut ein Wettbewerbsvorteil für deutsche Spediteure
        oder vielmehr ein Abbau bestehender Wettbewerbsnach-
        teile. Deswegen stimmen wir diesem Gesetz zu. Dieser
        Abbau bestehender Wettbewerbsnachteile lässt sich ge-
        nau beziffern. Er beträgt ab nächstem Jahr 600 Millionen
        Euro im Jahr, bislang sind es nur 250 Millionen Euro.
        Dieser Zusammenhang ist natürlich allen bekannt, die
        sich mit der Lkw-Maut befassen. Umso erstaunlicher
        finde ich es, dass dies in der öffentlichen Diskussion um
        die Mauterhöhung so gut wie keine Rolle gespielt hat.
        Und umso ärgerlicher finde ich es, dass die 350 Millio-
        nen Euro mehr von der Spediteurslobby nicht gewürdigt
        werden. Die Forderung, diese nicht aus der Lkw-Maut,
        sondern aus dem Haushalt zu finanzieren, halte ich für
        unverschämt. Das kommt einer Aufkündigung des
        Mautkompromisses gleich. Denn nur weil die Bundesre-
        gierung unsägliche fünf Jahre für eine EU-konforme Re-
        gelung zur Kompensation der nationalen Spediteure ge-
        braucht hat, nur deswegen lag doch die durchschnittliche
        M
        W
        d
        d
        N
        S
        k
        r
        s
        M
        b
        z
        s
        S
        g
        a
        w
        g
        m
        E
        –
        s
        m
        s
        r
        m
        M
        a
        k
        m
        2
        2
        g
        1
        1
        r
        g
        d
        r
        5
        z
        z
        c
        g
        m
        d
        d
        I
        h
        m
        h
        z
        (C
        (D
        authöhe um 1,5 Cent unter den 15 Cent, die das alte
        egekostengutachten errechnet hatte.
        Die nun beschlossene Mauterhöhung geht zu mehr als
        er Hälfte auf den Mautkompromiss zurück. Dieser Teil
        er Mauterhöhung bedeutet deswegen nicht nur keinen
        achteil, sondern sogar einen Vorteil für die nationalen
        pediteure, wie ich eben ausgeführt habe.
        Nur die weiteren 1,3 Cent gehen auf das neue Wege-
        ostengutachten zurück. Und da hat die Bundesregie-
        ung schon 0,7 Cent herausgerechnet, damit der Mautan-
        tieg nicht ganz so abrupt ausfällt. Der Anstieg der
        authöhe ist allerdings immer noch recht drastisch. Ich
        egrüße zwar, dass die Maut für EURO-III-Lkw nun in
        wei Stufen erhöht wird. Besser wäre allerdings gewe-
        en, die Maut für alle Emissionsklassen in zwei oder drei
        tufen anzuheben. Das wäre umweltpolitisch vertretbar
        ewesen, hätte die abrupte Preissteigerung aber etwas
        bgemildert. Das wollte der Bund anscheinend nicht,
        eil er die Einnahmen bereits verplant hat.
        Apropos Einnahmen: Mit den Rechenkünsten der Re-
        ierung ist es nicht weit her. Der Bund-Länder-Kompro-
        iss zur Mauthöhe soll angeblich nicht zu niedrigeren
        innahmen führen. Nun ja. Für etwa 50 Prozent der Lkw
        die EURO-III-Lkw – wird die Maut um 2 Cent ge-
        enkt. Für die anderen 50 Prozent soll die Maut 0,1 Cent
        ehr betragen. Dass die Einnahmen da gleich bleiben
        ollen, können Sie nicht einmal einem Grundschüler ein-
        eden.
        2009 und 2010 hätte man auf einen Teil der Einnah-
        en verzichten können. Dafür hätte man ab 2012 die
        aut und damit die Einnahmen weiter erhöhen können,
        ls es nun vorgesehen ist. Das hätte auch einen relativ
        onstanten Einnahmefluss zur Folge. Nun kommt es zur
        erkwürdigen Entwicklung, dass die Maut 2009 und
        011 die höchsten Einnahmen bringen wird, diese ab
        012 kontinuierlich sinken werden. Dabei sagt das We-
        ekostengutachten klar, dass die Maut 2012 von 17 auf
        8 Cent steigen müsste. Jetzt werden es 2009 eher 18 bis
        9 Cent, die erst in einigen Jahren auf die von der Regie-
        ung genannten 16,3 Cent absinken werden, wenn es ei-
        entlich 18 sein müssten. Das macht keinen Sinn.
        Umweltpolitisch wäre ein etwas langsamerer Anstieg
        er Maut zu verkraften gewesen. Die Anreize zur Um-
        üstung älterer Lkw wären ausreichend gewesen. Aber
        0 Prozent der Lkw-Flotte kann man nicht mal eben in
        wei Monaten alle mit einem Partikelfilter ausstatten,
        umal es auch noch nicht für alle Fahrzeugmodelle sol-
        he Filter gibt; zum Glück aber für die meisten. Ich be-
        rüße, dass der Einbau eines Partikelfilters aus dem De-
        inimus-Programm gefördert werden soll. Dafür schafft
        ieses Gesetz die rechtliche Grundlage. Ein Grund mehr,
        iesem zuzustimmen.
        Winfried Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ch begrüße, dass der Bundesrat am Freitag die Mauthö-
        everordnung beschlossen und damit den Weg frei ge-
        acht hat für eine stärkere Mautspreizung und eine Er-
        öhung der Einnahmen, die der Verkehrsinfrastruktur
        ugutekommen werden. Es freut mich besonders, dass in
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20203
        (A) )
        (B) )
        letzter Minute auch Roland Koch für die Mauterhöhung
        gestimmt hat, denn die Haltung vieler Bundesländer
        habe ich als unehrlich empfunden. Da wird immer wie-
        der eine Erhöhung der Verkehrsinvestitionen eingefor-
        dert und gleichzeitig gegen die Mauterhöhung gewettert.
        Das ging logisch nicht zusammen, und Roland Koch hat
        das am Ende auch noch gemerkt.
        Das vorliegende Gesetz schafft die Möglichkeit, deut-
        sche Lkw-Spediteure im Vergleich zur ausländischen
        Konkurrenz um 600 Millionen Euro zu entlasten. Damit
        wird der Mautkompromiss von 2003 eingelöst. Die För-
        derung von Umweltschutz und Sicherheit, die darüber
        möglich wird, ist sinnvoll und sehr zu begrüßen. So ist
        es zum Beispiel mit den De-minimis-Beihilfen auch
        möglich, die Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern geför-
        dert zu bekommen. Leider hat der Bundesrat den Anreiz
        für die Nachrüstung von Euro-III-Lkw gerade gesenkt.
        Aber – das sage ich auch an die Adresse der Spediteure –
        die nächste Mauterhöhung kommt bestimmt. Es wäre
        daher falsch, auf die Nachrüstung zu verzichten, mit der
        Lkw in die Euro-IV-Mautstufe aufsteigen. Dies trägt
        zum Werterhalt der Lkw bei und zum Umweltschutz.
        Es ist bekannt, dass uns die Mauterhöhung nicht weit
        genug geht. Wir sind für eine Ausweitung der Maut in
        einem ersten Schritt auf alle fernverkehrsrelevanten
        Bundesstraßen und auf Lkw ab 3,5 Tonnen, wie es in Öster-
        reich und in vielen anderen Ländern längst Standard ist.
        Im Rahmen der Verhandlungen über die neue Euro-
        vignettenrichtlinie sollte sich die Bundesregierung für
        eine vollständige Anrechnung der externen Kosten ein-
        setzen. Es kann nicht sein, dass Klimaschäden und Un-
        fallfolgekosten nicht in die Berechnung der externen
        Kosten aufgenommen werden. Außerdem müssen die
        Klimakosten deutlich höher bewertet werden, als es das
        Methodenhandbuch vorgibt. Statt einer Vielzahl kompli-
        zierter Auf- und Abschläge sind wir für eine pauschale
        Anlastung der externen Kosten mit 60 Prozent auf die
        Infrastrukturkosten. Wir sind auch dafür, dass statt einer
        Festlegung von Maximalbegrenzungen für die Lkw-
        Maut in der Richtlinie ein Mindestmautsatz definiert
        wird, der in allen Mitgliedstaaten verpflichtend einge-
        führt wird. Denn es kann nicht sein, dass der Schienen-
        güterverkehr verpflichtend Trassenpreise entrichten
        muss, während Lkw gerade in den neuen Mitgliedstaaten
        auf vielen Autobahnen, die mit Mitteln der EU kofinan-
        ziert worden sind, mautfrei fahren.
        Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
        desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
        Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat der Verord-
        nung zur Änderung autobahnmautrechtlicher Vorschrif-
        ten und der Fahrzeug-Zulassungsverordnung zuge-
        stimmt und damit die Weichen dafür gestellt, dass wir
        die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur verstetigen
        und deutlich erhöhen können.
        Die Lkw-Maut leistet einen wesentlichen Beitrag zur
        Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und zum Sub-
        stanzerhalt der Bundesautobahnen. Wir stellen für die
        Zukunft sicher, dass die von den Lkw verursachten In-
        frastrukturkosten von diesen auch getragen werden und
        e
        E
        A
        d
        n
        k
        k
        f
        j
        I
        u
        W
        w
        B
        D
        2
        z
        f
        s
        2
        J
        s
        s
        Z
        2
        w
        w
        s
        B
        E
        v
        f
        g
        z
        K
        a
        m
        A
        B
        b
        E
        t
        f
        a
        z
        r
        m
        m
        u
        r
        (C
        (D
        ntsprechende Infrastrukturinvestitionen zum Bau und
        rhalt der Autobahnen vorgenommen werden können.
        llein die schweren Lkw verursachen rund 45 Prozent
        er gesamten Wegekosten der Bundesautobahnen.
        Unsere Ziele bei der Anpassung der Mauthöheverord-
        ung und der Änderung des Autobahnmautgesetzes sind
        lar: Wir wollen eine Verstetigung und deutliche Verstär-
        ung der erforderlichen Investitionen in die Verkehrsin-
        rastruktur erreichen. Gerade in der gegenwärtigen kon-
        unkturellen Ausgangslage werden solche ergänzenden
        mpulse dringend benötigt zur Stützung der Konjunktur
        nd zur Sicherung vieler Arbeitsplätze in Deutschland.
        ir sollten zudem nicht aus dem Blick verlieren, dass
        ir mit den Änderungen auch dazu beitragen, die in der
        undesregierung vereinbarten Klimaziele zu erreichen.
        Mehr Maut bedeutet vor allem mehr Investitionen;
        urch die Neufestsetzung der Maut werden im Jahr
        009 rund 1 Milliarde Euro mehr an Mauteinnahmen er-
        ielt, die zusätzlich für Investitionen in die Verkehrsin-
        rastruktur, insbesondere für die Straße, zur Verfügung
        tehen. Über den Finanzplanungszeitraum von 2009 bis
        012 werden es durchschnittlich 740 Millionen Euro pro
        ahr an Mehreinnahmen für die Verkehrsinvestitionen
        ein.
        Angesichts des prognostizierten Verkehrswachstums
        ind diese Mittel unverzichtbar. Wir müssen mit einer
        unahme des Lkw-Verkehrs auf unseren Fernstraßen bis
        025 um über 80 Prozent rechnen.
        Um Mobilität angesichts dieses enormen Verkehrs-
        achstums langfristig zu sichern, brauchen wir einen
        eiteren Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur. Sonst
        tehen die deutsche Wirtschaft und die Bürgerinnen und
        ürger, die auf das Auto angewiesen sind, im Stau.
        Die genannten durchschnittlich rund 740 Millionen
        uro Mehreinnahmen pro Jahr ergeben für die nächsten
        ier Jahre rund 3 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln
        ür Infrastrukturmaßnahmen. Gerade in der gegenwärti-
        en konjunkturellen Ausgangslage sind derartige ergän-
        ende Impulse ein wichtiger Beitrag zur Stützung der
        onjunktur und zur Sicherung vieler Arbeitsplätze. Wer
        uf rund 3 Milliarden Euro für zusätzliche Infrastruktur-
        aßnahmen verzichtet, der gefährdet damit letztlich viele
        rbeitsplätze.
        Mit der stärkeren Spreizung der Mautsätze sowie der
        egünstigung von mit Partikelfiltern nachgerüsteten Lkw
        ei der Maut, werden wir einen wichtigen Beitrag zur
        rreichung der nationalen Klima- und Umweltziele leis-
        en, und wir werden einen deutlichen Investitionsanreiz
        ür den Einsatz emissionsarmer Lkw geben.
        Heute steht die Änderung des Autobahnmautgesetzes
        uf der Tagesordnung, das in direktem Zusammenhang
        ur Änderung der Mauthöheverordnung zu sehen ist. Es
        egelt unter anderem die Verwendung von Mauteinnah-
        en für Maßnahmen zur Förderung deutscher Unterneh-
        en im Straßengüterverkehr.
        Von Beginn an war klar, dass die Erhöhung der Maut
        ntrennbar mit der Umsetzung weiterer Harmonisie-
        ungsmaßnahmen verbunden sein wird. Der bislang ab-
        20204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        gesenkte Mautsatz wird zur vollen Finanzierung der im
        Jahr 2003 gegebenen Harmonisierungszusage von jähr-
        lich 600 Millionen Euro eingesetzt werden. Er wird da-
        mit zu einer Entlastung des deutschen Straßengüterver-
        kehrs durch konkrete Fördermaßnahmen führen.
        Neben den bereits bestehenden Entlastungsmaßnah-
        men wie der Kfz-Steuer-Absenkung und dem Förderpro-
        gramm für emissionsarme Lkw – Innovationsprogramm –
        sollen außerdem ein Klein-Beihilfe-Programm – soge-
        nannte De-minimis-Förderung – sowie ein Förderpro-
        gramm für Aus- und Weiterbildung aufgelegt werden.
        Unter diese De-minimis-Förderung fällt ein Programm
        mit Maßnahmen zur Qualifizierung, Beschäftigung, Si-
        cherheit und Umweltschutz. Daneben wollen wir die
        Aus- und Weiterbildung in einem gesonderten Pro-
        gramm fördern.
        Das gesamte Maßnahmenpaket liegt im Interesse der
        Zukunftsvorsorge für den Standort Deutschland. Wir
        sorgen damit für mehr Investitionen in die Infrastruktur,
        für einen verbesserten Klimaschutz und eine Stützung
        der Konjunktur. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.
        Anlage 19
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Entwürfe eines Ersten Geset-
        zes zur Änderung des Bundeselterngeld- und
        Elternzeitgesetzes (Tagesordnungspunkt 38)
        Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Ohne Wenn und
        Aber: das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Das sagt
        nicht nur der Bericht über die Auswirkungen des Bun-
        deselterngeld- und Elternzeitgesetzes, den das Parlament
        nun vorliegen hat, nein, die Eltern sagen es selber. Und
        wer ist besser geeignet, das zu beurteilen, als die Betrof-
        fenen?
        Das Elterngeld hat annähernd 100 Prozent der Fami-
        lien in Deutschland erreicht, deren Kinder im ersten
        Quartal 2007 geboren wurden. Damit stärken wir die
        Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch die Inan-
        spruchnahme der Partnermonate ermöglichen wir insbe-
        sondere Vätern, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbrin-
        gen. Haben vor Einführung des Elterngeldes lediglich
        3,5 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch genommen,
        liegt der Anteil der Väter, deren Elterngeldanträge für
        Kinder bewilligt wurden, die von Anfang Januar 2007
        bis Ende März 2007 geboren wurden, bei knapp 16 Pro-
        zent.
        Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung „Wege
        in die Vaterschaft“ macht zudem deutlich:
        Erstens. Junge Männer wollen Familie. Sie wollen
        Kinder. Mehr als neun von zehn der befragten kinderlo-
        sen Männer sagen Ja zu Kindern. Allerdings – und das
        spricht für das verantwortungsbewusste Denken junger
        Männer – 95,5 Prozent der befragten Männer sehen es
        als ihre Aufgabe an, der Familie ein Heim bieten zu kön-
        nen. Dabei ist die wichtigste Voraussetzung für die Va-
        terschaft, eine Familie ernähren zu können. Deshalb war
        f
        l
        e
        z
        V
        u
        d
        n
        M
        B
        t
        g
        d
        g
        w
        m
        n
        w
        e
        E
        d
        r
        d
        t
        w
        g
        e
        d
        m
        g
        d
        R
        u
        e
        s
        d
        A
        z
        L
        d
        b
        G
        j
        d
        r
        k
        u
        t
        d
        n
        d
        A
        d
        (C
        (D
        ür nahezu für ein Drittel – 57,2 Prozent – der potenziel-
        en Väter klar, ein Kind solle erst dann kommen, wenn
        s die finanzielle Seite zulässt.
        Zweitens. Die Bertelsmann-Studie hat aber auch ge-
        eigt, dass neben einer finanziellen Grundlage für viele
        äter auch wichtig ist, später Zeit für das Kind zu haben
        nd sich an der Betreuung zu beteiligen.
        Durch das Engagement der Väter bei der Betreuung
        er Kinder profitieren sowohl Kind als auch Vater; denn
        ur so kann eine echte Bindung entstehen. Aber auch
        ütter profitieren davon, weil die Väter endlich ihren
        eitrag dazu leisten, den Müttern den Rücken freizuhal-
        en, in das Berufsleben zurückkehren zu können. Die Er-
        ebnisse der Evaluation zum Elterngeld zeigen es ganz
        eutlich: Fast jede zweite Mutter gab bei den Befragun-
        en an, nach weniger als anderthalb Jahren wieder er-
        erbstätig zu sein. Auch sind viele Mütter – 39 Prozent –
        it ihrer beruflichen Planung zufrieden.
        Um die positiven Effekte des Elterngeldes jedoch
        och weiter zu stärken, nimmt der aktuelle Gesetzent-
        urf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-
        lterngeld- und Elternzeitgesetzes vor der Debatte des
        valuationsberichtes Änderungen vor, deren Notwen-
        igkeit bereits jetzt deutlich wurde. Neben der Einfüh-
        ung einer Mindestbezugsdauer von zwei Monaten und
        er Einführung einer sogenannten Elternzeit für Großel-
        ern bei minderjährigen Eltern beinhaltet der Gesetzent-
        urf auch die Möglichkeit für Eltern, den ursprünglich
        estellten Elterngeldantrag – auch ohne Begründung –
        inmalig zu ändern. Außerdem wird für Wehr- und Zivil-
        ienstleistende eine Erweiterung des maßgeblichen Be-
        essungszeitraums vorgesehen.
        Die Änderungen, auf die ich im Folgenden näher ein-
        ehen möchte, können nach der Zustimmung des Bun-
        esrates zum 1. Januar 2009 in Kraft treten.
        Besonders am Herzen lag uns die noch ausstehende
        egelung für Großeltern, die ihre Enkelkinder betreuen
        nd erziehen. Die Neuregelung sieht vor, dass Groß-
        ltern in diesen besonderen Fällen auch Elternzeit bean-
        pruchen können. Für den Anspruch auf Freistellung von
        er Arbeit müssen bei diesen Arbeitnehmerinnen und
        rbeitnehmern auch die grundsätzlich für den Eltern-
        eitanspruch geltenden Voraussetzungen – zum Beispiel
        eben in einem Haushalt – vorliegen. Sinn und Zweck
        er Regelung ist die mögliche Unterstützung von Eltern
        ei der Betreuung und Erziehung ihres Kindes durch die
        roßeltern, wenn ein Elternteil minderjährig ist oder als
        unger Volljähriger die Schule besucht bzw. eine Ausbil-
        ung absolviert und noch höchstens zwei Jahre bis zum
        egulären Abschluss braucht.
        Da Eltern nach dem Grundgesetz bis zur Volljährig-
        eit ihres Kindes das Recht und die Pflicht haben, sich
        m das Wohl ihres Kindes zu sorgen und ihr Kind zu un-
        erstützen, knüpft die Vorschrift in der ersten Variante an
        ie Minderjährigkeit der Eltern bzw. eines Elternteils des
        eugeborenen Kindes an. Minderjährige Eltern sind in
        er Regel noch schulpflichtig bzw. befinden sich in der
        usbildung. Die Regelung soll es ihnen ermöglichen,
        ie aktuell angestrebte schulische oder berufliche Aus-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20205
        (A) )
        (B) )
        bildung abzuschließen. Die Großeltern können den jun-
        gen Eltern und ihrem Enkelkind helfen, die zunächst oft
        schwierige Situation im Anschluss an eine „Teenager-
        Schwangerschaft“ zu bewältigen. Auswirkungen dieser
        in der Lebenswirklichkeit üblichen familiären Unterstüt-
        zung können so abgemildert werden.
        Obwohl junge volljährige Eltern selbst nicht mehr un-
        ter elterlicher Sorge stehen, sind ihre Lebensumstände
        oft mit denen minderjähriger Eltern vergleichbar. Daher
        soll in der zweiten Variante jungen Volljährigen die
        Möglichkeit eröffnet werden, ihre vor Vollendung des
        18. Lebensjahres begonnene schulische oder berufliche
        Ausbildung ohne erhebliche Verzögerung fortzusetzen
        und abzuschließen. Hiermit kann eine wesentliche Vo-
        raussetzung für den Einstieg in das Berufsleben geschaf-
        fen werden, damit die Eltern ihre wirtschaftliche Exis-
        tenz in den Folgejahren sichern können. Um die
        Interessen der jungen Eltern bzw. der Großeltern und die
        der Arbeitgeber angemessen zu berücksichtigen, wird
        der für die Elternzeit der Großeltern nutzbare Zeitraum
        auf die letzten beiden Ausbildungsjahre des anspruchs-
        vermittelnden Elternteils bezogen. Andernfalls würde
        auch der besonderen Konstellation bei „Teenager-
        Schwangerschaften“ sachlich nicht mehr hinreichend
        Rechnung getragen. Allen Beteiligten wird in dieser Si-
        tuation so eine reale Chance geboten, im Hinblick auf
        die Absicherung der Lebenssituation der jungen Familie
        zusammenzuwirken.
        Im Interesse eines zügigen Ausbildungsabschlusses
        wird aber durch die Erweiterung des Kreises der An-
        spruchsberechtigten alternativ den Auszubildenden die
        Möglichkeit eröffnet, den Großeltern einen Anspruch
        auf Elternzeit zu vermitteln, wenn keiner der Elternteile
        selbst Elternzeit in Anspruch nimmt. In diesem Fall kön-
        nen die Großeltern die Rolle des minderjährigen Eltern-
        teils oder wegen seiner fortgesetzten Ausbildung einge-
        schränkten Elternteils übernehmen. Insgesamt gesehen
        bleibt es aber bei dem mit dem Bundeselterngeld- und
        Elternzeitgesetz intendierten Grundsatz, dass Eltern sich
        der Betreuung ihrer Kinder vorrangig selbst widmen sol-
        len. Dem entspricht auch, dass die Eltern, nicht aber die
        Großeltern, Elterngeld in Anspruch nehmen können.
        Auszubildende, die ihre Ausbildung fortsetzen, gelten
        nach § 1 Abs. 6 BEEG als nicht voll erwerbstätig und
        können bei Vorliegen der weiteren Anspruchsvorausset-
        zungen Elterngeld beanspruchen.
        Der Anspruch der Großeltern auf Elternzeit setzt wie
        bei allen anderen Elternzeitberechtigten nach § 15
        Abs. 1 BEEG voraus, dass die oder der Anspruchsbe-
        rechtigte mit dem Kind in einem Haushalt lebt und das
        Kind selbst betreut und erzieht. Es wird nicht vorausge-
        setzt, dass der anspruchsvermittelnde Elternteil ebenfalls
        mit im Haushalt der Großeltern lebt. Die Großelternteile
        haben bei Vorliegen aller entsprechend erforderlichen
        Voraussetzungen die Möglichkeit, sich die Betreuung ih-
        res Enkelkindes zu teilen und gleichzeitig ihrer Beschäf-
        tigung in Teilzeit nachzugehen und so die Bindung an
        das Unternehmen aufrechtzuerhalten.
        Weil die Nutzung der Partnermonate an den Wegfall
        des vor der Geburt des Kindes erzielten Erwerbseinkom-
        m
        §
        n
        E
        E
        M
        t
        s
        r
        d
        h
        d
        z
        g
        m
        E
        a
        s
        m
        e
        t
        e
        g
        s
        t
        A
        D
        f
        g
        w
        B
        a
        Ä
        n
        G
        b
        l
        R
        d
        d
        d
        S
        w
        m
        W
        t
        n
        c
        b
        r
        z
        N
        g
        g
        d
        e
        (C
        (D
        ens gebunden ist, eröffnet die bisherige Regelung in
        4 BEEG unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten je
        achdem, ob vor der Geburt beide Eltern oder nur ein
        lternteil Erwerbseinkommen erzielt haben. Waren beide
        lternteile vor der Geburt erwerbstätig, erfüllt schon die
        utter die Voraussetzung der Partnermonate und der Va-
        er könnte auch einen einzelnen Elterngeldmonat in An-
        pruch nehmen.
        Der vorliegende Gesetzentwurf sieht hier eine Ände-
        ung insofern vor, als dass wir nun eine einheitliche Min-
        estbezugsdauer von zwei Monaten für alle Eltern vorse-
        en, die Elterngeld in Anspruch nehmen möchten. Mit
        ieser Änderung wird eine intensivere Bindung auch des
        weiten Elternteils zum Kind unterstützt. Vätern wird
        egenüber Dritten die Entscheidung erleichtert, sich
        ehr Zeit für ihr Kind zu nehmen. Die Flexibilität des
        lterngelds bleibt bestehen, da die Elterngeldmonate
        uch weiterhin nicht am Stück genommen werden müs-
        en, sondern frei auf den Zeitraum der ersten 14 Lebens-
        onate des Kindes verteilt werden können.
        Gesetzlich geregelt war bisher, dass der Antragsteller
        inmal – in besonderen Härtefällen – den Antrag auf El-
        erngeld ändern kann. Die Praxis hat jedoch zeigt, dass
        s weitere Fälle gibt, in denen eine Änderung des Eltern-
        eldantrags für die Familie wichtig sein kann, zum Bei-
        piel der plötzliche Erhalt eines Arbeitsplatzes. Zukünf-
        ig soll deshalb der Antrag auf Elterngeld auch ohne
        ngabe von Gründen einmal geändert werden können.
        er Verzicht auf eine Begründung erhöht die Flexibilität
        ür die Eltern und entlastet die Verwaltung von einer Be-
        ründungsprüfung. Die Möglichkeit einer einmaligen
        eiteren Änderung im besonderen Härtefall, wie zum
        eispiel bei Tod eines Elternteils oder einer plötzlich
        uftretenden schweren Krankheit, bleibt unberührt. Die
        nderung ist wie die erste Antragstellung für drei Mo-
        ate rückwirkend möglich.
        Eine weitere Änderung, die wir mit dem vorliegenden
        esetzentwurf vornehmen werden, betrifft die Arbeitge-
        erbescheinigung. Durch die Änderung wird die Rege-
        ung zur Arbeitgeberbescheinigung den entsprechenden
        egelungen im Unterhaltsvorschussgesetz und im Bun-
        eskindergeldgesetz angepasst. Die Änderung sieht vor,
        ass der Arbeitgeber – soweit erforderlich – der zustän-
        igen Behörde eine Bescheinigung über Arbeitslohn,
        teuern und Sozialabgaben auszustellen hat und nicht,
        ie bisher, diese dem Arbeitnehmer ausstellen muss.
        Eine letzte Änderung, auf die ich gerne eingehen
        öchte, betrifft die Wehr- und Zivildienstleistenden. Der
        ehrdienst nach dem Wehrpflichtgesetz und dem Vier-
        en Abschnitt des Soldatengesetzes sowie der Zivildienst
        ach dem Zivildienstgesetz haben ihre besondere rechtli-
        he Grundlage im Wehrverfassungsrecht. Sie sind mit
        esonderen Einschränkungen auch hinsichtlich der Be-
        ufsausübungsfreiheit verbunden. Wehr- und Zivildienst-
        eiten sollen und dürfen natürlich daher nicht zu einem
        achteil bei der Berechnung des einkommensabhängi-
        en Elterngelds führen. Da sich die Höhe des Eltern-
        elds, soweit es 300 Euro überschreitet, nach der Höhe
        es im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes
        rzielten steuerpflichtigen Erwerbseinkommens berech-
        20206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        net, kann das nach der Geburt des Kindes zustehende El-
        terngeld durch im Bemessungszeitraum liegenden Wehr-
        und Zivildienstzeiten ohne entsprechendes Erwerbsein-
        kommen verringert werden. Diesen Nachteil wollen wir
        nun ausgleichen, indem die betroffenen Monate – wie in
        den Fällen schwangerschaftsbedingter Erkrankung – aus
        dem Bemessungszeitraum herausgenommen und durch
        weiter in der Vergangenheit liegende Monate ersetzt
        werden.
        Das Elterngeld ist und bleibt ein Erfolg. Das zeigen
        die Umfragen der Evaluation, und das zeigt die anstei-
        gende Geburtenrate. Im vergangenen Jahr sind laut Sta-
        tistischem Bundesamt 12 000 Kinder mehr geboren wor-
        den als im Vorjahr 2006. Dies zeigt, dass die von der
        Bundesregierung getroffenen familienpolitischen Maß-
        nahmen einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von
        Familie und Beruf leisten und somit Maßnahmen sind,
        die den Wünschen und Bedürfnissen vieler Familien ent-
        sprechen.
        Dieter Steinecke (SPD): Das Bessere, so lautet ein
        altes Sprichwort, ist der Feind des Guten. Und so beraten
        wir heute über Änderungen an einem ausgesprochen gu-
        ten und gelungenen Gesetz.
        Das Elterngeld- und Elternzeitgesetz, in Kraft getre-
        ten am 1. Januar 2007, stellt einen wahrhaftigen Meilen-
        stein in der bundesdeutschen Familienpolitik dar. Wir
        haben gerade in dieser Woche intensiv über die bisheri-
        gen Erfahrungen beraten. Und in der Grundlage waren
        sich die Vertreterinnen und Vertreter der meisten Frak-
        tionen einig: Es ist ein gutes Gesetz, das seine Zielset-
        zungen weitgehend erreicht. Das Elterngeld- und Eltern-
        zeitgesetz wirkt.
        Diese Wirkungen sind durchaus vielfältig. Ich habe
        nicht die Zeit, alle Auswirkungen detailliert darzustellen
        und zu bewerten. Daher beschränke ich mich auf zwei in
        meinen Augen grundlegende Aspekte.
        Das Elterngeld ist ein wesentlicher Beitrag zur Be-
        kämpfung von Kinder- und Elternarmut in unserem
        Lande. Junge Eltern müssen nicht mehr erhebliche Ein-
        kommenseinbußen durch die Geburt ihres Kindes oder
        ihrer Kinder befürchten. Paare, in denen beide Partner
        erwerbstätig sind, bekommen das wegfallende Einkom-
        men zu 67 Prozent ersetzt. Für die Bezieherinnen und
        Bezieher geringer Einkommen gilt sogar ein noch höhe-
        rer Satz. Paare mit nur einem Verdiener bekommen eine
        Zusatzleistung, ebenso Bezieher von Grundsicherungs-
        leistungen. Das Elterngeld wird nämlich nicht auf Leis-
        tungen nach SGB II angerechnet. Dies ist sozial ausge-
        wogen, ist sozial gerecht.
        Doch die Wirkung des Gesetzes ist nicht nur rein
        wirtschaftlicher Natur. Es hat vielmehr tiefgreifende
        Auswirkungen auf das Leben innerhalb der jungen Fa-
        milien in unserem Land. Ich spiele hier vor allem auf die
        Rolle der Väter an. Im letzten Quartal 2006 gab es das
        Elterngeld noch nicht, wohl aber das Erziehungsgeld.
        Selbiges wurde damals zu 3,5 Prozent von Männern in
        Anspruch genommen. Bereits im ersten Quartal des El-
        terngeldes betrug der Väteranteil bezogen auf die bewil-
        l
        F
        z
        k
        i
        E
        s
        A
        g
        M
        u
        P
        e
        n
        s
        s
        t
        s
        u
        a
        K
        l
        m
        ü
        d
        k
        z
        R
        a
        n
        6
        m
        E
        t
        g
        u
        b
        W
        e
        n
        u
        z
        g
        h
        n
        w
        g
        w
        s
        g
        f
        d
        w
        (C
        (D
        igten Anträge 7 Prozent. Dieser Anteil wuchs in der
        olge deutlich und wird weiter ansteigen. Bezieht man
        usätzlich die Geburtenzahlen in die Betrachtung ein, so
        ommt man zu einer erstaunlichen Zahl: 15 Prozent aller
        m Jahre 2007 geborenen Kinder haben einen Vater, der
        lternzeit genommen hat.
        Vielfach ist zu hören, dass diese Zahl noch zu niedrig
        ei. Ich kann und will da keine Zielgröße vorschlagen.
        ber ich stelle fest, dass diese Zahl einen grundlegenden
        esellschaftlichen Wandel widerspiegelt. Viele junge
        änner nehmen die Gelegenheit dankbar an, intensiver
        nd aktiver als ihre Väter am Familienleben, an der
        flege und Erziehung ihrer Kinder teilzuhaben. Das ist
        ine positive gesellschaftliche Entwicklung. Drauf kön-
        en wir als Urheberinnen und Urheber des Gesetzes
        tolz sein, besonders wir Sozialdemokraten.
        Ich betone hier meine Fraktionszugehörigkeit aus be-
        onderem Grund. Denn dass eine moderne Familienpoli-
        ik auch die Männer aktiver in ihre Familien einbinden
        ollte, war uns Sozialdemokraten schon lange klar, als
        ns und übrigens auch der zuständigen Bundesministerin
        us reaktionären Kreisen der Union noch diffamierende
        ampfbegriffe wie „Windelpraktikum“ oder „Wickelvo-
        ontariat“ entgegenschallten. Diese Erkenntnis ist für
        ich als Vater nicht neu: Ich hätte mich seinerzeit sehr
        ber die Möglichkeit gefreut, mich intensiver um meine
        amals neugeborene, mittlerweile erwachsene Tochter
        ümmern zu können. Ich bin halt fünfundzwanzig Jahre
        u früh zur Welt gekommen.
        Das Umdenken hinsichtlich der gesellschaftlichen
        olle junger Väter ist inzwischen auch in der Wirtschaft
        ngekommen. Eine repräsentative Umfrage unter Perso-
        alverantwortlichen hat ergeben, dass es mehr als
        0 Prozent begrüßen, wenn auch Väter Elternzeit neh-
        en. Auch hier zähle ich mich dazu, diesmal in meiner
        igenschaft als Arbeitgeber: Gerade vor wenigen Mona-
        en hat einer meiner männlichen Mitarbeiter Elternzeit
        enommen, und ich durfte mitbekommen, wie gut ihm
        nd seiner jungen Familie diese Zeit getan hat.
        Ich fasse kurz zusammen: Wir Sozialdemokraten ha-
        en im Wahlkampf 2005 ein Elterngeld versprochen.
        ir haben dieses Versprechen zum Jahresbeginn 2007
        ingelöst und das Erziehungsgeld durch ein Elterngeld
        ach skandinavischem Vorbild abgelöst. Der Erfolg gibt
        ns Recht: Leistungen nach dem Elterngeld- und Eltern-
        eitgesetz werden von fast 100 Prozent der Familien an-
        enommen. Nahezu 75 Prozent der Gesamtbevölkerung
        alten die Regelung für gut.
        Ich sagte es bereits eingangs: Nichts ist so gut, dass es
        icht noch besser gemacht werden könnte. In diesem Be-
        usstsein sind die Folgen des Elterngeld- und Elternzeit-
        esetzes seit seinem Inkrafttreten sorgfältig beobachtet
        orden. Sie werden auch in Zukunft einem wissen-
        chaftlichen Monitoring unterliegen. Das gibt Bundesre-
        ierung und Parlament die Möglichkeit, Gesetzesfolgen
        rühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls rasch zu han-
        eln. Genau das tun wir gerade.
        Wir reagieren auf vier Erkenntnisse. Erstens. Vielfach
        erden in unserem Lande sehr junge Menschen Eltern,
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20207
        (A) )
        (B) )
        die sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung befin-
        den. Um diese zu beenden, nehmen sie die Hilfe ihrer El-
        tern in Anspruch, also der Großeltern des Kindes. Diese
        Großeltern, obwohl quasi „Doppeleltern“, konnten bis-
        her keine Elternzeit beanspruchen.
        Zweitens. Vereinzelt musste Elterngeld für weniger
        als zwei Monate bewilligt werden.
        Drittens. Wehr- und Zivildienstleistende hatten mitun-
        ter nicht zu rechtfertigende Nachteile bei der Berech-
        nung des Elterngeldes.
        Viertens. Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann ein
        einmal gestellter und bewilligter Antrag nur in Härtefäl-
        len geändert werden. Dadurch konnten junge Mütter und
        Väter nicht immer flexibel genug auf sich ändernde Er-
        werbssituationen reagieren.
        In all diesen Punkten schaffen wir mit dem vorliegen-
        den Entwurf Abhilfe und machen ein gutes, gelungenes
        und wirkungsvolles Gesetz noch besser.
        Es ist, je nach Sichtweise und Situation, ein altes so-
        zialdemokratisches Problem wie eine alte sozialdemo-
        kratische Tugend: Selbstzufriedenheit ist unsere Sache
        nicht. Wir begnügen uns nicht mit dem Erreichten, wir
        legen nie die Hände in den Schoß. So muss ich denn
        auch abschließend feststellen, dass das Bessere seinen
        Feind findet im noch viel Besseren. So wird auch in Zu-
        kunft noch über die eine oder andere Frage im Zusam-
        menhang mit dem Elterngeld- und Elternzeitgesetz zu
        reden sein. Beispielweise ist es für die SPD weder ge-
        recht noch der Sache dienlich, dass Paare, die gleichzei-
        tig in Elternteilzeit sind, ihre Anspruchsmonate gleich-
        sam doppelt verbrauchen. Das muss geändert werden.
        Eine weitere offene Frage sehe ich hinsichtlich der Ein-
        kommens- und damit Anspruchsermittlung bei Selbst-
        ständigen.
        Doch der bisherige Gang der Gesetzgebung wie der
        Folgenbeobachtung und -bewertung gibt mir die tiefe
        Zuversicht, dass es uns auch in Zukunft gelingen wird,
        das Elterngeld- und Elternzeitgesetz immer wieder den
        gesellschaftlichen Entwicklungen und den daraus resul-
        tierenden Anforderungen anzupassen. Eines zeigt sich
        ganz deutlich: Die Belange von Kindern und Eltern in
        Deutschland sind bei uns in guten Händen. Das gilt auch
        in Zukunft.
        Ina Lenke (FDP): Um es gleich vorweg zu sagen:
        Diese Änderung des Bundeselterngeldgesetzes ist nicht
        auf der Grundlage einer notwendigen Evaluation des
        jetzt fast zwei Jahre bestehenden Elterngeldgesetzes
        konzipiert worden. Das Familienministerium hat die
        Evaluation seit Monaten angekündigt. Sie hat diese Zu-
        sagen nicht eingehalten. Herausgekommen ist lediglich
        ein Bericht mit Daten und Fakten. Das kritisiere ich für
        die FDP heftigst.
        Nun soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine
        Mindestbezugszeit des Elterngeldes von zwei Monaten
        eingeführt werden, die Antragstellung auf Elterngeld fle-
        xibilisiert, eine „Großelternzeit“ eingeführt, und Wehr-
        u
        g
        r
        d
        d
        e
        s
        A
        l
        m
        a
        d
        d
        V
        8
        M
        g
        r
        d
        z
        c
        F
        h
        G
        z
        m
        G
        t
        b
        b
        d
        g
        s
        f
        l
        e
        s
        w
        L
        b
        a
        a
        s
        E
        x
        z
        v
        t
        g
        m
        w
        (C
        (D
        nd Zivildienstzeiten sollen künftig die Höhe des Eltern-
        eldes nicht verringern.
        In der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senio-
        en, Frauen und Jugend am 16. September 2008 wurde
        eutlich, dass sich das Konzept der Partnermonate von
        em eines Mindestelterngeldbezugs unterscheidet. Bei
        iner Mindestelterngeldbezugszeit verfällt der Gesamtan-
        pruch von 14 Monaten, wenn diese Mindestzeit nicht in
        nspruch genommen wird. Flexible Gestaltungsmög-
        ichkeiten der Eltern etwa durch die Zusammenlegung
        it Urlaubszeiten oder einer Überstundenabgeltung sind
        lso nicht mehr möglich. Ich befürchte, dass die Min-
        estbezugszeit bei beruflich stark engagierten Vätern
        azu führt, dass keine Elternzeit beantragt wird. Diese
        orschrift ist nicht erforderlich, da jetzt mehr als
        9 Prozent aller Männer Elterngeld für zwei oder mehr
        onate in Anspruch nehmen.
        Der Deutsche Juristinnenbund hat eindringlich davor
        ewarnt, ohne ein umfassendes Konzept von Verlänge-
        ungstatbeständen bereits jetzt singuläre Tatbestände wie
        ie Wehrpflicht- und Zivildienstzeiten in das BEEG auf-
        unehmen, ohne auch die Einbeziehung anderer mögli-
        her Privilegierungstatbestände wie etwa Zeiten eines
        reiwilligen Sozialen Jahres zu prüfen. Also wieder mit
        eißer Nadel gestrickt.
        Bei der Großelternregelung wird erwerbstätigen
        roßeltern das Fernbleiben vom Arbeitgeber ohne Be-
        ahlung offeriert, das kaum jemand so in Anspruch neh-
        en wird.
        In der Anhörung wurde deutlich, dass ein über diesen
        esetzentwurf hinausgehender Reformbedarf beim El-
        erngeld besteht. Aus Sicht der Selbstständigen steht die
        estehende Teilzeitregelung oftmals einem Elterngeld-
        ezug entgegen. Wenn Vater und Mutter nach der Geburt
        es Kindes beide halbtags arbeiten und Teilzeiteltern-
        eld beziehen, wird der zeitliche Anspruch halbiert und
        chrumpft auf nur 7 Monate.
        Im Bundeselterngeldgesetz haben Sie selbst in § 25
        estgeschrieben – ich zitiere –: „Die Bundesregierung
        egt dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober 2008
        inen Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes
        owie über die gegebenenfalls notwendige Weiterent-
        icklung dieser Vorschriften vor.“ Ich fordere Sie auf:
        egen Sie endlich einen Bericht vor, der kein Märchen-
        uch ist, sondern neben den Stärken des Elterngeldes
        uch die notwendige Weiterentwicklung aufzeigt!
        Wir lehnen dieses unzureichende Änderungsgesetz
        b.
        Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich nenne die we-
        entlichen Punkte des Gesetzentwurfs der Koalition:
        inheitliche Mindestbezugszeit von zwei Monaten, Fle-
        ibilisierung des Antrags auf Elterngeld und Unterstüt-
        ung von Großeltern bei sogenannten Teenieeltern. Am
        ergangenen Mittwoch wurde im Ausschuss der Evalua-
        ionsbericht zum Elterngeld von Frau von der Leyen vor-
        estellt. Im Ergebnis frage ich mich schon: Warum hat
        an mit einer Änderung des Gesetzes nicht bis dahin ge-
        artet und die Ergebnisse der Evaluation in den Entwurf
        20208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        einfließen lassen? Oder ist es, wie von der FDP im Aus-
        schuss dargelegt, keine wirkliche Evaluation, sondern
        eine Schönrechnung der Regierung unter Ausblendung
        wesentlicher Probleme?
        Warum wird die Mindestbezugsdauer des Elterngel-
        des auf zwei Monate angehoben, obwohl dies nach An-
        sicht von Experten eher kontraproduktiv ist hinsichtlich
        der Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter? Dies
        bestätigt sich letztlich durch den Evaluierungsbericht der
        Regierung. Lediglich 2 Prozent der elterngeldberechtig-
        ten Väter nehmen die vollen zwölf Monate Elternzeit.
        Die meisten nehmen nur einen Monat. Soll diese Zahl
        jetzt reduziert werden, da diese Möglichkeit verwehrt
        wird?
        Zur Großelternzeit: Löblich, dass die Regierung end-
        lich einmal ein Problem erkannt hat und auch gleich ver-
        sucht, eine Lösung zu finden. Schade, dass die vorge-
        schlagene Lösung der Regierungskoalition nicht zum
        gewünschten Ergebnis führt, sondern in der Praxis kaum
        Niederschlag findet.
        Es geht um die Förderung von Teeniemüttern, um
        Mütter im Alter von bis zu 18 Jahren oder noch in Aus-
        bildung befindliche volljährige Mütter. In dieser Alters-
        gruppe dürften die Großeltern, also die Eltern der Müt-
        ter, in aller Regel noch im Erwerbsleben stehen. Die
        Möglichkeit, in dieser Situation Elternzeit zu nehmen,
        um sich um das Enkelkind zu kümmern, dürfte von da-
        her kaum in Anspruch genommen werden, da nach dem
        Willen der Regierungskoalition ein Elterngeld nicht ge-
        zahlt werden soll. Wer ersetzt den Verdienstausfall, wie
        es beim Elterngeld grundsätzlich vorgesehen ist? Oder
        sollen – der Not gehorchend – wieder vermehrt Groß-
        mütter aus dem Berufsleben ausscheiden, da sie in der
        Regel weniger verdienen als die entsprechenden Groß-
        väter? Das nenne ich konsequente Gleichstellungspolitik
        der Regierung.
        Die Kosten, welche durch entsprechende Zahlung ei-
        nes Elterngeldes an die Großeltern entstehen würden,
        halten sich im überschaubaren Rahmen, da von dieser
        Lösung nur wenige Familien betroffen sind und mit der
        Möglichkeit des Bezugs auch keine Lebensentwürfe ge-
        fördert werden, wie es von der Union unterstellt wird.
        Frei nach dem Motto: Geh’, mein Kind, werd’ schwan-
        ger, ich möchte Großelterngeld beziehen. Da ist die
        Koalition, allen voran ihre Ministerin, mal wieder völlig
        realitätsfremd. Da, wo Änderungsbedarf besteht – einer
        Erhöhung des Mindestelterngeldes bei gleichzeitigem
        Teilelterngeldbezug –, wird nichts gemacht.
        Hier bietet der Antrag der Linken die Lösung. Wie in
        unserem Antrag aufgezeigt, sollen Eltern, welche gleich-
        zeitig Elternzeit nehmen und die Erwerbstätigkeit redu-
        zieren, auch nur „reduzierte“ Elternzeit verbrauchen,
        also die Möglichkeit haben, ihr Kind bzw. ihre Kinder
        über den vollen Zeitraum der Elternmonate zu betreuen.
        Dies kommt auch dem erklärten Willen, die partner-
        schaftliche Erziehung zu fördern, entgegen. Der Ansatz
        der Regierungskoalition ist insoweit kontraproduktiv –
        aber immerhin konsequent kontraproduktiv.
        G
        f
        D
        g
        s
        v
        g
        d
        D
        g
        E
        a
        e
        l
        d
        h
        t
        m
        E
        f
        t
        S
        D
        n
        V
        k
        G
        s
        ü
        w
        g
        u
        t
        E
        r
        f
        w
        a
        w
        s
        r
        i
        a
        m
        d
        b
        d
        g
        t
        f
        M
        Z
        c
        (C
        (D
        Das Elterngeld bleibt auch nach dem vorliegenden
        esetzentwurf eine sozialpolitische Mogelpackung, die
        ür die Mehrheit der Eltern nicht hält, was sie verspricht.
        as Elterngeld benachteiligt Eltern mit niedrigem oder
        ar keinem Einkommen. Im Wissen darum, dass jedes
        iebte Kind in Deutschland auf einem Einkommensni-
        eau lebt, das es von einer angemessenen sozialen und
        esellschaftlichen Teilhabe ausschließt, verschärfen Sie
        ie Kinderarmut weiter. Und ich kann nur wiederholen:
        ie Auswirkungen auf Alleinerziehende sind statistisch
        ar nicht zu ermitteln, weil das Gesetz diesbezügliche
        rhebungen nicht vorsieht. Solche Problemlagen werden
        usgeblendet.
        Mit der Einführung des Elterngeldes ist prinzipiell
        ine positive Entwicklung in der Familienpolitik einge-
        eitet worden. Das findet unsere Unterstützung. Aber
        iese Gesetzesänderung bietet keine Lösung der beste-
        enden Probleme. Die Lösung wird durch unseren An-
        rag aufgezeigt, weshalb ich daher dringend um Zustim-
        ung ersuche.
        Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        inführung eines neuen Instrumentes wie das Elterngeld
        ührt fast zwangsläufig dazu, dass schon schnell in De-
        ailfragen Korrektur- oder Verbesserungsbedarf ansteht.
        o verhält es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf.
        as Anliegen, hier erste Änderungen vorzunehmen, ist
        achvollziehbar. Nicht nachvollziehbar allerdings ist das
        erhalten der Bundesregierung: Erst hieß es, wir machen
        eine Änderungen, solange wir über die Wirkung des
        esetzes nichts wissen; dann kam dieses Änderungsge-
        etz, über das wir heute sprechen, ohne dass der Bericht
        ber die Wirkung des Elterngeldes vorlag. Dann endlich
        ar der Bericht erarbeitet, doch das Ministerium verzö-
        ert die Herausgabe um mehrere Wochen. Und bevor wir
        ns mit diesem Bericht parlamentarisch befassen konn-
        en, sollen wir zu nachtschlafender Zeit Änderungen am
        lterngeld beschließen, die sachlich zum Teil nicht ge-
        echtfertigt und wissenschaftlich nicht fundiert sind. Das
        inde ich eine Zumutung.
        Wenn die Wirkungsuntersuchung sowieso keine Aus-
        irkungen auf Ihre Vorschläge hat, dann hätten Sie ja
        uch gleich eine große Reform machen können und die
        irklich wichtigen Themen wie den doppelten An-
        pruchsverbrauch bei gleichzeitiger Teilzeit oder die Be-
        echnung des Elterngeldes neu regeln können.
        Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht – so sehe ich
        hre Änderungsvorschläge, und deshalb werden wir sie
        uch ablehnen.
        Grundsätzlich ist die Intention zu begrüßen, den Be-
        essungszeitraum bei Wehr- und Zivildienst zu verän-
        ern. Es gibt allerdings auch andere, vergleichbare Tat-
        estände. Ich möchte nur das Freiwillige Soziale Jahr,
        as Freiwillige Ökologische Jahr oder § 17 c Zivildienst-
        esetz ansprechen, die als gleichwertige Ersatzdienstzei-
        en gelten und die aus meiner Sicht Berücksichtigung
        inden müssten. Schauen wir ins wahre Leben: Ein
        ann und eine Frau arbeiten im Krankenhaus. Er macht
        ivildienst, sie ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit wel-
        her Begründung machen Sie hier Unterschiede? Vor
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20209
        (A) )
        (B) )
        Gericht hält diese Regelung nicht stand. Das haben ih-
        nen die Experten in der Anhörung ganz klar bescheinigt.
        Zur Großelternzeit: Auch hier sehe ich die gute Idee.
        Doch was nutzt eine Großelternzeit ohne finanzielle Ab-
        sicherung? Hier profitieren vor allem Menschen, die die-
        ser Absicherung nicht bedürfen oder die sowieso keine
        Arbeit haben. Für alle anderen greift die Regelung nicht.
        Es erschließt sich mir auch nicht, warum die Regelung
        ausschließlich für Großeltern und nicht für andere nahe-
        stehenden Personen gelten sollte.
        Ich bin mit meinen Kritikpunkten noch nicht am
        Ende, möchte jedoch gern noch etwas zum Entschlie-
        ßungsantrag der Linken sagen. Wir befinden uns in vie-
        len Bereichen bei der Beurteilung des Elterngeldes und
        den hier notwendigen Reformen im Konsens. Was ich al-
        lerdings nicht teile, ist die Idee, die sozialpolitische
        Funktion des Elterngeldes auszuweiten. Das Elterngeld
        entspricht einer Lohnersatzleistung. Wenn wir wollen,
        dass das Elterngeld höher ausfällt, dann müssen wir da-
        ran mit Mindestlohn, Progressivmodell und geschlech-
        tergerechter Entlohnung etwas ändern.
        Nicht vergessen wollen wir auch, dass die Bundesre-
        gierung mit dem Elterngeld den zweiten Schritt vor dem
        ersten gemacht hat: Die Kinderbetreuung in Deutschland
        ist immer noch Mangelware. Und da kann sich die Mi-
        nisterin hinstellen und sagen, das sei geklärt, der Ausbau
        laufe. Das ist mitnichten so einfach. Die Finanzierung ist
        immer noch nicht geklärt, denn die 8 Milliarden Euro
        von Ländern und Kommunen stehen eben noch nicht zur
        Verfügung. Und wer ein wenig Ahnung von der Finanz-
        situation der Kommunen hat, der weiß auch, wie schwie-
        rig die Lage ist. Hier hätten wir von Bundesseite mehr
        auf die Kommunen zugehen müssen und zudem die Län-
        der deutlich verpflichten müssen, ihren Anteil zu leisten.
        Das ist nicht geschehen. So ein handwerklicher Fehler
        darf einer Regierung nicht passieren.
        Anlage 20
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vor-
        mundschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 43)
        Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute
        erneut mit dem Familienrecht, und zwar dieses Mal ins-
        besondere mit dem ehelichen Güterrecht. In Deutschland
        wird derzeit jede dritte Ehe geschieden. Vor diesem Hin-
        tergrund ist die Bedeutung der Ausgleichsansprüche aus
        der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der betroffe-
        nen Eheleute von großer Relevanz. Dies ist neben dem
        Unterhalt, den wir gerade umfassend neu geregelt haben,
        und dem Versorgungsausgleich, der sich derzeit im Ge-
        setzgebungsverfahren befindet, nun noch der güterrecht-
        liche Ausgleich. Dieser ist heute, 50 Jahre nach seinem
        Inkrafttreten, besonders aktuell. Bei der Zugewinnge-
        meinschaft handelt es sich um den gesetzlichen Güter-
        stand, in dem die überwiegende Mehrzahl der Ehepart-
        ner lebt. Bei der Scheidung müssen die Ehegatten
        z
        J
        g
        D
        A
        E
        s
        V
        w
        l
        t
        a
        ß
        d
        N
        E
        E
        t
        r
        g
        S
        a
        E
        g
        F
        b
        b
        u
        a
        g
        p
        n
        R
        w
        v
        n
        d
        E
        i
        s
        r
        R
        E
        S
        g
        d
        d
        z
        d
        E
        t
        g
        z
        p
        d
        (C
        (D
        unächst ihr gemeinsames Vermögen auseinandersetzen.
        eder Ehepartner erhält zudem die Hälfte des Vermö-
        enszuwachses, der während der Ehezeit erzielt wurde.
        ieser Grundentscheidung des Gesetzgebers liegt die
        nnahme zugrunde, dass beide Ehegatten während der
        he ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten gemeinsam ein-
        etzen und damit das während der Ehe erwirtschaftete
        ermögen grundsätzlich gemeinsam erarbeiten.
        Das deutsche Güterrecht hat sich weitestgehend be-
        ährt. Wir wollen daher mit dem vorliegenden Entwurf
        ediglich punktuelle Änderungen vornehmen. Die zen-
        rale Neuregelung des Entwurfs sieht vor, dass künftig
        uch Schulden, die bereits zum Zeitpunkt der Eheschlie-
        ung vorhanden waren und während der Ehe getilgt wur-
        en, beim Zugewinnausgleich berücksichtigt werden.
        ach geltendem Recht bleiben diese Schulden bei der
        rmittlung des Zugewinns unberücksichtigt. Ob die
        hepartner während der Ehe voreheliche Verbindlichkei-
        en eines Partners getilgt haben, ist demnach für die Be-
        echnung des Zugewinns ohne Belang. So muss der Ehe-
        atte, der während der Ehe anfänglich vorhandene
        chulden tilgt, diesen Vermögenszuwachs derzeit nicht
        usgleichen.
        Besonders negativ wirkt sich diese Regelung auf jene
        hegatten aus, die die Verbindlichkeiten des Partners til-
        en und zugleich eigenes Vermögen erwerben. In diesen
        ällen entsteht eine doppelte Ungerechtigkeit: Hier
        leibt nicht nur die Schuldentilgung und der damit ver-
        undene Vermögenszuwachs beim anderen Ehepartner
        nberücksichtigt. Der Ehepartner, der die Schulden des
        nderen getilgt hat, muss darüber hinaus auch seinen ei-
        enen Vermögenszuwachs zur Hälfte dem anderen Ehe-
        artner ausgleichen. Diese Ergebnisse sind sachlich
        icht gerechtfertigt und werden von den Menschen zu
        echt als äußerst ungerecht empfunden. Der Gesetzent-
        urf sieht deshalb vor, dass auch ein sogenanntes negati-
        es Anfangsvermögen zu berücksichtigen ist. Im Ergeb-
        is stellen wir damit sicher, dass beim Ausgleich alleine
        er Betrag maßgeblich ist, um den das Vermögen des
        hepartners während der Ehe wirtschaftlich gewachsen
        st.
        Des Weiteren wollen wir die Ehepartner künftig bes-
        er vor Vermögensmanipulationen schützen. Für die Be-
        echnung des Zugewinnausgleichs kommt es auf die
        echtshängigkeit der Scheidung an. Stichtag für das
        ndvermögen ist demnach also die Zustellung des
        cheidungsantrages. Die endgültige Höhe der Aus-
        leichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt, den
        as Vermögen zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Schei-
        ung hat. Es besteht somit die Gefahr, dass in der Zeit
        wischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft der Schei-
        ung Vermögen zulasten des ausgleichsberechtigten
        hegatten beiseitegeschafft wird. Damit läuft die Stich-
        agsregelung regelmäßig ins Leere.
        Wir wollen deshalb den ausgleichsberechtigten Ehe-
        atten künftig besser vor solchen Manipulationen schüt-
        en. Der Gesetzentwurf sieht hierfür vor, dass der Zeit-
        unkt der Rechtshängigkeit nicht nur für die Berechnung
        es in diesem Fall rein theoretischen Zugewinnaus-
        20210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        gleichs, sondern auch für die endgültige Höhe der Aus-
        gleichsforderung maßgeblich ist.
        Eine weitere Regelung betrifft die Zeit vor Zustellung
        des Scheidungsantrages. Der Schutz des ausgleichsbe-
        rechtigten Ehegatten ist in dieser Phase nach geltendem
        Recht völlig unzureichend. Insbesondere gibt es für ihn
        keinerlei Möglichkeit, sich in dieser Phase gegen Ver-
        mögensverschiebungen zur Wehr zu setzen. Künftig er-
        hält er daher die Möglichkeit, seine Ansprüche im Wege
        eines vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens
        zu sichern. Mit dieser Neuregelung verhindern wir, dass
        der andere Ehepartner wie bisher sein Vermögen ganz
        oder teilweise beiseiteschafft.
        Wir wollen zudem wie im Unterhaltsrecht eine Pflicht
        zur Vorlage von Belegen einführen. Damit greifen wir
        eine allgemeine Forderung aus der Praxis auf. Darüber
        hinaus sieht der Entwurf vor, eine Auskunftspflicht über
        das Anfangsvermögen einzuführen und die Auskunfts-
        pflicht auch auf die Fälle einer vorzeitigen Aufhebung
        der Zugewinngemeinschaft oder eines vorzeitigen Aus-
        gleichs des Zugewinns zu erstrecken. Jeder Ehegatte er-
        hält so die Möglichkeit, sicher abzuschätzen, ob ihm ein
        Anspruch auf Zugewinn zusteht oder nicht.
        Der Entwurf enthält noch eine Reihe von weiteren
        Änderungen, die nicht mit dem Güterrecht zusammen-
        hängen. Der Entwurf bietet jedoch eine gute Gelegen-
        heit, um diese Neuregelungen jetzt zu realisieren: Die
        Regelungen zur Auseinandersetzung der ehelichen Woh-
        nung und des Hausrates, bisher in der sogenannten
        Hausratsverordnung geregelt, sollen nunmehr aus
        rechtssystematischen Gründen in das Bürgerliche Ge-
        setzbuch integriert und als Anspruchsgrundlagen ausge-
        staltet werden. Die Kernvorschriften der Hausratsver-
        ordnung werden dabei im Wesentlichen übernommen,
        sodass die Auseinandersetzung auch weiterhin in einem
        eigenen Verfahren erfolgt, das sich nicht an den von der
        Parteiherrschaft bestimmten Grundsätzen der Zivilpro-
        zessordnung orientiert und das schnell, zweckmäßig und
        einfach durchgeführt werden kann.
        Schließlich sollen mit dem Gesetz die vormund-
        schaftsrechtlichen Genehmigungspflichten an den mo-
        dernen Zahlungsverkehr angepasst werden. Ein Vormund
        oder Betreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten
        einen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder überwei-
        sen will, braucht dafür nach geltendem Recht die Geneh-
        migung des Vormundschaftsgerichts, wenn auf dem
        Konto mehr als 3 000 Euro Guthaben sind. Dies gilt un-
        abhängig vom jeweiligen Betrag. Ferner gibt es eine
        Reihe von Banken, die dem Betreuer die Teilnahme am
        automatisierten Zahlungsverkehr verweigern. Mit diesen
        Beschränkungen ist für den Betreuer ein nicht unerhebli-
        cher bürokratischer Aufwand verbunden. Wir wollen
        deshalb, dass Betreuer und Vormund künftig über das Gi-
        rokonto, das sie treuhänderisch verwalten, ohne gericht-
        liche Genehmigung verfügen können. Da Eltern, Ehegat-
        ten, Lebenspartner und Abkömmlinge schon heute von
        der Genehmigungspflicht befreit sind, werden hierdurch
        in erster Linie die Betreuer entlastet.
        Für den Betreuten wird es angesichts der Aufsicht
        durch das Vormundschaftsgericht auch künftig hinrei-
        c
        w
        n
        g
        Z
        s
        s
        d
        r
        i
        n
        E
        z
        g
        i
        d
        E
        s
        d
        i
        t
        r
        g
        I
        l
        t
        u
        h
        e
        G
        d
        u
        n
        w
        Z
        G
        d
        d
        d
        a
        i
        w
        h
        b
        s
        s
        p
        t
        n
        d
        H
        d
        (C
        (D
        hend Schutz vor Missbrauch geben. Der Betreuer muss
        ie bisher Einnahmen und Ausgaben des Betreuten ge-
        au abrechnen und die Kontobelege einreichen. Im Übri-
        en werden bedeutsame Rechtsgeschäfte auch in
        ukunft unter dem Vorbehalt stehen, dass das Vormund-
        chaftsgericht sie genehmigt hat. Insgesamt handelt es
        ich also um einen sehr ausgewogenen Entwurf, der le-
        iglich moderate Änderungen im Bereich des Familien-
        echts vorsieht. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir
        n diesem Haus eine breite Zustimmung finden werden.
        Es hat bereits im Vorfeld eine Vielzahl von Stellung-
        ahmen der Verbände und Betroffenen gegeben, die den
        ntwurf überwiegend positiv bewerten. Die Kritik be-
        ieht sich hier in erster Linie auf Detailfragen. Die Anre-
        ungen enthalten eine Reihe von Vorschlägen, die wir
        m weiteren Verfahren genau prüfen müssen und die
        urchaus noch zu der einen oder anderen Ergänzung des
        ntwurfs führen können. Beispielhaft möchte ich in die-
        em Zusammenhang den Vorschlag nennen, wonach sich
        er Auskunftsanspruch auch auf Bestandsveränderungen
        n der Zeit seit der Trennung erstrecken sollte. Eine wei-
        ere Anregung, die es zu prüfen gilt, betrifft die güter-
        echtliche Behandlung von Wertsteigerungen bei Vermö-
        ensgegenständen aus dem Anfangsvermögen – etwa
        mmobilien –, die nicht auf der Lebensleistung der Ehe-
        eute beruhen.
        Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft tre-
        en, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetz
        nd der Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Ich
        offe auf konstruktive Beratungen.
        Christine Lambrecht (SPD): Wir beraten heute in
        rster Lesung den von der Bundesregierung vorgelegten
        esetzentwurf zur Reform des Zugewinnausgleichs und
        es Vormundschaftsrechts.
        Was den Zugewinnausgleich betrifft, beschäftigen wir
        ns mit einem Rechtsinstitut, das heute, fast 50 Jahre
        ach seinem Inkrafttreten, so aktuell und bedeutsam ist
        ie nie, da heute etwa jede dritte Ehe geschieden wird.
        ugleich lebt die Mehrzahl der Ehepaare im gesetzlichen
        üterstand, das heißt, bei einer Scheidung müssen sich
        ie Eheleute auch über den Zugewinnausgleich auseinan-
        ersetzen.
        Das Recht des Zugewinnausgleichs bestimmt, dass
        ie Eheleute je zur Hälfte an den Vermögenszuwächsen
        us ihrer Ehe, also dem Zugewinn, beteiligt werden. Er
        st Folge der während der Ehedauer bestehenden Zuge-
        inngemeinschaft, dem gesetzlichen Güterstand. Dies
        at sich bewährt und soll vom Grundsatz her auch so
        leiben. Das neue Recht hält daran fest, denn ein Güter-
        tand muss einfach, klar und praktisch leicht handhabbar
        ein. Denn klar ist: Auch in Zukunft muss ein fairer und
        raxistauglicher Ausgleich möglich sein.
        Der Reformentwurf soll aber künftig zu mehr Gerech-
        igkeit bei der Verteilung des Zugewinns nach der Tren-
        ung führen. Damit steigen wir in die Beratung ein, wie
        er wirtschaftliche Erfolg aus der Ehezeit tatsächlich zur
        älfte auf die Ehepartner verteilt wird. Wie immer wer-
        en wir uns hierbei wieder mit den Wünschen und Be-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20211
        (A) )
        (B) )
        dürfnissen der Menschen zu beschäftigen haben. Der
        rechtliche Rahmen für Ehe, Lebenspartnerschaften und
        Familie muss zeitgemäß sein und den Bedürfnissen der
        Menschen entsprechen. An dieser Richtschnur werden
        wir uns bei den Beratungen wie immer orientieren.
        Der Reformentwurf sieht zum einen vor, dass künftig
        bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs zu berück-
        sichtigen ist, ob ein Ehepartner bereits mit Schulden in
        die Ehe gegangen ist. Die Tilgung dieser Schulden soll
        mit dem Reformentwurf berücksichtigt werden. Bislang
        werden Schulden, die ein Ehegatte bei der Eheschlie-
        ßung hat, bei der Ermittlung des Zugewinns überhaupt
        nicht berücksichtigt. Der Ehegatte, der im Laufe der Ehe
        mit seinem dazu erworbenen Vermögen nur seine an-
        fänglich vorhandenen Schulden zurückzahlt, musste die-
        sen Vermögenszuwachs bisher nicht ausgleichen. Viele
        Menschen finden das ungerecht. Dies gilt umso mehr,
        wenn der Ehegatte für die Verbindlichkeiten des anderen
        Ehegatten aufkommt und zusätzlich eigenes Vermögen
        erwirbt. Nicht allein, dass die Begleichung der Schulden
        und der damit verbundene Vermögenszuwachs beim
        Partner gar nicht mit einberechnet wird, der Ehegatte
        muss auch noch das eigene Vermögen bei Beendigung
        des Güterstandes teilen.
        Dies zeigt sich deutlich an einem Beispiel: Ein Ehepaar
        lässt sich nach 20-jähriger Ehe scheiden, der Ehemann
        Fritz hatte bei Eheschließung gerade ein Unternehmen
        gegründet und 30 000 Euro Schulden gemacht. Wenn er
        dadurch im Verlauf der Ehe einen Vermögenszuwachs
        von 50 000 Euro erzielte, betrug sein Endvermögen
        20 000 Euro. In dem Fall, dass seine Ehefrau Lisa bei
        Eheschließung keine Schulden hatte und während der
        Ehe ein Vermögen von 50 000 Euro erzielte, da sie wäh-
        rend der Ehezeit berufstätig war, müsste Lisa ihrem
        Mann Fritz einen Ausgleich in Höhe von 15 000 Euro
        zahlen. Dabei hat sich Lisa eventuell neben dem Beruf
        noch um die Kinder gekümmert; nur so war ihr Mann in
        der Lage, sich seinem Geschäft zu widmen, und im-
        stande, seine Schulden zu bezahlen und Gewinn zu ma-
        chen. Das soll mit dem Reformentwurf geändert werden.
        Künftig würden dann die Schulden als Negativbetrag zu
        Beginn der Ehe berücksichtigt. Beide Ehegatten hätten
        dann jeweils einen Zugewinn von 50 000 Euro erzielt.
        Deshalb müsste Ehefrau Lisa künftig keinen Zugewinn-
        ausgleich an ihren Mann Fritz zahlen.
        Des Weiteren soll mit dem Reformentwurf in Zukunft
        besser verhindert werden, dass ein Ehepartner zulasten
        des anderen Ehegatten Vermögenswerte beiseiteschafft.
        Für die Berechnung des Zugewinns kommt es nach noch
        geltendem Recht auf den Zeitpunkt der förmlichen Zustel-
        lung des Scheidungsantrags an. Die endgültige Höhe der
        Ausgleichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt,
        den das Vermögen zu einem regelmäßig deutlich späteren
        Zeitpunkt hat, nämlich dem der rechtskräftigen Scheidung
        durch das Gericht. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr,
        dass der ausgleichspflichtige Ehegatte sein Vermögen
        zulasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten beiseite-
        schafft.
        Es liegt beispielsweise eine Vermögensmanipulation
        vor, wenn der gut verdienende Ehemann die Scheidung
        e
        F
        U
        B
        G
        d
        m
        E
        M
        b
        s
        S
        w
        g
        w
        D
        B
        R
        t
        d
        p
        s
        m
        n
        d
        W
        s
        a
        s
        a
        k
        k
        R
        v
        m
        d
        a
        s
        A
        d
        B
        n
        ü
        V
        K
        m
        w
        s
        b
        B
        a
        h
        s
        d
        H
        g
        b
        (C
        (D
        inreicht und einen hohen Zugewinn hat, während seine
        rau kein eigenes Vermögen hat und der Mann für eine
        rlaubsreise mit seiner neuen Freundin einen großen
        etrag ausgibt. Zudem könnte er behaupten, weiteres
        eld an der Börse verloren zu haben. Wenn das Schei-
        ungsurteil rechtskräftig wird, könnte dem Ehemann
        öglicherweise kein Vermögen nachzuweisen sein. Die
        hefrau hat dann keinen Anspruch mehr. Vor solchen
        anipulationen soll der Ehegatte, der einen Ausgleich
        ekommt, künftig geschützt werden. Der Reformentwurf
        ieht daher vor, dass schon zum Zeitpunkt, wenn der
        cheidungsantrag dem Partner zugestellt wird, der Zuge-
        inn berechnet wird und die konkrete Höhe der Aus-
        leichsforderung dann schon feststeht, nicht erst dann,
        enn das Scheidungsurteil viel später rechtskräftig ist.
        ann bleiben Ansprüche wie der von der Ehefrau im
        eispielfall bestehen.
        Mit dem Reformentwurf soll zudem der einstweilige
        echtsschutz verbessert werden. Der Schutz des Ehegat-
        en, der einen Ausgleich bekommt, ist vor der Zustellung
        es Scheidungsantrags an den Partner nur gering ausge-
        rägt. Dies zeigt folgendes Beispiel. Ein Ehegatte, der
        ich scheiden lassen will, ist Alleineigentümer einer ver-
        ieteten Eigentumswohnung, die als Kapitalanlage einen
        icht unerheblich Teil seines Vermögens darstellt. Nach
        er Ankündigung „Du bekommst von mir nichts“ wird die
        ohnung unmittelbar nach der Trennung zum Verkauf in-
        eriert, obwohl dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Der
        ndere befürchtet nun, dass der Verkauf nur dazu dienen
        oll, den Erlös beiseitezuschaffen, um keinen Zugewinn-
        usgleich zahlen zu müssen. Nach geltender Rechtslage
        ann der Ehegatte nichts dagegen unternehmen. Künftig
        önnte er aber seine Ansprüche in einem vorläufigen
        echtsschutzverfahren vor Gericht sichern. Damit soll
        erhindert werden, dass der andere Ehepartner sein Ver-
        ögen ganz oder in Teilen beiseiteschafft.
        Wir werden über diese Änderungen im Güterrecht zu
        iskutieren haben, und ich freue mich in diesem Sinne
        uf die anstehenden Beratungen. In dem Reformgesetz
        ind auch Änderungen des Betreuungsrechts enthalten.
        uch hier müssen wir die Rechtswirklichkeit den Be-
        ürfnissen der Menschen anpassen. Ein Vormund oder
        etreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten einen
        ur kleinen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder
        berweisen will, braucht derzeit die Genehmigung des
        ormundschaftsgerichts, sobald das Guthaben auf dem
        onto 3 000 Euro überschreitet. Dies erfordert einen enor-
        en bürokratischen Aufwand. Wegen dieser Regelung
        ird Berufsbetreuern sogar die Teilnahme am automati-
        ierten Zahlungsverkehr an Geldautomaten oder Online-
        anking usw. von einigen Kreditinstituten verwehrt. Die
        anken geben an, im automatisierten Kontoverkehr nicht
        usreichend kontrollieren zu können, ob das Kontogut-
        aben die Grenze von 3 000 Euro jeweils einhält. Das
        oll durch den Gesetzentwurf geändert werden, indem
        er begrenzte Betrag wegfällt.
        Beispielsweise könnte einer 70-jährigen, an einem
        irntumor erkrankten Dame, die aus ihrer Altersversor-
        ung monatlich 2 000 Euro erhält, ein Berufsbetreuer
        estellt werden. Da sie für ärztliche Behandlungen nicht
        20212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        selten Vorschüsse ihrer Krankenkasse erhält, liegt ihr
        Kontoguthaben häufig über 3 000 Euro.
        Bei diesem Guthabenstand benötigt ihr Betreuer für
        jede alltägliche Überweisung/Auszahlung von ihrem
        Konto eine vormundschaftliche Genehmigung. Zur Ver-
        meidung dieses unnötigen Verwaltungsaufwands soll er
        künftig ohne gerichtliche Genehmigung verfügen kön-
        nen. In erster Linie werden dadurch die Betreuer entlas-
        tet, die nicht in einem engen familiären Verhältnis zum
        Betreuten stehen. Eltern, Ehegatten, Lebenspartner und
        Abkömmlinge sind schon heute von der Genehmigungs-
        pflicht befreit. Vor einem Missbrauch ist der Betreute
        auch weiterhin durch die Aufsicht des Vormundschafts-
        gerichts gut geschützt. Der Betreuer muss über Einnah-
        men und Ausgaben des Betreuten genau abrechnen und
        die Kontobelege einreichen. Geld, das nicht für die lau-
        fenden Ausgaben benötigt wird, muss der Betreuer für
        den Betreuten verzinslich anlegen.
        Die Vorsorgevollmacht hat sich bewährt. Viele Men-
        schen haben bereits die Möglichkeit in Anspruch genom-
        men, beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotar-
        kammer Vorsorgevollmachten registrieren zu lassen. Per
        Vorsorgevollmacht können Menschen bestimmen, wer
        für sie wirtschaftliche und medizinische Entscheidungen
        trifft, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Die
        Registrierung im Vorsorgeregister hilft, den Bevoll-
        mächtigten im Bedarfsfall zuverlässig aufzufinden. Vor-
        sorgevollmachten beinhalten häufig auch eine Betreu-
        ungsverfügung, das heißt die Festlegung, wer Betreuer
        werden soll, falls wegen unvorhergesehener Umstände
        trotz der Vorsorgevollmacht ein Betreuer bestellt werden
        muss. Die Vorteile der Registrierung sollen jetzt auch für
        reine Betreuungsverfügungen gelten, die nicht mit einer
        Vorsorgevollmacht verbunden sind. Auch diese können
        in Zukunft gegen Gebühr ins Zentrale Vorsorgeregister
        eingetragen werden.
        Wir werden auf diese Änderungen im Betreuungs-
        recht nochmals ausführlich eingehen. Auch auf die an-
        stehenden Beratungen bin ich hier sehr gespannt.
        Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
        368 922 Eheschließungen waren im Jahr 2007 bundes-
        weit zu verzeichnen. In den meisten Fällen lag der Ehe
        der sogenannte gesetzliche Güterstand der Zugewinnge-
        meinschaft zugrunde. Im Gegensatz zu einer weit ver-
        breiteten Annahme in der Bevölkerung bedeutet dies
        nicht, dass alle während der Ehe erworbenen Gegen-
        stände gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten
        werden. Grundsätzlich bleibt jeder der Eheleute Allein-
        eigentümer seines vor und während der Ehe erworbenen
        Vermögens. Ein Ausgleich der Vermögen, der soge-
        nannte Zugewinnausgleich, findet erst mit dem Ende der
        Ehe statt. Allein im Jahr 2007 kam es bundesweit zu
        187 072 Ehescheidungen, und dabei wurde in der großen
        Mehrzahl der Fälle ein Zugewinnausgleich vorgenom-
        men. Anhand allein dieser Zahlen lässt sich die Bedeu-
        tung des Zugewinnausgleichs, vor allem auch für ge-
        schiedene Frauen, erahnen. Dieser Zugewinnausgleich,
        der zu einem Ausgleich des während der Ehe erworbe-
        nen Vermögens führt, hat sich in der Praxis der letzten
        5
        s
        a
        v
        R
        r
        t
        B
        t
        R
        G
        s
        b
        e
        n
        Z
        V
        v
        S
        g
        n
        d
        t
        h
        h
        S
        l
        w
        D
        w
        d
        l
        Z
        t
        E
        R
        e
        g
        a
        a
        t
        v
        r
        m
        w
        t
        E
        w
        a
        v
        b
        w
        V
        d
        B
        f
        (C
        (D
        0 Jahre bewährt, sodass an diesem Verfahren grund-
        ätzlich festgehalten werden sollte.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt es nun
        uch nicht zu einer radikalen Reform des Güterrechts,
        ielmehr sollen die bekannten Probleme des geltenden
        echts behoben werden. Eine solche Reform des Güter-
        echts ist schon seit langem überfällig. Bereits 2003 rich-
        ete die FDP-Bundestagsfraktion an die damalige
        undesregierung die Frage (Kleine Anfrage, Bundes-
        agsdrucksache 15/1435), ob nicht auch vonseiten der
        egierung ein Bedarf zur Novellierung des ehelichen
        üterrechts gesehen werde. Die Antwort fiel sehr
        chlicht aus: Man prüfe, ob ein Überarbeitungsbedarf
        estehe. – Nun bedurfte es fünf Jahre der Prüfung, bis
        ndlich ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt.
        Die größte Änderung dürfte die Berücksichtigung ei-
        es negativen Anfangsvermögens bei der Ermittlung des
        ugewinns sein. Nach der geltenden Rechtslage können
        erbindlichkeiten niemals zu einem negativen Anfangs-
        ermögen führen. Dies hat zur Folge, dass die für die
        chuldentilgung verwandte Summe nicht in die Aus-
        leichsberechnungen mit einbezogen wird und so zu ei-
        er Verkürzung des Zugewinns führt. Dies bedeutet, dass
        er Ehegatte mit Schulden vor der Ehe massiv begüns-
        igt wird; das Prinzip der gleichmäßigen Vermögensteil-
        abe ist nicht mehr gewahrt. Die im Gesetzentwurf ent-
        altene Regelung führt dazu, dass diese anfänglichen
        chulden berücksichtigt werden und es damit letztend-
        ich zu einem gerechteren Ergebnis kommt.
        Problematischer erscheint jedoch bereits die Frage,
        as Gegenstand des Zugewinnausgleiches sein sollte.
        er Gesetzentwurf greift diese in der juristischen Fach-
        elt vieldiskutierte Frage überhaupt nicht auf. Grundge-
        anke des Zugewinnausgleiches ist es aber doch vor al-
        em, dass nur solche Vermögensmehrungen in den
        ugewinn einfließen, die auf einer gemeinsamen Leis-
        ung der Partner beruhen. Aus diesem Grunde werden
        rbschaften oder Schenkungen schon nach geltender
        echtslage nicht in den Zugewinn einbezogen. Fraglich
        rscheint deshalb, warum nicht auch eheneutraler Vermö-
        enserwerb wie zum Beispiel der Lottogewinn oder aber
        uch das erhaltene Schmerzensgeld nicht vom Zugewinn
        usgeschlossen sein sollten. Auch der 67. Deutsche Juris-
        entag hat sich dafür ausgesprochen, eheneutralen Erwerb
        on der Teilung auszunehmen. Im Rahmen einer Anhö-
        ung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
        uss auf diese Problematik eingegangen werden.
        Ebenfalls einer kritischen Prüfung bedarf die Frage,
        arum Wertsteigerungen von bereits bei Beginn des Gü-
        erstandes vorhandenen Vermögensgegenständen das
        ndvermögen mehren und damit letztendlich den Zuge-
        inn vergrößern sollen. Zu denken ist hier insbesondere
        n Fälle, in denen zum Beispiel Grundbesitz in Form
        on landwirtschaftlichen Flächen mit in die Ehe einge-
        racht wird. Werden diese landwirtschaftlichen Flächen
        ährend der Ehe in Bauland umgewandelt, findet eine
        ermögensmehrung statt, die nach geltendem Recht in
        en Zugewinnausgleich einzubeziehen ist. An einer die
        eteiligung rechtfertigenden gemeinsamen Wertschöp-
        ung fehlt es bei einer derartigen Wertsteigerung jedoch.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20213
        (A) )
        (B) )
        Neben der Frage des Gegenstandes, der der Teilung
        unterliegen soll, ist auch der Teilungszeitraum von ent-
        scheidender Bedeutung. Für den Beginn des Teilungs-
        zeitraums ist nach geltendem Recht auf den Zeitpunkt
        der Eheschließung abzustellen. Forderungen aus dem
        Bereich der Rechtswissenschaft, auf den Beginn der tat-
        sächlichen Lebensgemeinschaft abzustellen, sind äußerst
        kritisch zu betrachten, da durch die bloße Eingehung ei-
        ner unverbindlichen Lebensgemeinschaft solch weitrei-
        chende Folgen wie der Beginn der Zugewinngemein-
        schaft nicht ausgelöst werden sollten. Bezüglich des
        Endzeitpunktes wird nach geltender Rechtslage für den
        Berechnungszeitpunkt des Zugewinnausgleichs bei der
        Scheidung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Schei-
        dungsantrages abgestellt. Die Höhe der Ausgleichsfor-
        derung ist jedoch durch den Wert des Vermögens be-
        grenzt, das bei Beendigung des Güterstandes, also
        wesentlich später, noch vorhanden ist. In dem dazwi-
        schenliegenden Zeitraum sind Manipulationen zulasten
        des ausgleichberechtigten Gläubigers nicht selten. Be-
        züglich des Endzeitpunkts sieht der Gesetzentwurf des-
        halb sowohl für die Berechnung des Zugewinns als auch
        für die Höhe der Ausgleichsforderung nun den Zeitpunkt
        der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vor. Dies
        stellt eine Besserung der geltenden Rechtslage dar. Oft
        kommt es jedoch auch zu Vermögensverschiebungen
        schon vor der Zustellung des Scheidungsantrages. Um
        einen möglichst effektiven Schutz vor Vermögensmani-
        pulationen zu gewährleisten, sollte auch überlegt wer-
        den, ob bei der Berechnung grundsätzlich auf den Zeit-
        punkt der tatsächlichen Trennung abzustellen ist. In
        einer Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen
        Bundestages sollte auch darauf eingegangen werden.
        Insbesondere sind Einzelheiten zur Feststellung des
        Trennungszeitpunktes zu klären.
        Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Zugewinnaus-
        gleich hat sich in der Praxis als Mittel des gerechten
        Ausgleichs des in der Ehe erwirtschafteten Vermögens
        bewährt. Jedoch sind im Laufe der Zeit – immerhin gut
        50 Jahre – Schwächen oder besser gesagt Schwachstel-
        len des Güterrechts offensichtlich geworden, welche es
        ermöglichten, missbräuchlich wirtschaftliche Vorteile
        zulasten des schwächeren Ehepartners zu erlangen. Ins-
        besondere die Möglichkeit der nachträglichen Vermö-
        gensmanipulation, eine fehlende Belegpflicht und die
        fehlende Berücksichtigung des negativen Anfangsver-
        mögens von Ehepartnern sind in der Praxis bemängelt
        worden.
        Bislang war es nicht möglich, die Schulden eines
        Ehegatten, welche dieser mit in die Ehe brachte, zu be-
        rücksichtigen, da Anfangsvermögen nicht negativ sein
        konnte. Das heißt, bei der Berechnung des Zugewinns
        blieben die möglicherweise im Laufe der Ehe getilgten
        Schulden des einen Ehepartners unberücksichtigt. Im
        Klartext heißt das, dass es Fälle gab, in denen die Frau
        nicht nur die Schulden des Mannes gezahlt hat, sondern
        ihm nach der Scheidung auch noch ausgleichsverpflich-
        tet war, ihm also auch noch Geld „nachzahlen“ musste.
        Dieser Missstand soll mit der vorgelegten Gesetzes-
        reform beseitigt werden. Und das ist auch gut so, denn
        S
        b
        u
        V
        g
        Z
        s
        v
        d
        l
        n
        A
        t
        d
        r
        T
        g
        m
        g
        s
        e
        h
        V
        d
        A
        z
        g
        B
        d
        g
        §
        g
        G
        r
        s
        s
        §
        B
        u
        s
        g
        G
        g
        e
        T
        h
        b
        o
        d
        b
        d
        (C
        (D
        chulden stellen tatsächliche Vermögenswerte dar, die
        ei der Berechnung des Zugewinns einfließen sollten.
        Das Auseinanderfallen der Stichtage von Trennung
        nd Scheidung bei der Berechnung des erwirtschafteten
        ermögens soll künftig dergestalt entfallen, dass maß-
        eblicher Zeitpunkt für die Vermögensberechnung die
        ustellung des Scheidungsantrags an den Antragsgegner
        ein soll (Rechtshängigkeit der Scheidung). Damit kann
        erhindert werden, dass bis zum rechtskräftigen Schei-
        ungsurteil das Vermögen durch einen Ehegatten unred-
        ich noch derart manipuliert wird, dass an Vermögen
        ichts mehr vorhanden ist und infolgedessen auch keine
        usgleichspflicht besteht. Die Vorverlagerung des Stich-
        ags auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Schei-
        ung scheint gut zu sein. Ob eine weitere Vorverlage-
        ung, zum Beispiel auf den Zeitpunkt des Beginns des
        rennungsjahres, sinnvoll ist, um möglichen Vermö-
        ensverschiebungen während dieser Zeit vorzubeugen,
        uss in den Beratungen geklärt werden.
        Die geplanten Änderungen hinsichtlich der genehmi-
        ungsfreien Geschäfte in § 1813 BGB passen sich
        chließlich dem modernen Zahlungsverkehr an, wobei
        ine Gefährdung des Vermögens des Mündels nicht er-
        öht werden dürfte.
        Die geplante Neuregelung in Nr. 3 verzichtet zwar bei
        erfügungen über das Guthaben eines Girokontos auf
        ie Festsetzung einer Betragsgrenze im Sinne des § 1813
        bs. 1 Nr. 2 BGB (3 000 Euro) mit der Folge, dass eine
        usätzliche Kontrolle bei Überschreitung der Betrags-
        renze durch den Genehmigenden wegfällt. Aber das
        etreutenvermögen wird auf der einen Seite bereits
        urch bestehende vormundschaftsrechtliche Vorschriften
        rundsätzlich hinreichend geschützt – zum Beispiel
        1802 BGB Vermögensverzeichnis, § 1806 BGB Anle-
        en von Mündelgeld, § 1812 BGB Genehmigung des
        egenvormunds oder Gerichts usw. –, und auf der ande-
        en Seite bestehen bereits jetzt Befreiungen von be-
        timmten Pflichten bei der Vermögensverwaltung, insbe-
        ondere auch von der Genehmigungspflicht gemäß
        1813 BGB und der Rechnungslegungspflicht, zum
        eispiel für nahe Familienangehörige als Betreuerinnen
        nd Betreuer.
        Von daher ist der Entwurf grundsätzlich positiv einzu-
        chätzen. Wir werden sehen, was am Ende nach den Re-
        eln des Struckschen Gesetzes davon noch bleibt.
        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Jede dritte Ehe in Deutschland wird heute
        eschieden. Dass dies nicht immer reibungslos verläuft,
        rklärt sich von selbst. Darum muss es im Falle einer
        rennung zukünftig fairer und transparenter zugehen.
        Bisher konnten gut verdienende Ehemänner seelenru-
        ig gemeinsam in der Ehe erarbeitete Vermögenswerte
        eiseiteschaffen, bis die Scheidung rechtskräftig wurde,
        der falsche Auskunft über das Vermögen geben, um
        en Rest für ein Leben mit der neuen Partnerin durchzu-
        ringen. Zukünftig ist Schluss mit dem Schummeln bei
        er Scheidung.
        20214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Das Justizministerium hat sich mit dieser Reform, die
        bereits unter Rot-Grün geplant war, leider viel Zeit ge-
        lassen. Es wird Zeit, dass sie nun zum Abschluss ge-
        bracht wird. Die Reform kommt den – leider immer
        noch – meist finanziell schwächer gestellten Frauen zu-
        gute. Gemeinsam erworbenes Vermögen muss auch bei-
        den Partnern zu gleichen Teilen zukommen. Soviel Ge-
        rechtigkeit sollte eigentlich selbstverständlich sein.
        Der neue Entwurf geht in die richtige Richtung. Wir
        unterstützen die Erstreckung der Auskunftspflicht auf das
        Anfangsvermögen und die Verpflichtung, auf Verlangen
        Belege für das Anfangs- und Endvermögen vorzulegen.
        Das erleichtert die Feststellung und Durchsetzung des Zu-
        gewinnausgleichsanspruchs. Schließlich zählt nicht nur
        das Plus auf dem Konto, sondern auch das Minus.
        Doch auch hier sind noch Verbesserungen möglich.
        Die gleichen Rechte, wie sie am Ende der Ehe bestehen,
        sollten auch während der Ehe eingeräumt werden. Das
        ist zwar zum Teil, aber nicht in vollem Umfang gegeben.
        Wir haben darüber schon in vergangenen Legislatur-
        perioden mehrfach diskutiert. Dem Bundesrat ist zugute-
        zuhalten, dass er die Debatte mit seiner Stellungnahme
        zu dem Gesetzentwurf nochmals anstößt. Ihm ist aber
        auch nichts Besseres eingefallen, als seinen alten Vor-
        schlag noch einmal aufzuwärmen. Der Bundesrat macht
        hier aber nur halbe Sachen. Außerdem stellt er nicht klar,
        dass der Auskunftsanspruch ein höchstpersönliches
        Recht ist, das nicht von Gläubigern gepfändet werden
        kann. Auch wenn es schwierig ist, es würde sich lohnen,
        weiter nach einer Lösung zu suchen.
        Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf die Schul-
        den aus der Zeit vor der Ehe berücksichtigt und damit
        deren – oft gemeinsam erwirtschaftete – Tilgung grund-
        sätzlich einem Ausgleich bei Scheidung zugänglich
        macht. Zum Beispiel startet ein Partner nach der Ausbil-
        dung in die Selbstständigkeit, verschuldet sich und
        bringt diese Schulden mit in die Ehe. Nicht selten wird
        es die Ehefrau sein, die ihrem Mann den Rücken frei-
        hält, durch Mitarbeit im Betrieb oder durch eigene finan-
        zielle Leistungen oder Verzicht dazu beiträgt, die Schul-
        den abzubauen. Das Vermögen des Mannes, das am
        Ende der Ehe vorhanden ist, wird also gerechter aufge-
        teilt.
        Aber, Frau Bundesministerin, hier muss ich doch et-
        was Wasser in den Wein gießen. Denn der Gesetzent-
        wurf relativiert dieses Ergebnis erheblich. Er sieht vor,
        dass der ausgleichspflichtige Partner zumindest die
        Hälfte seines Vermögens behalten darf. Diese Kap-
        pungsgrenze bewirkt neue Ungerechtigkeiten. Die bes-
        sere Partizipation und ihre Höhe hängen davon ab, ob
        und wie viel Vermögenszuwachs der mitarbeitende Part-
        ner selbst erreichen konnte. Bleiben wir in dem Beispiel:
        Gelang es dem Ehemann, von 100 000 Euro Schulden auf
        ein Vermögen von 100 000 Euro zu kommen, während
        die Ehefrau rollenverteilungsbedingt von null auf nur
        10 000 Euro kam, wird der ihr bei gleicher Teilhabe zuste-
        hende Ausgleichsanspruch von 95 000 auf 50 000 Euro
        gekürzt. Auch wenn wir nicht das Alleinernährermodell
        propagieren, muss in solchen Fällen für mehr Gerechtig-
        keit gesorgt werden.
        g
        h
        c
        a
        d
        s
        b
        r
        A
        w
        d
        w
        p
        V
        g
        K
        S
        B
        d
        k
        n
        d
        T
        t
        d
        w
        l
        l
        w
        g
        g
        r
        E
        R
        t
        d
        r
        t
        b
        f
        d
        s
        w
        S
        d
        g
        e
        V
        g
        b
        d
        E
        B
        i
        (C
        (D
        Im Extremfall stehen beide bei der Scheidung vermö-
        ensmäßig bei null. Dann gibt es überhaupt keine Teil-
        abe des mitarbeitenden Ehepartners, obwohl mögli-
        herweise erhebliche Schulden des anderen gemeinsam
        bgebaut wurden. Nun mag man darüber diskutieren,
        ass ein schuldenfreier Start in ein neues Leben möglich
        ein soll, obwohl auch hier der Teilhabegedanke durch-
        rochen würde. Wir haben auch bei der Unterhalts-
        eform die Gründung einer Zweitfamilie erleichtert.
        ber ich finde, wir müssen bei der Reform des Zuge-
        innausgleichs nicht noch einen Startbonus auf Kosten
        es anderen Partners geben. Ich plädiere also dafür, dass
        ir in den Ausschussberatungen darüber reden, die Kap-
        ungsgrenze zumindest auf das gesamte vorhandene
        ermögen zurückzuführen. So sieht es auch schon das
        eltende Recht vor. Bislang wird es aber nur in wenigen
        onstellationen relevant, weil die anfangs bestehenden
        chulden noch nicht berücksichtigt werden.
        Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
        undesministerin der Justiz: Auch wenn die Schei-
        ungsrate in den letzten Jahren erfreulicherweise gesun-
        en ist, lassen sich Scheidungen weder in schlechten
        och in guten wirtschaftlichen Zeiten vermeiden. Es ist
        aher die Aufgabe des Gesetzgebers, die Folgen der
        rennung für die Beteiligten durch ein möglichst gerech-
        es Recht zu regeln. Ich bin deshalb froh, dass der Bun-
        estag heute die Beratungen über die Reform des Zuge-
        innausgleichs aufnimmt.
        Der Gesetzentwurf soll für mehr Gerechtigkeit vor al-
        em nach einer Scheidung sorgen. Die meisten Ehepaare
        eben im gesetzlichen Güterstand. In diesem Güterstand
        ird der sogenannte Zugewinn bei Ende der Ehe ausge-
        lichen. Das bedeutet: Bei der Scheidung kann der Ehe-
        atte, dessen Vermögen während der Ehe einen geringe-
        en Zuwachs hatte als das Vermögen des anderen
        hegatten, von diesem Ausgleich in Geld verlangen. Der
        eformentwurf will Schwachstellen in der Praxis besei-
        igen und damit noch besser gewährleisten, dass es bei
        em Ausgleich wirklich gerecht zugeht. Vor allem un-
        edliche Vermögensverschiebungen zulasten des Ehegat-
        en, der einen Ausgleichsanspruch hat, sollen in Zukunft
        esser verhindert werden. Der Gesetzentwurf sieht hier-
        ür folgende Neuerungen vor:
        Künftig soll für die Berechnung der konkreten Höhe
        er Ausgleichsforderung bereits der Zeitpunkt der Zu-
        tellung des Scheidungsantrags maßgeblich sein. Bisher
        ar dafür erst der spätere Zeitpunkt der Rechtskraft der
        cheidung maßgeblich. In der Zwischenzeit bestand in
        er Praxis die Gefahr, dass der ausgleichspflichtige Ehe-
        atte Vermögen beiseiteschafft.
        Weiter soll künftig auch berücksichtigt werden, wenn
        in Ehepartner bei der Eheschließung mehr Schulden als
        ermögen hat. Nach der Neuregelung wird auch das so-
        enannte negative Anfangsvermögen berücksichtigt und
        ei der Berechnung des späteren Ausgleichsanspruchs in
        ie Bilanz der Ehe eingestellt. Heute übernimmt der
        hepartner, der sein Vermögen im Lauf der Ehe um den
        etrag mehrt, der den Schulden des anderen entspricht,
        m Zugewinnausgleich praktisch die Hälfte dieser Schul-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20215
        (A) )
        (B) )
        den. Die Neuregelung schließt damit eine Gerechtig-
        keitslücke im ehelichen Güterrecht. Dennoch bleibt die
        sehr einfache und klare Struktur des Zugewinnaus-
        gleichs erhalten.
        Schließlich wird es für beide Ehegatten einfacher, die
        Zugewinngemeinschaft ohne Auflösung der Ehe zu be-
        enden. Vermögensmanipulationen zulasten des aus-
        gleichsberechtigten Ehegatten sollen darüber hinaus
        durch Verbesserungen des vorläufigen Rechtsschutzes
        verhindert werden. Der ausgleichsberechtigte Ehegatte
        soll künftig seinen Anspruch auf vorzeitigen Zugewinn-
        ausgleich unmittelbar geltend machen und damit seinen
        Geldanspruch im vorläufigen Rechtsschutz durch Arrest
        direkt sichern können. Damit kann der Ehepartner, dem
        Schaden droht, mithilfe des Gerichts verhindern, dass
        der andere sein Vermögen ganz oder in Teilen beiseite-
        schafft.
        Der Entwurf führt ergänzend die Pflicht ein, Belege
        über das Vermögen vorzulegen. Gleichzeitig wird die
        Auskunftspflicht auf das Anfangsvermögen und auf die
        Fälle des vorzeitigen Ausgleichs des Zugewinns und der
        vorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft er-
        streckt.
        Außerdem wird die Hausratsverordnung von 1944
        aufgehoben. Deren notwendige materiell-rechtliche Re-
        gelungen werden in das Bürgerliche Gesetzbuch inte-
        griert. Dabei werden die Kernstrukturen der Hausrats-
        verordnung in ein Recht umgestaltet, das modernen
        Anforderungen genügt.
        Die vorgeschlagenen Regelungen haben bisher im
        Wesentlichen Zustimmung gefunden. Bei den vorliegen-
        den Änderungsvorschlägen und Prüfbitten des Bundes-
        rates zum Regierungsentwurf geht es um Detailänderun-
        gen, die den Grundansatz der Reform nicht infrage
        stellen.
        Der Gesetzentwurf sieht eine weitere wichtige Neue-
        rung vor, die allerdings nicht den Zugewinnausgleich
        betrifft, sondern die Verfügung eines Vormunds oder Be-
        treuers über das Guthaben auf einem Giro- oder Konto-
        korrentkonto. Das geltende Recht führt zu erheblichen
        Problemen bei der Teilnahme von Vormündern und Be-
        treuern am automatisierten Giroverkehr. Das Bürgerliche
        Gesetzbuch von 1900 sieht Genehmigungspflichten vor,
        wenn das Guthaben auf dem Konto heute mehr als
        3 000 Euro beträgt. Mit dem Entwurf werden die vor-
        mundschaftsgerichtlichen Genehmigungspflichten an
        den modernen Zahlungsverkehr angepasst. Die Schutz-
        vorschriften des Vormundschaftsrechts sind auch ohne
        diese besondere Genehmigungspflicht ausreichend, um
        das Vermögen von Mündeln und Betreuten vor unge-
        rechtfertigen Abflüssen zu bewahren.
        Ich bin zuversichtlich, dass auch die Beratungen im
        Bundestag zügig verlaufen werden. Dann können die
        Regelungen für einen gerechten und effektiven Zuge-
        winnausgleich schon gleichzeitig mit der Reform des Fa-
        milienverfahrensrechts zum 1. September 2009 in Kraft
        treten.
        A
        D
        w
        f
        G
        d
        d
        s
        s
        a
        d
        f
        B
        r
        s
        a
        K
        S
        V
        a
        z
        s
        S
        t
        s
        K
        o
        A
        h
        o
        n
        P
        B
        s
        g
        h
        P
        w
        r
        t
        D
        s
        h
        m
        s
        d
        (C
        (D
        nlage 21
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur
        Änderung anderer Vorschriften (GeROG) (Ta-
        gesordnungspunkt 44)
        Enak Ferlemann (CDU/CSU): Die Raumordnung in
        eutschland zukunftsfähig zu machen, ist das Ziel, das
        ir mit der Neufassung des Raumordnungsgesetzes ver-
        olgen. Wir brauchen die Neufassung als eine moderne
        rundlage für eine effiziente, zukunftsfähige und koor-
        inierende Raumentwicklung in Deutschland.
        Um es vorweg zu nehmen, ich bin überzeugt, dass wir
        ieses Ziel mit den Ergebnissen aus den parlamentari-
        chen Beratungen, die in zwei Änderungsanträge gegos-
        en sind, auch erreicht haben.
        Gesetzestechnisch haben wir Neuland betreten. Denn
        ufgrund der verfassungsrechtlichen Lage nach der Fö-
        eralismusreform I haben wir es mit einem neu geschaf-
        enen Kompetenztyp zu tun. Neu ist die Kompetenz des
        undes, die Raumordnung in den Ländern umfassend zu
        egeln. Wenn es um neue Kompetenzverteilung zwi-
        chen dem Bund und den Ländern geht, können, wie wir
        lle wissen, Verhandlungen schwierig werden und zu
        ontroversen führen. Deshalb war es wichtig, eine neue
        ystematik zu finden, die einerseits bundesrechtliche
        ollregelungen schafft, wo dies aus fachlichen Gründen
        ngezeigt ist, die sich andererseits aber gesetzgeberisch
        ugunsten des Landesrechts da zurückhält, wo landes-
        pezifische Besonderheiten ihren Raum brauchen. Diese
        ystematik zu finden, ist gelungen.
        Den Beteiligten aufseiten des Bundes und den Vertre-
        ern der Länder gilt deshalb mein Dank für die gute Zu-
        ammenarbeit bei der Aufstellung des Entwurfs und den
        onsens, gemeinsam an einer zukunftsfähigen Raum-
        rdnungsgesetzgebung mitzuwirken.
        Bedanken möchte ich mich im Besonderen bei Dr.
        rno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik. Er
        at den Koalitionsfraktionen mit dem Planspiel „Neu-
        rdnung des Rechts der Raumordnung“ wertvolle Ergeb-
        isse geliefert. Das Planspiel diente der prospektiven
        rüfung des Gesetzentwurfs zum ROG. Wie schon beim
        augesetzbuch hat sich die Durchführung eines Plan-
        piels als sehr zweckdienlich erwiesen. Die Einschätzun-
        en und Empfehlungen, die wir bekommen haben, beru-
        en in hohem Maße auf den Erfahrungen der beteiligten
        raktiker. Sie stellen wertvolle Anregungen und Hin-
        eise dafür dar, wo der Gesetzentwurf der Bundesregie-
        ung gut ist oder noch verbesserbar und für die Praxis
        auglicher gemacht werden sollte. Deshalb gilt mein
        ank zugleich auch allen Mitwirkenden der am Plan-
        piel beteiligten Planungsträgern und Raumordnungsbe-
        örden aus den verschiedenen Regionen.
        Erfreulich war insbesondere die grundsätzlich zustim-
        ende Bewertung des Regierungsentwurfs zur Neufas-
        ung des Raumordnungsgesetzes. Übereinstimmend von
        en am Planspiel Beteiligten begrüßt wurde die einheitli-
        20216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        che Regelung der Raumordnung in einem Bundesgesetz,
        wie auch das Konzept, die Neuregelung des Rechts der
        Raumordnung im Wesentlichen an der alten rahmen-
        rechtlichen Rechtsstruktur auszurichten. Auch die Ziel-
        setzung, den Ländern trotz Wahrnehmung der konkurrie-
        renden Gesetzgebung Spielräume für ergänzende
        Regelungen im Landesrecht zu belassen, hat Zustim-
        mung gefunden. Anregungen zur Änderung oder Ergän-
        zung des Gesetzentwurfs betrafen überwiegend nur Teil-
        aspekte der jeweiligen Regelungen und wurden auch
        nicht in jedem Falle übereinstimmend geäußert. Die
        übereinstimmend oder zumindest mehrheitlich getrage-
        nen Anregungen hat die Bundesregierung zu einem Teil
        mit der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundes-
        rates aufgegriffen.
        Die Koalitionsfraktionen haben sich in der parlamen-
        tarischen Beratung mit den Ergebnissen der von den
        Mitwirkenden am Planspiel gemachten Erfahrungen
        ebenso wie mit den von den beteiligten Verbänden abge-
        gebenen Stellungnahmen auseinandergesetzt. Im Ergeb-
        nis hat dies dazu geführt, dass auch noch Änderungen,
        mit denen wir zu weiteren Verbesserungen des Gesetzes
        beitragen werden, über den Antrag der Koalitionsfrak-
        tionen aufgenommen worden sind.
        Ich denke, dass wir auch einen guten Weg gefunden
        haben, verbliebene Gegensätzlichkeiten zwischen dem
        Bund und den Ländern im Hinblick auf die zukünftige
        Koordinationsfunktion des Bundes auszugleichen. Diese
        Gegensätzlichkeiten richteten sich unter anderem auf die
        übergeordnete Koordinierungsfunktion des Bundes zum
        Beispiel für die zukünftig einer gesamtdeutschen Sicht
        unterliegenden Konzepte für Flug- und Seehäfen, die da-
        mit im Zusammenhang stehende Bundesverkehrswege-
        planung und Rohstofflagerstätten.
        Meine Fraktion hat Verständnis für die Sorgen, und
        wir haben ihnen mit dem Änderungsantrag der Koali-
        tionsfraktionen zu Artikel 1 Rechnung getragen. Das
        war auch im Sinne der FDP, die sich diesem Änderungs-
        antrag angeschlossen hat. Im Paragraf 17 wird ein Abs. 6
        angefügt, in dem geregelt ist, dass bei Aufstellung von
        Plänen nach den Abs. 2 und 3 dem Bundesverkehrsmi-
        nisterium eine Verpflichtung zur Unterrichtung des Aus-
        schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufge-
        geben ist. Damit wird dem Fachausschuss eine
        Mitwirkungsmöglichkeit über die entsprechende Raum-
        ordnung, die als Rechtsverordnung ergeht, eingeräumt.
        Die Pläne nach Abs. 2 und 3 betreffen die übergeordne-
        ten Konzeptionen wie zum Beispiel für Flug- und Seehä-
        fen. Die parlamentarische Mitwirkung ist damit sicher-
        gestellt. Das ist vor allen Dingen auch im Sinne der
        Länder, der Verbände und Unternehmen.
        Ich ziehe mein Fazit: Ich bin froh, dass wir heute die
        Neufassung des Raumordnungsgesetzes beschließen
        können. Wir stehen vor großen Herausforderungen, für
        die wir Lösungen erarbeiten müssen. Demografischer
        Wandel, Bevölkerungsrückgang, Klimawandel, Ressour-
        censchonung, Förderung von Entwicklungspotential,
        Unterstützung für zukunftsweisende Wirtschaft, Siche-
        rung der Daseinsvorsorge. Das sind Stichworte, die für
        bedeutende Aspekte stehen, die raumordnerisch zu ei-
        n
        L
        r
        f
        a
        r
        h
        s
        a
        g
        t
        G
        w
        S
        S
        ß
        b
        v
        z
        z
        d
        s
        r
        d
        g
        g
        a
        r
        s
        d
        s
        d
        B
        l
        f
        e
        s
        E
        d
        d
        e
        n
        l
        l
        l
        n
        a
        g
        i
        P
        s
        i
        (C
        (D
        em Ganzen zusammengebracht und einer gemeinsamen
        ösung zugeführt werden müssen, um im nationalen, eu-
        opäischen und globalen Kontext zukunftsfähig zu sein.
        Das Raumordnungsgesetz bietet so, wie wir es jetzt
        assen, die Gewähr, unsere Zukunft den Veränderungen
        nzupassen. Damit ist das Gesetz, wie ich finde, hervor-
        agend gelungen. Die Koalitionsfraktionen werden des-
        alb das Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsge-
        etzes und zur Änderung anderer Vorschriften in der sich
        us den Änderungsanträgen ergebenden Fassung mit
        roßer Überzeugung beschließen. Ich lade die Opposi-
        ionsfraktionen herzlich ein, gemeinsam mit uns dem
        esetzentwurf in der veränderten Fassung zuzustimmen.
        Petra Weis (SPD): Zum wiederholten Male müssen
        ir uns zu später, in diesem Fall sogar zu nächtlicher
        tunde mit einem Thema aus dem Bereich Bau und
        tadtentwicklung beschäftigen, das wie viele andere grö-
        ere Aufmerksamkeit in Form einer prominenteren De-
        attenzeit durchaus verdient hätte. Die Raumordnung ist
        ielleicht nicht auf den ersten, aber spätestens auf den
        weiten Blick von ganz erheblicher Bedeutung für die
        ukünftige Entwicklung unseres Landes.
        Seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Bun-
        esregierung am 24. September haben wir einen ausge-
        prochen intensiven, dialogorientierten und stets zielfüh-
        enden Beratungsprozess hinter uns, der – wenn ich mir
        iese Bemerkung erlauben darf – auch anderen Gesetz-
        ebungsvorhaben durchaus gut anstehen würde. Es ist
        elungen, sowohl Änderungsvorschläge des Bundesrates
        ls auch solche, die aus den Ergebnissen des Planspiels
        esultieren, in den Entwurf, der heute zur Abstimmung
        teht, mit einzubeziehen. Es spricht also viel dafür, dass
        ie Bestimmungen des Gesetzes von denen, die es um-
        etzen müssen, in der Praxis reibungslos angewandt wer-
        en können. Dafür möchte ich mich bei allen am Prozess
        eteiligten auch im Namen meiner Fraktion ganz herz-
        ich bedanken – die Beteiligten des Deutschen Instituts
        ür Urbanistik als Ausrichter des Planspiels ausdrücklich
        ingeschlossen.
        Wir beschreiten in der Raumordnung gesetzgeberi-
        ches Neuland. Der Handlungsbedarf ergibt sich aus den
        rgebnissen der Förderalismusreform. Wir wenden hier
        en neuen Typ einer konkurrierenden Gesetzgebung an,
        er den Ländern ausdrücklich abweichende Regelungen
        rlaubt. Um eine größtmögliche Einheit der Raumord-
        ung in der Bundesrepublik auch zukünftig zu gewähr-
        eisten, kommt es nun darauf an, eine vernünftige Ba-
        ance zwischen bundeseinheitlichen Standards und den
        andesspezifischen Besonderheiten herzustellen.
        Der Koalition ist es mit diesem Gesetzentwurf für ein
        eues Raumordnungsrecht gelungen, den Anforderungen
        n eine zukunftsgerichtete Raumordnung in Deutschland
        erecht zu werden. Diese positive Bewertung beziehe
        ch nicht nur auf den gerade beschriebenen vorbildlichen
        rozess im Zuge der Erarbeitung und Beratung des Ge-
        etzentwurfes, sondern selbstverständlich auch auf die
        nhaltlichen Weichenstellungen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20217
        (A) )
        (B) )
        Das Gesetz orientiert sich an der Zielsetzung einer
        einheitlichen Gesetzgebung, die von allen Beteiligten als
        grundsätzlich richtig anerkannt worden ist. Es verspricht
        darüber hinaus eine nachhaltige Planung und Koordinie-
        rung vor allem mit Bezug auf die neu entstandenen
        Herausforderungen an die Raumordnung in einer globa-
        lisierten Welt. Dem Klimawandel und dem Bevölke-
        rungsrückgang kommt dabei auch in diesem Zusammen-
        hang eine ganz besondere Bedeutung zu.
        So ist es nur folgerichtig, dass die „Grundsätze der
        Raumordnung“ und die aktuellen Leitbilder und Hand-
        lungsstrategien für die Raumentwicklung in der Bundes-
        republik angepasst werden.
        Es ist ebenso folgerichtig, dass neben dem Klima-
        schutz und der Sicherung der Daseinsvorsorge vor dem
        Hintergrund einer rückläufigen Bevölkerungsentwick-
        lung vor allem die Entwicklung der Innenstädte und da-
        mit einhergehend die Reduzierung der Flächeninan-
        spruchnahme hervorgehoben werden.
        Die interkommunale Zusammenarbeit – insbeson-
        dere zwischen Städten und dem sie umgebenden ländli-
        chen Raum – und die grenzüberschreitende Zusammen-
        arbeit sind ebenso zu nennen wie die vollständige
        Umsetzung der EU-Richtlinie zur strategischen Umwelt-
        prüfung. Damit wird wie schon beim Baugesetzbuch die
        Rechtsanwendung erleichtert.
        Ich habe schon im Rahmen der ersten Lesung darauf
        hingewiesen und will es an dieser Stelle gern wiederho-
        len: Die Raumordnung hat die Aufgabe, für einen nach-
        haltigen Ausgleich der vielfältigen ökonomischen, öko-
        logischen und sozialen Ansprüche an den Raum zu
        sorgen. Sie ist damit die Basis einer nachhaltigen Infra-
        strukturpolitik und damit gleichzeitig unverzichtbare Vo-
        raussetzung für eine moderne Wirtschafts- und Gesell-
        schaftspolitik.
        Sie ermöglicht darüber hinaus die Entwicklung länder-
        übergreifender Standortkonzepte von nationaler und in-
        ternationaler Bedeutung vor dem Hintergrund der öko-
        nomischen Entwicklung und der nachhaltigen Mobilität
        gleichermaßen. Sie fördert die koordinierte Zusammen-
        arbeit zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, den
        Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und die am-
        bitionierten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie ist da-
        mit eine gesellschaftliche und politische Gemeinschafts-
        aufgabe, und sie gelingt auch nur als solche.
        Es wird in Zukunft nötig sein, die Entwicklungen in
        regelmäßigen Abständen zu evaluieren. Die Ergebnisse
        werden Aufschluss über den Grad der Zielerreichung ge-
        ben und Grundlage für weitere Handlungsschritte sein.
        Mit diesem Gesetz führen wir die lange Tradition der
        Raumordnung in der Bundesrepublik verantwortungsbe-
        wusst weiter. Die Bedeutung der Raumordnung wird an-
        gesichts der beschriebenen Herausforderungen weiter
        zunehmen. Ziel der Raumordnungspolitik ist und bleibt
        es, den einzelnen Räumen und Regionen optimale Ent-
        wicklungschancen zu ermöglichen. Ich bin überzeugt,
        dass das neue Gesetz der Zielerreichung in besonderer
        Weise dienlich sein kann.
        a
        g
        d
        g
        n
        r
        v
        h
        g
        A
        s
        g
        l
        t
        v
        l
        s
        P
        s
        d
        k
        s
        K
        H
        h
        p
        o
        R
        i
        g
        l
        ü
        w
        d
        I
        r
        A
        w
        e
        t
        l
        h
        G
        S
        c
        s
        m
        d
        n
        W
        s
        v
        R
        i
        B
        r
        t
        (C
        (D
        Patrick Döring (FDP): Zu Beginn möchte ich mich
        n dieser Stelle herzlich bei den Kolleginnen und Kolle-
        en aus den übrigen Fraktionen bedanken. Wir haben, so
        enke ich, bei der Beratung dieses Gesetzes sehr kolle-
        ial zusammen gearbeitet und so im Ausschuss noch ei-
        ige wertvolle Änderungen der Regierungsvorlage er-
        eicht. In dem einen oder anderen Punkt hätte man sich
        ielleicht noch mehr vorstellen können – doch insgesamt
        aben auch die Koalitionäre sich hier sehr offen gezeigt.
        Die in meinen Augen mit Abstand bedeutsamste Er-
        änzung ist sicherlich die Parlamentsbeteiligung bei der
        ufstellung von Raumordnungsplänen des Bundes. Ur-
        prünglich war bisher von der Regierung nur vorgesehen
        ewesen, den zuständigen Ausschuss nach Fertigstel-
        ung dieser Rechtsverordnung zu informieren. Wir hät-
        en in diesem Hause also im Zweifelsfall erst viel zu spät
        on Entwicklungen erfahren. Wohin das führen kann, er-
        eben wir ja just beim Raumordnungsplan für die Aus-
        chließliche Wirtschaftszone: Die Auswirkungen des
        lanes sind zum Teil immens – vor allem für die Off-
        hore-Windenergie! Durch den Raumordnungsplan wer-
        en die Wachstumsmöglichkeiten dieses umwelt- und
        limafreundlichen Energieträgers empfindlich einge-
        chränkt und damit nicht zuletzt sogar die deutschen
        lima- und Nachhaltigkeitsziele gefährdet. Und unser
        aus wird an einem solchen bedeutsamen Verfahren bis-
        er nicht beteiligt!
        Nachdem in Zukunft der Bund auch Raumordnungs-
        läne mit Festlegungen zu länderübergreifenden Stand-
        rtkonzepten für See-, Binnen- und Flughäfen als
        echtsverordnung erlassen kann, bin ich froh, dass wir
        n diesem Verfahren eine frühzeitige Parlamentsbeteili-
        ung erreicht haben. Es wäre doch geradezu abenteuer-
        ich, wenn jeder Kreis- oder Landtag in die Diskussion
        ber ihn betreffende Raumordnungspläne einbezogen
        ürde, aber ausgerechnet der Deutsche Bundestag bei
        en Raumordnungsplänen des Bundes außen vor bliebe.
        ch freue mich, dass die Koalitionsfraktionen diese An-
        egung aufgenommen und wir in einem gemeinsamen
        ntrag den Gesetzentwurf entsprechend ergänzt haben.
        Auch an anderer Stelle konnten wir den Gesetzent-
        urf noch durch eine kleine, aber wichtige Änderung
        ntscheidend verbessern: Die wirtschaftsnahe Infrastruk-
        ur ist in der nun vorliegenden Fassung wieder als Be-
        ang in den Grundsätzen der Raumordnung erfasst. Ich
        atte hierzu ja bereits in der ersten Lesung zu diesem
        esetzentwurf meine Bedenken vorgetragen. Durch die
        treichung dieses Aspektes auf der einen und die deutli-
        he Aufwertung der Belange des Umwelt- und Klima-
        chutzes auf der anderen Seite, war der Gesetzentwurf in
        einen Augen nicht ausgewogen. Die Argumentation
        es Ministeriums, dass die Erwähnung der wirtschafts-
        ahen Infrastruktur überflüssig sei, weil die Belange der
        irtschaft im bisherigen Gesetz ausführlicher berück-
        ichtigt waren und daher von den zuständigen Behörden
        erinnerlicht worden seien, hat offenbar auch bei den
        egierungsfraktionen nicht verfangen. Es wäre ja auch
        n der Tat ein reichlich merkwürdiger Vorgang, wenn
        ehörden sich bei ihren Entscheidungen auf Gesetze be-
        ufen würden, die ihre Gültigkeit verloren haben. Spätes-
        ens vor den Gerichten wäre eine solche Argumentation
        20218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        wohl in sich zusammengebrochen. Ungültige Gesetze
        sind ungültig – es mutet schon etwas merkwürdig an,
        wenn man das an dieser Stelle nochmals feststellen
        muss. Gültig geworden wäre hingegen ein Gesetz, dass
        die Umweltbelange deutlich höher bewertete als die
        Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Der nun
        vorliegende Vorschlag ist in dieser Hinsicht – und auch
        zum Beispiel im Hinblick auf die Rohstoffförderung in
        Deutschland – bei weitem ausgewogener.
        Darüber hinaus hat die Koalition noch einige Verän-
        derungsvorschläge aus dem Expertenplanspiel übernom-
        men. Dieses Verfahren möchte ich an dieser Stelle aus-
        drücklich loben; auch wenn dieses Lob natürlich ein
        wenig zwiespältig ist, denn an sich sollte es selbstver-
        ständlich sein, dass externe Experten offen und unvor-
        eingenommen in einen Gesetzgebungsprozess eingebun-
        den werden. Dieses iterative Verfahren dürfte von mir
        aus gerne Schule machen. Denn wie man auch im vorlie-
        genden Fall sieht, trägt dies zu einer merklichen qualita-
        tiven Verbesserung der Gesetzgebung bei: Die Experten
        haben eine ganze Reihe an Vorschlägen gemacht, die in
        dem vorliegenden Gesetzesvorschlag jetzt auch umge-
        setzt wurden und die Anwendbarkeit des Raumord-
        nungsgesetzes merklich verbessern werden.
        Von daher gibt meine Fraktion dem hier zur Beratung
        vorliegenden Gesetzentwurf in dieser Fassung gerne ihre
        Zustimmung. Es ist ein gutes und ein schlankes Gesetz,
        das den Anforderungen der Zukunft deutlich besser ge-
        recht zu werden verspricht. Dabei denke ich nicht nur an
        die politischen Herausforderungen – etwa an den demo-
        grafischen Wandel, dessen Bedeutung in vielfacher
        Weise seinen Niederschlag in dieser Vorlage gefunden
        hat. Auch den Bedingungen unseres neu justierten föde-
        ralen Systems wird Rechnung getragen. Wir werden al-
        lerdings sehen müssen, wie das neue Raumordnungsge-
        setz sich dann auch in der Praxis bewehrt, schließlich ist
        es das erste Mal nach Abschluss der ersten Stufe der Fö-
        deralismusreform, dass wir in die konkurrierende Ge-
        setzgebung mit den Ländern eintreten. Ich bin gespannt,
        wie sich unser Gesetz behaupten wird!
        Das neue Raumordnungsrecht hier und heute mit ei-
        ner breiten Mehrheit zu verabschieden, kann daher aller-
        dings auch nur der erste Schritt sein. Wir werden auch in
        Zukunft ein wachsames Auge darauf haben müssen, wie
        das Gesetz sich in der Praxis und im Zusammenspiel mit
        den Ländern bewehrt. Ich habe deshalb bereits in den
        Ausschussberatungen angeregt, dass zur Mitte der nächs-
        ten Legislaturperiode eine Evaluierung des Gesetzes und
        seiner Bestimmungen vorgenommen werden sollte, ein
        Petitum, das ich an dieser Stelle gerne noch einmal wie-
        derholen möchte. Denn kein Gesetz ist so gut, dass es
        nicht noch besser gemacht werden könnte – und das gilt
        natürlich ganz besonders im vorliegenden Fall. Denn die
        tatsächlichen Konsequenzen und Wechselwirkungen
        vieler der Bestimmungen dieses Gesetzes werden sich
        erst in der Praxis erkennen lassen. Für den Anfang aber
        haben wir hier ein paar gute erste Schritte in die richtige
        Richtung gemacht.
        i
        d
        h
        k
        R
        t
        S
        W
        d
        l
        R
        g
        f
        d
        ü
        F
        b
        d
        n
        d
        R
        m
        d
        s
        W
        t
        d
        b
        d
        s
        v
        c
        w
        o
        F
        s
        z
        l
        k
        r
        R
        v
        K
        i
        z
        t
        s
        f
        L
        u
        t
        c
        w
        d
        s
        (C
        (D
        Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Es gibt in der Politik
        mmer wieder Momente, in denen manche denken, mit
        er Verabschiedung oder Neufassung eines Gesetzes
        ätte sich das Thema für längere Zeit oder gar für eine
        leine Ewigkeit erledigt. Das hier zur Debatte stehende
        aumordnungsgesetz, die Neufassung des seit 1997 gel-
        enden Raumordnungsgesetzes, scheint zumindest aus
        icht der Koalitionsfraktionen ein solcher Fall zu sein.
        ie man hört, rechnet man auf der Regierungsbank nach
        er Verabschiedung dieser Neuregelung wohl mit einer
        angen Phase der Ruhe – gewissermaßen Ruhe im Raum,
        uhe in der Raumordnung. Dies scheint mir jedoch eine
        ewagte Prognose zu sein.
        Diese abweichende Einschätzung der Bundestags-
        raktion Die Linke hat vor allem mit dem Grund zu tun,
        er eine Neufassung dieses Raumordnungsgesetzes
        berhaupt notwendig macht, und dieser Grund ist die
        öderalismusreform, in welcher der Bund nicht zuletzt
        eim Thema Raumordnung erhebliche Kompetenzen an
        ie Länder abgegeben hat. Wir haben es seitdem mit ei-
        er konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu tun,
        ie den Ländern ein verfassungsrechtlich verbürgtes
        echt auf Abweichung zugesteht. Die Neuregelung
        uss und soll daher versuchen, einen Weg zwischen
        em Regelanspruch des Bundes und den gesetzgeberi-
        chen Möglichkeiten der Länder zu finden. Genau dieser
        eg aber dürfte nicht einfach zu finden sein, da in wich-
        igen Bereichen der Raumordnung klare Regelungen zu
        en jeweiligen Kompetenzen fehlen. Wer hat denn nun
        ei gesamtstaatlichen und länderübergreifenden Zielen
        as Sagen, der Bund mit seinem übergreifenden An-
        pruch oder die Länder mit ihrem verfassungsrechtlich
        erbürgten Abweichungsrecht?
        Um es nur an zwei, drei Beispielen deutlich zu ma-
        hen: Wer setzt sich beispielsweise beim Thema Um-
        elt- und Naturschutz, beim Thema Rohstoffnutzung
        der auch beim Thema CO2-Einlagerung durch? Das
        ehlen einer klaren Regelung dürfte das Erreichen ge-
        amtstaatlicher, länderübergreifender Raumordnungs-
        iele erheblich erschweren, wenn nicht gänzlich unmög-
        ich machen – da die Raumordnungspläne des Bundes
        eine Bindungswirkung für die Länder haben. Eine di-
        ekte Mitwirkung des Bundestages beim Aufstellen von
        aumordnungsplänen des Bundes ist überhaupt nicht
        orgesehen. Ein solches Recht würde sich wohl keine
        ommune und kein Bundesland nehmen lassen. Da ist
        m Raumordnungsgesetz erst noch einiges in Ordnung
        u bringen, ehe es die Zustimmung der Bundestagsfrak-
        ion Die Linke finden kann.
        Aus Sicht der Linken wirft die vorliegende Neufas-
        ung wesentlich mehr Fragen auf, als sie Antworten lie-
        ert. Aus unserer Sicht geht es im Interesse des gesamten
        andes und einer bundesweiten Raumordnung vor allem
        m drei wesentliche Fragen:
        Erste Frage: Wer entscheidet wann wo und wie künf-
        ig über den Umgang mit unseren natürlichen Ressour-
        en? Das ist eine Frage, die wir nicht erst dann beant-
        orten sollten, wenn die „Quellen“ versiegen, wie eine
        er Übersetzungen dieses ursprünglich aus dem Franzö-
        ischen kommenden Wortes lautet.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20219
        (A) )
        (B) )
        Zweite Frage. Gerade das Thema Raumplanung kann
        als ein sehr feinfühliger Seismograf für den Grad demo-
        kratischer Mitwirkung an weit über lokale und regionale
        Grenzen hinaus und weit in die Zukunft reichende Ent-
        scheidungen dienen. Vor diesem Hintergrund ist zu fra-
        gen, welche realen Möglichkeiten zum Beispiel Vereine
        und Verbände, aber auch engagierte und nicht zuletzt be-
        troffene Bürgerinnen und Bürger haben, sich viel früher
        und rechtzeitiger als bisher an den Überlegungen von
        Politik und Verwaltung zu beteiligen. Wie kann künftig
        verhindert werden, dass Vereine und Verbände, enga-
        gierte Bürgerinnen und Bürger immer erst dann einbezo-
        gen werden, wenn schon alle Messen gelesen sind?
        Dritte Frage. Politik und erst recht Raumordnungspo-
        litik finden nicht irgendwie und irgendwo im luftleeren
        Raum statt, sondern in diesem Falle mitten in Europa.
        Daher ist natürlich auch nach der Europatauglichkeit
        dieser Neufassung des Raumordnungsgesetzes zu fra-
        gen. Besteht sie den Europa-Check, oder muss das Ge-
        setz schon bald nach seinem Inkrafttreten wieder nach-
        gebessert und erst europafest gemacht werden? Auch ein
        solches Reparaturunternehmen würde die – wie bereits
        eingangs erwähnt – von den Koalitionsfraktionen offen-
        bar angestrebte Ruhe in der Raumordnung empfindlich
        stören. Und nicht zuletzt möchte ich an dieser Stelle als
        einen weiteren Kritikpunkt den mangelhaften Abgleich
        des Gesetzentwurfes mit dem Umweltgesetzbuch an-
        sprechen, das derzeit ebenfalls überarbeitet wird. Eine
        sachliche und begriffliche Anpassung scheint dringend
        geboten.
        Immerhin finden sich in der Neufassung auch einige
        Passagen, die aus unserer Sicht als bemerkenswert bis
        durchaus positiv zu bewerten sind. Dazu gehört die neue
        Formulierung von der Konzentration der Siedlungstätig-
        keit auf „vorhandene Siedlungen“ – ein neuer Begriff im
        Gesetzestext. Allerdings lässt der Gesetzentwurf leider
        offen, wie das ohnehin nicht besonders anspruchsvolle
        Ziel der Bundesregierung erreicht werden soll, bis zum
        Jahre 2020 die Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar
        täglich zu reduzieren. Auch in diesem Falle hätten wir
        uns eine klarere und abrechenbarere Regelung im Gesetz
        gewünscht. Und im Übrigen erscheint es „öko-logisch“,
        den Flächenverbrauch nicht nur zu reduzieren, sondern
        in einen Flächengewinn umzuwandeln.
        Insgesamt gesehen kann die Bundestagsfraktion Die
        Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir wer-
        den uns auch nicht enthalten, sondern die Neufassung
        des Raumordnungsgesetzes ablehnen. Außerdem gebe
        ich den Koalitionsfraktionen Brief und Siegel, dass wir
        uns hier in diesem Hause schon bald erneut mit dieser
        Thematik beschäftigen müssen. Dafür werden, so glaube
        ich, die Länder schon sorgen. Ich denke, wir sprechen
        uns spätestens Mitte der nächsten Legislaturperiode wie-
        der. Ich frage mich nur, ob ein solcher Umgang mit dem
        so wichtigen Thema Raumordnung in Ordnung ist.
        Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Raumplanung wird als Möglichkeit, wichtige Fachpla-
        nungen aufeinander abzustimmen und eine zukunfts-
        fähige Entwicklung zu sichern, zumeist unterschätzt.
        D
        k
        d
        r
        R
        la
        d
        n
        D
        A
        g
        d
        a
        s
        w
        r
        R
        F
        o
        r
        p
        D
        L
        N
        N
        R
        G
        d
        s
        h
        n
        d
        d
        B
        s
        G
        P
        I
        b
        d
        s
        s
        s
        z
        n
        e
        2
        m
        g
        f
        o
        d
        d
        p
        (C
        (D
        as scheint auch für die Bundesregierung zu gelten. Vor
        urzem habe ich noch im Parlament gesagt, dass man
        en Stellenwert der Raumplanung bei der Bundesregie-
        ung daran ablesen kann, dass sie die Novellierung des
        aumordnungsgesetzes erst kurz vor dem Ende der Legis-
        turperiode angeschoben hat.
        Heute muss ich noch einen obendrauf setzen; sie hätte
        ie Terminplanung für das Inkrafttreten des Gesetzes
        och vor der Bundestagswahl um ein Haar verschwitzt.
        aher musste das Gesetz in dieser Woche so hastig im
        usschuss behandelt und im Plenum mitten in der Nacht
        elesen werden. Ich finde es übrigens beschämend, dass
        er Bundestag dieses Gesetz zu dieser Tageszeit aufsetzt.
        Heute Abend muss ich resümieren, im Ausschuss wie
        uch in einer fraktionsübergreifenden Beratung haben
        ich keine Neuigkeiten ergeben, und ich sehe das Gesetz
        eiterhin mit gemischten Gefühlen.
        Es greift wichtige Forderungen unserer Zeit auf. Es
        eagiert auf die aktuellen Diskussionen zu Klima- und
        essourcenschutz, demografischer Entwicklung und
        lächenschutz. Ich begrüße ausdrücklich, dass Raum-
        rdnungspläne des Bundes erstellt werden können. Ge-
        ade hier besteht Handlungsbedarf, denn viele Fach-
        lanungen müssen über Landesgrenzen hinaus erfolgen.
        abei denke ich als Bau- und Verkehrspolitiker in erster
        inie an die Infrastruktur, aber natürlich gilt das auch für
        aturschutzfragen, Rohstoffsicherung und anderes.
        och immer scheitert eine sinnvolle vorausschauende
        aumplanung an den Egoismen der Länder. Aus diesem
        rund vermisse ich eine Bindungswirkung für die Län-
        er an die Raumordnungspläne des Bundes.
        Ich muss daher der Bundesregierung ins Stammbuch
        chreiben: Auch das künftige Raumordnungsrecht bleibt
        inter seinen Möglichkeiten zurück. Schuld daran ist nicht
        ur die Lustlosigkeit der Bundesregierung, sondern auch
        ie Möglichkeit der abweichenden Gesetzgebung durch
        ie Länder. Dadurch sind leider die Möglichkeiten des
        undes als Gesetzgeber de facto eingeschränkt. Gute An-
        ätze des Gesetzes werden verwässert. Vor allem ist das
        esetz zu inkonkret. Dabei denke ich zum Beispiel an
        lanungsgrundsätze, wie die Bündelung von linienhafter
        nfrastruktur. Ich denke dabei an konkrete Planungsziele,
        eispielsweise zum Flächenschutz. Als Verkehrspolitiker
        enke ich an klare verkehrspolitische Zielsetzungen, bei-
        pielsweise zu Verkehrsverlagerungen. Aus meiner Sicht
        präche auch nichts dagegen, Potenziale zur Energieein-
        parung, also Maßnahmen der Kraft-Wärme-Kopplung
        um Beispiel, zu benennen. Last not least – Raumord-
        ungspläne sind nicht zuletzt Umweltplanungen. Da sollte
        s nahe liegen, Biotopverbundsysteme wie das Natura-
        000-Netz, Naturparke, Regionalparke, Areale mit Kli-
        afunktionen und Ähnliches in diesen Planwerken obli-
        atorisch zu berücksichtigen.
        Auch die Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten
        ür die Öffentlichkeit und Umweltverbände sind nicht
        ptimal. Das beginnt bei der Frage, warum abweichen-
        es Recht gegenüber dem Umweltrecht zur Regelung
        er Strategischen Umweltprüfung für Raumordnungs-
        läne geschaffen wurde. Naturschutz- und Umweltver-
        20220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        bände sollten zwingend bei der Aufstellung dieser Pläne
        beteiligt werden. Sinnvoll wäre die Festlegung, dass
        Raumordnungspläne im Internet abrufbar sein müssen.
        Auch bei Aussagen zu Raumordnungsverfahren wün-
        sche ich mir mehr Transparenz. Sie sollten grundsätzlich
        mit Öffentlichkeitsbeteiligung und mit Beteiligung der
        Natur- und Umweltschutzverbände analog der soge-
        nannten Trägerbeteiligung erfolgen.
        Der Änderungsantrag zur Information des Bundestages
        über Planaufstellungen ist wertlos. Das Spektakulärste
        an dieser Initiative ist wohl der Schulterschluss von
        Schwarz, Rot und Blau-Gelb. Der Antrag ist unnötig, da
        eine Information des Ausschusses über einen Raumord-
        nungsplan des Bundes eine Selbstverständlichkeit sein
        sollte. Wichtiger wäre die Gestaltungsmöglichkeit durch
        das Parlament. Aber von einer Einvernehmensregelung
        ist im Änderungsantrag nichts zu finden.
        Ich kann der Bundesregierung bescheinigen, dass sie
        den Handlungsbedarf im Wesentlichen erkennt und teil-
        weise in das neue Raumordnungsgesetz einfließen lässt.
        Allerdings sieht sie sich offenbar durch die Länder ge-
        bremst und bleibt auf halbem Weg stehen. Aus diesem
        Grund werden meine Fraktion und ich den Gesetzent-
        wurf weder ablehnen noch befürworten, sondern wir
        werden uns enthalten.
        Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das
        neue Raumordnungsgesetz entsteht vor dem Hintergrund
        der derzeitigen strukturverändernden Herausforderun-
        gen. Es soll insbesondere auf den demografischen Wan-
        del und den Klimawandel antworten. Zugleich ist das
        neue Gesetz eine Folge der Föderalismusreform I im
        Jahre 2006. Im Zuge der Föderalismusreform wurde die
        Raumordnung in den neu geschaffenen Kompetenztyp
        einer konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungs-
        möglichkeit der Länder überführt.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Raumord-
        nungsrecht macht der Bund erstmals von dieser neuen
        Gesetzgebungskompetenz Gebrauch. Er betritt somit ge-
        setzgeberisches Neuland. Um trotz des Abweichungs-
        rechts der Länder die Rechtseinheit möglichst zu erhal-
        ten, zielt der Gesetzentwurf auf eine Balance zwischen
        der Wahrung weitgehender bundeseinheitlicher Stan-
        dards einerseits und der gesetzgeberischen Zurückhal-
        tung des Bundes hinsichtlich landesspezifischer Beson-
        derheiten andererseits. Ein wichtiges Anliegen des
        Gesetzentwurfs ist, auf diese Weise den Ländern mög-
        lichst wenig Anlass zu geben, abweichendes Recht zu
        setzen.
        Lassen Sie mich noch einmal die inhaltlichen Schwer-
        punkte und Zielsetzungen der Gesetzesnovellierung kurz
        anreißen. Erstens. Die nach übereinstimmender Ansicht
        von Bund und Ländern bewährten Regelungen des gel-
        tenden Raumordnungsgesetzes werden übernommen.
        Dies gilt insbesondere für das klassische Instrument der
        Raumordnung, den Raumordnungsplan. Damit besteht
        auch weiterhin die rechtliche Grundlage für eine effi-
        ziente raumordnerische Steuerung von aktuell und zu-
        künftig sensiblen raumwirksamen Projekten wie zum
        B
        g
        c
        n
        G
        E
        d
        k
        w
        c
        d
        v
        r
        n
        r
        K
        A
        c
        s
        s
        K
        m
        n
        d
        d
        r
        Z
        G
        s
        D
        a
        n
        s
        K
        b
        s
        V
        E
        r
        g
        g
        1
        g
        b
        d
        n
        w
        h
        s
        d
        S
        z
        (C
        (D
        eispiel Factory Outlet Centern oder Windenergieanla-
        en einschließlich des Repowerings.
        Zweitens. Das neue Gesetz zielt auf Rechtsvereinfa-
        hung und Deregulierung ab.
        Drittens. Die gesetzlichen Grundsätze der Raumord-
        ung werden aktualisiert; insbesondere werden als
        rundsatz erstmals geregelt die Berücksichtigung der
        rfordernisse des Klimaschutzes, die Berücksichtigung
        es demografischen Wandels, die Stärkung der inter-
        ommunalen Zusammenarbeit, die Erhaltung und Ent-
        icklung der Innenstädte und die Reduzierung der Flä-
        heninanspruchnahme.
        Viertens. Die Regelungen über die Planerhaltung wer-
        en präzisiert. Dies ist ein Beitrag zur Rechtssicherheit
        on Raumordnungsplänen.
        Fünftens. Die informelle Planung und das raumordne-
        ische Zusammenwirken werden gestärkt. Diese praxis-
        ahen, auf konsensuale Lösungen abzielenden Steue-
        ungsinstrumente setzen auf „Koordination durch
        ooperation“. Private und Behörden sollen auf gleicher
        ugenhöhe zusammenwirken und gemeinsam vertragli-
        he Vereinbarungen, regionale Entwicklungskonzepte
        owie regionale oder interkommunale Kooperations-
        trukturen erarbeiten und umsetzen.
        Sechstens. Die Regelungen über den Planungs- und
        oordinierungsauftrag des Bundes werden ergänzt. Da-
        it kann den neuen Herausforderungen an die Raumord-
        ung begegnet werden, die sich aus länderübergreifen-
        en und europäischen Entwicklungen ergeben.
        Der Gesetzentwurf wurde in enger Abstimmung mit
        en für die Raumordnung zuständigen Länderministe-
        ien und den kommunalen Spitzenverbänden entwickelt.
        udem wurde der Gesetzentwurf im Rahmen eines das
        esetzgebungsverfahren begleitenden Planspiels von
        ieben Landes- und Regionalplanungen aus allen Teilen
        eutschlands auf seine Praxistauglichkeit, insbesondere
        uf die Verzahnung mit dem bestehenden Raumord-
        ungsrecht der Länder, überprüft. Über das Planspiel be-
        tand auch noch während des Gesetzgebungsverfahrens
        ontakt zu den Ländern. Die Ergebnisse des Planspiels
        estätigen grundsätzlich das neue Raumordnungsgesetz;
        ie wurden inzwischen dem Bundestagsausschuss für
        erkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgestellt. Zu den
        rgebnissen des Planspiels gehören mehrere Verbesse-
        ungsvorschläge. Eine Reihe davon sind schon im Re-
        ierungsentwurf umgesetzt worden. Weitere Vorschläge
        reift das Votum des federführenden Ausschusses auf.
        Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom
        9. September 2008 keine grundsätzlichen Bedenken
        egen den Gesetzentwurf erhoben. Die Stellungnahme
        etrifft vor allem Ergänzungen und Klarstellungen zu
        en Grundsätzen der Raumordnung sowie die Raumord-
        ung des Bundes. Die Bundesregierung begrüßt die
        eitgehende Übereinstimmung mit dem Bundesrat. Sie
        at sich einigen Vorschlägen des Bundesrates ange-
        chlossen. Diese Vorschläge hat gleichermaßen der fe-
        erführende Bundesstagsausschuss für Verkehr, Bau und
        tadtentwicklung beschlossen; sie liegen Ihnen nunmehr
        ur Abstimmung vor.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20221
        (A) )
        (B) )
        Im Übrigen hält die Bundesregierung an dem von ihr
        vorgeschlagenen behutsamen Ausbau der Bundesraum-
        ordnung fest, namentlich an der Möglichkeit des Bun-
        des, Raumordnungspläne nach § 17 Abs. 2 des neuen
        Raumordnungsgesetzes aufzustellen. Diese Raumord-
        nungspläne – das sei nochmals betont – greifen nicht in
        Länderkompetenzen ein, sondern ermöglichen eine früh-
        zeitige Abstimmung von Bundes- und Landesplanungen;
        sie unterstützen eine fachübergreifende, integrierte Ver-
        kehrsplanung und dienen damit letztlich dem Wirt-
        schaftsstandort Deutschland.
        Ich bin sicher, dass wir mit dem neuen Raumord-
        nungsgesetz eine von Bund und Ländern gemeinsam ge-
        tragene moderne Grundlage für eine effiziente und zu-
        kunftsfähige, koordinierende Raumentwicklung in
        Deutschland schaffen. Damit können wichtige Aspekte
        und Ziele in Einklang gebracht werden. Das gilt insbe-
        sondere für die Unterstützung von zukunftsweisender
        Wirtschaft und von Entwicklungspotenzialen, die Siche-
        rung der Daseinsvorsorge sowie den Ressourcenschutz.
        Anlage 22
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Staatsangehörigkeitsgesetzes
        – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des
        Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Staatsangehörigkeitsrechtes
        – Beschlussempfehlung und Bericht:
        – Antrag: Einbürgerungen erleichtern –
        Ausgrenzungen ausschließen
        – Antrag: Für die Abschaffung der Op-
        tionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz
        – Antrag: Klare Grenzen für die Rück-
        nahme und den Verlust der deutschen
        Staatsangehörigkeit ziehen
        (Tagesordnungspunkt 45 a und b)
        Günter Baumann (CDU/CSU): Wir beraten in der
        zweiten und dritten Lesung abschließend die Gesetzent-
        würfe der Bundesregierung, des Bundesrates, der Frak-
        tion Bündnis 90/Die Grünen und die drei Anträge der
        Linksfraktion zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
        setzes.
        Der vorliegende Entwurf der Koalition setzt im We-
        sentlichen die höchstrichterliche Rechtsprechung um.
        Dabei ist zu bemerken, dass das Bundesverfassungsge-
        richt die Verfassungsmäßigkeit von Rücknahmeentschei-
        den grundsätzlich bejaht, auch wenn dem Betroffenen
        die Staatenlosigkeit droht. Für den Gesetzgeber hatte
        sich jedoch Regelungsbedarf bei bestimmten Fallkon-
        stellationen herauskristallisiert. Entscheidend werden
        mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände-
        r
        k
        w
        s
        d
        k
        i
        d
        b
        d
        s
        B
        w
        d
        m
        S
        t
        S
        s
        l
        s
        d
        d
        r
        s
        D
        R
        Z
        g
        R
        g
        D
        l
        d
        t
        P
        f
        s
        u
        f
        E
        m
        g
        g
        g
        c
        d
        l
        B
        g
        A
        n
        s
        S
        g
        s
        S
        d
        (C
        (D
        ung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vier Problem-
        omplexe geregelt: erstens eine klare Definition, unter
        elchen Gesichtspunkten eine deutsche Staatsbürger-
        chaft aberkannt werden kann; zweitens die Befristung
        er Rücknahmeentscheidung; drittens die Frage der Wir-
        ung auf schutzbedürftige Belange unbeteiligter Dritter
        nfolge der Rücknahme einer Einbürgerung und viertens
        ie Auswirkung auf die Staatsbürgerschaft von Kindern
        ei erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft.
        Die Rücknahme der deutschen Staatsbürgerschaft
        roht nur, wenn einer oder mehrere der folgenden Tatbe-
        tände vorliegen: arglistige Täuschung, Drohung oder
        estechung, ferner auf Entscheidungen, die durch be-
        usst unrichtige oder unvollständige, für den Antrag je-
        och wesentliche Angaben erwirkt wurden. Dies ist für
        ich eine folgerichtige Entscheidung. Denn wer den
        taat und damit unsere Rechtsordnung wissentlich
        äuscht, verdient nicht noch als Belohnung die deutsche
        taatsbürgerschaft. Somit ist für mich auch die vorge-
        chlagene Regelung der Linkspartei entschieden abzu-
        ehnen, in der sie fordert, dass auch derjenige die deut-
        che Staatsbürgerschaft behalten soll, der sich diese
        urch Täuschung erschlichen hat. Dies verdeutlicht wie-
        er einmal die konträre Haltung der Linkspartei zu unse-
        en freiheitlich demokratischen Grundsätzen.
        Auch bei der Befristung von Rücknahmeentscheiden
        ind wir, denke ich, zu einer guten Lösung gekommen.
        ieser Gesetzentwurf beschränkt die Möglichkeit der
        ücknahme einer deutschen Staatsbürgerschaft auf eine
        eitspanne von fünf Jahren nach der Einbürgerung. So-
        ar Bündnis 90/Die Grünen haben an dieser getroffenen
        egelung nichts auszusetzen. Ich nutze hier die Gele-
        enheit, gleich auf den Gesetzentwurf von Bündnis 90/
        ie Grünen etwas näher einzugehen. Wieder einmal er-
        iegt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Annahme,
        ass Migranten, die dauerhaft in Deutschland leben, au-
        omatisch integriert wären. Deshalb fordern sie auch, die
        rüfung der Sprachkenntnisse, die eine Voraussetzung
        ür die Einbürgerung darstellt, für über 54-Jährige, die
        eit mindestens 15 Jahren in Deutschland leben, und für
        nter 14-Jährige, die hier zur Schule gehen, abzuschaf-
        en. Ich fürchte, ich muss mich auch hier wiederholen:
        in 15-jähriger Aufenthalt in Deutschland ist nicht auto-
        atisch mit genügend deutschen Sprachkenntnissen
        leichzusetzen. Schon allein der Integrationsgipfel hat
        ezeigt, dass eben ein großer Teil der Kinder und Ju-
        endlichen mit Migrationshintergrund nicht über ausrei-
        hende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und
        amit weniger Chancen auf gute Bildung und Lehrstel-
        en haben. Werte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
        ündnis 90/Die Grünen, es sollte bei all Ihren Forderun-
        en auch bedacht werden, dass die Einbürgerung den
        bschluss einer erfolgreichen Integration darstellt und
        icht vorab wahllos verteilt wird.
        Ein zentraler Punkt, bei dem Handlungsbedarf be-
        teht, ist die Frage, wie sich eine Rücknahme einer
        taatsbürgerschaft auf Dritte auswirkt, die nicht selbst
        etäuscht haben, aber im Zusammenhang mit der er-
        chlichenen Staatsbürgerschaft ebenfalls die deutsche
        taatsbürgerschaft erworben haben. Ich denke, hier wur-
        en tragfähige Regelungen in das Gesetz eingebracht.
        20222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        Für miteingebürgerte Dritte, deren Einbürgerung als
        Ehepartner oder Kind akzessorisch zur Einbürgerung der
        antragstellenden Person ist, ist bei der Rücknahme der
        Einbürgerung eine eigene Ermessensentscheidung vor-
        gesehen. Es ist dabei zu prüfen, ob die miteingebürgerte
        Person an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Be-
        stechung oder an den wissentlich unrichtigen oder un-
        vollständigen Angaben beteiligt war. Darüber hinaus ist
        zu prüfen, ob diese Person sich inzwischen einen eige-
        nen Einbürgerungsanspruch erworben hat oder ob sich
        die Person gut integriert hat. Somit werden die schutz-
        würdigen Belange Dritter mit der Herstellung gesetzmä-
        ßiger Zustände abgewogen.
        Eine weitere Fallkonstellation stellen Kinder dar, die
        durch eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft eines
        deutschen Staatsbürgers ihre deutsche Staatsangehörig-
        keit verlieren können. In Anlehnung an ein Verfassungs-
        gerichtsurteil werden diese Fälle so geregelt, dass ein
        Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft nicht eintreten
        soll, wenn das Kind nicht älter als fünf Jahre ist. Denn es
        wird davon ausgegangen, dass ein Kind unter fünf Le-
        bensjahren noch kein Bewusstsein von seiner Staatsan-
        gehörigkeit hat und somit auch nicht Art. 16 Abs. 1 Satz
        1 GG berührt wird.
        Über die Regelung dieser Problemkomplexe hinaus
        halte ich die Einführung einer Strafvorschrift, wie sie der
        Bundesrat gefordert hat, für sachgerecht. Hierbei kann
        der Betroffene mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf
        Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn er
        unrichtige oder unvollständige Angaben zu wesentlichen
        Voraussetzungen der Einbürgerung macht oder benutzt,
        um für sich oder andere eine Einbürgerung zu erschlei-
        chen. Diese Regelung, Täuschungsverhalten strafrecht-
        lich zu ahnden, knüpft an bereits bestehende Regelungen
        des Bundesvertriebenengesetzes und des Asylverfahrens
        an. Denn laut Bundesrat sind Fälschungen von Identi-
        tätspapieren für die Erlangung der deutschen Staatsbür-
        gerschaft keine Einzelfälle. Um diesen Täuschungen
        vorzubeugen, unterstütze ich voll und ganz eine straf-
        rechtliche Verfolgung. Denn auch hierbei ist dem Aspekt
        der inneren Sicherheit Deutschlands und der Gefahr des
        internationalen Terrorismus Rechnung zu tragen. Denn
        gerade die Einbürgerung könnte auch von Extremisten
        als Mittel zur Vorbereitung und Ausübung von Terror-
        anschlägen genutzt werden. Infolgedessen kann das Ple-
        num des Deutschen Bundestages nur zu einem Votum
        kommen: den Gesetzentwurf der Bundesregierung in ge-
        änderter Fassung anzunehmen und die weiteren Gesetzes-
        entwürfe und Anträge abzulehnen.
        Rüdiger Veit (SPD): Der Gesetzentwurf der Bundes-
        regierung, den wir heute beraten, stellt eine Reaktion auf
        die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        richts und des Bundesverwaltungsgerichts dar. In insge-
        samt drei Urteilen haben sie folgende Fragen behandelt:
        Welches ist die zeitliche Grenze, bis zu der eine Einbür-
        gerung zurückgenommen werden kann, wenn der Einge-
        bürgerte die deutsche Staatsangehörigkeit durch arglis-
        tige Täuschung erhalten hat? Welche Auswirkungen hat
        das auf seine durch Geburt eingebürgerten Kinder oder
        auf seine erleichtert eingebürgerten Angehörigen? Und
        z
        f
        r
        d
        i
        w
        d
        S
        s
        v
        w
        a
        o
        z
        e
        r
        M
        w
        d
        r
        e
        B
        w
        m
        R
        r
        e
        d
        k
        w
        b
        d
        K
        h
        w
        S
        w
        d
        m
        w
        d
        z
        m
        r
        b
        s
        d
        D
        d
        g
        g
        v
        n
        P
        s
        s
        (C
        (D
        uletzt: Wie wirkt sich eine erfolgreiche Vaterschaftsan-
        echtung aus, wenn ein Kind die deutsche Staatsangehö-
        igkeit nur aufgrund der Abstammung vom vermeintlich
        eutschen Vater erworben hat?
        Es war an uns, diese Fragen durch klare Regelungen
        m Gesetz zu beantworten. Das haben wir getan. Dass
        ir die verfassungsrechtlichen Grenzen geachtet haben,
        ie uns die Rechtsprechung vorgegeben hat, ist eine
        elbstverständlichkeit. Dass wir dabei aber auch politi-
        che Gestaltungsräume genutzt haben, ist ebenso selbst-
        erständlich. Diesbezüglich möchte ich auf eines hin-
        eisen: Wenn ein Ausländer oder eine Ausländerin
        ufgrund von Täuschung eingebürgert wird, so hat er
        der sie sich die Rücknahme der Einbürgerung selbst zu-
        uschreiben. Wenn aber ein Kind auf dieser Grundlage
        rleichtert eingebürgert worden ist, so geht die Einbürge-
        ung auf das schuldhafte Handeln des Vaters oder der
        utter zurück. Das Kind hat nicht getäuscht. Umso
        ichtiger ist es, dass die Interessen des Kindes im Vor-
        ergrund stehen, wenn es darum geht, das Ermessen da-
        über auszuüben, ob seine erleichterte Einbürgerung
        benfalls zurückgenommen wird. Deshalb haben wir die
        eachtung des Kindeswohls im vorliegenden Gesetzent-
        urf ausdrücklich in die Ermessensausübung aufgenom-
        en.
        So weit zu den Details unseres Gesetzentwurfes. Die
        egelung der genannten Fragen war aus Gründen der
        echtsstaatlichen Klarheit geboten. Ich halte es aber
        benso für geboten, nicht nur über Detailaspekte, son-
        ern auch über Grundsatzfragen des Staatsangehörig-
        eitsrechtes zu debattieren. Eine solche Debatte haben
        ir zwar aus dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahren
        ewusst ausgeklammert – zu unterschiedlich sind die
        iesbezüglichen Auffassungen innerhalb der Großen
        oalition –, das soll mich aber nicht daran hindern,
        eute ein weiteres Mal den Blick darauf zu lenken, was
        ir Sozialdemokraten langfristig anstreben: die doppelte
        taatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder.
        Dieses Ziel ist bislang bekanntlich noch nicht ver-
        irklicht worden. Vielmehr haben wir mit der Reform
        es Staatsangehörigkeitsrechts 2000 nur einen Kompro-
        iss erreicht. Nach der sogenannten Optionslösung er-
        erben Kinder, die in Deutschland geboren werden und
        eren Eltern ein langfristiges Aufenthaltsrecht haben,
        wei Staatsbürgerschaften. Wenn sie volljährig sind,
        üssen sie sich zwischen der deutschen Staatsangehö-
        igkeit und der ihrer Eltern entscheiden. Haben sie sich
        is zum 23. Lebensjahr nicht entschieden, so verlieren
        ie die deutsche Staatsangehörigkeit.
        Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass
        oppelte Staatsbürgerschaft vermieden werden soll.
        och warum eigentlich? Ich darf Sie daran erinnern,
        ass bereits jetzt mehr als die Hälfte derer, die eingebür-
        ert werden, ihre alte Staatsbürgerschaft aufgrund der
        esetzlichen Regelungen beibehalten können. Diese
        ielfache Hinnahme von Doppelstaatigkeit hat bislang
        icht zu integrationspolitischen Problemen geführt. Ein
        roblem entsteht vielmehr dadurch, dass wir Doppel-
        taatigkeit gerade bei den hier geborenen Menschen jen-
        eits des 18. Lebensjahrs nicht hinnehmen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20223
        (A) )
        (B) )
        Sie sind in Deutschland groß geworden, und ihre Le-
        benswirklichkeit liegt hier. Das ändert aber nichts daran,
        dass sich viele von ihnen ihrer Familie und deren Tradi-
        tionen ebenso verbunden wie verpflichtet fühlen. Ent-
        scheiden sie sich gegen die deutsche Staatsangehörig-
        keit, erhalten sie eine Niederlassungserlaubnis. Zwar
        können sie damit in Deutschland bleiben, gleichwohl
        finden sie sich hier als Ausländer im eigenen Land wie-
        der – und dies nach 18 Jahren als gleichberechtigte Mit-
        bürger. Entscheiden sie sich gegen die Staatsangehörig-
        keit ihrer Eltern, kann das als Abkehr von der Familie
        und deren Traditionen verstanden werden. Das bringt sie
        in persönliche Konflikte. Warum ersparen wir ihnen das
        nicht? Nähmen wir ihre doppelte Staatsangehörigkeit
        hin, würden wir nicht nur ihre individuellen Loyalitäts-
        konflikte beseitigen. Wir würden ihnen auch, unter Bei-
        behaltung eigener Traditionen, die Möglichkeit geben;
        sich als Deutsche aktiv an Wahlen zu beteiligen und zu
        Wahlen anzutreten. Das wäre ein ebenso einfacher wie
        konsequenter Beitrag zur Integration von Menschen aus
        Einwandererfamilien.
        Bevor ich schließe, möchte ich noch knapp auf die
        verbleibenden Anträge eingehen. Der Antrag des Bun-
        desrates enthält mehrere Verschärfungen, die wir nicht
        mittragen können. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
        nen weist mit der Streichung des Optionsmodells in die
        richtige Richtung. Leider stammt er jedoch von 2006
        und bezieht sich damit auf eine veraltete Fassung des
        Staatsangehörigkeitsgesetzes, das 2007 geändert worden
        ist. Deshalb kann ihm bereits aus formalen Gründen
        nicht zugestimmt werden. Ich komme schließlich zu den
        Anträgen der Fraktion Die Linke: Drucksache 16/9654
        fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf
        vorzulegen, mit dem die Rücknahme und der Verlust der
        deutschen Staatsangehörigkeit geregelt werden. Diese
        Aufforderung betrachte ich durch unseren Gesetzent-
        wurf als erledigt. Der Antrag auf Drucksache 16/1770
        schließlich fordert die erleichterte Einbürgerung. Auch
        er ist formal veraltet. Deshalb fehlt in dem Antrag ein
        Hinweis darauf, dass wir 2007 eine Erleichterung mit
        dem Richtlinienumsetzungsgesetz geschaffen haben.
        Wir konnten die Verkürzung der Einbürgerungsfrist von
        acht bzw. sieben Jahre auf sechs Jahre für Migranten er-
        wirken, die besondere Integrationsleistungen, also vor
        allem Deutschkenntnisse, vorweisen können.
        Deshalb plädiere ich dafür, die Anträge des Bundesra-
        tes und der Opposition abzulehnen. Unseren Antrag hin-
        gegen bitte ich anzunehmen – im Wissen darum, dass
        dies nicht die letzte Reform des Staatsangehörigkeits-
        rechts gewesen sein kann.
        Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Rücknahme
        der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn sie durch arg-
        listige Täuschung, Drohung oder Bestechung erworben
        wurde, bedarf nach jüngstem Entscheid des Bundesver-
        fassungsgerichtes eines eigenen Gesetzes. Die Verwal-
        tungsvorschriften, die seit Gründung der Bundesrepublik
        dazu angewandt wurden, reichen demnach nicht mehr
        aus. Eine eigengesetzliche Regelung dient der Rechtssi-
        cherheit. So weit begrüßt die FDP ausdrücklich die Ge-
        setzesinitiative der Bundesregierung. Das sensible und
        w
        u
        K
        R
        e
        c
        s
        g
        l
        R
        d
        b
        f
        r
        s
        i
        E
        r
        l
        s
        B
        a
        k
        W
        s
        d
        d
        d
        s
        n
        n
        V
        t
        b
        s
        d
        s
        d
        z
        d
        S
        k
        R
        a
        s
        w
        i
        b
        z
        h
        (C
        (D
        ichtige Thema Staatsangehörigkeit muss verlässlich
        nd durchschaubar ausgestaltet sein.
        Das Staatsbewusstsein von nicht schulpflichtigen
        indern scheint mir nicht geeignet, darauf wesentliche
        echtsfolgen zu gründen. Die Begründung, sie hätten
        in eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit entwi-
        kelt, ist meines Erachtens fragwürdig. Es ist dennoch
        innvoll, Kindern ab fünf Jahren einen eigenen Staatsan-
        ehörigkeitsrechtsschutz zu gewähren. Für diese Rege-
        ung spricht, dass die betroffenen Kinder nicht unter den
        echtsvergehen ihrer Eltern leiden sollten.
        Die Frist von fünf Jahren, die die Bundesregierung
        en Behörden zum Nachweis der unrechtmäßig erwor-
        enen Staatsangehörigkeit setzen will und die das Ver-
        assungsgericht vorgeben zu müssen glaubt, scheint mir
        eichlich kurz zu sein. So kann vermutlich kaum wirk-
        am verhindert werden, dass eine verlockende Ziellinie
        n Aussicht gestellt wird, die Betrügern oder Bestechern
        rfolg garantiert. Doch die Vorgaben des obersten Ge-
        ichts sind umzusetzen.
        Dass, wie die Bundesregierung vorschlägt, die Rege-
        ung auch rückwirkend geltend soll, erscheint nach den
        tattgehabten Beratungen als weniger schlüssig. Da das
        undesverfassungsgericht für zurückliegende Fälle durch-
        us zur Bestätigung von Rücknahmeentscheidungen ge-
        ommen ist, scheint es mir rechtsstaatlich sauberer, die
        irkung des Gesetzes sich nur ex nunc entfalten zu las-
        en.
        Eine eigenständige Strafbarkeit für die Erschleichung
        er Einbürgerung ist sinnvoll – aber die Strafbewehrung
        es Sachverhaltes ist bereits ausreichend gegeben. Zu-
        em lässt der Regierungsentwurf die notwendige Präzi-
        ion vermissen. Der Verweis auf das Bundesvertriebe-
        engesetz ist in diesem Zusammenhang sachlich nicht
        achvollziehbar.
        Grüne und Linke ergehen sich in ihren Anträgen in
        orschlägen, wie die deutsche Staatsangehörigkeit leich-
        er erworben werden können soll. Das soll sozusagen
        illiger gemacht werden, mit anderen Worten: Die deut-
        che Staatsangehörigkeit soll entwertet werden. Beson-
        ers die Linke ist ja stets bemüht, den Erwerb der deut-
        chen Staatsangehörigkeit möglichst zu verramschen.
        Linke und Grüne fordern einträchtig die Abschaffung
        es Optionsmodells. Die FDP hat dieses Modell seiner-
        eit vorgeschlagen. Aber nicht nur deshalb lehnen wir
        iese Vorstöße ab. Vielmehr hat es überhaupt keinen
        inn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es noch
        einerlei verwertbare Daten gibt.
        Wir sollten erst einmal die Wirkung des bestehenden
        echts hinreichend lange beobachten, statt ideologisch
        n der Gesetzgebung herumzuschrauben. Es ist einfach
        innvoll, erst einmal Erfahrungsberichte abzuwarten,
        ie sich diese Regelung auswirkt.
        Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschen
        st es nach Auffassung der Linken nicht zumutbar, sich
        ei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit
        u entscheiden. Sie halten auch die Mehrstaatigkeit für
        innehmbar. Ausgerechnet in Form der Staatsangehörig-
        20224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        keit sollen emotionale Bindungen ans Herkunftsland ei-
        nes Migranten beibehalten werden können und deshalb
        die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich möglich
        sein. Diese Stärkung von emotionalen Herkunftsbindungen
        durch doppelte Staatsangehörigkeit ist kontraproduktiv.
        Es ist bezeichnend, dass die Linke die emotionalen Bin-
        dungen an das Zielland konsequent vernachlässigt.
        Tatsächlich ist das Umgekehrte notwendig: Migranten
        müssen sich der Realität stellen. Integration in die deut-
        sche Gesellschaft kann nur gelingen, wenn man sich zu
        gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen Staats-
        bürger in die deutsche Gesellschaft integriert, dazu steht
        und auch emotional daran bindet.
        Doppelstaatsangehörigkeit verhindert die Klärung der
        eigenen Loyalität und damit Identität, die für eine erfolg-
        reiche Integration Voraussetzung ist. Deshalb sind die
        Probleme der doppelten Staatsangehörigkeit, außer in
        Sonderfällen, zum Beispiel bei Kindern aus binationalen
        Ehen, nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Sie behin-
        dert die Integration, wenn Migranten mit Doppelstaats-
        angehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne gleich-
        zeitig politisch und kulturell zwei Nationen angehören.
        Migrantenschicksale zeigen oft, dass dies eben nicht
        möglich ist: Wer weder ganz hier sein, noch ganz dort
        bleiben will, ist nirgendwo als gleichberechtigter Mit-
        bürger akzeptiert – ganz unabhängig vom formalrechtli-
        chen Status.
        Die Staatsangehörigkeit sollte für Migranten genauso
        eindeutig entschieden sein wie für geborene Mitbürger.
        Es ist schon zu fragen, warum Migranten diesbezüglich
        gegenüber den geborenen Deutschen privilegiert werden
        sollen. Dass Grüne und Linke diese Frage nicht stellen,
        heißt nicht, dass die Menschen in diesem Land sie nicht
        stellen. Grüne und vor allem Linke ignorieren vorsätzlich,
        dass erfolgreiche Zuwanderungsländer wie die USA sehr
        wohl von ihren Neubürgern ein klares und ausschließli-
        ches Bekenntnis zu ihrem neuen Staat fordern. Die USA
        verlangen beispielsweise in ihrem Einbürgerungseid einen
        unmissverständlichen und nachdrücklichen Loyalitäts-
        schwur der Neubürger und zugleich eine explizite Ab-
        sage an bisherige staatsbürgerschaftliche Loyalitäten.
        Nur so kann nach US-Auffassung sowohl dem Neubür-
        ger als auch den Alteingesessenen das Gefühl vermittelt
        werden, jetzt zur neuen Staatsgesellschaft wirklich dazu-
        zugehören.
        Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen
        der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls
        die Akzeptanz von Migranten. Das allerdings wäre kon-
        traproduktiv und hilft auf dem Weg zu wirklicher Inte-
        gration von Migranten in unsere Gesellschaft nicht wei-
        ter.
        Die Vorschläge der Linken würden den bisherigen
        Grundfehler deutscher Zuwanderungs- und Integrations-
        politik verschärfen. Dieser Fehler ist, so zu tun, als gäbe
        es keine Anforderungen und keine Werte in der deut-
        schen Gesellschaft, die zu bewältigen, zu beherzigen
        oder abzuverlangen sind. Die Linken haben die Diskus-
        sion der letzten fünf Jahre zum Thema „Toleranz durch
        Wegschauen“ verschlafen und wollen blind den Weg for-
        cieren, der überhaupt erst in Deutschland, Frankreich,
        d
        b
        i
        D
        s
        z
        Z
        a
        P
        n
        n
        n
        t
        s
        s
        d
        r
        d
        d
        A
        w
        M
        i
        M
        l
        b
        w
        w
        e
        s
        ä
        E
        J
        R
        4
        b
        n
        V
        r
        M
        d
        s
        r
        d
        n
        B
        R
        r
        D
        n
        s
        (C
        (D
        en Niederlanden und anderswo die Integrationspro-
        leme verursacht hat. Die FDP lehnt solche Anträge ab.
        Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wer sich auf Dauer
        n einem Staat niederlässt – zumal wenn sich dieser als
        emokratie versteht –, hat Anspruch auf politische und
        oziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip auf
        wei Arten erfüllt werden: über einen unkomplizierten
        ugang zur Staatsbürgerschaft oder über das Wahlrecht
        uch für im Land lebende Menschen ohne deutschen
        ass.
        Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist ge-
        au das Gegenteil. Weder schafft sie die Möglichkeit ei-
        es entsprechenden Wahlrechts – nicht mal auf kommu-
        aler Ebene – noch versucht sie, Einbürgerungen
        atsächlich zu ermöglichen. Sie erschwert und verhindert
        tattdessen Einbürgerungen.
        Die geltende Rechtslage und Einbürgerungspraxis
        tellen zu hohe Hürden auf. Zu kritisieren sind unter an-
        erem die hohen Einbürgerungsgebühren, zu langwie-
        ige Verfahren, da grundsätzlich die vorherige Aufgabe
        er bisherigen Staatsangehörigkeit verlangt wird, und
        er Ausschluss von Personen, die Sozialleistungen in
        nspruch nehmen.
        Für Die Linke ist es demokratiepolitisch bedenklich,
        enn die Einbürgerung von der sozialen Integration von
        igrantinnen und Migranten abhängig gemacht wird. Es
        st für uns ein demokratiepolitisches Problem, wenn
        enschen der Zugang zur Staatbürgerschaft ihres Wohn-
        andes erschwert wird bzw. weitgehend verschlossen
        leibt.
        Genau dies ist in der Bundesrepublik aber der Fall,
        ie die rückläufigen Einbürgerungszahlen zeigen. So
        urde im Jahr 2000 mit 186 688 Einbürgerungen zwar
        in Höchststand erreicht, doch lässt sich dieser im We-
        entlichen mit Sonderfaktoren der damaligen Gesetzes-
        nderung erklären. Seitdem sank die Zahl der jährlichen
        inbürgerungen kontinuierlich auf bis zu 127 153 im
        ahr 2004 und nur noch 113 030 im Jahr 2007 ab. Der
        ückgang von 2000 bis 2007 beträgt zwischen 32 und
        0 Prozent.
        Im europäischen Vergleich schneidet die Bundesrepu-
        lik Deutschland ohnehin schlecht ab. Auch die sehr
        iedrige Einbürgerungsquote ist ein absolutes Desaster.
        on den Menschen ohne deutschen Pass haben sich ge-
        ade mal 1,56 Prozent im Jahr 2007 einbürgern lassen.
        Doch daran will die Bundesregierung nichts ändern.
        it dem vorliegenden Gesetzentwurf schafft es die Bun-
        esregierung gerade mal, auf Urteile des Bundesverfas-
        ungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zu
        eagieren. Darin wurde die Bundesregierung aufgefor-
        ert, eine klare spezialgesetzliche Regelung zur Rück-
        ahme der Staatsangehörigkeit zu erlassen. Doch die
        undesregierung belässt es nicht einfach dabei, die
        ücknahme bzw. den Entzug der Staatsangehörigkeit zu
        egeln. Nein, wie so oft im Ausländerrecht wird eine
        oppelbestrafung eingeführt. Damit diese Regelung
        icht auch nur ansatzweise einen positiven Beige-
        chmack erhält, wird noch zusätzlich eine Strafvorschrift
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20225
        (A) )
        (B) )
        eingeführt. Für unrichtige oder unvollständige Angaben
        zur Erschleichung der Staatsangehörigkeit soll eine Frei-
        heitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden kön-
        nen. So sieht das Rechtsstaatsverständnis der Bundesre-
        gierung und insbesondere der CDU/CSU aus.
        Das ist nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern
        sichert den Drang der Bundesregierung nach sozialer Se-
        lektion zusätzlich ab. Denn unrichtige Angaben werden
        vermutlich am ehesten noch zu den Fragen der Lebens-
        unterhaltssicherung gemacht. Da spielt es dann keine
        Rolle, ob lediglich ein Anspruch auf Sozialleistungen
        bestand, der aber nicht angegeben wurde, da dieser nicht
        wahrgenommen wird. Wir lehnen nicht nur die Strafvor-
        schrift ab. Die Linke lehnt auch das Erfordernis der Le-
        bensunterhaltssicherung ab. Die Staatszugehörigkeit und
        politische Gleichberechtigung dürfen nicht vom Ein-
        kommen abhängig sein.
        Genauso wenig dürfen in einem Land geborene Kin-
        der ungleich behandelt werden. Für uns ist das eine
        Frage der Gerechtigkeit. Für alle Kinder müssen die
        gleichen Grundvoraussetzungen für ihre Entwicklung
        geschaffen werden. Dies kann nur über die automatische
        Einbürgerung bei Geburt im Inland geschehen. Diese bei
        Volljährigkeit der Kinder dann wieder infrage zu stellen
        und sie zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit oder
        der ihrer Eltern entscheiden zu lassen, ist absurd. Dieser
        Entscheidungszwang wird der Lebenssituation der mit
        mehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungen
        Erwachsenen nicht gerecht.
        Herr Wolff von der FDP hat der Linken in seiner Rede
        zur ersten Lesung unseres Antrags zur Optionspflicht
        – siehe Plenarprotokoll 16/183 auf Seite 19573 – vorge-
        worfen, wir wollten durch die Abschaffung der Options-
        pflicht den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit so
        billig wie möglich machen und wir würden damit ideolo-
        gisch an der Gesetzgebung herumschrauben. Doch ha-
        ben wir nichts anderes gefordert als der Sachverständige
        der FDP in der Anhörung zum Staatsangehörigkeits-
        recht. Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann hat sich – wie übri-
        gens auch alle anderen Sachverständigen – eindeutig
        gegen die Optionspflicht ausgesprochen. Dies ist nach-
        zulesen in seiner Stellungnahme Ausschussdrucksache
        16(4)311 C. In dieser plädiert er dann auch entsprechend
        für eine ersatzlose Abschaffung.
        Viel Schaumschlägerei veranstaltet ja auch die SPD
        immer wieder gerne; so auch bezogen auf die Forderung
        nach der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit.
        Herr Wiefelspütz hat Initiativen der SPD zur Ermögli-
        chung der doppelten Staatsangehörigkeit im Deutschen
        Bundestag bereits am 26. Mai 1993 angekündigt; nach-
        zulesen im Plenarprotokoll 12/160 auf Seite 13575. Da-
        mals noch, um die Zustimmung der SPD zum sogenann-
        ten Asylkompromiss zu rechtfertigen. Sein Kollege
        Rudolf Körper tat selbiges in der Debatte vom 14. Juni
        2007 zur Rechtfertigung der Zustimmung der SPD zum
        Richtlinienumsetzungsgesetz – Plenarprotokoll 16/103,
        Seite 10591. Herr Bürsch von der SPD-Fraktion hat
        seine Rede in der Plenarsitzung vom 16. Oktober 2008
        mit dem Satz beendet: „Daher wird die SPD über das
        hier zu beschließende Gesetz hinaus weiter für die Ab-
        s
        l
        b
        g
        s
        m
        w
        M
        g
        w
        D
        d
        r
        E
        L
        D
        k
        k
        E
        d
        m
        b
        e
        r
        n
        N
        n
        s
        l
        G
        e
        g
        k
        r
        g
        f
        h
        e
        k
        M
        ü
        t
        s
        r
        L
        r
        r
        a
        M
        n
        k
        U
        h
        k
        (C
        (D
        chaffung des Optionsmodells und die generelle Mög-
        ichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eintreten.“ Es
        leibt bei der SPD dabei: Seit 15 Jahren – davon übri-
        ens zehn Jahre an der Regierung – nur Gerede. Ver-
        chärfungen der Gesetzeslage werden unterstützt und
        it der CDU/CSU durch das Parlament getrieben, und
        enn es mal um Verbesserungen für Migrantinnen und
        igranten geht, kommt nur heiße Luft.
        Mit unserem Antrag „Einbürgerung erleichtern – Aus-
        renzungen ausschließen“ soll die Einbürgerung bundes-
        eit erleichtert und hierdurch das Signal an die in
        eutschland lebende Bevölkerung vermittelt werden,
        ass Menschen mit Migrationshintergrund als gleichbe-
        echtigter Teil dieser Gesellschaft angesehen werden.
        inbürgerungen sollen nach fünfjährigem tatsächlichen
        ebensmittelpunkt in der Bundesrepublik möglich sein.
        azu sind nach unserer Auffassung mündliche Sprach-
        enntnisse ausreichend. Wir wollen die Staatsangehörig-
        eit per Geburt – ius soli – und die grundsätzliche
        rmöglichung der Mehrfachstaatsangehörigkeit. Außer-
        em müssen Einbürgerungen unabhängig vom Einkom-
        en sein. Das bedeutet auch, dass die Einbürgerungsge-
        ühren radikal gesenkt werden müssen.
        Leider will eine Mehrheit in diesem Parlament keine
        rleichterte Einbürgerung und vereinfachte Einbürge-
        ungsverfahren.
        Nun, das sagt einiges über dass Demokratieverständ-
        is der Parlamentsmehrheit aus.
        Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        EN): Die Einbürgerungszahlen in Deutschland liegen
        ach drei schwarz-roten Jahren im Keller. Im Jahr 2007
        ind sie nochmals um 9,5 Prozent zurückgegangen und
        iegen nunmehr auf dem Niveau von vor 1991. Und die
        roße Koalition? Ihnen fällt außer warmen Worten und
        iner reichlich schlichten Werbekampagne anscheinend
        ar nichts ein, wie Sie diesen negativen Trend umkehren
        önnten. Im Gegenteil: Sie haben das Thema Einbürge-
        ung komplett aus dem Nationalen Integrationsplan aus-
        eklammert; Sie haben die Einbürgerungsmöglichkeiten
        ür junge Migrantinnen und Migranten verschärft; Sie
        aben einen absurd unintelligenten Einbürgerungstest
        ingeführt, der – im deutlichen Unterschied zu der Will-
        ommenskultur der USA – Ausdruck kleinkarierten
        isstrauens und des Willens zur Abschreckung gegen-
        ber einbürgerungswilligen Personen ist; schließlich hal-
        en Sie – entgegen des Rats von sieben der acht Sachver-
        tändigen in der diesbezüglichen Innenausschussanhö-
        ung – an dem unsäglichen Optionszwang fest.
        Wir Grünen stellen heute unseren Gesetzentwurf zur
        iberalisierung des deutschen Staatsangehörigkeits-
        echts zur Abstimmung. Wir schlagen darin unter ande-
        em vor, die Fristen für eine Anspruchseinbürgerung von
        cht auf sechs Jahre zu verkürzen; die Einbürgerung von
        igrantinnen und Migranten der ersten Zuwandererge-
        eration zum Beispiel beim Nachweis von Deutsch-
        enntnissen zu erleichtern; Mehrstaatigkeit nicht nur bei
        nionsbürgern und Schweizern, sondern auch bei Ange-
        örigen besonders eng assoziierter Staaten wie der Tür-
        ei hinzunehmen; schließlich das sogenannte Options-
        20226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        modell auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte zu
        entsorgen, wo es dringend hingehört.
        Diese Vorschläge entsprechen dem Grünen Integra-
        tionskonzept aus dem Jahr 2006, das den programmati-
        schen Titel „Perspektive Staatsbürgerschaft“ trägt. Un-
        sere Gesellschaft sollte es sich zur ureigensten Aufgabe
        machen, alles zu tun, damit unsere künftigen Staatsbür-
        gerinnen und Staatsbürger so bald wie möglich die Vo-
        raussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen.
        Wir werden uns bei dem Gesetzentwurf der Bundes-
        regierung der Stimme enthalten. Im Grunde werden hier
        die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rück-
        nahme einer Einbürgerung bei arglistiger Täuschung
        weitgehend umgesetzt. Wir Grünen hatten in unserem
        oben genannten Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass eine
        solche Rücknahme nur innerhalb eines Zeitraums von
        fünf Jahren nach der Einbürgerung bzw. nicht rückwir-
        kend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft vorge-
        nommen werden dürfte.
        Wir kritisieren, dass die Bundesregierung vom Votum
        des Bundesrates nur einen restriktiven Punkt, nämlich
        die Einführung einer neuen Strafvorschrift, übernommen
        hat und nicht dessen – ja ohnehin äußerst seltenen – Vor-
        schläge zur Liberalisierung staatsangehörigkeitsrechtli-
        cher Vorschriften aufgegriffen hat. Wir Grünen halten
        zum Beispiel – im Einklang mit dem Europäischen Über-
        einkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. Novem-
        ber 1997, auf das das Bundesverfassungsgerichtsurteil
        2 BvR 96/04 in RZ 25 ja auch Bezug nimmt – eine Al-
        tersgrenze für die Kinder der bzw. desjenigen, der bzw.
        dem der deutsche Pass wieder entzogen werden soll, von
        18 Jahren für rechtlich möglich und angemessen. Aber
        mit Vorschlägen zur Liberalisierung und Humanisierung
        des Staatsangehörigkeitsrechts ist diese Koalition allen
        Sonntagsreden zum Trotz offenkundig überfordert.
        Aber Schlafmützigkeit ist augenscheinlich kein Privi-
        leg der Regierungskoalition. Die FDP hat zum Beispiel
        gestern im Innenausschuss vorgeschlagen, im Hinblick
        auf das sogenannte Optionsmodell erst einmal eine lang-
        wierige Evaluierung durchzuführen, ganz nach dem
        Motto: Wer nicht mehr weiter weiß, der gründet einen
        Arbeitskreis. Ein solcher Vorschlag ist aus meiner Sicht
        reine Zeitverschwendung und geht einseitig zulasten
        derjenigen Heranwachsenden, die schon heute gezwun-
        gen sind, sich zwischen der Staatsangehörigkeit ihrer El-
        tern und derjenigen des Landes zu entscheiden, in dem
        sie leben und aufgewachsen sind.
        Anlage 23
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Düngegesetzes
        (Tagesordnungspunkt 46)
        Johannes Röring (CDU/CSU): Mit dem heute zu
        verabschiedenden Düngegesetz soll das Düngemittel-
        gesetz von 1977 ersetzt werden. Dies derzeit geltende
        Düngemittelgesetz hat die Aufgabe, die grundsätzlichen
        Anforderungen an die Zusammensetzung, die Kenn-
        z
        g
        p
        v
        s
        D
        g
        n
        g
        b
        A
        g
        H
        d
        W
        b
        e
        f
        s
        o
        N
        d
        P
        D
        s
        s
        g
        z
        z
        e
        i
        h
        w
        h
        h
        lu
        N
        B
        b
        N
        d
        d
        g
        s
        e
        s
        n
        d
        D
        T
        i
        i
        g
        (C
        (D
        eichnung und die Anwendung von Düngemitteln zu re-
        eln, um die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln,
        flanzlichen Rohstoffen sowie den Schutz der Anwender
        on Düngemitteln und der Gesundheit von Verbrauchern
        owie von Tieren und des Naturhaushalts sicherzustellen.
        och zeigt die aktuelle Praxis, dass es den Anforderun-
        en, die an ein modernes Gesetz gestellt werden müssen,
        icht mehr entspricht und aktuellen Entwicklungen nicht
        erecht wird. Denn es hat sich gezeigt, dass neben den
        isherigen Regelungen zu Düngemitteln verstärkt auch
        spekte der Anwendung in der Praxis in das Gesetz auf-
        enommen werden sollten. Aus diesem Grund ist ein
        auptaspekt des Gesetzes, dass es die Flexibilisierung
        er Zulassung von Düngemitteln, um teilweise lange
        artezeiten und damit einhergehende Rechtsunsicherheit
        ei der Aufbringung neuer Düngemittel zu vermeiden,
        rmöglicht.
        Des Weiteren war und ist das Gesetz die Grundlage
        ür verschiedene Verordnungen, beispielhaft zu nennen
        ind hier die Düngeverordnung und die Düngemittelver-
        rdnung, die ja auch erst vor kurzem novelliert wurde.
        Diese gesetzgeberischen Aktivitäten zeigen, welche
        otwendigkeit aktuell besteht, sich verstärkt mit der Be-
        eutung des Düngens von Nutzpflanzen im Rahmen der
        flanzenproduktion der Land- und Forstwirtschaft in
        eutschland, aber auch im globalen Maßstab zu be-
        chäftigen.
        Wir wissen alle, dass eine gezielte und auf den Nähr-
        toffbedarf ausgerichtete Pflanzenernährung und Dün-
        ung unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen und
        ukunftsorientierten Landwirtschaft ist. Die ziel- und
        weckgerichtete Düngung der Nutzpflanzen ist dabei
        ine der entscheidenden Komponenten, denn nur mit
        hrem Einsatz kann der steigende Bedarf an qualitativ
        ochwertigen Nahrungsmitteln auch in Zukunft gedeckt
        erden und können die Erträge der Kulturpflanzen auf
        ohem Niveau stabilisiert werden.
        Wir sind uns auch bewusst, dass eine langfristig tragfä-
        ige Landwirtschaft neben der ökonomischen Entwick-
        ng, der Forderung nach ausreichender Versorgung mit
        ahrungsmitteln sowie ihren sozialen Aspekten auch die
        elange des Umweltschutzes berücksichtigen muss. Wir
        rauchen daher Rahmenbedingungen, die eine hohe
        ährstoffeffizienz ermöglichen. Die Nährstoffe können
        adurch besonders gezielt eingesetzt werden. Denn auf
        iese Weise können wir die gezielte Nährstoffversor-
        ung von Pflanzen mit den Forderungen des Umwelt-
        chutzes bestmöglich kombinieren.
        Im Rahmen dieser Debatte muss aber auch die Effizienz
        ine besondere Rolle spielen, denn das Thema der Nähr-
        toffversorgung von Pflanzen hat nicht nur eine natio-
        ale, sondern eine mehr als globale Dimension.
        Im Jahr 2030 werden rund 8 Milliarden Menschen auf
        er Erde leben, also bis zu 40 Prozent mehr als heute.
        urch eine Verschiebung der Essgewohnheiten in vielen
        eilen der Welt, durch verringerte Niederschlagsmengen
        n Verbindung mit einem weltweiten Temperaturanstieg
        st des Weiteren von verstärkter Wasserknappheit auszu-
        ehen, die unmittelbar zum Verknappen von Flächen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20227
        (A) )
        (B) )
        und zu absinkender Produktivität führt. Demzufolge
        wird die Versorgungsproblematik noch größer, da wir
        auch erkennen müssen, dass das weltweit verfügbare
        Ackerland wenig bis gar nicht ausgedehnt werden kann.
        Wir leben also in einer Welt, in der sich das Bevölke-
        rungswachstum in besorgniserregender Weise erhöht,
        wir folglich auf den vorhandenen Flächen mehr an-
        bauen, mehr Erträge erreichen müssen, um immer mehr
        Menschen satt machen zu können.
        Dazu ist es notwendig, eine hoch ertragreiche Land-
        wirtschaft zu fördern, die besonders auch in Deutschland
        und Europa, mit den vielen sehr fruchtbaren Böden, ei-
        nen hohen Grad an Eigenversorgung sicherstellt, aber
        auch als Möglichkeit dient, den Weltmarkt zu beliefern,
        und die Anschauungsobjekt für zukunftsfähige Land-
        wirtschaft auch in anderen Teilen der Welt ist.
        Abschließend möchte ich noch einmal konkret auf das
        zu beschließende Düngegesetz Bezug nehmen und zusam-
        menfassen, dass die Ablösung des Düngemittelgesetzes
        durch das Düngegesetz die Grundlage für regionalspezifi-
        sche Vorgaben für die Düngung, die Flexibilisierung der
        Düngemittelzulassung, verbesserte Kontrollmöglichkeiten
        und eine klarere Kennzeichnung von Düngemitteln schafft.
        Dadurch schaffen wir Rahmenbedingungen, die eine ge-
        zielte und auf den Nährstoffbedarf ausgerichtete Pflanzen-
        ernährung und Düngung in Deutschland sicherstellen.
        Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in ab-
        schließender Lesung ein neues Gesetz. Das Düngegesetz
        wird das aus dem Jahr 1977 stammende und heute in
        verschiedenen Punkten nicht mehr zeitgemäße Dünge-
        mittelgesetz ablösen. Mit einem neuen Gesetz machen
        wir bereits durch den Namen deutlich, dass wir neben
        den Regelungen für die Zusammensetzung von Dünge-
        mitteln, deren Kennzeichnung und Inverkehrbringen
        einen stärkeren Akzent auch auf die Anwendung und
        Ausbringung setzen. So schaffen wir ein straffes, umfas-
        sendes und zugleich modernes, an die Bedürfnisse des
        Marktes und des Bodenschutzes angepasstes Gesetz.
        Wer sich das Gesetz anschaut, wird unschwer erken-
        nen, dass ein Großteil der Absätze mit dem Satz beginnt:
        „Das Bundesministerium wird ermächtigt …“ Das ist ei-
        nerseits notwendig; denn es stellt sicher, dass wir schnel-
        ler auf Veränderungen reagieren können als zuvor. Es ist
        jedoch andererseits auch ein erheblicher Vertrauensvor-
        schuss, den wir der Bundesregierung mit diesem Gesetz
        geben. Ich bin davon überzeugt, dass sie dem gerecht
        wird und auch zukünftig die Interessen des Ressourcen-
        schutzes wie auch die der Anbieter und Anwender von
        Düngemitteln vertritt.
        Boden, Wasser und Luft gehören zu unseren wichtigs-
        ten Ressourcen. Sie sind Grundlage für die Zukunft un-
        serer Ernährungssicherheit, und ihre Unversehrtheit
        muss auch für alle zukünftigen Generationen gewähr-
        leistet werden. Daher bedarf es unser aller Aufmerksam-
        keit, die Fruchtbarkeit unserer Böden langfristig zu si-
        chern und, wenn möglich, zu verbessern. Dabei ist der
        Boden nicht als bloßes Nährmedium zu betrachten, son-
        dern als hochkomplexes System und als Lebensraum für
        unzählige Lebensformen, die nur in ihrer Gesamtheit
        e
        E
        S
        g
        s
        s
        a
        u
        h
        A
        t
        d
        n
        s
        w
        d
        s
        S
        e
        d
        U
        p
        m
        a
        u
        u
        h
        u
        r
        d
        s
        d
        k
        d
        d
        M
        L
        w
        D
        U
        a
        s
        s
        d
        K
        v
        u
        d
        m
        l
        u
        r
        s
        d
        (C
        (D
        ine gesunde und funktionierende Einheit darstellen.
        ine Vernachlässigung führt schnell zu kaum reversiblen
        chäden durch Wasser- oder Winderosion, Verdichtun-
        en oder Verschlämmungen mangels organischer Sub-
        tanz oder Umsetzung durch Klein- oder Kleinstlebewe-
        en. Die Funktionsfähigkeit des Bodens lässt sich nicht
        uf die Bereitstellung von Nährstoffen reduzieren; sie
        mfasst sämtliche Bereiche der Bodenfruchtbarkeit. Da-
        er begrüße ich klare und auch strenge Vorgaben für die
        nwendung und auch verbesserte Kontrollmöglichkei-
        en für die Behörden der Länder.
        Organische Substanz und der Humusgehalt eines Bo-
        ens sind sein Aushängeschild. Sie geben Auskunft
        icht nur über Standort und Klima, Bewuchs und Nähr-
        toffaustauschvermögen, sondern auch über seine Be-
        irtschaftung und Lebendigkeit. Wir brauchen leben-
        ige Böden, um auch langfristig die Fruchtbarkeit zu
        ichern. Nicht zuletzt stellen unsere Böden wichtige
        enken für Kohlenstoff dar. Ein Hektar Ackerkrume mit
        inem Humusgehalt von 2 Prozent beinhaltet allein in
        en oberen 10 Zentimetern etwa 17 Tonnen Kohlenstoff.
        mgerechnet wären dies über 60 Tonnen Kohlendioxid
        ro Hektar. Grünland hat einen durchschnittlichen Hu-
        usgehalt von 6,5 Prozent. Rechnen Sie sich das hoch
        uf 17 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche,
        nd Sie werden den Stellenwert des Humusgehaltes in
        nseren Böden auch in unseren Bemühungen zur Treib-
        ausgasreduktion unschwer erkennen! Die Wertigkeit
        nserer Böden ist eine wichtige Stellschraube, die unse-
        er Aufmerksamkeit bedarf.
        Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Die Versorgung
        er Nutzpflanzen mit Pflanzennährstoffen ist eine we-
        entliche Grundlage für eine nachhaltige Pflanzenpro-
        uktion. Nur mit einer ausgewogenen Nährstoffzufuhr
        önnen das Ertragspotenzial der Pflanzen genutzt und
        ie Bodenfruchtbarkeit erhalten werden, und das wie-
        erum ist die Voraussetzung für die Versorgung der
        enschen mit preiswerten und qualitativ hochwertigen
        ebensmitteln. Gleichzeitig können unsachgemäße An-
        endung und ungeeignete Zusammensetzungen von
        üngemitteln mögliche Gefahren für Gesundheit und
        mwelt bergen. Hier gilt es, bestimmte Anforderungen
        n Herstellung, Inverkehrbringen und Anwendung zu
        tellen.
        Von daher ist es richtig, ein neues, modernisiertes Ge-
        etz zu verabschieden, das die Grundlagen der Anwen-
        ung, des Inverkehrbringens, des Verbringens und der
        ennzeichnung von Düngemitteln regelt. Es ist damit
        on zentraler Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft
        nd die Düngemittelindustrie.
        Hingegen ist es aus Sicht der FDP nicht richtig, durch
        iverse Doppelregelungen zusätzliche Bürokratie für die
        ittelständische Landwirtschaft zu schaffen. Überregu-
        ierungen sind nicht zielführend, nicht praxis- und nicht
        mweltgerecht. Ein Düngegesetz darf niemals Details
        egeln wollen. Hier wird es scheitern.
        Jede Fläche am jeweiligen Standort – mit der spezifi-
        chen Bodenart, dem Bodentyp, der Nährstoffversorgung,
        er Bodenbearbeitung, der Fruchtfolge, den Witterungs-
        20228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) )
        (B) )
        und Anbauverhältnissen und Betriebsausrichtungen –
        hat spezielle Ansprüche an die Düngung. Deshalb ist ein
        zu eng gefasstes Gesetz ein schlechtes Gesetz.
        Stattdessen kommt dem Grundsatz der guten fachli-
        chen Praxis eine entscheidende Rolle in der Landwirt-
        schaft zu. Die gute fachliche Praxis wird der Produktion
        – dem Pflanzenbau, dem Boden, dem Wasser, dem Kli-
        maschutz, der Umwelt – immer gerechter als die Einhal-
        tung starrer theoretischer Vorschriften. Zudem ist sie im-
        mer von Nachhaltigkeit geprägt.
        Von daher lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den vor-
        liegenden Entwurf ab. Die Landwirte brauchen weniger
        und nicht mehr Bürokratie.
        Lassen Sie mich meine Kritik an zwei Beispielen ver-
        deutlichen:
        § 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs als Ermächti-
        gung zum Erlass einer Verordnung zum Verbringen von
        Düngemitteln ist überflüssig, da seine Inhalte auch in § 5
        – Inverkehrbringen – mit geregelt werden können. Da-
        mit hätte man eine schlankere Regelung, die weniger
        praxisfern wäre und statt zu Bürokratieaufbau auch zu
        Bürokratieabbau führte. Beispielhaft möchte ich das
        Verbringen von Gülle vom väterlichen Milchviehbetrieb
        zum Ackerbaubetrieb des Sohnes anführen. Reichen hier
        die Kriterien für das Inverkehrbringen nicht aus?
        Ebenso bürokratisch ist die vorgesehene Schaffung
        eines schlagspezifischen Düngekatasters. Die Aufzeich-
        nungspflichten sind auch jetzt schon umfassend geregelt.
        Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsan-
        trag von Bündnis 90/Die Grünen zu dem Düngegesetz-
        entwurf. Dieser wird den Anforderungen an die Praxis
        nicht gerecht, denn er macht die Düngegesetzgebung an
        einem einzigen Bodenbestandteil – dem Humus – fest.
        Das wird allerdings den vielfältigen natürlichen Boden-
        verhältnissen nicht gerecht. Ein Sandboden zum Beispiel
        wird niemals ein Humusboden, ein Ackerboden ist beim
        Humusgehalt niemals vergleichbar mit einem Dauer-
        grünlandboden. Es gibt unzählige Varianten von Böden
        – vergleichbar mit Individuen. Deshalb mein Fazit: Die-
        ser Vielzahl natürlicher Verhältnisse gerecht zu werden,
        geht am sinnvollsten über die gute fachliche Praxis.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Neufas-
        sung des Düngegesetzes ist überfällig, auch die Linke
        stimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und
        den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu, die sich
        im Änderungsantrag der Koalition wiederfinden.
        Die Düngung gehört neben Sortenwahl und Pflan-
        zenschutz zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Pro-
        duktionsmitteln im Ackerbau. Sie bringt für Erträge,
        Ertragssicherheit und Qualität im Anbau von Kultur-
        pflanzen die größten Effekte. Allerdings ist bei ihrer
        Verwendung durchaus Augenmaß geboten.
        Der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmit-
        teln hat eine herausragende Bedeutung beim Kampf um
        die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung. Die Grund-
        lage bildet zunächst der Zugang zum Bodeneigentum.
        D
        d
        e
        n
        B
        s
        n
        g
        z
        p
        M
        r
        d
        D
        s
        l
        s
        a
        g
        g
        s
        n
        p
        g
        d
        w
        d
        e
        z
        s
        m
        a
        k
        u
        D
        l
        w
        l
        i
        t
        A
        a
        u
        k
        P
        V
        m
        E
        l
        u
        t
        s
        j
        n
        a
        (C
        (D
        eshalb unterstützt Die Linke ausdrücklich die Forderung
        es Weltagrarrates nach Landreformen. Aber Boden-
        igentum allein sichert keine Existenz. In vielen Regio-
        en der Erde sind es ausgerechnet die Bäuerinnen und
        auern, die chronisch Hunger leiden. Fehlende Infra-
        truktur, fehlende finanzielle Mittel, zum Beispiel für
        otwendigen Dünger und Pflanzenschutzmittel, man-
        elnde Ausbildung oder Kriege, die die Landwirtschaft
        erstören, tragen zu mangelnder Versorgung bei.
        Um 80 Millionen Menschen wächst die Bevölkerung
        ro Jahr, dazu kommt steigendes Einkommen für viele
        enschen in den Schwellenländern. Beide Faktoren füh-
        en zu steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln und
        amit zu weltweit steigender Nahrungsmittelproduktion.
        ie größten produktionstechnisch zu erschließenden Re-
        erven zur Steigerung der Weltnahrungsmittelproduktion
        iegen dabei nicht in den deutschen und (west-)europäi-
        chen Agrarregionen, sondern in vielen osteuropäischen,
        siatischen, südamerikanischen und afrikanischen Re-
        ionen. Die Mobilisierung dieser Reserven durch eine
        erechte Verteilung des Zugangs zu den nötigen Res-
        ourcen ist also der Schlüssel zur Erfüllung des Millen-
        iumsziels der Halbierung der Hungernden bis 2015.
        Der Bedarf nach weltweit wachsender Nahrungsmittel-
        roduktion führt also auch zu steigendem Düngebedarf
        erade in vielen nichteuropäischen Ländern. Angesichts
        er aber zum Teil begrenzten Reserven der dafür not-
        endigen Rohstoffe, zum Beispiel Phosphat, bedeutet
        as, den in Deutschland und Europa eingesetzten Dünger
        ffizient und umweltschonend wie rohstoffsparend ein-
        usetzen. Mal davon abgesehen, dass auch aus ökologi-
        chen Gründen im eigenen Land ein sinnvoller Umgang
        it Düngung selbstverständlich sein sollte, schon allein
        us Kostengründen im betriebswirtschaftlichen Sinn.
        Im Düngegesetz wird das zum einen durch die stär-
        ere Berücksichtigung von Wirtschaftsdüngern erreicht
        nd zum Zweiten durch die einfacheren Verfahren, neue
        üngemittel und Düngeverfahren in die landwirtschaft-
        iche Praxis zu bringen. In den vergangenen Jahrzehnten
        aren die Industrieländer Vorreiter in der Entwicklung
        andwirtschaftlicher Verfahrenstechnik, und diese Rolle
        st gerade in Bezug auf die Effizienz und Umweltver-
        räglichkeit der Düngung von existenzieller Bedeutung.
        ktuelle technische Entwicklungen, wie sie im Präzisions-
        ckerbau schon angelegt sind, zeigen die Möglichkeiten
        mwelt- und ressourcenschonender Fortschritte.
        Deutschland und Europa haben nach Ansicht der Lin-
        en nach wie vor die Verantwortung, aber auch die
        otenziale zur Entwicklung innovativer und nachhaltiger
        erfahren. Die Ressourcen dazu sind vorhanden, sie
        üssen verantwortlich genutzt werden. In Bezug auf die
        ntwicklung der Agrarwissenschaften gibt es dabei An-
        ass zu Sorge. Der Stellenabbau in der Ressortforschung
        nd in den universitären und außeruniversitären Einrich-
        ungen geht weiter, die finanzielle und materielle Aus-
        tattung der Agrarwissenschaften wird im Vergleich zur
        üngeren Vergangenheit dürftiger. Wenn Wissenschaft
        ur noch in Exzellenz-Dimensionen gedacht wird, hat
        ngewandte Forschung keine Chance auf Anerkennung.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20229
        (A) )
        (B) )
        Trotzdem oder gerade deshalb gilt es, jetzt nicht noch
        mehr Grundlagen für eine leistungsfähige Agrarwissen-
        schaft in Deutschland zu zerstören, sondern die Krise der
        Agrarwissenschaften, die der Wissenschaftsrat attestiert
        hat, zu beenden. Die Bedeutung unserer Rolle als reiche
        Industrie- und Dienstleistungsnation muss ernst genom-
        men werden, um Ressourcen für die Agrarforschung im
        Dienst weltweit notwendiger Fortschritte aufbringen zu
        können.
        Im Entschließungsantrag der Grünen findet sich ins-
        besondere eine Kritik an einer zu geringen Berücksichti-
        gung des Humus im Düngegesetz. Humus ist natürlich
        ein wichtiger Faktor der Bodenfruchtbarkeit. Für den
        Humuserhalt im Acker zu sorgen, ist per se ein Interesse
        des Pflanzenbauers. Dabei kann man allerdings auch
        über das Ziel hinausschießen: Allein die Höhe des Ge-
        halts an organischer Substanz im Boden sagt noch nichts
        über die Humusqualität und Nachhaltigkeit des Acker-
        baus aus. Gerade in den sehr viehintensiven Regionen
        im Nordwesten und Westen Deutschlands ist in den ver-
        gangenen Jahrzehnten der Humusgehalt gestiegen, was
        im Prinzip ja positiv ist. Bei dieser Debatte bleibt aller-
        dings unberücksichtigt, dass dieser Effekt nur aufgrund
        des gewaltigen Futterimports aus aller Welt und des da-
        mit sehr hohen Düngeniveaus organischer Wirtschafts-
        dünger wie Gülle oder Hühnertrockenkot möglich war.
        Aus Sicht des Humusgehaltes in den Böden mag das po-
        sitiv sein, nachhaltig ist es nicht.
        Noch immer liegt in der Gesamtbilanz Deutschlands ein
        durchschnittlicher Stickstoffüberschuss von über 70 kg N
        pro ha und Jahr vor. Das ist ein Wert, der nicht aus der
        „mineralischen“ Düngung des reinen Ackerbaubetriebs
        stammt, sondern mit der hohen Nährstoffsättigung an
        viehreichen Standorten zusammenhängt. Die Forderung der
        Grünen, „Maßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserung
        des Humusgehalts“ in das Düngegesetz aufzunehmen,
        schießt daher über das Ziel hinaus und lässt die vielen und
        wichtigen anderen Kennwerte der Bodenfruchtbarkeit un-
        berücksichtigt. Die Linke wird daher dem Entschlie-
        ßungsantrag der Grünen nicht zustimmen.
        Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
        Sachsen enthalten laut Sächsischer Landesanstalt für
        Landwirtschaft etwa 40 Prozent der Ackerböden zu we-
        nig Phosphor und Humus. Selbst wenn die Lage in ande-
        ren Bundesländern besser sein sollte, so zeigt diese Zahl
        doch eins: Es kann keine Rede davon sein, dass die
        Landwirtschaft bereits heute flächendeckend für eine
        ausreichende Humusreproduktion auf Deutschlands
        Äckern sorgt. Da hilft auch das ganze Gerede nichts,
        dass die Landwirte schon aus Eigeninteresse für eine
        ausreichende Humuszufuhr zum Boden sorgen würden.
        Die Praxis sieht anders aus – und eigentlich weiß es auch
        jeder.
        Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Auf-
        rechterhaltung und Herstellung eines standort- und nut-
        zungstypischen Humusgehaltes bereits hinreichend in der
        guten fachlichen Praxis und in Cross-Compliance geregelt
        sei, wie es Vertreter des Bauernverbandes und der Union
        im
        H
        v
        d
        b
        M
        H
        n
        g
        b
        V
        o
        d
        z
        d
        g
        k
        P
        g
        z
        o
        n
        d
        W
        s
        e
        t
        h
        B
        d
        U
        b
        m
        b
        G
        E
        u
        t
        k
        b
        m
        w
        z
        B
        d
        w
        r
        d
        n
        g
        a
        B
        m
        n
        m
        (C
        (D
        mer wieder betonen. Laut Cross-Compliance ist eine
        umusbilanzierung nicht erforderlich, wenn ein Anbau-
        erhältnis von drei Kulturen mit mindestens 15 Prozent
        er Bedeckung der Ackerfläche eingehalten wird. Das
        ekommen Sie mit drei humuszehrenden Kulturen wie
        ais, Raps und Kartoffeln locker hin, obwohl sie den
        umusgehalt dabei ruinieren können. Selbst wenn Sie
        ur noch Mais anbauen, dann sind die Maßnahmen, die
        emäß Cross-Compliance nach Anwendung der Humus-
        ilanzierung zu ergreifen sind, eher schwach. Auch die
        orschrift des Bodenschutzgesetzes in § 17, „den stand-
        rttypischen Humusgehalt des Bodens insbesondere
        urch eine ausreichende Zufuhr an organischer Substanz
        u erhalten“, spielt in der Praxis wohl kaum eine Rolle,
        a das Bodenschutzrecht zur Art der Umsetzung nir-
        endwo eine nähere Aussage macht. Von Kontrollierbar-
        eit und von Kontrolle kann so keine Rede sein.
        Eine größere Bedeutung für die landwirtschaftliche
        raxis als das Bodenschutzgesetz hat sicherlich das Dün-
        erecht. Deswegen war es Bündnis 90/Die Grünen ein
        entrales Anliegen, bisher humusfreie Düngemittel mit
        rganischer Substanz anzureichern. Es ist ein Versäum-
        is des Düngerechts, dass bisher weder der Humusgehalt
        er Böden noch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder
        iederherstellung eines standort- und nutzungstypi-
        chen Humusgehaltes dort eine Rolle spielen. Dabei ist
        s Zweck des Gesetzes, die Bodenfruchtbarkeit zu erhal-
        en und zu verbessern. Die Humusversorgung der Böden
        at anerkanntermaßen einen erheblichen Einfluss auf die
        odenfruchtbarkeit. Wie kann man im Düngemittelrecht
        ie Düngung dann auf die Mineralstoffzufuhr reduzieren?
        nd warum regelt das Düngerecht die Mineralstoffzufuhr
        is ins kleinste Detail, während die ebenso wichtige Hu-
        usreproduktion völlig den Landwirten überlassen
        leibt?
        Aus diesem Grund sind wir Grüne froh, dass sich die
        roße Koalition immerhin dazu durchringen konnte, den
        rhalt und die nachhaltige Verbesserung des standort-
        nd nutzungstypischen Humusgehaltes in den Gesetzes-
        ext aufzunehmen. Auch ist es ein Fortschritt, dass es zu-
        ünftig zulässig sein soll, Düngemittel in Verkehr zu
        ringen, die den standort- und nutzungstypischen Hu-
        usgehalt erhalten oder nachhaltig verbessern. Damit
        ird Schluss damit sein, dass organische Substanz nur
        ugeführt werden darf, wenn sie gleichzeitig auch einen
        eitrag zur Mineralstoffversorgung leistet.
        Aber dies kann nur der erste Schritt sein. Es ist nötig,
        ie Berücksichtigung des Humusgehaltes auch in den
        eiteren Vorgaben des Düngerechts durchzubuchstabie-
        en. Dies betrifft etwa die Kennzeichnungsvorgaben und
        ie Überwachung. Wichtiger noch sind aber Verord-
        ungsermächtigungen bzw. die Einarbeitung in die Dün-
        everordnung und die Düngemittelverordnung; denn vor
        llem diese sind in der Praxis relevant. Hier muss die
        undesregierung noch nacharbeiten.
        Um geeignete Maßnahmen zur Sicherung einer opti-
        alen Humusversorgung der Böden festlegen zu kön-
        en, wäre aus unserer Sicht die Humusbilanzierung ge-
        äß VDLUFA-Standpunkt vorzugeben. Dies würde
        20230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        (A) (C)
        (B) (D)
        jedem Landwirt vor Augen führen, ob er tatsächlich ge-
        nug für die Humusreproduktion tut. Der Gewinn würde
        den Aufwand für einen großen Teil der Betriebe sicher
        überwiegen, auch wenn es im übrigen Bundesgebiet
        nicht annähernd so viele humusunterversorgte Böden ge-
        ben sollte wie in Sachsen.
        Der vorliegende Gesetzesentwurf reicht auch aus
        wasserpolitischer Sicht nicht aus. Die Gewässerbelas-
        tung mit Nitraten stammt zu einem großen Teil aus der
        Landwirtschaft. Sie ist eine der Hauptursachen dafür,
        dass die Bundesrepublik die Ziele zum Erhalt der Biodi-
        versität sowie die Qualitätsanforderungen der Wasser-
        Rahmenrichtlinie und auch des Meeresschutzes voraus-
        sichtlich nicht erreichen wird. Die Verminderung der
        Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft muss des-
        halb vom Düngerecht stärker forciert werden. Dass die
        Verminderung der Stickstoffüberschüsse eine Gratwan-
        derung ist, wenn man weiter hohe Erträge ermöglichen
        will, ist uns Bündnisgrünen bewusst. Aber gerade dies
        macht die Größe der Herausforderung an das Dünge-
        recht deutlich. Denn es ist durchaus möglich, die Effi-
        zienz der Stickstoffdüngung zu erhöhen, ohne die Er-
        träge erheblich zu vermindern.
        Nachdem ich nun gesagt habe, was uns am vorliegen-
        den Gesetzentwurf noch fehlt, möchte ich doch noch
        einmal festhalten, dass das neue Düngegesetz im Ver-
        gleich zum bisherigen Düngemittelgesetz an vielen Stel-
        len durchaus in die richtige Richtung geht und Fort-
        schritte bringt. Begrüßenswert ist unter anderem, dass er
        für die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern strengere
        Regeln schafft. Dennoch hätten wir, was die Humusre-
        produktion und die Stickstoffüberschüsse betrifft, noch
        deutlichere Fortschritte erwartet. Deswegen werden wir
        uns in der Abstimmung zum Gesetzentwurf enthalten.
        91, 1
        0, T
        187. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12
        Anlage 13
        Anlage 14
        Anlage 15
        Anlage 16
        Anlage 17
        Anlage 18
        Anlage 19
        Anlage 20
        Anlage 21
        Anlage 22
        Anlage 23