Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19579
        (A) )
        (B) )
        Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft wärenAndreas
        Ich stimme mit Ja, denn wir haben eine Verpflichtung
        insbesondere gegenüber jenen Afghaninnen und Afgha-
        nen einzulösen, die sich entschieden haben, sich am Auf-
        bau des Landes zu beteiligen. Ohne die militärische
        Schily, Otto SPD 16.10.2008
        Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 16.10.2008
        Anlage 1
        Liste der entschuldigt
        *
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Albach, Peter CDU/CSU 16.10.2008
        Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 16.10.2008
        Bodewig, Kurt SPD 16.10.2008**
        Dr. Däubler-Gmelin,
        Herta
        SPD 16.10.2008
        Friedrich (Bayreuth),
        Horst
        FDP 16.10.2008
        Gloser, Günter SPD 16.10.2008
        Gruß, Miriam FDP 16.10.2008
        Gunkel, Wolfgang SPD 16.10.2008
        Hänsel, Heike DIE LINKE 16.10.2008
        Heller, Uda Carmen
        Freia
        CDU/CSU 16.10.2008
        Hempelmann, Rolf SPD 16.10.2008
        Höfer, Gerd SPD 16.10.2008*
        Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 16.10.2008*
        Leutheusser-
        Schnarrenberger,
        Sabine
        FDP 16.10.2008
        Lintner, Eduard CDU/CSU 16.10.2008*
        Mast, Katja SPD 16.10.2008
        Parr, Detlef FDP 16.10.2008
        Reichel, Maik SPD 16.10.2008
        Rohde, Jörg FDP 16.10.2008
        Roth (Heringen),
        Michael
        SPD 16.10.2008
        Dr. Scheer, Hermann SPD 16.10.2008
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        en Abgeordneten
        für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung des Europarates
        für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung der NATO
        nlage 2
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur namentlichen Abstimmung über die Be-
        schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes-
        regierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff-
        neter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der
        Internationalen Sicherheitsunterstützungs-
        truppe in Afghanistan (International Security
        Assistance Force, ISAF) unter Führung der
        NATO auf Grundlage der Resolution 1386
        (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Re-
        solution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der
        Vereinten Nationen
        Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Ich stimme mit Ja, weil sich 40 Staaten ver-
        flichtet haben, im Rahmen eines völkerrechtlich abge-
        icherten Mandats dem durch 30 Jahre Krieg zerstörten
        and beim Wiederaufbau zu helfen. Diese Aufgabe ist
        och nicht abgeschlossen.
        Ich stimme mit Ja, weil ein ziviler Aufbau des Landes
        hne Schutz durch Polizei und Militär unmöglich ist und
        ie afghanische Regierung die öffentliche Sicherheit
        och nicht mit eigenen Kräften gewährleisten kann.
        eehofer, Horst CDU/CSU 16.10.2008
        r. Stadler, Max FDP 16.10.2008
        taffelt, Grietje BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        16.10.2008
        töckel, Rolf SPD 16.10.2008
        r. Wodarg, Wolfgang SPD 16.10.2008*
        eil, Martin FDP 16.10.2008
        bgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        19580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        diese Menschen großen Gefahren für Leib und Leben
        ausgesetzt.
        Ich stimme mit ja, weil das Versprechen „Wir lassen
        euch nicht irn Stich“ auch in Zeiten von Rückschlägen
        ohne jeden Zweifel gelten muss.
        Ich stimme mit Ja, weil jede Frau, die ihre Burka ab-
        gelegt hat und in den Schulen unterrichtet, jede Frau, die
        wieder im Gesundheitswesen arbeitet, jede Frau, die
        wieder als Richterin oder Krankenschwester den Men-
        schen beiseitesteht, bei einer Rückkehr der Taliban von
        diesen als Kollaborateurin behandelt und brutalen Stra-
        fen ausgesetzt würde.
        Ich stimme mit Ja, weil, wie von Mitgliedern des
        Bundestags berichtet wird, vielen Frauen die nackte
        Angst in den Augen steht, wenn sie an eine mögliche
        Rückkehr der Taliban an die Macht denken.
        Ich stimme mit Ja, weil nach meiner Überzeugung die
        schwierige Aufbauarbeit von zivilen Initiativen und die
        humanitäre Hilfe für die Bevölkerung ohne den Schutz
        von ISAF undenkbar ist und weil sich selbst Menschen-
        rechtsorganisationen wie Human Rights Watch für eine
        Zustimmung für das Mandat aussprechen.
        Ich stimme mit Ja, weil der Weg, den dieses geschun-
        dene Land und seine Menschen vor sich haben, um nach
        Jahren der Unterdrückung, nach Schulverboten, Zerstö-
        rung der Universitäten und brutaler Gewalt gegen An-
        dersdenkende demokratische Institutionen aufzubauen
        und die Menschenwürde zu sichern, Zeit und einen lan-
        gen Atem braucht.
        Ich stimme mit Ja, weil auch Deutschland seinen Teil
        zu einer Mission beisteuern muss, die mit Gefahren für
        die beteiligten Soldaten aller Länder verbunden ist. Die
        Afghanistan-Mission kann nur als abgestimmte interna-
        tionale Anstrengung erfolgreich sein, die eine faire Tei-
        lung der Lasten erfordert. Ein einseitiger Rückzug der
        Bundesrepublik würde sowohl die afghanische Bevölke-
        rung wie den Zusammenhalt der internationalen Ge-
        meinschaft gefährden.
        Ich stimme mit Ja, weil die Taliban alles daransetzen,
        die Bevölkerungen der westlichen Demokratien so zu
        verunsichern, dass ihre Regierungen letztlich keine Sol-
        daten mehr zu schicken bereit sind. Ein Abrücken von
        relevanten Teilen des Bundestags vom ISAF-Mandat
        könnte von den Taliban als erster Erfolg dieser Verunsi-
        cherungsstrategie benutzt werden und ihnen die Bot-
        schaft in die Hände spielen, dass der Abzug von ISAF
        demnächst kommen werde.
        Ich stimme mit Ja, obwohl ich mir bewusst bin, dass
        in Afghanistan viele politische und militärische Fehler
        gemacht worden sind und weiter gemacht werden, die
        den Erfolg dieses Einsatzes gefährden. So halte ich die
        Luftangriffe, die von der amerikanischen Armee im
        Rahmen des OEF-Mandats durchgeführt werden und im-
        mer wieder Zivilisten das Leben kosten, für verheerend
        angesichts der Notwendigkeit, die Unterstützung der
        afghanischen Bevölkerung im Kampf gegen den Terro-
        rismus zu gewinnen. Stattdessen brauchen wir ein ein-
        heitliches Mandat der internationalen Friedenstruppen,
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        erstärkte Anstrengungen bei der Ausbildung der afgha-
        ischen Sicherheitskräfte und eine besser koordinierte
        trategie für den zivilen Aufbau.
        Ich stimme trotz dieser Kritik an der bisherigen Af-
        hanistan-Strategie mit Ja, weil ein vorzeitiger Rückzug
        er internationalen Truppen nicht weniger, sondern mehr
        ivile Opfer zur Folge haben würde. Wie viele Frauen
        ind unter der Herrschaft der Taliban allein bei der Ge-
        urt ihrer Kinder gestorben, weil es keine Möglichkeit
        es Kaiserschnitts, keine Antibiotika, ja nicht einmal
        auberes Wasser gab. Der Terror, der heute wieder gegen
        enschen ausgeübt wird, die sich der Zusammenarbeit
        it den Taliban verweigern, zeigt, was auf dem Spiel
        teht.
        Ich stimme mit Ja, weil das Ziel, die Sicherheit
        fghanistans durch die legitimen staatlichen Strukturen
        elbst zu gewährleisten, durch einen vorzeitigen Abzug
        er ISAF-Truppen nicht gefördert, sondern unmöglich
        emacht wird.
        Ich stimme mit Ja, weil ich der tiefen Überzeugung
        in, dass wir im 21. Jahrhundert nicht mehr in national-
        taatlichen Grenzen denken dürfen. Es gibt eine
        Responsibility to Protect“, eine Verpflichtung zum Bei-
        tand für Menschen, die verfolgt, vertrieben und gequält
        erden, die nicht an den Grenzen des eigenen Landes
        ndet. Das wird nicht immer und überall möglich sein –
        ber wo es möglich ist, müssen wir uns dieser men-
        chenrechtlichen Verpflichtung stellen.
        Veronika Bellmann (CDU/CSU): Zunächst ist fest-
        ustellen, dass ich nur unter großem Vorbehalt der Fort-
        etzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
        räfte in Afghanistan (ISAF) zustimme.
        Die Aussage „Keine Entwicklung ohne Sicherheit
        nd keine Sicherheit ohne Entwicklung“ beschreibt die
        erzeitige Situation in Afghanistan nur grundsätzlich,
        ch sehe durchaus die Fortschritte, insbesondere im Nor-
        en des Landes, hinsichtlich der Entwicklung stabiler
        trukturen in den Bereichen Bildungs-, Gesundheits-
        nd Gleichstellungspolitik. Ebenso sehe ich aber auch,
        ass bezüglich der eigenen Sicherheitsstrukturen keine
        ortschritte in der Stabilität erreicht wurden, eher Rück-
        chritte zu verzeichnen sind.
        Der Terrorismus und der Partisanenkampf der Taliban
        eiten sich aus. Gleiches gilt für den Abbau der Balance
        wischen verschiedenen Volksgruppen und den Paschtu-
        en in dem Vielvölkerstaat Afghanistan. Der Drogen-
        nbau wird weiter expansiv betrieben und kann durch
        ie Preispolitik der westlichen Welt auf dem Agrarmarkt
        urchaus als „bewaffnete Marktpflege“ bezeichnet wer-
        en. Ferner kritisiere ich in diesem Zusammenhang die
        ehr offensichtliche vorrangige geostrategische Ausrich-
        ung Amerikas, die die Gefahr einer Ausdehnung des be-
        affneten Kampfes und das Abdriften in einen Regio-
        alkrieg mit der Atommacht Pakistan befürchten lässt.
        Dem ist nur mit einer Unterstellung der Anti-Terror-
        peration Enduring Freedom (OEF) unter UN-Mandat
        u begegnen, die die Nachbarstaaten China, Pakistan
        nd Indien in eine Lösungssuche einbindet. Deshalb ist
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19581
        (A) )
        (B) )
        das ISAF-Mandat mit dem OEF-Mandat verbunden zu
        betrachten.
        Zur gemeinsamen Lösung des Konfliktes gehört für
        mich eine stärkere Ausrichtung der „Hilfe zur Selbst-
        hilfe“ beim Aufbau eigener afghanischer Sicherheits-
        strukturen, weg von der hauptsächlich militärischen hin
        zu einer stärkeren humanitären Ausrichtung. Insofern ist
        ein Konzept für ein baldiges Ausstiegsszenario, ver-
        gleichbar mit dem der Briten, Kanadier oder Niederlän-
        der, dringend erforderlich. Dass die politische Diskus-
        sion darüber nunmehr in Gang gekommen ist, begrüße
        ich sehr.
        Nur unter der Bedingung, dass eine solche stringen-
        tere Konzeption über den Aufbau eigener nationaler Si-
        cherheitsstrukturen in Afghanistan, mit dem Ziel des
        baldigen Abzugs ausländischer Streitkräfte, vorangetrie-
        ben wird, stimme ich der Fortsetzung des Einsatzes letzt-
        malig zu.
        Klaus Uwe Benneter (SPD): Ich habe heute noch-
        mals mit großen Bedenken dem ISAF-Antrag der Bun-
        desregierung zugestimmt, weil ich davon überzeugt bin,
        dass ein abrupter Abzug der Bundeswehr aus Afghanis-
        tan wegen unserer Zusagen an die afghanische Bevölke-
        rung und ihre Regierung und gegenüber den Menschen
        in Afghanistan nicht zu verantworten ist.
        Bevor ich allerdings einer weiteren Verlängerung des
        ISAF-Mandats in Afghanistan künftig zustimmen
        werde, erwarte ich, dass die Bundesregierung sich dafür
        einsetzt, ISAF einer UN-Führung zu unterstellen, alle
        militärischen Operationen im Rahmen des ISAF-Man-
        dats strikt an völkerrechtlichen Normen auszurichten
        und dem Schutz der Zivilbevölkerung absoluten Vorrang
        einzuräumen. Ich erwarte zudem, das Volumen der Not-
        und Entwicklungshilfe für Afghanistan deutlich und im
        Verhältnis zu den Militärausgaben zu erhöhen und insbe-
        sondere die Anstrengungen zum Aufbau der afghani-
        schen Armee, afghanischen Polizei und insbesondere
        auch der afghanischen Justiz massiv auszuweiten. Letzt-
        lich erwarte ich von der Bundesregierung bis zu einer
        nächsten Verlängerung eines ISAF-Mandats für Afgha-
        nistan die Entwicklung einer realistischen Exit-Strategie
        für diese militärische Intervention, wobei ich davon aus-
        gehe, dass unsere militärische Hilfe und militärische Un-
        terstützung beim zivilen Wiederaufbau Afghanistans al-
        lerspätestens im Jahre 2015 zu beenden ist bzw. beendet
        ist.
        Dr. Axel Berg (SPD): Die Entscheidung, die Entsen-
        dung von RECCE-Tornados in die Mandatsverlängerung
        der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        (ISAF) zu integrieren, bringt mich nicht nur in ein Di-
        lemma, wie ich es bereits in meiner Erklärung nach § 31
        GO Deutscher Bundestag vom 12. Oktober 2008 ge-
        schildert habe, sondern macht es mir leider auch unmög-
        lich, dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung
        heute zuzustimmen.
        Den Einsatz von ISAF halte ich zum jetzigen Zeit-
        punkt zwar nach wie vor für wichtig und richtig. Die
        ISAF soll eine friedliche, politische Entwicklung Afgha-
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        istans gewährleisten und die Regierung Afghanistans
        ei ihrer Aufgabe, für Sicherheit, Recht und Ordnung im
        anzen Land zu sorgen, unterstützen. Auch beim Wie-
        eraufbau Afghanistans hat ISAF Erfolge vorzuweisen.
        ies bestätigen selbst namhafte Entwicklungshilfeorga-
        isationen, die vor Ort den zivilen Wiederaufbau voran-
        reiben.
        Dabei ist es aber entscheidend, dass ISAF klar abge-
        renzt werden kann von der Operation Enduring Free-
        om (OEF), die die Bekämpfung des internationalen
        errorismus zum Ziel hat und die ich auch weiterhin aus
        ahlreichen Gründen – wie in meiner Erklärung nach
        31 GO Deutscher Bundestag vom 15. November 2007
        usführlich dargelegt – ausdrücklich ablehne. Diese Ab-
        renzung ist aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr ge-
        eben.
        Die Entsendung von RECCE-Tornados habe ich be-
        eits vor der ersten Abstimmung darüber im Deutschen
        undestag für falsch und gefährlich gehalten und dem
        ntrag der Bundesregierung dementsprechend bereits
        m März 2007 meine Stimme verweigert. Meine damals
        eäußerten Befürchtungen, die ich ausführlich in meiner
        rklärung nach § 31 GO Deutscher Bundestag vom
        . März 2007 dargelegt habe, haben sich meines Erach-
        ens leider alle bestätigt.
        So hat der Einsatz der Tornados dazu geführt, dass die
        insatzbedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zu-
        ammenarbeit zwischen ISAF und OEF – immer weni-
        er zu trennen sind und die Trennung der beiden
        insätze auch der Bevölkerung immer weniger zu ver-
        itteln ist.
        Zusätzlich sehe ich auch meine Zweifel an der Pro-
        lematik des Nutzens der Tornados im Sinne ihrer Auf-
        abenbestimmung bei weitem nicht ausgeräumt, denn
        uch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das
        ohe Risiko ziviler Opfer offensichtlich nicht entschei-
        end reduzieren. Der Einsatz deutscher Tornados ist für
        ich damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in
        fghanistan. Die Tornado-Entsendung hat Afghanistan
        nsgesamt nicht sicherer gemacht, sondern eher weiter
        estabilisiert.
        Durch die unklare Trennung von ISAF und OEF ist
        icht nur die Arbeit von ISAF gefährdet, sondern insbe-
        ondere auch der zivile Wiederaufbau, der der entschei-
        ende Schlüssel für Frieden in Afghanistan ist.
        Hier teile ich ausdrücklich die Meinung vom Verband
        ntwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisa-
        ionen e. V. (VENRO), dass die internationale Hilfe und
        nterstützung bei der Friedenssicherung nur gelingen
        ann, wenn parallel zum Staatsaufbau („state building“)
        uch der zivilgesellschaftiiche Aufbau vorangetrieben
        ird.
        Aus diesen Gründen unterstütze ich ausdrücklich die
        orderung, dass eine Abkehr vom Primat des Militäri-
        chen hin zu einer weiteren Stärkung der Zivilgesell-
        chaft und einer konsequenten Fortsetzung der sinnvol-
        en Wiederaufbauhilfe sich auch in der Bereitstellung
        on Finanzmitteln widerspiegeln muss. Dies ist aber
        19582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        meines Erachtens nach bisher nicht ausreichend gesche-
        hen.
        Deshalb sind für mich persönlich die Konsequenzen:
        Deutschland sollte unverzüglich aus OEF aussteigen und
        sich ernsthaft und massiv auf internationaler Ebene dafür
        einsetzen, OEF endlich zu beenden. Der Tornado-Ein-
        satz sollte unverzüglich beendet werden. Die finanziel-
        len Mittel für den zivilen Wiederaufbau müssen signifi-
        kant erhöht werden.
        Nur, wenn diese Forderungen umgesetzt werden,
        kann ISAF ihr Mandat wirklich effektiv ausfüllen. So-
        lange dies aber nicht geschieht, kann ich dem vorliegen-
        den Antrag nicht zustimmen, da er in dieser Form mei-
        nes Erachtens nicht für mehr Sicherheit in Afghanistan
        sorgen kann.
        Ich sehe die Arbeit der ISAF durch den vorliegenden
        Antrag eher gefährdet, da er durch den Einsatz der Tor-
        nados die unzureichende Abgrenzung von ISAF und
        OEF noch verstärkt und somit den zivilen Wiederaufbau
        – den ISAF nicht nur durch den Schutz der Bevölkerung,
        sondern auch der in Afghanistan tätigen Organisationen
        unterstützen soll – ernsthaft gefährdet.
        Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich
        stimme dem Antrag nicht zu, da ich ihn verfassungs-
        rechtlich für fragwürdig, ethisch für nicht gerechtfertigt
        und politisch für falsch halte. Diese Auffassung habe ich
        bereits in den vergangenen sieben Jahren vertreten und
        fühle mich durch die zunehmende Radikalisierung in
        diesem Land darin bestärkt. Es fehlt nicht an militäri-
        schen Begründungen für den Auslandseinsatz unserer
        Soldaten in Afghanistan, sondern an politischen Per-
        spektiven. Wenn jetzt sogar Oberbefehlshaber der Streit-
        kräfte den Erfolg der Verbündeten in diesem Land
        grundsätzlich in Frage stellen, ist endgültig ein Kurs-
        wechsel nötig. Ich bin für einen schrittweisen Abzug.
        Als vor sieben Jahren die Regierung Gerhard Schrö-
        der/Joschka Fischer im Kampf gegen den Terrorismus
        den Bundestag um Zustimmung zum Auslandseinsatz
        der Bundeswehr aufforderte, habe ich bereits mit „Nein“
        gestimmt – aus verfassungsrechtlichen, historischen und
        moralischen Gründen. Jetzt, sieben Jahre später, ist die
        Afghanistan-Mission fragwürdiger denn je, obwohl al-
        lein die Bundesrepublik sich mit über 3 Milliarden Euro
        seit 2001 hier engagiert hat. Die Sicherheitslage für un-
        sere Soldaten hat sich dramatisch verschlechtert. Afgha-
        nistan ist weiter eines der größten Opium-Anbaugebiete
        der Welt geblieben. Es ist nicht gelungen, die Taliban
        wirklich zu schwächen. Im Gegenteil, sie weichen in das
        pakistanische Grenzgebiet aus und neue, unübersehbare
        Risiken entstehen. Es hat schon viel zu viele Opfer gege-
        ben – aus unserem Land wie aus denen der Verbündeten.
        Besonders im Süden des Landes, wo die Amerikaner
        gegen die Taliban kämpfen, werden die Soldaten nicht
        als Befreier sondern als Besatzer empfunden. Erste Län-
        der wie die Niederlande und Kanada haben ihren Abzug
        bereits beschlossen. Weitere Verbündete erwägen den
        Ausstieg. Auch die Bundesregierung ist gut beraten,
        nicht nur auf die Erhöhung des Kontingents um
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        000 Soldaten zu setzen, sondern gleichzeitig auf eine
        usstiegsstrategie. Die afghanische Regierung kann und
        uss mehr Eigenverantwortung übernehmen. Sie und
        lle Verbündeten sind jetzt aufgefordert, zu einer politi-
        chen Antwort zu kommen.
        Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        en Antrag der deutschen Bundesregierung auf Fortset-
        ung der Beteiligung der Bundeswehr an der internatio-
        alen Sicherheitsunterstützungstruppe lehne ich ab.
        Es ist wieder ein Jahr vergangen, sicherlich nicht ge-
        ug, um ein seit Jahrzehnten gequältes Land wie Afgha-
        istan dauerhaft zu stabilisieren, aber doch ausreichend,
        m zu überprüfen, ob wir den im letzten Herbst be-
        chworenen Zielen durch den militärischen Einsatz we-
        igstens ein Stück näher gekommen sind und ob die Er-
        olge den Preis rechtfertigen; immerhin haben seitdem
        uch deutsche Soldaten dort ihr Leben gelassen, von den
        inanziellen Belastungen gar nicht zu sprechen. Die Bi-
        anz ist ernüchternd: Die Situation der afghanischen Be-
        ölkerung hat sich kaum verändert. Der als vergleichs-
        eise friedlich geltende Norden wird immer öfter Ziel
        on Terroranschlägen. Nach wie vor steht die schwache
        egierung unter dem Einfluss von skrupellosen War-
        ords und Kriegsgewinnlern, und die USA versuchen im-
        er weniger zu verschleiern, dass es ihnen nicht um den
        iederaufbau des Landes geht, dafür aber um die
        urchsetzung ihrer ureigensten Interessen.
        Selbst dort, wo Verbesserungen spürbar sind, ist es
        nbewiesen, ob sie wegen oder trotz der ISAF-Präsenz
        tattfinden und ob diese Verbesserungen nicht durch an-
        ere, nichtmilitärische Maßnahmen schneller vorange-
        rieben würden. Fest steht, die Menschen in Afghanistan
        ind kriegsmüde, und die Stimmung dort richtet sich im-
        er stärker gegen alles Militärische, egal welche Uni-
        orm die Soldaten tragen.
        Alle Forderungen nach einem Strategiewechsel sind
        isher politisch nicht umgesetzt worden. Im Mai dieses
        ahres haben sich über 3 000 Stammesvertreter, Intellek-
        uelle und Politiker aus allen Teilen Afghanistans zu ei-
        er nationalen Friedens-Jirga zusammengeschlossen. Sie
        erden unterstützt von einer Vielzahl von deutschen
        riedensinitiativen, unter anderem auch der Aachener
        riedenspreis e. V., und haben eine gemeinsame Erklä-
        ung zu Afghanistan herausgegeben. Meiner Meinung
        ach sollte es politisches Ziel sein, diese Bewegung auf-
        unehmen, zu stärken und in die weiteren Verhandlun-
        en und Friedensbemühungen einzubeziehen. Das ist
        eine Vorstellung einer verantwortungsvollen Wieder-
        ufbaupolitik, in deren Fokus eine dauerhafte Stabilisie-
        ung Afghanistans steht.
        Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ch lehne den Antrag der Bundesregierung auf Fortset-
        ung der Beteiligung der Bundeswehr an der internatio-
        alen Sicherheitsunterstützungstruppe ab.
        Der Einsatz in Afghanistan wurde vor sieben Jahren
        egonnen, um die Verantwortlichen für die Anschläge
        om 11. September 2001 der Gerechtigkeit zuzuführen.
        eit Jahren zielt die militärische Gewalt der ausländi-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19583
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        schen Truppen genau auf eine Vernichtung des Wider-
        standes im Land. Die Ergebnisse dieser Strategie sind
        verheerend.
        Die Sicherheitslage in Afghanistan wird von Jahr zu
        Jahr schlechter, obwohl seit Beginn des Krieges die Zahl
        der eingesetzten NATO-Soldaten auf circa 65 000 deut-
        lich angehoben wurde. Die rücksichtslose Kriegsführung
        vor allem der US-Truppen schürt Racheakte und An-
        schläge und ist damit nicht nur unverantwortlich, son-
        dern auch kontraproduktiv. Die Zahl der Opfer bei An-
        schlägen und beim Anti-Terrorkrieg steigt dramatisch.
        Im Jahr 2008 sind bisher über 3 000 Menschen getötet
        worden, davon mehr als 1 000 Zivilisten, viele Frauen
        und Kinder. Tausende wurden verwundet und verstüm-
        melt. ACBAR, eine Dachorganisation von 100 Hilfs-
        organisationen, gibt an, dass der Sommer 2008 der bis-
        her verlustreichste seit 2001 war. Die Zahlen der Opfer
        sind dabei um circa 40 Prozent gestiegen. Fast die Hälfte
        der zivilen Opfer fällt der US-Luftkriegsführung zum
        Opfer. Die Zahl zerstörter Gebäude und Versorgungsein-
        richtungen übersteigt häufig die der wieder aufgebauten.
        Ein Ende dieser Eskalation des Krieges ist nicht in
        Sicht; ganz im Gegenteil. Gemeinsam mit der Kriegs-
        führung führt sie selbst dazu, dass die, die bekämpft wer-
        den sollen, immer stärker werden. Die zunehmende Ge-
        walt ist eine entscheidende Ursache dafür, dass der Hass
        gegen die ausländischen Truppen wächst und sich immer
        mehr am Krieg gegen diese beteiligen. Politische und
        humanitäre Ziele werden dadurch immer schwerer er-
        reichbar. Der britische Botschafter Cowper-Coles hat lei-
        der recht, wenn er sagt, die ausländischen Truppen in
        Afghanistan seien „Teil des Problems, nicht der Lö-
        sung.“
        Die Regierung hat im letzten Jahr versprochen, dass
        sich die Sicherheitsstrategie in Afghanistan ändern wird.
        Dieses Versprechen eines Strategiewechsels ist ohne
        Umsetzung geblieben, im Gegenteil, man will das deut-
        sche Truppenkontingent nur erhöhen. Trotz anderer Be-
        hauptungen bleiben die zivilen Anstrengungen weit hin-
        ter den militärischen zurück. Während nicht einmal die
        zugesagten 50 Polizeiausbilder nach Afghanistan ge-
        schickt werden, wird die Zahl der Soldatinnen und Sol-
        daten von 3 500 auf 4 500 erhöht. Die Kosten alleine
        dieses Mandates für 14 Monate betragen 688 Millionen
        Euro, während die Ausgaben für den zivilen Aufbau ge-
        rade einmal etwa ein Viertel davon ausmachen.
        Es ist aus unserer Sicht unklug und unverantwortlich,
        einfach so weiterzumachen. Die Gewaltspirale kann
        durch immer mehr Soldatinnen und Soldaten und militä-
        rische Mittel nicht durchbrochen werden. Gerade asym-
        metrische Kriege sind militärisch nicht zu gewinnen,
        und eine Alternative zur Eskalation der Gewalt ist längst
        überfällig. Die Grünen sind sich der Verantwortung der
        Bundesrepublik Deutschland für die Menschen in Af-
        ghanistan bewusst. Die afghanische Bevölkerung hilft
        seit Jahren mit, dort einen funktionierenden Staat aufzu-
        bauen, und wäre durch einen Rückfall des Landes an die
        Taliban massiv gefährdet. Gerade im Bewusstsein dieser
        Verantwortung treten wir entschieden für einen Politik-
        wechsel ein.
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        Ich halte fest: Die bisherige Strategie ist gescheitert,
        ie schadet und verschärft den Krieg. Ein Wechsel der
        trategie – weg vom Militärischen, hin zum Zivilen – ist
        icht in Sicht.
        Deshalb lehne ich den Antrag der Bundesregierung
        b.
        Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Mehrfach habe ich in
        er Vergangenheit meine Zustimmung zum Afghanis-
        aneinsatz der Bundeswehr mit der Forderung nach ei-
        em Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Stabilisie-
        ung und zum Wiederaufbau des Landes verbunden. Es
        st ein großes Ärgernis, dass dieses Konzept bis heute
        icht vorliegt. Ebenso wenig können wir nicht einmal
        nsatzweise ein mögliches Ende des Militäreinsatzes de-
        inieren. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass
        in tragfähiges Konzept auch den Abzug der Angehöri-
        en der Bundeswehr regelt. Deshalb setze ich mich für
        in abgestimmtes Gesamtkonzept der ISAF-Staaten ein.
        as ist angesichts der sich ständig verändernden Lage in
        fghanistan dringend erforderlich.
        Ich fordere deshalb an dieser Stelle erneut ein solches
        onzept ein und kündige hiermit an, einer weiteren
        andatsverlängerung letztmalig zustimmen zu können.
        Meine Zustimmung zum heutigen Antrag fällt mir
        eute besonders schwer, und sie geschieht ausschließlich
        n der Überzeugung, unsere Soldaten im Auslandsein-
        atz nicht im Stich lassen zu können. Ich weiß darum,
        ie wichtig es für die Soldaten ist, unsere Unterstützung
        n der Heimat zu haben.
        Manfred Kolbe (CDU/CSU): Der heute zur Be-
        chlussfassung im Deutschen Bundestag anstehenden
        eschlussempfehlung und dem Bericht des Auswärtigen
        usschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
        ortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
        treitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
        eitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) kann
        ch aus den folgenden Gründen nicht zustimmen:
        Erstens. Ähnlich wie im Irak gelingt es dem Westen
        ffenbar nicht, ein demokratisches Staatswesen aufzu-
        auen und die Menschen innerlich dafür zu gewinnen.
        ielmehr hat sich die Sicherheitslage offenbar weiter
        erschlechtert, und zwar auch in Gebieten, die bisher als
        elativ sicher galten. Die westliche Aufbauhilfe soll an
        roßen Teilen der Bevölkerung vorbeigehen und Armut,
        orruption und Hoffnungslosigkeit zunehmen.
        Zweitens. Die zunehmende Militarisierung führt zu
        iner wachsenden Anzahl von unschuldigen Opfern un-
        er der Zivilbevölkerung, hauptsächlich durch Luft-
        ngriffe. Mittlerweile dürfte bei solchen sogenannten
        ollateralschäden eine vielfache Anzahl an unschuldi-
        en(!) Menschen getötet worden sein wie bei den
        chrecklichen Terrorangriffen vom 11. September 2001
        uf New York, die Ausgangspunkt unseres Engagements
        aren. Auch auf mehrfache Nachfragen war der Bun-
        esverteidigungsminister nicht bereit, mir Angaben zu
        ivilen Opfern in Afghanistan zu machen. Mit jedem un-
        19584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        schuldig getöteten Zivilisten bekämpfen wir nicht den
        Terror, sondern schaffen diesem neuen Zulauf.
        Drittens. Ein realistisches Konzept des Westens für
        Afghanistan vermag ich derzeit nicht zu erkennen. Vor
        diesem Hintergrund kann ich es nicht verantworten,
        deutsche Soldaten in einen lebensgefährlichen Einsatz
        zu schicken. Wir brauchen vielmehr eine Grundsatz-
        debatte darüber, wie die Bundesrepublik Deutschland
        und der Westen insgesamt den Terror bekämpfen und
        Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan auf-
        bauen können.
        Jürgen Koppelin (FDP): Wie bisher werde ich ei-
        nem Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in Afgha-
        nistan nicht zustimmen.
        Ich halte es für völlig unrealistisch, dass die Bundes-
        wehr und ihre Partner Afghanistan von den Taliban be-
        freien können. Ständig wird auch über neue militärische
        Strategien für den Einsatz gesprochen, doch der Konflikt
        ist mit militärischen Mitteln nicht zu lösen. Leider lässt
        auch die Zusammenarbeit im zivilen Aufbau keine
        Koordination durch die Bundesregierung erkennen.
        Doch auch im militärischen Bereich sind erhebliche
        Mängel deutlich geworden.
        Der Einsatz der KSK seit mehreren Jahren in Afgha-
        nistan war völlig überflüssig und hätte längst durch das
        Bundesministerium der Verteidigung gestoppt werden
        müssen. Es wird dringend Zeit, dass die Bundesregie-
        rung klare Perspektiven für die Beendigung des Einsat-
        zes in absehbarer Zeit aufzeigt. Die Menschen in Afgha-
        nistan müssen endlich wieder Klarheit haben, dass sie
        nicht in einem besetzten Land leben.
        Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bun-
        desregierung hat es auch in diesem Jahr versäumt, den
        von uns Grünen dringend angemahnten militärischen
        und zivilen Strategiewechsel umzusetzen. Halbherzige
        Maßnahmen, kein ausreichendes Engagement zur Ver-
        besserung der Situation und vor allem keine wirkliche
        Umsetzung der Prämisse „Zivil vor Militär“ bewegen
        mich, dieses Mal mit Nein zu stimmen. Ein „Weiter so“,
        wie es der Antrag der Bundesregierung impliziert, ist die
        falsche Reaktion auf die Realität in Afghanistan.
        Die Situation in Afghanistan hat sich seit der letzten
        Abstimmung im Deutschen Bundestag kontinuierlich
        weiter verschlechtert. Die Bevölkerung erlebt trotz eini-
        ger Verbesserungen ihrer Lebenssituation in Bereichen
        wie Gesundheit, Wasser und Energie, dass Anschläge
        und Übergriffe durch die Taliban und andere militante
        Gruppen zugenommen haben und die Lage im Land im-
        mer instabiler wird. Die Erfolge des Aufbaus sind damit
        gefährdet, ja es sind sogar Rückschläge zu verzeichnen.
        Und diese Rückschläge haben Ursachen:
        Zum einen liegen sie darin, dass die internationale
        Gebergemeinschaft die Fehler der ersten Jahre (zum Bei-
        spiel mangelnde Abstimmung, Vernachlässigung der
        Landwirtschaft, falsche Mittelverwendung) in den letz-
        ten Jahren nicht durch massive Gegenmaßnahmen über-
        wunden hat, Polizei- und Justizaufbau weiterhin nur un-
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        ureichend vorangetrieben werden und immer noch
        eine politische, wirtschaftliche und finanzielle Bünde-
        ung aller Kräfte vollzogen wird, damit tatsächlich die
        fghanische Seite so früh wie möglich zur Übernahme
        olitischer Eigenverantwortung befähigt wird. Zum an-
        eren ist zu beklagen, dass die militärischen Operationen
        nter OEF (Operation Enduring Freedom) fortgeführt
        erden. Damit wird letztlich der von den Vereinten
        ationen legitimierte Auftrag von ISAF zur Sicherung
        es Friedens konterkariert. Weiterhin findet der von mir
        bgelehnte Tornadoeinsatz seine Fortsetzung.
        Als Entwicklungspolitikerin setze ich mich dafür ein,
        fghanistan und seine Menschen auf den Weg in Eigen-
        erantwortung und Frieden zu begleiten. Dazu bedarf es
        iner langjährigen, intensiven und lernfähigen Zusam-
        enarbeit. Nur langsam und zögerlich hat sich die Bun-
        esregierung dazu drängen lassen, in Deutschland mit
        ehr Informationen über die entwicklungspolitischen
        aßnahmen und die Situation in Afghanistan für Unter-
        tützung zu werben. Zu langsam und spärlich bleibt die
        rhöhung der Mittel für den zivilen Aufbau. Zu gering
        leibt die Einsicht, Fehler gemacht zu haben. Es fehlt ein
        irklicher Strategiewechsel, der auch der deutschen Be-
        ölkerung Mut macht und Verständnis dafür weckt, die
        chwierige Situation in Afghanistan positiv zu begleiten.
        ie Kritik am eingeschlagenen Weg verhallt bislang.
        uch deswegen steht mein Entschluss, vor diesem Hin-
        ergrund mit Nein zu stimmen.
        Doch es gilt eines klarzustellen. Da es Gruppen der
        aliban in der Region (Afghanistan/Pakistan) gibt, die
        icht davor zurückschrecken, mit Gewalt und Terror
        ieder an die Macht kommen zu wollen, braucht es die
        ach Kapitel VII VN-Charta mandatierte ISAF-Schutz-
        ruppe. Ich bin ausdrücklich nicht der Meinung, dass
        eutschland sich von dem Ziel des Aufbaus Afghanis-
        ans verabschieden soll. Auch einen sofortigen Abzug
        on ISAF halte ich für falsch. Und dies wird auch aus
        fghanistan heraus nicht gefordert. Ich unterstreiche die
        otwendigkeit, dass der afghanische Aufbau- und Frie-
        ensprozess noch immer durch ISAF abzusichern ist.
        nsere grünen Aufrufe für eine Veränderung der Strate-
        ie hin zu einem durch und durch zivilen Ansatz, der die
        ilitärischen Fehlleistungen beendet, sind jedoch von
        er Bundesregierung nicht gehört worden. Mit meiner
        nthaltung vom 12. Oktober 2007 wollte ich signalisie-
        en, dass die zivilen Ziele Priorität erhalten müssen. Das
        st jedoch bis heute nicht der Fall. Daher will ich aus der
        pposition heraus meine Kritik am falschen Weg der
        undesregierung mit einem Nein verstärken.
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
        ehne den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung
        er Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatz der In-
        ernationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha-
        istan ab.
        Ich stelle fest: In Afghanistan gibt es zwei gegenläu-
        ige Entwicklungstendenzen. Es ist einerseits unbestreit-
        ar, dass es Aufbauerfolge in Afghanistan gibt. Die Zahl
        er Schülerinnen hat sich vervielfacht, der Zugang zur
        esundheitsversorgung hat sich verbessert und die Infra-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19585
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        struktur wird nach und nach aufgebaut. Zur Ermögli-
        chung und Absicherung dieser Fortschritte hat die Bun-
        deswehr durchaus einen wichtigen Beitrag geleistet, der
        auch in Zukunft notwendig sein wird.
        Andererseits ist offenkundig, dass es eine negative,
        destruktive Dynamik gibt, die zurzeit deutlich größer ist
        als die positive. Fragile Staatlichkeit, anhaltende Armut,
        Korruption und Drogenkriminalität im Süden Afghanis-
        tans bilden den Hintergrund für disparate Strukturen der
        kriminellen Gewalt und des religiös motivierten Terrors.
        Die militärische Bekämpfung der diversen aufständi-
        schen Gruppen, die keineswegs alle unter der Sammel-
        bezeichnung „Terroristen“ zusammengefasst werden
        können, hat im letzten Jahr zunehmend zivile Opfer ge-
        fordert. Insbesondere im Süden und Osten des Landes
        nährt der sogenannte Antiterrorkampf der US-Streit-
        kräfte die Unzufriedenheit und Wut der Bevölkerung.
        Der Krieg gegen den Terror diskreditiert und konterka-
        riert in weiten Teilen des Landes die Wiederaufbauhilfen
        der internationalen Gemeinschaft. Der asymmetrische
        Krieg gegen amorphe, schwer fassbare Mördergruppen
        ist mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen und treibt
        unter der Inkaufnahme hoher Zahlen ziviler Opfer den
        diversen gewalttätigen Gruppen neue Mitglieder zu. Ein
        Wechsel der militärlastigen Strategie ist vor diesem Hin-
        tergrund überfällig und meine Fraktion, Bündnis 90/Die
        Grünen, hat diesen im vergangenen Jahr immer wieder
        gefordert. Alle Anträge, die von meiner Fraktion mit der
        Forderung nach einem Kurswechsel eingebracht wur-
        den, sind von den Koalitionsfraktionen SPD und CDU/
        CSU abgelehnt worden, obwohl sie in den Reihen vieler
        Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen
        durchaus zustimmend kommentiert wurden und obwohl
        sie dem Vernehmen nach auch von Seiten der Bundes-
        wehr begrüßt worden waren.
        Angesichts dessen kann ich nicht hinnehmen, dass die
        Bundesregierung in ihrem Antrag an den Deutschen
        Bundestag keinerlei kritische Würdigung der ambivalen-
        ten Lage in Afghanistan vornimmt. Die Bundesregie-
        rung unterlässt jede Kritik am völlig unverhältnismäßig
        geführten Krieg – ja sie ist nicht einmal zu einer diplo-
        matisch verklausulierten Problematisierung der US-
        Kriegsführung in der Lage. Die Bundesregierung deutet
        nicht einmal im Ansatz die Notwendigkeit eines Kurs-
        wechsels an und beschönigt selbstzufrieden die Situation
        im Land, obwohl nach Auffassung aller Afghanistanex-
        perten eine Verschlechterung der Sicherheitslage droht.
        Natürlich kann der negative Trend in Afghanistan
        nicht allein von deutscher Seite gestoppt und umgekehrt
        werden; hierzu bedarf es ganz besonderer Anstrengun-
        gen auf afghanischer, auf internationaler und auf deut-
        scher Seite. Zur Mandatsverlängerung des deutschen
        ISAF-Einsatzes hätte die Bundesregierung die große
        Chance – wenn nicht die Pflicht – gehabt, ein Zeichen
        zur Trendumkehr zu setzen. Dies ist nicht geschehen.
        Lediglich kleine Verbesserungen sind bei der Aufsto-
        ckung der Mittel zum zivilen Aufbau zu verzeichnen. Ei-
        nem Antrag, der den politischen Willen zur Trend-
        umkehr durch einen Kurswechsel hätte erkennen lassen,
        hätte ich zugestimmt. So aber bleibt angesichts des tau-
        ben Festhaltens an einer offensichtlich gescheiterten
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        trategie nur, den Antrag der Bundesregierung abzuleh-
        en.
        Mir ist völlig bewusst, dass ich mich mit meinem
        Nein“ zu diesem Antrag dem Vorwurf aussetze, ich
        ürde die Afghanen „im Stich lassen“. Mit dieser Erklä-
        ung will ich deshalb auch deutlich klarstellen, dass ich
        m Grundsatz ein weiteres Engagement der Bundeswehr
        m Rahmen der internationalen Gemeinschaft in Afgha-
        istan für unverzichtbar halte und keinesfalls einen so-
        ortigen Abzug der internationalen Truppen fordere. Die
        bsicherung des Prozesses zur Bildung von Staatlich-
        eit, von zivilen Strukturen und von wirtschaftlicher Un-
        bhängigkeit wird noch für längere Zeit von nichtafgha-
        ischen Militär- und Polizeikräften abhängen. Doch
        hne eine klare Transformation dieser Absicherung hin
        u einem vorwiegend zivilen Aufbauprojekt droht eine
        skalierende Gewaltdynamik.
        Daher komme ich anhand des konkret vorliegenden
        ntrags der Bundesregierung zu meinem Entschluss,
        iesen zurückzuweisen, ohne das Ziel einer Aufbau-
        nstrengung für Afghanistan und einer Friedenskonsoli-
        ierung aus den Augen zu verlieren.
        Katharina Landgraf (CDU/CSU): Ich habe bereits
        n der Vergangenheit meine Zustimmung zum Afghanis-
        an-Einsatz der Bundeswehr mit der Forderung nach ei-
        em Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Stabilisie-
        ung und zum Wiederaufbau des Landes verbunden. Es
        st ein großes Ärgernis, dass dieses Konzept bis heute
        icht vorliegt. Ebenso wenig können wir nicht einmal
        nsatzweise ein mögliches Ende des Militäreinsatzes de-
        inieren. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass
        in tragfähiges Konzept auch den Abzug der Angehöri-
        en der Bundeswehr regelt. Deshalb setze ich mich für
        in abgestimmtes Gesamtkonzept der ISAF-Staaten ein.
        as ist angesichts der sich ständig verändernden Lage in
        fghanistan dringend erforderlich.
        Meine Zustimmung zum Antrag fällt mir heute be-
        onders schwer. Sie geschieht ausschließlich in der
        berzeugung, unsere Soldaten im Auslandseinsatz nicht
        m Stich lassen zu können. Ich weiß, wie wichtig es für
        ie Soldaten ist, Unterstützung in der Heimat zu haben.
        Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ach reiflicher Überlegung habe ich mich dazu ent-
        chlossen, dem Antrag der Bundesregierung zur Beteili-
        ung von deutschen Soldatinnen und Soldaten an der
        SAF-Schutztruppe in Afghanistan nochmals zuzustim-
        en. Diese Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen,
        eil ich viel Kritik an der Afghanistan-Politik der Bun-
        esregierung und anderer NATO-Partner habe.
        Dennoch musste ich mich auch als Oppositionspoliti-
        erin in dieser konkreten Bundestagsabstimmung der
        rage stellen, ob die Situation in Afghanistan mit diesem
        eutschen Militärbeitrag oder mit einem Abzug der Bun-
        eswehr besser würde. Weder die Umsetzung des ge-
        amten ISAF-Mandates durch die NATO, die Operation
        nduring Freedom (OEF) noch das Afghanistan-Kon-
        ept der Bundesregierung standen heute zur Abstim-
        ung. Vielmehr ging es ausschließlich um den deut-
        19586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        schen Beitrag zur ISAF, vor allem im Norden des
        Landes. Ich bin der Auffassung, dass dieser fortgesetzt
        werden muss, weil er sinnvoll und elementar wichtig für
        die Menschen in Afghanistan und den zivilen Aufbau ist.
        Gleichzeitig teile ich aber auch die Analyse, dass sich
        die Situation in Afghanistan seit der letzten Abstimmung
        über den deutschen ISAF-Beitrag nicht verbessert hat.
        Vor allem die Sicherheitslage verschlimmert sich in allen
        Teilen des Landes. Angriffe der Aufständischen auf die
        Zivilbevölkerung und Soldaten nehmen zu und fordern
        viele unschuldige Opfer. Aber auch die verstärkten Luft-
        angriffe vor allem der US-amerikanischen Streitkräfte
        kosten viele Zivilisten das Leben. Außerdem verliert die
        internationale Gemeinschaft durch diese aggressive Poli-
        tik immer mehr die Unterstützung von weiten Teilen der
        afghanischen Bevölkerung.
        Jenseits der konkreten Abstimmung heute im Bundes-
        tag ist daher ein Kurswechsel der Bundesregierung
        – aber mehr noch der anderen NATO-Partner – dringend
        geboten. Statt auf Luftangriffe muss auf Verhandlungen
        gesetzt werden, statt auf eine Ausweitung der militäri-
        schen Bekämpfung der Drogenbauern auf die Schaffung
        von wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven. Die
        zivile Hilfe und der Polizeiaufbau müssen dringend aus-
        geweitet werden und der Bevölkerung in allen Provinzen
        zugutekommen. Die Bundesregierung muss sich unter
        anderem dafür einsetzen, dass der OEF-Einsatz beendet
        wird, gegen den Drogenanbau mit anderen Mitteln vor-
        gegangen wird und intensivere Verhandlungen sowohl
        mit afghanischen Oppositionellen als auch regionalen
        Nachbarn geführt werden.
        Diese dringend notwendigen Strategieveränderungen
        können jedoch nur das Ergebnis von multilateralen Ver-
        handlungen nicht zuletzt auch mit den Afghaninnen und
        Afghanen selber sein und lassen sich nicht unilateral
        durch Bundestagsbeschluss bestimmen. Auf internatio-
        naler Ebene muss die Bundesregierung Kritik – vor al-
        lem an dem kontraproduktiven militärischen Vorgehen
        der NATO-Partner – deutlicher einbringen.
        Um ein Signal zu setzen, dass ein Kurswechsel drin-
        gend notwendig ist, hätte ich mich bei der heutigen Ab-
        stimmung auch enthalten können, wie viele andere grüne
        MdBs. Dieses habe ich auch ernsthaft erwogen und mir
        die Entscheidung für eine Zustimmung nicht leicht ge-
        macht. Schlussendlich kann ich es aber vor meinem Ge-
        wissen nicht verantworten, die Entscheidung über den
        Auslandseinsatz von deutschen Soldaten anhand von
        taktischen Überlegungen wie dem Signal der Kritik an
        der allgemeinen Afghanistan-Politik zu fällen. Aus-
        schlaggebend für mich ist der Inhalt des zur Abstim-
        mung stehenden Mandates. Diesem muss ich zustim-
        men, denn selbst wenn alle oben aufgeführten
        Änderungen an der Afghanistan-Politik vorgenommen
        werden würden, müsste es einen deutschen ISAF-Bei-
        trag in dieser Größenordnung und Ausgestaltung geben,
        um den zivilen Aufbau militärisch abzusichern.
        Denn ich stelle mir immer die Frage: Was wäre, wenn
        alle so abstimmen würden wie ich? Würde der Deutsche
        Bundestag einer Verlängerung des ISAF-Mandats nicht
        zustimmen, müsste Deutschland sich unilateral sofort
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        us der Gesamtverantwortung eines UN-mandatierten
        insatzes zurückziehen. Das kann ich bei aller Kritik als
        ertreterin einer multilateralen Außenpolitik nicht ernst-
        aft fordern. Wenn alle ISAF-Soldaten kurzfristig abge-
        ogen werden würden, würde das Ausmaß des Bürger-
        rieges deutlich eskalieren. Damit würden wir vor allem
        ie Leben derjenigen aufs Spiel setzen, die momentan an
        iner demokratischen Ordnung für Afghanistan arbeiten.
        ann würden wir nicht mehr über eine Ausweitung der
        ivilen Hilfen diskutieren, sondern über den Abzug der
        nternationalen NGOs aus Sicherheitsgründen.
        Insbesondere vor dem Hintergrund der US-Wahlen im
        ovember und der afghanischen Wahlen nächstes Jahr
        esteht noch Hoffnung für eine friedliche Zukunft
        fghanistans. Deshalb dürfen wir die Afghaninnen und
        fghanen jetzt nicht im Stich lassen.
        Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
        em Bundestag vorliegende Mandat zu ISAF als UN-
        andatierter international getragener Einsatz regelt zen-
        rale Bereiche einer militärischen Absicherung des zivi-
        en Aufbaus. Für die Bundeswehr bedeutet das konkret
        ie Unterstützung der afghanischen Regierung bei der
        ufrechterhaltung der Sicherheit und die Sicherung der
        n der Stabilisierung und am Wiederaufbau beteiligten
        kteure sowohl der afghanischen Organisationen als
        uch der internationalen Hilfsorganisationen.
        Neben der Absicherung des zivilen Aufbaus kommt
        SAF in den nächsten 14 Monaten noch eine weitere
        ufgabe zu. Sie soll die Absicherung der afghanischen
        räsidenten-, Provinz- und Parlamentswahlen im nächs-
        en Jahr gewährleisten. Dies und die zusätzlichen Aufga-
        en, die die Bundeswehr bei der Ausbildung der afgha-
        ischen Sicherheitskräfte leisten soll, rechtfertigt die
        ufstockung des deutschen Kontingents. Der militäri-
        che Beitrag, der in Afghanistan geleistet wird, kann je-
        och immer nur die Absicherung des humanitären Wie-
        eraufbaus bedeuten. Es bleibt die Forderung nach
        inem Strategiewechsel, nach einer zivilen Offensive für
        fghanistan.
        Der deutsche Beitrag für die zivile Hilfe wurde auf
        70 Millionen Euro aufgestockt. Das ist zwar ein Schritt
        n die richtige Richtung, reicht aber nicht aus. Deutsch-
        and und seine internationalen Partner müssen sowohl
        en Umfang der Hilfe ausweiten als auch die Koordinie-
        ung ihres zivilen Engagements verbessern, damit die
        ilfe bei den Menschen in Afghanistan auch wirklich
        nkommt. Besonders in den ländlichen Regionen ist
        och viel zu tun. Die Mohnbauern brauchen glaubwür-
        ige Alternativangebote zum Drogenanbau, und das
        hema Korruption muss engagierter angegangen wer-
        en.
        Leider hat sich in weiten Teilen des Landes die Si-
        herheitslage im Vergleich zu 2007 verschlechtert. Be-
        onders erschütternd ist die gestiegene Zahl ziviler Op-
        er, die nicht zuletzt den militärischen Alleingängen der
        ündnispartner zuzuschreiben ist. Das bedeutet: Die
        ölkerrechtswidrige Operation Enduring Freedom
        OEF) muss sofort beendet werden. Künftig soll nur
        SAF in Afghanistan aktiv sein, denn diese Mission ist
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19587
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        mit einem klaren UN-Mandat ausgestattet und hat den
        Auftrag, im ganzen Land die zivilen Aufbauprojekte zu
        schützen und zu unterstützen.
        Trotz aller Probleme: Der Afghanistan-Einsatz der in-
        ternationalen Gemeinschaft hat seit 2001 deutliche Ver-
        besserungen in Afghanistan bewirkt. Heute gibt es in
        Afghanistan ein Parlament, eine Verfassung, eine Regie-
        rung und eine Verwaltung.
        Das Pro-Kopf-Einkommen im Land hat sich seit 2001
        verdreifacht. Die Quote der schulpflichtigen Kinder, die
        tatsächlich die Schule besuchen, hat sich verfünffacht;
        sie liegt jetzt bei 50 Prozent, ein Drittel davon sind Mäd-
        chen. 85 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu Ba-
        sisgesundheitsdiensten, und die Kindersterblichkeit ging
        nach Angaben von UN-Organisationen um 25 Prozent
        zurück, während die Lebenserwartung über den gesam-
        ten Zeitraum gestiegen ist. Die Hälfte der Provinzen ist
        mittlerweile frei von Drogenanbau. Die Städte Kabul,
        Herat und Mazar-i-Sharif haben sich sehr positiv entwi-
        ckelt.
        Auch der Aufbau der afghanischen Armee (ANA)
        geht besser voran als erwartet. Und auch wenn Presse-
        meldungen manchmal einen gegenteiligen Eindruck er-
        zeugen, ist Afghanistan nicht in einem flächendecken-
        den Bürgerkrieg versunken. Rund 90 Prozent der
        Sicherheitsvorfälle finden in den Süd- und Ostprovinzen
        statt. Als besonders hoch gilt die Bedrohungslage heute
        in 90 – und damit in knapp einem Viertel – der 400 Dis-
        trikte Afghanistans. In weniger bedrohten Gegenden
        geht der Wiederaufbau unterdessen weiter voran.
        Ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt, ist die
        Situation der Frauen in Afghanistan. Unter dem Taliban-
        Regime seit Mitte der 90er-Jahre waren Frauen vom öf-
        fentlichen Leben gänzlich ausgeschlossen, ihre Men-
        schenrechtssituation war schrecklich. Mittlerweile haben
        Frauen in Afghanistan wieder die Möglichkeit, am öf-
        fentlichen Leben teilzunehmen; einige von ihnen sitzen
        sogar im Parlament. Außerdem haben etwa 35 Prozent
        der Mädchen einen Zugang zu Bildung. Trotzdem müs-
        sen die Anstrengungen auch in diesem Bereich noch
        deutlich ausgebaut werden.
        Wie die Mehrheit der grünen Partei, ihrer Anhänger-
        schaft und der grünen Bundestagsfraktion bin ich über-
        zeugt, dass der zivile Aufbau und die politische Stabili-
        sierung Afghanistans derzeit nicht ohne militärischen
        Schutz möglich sind.
        Ein sofortiger Rückzug von ISAF würde bedeuten,
        das afghanische Volk und die zivilen Helferinnen und
        Helfer vor Ort im Stich zu lassen und einen Rückfall des
        Landes in einen Bürgerkrieg in Kauf zu nehmen. Die
        deutsche ISAF-Beteiligung ist gerade auf afghanischer
        Seite immer noch besonders hoch angesehen und ge-
        wünscht; sie ist weiterhin unverzichtbar. Ein zügiger
        Abzug des drittstärksten ISAF-Kontingents hätte wahr-
        scheinlich eine Kettenreaktion zur Folge. Eine Beendi-
        gung des militärischen Engagements Deutschlands
        würde den gesamten Wiederaufbau und die Stabilisie-
        rung Afghanistans infrage stellen.
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        Es ist gut, dass das Parlament entscheidet, welchen
        eitrag Deutschland in den weltweiten Krisenregionen
        eistet und ob deutsche Soldatinnen und Soldaten ins
        usland geschickt werden. Ich weiß, dass die Mehrheit
        ür das Mandat auch ohne meine Stimme ausreichen
        ürde, möchte aber bei einer Entscheidung solcher
        ragweite so abstimmen, als käme es auf meine Stimme
        n. Mit meinem Ja zu ISAF möchte ich ausdrücken, dass
        ündnis 90/Die Grünen und ich ganz persönlich in Soli-
        arität und Verantwortung zu Afghanistan stehen und die
        ivilgesellschaft nicht durch Exit-Signale entmutigen.
        ch möchte zeigen, dass wir hinter den Tausenden
        rauen und Männern stehen, die sei es als zivile Aufbau-
        elferinnen und -helfer oder in Uniform unter extremen
        elastungen gute Arbeit geleistet haben.
        Deshalb kann ich dem ISAF Mandat meine Zustim-
        ung nicht verweigern.
        Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        eit Beginn des deutschen Einsatzes in Afghanistan en-
        agieren sich Bündnis 90/Die Grünen für den zivilen
        ufbau, eine Stabilisierung der Sicherheitslage, die Ein-
        altung der Menschenrechte und einen nachhaltigen, de-
        okratischen Institutionenaufbau in Afghanistan.
        Der Aufbauprozess kommt voran, jedoch viel zu
        angsam. Es wurden Erfolge erzielt: Das Pro-Kopf-Ein-
        ommen stieg in Afghanistan seit 2001 um das dreifa-
        he, Frauen in Afghanistan können heute vielerorts am
        ffentlichen Leben und den Bildungsstrukturen im Land
        artizipieren, beim Drogenanbau ist erstmals seit Jahren
        ine sinkende Tendenz zu beobachten. Doch diese Er-
        olge sind bei weitem nicht ausreichend.
        Unser Ziel ist es, den Stabilisierungs- und Aufbaupro-
        ess so bald als möglich in afghanische Hände zu über-
        eben und so die internationale Militärpräsenz überflüs-
        ig zu machen. Doch davon sind wir in Afghanistan
        eider noch weit entfernt. Aufbau und Ausbildung der af-
        hanischen Armee und der Polizei hinken den Planun-
        en hinterher. Sie müssten deutlich intensiviert werden.
        Die Sicherheitslage im Land ist heute sehr fragil. Die
        ahl der zivilen Opfer steigt weiter an, die Zahl der An-
        chläge der Taliban und oppositioneller militärischer
        räfte war seit 2001 nicht so hoch wie heute. Selbst im
        islang vergleichsweise ruhigen Norden Afghanistans ist
        ie Lage instabiler geworden.
        Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung setzt
        or allem auf ein „Weiter so“ und bietet keine Lösungen
        ür die dringender werdenden Probleme. Die Entwick-
        ung zeigt, dass in Afghanistan schwere Fehler gemacht
        erden und das Engagment für den zivilen Aufbau wei-
        erhin nur halbherzig ist.
        Dabei werden schwerwiegende Defizite offensicht-
        ich:
        Erstens. Der ausbleibende Strategiewechsel seitens
        er Bundesregierung und der internationalen Gemein-
        chaft.
        Wir brauchen deutlich mehr ziviles Engagement in
        fghanistan. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, da-
        19588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        für spürbar mehr finanzielle Mittel bereitzustellen. An-
        kündigungen reichen hierbei nicht aus, dem müssen
        Taten folgen. Meine Fraktion hat vor einem Jahr mindes-
        tens eine Verdopplung der von der Bundesregierung zur
        Verfügung gestellten Mittel für den zivilen Aufbau ge-
        fordert. Dies hat die Bundesregierung nicht berücksich-
        tigt.
        Zweitens. Die Fortsetzung der kontraproduktiven und
        mittlerweile völkerrechtswidrigen Operation Enduring
        Freedom.
        Das militärisch unverantwortliche und mittlerweile
        auch völkerrechtswidrige Vorgehen insbesondere von
        OEF-Truppen hat in der Bevölkerung von Afghanistan
        ein wachsendes Misstrauen gegen die internationalen
        Truppen erzeugt. Auch ISAF, deren Aufgabe die Absi-
        cherung und Unterstützung des Wiederaufbaus ist, wird
        für dieses destruktive Vorgehen immer wieder in Mithaf-
        tung gezogen.
        Drittens. Die unzureichende Informationspolitik der
        Bundesregierung.
        Wenn es um Afghanistan geht, zeigt sich die Bundes-
        regierung schmallippig. Beispielhaft dafür ist, dass das
        Bundeskabinett den ISAF-Mandatstext erst wenige
        Stunden vor der Einbringung in den Bundestag verab-
        schiedete und veröffentlichte. Dieses Vorgehen knüpft
        nahtlos an Kommunikationsdefizite der letzten Jahre an.
        Diese Defizite sind unverantwortlich. Trotzdem gilt
        es heute zu bewerten, was als Abstimmungsgrundlage
        vorgelegt wurde. Dabei handelt es sich um das Mandat
        für die weitere Beteiligung der Bundeswehr an der
        ISAF-Mission – nicht weniger und nicht mehr. Bei mei-
        nem Besuch Anfang September in Afghanistan konnte
        ich mit vielen Akteuren aus der afghanischen Zivilge-
        sellschaft ebenso wie aus der internationalen Gemein-
        schaft sprechen. Vor allem Mitarbeiterinnen und Mit-
        arbeiter von Hilfsorganisationen machten mir deutlich,
        dass ein Abzug der ISAF-Truppen katastrophale Folgen
        für die Bevölkerung, den Wiederaufbau und die Versor-
        gungssituation im Land hätte. Kurz: Die meisten Nicht-
        regierungsorganisationen müssten ihre Arbeit einstellen.
        Das bisher Erreichte wäre verloren.
        Vor diesem Hintergrund bin ich der Überzeugung,
        dass eine Fortsetzung der Bundeswehrbeteiligung an der
        von den Vereinten Nationen mandatierten und von der
        NATO geführten ISAF-Schutztruppe für die Sicherung
        des Aufbaus in Afghanistan weiterhin notwendig und
        unverzichtbar ist. Die Anhebung der Mandatsobergrenze
        von 3 500 auf 4 500 Soldatinnen und Soldaten ist ange-
        sichts der bevorstehenden Präsidenten-, Provinz- und
        Parlamentswahlen, der erforderlichen Flexibilität und
        dem Ziel, die afghanische Armeeausbildung schneller
        voranzubringen, nachvollziehbar.
        Hinsichtlich des Einsatzes der RECCE-Aufklärungs-
        tornados hat es im Verlauf des vergangenen Jahres keine
        Hinweise darauf gegeben, dass sie widerrechtlich Ein-
        sätzen von OEF zugearbeitet haben. Aber auch die von
        Verteidigungsminister Franz Josef Jung prophezeite Ab-
        nahme der Zahl der zivilen Opfer haben die Tornados
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        icht bewirkt. Mit dem vorgelegten Mandat ist ihr Ein-
        atz weiterhin den Auflagen des ISAF-Mandates unter-
        orfen. Wir werden auch in Zukunft die Einhaltung der
        andatsrestriktionen kritisch begleiten.
        Ich stimme der Verlängerung des ISAF-Mandates der
        undeswehr zu, obwohl die Bundesregierung wesentli-
        he Weichenstellungen für einen Strategiewechsel in der
        fghanistanpolitik bislang verweigert hat. Heute geht es
        arum, den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
        enauso wie den Menschen in Afghanistan zu signalisie-
        en, dass die Mitglieder des deutschen Parlaments ihr
        ngagement für Freiheit und Selbstbestimmung weiter
        nterstützen. An anderer Stelle wird es darum gehen, ein
        tärkeres ziviles Engagement der Bundesrepublik, bei-
        pielsweise beim Stabilitätspakt und in der Entwick-
        ungszusammenarbeit, einzufordern.
        Meine Zustimmung zur Verlängerung des Mandats
        er Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten ist eine Ge-
        issensentscheidung. Sie basiert auf den Eindrücken
        nd Gesprächen während meiner Reise nach Afghanis-
        an im September dieses Jahres, persönlichen Erfahrun-
        en und dem Wunsch, den Menschen in Afghanistan
        icht den Eindruck zu vermitteln, dass sich die deut-
        chen Partner aus der Unterstützung der Stabilisierung
        nd des Wiederaufbaus schrittweise verabschieden.
        Maria Michalk (CDU/CSU): Der Einsatz der Interna-
        ionalen Gemeinschaft für Afghanistan, und damit der
        insatz der Bundeswehr beruht unverändert auf dem
        iel, Afghanistan in einem sehr schwierigen Umfeld zu
        tabilisieren und aufzubauen. Wir helfen der afghani-
        chen Bevölkerung, ihre Lebensbedingungen zu stabili-
        ieren, zu verbessern und abzusichern, damit die Taliban
        hre Schreckensherrschaft nicht erneut in Afghanistan
        ufbauen können. Unser Afghanistan-Engagement liegt
        nverkennbar im deutschen Interesse Trotz der Fort-
        chritte im Bildungsbereich, beim Aufbau der Justiz und
        er Drogenbekämpfung sind unakzeptable Defizite, un-
        er anderem durch Korruption, sichtbar. Unsere Hilfe
        um Beispiel beim Aufbau eines rechtstaatlich arbeiten-
        en Beamten-, Polizei-und Justizapparates soll die Re-
        ierung, letztlich auch die Bevölkerung, in die Lage
        ersetzen, einen demokratischen Staat aufzubauen, der
        elbst für seine Sicherheit sorgen kann. Unser Einsatz in
        fghanistan kann nicht von Dauer sein, aber neue Be-
        rohungen erfordern eine Anpassung der Sicherheits-
        olitik. Ich unterstütze politisch die Verlängerung und
        ufstockung des ISAF-Mandats. Ich erwarte jedoch,
        ass die verantwortungsvolle und realistische Möglich-
        eit für die Rückkehr unserer Soldatinnen und Soldaten
        us der Sorge der Bevölkerung heraus in Abstimmung
        er internationalen Gemeinschaft geprüft, beachtet und
        etztendlich umgesetzt wird.
        Wolfgang Spanier (SPD): Die Fortsetzung der Be-
        eiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein-
        atz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        ISAF) in Afghanistan unterstütze ich grundsätzlich
        ach wie vor. 37 Staaten beteiligen sich an der ISAF-
        ission im Auftrag der Vereinten Nationen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19589
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        Die Aufbauhilfe durch die Bundeswehr im Norden
        Afghanistans halte ich aus humanitären und politischen
        Gründen für einen wichtigen Einsatz. Das ISAF-Mandat
        beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidi-
        gung. Militärische Gewalt ist auch dann zulässig, wenn
        es darum geht, die Regierung und die Menschen in Af-
        ghanistan zu schützen. Ziel ist die militärische Sicherung
        des Wiederaufbaus.
        Der Wiederaufbau Afghanistans zeigt Erfolge. Positiv
        zu bewerten ist, dass Deutschland die finanziellen Hilfen
        von 80 Millionen Euro auf 140 Millionen Euro aufge-
        stockt hat. Allerdings sollte die zivile Aufbauhilfe noch
        deutlicher Vorrang vor dem militärischen Einsatz haben.
        Ein Rückzug der Bundeswehr aus ISAF würde den
        Wiederaufbau des Landes zunichte machen, die Men-
        schen in Afghanistan im Stich lassen, das Land ins
        Chaos stürzen, terroristischen Gruppen wieder freie
        Hand geben.
        Die bisher getrennten Bundestagsmandate für ISAF
        sowie den Tornadoeinsatz werden in einem Mandat zu-
        sammengeführt.
        Nach wie vor kann ich dem Einsatz deutscher Aufklä-
        rungsflugzeuge in Afghanistan nicht zustimmen. Die
        Aufklärungsflugzeuge dienen nicht nur dem Schutz der
        Bundeswehr im Norden Afghanistans. Mit dem geplan-
        ten Einsatz von deutschen Tornados der Bundeswehr
        engagiert sich die Bundeswehr beim Kriegseinsatz im
        Süden Afghanistans im Rahmen der Operation Enduring
        Freedom. Die Ergebnisse der Luftaufklärung können
        auch militärischen Einsätzen dienen. Damit werden
        deutsche Soldaten in Kampfhandlungen einbezogen, auf
        deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss
        haben.
        Weil beide Mandate im Antrag der Bundesregierung
        in einem Mandat zusammengeführt werden, kann ich
        dem Antrag nicht zustimmen.
        In der Gesamtwürdigung des Antrags der Bundes-
        regierung enthalte ich mich der Stimme.
        Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Ich mache es mir
        grundsätzlich nicht leicht, Auslandseinsätzen unserer
        Bundeswehr zuzustimmen, handelt es sich doch um Ein-
        griffe außerhalb unseres Staatsgebiets, die zudem nicht
        abstrakt, sondern mit dem Einsatz von Soldatinnen und
        Soldaten verbunden sind. Unsere Bemühungen müssen
        dabei stets auch darauf gerichtet sein, unsere Soldatin-
        nen und Soldaten schnellstmöglich sobald ihre Aufgaben
        im Einsatz abgeschlossen sind, ihr Auftrag erfüllt wurde,
        wieder zurückholen zu können. Ihre Sicherheit vor Ort
        sowie die jederzeit sichere Rückholoption müssen best-
        möglich gewährleistet sein.
        Das gilt auch für den Einsatz in Afghanistan. Dort
        müssen die afghanischen Sicherheitskräfte in die Lage
        versetzt werden, selbst für staatliche Sicherheit zu sor-
        gen bzw. Taliban und al-Qaida erfolgreich bekämpfen zu
        können. Ein vorzeitiger Abzug der ISAF würde dieses
        Ziel gefährden. Afghanistan würde wieder in die Hände
        militanter Islamisten geraten und dadurch erneut zur Ba-
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        is und zum Sprungbrett für den internationalen Terroris-
        us werden. Dann wären Europa und damit auch die
        eutsche Bevölkerung wieder direkt bedroht.
        Ein erklärtes Ziel dieser Fundamentalisten ist die Er-
        ichtung eines Staates, in dem jeder Nichtmuslime als
        Ungläubiger“ gilt, der der Verfolgung anheim fällt, in
        em es beispielsweise auch faktisch keine Frauenrechte
        ibt. Dieses Ziel soll ausdrücklich mit Gewalt erreicht
        erden.
        Diese bekannten Absichten und die konkreten welt-
        eiten Terroranschläge der letzten Jahre vor Augen
        ngagieren sich über vierzig Nationen militärisch in
        fghanistan. Sie wissen, dass sie dadurch auch ihre eige-
        en Bevölkerungen schützen. Wer leichtfertig oder aus
        opulistischen Gründen einen sofortigen Abzug der
        eutschen Truppen aus Afghanistan fordert, gefährdet
        as Leben unserer Bürgerinnen und Bürger im Lande.
        Wir haben die Aufklärung verstärkt und alle techni-
        chen Voraussetzungen geschaffen, damit unsere Solda-
        innen und Soldaten ihren Auftrag gut erfüllen können.
        ir erhöhen nochmals unseren Beitrag zum zivilen Wie-
        eraufbau. Wir legen in Afghanistan einen noch größe-
        en Schwerpunkt auf die Ausbildung der afghanischen
        treitkräfte und Polizisten.
        Nach alledem stimme ich dem vorliegenden Antrag
        er Bundesregierung zu, da das Ziel richtig ist, der Auf-
        rag nicht in Gänze erfüllt ist, es keine Alternativen gibt,
        nd nur dieses Mandat in der vorliegenden Form die Si-
        herheit der Truppe vor Ort und die sichere Rückhol-
        ption bestmöglich gewährleistet.
        nlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Kerstin Andreae, Cornelia
        Behm, Hans-Josef Fell, Priska Hinz (Herborn)
        und Dr. Thea Dückert (alle BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über
        die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
        Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung
        bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein-
        satz der Internationalen Sicherheitsunterstüt-
        zungstruppe in Afghanistan (International
        Security Assistance Force, ISAF) unter Füh-
        rung der NATO auf Grundlage der Resolution
        1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt
        Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der
        Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a)
        Heute stimmt der Deutsche Bundestag über die Ver-
        ängerung der von den Vereinten Nationen mandatierten
        nternationalen Sicherheitsunterstützung (ISAF) ab.
        Der begonnene – und leider stockende – zivile Wie-
        eraufbau in Afghanistan ist unerlässlich. Viele Ziele
        urden jedoch noch nicht erreicht, viele Projekte sind
        ns Stocken geraten. Dennoch ist die Situation im Land
        eute – trotz aller Rückschläge – in zentralen Bereichen
        esser als 2001 unter der Taliban-Herrschaft. Rechtliche
        tandards wurden etabliert, Grundlagen für staatliche In-
        19590 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        stitutionen geschaffen und große Fortschritte im Ge-
        sundheits- und Bildungsbereich gemacht. Dies beschei-
        nigen auch viele Gesprächspartner aus der afghanischen
        Zivilgesellschaft. Nicht zuletzt hat sich vielerorts die Le-
        benssituation von Frauen und jungen Mädchen verbes-
        sert.
        Wie viele Afghaninnen und Afghanen, aber auch vor
        Ort tätige Hilfsorganisationen und NGOs sind wir der
        Auffassung, dass eine internationale Sicherheitspräsenz
        und damit eine militärische Absicherung des zivilen
        Wiederaufbaus erforderlich ist. Die deutsche ISAF-Be-
        teiligung ist gerade auf afghanischer Seite immer noch
        besonders gut angesehen und gewünscht, sie ist weiter-
        hin unverzichtbar. Dramatisch ist allerdings, dass die Si-
        cherheitslage vor Ort schwieriger geworden ist und dass
        es mehr zivile Opfer auf Seiten der afghanischen Bevöl-
        kerung zu beklagen gibt. Insofern ist es nicht verwunder-
        lich, dass die Bevölkerung zunehmend frustriert über die
        als langsam empfundenen Fortschritte beim Wiederauf-
        bau und das Agieren der eigenen – oft als korrupt wahr-
        genommenen – Regierung ist.
        Nun stehen wir in der Bundesrepublik als Parlamenta-
        rier wieder vor der Frage, ob wir der Verlängerung des
        ISAF-Mandats zustimmen.
        Uns stehen drei Abstimmungsvarianten (Ja, Nein,
        Enthaltung) zur Verfügung. Wir sind als freie Abgeord-
        nete keinem imperativen Mandat verpflichtet, möchten
        in der Abwägung und Entscheidungsfindung aber unter-
        schiedlichste Aspekte berücksichtigen. Diese sind die
        Position unserer Partei, die der deutschen Bevölkerung,
        aber auch die der afghanischen Bevölkerung.
        Sollten wir dem Mandat die Zustimmung verweigern
        und mit „Nein“ stimmen, dann würde dies in der Konse-
        quenz den sofortigen Abzug des Militärs aus Afghanis-
        tan bedeuten. Wir können dies nicht verantworten.
        Vor allem für die Menschen in Afghanistan wäre ein
        „Nein“ ein falsches Zeichen. Wir haben eine Verpflich-
        tung insbesondere gegenüber jenen vielen Afghaninnen
        und Afghanen, die sich entschieden haben, sich am Auf-
        bau des Landes zu beteiligen. Ohne die militärische Prä-
        senz der internationalen Staatengemeinschaft wären
        diese Menschen großen Gefahren für Leib und Leben
        ausgesetzt. Mariam Notten, afghanische Soziologin und
        jüngste Trägerin des taz-Panther-Preises, warnt für die-
        sen Fall vor einem „Blutbad unvorstellbaren Ausmaßes.
        Wenn heute die internationalen Truppen abzögen, wür-
        den Taliban und Al-Qaida innerhalb von etwa einer
        Woche wieder die Macht erobern. Zuerst würden jene
        Hunderttausende Landsleute ermordet, die sich in den
        letzten Jahren um den Wiederaufbau ihres Landes und
        der Zivilbevölkerung bemüht haben. Dann würden
        Frauen und Mädchen ins Visier genommen (…).“
        (Publik-Forum 19/2008).
        Es ist aber klar festzuhalten, dass eines der zentralen
        Probleme der internationalen Gemeinschaft das Neben-
        einander von zwei Missionen (ISAF und OEF) ist, damit
        weder eine insgesamt abgestimmte internationale Strate-
        gie vorliegt, noch eine deutliche Fokussierung auf den
        zivilen Wiederaufbau gegeben ist. Seit langem fordert
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        ie Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ei-
        en Strategiewechsel in Afghanistan, wie wir ihn in
        ahlreichen Anträgen und Initiativen formuliert haben.
        m Zentrum stehen für uns eine Beendigung der kontra-
        roduktiven OEF-Mission in Afghanistan und Pakistan
        nd der opferreichen militärischen Gegnerbekämpfung,
        ine massive Aufstockung und Verbesserung der Quali-
        ät des zivilen Aufbaus, ein entschiedenes Eintreten für
        ie Menschenrechte in Afghanistan und eine regionale
        trategie zur Befriedung Afghanistans sowie der Aufbau
        iner wirtschaftlichen Perspektive, um dem Drogenan-
        au Einhalt zu gebieten.
        Dieser Strategiewechsel hat nur in sehr kleinen
        chritten stattgefunden. Das ist dramatisch und spätes-
        ens nach den Präsidentschaftswahlen in Amerika nicht
        änger hinnehmbar. Wir hoffen, dass ein Wechsel in
        merika insgesamt zu einer Veränderung der Strategie
        eim Einsatz in Afghanistan führt und dass diese Chance
        ann auch ergriffen und seitens der Bundesregierung
        ingefordert wird.
        Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden,
        n der jetzigen Situation nochmals für die Verlängerung
        es ISAF-Mandats zu stimmen. Eine Enthaltung wäre
        ür uns keine klare Positionierung. Schließlich müssen
        ir uns auch immer die Frage stellen, was wäre, wenn
        as gesamte Parlament entscheiden würde wie wir.
        Unser Abstimmungsverhalten ist wahrlich keine
        eichte Entscheidung, und wir sind uns bewusst, dass wir
        ei der Frage militärischer Einsätze immer auch über das
        eben anderer Menschen entscheiden. Aber die Realität
        wingt uns, anzuerkennen, dass wir dies auch tun, wenn
        ir uns gegen einen Militäreinsatz entscheiden.
        nlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Ekin Deligöz, Jerzy Montag,
        Elisabeth Scharfenberg und Christine Scheel
        (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur nament-
        lichen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
        lung zu dem Antrag der Bundesregierung:
        Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
        scher Streitkräfte an dem Einsatz der Inter-
        nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
        Afghanistan (International Security Assistance
        Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
        Grundlage der Resolution 1386 (2001) und fol-
        gender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833
        (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio-
        nen (Tagesordnungspunkt 6 a)
        Der seit sieben Jahren militärisch abgesicherte Wie-
        eraufbauprozess in Afghanistan hat für die Lebenssi-
        uation der Afghaninnen und Afghanen in vielen Berei-
        hen große Fortschritte ermöglicht. Dazu zählen unter
        nderem Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungs-
        ereich und beim Aufbau der öffentlichen und wirt-
        chaftlichen Infrastruktur des Landes. Dazu zählt auch,
        ass in Afghanistan im kommenden Jahr die zweiten de-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19591
        (A) )
        (B) )
        mokratischen Wahlen stattfinden werden. Dennoch kom-
        men die Erfolge leider längst nicht bei allen Menschen
        an. Noch immer ist kein klarer Strategiewechsel erkenn-
        bar, der die Hauptanstrengungen auf den zivilen Aufbau
        des Landes verstärkt.
        Zudem hat sich das Nebeneinander von ISAF und den
        Militäraktionen der OEF als kontraproduktiv erwiesen
        und die Akzeptanz von ISAF in der Zivilbevölkerung
        geschwächt.
        Noch immer stehen Kosten und Folgen der militäri-
        schen Einsätze in keinem angemessenen Verhältnis zu
        denen für einen zivilen Aufbau des Landes.
        Wir dürfen die Menschen in Afghanistan mit ihren
        Hoffnungen für bessere Lebensverhältnisse nicht im
        Stich lassen, deswegen halte ich es unabhängig von der
        geschilderten Entwicklung für unverantwortlich, sich für
        den sofortigen Abzug der internationalen Sicherheitsun-
        terstützungstruppe in Afghanistan auszusprechen.
        Der Wiederaufbauprozess wird insbesondere durch
        das Erstarken der Taliban und anderer bewaffneter Grup-
        pen in den paschtunischen Gebieten behindert. Terroris-
        tische Anschläge und bewaffnete Kampfhandlungen
        haben im vergangenen Jahr zugenommen, auch in Pakis-
        tan. Infolgedessen ist die Zahl der Opfer unter der Zivil-
        bevölkerung erheblich gestiegen. Bisher haben weder
        die afghanische Regierung noch die internationalen Ein-
        satzkräfte eine Strategie gefunden, wie der logistische
        und praktische Nachschub für terroristische Angriffe un-
        terbunden werden kann. Deswegen ist das Vertrauen in
        die afghanische Regierung und die internationale Staa-
        tengemeinschaft, dass sie den Taliban und anderen mili-
        tanten oppositionellen Kräften Einhalt gebieten können,
        gesunken.
        Allein mit einer glaubwürdigen zivilen Aufbaustrate-
        gie, die militärisch gegen Angriffe von außen abgesi-
        chert ist, können Voraussetzungen geschaffen werden,
        die es ermöglichen, einen Stufenplan für die Verantwor-
        tungsübergabe an die afghanische Regierung auszuarbei-
        ten. Die internationale Gemeinschaft ist sich weitgehend
        einig, dass die internationale Militärpräsenz zeitlich be-
        fristet sein soll; also muss sie sich auch aktiv dafür ein-
        setzen, dass die Voraussetzungen für einen Abzug ge-
        schaffen werden. Mir fehlt es an den internationalen
        Anstrengungen, den zivilen Aufbau des Landes so vo-
        ranzutreiben, dass terroristischen Angriffen der Boden
        für ihre Unterstützung durch die Bevölkerung entzogen
        wird.
        Da ich mich aus humanitären Gründen weder für ei-
        nen Sofortabzug der bewaffneten deutschen Streitkräfte
        aus Afghanistan aussprechen kann, noch mit dem Antrag
        der Bundesregierung für eine Fortsetzung der Beteili-
        gung bewaffneter deutscher Streitkräfte einverstanden
        bin, weil es an einem durchgreifenden Strategiewechsel
        für den verstärkten zivilen Aufbau in Afghanistan fehlt,
        werde ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zu-
        stimmen, sondern mich enthalten.
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        nlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Monika
        Lazar, Winfried Herrmann, Hans-Christian
        Ströbele, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
        Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Harald Terpe
        und Peter Hettlich (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN) zur namentlichen Abstimmung über die
        Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun-
        desregierung: Fortsetzung der Beteiligung be-
        waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
        der Internationalen Sicherheitsunterstützungs-
        truppe in Afghanistan (International Security
        Assistance Force, ISAF) unter Führung der
        NATO auf der Grundlage der Resolution 1386
        (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Reso-
        lution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Ver-
        einten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a)
        Den Antrag der deutschen Bundesregierung auf Fort-
        etzung der Beteiligung der Bundeswehr an der interna-
        ionalen Sicherheitsunterstützungstruppe lehnen wir ab.
        Die Sicherheitslage in Afghanistan wird von Jahr zu
        ahr schlechter. Die Zahl der Opfer bei Anschlägen und
        eim Antiterrorkrieg steigt dramatisch. Im Jahr 2008
        ind bisher über 3 000 Menschen getötet worden, dabei
        ehr als 1 000 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kin-
        er. Tausende wurden verwundet und verstümmelt. Fast
        ie Hälfte der zivilen Opfer fällt der US-Luftkriegsfüh-
        ung zum Opfer. ACBAR, eine Dachorganisation von
        00 Hilfsorganisationen, gibt an, dass der Sommer 2008
        er bisher verlustreichste war seit 2001. Die Zerstörun-
        en von Gebäuden und Versorgungseinrichtungen über-
        teigen häufig den Wiederaufbau.
        Der Krieg wurde vor sieben Jahren begonnen, um die
        erantwortlichen für die Anschläge vom 11. September
        n den USA der Gerechtigkeit zuzuführen, so die UN-
        esolution vom Herbst 2001. Sie rechtfertigt nicht einen
        rieg gegen die Taliban für einen Regimewechsel oder
        ur Aufstands- und Widerstandsbekämpfung in Afgha-
        istan. Seit Jahren zielt jedoch die militärische Gewalt
        er ausländischen Truppen auf die Vernichtung der Tali-
        an und des Widerstandes im Land. Die Ergebnisse die-
        er Strategie sind verheerend. Die rücksichtslose Antiter-
        orbekämpfung vor allem der US-Truppen schürt und
        egitimiert Racheakte und Anschläge; sie ist nicht nur
        nverantwortlich, sondern auch kontraproduktiv. Dem-
        ntsprechend hat sich die Sicherheitslage seit 2004 noch-
        als deutlich verschlechtert, obwohl seit Beginn des
        rieges die Zahl der eingesetzten Nato-Soldaten auf
        irca 65 000 deutlich angehoben wurde.
        Ein Ende der Eskalation des Krieges ist nicht in Sicht,
        anz im Gegenteil. Gerade auch als Folge der Eskalation
        nd Kriegsführung werden diejenigen, die bekämpft
        erden sollen, immer stärker. Die zunehmende Gewalt
        es Krieges ist die Hauptursache dafür, dass der Hass ge-
        en die ausländischen Truppen wächst und sich immer
        ehr am Krieg gegen diese beteiligen. Politische und
        umanitäre Ziele werden unerreichbar. Der britische
        19592 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Botschafter Cowper-Coles hat leider recht, wenn er sagt,
        die ausländischen Truppen in Afghanistan seien „Teil
        des Problems, nicht der Lösung.“ Die Gewaltspirale
        kann aber durch immer mehr Soldatinnen und Soldaten
        und militärische Mittel nicht durchbrochen werden. Ge-
        rade asymmetrische Kriege können militärisch nicht ge-
        wonnen werden.
        Es ist aus unserer Sicht unklug und unverantwortlich,
        einfach so weiterzumachen. Überfällig ist es, eine Alter-
        native zur Eskalation der Gewalt zu entwickeln. Not-
        wendig ist ein verantwortbarer militärischer Rückzug in
        kalkulierten Schritten. Doch alle Forderungen nach ei-
        nem Strategiewechsel sind ohne Umsetzung geblieben,
        im Gegenteil, die Bundesregierung will das deutsche
        Truppenkontingent nur erhöhen. Trotz gegenteiliger Be-
        hauptungen bleiben die zivilen Anstrengungen weit hin-
        ter den militärischen zurück. Während nicht einmal die
        zugesagten 50 Polizeiausbilder nach Afghanistan ge-
        schickt werden, wird die Zahl der Soldatinnen und Sol-
        daten von 3 500 auf 4 500 erhöht. Die Kosten alleine
        dieses Mandates für 14 Monate betragen 688 Millionen,
        während die Ausgaben für den zivilen Aufbau gerade
        mal etwa ein Viertel davon ausmachen.
        Wir halten fest: Die bisherige Strategie ist gescheitert,
        sie schadet und verschärft den Krieg. Ein Wechsel der
        Strategie – weg vom Militärischen, hin zum Zivilen – ist
        nicht in Sicht.
        Deshalb lehnen wir den Antrag der Bundesregierung
        ab.
        Anlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Claudia
        Roth (Augsburg), Kerstin Müller (Köln), Bär-
        bel Höhn, Britta Haßelmann, Kai Gehring,
        Thilo Hoppe, Rainder Steenblock, Katrin Gö-
        ring-Eckardt, Wolfgang Wieland, Volker Beck
        (Köln) und Ulrike Höfken (alle BÜND-NIS 90/
        DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung
        über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag
        der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili-
        gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
        Einsatz der Internationalen
        Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanis-
        tan (International Security Assistance Force,
        ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage
        der Resolution 1386 (2001) und folgender Reso-
        lutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) des
        Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages-
        ordnungspunkt 6 a)
        Zum siebten Mal entscheidet der Bundestag über die
        Fortsetzung der Bundeswehrbeteiligung an der Interna-
        tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF in
        Afghanistan. Wir Abgeordnete haben zu prüfen, ob die-
        ser von den Vereinten Nationen mandatierte Einsatz sei-
        nem Auftrag gemäß zur Gewaltminderung und zu einem
        sicheren Umfeld für den Aufbau des von mehr als
        20 Jahren Krieg zerstörten Landes beiträgt, ob der Ein-
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        atz weiterhin aussichtsreich und angesichts der Opfer
        erantwortbar ist.
        Die Prüfung wird erschwert dadurch, dass die Ent-
        icklung in den verschiedenen Landesteilen und die
        insatzrealität in den Regionen sehr unterschiedlich sind
        nd ihre realitätsnahe Wahrnehmung durch oft pauschale
        fghanistan-Bilder verzerrt wird.
        Wenn die Bundeswehr in Afghanistan als Besatzungs-
        ruppe agieren würde, wenn der Aufbau gescheitert
        äre, dann wäre ein zügiger Truppenabzug das Gebot
        er Stunde und ein Nein zum Antrag der Bundesregie-
        ung die notwendige Konsequenz.
        Doch dem ist nicht so. Gerade nördlich des Hindu-
        usch, wo die Bundesrepublik besondere Verantwortung
        rägt, sind Aufbaufortschritte unverkennbar: in der Ge-
        undheitsversorgung, in der Trinkwasser- und Stromver-
        orgung, im Schulwesen. Wenig bekannt ist, dass seit
        006 der Mohnanbau in den Nordprovinzen praktisch
        uf null ging.
        Hier treten die internationalen ISAF-Soldaten unver-
        ndert als Unterstützungstruppe auf. Sie sind bei der
        ehrheit der Bevölkerung immer noch gut angesehen
        nd gewünscht. Trotz vermehrter Anschläge bleiben sie
        esonnen und lassen sich nicht zum Krieg gegen die Mi-
        itanten verführen.
        Die ISAF-Truppen kurzfristig abzuziehen, hätte eine
        chnelle Explosion der Gewalt und einen Destabilisie-
        ungsschub Richtung Pakistan zur Folge. Das sagen ein-
        ütig und eindringlich gerade Vertreterinnen und Vertre-
        er der demokratischen afghanischen Zivilgesellschaft,
        enen wir Grüne uns seit Jahren besonders verbunden
        ühlen.
        Insofern ist die Fortsetzung der deutschen ISAF-Be-
        eiligung notwendig und unverzichtbar. Die Tornados
        ragen mit ihren Aufklärungsfotos zwar auch zur Auf-
        auabsicherung bei. Leider unterstützen sie aber auch in-
        irekt eine Art der militärischen Gegnerbekämpfung, die
        ir ablehnen. Insbesondere der von der Bundesregie-
        ung versprochene Beitrag zur Reduzierung von Zivil-
        pfern ist angesichts gestiegener Opferzahlen nicht er-
        ennbar.
        Die Anhebung der Kontingentsobergrenze ist mit ver-
        ehrter Ausbildungshilfe, der Wahlabsicherung im
        ächsten Jahr und mehr Flexibilität plausibel begründet.
        ie bedeutet nicht eine zunehmende Verstrickung in den
        rieg in anderen Landesteilen.
        Zugleich sehen wir mit großer Beunruhigung, wie
        ich seit zwei Jahren die Sicherheitslage in Afghanistan
        assiv verschlechtert, wie der Krieg in Teile des Südens
        nd Ostens zurückgekehrt ist, wie Anschläge, Luft-
        ngriffe und Zivilopfer zunehmen. Damit wachsen
        weifel an der Wirksamkeit und Verantwortbarkeit des
        insatzes insgesamt.
        Angesichts dieser Abwärtsspirale bedarf es ganz be-
        onderer Anstrengungen, um die negative Dynamik zu
        toppen und umzukehren. Seit zwei Jahren drängen die
        rünen und viele andere auf einen Strategiewechsel und
        ine Aufbauoffensive.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19593
        (A) )
        (B) )
        Wie verhält sich dazu die Bundesregierung?
        Im Antrag der Bundesregierung und insbesondere ih-
        ren Publikationen werden unbestreitbare positive Ent-
        wicklungen unzulässig verallgemeinert, werden die
        Negativentwicklungen weitgehend ausgeklammert, wird
        die Lage beschönigt. Auch nach sieben Jahren Afghanis-
        tan-Engagement verweigert die Bundesregierung eine
        ehrliche Bestandsaufnahme.
        In der NATO kneift die Bundesregierung vor der Klä-
        rung des strategischen Dissens zwischen Primat der mili-
        tärischen Terrorbekämpfung und Aufbauabsicherung,
        wodurch die Friedenskonsolidierung hintertrieben wird.
        Die im Einzelnen guten deutschen Aufbauanstren-
        gungen werden nur nachjustiert, aber nicht an den wach-
        senden Herausforderungen ausgerichtet. Die Bundes-
        regierung hat keinen Plan, was sie mittelfristig in ihrem
        Hauptverantwortungsbereich erreichen und an Ressour-
        cen mobilisieren will.
        Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat seit dem
        letzten Herbst zehn konstruktive Anträge in den Bundes-
        tag eingebracht, um Druck zu machen für Kurswechsel
        und Aufbauoffensive. Trotz durchweg positiver Reaktio-
        nen aus den Reihen der Koalition wurden alle Anträge
        abgelehnt – nur, weil sie von der Opposition kamen.
        Seit Monaten forderten die Grünen, aber auch der
        Bundeswehrverband und viele Afghanistan-Experten in
        Zivil und Uniform die Bundesregierung auf, im Bundes-
        tag ein umfassendes Mandat zur Abstimmung zu stellen,
        in dem auch zentrale Ziele, Schritte und Ressourcen des
        zivilen Aufbaus verbindlich festgelegt werden. Das wäre
        ein glaubwürdiges Zeichen dafür gewesen, energisch
        den Aufbaurückstand anzugehen. Auch diese Chance
        ließ die Bundesregierung ungenutzt.
        Gerade weil wir den Erfolg des internationalen und
        deutschen Afghanistan-Engagements für dringend not-
        wendig halten und wollen, sind wir so beunruhigt über
        die Selbstzufriedenheit und Halbherzigkeit der Afgha-
        nistan-Politik der Bundesregierung. Sie untergräbt damit
        mittelfristig den Sinn des Einsatzes und den Sinn des
        Engagements der vielen guten Fachleute vor Ort, die aus
        Deutschland dorthin entsandt wurden, der Diplomaten
        und Soldaten, der Entwicklungshelfer und Polizisten.
        Über diese schweren politischen Versäumnisse kön-
        nen wir nicht hinwegsehen. Deshalb ist für uns der An-
        trag der Bundesregierung nicht zustimmungsfähig.
        Zugleich sind wir uns der Wirkung öffentlicher Bot-
        schaften gerade von Mandatsentscheidungen in Deutsch-
        land und in Afghanistan sehr bewusst.
        Unsere Kritik an der Politik der Bundesregierung
        würde auch ein Nein begründen. Allerdings beinhaltet
        ein Nein unserer Auffassung nach das große Risiko,
        nicht als Kritik an der Politik der Bundesregierung ver-
        standen, sondern als Signal zum schnellen Abzug und
        aus „Flucht aus der Verantwortung“ missverstanden zu
        werden. Beides wollen wir ausdrücklich nicht. Wir wol-
        len auch nicht die Fehlinterpretation, als wollten wir den
        Tausenden die „rote Karte“ zeigen, die von Bundestag
        und Bundesregierung dorthin geschickt wurden und dort
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        nter hohen Belastungen und Risiken insgesamt hervor-
        agende Arbeit leisten.
        Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten. Das ist
        ein Ausdruck von Unentschiedenheit, sondern ein
        arnsignal wie das Gelblicht der Ampel:
        Wir stehen zu unserer Verantwortung für Afghanistan,
        ür seine Menschen und die internationale VN-Gemein-
        chaft, für die Fortsetzung des deutschen ISAF-Beitra-
        es.
        Wir distanzieren uns dabei von dem Ruf nach Sofort-
        bzug einerseits, von der halbherzigen Politik der Bun-
        esregierung andererseits.
        Wir stehen für Kurswechsel und Aufbauoffensive.
        ir setzen uns ein für realitätstüchtige und ehrgeizige
        ufbauschritte, die eine Perspektive für einen verant-
        ortbaren Truppenabzug eröffnen.
        Wir lassen die von mehr als 20 Kriegsjahren geschun-
        enen Menschen in Afghanistan nicht im Stich. Um das
        urchzuhalten, reichen aber Bekenntnisse nicht aus. Da-
        ür bedarf es einer strategisch klaren, energischen Politik
        nd größerer Kraftanstrengungen.
        nlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags Arbeitsmarktinstru-
        mente auf effiziente Maßnahmen konzentrie-
        ren (Tagesordnungspunkt 9)
        Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Das Wichtigste
        uerst: Die Forderungen des FDP-Antrags vom 7. Mai
        008 sind überholt. Schon drei Wochen später, am
        6. Mai 2008, lag der Referentenentwurf der Bundes-
        egierung zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpoliti-
        chen Instrumente vor. Anfang Oktober passierte er das
        abinett, und wir werden ihn im November beraten und
        ern mit Ihnen von der FDP gemeinsam verabschieden.
        as Gesetz soll mit Jahresbeginn 2009 in Kraft treten.
        Das Gesetz setzt die Politik des Forderns und För-
        erns in den Arbeitsmarktreformen fort. Es wird Sie
        icht überraschen, dass der Gesetzentwurf schlüssiger,
        ifferenzierter und damit zielführender als der vorlie-
        ende Antrag der FDP ist. Der ist damit nicht nur in den
        esentlichen Punkten als erledigt zu betrachten. Er ist
        uch dort, wo er widersprüchlich ist, beispielsweise
        mehr öffentliche Ausschreibung vs. freie Förderung“,
        bzulehnen.
        Haben Sie von der FDP vor kurzem im Plenum noch
        ritisiert, dass die Förderinstrumente der Agentur für Ar-
        eit so unübersichtlich seien, dass sie nicht einmal zah-
        enmäßig zu erfassen sind, so zeigt der Antrag: Sie ha-
        en gezählt, vielleicht ein bisschen zu eifrig, denn Sie
        ommen auf eine Zahl von 70 Förderinstrumenten. Wir
        ommen auf 52! Wie auch immer: Sie kritisieren diesen
        aßnahmenkatalog zu Recht als zu umfangreich. Wir
        uch! Genau dieses Problem löst nun unser Gesetz, dem
        19594 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Sie deshalb sicher viel Sympathie entgegenbringen. Was
        regeln wir?
        Mehr Entscheidungsspielraum für die Vermittler. Sie
        bekommen mit dem neuen Vermittlungsbudget ein In-
        strument, das viele Einzelvorschriften ersetzt. Sie ent-
        scheiden freier, was für die Person, die vor ihnen sitzt,
        notwendig ist, um in Arbeit zu kommen. Das stärkt
        Handlungsspielräume im Einzelfall, maßgeschneiderte
        Angebote werden möglich.
        Vergeblich habe ich in Ihrem Antrag nach einer Lö-
        sung gesucht für Menschen, denen die Eintrittskarte für
        den Arbeitsmarkt fehlt. Es sind die ohne Schulabschluss.
        Von den ca. 3 Millionen Arbeitslosen sind insgesamt
        circa 500 000 ohne Schulabschluss, die meisten von ih-
        nen sind Langzeitarbeitslose. Was noch schlimmer ist:
        Jährlich verlassen mehr als 70 000 junge Menschen die
        Schule in Deutschland ohne einen Abschluss. Leider
        müssen wir damit der Schulpolitik unserer Bundesländer
        ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Das ist nicht ausrei-
        chend, das ist sogar schlechter als mangelhaft, das ist
        einfach ungenügend. Unser Gesetz gibt ihnen die
        Chance, ihren Schulabschluss nachzuholen. Sie bekom-
        men ein Recht darauf, ihre persönliche Eintrittskarte zu
        erarbeiten. Denn die beste vorsorgende Arbeitsmarktpo-
        litik ist gute Bildungspolitik.
        Neben dem fehlenden Schulabschluss sind man-
        gelnde Deutschkenntnisse die größte Hürde, um erfolg-
        reich in Beruf und Weiterbildung zu sein. Deshalb wer-
        den wir auch die Sprachförderung als Regelinstrument
        einführen.
        Wir wollen auch weiterhin Innovation in den Regio-
        nen ermöglichen. Deshalb wird es die Möglichkeit zur
        freien Förderung im Rahmen des SGB II geben. Ich ma-
        che keinen Hehl daraus, dass mir der derzeitig geplante
        Budgetanteil dafür noch zu gering ist. Ich stelle fest:
        Auch hier gibt es tendenziell Übereinstimmung mit dem
        FDP-Antrag.
        Doch zurück zur Reduzierung der Instrumente: Ja,
        auch die große Koalition räumt an dieser Stelle auf.
        Künftig soll es nur noch 30 Förderinstrumente geben.
        Damit kann flexibler, unbürokratischer und individueller
        in Arbeit vermittelt werden. Besonders das Vermitt-
        lungsbudget ist ein Sprung nach vorne für die Menschen.
        Es stärkt die Entscheidungsfreiheit der Vermittler vor
        Ort: Hier sind neun Instrumente zusammengefasst, die
        bisher einzeln bewilligt werden mussten – wie zum Bei-
        spiel Bewerbungs- und Umzugskosten. Mit dem
        Entwurf wird die Vermittlung als Kernbereich der Ar-
        beitsmarktpolitik gestärkt und entbürokratisiert. Lokale
        Handlungsräume werden gestärkt. Die Arbeitsvermittler
        vor Ort können freier und bedarfsgerechter, individueller
        und gezielter helfen.
        Wirksame Instrumente werden weiterentwickelt. Un-
        wirksame werden abgeschafft. Ich kann mir gar nicht
        vorstellen, dass irgendjemand in diesem Haus dieser
        Veränderung nicht zustimmen könnte.
        Das ist eben nicht mehr „Konfektionsware von der
        Stange, Ärmel zu lang und Hose zu kurz“, sondern maß-
        geschneiderte Hilfe. Das verlangt hohe Professionalität,
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        eshalb legen wir Wert auf ordentliche Arbeitsbedingun-
        en für Vermittler. In den nächsten drei Jahren wollen
        ir insgesamt mehr als 9 000 feste Stellen für Vermitt-
        ungsarbeit zusätzlich bereitstellen. Dass wir bei diesem
        chritt keine Zustimmung der Liberalen erwarten, wer-
        en Sie verstehen. Wesentliches Ziel unserer vorsorgen-
        en Arbeitsmarktpolitik ist es, das Risiko der Arbeitslo-
        igkeit zu verringern.
        Bildung und Qualifizierung stehen deshalb im Mittel-
        unkt. Start und Neustart zu ermöglichen ist unsere
        flicht dem Einzelnen gegenüber, genauso wie die Soli-
        argemeinschaft der Beitragszahler vorsorgende Ar-
        eitsmarktpolitik erwarten kann.
        Wir sorgen für Effizienz in der Arbeitsvermittlung –
        nd dies noch klarer und zielgenauer, als es Ihr Antrag
        ahelegt.
        Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht
        s darum, dass Arbeitssuchenden motiviert ein Neustart
        elingt. Wir stärken die Kultur der Zweiten Chance. Da-
        it legen wir einen weiteren Grundstein für Erfolge auf
        em Arbeitsmarkt.
        Ein altes chinesisches Sprichwort – und es könnte
        uch ein sozialdemokratisches sein – besagt:
        Um für ein Jahr zu planen, pflanze Reis, um für ein
        Jahrzehnt zu planen, pflanze Bäume – um für ein
        Jahrhundert zu planen, bilde Menschen.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, auch
        enn wir Ihren Antrag ablehnen, lassen Sie uns für die
        enschen gemeinsam langfristig planen!
        Dirk Niebel (FDP): Die Bundesregierung hat nichts
        azu beigetragen, dass die Arbeitslosenzahlen im Sep-
        ember auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren gefallen
        ind. Und entgegen einiger optimistischer Prognosen,
        ass die Zahl auch unter drei Millionen fallen könnte,
        echnen wir eher damit, dass die Finanzkrise und der ab-
        ehbare Konjunkturabschwung wieder zu steigenden Ar-
        eitslosenzahlen führen werden. Das wurde auch vorges-
        ern durch die Prognose der Wirtschaftsinstitute
        estätigt.
        Noch immer ist die Sockelarbeitslosigkeit, die Zahl
        er Langzeitarbeitslosen und der älteren Arbeitslosen
        och. Die gute Arbeitsmarktlage ist an den ALG-II-
        mpfängern vorbeigegangen. Ihre Situation hat sich
        icht wesentlich verbessert. Eine schnellere Vermittlung
        n Beschäftigung hat nicht stattgefunden. Das Personal
        st mit Verwaltungs- statt Vermittlungsaufgaben befasst.
        eder wurden neue Sozialversicherungspflichtige
        rbeitsplätze für Geringqualifizierte und Langzeit-
        rbeitslose geschaffen, noch wurden die Anreize zur Ar-
        eitsaufnahme attraktiv gesetzt. Statt einen geregelten
        iedriglohnsektor einzuführen, der auch diesen Men-
        chen die Chance auf Beschäftigung gibt, werden wei-
        ere Arbeitsplätze durch die geplante Einführung von
        lächendeckenden Mindestlöhnen gefährdet. Mindest-
        öhne werden Arbeitsplätze in die Schwarzarbeit ver-
        rängen und dadurch die Chancen von Langzeitarbeits-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19595
        (A) )
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        losen verschlechtern. Wir haben schon heute morgen
        ausführlich darüber debattiert.
        Das arbeitsmarktpolitische Programm der schwarz-
        roten Koalition, sofern man überhaupt von einem Pro-
        gramm sprechen kann, zeigt Aktionismus auf den fal-
        schen Feldern. Ja, es wurden Arbeitsplätze geschaffen.
        Zum Beispiel an den Sozialgerichten, um der wachsen-
        den Flut an Klagen von ALG-II-Empfängern begegnen
        zu können. Und vor allem bei der Bundesagentur für Ar-
        beit, damit die Anträge per Hand schneller bearbeitet
        werden konnten. Die Gesetze wurden nämlich schneller
        geändert, als die Programmierer ihre Software anpassen
        konnten. Dazu muss man allerdings sagen, dass nur Lö-
        cher geflickt wurden, ohne das Netz so zu sanieren, wie
        es notwendig gewesen wäre.
        Arbeitsminister Olaf Scholz hat jetzt auch endlich sei-
        nen Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der arbeitsmarkt-
        politischen Maßnahmen vorgelegt. Von einer Halbierung
        der Zahl der Förderinstrumente war die Rede gewesen.
        Das ist ihm nicht gelungen. Das wundert uns aber nicht.
        Selbst die Bundesregierung weiß nicht, über wie viele
        Maßnahmen die aktive Arbeitsmarktpolitik verfügt. Ich
        zitiere aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage,
        Drucksache 16/10048: „Für die Zählung der Instrumente
        bzw. Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gibt es
        in Deutschland kein zwischen den unterschiedlichen Ak-
        teuren bei der Bundesagentur für Arbeit, der Bundesre-
        gierung und der Wissenschaft gemeinsam festgelegtes
        Konzept.“
        Nun soll es 27 Einzelpositionen weniger geben, 5 In-
        strumente werden neu geschaffen, zum Beispiel Vermitt-
        lungsbudgets und Experimentierbudgets. Nichts wirk-
        lich Neues. Und er will weitere 1 900 Stellen für
        Vermittler einrichten, und 9 700 befristet eingestellte
        Vermittler sollen Dauerarbeitsverträge erhalten – trotz
        der aktuell rückgängigen Arbeitslosenzahlen. Er rechnet
        schon mit konjukturell schwierigen Zeiten.
        Und nur am Rande: Auch der geplante Rechtsan-
        spruch auf einen Hauptschulabschluss ist nur ein Pla-
        cebo und hilft den Arbeitsuchenden nicht weiter.
        Deutschland braucht eine Weiterbildungsoffensive mit
        einem Sofortprogramm zur Qualifizierung von Men-
        schen ohne Schulabschluss. Durch den Rechtsanspruch
        wird die Qualität des Hauptschulabschlusses nicht er-
        höht und erhält schon gar nicht die Wertschätzung, die er
        verdient. Die SPD hat ihre Glaubwürdigkeit weiter be-
        schädigt. Den Rechtsanspruch auf einen Hauptschulab-
        schluss hat sie durchgesetzt und in den Ländern fordert
        sie die Abschaffung der Hauptschule.
        Vom Aufschwung haben Kurzzeitarbeitslose überpro-
        portional profitiert. 70 Prozent der Erwerbslosen sind
        immer noch ALG-II-Empfänger. In den rund 80 Arbeits-
        förderungsinstrumenten sind fast 1,5 Millionen Men-
        schen geparkt, die deshalb in der offiziellen Arbeitslo-
        senstatistik gar nicht auftauchen. Darunter sind viele
        Maßnahmen, die nicht zur Integration in den ersten Ar-
        beitsmarkt beitragen, aber von der Solidargemeinschaft
        teuer bezahlt werden. Jeder Euro, der für unbrauchbare
        Maßnahmen ausgegeben wird, fehlt zum Beispiel für die
        Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung.
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        iedrigere Steuern und Abgaben sind ein wichtiger Bei-
        rag zur Arbeitsplatzsicherung und tragen zur Schaffung
        euer Arbeitsplätze bei.
        Einige Maßnahmen hätten wegen erwiesener Untaug-
        ichkeit schon längst aus dem Katalog gestrichen werden
        önnen. Diese Geldverschwendung geht zulasten der
        olidargemeinschaft, die schwarz-rote Koalition hat sie
        u verantworten. Der schon seit Januar 2006 vorliegende
        valuierungsbericht der Bundesregierung „Die Wirk-
        amkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“
        ur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kom-
        ission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“
        atte schon zahlreiche Vorgaben geliefert. So ist schon
        änger bekannt, dass Beschäftigte in Arbeitsbeschaf-
        ungsmaßnahmen (ABM) aufgrund dieser Tätigkeit
        päter als vergleichbare andere Arbeitslose ihre Arbeits-
        osigkeit durch eine Integration in Erwerbsarbeit beende-
        en.
        Mit einer Vielzahl von Erlassen, Richtlinien und Ver-
        rdnungen wird versucht, Einzelfallgerechtigkeit herzu-
        tellen, ohne Berücksichtigung des Verwaltungsauf-
        ands und der damit verbundenen Kosten. Auch der
        om Kabinett gebilligte Gesetzentwurf des Bundesar-
        eitsministers bleibt durch faule Kompromisse und halb-
        erzige Reformen weit hinter den Notwendigkeiten zu-
        ück.
        Die Evaluation von arbeitsmarktpolitischen Maßnah-
        en ist eine Daueraufgabe. Die FDP hat schon vor Jah-
        en die Entrümpelung der arbeitsmarktpolitischen Maß-
        ahmen gefordert. Arbeitsmarktpolitik ist nur dann
        ffektiv und effizient, wenn es gelingt, mit möglichst ge-
        ingem Mitteleinsatz Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder
        öglichst rasch durch Integration in den ersten Arbeits-
        arkt zu beenden. Alle arbeitsmarktpolitischen Maß-
        ahmen sind dringend auf Umfang, Wirksamkeit und Ef-
        izienz zu überprüfen und das Förderinstrumentarium
        uf Maßnahmen zu begrenzen, die zu einer Integration
        n den ersten Arbeitsmarkt führen. Die Förderinstru-
        ente sind möglichst unbürokratisch auszugestalten.
        Der Maßnahmenkatalog kann deutlich reduziert wer-
        en, ohne dass dadurch Einbußen bei der Arbeitsvermitt-
        ung zu befürchten sind. Die arbeitsmarktpolitischen
        aßnahmen können in wenigen Kategorien zusammen-
        efasst werden. Alle Programme müssen strikt nach
        rinzipien der Effizienz öffentlich ausgeschrieben wer-
        en. Der zuständige Träger muss nach pflichtgemäßem
        rmessen flexibel, effektiv und am Einzelfall orientiert
        ntscheiden können. Diese beiden Prinzipien liegen im
        nteresse der Beitrags- und Steuerzahler.
        Um das Ziel einer Eingliederung in den ersten Ar-
        eitsmarkt zu erreichen, muss die Zielgruppenorientie-
        ung bei den Arbeitsmarktinstrumenten deutlich verbes-
        ert werden. Die Maßnahmen sollten sich ausschließlich
        uf die Arbeitslosen mit den gravierendsten Risikomerk-
        alen beschränken. Gleichzeitig müssen die Maßnah-
        en Gelegenheit zur praxisnahen Qualifizierung bieten.
        hre Laufzeiten müssen verkürzt werden. Auch darf
        ährend der Maßnahmen die Vermittlungsberatung und
        rbeitsplatzsuche nicht eingestellt werden.
        19596 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        Die sogenannte freie Förderung für eigene, selbst
        konzipierte Maßnahmen muss erweitert werden. Die zu-
        ständigen Akteure sollen weitere Entscheidungsbefug-
        nisse, aber auch mehr Verantwortung für den Maßnah-
        meneinsatz und dessen Wirkung bekommen. Damit
        werden die Innovationsfähigkeit in der Arbeitsmarktpo-
        litik und der Wettbewerb unter den verantwortlichen
        Trägern gefördert. Darüber hinaus sollen die Träger der
        Grundsicherung vor Ort Maßnahmen an den individuel-
        len Voraussetzungen der Langzeitarbeitslosen und den
        örtlichen Gegebenheiten ausrichten können, wenn die
        Instrumente des SGB III nicht passen.
        Formen öffentlich subventionierter Beschäftigung
        wie 1-Euro-Jobs müssen auf ein Mindestmaß beschränkt
        werden. Sie dürfen nur der Wiedererlangung not-
        wendiger Arbeitstugenden und einer Überprüfung der
        Leistungsbereitschaft dienen. Die private Arbeitsver-
        mittlung soll stärker als bisher die staatlichen Vermitt-
        lungsbemühungen ergänzen. Sie ist in der Lage, eine
        effiziente, den Ansprüchen eines modernen Arbeits-
        marktes gerecht werdende Vermittlungsdienstleistung zu
        erbringen.
        Die Vermittlungsgutscheine müssen marktgerecht
        ausgestaltet werden. So soll ein Anspruch ab dem ersten
        Tag der Arbeitslosigkeit bestehen und die Gültigkeit
        über die gesamte Dauer der Arbeitslosigkeit gehen. Ihre
        Einsatzmöglichkeiten werden flexibel ausgestaltet. Die
        aktuelle Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine bie-
        tet zu wenig Anreiz und hat sich in der Praxis als nicht
        flexibel genug erwiesen. Die Festlegung einer absoluten,
        nicht am Einkommen orientierten Höchstprämie bedeu-
        tet faktisch eine Regulierung des Preises für eine Ver-
        mittlung und wirkt wettbewerbsverzerrend. Qualifika-
        tion, Erwerbsbiografie und Vermittlungshemmnisse
        werden durch diese Festprämie praktisch nicht berück-
        sichtigt. Vermittlungsleistungen müssen zu Marktpreisen
        angeboten werden können.
        Die Entrümpelung ist wichtig, damit unsere Beitrags-
        und Steuermittel nur für effektive Maßnahmen ausgege-
        ben werden und die Arbeitsuchenden von diesen Maß-
        nahmen auch profitieren können. Darüber hinaus muss
        auch das Chaos bei der Betreuung von Langzeitarbeits-
        losen durch Arbeitsagenturen, Kommunen und Arbeits-
        gemeinschaften beseitigt werden. Wir wollen, dass alle
        Arbeitslosen in kommunalen Jobcentern betreut und be-
        raten werden, weil die Kommunen besser auf indivi-
        duelle Problemlagen und den regionalen Arbeitsmarkt
        reagieren können. In dieser Auffassung werden wir von
        vielen Optionskommunen unterstützt, die erfolgreich am
        Arbeitsmarkt agieren. Nur die Bundesregierung weigert
        sich, die Leistung der Optionskommunen anzuerkennen.
        Kornelia Möller (DIE LINKE): Opel geht in Kurzar-
        beit, die Auftragslage in der Autozulieferindustrie ist
        dramatisch – und Sie, liebe FDP-Kollegen, wollen die
        Stellschraube für Erwerbslose noch anziehen. Wer jetzt
        bei der Arbeitsmarktpolitik einspart, hat keine Ahnung
        davon was die Menschen in diesem Land brauchen.
        Was heute Not tut, sind Ideen und Vorschläge, um den
        realwirtschaftlichen Auswirkungen der katastrophalen
        Finanzkrise entgegenzusteuern, die sich abzeichnet.
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        Sehen Sie sich um! Opel habe ich genannt, .auch
        MW ist betroffen. Zulieferer Knorr-Bremse rechnet
        it 30 Prozent Auftragsrückgang. Und König & Bauer
        2007: 8 200 Beschäftigte, 1,7 Milliarden), einer der
        eltweit größten Druckmaschinenhersteller, also Be-
        eich Maschinenbau, fährt die Viertagewoche und weiß
        icht, wie es weitergehen soll.
        Das bayerische Wirtschaftswunder, das immer als
        orzeigeobjekt deutscher Wirtschaft galt, erlebt bereits
        etzt schon große Einbrüche und viele Menschen werden
        hren Arbeitsplatz verlieren.
        Deshalb kann es nicht um Einsparungen in der Ar-
        eitsmarktpolitik gehen, sondern um die Bereitstellung
        usreichender Mittel. Es geht vor allem darum, die nach
        ie vor zu hohe Langzeitarbeitslosigkeit einzudämmen
        nd die arbeitsmarktpolitische Schiefläge Ostdeutsch-
        ands zu beenden. Und das geht nicht mit mehr Markt,
        ie es der FDP vorschwebt, nicht mit einer weiter priva-
        isierten Arbeitsmarktpolitik – wie im FDP-Antrag ge-
        ordert und längst durch Untersuchungen widerlegt
        urde –, sondern nur durch eine Stärkung der Gestal-
        ung des Arbeitsmarktes durch die öffentliche Hand.
        Wir betrachten es deswegen auch als völlig falsche
        nd verhängnisvolle Entscheidung der Großen Koali-
        ion, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung noch-
        als – sogar auf 2,8 Prozent zu senken. Mehr als 5 Mil-
        iarden Euro werden nach Aussage von BA-Chef Weise
        eswegen 2009 in der Kasse fehlen. 2009 wird aber das
        ahr der Wende auf dem Arbeitsmarkt werden. Es wird
        ich mit aller Deutlichkeit zeigen, dass die von Ihnen al-
        en gepriesene Arbeitsmarktreformpolitik, die „Hartz-
        ichtung“, alles andere als richtig war und keinen Anteil
        m Aufschwung des Arbeitsmarktes der vergangenen
        onate hatte. Das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus,
        enn uns der Arbeitsminister weiß machen will, dass es,
        ie er sagt: „gerade in raueren Zeiten sinnvoll sei, durch
        bsenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
        twas zur Stärkung der Konjunktur zu tun“. Wir erleben
        eine „raueren Zeiten“ – wir erleben den Crash des Fi-
        anzsystems und seine Folgen.
        Doch zurück zum FDP-Antrag, da steht: „Arbeits-
        arktpolitik ist nur dann effektiv und effizient, wenn es
        hr gelingt, mit möglichst geringem Mitteleinsatz Ar-
        eitslosigkeit zu vermeiden oder möglichst rasch zu be-
        nden.“ Mit möglichst geringen Mitteleinsatz, egal in
        elchen Job. Die Menschen scheinen Ihnen gleichgültig
        u sein.
        Genau das hatten wir doch die ganze Zeit! Mit dem
        rgebnis, dass die Hälfte des viel gepriesenen Auf-
        chwungs am Arbeitsmarkt durch prekäre Beschäfti-
        ungsverhältnisse, Leiharbeit und Minijobs zustande
        am. Und das ist der Weg zur weiteren Aushöhlung der
        innennachfrage. Nein, wir brauchen kein weiteres neo-
        iberales Kürzungsprogramm, dass die Bürgerinnen und
        ürger die Zeche zahlen lässt. Und es reicht auch nicht,
        m Klein-Klein von Detailveränderungen zur bisherigen
        rbeitsmarktpolitik stehen zu bleiben. Die gesamte Ar-
        eitsmarktpolitik muss neu orientiert werden! Es braucht
        azu eine einheitliche Organisation der Bundesagentur
        ür Arbeit, um eine einheitliche Arbeitsmarktpolitik mit
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19597
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        gleichen Rechten und Pflichten für alle Erwerbslosen
        durchsetzen zu können.
        Es braucht dazu eine breitere Förderung voll sozial-
        versicherungspflichtiger Beschäftigung. Es braucht dazu
        einen übersichtlichen Instrumentenkasten, der sich an
        den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an
        kurzfristiger Gewinnmaximierung. Es braucht dazu qua-
        litativ hochwertige Weiterbildungsangebote, statt billiger
        Weiterbildung von ausgebeuteten Weiterbildnern ange-
        boten. Und natürlich gehören 1-Euro-Jobs endlich abge-
        schafft. Und durch öffentlich geförderte Beschäftigung
        ersetzt, wie Sie unserem Antrag entnehmen können. Es
        ist ein Gebot der Stunde endlich die Regelsätze der
        Grundsicherung anzuheben.
        Ich fasse zusammen: Es braucht letztendlich eine gute
        Arbeitsmarktpolitik ohne die Stigmatisierung und die
        Einteilung von Erwerbslosen in zwei Klassen – weg von
        Hartz IV!
        Ihr Antrag geht an den berechtigten Bedürfnissen er-
        werbsloser Menschen vorbei und er hält keinerlei Ange-
        bote für die Menschen bereit, die in nächster Zeit ihre
        Arbeitsplätze verlieren werden.
        Deshalb ist Ihr Antrag nicht auf der Höhe der Zeit,
        natürlich lehnen wir ihn ab.
        Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur Neu-
        ausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente be-
        schlossen. Über den reden wir aber hier nicht, sondern
        wir müssen uns mit einem Platzhalter der FDP begnü-
        gen.
        Herr Minister Scholz, es ist gelinde gesagt eine Un-
        verschämtheit, wie Sie die Menschen, denen die arbeits-
        marktpolitischen Instrumente helfen sollen und die mit
        ihnen arbeiten sollen, hängen lassen.
        Ab Januar 2009 soll Ihr Gesetz gelten und bis heute
        liegt es dem Bundestag nicht offiziell vor. Es gibt aus al-
        len Ecken Kritik und erheblichen Nachbesserungsbe-
        darf, aber Sie stellen sich nicht der Auseinandersetzung.
        Sie setzen offensichtlich auf eine kurze Beratung unter
        Zeitdruck. So wollen Sie unangenehme Wahrheiten un-
        ter den Tisch kehren. Denn sicher ist eins: Wenn Sie
        nicht im Frühjahr die weiteren Leistungen weitgehend
        beschnitten hätten, hätten wir jetzt weniger Probleme
        und hätten uns eine Menge Zeit und Ärger sparen kön-
        nen.
        Denn erst dadurch sind die Spielräume der ARGEn
        und Optionskommunen für passgenaue Hilfen erheblich
        eingeschränkt worden. Leidtragende dessen sind vor
        allem Migranten, Jugendliche und Alleinerziehende;
        häufig genug haben sie mit besonders schweren Vermitt-
        lungshemmnissen zu kämpfen. Sie brauchen aber indi-
        viduelle Förderung und keins von den Massenpro-
        grammen, mit denen Sie und Ihre große Koalition den
        Instrumentenkasten in den letzten Jahren aufgebläht ha-
        ben.
        Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die
        Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
        ist überfällig. Wir Grünen stehen für die Abkehr von ei-
        ner zentral gesteuerten und durchregulierten Arbeits-
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        arktpolitik. Wir stehen für eine dezentrale, flexible und
        assgenaue Unterstützung. Dafür brauchen wir nur we-
        ige Instrumente. Diese müssen aber auf den individuel-
        en Fall zugeschnitten werden können – also viel mehr
        estaltungsspielraum bieten als heute.
        Das alles wollen Sie angeblich auch, aber Ihr Entwurf
        rfüllt diese Anforderung überhaupt nicht. Das kann ich
        it wenigen Beispielen zeigen.
        Sie bieten eine neue freie Förderung als Ersatz für die
        eiteren Leistungen an. Aber schon die Mittelausstat-
        ung reicht nicht an den Bedarf heran: 130 Millionen
        ährlich wollen Sie zur Verfügung stellen, aber 2007
        urde mehr als das Vierfache – rund 600 Millionen – ge-
        raucht. Sie erschweren die dringend erforderliche Zu-
        ammenarbeit zum Beispiel mit der Jugendhilfe, weil
        ie das Vergaberecht zwingend vorschreiben wollen. Sie
        erstören damit Schnittstellen zwischen den Hilfesyste-
        en, anstatt sie zu fördern.
        Das Vergaberecht soll auch im SGB III für alle Maß-
        ahmen zwingend werden. Die Erfahrungen zeigen aber,
        ass dadurch vor allem ein Preiswettbewerb entfacht
        urde, der zulasten der Qualität der arbeitsmarkt- und
        ozialpolitischen Maßnahmen gegangen ist und zu
        ohndumping beim Lehrpersonal geführt hat. Sie wollen
        iese hochproblematische Praxis ausbauen, die Standard
        tatt Flexibilität produziert hat.
        Über den Experimentiertopf kann nicht mehr die ein-
        elne Arbeitsagentur entscheiden, das soll in Zukunft die
        A in Nürnberg machen. Das ist Zentralismus in Rein-
        ultur.
        Der Hauptschulabschluss, über den Sie sich seit Mo-
        aten mit der Union gestritten haben, ist besonders är-
        erlich. Denn das, was Sie jetzt im Angebot haben,
        urde bisher einfach über die weiteren Leistungen ge-
        ördert. Stattdessen haben Sie ein zusätzliches durchre-
        uliertes Einzelinstrument geschaffen; Verschlankung
        ieht anders aus, Flexibilität sowieso.
        Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen; mit
        hren Vorschlägen sind Sie nicht zu bewältigen. Sie pre-
        igen Handlungsfreiheit und Entbürokratisierung, aber
        e facto setzen sie immer noch auf Durchgriff und Wei-
        ung. Damit werden Sie Ihre selbstaufgestellten Ziele
        Vollbeschäftigung und die weltbeste Arbeitsvermitt-
        ung – gewiss nicht erreichen.
        Wir werden erheblich nacharbeiten müssen.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung
        des Ausbaus der Höchstspannungsnetze
        – Antrag: Stromnetze zukunftsfähig ausbauen
        (Tagesordnungspunkt 10 und Zusatzpunkt 16)
        Marko Mühlstein (SPD): Noch nie waren wir so
        ehr auf elektrischen Strom angewiesen, wie in der heu-
        19598 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        tigen Zeit, dem 21. Jahrhundert. Oder anders: Der elek-
        trische Strom ist aus unserem täglichen Leben nicht
        mehr wegzudenken. Die Stromleitungen, die zur Über-
        tragung benötigt werden, sind nicht nur für Unterneh-
        men, sondern für unsere gesamte Gesellschaft zu Le-
        bensadern geworden. Für jeden Einzelnen von uns ist es
        fast selbstverständlich Teil der Daseinsfürsorge. Den-
        noch gibt es große Lücken und einen enormen Ausbau-
        bedarf des deutschen Stromnetzes.
        Der weitere Ausbau der Stromnetze in der Bundesre-
        publik Deutschland ist Kernelement zukunftsfähiger
        Energiepolitik. Denn wir wollen erstens die erneuerba-
        ren Energien zielstrebig weiter ausbauen. Zweitens brau-
        chen wir neue konventionelle Kraftwerke und drittens
        streben wir einen europaweiten grenzüberschreitenden
        Stromhandel an. Ziel ist es, langfristig eine Kopplung
        der Strommärkte in der EU zu erreichen.
        Im vorliegenden Gesetzentwurf sind die vordringli-
        chen Vorhaben beschrieben, die bereits 2005 von der
        Deutschen Energieagentur definiert wurden.
        Seitdem ist aus unterschiedlichen Gründen nicht ge-
        nügend passiert.
        Im Jahr 2007 wurden von den Übertragungsnetzbe-
        treibern 884 Millionen Euro in Netzinfrastruktur inves-
        tiert, das sind jedoch nicht mal 80 Prozent ihres eigenen
        Jahresziels.
        Der Notwendigkeit des schnellen Netzausbaus wird
        im Gesetz zur Beschleunigung des Höchstspannungsnet-
        zes Rechnung getragen:
        Denn es wird erstmalig einen Bedarfsplan geben. Wir
        wollen, wie beim Infrastrukturplanungsbeschleuni-
        gungsgesetz, den Rechtsweg auf eine Instanz reduzieren.
        Zudem wird für die Netzanbindung von Offshore-Wind-
        kraftanlagen ein Planfeststellungsverfahren eingeführt.
        Ich wohne im Bundesland Sachsen-Anhalt. Ein Bun-
        desland, in dem bereits heute über 20 Prozent des Stroms
        aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Gerade dort
        werden die Chancen und Risiken des Netzausbaus auf
        verschiedenen Ebenen bereits heute sehr deutlich.
        Die Frage ist nicht wie, sondern ob uns der schnelle
        Ausbau gelingt. Ich plädiere dafür, die Frage der Erdver-
        kabelung unideologisch zu betrachten! In Wohn- oder
        Naturschutzgebieten sind Erdkabel aus meiner Sicht eine
        sehr sinnvolle Alternative. Und weil die Erdkabel auf
        110-kV-Ebene kostenseitig durchaus interessant sind,
        bin ich sehr für die Aufnahme der 110-kV-Ebene in den
        Gesetzentwurf.
        Der Erfolg des Gesetzes ist wichtig für die Versor-
        gungssicherheit und die Stabilität des Stromnetzes. Der
        Netzausbau ist eine energiepolitische Schlüsselfrage,
        deshalb fordere ich alle Akteure, insbesondere die Ener-
        giekonzerne auf, sich konstruktiv an der wichtigen Auf-
        gabe zu beteiligen.
        Engelbert Wistuba (SPD): Wir befassen uns heute
        erster Lesung mit dem Gesetz zur Beschleunigung der
        Höchstspannungsnetze. Dies ist ein zentraler Baustein
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        es zweiten Teils des Integrierten Energie- und Klima-
        rogramms. Bereits im Juni haben wir einen maßgebli-
        hen Teil des Energie- und Klimapakets umgesetzt.
        rotz aller Unkenrufe der Opposition sind wir also auf
        inem guten Weg, bis Ende des Jahres die Mitte 2007 in
        eseberg verabschiedeten Eckpunkte vollständig umzu-
        etzen und damit konkrete Rahmenbedingungen für eine
        rfolgreiche Energie-und Klimapolitik zu schaffen.
        Grundlage für das Energieleitungsausbaugesetz, über
        as wir heute reden, sind einerseits die ehrgeizigen Aus-
        auziele für erneuerbare Energien. Durch die im Juni
        ier beschlossene EEG-Novelle haben wir attraktive
        ahmenbedingungen für einen Ausbau der Windkraft
        eschaffen. Dieser Ausbau wird vorrangig an küsten-
        ahen Standorten in Nord- und Ostdeutschland sowie
        ffshore, also vor der Küste erfolgen. Hierbei handelt es
        ich jedoch in den wenigsten Fällen um die Gegenden, in
        enen der Strom – insbesondere von der energieintensi-
        en Industrie – auch benötigt wird. Die Energiever-
        rauchszentren liegen eher im Süden und Westen der
        epublik. Wir benötigen also entsprechende freie Kapa-
        itäten auf der Höchstspannungsebene, um den Nord-
        üd und Ost-West-Transit des Stroms auch tatsächlich
        ewährleisten zu können.
        Das derzeitige Netz, das in den vergangenen Jahr-
        ehnten im Wesentlichen von verbrauchsnaher Strom-
        rzeugung geprägt war, ist darauf nicht vorbereitet. Die
        ena-Netzstudie hat 2005 – unter breiter Beteiligung von
        nergieversorgern, Netzbetreibern, den Verbänden der er-
        euerbaren Energien und der Wissenschaft – einen erheb-
        ichen Ausbaubedarf des Höchstspannungsnetzes zur
        bleitung des prognostizierten Windstroms ermittelt:
        is 2015 müssen für die Integration von 20 Prozent erneu-
        rbarer Energien in das Verbundnetz 850 Kilometer
        öchstspannungsleitungen neu gebaut und weitere
        00 Kilometer verstärkt werden. Dieser ambitionierte
        eitplan scheint kaum mehr zu halten zu sein – und wir
        aben gerade beschlossen, den Anteil erneuerbarer Ener-
        ien an der Stromerzeugung bis 2020 auf mindestens
        0 Prozent auszubauen.
        Darüber hinaus werden im Rahmen der Erneuerung
        es überalterten Kraftwerksparks zunehmend konventio-
        elle Kraftwerke in Norddeutschland und insbesondere
        n der Küste geplant und gebaut. Das hat schlicht damit
        u tun, dass es günstiger ist, den Strom durchs Land zu
        ransportieren als den Brennstoff. Das gilt insbesondere
        ür Kohle. Die besten Kraftwerksstandorte liegen nun
        al direkt an der Küste. Die von mir bereits erwähnten
        robleme des Stromtransits werden dadurch noch ver-
        tärkt.
        Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine dritte
        eue Aufgabe des Stromnetzes ansprechen, die in den
        ergangenen Jahrzehnten nur eine untergeordnete Rolle
        espielt hat: Die Bereitstellung von Kapazitäten für ei-
        en europaweiten Stromhandel und -transport. Neben
        em Ausbau der Kuppelkapazitäten erfordert die Schaf-
        ung eines einheitlichen europäischen Energiemarktes
        inen Ausbau von Höchstspannungsleitungen, um den
        tromtransit ermöglichen zu können. Auf EU-Ebene
        ind mit den transeuropäischen Elektrizitätsnetzen be-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19599
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        reits prioritäre Trassen identifiziert worden, deren Neu-
        oder Ausbau für das Zusammenwachsen des europäi-
        schen Strommarkts notwendig ist. Die Netzbetreiber ha-
        ben mit den Planungen für den Neu- und Ausbau zahlrei-
        cher Höchstspannungsleitungen teilweise bereits vor
        mehreren Jahren begonnen. Die Projekte kommen
        jedoch kaum voran, weil die Dauer der Genehmigungs-
        verfahren in Deutschland zu nicht vorhersehbaren Ver-
        zögerungen führt. Darauf hat nicht zuletzt die Bundes-
        netzagentur im Januar dieses Jahres im Rahmen einer
        Auswertung der Netzzustands- und Netzausbauberichte
        der Übertragungsnetzbetreiber hingewiesen. Zusätzlich
        bilden sich zunehmend lokale Widerstände gegen
        Höchstspannungs-Freileitungen.
        Wenn wir unsere ehrgeizigen energie- und klimapoli-
        tischen Ziele erreichen wollen, dann müssen wir mit
        dem Netzausbau entscheidend vorankommen. Der hier
        vorliegende Gesetzentwurf ist ein entscheidender und
        dringend notwendiger Schritt auf diesem Weg. Ein we-
        sentliches Element ist die Aufstellung eines Bedarfs-
        plans mit der Definition von Höchstspannungsleitungen
        des vordringlichen Bedarfs, der alle fünf Jahre fortge-
        schrieben wird. Für diese Vorrangprojekte wird der
        Rechtsweg – in Analogie zum Infrastrukturplanungsbe-
        schleunigungsgesetz – auf das Bundesverwaltungsge-
        richt als erste und letzte Instanz verkürzt. Weiterhin wird
        für Leitungen zur Netzanbindung von Offshore-Wind-
        kraft ein Planfeststellungsverfahren eingeführt. Diese
        Maßnahmen sind eine wesentliche Voraussetzung, um
        die mit dem Gesetz angestrebte und notwendige Be-
        schleunigungswirkung tatsächlich zu erreichen.
        Der zweite zentrale Punkt ist die Festlegung von vier
        Pilotvorhaben, in denen der teilweise Einsatz von Erdka-
        beln getestet werden soll. Dies ist sicherlich der umstrit-
        tenste Punkt des Gesetzes, um den auch zwischen den
        Ressorts heftig gerungen wurde. Die vier Pilotprojekte
        sind so ausgewählt worden, dass sie die Trassenverläufe
        mit den größten lokalen Widerständen – beispielsweise
        wegen der Querung von Natur- und Landschaftsschutz-
        gebieten oder besonders geringen Abständen zur Wohn-
        bebauung – abbilden. Ich persönlich hege eine gewisse
        Sympathie für den Einsatz von Erdkabeln. Bei Verab-
        schiedung des Gesetzes sollten wir allerdings auch si-
        cher sein, dass der Einsatz von Erdkabeln wirklich zur
        Beschleunigung des Verfahrens durch Abbau regionaler
        Widerstände führt. Als Wirtschaftspolitiker sind mir die
        damit verbundenen Kosten natürlich nicht gleichgültig.
        Ein zeitlicher oder technischer Mehrwert könnte diese
        Investitionen rechtfertigen. Das setzt allerdings die tech-
        nische Gleichwertigkeit von Freileitungen und Erdka-
        beln voraus. Freileitungen sind seit Jahrzehnten bei
        Höchstspannungsleitungen Stand der Technik. Bei Erd-
        kabeln dagegen gibt es – bezogen auf die Nutzung als
        Wechselstromleitung auf Höchstspannungsebene an
        Land – bisher nur wenige internationale Erfahrungen,
        auf die wir zurückgreifen können. Als Tourismuspoliti-
        ker erlaube ich mir auch die Feststellung, dass Freilei-
        tungen aus landschaftsgestalterischen Gründen nicht
        überall wünschenswert sind. Bevor wir endgültig die
        Teilverkabelung von Höchstspannungstrassen mit Erd-
        kabeln zulassen, sollten wir sicher sein, dass die einge-
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        etzte Technologie auch ausgereift ist. Ich plädiere daher
        ür ein umfangreiches Monitoring der Pilotprojekte. Wir
        ollten in den Beratungen der kommenden Wochen vor-
        rteilsfrei prüfen, ob der Einsatz von Erdkabeln den
        echnischen Anforderungen entspricht. Die Beschleuni-
        ung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze ist not-
        endig. Lassen Sie uns den dafür notwendigen Rahmen
        chaffen.
        nlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Bundesverant-
        wortung für den Steuervollzug wahrnehmen
        (Tagesordnungspunkt 11)
        Antje Tillmann (CDU/CSU): Mit schöner Regelmä-
        igkeit bringt die Linkspartei Vorschläge zum Steuer-
        ollzug. Leider sind diese oft schlecht recherchiert und
        äufig auch nicht auf dem aktuellen Stand. Dieser An-
        rag heute ist da aber wirklich ein „Highlight“: Die Vor-
        ürfe, die gegen Landes- und Bundesfinanzverwaltung
        rhoben werden, sind entweder veraltet, falsch oder un-
        ahr. An einigen Stellen kommen dem Leser des An-
        rags der Linkspartei ernste Zweifel, ob die Antragsteller
        berhaupt der Diskussion um einen effizienteren Steuer-
        ollzug in der Föderalismuskommission gefolgt sind.
        Der Beschlussantrag der Linksfraktion wird im We-
        entlichen mit Stellungnahmen und Gutachten begrün-
        et, die bereits vor der Föderalismusreform I liegen.
        So müssen wir uns tatsächlich mit einem Zitat des
        MF vom 11. Mai 2004 beschäftigen, wonach die Län-
        er in „Versuchung geraten, die Intensität der Steuerer-
        ebung an zweifelhaften standortpolitischen Interessen
        uszurichten“. Dabei haben die Kollegen der Linken
        ohl die Föderalismuskommission I verschlafen. Der
        MF hat seitdem verstärkte Weisungsrechte gegenüber
        en Landesfinanzverwaltungen. Zum Beispiel kann er
        inen bundeseinheitlichen IT-Einsatz anweisen, einheit-
        iche Verwaltungsgrundsätze und gemeinsame Vollzugs-
        iele und Regelungen zur Zusammenarbeit festlegen, so-
        eit die Mehrzahl der Länder nicht widerspricht. Das
        undeszentralamt für Steuern hat mehr Einfluss auf In-
        alte und Verfahren bei den Außenprüfungen bekom-
        en. Außerdem wurden die Auskunftserteilung und die
        nzeigen in Steuerfragen verbessert.
        Überholt ist auch der zitierte Bericht des Bundesrech-
        ungshofes vom 17. Oktober 2006. Die zugrunde liegen-
        en Erhebungen konnten die Rechtsänderungen infolge
        er Föderalismusreform I noch gar nicht berücksichti-
        en, da sie erst am 11. September 2006 in Kraft getreten
        aren.
        Bereits mit der Föderalismusreform I wurde im Fi-
        anzverwaltungsgesetz eine bessere Koordination der
        teuerverwaltungen durchgesetzt. Nach § 20 Abs. 1 FVG
        ann der BMF jetzt einen bundeseinheitlichen IT-Ein-
        atz anweisen, sofern nicht die Mehrzahl der Länder wi-
        erspricht. Gerade auf dem Feld der elektronischen Da-
        enverarbeitung ist seit dem Rechnungshofbericht aus
        19600 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        dem Jahre 2006 Grundlegendes verändert worden.
        Spricht man mit Praktikern der Finanzverwaltung von
        Bund und Ländern, merkt man sehr schnell, dass nach
        Fehlschlägen mit dem System Fiskus das nun einver-
        nehmlich betriebene Konzept KONSENS ein Erfolg ist
        und Erweiterungen auch werden.
        Die elektronische Steuererklärung (ELSTER) mit
        über 100 Millionen übermittelten Steuerfällen jährlich
        ist ebenso ein Beleg dafür. Gerade in den letzten beiden
        Jahren wurden weitere IT-Projekte in Angriff genom-
        men, zum Beispiel die länderumfassende Namensab-
        frage, die insbesondere eine länderübergreifende Be-
        kämpfung des Umsatzsteuerbetrugs unterstützt. Ab dem
        Veranlagungszeitraum 2010 soll die Steuerfestsetzung
        von den Finanzämtern mit einer einheitlichen Software
        erfolgen.
        Auch die Koordination der sogenannten Außenprü-
        fungen zwischen den Landesfinanzverwaltungen und
        dem Bundeszentralamt für Steuern wurde verbessert.
        Die Länder haben die seinerzeit vom Bundesrechnungs-
        hof geäußerten Kritikpunkte aufgegriffen und ent-
        wickeln derzeit Kriterien für ein bundeseinheitliches
        Risikomanagement bei Betriebsprüfungen. Nach Anga-
        ben der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen das
        durchschnittliche Mehrergebnis pro geprüften Betrieb
        seit 2002 mehr als verdoppelt, von rund 57 000 DM auf
        rund 75 000 Euro im Jahre 2007.
        Die Linkspartei begründet ihren Antrag wie folgt:
        „Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Dezember
        2007 haben Bundesländer ausdrücklich damit um Unter-
        nehmen geworben, dass sie auf intensive Steuerprüfun-
        gen verzichten“. Tatsächlich steht in der FAZ unter die-
        sem Datum:
        Die Berechnungen über Einsparungen, die durch
        eine Zentralisierung der Steuerverwaltung zu erzie-
        len seien, beruhen auf der Annahme, dass einige
        Landesregierungen auf intensive Steuerprüfungen
        verzichten, um Wirtschaftsunternehmen zur An-
        siedlung in ihrem Bundesland zu veranlassen.
        Wer solche Behauptungen vorträgt, muss sie mit Be-
        weisen untermauern.
        Einfach wird es nicht sein, solche Beweise zu finden.
        Denn der Präsident des Bundesrechnungshofs hat in sei-
        nem Schreiben vom 19. Dezember 2007 (veröffentlicht
        als Kommissionsdrucksache 110) geschrieben:
        Ich möchte ausdrücklich betonen, dass niemand aus
        dem Kreise der Mitglieder des Bundesrechnungs-
        hofs den Vorwurf erhoben hat, die Länder würden
        bewusst den Steuervollzug vernachlässigen.
        Die Antragsteller hätten Monate lang Zeit gehabt, die
        zitierte Kommissionsdrucksache zu verwerten.
        Dem Bundesfinanzminister vorzuwerfen, er habe auf
        die Forderung der Deutschen Steuergewerkschaft,
        10 000 zusätzliche Stellen bei den Finanzämtern zu
        schaffen, „äußerst zurückhaltend reagiert“, zeigt, dass
        die Linke von klarer Zuständigkeitsverteilung gar nichts
        hält. Wie hätte der Bundesfinanzminister denn reagieren
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        ollen? In den Bundeshaushalt zusätzliche Stellen ein-
        tellen, obwohl die Verwaltung bei den Ländern liegt?
        as wäre sogar verfassungswidrig. Diese Kritik am
        MF ist völlig daneben.
        Zitat aus dem Antrag der Linkspartei:
        Die Bundesregierung wird ihrer Verantwortung für
        einen gleichmäßigen Steuervollzug nicht gerecht.
        Sie hat nicht die Absicht, innerhalb der laufenden
        Legislaturperiode einheitliche Verwaltungsgrund-
        sätze, gemeinsame Vollzugsziele oder Regelungen
        zur Zusammenarbeit der Bundes- und Landes-
        finanzbehörden zu bestimmen, beziehungsweise
        allgemeine fachliche Anweisungen zu erteilen.
        Diese Behauptungen sind so klar und nachweisbar
        nwahr, dass es den Antragstellern peinlich sein müsste:
        ch könnte jetzt mindestens 20 Drucksachen aus der
        ommission zitieren, in denen der BMF sich genau da-
        ür eingesetzt hat. Wenn Sie Ihrer Verantwortung gerecht
        eworden wären und in der Föderalismuskommission II
        itgearbeitet hätten, wüssten Sie das! Ich will nur die
        ktuellste Drucksache zitieren:
        Der Bericht der zuständigen AG hält fest:
        Im Hinblick auf das Thema „Effizienzsteigerung
        des Steuervollzugs“ sind folgende Punkte strittig:
        BMF hatte vorgeschlagen, ein allgemeines fachli-
        ches Weisungsrecht im Bereich der Auftragsver-
        waltung klarstellend in der Verfassung zu veran-
        kern.
        Bei Ihrer Forderung, „zum Konflikt mit den Bundes-
        ändern überzugehen!“, macht sich nur noch blanke
        einlichkeit über ihre Vorstellung von Verhandlungsfüh-
        ung breit.
        Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
        rung auf, …
        4. parallel zu den Verhandlungen zur Steuerverwal-
        tung in der Föderalismuskommission II die Mög-
        lichkeiten zu sondieren, auf gerichtlichem Wege ihr
        Weisungsrecht gegenüber den Ländern geltend zu
        machen und die Länder zu einem konsequenten
        Steuervollzug zu verpflichten. Dadurch stärkt die
        Bundesregierung auch ihre Position in den Ver-
        handlungen der Föderalismus-Kommission.
        Zeitgleich zu Verhandlungen Klage zu erheben, wird
        estimmt das Klima verbessern. Die Länder werden
        ann bestimmt zu Kompromissen bereit sein.
        Angesichts der Tatsache, dass die Steuerverwaltung
        ändersache ist, Steuergesetze regelmäßig der Zustim-
        ung des Bundesrates bedürfen und für eine Grundge-
        etzänderung eine Zweidrittelmehrheit auch im Bundes-
        at erforderlich ist, ergibt der Vorschlag wirklich keinen
        inn, außer dem, die Verwaltung im Chaos untergehen
        u lassen.
        Mit diesem Antrag wird erneut klar, dass es den Lin-
        en nicht um die Sache geht. Sie hat in der für die Ver-
        esserung des Steuervollzugs zuständigen Arbeitsgruppe
        er Föderalismuskommission II nichts beigetragen.
        uch zu dem am 1. Oktober von dieser Arbeitsgruppe
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19601
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        verteilten Bericht hat kein Kommissionsmitglied der
        Linkspartei Stellung genommen.
        Uns ist an Effizienzsteigerungen der Steuerverwaltun-
        gen, gerade auch im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit
        des Steuervollzugs, gelegen.
        Deshalb haben wir konkrete Vorschläge in die Föde-
        ralismuskommission II eingebracht – übrigens auch
        viele andere.
        Wir haben uns daher in der für die Steuerverwaltung
        zuständigen Arbeitsgruppe der Föderalismuskommis-
        sion II dafür eingesetzt, dass die Themen Außenprüfun-
        gen, Controlling, Datenabgleich und Weisungsrechte
        einvernehmlich zwischen Bund und Ländern gelöst
        wird.
        Die Federführer der Arbeitsgruppe konnten einen
        Konsens erzielen über folgende Punkte:
        Erstens: Den Ausbau der Mitwirkungsrechte des Bun-
        deszentralamts für Steuern bei Betriebsprüfungen.
        Zitat aus AG2-Papier:
        Schaffung der Befugnis für das Bundeszentralamt
        für Steuern, Art und Umfang der Mitwirkung selbst
        bestimmen zu können.
        Die Einräumung eines Zustimmungsvorbehalts, bei
        Abweichung von Betriebsprüfungsergebnissen.
        Benennungsrechts des Bundeszentralamts für Steu-
        ern für Steuerpflichtige, die geprüft werden sollen.
        Zweitens: Kontrolle der Vollzugsziele für die Steuer-
        verwaltung anhand von vorgegebenen Leistungskenn-
        zahlen.
        Der BMF und die jeweilige Finanzbehörde des Lan-
        des schließen bilaterale Vereinbarungen über Ziele und
        Leistungsparameter (Kennzahlen) ab.
        Drittens: Aufstockung der Prüfer beim Bundeszen-
        tralamt für Steuern um 500 Prüfer.
        Viertens: Anonymisierte Datenübermittlung für Zwe-
        cke der Gesetzesfolgenabschätzung.
        Fünftens: Die Veranlagung von beschränkt Steuer-
        pflichtigen nach § 50 a EStG wird beim Bundeszentral-
        amt für Steuern zentralisiert, um Auslandssachverhalte
        einheitlich und flächendeckend zu betreiben.
        Diese Vorschläge sind abgestimmt mit dem BMF und
        den beauftragten Landesministern und liegen der Föde-
        ralismuskommission II vor. Wir haben uns auch auf kon-
        krete Gesetzesformulierungen verständigt, sodass einem
        erfolgreichen Gesetzgebungsverfahren nichts mehr im
        Wege stehen sollte.
        Das, meine Damen und Herren von der Linkspartei,
        sind konkrete Vorschläge für Effizienzsteigerungen im
        Steuervollzug. Schade, dass Sie sich nicht in die Niede-
        rungen der Sacharbeit in der Föderalismuskommission II
        begeben haben, sondern nur alte Phrasen dreschen.
        Liebe Kollegen der Linken, Sie haben immer noch die
        Chance, bei Föko II mitzuarbeiten Vielleicht sollten Sie
        damit knapp zwei Jahre nach dem Start beginnen.
        Ich bin sehr gespannt.
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        Lydia Westrich (SPD): Es ist schon ein paar Jahre
        er, dass die damalige Parlamentarische Staatssekretärin
        m Finanzministerium Barbara Hendricks hier im Ple-
        um die Errichtung einer Bundessteuerverwaltung ge-
        ordert hat. Die Forcierung der Betrugsbekämpfung hat
        amals im Vordergrund gestanden. Aber es ging auch da
        chon um den lückenhaften Steuervollzug in einigen
        ändern. Diese Forderung wurde als Antrag auf eine
        undessteuerverwaltung in die Föderalismuskommis-
        ion I eingebracht und natürlich von den meisten Län-
        ern abgelehnt.
        Der unterschiedliche Steuervollzug in den Ländern ist
        ein neues Problem. Der Bundesrechnungshof hat das
        chon häufiger angemahnt. Etliche Bundesfinanzminis-
        er haben sich mit mäßigem Erfolg daran versucht, auf
        inen besseren Vollzug zu dringen. Aber der Antrag, die
        inanzverwaltung in Bundesverantwortung zu überneh-
        en, hat anscheinend doch durchschlagende Wirkung
        rzielt. Die Kienbaum-Studie mit der Empfehlung für
        ine Bundessteuerverwaltung als effizientester und er-
        ragreichster Möglichkeit hat ihr Übriges dazu getan.
        ir kommen Schritt für Schritt einer effizienteren und
        leichmäßigeren Behandlung der Steuerangelegenhei-
        en näher.
        Deshalb, meine Damen und Herren von der Linken,
        ommt Ihr Antrag jetzt zur Unzeit. Erstens hinken Sie
        amit einer längst eingetretenen Entwicklung hinterher,
        nd zweitens ist es eben nicht so, wie Sie in Ihrer Be-
        ründung aufführen, dass nur eine umfassende Bestands-
        ufnahme und deren Bewertung stattfindet. In der Beant-
        ortung Ihrer Kleinen Anfrage aus dem letzten Jahr sind
        hnen die Fortschritte aus der damaligen Sicht schon
        usführlich dargelegt worden. Aber Sie greifen sich ja
        mmer nur das heraus, was Sie sehen wollen.
        Das Bundeszentralamt für Steuern erfüllt voll seine
        euen Aufgaben und erhält weitere Planstellen. Im Fi-
        anzverwaltungsgesetz wurde die Kompetenz des Bun-
        es für den Steuervollzug erheblich gestärkt. Das heißt,
        ass Ihre Forderungen zweitens und drittens quasi unnö-
        ig sind. Natürlich schöpft das Bundesfinanzministerium
        eine Möglichkeiten aus, aber im Gegensatz zu Ihren
        orderungen ist das Ministerium weiter darauf bedacht,
        ie gemeinsame Einsicht und Zusammenarbeit zu beför-
        ern. Sie benutzen in Ihrem Antrag das Wort „konsen-
        uell“ ja beinahe als Schimpfwort: Ich sage Ihnen als
        hemalige Finanzbeamtin, dass wir im Streit und Zwang
        ür unser gemeinsames Anliegen überhaupt nichts errei-
        hen. Das sieht man am Beispiel der gescheiterten Ak-
        ion „Fiskus“.
        Es gibt ein Gesamtinteresse, ja eine Gesamtverant-
        ortung von Bund und Ländern, den Steuervollzug so
        ffektiv und effizient wie möglich durchzuführen. Und
        ieses Gesamtinteresse den Bürgern und Bürgerinnen
        egenüber muss von den Partnern gleichwertig akzep-
        iert werden. Deshalb halte ich auch nichts davon, mit
        erichtlichen Entscheidungen zu drohen. Das kann die
        ronten eher verhärten. Nicht umsonst heißt das neue
        19602 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        Datenvernetzungsprogramm „Konsens“, das tatsächlich
        schon von der Mehrheit der Länder eingesetzt wird.
        Ich kann aber Ihre Ungeduld nachvollziehen. Wir ha-
        ben schon so viele Appelle an die Länder gerichtet, ihrer
        Verantwortung so nachzukommen, damit sich die Steu-
        erzahler auch gerecht behandelt fühlen. Das Anliegen,
        das hinter Ihrem Antrag steckt, wird von den Koalitions-
        partnern schon seit langem vorangetrieben. Vor allem
        die SPD-Fraktion arbeitet daran, den Steuervollzug über-
        all effektiv zu haben.
        Wenn Sie an Länderdaten kommen, werden Sie se-
        hen, dass SPD-regierte Länder längst reagiert haben.
        Trotz mangelnder Belohnung im Finanzausgleich haben
        sie ihre Prüfungsdienste ausgebaut. Da darf ich ruhig
        mal das Beispiel Rheinland-Pfalz erwähnen. Spenden,
        hat ein Unternehmer erklärt, gebe er nur in Baden-
        Württemberg, weil sein Betrieb in Rheinland-Pfalz zu
        häufig geprüft werde. Das sei Spende genug.
        Der Finanzausschuss hat vor mehr als zehn Jahren auf
        Antrag der SPD-Fraktion eine dreitägige Anhörung zur
        Lage in der Finanzverwaltung durchgeführt. Schon da-
        mals hatte der Bundesrechnungshof den mangelhaften
        Steuervollzug gerügt. Immerhin haben wir mit dieser
        Klimatagung damals erreicht, dass Finanzbeamte eigene
        Berufsbezeichnungen bekamen, die Aufwertung der
        Ausbildung als Fachhochschulstudium war dabei und
        die schnellere Ausstattung der Arbeitsplätze mit Hard-
        ware. Die Länder waren schon etwas beeindruckt und
        wollten nicht unbedingt öffentlich vorgeführt werden.
        Das ist natürlich schon viele Jahre her. Die Steuerge-
        setze sind seither noch komplizierter geworden. Die
        Fluchttechniken aus der Steuerzahlung sind durch die
        neuen Medien noch raffinierter. Neue Erscheinungen
        wie der Karussellbetrug bei der Umsatzsteuer müssen
        analysiert und bekämpft werden. Es ist ein Riesenpaket,
        das auf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fi-
        nanzverwaltung lastet. Viele sind frustriert, weil sie den
        Steuervollzug ihrer Meinung nach nicht so durchsetzen
        können, wie sie es gelernt haben. Die Masse an Fällen
        für den Einzelnen ließe eine gründliche Bearbeitung
        kaum noch zu. Da muss die Steuergerechtigkeit automa-
        tisch leiden. Es ist sicher übertrieben, innerhalb von
        Deutschland von „Steueroasen“ zu reden. Aber die For-
        derung, die Finanzverwaltung in Bundeshand zu geben,
        kommt auch nicht von ungefähr.
        Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber
        verpflichtet, zuerst einmal die Steuern hereinzuholen,
        die angefallen sind. Das verfassungsgemäße Gebot, Bür-
        ger nach ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung
        der Staatsaufgaben zu beteiligen, darf nicht durchlöchert
        werden; da sind wir uns alle einig. Es geht um den Weg,
        wie wir dieser Daueraufgabe gemeinsam gerecht wer-
        den. Da brauchen wir nicht zu verstecken, dass wir auch
        Erfolge zu verzeichnen haben. Von der bundesweiten
        Identifikationsnummer über die elektronische Steuerer-
        klärung bis zum Verwaltungsabkommen KONSENS ha-
        ben wir gerade in letzter Zeit langjährige Forderungen
        der Steuer-Gewerkschaft erfüllt. Das erleichtert die Ar-
        beit der Finanzverwaltungen.
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        Ich bin überzeugt, dass wir auch in der Föderalismus-
        ommission II ein gutes Stück mehr Verzahnung in den
        ändern erreichen. Natürlich wäre es schön, das allge-
        eine Weisungsrecht des Bundes rechtssicher zu haben.
        ber die Keule der Drohung mit dem Bundesverfas-
        ungsgericht ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ange-
        racht. Damit begegnen wir weder der Personalnot noch
        angelnder technischer Ausstattung oder befördern die
        otwendige Zusammenarbeit unter den Verwaltungen.
        as ich aber glaube, ist, dass wir schon den Druck auf
        ie Länder aufrechterhalten müssen, um bei der Födera-
        ismuskommission II ein gutes Ergebnis zu erzielen, das
        em Gebot der gleichmäßigen Besteuerung Rechnung
        rägt. Daran können wir alle arbeiten, und dazu brauchen
        ir keinen großen Konflikt.
        Wenn ich in der Financial Times warnende Über-
        chriften lese wie: „Wenn der Fiskus öfter klingelt“ oder:
        Gutverdienende werden häufiger von Prüfern aufge-
        ucht“, dann haben die Mängelrüge des Bundesgerichts-
        ofes, die sich auf die Prüfung von Millionären bezog,
        nd der Druck des Ministeriums und Parlaments durch-
        us Wirkung gezeigt. Deshalb bin ich auch ganz zuver-
        ichtlich, dass sich die Arbeitsgruppe von Bundestag
        nd Bundesrat mit ihren Vorschlägen zur Effizienzstei-
        erung der Steuerverwaltung durchsetzen wird.
        Ihr Antrag „Bundesverantwortung für den Steuervoll-
        ug wahrnehmen“ kommt nicht nur zur Unzeit, er ist
        uch falsch und überflüssig. Er impliziert, dass der Bund
        enau das bisher nicht tut. Aber Sie selbst wissen, dass
        ine ganze Menge passiert ist, das ja auch erst Wirkung
        rzielen muss. Es ist auch ungerecht den Ländern gegen-
        ber, die ihre Verantwortung in hohem Maße wahrneh-
        en.
        Wir werden diesen unnötigen Antrag ablehnen. Das
        nliegen, Steuergerechtigkeit in ganz Deutschland zu
        aben und den Steuervollzug überall gleichmäßig durch-
        uführen, wird von den Koalitionsfraktionen und dem
        undesfinanzministerium weiter als Daueraufgabe vor-
        ngetrieben.
        Dr. Volker Wissing (FDP): Dass die Linke eher
        um Zentralismus neigt, ist so neu ja nicht. Vom Zentral-
        omitee zum Zentralstaat ist es ja nur ein kleiner Weg.
        abei gibt es sehr viele positive Aspekte des Föderalis-
        us. Ein ganz wesentlicher ist zum Beispiel, dass die
        chlechte Politik einer großen Koalition von einer besse-
        en Politik in den Ländern aufgefangen werden kann.
        as von Bundeskanzlerin Angela Merkel irgendwann
        inmal angekündigte große Durchregieren ist jedenfalls
        usgeblieben. Im Gegenteil: Frau Merkel beschäftigt
        ich heute viel lieber mit Durchlavieren als mit Durchre-
        ieren.
        Unabhängig von Frau Merkels Moderationsfähigkei-
        en hat sich der Föderalismus in Deutschland bewährt.
        r steht für starke Länder und für die Vielfalt der Regio-
        en. Ein Bereich, in dem regionale Vielfalt aber definitiv
        ehl am Platze ist, ist die Steuerverwaltung. Eine bundes-
        inheitliche Steuerverwaltung ist ganz wesentlich für ei-
        en funktionierenden Wettbewerb. Und sie ist eine
        rundvoraussetzung für Steuergerechtigkeit.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19603
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        Die FDP ist für ihre Forderung nach mehr Steuerauto-
        nomie für die Länder scharf kritisiert worden. Aber was
        passiert denn zurzeit? Im Moment haben wir doch das
        Phänomen, dass großzügige Erlassmaßnahmen und laxe
        Prüfungspraktiken auf bestem Wege sind, zu einem
        Standortfaktor zu werden. Ich bin gespannt, wie lange es
        noch dauern wird, bis das erste Bundesland plakatiert:
        Wir können alles, außer prüfen.
        Dabei sind es nicht die Baden-Württemberger, die be-
        sonders großzügig mit den gemeinsam verwalteten Steu-
        ern umgehen. Berlin lässt sich in puncto Großzügigkeit
        nur ungern übertrumpfen. Bei Herrn Sarrazin können
        sich vielleicht die Arbeitslosengeld-II-Empfänger warm
        anziehen, säumigen Steuerzahlern bereitet er hingegen
        ein kuschelig-warmes Umfeld. Bei der veranlagten Ein-
        kommensteuer hat Herr Sarrazin im Jahr 2005 mal eben
        auf 2,5 Millionen Euro verzichtet. Bayern hat nur
        2,4 Millionen Euro sausen lassen. Aber der rot-rote Se-
        nat in Berlin kann es sich eben leisten.
        Wie sehr nicht nur die Steuerprüfung, sondern auch
        die -erhebung zu einem Standortfaktor geworden ist,
        verdeutlicht der große Widerstand gegen die vom Bun-
        desfinanzminister lange geforderte Bundessteuerverwal-
        tung. Wobei die von den Ländern vertretene Argumenta-
        tion, dass eine Übertragung der Steuerverwaltung auf
        den Bund die Länder zu Zuwendungsempfängern des
        Bundes machen würde, alles andere als einleuchtend ist.
        Auf der einen Seite fürchten viele Länder mehr Finanz-
        autonomie wie der Teufel das Weihwasser, auf der
        anderen Seite wird die Steuerverwaltung zu einem be-
        sonderen Element der Eigenstaatlichkeit der Länder auf-
        gebauscht. Daher geht es hier weniger um Hoheits- und
        Machtfragen, als vielmehr um Steuergerechtigkeit und
        fairen Wettbewerb. Eine lockere Finanzverwaltung darf
        nicht zu einem Wettbewerbsvorteil werden.
        Wer sagt, dies sei auch gar nicht der Fall, muss sich
        eines Besseren belehren lassen. Der Fall der Unterneh-
        mensgruppe Drinks & Food ist hier geradezu exempla-
        risch. Dies Unternehmen finanzierte seine ruinöse Wett-
        bewerbspolitik ganz wesentlich über die konsequente
        Nichtbegleichung der Branntweinsteuer. Als das Haupt-
        zollamt endlich eingriff, beliefen sich die Steuerschulden
        auf 72 Millionen Euro. Die Verbindlichkeiten machten
        sage und schreibe 82 Prozent der Bilanzsumme aus. Es
        ist ehrenwert, dass die Politik um jeden Arbeitsplatz
        kämpft, aber das darf nicht dazu führen, dass ein unehrli-
        ches Unternehmen einen Vorteil gegenüber einem ehrli-
        chen hat.
        Es ist mehr als schade, dass der Bundesminister der
        Finanzen mit seiner Maximalforderung nach einer Bun-
        dessteuerverwaltung so viel politisches Porzellan zer-
        schlagen hat. Der Sache ist auf jeden Fall nicht gedient,
        wenn der Bundesfinanzminister zwar dick die Backen
        aufbläst, ihm dann aber schon auf dem ersten Meter die
        Luft ausgeht. Manchmal ist weniger auch mehr; dies gilt
        gerade auch für politische Forderungen. Ich würde es be-
        grüßen, wenn die Bundesregierung zunächst einmal die
        ihr zur Verfügung stehenden Mittel und Weisungsrechte
        nutzt, um einen einheitlichen Steuervollzug zu gewähr-
        leisten. Erst dann ist absehbar, welche institutionellen
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        nd rechtlichen Maßnahmen ergriffen werden müssen,
        amit in Mecklenburg-Vorpommern nicht anders besteu-
        rt wird wie in Bayern.
        Die FDP fordert deshalb eine bundeseinheitliche
        teuerverwaltung. Wichtig ist nicht die Macht-, sondern
        ie Vollzugsfrage. Es ist egal, ob die Steuerverwaltungen
        em Bund oder den Ländern unterstehen, wichtig ist ein-
        ig und allein, dass überall gleiches Recht für alle gilt,
        nd zwar nicht nur auf dem Papier, sondern ganz konkret
        ei der Umsetzung.
        Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Die Steuergesetze
        elten für alle gleichermaßen. Das verlangt der Gleich-
        eitsgrundsatz der Verfassung. Er ist unvereinbar damit,
        ass Finanzämter „Durchwinktage“ einrichten oder er-
        ägen, um Einkommensmillionäre nicht mehr zu über-
        rüfen, unvereinbar damit, dass Bundesländer Sonder-
        rüfungen „herunterfahren“, dass Steuerverwaltungen zu
        achlässigem Steuervollzug angewiesen werden, ja, dass
        undesländer sogar damit um Unternehmen werben,
        ass sie auf intensive Steuerprüfungen verzichten.
        Solche Fälle sind allseits bekannt. Der Bundesrech-
        ungshof stellt seit Jahren regelmäßig fest, dass der
        leichheitsgrundsatz durch laxen Steuervollzug durch
        ie Bundesländer verletzt wird. Das Bundesfinanzminis-
        erium teilt mit, dass die Gefahr einer zweifelhaften
        tandortpolitik der Bundesländer, zum Beispiel über die
        rüffrequenz, nicht von der Hand zu weisen ist.
        Hier steht also seit Jahren der Vorwurf im Raum, dass
        ie Bundesländer vorsätzlich die Verfassung brechen,
        m im Standortwettbewerb Vorteile zu erlangen. Das
        ann das Parlament nicht dulden. Es kann nicht hinneh-
        en, dass sich die Exekutive weigert, die Gesetze durch-
        usetzen, die vom Parlament erlassen wurden.
        Die Bundesregierung hat die Letztverantwortung für
        en Gesetzesvollzug. Sie wird dieser Verantwortung
        icht gerecht. Es reicht nicht, regelmäßig die Pflichtver-
        etzung durch die Bundesländer festzustellen. Die Bun-
        esregierung ist in der Pflicht, ihre rechtlichen Möglich-
        eiten zu nutzen. Der Bund verfügt über das konkrete
        eisungsrecht. Er kann ein Land anweisen, nur speziell
        usgebildete Mitarbeiter mit einem bestimmten Ver-
        ahren zu befassen. Bei unzureichender Prüfhäufigkeit
        nd -intensität durch die Bundesländer ist er zum Ein-
        chreiten verpflichtet. Der Bund kann spätestens seit der
        öderalismusreform I einheitliche Verwaltungsgrund-
        ätze, gemeinsame Vollzugsziele und Regelungen be-
        timmen und allgemeine fachliche Anweisungen ertei-
        en. Diese sind für die Bundesländer bindend, solange
        ie Mehrheit der Länder nicht widerspricht. Sollten ein-
        elne Länder hiergegen verstoßen, muss die Bundesre-
        ierung bereit sein, ihre Zuständigkeit vom Bundesver-
        assungsgericht klären zu lassen, ähnlich wie dies im
        ompetenzstreit beim Atomrecht der Fall war. Dies er-
        ordert die Bereitschaft, von der pauschalen Konsensori-
        ntierung zum Konflikt mit den Bundesländern überzu-
        ehen. Dies ist bei einem anhaltenden Verstoß gegen den
        leichheitsgrundsatz angemessen.
        19604 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        Das Parlament hat diese Möglichkeiten nicht. Der
        Bundestag ist aber der Gesetzgeber, dessen Gesetze
        nicht konsequent vollzogen werden. Im Ergebnis sind
        diejenigen die Dummen, denen die Steuer direkt vom
        Lohn abgezogen wird. Es bleibt dem Parlament daher
        nur, die Bundesregierung zum Handeln aufzufordern –
        oder eine andere Regierung zu wählen.
        Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
        ist ein offenes Geheimnis, dass die Länderfinanzverwal-
        tungen zwischen Mecklenburg und Bayern bei der Be-
        steuerung mit unterschiedlichem Maß messen, zum Bei-
        spiel beim Prüfungsturnus, durch Stundungen oder
        Erlass von Steuern. Der Prüfungsturnus von Großbetrie-
        ben lag zwischen 3,5 und 5,4 Jahren (2005). Mittelbe-
        triebe werden bestenfalls alle 9,9, im schlechtesten Fall
        alle 18,4 Jahre geprüft. Bei der Umsatzsteuersonderprü-
        fung werden im besten Fall 2,5 Prozent der Unterneh-
        men geprüft, der schlechteste Wert lag bei 1,3 Prozent.
        Das sind Zahlen der Deutschen Steuer-Gewerkschaft,
        das Bundesfinanzministerium rückt sie nämlich nicht
        raus; das ist auch so ein Skandal, aber dazu später. Das
        ist Wirtschaftspolitik zulasten des Steuerzahlers. Von ei-
        ner Gleichmäßigkeit der Besteuerung kann gar keine
        Rede sein. Die Grünen, aber auch der Bundesrechnungs-
        hof haben diese Missstände schon seit Jahren kritisiert –
        substanziell geändert hat sich nichts!
        Die neuen Weisungsrechte des Bundes gegenüber den
        Ländern aus der Förderalismuskommission Episode I
        sind ein stumpfes Schwert. Sie nutzen dem Bund nicht,
        wenn die Mehrheit der Länder widerspricht, und die
        Länder widersprechen logischer Weise, wenn der Bund
        versucht, die Besteuerungspraxis anzugleichen.
        Die Föderalismusreform II müsste hier nachbessern.
        Die vom Bundesfinanzministerium gewünschte Bundes-
        steuerverwaltung wird aber von der Mehrheit der Länder
        weiterhin abgelehnt. Diese sind allenfalls zu kleineren
        Zugeständnissen bereit. Um aus dieser Pattsituation he-
        rauszukommen, schlagen die Grünen vor, dass die Län-
        der von einem Mehrertrag aus Betriebsprüfung und
        Steuerfahndung stärker profitieren. Damit hätten sie ei-
        nen Anreiz, beispielsweise ihre Personaldecke zu stär-
        ken; denn eine Betriebsprüferin/ein Betriebsprüfer
        brachte 2007 1,2 Millionen Euro Mehrertrag. Und wir
        brauchen mehr Transparenz über die unterschiedliche
        Besteuerungspraxis. Es ist ein politischer Skandal, dass
        die Bundesregierung länderspezifische Werte verheim-
        licht, obwohl die Daten vorliegen und dies die unge-
        rechte Besteuerungspraxis damit schützt.
        Auf meine Anfragen nach dem Prüfungsturnus in den
        Bundesländern bekam ich nur die lakonische Antwort,
        es sei „ständige Praxis des Bundesfinanzministeriums,
        nur Daten der Steuerverwaltung weiterzugeben, die das
        gesamte Bundesgebiet betreffen“. Diese Verschleie-
        rungstaktik ist für die Bürgerinnen und Bürger völlig in-
        akzeptabel. So geht es nicht, und so darf es nicht bleiben.
        Die Akzeptanz des Steuersystems durch die Bürgerin-
        nen, Bürger und Unternehmen hängt ganz entscheidend
        davon ab, dass gleichmäßig besteuert wird. Unterschied-
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        iche Steuerbelastungen nach dem Gutdünken der Län-
        erfinanzminister verletzen den Gleichbehandlungs-
        rundsatz und zu Recht das Gerechtigkeitsgefühl der
        teuerpflichtigen. Wenn eine gerechte Besteuerung nicht
        ehr gewährleistet ist, dann wird der Föderalismus zum
        otengräber der Steuergerechtigkeit. Gleichmäßige Be-
        teuerung ist eine Bringschuld der Steuerverwaltung!
        Mehr Koordinierung bei der Steuererhebung macht fi-
        anziell Sinn. Laut dem Kienbaum-Gutachten für das
        undesfinanzministerium könnte eine bessere Steuer-
        erwaltung von Bund und Ländern zwischen 5,8 und
        1,5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen im Jahr
        inspielen, zum Nutzen aller steuerzahlenden Bürgerin-
        en und Bürger.
        nlage 10
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Gesetzes über die Überführung
        der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Ge-
        sellschaft mit beschränkter Haftung in private
        Hand (Tagesordnungspunkt 12)
        Paul K. Friedhoff (FDP): Sie werden mir sicherlich
        ustimmen, wenn ich feststelle, dass Bundesländer keine
        utohersteller sind. Sie sollten dies aus guten Gründen
        uch nicht sein. Wenn ein Bundesland trotzdem meinen
        ollte, einflussreicher Aktionär bei einem Automobilun-
        ernehmen sein zu müssen, so kann es ein Viertel der
        ktien kaufen, um eine Sperrminorität zu erlangen. Es
        ollte aber keine systemwidrigen Sonderregelungen wie
        as VW-Gesetz in Anspruch nehmen können, die ihm
        ls staatlichem Aktionär Einflussnahme schon bei einem
        iedrigeren Aktienanteil garantieren.
        Eine solche systemwidrige Sonderregelung enthält
        ber das VW-Gesetz. Dieses auf ein einzelnes Unterneh-
        en bezogene Gesetz von 1960 privilegiert einen ein-
        igen Aktionär, in diesem Fall das Land Niedersachsen.
        as Gesetz hält im Ergebnis potenzielle Investoren da-
        on ab, Anteile zu kaufen, um Einfluss zu gewinnen, da
        er Anteilskauf durch die feste Stellung des Sonderak-
        ionärs weniger attraktiv erscheint.
        Die europäische Rechtsprechung kritisiert vor allem
        rei kritische Punkte im derzeitigen VW-Gesetz: Das
        ntsenderecht erlaubt es sowohl dem Bund als auch dem
        and Niedersachsen, jeweils zwei Vertreter in den VW-
        ufsichtsrat zu entsenden, sobald Bund oder Land min-
        estens zwei Aktien besitzen. Die Stimmrechtsbeschrän-
        ung verbietet es einem Aktionär unabhängig von sei-
        em tatsächlichen Kapitalanteil, mehr als 20 Prozent der
        esamtstimmrechte auszuüben. Die Regelung zur ge-
        inderten Sperrminorität erlaubt es einem Aktionär, Sat-
        ungsänderungen bereits mit einem Kapitalanteil von
        0 Prozent statt der im deutschen Aktienrecht üblichen
        5 Prozent zu blockieren.
        Die Kombination dieser Regelungen im geltenden
        W-Gesetz führt dazu, dass Grundsatzentscheidungen
        hne die Stimmen des Landes Niedersachsen nicht mög-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19605
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        lich sind und der Staatseinfluss fixiert ist. Die Privilegie-
        rung des staatlichen Aktionärs gegenüber den übrigen
        privaten beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit und ist
        als Investitionshürde mit dem Europäischen Gemein-
        schaftsrecht nicht vereinbar. Diese Kapitalverkehrsbe-
        schränkung ist auch nicht etwa zur Sicherung des Allge-
        meinwohls notwendig, wie oft behauptet. Die von der
        Bundesregierung dafür angeführten sozialpolitischen
        oder gar industriepolitischen Gründe reichen nicht aus.
        Auch ein Schutz vor feindlichen Übernahmen kann
        keine Rechtfertigung dafür bieten, VW nicht als norma-
        les Unternehmen zu behandeln. Dies hat der EuGH
        mehrfach deutlich gemacht.
        Die Bundesregierung meint dennoch, die Auffassung
        des Europäischen Gerichtshofes beharrlich ignorieren zu
        können. Die Justizministerin probiert einfach weiter am
        Gesetz herum, ohne eine klare Lösung zu schaffen. Der
        EuGH wird das VW-Gesetz aber zu Recht erst akzeptie-
        ren, wenn seine Kritikpunkte ausgeräumt sind. Die Bun-
        desregierung wird dies wissen. Dennoch ist sie nicht
        lernwillig, sondern provoziert ein Vertragsverletzungs-
        verfahren nach dem nächsten. Es kann und darf jedoch
        nicht sein, dass die deutschen Steuerzahler am Ende von
        Brüssel verhängte Strafgelder bezahlen müssen, nur weil
        die Bundesregierung dem Land Niedersachsen eine eu-
        roparechtswidrige Sonderrolle länger sichern will.
        Nach Ansicht der FDP sind Vetorechte für den Staat
        bei einem im Wettbewerb stehenden Unternehmen nicht
        nötig. Wenn in Unternehmenspolitik vom Staat hineinre-
        giert werden kann, so ist dies für das Unternehmen kei-
        nesfalls förderlich. Hat ein Aktionär Sonderrechte, so
        liegt in dieser Begünstigung klar die Gefahr, dass er sie
        im Eigeninteresse und zulasten der „normalen Aktio-
        näre“ ausnutzt. Ein Wegfall von Sonderrechten und
        „Goldenen Aktien“ ist daher zur Stärkung der Hauptver-
        sammlung als legitimem Eigentümergremium geboten.
        Ein besonderer gesetzlicher Schutzwall ist nach unse-
        rer Meinung für das Unternehmen Volkswagen nicht nö-
        tig. Der Schutz der Eigentümerinteressen wird ebenso
        wie die Durchsetzung der Hauptversammlungsbe-
        schlüsse durch Aktiengesetz und Handelsgesetzbuch für
        VW – wie für alle anderen Aktiengesellschaften – ge-
        währleistet. Das Beibehalten eines Einzelfallgesetzes ist
        unnötig. Nötig dagegen ist, die Volkswagen-Aktienge-
        sellschaft als ein normales Unternehmen zu betrachten.
        Da Volkswagen nicht gleicher oder ungleicher ist als an-
        dere Autobauer, muss der Staatseinfluss konsequent zu-
        rückgefahren werden. Die Verfechter einer starken Be-
        teiligung der öffentlichen Hand an diesem Unternehmen
        sollten bedenken, dass das VW-Gesetz früher einmal
        „VW-Privatisierungsgesetz“ genannt wurde.
        Die Volkswagen AG muss in diesem Zusammenhang
        auch keine Angst vor dem Einstieg beispielsweise von
        Porsche haben. Wenn bei VW zwölfmal so viel Men-
        schen wie bei Porsche arbeiten, aber nur sechsmal so
        viel Autos bauen, zeigt dies, dass für Effizienzsteigerun-
        gen bei VW durchaus noch Raum ist. Wenn die Bundes-
        regierung im Fall Volkswagen auf Protektionismus setzt,
        so torpediert sie damit vor allem die Förderung des
        europäischen Binnenmarktes. Mitgliedsländer mit pro-
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        ektionistischen Tendenzen in ihrer Industriepolitik wie
        rankreich, wo häufig auch deutsche Mittelständler dis-
        riminiert werden, dürften sich durch eine Beibehaltung
        es VW-Gesetzes bestätigt sehen.
        Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dafür einset-
        en, dass bei Volkswagen in Zukunft das Verhältnis zwi-
        chen Kapitalanteil und Kontrolle wieder proportional
        nd europarechtskonform nach dem Prinzip „Eine Aktie,
        ine Stimme“ ausgestaltet wird. Wir streiten für die
        ückkehr zu den Regeln der sozialen Marktwirtschaft
        m Prozess um das VW-Gesetz. Einen Dauerstreit der
        undesjustizministerin mit der EU-Kommission auf
        osten der Steuerzahler gilt es zu vermeiden.
        nlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung zu den
        Anträgen:
        – Die Eingliederungshilfe für Menschen mit
        Behinderungen weiterentwickeln
        – Gesetz zum Ausgleich behinderungsbeding-
        ter Nachteile vorlegen (Nachteilsausgleichs-
        gesetz – NAG)
        – Wettbewerb in der Eingliederungshilfe stär-
        ken – Wahlfreiheit und Selbstbestimmung
        der Menschen mit Behinderung erhöhen
        (Tagesordnungspunkt 13)
        Hubert Hüppe (CDU/CSU): Wir debattieren heute
        ie Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der
        DP-Fraktion sowie über einen Antrag der Fraktion Die
        inke. Alle Anträge befassen sich in unterschiedlicher
        eise mit der Zukunft und der Weiterentwicklung der
        ingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.
        ch will nicht verhehlen, dass ich für alle Anträge Sym-
        athien habe.
        Eines vorweg: Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
        st es ein wichtiges Anliegen, die Eingliederungshilfe
        eiterzuentwickeln. Auch wir sehen Reformbedarf, um
        ine moderne und teilhabeorientierte Behindertenpolitik
        eiterhin zu ermöglichen. Ich glaube, in diesem Punkt
        ind wir uns fraktionsübergreifend einig. Um jedoch
        em Anspruch gerecht zu werden, die Eingliederungs-
        ilfe vor allem zukunftsfest und krisensicher zu gestal-
        en, braucht es konkretere Veränderungen im SGB XII
        nd anderen Gesetzen als die in den vorliegenden Anträ-
        en vorgeschlagenen.
        Bereits bei der ersten Lesung des Antrages der Grü-
        en habe ich deutlich gemacht, dass ich mit den Grund-
        deen weitgehend übereinstimme. Allerdings ist der An-
        rag an zentralen Stellen nicht zu Ende gedacht, nicht
        ealisierbar bzw. in einigen Punkten auch falsch. Dies
        ilt insbesondere für die Kernforderung nach dem soge-
        annten Teilhabegeld. Wenn man diese Leistung, so wie
        on Ihnen vorgeschlagen, kostenneutral umsetzen
        ürde, so würde dies für die meisten Menschen mit Be-
        19606 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        hinderungen, die heute Leistungen erhalten, bedeuten,
        dass sie Einbußen in Kauf nehmen müssten. Sie müssen
        dann aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen der
        Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, so ehrlich sein und das
        den Betroffenen sagen. Unter dem Gesichtspunkt der
        Praktikabilität halte ich es für fraglich, ob länderspezifi-
        sche Nachteilsausgleiche, zum Beispiel das Blindengeld,
        in ein solches Bundesgesetz – wie das Teilhabegeld –
        mit einbezogen werden könnten.
        Sie fordern in Ihrem Antrag eine konsequentere
        Steuerung des Zugangs zu den Werkstätten für behin-
        derte Menschen. Dass im Bereich der Steuerung der Zu-
        gänge in die Werkstätten Handlungsbedarf besteht, sehe
        ich auch. Aus diesem Grund wird heute noch der Gesetz-
        entwurf zur Unterstützten Beschäftigung eingebracht.
        Mit dem Instrument der Unterstützten Beschäftigung
        wollen wir insbesondere jungen Menschen zu einem Ar-
        beitsplatz am allgemeinen Arbeitsmarkt verhelfen, die
        zurzeit nur die Möglichkeit haben, in einer Werkstatt für
        behinderte Menschen zu arbeiten. Dies ist sicherlich nur
        ein Mosaikstein, um Alternativen zu schaffen, aber es ist
        eben viel schwieriger, konkret ein Gesetz zu formulie-
        ren, als hehre Grundsätze zu bekräftigen.
        In diesem Zusammenhang ist es eine allgemein be-
        kannte Tatsache, dass es unter der rot-grünen Bundesre-
        gierung den mit Abstand höchsten Zuwachs in Werkstät-
        ten für behinderte Menschen gab. Im Jahre 2002 gab es
        einen Rekordzuwachs mit über 25 000 zusätzlichen
        Werkstattplätzen. Dieser Zuwachs war mehr als dreimal
        so hoch wie im Jahr zuvor und danach. Die außerge-
        wöhnlich starken Zuwächse fielen genau in die Zeit der
        rot-grünen Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehin-
        derte“. Sie hatten damals versprochen, die Zahl der ar-
        beitslosen Schwerbehinderten um 50 000 bis zum Okto-
        ber 2002 zu senken. Es stellte sich nur die Frage, wohin
        diese fast 50 000 weniger Arbeitslosen „entschwunden“
        waren. Ob hier zwischen der gesunkenen Zahl an ar-
        beitslosen schwerbehinderten Menschen und dem außer-
        gewöhnlichen Zuwachs in Werkstätten im Jahre 2002
        ein Zusammenhang bestehen könnte, kann jeder für sich
        selbst beantworten.
        Auch will ich darauf hinweisen, dass Sie zu Ihrer Re-
        gierungszeit gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
        den Heimbewohnern ab 1. Januar 2005 den Zusatzbarbe-
        trag in Höhe von bis zu 44 Euro gestrichen haben. Das
        hat zur Folge, dass gerade alte Menschen in Heimen,
        auch wenn sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben,
        ein deutlich geringeres Taschengeld pro Monat bekom-
        men als vor der Streichung des Zusatzbarbetrages.
        Der Antrag der Fraktion Die Linke klingt wie ein
        Wunschkatalog. Mit dem Antrag wird die Bundesregie-
        rung aufgefordert, ein Nachteilsausgleichgesetz für
        Menschen mit Behinderungen vorzulegen. Zwei Anmer-
        kungen drängen sich mir auf, wenn ich mir den Antrag
        durchlese. Zum einen: Die Fraktion Die Linke legt kei-
        nen eigenen Gesetzentwurf vor, sondern fordert die Bun-
        desregierung auf, ein Gesetz vorzulegen. Zu den Grün-
        den schweigt sie sich aus. Zum anderen werden in dem
        Antrag Leistungen auf Bundesebene gefordert, bei de-
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        en nicht ausgeführt wird, wie die Kosten hierfür ge-
        eckt werden sollen.
        Es ist schon verwunderlich, dass die Fraktion Die
        inke in ihrem Antrag neue Leistungen fordert, aber
        ort, wo sie in der Regierungsverantwortung ist, Leis-
        ungen für behinderte Menschen kürzt und einspart. So
        urden in Berlin beispielsweise unter einer rot-roten
        oalition nicht nur das Blindengeld gekürzt, sondern
        uch Einsparungen im Bereich der Behindertenfahr-
        ienste, Mobilitätshilfen und Wohlfahrtsverbände vorge-
        ommen.
        Noch ein paar Sätze zum Antrag der FDP-Fraktion
        nd den darin enthaltenen – vier Sätze umfassenden –
        orderungen. Die FDP will mehr Wettbewerb zwischen
        rbringern von Leistungen der Eingliederungshilfe.
        uch die Union ist dafür, mehr Wettbewerb in diesem
        ereich zu schaffen. Das gilt auch für den Bereich der
        eilhabe am Arbeitsleben. Hier gibt es bereits gute An-
        ätze, beispielsweise in Niedersachsen mit dem Persönli-
        hen Budget für Werkstattleistungen. Aber: Bei all dem
        eränderungsbedarf, den wir im Bereich der Leistungs-
        nbieter ebenfalls sehen, muss darauf geachtet werden,
        ass die Strukturen, die sich bewährt haben, erhalten
        leiben. Wettbewerb darf nicht zulasten der Qualität der
        eistungen gehen.
        Solange die FDP nicht sagt, wie sie ihre Ideen umset-
        en will – und das tut sie in ihrem Antrag nicht –, ist der
        ntrag für uns nicht zustimmungsfähig.
        Die Reform der Eingliederungshilfe für Menschen
        it Behinderung ist ein äußerst schwieriges Vorhaben.
        n manchen Bereichen sind wir schon auf dem richtigen
        eg, beispielsweise mit der oben genannten Unterstütz-
        en Beschäftigung. Diese eröffnet die Chance auf einen
        egulären Arbeitsplatz, sodass die Eingliederungshilfe
        m Arbeitsbereich der Werkstätten nicht greifen muss.
        Kürzlich hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein
        achgespräch zur Unterbringung von behinderten Kin-
        ern in Pflegefamilien veranstaltet. Wir waren uns einig,
        ass Kinder mit Behinderungen, die nicht in ihren Her-
        unftsfamilien verbleiben können, die Chance bekom-
        en, in einer Pflegefamilie anstatt in einem Heim zu le-
        en. Deswegen wollen wir gesetzliche Klarstellungen,
        m dies zu ermöglichen.
        Sicher ist: Wir brauchen eine umfassende Reform der
        ingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.
        ei all unseren Forderungen und Verbesserungsvor-
        chlägen sind wir aber auch auf die Unterstützung der
        änder angewiesen. Denn: Die Länder tragen in erster
        inie die Kosten für Eingliederungshilfeleistungen.
        Wichtigster Grundsatz bei einer Reform der Einglie-
        erungshilfe ist, dass der Mensch mit Behinderung in
        en Mittelpunkt gerückt wird. Die Betroffenen müssen
        elber entscheiden können, wo sie wohnen und arbeiten
        ollen. Leistungen müssen dem Menschen mit Behinde-
        ung folgen und nicht der Mensch den Leistungen.
        Ich bitte Sie alle: Schaffen wir nicht noch mehr Büro-
        ratie, sondern vereinfachen wir den Behördendschun-
        el, damit die Betroffenen nicht ständig von Pontius zu
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19607
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        Pilatus rennen müssen, um das zu bekommen, was ihnen
        zusteht.
        Wir haben hier im Parlament schon oft bewiesen, dass
        wir – wie vielleicht in keinem anderen Politikbereich –
        in behindertenpolitischen Entscheidungen über Frak-
        tionsgrenzen hinweg an einem Strang ziehen können.
        Gerade die Reform der Eingliederungshilfe dürfte – ge-
        rade weil so viel auf dem Spiel steht und weil so viele
        beteiligt sind – eine der schwierigsten politischen Aufga-
        ben sein. Aber da dieser Nachteilsausgleich so wichtig
        ist für die Betroffenen, lohnt es sich, weiter daran zu ar-
        beiten, auch wenn man nicht alles sofort umsetzen kann.
        Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Ich werde es im-
        mer wieder sagen: Das SGB IX ist ein hervorragendes
        Gesetz. Wir haben damals gemeinsam gesagt, Leistun-
        gen müssen aus einer Hand und zu den Menschen kom-
        men.
        Das Gegenteil ist heute der Fall – wir alle wissen es,
        denn wir alle bekommen die Briefe, und Betroffene und
        Verbände stehen uns jeden Tag auf den Füßen. In der
        Anhörung wurde sehr deutlich, dass wir großen Hand-
        lungsbedarf in der Eingliederungshilfe haben und da-
        rüber hinaus im gesamten Sozialleistungsrecht. Wir ha-
        ben Strukturen, die zersplittert und für die Menschen
        undurchsichtig sind. Von Barrierefreiheit und Zugäng-
        lichkeit kann da keine Rede sein. Wir haben ein System,
        dass zuerst nach dem Warum einer Leistung fragt und
        wenig auf individuelle Bedarfe eingeht, ein System, das
        so unterschiedliche gesetzliche Leistungsansprüche for-
        muliert, dass eine bloße Zusammenschnürung zu einem
        Leistungspaket nicht machbar ist.
        Zu groß sind die bürokratischen Hürden. Zum Bei-
        spiel ist die Pflegeversicherung noch immer nicht Reha-
        Träger, obwohl die gesetzlichen Regelungen des SGB IX,
        die diese Strukturen zur Teilhabe zusammenbinden sol-
        len, ein Wunsch- und Wahlrecht und einen personenzen-
        trierten Budgetansatz eingeführt haben. Die guten An-
        sätze gibt es, das haben wir in der Anhörung gehört. Sie
        müssen genutzt werden. Deshalb bringt es nichts und ist
        sogar gefährlich, an diesem System, an dem die Länder
        großes Mitentscheidungsrecht haben, wahllos herumzu-
        schneiden.
        Wir haben die Konferenz der obersten Landessozial-
        behörden, die über die Grundlinien berät, und nach der
        ASMK im November wissen wir sicher mehr. Es gibt
        eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen Pflegebe-
        dürftigkeitsbegriffs. Hier wird es mit Sicherheit auch
        mehr Ansätze zur Personenzentrierung geben. Wir dis-
        kutieren derzeit die Ergebnisse.
        Was wir brauchen, wissen wir: Wir brauchen Perso-
        nenzentrierung, Assistenz, Transparenz und weniger Bü-
        rokratie – eben Entscheidungen aus einer Hand. Die Ser-
        vicestellen funktionieren nicht – das wissen wir. Aber
        warum nicht? Weil die Kostenträger diese Strukturen
        nicht akzeptieren und geradezu boykottieren. Sie haben
        noch immer nicht verstanden, dass wir mit dem SGB IX
        trägerübergreifende Lösungen ermöglichen wollten,
        Leistungen aus einer Hand.
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        Wir brauchen den Aufbau und die Förderung eines
        mbulanten Beratungs- und Unterstützungssystems, um
        on den alten stationären Strukturen wegzukommen. Die
        nhörung hat gezeigt, wie es nicht geht: Es geht nicht
        it Experimenten wie einem Nachteilsausgleichsgesetz.
        as würde zu kurz greifen und auch der Komplexität des
        roblems nicht gerecht werden. Es besteht die große
        efahr, dass gerade aufgrund des eingeschränkten Per-
        onenkreises von Menschen mit einem GdB ab 50 Perso-
        en ausgeschlossen werden und neue Schnittstellenpro-
        leme zu deren Leistungsansprüchen geschaffen werden.
        ir wollen ja keine Bewegung zwischen Leistungssys-
        emen fördern, sondern bedarfsgerechte personen-
        entrierte Leistungen, die barrierefrei und ohne „Fleisch-
        eschau“ für den Menschen mit Unterstützungsbedarf
        ind.
        Es geht auch nicht über die bloße Forderung nach
        ehr Markt für Anbieter. Wir wollen doch einen Markt
        chaffen, auf dem die Betroffenen sich bewegen können.
        as muss ein Wettbewerb um Qualität sein und nicht um
        nstitutionelle Effizienz und geringe Kosten. Da bleibt
        ann wieder alles auf der Strecke, was wir uns für die
        enschen wünschen, nämlich, dass das Wunsch- und
        ahlrecht kein Wunschtraum bleibt bzw. nicht von In-
        titutionen ausgeübt wird.
        Die Sachverständigen haben in der Anhörung dafür
        lädiert, die Betroffenen mit mehr Marktmacht auszu-
        tatten und die Beratung zu verstärken. Das halte ich für
        en weit besseren Weg, Bewegung in die institutionelle
        andschaft zu bringen. Denn wir wollen keine Entwick-
        ung wie in der Pflegeversicherung, wo nicht nur bei pri-
        aten Trägern längst der Wettbewerb um den billigsten
        eimplatz läuft. In diese Abwärtsspirale werden nicht
        ur die Betroffenen, sondern auch die Beschäftigten hi-
        eingezogen. Im ambulanten und stationären Pflegebe-
        eich werden deshalb zum Teil sittenwidrige Löhne ge-
        ahlt. Es muss einen Mindestlohn in diesem Bereich
        eben. Mehr Markt in der Eingliederungshilfe bedeutet
        benfalls sinkende Löhne, keine Qualität. Das wollen
        ir nicht! Wir wollen eine hohe Qualität und gute
        öhne. Es ist richtig, dass in einem System Leistungs-
        nsprüche an die Person gebunden werden sollten. Wir
        aben das mit dem Persönlichen Budget gemacht und
        lauben, dass man so die Zuständigkeits- und An-
        pruchszersplitterung in der Reha überwinden kann.
        uch ein Mindestlohn kann nicht nur auf dem allgemei-
        en Arbeitsmarkt gelten, er muss auch in der Werkstatt
        ültigkeit erlangen. Auch dort arbeiten die Menschen
        eden Tag. Was bekommen sie dafür? Einen Tritt in den
        intern, einen lumpigen Lohn, die konsequente Anrech-
        ung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld bei Grundsiche-
        ungsempfängern, und Sie müssen dann das Essen selbst
        ezahlen. Sie haben am Ende des Monats, wenn es gut
        eht, 100 Euro übrig.
        Im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich
        ird derzeit ein neues Fass aufgemacht, bei dem man
        ur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen kann.
        n § 45 SGB XII ist ganz klar geregelt, dass Menschen,
        ie auf Betreiben des Fachausschusses in die Werkstatt
        ommen, als voll erwerbsgemindert gelten. Jetzt haben
        ir auf Betreiben des BMAS und der BA die Situation,
        19608 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        dass Grundsicherungsempfänger im Berufsbildungsbe-
        reich nicht mehr als erwerbsgemindert gelten sollen. Sie
        seien eben nicht „dauerhaft“ erwerbsgemindert – obwohl
        das in der Überschrift des § 45 SGB XII steht und diese
        Entscheidung des Fachausschusses gilt und auch renten-
        versicherungsrechtlich bindend ist.
        Es ist zunächst gut, dass man Menschen in dieser
        Phase nicht für den Arbeitsmarkt verloren gibt. Aber es
        ist skandalös, wenn diese Menschen aufgefordert wer-
        den, Arbeitslosengeld II oder Hilfe zum Lebensunterhalt
        zu beantragen. Die Menschen werden wieder im System
        hin- und hergeschoben. In dem gegenwärtigen System
        werden wir immer wieder mit solchen Fragen konfron-
        tiert.
        Warum? Weil dieses gegliederte System streng nach
        institutionellen Gesichtspunkten strukturiert wurde.
        Diese historische Entwicklung gilt es endlich aufzubre-
        chen, damit Menschen mit Behinderung ihre Ansprüche
        mitnehmen können. Dann brauchen wir auch nicht mehr
        darüber zu diskutieren, wo und warum welche Leistung
        hier und nirgendwo anders erbracht werden muss.
        In der Analyse sind wir uns doch alle einig – nur müs-
        sen wir in der Konsequenz auch zu übergreifenden Kon-
        zepten kommen, die unser gemeinsames Anliegen trag-
        fähig machen. Deshalb ist mein Plädoyer, aus dem
        SGB IX ein barrierefreies Leistungsgesetz zu entwickeln
        und das viele Geld im System neu zu verteilen, nämlich
        so, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt
        ihre Leistungen erhalten, wenn sie Unterstützungsbedarf
        haben, damit Leistungen nach dem Normalitätsprinzip
        da erbracht werden können, wo es fachlich sinnvoll ist,
        und nicht da, wo es schon Anbieter gibt. Denn das sind
        dann immer die Werkstätten in der alten Form. Das sind
        dann die Wohnheime. Und es gibt viele Träger dieser
        Einrichtungen, die davon weg wollen. Wir haben eine
        zunehmende Zahl von Werkstätten, die auf Integrations-
        betriebe und auf Außenarbeitsplätze setzen. Auch das
        Modell der virtuellen Werkstatt findet Beachtung.
        In meinem Heimatland Sachsen-Anhalt gibt es zum
        Beispiel den CAP-Markt in Quedlinburg; es gibt viele
        solcher Beispiele. Bei den Wohnheimen möchte ich nur
        die Evangelische Stiftung Alsterdorf in Hamburg, die
        Evangelische Stiftung Hephata Mönchengladbach und
        das Johanneswerk in Bielefeld nennen. Ich konnte mich
        dort selbst davon überzeugen, wie der Weg in die Nor-
        malität funktionieren kann.
        Diese Träger haben ihre Heime aufgelöst und normale
        Wohnverhältnisse für die Bewohner hergestellt. Hier
        geht man den Weg der Inklusion. Wir wollen nicht gegen
        die Institutionen agieren, sondern nur mit ihnen wird es
        gelingen. Einige haben die Zeichen der Zeit erkannt.
        Aber unsere Bürokratie hält fest an den alten Pfründen.
        Davon wollen und müssen wir weg, wenn wir die UN-
        Konvention ernst nehmen. Denn sie sagt uns doch:
        Macht endlich etwas für die Chancengleichheit, für die
        Inklusion und die volle und vor allem wirksame Teil-
        habe. Deshalb brauchen wir auf dieser Basis einen offe-
        nen Diskussionsprozess, wie wir ihn schon einmal
        hatten – bei der Einführung des SGB IX.
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        Wenn heute behauptet wird, das gäbe es in Deutsch-
        and doch schon, dann sage ich: Ihr irrt, denn ihr kennt
        ie Situation vor Ort nicht, wo sich Eltern oder Kinder
        it Behinderung durch Instanzen klagen müssen, um
        on der Kasse oder dem Sozialamt etwas Hilfe im Alltag
        u bekommen, das ist unverschämt und menschenver-
        chtend – einfach skandalös. Wo es noch immer einen
        irekten Zusammenhang von Förderschulabschluss und
        erkstattbeschäftigung gibt. Wo sich Menschen mit
        sychischen Erkrankungen vergeblich um eine wirk-
        ame Integration in den Arbeitsmarkt bemühen. Wo sich
        enschen die ständige Kontrolle ihrer Finanzen und ih-
        es Gesundheitszustandes von der Kita bis ins Pflege-
        eim gefallen lassen müssen. Wo Menschen mit Behin-
        erung einen Lohn weit unterhalb jeder sittlichen
        chwelle erhalten und davon auch noch für ihre Hilfs-
        ittel zuzahlen müssen. Das nimmt den Menschen mit
        ehinderung die Würde, und das hängt ganz stark mit
        nserem gegliederten Leistungssystem zusammen. Die-
        es wiederum ist Ausdruck unserer Geisteshaltung ge-
        enüber Menschen mit Unterstützungsbedarf. Das hat
        ns die Anhörung gezeigt und wir Abgeordnete kennen
        s von unseren täglichen Gesprächen mit den Betroffe-
        en und den Verbänden und vor Ort.
        Sagen wir es deshalb, wie es ist: Nicht einer von uns
        uss diesen zusätzlichen Aufwand betreiben, um leben
        nd arbeiten zu können. Nicht einer von uns kann sich
        orstellen, unter diesen Bedingungen zu leben, immer
        nter dem Generalverdacht, nur noch mehr Leistungen
        bgreifen zu wollen. Diese Menschen wollen in der Ge-
        ellschaft ankommen und nicht länger ausgeschlossen
        leiben. Warnen muss man jedoch davor, Teillösungen
        u bevorzugen, wo übergreifende Erneuerung und Wei-
        erentwicklung gefragt ist. Die Ratifizierung der UN-
        onvention wird uns dazu das geeignete Instrument an
        ie Hand geben. Es wird entscheidend sein, ob sich die
        ächste Bundesregierung auf ein solches Vorhaben mit
        en Ländern verabreden kann, denn Inklusion ist der
        chlüssel. Ich möchte deshalb schließen mit den Worten
        es hochverehrten ehemaligen Herrn Bundespräsidenten
        ichard von Weizsäcker: „Was nicht erst getrennt wird,
        uss hinterher nicht integriert werden.“
        Heinz-Peter Haustein (FDP): Zu Beginn meiner
        ede möchte ich gerne darauf verweisen, welch ambitio-
        ierte Aussagen die schwarz-rote Koalition in ihrem
        oalitionsvertrag zur Reform der Eingliederungshilfe
        etroffen hat:
        Gemeinsam mit den Ländern, Kommunen und den
        Verbänden behinderter Menschen werden wir die
        Leistungsstrukturen der Eingliederungshilfe so wei-
        terentwickeln, dass auch künftig ein effizientes und
        leistungsfähiges System zur Verfügung steht. Dabei
        haben der Grundsatz „ambulant vor stationär“, die
        Verzahnung ambulanter und stationärer Dienste,
        Leistungserbringung „aus einer Hand“ sowie die
        Umsetzung der Einführung des Persönlichen Bud-
        gets einen zentralen Stellenwert. Wir wollen, dass
        die Leistungen zur Teilhabe an Gesellschaft und
        Arbeitsleben zeitnah und umfassend erbracht wer-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19609
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        den. Hierzu bedarf es der effektiven Zusammen-
        arbeit der Sozialleistungsträger.
        Der Bundesarbeitsminister hat in den Beratungen
        zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung nochmals
        betont, dass man auf gutem Wege sei, zusammen mit den
        Ländern zu einer Einigung über die Reform der Einglie-
        derungshilfe zu kommen. Dennoch bleibt es dabei: Trotz
        vollmundiger, wiederholter Ankündigung ist in drei Jah-
        ren zur Eingliederungshilfe nichts passiert.
        Im Gegenteil: Heute ist es wieder einmal an der Op-
        position, die Bundesregierung anzutreiben und Vor-
        schläge zur Zukunft der Eingliederungshilfe vorzulegen.
        Der Antrag meiner Fraktion fokussiert dabei auf die zur-
        zeit sehr restriktive Zulassung zur Erbringung von Leis-
        tungen der Eingliederungshilfe, die letztlich zu Nachtei-
        len für Menschen mit Behinderung führt.
        Prinzipiell ist für die FDP das Persönliche Budget der
        beste Weg, um die Wahlfreiheit der Menschen mit Be-
        hinderung zu stärken und es ihnen zu ermöglichen, das
        zu ihren Bedürfnissen am besten passende Hilfearrange-
        ment zu bestimmen. Aber auch das sozialrechtliche
        Dreiecksverhältnis, der Sachleistungsbezug, soll wettbe-
        werblicher mit dem Ziel einer Stärkung der Wahlfreiheit
        und Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung
        ausgestaltet werden. Voraussetzung hierfür ist ein plura-
        les Leistungsangebot in einem für neue Anbieter offenen
        Markt.
        Dies ist allerdings momentan nicht gewährleistet. Es
        liegt letztlich im Ermessen des Trägers der Eingliede-
        rungshilfe, ob ein neuer Anbieter zur Leistungserbrin-
        gung zugelassen wird. Der Antrag fordert deshalb, die
        Zulassung zur Erbringung von Leistungen der Einglie-
        derungshilfe unter Wahrung gesetzlich vorgegebener
        (Qualitäts-)Standards im Interesse der Menschen mit Be-
        hinderung offener zu gestalten. Die Interessen der Kos-
        tenträger sind dabei zu berücksichtigen.
        Leistungsanbieter haben signalisiert, dass hierbei als
        erster Schritt schon eine schiedsstellenfähige Ausgestal-
        tung aller Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII
        – Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung –
        hilfreich wäre, was auch in der Anhörung unterstrichen
        wurde. Ob die Einführung eines Anspruchs auf Zulas-
        sung, analog der Regelung im SGB XI, auch unter Kos-
        tengesichtspunkten zielführend wäre, sollte in einem
        zweiten Schritt geprüft werden.
        Dabei möchte ich betonen, was in der Anhörung auch
        unterstrichen wurde, dass mit den im Antrag vorgesehe-
        nen Änderungen weder eine Beschäftigungsgarantie
        noch eine Auslastungsgarantie für neu zugelassene An-
        bieter verbunden ist. Zudem geht es uns nicht um Wett-
        bewerb um des Wettbewerbs willen. Der Wettbewerb
        soll hier vielmehr Mittel zum Zweck sein, wenn es da-
        rum geht, das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen
        mit Behinderung überhaupt erst zu gewährleisten. Ein
        funktionsfähiger Wettbewerb setzt den Leistungsanbie-
        tern Anreize, ihre Angebote an den Bedürfnissen der
        Nutzer zu orientieren. Dass dabei nicht qualitative Min-
        deststandards über Bord geworfen werden sollen, haben
        wir ebenfalls explizit im Antrag festgehalten.
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        Im Antrag der Grünen sehen wir positive Ansätze,
        ber auch Sachverhalte die wir kritisieren müssen:
        Es ist unter allen an der Diskussion um die Reform
        er Eingliederungshilfe Beteiligten nahezu unstrittig,
        ass die Differenzierung in der Erbringung von Leistun-
        en nach Leistungsformen, -orten und -anbietern entfal-
        en und in Richtung an der Person orientierter Hilfen
        eiterentwickelt werden soll. Je nach Ausgestaltung
        önnte die FDP-Bundestagsfraktion dies auch mittragen.
        ie Finanzierung einer Budgetassistenz als zusätzliche
        eistung bei Inanspruchnahme von Leistung in Form des
        ersönlichen Budgets ist ebenfalls zu begrüßen, erlaubt
        ie es doch auch Menschen mit Einschränkungen im
        ognitiven Bereich, diese Möglichkeit zu nutzen.
        Andererseits sollten hinsichtlich eines neuen Verfah-
        ens zur Erhebung des Unterstützungsbedarfs wie auch
        ines neuen Behinderungsbegriffs die Ergebnisse des
        eirates zur Überarbeitung des Pflegebereichs abgewar-
        et werden, die diese Bereiche unter Umständen tangie-
        en werden. Selbiges gilt auch für Leistungen der gesetz-
        ichen Pflegeversicherung in stationären Einrichtungen
        er Behindertenhilfe.
        Letzteres hätte zudem, wie auch die Zusammenfas-
        ung bisheriger Nachteilsausgleiche zu einem Nachteils-
        usgleich des Bundes, Mehrkosten in durch den Antrag
        icht bezifferter Höhe zur Folge, einerseits für den
        und, andererseits für die gesetzliche Pflegeversiche-
        ung. Auch dies gilt es hier zu beachten und in die Be-
        ertung des Antrags einzubeziehen. Die FDP hat immer
        etont, dass die Unterstützung von Selbstständigkeit,
        elbsthilfe und Selbstbestimmung von Menschen mit
        ehinderung eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die die
        inanzielle Solidarität zwischen Bund, Ländern und Ge-
        einden erfordert.
        Wir werden uns deshalb zum Antrag der Grünen ent-
        alten.
        Den Antrag der Linken hingegen werden wir ableh-
        en. Er enthält zum einen weitreichende Vorhaben ohne
        onkrete Refinanzierungsvorschläge: aus Steuereinnah-
        en des Bundes. Zum anderen ist kritisch hervorzuhe-
        en, dass die Höhe der konkret zu gewährenden Leistun-
        en grundsätzlich nach bundeseinheitlich festgelegten
        aßstäben erfolgen soll. Die Tatsache, dass unterschied-
        iche regionale Preisniveaus keine Auswirkung auf die
        edarfsfestsetzung haben soll, erscheint unflexibel und
        ngerecht. Unter dem Punkt der fehlenden Flexibilität ist
        usätzlich zu kritisieren, dass die Leistungen über einen
        eitraum von fünf Jahren zu bewilligen sind.
        Zudem wurde in der Anhörung kritisiert, dass die
        urch den Antrag getroffene Abgrenzung – die Vor-
        chläge des Antrags sollen nur für Personen ab einem
        rad der Behinderung von 50 gelten – Ungerechtigkei-
        en, neue Bürokratie und Rechtsunsicherheit – man hätte
        ann ja im Endeffekt zwei verschieden ausgestaltete Hil-
        esysteme – zur Folge hätten. Insbesondere hinsichtlich
        er Ungerechtigkeiten ist dies doch verwunderlich, will
        er Antrag doch eigentlich gegen Ungerechtigkeiten an-
        ehen.
        19610 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Ich komme zum Schluss noch einmal auf den ein-
        gangs erwähnten Passus im Koalitionsvertrag zurück:
        Schwarz-Rot hat drei Jahre Regierungszeit in der Behin-
        dertenpolitik verschlafen. In dem verbleibenden knap-
        pen Jahr Ihrer Regierungszeit werden Sie eine grundle-
        gende Reform der Eingliederungshilfe im versprochenen
        Umfang nicht mehr bewerkstelligen. Sie haben Ihre
        Chance nicht genutzt und werden deshalb 2009 keine
        zweite mehr bekommen.
        Mit einem herzlichen Glückauf aus dem Erzgebirge!
        Dr. llja Seifert (DIE LINKE): Bundestagsabgeord-
        nete bekommen täglich viele Briefe per Post und E-Mail.
        Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, aber auch Ver-
        eine, Initiativen, Verbände und Unternehmen wenden
        sich an uns, mit Problemen, Nöten und Hoffnungen. Ich
        bekomme als behindertenpolitischer Sprecher meiner
        Fraktion sehr viel Post von Menschen mit Behinderun-
        gen. Sie sind wichtig für meine Arbeit, geben wichtige
        Hinweise und Anregungen, machen aber oft auch betrof-
        fen und hilflos.
        Einen Brief vom September aus Bayern möchte ich
        Ihnen gern auszugsweise zur Kenntnis geben:
        Ich heiße Kerstin S., bin 33 Jahre alt und habe eine
        angeborene Querschnittslähmung.
        Nun zu meinem Problem. Ich arbeite seit etwa zehn
        Jahren im öffentlichen Dienst, habe also eine „nor-
        male“ Arbeit. Bisher bin ich in Pflegestufe II einge-
        stuft, erhalte also 400 Euro. Die Pflege übernehmen
        noch meine Eltern. Es ist aber so, dass meine Eltern
        auch nicht mehr so richtig können. Deshalb wollte
        ich in ein „betreutes Wohnen“ ziehen.
        Nun der Schock: Die nehmen mich nicht, weil das
        Geld für meinen relativ hohen Pflegeaufwand nicht
        ausreicht. Errechnet wurde, dass ich im Monat über
        1 200 Euro bezahlen müsste, wenn ich einen Pfle-
        gedienst nehme. Den restlichen Betrag müsste ich,
        laut Aussage des Amtes, von meinem Gehalt allein
        übernehmen. Da bleibt mir ja nichts übrig. Wenn
        ich mit dem Arbeiten aufhöre, bekomme ich alles
        bezahlt. Das finde ich unmöglich. Ich würde einse-
        hen, wenn ich einen gewissen Betrag zuzahlen
        müsste. Aber ich möchte auch was behalten von
        meinem Gehalt und mir auch was leisten, was an-
        dere halt auch machen. Ich bin doch eine ganz „nor-
        male“ junge Frau, die auch was von ihrem Leben
        haben möchte.
        Was hat dieser Brief mit dem heutigen Thema des
        Nachteilsausgleichs für Menschen mit Behinderungen
        und der Eingliederungshilfe zu tun? Meines Erachtens
        sehr viel, wird doch die ganze Tragik unseres Behinder-
        tenrechts deutlich. Behindert sein bedeutet in dieser Ge-
        sellschaft, in der Regel auch arm zu sein. Ja, wir haben
        nicht nur im Zusammenhang mit Hartz IV, sondern auch
        bei Menschen mit Behinderungen Armut per Gesetz.
        Die junge querschnittsgelähmte Oberfränkin, die eine
        „ganz normale“ junge Frau sein möchte, fällt genau in
        die Lücke zwischen gönnerhafter Fürsorge und selbstbe-
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        timmtem Leben. Damit sie auch „etwas von ihrem Le-
        en haben“ kann, braucht sie den Ausgleich ihrer behin-
        erungsbedingten Nachteile, sprich Alltagsassistenz.
        ätte sie die, wäre das Arbeitseinkommen dieser Ange-
        tellten im öffentlichen Dienst so auskömmlich, wie das
        rbeitseinkommen einer Angestellten im öffentlichen
        ienst in Bayern eben ist. Da das jedoch keinesfalls für
        ie notwendigen Aufwendungen zum Ausgleich der be-
        inderungsbedingten Nachteile ausreicht, bietet ihr die
        önnerhafte Fürsorge eine „Alternative“: Hör auf zu ar-
        eiten und lass dich – lebenslänglich – voll alimentieren!
        Das ist eine Zumutung, die wir eigentlich schon hinter
        ns haben könnten, wenn der vielbeschworene Paradig-
        enwechsel in der Behindertenpolitik tatsächlich bereits
        ollzogen wäre. Die Alternative darf nicht sein, Arbeit
        der Alimente, sondern muss sein Arbeit plus Ausgleich
        ehinderungsbedingter Nachteile. Das erst würde die
        reie Wahl des Wohnortes und der Assistenzpersonen,
        lso selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Genau dieses
        onzept liegt dem Antrag der Linken auf ein Nachteils-
        usgleichsgesetz zugrunde. In der Anhörung am 2. Juni
        008 hoben fast alle Sachverständigen diesen konzeptio-
        ellen Ansatz ausdrücklich lobend hervor. Die Frage ist
        mmer: Wie viel ist der Gesellschaft das selbstbestimmte
        eben ihrer behinderten Mitglieder wert? Würde unser
        ntrag umgesetzt werden, wäre das Problem von Ker-
        tin S. gelöst.
        Dank des preisgekrönten Conterganfilms und der Pro-
        este von Menschen mit Conterganschäden – ich denke
        ier unter anderem an den fast vierwöchigen Hunger-
        treik von Conterganopfern und ihren Angehörigen in
        ergisch Gladbach – bekamen das Schicksal und die
        öte der circa noch 2 700 lebenden Contergangeschä-
        igten eine größere Öffentlichkeit. Obwohl diese Men-
        chen zusätzlich zu den Leistungen aus dem Behinder-
        en- und Sozialrecht eine viel zu kleine monatliche
        ntschädigung aus der Conterganstiftung erhalten, leben
        ast alle – und ihre Angehörigen – in Armut, reicht das
        eld oft nicht für dringend notwendige medizinische
        ersorgung, für Hilfsmittel, Assistenzleistungen oder die
        eckung von Kosten für die Anpassung von Kleidung,
        ie Wohnumwelt und das für die Mobilität notwendige
        ahrzeug. Gesundheitliche Spätfolgen, Eltern, die inzwi-
        chen in ein Alter kommen, wo sie nicht mehr wie bisher
        elfen können, eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten
        nd fehlende Alterssicherungen machen die Lage zuneh-
        end katastrophaler. Ähnliches gilt auch für viele an-
        ere Menschen mit Behinderungen und hier ist es relativ
        gal, ob es für die Behinderung, einen Schuldigen gibt,
        b es eine Behinderung von Geburt an ist oder sie im
        aufe des Lebens dazukam.
        Dies zeigt in aller Deutlichkeit, wie dringend behin-
        erungsbedingte Nachteilsausgleiche gebraucht werden.
        ern möchte ich noch einmal wesentliche Bestandteile
        es Konzeptes aufzeigen:
        Nach wie vor unterliegen die realen Teilhabemöglich-
        eiten von Menschen mit Behinderungen und/oder chro-
        ischen und seelischen Erkrankungen größeren Er-
        chwernissen als bei anderen Menschen. Das betrifft
        owohl die Alltagsbewältigung und Arbeitsplatzsuche,
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19611
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        die freie Wahl der Wohnform als auch Kultur- und Frei-
        zeitaktivitäten. Barrieren in baulicher wie kommunika-
        tiver Hinsicht sind trotz BBG und Verordnungen zur
        Barrierefreiheit noch vielerorts anzutreffen. Dadurch ist
        auch die Persönlichkeitsentfaltung der Betroffenen be-
        einträchtigt.
        Wer dem Sinn von Art. 3 Satz 1 Grundgesetz – „Alle
        Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ – wirklich Rech-
        nung tragen will, muss – den real existierenden unglei-
        chen Voraussetzungen folgend – ungleiche Maßnahmen
        treffen. Konkret gesagt: Behinderungsbedingte Nach-
        teile müssen ausgeglichen werden. Nur so können Chan-
        cengleichheit und Chancengerechtigkeit hergestellt wer-
        den. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen sind
        dafür unzureichend. Sie setzen in vielen Bereichen auf
        das ehrenamtliche Engagement der behinderten Men-
        schen sowie ihrer Freunde und Angehörigen. Perma-
        nente Überforderung wird dabei billigend in Kauf ge-
        nommen. Die dadurch entstehenden finanziellen,
        körperlichen und seelischen Zusatzbelastungen dieser
        Personen werden von der Gesellschaft bisher weitge-
        hend ignoriert.
        Volle Teilhabe und Persönlichkeitsentfaltung umfas-
        sen alle Lebensbereiche: von der Intimsphäre über Woh-
        nen, Lernen, Arbeiten, Alltagsbewältigung, Kultur,
        Sport, Urlaub, Freizeitgestaltung bis zu bürgerschaftli-
        chem Engagement, religiöser und/oder politischer Betä-
        tigung usw.
        Grundlegendes Prinzip soll laut Antrag der Linken für
        ein „Gesetz zum Ausgleich behinderungsbedingter
        Nachteile (NAG)“ sein: Geiche Leistung bei vergleich-
        barer Beeinträchtigung. Wir wollen das Finalitätsprinzip
        konsequent umsetzen. Demnach richten sich Leistungs-
        ansprüche nicht mehr nach der Ursache der Beeinträchti-
        gung (Kausalitätsprinzip).
        Schwerpunkt der Nachteilsausgleichsleistungen soll
        personale Assistenz in vielfältigen Erscheinungsformen
        sein. Dabei richtet sich der Umfang personaler Assistenz
        am individuellen Bedarf des behinderten Menschen aus.
        Notwendig ist ein Gesetz, das dem Ziel der Stärkung der
        selbstbestimmten Teilhabe behinderter Menschen am
        Gemeinschaftsleben gerecht wird, das dem Ziel eines
        bedarfsdeckenden Ausgleichs behinderungsbedingter
        Nachteile gerecht wird und das dem Ziel der Vereinheit-
        lichung des Behinderten rechts und der tatsächlichen
        Gleichstellung aller behinderter Menschen untereinander
        und mit nicht behinderten Menschen gerecht wird.
        NAG-Leistungen sind als einkommens- und vermögens-
        unabhängige Ansprüche auszugestalten.
        Am 13. November diskutieren wir in erster Lesung
        über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur im De-
        zember 2006 beschlossenen UN-Konvention über die
        Rechte von Menschen mit Behinderungen. Eigentlich
        müsste ich an dieser Stelle über die schlechte Überset-
        zung ins Deutsche reden, wodurch wichtige inhaltliche
        Intentionen der Konvention verfälscht bzw. aufgeweicht
        werden. Und das wird dann auch noch in den Status ei-
        ner amtlichen Übersetzung erhoben.
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        Eigentlich müsste ich an dieser Stelle über die in den
        esetzentwurf eingefügte „Denkschrift“ reden, mit der
        ie Bundesregierung eigenartige Interpretationen der
        inzelnen Artikel der Konvention sanktioniert haben
        öchte und fernab vom wirklichen Leben suggerieren
        ill, dass sich die Behindertenpolitik in Deutschland be-
        eits mit den Maßstäben und Anforderungen, die die
        onvention an die Staaten stellt, messen lassen kann.
        Eigentlich müsste ich an dieser Stelle über die Illu-
        ion der Bundesregierung reden, dass diese Konvention
        hne zusätzliche Kosten in Bund, Ländern und Gemein-
        en und ohne Umsetzungs- bzw. Vollzugsgesetz in
        eutschland mit Leben erfüllt werden kann.
        Ich sprach hier über ein Konzept, das wichtige
        chritte zur vollen Teilhabe von Menschen mit Behinde-
        ungen in der Gesellschaft vorzeichnet. Der Antrag der
        inken ist ein Ergebnis jahrzehntelanger Diskussionen
        nnerhalb der emanzipatorischen Behindertenbewe-
        ung. Seine Umsetzung könnte ein entscheidender
        chritt bei der Umsetzung der UN-Konvention in natio-
        ales Recht sein. Das dahinter stehende Konzept bleibt
        ktuell. Daran kann auch die heutige Ablehnung unseres
        ntrages durch die Mehrheit des Parlaments nichts än-
        ern.
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Las-
        en Sie mich zur abschließenden Beratung noch einmal
        ns Gedächtnis rufen, warum wir im Januar dieses Jahres
        inen solch ausführlichen Antrag in den Bundestag ein-
        ebracht haben. Menschen mit Behinderungen und de-
        en Eltern stehen heute, wie in der Vergangenheit, vor ei-
        em Wust an unterschiedlichen Systemen, Institutionen
        nd Voraussetzungen, wenn sie Leistungen beantragen
        ollen. Er erinnert an ein schwer zu durchschauendes
        abyrinth, in dem behinderte Menschen von einer Sack-
        asse in die nächste geleitet werden, stets auf der Suche
        ach einer individuellen, bedarfsgerechten Leistung.
        us diesem Grund ist die Forderung nach einem eigen-
        tändigen Leistungsgesetz für behinderte Menschen zu
        nterstützen. Mit unserem Antrag möchten wir die
        rundlage für eine solche Lösung legen.
        Darüber hinaus will Bündnis 90/Die Grünen mit dem
        ntrag den Bedürfnissen nach mehr Selbstständigkeit
        nd Selbstbestimmung nachkommen. Das System der
        ilfen in seiner jetzigen Form wird den Lebenswirklich-
        eiten längst nicht immer gerecht und schöpft auch die
        ur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Verwirkli-
        hung eines eigenständigen Lebens nicht aus. Die Ein-
        ommens- und Vermögensanrechung stellt ein großes
        indernis dar. Das Wunsch- und Wahlrecht der Men-
        chen mit Behinderungen steht für uns im Mittelpunkt
        ller Überlegungen.
        Ein dritter Grund für unsere parlamentarische Initia-
        ive ist der wachsende Kostendruck auf die Träger der
        ingliederungshilfe durch eine ständig steigende Zahl
        on Menschen, die auf ebendiese Leistungen angewie-
        en sind. Dies wäre an und für sich ja nicht schlimm,
        ürden sich in den letzten Monaten und Jahren nicht die
        nzeichen verdichten, dass die Träger der Eingliede-
        ungshilfe versuchen, Ausgaben auf Kosten der betroffe-
        19612 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        nen Menschen einzusparen. So zeigen Beispiele aus
        Baden-Württemberg, Hessen und Berlin, wie Sozialhil-
        feträger Leistungsberechtigte im Eingangsverfahren und
        im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte
        Menschen in das SGB II abzuschieben versuchen. Auch
        wenn dies nicht rechtens ist, zeigt es doch, wie hoch der
        Druck der Sozialhilfeträger auf die betroffenen Men-
        schen ist. Es wird nicht der letzte Versuch gewesen sein,
        Eingliederungshilfeleistungen mitunter zurückzuhalten
        oder einfach zu verweigern.
        Aus all den genannten Gründen ist es nun zwingend
        notwendig, weitere Schritte einzuleiten. Ich bedauere
        sehr die von der deutschen Bundesregierung angenom-
        mene Haltung, hier ausschließlich die Bundesländer in
        der Pflicht zu sehen. Zwar ist es gut, dass das von mir
        angemahnte Pingpongspiel zwischen Bund und Ländern
        nun vorerst ein Ende hat. Doch sich jetzt vonseiten des
        Bundes zurückzulehnen, das Spiel für unterbrochen zu
        erklären und auf den nächsten Aufschlag der Bundeslän-
        der zu warten, wird der Sache nicht gerecht.
        Die jüngst erschienenen und von Fachverbänden für
        behinderte Menschen in Auftrag gegebenen Gutachten
        zu den Auswirkungen der Föderalismusreform auf die
        Sozialhilfe und das SGB IX ergeben ganz eindeutig auch
        weiterhin die Möglichkeit des Bundes, den materiell-
        rechtlichen Gehalt der im SGB XII geregelten Eingliede-
        rungshilfe zu verändern und Leistungsausweitungen vor-
        zunehmen. Es ist von daher überhaupt nicht einzusehen,
        warum sich die Bundesregierung im Rahmen der Ar-
        beits- und Sozialministerkonferenz zwar beteiligt, aber
        selbst keine konkreten Vorschläge macht. Auch die von
        anderen Fraktionen geäußerten Vorwände, unser Antrag
        würde sich in Teilen selbst ad absurdum führen, da er
        keine Bundeskompetenz berührt, sind gegenstandslos.
        In den Bereichen wie etwa zum Wunsch- und Wahl-
        recht, zur Ausführung von Sachleistungen als Geldleis-
        tungen oder zum Anspruch auf Auskunft und Beratung
        kann der Bund, so die in Auftrag gegebenen Gutachten,
        sogar ohne Zustimmung des Bundesrates gesetzgebe-
        risch tätig werden. Dass auch weiterhin bundeseinheitli-
        che Regelungen vonnöten sind, um unterschiedliche
        Leistungsansprüche in den Bundesländern nicht zu ver-
        schärfen, zeigen die aktuellen Beispiele aus Mecklen-
        burg-Vorpommern. Dort wurde und wird wieder einmal
        versucht, das Landesblindengeld zu kürzen. Dieses Bei-
        spiel zeigt, dass es an der Zeit ist, die bestehenden Nach-
        teilsausgleiche zu einem einheitlichen Teilhabegeld des
        Bundes zusammenzufassen.
        Die Voten der Koalitionsfraktionen gegen unseren
        Antrag bei Stimmenthaltung der FDP im federführenden
        Ausschuss für Arbeit und Soziales sind aus sachlichen
        Gründen nicht nachvollziehbar. So zeigte die öffentliche
        Ausschussanhörung vom 2. Juni 2008 doch ganz eindeu-
        tig, dass fast ausnahmslos alle Sachverständigen einen
        hohen Handlungsbedarf bei der Weiterentwicklung der
        Eingliederungshilfe sehen.
        Übereinstimmend positiv äußerten sich die Sachver-
        ständigen zu den Vorschlägen, bei der Eingliederungs-
        hilfe das Prinzip des Nachteilsausgleiches walten sowie
        die Hilfe personenzentriert zukommen zu lassen. Mittel-
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        ristig müsse ein eigenes Leistungsrecht für Menschen
        it Behinderungen entstehen, das aus der Sozialhilfe
        usgegliedert sei. Hier bedürfe es ganz dringend auch
        er finanziellen Beteiligung des Bundes.
        Der Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behin-
        erungen müsse unabhängig vom Ort und dafür dauer-
        aft flexibel „gewährt“ werden, so die Sachverständigen.
        ohe Zustimmung fand unser Vorschlag, die Trennung
        er Hilfeformen „ambulant“, „stationär“ und „teilstatio-
        är“ zu überwinden. Die Idee, zumindest ambulante Hil-
        en anrechnungsfrei zu stellen, schreibe die Trennung
        er Hilfeformen zwar tendenziell fest, könne aber als
        urzfristiger Anreiz etabliert werden.
        Weder die Bundesregierung noch die Koalitionsfrak-
        ionen dürfen vor den Ergebnissen der öffentlichen An-
        örung die Augen verschließen. Bündnis 90/Die Grünen
        ird sehr aufmerksam die Resultate der Arbeits- und So-
        ialministerkonferenz, die zum Ende des Jahres hin an-
        ekündigt sind, verfolgen und den Handlungsdruck auf
        ie Bundesregierung aufrechterhalten.
        Wir werden die Bundesregierung nicht aus der Pflicht
        ntlassen, insbesondere vor dem Hintergrund der UN-
        onvention über die Rechte von Menschen mit Behinde-
        ungen weitere Schritte zur Weiterentwicklung der Ein-
        liederungshilfe vorzunehmen. Auch vom Kabinettsbe-
        chluss, wonach die Konvention keine Neuerungen für
        as deutsche Recht bringe, lassen wir uns nicht beirren.
        ie Eingliederungshilfe darf zukünftig nicht mehr dem
        ürsorgegedanken folgen. Die Eingliederungshilfe ist
        emäß dem UN-Übereinkommen ein internationales
        enschenrecht.
        nlage 12
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
        Personalausweise und den elektronischen Iden-
        titätsnachweis sowie zur Änderung weiterer
        Vorschriften (Tagesordnungspunkt 14)
        Clemens Binninger (CDU/CSU): Die Bundesregie-
        ung legt mit dem Gesetzentwurf über Personalausweise
        nd den elektronischen Identitätsnachweis einen zu-
        unftsweisenden Gesetzentwurf vor.
        Worum geht es im Kern? Es geht neben Konsequen-
        en, die sich aus der Föderalismusreform für das Aus-
        eiswesen ergeben, zum einen darum, den neuen Perso-
        alausweis vielseitiger nutzbar zu machen, zum anderen
        arum, ihn sicherer zu machen.
        Mehr als 60 Millionen Menschen sind in der Bundes-
        epublik im Besitz eines Personalausweises. Ohne
        weifel handelt es sich dabei um eines der fälschungs-
        ichersten Ausweisdokumente überhaupt. Das ist richtig.
        enn man aber allein auf die Fälschungssicherheit
        chaut, verkennt man ein ganz wesentliches Problem:
        er eine falsche Identität vortäuschen will, wird keinen
        ersonalausweis fälschen, weil er mit dem gefälschten
        okument sehr wahrscheinlich bei Kontrollen auffliegen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19613
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        wird. Wer sich mit einer falschen Identität ausweisen
        möchte, wird sich einen echten Personalausweis besor-
        gen, mit dem echten Lichtbild einer Person, die ihm ähn-
        lich sieht. Und diesen Ausweis wird er missbrauchen, in-
        dem er sich als Inhaber des Ausweises ausgibt, den er
        gar nicht besitzt. Die Chance, dass bei einer konventio-
        nellen, optischen Kontrolle von Person und Ausweisbild
        dieser Missbrauch auffällt, ist gering.
        Aktuell sind über 2,2 Millionen Bundespersonalaus-
        weise in Deutschland als gestohlen oder verloren gemel-
        det. Praktisch heißt das: Mehr als 2,2 Millionen Bürger,
        denen ein fälschungssicherer Bundespersonalausweis
        abhanden gekommen ist, leben mit dem Risiko, dass mit
        ihrem Ausweis und damit mit ihrer Identität, Straftaten
        begangen werden im In- und im Ausland. Ich glaube,
        wer diese Gefahr einfach ausblendet, möchte nur die
        halbe Wahrheit sehen.
        Warum haben wir denn – übrigens unter Rot-Grün –
        den elektronischen Pass mit biometrischen Merkmalen
        eingeführt? Doch genau, um vor Missbrauch zu schüt-
        zen. Genau hier knüpft der elektronische Personalaus-
        weis, den wir heute diskutieren, an. Er verfügt in Zu-
        kunft über biometrische Merkmale: das Gesichtsbild und
        – wenn der Antragssteller möchte – auch den biometri-
        schen Fingerabdruck. Diese Merkmale werden nur auf
        dem Ausweis – und auch nur dort – gespeichert. Damit
        kann bei einer Kontrolle in Zukunft einwandfrei festge-
        stellt werden, ob die Person, die den Personalausweis
        vorlegt, auch wirklich zum Ausweis passt. Uns wäre es
        lieber gewesen, wir hätten – wie es beim Pass der Fall
        ist – beide Merkmale aufgenommen. Das hätte größt-
        mögliche Sicherheit gegen Missbrauch bedeutet.
        Und wer behauptet, die Daten seien unberechtigt
        und geheim aus dem neuen Ausweis oder aktuell aus
        dem E-Pass auszulesen, der verschließt die Augen vor
        den Fakten.
        Die Daten sind mit einer elektronischen Signatur auf
        höchstem technischem Niveau geschützt. Nur wer über
        bestimmte Angaben, nämlich Pass- bzw. Ausweisnum-
        mer, Geburtsdatum des Inhabers und Ablaufdatum ver-
        fügt, kann auf die Daten zugreifen und das auch nur,
        wenn er ein unberechtigtes Lesegerät wenige Zentimeter
        neben dem Datenchip platziert und sich beide nicht be-
        wegen. Kennt er diese Angaben vom auszuspähenden
        Dokument, wird er nicht mehr als den Namen des Inha-
        bers auslesen können – ein mehr als unrealistisches Sze-
        nario.
        Und auch das geheime Mitlesen der Daten, wenn ein
        Pass bzw. Ausweis zum Beispiel am Flughafen kontrol-
        liert wird, ist jenseits aller Realität. Der Gewinn der Da-
        ten stünde in keinem Verhältnis zum Aufwand. Man
        müsste in direkter Nähe zum Kontrollpunkt eine Abhör-
        anlage mit Mikrofonen einrichten und bräuchte leis-
        tungsstarke Rechner, die mehrere hunderttausend Euro
        kosten, um die Daten zu entschlüsseln. Und selbst wenn
        man auf diese Weise erfolgreich wäre, könnte man nicht
        auf die Fingerabdruckdaten zugreifen. Die können näm-
        lich nur Behörden mit entsprechenden Berechtigungs-
        zertifikaten auslesen.
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        Fingerabdrücke können viel einfacher von Tischen,
        üren und Gläsern genommen werden und das biometri-
        che Gesichtsbild kann viel einfacher mit einer Kamera
        ufgenommen werden, als dass man diese Daten mit rie-
        igem Aufwand auszulesen versucht.
        Wir stehen aber auch noch vor einer ganz anderen He-
        ausforderung, der wir mit dem elektronischen Personal-
        usweis begegnen. Mehr als 42 Millionen Menschen in
        eutschland haben einen Internetanschluss und nutzen
        iesen auch. Wer von uns ist nicht im Netz unterwegs,
        acht Einkäufe oder erledigt seine Bankgeschäfte?
        uch hier stellt sich immer die Frage: Wie kann ich
        ich elektronisch ausweisen, wie kann ich nachweisen,
        ass ich rechtmäßig auf mein Benutzerkonto zugreife
        nd nicht irgendjemand in meinem Namen einkauft oder
        ar meinen Kontostand überprüft. Die Verfahren, die wir
        eute dazu haben, sind oft alles andere als sicher.
        Mit dem neuen Personalausweis wird man deshalb in
        ukunft auch die Möglichkeit haben, sich elektronisch
        n der virtuellen Welt auszuweisen. Das ist ein echter
        ewinn an Sicherheit, aber auch an Komfort für das täg-
        iche Leben. Ich sage Ihnen voraus, dass sich in Zukunft
        mmer mehr Internetanbieter darauf einstellen werden.
        icht zuletzt werden wir, wenn sich die Technologie be-
        ährt hat, auch Behördengänge über das Internet von zu
        ause erledigen können – sei es die Kfz-Zulassung, die
        nmeldung bei der Meldebehörde, die Beantragung von
        eistungen. Mit dem neuen elektronischen Personalaus-
        eis schaffen wir eine wichtige Grundlage für den Aus-
        au des E-Government in Deutschland.
        In den nächsten Jahren werden sich weltweit Stan-
        ards für Ausweisdokumente mit biometrischen Merk-
        alen durchsetzen. Auch die EU hat bereits 2005 die
        eichen dafür gestellt. Wenn wir in Zukunft unseren
        ersonalausweis im Schengen-Raum noch als Passersatz
        utzen wollen, brauchen wir die Innovationen, die wir
        eute mit dem Personalausweisgesetz vorlegen.
        Also: Funktionsgewinn und Sicherheit – ein zukunfts-
        eisendes Gesetz, das unsere Unterstützung verdient.
        Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Wir haben heute
        en Entwurf eines Gesetzes über Personalausweise und
        en elektronischen Identitätsnachweis sowie zur Verän-
        erung weiterer Vorschriften vorliegen und beraten ihn
        n der ersten Lesung. Ich erinnere in diesem Zusammen-
        ang an die Debatte über den Antrag der Grünen „Keine
        inführung biometrischer Merkmale im Personalaus-
        eis“ am 9. Mai 2008. In dieser Debatte habe ich darauf
        ufmerksam gemacht, dass wir ganz genau prüfen wer-
        en, ob die Aufnahme biometrischer Merkmale in den
        ersonalausweis erforderlich ist. Ich habe betont, die
        undesregierung müsse nachweisen, weshalb man unter
        icherheitsaspekten einen neuen Personalausweis benö-
        igt, denn bisher heißt es überall, wir hätten mit unserem
        ktuellen Personalausweis ein Dokument, das zu den fäl-
        chungssichersten der Welt gehört.
        Beim vorliegenden Gesetzentwurf ist klar: Man ver-
        ichtet auf die Verpflichtung und stellt es den Bürgerin-
        en und Bürgern frei, ihre Fingerabdrücke im Personal-
        19614 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        ausweis aufnehmen zu lassen. Es wird also keinen
        verpflichtenden Fingerabdruck im Personalausweis ge-
        ben. Das entsprach von Anfang an der SPD-Linie.
        Es muss aber auch klar sein, dass es keine Verpflich-
        tung zur Abgabe von Fingerabdruckdaten durch die Hin-
        tertüre geben darf! Aus der freiwilligen Abgabe der Fin-
        gerabdrücke darf kein Vorteil erwachsen, zum Beispiel
        dadurch, dass Behörden diejenigen, die Fingerabdruck-
        daten in Personalausweisen wünschen, bevorzugt behan-
        deln. Ansonsten bleibt es dabei: Auch bei den freiwillig
        auf dem Chip gespeicherten Fingerabdrücken gelten die
        Bedingungen, wie wir sie für den Reisepass erarbeitet
        haben. Das heißt, diese Fingerabdrücke dürfen nir-
        gendwo bei den Behörden gespeichert und erst recht
        nicht abrufbar sein.
        Weshalb sind wir dann trotzdem für einen neuen elek-
        tronischen Personalausweis? Der Grund sind die damit
        verbundenen technischen Innovationen, die für unsere
        Bürgerinnen und Bürger von Nutzen sind. Dieser neue
        Personalausweis kann erstens auch ein Ausweis für das
        Internet, also ein elektronischer Identitätsnachweis sein
        zur Verwendung im E-Government und im E-Business
        und zweitens zusätzlich auf Wunsch eine elektronische
        Signatur erhalten, zum Beispiel bei elektronisch abzuwi-
        ckelnden Anträgen und Verträgen. Was bedeutet das
        konkret? Die Authentisierungsfunktion und die elektro-
        nische Signatur sind ein wichtiger Schritt für mehr Si-
        cherheit und Komfort im elektronischen Geschäftsver-
        kehr. Gerade die zunehmende kommerzielle Nutzung
        des Internest erfordert die Notwendigkeit, sich auch
        elektronisch ausweisen zu können. Diese zusätzlichen
        Funktionen kann man so ausgestalten, dass sie nachträg-
        lich freigeschaltet oder gesperrt werden können, je nach
        individueller Entscheidung.
        Die auf dem RFID-Chip gespeicherten Daten werden
        nach dem neuesten technischen Standard wirksam gegen
        den unberechtigten Zugriff Dritter geschützt. Eine Mani-
        pulation der Daten ist weitgehend ausgeschlossen.
        Durch den integrierten grundlegenden Zugriffsschutz
        werden das unberechtigte aktive Auslesen und das pas-
        sive Mitlesen einer Kommunikation unter realistischen
        Bedingungen wirkungsvoll verhindert. Auch das Erstel-
        len von Bewegungsprofilen ist praktisch nicht möglich.
        Wir stellen uns vor, dass man diesen elektronischen Per-
        sonalausweis künftig nutzen kann zur Onlinean-, -um-, ob-
        meldung von Kraftfahrzeugen, zur Onlinebeantragung
        eines polizeilichen Führungszeugnisses, zur Onlinean-
        meldung bei Wohnungswechsel, zur Onlinekontoeröff-
        nung bei einer Bank, zum Online-Elektronik-Banking,
        zur Alterskontrolle bei Onlinebestellungen, zur Alters-
        kontrolle an Automaten mit altersbeschränktem Zu-
        gang – bis hin zum Onlineeinkauf von Waren und
        Dienstleistungen. Dies wird eine große Erleichterung
        und ein Qualitätssprung sein für Behördengänge und
        Einkäufe.
        Im Rahmen der Beratungen im Ausschuss müssen wir
        darüber diskutieren, wie sicher diese neuen Funktionen
        sind und ob sie von den Bürgerinnen und Bürgern ange-
        nommen werden.
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        Seit dem 1. November 2007 werden elektronische
        eisepässe in Deutschland ausgegeben. Mir sind bisher
        eder gravierende technische Probleme noch Sicher-
        eitsprobleme zu Ohren gekommen. Im Gegenteil: Die
        ntragszahlen zeigen, dass viele Bürgerinnen und Bür-
        er Vertrauen in die neue Technologie gefasst haben.
        ie ich bei meinem Einwohnermeldeamt erfahren habe,
        arten bereits viele Bürgerinnen und Bürger auf das
        eue, moderne Personalausweisdokument. Trotzdem
        leiben wir, was die konkrete Umsetzung des elektroni-
        chen Personalausweises angeht, kritisch, aber nicht po-
        ulistisch. Wir bleiben auf unserem Kurs: Sicherheitspo-
        itik mit Augenmaß.
        Gisela Piltz (FDP): Der neue Slogan für den elektro-
        ischen Personalausweis klingt vielversprechend: klei-
        er, vielseitiger, zukunfts- und fälschungssicher. Der
        usweis fürs Internet – so preist die Große Koalition ihr
        eustes Projekt an. Mit dem E-Personalausweis soll ein
        tandard-Identitätsnachweis für das Internet geschaffen
        erden. Ja, es wird gar von einer Revolution gespro-
        hen. Phishing soll eingedämmt, Interneteinkäufe und
        ehördengänge sollen erleichtert werden.
        Aber wir wissen alle: Werbung verspricht oft mehr,
        ls sie halten kann. Das gilt leider auch in diesem Fall.
        ritik am elektronischen Personalausweis wird auch bei
        er Großen Koalition ignoriert. Der Ausweis wird sehr
        ahrscheinlich teurer, ein weiterer Sicherheitsgewinn ist
        icht zu erwarten, und der freiwillige Fingerabdruck
        ührt zur einer Zweiklassengesellschaft.
        Ich habe bis heute den Kompromiss der Großen
        oalition nicht verstanden. Wieso sollen die Bürgerin-
        en und Bürger ihre Fingerabdrücke freiwillig abgeben?
        ntweder der Staat braucht zwingend den Fingerab-
        ruck, oder er braucht ihn nicht. Alles andere ist der Ein-
        tieg in eine biometrische Totalerfassung, weil ein Auf-
        atteln jederzeit möglich ist. Denn in den nächsten
        ahren wird die freiwillige Aufnahme von Fingerabdrü-
        ken die Gesellschaft quasi spalten. Wir werden die-
        enigen haben, die ihren Fingerabdruck abgeben und un-
        erdächtig sind, und diejenigen, die das nicht tun und
        erdächtig erscheinen. Das kann man nur verstehen,
        enn man die schwierigen Abstimmungsverfahren in
        er Großen Koalition berücksichtigt. Mit Sicherheit oder
        lugheit hat das aus FDP-Sicht überhaupt nichts zu tun.
        Über kurz oder lang werden wir auch sicherlich wie-
        er den Diskussionspunkt Zentraldatei haben. Eine sol-
        he Zentraldatei ist zwar in diesem Gesetzesentwurf
        icht vorgesehen. Wir wissen doch aber alle, dass die
        olitischen Verhältnisse sich sehr schnell ändern können.
        etztes Wochenende fand in Berlin die größte Demon-
        tration gegen die staatlichen Überwachungsmaßnahmen
        tatt. Besonders beeindruckt hat mich der Slogan „Wer
        eute noch lacht, wird morgen schon überwacht“. In
        iese Kategorie gehört auch die Diskussion um die Zen-
        raldatei.
        Es wäre zunächst auch sinnvoller gewesen, die Erfah-
        ungen aus dem biometrischen Pass – wie das Kosten-
        utzen-Verhältnis der biometrischen Daten für den Bür-
        er und die Schwierigkeiten und Probleme bei der Aus-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19615
        (A) )
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        gabe der Pässe mit Fingerabdrücken seit November 2007 –
        erst einmal in Ruhe auszuwerten, anstatt ein weiteres
        Großprojekt mit biometrischen Daten zu starten, zumal
        noch eine Verfassungsbeschwerde gegen die zwangs-
        weise Abnahme der Fingerabdrücke bei der Beantragung
        des Reisepasses in Karlsruhe anhängig ist.
        Eine solche Auswertung wäre auch im Hinblick auf
        die Sicherheit der RFID-Chips wichtig gewesen. Denn
        die RFID-Chips können per Funk kontaktlos, ohne dass
        es der Inhaber bemerkt, ausgelesen werden. Ein Perso-
        nalausweis ist zehn Jahre gültig. Der technische Fort-
        schritt in einem derartigen Zeitraum ist enorm. Es ist da-
        her denkbar, das Kriminelle Systeme entwickeln, um mit
        nicht autorisierten Geräten Daten über eine größere Dis-
        tanz auszulesen.
        Hinsichtlich des Arguments der Fälschungssicherheit
        verweise ich nur auf die erfolgreiche Klonung des briti-
        schen fälschungssicheren E-Passes durch einen Compu-
        terexperten im August 2008. Innerhalb einer Stunde
        wurde auf dem Pass eines Jungen der manipulierte
        RFID-Chip mit dem Foto eines palästinensichen Selbst-
        mordattentäters aufgebracht. Der Pass wurde von einem
        Lesegerät akzeptiert, das mit der Software arbeitet, die
        von der Zivilluftfahrt-Organisation als Standard empfoh-
        len wird. Für die Fälschung wurden ein öffentlich ver-
        fügbares Programm, ein Card-Reader und günstige
        RFID-Chips benötigt. Fälschungssicherer ist der neue
        Personalausweis damit nicht.
        Auch die Kosten sind für den Bürger noch völlig un-
        klar. Nicht nur, dass der eigentliche Ausweis teurer wird;
        es werden auch zusätzliche Kartenlesegeräte und damit
        Kosten notwendig sein, um den elektronischen Identi-
        tätsnachweis überhaupt nutzen zu können. Nach Presse-
        meldungen soll außerdem für die Zulassung der ID-Veri-
        fikationsdienste an Firmen eine neue Bundesbehörde
        geschaffen werden. Im Gesetzesentwurf steht dazu le-
        diglich, dass das Bundesministerium des Innern bestim-
        men wird, wer diese Aufgabe übernehmen wird; § 4
        Abs. 3 PAG-Entwurf. Etwas mehr Klarheit von der Bun-
        desregierung wäre an dieser Stelle schon angebracht.
        Wenn man eine neue Bundesbehörde will, sollte man es
        auch deutlich sagen.
        Und nun noch ein kurzes Wort zur elektronischen
        Identität. Identitätsdiebstähle werden auch von der FDP-
        Bundestagsfraktion mit Sorge betrachtet. Im Internet
        werden häufig gefälschte oder gestohlene Identitäten
        verwendet. Elektronische Identitäten müssen aber auch
        datenschutzfreundlich gestaltet werden. Das bedeutet ei-
        nerseits, dass nicht jeder Internetdienst nur noch bei Ver-
        wendung des neuen Ausweises nutzbar sein darf, und
        anderseits, dass aus dem Nutzerverhalten im Internet
        keine Nutzungsprofile erstellt werden können. Insbeson-
        dere auch bei den geplanten Bürgerportalen, die als
        Anwendungszenario an den elektronischen Personalaus-
        weis anknüpfen, ergeben sich weitere datenschutzrecht-
        liche Fragestellungen.
        Denkt man dieses Szenario weiter, deutet sich neben
        der Onlineüberwachung, Internetmonitoring und Vor-
        ratsdatenspeicherung hier eine weitere Möglichkeit der
        Großen Koalition an, die Internetnutzung zu überwa-
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        hen. Für eine Hauspost-Postwurfsendung zum elektro-
        ischen Personalausweis sind Kosten in Höhe von
        40 000 Euro veranschlagt. Für den Datenschutzbeauftrag-
        n hingegen soll es im kommenden Jahr nur 22 000 Euro
        ehr geben. Ich hoffe, dass Sie dann wenigsten auch die
        ürgerportale bei den öffentlichen Debatten um den
        lektronischen Personalausweis aufnehmen. Die Bürger
        üssen wissen, dass sich hier weitere Überwachungs-
        öglichkeiten im Internet bieten.
        Die FDP-Bundestagsfraktion hat das Projekt E-Perso-
        alausweis von Anfang an kritisch begleitet. Wir brau-
        hen keine Schnellschüsse, die den Bürgerinnen und
        ürger nur wenig nutzen, aber mit Folgen für die Bür-
        errechte verbunden sind, die wir heute noch gar nicht
        onkret abschätzen können. Wir lehnen den E-Personal-
        usweis in der von der Bundesregierung vorgelegten
        orm ab.
        Jan Korte (DIE LINKE): Am vergangenen Samstag
        emonstrierten in Berlin 100 000 Menschen – darunter
        rzte, Anwälte, Geistliche, Bürgerbewegte und, ganz
        llgemein, Nutzer moderner Kommunikationsmittel –
        egen Überwachungswahn und für einen wirklichen Da-
        enschutz. Auch die Partei und Fraktion Die Linke hatten
        u dieser Demonstration aufgerufen. Denn unser Anlie-
        en war es, gesellschaftliche Unterstützung für unsere
        onsequente Haltung im Parlament gegen eine Auswei-
        ung des Überwachungsstaates zu erhalten. Diese haben
        ir auf der größten Demonstrationen nach dem Volks-
        ählungsurteil in den 80er-Jahren auch bekommen. Ne-
        en der Kritik an der Vorratsdatenspeicherung, der
        eplanten Onlinedurchsuchung und der Verwendung bio-
        etrischer Daten in Ausweisdokumenten wurde erneut
        assive Kritik an dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
        ung zur Einführung eines sogenannten elektronischen
        dentitätsnachweises im Personalausweis geäußert.
        iese Kritik teilen wir.
        Nach den Plänen der Bundesregierung soll 60 Millio-
        en Ausweisinhaberinnen und -inhabern ein sogenannter
        -Personalausweis vor allem aus zwei Gründen verpasst
        erden: Zum einen soll der Zahlungsverkehr – vor allem
        m Internet – für den Inhaber des Ausweises als auch für
        en Produktanbieter verbessert werden. Diesem Ansin-
        en ist erst einmal nicht zu widersprechen. Die hohe
        ahl an Betrugsversuchen oder tatsächlich stattgefunde-
        em Betrug beim elektronischen Zahlungsverkehr, auch
        m Internet, bietet ausreichend Grund zur Sorge. Den-
        och ist zweifelhaft, ob die vorgeschlagenen technischen
        nstrumente zukünftig vor Betrugsversuchen oder Identi-
        ätsdiebstahl ausreichend Schutz bieten. Eindeutige Be-
        ege hierfür wurden dem Bundestag nicht präsentiert.
        Am morgigen Freitag debattieren wir an dieser Stelle
        ber den Datenschutz und die verschiedensten Verstöße
        egen den Schutz personenbezogener Daten, die in den
        ergangenen Wochen öffentlich bekannt wurden. Doch
        icht nur die Privatwirtschaft war betroffen, auch kom-
        unale Meldeämter konnten Daten nicht ordnungsge-
        äß vor einem externen Zugriff schützen; von den zahl-
        eichen Datenschutzverstößen im Internet oder beim
        19616 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Abschluss von zweifelhaften Verträgen über das Internet
        möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter sprechen.
        Nur, eines fällt hierbei auf: In Europa beteiligt sich
        die Bundesregierung mittels des Programms „check the
        web“ an der Suche nach vermeintlichen Terroristen im
        Internet. Dafür werden Personal und materielle Ressour-
        cen zuhauf zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig aber hat
        sich die Bundesregierung sehr stiefmütterlich um den
        Datenschutz im Zeitalter moderner Kommunikation ge-
        kümmert und suggeriert nun mit der Einführung eines
        elektronischen Identiätsnachweises im Personalausweis
        vermeintliche Sicherheit bei der Nutzung des Internets.
        Jedem muss klar sein, dass es absolute Sicherheit im In-
        ternet nicht gibt und nie geben wird. Der beste Schutz
        von Privatsphäre ist, unnötige Daten gar nicht erst zu er-
        heben und zu speichern. Bevor also ein solches Projekt
        angegangen wird, sollten wir uns um eine verbesserte
        gesetzliche Grundlage für den Datenschutz in Deutsch-
        land kümmern.
        Zum Zweiten sollen auf den neuen Ausweisdokumen-
        ten biometrische Merkmale abgebildet und auf einem
        Chip gespeichert werden. Als Begründung hierfür ver-
        weist die Bundesregierung auf eine sogenannte Pass-
        ersatzfunktion des Ausweises bei Reisen innerhalb des
        Schengen-Raumes und in weitere Drittstaaten. Wörtlich
        heißt es in einem Bericht aus dem Bundesinnenministe-
        rium: Diese Passersatzfunktion soll erhalten bleiben. Bei
        Verzicht auf die Biometrie im Personalausweis wäre das
        dauerhaft kaum möglich, da Betrugsversuche sich auf
        die weniger sicheren Personalausweise stützen würden.
        Irrtum, kann ich nur sagen; denn nach Aussage der
        Bundesregierung selbst sind die aktuell verwendeten
        Ausweisdokumente keineswegs unsicherer. Die Regie-
        rung gab auf Anfrage der Linksfraktion bekannt, dass im
        Jahr 2001 lediglich 88 Fälle von Ausweisfälschungen
        festgestellt wurden. Ist dies bei 60 Millionen Ausweis-
        inhabern etwa ein signifikant messbares Sicherheits-
        risiko? Man kann also von einem „Spitzenprodukt made
        in Germany“ sprechen.
        Zudem ist zu erwarten, dass gerade durch die Verwen-
        dung des Chips im Personalausweis wie zuvor bereits
        beim neuen E-Pass die Sicherheit des neuen Personal-
        ausweises sinkt. BKA-Chef Ziercke etwa riet in einer
        Anhörung zur Einführung des E-Passes im Innenaus-
        schuss, den Pass vor illegalem Auslesen zu schützen, in-
        dem man diesen in Alufolie wickelt. Nun ja, dies ist si-
        cherlich auch eine Möglichkeit …
        Bleibt noch, auf diesen seltsamen Kompromiss zwi-
        schen der Möchtegernbürgerrechtspartei SPD und den
        Law-and-Order-Leuten von CDU/CSU zur freiwilligen
        Speicherung von Fingerabdrücken einzugehen. Auch
        eine freiwillige Speicherung von Fingerabdrücken
        schafft keine zusätzliche Sicherheit, sorgt aber dafür,
        dass demnächst auch Fingerabdrücke zu einer begehrten
        Ware im illegalen Datenhandel werden. Studien belegen
        zudem, dass die Speicherung bei bestimmten Menschen,
        zum Beispiel bei Kindern, Älteren und einigen Arbeitern,
        nicht geeignet ist, um einen eindeutigen Identitätsnach-
        weis zu erbringen. Die Debatte über die Verwendung von
        Fingerabdrücken im Personalausweis innerhalb der
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        oalition lässt die Vermutung zu, dass diese freiwillige
        Hilfskonstruktion“ nur eine auf Zeit ist und wir in naher
        ukunft nicht nur eine allgemeine Verpflichtung zur Ab-
        abe von Fingerabdrücken bekommen werden, sondern
        uch eine zentrale Meldedatei, in der auch diese biome-
        rischen Merkmale gespeichert werden sollen. Und dies
        rotz aller aktuellen und anderslautenden Beteuerungen!
        inzu kommt, dass zu erwarten ist, dass jeder, der seine
        ingerabdrücke nicht speichern lassen möchte, sich da-
        it in den Augen mancher erst recht verdächtig macht.
        Interessant ist auch, dass die Kosten für die Einfüh-
        ung des Personalausweises, die Anschaffung und Ent-
        icklung der notwendigen Technik zu einem nicht abzu-
        chätzenden, dennoch hohen Anteil auf die Bevölkerung
        bgewälzt werden sollen. Dieses Herangehen ist alles
        ndere als bürgerfreundlich und konterkariert den selbst
        ostulierten Anspruch der Bundesregierung in diesem
        esetzentwurf.
        Schließlich möchte ich auf ein letztes Problem im
        uge der Einführung des neuen Personalausweises ein-
        ehen. Die Bundesregierung konnte sich nun doch
        urchringen, Künstlernamen in das neue Dokument auf-
        unehmen. Nun jedoch hat der Ausschuss für Innere
        ngelegenheiten des Bundesrates die Streichung dieser
        ategorie verlangt. Die Bundesregierung hat darauf le-
        iglich entgegnet, diese Forderung hinsichtlich eines zu
        rwartenden Verwaltungsaufwandes zu prüfen. Ich
        öchte an dieser Stelle den zahlreichen Wortmeldungen
        on Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland geeig-
        eten Platz einräumen. Diese zeigten sich, wie auch der
        undesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler
        nd der Deutsche Künstlerbund, zu Recht entrüstet über
        as Vorgehen des Bundesrates, Künstlernamen klamm-
        eimlich aus dem Ausweisdokument streichen zu wol-
        en. Dies würde in der Folge bedeuten, dass massive
        osten auf die Betroffenen zukämen. Denn Künstler-
        amen sind die Basis der Identität und des Images von
        ünstlerinnen und Künstlern. Zum Zweiten aber sind
        iele Verträge unter Künstlernamen abgeschlossen wor-
        en, darunter „nicht nur auf Kunst bezogene, sondern
        uch solche Existenz sichernder Natur“. Die Linke for-
        ert deshalb die Bundesregierung auf, an der Auffüh-
        ung des Künstlernamens im neuen Personalausweis
        estzuhalten.
        Die Linke wird vor dem Hintergrund dieser Kritik-
        unkte der Einführung des E-Personalausweises nicht
        ustimmen und lehnt den Gesetzentwurf ab. Zusammen-
        efasst muss man konstatieren: Der vorliegende Gesetz-
        ntwurf der Bundesregierung bringt insgesamt weniger
        icherheit und weniger Datenschutz.
        Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        as Gesetz über den neuen elektronischen Personalaus-
        eis steht exemplarisch für die Arbeitsweise dieser
        oalition: Aus ideologischen Gründen will der Bundes-
        nnenminister ein nicht erforderliches Projekt. Die SPD
        acht irgendwann auf und meldet berechtigte Bedenken
        n. Es folgen ein monatelanger Streit sowie das Einfü-
        en einiger Nonsensklauseln. Am Ende wird dann ein
        esetz eingebracht, das immer noch keiner braucht, von
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19617
        (A) )
        (B) )
        dem aber beide Koalitionspartner behaupten, sie hätten
        damit etwas durchgesetzt. Gute Gesetzgebung allerdings
        ist etwas anderes.
        Ausgangspunkt bleibt der durch nichts begründete
        Wunsch, in den Personalausweis biometrische Merk-
        male in digitalisierter Form aufzunehmen. Für die ent-
        sprechende Änderung im Passgesetz gab es einen – aller-
        dings selbst geschaffenen – europarechtlichen Zwang.
        Der liegt hier nicht vor. Man kann und sollte es schlicht
        bleiben lassen.
        Gab es irgendeine sachliche Notwendigkeit für diese
        Änderung? Die Antwort lautet: Nein. Denn es gibt in
        Deutschland einen sicheren Personalausweis. Die Zahl
        an Fälschungen – BKA-Präsident Ziercke hat das am
        Beispiel des baugleichen Passes eingeräumt – ist mini-
        mal, der Missbrauch entsprechend schwierig und selten.
        Die Bundesregierung gibt das mit ihrem Gesetzentwurf
        auch indirekt zu. Denn die fast schon satirische Rege-
        lung, dass die Aufnahme der Fingerabdrücke in den Per-
        sonalausweis freiwillig sein soll, zeigt nur eines: Eine
        Berechtigung oder sachliche Notwendigkeit, den Perso-
        nalausweis so sicherer machen zu wollen, existiert
        nicht. Stattdessen werden mit dem neuen Ausweis neue
        Gefahren geschaffen. Die Erfahrungen mit dem Pass
        etwa zeigen, dass die Datenerhebung und -übertragung
        der biometrischen Informationen mit der vorhandenen
        Infrastruktur nicht so sicher ist, wie sie sein sollte.
        Auch der Datensammelwut wird weiter gefrönt: Das
        digitale Foto kann auch für die Verfolgung von Ord-
        nungswidrigkeiten herangezogen werden; die Speiche-
        rung von Daten bei anderen Behörden ist zwar erst ein-
        mal nicht vorgesehen, ihr werden aber Tür und Tor
        geöffnet. Durch die Vereinheitlichung der Datenspeiche-
        rung entsteht über kurz oder lang de facto eine zentrale
        Datenbank, auch wenn die Daten nicht auf einer Fest-
        platte gesammelt werden. Das ist ja auch erklärtes Ziel
        des Bundesinnenministers und seiner Strategie der „ein-
        heitlichen Plattform innere Sicherheit“. Entziehen kann
        sich der besorgte Bürger nicht mehr; denn der Personal-
        ausweis ist im Unterschied zum Pass ein Pflichtdoku-
        ment. Und all das zu hohen finanziellen Kosten für alle
        Beteiligten.
        Vorteile des neuen Personalausweises sind also auf
        dem klassischen Anwendungsgebiet nicht zu sehen.
        Wohl auch deswegen erfolgt der Einbau der elektroni-
        schen Identifikationsfunktion, damit wenigstens ein
        scheinbarer Vorteil des neuen Dokuments verbleibt. Da-
        bei ist die Kombination aus Personalausweis und elek-
        tronischer Identifikation völlig sinnlos. Es gibt die elek-
        tronische Signatur. Wozu noch eine Signatur light? Und
        wenn man die will, warum auf dem Personalausweis?
        Der massenhafte Einsatz eines hoheitlichen Dokuments
        etwa bei Bestellungen über das Internet schafft mehr Si-
        cherheitslücken, als er schließen kann.
        Die im Gesetz erkennbaren Eckpunkte der Sicher-
        heitsinfrastruktur können nicht recht überzeugen. Ange-
        sichts des schlampigen und bisweilen kriminellen Um-
        gangs der Industrie mit privaten Daten ist der Rückgriff
        auf Private etwa zur Führung der Sperrlisten fahrlässig.
        Auch die Frage nach der 1:1-Kopie eines Ausweises und
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        em Missbrauch einer solchen Kopie ist nicht hinrei-
        hend bedacht. Dass eine PIN-Nummer nicht allzu viel
        icherheit bietet, zeigen die Statistiken über den Miss-
        rauch von EC- und Kreditkarten. Die Übertragung über
        as Internet und der Einsatz vom privaten Computer aus
        chaffen weitere Gefahren. Denn im Unterschied zum
        eldautomaten ist der heimische PC ein einziges Sicher-
        eitsloch. Die Identifikationsfunktion bietet der Phi-
        hing-Mafia ein ganz neues Betätigungsfeld.
        Der Personalausweis wird mit diesem Gesetz nicht si-
        herer. Er schafft auch keine sonstige Sicherheit. Im Ge-
        enteil: Durch die elektronische Identifikation und den
        amit möglichen Missbrauch wird sein guter Ruf eher
        nterminiert werden. Wenn Onlineversandhäuser mehr
        icherheit wollen – und davon war bis jetzt nichts zu hö-
        en –, dann sollen sie selbst ein Identifikationssystem
        chaffen. Staatliche Hilfe per Gesetz und eine Anschub-
        inanzierung über die Gebühren für den Personalausweis
        ind der falsche Weg.
        Für den öffentlichen Bereich gibt es die qualifizierte
        ignatur. Eine Signatur light brauchen wir nicht, schon
        ar nicht auf einem überflüssigen biometrischen Perso-
        alausweis.
        nlage 13
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Biotechnologische
        Innovationen im Interesse von Verbrauchern
        und Landwirten weltweit nutzen – Biotechno-
        logie ein Instrument zur Bekämpfung von Ar-
        mut und Hunger in den Entwicklungsländern
        (Tagesordnungspunkt 15)
        Johannes Röring (CDU/CSU): Zunächst muss ich
        en Kolleginnen und Kollegen der FDP ein Lob für ih-
        en Antrag aussprechen. Die Zielrichtung des Antrages
        st grundsätzlich vollkommen richtig. Denn man kann
        ur Zustimmen, dass die Biotechnologie im Interesse
        on Verbrauchern und Landwirten weltweit von Nutzen
        ein kann und ein Instrument zur Bekämpfung von Ar-
        ut und Hunger ist.
        Ich würde sogar noch weiter gehen und formulieren,
        ass die Biotechnologie wahrscheinlich mehr Antworten
        uf die dringenden Fragen der Menschheit – nämlich
        esundheit, Energie und Nahrung – bereit hält, als jede
        ndere Spitzentechnologie.
        Hierbei kommt nun besonders den Agrar- und Ernäh-
        ungswissenschaften bei der Lösung globaler Probleme
        ine zentrale Rolle zu, genau so wie bei der Entwicklung
        iner zukunftsfähigen, auf natürlichen Ressourcen basie-
        enden Wirtschaft. Die Vereinten Nationen, die Welt-
        ank und viele an dem Diskussionsprozess beteiligten
        artner haben eine Reihe gesellschaftlicher Herausforde-
        ungen entdeckt, denen wir dringend begegnen müssen:
        as gleichzeitige Auftreten von Unter- und Mangeler-
        ährung bei einem anhaltenden Bevölkerungswachstum,
        ie Zerstörung von landwirtschaftlich und forstlich nutz-
        arer Fläche, Wassermangel, die Verlagerung von An-
        19618 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        bauzonen durch den globalen Klimawandel, sowie der
        Rückgang biologischer Vielfalt (Biodiversität). Der An-
        stieg der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeug-
        nissen – wie zum Beispiel hochwertigen Lebensmitteln
        und insbesondere tierischen Produkten – wird darüber
        hinaus durch das dynamische Wirtschaftswachstum in
        China, Indien und weiteren Schwellenländern verstärkt.
        Zusätzlich ist mit dem weltweiten Bedarf an Energie und
        Rohstoffen die Notwendigkeit verbunden, Biomasse auf-
        grund der Endlichkeit fossiler Ressourcen und aufgrund
        des Klimaschutzes stärker für die energetische und stoff-
        liche Verwertung zu nutzen.
        Wir müssen also erkennen, dass nicht nur die land-
        wirtschaftliche Produktionsmenge zunehmen muss, son-
        dern darüber hinaus zeigen die aktuellen Entwicklungen,
        dass die verfügbare Anbaufläche für landwirtschaftliche
        Produkte weltweit pro Erdenbewohner dramatisch ab-
        nehmen wird, sie wird sich laut wissenschaftlicher Pro-
        gnosen bis zum Jahr 2040 halbieren!
        Damit ist es unabdingbar, die Leistungsfähigkeit un-
        serer Kulturpflanzen und damit die Effizienz der Land-
        wirtschaft entscheidend zu steigern, so zum Beispiel für
        Pflanzen mit verbessertem Nährstoffgehalt, höherer
        Energiedichte, größerer Widerstandsfähigkeit gegen kli-
        matischen Stress oder Widerstandsfähigkeit gegen
        Schädlinge und Krankheiten und damit die Möglichkeit
        zur Vermeidung von Ertrags- und Qualitätsverlusten.
        Auch ökologische Vorteile, wie reduzierter chemischer
        Pflanzenschutz und verbesserter Erosionsschutz, sind zu
        nennen.
        Zur Erreichung dieser Ziele kann die Biotechnologie
        einen großen Beitrag leisten.
        Da die Bundesregierung diese Fragestellung auch als
        sehr bedeutend betrachtet – hier sind besonders das Bun-
        desministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
        braucherschutz und das Ministerium für Bildung und
        Forschung zu nennen –, wurde bereits eine Vielzahl ver-
        schiedener Forschungsprojekte und Aktivitäten in der
        Vergangenheit gestartet. Im Januar dieses Jahres wurde
        der Startschuss zu einer verbesserten Forschungsförde-
        rung gegeben. Mit 200 Millionen Euro in den nächsten
        fünf Jahren sollen Projekte in der Bioenergie-, Agrar-
        und Ernährungsforschung an Hochschulen und außer-
        universitären Forschungseinrichtungen in Zusammen-
        arbeit mit Partnern aus der Wirtschaft gefördert werden.
        Aktuell und exemplarisch ist hier das vom Bundes-
        ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im
        Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernäh-
        rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)
        und den Ländern entwickelte Förderprojekt „Kompe-
        tenznetze in der Agrar- und Ernährungsforschung“ zu
        nennen. Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des
        Wissenschaftsrates zur Entwicklung der Agrarwissen-
        schaften in Deutschland sollen mit dieser Initiative die
        verschiedenen relevanten Innovationsfelder, unter ande-
        rem Pflanzen, Umwelttechnologien, Biotechnologien,
        der Hightech-Strategie der Bundesregierung berücksich-
        tigt werden.
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        In diesem Sinne sollen im Rahmen der Kompetenz-
        etze konkrete Forschungsprojekte auf die gesamte land-
        irtschaftliche Wertschöpfungskette von der Urproduk-
        ion natürlicher Ressourcen bis hin zur Bereitstellung
        ualitativ hochwertiger Rohstoffe wie Lebensmittel, Fut-
        ermittel, Biomasse für den Verbraucher ausgerichtet
        ein. Das Ziel ist es, eine in der Grundlagenorientierung
        nd im Anwendungsbezug exzellente Agrar- und Ernäh-
        ungsforschung aufzubauen und mit der Ausbildung so-
        ie mit dem Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft zu
        erbinden. Dadurch sollen anwendungsorientierte Kom-
        etenznetze mit internationaler Sichtbarkeit und Attrak-
        ivität entstehen und Beiträge für die Lösung gesell-
        chaftlicher Probleme liefern.
        Der Erfolg des Projekts zeigt sich in der Vielzahl der
        undesweit eingereichten Anträge, wobei jüngst in einer
        rsten Wettbewerbsrunde neun Finalisten ausgewählt
        orden sind. Die Finalisten werden jetzt ihr Strategie-
        onzept ausarbeiten und Anfang 2009 einer Jury zur Be-
        rteilung vorlegen. Drei bis maximal sechs Kompetenz-
        etze werden dann vom BMBF für fünf Jahre gefördert.
        Diese und viele weitere Aktivitäten zeigen, dass die
        undesregierung die in Ihrem Antrag formulierten For-
        erungen zu einer verbesserten Förderung der Erfor-
        chung der Biotechnologie zur Bekämpfung der Pro-
        leme der Welternährung bereits in die Tat umgesetzt hat
        nd stetig weitere Programme entwickelt.
        Aus diesem Grund wird die CDU/CSU-Bundestags-
        raktion den Antrag der FDP ablehnen.
        Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Die Behauptung,
        ass die Entwicklungen der Agrogentechnik der Be-
        ämpfung des Hungers in den Entwicklungsländern die-
        en, wird durch ständige Wiederholung nicht wahrer.
        nd die Hartnäckigkeit, mit der die Augen davor ver-
        chlossen bleiben, dass Armut und fehlender Zugang zu
        usreichender Nahrung auf mangelnde Verteilungsge-
        echtigkeit zurückzuführen sind, ist mehr als ärgerlich.
        Wenn Sie wirklich daran interessiert sind, wie Wis-
        en, Wissenschaft und Technologie in der Landwirt-
        chaft zur Verbesserung der Lebensgrundlagen im länd-
        ichen Raum und zur Armutsbekämpfung eingesetzt
        erden können, dann sollten Sie den Bericht des Welt-
        grarrates vom April dieses Jahres lesen. Eine deutsche
        bersetzung der Zusammenfassung kann ich gern zur
        erfügung stellen. Ein breit gefächertes Spektrum von
        00 Experten aus dem Agrobusiness, der Lebensmittel-
        ndustrie, der Wissenschaft, der Verbraucher-, Bauern-,
        mwelt- und anderer Nichtregierungsorganisationen
        ordert in diesem Bericht die Abkehr vom monokulturel-
        en Intensivanbau. Dessen Bilanz fiel bei hohem Einsatz
        on Kapital und Energie zwar über Jahrzehnte positiv
        us, dies aber vor allem deshalb, weil die Umweltkosten
        usgeklammert wurden.
        Die Produktivitätssteigerung durch technologische
        ortschritte ist an ihre Grenzen gestoßen, und die Kosten
        ür die Umwelt und die Entwicklungsländer werden zu
        och. Die Zukunft der landwirtschaftlichen Produktion
        iegt in einer nachhaltigen, das heißt in einer umwelt-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19619
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        und ressourcenschonenden Produktion. Die Agrogen-
        technik ist da der falsche Weg. Dass bis heute der Be-
        weis für den Nutzen des Einsatzes der Gentechnik fehlt,
        stellt auch der Bericht des Büros für Technikfolgenab-
        schätzung (TAB) „Auswirkungen des Einsatzes transge-
        nen Saatguts auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen
        und politischen Strukturen in Entwicklungsländern“ fest.
        Danach fehlt bisher eine sozioökonomische Bewertung
        der Grünen Gentechnik. Sie tut dringend not. Dabei
        wurde aber auch deutlich gemacht, wie schwer es ist, die
        für eine Gegenüberstellung des gesellschaftlichen Nut-
        zens und der Kosten nötigen Daten zu ermitteln
        Der Weltagrarrat warnt, dass die Agrogentechnik die
        lokalen Anbaupraktiken unterwandert, die die Nah-
        rungsmittelversorgung der Bevölkerung und der Wirt-
        schaft vor Ort sichern. Durch Patente der Konzerne stie-
        gen zudem die Kosten, und der Zugang der Bauern vor
        Ort werde eingeschränkt. Notwendig sei vielmehr die
        Rückbesinnung auf natürliche und nachhaltige Produk-
        tionsweisen, die eine ausreichende Erzeugung mit dem
        Schutz von Wasser, Boden, Wäldern und Artenvielfalt
        vereinen.
        Wenn der Hunger in der Welt als Vehikel herhalten
        muss, um mehr Forschungsgelder für die Agrogentech-
        nik lockerzumachen, ist das zynisch. So hat zum Bei-
        spiel der sachsen-anhaltinische Wirtschaftsminister Rei-
        ner Haseloff festgestellt, dass sich bei der vom Land
        geförderten Forschung an Pflanzen, die Trockenheit ver-
        tragen und dem Klimawandel trotzen, die „Erwartungen
        nicht erfüllt“ haben. 55 Millionen Euro Forschungsgel-
        der sind ergebnislos verpufft. Damit hätten sicherlich
        sinnvollere Projekte zur Verbesserung der Ernährungssi-
        tuation in den Entwicklungsländern finanziert werden
        können.
        Gentechnik macht nicht satt und ist teuer. Deshalb
        lehnen wir Ihren Antrag ab.
        Dr. Sascha Raabe (SPD): Hunger und ländliche
        Entwicklung sind untrennbar miteinander verknüpft.
        Das wird uns gerade heute am Welternährungstag wieder
        deutlich vor Augen geführt. Mehr als 920 Millionen
        Menschen leiden Hunger, davon leben etwa drei Viertel
        im ländlichen Raum. Die Zahl der Hungernden ist in den
        vergangenen Monaten um knapp zehn Prozent angestie-
        gen. Ein Hauptgrund hierfür sind die weltweit steigenden
        Nahrungsmittelpreise, die die globale Ernährungssicher-
        heit und somit die Erreichung des ersten Millenniums-
        entwicklungsziels, nämlich die Anzahl der Hungernden
        bis 2015 zu halbieren, zunehmend gefährden. Die Nah-
        rungsmittelkrise hat vielfältige Ursachen. Neben der
        weltweit höheren Nachfrage nach Lebensmitteln und
        veränderten Ernährungsgewohnheiten, unverantwortli-
        chem Spekulantentum und dem Anbau von Argartreib-
        stoffen ist die Nahrungsmittelkrise auch Folge von
        vernachlässigter Förderung und Aufbereitung der Land-
        wirtschaft in den Entwicklungsländern.
        Schätzungen zufolge wird die Weltbevölkerung in
        40 Jahren auf voraussichtlich neun Milliarden Menschen
        angewachsen sein. In diesem Maß wird in etwa auch der
        Nahrungsmittelbedarf weltweit steigen. Doch Hunger ist
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        ein Problem der absolut produzierten Nahrungsmittel-
        enge, so wie es der hier vorliegende Antrag suggerie-
        en mag. Die Weltlandwirtschaft könnte bereits heute
        ittels herkömmlicher Herstellung und Anbau circa
        eun Milliarden Menschen ausreichend ernähren – auch
        enn man bedenkt, dass in den Industriestaaten täglich
        0 bis 40 Prozent der Nahrungsmittel einfach wegge-
        chmissen werden. Hunger ist ein Problem des Zugangs
        ur Nahrung. Hungernden in den Städten fehlt Einkom-
        en zum Kauf von Lebensmitteln, und den Kleinbauern
        ehlt der Zugang zu produktiven Ressourcen wie Land,
        redite, Betriebsmittel etc. Dieser Mangel stellt ein gro-
        es Entwicklungshemmnis in vielen Ländern dar. Die
        roduktivität der Landwirtschaft muss daher durch
        trukturelle und die Produktionsrahmenbedingungen
        erbessernden Maßnahmen gestärkt werden. Die Gen-
        echnik könnte dabei – neben vielen anderen – ein flan-
        ierendes Element darstellen.
        Nicht ganz uninteressant scheint zum Beispiel das
        rojekt „Goldener Reis 2“. Dabei handelt es sich um
        eis, dem durch verschiedene gentechnische Verände-
        ungen die Fähigkeit zur Synthese von Beta-Carotin,
        lso einer Vorstufe von Vitamin A, verliehen wurde. Da-
        it sollen der Mangel an Vitamin A bei Menschen in
        ntwicklungs- und Schwellenländern aufgefangen wer-
        en, deren Hauptnahrungsmittel Reis ist. Laut Modell-
        echnungen könnte hiermit insbesondere bei Kindern
        ine Deckung des Vitamin-A-Bedarfs erreicht werden.
        ber, und das ist hier die Krux, die sich auch durch die
        esamte Diskussion der Grünen Gentechnik zieht: Es
        ind eben nur Modelle, von denen hier die Rede ist. Ob
        ie in den Modellrechnungen zugrunde gelegten Annah-
        en auch dann tatsächlich zutreffen, bleibt abzuwarten.
        on empirischer Evidenz kann momentan jedenfalls
        icht gesprochen werden. Denn es muss auch die Frage
        rlaubt sein, warum sich nach über zwanzig Jahren
        orschung und zwölf Jahren Anbau momentan aus-
        chließlich zwei Merkmale – nämlich Herbizidresistenz
        nd Bt-vermittelte Insektenresistenz – erfolgreich auf
        em Markt durchgesetzt haben. Gerade das immer wie-
        er angebrachte Argument, die Nutzung gentechnisch
        eränderten Saatguts würde deutlich effizientere Erträge
        nd Nutzungsmöglichkeiten mit sich bringen, kann da-
        er so nicht stimmen. Der Nutzen von GVO-Pflanzen,
        lso gentechnisch veränderten Organismen, ist wissen-
        chaftlich längst noch nicht erwiesen.
        Was sich allerdings sehr wohl nachweisen lässt, ist
        ie Verdrängung regionaler Sorten. Hier müssen wir
        chtgeben, dass die Grüne Gentechnik nicht durch un-
        ontrollierten Anbau in den Entwicklungsländern aus
        em Ruder läuft. Davor warnt auch der Weltagrarrat in
        einem jüngsten Bericht. Zum einen wird befürchtet,
        ass die Agrogentechnik die lokalen Anbaupraktiken un-
        erwandert, die die Nahrungsmittelversorgung der Be-
        ölkerung und der Wirtschaft vor Ort sichern. Es besteht
        ie Sorge, dass genverändertes Saatgut die einheimi-
        chen Produkte verdrängt. Schutzzonen und weitere
        aßnahmen müssen ein „Verseuchen“ genunveränderter
        flanzen gewährleisten. Zum anderen, und dieser Punkt
        st unweigerlich mit dem ersten verbunden, muss verhin-
        ert werden, dass die Saatgutentwicklung in den Ent-
        19620 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        wicklungsländern immer weiteren Restriktionen und
        Auflagen der großen Biotechnologieunternehmen unter-
        worfen sind. Patentverträge führen dazu, dass die Klein-
        bauern in Entwicklungsländern in eine regelrechte Ab-
        hängigkeit der Großindustriellen geraten. Patente treiben
        die Kosten in die Höhe, beschränken die Versuche der
        einzelnen Bauern bzw. der öffentlichen Forschung und
        untergraben ortsübliche Methoden zur Stärkung der
        Ernährungssicherung und wirtschaftlichen Nachhaltig-
        keit.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Ihre Be-
        hauptung, „die Biotechnologie ist eine international an-
        erkannte Methode, um Nutzpflanzen zu verbessern“,
        kann so jedenfalls nicht stehen bleiben. Daher wäre es
        fatal, wenn man in der Bekämpfung von Hunger und Ar-
        mut in den Entwicklungsländern einzig auf die Karte
        Gentechnik setzen würde. Gentechnik an sich muss nicht
        verkehrt sein – sie ist aber kein Allheilmittel.
        Landwirtschaftliche Fragestellungen im Bereich der
        Entwicklungszusammenarbeit bedingen immer die Not-
        wendigkeit einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Lö-
        sung, die sozial, ökologisch und ökonomisch zukunftsfä-
        hig sein muss. Das kann ich in ihrem Antrag so nicht
        finden. Im Gegenteil. Wenn man ihren Antrag liest, dann
        könnte man meinen, die Bundesregierung hätte nichts
        dafür getan, den Menschen in den Entwicklungsländern
        zu helfen. Das Gegenteil ist der Fall. Allein für den Be-
        reich der ländlichen Entwicklung hat die Bundesregie-
        rung die Nettoausgaben von 382,3 Millionen Euro im
        Jahr 2005 auf 576,8 Millionen Euro im Jahr 2006 erhöht
        und im Jahr 2008 über verschiedene Instrumente insge-
        samt circa 600 Millionen Euro allein für die Ernährungs-
        sicherung neu investiert. Es sollte ebenfalls nicht uner-
        wähnt blieben, dass es Bundesentwicklungsministerin
        Heidemarie Wieczorek-Zeul zu verdanken ist, dass die
        Weltbank wieder einen höheren Anteil ihrer Mittel für
        die ländliche Entwicklung einsetzt. Ebenso wirkt die
        Bundesrepublik als Gründungsmitglied der Consultative
        Group on Internationale Agricualtural Research
        (CGIAR) an der Erarbeitung angewandter Lösungen in
        der Agrarforschung mit. Sie ist ein bedeutender Baustein
        für Wachstum in der Landwirtschaft.
        Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir weiterhin
        den eingeschlagenen Weg in der Landwirtschaft und
        ländlichen Entwicklung gehen, und uns für eine ver-
        stärkte Entwicklung des ländlichen Raums einsetzen. Im
        Dezember bringen wir hierzu einen entsprechenden An-
        trag in den Bundestag ein, der zu den weitreichenden
        Fragen des Themenkomplexes der ländlichen Entwick-
        lung, mit ganzheitlichen Konzepten von sozialer, ökolo-
        gischer und ökonomischer Tragweite, Antworten liefert.
        Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Weltbe-
        völkerung nimmt rasant zu. Täglich wächst sie um etwa
        80 000 Menschen. Das entspricht der Bevölkreung einer
        Stadt wie zum Beispiel Brandenburg an der Havel, Neu-
        münster oder Marburg. 2030 werden 9 Milliarden Men-
        schen auf dieser Erde leben. Gleichzeitig nehmen die
        Ackerflächen durch Versteppung und Versalzung ab.
        Luc Gnacadja, Chef der UNCCD, berichtete im Agrar-
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        usschuss über die weltweit zunehmende Versteppung.
        ie fortschreitende Wüstenbildung wird hervorgerufen
        urch Klimawandel, falsche Bewirtschaftungsmethoden,
        chlechtes Regierungshandeln. Sie ist eine zusätzliche
        efahr für die Welternährung.
        Es ist in den letzten Jahrzehnten gelungen, den Anteil
        er hungernden Menschen deutlich zu senken. Heute
        erden gegenüber 1950 4 Milliarden Menschen mehr er-
        ährt als damals, ein Erfolg, der wesentlich auf der ers-
        en grünen Revolution beruht. Doch vom Millenniums-
        iel der Halbierung von Armut und Hunger bis zum Jahr
        015 sind wir noch weit entfernt. Der Welthungerindex
        008 zeigt, dass es in einer ganzen Reihe von Ländern
        elungen ist, die Ernährungssituation deutlich zu verbes-
        ern; in anderen, wie in verschiedenen Südsaharastaaten,
        st sie dramatisch schlecht.
        Die entwickelte Welt ist aufgerufen, vertieft darüber
        achzudenken, wie wir auf dieser Erde mehr Menschen
        rnähren und ihnen eine Lebensperspektive eröffnen
        önnen. Ohne Zweifel gibt es sehr politische Gründe,
        arum in Ländern wie Nordkorea oder der Demokrati-
        chen Republik Kongo die Menschen Hunger leiden.
        as gilt aber nicht für alle Länder. Die Forderung des
        hefs der UNCCD ist berechtigt: Mehr Forschung, eine
        rhöhung der Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent
        ei Berücksichtigung der Entwicklung gentechnisch ver-
        nderter Pflanzen. Die bessere Verteilung der Nahrungs-
        ittel ist wichtig, reicht aber nicht. 50 Prozent der Nah-
        ungsmittelproduktion werden entweder schon vor der
        rnte durch Schadorganismen oder nach der Ernte wäh-
        end der Lagerung vernichtet. Zu einer Erhöhung der
        ahrungsmittelproduktion gibt es daher keine Alterna-
        ive. Für die Züchtung schädlingsresistenter sowie
        rockenheits- und salztoleranter Sorten bieten biotechno-
        ogische Züchtungsverfahren hervorragende Möglich-
        eiten und gute Erfolgsaussichten.
        Nicht die Wünsche satter Europäer sollten Maßstab
        er Bewertung der Grünen Gentechnik sein, sondern die
        rfordernisse der Bekämpfung von Hunger und Armut
        n den ärmsten Ländern der Erde.
        Ich stimme dem ehemaligen Vorsitzenden der Deut-
        chen Bischofskonferenz, Herrn Kardinal Lehmann, zu,
        er mir in Reaktion auf den Antrag der FDP-Fraktion ge-
        chrieben hat: „Ein verantwortungsvoller, nicht nur dem
        konomischen Gewinn verpflichteter Umgang mit bio-
        echnologischen Verfahren ist ethisch geboten und Aus-
        ruck des Bemühens um globale, intergenerationelle und
        kologische Gerechtigkeit.“
        Der Goldene Reis entspricht diesen Anforderungen.
        ach Angaben der Weltgesundheitsorganisation erblin-
        en jedes Jahr 500 000 Kinder aufgrund von Vitamin-A-
        angel, die Hälfte von ihnen stirbt. Diesen Kindern
        önnte der Goldene Reis helfen. Professor Martin
        uaim kommt aufgrund seiner Untersuchungen in In-
        ien zu dem Schluss, dass der Goldene Reis eine Mög-
        ichkeit darstellt, den Vitamin-A-Mangel erfolgreich zu
        ekämpfen.
        Die Vorstellung, dass Menschen, die so arm sind, dass
        ie sich fast ausschließlich von Reis ernähren, doch ohne
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19621
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        Weiteres ihren Speiseplan mit ein bisschen Gemüse auf-
        bessern können, hat nichts mit der Realität zu tun. Es ist
        den Menschen auf den Philippinen, in Indien und Indo-
        nesien zu wünschen, dass Professor Potrykus mit seiner
        Überzeugung Recht behält, dass 2012 der Goldene Reis
        in diesen Ländern angebaut wird. Es ist ethisch nicht
        verantwortbar, wenn weiterhin die entwickelte, die rei-
        che, die satte Welt die Entwicklungsländer behindert,
        Goldenen Reis zu nutzen. Die Industrie hat ihre Lizen-
        zen für die Subsistenzwirtschaft zur Verfügung gestellt.
        Damit ist gewährleistet, dass dort Nachbau betrieben
        werden kann.
        Wir als FDP-Bundestagsfraktion fordern, Forschun-
        gen zu fördern, die die Züchtung von Pflanzen ermögli-
        chen, die für die Armutsbekämpfung in Entwicklungs-
        ländern von besonderer Bedeutung sind. Die Chancen
        und Potenziale der Biotechnologie müssen ausgeschöpft
        werden. Als führende Industrienation müssen wir Ver-
        antwortung für die Forschung und Entwicklung gentech-
        nisch verbesserter Pflanzen für die Bekämpfung von
        Hunger und Armut übernehmen. Wir Liberale sagen
        ganz klar: Es ist durch nichts zu rechtfertigen, aus der Si-
        tuation des Wohlstands in Europa heraus die Anwen-
        dung einer Züchtungsmethode zu behindern, die den
        Menschen in weiten Teilen der Erde bei der Überwin-
        dung von Hunger und Armut helfen kann.
        Uns ist bewusst, dass die Biotechnologie nicht das
        Allheilmittel zur Bekämpfung des Hungers auf der Welt
        ist. Wir meinen aber, dass die Erfahrungen der vergange-
        nen Jahre gezeigt haben, dass die Biotechnologie einen
        wichtigen Beitrag leisten könnte, gemeinsam mit ande-
        ren Maßnahmen wie mehr Bildung, mehr Investitionen
        in die Landwirtschaft, bessere Anbaumethoden, besseres
        Regierungshandeln, mehr Rechtssicherheit. So steht es
        in unserem Antrag. Ich bitte die Kolleginnen und Kolle-
        gen um Unterstützung.
        Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Der uns vor-
        liegende Antrag der FDP schlägt vor, mit Biotechnologie
        den Hunger der Welt zu bekämpfen. Armut soll durch
        die Züchtung neuer Pflanzen gemindert werden. Durch
        höheren Mineralien- und Ölgehalt soll Unterernährung
        bekämpft werden. Neue Züchtungen – so meint die FDP –
        retten die Welt.
        Nun – auch Ihnen ist inzwischen hoffentlich einiges
        klarer geworden. Das einzige was ich Ihnen zugutehal-
        ten kann an diesem Antrag, ist, dass er veraltet ist. Auch
        Sie von der FDP dürften inzwischen begriffen haben,
        dass wir zur Beseitigung des Hungers in der Welt ganz
        anderer Lösungen bedürfen.
        Ich helfe Ihnen auf die Sprünge. Lassen Sie uns ge-
        meinsam die einzelnen Punkte noch einmal durchgehen:
        Erstens. Die Ursachen des Hungers:
        Laut Schätzungen der Weltbank ist die Anzahl der
        Hungernden zwischen 2005 und 2007 von 848 auf
        967 Millionen angestiegen. Die Ursachen dafür wurden
        hier bereits vielfältig besprochen. Es ist mittlerweile un-
        bestritten (außer anscheinend von Ihnen), dass es mehr
        als genug Nahrung für alle auf der Welt gibt. Laut der
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        N-Ernährungsorganisation FAO reicht die vorhandene
        ahrungsmittelproduktion zur Ernährung von 12 Mil-
        iarden Menschen aus. Die Ernährungskrise hat struktu-
        elle Ursachen, die auf politische Fehlentscheidungen,
        erfehlte Agrar-, Handels- und Finanzpolitik zurückzu-
        ühren sind. Die Liberalisierungspolitik und die Markt-
        ffnung für Agrarprodukte haben dafür gesorgt, dass
        okale Märkte im Süden zerstört wurden. Die Exportsub-
        entionen haben zu Dumpingpreisen von EU-Produkten
        eführt. Der kleinbäuerliche Sektor wurde über Jahr-
        ehnte vernachlässigt. Subsistenzlandwirtschaft wurde
        elächelt, vor allem von Ihnen.
        Zweitens. Die Risiken des Anbaus von genmanipu-
        ierten Pflanzen:
        Die potenziellen Gefahren des Anbaus von genmani-
        ulierten Pflanzen im Freiland sind noch ungeklärt und
        annigfaltig. Die Pflanzen können sich unkontrolliert in
        ahe Verwandte auskreuzen, die Debatte über transge-
        en Mais oder Raps hat das Problem aufgezeigt. Eine
        ngewollte Ausbreitung von gentechnischen Verände-
        ungen ist folglich nicht nur möglich, sondern wahr-
        cheinlich. Denn Resistenzen gegen Pflanzenschutzmit-
        el gefährden Ökosysteme und können letztendlich zu
        ehr Pestizidverbrauch führen. Bei der Wechselwirkung
        on veränderten Pflanzen mit bestäubenden Insekten
        nd bei Anreicherungen von Fremdsubstanzen wurden
        benfalls negative Auswirkungen auf das Bodenleben
        eobachtet. Unumstritten ist der Zusammenhang von
        gro-Gentechnik und der Verminderung der Artenviel-
        alt. Biodiversität ist ein bedrohtes öffentliches Gut und
        uss erhalten werden, wenn wir unsere Umwelt lebens-
        ert für die Zukunft bewahren wollen.
        Drittens. Biotechnologie als Instrument im Kampf ge-
        en Hunger:
        Vor den Auswirkungen gentechnisch veränderten
        aatguts vor allem in Entwicklungsländern wird von Ex-
        ertinnen und Experten eindringlich gewarnt. Selbst die
        TZ bezweifelt die Wirksamkeit gentechnischer verän-
        erter Organismen gegen den Hunger in Entwicklungs-
        ändern. Wie Prof. Rauch in seinem Statement zur Anhö-
        ung, die gestern stattfinden sollte, sagt: „Gentechnik
        mpliziert die Abhängigkeit von gut funktionierenden
        grardiensten. In ländlichen Regionen mit schwachen
        nstitutionen ist eine – für Bauern lebensentscheidende –
        echtzeitige alljährliche Versorgung mit Saatgut nur
        chwer zu gewährleisten.“ Kleinbetriebe begeben sich
        urch die aggressive Patentierungspolitik der Saatgut-
        onzerne und die Lizenzgebühren in eine Schuldenfalle,
        us der sie nicht mehr herauskommen. Das manipulierte
        aatgut ist teuer und darf nur unter Zahlung einer Ge-
        ühr nachgebaut werden. Damit entfällt ein uraltes
        echt und ein selbstbestimmter Freiraum der Bäuerin-
        en und Bauern. Zurzeit werden 80 Prozent des Getrei-
        es in den Entwicklungsländern aus Samen der letzten
        rnte angebaut. Auf der anderen Seite kontrollieren zehn
        onzerne gegenwärtig 85 Prozent des Marktes an gen-
        echnisch veränderten Nutzpflanzen. Und sie verdienen
        ut. Zum einen an den Patenten und Lizenzgebühren und
        um anderen an den jeweils speziell benötigten Pflan-
        enschutzmitteln, ohne die das System nicht funktio-
        19622 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        niert. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern können hier nur
        verlieren.
        Schlussfolgerungen:
        Von Biotechnologien in der Landwirtschaft profitie-
        ren nur großflächige Landwirtschaftsbetriebe und die
        Agrarkonzerne. Die Gefahren für Mensch und Umwelt
        sind absolut ungeklärt und extrem risikobehaftet. Die Er-
        nährungssouveränität aller Länder kann mittels Agrarre-
        formen zugunsten armer und kleinbäuerlicher Betriebe
        und Förderung von ökologisch nachhaltiger Landwirt-
        schaft gesichert werden. Verbesserter Zugang zu Land,
        Landreformen und bessere Bewässerungssysteme kön-
        nen die Ernten um 50 Prozent wachsen lassen. Die
        Sicherung lokaler Märkte muss klar Vorrang vor Export-
        landwirtschaft haben. Das bezieht sich sowohl auf Ex-
        porte von Lebensmitteln, Futter oder Agroenergie.
        Wir halten eine dauerhafte und anhaltende Lösung der
        Nahrungsmittelkrise als eines der wichtigsten aktuellen
        Themen. Dieser Antrag der FDP-Fraktion wird jedoch
        nicht im Mindesten zu einer Lösung beitragen, weswe-
        gen wir ihn aus voller Überzeugung ablehnen.
        Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Ursachen der Welternährungskrise sind vielfältig. Hun-
        ger und Armut sind auch das Ergebnis einer EU-Agrar-
        politik, die vor allem am Wohlergehen der Industrielän-
        der orientiert war. Agro-Gentechnik ist kein innovativer
        „neuer“ Ansatz in der Landwirtschaft, der einen Beitrag
        zur Lösung des Hungerproblems leistet, sondern eine
        neue Gewinnsparte und in Abhängigkeit von der Agroin-
        dustrie.
        Gentechnisch veränderte Pflanzen dienen nicht der
        Hungerbekämpfung, sondern werden zur Exportware –
        als Baumwolle für billige T-Shirts oder als Futtermittel
        für den Fleischkonsum in den Industrieländern. Zyni-
        scher sind noch einzelne Prestigeobjekte der Agro-Gen-
        technik-Industrie, zum Beispiel der „Golden Rice“.
        Wenn Menschen sich nicht genug Reis zum Überleben
        leisten können, dann können sie sich auch keinen „Gol-
        den Rice“ leisten.
        Die Hungerdebatte wird von Befürwortern der Agro-
        Gentechnik genutzt, um ein verstaubtes Argument neu
        aufzupolieren: Die Sicherstellung der Welternährung er-
        fordere eine Steigerung der Produktivität in der Land-
        wirtschaft, und dies ginge nur mit gentechnisch verän-
        derten Pflanzen. Doch auch diesen Nachweis ist die
        Agro-Gentechnik-Industrie schuldig geblieben, wie eine
        Studie der Universität Georgia von 2008 zeigt.
        Schon 2004 wies die FAO darauf hin, dass eine Er-
        trags- und Gewinnsteigerung durch den Anbau von gen-
        technisch veränderten Pflanzen wissenschaftlich nicht
        belegt sei. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch
        die Autoren einer von der EU-Kommission in Auftrag
        gegebenen Übersichtsstudie aus dem Jahr 2007 bestäti-
        gen, dass die Datenlage hinsichtlich einer Ertragssteige-
        rung durch gentechnisch veränderte Pflanzen nicht be-
        lastbar sei. Auch der UN-Weltagrarrat erklärt in seinem
        Bericht von 2008, dass eine Auswertung der bisher vor-
        gelegten Studien über den Anbau gentechnisch verän-
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        erter Pflanzen gezeigt habe, dass es in einigen Gebieten
        rtragszuwächse, in anderen aber Ertragsrückgänge
        urch den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen
        ab.
        Seit rund zehn Jahren werden gentechnisch verän-
        erte Pflanzen zu kommerziellen Zwecken angebaut, vor
        llem in den USA, Argentinien und Brasilien. Dies sind
        ast ausschließlich herbizid- oder insektenresistente
        oja-, Mais-, Raps- und Baumwollsorten, die auf frucht-
        aren Böden angebaut werden müssen. Es werden in-
        wischen fast ausschließlich gentechnisch veränderte
        ojasorten des US-Konzerns Monsanto angebaut.
        Die Konsequenzen für die Landwirtschaft in Argenti-
        ien sind enorm: Waldflächen wurden für den Sojaanbau
        erodet, der Einsatz von Pestiziden und Stickstoffdünger
        tieg an, und es gibt Probleme mit dem Durchwuchs von
        erbizidresistenten Sojapflanzen. Gleichzeitig nahm in
        rgentinien die landwirtschaftliche Fläche für die Ei-
        enversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln
        b. Kleine und mittelständische landwirtschaftliche Be-
        riebe wurden verdrängt.
        Die Agro-Gentechnik kommt anders als der Ökoland-
        au nicht ohne Pestizide aus. Entweder werden die
        flanzen mittels Gentechnik selbst zu Pestiziden umge-
        aut, sodass sie in allen Pflanzenteilen – sogar im Pollen –
        inen toxischen Stoff des Bacillus thuringiensis – Bt –
        roduzieren. Zu diesen insektenresistenten Pflanzen ge-
        ören auch die MON-810-Maissorten von Monsanto, die
        on Landwirtschaftsminister Horst Seehofer für den An-
        au in Deutschland zugelassen wurden. Oder es werden
        otalherbizide eingesetzt.
        Die schädliche Wirkung dieser Kombination für die
        iodiversität wurde unter anderem in einer langjährigen
        tudie der britischen Regierung nachgewiesen: Durch
        en Anbau von herbizidresistentem Raps waren 44 Pro-
        ent weniger Blütenpflanzen und weniger Schmetter-
        inge und Spinnen zu finden, während bei Anbau
        erbizidresistenter Zuckerrüben 34 Prozent weniger Blü-
        enpflanzen sowie signifikant weniger Bienen, Schmet-
        erlinge und Wanzen zu finden waren.
        Das Beispiel des Soja-Anbaus in Argentinien zeigt
        eben den ökologischen Risiken auch die sozio-ökono-
        ischen Risiken der Agro-Gentechnik deutlich an. Dazu
        ehören zum Beispiel Kosten für die Vermeidung von
        erunreinigungen oder der Gefährdung der Biodiversität
        urch gentechnisch veränderte Pflanzen oder Folgen der
        atentierung biologischer Ressourcen und der Monopo-
        isierung des Saatgutsektors. Die Risiken in Entwick-
        ungsländern sind laut UN-Weltagrarrat vor allem enorm
        ohe Kosten für Saatgut durch Patente. Und gerade
        leinbauern geraten laut GEPA durch den Einsatz von
        ybrid- und gentechnisch verändertem Saatgut in eine
        chuldenspirale, da sie Saatgut, Düngemittel und Pesti-
        ide jedes Jahr erneut zu vorgegebenen Preisen kaufen
        üssten. Die Schuldenfalle Agro-Gentechnik hat auch
        ei Baumwoll-Bauern in Indien zu einer hohen Selbst-
        ordrate geführt.
        Eine Studie des Sächsischen Landesamtes für Um-
        elt, Landwirtschaft und Geologie ergab zudem auch
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19623
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        für Deutschland als Industrieland, dass beim Anbau von
        Bt-Mais höhere Saatgutkosten von 35 bis 40 Euro pro
        Hektar entstehen. Diese Mehrkosten können erst recht
        nicht Bauern in Entwicklungsländern tragen.
        Viele Ursachen steigender Lebensmittelpreise und
        Flächenkonkurrenz liegen in den reichen westlichen
        Ländern. Fleischhunger macht Welthunger – dagegen
        hilft keine Technik, erst recht keine Agro-Gentechnik,
        sondern hier müssen politische und strukturelle Lö-
        sungsansätze gefunden werden. Dazu gehört, in der
        Agrar- und Agrarsubventionspolitik umzusteuern und in
        der Entwicklungszusammenarbeit sowie in den Partner-
        ländern selbst die bäuerliche Landwirtschaft und ländli-
        che Entwicklung zu stärken. Auch müssen wir unsere
        Ernährungsgewohnheiten verändern. Und es muss recht-
        zeitig gegengesteuert werden, damit aus dem Energie-
        hunger nicht noch mehr Welthunger wird.
        Wichtig ist: Das Menschenrecht auf Nahrung muss
        Priorität haben. Die Bundesregierung schließt in ihrem
        Beschluss nicht aus, die Welternährungskrise auch mit
        industriellen Mitteln wie der Agro-Gentechnik zu be-
        kämpfen. Dies ist keine Lösung. Eine nachhaltige, so-
        ziale und ökologische Landwirtschaft, die das Hunger-
        problem überwinden kann, braucht keine grüne
        Gentechnik. Agro-Gentechnik ist im Gegenteil eine er-
        hebliche Gefährdung der Ernährungssicherheit.
        Anlage 14
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
        genetische Untersuchungen bei Menschen (Gen-
        diagnostikgesetz – GenDG) (Tagesordnungs-
        punkt 16)
        Hubert Hüppe (CDU/CSU): Heute liegt uns der Ge-
        setzentwurf der Bundesregierung zu einem Gendiagnos-
        tikgesetz vor. Genetische Untersuchungen sind ein Be-
        reich, in dem sich Verbände, Enquete-Kommission,
        Nationaler Ethikrat, Fraktionen und verschiedene Bun-
        desregierungen seit mehreren Jahren um eine gesetzliche
        Regelung bemühen. Die CDU/CSU-Fraktion hat, auch
        unter den Vorgängerregierungen, immer wieder auf ein
        Gendiagnostikgesetz gedrängt. Die Regierungsfraktio-
        nen haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass geneti-
        sche Untersuchungen gesetzlich geregelt werden sollen.
        Es ist gut, dass wir heute mit dem vorliegenden Ent-
        wurf das Gesetz auf den Weg bringen. Es besteht weitge-
        hende Einigkeit, dass ein solches Gesetz nötig ist. Seine
        Gene wird der Mensch sein Leben lang nicht los, sie ste-
        hen fest. Genetische Daten sind sensible, höchstpersönli-
        che Gesundheitsdaten. Genetische Daten sind auch des-
        halb besonders sensibel, weil sie Informationen über
        Verwandte enthalten können.
        Der Gesetzentwurf gibt genetische Untersuchungen
        in die Hände von Fachleuten, sichert Qualitätsanforde-
        rungen ab und errichtet Schutzwälle gegen Missbrauch
        genetischer Daten und Diskriminierung aufgrund geneti-
        scher Eigenschaften, etwa im Arbeitsleben und im Versi-
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        herungswesen. Ob man Ergebnisse genetischer Unter-
        uchungen wissen will oder sie gerade nicht wissen will,
        as unterliegt der Selbstbestimmung jedes einzelnen.
        er Gesetzentwurf legt strenge Maßstäbe an die Einwil-
        igung in eine genetische Untersuchung an.
        Genetische Tests können zur Absicherung einer
        iagnose beitragen und dadurch die Therapie verbes-
        ern. Pharmakogenetische Tests können genetisch be-
        ingte Empfindlichkeiten für bestimmte Medikamente
        lären und so eine individuelle Auswahl und Dosierung
        on Medikamenten erleichtern. Prädiktive genetische
        est geben Anhaltspunkte über mögliche Risiken einer
        ukünftigen Erkrankung oder Behinderung. Prädiktive
        entests können möglicherweise helfen, einer Krankheit
        orzubeugen, etwa durch Anpassung der Lebensge-
        ohnheiten.
        Gerade weil wir die Chancen genetischer Diagnostik
        utzen wollen, brauchen wir eine gesetzliche Regelung.
        ie Menschen müssen sicher sein können, dass geneti-
        che Untersuchungen zu ihrem Vorteil durchgeführt wer-
        en. Sie müssen sicher sein, dass es nicht zu ihrem Scha-
        en ist, wenn sie genetische Diagnostik in Anspruch
        ehmen. Deshalb war es uns als Union wichtig, dass es
        ukünftig Versicherern und Arbeitgebern nicht nur ver-
        oten sein soll, genetische Tests zu verlangen, sondern
        s auch ein Verbot der Verwertung von Testergebnissen
        ibt, die der Betroffene freiwillig vorlegt oder an die der
        rbeitgeber oder das Versicherungsunternehmen auf an-
        ere Weise gelangt.
        Besonders wichtig ist die qualifizierte Beratung vor
        nd nach einem prädikativen Gentest, um den Aussage-
        ert eines Testergebnisses richtig einzuschätzen und auf
        einer Basis eine begründete Entscheidung treffen zu
        önnen. Diese Beratung muss von Ärzten geleistet wer-
        en, die über besondere Fachkunde verfügen.
        Das Gendiagnostikgesetz geht von der Besonderheit
        enetischer Daten aus schreibt und zum Schutz der be-
        roffenen Menschen sinnvolle Regelungen vor, etwa
        rztvorbehalt, qualifizierte Beratung, Bedingungen der
        inwilligung und der Aufbewahrung bzw. Vernichtung
        on Ergebnissen genetischer Untersuchungen.
        Ich denke, im Grundsatz haben wir ein hohes Maß an
        inigkeit darüber, dass ein Gesetz diese Grundprinzipien
        msetzen soll. Über die konkrete Ausgestaltung dieser
        rinzipien werden wir auf Basis des Gesetzentwurfes der
        undesregierung beraten. Wir werden auch im Rahmen
        iner Anhörung die Betroffenen und die Fachleute in die
        eratung einbeziehen. Wir werden genau darauf
        chauen, ob die Begriffsbestimmungen trennscharf und
        raxistauglich sind, etwa hinsichtlich der Unterschei-
        ung zwischen diagnostischen und prädikativen geneti-
        chen Untersuchungen. Besonders muss aus meiner
        icht geprüft werden, inwieweit der Stellungnahme des
        undesrates gefolgt werden sollte, genetische Untersu-
        hungen zu Forschungszwecken einzubeziehen. Natür-
        ich sind wir zu Änderungen bereit, die sich aus den wei-
        eren Beratungen, Stellungnahmen und Anhörungen
        rgeben.
        19624 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Bei einem ausführlichen Gespräch zum Gendiagnos-
        tikgesetz mit Vertretern der Diagnostica-Industrie haben
        diese unter anderem die Position vertreten, dass der For-
        schungsbereich im Gendiagnostikgesetz mit geregelt
        werden muss. Ihre Begründung für eine gesetzliche Re-
        gelung ist so einleuchtend wie vernünftig: Wenn jede
        Frau und jeder Mann wissen, dass genetische Untersu-
        chungen in einem geordneten und gesetzlich festgeleg-
        ten Rahmen stattfinden, besteht Vertrauen. Eine gesetzli-
        che Regelung im Forschungsbereich ist also sowohl im
        Interesse der Betroffenen als auch der Anbieter und der
        Industrie.
        Von daher ist in der Tat zu prüfen, was im Bereich der
        genetischen Forschung bundesweit geregelt ist und was
        gegebenenfalls geregelt werden muss. Ansonsten würde
        dies ein Problem insofern darstellen, als solche For-
        schungsprojekte nicht notwendig nur innerhalb der
        Grenzen eines Bundeslandes stattfinden und verschie-
        dene Berufsgruppen und verschiedene Institutionen
        – etwa private und öffentlich-rechtliche Stellen – unter-
        schiedlichen rechtlichen Anforderungen unterliegen
        könnten. Dies würde letztlich als Forschungshindernis
        wirken.
        Umgekehrt gilt: Wenn genetische Untersuchungen in
        einem geordneten und gesetzlich festgelegten Rahmen
        stattfinden, besteht das Vertrauen, auf das Forschung an-
        gewiesen ist. Deshalb sollten wir uns diesem Thema
        sorgfältig widmen.
        In den letzten Wochen ist auch darüber diskutiert wor-
        den, ob das Gesetz alles erlauben soll, was „technisch“
        möglich ist. So haben unter anderem der Ministerpräsi-
        dent von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, und die
        Staatssekretärin Ursula Heinen ein Verbot vorgeburtli-
        cher genetischer Untersuchungen gefordert, die gezielt auf
        „spätmanifestierende Erkrankungen“ wie zum Beispiel
        Brustkrebs oder Alzheimer durchgeführt werden, also für
        solche Erkrankungen, die erst im späteren Lebensalter
        auftreten. Allein die Entnahme der Fruchtwasserprobe für
        diese genetische Untersuchung birgt ein Risiko von einem
        Prozent, dass es zu einer Fehlgeburt kommt.
        Solche Gentests wären auch lange nach der Geburt
        des Kindes möglich, wenn es nur darum geht, der Er-
        krankung bestmöglich vorzubeugen, etwa durch gezielte
        Vorsorgeuntersuchungen, besondere Ernährung oder Le-
        bensführung, oder sich bestmöglich auf die Erkrankung
        vorzubereiten. Wenn man nur das Wohl des Kindes im
        Auge hat, gibt es keinen Grund, solche Gentests noch
        vor der Geburt durchzuführen.
        Wenn man solche Gentests noch vor der Geburt statt
        nach der Geburt durchführen will, um das Risiko einer
        „spätmanifestierenden Erkrankung“ abzuklären, so hat
        man davon keinen zusätzlichen Nutzen, es sei denn, um
        sich für eine Abtreibung wegen dieser Veranlagung zu
        entscheiden. Wenn wir vorgeburtliche Gentests auf
        „spätmanifestierende Erkrankungen“ zulassen, schaffen
        wir ein erhebliches Diskriminierungspotenzial gegen
        Träger solcher Veranlagungen. Wir würden einen weite-
        ren Schritt zum „Kind nach Maß“ zulassen. Dies ist eine
        Gewissensfrage.
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        Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute Aus-
        angsbasis und ein großer Schritt für mehr Sicherheit
        nd Vertrauen im bereich der Gendiagnostik. Wir wer-
        en in der Anhörung erfahren, wie die Sachverständigen
        en Entwurf beurteilen, was sie begrüßen und wo sie
        orrekturbedarf sehen, und wir werden sehr gewissen-
        aft und sorgfältig mit ihren Vorschlägen umgehen.
        Ich freue mich auf konstruktive Beratungen im Aus-
        chuss.
        Dr. Carola Reimann (SPD): Mit dem Entwurf für
        in Gesetz über genetische Untersuchungen beim Men-
        chen – kurz Gendiagnostikgesetz – legen wir eine ge-
        etzliche Regelung für den bisher ungeregelten Bereich
        er genetischen Untersuchungen vor. Dieser Bereich er-
        ordert angesichts der Erkenntnismöglichkeiten der Hu-
        angenetik einen besonderen Schutzstandard, um die
        ersönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu
        chützen und durch eine gesetzliche Regelung die Quali-
        ät der genetischen Diagnostik zu gewährleisten.
        Der nun vorliegende Gesetzentwurf wird die Bürge-
        innen und Bürger in die Lage versetzen, ihr Recht auf
        nformationelle Selbstbestimmung wahrzunehmen. Ein
        eiteres wichtiges Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die
        it der Untersuchung menschlicher genetischer Eigen-
        chaften verbundenen möglichen Gefahren und geneti-
        che Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die
        hancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für
        en Einzelnen zu wahren. Mit dem Gesetz werden zu-
        em Anforderungen an eine gute genetische Untersu-
        hungspraxis verbindlich geregelt.
        Zu den Grundprinzipien des Entwurfes zählt das
        echt des Einzelnen auf informationelle Selbstbestim-
        ung. Hierzu gehören sowohl das Recht auf Wissen,
        lso das Recht, die eigenen genetischen Befunde zu ken-
        en, als auch das Recht auf Nichtwissen, das heißt diese
        icht zu kennen. Nur wenn die betroffene Person in die
        ntersuchung rechtswirksam eingewilligt hat, dürfen
        enetische Untersuchungen durchgeführt werden. Vo-
        aussetzung für die Ausübung des Selbstbestimmungs-
        echts ist die Trias aus Aufklärung vor den genetischen
        ntersuchungen, die wirksame Einwilligung in die ge-
        etische Untersuchung sowie zusätzlich die genetische
        eratung. Mit diesem Konzept wollen wir eine souve-
        äne Entscheidung des informierten Patienten für oder
        egen eine genetische Untersuchung ermöglichen.
        Im Detail sieht unser Entwurf Regelungen für die Be-
        eiche der medizinischen Versorgung, der Abstammung,
        es Arbeitslebens und der Versicherungen vor. Auf die
        egelungen zu genetischen Untersuchungen zu medizi-
        ischen Zwecken sowie im Arbeits- und Versicherungs-
        ereich möchte ich im Folgenden näher eingehen.
        Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwe-
        ken, die nur von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt
        erden dürfen, unterliegen einem abgestuften Bera-
        ungskonzept. Die genetische Beratung ist ein zentrales
        lement des Gesetzentwurfes. So soll eine Beratung
        ann angeboten werden, wenn die genetische Untersu-
        hung der Abklärung einer bereits bestehenden Erkran-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19625
        (A) )
        (B) )
        kung dient. Verpflichtend ist sie hingegen dann, wenn
        Untersuchungen eine Vorhersage auf die eigene Gesund-
        heit oder auf die Gesundheit eines ungeborenen Kindes
        erlauben. In beiden Fällen ist die Beratung vor und nach
        der Untersuchung verpflichtend. Auf ausdrücklichen
        Wunsch der Patientin oder des Patienten ist – ganz im
        Sinne des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung –
        auf die Beratung zu verzichten.
        Eine Begrenzung allein auf medizinische Zwecke er-
        folgt bei vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen.
        Diese sollen sich auf die Feststellung derjenigen geneti-
        schen Eigenschaften beschränken, die die Gesundheit
        des Fötus oder Embryos vor oder nach der Geburt beein-
        trächtigen können.
        Im Bereich des Arbeitsrechts sind genetische Unter-
        suchungen auf Verlangen des Arbeitgebers grundsätzlich
        verboten. Dem Arbeitgeber ist zudem die Verwendung
        von Ergebnissen bereits vorgenommener Untersuchun-
        gen untersagt. Lediglich im Arbeitsschutz sind geneti-
        sche Untersuchungen unter sehr eng gefassten Voraus-
        setzungen zugelassen.
        Ähnlich strenge Regelungen sind für den sensiblen
        Versicherungsbereich vorgesehen. So dürfen Versiche-
        rungsunternehmen beim Abschluss eines Versicherungs-
        vertrages grundsätzlich weder die Durchführung einer
        genetischen Untersuchung noch Auskünfte über bereits
        durchgeführte Untersuchungen verlangen. Allein zur
        Vermeidung von Missbrauch, der sich auch gegen die
        Versichertengemeinschaft richtet, ist vorgesehen, dass
        Ergebnisse bereits vorgenommener genetischer Untersu-
        chungen vorgelegt werden müssen, wenn eine Versiche-
        rung mit einer sehr hohen Versicherungssumme abge-
        schlossen werden soll.
        Die Regelungen für den Arbeits- und den Versiche-
        rungsbereich greifen die berechtigten Sorgen der Bürge-
        rinnen und Bürger auf und schützen durch klar abge-
        grenzte Ausnahmen gleichzeitig vor Missbrauch bzw.
        vor gesundheitlichen Schäden.
        Einen letzten Punkt möchte ich kurz noch aufgreifen.
        Weil nicht nur die Grundlagenforschung im Bereich der
        Genetik, sondern auch die Anwendungsforschung be-
        ständig neue Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkei-
        ten liefert, ist es von großer Bedeutung, den Bereich der
        Gendiagnostik kontinuierlich zu beobachten, um Ent-
        wicklungen zu erkennen, die gesetzgeberisches Handeln
        notwendig machen. Zu diesem Zweck bewertet eine
        beim RKI ansässige interdisziplinär zusammengesetzte
        unabhängige Gendiagnostik-Kommission alle drei Jahre
        in einem Tätigkeitsbericht die Entwicklung der geneti-
        schen Diagnostik. Die Kommission hat ferner die Auf-
        gabe, Richtlinien zum allgemein anerkannten Stand der
        medizinischen Wissenschaft und Technik, zur Qualifika-
        tion von Personen zur genetischen Beratung, zur Aufklä-
        rung und Beratung, zur Durchführung von genetischen
        Analysen sowie genetischen Reihenuntersuchungen zu
        erstellen.
        Mit dem Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes legen
        wir für den Bereich der sensiblen genetischen Daten ein
        gut ausbalanciertes Regelwerk vor, welches einerseits
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        ie Chancen genetischer Untersuchungen für den Einzel-
        en wahrt sowie andererseits die mit der Untersuchung
        enschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen
        öglichen Gefahren verhindert. Ich möchte an dieser
        telle besonders hervorheben, dass Aufklärung und Be-
        atung als Voraussetzung für eine wirklich informierte
        ntscheidung des Einzelnen einen zentralen Stellenwert
        n unserem Entwurf einnehmen. Der vorgelegte Entwurf
        ichert diesen Gleichklang von verlässlichen gesetzli-
        hen Rahmenbedingungen – mit der Betonung auf dem
        echt der informationellen Selbstbestimmung – und ei-
        er umfassenden Aufklärung und Beratung der Betroffe-
        en über Potenziale wie Risiken der genetischen
        iagnostik.
        Heinz Lanfermann (FDP): In der öffentlichen Dis-
        ussion um die Vor- und Nachteile von Gendiagnostik
        rleben wir eine große Spannbreite der Meinungen. Es
        ibt die Furcht vor dem gläsernen Menschen ebenso wie
        ie Euphorie, den Schlüssel zur Heilung aller Krankhei-
        en entdeckt zu haben. Augenmaß und ruhige Betrach-
        ung sind angesagt, und man sollte weder zu große Hoff-
        ungen noch zu große Ängste wecken. Eine gesetzliche
        egelung der Fragen, die sich durch die Gendiagnostik
        rgeben, ist notwendig, gerade auch um Ängsten und fal-
        chen Vorstellungen bei den Bürgerinnen und Bürgern
        u begegnen.
        Nach der Entschlüsselung des Genoms sehen wir ei-
        ige Buchstaben, die aber dafür in riesiger Anzahl, die
        mmer wieder typisch, wenn auch nicht beliebig, so doch
        mmer wieder anders zusammengesetzt sind. Wir sind
        och weit entfernt davon, das individuelle Lebensbuch
        esen zu können. Auch wissen wir noch nicht, ob es wei-
        ere Strukturen gibt, die unter bestimmten – noch unbe-
        annten – Umständen oder in bestimmten Zeitintervallen
        eränderungen hervorrufen. Wer sagt zum Beispiel dem
        en, dass das Wachstum der mit ihm verbundenen Zel-
        en gestoppt werden muss?
        Nun stehen wir am Anfang einer Entwicklung mit
        och Ungewissem Ausgang und wollen doch schon jetzt
        ieles regeln und dabei möglichst alle für uns zum jetzi-
        en Zeitpunkt absehbaren Missbrauchsgefahren aus-
        chließen.
        Der Gesetzentwurf stellt einen ersten Versuch der
        ormulierung eines Handlungs- und Orientierungsrah-
        ens dar, über dessen Ausgestaltung wir noch intensiv
        prechen müssen. Er regelt die Art und Weise geneti-
        cher Untersuchungen ebenso wie den Umgang mit den
        ieraus gewonnenen hochsensiblen Daten. Dabei wirft
        r schwierige Fragen auf, mit denen wir uns auseinan-
        ersetzen müssen:
        So wird sicher über § 18 Gendiagnostikgesetz, also
        ie Frage der Verwertbarkeit von genetischen Untersu-
        hungen und Analysen im Zusammenhang mit dem Ab-
        chluss eines Versicherungsvertrages, zu sprechen sein.
        abei stimme ich der Forderung der Bundesärztekam-
        er ausdrücklich zu, dass Versicherungsunternehmen
        icht die Vornahme einer genetischen Untersuchung von
        hren Versicherungsnehmern verlangen dürfen. In die-
        em Sinne begrüße ich auch die Selbstverpflichtung der
        19626 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Versicherungswirtschaft, keine Gentests von ihren Kun-
        den zu verlangen.
        Es stellt sich in diesem Zusammenhang aber die
        Frage, wie mit den Ergebnissen freiwilliger Tests umzu-
        gehen ist. § 18 des Gendiagnostikgesetzes schließt für
        den Fall des Abschlusses eines Versicherungsvertrages
        die Verwertung auch freiwillig durchgeführter Gentests
        aus – sofern eine Grenze von 300 000 Euro für Lebens-
        versicherungen und 30 000 Euro für Jahresrenten nicht
        überschritten wird –, wobei die Formulierung nicht klar
        beschreibt, ob sich die Zahlen auf jeweils einen oder die
        Summe mehrerer Versicherungsverträge beziehen soll.
        Dabei wird allerdings nicht unterschieden, ob es sich
        um einen prädiktiven oder einen diagnostischen Test
        handelt. Der Unterschied liegt darin, dass prädiktive Un-
        tersuchungen ohne bestehende Krankheitssymptomatik
        lediglich die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Er-
        krankung, also die genetische Veranlagung, ermitteln,
        die diagnostische genetische Untersuchung dagegen der
        genaueren Diagnose einer bereits eingetretenen Erkran-
        kung und der weiteren Behandlung dient.
        In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass schon
        heute den Versicherungsnehmer eine Pflicht zur Anzeige
        aller ihm bekannten Gefahrumstände trifft. Es muss
        folglich sorgsam geprüft werden, ob es – wie in § 18
        Gendiagnostikgesetz vorgesehen – richtig ist, dass der
        Versicherungsnehmer selbst dann das Recht erhalten
        soll, die Erkenntnisse einer freiwilligen Untersuchung zu
        verschweigen, wenn er dabei positive Kenntnis von ei-
        ner Erkrankung erlangt hat. Die Tatsache, dass der Versi-
        cherungsnehmer mit der Durchführung eines solchen
        freiwilligen Tests auf sein Recht auf Nichtwissen ver-
        zichtet hat, gilt es in der Abwägung zwischen dem Recht
        auf informationelle Selbstbestimmung, dem Recht des
        Versicherers auf Informationssymmetrie bei Vertrags-
        schluss und den Folgewirkungen für die Versichertenge-
        meinschaft zu berücksichtigen.
        Wenn wir über genetische Untersuchungen sprechen,
        dann kommen wir aber auch zu der Frage, wie Ärzte mit
        den durch Gendiagnostik gewonnenen Daten umgehen
        müssen. Bekennen wir es ehrlich: Die ärztliche Schwei-
        gepflicht ist an vielen Stellen durchlöchert. Es gilt daher,
        diese ärztliche Schweigepflicht wieder umfassender zu
        gestalten und in der Praxis einzufordern – und dies be-
        sonders im Hinblick auf Gendaten und damit im Hin-
        blick auf die Regelungen des Gendiagnostikgesetzes.
        Ein weiteres Problem, dessen man sich in den Aus-
        schussberatungen wird annehmen müssen, ergibt sich
        aus § 17 Abs. 8 Gendiagnostikgesetz. Diese Vorschrift
        regelt in Verfahren der Auslandsvertretungen und Aus-
        länderbehörden zum Familiennachzug nach dem Aufent-
        haltsgesetz die Klärung der Abstammung durch geneti-
        sche Untersuchungen. Problematisch dabei ist, dass die
        Bundesregierung vorliegend ein Verfahren formalisieren
        möchte, bei dem bereits die Rechtsgrundlage unklar ist.
        Schon seit geraumer Zeit verlangen Botschaften in Fra-
        gen des Familiennachzugs von den Betroffenen die Zu-
        stimmung zu und die Einholung von DNS-Gutachten
        zum Zwecke des Abstammungsnachweises.
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        Die Bundesregierung stützt diesen massiven Eingriff
        n das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf
        82 Aufenthaltsgesetz bzw. § 6 Abs. 2 Passgesetz, wo-
        ach den Antragsteller im Antragsverfahren die Oblie-
        enheit trifft, zuverlässige Nachweise der Abstammung
        u erbringen. Es liegt der Verdacht nahe, dass ausweis-
        ich der Antwort der Bundesregierung vom 9. November
        007 auf unsere diesbezügliche Kleine Anfrage zuneh-
        end ein DNS-Nachweis verlangt wird, um die aufwen-
        ige Überprüfung der eingereichten Abstammungsdoku-
        ente zu begrenzen. Damit wird aus der eigentlich
        reiwilligen DNS-Untersuchung faktisch eine Pflichtun-
        ersuchung zur Erlangung der Aufenthaltserlaubnis.
        Dass die Bundesregierung selbst dabei keineswegs so
        orgsam und zurückhaltend mit den aus genetischen
        ests gewonnenen Daten umzugehen gedenkt, wie in der
        weckbestimmung des § 1 Gendiagnostikgesetz gefor-
        ert wird, ergibt sich auch aus § 17 Abs. 8 Gendiagnos-
        ikgesetz. Demnach sollen für den Fall des Verdachts ei-
        er nicht einmal näher bestimmten Straftat das Ergebnis
        er DNS-Untersuchung und die genetische Probe selbst
        um Zwecke der Strafverfolgung übermittelt werden.
        nd das, obwohl der Test ausschließlich zur Erlangung
        ines den Nachzug erlaubenden Abstammungsnachwei-
        es vorgenommen wurde.
        Gendiagnostik mag zum jetzigen Zeitpunkt nur bei ei-
        igen wenigen Krankheiten ein geeignetes Instrument
        arstellen. Man muss dabei aber auch bedenken, dass die
        iagnostik alleine nicht reicht. Sie muss über die Bera-
        ung hinaus mit einer konkreten und sachkundigen Hilfe-
        eistung verbunden werden. Ich denke hier beispiels-
        eise an die helfende Vorsorge, die zwar die Krankheit
        icht direkt beeinflusst, aber die Vorstufen lindert und
        em Patienten das Gefühl gibt, nicht allein gelassen zu
        erden.
        Wenn wir jetzt das Gesetzgebungsverfahren angehen,
        üssen wir uns zur Ausgangslage eingestehen: Wir alle
        tehen heute noch vor einem großen Buchstabenberg.
        ie und wofür man die Buchstaben wird gebrauchen
        önnen, das wird sich erst in der Zukunft weisen.
        leichwohl müssen wir jetzt ein Gendiagnostikgesetz
        rarbeiten, das drei Bedingungen erfüllt: Erstens: Es
        uss größtmöglichen Schutz vor unbefugter Verwen-
        ung garantieren. Zweitens: Es muss bewährte Rechts-
        rundsätze für das neue Zeitalter fortschreiben. Drittens:
        s muss Qualifikationsmaßstäbe für Untersuchungen
        nd Beratungen formulieren.
        Monika Knoche (DIE LINKE): Nun schon in der
        ritten Legislatur wird die Notwendigkeit eines Gen-
        iagnostikgesetzes gefordert. Heute liegt erneut ein Ent-
        urf dafür vor. Das begrüße ich namens meiner Fraktion
        ie Linke ausdrücklich.
        Wenn auch die Gendiagnostik als solche nicht das
        hema jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bür-
        erin ist, so ist sie doch eine Frage, die alle angeht.
        Untersuchungen des Erbmaterials tauchen immer
        ehr und immer öfter in unserem Leben auf: Arbeitge-
        er und Lebensversicherungen wollen gerne wissen, wie
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19627
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        es um unsere Gene bestellt ist, aufgrund der sich rasant
        entwickelnden Untersuchungsmethoden raten Ärzte im-
        mer öfter zu genetischen Tests, um bestehende Krank-
        heiten oder auch nur ein mögliches Krankheitsrisiko ir-
        gendwann in den nächsten Jahrzehnten aufzudecken,
        Forscher hätten gern mehr und mehr genetische Proben,
        unsinnige Tests auf nicht behandelbare Erkrankungen
        stehen neben nützlichen, verbotene neben legalen, das
        Missbrauchspotenzial ist extrem hoch. Und das Ganze
        ist so gut wie nicht gesetzlich geregelt. Das muss jetzt
        erfolgen, denn das Recht auf informationelle Selbstbe-
        stimmung als ein Kernbestand des modernen Menschen-
        rechts hat Verfassungsrang. Dass dieses Recht eines
        Menschen sich im Wesentlichen im Bereich medizini-
        scher Diagnostik abspielt, also Aussagen über das eigene
        Erbgut umfasst, macht diese Frage zu einer hochsen-
        siblen Frage des Persönlichkeitsrechts und der präventi-
        ven und kurativen medizinischen Möglichkeit.
        Um so dringlicher sind die Anforderungen an den Ge-
        setzgeber, genauestens darauf zu achten, wer überhaupt
        berechtigt ist, genetische Tests anzubieten und durchzu-
        führen, wie der informed concent, das ist Voraussetzung
        für jedwede Diagnostik, ausgestaltet sein muss, um in
        verantwortbarer Weise den Patienten und Patientinnen
        Kenntnis über deren genetische Bedingungen zu geben.
        Was sagen solche Tests über Krankheiten erblicher
        Natur aus? Was können sie über die Wahrscheinlichkeit
        des Eintritts einer Krankheit und Schwere dieser sowie
        heutige und zukünftige Behandlungsmöglichkeiten aus-
        sagen? Darüber müssen die Bürgerinnen und Bürger vor
        der Durchführung eines Tests voll informiert werden,
        bevor sie ihre Einwilligung zur Durchführung geben.
        Selbstverständlich ist das Recht auf Nichtwissen ein
        Menschenrecht. Und – das ist das Besondere an diesem
        Verfahren – auch Angehörige von getesteten Personen
        sind unter Umständen „genetisch identifiziert“, ohne
        darüber je eine Zustimmung gegeben zu haben.
        Deshalb muss diese Schutz- und Rechtsdimension
        zwingend in einem Gendiagnostikgesetz ihren Nieder-
        schlag finden. Und diesem Problem hat sich der Gesetz-
        entwurf zugewandt.
        Hier möchte ich auf die einschlägigen Paragrafen in
        diesem vorliegenden Entwurf, die Gentests zur Bestim-
        mung von Verwandtschaftsverhältnissen bei Familien-
        nachzug verlangen, hinweisen. Wir Linke können diese
        Vorgaben nur ablehnen. Denn ein Sonderrecht respektive
        Rechtsentzug für Migrantinnen und Migranten stellt eine
        Diskriminierung durch ein Bundesgesetz dar. Das muss
        wieder aus dem Entwurf entfernt werden. Denn diese
        Daten sollen darüber hinaus ja auch den Strafverfol-
        gungsbehörden zugeführt werden können. Willkür ge-
        genüber Nichtdeutschen darf nicht zu deutschem Recht
        werden.
        Daneben ist es der Vorschlag, Untersuchungen durch-
        führen zu lassen, die Rückschlüsse auf das Erbgut er-
        möglichen, die wir insbesondere im Arbeitsrecht für
        nicht zulässig halten, auch wenn sie in Form von phäno-
        typischen Tests auftauchen. Würde das erlaubt, hätte es
        zur Folge, dass diejenigen Beschäftigten herausgefiltert
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        erden können, die für belastende Arbeitsbedingungen
        chlichtweg ein Berufsverbot erhielten.
        Aufgabe ist es demgegenüber, die Arbeitsplatzbedin-
        ungen so zu gestalten, dass sie für einen diskrimi-
        ierungsfreien Zugang sorgen und gesundheitliche Ar-
        eitsschutzregelungen geschaffen werden, die es allen
        rmöglichen, ihren gewünschten Beruf anzustreben.
        Wie weit die Regelungen reichen, erkennt man auch
        aran, dass zwar bei Lebensversicherungen Tests gefor-
        ert werden und bei privaten Krankenkassen nicht er-
        aubt sind, die Versicherungsgesellschaften jedoch oft
        ng miteinander verwoben sind. Deshalb darf kein Da-
        entransfer erlaubt werden; wie auch stark zu hinterfra-
        en ist, ob es nicht doch zu Diskriminierung führt, wenn
        ür Lebensversicherungen ab 300 000 Euro Gentests er-
        aubt würden.
        Zum Schluss möchte ich noch Details des Gesetzes
        nsprechen, die intensiver Beratung und fachlicher Ex-
        ertisen bedürfen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass
        m Bereich der Medizin die Gefahr besteht, zu einer auf
        ene zentrierten Sichtweise von Krankheits- und Kör-
        erbildern zu kommen. Interessant auch, dass sich nam-
        afte Humanethiker heute deutlich distanzieren von der
        andläufigen Meinung darüber, wie bestimmend eigent-
        ich Gene für Krankheiten seien. Sie raten sehr zu einer
        anzheitlichen Medizin und warnen vor einer monokau-
        alen Betrachtung auch bei erblicher Disposition zu ei-
        er bestimmten Erkrankung. Prävention, Vorsorge und
        ekundärprävention gilt es auch hier mehr Aufmerksam-
        eit zukommen zu lassen. Das ethisch moralisch wohl
        roblematischste Feld moderner Gendiagnostik ist der
        ereich der Pränataldiagnostik. Dem müssen wir uns in
        en weiteren Beratungen annehmen.
        Die Information über das genetische Sein des Fötus
        nd die Regelung im § 218, wonach dieser Information
        nd ihrer Verarbeitung für die schwangere Frau zur me-
        izinischen Indikation also zum Krankheitsbild der Frau
        elbst erklärt werden kann, hat die embryopatische Indi-
        ation zwar abgelöst, das Problem aber nicht aufgelöst.
        eines Erachtens werden die damit aufgeworfenen
        ragen durch das Gendiagnostikgesetz noch nicht hin-
        eichend bearbeitet. In der alltäglichen Praxis von
        chwangeren ist von größter Wichtigkeit, dass ein echter
        nformed concent vor Durchführung eines Gentests si-
        hergestellt wird. Diese Anforderungen auszuformulie-
        en, muss in diesem Gesetz geleistet werden. Alle für die
        rau erwachsenden Rechtsansprüche in der gesetzlichen
        rankenversicherung, inklusive frei wählbarer Bera-
        ungszentren vor und nach dem Test, sind grundlegende
        nforderung. Tatsächlich sind die humangenetischen
        eratungen sowie alle psychosozialen Angebote in Frau-
        ngesundheitszentren oder anderenorts qualitätsgerecht
        ls Begleitung unverzichtbar, und nicht zuletzt gilt es, im
        ohen Maße verantwortlich mit den menschenrechtli-
        hen Anforderungen in der Forschung umzugehen.
        Nicht einwilligungsfähigen Menschen ein minderes
        echt auf Unversehrtheit und Autonomie zuzugestehen,
        ur weil man einen Fremdnutzen aus der Erforschung
        nd Forschung mit ihren höchstpersönlichen Daten er-
        artet, entspricht einer Nützlichkeits-, also einer utilita-
        19628 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        ristischen Moral, die nicht Eingang in ein deutsches Ge-
        setz finden sollte.
        Also, es gibt noch eine ganze Reihe von Fragen, die
        im Rahmen der anstehenden Anhörungen zu klären sind
        bis wir hier im Hause endgültig über ein Gesetz befin-
        den, das schon so lange ansteht.
        Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
        beraten das Gendiagnostikgesetz zu einem so späten
        Zeitpunkt, dass ich mich frage, ob die Bundesregierung
        glaubt, dadurch die Kritik an ihrem Gesetzentwurf im
        Nachtprogramm verstecken zu können.
        Selten hat mir eine Stellungnahme des Bundesrates so
        gefallen wie diese zum Gendiagnostikgesetz der Bun-
        desregierung. Bei den aus grüner Sicht zentralen Kritik-
        punkten Forschung, Versicherung, Schutz von Arbeit-
        nehmerinnen und Arbeitnehmern passt kaum ein Blatt
        zwischen uns Bündnisgrüne und den Bundesrat. Das
        sollte den Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
        fraktionen mehr als zu denken geben. Die Regierung ist
        uneinsichtig, aber die Fraktionen sollten das Votum des
        Bundesrates nicht einfach ignorieren. Der Bundesrat for-
        dert klar und eindeutig Regelungen für die genetisch-
        medizinische Forschung.
        Nach dieser schallenden Ohrfeige durch den Bundes-
        rat sollte die Union endlich ihre Blockadehaltung zur
        Regelung des Forschungsbereiches aufgeben. Die Ver-
        mutung, es nutze den Forschenden, sie ohne spezifische
        Regelungen forschen zu lassen, kann sehr schnell nach
        hinten losgehen. Bei einem einzigen Skandal, in dem mit
        genetischen Proben Schindluder getrieben wird, würde
        die Forschung auf Dauer Schaden nehmen. Es ist nicht
        nur im Interesse derjenigen, die Proben und persönliche
        Krankheitsinformationen zur Verfügung stellen, son-
        dern auch der Forschenden, dass der Datenschutz so
        groß geschrieben wird, wie es von allen Datenschutzbe-
        auftragten der Länder gefordert wird.
        Die Bundesregierung hat ihr Verbot der Weitergabe
        von Ergebnissen prädiktiver Tests – Tests, die Wahr-
        scheinlichkeitsaussagen über einen möglichen Ausbruch
        einer Krankheit in der Zukunft machen – mit Ausnah-
        men für Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähig-
        keits- und Pflegerentenversicherungen versehen. Unsere
        Kritik, dass die Bundesregierung hier vor der Versiche-
        rungswirtschaft eingeknickt ist, scheint der Bundesrat zu
        teilen. Er fordert, diese Regelungen zu streichen.
        Der Bundesrat kritisiert ebenso zu Recht die Regelun-
        gen zur Weitergabe von Daten zu diagnostizierten Vorer-
        krankungen und Erkrankungen an private Versicherun-
        gen. Die Vorschläge gehen klar über die bestehenden
        Regelungen im Versicherungsvertragsrecht hinaus. Das
        ist unhaltbar. Hier klare Grenzen zu setzen, ist besonders
        notwendig, da die Bundesregierung bei der Definition
        trickst und prädiktive Untersuchungen zu diagnostischen
        umdefiniert. Eine genetische Veränderung, bei der die
        Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung unterschiedlich
        hoch ist, je nachdem, ob äußere Einflüsse wie zum Bei-
        spiel Belastungen durch Chemikalien am Arbeitsplatz
        hinzukommen oder nicht, wird genauso behandelt wie
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        ine klare und eindeutige Diagnose einer bereits ausge-
        rochenen Krankheit.
        Der Bundesrat fordert, dass eine Person, die ein An-
        ebot zu einem Gentest ablehnt, nicht mit einem Be-
        chäftigungsverbot belegt werden darf. Das müsste eine
        elbstverständlichkeit sein – nicht so für die Bundes-
        egierung.
        Im Gegensatz zur Bundesregierung scheint der Bun-
        esrat die Lebensrealität von Müttern und deren Neugebo-
        enen zu kennen. Die Bundesregierung will Hebammen
        erbieten, das seit Jahrzehnten von ihnen durchgeführte
        eugeborenen-Screening durchzuführen. Kann es denn
        irklich sein, dass der Bundesregierung der Arztvorbe-
        alt wichtiger ist als die Gesundheit der Neugeborenen?
        it dieser neuen Hürde gefährdet sie die flächende-
        kende Untersuchung von Säuglingen.
        Der Bundesrat hat mich in den Bereichen Forschung,
        ersicherung und Arbeit positiv überrascht. Dort, wo ich
        ach den Vorstößen aus NRW mit ihm gerechnet habe,
        inde ich leider keine Positionierung. Ich hätte mir eine
        nterstützung in der bioethischen Frage des Verbots von
        orgeburtlichen genetischen Untersuchungen von Em-
        ryonen auf Krankheiten, die erst im Erwachsenalter
        uftreten, gewünscht. Dennoch hoffe ich, dass hier die
        oalition im Laufe der Beratungen noch nachbessert.
        Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen der Re-
        ierungsfraktionen das Votum des Bundesrates ernst
        ehmen und wichtige Änderungsvorschläge im Interesse
        ller Bürgerinnen und Bürger aufgreifen.
        Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der
        undesministerin für Gesundheit: Mit dem vorgelegten
        ntwurf eines Gendiagnostikgesetzes verfolgt die Bun-
        esregierung vorrangig zwei Ziele: Die mit der Untersu-
        hung menschlicher genetischer Eigenschaften verbun-
        enen Gefahren einer genetischen Diskriminierung
        ollen verhindert werden. Gleichzeitig sollen aber auch
        ie Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen
        ür den einzelnen Menschen gewahrt bleiben. Dabei geht
        er Gesetzentwurf von der Besonderheit genetischer Da-
        en aus. Sie können mit hohem prädiktiven Potential ver-
        unden sein und gegebenenfalls auch Informationen
        ber genetisch Verwandte offenbaren. Für die Bereiche
        er medizinischen Versorgung, der Abstammung, des
        rbeitslebens und der Versicherungen werden spezifi-
        che Regelungen getroffen.
        Wir sehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Not-
        endigkeit, im Gendiagnostikgesetz gesetzliche Initiati-
        en im Bereich der Forschung zu ergreifen, weil insbe-
        ondere durch die Datenschutzgesetze von Bund und
        ändern sowie die vorherige Befassung von Ethikkom-
        issionen ein umfangreicher Schutz gewährleistet ist.
        Im Einzelnen möchte ich folgende Regelungsschwer-
        unkte hervorheben: Erstens. Zu dem Recht des Einzel-
        en auf informationelle Selbstbestimmung im Bereich
        er Gendiagnostik gehören sowohl das Recht, die eige-
        en genetischen Befunde zu kennen, als auch das Recht,
        iese nicht zu kennen. Genetische Untersuchungen dür-
        en nur durchgeführt werden, wenn die Betroffenen in
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19629
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        die Untersuchung rechtswirksam eingewilligt haben. Zu-
        sätzlich kommt der genetischen Beratung besondere Be-
        deutung zu.
        Zweitens. Zur Sicherstellung des Schutzes der Patien-
        tinnen und Patienten wird ein umfassender Arztvorbe-
        halt für die Durchführung genetischer Untersuchungen
        zu medizinischen Zwecken festgelegt.
        Drittens. Die vorgeburtliche genetische Untersuchung
        soll auf medizinische Zwecke beschränkt sein, also auf
        die Feststellung genetischer Eigenschaften, die die Ge-
        sundheit des Fötus oder Embryos vor oder nach der Ge-
        burt beeinträchtigen können.
        Viertens. Im Arbeitsrecht sind genetische Untersu-
        chungen auf Verlangen des Arbeitgebers grundsätzlich
        verboten. Auch darf der Arbeitgeber die Ergebnisse ei-
        ner genetischen Untersuchung nicht erfragen, entgegen-
        nehmen oder verwenden. Standarduntersuchungen, mit
        denen die gesundheitliche Eignung eines Beschäftigten
        für den Arbeitsplatz oder für eine Tätigkeit festgestellt
        werden kann, bleiben weiterhin zulässig.
        Fünftens. Versicherungsunternehmen dürfen beim
        Abschluss eines Versicherungsvertrages grundsätzlich
        weder die Durchführung einer genetischen Untersu-
        chung noch Auskünfte über bereits durchgeführte Unter-
        suchungen verlangen. Allerdings sind Vorerkrankungen
        und Erkrankungen weiterhin anzuzeigen. Zur Vermei-
        dung von Missbrauch ist vorgesehen, dass die Ergeb-
        nisse bereits vorgenommener genetischer Untersuchun-
        gen vorgelegt werden müssen, wenn eine Versicherung
        mit einer sehr hohen Versicherungssumme abgeschlos-
        sen werden soll.
        Sechstens. Genetische Untersuchungen zur Feststel-
        lung der Abstammung eines Kindes sind nur dann zuläs-
        sig, wenn die Personen, von denen eine genetische Probe
        untersucht werden soll, in die Untersuchung eingewilligt
        haben.
        Siebtens. Der Gesetzentwurf sieht eine interdiszipli-
        när zusammengesetzte unabhängige Gendiagnostik-
        Kommission vor, die den allgemein anerkannten Stand
        der Wissenschaft und Technik in Richtlinien festlegen
        soll und damit der besonders dynamischen Entwicklung
        in der Gendiagnostik Rechnung trägt.
        Die Stellungnahme des Bundesrates läßt erkennen,
        dass die Länder unseren Regelungszielen grundsätzlich
        folgen. Ich halte den Beschluss des Bundesrates insge-
        samt für eine gute Basis, im weiteren Gesetzgebungsver-
        fahren zu tragfähigen Lösungen zu kommen.
        Anlage 15
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
        setzes zur Änderung des Vierten Buches Sozial-
        gesetzbuch und anderer Gesetze (Tagesord-
        nungspunkt 20)
        Peter Rauen (CDU/CSU): Wir debattieren heute
        über einen weiteren Gesetzentwurf, um die Schwarz-
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        rbeit und die Schattenwirtschaft in Deutschland
        inzudämmen. Wir sind uns wohl alle einig, dass
        chwarzarbeit und Schattenwirtschaft keinen Dumme-
        ungenstreich darstellen. Sie sind aktives Handeln und
        ewusster Missbrauch, gerichtet gegen die Solidarge-
        einschaft und damit gegen all diejenigen, die ehrlicher
        rbeit nachgehen, Steuern und Sozialabgaben entrich-
        en.
        Mit der Einführung einer Sofortmeldung und der Mit-
        ührungspflicht von Personaldokumenten in besonders
        on Schwarzarbeit betroffenen Branchen, der Verbesse-
        ung der Meldedaten bei den Sozialversicherungsträgern
        urch die direkte Übersendung der Personendaten durch
        ie Kommunen und einer Reihe von technischen Rege-
        ungen im Beitrags- und Meldeverfahren wollen wir es
        en Schattenexistenzen des Arbeitsmarktes schwerer
        achen, den Sozialstaat weiter zu hintergehen. Aller-
        ings sehe ich bei dem vorliegenden Entwurf noch kon-
        rete und praktische Hindernisse bei der Umsetzung
        ieser Vorhaben. Besondere Eigenheiten einzelner Bran-
        hen wurden nicht hinreichend berücksichtigt. Auch
        ind einige im Gesetzentwurf vorgesehene Maßnahmen
        icht zielgenau und auf betrieblicher Ebene einfach nicht
        mzusetzen.
        Natürlich ist die sichere Feststellung der Identität ei-
        er Person von wesentlicher Bedeutung für die erfolgrei-
        he Bekämpfung der Schwarzarbeit. Dennoch halte ich
        ie Verpflichtung zum ständigen Mitführen von Aus-
        eisdokumenten in einigen Gewerbezweigen für weit-
        ehend praxisfern. Viele Arbeitnehmer und Arbeitneh-
        erinnen aus diesen betroffenen Branchen stammen aus
        em Nicht-EU-Ausland. Für sie sind ihre Ausweispa-
        iere die einzige offizielle Rückbindung an ihr Heimat-
        and. Ein Verlust derselben wäre katastrophal, manchmal
        ogar endgültig. Deshalb ist es durchaus üblich in die-
        em Personenkreis, solche Dokumente sicher vor Verlust
        ufzubewahren. Sinnvoller könnte hier eine modifizierte
        eibehaltung der bisherigen Sozialversicherungsaus-
        eisregelung sein. Zudem kann auch so der Arbeitgeber
        eiterhin durch Vorlage des Sozialversicherungsauswei-
        es bei Neueinstellungen, insbesondere bei Nebenbe-
        chäftigungen, sicher sein, dass eine Anmeldung bei der
        ozialversicherung besteht.
        Um der berechtigten Forderung des Zolls nach
        chneller und eindeutiger Identifizierung der fraglichen
        ersonen nachzukommen, sollten wir folglich brauch-
        are Alternativen erarbeiten. So wäre durchaus zu über-
        egen, ob es für den Zoll ebenso zielführend ist, über
        inen Onlinezugriff auf die genauen Daten des Sozial-
        ersicherungsausweises im Rahmen einer zentralen Er-
        assung verfügen zu können, um so die Identität einer
        erson umgehend und einwandfrei festzustellen.
        Auch die Sofortmeldepflicht zu Beginn der Beschäfti-
        ung trägt für einige betroffene Branchen praktische
        robleme in sich. Ich meine Arbeitsfelder mit hoher ob-
        ektabhängiger und personeller Fluktuation, Firmen, die
        pontan Aufträge vor Ort annehmen und womöglich
        och nachts Personal einstellen müssen, oder gar Unter-
        ehmen, die generell erst zum Wochenende Aufträge er-
        19630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        halten und diese umgehend umsetzen müssen. Für all
        diese Firmen, die Einstellungen außerhalb der Bürozei-
        ten vorzunehmen haben, sind die geplanten Sofortmel-
        dungen in dieser Form äußerst schwierig, wenn nicht so-
        gar unmöglich. Gemeint sind Branchen wie zum
        Beispiel das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,
        das Schaustellergewerbe, die Land- und Forstwirtschaft,
        das Gebäudereinigungsgewerbe sowie der Messeauf-
        und -abbau. Auch meine ich kleine und mittelständische
        Unternehmen, die zumeist externe Dienstleister beauf-
        tragen, um die anstehenden Lohnabrechnungen und
        Meldungen an die Sozialversicherung zu erledigen. In
        diesem Zusammenhang halte ich eine verzögerte Melde-
        pflicht erst zum Beginn des nächsten Werktages dort für
        denkbar, wo es sinnvoll und unumgänglich ist. Wir soll-
        ten jedenfalls im Laufe der Gesetzgebung weitere Alter-
        nativen zu einer möglichst zeitnahen Meldung in Erwä-
        gung ziehen.
        Kurzum: Es gibt durchaus genügende Beispiele, bei
        denen wir uns noch Gedanken darüber machen müssen,
        wie wir den Schutz vor Schwarzarbeit praxisnah umset-
        zen können. Die betroffenen Branchen jedenfalls sind,
        wie ich weiß, hier jederzeit zu konstruktiver Mitarbeit
        gerne bereit.
        Auch steht unter anderem die Pflicht zur Sofortmel-
        dung nicht immer im Einklang mit dem gewollten Büro-
        kratieabbau und bringt infolgedessen erhebliche büro-
        kratiebedingte Kosten mit sich. Auf jeden Fall sollte der
        damit verbundene Verwaltungsaufwand auf ein Mini-
        mum reduziert werden.
        Laut Gesetzentwurf wird damit gerechnet, dass jede
        Einstellung in einer Branche mit Sofortmeldung um
        7,25 Euro verteuert würde. Die auf dieser Grundlage im
        Gesetzentwurf errechnete Gesamtkostenbelastung der
        Wirtschaft von rund 19,97 Millionen Euro pro Jahr ist je-
        doch wenig realistisch. Der Entwurf geht nämlich davon
        aus, dass Beschäftigungsaufnahmen in den in die Sofort-
        meldepflicht einbezogenen Branchen genauso häufig
        sind wie im Rest der Wirtschaft. Dies ist jedoch unwahr-
        scheinlich, zumal gerade die eben genannten Branchen,
        die besonders im Saisongeschäft tätig sind, und Bran-
        chen mit vielen Kurzzeitbeschäftigten in die Sofortmel-
        depflicht aufgenommen werden sollen. Insofern wird
        wohl die Zahl der Beschäftigungsaufnahmen mit Sofort-
        meldepflicht sehr viel höher liegen als die unterstellten
        3,825 Millionen Fälle.
        Ebenso wird bei der Kostenrechnung im Entwurf eine
        durchaus gegebene Situation nicht berücksichtigt: Wenn
        ein neuer Mitarbeiter am Tag der Einstellung nicht er-
        scheint, muss der Arbeitgeber eine Stornierung abgeben,
        was unweigerlich neuerliche Bürokratiekosten nach sich
        zieht. Gerade in Firmen mit stark wechselndem Perso-
        nalbedarf sind diese Fälle keineswegs selten.
        Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit boomen wie
        keine ehrliche Branche. Der Anteil der Schattenwirt-
        schaft am Bruttoinlandsprodukt wird inzwischen auf
        über 16 Prozent geschätzt. Stärkere Kontrollen und här-
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        ere Sanktionen können zwar möglicherweise zu erhöh-
        er Abschreckungswirkung führen. Sie haben allerdings
        ur wenig Erfolg, solange die tatsächlichen Ursachen
        er Schwarzarbeit bestehen bleiben oder sogar ver-
        chärft werden. Dies belegt auch der Bericht des Bun-
        esrechnungshofes, nach dem eine Verringerung der
        chwarzarbeit durch die Kontrolle der Finanzkontrolle
        chwarzarbeit (FKS) bisher nicht nachgewiesen werden
        ann und die Mehrkosten zur Bekämpfung der Schatten-
        irtschaft höher sind als deren Ertrag.
        Wer aber Schattenwirtschaft in reguläre Beschäfti-
        ung umwandeln will, darf nicht an den Symptomen he-
        umdoktern, sondern muss an den wahren Ursachen an-
        etzen. Diese sind ganz eindeutig auszumachen: Wenn
        in Arbeitnehmer – je nach Steuerklasse – vier bis sechs
        tunden arbeiten muss, um von seinem Nettolohn eine
        egal gearbeitete Stunde in seiner Branche bezahlen zu
        önnen, sind die Ursachen für vielfältigste Schattenwirt-
        chaft erklärt. Die Konsequenz daraus ist eindeutig. Sie
        ann nur bedeuten, die Abgabenlast auf den Faktor Ar-
        eit zu senken. Das heißt im Klartext: Mehr Netto vom
        rutto. Denn der reguläre Arbeitnehmer muss hilflos zu-
        ehen, wie Steuern und Abgaben sein Gehalt dezimieren
        nd die kalte Progression selbst noch jede Lohnerhö-
        ung mehr als halbiert. Den Rest nehmen ihm dann die
        teigenden Abgaben zur Krankenversicherung. Gleich-
        eitig verzerren illegale Beschäftigung und Schwarz-
        rbeit den Wettbewerb, führen zu Einnahmeausfällen in
        en Sozialversicherungssystemen und untergraben zu-
        em noch die Steuermoral.
        Es ist der Doppeleffekt, der den gewaltigen Schaden
        nrichtet: Schwarzarbeit stiehlt dem Ehrlichen die Arbeit
        nd dem Sozialstaat die Mittel. Der Ehrliche muss dann
        och obendrein für die fehlenden Mittel geradestehen.
        enommierte Studien belegen immer wieder meine Auf-
        assung. Die wirklichen Gründe für das Ansteigen der
        chattenwirtschaft finden wir in der hohen Steuer- und
        bgabenbelastung, der Verunsicherung der Bürger durch
        ie Steuer- und Sozialgesetzgebung und der ständig zu-
        ehmenden Sozialleistungen zulasten des Faktors Ar-
        eit. Deshalb müssen beherzte Korrekturen bei Steuern
        nd der Regulierung des Arbeitsmarktes her.
        Gerade in der jetzigen Verunsicherung durch die
        chwankenden Finanzmärkte kann eine sinnvolle Dere-
        ulierung und eine gerechte Senkung der Steuerlast das
        ötige Vertrauen zurückbringen. Ein konkreter Ansatz
        st hier die Fortentwicklung des Steuerbonus. Denn ge-
        ade der Steuerbonus zeigte gerade im handwerklichen
        ereich große Effizienz bei der Bekämpfung von
        chwarzarbeit. Im Zusammenwirken mit einer infla-
        ionsindexierten Abschaffung der kalten Progression so-
        ie einer entsprechenden Anhebung des Grundfreibetra-
        es bekäme die Binnenwirtschaft den gerade jetzt so
        ötigen Schub für mehr Beschäftigung und weniger
        chwarzarbeit.
        Andreas Steppuhn (SPD): Nach den turbulenten
        ntwicklungen und Ereignissen der letzten Tage, die
        hre Auswirkungen noch in den kommenden Wochen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19631
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        und Monaten zeigen werden, kehren wir nun zur Sach-
        arbeit zurück.
        Keiner von uns kann derzeit zu 100 Prozent abschät-
        zen, welche Auswirkungen die Finanzmarktkrise haben
        wird, weder auf die Deutsche Wirtschaft noch auf die
        Entwicklung am Arbeitsmarkt. Gerade vor diesem Hin-
        tergrund ist es umso wichtiger, dass wir ehrliche Arbeit
        und ehrliche Unternehmen in Deutschland schützen und
        unterstützen. Dazu gehört für uns als SPD-Bundestags-
        fraktion: Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung muss
        weiter wirksam bekämpft werden.
        Denn: Schwarzarbeit bedeutet nicht nur Steuerhinter-
        ziehung. Schwarzarbeit hat auch gravierende Auswir-
        kungen auf unsere Sozialversicherungssysteme. Und:
        Schwarzarbeit zerstört reguläre Arbeitsplätze, führt zu
        Lohndumping und zu Wettbewerbsverzerrungen. Daran
        kann niemandem gelegen sein.
        Warum Schwarzarbeit praktiziert wird, darüber lässt
        sich nicht nur mutmaßen, dazu zählt sicherlich in erster
        Linie das Streben nach vermeintlich „leicht verdientem“
        Geld. Dazu zählt eine nachlassende Rechtstreue, aber
        auch die vorsätzliche Ausbeutung von Arbeitnehmerin-
        nen und Arbeitnehmern und nicht zu vergessen der Ge-
        winnmaximierung um jeden Preis.
        Zwar wurde die Schwarzarbeit in den letzten Jahren
        stetig effektiver bekämpft. Wir müssen aber noch effek-
        tiver werden. Hierbei wollen wir die Finanzkontrolle
        Schwarzarbeit stärken.
        Daher hat die Bundesregierung bereits vor der Som-
        merpause Eckpunkte zur Bekämpfung illegaler Beschäf-
        tigung und Schwarzarbeit ausgearbeitet und ein entspre-
        chendes Aktionsprogramm für Recht und Ordnung auf
        dem Arbeitsmarkt vorgelegt und verabschiedet. Heute
        werden davon wesentliche Maßnahmen mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf in erster Lesung beraten.
        Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
        des Vierten Sozialgesetzbuches enthält neben wichtigen
        Bausteinen, um illegale Beschäftigung und Schwarz-
        arbeit noch wirksamer zu bekämpfen, und auf die ich
        gleich noch zu sprechen kommen werde, auch eine
        wichtige SGB-XII-Anpassung infolge des bereits be-
        schlossenen Eigenheimrentengesetzes.
        Hierbei handelt es sich um die Übernahme von Bei-
        trägen für eine angemessene Altersvorsorge auch für
        hilfebedürftige und dauerhaft voll erwerbsgeminderte
        Personen und die entsprechende Änderung des Leis-
        tungsumfangs im Vierten Kapitel des SGB XII. Mit die-
        ser Anpassung beziehen wir nun endlich auch Bezieher
        einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der ge-
        setzlichen Rentenversicherung in den geförderten Perso-
        nenkreis mit ein.
        Wie bereits eingangs betont, geht es bei dem Gesetz-
        entwurf in erster Linie um Maßnahmen, die eine Stär-
        kung und Verbesserung der Instrumente für die Arbeit
        der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) vorsehen.
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        Denn wie die Praxis in der Vergangenheit gezeigt hat,
        st für die Arbeit der Bekämpfungsbehörde vor allem die
        dentifizierung der Personen nicht nur zum Teil ein Pro-
        lem, sondern erfordert zeitlich wie auch bei der Durch-
        ührung einen großen Aufwand. Zielführend ist es daher
        n denjenigen Wirtschaftsbranchen, in denen ein erhöh-
        es Risiko für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung
        esteht, für eine Verbesserung der melderechtlichen Vor-
        chriften zu sorgen.
        Zu diesen gehört zum einen die Einführung einer Mit-
        ührungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumenten
        ei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen für
        en Arbeitnehmer. Allein der Sozialversicherungsaus-
        eis oder Führerschein reichen nicht mehr aus. Zudem
        st der Sozialversicherungsausweis nur bei den sozial-
        ersicherungspflichtigen Beschäftigten vorhanden und
        berdies nicht fälschungssicher.
        Hieran anknüpfend besteht zukünftig auch für den
        rbeitgeber die Pflicht, seine Arbeitnehmer darüber ein-
        alig, nachweislich und schriftlich zu belehren, ergänzt
        urch eine entsprechende bußgeldbewehrte Pflicht für
        en Arbeitgeber zur Aufbewahrung und Vorlage dieser
        elehrung. Damit stellen wir sicher, dass der Beschäf-
        igte auch tatsächlich seine Ausweispapiere bei sich
        ührt. Ferner gehört ebenso die Sofortmeldepflicht, das
        eißt die sofortige Anmeldung zur Sozialversicherung
        b dem ersten Tag, zu den vorgesehenen Maßnahmen.
        Besonders notwendig ist es, und dies sieht der Gesetz-
        ntwurf vor, dass Unternehmen ihre Beschäftigten zu-
        ünftig ab dem ersten Tag bei den Sozialversicherungen
        nmelden. Bislang gab es hierzu eine Frist von sechs
        ochen. Dies jedoch hat in der Vergangenheit oftmals
        azu geführt, dass Ausreden vorgetragen wurden und
        icht festgestellt werden konnte, ob jemand illegal oder
        egal auf einer Baustelle beschäftigt gewesen ist. Oft er-
        ielten die Kontrolleure eine Antwort in der Art: „Ich
        abe gerade erst angefangen, mein Arbeitgeber konnte
        ich noch nicht bei den Sozialversicherungsträgern an-
        elden.“ Ob der oder diejenige aber schon länger be-
        chäftigt wurde, ließ sich nur in aufwendiger Kleinarbeit
        eststellen.
        Das wird sich ändern. Denn mit der automatisierten
        ofortmeldung in den Branchen, in denen ein erhöhtes
        isiko für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung be-
        teht, wird die Arbeit der Behörden erheblich verein-
        achen. Und da dies auch nur funktionieren kann, wenn
        ie Beamten vor Ort mit aktuellen Daten und Angaben
        rbeiten, ist es ebenso notwendig, die Übermittlung von
        eldedaten durch die Meldebehörden an die Deutsche
        entenversicherung zu verbessern und zu erleichtern.
        Diese genannten Neuerungen führen in der Folge zu
        rheblich einfacheren Prüfverfahren auf der Grundlage
        es Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes. Damit wird
        ie Kontrolle durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit
        or Ort passgenauer und effizienter gestaltet.
        Und mit den vorgesehen Maßnahmen, und das
        öchte ich hier betonen, wird es zukünftig auch möglich
        ein, in den entsprechenden Branchen Mindestlohnver-
        töße aufzudecken und zu ahnden.
        19632 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        Gestatten Sie mir an dieser Stelle nun aber noch auf
        einen weiteren, mir sehr wichtigen Punkt einzugehen:
        Nämlich den Punkt, die Bekämpfung der Schwarzarbeit
        als gesamtsstaatliche Aufgabe zu betrachten.
        Denn Fakt ist, es gibt eine Reihe von Schnittstellen
        zwischen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zoll-
        verwaltung und den einzelnen Behörden der Länder.
        Und diese Schnittstellen gilt es zu nutzen, zu untersetzen
        und im gemeinsamen Kampf gegen die Schwarzarbeit in
        Deutschland weiter auszubauen.
        Daher appelliere ich an dieser Stelle insbesondere
        auch an die Länder, gerade in Bezug auf die Mitwir-
        kungspraxis und Transparenz. Denn neben den im Ent-
        wurf enthaltenen Maßnahmen benötigen wir endlich
        auch verlässliche Daten über festgesetzte und verein-
        nahmte Gelder, das heißt wir brauchen dringend mehr
        Transparenz bei den Einnahmen der Finanzbehörden der
        Länder, der Justiz und der Sozialversicherungsträger, die
        diesen aufgrund von Arbeitsergebnissen der FKS zuflie-
        ßen.
        Nur so können wir auch den Erfolg messen.
        Was wir benötigen, ist eine verbesserte sachdienliche
        Förderung und schnellere Bearbeitung von Verfahren in
        den Ländern. Denn was nutzt es uns, wenn die FKS
        Schwarzarbeit aufdeckt, eine wirksame Strafverfolgung
        und entsprechende Verfahren in den Ländern aber auf
        Eis liegen. Damit, und das muss einmal so deutlich ge-
        sagt werden, damit geht dem Staat auch Geld verloren.
        Die Einrichtung von sogenannten Schwerpunktstaatsan-
        waltschaften ähnlich den zum Teil bereits bestehenden
        Wirtschaftskammern wäre ein erster Schritt in die rich-
        tige Richtung. Hier sind schlussendlich jedoch die Län-
        der gefordert, den Weg mitzugehen. Daher kann ich nur
        an Sie appellieren, gehen Sie den Weg mit uns. Es ist
        auch im Interesse der Bundesländer.
        Für uns als SPD-Bundestagsfraktion ist es wichtig,
        dass Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung in
        Deutschland an den Wurzeln bekämpft wird. Die geplan-
        ten Maßnahmen sind ein weiterer wichtiger Schritt, um
        Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung im Land noch
        stärker als bisher zu bekämpfen. Dies ist auch im Inte-
        resse aller legal handelnden Unternehmen und Beschäf-
        tigten in Deutschland.
        Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die FDP unterstützt
        das Ziel der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Schwarzar-
        beit schadet unserer Volkswirtschaft und benachteiligt
        diejenigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die legal ar-
        beiten und mit ihren Abgaben und Steuern unser Gemein-
        wesen, die Sozialleistungen und die Infrastruktur finan-
        zieren.
        Die FDP sieht zwei Ansätze für die Bekämpfung der
        Schwarzarbeit. Zum einen müssen die Ursachen für die
        Schwarzarbeit gesucht und abgestellt werden. Anreize
        für legale Arbeit müssen gestärkt werden. Zum anderen
        muss Schwarzarbeit konsequent verfolgt werden.
        Der Gesetzentwurf beschränkt sich in seinem Ansatz
        auf Maßnahmen zur administrativen Bekämpfung der
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        chwarzarbeit. Es ist fraglich, ob dies ausreicht, zumal
        ie Bundesregierung mit ihrer Politik der letzten Jahre,
        nsbesondere der größten Steuererhöhung in der Ge-
        chichte der Bundesrepublik, aber auch durch Beitrags-
        atzerhöhungen in allen Zweigen der sozialen Sicherung
        it Ausnahme der Arbeitslosenversicherung die Anreize
        ür Schwarzarbeit eher noch verstärkt hat.
        Das, was an reaktiven Maßnahmen auf den Weg ge-
        racht wird, scheint gleichwohl zustimmungsfähig zu
        ein.
        Richtig ist der Ansatz des Gesetzentwurfs, Schwarz-
        rbeitsbekämpfung angepasst an die Besonderheiten der
        eweiligen Branchen zu führen.
        Die Einführung der Sofortmeldepflicht zur Sozialver-
        icherung (§ 28 a Abs. 4 SGB IV-E) in besonders von
        chwarzarbeit betroffenen Branchen, namentlich im
        augewerbe, im Gaststätten- und Beherbergungsge-
        erbe, im Personen- und Güterbeförderungsgewerbe, im
        chaustellergewerbe, in Unternehmen der Forstwirt-
        chaft, im Gebäudereinigungsgewerbe, in Unterneh-
        en, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Aus-
        tellungen beteiligen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Die
        DP-Bundestagsfraktion hat eine solche Sofortmelde-
        flicht bereits seit längerem gefordert (Bundestags-
        rucksache 16/6645 vom 9. Oktober 2007). Die Neu-
        ufnahme der Fleischwirtschaft dürfte aufgrund der
        mfangreichen, im Gesetzentwurf genannten Untersu-
        hungsergebnisse, gerechtfertigt sein.
        Sowohl vom Bundesrat als auch vom Deutschen An-
        altsverein wurden in Stellungnahmen zum Gesetzent-
        urf wichtige Hinweise darauf gegeben, dass die vorge-
        chlagenen Regelungen noch der Präzisierung bedürfen,
        m Unklarheiten und Rechtsverfahren in großer Zahl zu
        ermeiden. Der Anwaltsverein geht davon aus, dass die
        ofortmeldung etwa 1 Million Beschäftigungsverhält-
        isse jährlich betreffen wird. Wenn es bei 20 bis
        0 Prozent zu Unklarheiten käme, bedeutete dies erheb-
        iche neue Belastungen für Unternehmen, Verwaltung
        nd Justiz. Geprüft werden sollte insbesondere die Anre-
        ung des Bundesrates, klarer zu formulieren, dass die
        ofortmeldung vor Beschäftigungsbeginn zu erfolgen
        at. Diese und andere Anregungen sollten unbedingt
        rnst genommen werden.
        Geprüft werden sollte im weiteren Gesetzgebungsver-
        ahren außerdem, ob die Sofortmeldung statt an die Ren-
        enversicherung an die Einzugstellen erfolgen kann, um
        en Meldeprozess für die Betriebe zu vereinfachen. Fer-
        er sollte ermöglicht werden, dass man statt einer So-
        ortmeldung gleich eine Vollmeldung nach § 28 Abs. 1
        GB IV machen kann.
        Die mit dem Gesetz vorgesehene Einführung einer
        itführungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumen-
        en bei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen
        n Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Schwarz-
        rbeit und illegale Beschäftigung besteht, ist grundsätz-
        ich sinnvoll. Dies gilt auch für die Aufbewahrungs-
        flicht des Arbeitgebers betreffend die einmalige
        chriftliche Belehrung der Arbeitnehmer über die Mit-
        ührungspflicht der Personaldokumente. Allerdings
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19633
        (A) )
        (B) )
        muss diese Maßnahme auf schwarzarbeitgefährdete
        Branchen beschränkt bleiben.
        Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Rentenversiche-
        rung die Daten der Einwohnermeldeämter erhält, um so
        im Verdachtsfall auf eine gehobene Qualität der An-
        schriften zurückgreifen zu können (Art. 11 GE). Diese
        Maßnahme kann sinnvoll sein, wenn tatsächlich bis zu
        20 Prozent der Anschriften, über die die Rentenversiche-
        rung verfügt, fehlerhaft sind. Hier sollte diesbezüglich
        aber noch ein Gutachten des Datenschutzbeauftragten
        eingeholt werden.
        Folgende weitere Punkte sind ebenfalls ernsthaft zu
        prüfen: Die vom Bundesrat vorgeschlagene Berichter-
        stattungspflicht der Bundesregierung und der Deutschen
        Gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber Bundestag
        und Bundesrat bezüglich der Ergebnisse der Sofortmel-
        dung. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Möglichkeit
        zur Überprüfung von Verstößen nach § 2 Abs. 1 a Nr. 1
        und 2 SchwarzArbG auch von den nach Landesrecht zu-
        ständigen Behörden der Schwarzarbeitsbekämpfung, die
        bisher nur Verstöße nach § 2 Abs. 1 SchwarzArbG prü-
        fen dürfen. Weitere mögliche Verbesserungen der
        Durchsetzung von Regressansprüchen der Unfallversi-
        cherungsträger gegen Arbeitgeber, die Schwarzarbeiter
        beschäftigen.
        Der Gesetzentwurf enthält schließlich – sachfremd im
        Omnibusverfahren – noch eine Änderung im Recht der
        Sozialhilfe. Danach soll für voll erwerbsgeminderte Per-
        sonen künftig die Übernahme von Beiträgen für die Al-
        tersvorsorge durch die Träger der Sozialhilfe möglich
        sein. Dies ist nach Auffassung der FDP-Bundestagsfrak-
        tion eine sinnvolle Flexibilisierung, die den Trägern der
        Soziahilfe langfristig kostenreduzierende Fortführungen
        von Altersvorsorge, etwa nach dem Eigenheimrentenge-
        setz, ermöglicht.
        Wir sehen auch die Notwendigkeit, zu prüfen, ob § 5
        Abs. 1 SGB VI so ergänzt werden sollte, dass eine An-
        tragsbefreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI für
        Lehrer und Erzieher an Privatschulen nur noch möglich
        ist, wenn sie nach den in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2
        SGB VI – neu – genannten Voraussetzungen im Ergeb-
        nis wie beamtete Lehrer auch in anderen Zweigen der
        Sozialversicherung versicherungsfrei sind.
        Ich hoffe, dass die Regierung all diese Hinweise ernst
        nimmt. Nicht zuletzt davon wird abhängen, ob die FDP-
        Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf zustimmen
        kann.
        Werner Dreibus (DIE LINKE): Schwarzarbeit und
        illegale Beschäftigung – und auf diesen Punkt des Ge-
        setzentwurfes möchte ich mich heute konzentrieren –
        sind ein gravierendes Problem. Da stimmen wir der Bun-
        desregierung zu.
        Allerdings vermittelt der Begriff „Schwarzarbeit“ ei-
        gentlich ein falsches Bild von dem Problem, über das
        wir hier sprechen. Im allgemeinen Sprachgebrauch zielt
        er doch eher auf den kleinen Handwerker ab, der sich in
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        einer Freizeit etwas dazu verdient, und verschleiert so
        ie Tatsache, dass die wirklichen Profiteure der
        chwarzarbeit die Unternehmen sind, die Schwarzarbeit
        nd illegale Beschäftigung einsetzen, um einen Extra-
        rofit oder einen Wettbewerbsvorteil herauszuholen –
        ulasten regulärer Arbeitsverhältnisse und auf Kosten
        er Allgemeinheit.
        Denn Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind
        eutlich billiger als reguläre Beschäftigungsverhältnisse.
        s werden nicht nur keine Beiträge zur Sozialversiche-
        ung gezahlt und damit die Sozialversicherungskassen
        eschwächt. Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung
        erden von Unternehmen gezielt als Lohndumpingstra-
        egie eingesetzt, mit der sie versuchen, die Zahlung von
        ariflöhnen und Mindestlöhnen zu umgehen.
        Besonders die Baubranche sorgte hier in der Vergan-
        enheit immer wieder für Schlagzeilen. Ich denke, wir
        rinnern uns alle noch lebhaft an die besonders spekta-
        ulären Fälle: So bekamen etwa Arbeiter beim Bau der
        MW-Welt in München 2,89 Euro pro Stunde oder bei
        er Neuen Messe Stuttgart 4 Euro. Und dies, obwohl in
        er Baubranche deutlich höhere Mindestlöhne festge-
        chrieben sind. Aber auch andere Branchen wie etwa die
        leischwirtschaft, in der zum Teil Stundenlöhne von nur
        ,50 Euro gezahlt werden, sorgen immer wieder für ne-
        ative Nachrichten.
        Es wird deshalb höchste Zeit, dass die Bundesregie-
        ung aktiv wird und den Ankündigungen ihres Aktions-
        rogramms „Für Recht und Ordnung auf dem Arbeits-
        arkt“ endlich Taten folgen lässt. Sie erfüllt mit diesem
        esetzentwurf zwei wichtige Forderungen, die meine
        raktion bereits vor der Sommerpause in dem Antrag
        Für eine wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen
        en Mindestlohn im Baugewerbe“ formuliert hat. Die
        erpflichtung zur Sofortmeldung zur Sozialversicherung
        nd die Mitführungspflicht von Ausweisdokumenten am
        rbeitsplatz werden dazu beitragen, die Arbeit der Kon-
        rollbehörden in den erfassten Branchen zu vereinfa-
        hen.
        Für eine wirksame Bekämpfung der Schwarzarbeit
        nd illegalen Beschäftigung reichen diese Maßnahmen
        edoch bei weitem nicht aus. Dafür sind weitere
        chritte notwendig, von denen ich hier nur zwei nennen
        öchte.
        Zum Ersten: Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit muss
        n die Lage versetzt werden, deutlich mehr und deutlich
        ntensivere Prüfungen durchzuführen. Und das heißt
        uch, dass die Beamten der Finanzkontrolle Schwarzar-
        eit vor Ort an den Arbeitsstellen ermitteln müssen. In
        esprächen mit den Tarifpartnern der Bauwirtschaft und
        er Finanzkontrolle Schwarzarbeit wurde mehr als deut-
        ich, dass dies mit der heutigen Ausstattung nicht zu ma-
        hen ist. Wir fordern deshalb eine deutlich bessere Sach-
        ittelausstattung und eine sofortige Aufstockung des
        ersonals auf 8 000 Stellen. Außerdem muss die Perso-
        alstärke der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in Zukunft
        it jeder neuen Aufgabe, die ihr zugewiesen wird, nach
        ben angepasst werden. Das wird zum Beispiel dann
        19634 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        notwendig, wenn, wie angekündigt, weitere Branchen in
        das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wer-
        den.
        Zum Zweiten muss sich die Bundesregierung endlich
        dem Problem stellen, dass in Einspruchs- und Gerichts-
        verfahren die verhängten Geldbußen regelmäßig dras-
        tisch reduziert werden. Ein Appell an die Länder, die Er-
        richtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und die
        Aufstockung der Kapazitäten von Staatsanwaltschaften
        und Gerichten in Erwägung zu ziehen, ist definitiv zu
        wenig. Die Bundesregierung darf sich an diesem Punkt
        nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern muss das
        Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Wir for-
        dern die Bundesregierung auf: Ergreifen Sie die weiteren
        Schritte, die notwendig sind, um Schwarzarbeit und ille-
        gale Beschäftigung tatsächlich wirksam zu bekämpfen.
        Als kleine Anregung möchte ich Ihnen noch einmal un-
        seren Antrag „Für eine wirksame Bekämpfung von Ver-
        stößen gegen den Mindestlohn im Baugewerbe“ ans
        Herz legen, der zwar im Baugewerbe ansetzt, aber auch
        darüber hinaus wichtige Ansatzpunkte liefert.
        Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die Bekämpfung der Schwarzarbeit ist ein zentrales An-
        liegen von Bündnis 90/Die Grünen. Schwarzarbeit ist
        kein Kavaliersdelikt und darf auch nicht als solches be-
        handelt werden. In vielen Wirtschaftsbereichen ver-
        drängt Schwarzarbeit nach wie vor legale Arbeitsplätze.
        Legal arbeitende Unternehmen haben deutlich schlech-
        tere Wettbewerbschancen gegenüber der illegalen Kon-
        kurrenz. Der öffentlichen Hand und den Sozialversiche-
        rungsträgern gehen Einnahmen in Milliardenhöhe
        verloren.
        Während der rot-grünen Regierungszeit haben wir
        mit dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der
        Schwarzarbeit einen maßgeblichen Schritt zu einer bes-
        seren Bekämpfung und Aufdeckung von Schwarzarbeit
        gemacht. Nun will auch die Koalition für mehr „Recht
        und Ordnung“ auf dem Arbeitsmarkt sorgen und hat ih-
        rem Aktionsprogramm einen Gesetzentwurf folgen las-
        sen, der Teile davon aufnimmt. Ich möchte hier im
        Wesentlichen auf zwei Punkte Ihres Gesetzentwurfes
        eingehen.
        Wir Grünen unterstützen eine schnellere Meldepflicht
        bei der Sozialversicherung, um Kontrollen effizienter
        und erfolgreicher zu gestalten. Allerdings finden wir
        Einwände aus der Praxis, die die sofortige Meldung
        – unabhängig von Tages- oder Nachzeit, unabhängig da-
        von, ob Werk- oder Feiertag – als unpraktikabel erachtet.
        Wir schlagen deshalb vor, dass eine Meldepflicht am ers-
        ten Werktag nach Beschäftigungsbeginn vorgeschrieben
        wird. Das würde gegenüber dem Status quo, der es Un-
        ternehmen gestattet, bis zu sechs Wochen nach Beschäf-
        tigungsbeginn mit der Meldung bei der Sozialversiche-
        rung zu warten, erhebliche Verbesserungen bringen.
        Gleichzeitig würde dieser Kompromiss den Unterneh-
        men entgegenkommen, die am Wochenende und in der
        Nacht Beschäftigungsverhältnisse eingehen müssen, wie
        zum Beispiel bei den Gebäudereinigern.
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        Sie schlagen die Ablösung des Sozialversicherungs-
        usweises und die Mitführungspflicht von persönlichen
        usweisdokumenten in den Branchen vor, die besonders
        on Schwarzarbeit betroffen sind. Das sind zum Beispiel
        er Bau, die Gastronomie oder die Fleischwirtschaft. Es
        timmt, dass wir es hier mit besonders anfälligen Bran-
        hen zu tun haben. Deshalb wurde nicht ohne Grund bei-
        pielsweise in der Baubranche seit Jahren eine Job- oder
        hipkarte gefordert. Dieses Projekt hat die Bundesregie-
        ung nun zugunsten der Ausweislösung beerdigt. Auch
        azu erreichen uns jedoch Einwände aus der Praxis: Ins-
        esondere ausländische Beschäftigte haben Angst vor
        em Verlust ihrer Papiere, deren Wiederbeschaffung für
        ie häufig schwierig oder gar unmöglich ist und aufent-
        altsrechtliche Probleme an anderer Stelle nach sich zie-
        en würde. Wir möchten über Ihren Vorschlag daher in
        en Ausschussberatungen gerne noch einmal diskutie-
        en.
        Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Der
        undesrechnungshof hat in seinem Bericht vom Januar
        008 etliche Fragen zum Aufbau und zur Effizienz der
        ür die Bekämpfung der Schwarzarbeit zuständigen Fi-
        anzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) aufgeworfen. Darin
        ezweifelt der Bundesrechnungshof unter anderem, dass
        ie überhaupt in der Lage sind, verlässliche Aussagen
        ber die Wirkung der FKS zu treffen. Aus diesem Grund
        at der BRH damals auch vorgeschlagen, auf die ge-
        lante Umstrukturierung der FKS im Rahmen der Re-
        orm der Zollverwaltung zu verzichten, bis eine Evalua-
        ion vorliegt. Aber trotz dieser ernst zu nehmenden
        ritik wurde quasi im erkenntnisfreien Blindflug die
        KS neu in der Zollverwaltung organisiert. Ob das der
        ekämpfung der Schwarzarbeit dienlich ist, wage ich zu
        ezweifeln.
        Die Lösung eines anderen Problems packen Sie eben-
        alls nicht an: Die mangelnde Vollstreckung von Bußen
        nd Strafen. Es reicht nicht, wenn die FKS Ihren Erfolg
        uf Basis der Höhe ausgesprochener Geldbußen und -stra-
        en definiert. Wichtig ist, diese Gelder auch hereinzuho-
        en; denn nur so kann ein Gesetz den Sprung vom
        apiertiger zum wirkungsvollen Instrument schaffen.
        eshalb wollen wir Grünen auch die Einrichtung eines
        orruptionsregisters, das auch die Unternehmen listet,
        ie schwarzarbeiten lassen und beispielsweise keinen
        indestlohn zahlen. Aufträge zu ergattern, muss für
        iese Unternehmen schwieriger werden.
        Es gibt also noch viel zu tun bei der Bekämpfung von
        chwarzarbeit.
        Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        inister für Arbeit und Soziales: Die letzten Wochen ha-
        en uns in ganz drastischer Weise vor Augen geführt,
        ass der Markt Regeln braucht. Unsere Tradition setzt
        uf einen politischen, sozialen und kulturellen Rahmen
        ür den Markt. Soziale Marktwirtschaft heißt nicht nur
        reier Wettbewerb, sondern auch fairer Wettbewerb;
        ettbewerb um die besten Produkte und den besten Ser-
        ice, um besseres und effizienteres Management, und
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19635
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        nicht Wettbewerb mit schlechten Arbeitsbedingungen
        und schlechten Löhnen.
        Gerade Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung
        sind Versuche, sich unfaire Vorteile zu verschaffen zu-
        lasten aller durch Hinterziehung von Steuern, zulasten
        der Arbeitnehmer, die ungesichert arbeiten, zulasten der
        Versichertengemeinschaft und der ehrlichen Konkurren-
        ten, die Beiträge zahlen. Mit dem Aktionsprogramm
        „Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ hat das Ka-
        binett darum ein umfangreiches Paket beschlossen, des-
        sen zentrale Punkte in dem Gesetzentwurf stehen, der Ih-
        nen heute vorliegt.
        Eine wesentliche Verbesserung ist die Einführung ei-
        ner Sofortmeldepflicht bei Beschäftigungsbeginn. Sie
        ermöglicht eine schnelle und zweifelsfreie Feststellung,
        ob der Arbeitgeber seinen sozialversicherungsrechtli-
        chen Pflichten bereits nachgekommen ist. Das verhin-
        dert Ausreden und eilige Nachmeldungen ertappter
        „schwarzer Schafe“. Damit wird die Arbeit der Prüfer in
        den Branchen erheblich einfacher, in denen ein erhöhtes
        Risiko für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung be-
        steht; denn sie macht eine Überprüfung schon am Tag
        der Aufnahme einer Beschäftigung möglich. Da ohnehin
        jeder Arbeitgeber vor einer Beschäftigungsaufnahme mit
        seinen Beschäftigten einen Arbeitsvertrag abschließen
        muss, stellt das Übermitteln von vier Daten zur Renten-
        versicherung keinen wesentlichen Mehraufwand dar.
        Aber neben der Prüfung erleichtert es auch die Arbeit
        der Berufsgenossenschaften, die im Leistungsfall auf die
        Daten zugreifen und bei Verdacht auf Schwarzarbeit den
        Arbeitgeber in Regress nehmen können.
        Ein weiteres Problem der Überprüfung von Schwarz-
        arbeit und illegaler Beschäftigung war bisher die eindeu-
        tige persönliche Identifizierung der Beschäftigten. Der
        Gesetzentwurf sieht deshalb die Pflicht zur Mitführung
        und Vorlage von Ausweisdokumenten in den Branchen
        mit Sofortmeldepflicht vor. Gleichzeitig heben wir die
        bisher geltende Pflicht auf, den Sozialversicherungsaus-
        weis mitzuführen.
        Dadurch, dass Arbeitgeber zukünftig ihre Beschäftig-
        ten nachweislich und schriftlich über diese Pflicht beleh-
        ren müssen, stehen sie mit in der Verantwortung für die
        Einhaltung der Regeln. Im Gegenzug befreien wir durch
        die neue zentrale, elektronische Übermittlung von An-
        schriftendaten der Beschäftigten die Arbeitgeber von
        bisher immerhin jährlich rund 16 Millionen Meldevor-
        gängen. Das bedeutet unterm Strich 25 Millionen Euro
        geringere Bürokratiekosten.
        Dazu werden die Kommunen und die Rentenversi-
        cherungsträger von erheblichen Kosten entlastet. Auch
        das sind noch einmal etwa 180 Millionen Euro im Jahr.
        So gelingt es uns durch dieses Gesetz, mit geringem
        Aufwand durch zusätzliche Melde- und Nachweispflich-
        ten in einigen Branchen die Schwarzarbeit besser be-
        kämpfen zu können, und gleichzeitig senken wir Büro-
        kratiekosten. Faire Regeln und ein Gewinn für alle –
        auch das sind Kerne der sozialen Marktwirtschaft.
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        nlage 16
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: EU-Übersetzungsstrategie überarbei-
        ten – Nationalen Parlamenten die umfassende
        Mitwirkung in EU-Angelegenheiten ermögli-
        chen (Tagesordnungspunkt 21)
        Hans Peter Thul (CDU/CSU): Der vorliegende ge-
        einsame Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bünd-
        is 90/Die Grünen ist auch nach der Vorlage der Mittei-
        ung der Kommission zur Mehrsprachigkeit vom
        8. September 2008 weiterhin aktuell und angezeigt, so-
        ar mehr denn je. Aus diesem Grund erfolgte die unein-
        eschränkte Zustimmung von allen Fraktionen im Bera-
        ungsverfahren des federführenden Ausschusses für die
        ngelegenheiten der Europäischen Union am 24. Sep-
        ember.
        Nachdem zu unserer Verwunderung die geforderten
        nderungen der Sprachenregelung in dieser Mitteilung
        icht berücksichtigt worden sind, müssen die von uns
        ereits mehrfach formulierten Forderungen insbesondere
        ach zeitnaher Überarbeitung des Sprachenregimes der
        uropäischen Union und einer daraus folgenden Verbes-
        erung der Übersetzungsleistungen weiterhin so lange
        estellt werden, bis sie schließlich in einer Überset-
        ungsstrategie verbindlich niedergelegt werden. Die für
        008 angekündigte Überarbeitung der Übersetzungsstra-
        egie hat die Europäische Kommission auf unbestimmte
        eit verschoben. Wir werden unter diesen Umständen
        eiter regelmäßig die für uns beratungs- und entschei-
        ungsrelevanten Informationen auf Englisch oder Fran-
        ösisch erhalten.
        Wir arbeiten hier gemeinsam auf der Grundlage eines
        andates, das wir in freien und geheimen Wahlen von
        nseren Wählerinnen und Wählern erhalten haben, und
        ir haben diesen Wählerauftrag nach bestem Wissen
        nd nur unserem eigenen Gewissen folgend zum Wohle
        er gesamten Gesellschaft wahrzunehmen. Dies setzt
        ber voraus, dass wir die Grundlagen unserer Entschei-
        ungen erfassen, im wörtlichen Sinne also Wort für Wort
        ufnehmen, abwägen und prüfen können. Dies alles geht
        hier sind wir uns mit großer Mehrheit in diesem Hause
        inig – für uns am besten auf Deutsch, unserer offiziel-
        en Amtssprache.
        Dies gilt im Übrigen für jede innerhalb der Europäi-
        chen Union gesprochene Sprache. Insofern gilt das, was
        ir fordern, im übertragenen Sinne selbstverständlich
        uch für alle anderen Sprachen und alle von der Spra-
        henregelung und ihren Regelungsdefiziten betroffenen
        arlamentarier. Daher richtet sich unser Antrag weder
        egen irgendeinen der anderen Mitgliedstaaten noch dis-
        riminiert er die Verwendung einer der anderen inner-
        alb der Gemeinschaft gesprochenen Sprachen.
        Im Übrigen sollten wir alle daran interessiert sein, die
        kzeptanz der EU-Regelungen bei den Bürgerinnen und
        ürgern – besonders angesichts der im kommenden Jahr
        nstehenden Wahlen – zu erhöhen und zumindest das
        achvollziehen der einzelnen Entscheidungen des Euro-
        19636 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        päischen Parlaments durch die Aufnahme muttersprach-
        licher Texte zu ermöglichen. Identifikation mit Europa
        und damit die Stärkung des Wunsches nach Teilhabe und
        Mitwirkung der Bürger setzen voraus, dass sie verste-
        hen, was Europa regelt und entscheidet. Dies ist eine
        Verantwortung, die nicht allein auf die einzelnen Mit-
        gliedstaaten abgewälzt werden kann, sondern es ist Auf-
        gabe der Kommission, den Mitgliedstaaten das nötige
        Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen. Daneben er-
        wartet und wünscht doch auch die EU-Kommission die
        stärkere Mitwirkung der nationalen Parlamente.
        Diese Selbstverständlichkeiten haben wir – das sind
        CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen – in
        dem vorliegenden Antrag gemeinsam formuliert und in
        der Zwischenzeit auch unmittelbar in Brüssel dem zu-
        ständigen EU-Kommissar Leonard Orban und dem stell-
        vertetenden Generalsekretär, Herrn Jouanjean, erläutert.
        Daneben hatten wir Gelegenheit, sachkundigen Vertre-
        tern außerparlamentarischer Organisationen, etwa dem
        Goethe-Institut, unser Anliegen zu erklären und deren
        Rat einzuholen. In allen diesen Gesprächen haben wir
        keinen einzigen Einwand hören können, der unserem
        Antrag entgegenstünde. Im Gegenteil, die zurzeit gelten-
        den Grundsätze der Sprachenregelung in der Verordnung
        Nummer 1/58 nennen ausdrücklich alle Amtssprachen
        als gleichrangig. Derzeit werden innerhalb der Gemein-
        schaft 23 Sprachen gesprochen, und nach unserer Über-
        zeugung gilt das, was wir fordern – ich wiederhole das
        gerne an dieser Stelle –, für alle zurzeit und zukünftig
        gesprochenen Sprachen gleichermaßen.
        Des Weiteren sind wir uns einig, dass die Überset-
        zungsleistungen alle beratungs- und entscheidungsrele-
        vanten Dokumente, mithin auch die Anlagen und An-
        hänge, umfassen müssen. Dabei können nur wir selbst
        entscheiden, welche Informationen für unsere Entschei-
        dungen von Bedeutung sind. Die Abwägung zwischen
        der Notwendigkeit und der rechtlichen Verpflichtung zur
        Übersetzung eines Dokumentes ist Sache des nationalen
        Parlamentes und eben nicht Sache der Kommission in
        Brüssel. Unser Eindruck ist vielmehr, dass viele Doku-
        mente schematisch ohne Ansehen der inhaltlichen Rele-
        vanz herabgestuft werden.
        Zurzeit können nahezu fünfzig einzelne Vorgänge
        nicht von dem deutschen Parlament abschließend bear-
        beitet werden, weil die entsprechenden Dokumente eben
        nicht vollständig in deutscher Sprache vorliegen. Dies
        hemmt unsere Arbeit und führt zu vermeidbaren Verzö-
        gerungen bei den anstehenden Entscheidungen. Dies ist
        nicht hinnehmbar, weil die Problemlösungen in einem
        immer mehr an Dynamik zunehmenden globalen Wett-
        bewerb eher nach flinken Lösungen verlangen als nach
        einem langatmigen Zuwarten.
        Die Kosten der Übersetzungsleistungen fallen für alle
        Sprachen etwa in gleicher Höhe an. Dies betont Herr
        Orban gleich an zwei Stellen in seiner schriftlichen Ant-
        wort vom 11. Juni 2008 auf eine entsprechende Anfrage
        des Europakollegen Gahler, wenn er von „… kaum ins
        Gewicht fallenden Unterschieden der Übersetzungskos-
        ten“ oder an anderer Stelle von „… entsprechenden Kos-
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        en pro Seite“ spricht. Weiter heißt es wörtlich unter der
        aufenden Nummer 5 der eben erwähnten Antwort:
        Die Kommission sieht keine besonderen Schwierig-
        keiten und speziellen Probleme, was den Bedarf an
        Übersetzungen ins Deutsche und die fristgerechte
        Vorlage anbelangt. Wenn dem so ist, so gibt es auch
        keinen ernst zu nehmenden Einspruch gegen unser
        berechtigtes Begehren.
        Die bereits erwähnten und verschobenen Vorgänge
        önnen nicht so lange warten, bis uns einmal intelligen-
        ere Technik bzw. Software die Arbeit des Übersetzens
        bnimmt. Aber genau darauf scheinen einige in Brüssel
        u warten. Wir unterstützen diese Hinhaltetaktik auch
        och – so viel Kritik muss erlaubt sein –, wenn der deut-
        che EU-Kommissar Verheugen seine Reden ausschließ-
        ich auf Englisch hält, wie zuletzt im April dieses Jahres;
        nd das, obwohl eine Simultanübersetzung für nicht
        eutschsprachige Teilnehmer verfügbar wäre. Das ist
        ontraproduktiv und widerspricht dem Gedanken der eu-
        opäischen Pluralität. Der Gebrauch der deutschen Spra-
        he bei der Amtsausübung muss für Herrn Verheugen so
        elbstverständlich sein wie die Verwendung der französi-
        chen Sprache für seinen französischen Kollegen Barrot.
        lles andere ist falsch verstandene Höflichkeit – und un-
        ötig noch dazu.
        Schließlich erfahren wir für unseren Antrag Zustim-
        ung von allen Seiten innerhalb und außerhalb dieses
        arlamentes. In der jüngsten Vergangenheit sind in die-
        er Sache Briefe geschrieben und eine ganze Reihe von
        esprächen geführt worden. Es liegt jetzt an der EU-
        erwaltung, ein neues Sprachenregime zu formulieren
        nd alsbald, ohne weiteres Verschieben und Vertrösten,
        n Kraft zu setzen. Diese Forderung werden wir auch ge-
        enüber Kommissar Orban bei seinem angekündigten
        esuch im Dezember dieses Jahres erneut deutlich ma-
        hen. Demokratie mag dem ein oder anderen in diesem
        usammenhang teuer vorkommen, aber das Modell ei-
        er freien demokratischen Gesellschaft, das Wirtschafts-
        odell Europa, ist zu wertvoll für die freie Entfaltung
        er hier lebenden Menschen, als dass wir es allein mit
        iskalischen Interessen beschränken. Wir sehen daher die
        erabschiedung eines neu gefassten Sprachenregimes
        ls eine vertrauensbildende Maßnahme für alle Parla-
        ente an.
        Lassen sie mich zu Schluss noch einmal die wichtigs-
        en Forderungen unseres Antrages zusammenfassen:
        eufassung der für 2008 zugesagten Übersetzungsstrate-
        ie alsbald und kurzfristig; angemessene parlamentari-
        che Beteiligung der Mitgliedstaaten bei dieser Ausar-
        eitung; vollständige und zeitnahe Bereitstellung aller
        eratungs- und entscheidungsrelevanten Dokumente; an-
        emessene Mittelbereitstellung in den Haushalten und
        ine stärkere Förderung und Verwendung der deutschen
        prache in der kulturellen Präsenz und im Arbeitsge-
        rauch innerhalb der Institutionen in Brüssel.
        Michael Roth (Heringen) (SPD): „Die Sprache Eu-
        opas ist die Übersetzung“, sagt Umberto Eco und bringt
        s auf den Punkt. Treffender kann ein Zitat kaum sein.
        as greift auch die Europäische Kommission in ihrer
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19637
        (A) )
        (B) )
        Mitteilung „Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas,
        aber auch gemeinsame Verpflichtung“ vom 18. Septem-
        ber dieses Jahres auf.
        Die Kommission mahnt die Förderung der Mehrspra-
        chigkeit an. Damit wir uns nicht missverstehen: Spra-
        chenlernen ist richtig und wichtig. Sprachen ermögli-
        chen den Zugang zu anderen Kulturen und Menschen.
        Sie sind Instrument der Annäherung. Sprache macht
        Europa für die Menschen erst erlebbar. Für das Spra-
        chenlernen spricht sicher noch viel mehr. Selbstver-
        ständlich setzen wir uns hier in Deutschland dafür ein,
        dass Menschen die Chance haben, Sprachen zu erlernen
        – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Dieser Ver-
        antwortung nehmen wir uns gerne an. Die Kommission
        muss ihrer eigenen Verantwortung für die Sprachenviel-
        falt in Europa gerecht werden.
        Kommissar Orban hat für seine Mitteilung wirklich
        schöne Worte gefunden. Aber schöne Worte allein rei-
        chen nicht aus. Allein davon wird unsere parlamentari-
        sche Arbeit nicht besser. Wir wollen unsere Aufgaben
        wahrnehmen. Aber erledigt die Kommission auch ihre
        Hausaufgaben, um uns dazu in die Lage zu versetzen?
        Wir warten. Viel zu lange schon warten wir auf eine
        Initiative von Herrn Orban. Eine Überarbeitung für das
        Übersetzungsregime wurde für dieses Jahr angekündigt.
        Leider habe ich einem Brief des Kommissars an unseren
        Außenminister Frank-Walter Steinmeier entnehmen
        müssen, dass die Überprüfung der Übersetzungsstrategie
        auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Fehlende finan-
        zielle Mittel beklagt der Kommissar. Wir haben doch
        keine Beliebigkeit gefordert! Es soll nicht jeder Text
        – sei er noch so irrelevant – übersetzt werden. Aber es
        muss sichergestellt werden, dass die Dokumente, die aus
        unserer Sicht relevant sind, zwingend übersetzt werden.
        Wir haben konkrete Dokumente zur Übersetzung ange-
        mahnt, aber leider für 23 eine negative Antwort erhalten.
        Eine Erhöhung der finanziellen Mittel ist für die Reform
        der Übersetzungsstrategie nicht unbedingt notwendig.
        Eine Umschichtung, die den Bedarf der nationalen Par-
        lamente berücksichtigt, ist jedoch denk- und machbar.
        Nicht allein die Förderung der deutschen Sprache,
        sondern die Förderung der sprachlichen Vielfalt in
        Europa ist unser Anliegen. Diese sprachliche Vielfalt ist
        nicht bloß eine Herausforderung des europäischen Über-
        setzungsdienstes. Vielmehr ist sie Bestandteil unseres
        kulturellen Reichtums. Wenn von den nationalen Parla-
        menten gefordert wird, dass sie sich frühzeitig in den
        Gesetzgebungsprozess der EU einbringen, dann muss
        man uns auch die Möglichkeit dazu geben. Mit „uns“
        meine ich die Parlamentarier der nationalen Kammern
        aller Mitgliedstaaten. Der Deutsche Bundestag, der pol-
        nische Sejm, die französische Assemblée nationale, der
        litauische Seimas und alle anderen Kolleginnen und Kol-
        legen aus den Partnerländern der EU wirken an Europa
        mit.
        Auch angesichts der Unklarheit darüber, wann der
        Vertrag von Lissabon in Kraft treten wird, bin ich über-
        zeugt, dass die Rolle nationaler Parlamente wächst. Der
        Lissabon-Vertrag stärkt formal unsere Mitgestaltungs-
        möglichkeiten. Doch schon jetzt bringt sich der Bundes-
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        ag engagierter in den EU-Gesetzgebungsprozess ein.
        enn uns das gescheiterte Referendum in Irland etwas
        ezeigt hat, dann doch, dass Europa mehr Bürgernähe
        raucht. Hier stehen wir auch als nationale Politiker in
        er Verantwortung. Nationale Parlamente haben inner-
        taatlich bereits Befugnisse bei europäischer Rechtsset-
        ung. Das ist auch den europäischen Institutionen be-
        usst. Die Mammutaufgabe, Europa zu vermitteln, kann
        ur in einem gemeinsamen Kraftakt gelingen. Die Re-
        orm der Übersetzungsstrategie muss weiterverfolgt
        erden. Das bedeutet auch, dass wir in der Pflicht ste-
        en. In der Pflicht, EU-Dokumente, die wir zugeleitet
        ekommen, nicht lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Wir
        üssen Prioritäten setzen und konkret sagen, wo der
        chuh drückt und gegebenenfalls Alternativvorschläge
        nterbreiten.
        Es ist ein Erfolg, dass der Deutsche Bundestag ge-
        chlossen hinter dem Antrag steht. Über Fraktionsgren-
        en hinweg gilt es, alle Abgeordneten in die Lage zu ver-
        etzen, sich angemessen mit EU-Dokumenten und EU-
        orlagen auseinanderzusetzen – in deutscher Sprache.
        Ebenso freue ich mich, dass dieses Anliegen von der
        eutschen Bundesregierung mitgetragen wird. Unser
        ntrag soll die Bemühungen der Bundesregierung unter-
        tützen und sie ermuntern, am Ball zu bleiben. Ich for-
        ere die EU-Kommission dazu auf, endlich dem berech-
        igten Interesse des Deutschen Bundestages besser zu
        ntsprechen – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.
        Michael Link (Heilbronn) (FDP): Die Kommission
        eginnt ihre aktuelle Mitteilung zur Mehrsprachigkeit in
        uropa mit den Worten „die harmonische Koexistenz
        ieler Sprachen in Europa ist ein kraftvolles Symbol für
        as Streben der EU nach Einheit in der Vielfalt, einem
        er Eckpfeiler des europäischen Aufbauwerks.“
        Diese Einschätzung teilen wir Liberalen. So drückt
        iese philosophisch anmutende Aussage zuallererst aus,
        ass die Sprachenvielfalt in Europa nicht zum destrukti-
        en Babylonischen Stimmengewirr führt, dass diese
        ielfalt einen Teil der Identität Europas darstellt.
        Natürlich stellt diese Vielzahl der Sprachen die Euro-
        äische Union im alltäglichen Gebrauch auch vor große
        erausforderungen. Es erfordert strukturelle, logistische
        nd finanzielle Anstrengungen, um die reibungslose
        ommunikation innerhalb der EU zu ermöglichen.
        Die lang erwartete Mitteilung der Kommission vom
        8. September 2008 zur Mehrsprachigkeit enttäuscht be-
        üglich der Antworten auf diese Herausforderungen, ob-
        ohl die Mitteilung interessante Aussagen zur Stärkung
        er Sprachenkompetenz und des Sprachenbewusstseins
        rifft. Denn entgegen ursprünglicher Äußerungen Kom-
        issar Orbans enthält diese Mitteilung keine Überarbei-
        ung der Übersetzungsstrategie. Und dabei wäre genau
        ies der Bereich, an den die Kommission selbst Hand
        nlegen und dazu klare Aussagen treffen könnte, statt
        ich mit Wunschvorstellungen an die Mitgliedstaaten zu
        enden.
        Die Verabschiedung unseres interfraktionellen An-
        rags „EU-Übersetzungsstrategie überarbeiten – Natio-
        19638 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        nalen Parlamenten die umfassende Mitwirkung in EU-
        Angelegenheiten ermöglichen“ ist damit wichtiger denn
        je.
        An der Bereitschaft der Kommission, transparent und
        offen mit den nationalen Parlamenten zusammenzuarbei-
        ten, bestehen erhebliche Zweifel. Was sich unter anderem
        an der fehlenden, jedoch zugesicherten Überarbeitung
        der Übersetzungsstrategie, der lediglich begrenzten Zahl
        an erbetenen Nachübersetzungen beratungsrelevanter
        Dokumente und der fehlenden Darstellung der tatsäch-
        lich benötigten Mittel und Kosten für eine angemessene
        Übersetzungsleistung ausdrückt.
        In der Debatte zur ersten Lesung dieses Antrages
        habe ich betont, dass der Antrag auch ein Zeichen setzt,
        dass sich der Bundestag in dieser Angelegenheit nicht
        auf wenig vertrösten lassen wird – und zwar weder von
        der Bundesregierung noch von der Kommission.
        Natürlich muss die Kommission für die notwendigen
        Übersetzungen sorgen, die Bundesregierung muss nun
        aber endlich den Druck erhöhen und dies in der EU auch
        durchsetzen. Und zwar auf Chefebene – denn die Dis-
        kussionen auf Arbeitsebene haben – wie wir sehen – bis-
        her zu nichts geführt. Zwar scheint das Bewusstsein der
        Bundesregierung dafür geweckt und auch groß zu sein.
        Auch sind wohl bereits Gespräche mit dem Kommis-
        sionspräsidenten Barroso geführt worden, doch nach wie
        vor wurde dabei wenig erreicht. Deshalb müssen wir als
        Bundestag ebenfalls den Druck auf die Bundesregierung
        erhöhen.
        Zeitlich kommt unser Antrag dafür genau zum richti-
        gen Zeitpunkt. Denn die Verhandlungen über den EU-
        Haushalt 2009 sind nun in der heißen Phase. Aktuell be-
        rät das Europäische Parlament in seinen Ausschüssen
        und im Plenum bevor es am 21. November zu einer Ver-
        mittlungsrunde zwischen Rat und EP zum EU-Haushalt
        2009 kommt.
        In unserem Antrag stellen wir hinsichtlich dieses
        Haushaltes konkrete Forderungen an die Bundesregie-
        rung: Erstens, eine differenzierte Ausweisung der Mittel
        für Übersetzungsleistungen von der Kommission zu er-
        möglichen und zweitens darauf hinzuwirken, dass im
        Einzelplan 3 der Kommission durch Umschichtungen
        angemessene Mittel für Übersetzungen eingestellt wer-
        den.
        Mir scheint es erforderlich, noch vor der geplanten
        Vermittlungsrunde am 21. November von der Bundesre-
        gierung detailliert Auskunft zu verlangen, wie sie bei der
        Umsetzung unserer Forderungen auf EU-Ebene agiert
        hat bzw. agieren will. Beispielsweise könnte dies im EU-
        Ausschuss am 12. November 2008 geschehen. Denn
        Sympathiebekundungen der Bundesregierung mit uns
        Parlamentariern reichen nicht aus. Die Bundesregierung
        muss darstellen, mit welcher Strategie sie unsere Forde-
        rungen tatsächlich durchsetzen will.
        Sollten diese Forderungen ungehört bleiben, müsste
        die Bundesregierung in letzter Konsequenz dem Haus-
        halt 2009 seine Zustimmung verweigern. Ein kraftvolles
        Signal!
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        Daneben kann man nicht genug daran erinnern, dass
        uch auf die Partnerfraktionen im EP Einfluss zu neh-
        en ist, die im Haushalt mitzubestimmen haben.
        Interessant wäre es heute von Ihnen, sehr geehrte
        oalitionsfraktionen, zu erfahren, welche Fortschritte
        ie bei Ihren Gesprächen einerseits mit der zuständigen
        auptberichterstatterin, der SPD-Kollegin Jutta Haug,
        ndererseits mit dem Vorsitzenden des Haushaltsaus-
        chusses im Europäischen Parlament, dem CDU-Kolle-
        en Reimer Böge, EVP/CDU verzeichnen konnten.
        Neben diesem Engagement dürfen wir auch nicht
        achlassen, bei der Kommission die regelmäßige Be-
        achteiligung von deutschen Nichtregierungsorgani-
        ationen und deutschen Mittelständlern und anderen.
        urch die bevorzugte Verwendung von Englisch/Franzö-
        isch in Wirtschaftsdatenbanken, bei Ausschreibungen
        nd generell bei Internetauftritten in der EU zu kritisie-
        en sowie deren Ende gemäß den bestehenden europäi-
        chen Rechtsvorschriften, die Deutsch als gleichberech-
        igte Amts- und Arbeitssprache der EU festsetzen,
        achdrücklich einzufordern.
        Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): In gebotener
        ürze eine Bemerkung zum Antrag selbst und eine Be-
        erkung zum Verfahren: Das Anliegen des Antrags ist
        erechtfertigt. Wir unterstützen es voll und ganz. Durch
        nzureichende Übersetzungen von EU-Dokumenten
        ird der Bundestag bei der Beteiligung an der Rechtset-
        ung auf europäischer Ebene und auch sonst ganz erheb-
        ich behindert. Das muss korrigiert werden, und zwar so
        chnell wie möglich. Es geht aber nicht nur um den Bun-
        estag. Es geht vor allem darum, dass eine demokrati-
        che Öffentlichkeit die politischen Positionen selbst
        egleiten und kritisch hinterfragen können muss. Da rei-
        hen politisch interpretierende und gefilterte Pressebe-
        ichte nicht. Wer Demokratie will, muss in der Sprache
        er jeweils betroffenen Menschen kommunizieren, auch
        enn es in der EU viele unterschiedliche Sprachen sind.
        in EU-Verwaltungsenglisch als „lingua franca“ der
        uropäischen Eliten genügt demokratischen Prinzipien
        n keiner Weise. Die Forderung nach einer anderen
        bersetzungsstrategie der EU-Kommission bedarf der
        ezugnahme auf den Vertrag von Lissabon nicht, wie sie
        m Antrag enthalten ist. Eine solche Bezugnahme ist im
        egenteil in hohem Maße kontraproduktiv. Die EU-
        ommission soll ihre verkorkste Sprachenpolitik nicht
        rgendwann, sondern schnell ändern. Wenn das vom
        irksamwerden des Vertrags abhinge, würde das Ge-
        enteil erreicht: Der Vertrag von Lissabon wird nach
        age der Dinge auf keinen Fall am 1. Januar 2009 in
        raft treten, wahrscheinlich wird er es nie tun. Das stör-
        ische Festhalten der anderen Fraktionen an der Bezug-
        ahme auf den Vertrag ist daher skurril. Es stellt ein
        tück Realitätsverweigerung durch die ganz Große
        oalition aus den vier anderen Fraktionen dar. Trotzdem
        erden wir heute keinen Änderungsantrag zur Behebung
        ieses Mangels stellen, sondern nur in dieser Form zu
        rotokoll geben, dass wir ohne „Wenn“ und „Aber“ für
        ie schnellstmögliche Revision der Übersetzungsstrate-
        ie eintreten.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19639
        (A) )
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        Jetzt die Bemerkung zum Verfahren: Bei dem hohen
        Maß an sachlicher Übereinstimmung hätte hier die Mög-
        lichkeit bestanden, einen Allfraktionenantrag einzubrin-
        gen. Dass das bewusst vermieden wurde, ist schlicht al-
        bern. Es kontrastiert auch zu pathetischen Appellen an
        die Gemeinsamkeit und die Solidarität in nationalen Fra-
        gen, die in den vergangenen Tagen von Regierungsseite
        immer wieder beschworen wurde. Wo es in der Sache
        möglich wäre, wollen Sie diese Gemeinsamkeit nicht.
        Trotz dieses miesen Stils: Wie lassen uns von einer Zu-
        stimmung zu sinnvollen Sachentscheidungen auch durch
        die von den anderen Fraktionen akzeptierte Marotte des
        CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden nicht abbringen, keine
        Anträge zusammen mit unserer Fraktion zu unterzei-
        chen. Irgendwann aber sollten zumindest die anderen
        Fraktionen diese kleingeistigen Mätzchen lassen!
        Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Sprache ist Kultur, Sprache ist Identität. Deshalb
        müssen wir die Sprachenvielfalt in Deutschland, in der
        EU und auch weltweit schützen. Es ist ein gutes Zeichen,
        dass die Vereinten Nationen das Jahr 2008 zum inter-
        nationalen Jahr der Sprachen erklärt haben. Auch die
        Europäische Union muss ihren Reichtum an Sprachen-
        vielfalt sichern, und deshalb ist es richtig, dass jedes
        Land vor einem Beitritt in die Europäische Union ange-
        ben kann, welche Sprache es als sogenannte Amtsspra-
        che wählt. In diesen momentan 23 Amtssprachen kön-
        nen sich dann alle Bürgerinnen und Bürger an die
        Institutionen der Europäischen Union wenden. Und das
        ist gut so. Denn die Bürgerinnen und Bürger haben ein
        Recht darauf, zu erfahren, was in ihrem Namen ge-
        schieht.
        Sprache ist also ein wichtiger Schlüssel für die Bürge-
        rinnen und Bürger zur Europäischen Union. Aber auch
        für kleine und mittlere Unternehmen, die sich an EU-
        Ausschreibungen beteiligen möchten, und nicht zuletzt
        auch für uns Abgeordnete ist es notwendig, dass wir
        wichtige Informationen in unserer Sprache erhalten.
        Denn es ist unsere ureigene Aufgabe, zu kontrollieren,
        wie die Bundesregierung in Brüssel handelt und ob sie
        unsere Anliegen auch richtig vertritt.
        Genau deshalb ist es doch absolut unverständlich,
        wenn wichtige Initiativen, Beschlüsse und auch Internet-
        auftritte, zum Beispiel der Generaldirektionen, nicht in
        allen Sprachen zur Verfügung stehen. Wir verstehen
        nicht, warum nicht alle wesentlichen EU-Dokumente in
        allen 23 Amtssprachen erhältlich sind. Es kann nicht
        sein, dass für eine Übersetzung allein formale Kriterien
        ausschlaggebend sind und wichtige Informationen, die
        sich in Anhängen oder in „nachgeordneten Dokumen-
        ten“ finden, deshalb nicht übersetzt werden. Nicht ir-
        gendwelche Kriterien, sondern die politische Bedeutung
        muss entscheiden, was übersetzt wird.
        Deshalb fordern wir von der Europäischen Kommis-
        sion, dass sie endlich wie angekündigt eine überarbeitete
        Übersetzungsstrategie vorlegt. Das sollte und muss noch
        in diesem Jahr und damit vor der Europawahl gesche-
        hen. Die Kommission hat sich doch mit ihrem „Plan D“
        einen verstärkten Dialog mit den Bürgerinnen und Bür-
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        ern vorgenommen. Statt Hochglanzbroschüren zu
        rucken und Häppchen auf Abendveranstaltungen zu
        ervieren, sollte sie da anfangen, wo es am sinnvollsten
        st, nämlich bei der Sprache. Die Kommission muss da-
        ür sorgen, dass dieser Dialog auch in beide Richtungen
        ehen und verstanden werden kann. Von der Bundes-
        egierung fordern wir, dass sie nachdrücklich und auf al-
        en Ebenen für eine neue Übersetzungsstrategie eintritt.
        enn auch sie hatte sich für ihre Ratspräsidentschaft
        orgenommen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bür-
        er in die Europäische Union zu stärken.
        Wir Grünen begrüßen sehr, dass sich die Fraktionen
        m Bundestag in dieser Frage jetzt einig sind. Denn noch
        m letzten Jahr ging es CDU/CSU und SPD doch vor al-
        em darum, nur die deutsche Sprache zu stärken. In die-
        em Jahr sind wir uns einig, dass es sich nicht nur um ein
        eutsches Problem handelt, sondern dass alle relevanten
        nformationen für alle in der Europäischen Union ver-
        tändlich sein müssen. Denn sonst werden wir nie die
        ehren Ziele einer europäischen Öffentlichkeit, einer
        uropäischen Identität und einer gelebten Unionsbürger-
        chaft erreichen. Dazu brauchen wir eine transparente
        nd verständliche Europäische Union.
        nlage 17
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Einführung Unterstützter Beschäftigung (Ta-
        gesordnungspunkt 22)
        Hubert Hüppe (CDU/CSU): In der Koalitionsverein-
        arung haben wir uns darauf geeinigt, mehr für die be-
        ufliche Integration von Menschen mit Behinderungen
        u tun. Unser Ziel ist, mehr behinderten Menschen die
        öglichkeit zu eröffnen, außerhalb von Werkstätten für
        ehinderte Menschen ihren Lebensunterhalt im allge-
        einen Arbeitsmarkt erarbeiten zu können.
        Die Bundesregierung hat diesen Punkt der Koalitions-
        ereinbarung aufgegriffen und einen Gesetzentwurf vor-
        elegt, den wir heute beraten. Der Gesetzentwurf sieht
        ie „Unterstützte Beschäftigung“ als eine neue Leistung
        ur Teilhabe am Arbeitsleben vor. Ziel der „Unterstütz-
        en Beschäftigung“ ist ein regulärer, sozialversiche-
        ungspflichtiger Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Ar-
        eitsmarkt.
        Der Gesetzentwurf schafft neue Teilhabechancen auf
        em allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behin-
        erungen, denen zur Zeit nur die Werkstatt für behin-
        erte Menschen offen steht. Zur Zielgruppe des Gesetz-
        ntwurfs gehören insbesondere behinderte Menschen,
        ie vor der Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte
        enschen stehen, also in erster Linie junge behinderte
        enschen, denen eine berufsvorbereitende Maßnahme
        der eine Berufsausbildung wegen Art oder Schwere ih-
        er Behinderung nicht möglich ist.
        Zusätzlich ist die „Unterstützte Beschäftigung“ ge-
        acht für Menschen, bei denen sich beispielsweise we-
        en eines Unfalls oder einer physischen oder psychi-
        19640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        schen Erkrankung im Laufe ihres Erwerbslebens eine
        Behinderung eingestellt hat.
        Die neue Leistung „Unterstützte Beschäftigung“ glie-
        dert sich in zwei Phasen. Die erste Phase ist die „indivi-
        duelle betriebliche Qualifizierung“, die in der Regel
        zwei Jahre dauert und mit einem regulären Arbeitsver-
        hältnis endet. Daran schließt sich der zweite Baustein
        der „Unterstützten Beschäftigung“, die „Berufsbeglei-
        tung“ an. Die „Berufsbegleitung“ wird dann geleistet,
        wenn weitere Begleitung nötig ist, um den Arbeitsplatz
        zu sichern. Der Mensch mit Behinderung ist also nicht
        auf sich allein gestellt, wenn er den Sprung in ein regulä-
        res Arbeitsverhältnis geschafft hat und auf weitere Un-
        terstützung angewiesen ist.
        Wir wollen, dass Absolventen von Förderschulen in
        der Praxis nicht automatisch in die Werkstatt für behin-
        derte Menschen gehen. Diesem Ziel dient der Gesetzent-
        wurf. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang auch,
        Schulpraktika für behinderte Jugendliche vermehrt in
        Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes anzubieten.
        Hier sind weitere Anstrengungen zu unternehmen.
        Für die CDU/CSU ist es wichtig, dass mit dem Ge-
        setzentwurf ein Weg beschritten wird, der dem Men-
        schen eine praxis- und betriebsorientierte Teilhabe-
        chance eröffnet. Die neue Leistung „Unterstützte
        Beschäftigung“ geht vom Prinzip „Erst platzieren, dann
        qualifizieren“ aus. Das heißt, es wird zuerst einmal ein
        Platz für den behinderten Menschen in einem Unterneh-
        men gesucht. Dann kann der behinderte Mensch erpro-
        ben, welche Tätigkeit er am besten ausüben kann. Spe-
        zielle Betreuer qualifizieren den behinderten Menschen
        anschließend für eine ganz konkrete Tätigkeit im Unter-
        nehmen. Das Prinzip „Erst platzieren, dann qualifizie-
        ren“ ist keine fixe Idee von Politikern. In der Praxis hat
        es sich schon vielfach bewährt. Dies zeigt die erfolgrei-
        che Arbeit von Leistungsanbietern, wie beispielsweise
        der Hamburger Arbeitsassistenz oder Access Erlangen.
        Menschen mit Behinderungen dürfen nicht in der
        neuen Maßnahme „zementiert“ sein. Vielmehr muss eine
        Durchlässigkeit zwischen einzelnen Maßnahmen beste-
        hen. Die Maßnahme „Unterstützte Beschäftigung“
        berücksichtigt deshalb, dass sich in der Phase der „indi-
        viduellen betrieblichen Qualifizierung“ andere Maßnah-
        men als bedarfsgerechter herausstellen können. In diesen
        Fällen gibt es die Möglichkeit, alternativ zur „Unter-
        stützten Beschäftigung“ beispielsweise berufsvorberei-
        tende Berufsbildungsmaßnahmen, eine Berufsausbil-
        dung oder Leistungen in einer Werkstatt für behinderte
        Menschen durchzuführen.
        Die positiven Seiten der neuen Maßnahme zu nennen,
        heißt aber nicht zu verschweigen, was die „Unterstützte
        Beschäftigung“ nicht leistet. Ich bin mir bewusst, dass
        der Gesetzentwurf noch nicht Teilhabelösungen auf dem
        allgemeinen Arbeitsmarkt aufzeigt für die vielen behin-
        derten Menschen, die sich zurzeit in Werkstätten für be-
        hinderte Menschen befinden. Wie Sie vielleicht wissen,
        steigt die Zahl der behinderten Menschen in Werkstätten
        stetig an. Von 1994 bis 2006 stieg die Zahl der Men-
        schen in Werkstätten um etwa 80 Prozent von
        150 000 auf 270 000. Ein Ende des Zulaufs zu Werkstät-
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        en für behinderte Menschen ist nicht in Sicht. Die CDU/
        SU-Bundestagsfraktion glaubt nicht, dass mit derzeit
        twa 1 bzw. 3 Prozent ausgelagerten Werkstattplätzen im
        erufsbildungs- und Arbeitsbereich und unter 1 Prozent
        bergängen aus Werkstätten auf den allgemeinen Ar-
        eitsmarkt die Möglichkeiten für werkstattberechtigte
        enschen ausgeschöpft sind. Ich bin fest davon über-
        eugt, dass für behinderte Menschen mehr Möglichkei-
        en geschaffen werden können. Auch und gerade im Ar-
        eitsleben kommt es darauf an, ein selbstverständliches
        iteinander von Menschen mit und ohne Behinderun-
        en zu stärken. Behinderten Menschen mehr Teilhabe-
        hancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einzuräu-
        en, bleibt eine Aufgabe, der wir uns weiter zu stellen
        aben.
        Die neue Leistung „Unterstützte Beschäftigung“ ist
        in Mosaikstein des Ziels von CDU/CSU und der Koali-
        ion, mehr Teilhabechancen für behinderte Menschen
        uf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Für
        en Erfolg der neuen Leistung wird es darauf ankom-
        en, die Rahmenbedingungen an funktionierenden For-
        en der „unterstützten Beschäftigung“ zu orientieren.
        s wird insbesondere auf eine ausreichend intensive und
        ndividuelle Betreuung der behinderten Menschen auf
        em Arbeitsplatz während der gesamten Maßnahme an-
        ommen. Hinzu müssen finanzielle Leistungen an den
        rbeitgeber kommen, wenn nur so das Arbeitsverhältnis
        esichert werden kann. Wir hoffen bei der Umsetzung
        atürlich auch auf die Unterstützung durch Arbeitgeber.
        enschen mit Behinderungen müssen eine Chance er-
        alten, zu zeigen, dass sie eine Bereicherung für einen
        etrieb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sein können.
        Jörg Rohde (FDP): Die berufliche Teilhabe behin-
        erter Menschen ist eine der größten Herausforderungen
        n der Politik für Menschen mit Behinderung. Berufliche
        eilhabe bedeutet für den behinderten Menschen die An-
        rkennung seiner Fähigkeiten und den Respekt vor sei-
        er Arbeitsleistung. Sie trägt dem Wunsch vieler
        chwerbehinderter Rechnung, nicht in einer Werkstatt
        ür behinderte Menschen, sondern im ersten Arbeits-
        arkt einer Tätigkeit nachzugehen. Es ist deshalb Auf-
        abe des Gesetzgebers, die geeigneten Rahmenbedin-
        ungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu schaffen,
        amit die Integration behinderter Menschen in den ers-
        en Arbeitsmarkt gelingt. Geeignete Rahmenbedingun-
        en heißt in diesem Zusammenhang: der Bau einer
        rücke von der Werkstatt oder ähnlichen Beschäftigungs-
        ngeboten für behinderte Menschen in den ersten Ar-
        eitsmarkt. Nötig ist dieser Brückenbau, weil der über-
        iegende Teil der Betroffenen bislang nicht mit den
        nforderungen des ersten Arbeitsmarktes konfrontiert
        ar und in der ersten Zeit im neuen Job ergänzende Un-
        erstützung benötigt, zum Beispiel durch berufliche Qua-
        ifizierungsmaßnahmen, aber auch durch persönlich-
        eitsbildende Begleitung.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erkennt die
        undesregierung diesen Unterstützungsbedarf behinder-
        er Erwerbstätiger ausdrücklich an und stellt die perso-
        enzentrierte Hilfe in den Vordergrund. Denn wie auch
        ei der Vermittlung und Förderung Langzeitarbeitsloser,
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19641
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        Geringqualifizierter oder anderer Erwerbsloser mit Ver-
        mittlungshemmnissen gilt auch für die Integration behin-
        derter Menschen: Jedes Hilfsangebot muss dem indivi-
        duellen Hilfebedarf des behinderten Menschen und den
        Besonderheiten seines Arbeitsplatzes im ersten Arbeits-
        markt gerecht werden. Nur mit maßgeschneiderten Hil-
        fen kann es gelingen, ein langfristig solides und wirt-
        schaftliches Arbeitsverhältnis zwischen dem behinderten
        Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber herzustellen. Leider
        folgen die Regierungsfraktionen diesem Grundsatz ins-
        gesamt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik viel zu
        selten.
        Die FDP erkennt an, dass die Bundesregierung mit
        dem vorliegenden Gesetzentwurf ein individuelles Un-
        terstützungsangebot schaffen möchte. Wie so oft ist es
        der Bundesregierung allerdings auch in diesem Gesetz-
        gebungsverfahren nicht gelungen, einen Entwurf vorzu-
        legen, dem die Interessenvertretungen behinderter Men-
        schen sowie die ausführenden Länder und Kommunen
        uneingeschränkt zustimmen können. So wird zum Bei-
        spiel von Behindertenverbänden über Länder und Kom-
        munen bis hin zu den Arbeitgebern kritisiert, dass die für
        die Unterstützung infrage kommende Zielgruppe nicht
        hinreichend klar definiert ist. Auch die ohnehin ange-
        spannte finanzielle Lage der meisten Integrationsämter
        findet im vorliegenden Gesetzentwurf keine Würdigung,
        obwohl auf diese mittel- und langfristig weitere finan-
        zielle Belastungen durch die Nachbetreuung behinderter
        Erwerbstätiger zukommen dürften. Nicht zuletzt deshalb
        hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme die Bundesre-
        gierung zum wiederholten Male ermahnt, die Grundla-
        gen für Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeit und
        Wohnen behinderter Menschen endlich auf ein neues ge-
        setzliches Fundament zu stellen.
        Schließlich ist zu bezweifeln, ob das Instrument der
        unterstützten Beschäftigung in der vorliegenden Fassung
        dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Arbeitneh-
        mers in größtmöglichem Maße Rechnung trägt.
        Die FDP kritisiert ferner ausdrücklich die völlig un-
        zulängliche parlamentarische Behandlung dieses wichti-
        gen sozialpolitischen Themas: Die erste Lesung erfolgt
        zu so vorgerückter Stunde, dass keine mündliche Aus-
        sprache mehr erfolgen kann, für die Anhörung im Aus-
        schuss für Arbeit und Soziales sollen nur 60 Minuten zur
        Verfügung stehen, und die zweite und dritte Lesung soll
        nach Willen der Regierungsfraktionen erneut erst zu
        nachtschlafender Zeit erfolgen. Dieses Vorgehen wird
        der Bedeutung des Themas in keiner Weise gerecht.
        Die FDP erwartet bei uneingeschränkter Zustimmung
        zum Ziel der Teilhabe behinderter Menschen am ersten
        Arbeitsmarkt eine kritische Auseinandersetzung mit dem
        vorliegenden Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit
        und Soziales, damit die Ziele des Gesetzentwurfes in der
        Praxis auch erreicht werden können. Hier dürfte es noch
        erheblichen Korrekturbedarf geben.
        Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Über 3 Millionen Ar-
        beitslose meldete die Bundesagentur für Arbeit für Sep-
        tember 2008, darunter mehr als 150 000 schwerbehin-
        derte Arbeitslose. Die Daten sind aber längst nicht
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        omplett. Die 69 Optionskommunen führen bezüglich
        rbeitsvermittlung behinderter Menschen keine Statisti-
        en, Arbeitslose in Maßnahmen werden nicht erfasst und
        iele Menschen mit Behinderungen sind aus unter-
        chiedlichsten Gründen nicht mehr als arbeitsuchend re-
        istriert. Vom Rückgang der Arbeitslosigkeit haben Men-
        chen mit Behinderungen am wenigsten partizipiert – hier
        st die Arbeitslosenquote doppelt so hoch, wie bei Nicht-
        ehinderten.
        Das ist die Situation trotz der vielen Maßnahmen und
        ktivitäten des Bundes, welche im Bericht der Bundesre-
        ierung über die Wirkung der Instrumente zur Sicherung
        on Beschäftigung und zur betrieblichen Prävention darge-
        gt wird. Übrigens: Dieser Bericht, Drucksache 16/6044,
        om 2. Juli 2007 wurde bis heute nicht von der Koalition
        uf die Tagesordnung gesetzt. Warum wohl?
        Nun legt die Bundesregierung im Eilverfahren – eine
        nhörung im zuständigen Ausschuss ist für den 5. No-
        ember und die 2./3. Lesung im Bundestag ist für den
        3. November geplant – den „Gesetzentwurf zur Einfüh-
        ung Unterstützter Beschäftigung“ vor.
        Die Linke unterstützt das „Ziel der Unterstützten Be-
        chäftigung (ist), behinderten Menschen mit besonderem
        nterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und
        ozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermögli-
        hen und zu erhalten“ (siehe § 38 a). Ergänzend möchte
        ch anmerken, dass wir hier Arbeit meinen, von der man
        uch leben kann. Menschen mit Behinderungen sollen
        hren gesamten Lohn für ihren Lebensunterhalt wie alle
        nderen auch behalten können und nicht bis auf den ge-
        ing bemessenen Selbstbehalt nach SGB XII für die be-
        inderungsbedingten Mehrbedarfe wieder abführen
        üssen.
        Der Ansatz des Gesetzentwurfs zur Einführung Un-
        erstützter Beschäftigung – erst platzieren, dann qualifi-
        ieren – ist grundsätzlich sinnvoll. Menschen mit Behin-
        erungen brauchen mehr Chancen, einen Arbeitsplatz
        uf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu erlangen.
        ie Tendenz, dass immer mehr Menschen mit Behinde-
        ungen lebenslänglich in Aussonderungseinrichtungen
        eparkt werden – von der (Aus)Sonderschule zur
        Aus)Sonderberufsschule und dann zur Beschäftigung in
        iner Werkstatt für Menschen mit Behinderungen – muss
        ufgebrochen werden. Spätestens mit der Ratifizierung
        er UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit
        ehinderungen müsste das auch in diesem Hohen Haus
        lar und einleuchtend sein.
        Insofern begrüße ich auch ausdrücklich den Bezug
        uf diese Konvention im Gesetzentwurf. Maßstab ist
        ier insbesondere der Artikel 27 „Arbeit und Beschäfti-
        ung“, den ich (gekürzt) zitieren möchte:
        1. Die Vertragsstaaten erkennen das gleichberech-
        tigte Recht behinderter Menschen auf Arbeit an;
        dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den
        Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in
        einem offenen, integrativen und für behinderte
        Menschen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeits-
        umfeld frei gewählt oder angenommen wurde. Die
        Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirkli-
        19642 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        chung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für
        Menschen, die während der Beschäftigung eine Be-
        hinderung erwerben, durch geeignete Schritte, ein-
        schließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um
        unter anderem
        a) Diskriminierung auf Grund einer Behinderung in
        allen Fragen der Beschäftigung jeder Art, ein-
        schließlich der Bedingungen in Bezug auf Rekrutie-
        rung, Einstellung und Beschäftigung, Weiterbe-
        schäftigung, Aufstieg sowie sichere und gesunde
        Arbeitsbedingungen, zu verbieten;
        b) das gleichberechtigte Recht behinderter Men-
        schen auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedin-
        gungen, einschließlich Chancengleichheit, gleiches
        Entgelt für gleichwertige Arbeit, sichere und ge-
        sunde Arbeitsbedingungen, einschließlich Schutz
        vor Belästigungen, und Abhilfe bei Beschwerden
        zu schützen;
        d) behinderten Menschen wirksamen Zugang zu
        allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungs-
        programmen, Stellenvermittlung sowie Berufsaus-
        bildung und Weiterbildung zu ermöglichen;
        e) Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für
        behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt sowie
        Unterstützung bei der Arbeitsuche, dem Erwerb
        und der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes und
        beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu för-
        dern;
        g) behinderte Menschen im öffentlichen Sektor zu
        beschäftigen;
        h) die Beschäftigung behinderter Menschen im pri-
        vaten Sektor durch geeignete Strategien und Maß-
        nahmen, wie gegebenenfalls Förderprogramme,
        Anreize und andere Maßnahmen, zu fördern;
        i) sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemes-
        sene Vorkehrungen für behinderte Menschen ge-
        troffen werden;
        k) Programme für die berufliche Rehabilitation, den
        Erhalt des Arbeitsplatzes und den beruflichen Wie-
        dereinstieg behinderter Menschen zu fördern.
        Inwieweit wird aber das Gesetz zur Unterstützten Be-
        schäftigung diesen Ansprüchen gerecht? Für die Linke
        enthält der Gesetzentwurf noch eine Menge fragwürdi-
        ger und ungeklärter Regelungen.
        So ist es zu begrüßen, wenn der Bund Menschen mit
        Behinderungen, die nicht im Sinne des Gesetzes als
        schwerbehindert gelten, bei der Beschaffung von Arbeit
        auf dem ersten Arbeitsmarkt helfen will. Gerade diese
        Menschen fallen allzu oft durch jedes Raster. Als Ziel-
        gruppen nennen Sie Absolventen von Förderschulen, die
        nicht in der Lage sind, eine Berufsausbildung wahrzu-
        nehmen und Menschen, die im Laufe ihres Lebens eine
        Behinderung erfahren. Beide Gruppen sollen arbeits-
        platzbegleitend eine maximal zweijährige Ausbildung
        erhalten. Aber was dann? Wie wird danach die notwen-
        dige dauerhafte Förderung bzw. Assistenz zum Erhalt
        des Arbeitsplatzes gesichert?
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        Und weiter: Das Gesetzentwurf will die Informations-
        flicht der Bundesagentur für Arbeit über die Beschäfti-
        ungsquote schwerbehinderter Menschen bei öffentli-
        hen Arbeitgebern abschaffen. Wem nützt das? Wenn
        er Überblick fehlt, ist auch ein effizienter Einsatz von
        itteln für die Förderung von Arbeit für Menschen mit
        ehinderungen nicht möglich. Deswegen ist die Ab-
        chaffung der Informationspflicht für die Linke nicht ak-
        eptabel.
        Überhaupt nicht nachvollziehbar bleibt die bereits
        ollzogene Umstrukturierung der ZAV (Zentralstelle für
        rbeitsvermittlung) trotz nachgewiesener Vermittlungs-
        rfolge von schwerbehinderten Akademikerinnen und
        kademikern. Die vielfachen Hinweise, Proteste und
        emonstrationen der Betroffenen blieben ungehört.
        Gegen Einsparungen an sich – wie sie laut Gesetzent-
        urf erwartet werden – hat auch die Linke nichts einzu-
        enden. Dagegen sind wir aber, wenn es auf Kosten der
        etroffenen geht. Das ist Sparen an der falschen Stelle.
        Am 13. November ist die erste Lesung des Gesetzent-
        urfes zur Ratifizierung der UN-Konvention über die
        echte der Menschen mit Behinderungen auf der Tages-
        rdnung des Bundestages. Ein Umsetzungs- bzw. Voll-
        ugsgesetz hält die Bundesregierung für nicht erforder-
        ich und auch das vorliegende Gesetz zur Unterstützten
        eschäftigung leistet dazu keinen wirklichen Beitrag.
        Deshalb stimmt die Linke folgender Forderung des
        undesrates (siehe Stellungnahme des Bundesrates zum
        esetzentwurf, Punkt 1 d) zu – ich zitiere: „Der Bundes-
        at fordert die Bundesregierung auf, in einem umfassen-
        en Gesetzesvorhaben die gleichberechtigte und selbst-
        estimmte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von
        nfang an bei Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeit
        nd Wohnen zu ermöglichen und die gesetzlichen
        rundlagen dafür zu schaffen bzw. zu verbessern.“ So
        in Gesetz wäre ein wichtiger und richtiger Beitrag zur
        msetzung der UN-Konvention.
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        rundsätzlich ist für einige Menschen mit Behinderung
        ie Leistung „Unterstützte Beschäftigung“ ein hilfrei-
        hes Angebot, weil sie die Teilhabe am Arbeitsleben be-
        arfsgerecht und personenzentriert verbessern kann. In-
        ofern begrüßen wir die Initiative der Bundesregierung.
        Gefährlich wird es aber dann, wenn die vielen Kritik-
        unkte an dem Gesetzentwurf nicht beachtet werden.
        ann nämlich kehrt sich die Absicht, mehr Möglichkei-
        en zur beruflichen Teilhabe herzustellen, ganz schnell in
        hr Gegenteil um und schränkt die Wunsch- und Wahl-
        echte der betroffenen Menschen de facto ein. Um es
        onkret zu machen: Wenn die noch offenen Fragen der
        ualitätsstandards, der Rückkehrmöglichkeit in die
        erkstatt oder der langfristigen Finanzierung nicht im
        inne der Betroffenen geklärt werden, droht diesen Per-
        onen eine äußerst prekäre Situation auf dem Arbeits-
        arkt.
        Ich verlange von der Bundesregierung, dieses Risiko
        rnst zu nehmen und nicht herunterzuspielen. Denn es ist
        och so: Ohne einen ausreichenden und dauerhaften
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19643
        (A) )
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        Nachteilsausgleich hat insbesondere der Personenkreis,
        der ohne ambulante Unterstützung auf die Leistungen ei-
        ner Werkstatt für behinderte Menschen angewiesen
        wäre, mittel- bis langfristig kaum eine Perspektive auf
        dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
        Wir werden die einzelnen Kritikpunkte im Ausschuss
        und in der geplanten Anhörung diskutieren. Doch lassen
        Sie mich an dieser Stelle noch eine weitere Sorge zum
        Ausdruck bringen, die für mich doch exemplarisch be-
        legt, mit wie vielen Unsicherheiten dieser Gesetzentwurf
        noch behaftet ist:
        Die „Berufsbegleitung“ im Anschluss an die „Indivi-
        duelle betriebliche Qualifizierung“ stellt eine zusätzliche
        Leistung für die Personen mit besonders hohem Unter-
        stützungsbedarf dar. Sie kann und darf nicht als Substitut
        für nachfolgende Eingliederungszuschüsse der Bundes-
        agentur für Arbeit angesehen werden. Genau diese Auf-
        fassung vertritt jedoch die BA, die sich damit einmal
        mehr der Finanzierungsverantwortung entziehen
        möchte. Hier muss die Bundesregierung schon im Vor-
        feld klarstellen, dass zukünftig sowohl Eingliederungs-
        zuschüsse der BA als auch Begleitung im Arbeitsleben
        durch die Integrationsämter weiterhin zur Verfügung ste-
        hen.
        Unabhängig von den genannten Kritikpunkten stehen
        Bündnis 90/Die Grünen für einen umfassenderen Ansatz
        zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen. Denn
        auch bei einer guten Ausgestaltung des neuen Fördertat-
        bestandes kann dieser nur ein Mosaiksteinchen in der
        ganzheitlichen Förderung für alle Menschen mit hohem
        Unterstützungsbedarf darstellen.
        Im Sinne einer Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts
        müssen nach unserer Auffassung alle Menschen mit Be-
        hinderungen – unabhängig von der Art oder Schwere ih-
        rer Behinderung – in die Lage versetzt werden, selbst
        entscheiden zu können, in welcher Form sie am Arbeits-
        leben teilhaben möchten. Entscheidend ist, dass sie indi-
        viduell gefördert und bei Bedarf nach dem Prinzip des
        Nachteilsausgleichs dauerhaft unterstützt werden.
        Zu einem dauerhaften Nachteilsausgleich gehört auch
        die Möglichkeit, aus verschiedenen Unterstützungsfor-
        men zu wählen. Unterstützte Beschäftigung im ur-
        sprünglichen Sinne ist dabei viel weiter angelegt, als nun
        von der Bundesregierung intendiert. Grundlegend für
        diese Idee ist, dass auch stark leistungsgeminderte Per-
        sonen Arbeitsplätze außerhalb einer Werkstatt finden
        können. Das eigentliche Konzept der Unterstützten Be-
        schäftigung geht vom Menschen aus, erfindet und ge-
        staltet neue passgenaue (Nischen-)Arbeitsplätze und ori-
        entiert sich dabei an den Fähigkeiten, Wünschen und
        Potenzialen des behinderten Menschen. Neben der frü-
        hen Vorbereitung in der Schule, gegebenenfalls dauer-
        haften Unterstützung und Qualifizierung werden die
        Lebensbereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit berück-
        sichtigt. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
        gung wird nicht notwendigerweise angestrebt.
        Kostenträger sowohl des Minderleistungsausgleichs
        als auch der Formen der Unterstützten Beschäftigung
        müssen nach unserer Auffassung sowohl die Träger für
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        eistungen in Werkstätten für behinderte Menschen als
        uch die Integrationsämter sein. Auch die Bundesagen-
        ur für Arbeit, die nach dem Übergang des behinderten
        enschen vom Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbe-
        eich bislang ihre Trägerschaft verliert, sollte Finanzver-
        ntwortung übernehmen. Nur so fällt für die Bundes-
        gentur für Arbeit der negative Anreiz beim Übergang
        on dem Berufsbildungs- in den Arbeitsbereich weg. Ein
        est vereinbarter Finanzschlüssel sowie eine klare Struk-
        urverantwortung eines Trägers kann diese Zwischenlö-
        ung so gestalten, dass sie dem oder der Betroffenen
        icht zum Negativen gereicht. Optimal und als mittel-
        ristige Perspektive ist jedoch eine Zusammenführung
        eistungsrechtlicher Vorschriften der Teilhabe am Ar-
        eitsleben in einem Gesetz vonnöten.
        Alles in allem müssten bei einer Gesamtbetrachtung
        och viele Fragen im Detail geklärt werden. Sicher ist
        ur eins: Die Bundesregierung verweigert sich eben die-
        er Gesamtbetrachtung und liefert stattdessen Stück-
        erk, das im schlimmsten Fall den Betroffenen zum Ne-
        ativen gereicht.
        Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eins anmerken:
        ie im Gesetzentwurf geplante Abschaffung der Be-
        ichtspflicht für öffentliche Arbeitgeber ist aus zweierlei
        icht blanker Hohn. In der Begründung für diesen Punkt
        eißt es, die Erfragung der Bundesagentur für Arbeit
        ach der Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten
        ürde keinen Anreiz für öffentliche Arbeitgeber darstel-
        en, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Diese Be-
        ründung ist völlig inakzeptabel! Die Berichtspflicht ist
        or allem aus politischer Sicht sinnvoll, da sie ein wirk-
        ames Kontrollinstrument zur Beschäftigungssituation
        chwerbehinderter Menschen darstellt. Ich kann mir die-
        en Punkt im Gesetzentwurf, der im übrigen vollkom-
        en sachfremd ist und mit der Unterstützten Beschäfti-
        ung überhaupt nichts zu tun hat, nur als Teil einer
        olitischen Verhandlungsmasse vorstellen. Irgendwann
        m Verlauf der parlamentarischen Auseinandersetzung
        erden die Koalitionsfraktionen die Abschaffung der
        erichtspflicht streichen und sich gegenseitig auf die
        chultern klopfen. Der Rest des Gesetzentwurfes wird
        ann wahrscheinlich samt bestehenden Kritikpunkten
        bgesegnet. Ich fordere die Bundesregierung daher auf,
        ieses offensichtliche Störmanöver aus dem Entwurf zu
        treichen und die wirklich relevanten Unklarheiten anzu-
        ehen!
        Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        inister für Arbeit und Soziales: Der Teilhabe am Ar-
        eitsleben kommt eine Schlüsselstellung zu. Denn an der
        rbeit hängen Existenzgrundlage, Identität, Selbstach-
        ung und Zugehörigkeitsgefühl. Arbeit und Kolleginnen
        nd Kollegen zu haben, das bedeutet dazuzugehören und
        as Leben in die eigene Hand nehmen zu können. Es be-
        eutet, aus eigener Kraft Unabhängigkeit und Selbst-
        tändigkeit zu erreichen. Diese Erwartung haben auch
        enschen mit Behinderungen. Allerdings stoßen sie auf
        em allgemeinen Arbeitsmarkt immer noch auf hohe
        ürden. Die Bundesregierung will ihnen dabei helfen,
        iese Hindernisse zu überwinden. Aus diesem Grund
        ühren wir mit der „Unterstützten Beschäftigung“ eine
        19644 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        neue Fördermöglichkeit im Sozialgesetzbuch III ein. Sie
        soll behinderten Menschen mit einem besonderen Unter-
        stützungsbedarf bei der Integration in eine sozialversi-
        cherungspflichtige Beschäftigung helfen.
        Wen wollen wir mithilfe der Bundesagentur für Ar-
        beit fördern? Wir wollen Schulabgängerinnen und
        Schulabgänger aus Förderschulen den Übergang von der
        Schule in den Beruf erleichtern, und wir wollen denen,
        die im Laufe ihres Erwerbslebens behindert werden, den
        Wiedereinstieg erleichtern. Dabei konzentrieren wir die
        Unterstützung auf diejenigen, die in einer Berufsausbil-
        dung oder in berufsvorbereitenden Maßnahmen überfor-
        dert, in einer Werkstatt für behinderte Menschen aber
        unterfordert wären. Denn „Unterstützte Beschäftigung“
        ist – und das ist wichtig – nachrangig zu berufsvorberei-
        tenden Maßnahmen und Berufsausbildungen.
        Wie sieht die Förderung aus? Dem genannten Perso-
        nenkreis wird künftig eine individuelle betriebliche Qua-
        lifizierung angeboten. Dabei handelt es sich um eine Re-
        habilitationsmaßnahme, die bis zu zwei Jahre, in
        Ausnahmefällen bis zu drei Jahre dauert. Während die-
        ser Zeit wird der Teilnehmer nach dem Prinzip „Erst
        platzieren, dann qualifizieren“ auf verschiedenen Quali-
        fizierungsplätzen direkt im Betrieb auf eine Beschäfti-
        gung vorbereitet. Dabei wird er von einem Jobcoach un-
        terstützt. Es geht nicht um ein reines Anlernen, sondern
        um eine umfassende Qualifizierung, orientiert an den
        individuellen Fähigkeiten, inklusive der Vermittlung
        von Schlüsselqualifikationen und berufsübergreifenden
        Kenntnissen.
        Wenn nach der Qualifizierung ein Arbeitsvertrag zu-
        stande kommt, dann kann der behinderte Mitarbeiter die
        Unterstützung des Jobcoaches bei Bedarf über die Be-
        rufsbegleitung weiter in Anspruch nehmen. Dafür wer-
        den in der Regel die Integrationsämter zuständig sein.
        Damit die Qualifikationsangebote auch einen ange-
        messenen Standard halten, formulieren wir im Gesetz
        klare Qualitätskriterien. Außerdem bekommen die zu-
        ständigen Leistungsträger die Vorgabe, eine gemeinsame
        Empfehlung zur Qualität in der „Unterstützten Beschäf-
        tigung“ zu erarbeiten. Die Einhaltung der Qualitätskrite-
        rien wird Voraussetzung dafür sein, dass ein Dienstleis-
        ter mit der Durchführung „Unterstützter Beschäftigung“
        beauftragt werden kann.
        Mit diesen Regelungen schaffen wir die Grundlage
        dafür, dass „Unterstützte Beschäftigung“ künftig bun-
        desweit angeboten werden kann. Dadurch werden neue
        Chancen auf Teilhabe auf dem allgemeinen Arbeits-
        markt wachsen.
        Ich hoffe, dass der Ansatz der „Unterstützten Be-
        schäftigung“ auch auf andere Bereiche ausstrahlen wird.
        Denn Menschen mit Behinderungen haben ein Recht
        darauf, voll am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben –
        in der Schule, in der Ausbildung, in der Arbeitswelt.
        Dies ist möglich, wenn man die Unterstützung konse-
        quent individuell organisiert. Mit dem neuen Instrument
        der „Unterstützten Beschäftigung“ zeigen wir, wie eine
        individuelle Förderung funktionieren kann. Die Perspek-
        tive ist volle Teilhabe. Helfen Sie bitte mit Ihrer Zustim-
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        ung zu diesem Gesetz mit, dass diese Perspektive Rea-
        ität werden kann.
        nlage 18
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
        – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von
        Vorschriften auf dem Gebiet des ökologi-
        schen Landbaus an die Verordnung (EG)
        Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007
        über die ökologische/biologische Produktion
        und die Kennzeichnung von ökologischen/
        biologischen Erzeugnissen und zur Aufhe-
        bung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91
        – Beschlussempfehlung und Bericht: For-
        schung für den ökologischen Landbau aus-
        bauen
        (Tagesordnungspunkt 23 a und 23 b)
        Marlene Mortler (CDU/CSU): Wir beschließen
        eute die Umsetzung von Änderungen der gemeinschaft-
        ichen Rahmenvorschriften für den ökologischen Land-
        au. Sie gelten ab dem 1. Januar 2009. Zwei Vorgaben
        achten dieses Gesetzesverfahren notwendig.
        Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
        egte uns einen Punkt zur Abarbeitung vor. Aufgrund des
        rteils musste das Niederlassungserfordernis für Kon-
        rollstellen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäi-
        chen Union im Öko-Landbaugesetz gestrichen werden.
        ie Änderung der EG-Öko-Basisverordnung wiederum
        achte eine weitere wichtige Änderung notwendig. So
        üssen Einrichtungen der Außer-Haus-Verpflegung, wie
        aststätten, Kantinen und Großküchen explizit in den
        egelungsbereich der Kontroll- und Kennzeichnungs-
        orschriften der erwähnten EG-Öko-Basisverordnung
        inbezogen werden. Vor dem Hintergrund des geänder-
        en Gemeinschaftsrechts erhalten wir ihnen damit den
        tatus quo. Die bereits erwähnte Änderung der EG-Öko-
        asisverordnung zog nach sich, dass die Straf- und Buß-
        eldvorschriften des Öko-Landbaugesetzes überarbeitet
        erden mussten.
        Der Bundesrat hatte uns in einer Stellungnahme Ände-
        ungswünsche zum Gesetzentwurf für die im zuständigen
        andwirtschaftsausschuss erfolgte Beratung mitgegeben.
        ie Wünsche hielten sich jedoch in weiten Teilen im
        ahmen des bestehenden Konzepts und waren teilweise
        uch nur technischer und redaktioneller Natur. Die
        oalition hat in ihrem Änderungsantrag zum Gesetzent-
        urf einige Punkte davon aufgenommen. Das sind die
        unkte: eingeschränkter Personenkreis bei der Auf-
        abenübertragung, ersatzweise Wahrnehmung der Kon-
        ollaufgaben nur durch andere Kontrollstellen, Ergänzung
        er Informationspflichten der Kontrollstellen, Ergänzung
        er Bußgeldvorschriften sowie redaktionell-technische
        larstellungen. Zudem haben wir in leicht veränderter
        assung aufgenommen, die aufschiebende Bedingung zu
        treichen, die das Wirksamwerden der Zulassung einer
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19645
        (A) )
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        Kontrollstelle an die darauffolgende Aufgabenübertra-
        gung durch die Länder knüpft. Dem konnte mit der Er-
        gänzung zugestimmt werden, dass Nebenbestimmungen
        bei der Zulassung von Öko-Kontrollstellen zusätzlich
        auch zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Kontroll-
        systems zulässig sind.
        Weitere Änderungsvorschläge konnten aus unter-
        schiedlichsten Gründen leider nicht berücksichtigt wer-
        den. So konnte wegen verfassungsrechtlicher Bedenken
        der Vorschlag zur Aufgabenteilung zwischen Bund und
        Ländern – Stichwort Mischverwaltung – nicht aufge-
        nommen werden. In meiner Rede zur Einbringung des
        Gesetzentwurfes erwähnte ich den positiven Wunsch des
        Bundesrates auf Erweiterung der Mitteilungspflichten
        der Importeure bei der Einfuhr von Öko-Produkten aus
        Drittländern. Hier mussten wir leider zur Kenntnis neh-
        men, dass dieses Verfahren dem geltenden Gemein-
        schaftsrecht widersprechen würde und auch WTO-recht-
        lich angreifbar wäre.
        Wir haben alles in allem den vom Bundesrat verfolg-
        ten Anliegen soweit wie möglich Rechnung getragen.
        Die Länder sind an einem rechtzeitigen Inkrafttreten des
        geänderten Öko-Landbaugesetzes zum 1. Januar 2009
        sehr interessiert. Andernfalls droht wegen der zum
        1. Januar 2009 geänderten Gemeinschaftsrechtslage er-
        hebliche Rechtsunsicherheit im Vollzug. Daher bin ich
        mir sicher, dass – auch wenn nicht allen Vorschlägen ge-
        folgt werden konnte – mit einer Zustimmung des Bun-
        desrates im zweiten Durchgang zu rechnen ist.
        Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsan-
        trag der Grünen. Für mich sieht parlamentarische Eti-
        kette anders aus. Mein Standpunkt ist und bleibt, dass
        ich einem weiteren Bürokratieaufbau mittels eines neu
        zu schaffenden Beirates nicht zustimmen werde. Dass
        ich keine Vorurteile hege, kann ich auch als CSU-Vertre-
        terin mit einem Zitat von Friedrich Engels unterlegen,
        mit dem ich meine Rede beenden möchte:
        Niemand kann für eine Sache kämpfen, ohne sich
        Feinde zu schaffen.
        Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in zweiter
        und dritter Lesung über ein neues Gesetz zur Anpassung
        der Vorschriften für den ökologischen Landbau. Damit
        passen wir das Gesetz an die umfangreich geänderte und
        zum 1. Januar 2009 in Kraft tretende EG-Öko-Basisver-
        ordnung an. Wie wir aus erster Lesung bereits wissen,
        betreffen die Änderungen insbesondere das europäische
        Kontrollsystem und die Kennzeichnung ökologisch er-
        zeugter Produkte. Kontrolle und Kennzeichnung der Au-
        ßer-Haus-Verpflegung müssen explizit einbezogen und
        daher angepasst werden. Auch dient die Vorlage der
        Umsetzung des anhängigen EuGH-Urteils zur Niederlas-
        sungspflicht von Kontrollstellen.
        Wie die gestrigen Ausschussberatungen gezeigt ha-
        ben, waren diese Punkte durchweg unstrittig, sodass wir
        den straffen Zeitplan des Verfahrens gut gehalten haben.
        Ich freue mich, dass uns die überfraktionelle Zusammen-
        arbeit unter den Berichterstattern so gut gelungen ist,
        dass wir das parlamentarische Verfahren jetzt planmäßig
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        bschließen können. Die Zustimmung des Bundesrates
        orausgesetzt wird unser Gesetz pünktlich zum 1. Januar
        009 in Kraft sein.
        Im Laufe der Beratungen kam immer deutlicher zu
        age, dass die Länder die Interpretationsspielräume der
        asisverordnung unterschiedlich nutzen. Die dadurch
        ntstehenden Differenzen bei der Umsetzung der Kon-
        rolle stellen nicht nur die Kontrollstellen vor Probleme.
        ie bedeuten auch unterschiedliche Wettbewerbsbedin-
        ungen für Unternehmen. Insbesondere für Unterneh-
        en und Kontrollstellen, die in mehreren Bundesländern
        ätig sind, wird es schwierig. Wettbewerbsverzerrungen
        nd bürokratische Reibungsverluste gilt es auch in ei-
        em föderalen System zu minimieren, und dazu möchte
        ch die Länder aufrufen. Die zur Harmonisierung der
        änderbestimmungen ins Leben gerufene Länderarbeits-
        emeinschaft Ökologischer Landbau – kurz LÖK – muss
        ich verbindlicher an ihre Beschlüsse halten. Ich erwarte
        uch, dass sie sich mit den Wirtschaftsbeteiligten kon-
        truktiv abstimmt, um die bestehenden Reibungspunkte
        bzubauen.
        Meine Gespräche mit Vertretern des Bundes, der Län-
        er, der Konferenz der Kontrollstellen und des Bundes-
        erbandes der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft wa-
        en davon geprägt, dass wir vorerst untergesetzlich
        ösungen suchen. Sollte sich allerdings herausstellen,
        ass weiterhin Unterschiede zwischen Baden-Württem-
        erg und Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern und
        iedersachsen herrschen, müssen wir über die Einset-
        ung eines Sachverständigenbeirates nachdenken. Ich
        in nicht begeistert über weitere Beiräte und Gremien,
        och sollte es notwendig werden, dann werden wir es
        uch tun. Wir werden die Entwicklung genau beobach-
        en, doch gehen wir vorerst davon aus, dass es den Ver-
        ntwortlichen gelingt, gleiche Bedingungen zu schaffen.
        chließlich handelt es sich auch hierbei um Effizienz-
        teigerungen, die es auszuschöpfen gilt, um den wach-
        enden Biomarkt von Hemmnissen zu befreien.
        Hans-Michael Goldmann (FDP): Wegen der geän-
        erten Rechtslage in der EU müssen wir das Ökoland-
        augesetz ändern. Ich hätte mir gewünscht, dass die
        egierung die Gelegenheit beim Schopfe packt, die
        ängel, über die seit über einem Jahr diskutiert wird,
        it dieser Novelle abzuräumen.
        Wir sind uns doch in diesem Hause alle einig, dass es
        ür eine erfolgreiche Zukunft der ökologischen Land-
        irtschaft unerlässlich ist, dass die Verbraucher Ver-
        rauen in die Qualität der Produkte haben. Gerade ange-
        ichts steigender Importe ist es wichtig, dass die
        ontrollen transparent und effektiv sind. Und doch fehlt
        em Gesetzentwurf gerade in diesem Punkt die notwen-
        ige Klarheit. Zwar sind einige Kritikpunkte des Bau-
        rnverbandes, des Bundesverbandes Ökologischer Land-
        au und der Vereinigung der Kontrollstellen aufgegriffen
        orden, doch insbesondere einige Vorschläge zur größe-
        en Effizienz der Kontrollen blieben unberücksichtigt.
        Die bisherige Rechtspraxis ist geprägt von Zersplitte-
        ung zwischen den einzelnen Bundesländern. Diese Zer-
        plitterung wirkt sich natürlich auf die Kontrollstellen und
        19646 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        auf die auf die Ökobauern umgelegten Kosten aus. Des-
        wegen ist es dringend erforderlich, einen bundeseinheitli-
        chen Rahmen vorzugeben, um Wettbewerbsnachteile der
        deutschen Ökobauern gegenüber der europäischen Kon-
        kurrenz abzubauen. Derzeit haben wir Dreifachprüfungen
        durch unterschiedliche staatliche Stellen oder Institutio-
        nen, die staatlich überwacht werden. Selbstverständlich
        sind die Lebensmittel- und damit auch die Ökokontrollen
        Ländersache. Doch bei allem Bekenntnis zum deutschen
        Föderalismus dürfen die Ökokontrollen nicht in Klein-
        staaterei verharren. Die kostenträchtigen und zeitintensi-
        ven Doppel- und Dreifachprüfungen müssen endlich ein
        Ende haben. In diesem Punkt hätte der Gesetzentwurf
        dringend korrigiert werden müssen.
        Auch die Forderung nach einem nationalen Beirat für
        die Interpretation und Umsetzung der EU-Ökoverord-
        nung wurde von der Koalition leider nicht ernsthaft in
        Erwägung gezogen.
        Die Novelle sollte eigentlich das Ziel haben, die
        Überregulierung abzubauen, die Prüfqualität effizienter
        und damit die Kontrollen kostengünstiger und transpa-
        renter zu gestalten. Leider wird die Regierung trotz ein-
        zelner Verbesserung diesem Ziel nicht gerecht.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der deutsche
        Ökolandbau hat in der Vergangenheit oft Maßstäbe ge-
        setzt. Und das für ganz Europa. Dabei ist ein ansehnli-
        ches Regelwerk entstanden. An diesem haben sowohl
        die Pioniere des Ökolandbaus als auch kritische Verbrau-
        cherinnen und Verbraucher aktiv mitgewirkt. Im Jahr
        2007 wurde dieses Regelwerk auf EU-Ebene als Verord-
        nung zum ökologischen Landbau novelliert. Jetzt müs-
        sen wir es in Deutschland umsetzen. Die Besonderheit
        hierzulande ist das aktive Engagement der Expertinnen
        und Experten aus dem ökologischen Landbau, das heute
        noch Ausdruck findet in der Organisation der vorwie-
        gend privatrechtlich bestimmten Ökokontrolle. Das
        Kontrollsystem für die Ökoprodukte hat sich über die
        Jahre bewährt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher
        vertrauen dieser Kontrolle. Leider ist es nicht ganz ge-
        lungen, diese Expertise bei der Entwicklung des Ge-
        setzesentwurfs umfassend zu nutzen. Damit bleiben ei-
        nige Unzulänglichkeiten im Gesetzentwurf bestehen. Es
        sind vielleicht nur Details, aber sie würden im Ergebnis
        einiges erleichtern.
        Mit der Novelle der EU-Ökoverordnung ist eine staatli-
        che verantwortete Kontrolle zwingend. Da die Kontrolle
        aber im föderalen deutschen System zu den Länderaufga-
        ben gehört, kann das zu Abgrenzungsproblemen führen.
        Jedes Bundesland hat dann vielleicht seine eigene Rege-
        lung, was problematisch wäre. Auch die Errichtung ei-
        nes Sachverständigenrates beim Bundesamt für Land-
        wirtschaft und Ernährung, der die Kontrollverfahren
        bundesweit koordinieren könnte, wurde ausgeklammert.
        Trotzdem ist die Verabschiedung des Gesetzes wich-
        tig. Sonst würde die Bundesrepublik eine Fristverletzung
        bei der Umsetzung der EU-Ökoverordnung riskieren.
        Das könnte teuer werden.
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        Der Ökolandbau spielt gerade in den neuen Bundes-
        ändern eine besonders starke Rolle. Mecklenburg-Vor-
        ommern und Brandenburg sind Spitzenreiter. Ökologi-
        che Landwirtschaft bietet aus Sicht der Linken große
        orteile. Die regionale Wertschöpfung und die Arbeits-
        latzbindung sind vergleichsweise hoch. Die Produktion
        rfolgt unter Schonung der natürlichen Ressourcen.
        Dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingun-
        en, und deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.
        Nun zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen: Nach
        hm soll die Forschung für den ökologischen Landbau in
        eutschland und Europa ausgebaut werden. Die Linke
        timmt auch diesem Antrag zu – allerdings bedauern wir,
        ass die Grünen mit dieser Forderung immer wieder nur
        hre eigene Klientel bedienen. Das macht sie nicht be-
        onders glaubwürdig, denn eigentlich muss die Forde-
        ung ganz klar lauten: Schluss mit dem Abbau der
        grarforschung, denn wir brauchen nicht weniger, son-
        ern deutlich mehr universitäre und außeruniversitäre
        grarforschung! Das gilt für den Ökolandbau genauso
        ie für die konventionelle Landwirtschaft.
        Deutschland hat als Agrarforschungsstandort eine
        roße Tradition und hat weltweit Maßstäbe gesetzt. Das
        st vorbei. Der Wissenschaftsrat hat die Krise der Agrar-
        orschung zutreffend beschrieben. Besonders in Ost-
        eutschland sind Forschungsstandorte geschlossen oder
        erkleinert worden. Auch der Agrarressortforschungsbe-
        eich hat seit 1996 einen massiven Stellenabbau und
        tandortschließungen zu verkraften, die unter Schwarz-
        elb beschlossen und von Rot-Grün nicht korrigiert,
        ondern umgesetzt wurden. Minister Seehofer hat den
        tellenabbau fortgeschrieben und die Liste der zu schlie-
        enden Standorte verlängert.
        Die Entwicklungen in der ökologischen Landwirt-
        chaft sind völlig konträr zu den gesellschaftlichen
        rends. Die Bedeutung von Bio-Supermärkten und ökolo-
        ischen Produkten in Discountern wächst kontinuierlich.
        weistellige prozentuale Steigerungsraten im Verbrauch,
        o viel wie in keinem anderen Produktionsbereich der
        andwirtschaft, skizzieren viel Potenzial. Leider kommt
        ie einheimische Erzeugerseite nicht nach. Hier müssen
        ringend Impulse gesetzt werden. Dazu gehört der Aus-
        au der Forschung. Institute und Projekte, die sich expli-
        it mit Fragestellungen der ökologischen Landwirtschaft
        eschäftigen, sind noch rar gesät. Im Vergleich zu For-
        chungsmitteln, die für die Agro-Gentechnik ausgege-
        en werden, ist die Ökolandbauforschung ungenügend.
        ine Umschichtung ist dringend nötig.
        Dabei gibt es viele Fragestellungen, die Betriebsleiter
        nd Berater auf den Biobetrieben bewegen. In der Tier-
        nd besonders in der Pflanzenzucht, in der Landtechnik
        der im betrieblichen Management gibt es eine Vielzahl
        on speziellen Fragen aus Sicht des Ökolandbaus an die
        orschung. Doch diese werden zumeist gar nicht oder
        enn, dann nur mit den begrenzten Mitteln des Thünen-
        nstituts oder der wenigen anderen Einrichtungen bear-
        eitet. Hinzu kommt, dass Drittmittelforschung auch nur
        n geringem Umfang geleistet werden kann. Das ge-
        amte wirtschaftliche Umfeld ist einfach noch zu klein.
        er Staat ist hier in der Pflicht. Neben einer kontinuierli-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19647
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        chen und nachhaltigen Erhöhung der Mittelausstattung
        auf Bundesebene gehört auch das Engagement auf euro-
        päischer Ebene dazu. In anderen Bereichen der For-
        schung ist europäischen Forschungsplattformen dieses
        bereits gelungen. Warum sollte das nicht auch für den
        Ökolandbau klappen? Zumal die Entwicklung der ver-
        gangenen Jahre zeigt, dass in ganz Europa das Interesse
        an Produkten der Ökolandwirtschaft wächst und eine zu-
        nehmende Anzahl von Menschen die Vorteile des Bio-
        landbaus für Umwelt, Gesundheit und Natur erkennt.
        Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Zahlen sind bekannt. Seit Jahren hat die Biobranche
        zweistellige Zuwachsraten im Handel. Leider hat sich je-
        doch seit der schwarz-roten Regierungsübernahme der
        Wertschöpfungszuwachs im Bereich der ökologischen
        Lebensmittelproduktion aus Deutschland nahezu verab-
        schiedet. Die Abwehr des Ökolandbaus scheint immer
        noch eine der großen ideologischen Bastionen der Union
        zu sein.
        In diesen Zusammenhang passt auch die Auslassung
        des Kollegen Bleser, dass Hunderte Millionen Menschen
        verhungern müssten, wenn wir die weltweite Ackerflä-
        che nur ökologisch bebauen würden. Aber ich gehe da-
        von aus, dass auch Sie, lieber Herr Kollege, mittlerweile
        einen Blick in den Weltagrarbericht geworfen haben
        bzw. über die Ergebnisse der FAO-Tagung zum Öko-
        landbau informiert wurden. Beide bescheinigen nämlich
        einer ökologischen, nachhaltigen Landwirtschaft in bäu-
        erlichen Strukturen höchste Lösungskompetenz in Be-
        zug auf die Welternährungskrise und auch den Klima-
        schutz.
        Die Stärkung des Ökolandbaus erfordert erstens eine
        deutliche Anhebung der Umstellungs- und Beibehal-
        tungsprämien sowie die Wiedereinführung des Förder-
        tatbestandes „Ökologischer Landbau“ bei den Agrarin-
        vestitionen, der einen um 10 Prozentpunkte erhöhten
        Fördersatz von 35 Prozent ermöglicht. Sie erfordert
        zweitens eine Überarbeitung des von der Regierung hier
        vorgelegten Ökolandbaugesetzes. Vor allem die unein-
        heitliche Interpretation und Umsetzung der EU-Ökover-
        ordnung durch die einzelnen Bundesländer führen bei
        Unternehmen und Kontrollstellen zu enormen Wettbe-
        werbsverzerrungen und zusätzlichen Kosten.
        Exemplarisch zu nennen sind hier unterschiedliche
        Auslegungen bei der Etikettierung von Ökolebensmit-
        teln, der Vergabe von Ausnahmegenehmigungen oder
        der Verwendung von Aromen. Dieses Problem könnte
        durch die Schaffung eines nationalen Beirats für die In-
        terpretation und Umsetzung der EU-Ökoverordnung ge-
        löst werden. Dieses beratende Gremium sollte paritä-
        tisch mit Vertretern der Biobranche, der Kontrollstellen,
        der Wissenschaft, des Bundesministeriums für Ernäh-
        rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, der Bun-
        desanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sowie der
        Länder besetzt werden.
        Versäumt wurde es im Gesetzesentwurf auch, Klar-
        heit über die Rolle und Aufgaben der Kontrollstellen so-
        wie die Rechte und Pflichten der Unternehmen im Rah-
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        en der Kontrolle zu schaffen. Hier muss noch einmal
        achgearbeitet werden. Dabei muss erläutert werden,
        ass die Kontrollpflicht auch für alle Unternehmen gilt,
        ie lose Ware oder selbst abgepackte und etikettierte
        are anbieten. Möglichkeiten zur Flexibilisierung von
        rt und Umfang der Kontrolle sollten bundeseinheitlich
        eregelt werden.
        Eine Stärkung des Ökolandbaus erfordert drittens den
        usbau der Forschung in diesem Bereich. Dazu fordern
        ir die Umwandlung des Bundesprogramms Ökoland-
        au in ein permanentes Forschungsprogramm und den
        usbau des Instituts für Ökolandbau des Johann-
        einrich-von-Thünen-Instituts sowie vermehrte interdis-
        iplinäre, querschnittsorientierte Forschung zum Öko-
        andbau auch an anderen Instituten. Gleichzeitig muss
        as Forschungsbudget für den ökologischen Landbau
        eutlich erhöht und auf bisher nahezu unbearbeitete For-
        chungsfelder wie die ökologische Pflanzen- und Tier-
        ucht, die ökologische Tier- und Pflanzenernährung, den
        kologischen Weinbau und den biologischen Pflanzen-
        chutz ausgeweitet werden.
        nlage 19
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts:
        – zu der Verordnung der Bundesregierung:
        Verordnung zur Vereinfachung des Deponie-
        rechts
        – zu dem Antrag: Grenzwerte bei Müllver-
        brennungsanlagen dem technischen Fort-
        schritt anpassen und deutlich absenken
        (Tagesordnungspunkt 29)
        Michael Brand (CDU/CSU): Der vorliegende Ent-
        urf einer Verordnung zur Vereinfachung des Deponie-
        echts ist vom Ansatz her richtig und insgesamt auch
        andwerklich solide umgesetzt. Den Fachleuten aus der
        dministration in Bund und Ländern sowie aus den
        ommunen und der Wirtschaft ist zu danken für den rei-
        hen inhaltlichen Input in dieser für Nichtfachleute nur
        chwer zu durchdringenden, sehr technischen Materie.
        Dass die Konsolidierung der auf viele unterschiedli-
        he Stellen verstreuten Vorschriften auch eine Überprü-
        ung auf Notwendigkeiten sowie Möglichkeiten zur
        traffung umfasst hat, ist zu begrüßen.
        Nach dem Lob muss jedoch ein Aber und eine gut ge-
        einte Warnung folgen. Es darf durch die Neuregelung
        icht zu einer Aufweichung des durch TA Siedlungsab-
        all und Abfallablagerungsverordnung niedergelegten
        eponierungsverbotes für nicht vorbehandelte und somit
        nerte Abfälle kommen. Aus eigener Anschauung weiß
        ch sehr wohl, dass es sehr gute Gründe geben kann, im
        inzelfall mit Zwischenlagerungsmöglichkeiten Engpäs-
        en in der Entsorgung zu begegnen und Übergangsfris-
        en einzuräumen.
        19648 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        Insgesamt jedoch muss es dabei bleiben: Die Prinzi-
        pien und die Hierarchie der Kreislaufwirtschaft müssen
        bestehen bleiben, und da rangiert vor der Deponierung
        ganz klar die Verwertung. Bundesregierung und Bundes-
        rat sind dazu aufgerufen, diese Hierarchie als einen zen-
        tralen Pfeiler unserer Kreislauf- und Stoffstromwirt-
        schaft nicht aus dem Gleichgewicht zu heben und
        Übergangsfristen zu definieren, die nicht zu einer Wie-
        dereröffnung von Deponien alter Prägung führen dürfen.
        Dass die vorliegende Verordnung die entsprechend zu
        integrierenden EU-Regelungen, hier die EG-Deponie-
        richtlinie, in einem 1:1-Verhältnis angeglichen und dabei
        auch vereinfacht hat, ist zu begrüßen und entspricht der
        deutschen Position gegenüber europäischer Regulierung.
        Dass wir dabei manche bereits implementierte deutsche
        Qualitätslösung beibehalten, ist dann umso mehr zu be-
        grüßen, wenn der drohende Flickenteppich von lokalen
        und regionalen Ausnahmen nach dem Prinzip „Lässt du
        mir meine Deponie, lass’ ich dir deine Deponie“ nicht
        Platz greift, sondern ein insgesamt verantwortbares Re-
        gime mit bundesweiter Gültigkeit im Bereich der Depo-
        nierung durchgesetzt wird. Es muss Gültigkeit behalten,
        was hier im Deutschen Bundestag übergreifend Konsens
        ist: Moderne Deponien müssen nach dem geltenden
        Stand der Technik ausgelegt sein, um Risiken für Um-
        welt und Mensch zu minimieren.
        Dass die Länder hier unterschiedliche Interessenlagen
        haben, ist klar und nachvollziehbar. Dennoch befürwor-
        ten wir als CDU/CSU klare Regelungen, die Grundwas-
        ser und Klima schützen, die Verbraucher und Wirtschaft
        bei Abgaben nicht über Gebühr belasten und die den
        Ländern und Kommunen deren Aufgaben nicht unnötig
        erschwerten.
        Da wir nach dieser ersten Lesung durchaus mit einer
        veränderten Verordnung rechnen, in der sich trotz Vorab-
        stimmung die Interessen der Bundesländer niederschla-
        gen werden, will ich abschließend für die CDU/CSU
        nochmals feststellen: Die vorliegende Verordnung ist Er-
        gebnis insgesamt guter Umsetzung eines lange und in-
        tensiv von der Fachebene vorbereiteten Ansatzes zur
        Entbürokratisierung einer wichtigen Umweltvorschrift.
        Dass wir dabei für die Einhaltung hoher und explizit ge-
        gen ein Dumping in Bezug auf Grundregeln unserer Um-
        weltpolitik – Stichwort: Übergangsfrist statt Langzeitla-
        ger – eintreten, trifft auf die Unterstützung der Mehrheit
        der Beobachter.
        Die CDU/CSU erteilt insgesamt diesem guten Ansatz
        mit ihrer Zustimmung in der ersten Lesung eine gute
        Note und blickt mit guter Erwartung auf die Ergebnisse
        der zwischenzeitlichen Beratungen vor der zweiten Le-
        sung hier im Deutschen Bundestag.
        Gerd Bollmann (SPD): Seit dem 1. Juni 2005 gilt in
        Deutschland das Deponierungsverbot für unbehandelten
        Abfall. Seitdem dürfen nur noch vorbehandelte, biolo-
        gisch inaktive Abfälle abgelagert werden. Das Ziel der
        SPD und der Bundesregierung ist die möglichst vollstän-
        dige Verwertung von Siedlungsabfällen bis zum Jahre
        2020. Um es klarzustellen: Mit der jetzt besprochenen
        Verordnung zur Vereinfachung des Deponierechts wird
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        aran nichts geändert. Ab 2020 soll möglichst wenig
        bfall – sprich: nur noch vorbehandelter Restmüll – de-
        oniert werden. Es bleibt beim Deponierungsverbot für
        nbehandelten Abfall, es bleibt bei genauen Kontrollen.
        Es gibt aber bestehende Deponien. Es gibt die Reste
        on behandelten Abfällen, die abgelagert werden müs-
        en. Für bestehende Deponien bedarf es Regelungen.
        as gleiche gilt für die Annahme von Abfällen. Diese
        estimmungen sind bisher in der Deponieverordnung,
        er Deponieverwertungsverordnung und der Ablage-
        ungsverordnung geregelt. Darüber hinaus wurden Ein-
        elheiten bei der Beschreibung der Beseitigungstechnik
        n drei Verwaltungsvorschriften aus den 90er-Jahren ge-
        egelt.
        Diese äußerst knappe Darstellung des Deponierechts
        eigt, wie zersplittert das Recht in diesem Bereich ist.
        iese Zersplitterung führt zu zusätzlicher Bürokratie.
        leichzeitig ist das Regelwerk in Teilen veraltet. Der
        undesrat hat bereits 2002, anlässlich der Zustimmung
        ur Deponieverordnung, die Bundesregierung in einer
        ntschließung gebeten, das Deponierecht in einer inte-
        rierten Verordnung zusammenzufassen. Die Bundesre-
        ierung ist dieser Bitte mit dem vorliegenden Entwurf
        achgekommen.
        Der Verordnungsentwurf wurde in den vergangenen
        onaten mit den Beteiligten der Länder, der Kommunen
        nd der Wirtschaft intensiv beraten. Nach meinem
        enntnisstand wird der Entwurf von allen Seiten be-
        rüßt. Grundsätzlich gibt es meines Wissens Zustim-
        ung von allen Seiten.
        Damit kommen wir zu dem Ziel der heute vorliegen-
        en Verordnung. Die bisher gültigen drei Verordnungen
        nd drei technischen Anleitungen werden in einer Rege-
        ung, der sogenannten integrierten Deponieverordnung,
        usammengefasst. Ziel ist es, das Deponierecht zu ver-
        inheitlichen, Doppelbestimmungen aufzuheben und
        egelungen zusammenzufassen. Gleichzeitig werden
        och notwendige Anpassungen an das europäische
        echt vorgenommen. Keineswegs sinken aber die Um-
        eltstandards.
        Die neue Deponieverordnung setzt die auch im Ab-
        allrecht begonnene Entbürokratisierung fort. Die An-
        endung soll gleichzeitig einfacher und flexibler wer-
        en. Dabei soll die Flexibilisierung nicht zulasten der
        mwelt gehen. Vielmehr werden starre Regelungen
        urch Eckwerte da ersetzt, wo es möglich ist. So werden
        um Beispiel Eckwerte für Abdichtungskomponenten
        orgegeben. Diese Eckwerte stellen sicher, dass keine
        chädlichen Stoffe in die Umwelt und insbesondere in
        as Grundwasser gelangen. Gleichzeitig werden aber
        lanern und Bauherren Freiräume eingeräumt, die es er-
        auben, die für den jeweiligen Standort beste technische
        ariante einzusetzen. Flexible Regelungen an Stelle star-
        er Vorgaben, das ist Bestandteil eines modernen, unbü-
        okratischen Rechts. Das Vorschreiben bestimmter Tech-
        iken ist nicht nur starr, sondern in manchen Fällen auch
        ontraproduktiv. Am Standort A wird zum Beispiel das
        insickern von Schadstoffen in das Grundwasser am
        esten durch Technik B erreicht, während am Standort B
        in Einsatz einer anderen Technik sinnvoller ist. Durch
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19649
        (A) )
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        die vorgesehene Flexibilisierung wird auch die Erfüllung
        geltender Umweltstandards erleichtert.
        Natürlich dient die Vereinfachung des Deponierechts
        auch der Kostensenkung. Durch Flexibilisierung beim
        Einsatz technischer Lösungen, Anpassung an örtliche
        Gegebenheiten und Abbau von bürokratischen Doppel-
        bestimmungen, wird die Chance eröffnet, Kosten zu sen-
        ken. Circa 570 000 Euro Bürokratiekosten könnten ge-
        genüber heute eingespart werden. Dies darf jedoch nicht
        zulasten von Mensch und Umwelt gehen. Ich bin über-
        zeugt, dass die Verordnung zur Vereinfachung des Depo-
        nierechts diesen Spagat schafft.
        Bei aller Vereinfachung wird der einmal ereichte na-
        tionale Deponiestandard nicht verschlechtert. Im Gegen-
        teil: Eine moderne Entsorgungswirtschaft benötigt auch
        heute noch Deponien. Es bleibt unser Ziel, Abfall wei-
        testgehend zu vermeiden und zu verwerten. Der letzte
        Rest muss jedoch sicher deponiert werden. Dafür benöti-
        gen wir modernste Deponien, die dem Stand der Technik
        entsprechen. Meiner Meinung nach wird die hier vorge-
        schlagene Verordnung dem gerecht.
        Ich will Sie nicht mit den Einzelheiten der Deponie-
        verordnung quälen. Ich bin auch nicht Fachmann genug,
        um spezielle technische Regelungen zu bewerten. Ich
        gehe aber davon aus, dass die Fachleute im Ministerium
        und den Bundesländern gerade in diesen Fällen eng zu-
        sammen gearbeitet haben.
        Sollten aus dem Bundesrat gemeinsame Änderungen
        vorgebracht werden, welche nichts Grundsätzliches be-
        treffen, sondern Einzelregelungen verbessern, sehe ich
        darin keine Probleme.
        Aus all den genannten Gründen bitte ich Sie, der Ver-
        ordnung zur Vereinfachung der Deponieverordnung zu-
        zustimmen.
        Lassen Sie mich aber noch ein Wort zum Vollzug und
        zur Überprüfung sagen. Wenn wir heute die Deponiever-
        ordnung verabschieden, werden viele Bürger in erster
        Linie an die Skandale in ostdeutschen Ton- und Kiesgru-
        ben denken. Die Müllentsorgung in Ton- und Kiesgru-
        ben war, ist und bleibt illegal. Ich kann hier, wie schon
        mehrmals, die Bundesländer nur auffordern, bestehende
        gesetzliche Regelungen zu kontrollieren. Ohne Kon-
        trolle hilft das schärfste Gesetz nicht. Gerade im Um-
        weltbereich darf Personalabbau in Behörden nicht zu ei-
        ner löchrigen Überwachung führen. Deshalb fordere ich
        die Bundesländer auf, ihre Vollzugsaufgaben gewissen-
        haft durchzuführen. Ich bin aber auch für jeden Ände-
        rungsvorschlag, der zur Verbesserung führt, offen.
        Grundsätzlich offen und positiv stehen wir Sozialde-
        mokraten auch dem Ziel gegenüber, die Grenzwerte von
        Müllverbrennungsanlagen zu senken. Die Grenzwerte
        müssen dem Stand der Technik entsprechen. Einen
        Schnellschuss auf nationaler Ebene halte ich jedoch im
        Moment für wenig sinnvoll. Auf EU-Ebene wird zurzeit
        über die „Richtlinie über Industrieemissionen“ verhan-
        delt. Die Abfallrahmenrichtlinie muss demnächst in
        deutsches Recht umgesetzt werden. Beide Regelwerke
        betreffen auch MVAs und deren Emissionen. Wir Sozial-
        demokraten werden uns bei der Umsetzung für schärfere
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        renzwerte und eine optimale Anpassung an den Stand
        er Technik einsetzen.
        Horst Meierhofer (FDP): Stinkende Müllberge so-
        eit das Auge reicht – dieses Bild gehört zumindest theo-
        etisch der Vergangenheit an.
        Dass es in der Entsorgungsbranche trotzdem immer
        ieder schwarze Schafe gibt, will ich an dieser Stelle
        icht verschweigen. Erst kürzlich konnte man in der
        resse lesen, dass nach wie vor hunderttausende Tonnen
        üll jedes Jahr auf illegalen Müllkippen und nicht in der
        erwertung landen.
        Doch die Betonung liegt auf „illegal“. Unser Abfall-
        echt hat sich in den letzten Jahren von einem Recht der
        bfallbeseitigung zu einem Recht der Abfall- und Kreis-
        aufwirtschaft fortentwickelt. Zwar kommt eine nachhal-
        ige Entsorgungswirtschaft auch heute nicht ohne Depo-
        ien aus. Doch seit 2005 ist Schluss mit der Ablagerung
        icht vorbehandelter Abfälle – und das ist gut so. Das
        eponieverbot ist ein wichtiger Schritt weg von einem
        nhäufen von Altlasten zulasten der Umwelt und der zu-
        ünftigen Generationen.
        Deshalb möchte ich auch hier noch einmal betonen:
        ie rechtlichen Rahmenbedingungen für das Errichten,
        etreiben und Stilllegen von Deponien müssen immer
        nd ausnahmslos modernsten Standards genügen. Daran
        uss sich Gesetzgebung in diesem Bereich nach Auffas-
        ung der FDP-Bundestagsfraktion messen lassen und
        ies muss auch für die Deponievereinfachungsverord-
        ung gelten. Wir glauben, dass dies hier gelungen ist,
        nd werden der Verordnung deshalb zustimmen.
        Wozu die Deponievereinfachungsverordnung? Die
        erordnung will das Deponierecht vor allem kürzen,
        ereinfachen und zusammenfassen. Anforderungen sol-
        en entflochten, und Freiräume dort, wo es möglich ist,
        eschaffen werden.
        Diesen Ansatz des Bürokratieabbaus und der Deregu-
        ierung begrüßen wir. Für uns bietet die Beschränkung
        uf die Vorgabe von Zielen eine Chance, über den Ein-
        atz der jeweils besten Technik individuell entscheiden
        u können. Wir wissen aber auch: Je weniger der Bund
        egelt, desto mehr muss von den Behörden vor Ort ent-
        chieden werden und das geht oft nicht ohne Gutachten
        nd Fachdiskussionen, sprich: Es bedarf Personal, das
        uch die notwendige Fachkenntnis hat. Ich möchte an
        ieser Stelle aber auch betonen: Den Ländern ist es un-
        enommen, dort, wo es sinnvoll ist, sich auf einheitliche
        orgaben im Vollzug zu verständigen.
        Letztendlich einverstanden sind wir auch mit der
        larstellung, wann eine Deponie aus der Nachsorge ent-
        assen werden darf. Sich hier nicht nur an den Konzen-
        rationswerten, sondern auch an der Schadstofffracht zu
        rientieren, ist durchaus sinnvoll.
        Zum Antrag der Grünen: Natürlich ist auch die FDP-
        undestagsfraktion für eine möglichst niedrige Schad-
        toffbelastung durch Müllverbrennungsanlagen. Aber:
        ntweder Sie betreiben jetzt inhaltsleere Ökosymbolik
        der Sie haben in der Zeit Ihrer Regierungsverantwor-
        19650 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
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        tung Ihre Hausaufgaben nicht gemacht! Erst „hü“ und in
        der Opposition dann „hott“ schreien, ganz so wie man es
        gerade brauchen kann, ist unglaubwürdig!
        Und nicht anderes machen Sie, wenn Sie jetzt eine
        Änderung der Schadstoffstandards fordern. Während der
        damalige Umweltminister Trittin noch 2005 sagte, die
        Abfallwirtschaft habe in den vergangenen 15 Jahren ei-
        nen großen Beitrag dazu geleistet, die Belastungen der
        Umwelt und der Gesundheit der Bürger zu verringern
        und dies liege auch an den scharfen Standards der
        17. Bundesimmissionsschutzverordnung, sollen die gül-
        tigen Grenzwerte eben dieser Verordnung nach dem jet-
        zigen Antrag als seit Jahren unverändert und veraltet an-
        zusehen sein.
        Ja was denn nun? Und wenn das so ist, warum haben
        Sie unter Rot-Grün nichts daran geändert?
        Hinzu kommt: Die Einführung dynamischer Grenz-
        werte. Das ist aus unserer Sicht mit dem Bestandsschutz
        nicht vereinbar. Was geschieht mit dringend nötigen In-
        vestitionen, wenn der Bestandsschutz fehlt? Wie lange
        kann sich dann ein Anlagenbetreiber auf die erteilte Ge-
        nehmigung einer modernen Anlage verlassen?
        Wir lehnen diesen Antrag daher ab!
        Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Das zentrale
        Element des Verordnungsentwurfs ist die Integration der
        Deponieverwertungsverordnung und der Abfallablage-
        rungsverordnung in die Deponieverordnung. Wir begrü-
        ßen diese Zusammenführung. Das vereinfacht sicher das
        Verständnis der Materie und den praktischen Umgang in
        der Sache, gerade das Abfallrecht ist ja äußerst kompli-
        ziert. Zu prüfen wäre nun, ob bei der Vereinfachung des
        Deponie-Regelwerkes Umweltstandards gesenkt bzw.
        Beteiligungs- und Informationsrechte unzulässig einge-
        schränkt werden. Dies können wir noch nicht abschlie-
        ßend beurteilen. Darum enthalten wir uns bei der Ab-
        stimmung.
        Der Antrag der Grünen fordert niedrigere Grenzwerte
        für Müllverbrennungsanlagen. Diese Grenzwerte sind
        – obwohl sich die Technik rasant weiterentwickelt hat
        und moderne Anlagen nur ein Bruchteil der geltenden
        Grenzwerte emittieren – seit Jahren unverändert. Mo-
        mentan drohen Anlagen sogar wieder auf den Emis-
        sionsstand der 80er-Jahre zurückzufallen. Denn viele ha-
        ben ihre Kapazitäten schrittweise erheblich ausgeweitet,
        ohne entsprechende Filter nachzurüsten.
        Zudem werden neue Anlagen gebaut, die von vorn-
        herein einen höheren Schadstoffausstoß haben. Obwohl
        hier die Problematik der so genannten Ersatzbrennstoff-
        kraftwerke (EBS-Kraftwerke) im Antrag nicht explizit
        angesprochen wird, geht es wohl dabei vor allem um
        diese. Es sind Müllverbrennungsanlagen, die Strom, und
        zum Teil auch Wärme produzieren. Sie werden im Un-
        terschied zu klassischen Müllverbrennungsanlagen mit
        dem Ziel gebaut, Energie zu liefern. Dabei stört aber je-
        der Filter. Denn dieser senkt den Wirkungsgrad.
        Die Änderung der 17. BImSchV, wie sie die Grünen
        vorschlagen, würde also auch sie betreffen. Die Betrei-
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        er könnten nicht mehr bis „Oberkante Unterlippe“ an
        ie heutigen Grenzwerte fahren, um Filter einzusparen
        nd somit den Wirkungsgrad des Kraftwerksteils zu er-
        öhen. Das unterstützen wir.
        Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die
        ritik an EBS-Kraftwerken nicht nur von der Linken
        ommt. Auch das Umweltbundesamt sieht dies ähnlich.
        o hat der UBA-Abfallexperte Markus Gleis in der Süd-
        eutschen Zeitung erklärt, in klassischen Müllverbren-
        ungsanlagen lägen die Dioxinemissionen am Rande der
        achweisgrenze. Sehr niedrige Werte würden auch für
        uecksilber, Arsen und Kadmium gelten. Ferner seien
        ie deutschen Grenzwerte für Schadstoffe in der Abluft
        ie strengsten weltweit und würden dennoch meist um
        0 Prozent unterschritten. Aufwendige Filtermethoden
        ntfernten alles aus dem Rauchgas, was technisch mög-
        ich sei. Die neuen Ersatzbrennstoffkraftwerke hingegen
        utzten die gesetzlichen Grenzwerte viel stärker aus als
        ie klassischen Müllverbrennungsanlagen. Der Grund:
        inderwertige Filter für diese Anlagen. So würden die
        renzwerte für Schadstoffe deutlich geringer als bisher
        nterschritten. Aber genau dies rechnet sich. Michael
        raungart von der Uni Lüneburg hat ermittelt, dass die
        erbrennung einer Tonne Müll in den besten Anlagen
        osten von bis zu 400 Euro verursacht, bei vielen Er-
        atzbrennstoffkraftwerken hingegen nur 50 Euro. Braun-
        art wortwörtlich: „Viele Emissionswerte sind um ein
        ehrfaches höher als bei den bestehenden Anlagen, die
        rofite dafür umso größer“.
        Ich frage mich nun, was macht eigentlich die Bundes-
        egierung? Sie sollte die Augen aufmachen und auch be-
        ücksichtigen, dass der Boom bei der Planung und beim
        au sogenannter Ersatzbrennstoffkraftwerke unzählige
        ürgerinitiativen auf den Plan gerufen hat. Industrieun-
        ernehmen wie Holzverarbeitungs- und Papierverarbei-
        ungsbetriebe bauen Heizkraftwerke, die angeblich mit
        igenen Produktionsabfällen beschickt werden sollen.
        och die meisten dieser Anlagen sind vollkommen über-
        imensioniert. Sie werden nicht im Entferntesten mit ei-
        enen Abfällen gefüttert werden können. In Branden-
        urg etwa sind Anlagen in Betrieb, im Bau oder in
        lanung mit einer Gesamtkapazität von drei Millionen
        ahrestonnen. Das ist das Sechsfache dessen, was tat-
        ächlich an Ersatzbrennstoffen im Land anfällt. Hier
        teht ein gigantischer Mülltourismus bevor, nicht nur in
        randenburg. Und die jüngst liberalisierte EU-Abfall-
        ahmenrichtlinie wird diesen Mülltourismus noch er-
        eichtern.
        Vielleicht kann die Senkung der Emissionsgrenzwerte
        ier dämpfend wirken, deshalb stimmen wir dem Antrag
        er Grünen zu. Für eine grundlegende Lösung bedarf es
        ber unserer Meinung nach einer koordinierten Planung
        on EBS-Kapazitäten. Leider lehnt die Bundesregierung
        o etwas oder entsprechende Bedarfsnachweise grund-
        ätzlich ab. Sie setzt hier allein auf den Markt. Auch hier
        erden dies die Bürgerinnen und Bürger zu bezahlen ha-
        en. Diesmal mit ihrer Gesundheit.
        Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        uch der heutige Tag steht unter dem Eindruck der
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19651
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        Finanzmarktkrise, und da am Freitag über das Rettungs-
        paket von unvorstellbaren 470 Milliarden Euro beraten
        und entschieden wird, war auch keine Zeit, sich am Mitt-
        woch im zuständigen Fachausschuss mit Beratungen zu
        der hier abzustimmenden Deponie-Vereinfachungsver-
        ordnung zu befassen. Die hier vorgelegte Rechtsverord-
        nung geht weiter in den Bundesrat, der angesichts der zu
        erwartenden 200 Änderungsanträge zum Thema bereits
        einen Unterausschuss beschlossen hat, der am 4. No-
        vember tagt. Grund für die Änderungsanträge sind die
        länderspezifischen Interessen der Abfallentsorger.
        Schließlich werden auch die Genehmigungen für die Er-
        richtung und den Betrieb der Deponien in den einzelnen
        Kommunen erteilt.
        Ich befürchte, dass die hier zur Debatte stehende Neu-
        regelung ebenso korruptionsanfällig ist wie das bereits
        geltende, verworrene Deponierecht. Für die Umsetzung
        ist es gut, dass die drei bestehenden Regelwerke Depo-
        nieverordnung, Abfallablagerungsverordnung, Deponie-
        verwertungsverordnung und die drei Verwaltungsvor-
        schriften jetzt zusammengefasst werden. Wie schwer die
        Anwendung des geltenden Rechts ist, zeigt folgendes
        Beispiel: Derzeit werden aus Kostenersparnisgründen ei-
        nige schadstoffhaltige Abfälle nach Immobilisierung auf
        Hausmülldeponien abgelagert, die eigentlich in Unterta-
        gedeponien oder in den Bergversatz gehören. Dies sollte
        nach geltendem Recht nicht möglich sein, faktisch ist es
        aber nach Information der Entsorgungsbranche so und
        teilweise wurden Spielräume durch die Genehmigung
        der zuständigen Behörde vor Ort erst geschaffen. Die
        Entsorger, die sich an geltende Vorschriften halten, ver-
        lieren dadurch Aufträge, da sie höhere Preise ansetzen
        müssen. Den Behörden vor Ort ist die Überwachung ein
        Stück weit überlassen. Geht es um die Sauberkeit im
        Sport, gibt es weniger Scheu vor Probenahmen, Labor-
        untersuchungen und Einlagerungsnotwendigkeiten. Und
        auch hier zeigt sich, dass Nachuntersuchungen zur Über-
        führung von Betrügern und Falsch-Deklarationen not-
        wendig sind.
        Auch die zu erbringenden Sicherheitsleistungen
        (§ 18) stehen im Ermessen der Behörden. Damit werden
        sie Verhandlungssache zwischen der Genehmigungsbe-
        hörde und dem Betreiber. Die Erfahrung zeigt, dass mit
        den durch die Behörde ermöglichten Befreiungen – wie
        auch hier bei Langzeitlagern vorgesehen – die Kosten
        für die Beseitigung entstandener Umweltgefahren wie-
        der beim Steuerzahler hängen bleiben. Insofern fordern
        die Grünen die ersatzlose Streichung von § 25 der Depo-
        nie-Verordnung, die Langzeitlager von Regelungen und
        von Überprüfungen durch Sachverständige befreit. Drin-
        gend reformbedürftig ist in diesem Zusammenhang auch
        der § 61 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes,
        der eine Höchstgrenze von 50 000 Euro für Bußgelder
        festlegt. Angesicht der Gewinnmargen illegaler Betrei-
        ber und der Millonenkosten für die nachträgliche Sanie-
        rung ist das lächerlich.
        Die Inhalte des neuen Deponierechts sollen später in
        das UGB integriert werden. Es ist nur zu hoffen, dass
        sich die Koalition den grünen Argumenten anschließt,
        im Umweltgesetzbuch auch das Bergrecht mit aufzuneh-
        men. Die hier vollzogene Umsetzung der EU-Richtlinie
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        ber die „Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineral-
        ewinnenden Industrie für nicht dem Bergrecht unterfal-
        ende Betriebe“ ist wieder nicht für die Zusammenfas-
        ung aller Ablagerungsstätten unter Umweltrecht
        enutzt worden. 1 600 Gewinnungsbetriebe und damit
        ie Mehrheit der aktiven Betriebe fallen weiterhin unter
        ergrecht.
        Abfallbewirtschaftungspläne werden jetzt für Ab-
        aumdeponien zur Pflicht. Das ist auch zur geordneten
        nd effizienten Beschickung dieser Deponien höchst
        otwendig. Eine weitergehende Dokumentationspflicht
        cheint mir allerdings auch bei den übrigen Deponien
        berfällig. Unzureichenden Kontrollen wurden in der
        ergangenheit zu Missbrauch und Betrug genutzt – das
        eigen immer neue Enthüllungen illegaler Müllablage-
        ungen in Kies- und Tongruben, die zum Teil als Depo-
        ien sogar zugelassen waren. Dieser Problembereich
        urde in der Verordnung der Bundesregierung nicht auf-
        egriffen. Vielmehr besteht Anlass zu der Sorge, dass
        it Vereinfachungen der Berichts- und Dokumentations-
        flichten die Situation bei der Abfallendlagerung noch
        ritischer wird.
        Daher lehnen die Grünen die Verordnung zur Verein-
        achung des Deponierechts in der vorgelegten Form ab.
        nlage 20
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Veröffentlichung von Informationen über die
        Zahlung von Mitteln aus den Europäischen
        Fonds für Landwirtschaft und Fischerei
        (Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Ge-
        setz – AFIG) (Tagesordnungspunkt 31)
        Marlene Mortler (CDU/CSU): Das uns vorliegende
        esetz setzt eine EU-Verordnung um, die die Veröffent-
        ichungspflicht vorsieht. Die Mitgliedstaaten müssen da-
        ach jedes Jahr nachträglich Informationen über die
        mpfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garan-
        iefonds für die Landwirtschaft, dem Europäischen
        andwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländli-
        hen Raumes und dem Europäischen Fischereifonds und
        ie Beträge, die jeder Empfänger aus diesem Fonds er-
        alten hat, im Internet veröffentlichen.
        Fakt ist – ob wirklich sinnvoll oder nicht: Transparenz
        st richtig und wichtig. Aber die Finanzkrise zeigt: Ge-
        ade dort, wo sie bitter nötig gewesen wäre – auf den Fi-
        anzmärkten – herrscht bis heute Intransparenz. Die
        etroffenen fragen sich zu Recht: Sind wir denn im fal-
        chen Film?
        Die Diskussion zur Offenlegung aller Empfänger von
        U-Zahlungen wurde zurückblickend oftmals sehr öf-
        entlichkeitswirksam – nicht selten einseitig zulasten der
        andwirtschaft – geführt. Während der Verhandlungen
        ur Verabschiedung des entsprechenden Gemeinschafts-
        echts ist es gelungen, wesentliche Forderungen Deutsch-
        ands durchzusetzen. Hierzu gehören ein im Vergleich zu
        nderen EU-Förderbereichen späterer Veröffentlichungs-
        19652 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
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        zeitpunkt für den Agrarsektor, der Verzicht auf detaillier-
        tere und maßnahmenspezifische Förderangaben und
        insbesondere die Angabe des Straßennamens. Weiterge-
        hende Forderungen Deutschlands, wie beispielsweise der
        Verzicht auf Angabe des Gemeindesitzes und der Post-
        leitzahl im Rahmen einer Internetsuchmaschine, fanden
        keine Mehrheit bei den anderen Mitgliedstaaten.
        Wir Politiker und auch alle betreffenden Organisatio-
        nen sollten mit der Umsetzung der Transparenzinitiative
        verantwortungsvoll gegenüber den Bäuerinnen und Bau-
        ern umgehen, sachlich und fair. Ich hoffe, der vorlie-
        gende Gesetzentwurf trägt dem Rechnung. Wichtig ist
        auch, dass mit diesen Daten in keiner Weise Missbrauch
        betrieben wird.
        Große Bedeutung kommt neben der eigentlichen Ge-
        setzesgrundlage der Gestaltung der entsprechenden In-
        ternetseite zu. Dort müssen einfach nachvollziehbare
        und klare Erläuterungen zu den EU-Zahlungen, in allge-
        meiner Form über die einzelnen Förderprogramme so-
        wie die damit verbundenen agrarpolitischen Ziele vorge-
        sehen werden. Wir haben positiv vermerkt, dass die
        Bundesregierung und die Länder dieser Anregung folgen
        werden.
        Die weitere Forderung nach einer Information der Be-
        günstigten über Besucher der Internetseite bzw. Anzahl
        der Zugriffe auf die Internetseite fand leider keine Mehr-
        heit. Dass dem aus Kosten- und Verwaltungsgründen
        nicht gefolgt wurde, kann ich noch verstehen. Dass dem
        aber aus informationstechnischen und datenschutzrecht-
        lichen Gründen nicht gefolgt wurde, erschließt sich mir
        nicht. Datenhändlern wird dadurch Tür und Hoftor ge-
        öffnet. Transparenz ist doch keine Einbahnstraße!
        Ich halte es auch für wichtig, dass Bund und Länder
        die Offenlegung aller Empfänger von EU-Zahlungen
        einheitlich durchführen, da auch andere Wirtschafts-
        gruppen und Unternehmen bis hin zu Einzelpersonen
        EU-Gelder als Förderung bzw. Ausgleichszahlung erhal-
        ten. Wenn bei der Landwirtschaft Empfänger mit Na-
        men, Vornamen, Ort und Postleitzahl offengelegt werden
        sollen, dann muss dies meines Erachtens aus Gleichbe-
        handlungsgründen auch bei Empfängern aus anderen
        Bereichen wie dem Europäischen Sozialfonds und dem
        Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gesche-
        hen.
        Wenn wir echte Transparenz anstreben, dann darf sie
        nicht nur in Bezug auf EU-Zahlungen Anwendung fin-
        den, sondern sollte sich auch zum Beispiel auf die Emp-
        fänger von nationalen Beihilfen erstrecken, wie sie der
        Subventionsbericht des Bundesfinanzministeriums zum
        Gegenstand hat. Dort kann man auch nachlesen, dass der
        Anteil der Landwirtschaft an den nationalen Subventio-
        nen vergleichsweise gering ist. Letztlich müssten sämtli-
        che staatlichen Beihilfen offengelegt werden, also von
        EU, Bund und Regionen bzw. Ländern. Sonst entsteht
        ein Zerrbild.
        Und noch einmal zum Missbrauch: Die Datenskan-
        dale der letzten Wochen und der zunehmende Miss-
        brauch von Daten im Internet müssen uns noch mehr
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        ensibilisieren.Mit dem Gesetzentwurf haben wir ver-
        flichtende EU-Vorgaben national umzusetzen. Die Zu-
        timmung fällt mir nicht leicht. Deshalb werbe ich ein-
        ringlich für einen sachlichen und fairen Umgang mit
        en offenzulegenden Daten.
        Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Mehr als
        0 Milliarden Euro gibt die Europäische Union für die
        irektzahlungen und Marktstützungen im Rahmen der
        grarpolitik aus. Das ist viel Geld. Wir unterstützen es,
        ass der Steuerzahler auch erfahren kann, wer von die-
        em Geld eigentlich profitiert.
        Wir unterstützen diese Transparenzinitiative und
        reuen uns, dass sie nun auch in Deutschland umgesetzt
        ird. Sicher wird die Veröffentlichung der Zahlungen
        ie Diskussion um die Förderung der Landwirtschaft an-
        eizen. Ich bin mir allerdings sicher, dass wir diese Dis-
        ussionen bestehen können. Und: Die Diskussion wird
        icht durch die Veröffentlich entfacht. Die Diskussion
        äuft bereits, sie kann – wenn wir sie annehmen – durch
        ie Transparenzinitiative versachlicht werden.
        Die Gemeinsame Agrarpolitik hat eine klare Richtung
        ekommen: Wir haben die Zahlungen von der Produk-
        ion abgekoppelt. Stattdessen sind dies Zahlungen mit
        eistungen für die Umwelt, für die Qualität und für den
        ierschutz verknüpft. Geld für Leistungen, die der Markt
        icht honoriert, die aber die Gesellschaft verlangt – ich
        enke wir haben damit schon längst die Weichen ge-
        tellt, mit denen wir die Debatte um die Agrarpolitik be-
        tehen können.
        Ich weiß, dass in der Debatte um die Agrarpolitik im-
        er wieder die Argumentation auftaucht, das Geld, das
        ie EU für die Landwirtschaft ausgibt, sei Geld der Bau-
        rn. Wer so argumentiert, wer daraus ableitet, dass
        ransparenz nur eine Gängelung der Landwirtschaft ist,
        er sorgt erst dafür, dass die Steuerzahler nachfragen.
        Ich verstehe die Sorge jeder Betriebsleiterin und jedes
        etriebsleiters, die einen erhöhten öffentlichen Rechtfer-
        igungsdruck fürchten. Ich bin mir aber sicher, wir kön-
        en die Debatte bestehen. Die EU-Transparenzinitiative
        ietet die Chance, klar herauszustellen, welche Leistun-
        en die heimische Landwirtschaft für die Gesellschaft
        rbringt. Das Geld im EU-Agrarhaushalt ist und bleibt
        rstmals Geld der Steuerzahler. Wir müssen begründen
        önnen, warum wir es ausgeben. Das können wir nicht,
        enn wir uns verstecken, dazu müssen wir aus der De-
        kung kommen und erklären was für Leistungen wir mit
        iesen Milliarden bezahlen. Ich bin mir sicher, wir kön-
        en gewinnen, wenn wir mit offenem Visier kämpfen.
        Wir wissen doch, dass es keine Milchseen und Butter-
        erge mehr gibt. Dann können wir doch dem Vorurteil,
        ir würden nur Überproduktion finanzieren entgegentre-
        en. Wer was produziert, das entscheidet der Markt; Pro-
        uktion richtet sich nicht mehr an Subventionen aus. Das
        st das wichtigste Ergebnis der letzten Agrarreform. Da-
        it können wir bestehen.
        Wir wissen auch, dass die Größe der Betriebe nicht
        ber die Leistungen entscheidet. Wir wissen doch, dass
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19653
        (A) )
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        das Monster Agrarindustrie genauso wenig die Realität
        beschreibt wie der kuschelige Kleinbauer. Wir wissen,
        dass die Einhaltung von Fruchtfolgen nicht von der
        Größe des Betriebes abhängt. Wir wissen, dass große
        Milchbetriebe oft modernste Freilaufställe haben, wäh-
        rend die kleinen oft ihre Kühe noch anbinden. Und wir
        wissen auch, dass die Zahl der Arbeitskräfte von der
        Produktionsrichtung und weniger von Produktionsweise
        abhängen. Auch das können wir erklären, auch hier kön-
        nen wir bestehen.
        Wir wissen auch, was für Wirkungen unsere Export-
        subventionen haben. Uns wird die Frage gestellt, warum
        die Industrieländer 349 Milliarden Dollar an Produk-
        tions- und Exportsubventionen ausgeben. Wir werden
        gefragt, warum wir damit niedrige Exportpreise fördern
        und so lokale Produktion in den Entwicklungsländern
        vernichten. Mit unseren Vorschlägen für die Doha-
        Runde haben wir diese Fragen schon aufgegriffen, wir
        müssen weiterhin deutlich machen, dass diese Politik
        ernsthaft fortgeführt wird. Dann können wir auch hier
        bestehen.
        Gerade im Hinblick auf Debatten um den EU-Haus-
        halt ab 2013 sind alle – Berufsstand, Politik und die akti-
        ven Landwirte – gefordert, die öffentliche Diskussion zu
        suchen. Es ist unmissverständlich darzustellen, dass die
        Zahlungen nicht mehr als Einkommenstransfer, sondern
        ausschließlich als Ausgleich gesellschaftlicher Leistun-
        gen zu verstehen sind.
        EU-Kommissarin Mariann Fischer-Boel hat die Trans-
        parenzinitiative explizit mit der Ausrichtung der Ge-
        meinsamen Agrarpolitik verknüpft. Warum? Wir stehen
        vor der Reform des EU-Finanzsystems und wir stehen
        damit mitten in einer Debatte, die explizit den Agrar-
        haushalt auf den Prüfstand stellt. Wir sehen doch, wel-
        che Folgen mangelnde Offenheit hat. Die Mathematik
        der Menschen ist ganz einfach: Wer nicht bereit ist, seine
        Zahlungen zu veröffentlichen, der hat was zu vertu-
        schen. Dem kann man doch offensiv entgegentreten.
        Dem muss man auch offensiv entgegentreten. Wenn wir
        hier nicht in die Offensive gelangen, wenn wir es nicht
        schaffen, deutlich zu machen, warum wir das Geld aus-
        geben, dann werden wir in der Debatte um das EU-Fi-
        nanzsystem schlechte Karten haben.
        Wir sind uns einig, dass wir Leistungen von der Land-
        wirtschaft erwarten, für die wir die Landwirtschaft auch
        honorieren müssen. Wir müssen uns nicht verstecken.
        Im Gegenteil: Nutzen wir die Chance, uns die Rücken-
        deckung der Menschen zu holen.
        Zum Schluss möchte ich noch auf eines hinweisen:
        Was für die Agrarförderung gilt, muss auch für andere
        Zahlungen so zum Beispiel für die Strukturfonds gelten:
        Seien wir doch endlich etwas mutiger und offener. Das
        hilft den Menschen Politik zu verstehen. Geheimniskrä-
        merei verursacht Misstrauen. Schaffen wir Vertrauen
        und holen wir uns damit Rückhalt für unsere Politik.
        Hans-Michael Goldmann (FDP): Die FDP tritt für
        Transparenz ein. Bereits vor über zwei Jahren haben wir
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        inen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir
        ie Umsetzung der EU-Verordnung forderten.
        Wir teilen das Ziel der EU, öffentliche Finanzzuwen-
        ungen offenzulegen. Der von der EU-Kommission vor-
        eschlagene Weg über ein Portal im Internet ist hoffent-
        ich ohne zusätzliche Bürokratie und benutzerfreundlich
        u realisieren. Da es seit der großen Agrarreform für die
        andwirtschaft auch keinen Grund gibt, verschämt die
        ffentlichen Ausgleichsleistungen für die erschwerten
        roduktionsbedingungen in Europa zu verschweigen, ist
        ie Umsetzung der EU-Verordnung nicht nur europa-
        echtlich geboten, sondern auch politisch sinnvoll und
        ichtig.
        Das Gesetz stellt eine 1:1-Umsetzung dar, weshalb
        ir Liberalen zustimmen werden. Doch ich will hier
        uch gleich deutlich machen, dass wir einzelne Forde-
        ungen nach weiteren Veröffentlichungen im Bereich der
        andwirtschaft ablehnen. Die Angaben, die die EU jetzt
        ffentlich zugänglich machen möchte, sind völlig ausrei-
        hend. Ich halte den Vorschlag des Bauernverbandes,
        ass die User des Internetportals sich registrieren müs-
        en, damit nachvollzogen werden kann, wer die Daten
        insieht, für bedenkenswert und fordere das Ministerium
        uf, in der Durchführung dem Rechnung zu tragen.
        Auch muss dringend darauf geachtet werden, dass bei
        er noch zu erlassenden Verordnung sichergestellt wird,
        ass die Balance zwischen dem Informationsinteresse
        er Öffentlichkeit und dem Schutz personenbezogener
        aten sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ge-
        ahrt bleibt.
        An dieser Stelle muss auch klar gesagt werden, dass
        ie Bundesregierung bei der Umsetzung der Transpa-
        enz-VO nicht stehen bleiben darf. Wenn die Landwirte
        ünftig ihre staatlichen Leistungen offenlegen müssen,
        ibt es keinen Grund, warum andere Empfänger staatli-
        her Leistungen dies nicht auch tun müssen. Transparenz
        ur im Bereich Landwirtschaft ist weder sinnvoll noch
        air.
        Abschließend noch ein Wort zu verschiedentlich in
        er Landwirtschaft laut gewordenen Befürchtungen,
        ass die Veröffentlichung der staatlichen Leistungen den
        eid in den Dörfern schüren würde. Diese Befürchtung
        eile ich nicht. Normalerweise wird bekannt sein, welche
        lächen die Nachbarn gepachtet und im Eigentum ha-
        en, sodass sich ja bereits heute jeder ausrechnen kann,
        elche Prämien der Einzelne bekommt. Die Landwirt-
        chaft wird also mit gutem Beispiel vorangehen, und die
        brigen Empfänger staatlicher Leistung werden hoffent-
        ich bald folgen.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Mit dem
        grarinformationsgesetz wird eine Debatte beendet, die
        n den letzten Jahren hohe Emotionen hervorgerufen hat.
        s geht um die Transparenz in der europäischen Agrar-
        örderung. Rund 40 Prozent des europäischen Haushalts
        ird für den Landwirtschaftssektor ausgegeben. Dabei
        andelt es sich um einen Betrag von fast 50 Milliarden
        uro, der letztlich ausschließlich aus Steuermitteln auf-
        19654 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) )
        (B) )
        gebracht wird. Die Linke sieht daher ein berechtigtes
        Anliegen, Informationen zu den Fördermitteln zu be-
        kommen, wenn sich Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
        dafür interessieren. Dies ist im Übrigen ein grundsätzli-
        ches Anliegen und nicht nur auf die Landwirtschaft be-
        schränkt. Staatliche Förderung sollte in allen Bereichen
        transparent verteilt werden.
        Die Linke hat die Transparenzinitiative grundsätzlich
        unterstützt, wenn wir auch die Begrenzung der Debatte
        auf den Agrarsektor immer kritisiert haben. Gerade die
        pauschale Verdächtigung, bei der Nichtoffenlegung von
        Fördermittelzahlungen an Großbetriebe gehe es um Si-
        cherung unberechtigter Pfründe, spricht für die Transpa-
        renz der Fördermittelverwendung, weil sie den vielen
        ostdeutschen Landwirtschaftsbetrieben nicht gerecht
        wird, die unter schwierigen Bedingungen Arbeitsplätze
        sichern und zur Sicherung sozialer Infrastruktur in den
        ostdeutschen Dörfern beitragen.
        Für uns ist klar: Die Direktzahlungen an Landwirt-
        schaftsbetriebe müssen legitimiert werden durch Leis-
        tungen im gesellschaftlichen Interesse. Intransparenz
        führt eher zu Misstrauen der Verbraucherinnen und Ver-
        braucher bzw. bei Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern.
        Und um es klar zu sagen: Auch in Ostdeutschland muss
        sich niemand verstecken.
        Die Veröffentlichung dieser Daten hat ja bereits statt-
        gefunden – auf Länderebene. Die Landesbehörden sind
        weiterhin für das korrekte Einstellen der Daten ins Inter-
        net zuständig. Die zentrale Internetplattform, die über
        das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
        betrieben werden soll, macht den Zugang für Interessen-
        tinnen und Interessenten einfacher und demokratischer.
        Nachdem die ersten Daten auf Länderebene im ver-
        gangenen Jahr veröffentlicht wurden, ist inzwischen die
        Debatte ruhiger und sachlicher geworden. Dass auch flä-
        chenstarke Betriebe in den neuen Ländern Direktzahlun-
        gen erhalten, ist heute kein Skandal mehr, sondern findet
        zunehmend Verständnis. Hektar muss Hektar sein, egal
        wie groß der Betrieb ist oder wo er liegt. Die betriebli-
        chen Organisationsformen sind aufgrund der neueren
        Agrargeschichte unterschiedlich. Große Betriebe bieten
        lohnabhängige Arbeitsplätze. Bezieht man die Direkt-
        zahlungen auf die betrieblichen Arbeitskräfte, relativiert
        sich der Unterschied bei den Fördersummen pro Betrieb
        zwischen Ost und West. Leider ist das aus den Veröffent-
        lichungen nicht immer ersichtlich. Hinzu kommen Ge-
        nossenschaften, in denen viele Eigentümerinnen und
        Eigentümer für einen Betrieb stehen.
        Im Laufe der Debatte ist das Verständnis für die be-
        sonderen ostdeutschen Bedingungen gewachsen. Nur so
        ist zu erklären, dass in Deutschland die Unterstützung
        der EU-Kommission für den Vorschlag der progressiven
        Modulation sehr überschaubar ist. Nur die Grünen unter-
        stützen ihn und merken nicht oder ignorieren, dass dieser
        Vorschlag Schaden anrichtet für die strukturschwachen
        ländlichen Regionen. In der Antwort auf meine diesbe-
        zügliche Anfrage antwortete die Bundesregierung, dass
        einheimische Betriebe durch die vorgeschlagene pro-
        gressiver Modulation circa 1,2 Milliarden Euro bis 2013
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        erlieren würden. 44 Prozent, also knapp die Hälfte,
        ürden allein die neuen Länder verlieren.
        Somit wird aus Sicht der Linken deutlich, dass letzt-
        ndlich Transparenz mehr Nutzen bringt als Schaden,
        enn sie denn nicht instrumentalisiert wird. Der Agrar-
        ektor ist wie kein anderer den handels- und europapoli-
        ischen Entscheidungen ausgeliefert, und die Debatte um
        ie Subventionierung der Landwirtschaft geht weiter.
        ies kann auch aus Sicht der Linken nur gut gehen,
        enn die Transparenz der Agrarförderung gewährleistet
        st.
        Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        ffenlegung der Agrarsubventionen ist ein wichtiger
        nd nötiger Schritt, dessen Umsetzung viel zu lange ge-
        auert hat. Unser Erfolg ist es, dass die Bundesregierung
        ie von der EU geforderte Offenlegung überhaupt end-
        ich auf den Weg bringt. Jahrelang hat die Bundesregie-
        ung auf Verzögerung und Verhinderung gesetzt. 13 EU-
        itgliedstaaten oder Teilstaaten, die längst freiwillig die
        mpfänger von Agrarbeihilfen offenlegen, haben ihren
        ürgern deutlich eher mitgeteilt, was mit ihren Steuer-
        eldern passiert. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zur
        eröffentlichung von Agrarsubventionen ist als Grund-
        age zu mehr Transparenz beim Verbleib von Steuergel-
        ern in der Agrarförderung mehr als überfällig.
        Die Umsetzung der Bundesregierung jedoch ist löch-
        ig wie ein Schweizer Käse: Zum einen kommen mit
        em gewählten Termin eine Verwendung der Informatio-
        en für eine transparente öffentliche Diskussion zum
        insatz und Effizienz der Agrarhaushaltsmittel zur EU-
        grarreform „Gesundheitscheck 2008“ zu spät. Zum an-
        eren soll die Veröffentlichungspflicht nicht für Aus-
        ünfte über Zahlungen aus nationalen Töpfen gelten.
        arüber hinaus reißt die im Gesetzentwurf vorgesehene
        usschließliche Minimalangabe von Summe und Emp-
        ängername die Fördersummen völlig aus dem Kontext.
        s ist nicht ersichtlich, in welchem Verhältnis die Sum-
        en stehen.
        Dies ist kein rundes Programm, sondern ein mageres
        rogrammchen, welches mehr Unklarheiten schafft, als
        s lösen soll. So bleiben Fragen offen wie: Werden mit
        en Fördergeldern vor allem bäuerliche Betriebe geför-
        ert oder eher international agierende Agrarkonzerne?
        chafften oder sichern die Fördergelder Arbeitsplätze,
        nd wenn ja, wie viele? Wird mit den Fördergeldern eine
        mweltfreundliche Landwirtschaft gefördert? Wie viel
        eld fließt in Betriebe mit artgerechter Tierhaltung, wie
        iel in Anlagen mit Massentierhaltung? Schon 2005 be-
        ängelte Friedrich Heinemann, ausgewiesener Experte
        er EU-Finanzpolitik vom Zentrum für Europäische
        irtschaftsforschung in einem Interview: „Wir reden
        iel zu viel über den Umfang und zu wenig darüber, wo-
        ür das Geld ausgegeben wird.“ Nur wenn weiterge-
        ende Informationen bekannt sind, ist eine Bewertung
        uch im Hinblick auf soziale und ökologische Kriterien
        öglich. Transparenz sollte vor allem im Dienst einer
        esellschaftlichen Diskussion über die sinnvolle Vergabe
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008 19655
        (A) )
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        von Steuermitteln stehen. Dazu gehört auch die Frage
        nach der Effizienz der Fördermittel.
        Bisher werden kleine und arbeitsintensive Betriebe
        benachteiligt. Flächenstarke und durchrationalisierte Be-
        triebe erhalten bis zu 120 000 Euro pro Arbeitskraft an
        öffentlicher Unterstützung. In kaum einem anderen Be-
        reich werden zur Unterstützung eines einzelnen Arbeits-
        platzes solche Summen ausgegeben. Es ist in keiner
        Weise nachvollziehbar, wieso der Steuerzahler nicht er-
        fahren darf, für wie viele Arbeitskräfte und welche Leis-
        tungen die Betriebe Gelder bekommen und wieso die na-
        tionalen Mittel ausgespart werden. Das hat mit einer
        „Transparenzinitiative“ nichts zu tun; das ist eher Verne-
        belungstaktik. Es geht uns nicht, wie der Deutsche Bau-
        ernverband befürchtet, darum, dass die Bauern an den
        Pranger gestellt werden. Wir wollen keine Neiddebatte
        führen, auch keine Streichdebatte, sondern eine Quali-
        tätsdebatte.
        Agrarförderung muss konsequenter an klare soziale
        und ökologische Kriterien und nachhaltige Wertschöp-
        fung gebunden und in Einklang mit anderen gesell-
        schaftlichen Zukunftsaufgaben gebracht werden. In der
        Agenda 2000 ist mit der „multifunktionalen Landwirt-
        schaft“ eine Definition gewählt worden, die neben der
        Lebensmittelproduktion auch eine flächendeckende Ge-
        staltung unserer Landschaft, die Sicherung der Sied-
        lungsstruktur, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die
        Sicherung der gesellschaftlichen Anforderungen im Um-
        welt-, Verbraucher- und Tierschutz berücksichtigen soll.
        Die Veröffentlichung von Daten, die der Öffentlich-
        keit nicht erlauben, eine Beurteilung der Zahlungen nach
        sozialen, ökologischen und Tierschutz-Kriterien vorzu-
        nehmen, ist für eine gesellschaftliche Kontrolle dieser
        Zielrichtung ungeeignet.
        Anlage 21
        Antwort
        des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Frage
        der Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) (182. Sit-
        zung, Drucksache 16/10519, Frage 42):
        Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, welche
        Schritte die Deutsche Telekom AG unternommen hatte, nach-
        dem ihr Datensätze über ihre 17 Millionen T-Mobile-Kunden
        (darunter unter anderem prominente Mitglieder der Bundes-
        regierung, des Zentralrats der Juden) entwendet wurden, um
        die Sicherheit und den Schutz der Privatssphäre ihrer Kunden
        zu gewährleisten, und ist die Bundesregierung der Ansicht,
        dass die Daten, die die Deutsche Telekom AG für
        Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sammelt, dort
        sicher aufbewahrt sind?
        Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Deutsche
        Telekom AG, nachdem ihr der Fall bekannt wurde, im
        Frühjahr 2006 umgehend neben der Anzeige bei der
        Staatsanwaltschaft umfangreiche Maßnahmen ergriffen,
        um die Sicherheit ihrer Kundendaten und den Schutz der
        Privatsphäre der Kunden sicherzustellen.
        Nach eigenem Bekunden wurden unter anderem Zu-
        griffsberechtigungen auf die Kundendatenbanken stärker
        eingeschränkt, die technischen Zugangssysteme so kon-
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        iguriert, dass komplexere Passwörter für den Zugang zu
        atenbanken erforderlich sind, ein schärferes Monito-
        ing, eine Speicherung der Zugriffe auf Kundendaten
        ührende Datenbanken und eine teilautomatisierte Über-
        achung der Sicherheit von Datenbank-Administration
        nd Datenbank-Konfiguration entwickelt. Zur Verbesse-
        ung der Transparenz sind weitere Maßnahmen, die die
        eutschen Telekom AG in ihrer Pressemitteilung vom
        0. Oktober 2008 dargelegt hat, geplant. Zudem können
        unden auf Wunsch kostenlos ihre Mobilfunknummer
        ndern lassen.
        Hinsichtlich Telekommunikationsüberwachungsmaß-
        ahmen, die aufgrund von Vorschriften der StPO, des
        rtikel-G10-Gesetzes oder des Zollfahndungsdienstge-
        etzes angeordnet werden und gegebenenfalls von der
        eutschen Telekom AG umzusetzen sind, weist die
        undesregierung ausdrücklich darauf hin, dass das hier-
        ür vorgegebene und verwendete technische Verfahren
        eine Sammlung von Daten beinhaltet.
        nlage 22
        Antwort
        es Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Frage
        er Abgeordneten Elke Reinke (DIE LINKE) (182. Sit-
        ung, Drucksache 16/10519, Frage 45):
        Auf welche Weise möchte die Bundesregierung auf die
        Energieversorgungsunternehmen einwirken, um einen vom
        Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
        heit, Sigmar Gabriel, bereits mehrfach geforderten (Strom-)-
        Sozialtarif für Haushalte mit geringem Einkommen durchzu-
        setzen, und wie steht die Bundesregierung zu der Forderung,
        eine wirksame Strompreisaufsicht mit Zuständigkeit bei den
        Ländern einzuführen, der gegenüber die Energieversorgungs-
        unternehmen die Zusammensetzung aller Tarife offenlegen
        müssen?
        Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass der Ge-
        enstand Ihrer Fragen morgen auch Thema einer Plenar-
        ebatte ist. Der Antrag Ihrer Fraktion und Ihre heutige
        rage „doppeln“ sich also. Zur Sache selbst möchte ich
        hnen sagen:
        Die Gestaltung der Preisstruktur liegt auch im Ener-
        iebereich grundsätzlich in der Verantwortung der
        nternehmen. Bei Vorliegen marktbeherrschender Stel-
        ungen unterliegen die Unternehmen einer kartellrechtli-
        hen Missbrauchsaufsicht. Im Vordergrund stehen dabei
        ngemessene Preise für alle Haushalte, insbesondere
        uch für die grundversorgten Haushalte. Darüber hinaus
        ibt es in Deutschland ein funktionierendes allgemeines
        ozialrecht, das auch hier wirkt, wie zum Beispiel die
        on der Bundesregierung durchgesetzte Erhöhung des
        ohngeldes zeigt. Auf diese Weise werden einkom-
        ensschwache Bürger wirksam unterstützt.
        Die Wiedereinführung einer Strompreisaufsicht durch
        ie Bundesländer in dem – auch durch europäische Vor-
        aben – für Wettbewerb geöffneten Bereich lehnt die
        undesregierung ab. Das Instrument stammt aus den
        eiten vor der Marktöffnung im Energiebereich und
        ürde zu keiner wirksamen Aufsicht führen. Es wurde
        erade abgeschafft, weil es in den neuen Marktstruktu-
        19656 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        (A) (C)
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        ren nicht mehr wirkt. Die Preisaufsicht über Stromliefe-
        ranten wäre auch deshalb ungeeignet, weil sich die
        Strompreise für Haushaltskunden zu über 90 Prozent aus
        Bestandteilen zusammensetzen, die nicht vom Liefe-
        ranten veranlasst sind, aber das Preisniveau insgesamt
        bestimmen. Die in den Preisen enthaltenen Netzentgelte
        sind ohnehin reguliert. Auf der hier in Rede stehenden
        Ebene der Stromlieferanten können Kunden, die mit ih-
        rem bisherigen Lieferanten nicht zufrieden sind, durch
        Wahl eines neuen Lieferanten reagieren. Soweit in Ein-
        zelfällen gleichwohl eine intensivere staatliche Aufsicht
        notwendig ist, hat die Bundesregierung mit einer Ver-
        schärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht
        Ende letzten Jahres reagiert. Wie die aktuellen Gaspreis-
        missbrauchsverfahren des Bundeskartellamtes zeigen,
        wirkt dieses Instrument auch, wo es erforderlich ist.
        183. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12
        Anlage 13
        Anlage 14
        Anlage 15
        Anlage 16
        Anlage 17
        Anlage 18
        Anlage 19
        Anlage 20
        Anlage 21
        Anlage 22