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ID1615407100

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    Plenarprotokoll 16/154 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008 (Drucksache 16/8744) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen (Drucksache 16/8079) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16113 B 16113 C 16115 C 16117 A 16117 C 16119 A 16120 D 16122 A 16122 B 16130 A 16130 A 16131 D 16132 B Deutscher B Stenografisc 154. Si Berlin, Donnerstag, I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Detlef Dzembritzki und Joachim Stünker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger zum stellvertretenden Mitglied des Vermittlungsausschusses und des Gemeinsa- men Ausschusses nach Art. 53 a des Grund- gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 19 . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: 16111 A 16111 B 16111 B 16112 D 16112 D Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . 16123 A 16123 C undestag her Bericht tzung den 10. April 2008 l t : Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Das Energiekartell aufbrechen – Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Ener- giepreise (Drucksache 16/8536) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16124 C 16125 A 16126 B 16127 C 16128 D 16129 D Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16132 D 16134 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 15. Dezem- ber 2003 über Politischen Dialog und Zusammenarbeit zwischen der Euro- päischen Gemeinschaft und ihren Mit- gliedstaaten einerseits und der Anden- gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela) andererseits (Drucksache 16/8654) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU- Strukturfonds zur nachhaltigen Ent- wicklung einsetzen (Drucksache 16/1069) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gleichstellung und Genderkompetenz als Erfolgsfak- tor für mehr Qualität und Innovation in der Wissenschaft (Drucksache 16/8753) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Evaluierungsbericht der Bundesregie- rung über die Erfahrungen und Ergeb- nisse mit der Regulierung durch das Energiewirtschaftsgesetz (Drucksache 16/6532) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der 16136 A 16138 C 16139 C 16140 C 16141 C 16142 A 16143 B 16144 B 16146 D 16147 C 16148 C 16149 B 16150 D 16150 D 16151 A 16151 A Fraktion der FDP: Für einen umfassen- den Schutz der europäischen Bürgerin- nen und Bürger bei der Verarbeitung ihrer Daten im Bereich der sogenannten dritten Säule der Europäischen Union (Drucksache 16/5473) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Weltnaturschutz- gipfel 2008 in Bonn – Biologische Viel- falt schützen, nachhaltig und gerecht nutzen (Drucksache 16/8756) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eigenverantwortung und klare Aufgabenteilung als Grundvorausset- zung einer effizienten Präventionsstra- tegie (Drucksache 16/8751) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- brücken), Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE: Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisie- rung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungsverhältnisse herstellen (Drucksache 16/8742) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Einheiten im Messwesen und des Eichge- setzes, zur Aufhebung des Zeitgesetzes, zur Änderung der Einheitenverordnung und zur Änderung der Sommerzeitverordnung (Drucksachen 16/8308, 16/8610) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD: Aktuelle Lage in Tibet . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16151 A 16151 B 16151 B 16151 B 16151 C 16151 D 16152 A 16153 B 16154 C 16155 C 16156 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 III Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozial- gesetzbuch – Verbesserung der Ausbil- dungschancen förderungsbedürftiger jun- ger Menschen (Drucksache 16/8718) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . Franz Romer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Conterganstiftungsgesetzes (Drucksache 16/8743) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Contergan- stiftungsgesetzes (Drucksache 16/8653) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 16158 A 16159 A 16160 A 16161 A 16162 A 16163 B 16164 A 16164 D 16165 A 16166 C 16167 C 16168 C 16169 C 16171 B 16172 A 16173 A 16174 A 16175 C 16176 C 16177 C 16177 D Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergan- geschädigten sicherstellen (Drucksache 16/8754) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für einen umfassen- den Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals (Drucksache 16/8748) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilse Falk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Blumenthal (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensät- zen zu Strafverfolgungszwecken (Drucksache 16/8115) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten (Drucksache 16/8199) . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . 16177 D 16178 A 16178 A 16179 B 16180 A 16181 B 16182 A 16183 B 16184 C 16185 D 16185 D 16186 A 16187 C 16188 D 16190 A 16191 B 16192 A IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 Tagesordnungspunkt 6: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemein- schaften (Drucksachen 16/7686, 16/8533) . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Helmut Lamp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Barbara Höll, Dr. Lothar Bisky, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE: Einkommensteuerta- rif gerecht gestalten – Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen umsetzen (Drucksachen 16/5277, 16/6799) . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Jugendschutzgeset- zes (Drucksache 16/8546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16192 D 16193 A 16194 A 16195 B 16196 D 16197 D 16199 A 16200 A 16200 C 16201 D 16202 A 16204 A 16204 D 16205 C 16207 A 16208 A 16209 A 16209 A 16210 B 16211 C 16212 B 16213 A 16214 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik – Von der Verpackungs- verordnung zur Wertstoffverordnung (Drucksache 16/8537) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehr- rechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2007 – WehrRÄndG 2007) (Drucksachen 16/7955, 16/8640) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Winfried Nachtwei, Grietje Bettin, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wehrpflichtige in Stu- dium und Ausbildung vollständig vor Einberufung schützen (Drucksachen 16/8044, 16/8640) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Finanzierungsberatung für Stu- dierwillige und Studierende (Drucksache 16/8196) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Förderung von Studierenden durch Aufbau eines nationalen Stipen- diensystems (Drucksache 16/8407) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE: Studienfinanzie- rung ausbauen – Soziale Hürden ab- bauen (Drucksache 16/8741) . . . . . . . . . . . . . . . 16214 D 16215 A 16216 A 0000 A16217 D 16219 A 16220 A 16221 A 16221 A 16221 C 16221 D 16221 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 V d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Auswirkungen von Studiengebühren evaluieren – Mo- nitoringsystem umgehend aufbauen (Drucksache 16/8749) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung: – zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entwicklungsorientierte Wirt- schaftspartnerschaften zwischen der EU und den AKP-Staaten – Chance für politische, wirtschaftliche und so- ziale Stabilität – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EU-AKP- Abkommen: Faire Handelspolitik statt Freihandelsdiktat – zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKP-Staaten ent- wicklungsfreundlich gestalten – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Vorschlag für eine Verord- nung des Rates mit Durchführungs- bestimmungen zu den Regelungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkom- men oder der zu Wirtschaftspartner- schaftsabkommen führenden Ab- kommen für Waren mit Ursprung in bestimmten Staaten, die zur Gruppe der Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) gehören KOM (2007) 717 endg.; Ratsdok. 14968/07 (Drucksachen 16/7487, 16/7473, 16/7469, 16/7575 Nr. 1.45, 16/8244) . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- 16222 A 16222 B trag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein Entwicklungspartnerschaftsab- kommen der Europäischen Union (EU) mit den Staaten der Afrika-, Karibik-, Pazifikgruppe (AKP) (Drucksachen 16/4055, 16/4839) . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (Drucksache 16/6379) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Für eine erfolgreiche Überprüfungs- konferenz des Chemiewaffenübereinkom- mens und eine Stärkung des Vertragsre- gimes (Drucksache 16/8755) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine umfas- sende Strategie zur demokratieverträgli- chen und zivilgesellschaftlichen Stabilisie- rung Pakistans (Drucksache 16/8752) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Keine U-Bootlieferung an Pakistan (Drucksache 16/5594) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16222 C 16222 D 16224 C 16225 C 16226 D 16227 B 16228 B 16229 D 16230 A 16231 A 16231 A 16231 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuausrichtung der Eu- ropäischen Stiftung für Berufsbildung (Drucksachen 16/8382, 16/8738) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Steuerverlagerung ins Aus- land verhindern (Drucksache 16/6451) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Krogmann, Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bellmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Dörmann, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Breitbandversorgung in ländlichen Räu- men schnell verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Joachim Otto (Frankfurt), Gudrun Kopp, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Datenbasis für flä- chendeckende Versorgung mit breitban- digem Internetzugang schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Lothar Bisky, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schnelles Internet für alle – Unternehmen zum Breitband- anschluss gesetzlich verpflichten – zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Aus- bau der Breitbandinfrastruktur flächen- deckend voranbringen (Drucksachen 16/8381, 16/7862, 16/8195, 16/8372, 16/8781) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16231 C 16232 A 16232 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und die Rechtsstellung seines Haupt- quartiers zwischen der Französischen Re- publik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spanien und dem Großherzogtum Luxem- burg (Straßburger Vertrag) (Drucksachen 16/8250, 16/8780) . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2007 – WehrRÄndG 2007) – Antrag: Wehrpflichtige in Studium und Ausbildung vollständig vor Einberufung schützen (Tagesordnungspunkt 10 a und b) Rolf Kramer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Finanzierungsberatung für Studierwillige und Studierende – Förderung von Studierenden durch Auf- bau eines nationalen Stipendiensystems – Studienfinanzierung ausbauen – Soziale Hürden abbauen – Auswirkungen von Studiengebühren eva- luieren – Monitoringsystem umgehend aufbauen (Tagesordnungspunkt 13 a bis d) Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 16233 A 16233 C 16235 A 16235 B 16236 D 16237 B 16238 C 16239 C 16240 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 VII Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (Tagesordnungspunkt 15) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Thießen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine erfolgreiche Überprü- fungskonferenz des Chemiewaffenüberein- kommens und eine Stärkung des Vertragsre- gimes (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Für eine umfassende Strategie zur demo- kratieverträglichen und zivilgesellschaftli- chen Stabilisierung Pakistans – Keine U-Bootlieferung an Pakistan (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkt 8) Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Johannes Pflug (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 16242 A 16243 A 16244 B 16246 C 16247 B 16248 B 16249 A 0000 A16249 C 16250 C 16251 A 16252 B 16254 A 16255 B 16256 C 16257 C 16259 A 16260 B 16261 A 16261 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufsbildung (Tagesordnungspunkt 16) Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Steuerverlagerung ins Ausland verhindern (Tagesordnungspunkt 21) Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Breitbandversorgung in ländlichen Räu- men schnell verbessern – Datenbasis für flächendeckende Versor- gung mit breitbandigem Internetzugang schaffen – Schnelles Internet für alle – Unternehmen zum Breitbandanschluss gesetzlich ver- pflichten – Den Ausbau der Breitbandinfrastruktur flächendeckend voranbringen (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU) . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . 16262 C 16264 A 16264 C 16265 B 16266 A 16266 D 16267 B 16268 B 16269 C 16271 C 16272 B 16273 A 16273 D 16275 A 16275 C 16276 D 16277 C VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Grietje Staffelt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäi- sche Korps und die Rechtsstellung seines Hauptquartiers zwischen der Französischen Republik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spanien und dem Großherzogtum Luxemburg (Straßburger Vertrag) (Tagesordnungspunkt 20) Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Höfer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16278 B 16278 D 16280 A 16280 D 16281 C 16282 C 16283 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16111 (A) (C) (B) (D) 154. Si Berlin, Donnerstag, Beginn: 1
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    1) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16235 (A) (C) (B) (D) Rolf Kramer (SPD): Der heute in zweiter und dritter Lesung zu beratende Gesetzentwurf eines Wehrrechts- Das bisherige, zeitraubende und kostenintensive Verfah- ren der Unabkömmlichstellung wird damit aufgegeben. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr- rechtlicher und anderer Vorschriften (Wehr- rechtsänderungsgesetz 2007 – WehrRÄndG 2007) – Antrag: Wehrpflichtige in Studium und Ausbildung vollständig vor Einberufung schützen (Tagesordnungspunkt 10 a und b) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Altmaier, Peter CDU/CSU 10.04.2008 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 10.04.2008 Bülow, Marco SPD 10.04.2008 Golze, Diana DIE LINKE 10.04.2008 Irber, Brunhilde SPD 10.04.2008 Kramme, Anette SPD 10.04.2008 Laurischk, Sibylle FDP 10.04.2008 Nitzsche, Henry fraktionslos 10.04.2008 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.04.2008 Roth (Heringen), Michael SPD 10.04.2008 Schily, Otto SPD 10.04.2008 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 10.04.2008 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 10.04.2008 Seehofer, Horst CDU/CSU 10.04.2008 Steinbach, Erika CDU/CSU 10.04.2008 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 10.04.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht änderungsgesetzes, hat – das zeigt schon die Jahreszahl 2007 in der Überschrift – eine lange Vorlaufzeit gehabt. Schon vor der Einbringung des Gesetzentwurfes im vergangenen Jahr in den Bundesrat gab es intensive Beratungen zwischen den Vertretern des Bundesvertei- digungsministeriums und den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen. So konnten vorab einige Unstim- migkeiten geklärt werden. Weitere Ergänzungen und Änderungen ergaben sich dann aus den intensiven Bera- tungen des Gesetzentwurfes im Bundesrat und in den Ausschüssen des Bundestages. Auf die einzelnen Punkte werde ich im Verlauf meiner Ausführungen noch einge- hen. Mit diesem Entwurf wird das Wehrrecht an die aktuell den Streitkräften gestellten Anforderungen angeglichen. So ist vorgesehen, dass Reservisten auf freiwilliger Ba- sis auch zu vorbereitenden Übungen einberufen und im Falle einer Katastrophe unverzüglich eingesetzt werden können sollen. Dies gilt ebenfalls für ihre Heranziehung zu humanitären Hilfsmaßnahmen der Streitkräfte außer- halb Deutschlands. Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland, zum Beispiel bei Flutkatastrophen oder Erdbe- ben, konnten Angehörige der Reserve bislang nur im Rahmen einer besonderen Auslandsverwendung oder im Rahmen einer Wehrübung einberufen werden. Die be- sondere Auslandsverwendung setzt aber einen vorheri- gen Beschluss der Bundesregierung voraus. Ist Eile ge- boten, kann dieser nicht in jedem Fall rechtzeitig erwirkt werden. Diese Lücke wird nunmehr in Anlehnung an die Bestimmungen für humanitäre Einsätze im Inland mit der vorgeschlagenen Regelung geschlossen. Eine weitere Neuregelung fällt in den Bereich des Bü- rokratieabbaus. Das bisher zeitaufwendige Verfahren der Unabkömmlichstellung von Wehrpflichtigen wird in Friedenszeiten durch einen neuen Zurückstellungstatbe- stand vereinfacht. Die Anwendung der Unabkömmlich- stellungsverordnung wird auf den Spannungs- und Ver- teidigungsfall beschränkt. Die bisherige Rechtslage sieht zwei Verfahren zur Feststellung vor, ob ein Wehrpflichti- ger in einem Betrieb oder einer Behörde zum Zeitpunkt des Wehrdienstes unentbehrlich ist: Handelt es sich um den eigenen Betrieb des Wehrpflichtigen oder den seiner Eltern, entscheidet das Kreiswehrersatzamt auf Antrag des Wehrpflichtigen in Form eines Verwaltungsakts. Handelt es sich um einen „fremden“ Betrieb oder steht der Wehrpflichtige in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- verhältnis, entscheidet das Kreiswehrersatzamt auf Vor- schlag der zuständigen Behörde in einem behördeninter- nen Verfahren, an dem der Wehrpflichtige nicht beteiligt ist. Die Entscheidung des Kreiswehrersatzamtes ist nicht justiziabel. Diese verfahrensrechtliche „Zweigleisigkeit“ ist im Frieden sachlich nicht mehr begründbar. Durch die Schaffung eines neuen Zurückstellungstatbestandes ent- scheiden die Wehrersatzbehörden künftig im Frieden in allen Fällen betrieblicher oder behördlicher Unentbehr- lichkeit eines Wehrpflichtigen durch Verwaltungsakt 16236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Nur für den Spannungs- und Verteidigungsfall bleibt die Möglichkeit des bisherigen Verfahrens bestehen. Diese Neuregelung wird für die Betriebe und Behörden sowie die Wehrpflichtigen eine erhebliche Vereinfachung mit sich bringen. Auch beim Rechtsschutz der Soldatinnen und Soldaten gibt es weitere Verbesserungen. Er wird verfahrensmäßig an die allgemein gegebenen Rechtsbehelfsmöglichkeiten angepasst. So wird zum Beispiel die Frist zur Einlegung der Beschwerde sowie der weiteren Beschwerde von zwei Wochen auf einen Monat verlängert. Im Fall der Verhinderung durch unabwendbare Ereignisse soll die Einlegung der Beschwerde künftig bis zu zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses – anstatt bisher innerhalb von drei Tagen – zulässig sein. Damit trägt die Neurege- lung auch den besonderen Erfordernissen der Auslands- einsätze der Bundeswehr Rechnung. Diese von der Bundesregierung vorgeschlagenen Neuregelungen und noch einige weitere Detailregelun- gen waren zwischen dem Verteidigungsministerium und den Koalitionsfraktionen unstrittig und von den Verteidi- gungspolitikern auch als notwendig erachtet worden. In- sofern hätte dieses Gesetz ohne Veränderungen verab- schiedet werden können. Dass dem nicht so ist, liegt an den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verände- rungen bei den Zurückstellungstatbeständen. Hier mel- deten die Verteidigungs- und Bildungspolitiker beider Koalitionsfraktionen Änderungsbedarf an. Auch der Bundesrat mahnte in seiner Stellungnahme vom 11. Mai letzten Jahres, die auf der Basis eines Antrages aus Bay- ern beschlossen worden war, Änderungen an. Der Änderungsbedarf betraf insbesondere die geplante Neuregelung der Einberufungspraxis für Studierende in sogenannten dualen Studiengängen. Die von der Bundes- regierung in der ursprünglichen Gesetzesbegründung an- geführte Gleichbehandlung mit „normalen“ Studierenden greift aus unserer Sicht gerade hier nicht. Die enge Ver- netzung von Studium und Ausbildung rechtfertigt es, diese Studierenden wie Auszubildende zu behandeln, so- dass sie ihre Ausbildung insgesamt nicht unterbrechen müssen. Der Bundesrat hat dies in seiner Stellungnahme zu diesem Punkt aus unserer Sicht schlüssig begründet. Insofern war es zu begrüßen, dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung diesen Punkt positiv aufgriff und in Ihrem Änderungsvorschlag zum Teil umsetzte. Die Ko- alitionsfraktionen haben diesen Vorschlag in ihrem Ände- rungsantrag zum dualen Studium aufgegriffen. Ich möchte hier nicht verhehlen, dass wir Sozialde- mokraten uns eine weitergehende Regelung hinsichtlich des dualen Studiums im Sinne der Stellungnahme des Bundesrates gewünscht hätten. Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom Oktober letzten Jahres denke ich jedoch, dass ein umsetzbarer Kompromiss erreicht worden ist, der den Besonderhei- ten dieses Studiengangs entgegenkommt. Positiv ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass sich die Bundesregierung mit der Zuordnung der Ausbildung an Berufsakademien zur beruflichen Ausbil- dung über die gängige Rechtsprechung, die die Berufs- akademieausbildung nicht als berufliche Ausbildung, sondern als Studium wertet, hinwegsetzt. Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre es aus Sicht der SPD-Bundes- tagsfraktion sogar besser gewesen, diese Ausnahmerege- lung für die Berufsakademien in den Gesetzestext zu übernehmen und nicht nur in der Begründung zu belas- sen. Dies gilt auch für einen weiteren Punkt, die Berück- sichtigung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge. Wir begrüßen, dass in der Gesetzesbegründung diese Studiengänge als zusammenhängender Ausbildungsab- schnitt behandelt werden. Damit bleibt es bei der Rege- lung, dass während eines Studiums allgemein nur vor Beginn des dritten Fachsemester einberufen werden kann. Eine Übernahme in den Gesetzestext, wie es in der Stellungnahme des Bundesrates vorgeschlagen wurde, wäre aus unserer Sicht allerdings der bessere Weg gewe- sen. Ich hoffe sehr, dass die Bundeswehrverwaltung bei ihren Entscheidungen nicht nur in den Gesetzestext schaut, sondern auch die Begründung des Gesetzgebers zur Hand nimmt. Ein weiterer Punkt war insbesondere den Bildungs- politikern der Koalitionsfraktionen wichtig; ihrer Argu- mentation konnten wir Verteidigungspolitiker uns nicht entziehen. Durch den von CDU/CSU und SPD einge- brachten Änderungsantrag wird auch künftig sicherge- stellt sein, dass junge Männer, die einen Aufstiegsfort- bildungsgang begonnen haben, ebenfalls nicht mehr einberufen werden können. Der Regierungsentwurf war hier mehrdeutig und hätte im Zweifel dazu geführt, dass junge Männer in Meister-, Techniker- oder Fachwirte- ausbildungsgängen einberufen worden wären. Mit der gefundenen Formulierung im Gesetzestext sowie der er- läuternden Begründung ist hier aus meiner Sicht eine gute Lösung gefunden worden. Auch wenn nicht alle Wünsche der Bildungspolitiker erfüllt werden konnten: Insgesamt ist ein Kompromiss erzielt worden, der Bildungsinteressen und wehrpoliti- sche Interessen besser aufeinander abstimmt. Im Zweifel sollte aus unserer Sicht aber auch in Zukunft gelten, dass Ausbildungsinteressen Vorrang behalten. In diesem Zu- sammenhang bedanke ich mich hier ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen bei- der Fraktionen. Dieser heute zu verabschiedende Gesetzentwurf ist ein gutes Beispiel für das Struck’sche Gesetz, dass eben kein Gesetz unverändert aus den Beratungen des Parla- mentes herauskommt. Die SPD-Fraktion stimmt der Be- schlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu. Birgit Homburger (FDP): Der vorliegende Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes zeigt erneut, dass die Wehrpflicht in ihrer Ausgestaltung problembehaftet ist. Durch den Gesetzentwurf wird zunächst einmal ein Großteil der wehrrechtlichen Anpassungen umgesetzt, die durch den Transformationsprozess der Bundeswehr notwendig geworden sind; er ist somit logische und zwingende Folge dieser noch nicht abgeschlossenen Umstrukturierung. Auch die Änderungen der Zurück- stellungsregelungen im Wehrpflichtgesetz, speziell für Studierende dualer Studiengänge sowie für Masterstu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16237 (A) (C) (B) (D) dierende und Absolventen von Meister- bzw. Techniker- kursen, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Hier werden mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz in der jetzt vorliegenden Form Verbesserungen herbeigeführt. Allerdings ist das Problem der Zurückstellung von Studierenden und Auszubildenden auch mit diesen Neu- regelungen immer noch nicht stringent gelöst. Schon aus diesem Grunde werden viele jener Probleme weiter be- stehen bleiben, die regelmäßig von Wehrpflichtigen, die vor ihrer Einberufung stehen, an mich herangetragen werden. Des Weiteren müssen die im Gesetzentwurf enthalte- nen Änderungen auch vernünftig umgesetzt werden; denn vielfach ist es die Umsetzung der gesetzlichen Re- gelungen, die zu Missmut und Frustration bei den Wehr- pflichtigen führt. Jungen Männern, die bereit sind, ihren Wehrdienst abzuleisten, dürfen nicht auch noch durch eine miserable Organisation bei der Einberufungspraxis Nachteile entstehen. Immer wieder erreichen mich – und ich denke, das geht vielen von uns Bundestagsabgeord- neten so – Zuschriften von jungen Männern, die sich an uns wenden, da sie durch die Einberufung aus einem Ar- beitsverhältnis gerissen werden oder dieses nicht einge- hen können. Bedenken Sie nur, dass 60 Prozent aller tauglichen jungen Männer weder Wehr- noch Ersatz- dienst leisten. Angesichts der bekanntermaßen ange- spannten Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es bedenklich, wenn man ausgerechnet denjenigen, die bereits in Lohn und Brot stehen, ihre Arbeit durch einen Pflichtdienst nimmt, der sicherheitspolitisch absolut nicht mehr ge- rechtfertigt ist. Mir wurde kürzlich ein Fall von einem jungen Mann geschildert, der drei Tage nach seiner Einberufung zur Bundeswehr ausgemustert wurde. Sein Arbeitsplatz wurde vom Betrieb anderweitig besetzt, er ist seither ar- beitslos. Nun könnte der Verteidigungsminister einwen- den, dass nach den bestehenden Regelungen im Arbeits- platzschutzgesetz der Arbeitsplatz bei einer Einberufung geschützt sei. Doch was bliebe dem Wehrpflichtigen? Er müsste den Betrieb verklagen, in dem er eigentlich ar- beiten will. Der Betrieb hingegen ist vielleicht auf jede Hand angewiesen und kann sich das Freihalten des Ar- beitsplatzes für neun Monate nicht erlauben. Sie sehen, in welche Situation junge Männer und ins- besondere kleine und mittelständische Betriebe durch ei- nen Pflichtdienst gebracht werden, der absolut nicht mehr erforderlich ist. Der Bundesminister der Verteidi- gung muss endlich der Realität ins Auge blicken, auch wenn das für ihn sicherlich unbequem ist. Die Wehr- pflicht ist sicherheitspolitisch nicht mehr zu rechtferti- gen und auch gesellschaftspolitisch überholt, von der mangelnden Wehrgerechtigkeit ganz zu schweigen. Es ist daher höchste Zeit, die Wehrpflicht endlich auszuset- zen. Ein entsprechender Antrag der FDP-Bundestags- fraktion liegt dem Deutschen Bundestag vor. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Das Wehrrechts- änderungsgesetz nimmt an nicht weniger als 13 Geset- zen und Verordnungen Änderungen vor. Sicherlich sind einige dieser Anpassungen notwendig und wünschens- wert, und es ist bezeichnend, dass die Bundesregierung so lange brauchte, offensichtliche Defizite zu korrigie- ren. Andere Anpassungen atmen den „Geist der Zeit“ und sind geprägt von dem Vorhaben, das Aufgabenspek- trum der Bundeswehr zu erweitern und die Bundeswehr weiter zu einer Interventionsarmee umzubauen. Wie schon die laufenden Auslandseinsätze der Bun- deswehr zeigen, allen voran in Afghanistan, gibt es ein Interesse in der Bundeswehr, zunehmend Reservisten für gewisse Aufgaben im Ausland einzusetzen – zur Entlas- tung der kämpfenden Einheiten und zur Verbesserung der CIMIC-Arbeit vor Ort. Was bei Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit weitestgehend problemlos möglich ist, gilt so nicht für die nur gedienten Wehrpflichtigen. Der Einsatz dieser Reservisten war bislang nur im Inland vorgesehen (§ 6 c WpflG). Nun soll mit dem neuen § 6 d des Wehrpflichtgesetzes auch der Einsatz von Reservis- ten im Rahmen von humanitären Hilfeleistungen im Ausland ermöglicht werden. Anders als beim Pendant § 6 c, der den Einsatz im Inland regelt, fehlt bei dem neuen § 6 d ein direkter Bezug auf das Grundgesetz aus dem einfachen Grund, weil das Grundgesetz keinen sol- chen Einsatz der Bundeswehr im Ausland vorsieht! Die Regierung ist bislang jegliche Begründung für diese ziel- gerichtete Ausweitung des Aufgabenspektrums und da- mit auch Konkurrenz zu zivilen Behörden, wie dem THW, in dessen originären Aufgabenbereich zivile Hil- feleistungen im Ausland fallen, schuldig geblieben. Insbesondere bei den Änderungen im Wehrpflichtge- setz zeigt sich erneut, wie stark die Wehrpflichtigen nach wie vor als simple einfache Verfügungsmasse angesehen werden. Die Bundeswehr braucht die Wehrpflichtigen nicht für irgendwelche militärischen Aufgaben mit ei- nem direkten Bezug zur Landesverteidigung, dazu reicht die Ausbildungszeit gar nicht. Einfache Dienste wie Fahrzeugfahren oder die Bedienung in Offiziersheimen – euphemistisch Stabsdienst genannt – sollen sie leisten. Diese müssen ja schließlich auch gemacht werden, sagen die Offiziere. Hierfür werden gerne 14 Prozent der Dienstposten reserviert. Die Bundeswehr braucht die Wehrpflichtigen also gar nicht, will aber um jeden Preis die Möglichkeit behalten, junge Männer zum Grundwehrdienst zu zwingen. Statt einen Schlussstrich unter dieses fatale System zu ziehen und die Wehrpflicht abzuschaffen, findet sich im Wehr- rechtsänderungsgesetz nur die Fortsetzung des gewohn- ten Stückwerks, zulasten der Wehrpflichtigen. Die Wehrpflicht ist ein schwerwiegender Eingriff in die Lebensplanung der Betroffenen, die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist alles andere als rosig. In Zukunft will das Verteidigungsministerium selbst die Unabkömmlich- keitsstellung von Wehrpflichtigen für Kleinst- und Fami- lienbetriebe nur befristet aussprechen. Auch wer einen befristeten Arbeitsvertrag hat, hat keinen Anspruch auf Zurückstellung bis zur Erfüllung der Arbeitsverträge. Nach wie vor werden die Auszubildenden in dualen Stu- diengängen gravierend benachteiligt. Ihnen droht trotz gültiger Ausbildungsverträge eine Einberufung, falls sie nicht drei Monate nach der Ausbildung ihr Studium be- ginnen. Und schließlich wurde darauf verzichtet, dem 16238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Vorschlag des Bundesrats zu folgen und den Studieren- den in Masterstudiengängen einen eindeutigen Rechts- anspruch auf Zurückstellung zu geben. Das vorliegende Sammelsurium markiert erneut eine verpasste Gelegenheit, die Geschäftsgrundlagen der Bundeswehr klar und deutlich zu formulieren. Einigen längst überfälligen relativen Verbesserungen stehen ge- radezu dogmatische Schwächen gegenüber: Wir brau- chen nicht mehr Reservisten im Ausland, wir brauchen nicht mehr die Wehrpflicht. Aber auch im Kleinen zeigt sich die Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit. Das Wehrrechtsänderungsge- setz versucht sich an einer Reform der Wehrbeschwerde- ordnung und der Wehrdisziplinarordnung – zwei Doku- mente, deren genaues Studium jedem zu empfehlen ist, der glaubt, in Deutschland gäbe es nur eine grundle- gende Rechts- und Gesetzesordnung. Nach nur 50 Jah- ren wird jetzt die bei zivilen Verfahren übliche „auf- schiebende Wirkung“ von Beschwerden zugelassen und die entsprechende Frist verlängert. Bezeichnenderweise gilt dies allerdings nur für Verwaltungsangelegenheiten und nicht für truppendienstliche Maßnahmen, wie zum Beispiel Disziplinarstrafen. Nicht geändert wurden die Bestimmungen zur Verhängung des Disziplinararrests – einer sogenannten einfachen Maßnahme. Der Diszipli- narvorgesetzte beantragt den Arrest, der Truppendienst- richter kann dem ohne Begründung und ohne Verhand- lung zustimmen. Legt der Betroffene eine Beschwerde ein, entscheidet das gleiche Truppendienstgericht über die Zulässigkeit der Beschwerde. Solche freiheitseinschränkenden oder -entziehenden Bestrafungen von Soldaten in Form von Ausgangsbe- schränkungen und Disziplinararrest unterliegen keinem Verfahren, welches rechtsstaatlichen Ansprüchen ge- nügt. Wohin das führen kann, zeigte im letzten Jahr der Fall des Totalverweigerers Moritz Kagelmann, der allein aufgrund der Entscheidungen des Disziplinarvorgesetz- ten und dem Truppendienstrichter mehr als 50 Tage in Einzelhaft gesessen hat, mit willkürlich eingeschränk- tem Besuchsmöglichkeiten und nur einer Stunde Hof- gang. Daher muss die gesamte Wehrrechtsordnung einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Ohne Zweifel bedürfen viele der Gesetze und Verord- nungen des Wehrrechts einer Änderung, Ergänzung – oder im Fall des Wehrpflichtgesetzes der einfachen Ab- schaffung. Wenn schon, dann hätte die Bundesregierung tatsächlich Fortschrittlichkeit demonstrieren können, zum Beispiel indem endlich die Bestimmungen des Fa- kultativprotokolls zu Kindersoldaten eins zu eins im Wehrpflichtgesetz und Soldatengesetz verankert wird. Nach wie vor kann die Bundeswehr Minderjährige ein- berufen. Und obwohl das Fakultativprotokoll vorsieht, dass in einem solchen Fall die Einziehung wenigstens nur freiwillig erfolgen darf und nur mit Zustimmung bei- der gesetzlicher Vertreter, kann die Musterung als erster Schritt gegen den Willen des Wehrpflichtigen und auch ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter erfolgen. Es findet keine ausreichende Prüfung der Freiwilligkeit der Entscheidung des Wehrpflichtigen statt. Außerdem fehlt bislang eine gesetzliche Garantie, dass Minderjäh- rige nicht an kämpferischen Auseinandersetzungen be- teiligt werden. Der Entwurf des vorliegenden Wehrrechtsänderungs- gesetzes ist unter dem Strich alles andere als fortschritt- lich und positiv zu bewerten. Erneut wurde eine Chance verpasst, Missstände in der Bundeswehr zu korrigieren. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das von der Bundesregierung vorgelegte Wehrrechts- änderungsgesetz soll wehrrechtliche Vorschriften, die Wehrpflichtigen oder Dritten Einschränkungen oder Er- schwernisse aufbürden, kritisch hinterfragen und an die geänderten sicherheitspolitischen Anforderungen oder Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt anpassen. Dieser Anspruch ist anerkennenswert. Einzelne Regelungen im Gesetzesentwurf, wie die Stärkung des Rechtsschutzes für Bundeswehrsoldaten oder die Verbesserung der Berufsförderung für Unter- offiziere des Militärmusikdienstes, sind richtig. Dass die im ursprünglichen Gesetzesentwurf von der Bundes- regierung geplanten massiven Verschlechterungen für Wehrpflichtige, die sich im Studium oder in der Ausbil- dung befinden, auf Druck aus Verbänden, den Kirchen und der Wirtschaft, aber auch von uns Grünen nun mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen teilweise zurückgeholt werden sollen, ist dringend notwendig. An- ders als ursprünglich von der Bundesregierung geplant, sollen nun doch Wehrpflichtige in Meister-, Fachwirt- und Technikerausbildungen mit Auszubildenden gleich- gestellt und vor Einberufung geschützt werden. Auch der geplanten Einberufung von Wehrpflichtigen wäh- rend ihres Masterstudiums wurde ein Riegel vorgescho- ben. Bachelor- und Masterstudiengänge sollen nun doch als Einheit betrachtet werden. Diese Änderungen sind aber längst nicht ausreichend. Vor allem für Absolventen dualer Studiengänge, einer Kombination von Studium und betrieblicher Ausbil- dung, soll es bei nicht hinzunehmenden Nachteilen blei- ben. Wehrpflichtige in dualen Studiengängen sollen nur dann vor Einberufung geschützt werden, wenn sie ihr Studium spätestens drei Monate nach Beginn der be- trieblichen Ausbildung aufgenommen haben. Diese Re- gelung steht in völligem Gegensatz zu den Anforderun- gen eines dualen Studiums. Es bleibt ausgeklammert, dass ein duales Studium auch eine betriebliche Ausbil- dung einschließt. Zudem werden vor allem diejenigen dualen Studiengänge benachteiligt, die mit einem länge- ren Praxisanteil beginnen. Nicht zu vergessen, dass dadurch Betriebe, die diese anspruchsvollen Ausbil- dungsmöglichkeiten anbieten, massiv bestraft und abge- schreckt werden. Angesichts des massiven Fachkräfte- mangels und den wohlfeilen Reden der Bundesregierung über bessere Ausbildungs- und Bildungsmöglichkeiten in Deutschland ist das geradezu ein Offenbarungseid. Sehr nachvollziehbar kritisieren daher Unternehmen und Verbände den Gesetzesentwurf der Bundesregierung und erwarten eine völlige Gleichstellung von Absolventen dualer Studiengänge mit Auszubildenden. Sie befürchten zu Recht, dass sie sonst ihre Auszubildenden mit der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16239 (A) (C) (B) (D) Einberufung zum Wehrdienst mitten in der Ausbildung bzw. gleich zu Beginn der Ausbildung verlieren könnten. Wir Grünen werden deshalb auch dem geänderten Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht zustimmen. In unserem Antrag „Wehrpflichtige in Studium und Aus- bildung vollständig vor Einberufung schützen“ fordern wir die Bundesregierung auf, künftig alle Studenten und Auszubildenden uneingeschränkt vor der Einberufung zum Wehr- oder Zivildienst zu schützen. Wir wollen, dass der Schutz vor Einberufung von dem Tag an gilt, an dem ein Wehrpflichtiger sein zulassungsfreies Studium aufgenommen oder ihm ein zulassungsbeschränkter Stu- diumsplatz oder ein Ausbildungsplatz verbindlich zuge- sichert wurde. Ausbildungs- und Bildungsinteressen dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern müssen tatsächlich auch Vorrang haben. Wir werden dem Gesetzesentwurf der Bundesregie- rung aber auch aus einem zweiten Grund nicht zustim- men: Wir halten den Umgang der Großen Koalition mit der Wehrpflichtfrage weder für die von der Wehrpflicht betroffenen jungen Männer noch für die Bundeswehr für politisch verantwortbar. Wenn binnen fünf Jahren die Untauglichkeitsquote von 17 Prozent auf 45 Prozent hochschnellt, dann wird die Tauglichkeitsprüfung zu ei- nem Scheunentor der Manipulation: So wird künstlich der Anteil der für den Wehrdienst zur Verfügung stehen- den jungen Männern kleingerechnet, um den Anschein von Wehrgerechtigkeit zu simulieren. In Wirklichkeit verstößt die reale Restwehrpflicht massiv gegen die Vor- gabe des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Wehr- pflicht eine gleich belastende Pflicht sein muss. Wo sich die Wehrpflichtrealität auf so dünnem verfas- sungsrechtlichem Eis bewegt, wo die Wehrpflichtigen für die Bundeswehr mehr Lasten als Nutzen sind und ihr Beitrag zur Integration der Streitkräfte in die Gesell- schaft marginal ist, da ist der Abschied von der Wehr- pflicht überfällig. Der verantwortliche Ausstieg aus der Wehrpflicht darf nicht länger auf die lange Bank gescho- ben werden. Bereits das Urteil des Verwaltungsgerichtes Köln vom 21. April 2004 hat bestätigt, dass längst nicht mehr der überwiegende Teil der Wehrpflichtigen einberufen, die neue Einberufungspraxis willkürlich und gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Wehrgerechtigkeit verstoße. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil revidiert, aber vom Gesetzgeber gefordert, die Tauglichkeitskriterien neu zu regeln. Dieser Forderung ist die damalige rot-grüne Bundesregierung mit der Än- derung des Zivildienstgesetztes nachgekommen, indem sie die Tauglichkeitskriterien nach oben geschraubt hat. Seitdem werden nur noch T1- und T2-Gemusterte einge- zogen. Quantitativ wurde damit der Grundrechtseingriff der Wehrpflicht zwar relativiert, gleichzeitig aber dieje- nigen, die ihren Wehrdienst ableisten müssen, doppelt bestraft. Mit dieser krassen Wehrungerechtigkeit muss endlich Schluss sein. Hier helfen auch keine ideologi- schen Bekenntnisse zur Wehrpflicht. Wehrgerechtigkeit lässt sich angesichts der neuen Aufgaben der Bundes- wehr und damit verbunden eines massiv gesunkenen Be- darfes an Grundwehrdienstleistenden auch in absehbarer Zukunft nicht herstellen. Unsinnig und kontraproduktiv sind Überlegungen wie die von der CSU zu einer Gemeinschaftsdienstpflicht. Sowohl das Grundgesetz als auch die allgemeine Erklä- rung der Menschenrechte und der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbieten eine allgemeine Dienstpflicht. Es muss endlich Schluss sein mit jeder Art von Zwangsdiensten. Wer richtigerweise junge Menschen für die Bundeswehr „gewinnen und nicht kaufen“ will und an einem möglichst hohen Aus- tausch zwischen Bundeswehr und Gesellschaft interes- siert ist, sollte sich endlich auf unseren Vorschlag eines freiwilligen, flexiblen und attraktiven Kurzdienstes für Männer und Frauen einlassen. Damit ließe sich der Übergang von der Wehrpflicht- hin zu einer Freiwilli- genarmee verantwortlich gestalten – zum Vorteil aller Beteiligten. Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- gung: Mit dem Ihnen jetzt vorliegenden Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes wird dem Anpassungs- und Änderungsbedarf bei einer ganzen Reihe wehrrecht- licher und sachlich verwandter Gesetze entsprochen. Vorrangig zu nennen sind das Wehrpflichtgesetz, das Soldatengesetz, die Wehrbeschwerdeordnung, die Wehr- disziplinarordnung und das Zivildienstgesetz. Es zeigt sich, dass der eingeleitete und weiter fortzu- setzende Transformationsprozess der Bundeswehr vor dem Wehrrecht nicht halt macht. Daher gilt es, auch in diesem – für rechtsstaatlich eingebundene Streitkräfte wichtigen – Gebiet, die erforderlichen Anpassungen an die aktuellen Anforderungen vorzunehmen. Dem Entwurf kommt aus drei Gründen eine beson- dere Bedeutung für die Bundeswehr zu. Erstens, Stär- kung des Rechtsschutzes von Soldatinnen und Soldaten: Wehrbeschwerdeordnung und Wehrdisziplinarordnung haben sich im Grundsatz für den Rechtsschutz der Sol- daten gut bewährt. Sie werden aber verfahrensrechtlich modernisiert. Beispiele sind die Verlängerung der Be- schwerdefrist, die Einführung einer Rechtsbeschwerde, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Diszipli- nargerichtsbescheides und die grundsätzliche Einfüh- rung der aufschiebenden Wirkung von Verwaltungsbe- schwerden. Dies hat für unsere Soldaten erhebliche Bedeutung und wird von ihnen auch als Ausdruck prak- tischer Fortentwicklung im Bereich der Inneren Führung wahrgenommen. Zweitens, Verbesserungen für den Dienst von Reser- visten: Die Regelungen für die Einsätze von Reservisten im Inland werden an die neu strukturierte zivil-militäri- sche Zusammenarbeit angepasst und um die Möglichkeit vorbereitender Übungen erweitert. Weiterhin sieht der Entwurf die vereinfachte Heranziehung von Reservisten für humanitäre Hilfeleistungen im Ausland vor. Hier- durch wird nicht nur die Flexibilität der Bundeswehr ge- stärkt, sondern auch die Attraktivität für Reservisten er- heblich gesteigert. 16240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Drittens, Entbürokratisierung: Durch die Klarstellung und Streichung entbehrlich gewordener Vorschriften trägt der Gesetzentwurf zum allgemeinen Ziel der Ent- bürokratisierung und besseren Rechtsetzung bei. Damit wird nicht zuletzt auch die Akzeptanz des Wehrdienstes und der Wehrpflicht gesteigert, indem Belastungen für Wehrpflichtige und Arbeitgeber beseitigt werden. Ich freue mich daher, dass es – zugegebenermaßen nach relativ langen und nicht immer ganz einfachen poli- tischen Diskussionen – gelungen ist, einen ausgewoge- nen und zielführenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. Den Hinweis auf die intensiven Diskussionen will ich dabei keinesfalls als Kritik verstanden wissen. Wenn Parla- ment und Regierung es sich bei wehrrechtlichen Gesetz- gebungsvorhaben nicht leicht machen, ist das vielmehr ein gutes Zeichen und zeigt den hohen Stellenwert, den unsere Bundeswehr genießt. Ich nutze an dieser Stelle erneut die Gelegenheit, klar- zustellen: Die Bundesregierung bekennt sich vorbehalt- los zur allgemeinen Wehrpflicht als der für unser Land richtigen und zukunftsweisenden Wehrform. Es ist daher gleichermaßen konsequent, auf der einen Seite Verbesse- rungen bei der rechtlichen Ausgestaltung der Wehr- pflicht einzuführen, wie es andererseits keine Regelun- gen geben kann, die die Wehrpflicht selbst infrage stellen oder gezielt Schlupflöcher für diejenigen eröff- nen, die sich ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht auf be- queme Art und Weise entziehen wollen. Vor ziemlich genau vier Wochen haben wir an dieser Stelle die Erhöhung des Wehrsoldes beschlossen – eine deutliche Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes. Die wehrpflichtrechtlichen Regelungen des jetzigen Entwurfs zielen in dieselbe Richtung, auch wenn sie sich weniger auf den Wehrdienst als solchen, sondern mehr auf die Rechtsstellung der Wehrpflichti- gen beziehen. Grundsätzlich bleibt es dabei, dass der Wehrdienst vor der Aufnahme eines Studiums abzuleisten ist. Erst ab dem dritten Semester kann eine Zurückstellung erfol- gen, die dann aber auch eine Einberufung bis zum 25. Lebensjahr ermöglicht. Für die Umstellung des Hochschulstudiums auf den Bachelor-/Masterabschluss haben wir hier eine angemessene und den Wehrpflichti- gen entgegenkommende Regelung gefunden. Ab dem dritten Semester wird in der Regel einem Zurückstel- lungsantrag bis zum Abschluss des Bachelor entspro- chen. Folgt das Masterstudium unmittelbar dem Bache- lorabschluss und baut es inhaltlich darauf auf, so kann eine weitere Zurückstellung bis zu dessen Abschluss be- antragt werden. Auch für diejenigen Wehrpflichtigen, die einen soge- nannten dualen Studiengang aufnehmen, der universitäre und praktische Ausbildung miteinander verknüpft, ent- hält der Entwurf erhebliche Verbesserungen. Sie wissen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung einen dualen Studiengang wie ein klassisches Hochschulstudium qua- lifiziert mit der Folge, dass bislang eine Rückstellung erst ab Erreichen des dritten Semesters beansprucht wer- den kann. Mit der jetzt vorgesehenen Regelung ist unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Zurückstellung bereits mit dem Beginn des dualen Ausbildungsganges möglich. Weitergehende Regelungen sind aber nicht mehr möglich, da sonst wegen der unbestimmten Dauer von Studiengängen viele überhaupt nicht mehr zum Wehrdienst einberufen werden können. Dies liefe auf eine nicht zu rechtfertigende Privilegierung von Studie- renden hinaus, was sich schon aus Gründen allgemeiner Gerechtigkeit verbietet. Der vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis inten- siver und umfassender Erörterungen. Mit ihm wird ein meines Erachtens ausgewogener und begründeter Aus- gleich zwischen unterschiedlichen Schwerpunktsetzun- gen und Interessenlagen erreicht. Ich möchte an dieser Stelle nochmals den Fachleuten der Bundestagsfraktio- nen für die konstruktive Zusammenarbeit danken. Der Gesetzentwurf stellt jetzt eine gute Grundlage für eine breite parlamentarische Zustimmung dar, um die ich Sie bitte. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Finanzierungsberatung für Studierwillige und Studierende – Förderung von Studierenden durch Aufbau eines nationalen Stipendiensystems – Studienfinanzierung ausbauen – Soziale Hür- den abbauen – Auswirkungen von Studiengebühren eva- luieren – Monitoringsystem umgehend auf- bauen (Tagesordnungspunkt 13 a bis d) Marion Seib (CDU/CSU): Wir sind uns alle einig, dass das deutsche Hochschulwesen international wettbe- werbsfähiger gemacht werden muss. Reformen sind not- wendig; auch darin sind wir uns einig. Dass dafür auch finanzielle Mittel bereitgestellt werden müssen, versteht sich von selbst. Andernfalls wird sich eine Verbesserung der Situation im Bereich Forschung und Lehre nicht ein- stellen. Wir müssen darüber reden, wie wir es schaffen, mög- lichst noch mehr jungen Menschen aus bürgerlichen, mittelständischen Familien ein Studium finanziell zu er- möglichen. In Deutschland werden laut Deutschem Stu- dentenwerk rund 2 Prozent der Studierenden durch ein Stipendium gefördert. Berücksichtigt man nun, dass etwa 3 Prozent der Kinder eines jeden Jahrgangs hoch- begabt sind, ist die Begabten- und Nachwuchsförderung in Deutschland noch nicht dort, wo sie sein könnte. Aber wir arbeiten daran. Immerhin sind wir uns einig, dass der Anteil der Geförderten auf 10 Prozent erhöht werden soll. Die Förderung von Studierenden ist ein wichtiges Element zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Die durch die Begabtenförderung bereit- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16241 (A) (C) (B) (D) gestellten Mittel sind von 80,5 auf 113 Millionen Euro gestiegen, und sie werden bis zum Ende der Legislatur- periode kontinuierlich weitersteigen. Im Rahmen der Qualifizierungsinitiative wird beson- ders Begabten aus der beruflichen Bildung durch die Ge- währung von Aufstiegsstipendien ein Hochschulstudium erleichtert, und natürlich werden mit dem seit 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 22. Gesetz zur Änderung des BAföG ab dem Wintersemester 2008/2009 der Bedarfs- satz um 10 Prozent, die Freibeträge für das anrechenbare Einkommen um 8 Prozent angehoben. Damit wurde der Kreis der Geförderten erheblich er- weitert. Dies wird voraussichtlich zu einer Steigerung von 18 Prozent führen. Außerdem verweise ich auf den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative, die ebenfalls die strukturellen und finanziellen Bedingungen für Studierende verbes- sern sollen. Das zeigt, dass die Chancengleichheit für Studierende aus den sozialen Herkunftsgruppen mit mittleren und niedrigen Einkommen eine gewisse Priorität im Ausbil- dungsförderungsrecht besitzt. Den Weg, wie ihn die FDP in ihrem Antrag „Förde- rung von Studierenden durch Aufbau eines nationalen Stipendiensystems“ vorschlägt, halte ich allerdings für nicht ausreichend durchdacht. Grundsätzlich begrüße ich den Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen, die Wirtschaft zur Unterstützung von Studierenden stärker in die Pflicht zu nehmen und Anreize zur Vergabe von Stipendien zu schaffen. Von den knapp 2 Prozent Stipendieninhabern werden nur rund 900 durch die Stiftung der Deutschen Wirt- schaft finanziert. Immerhin sind es ja auch die Unterneh- men, die den Fachkräftemangel beklagen. Im Bereich Stipendien kann die deutsche Wirtschaft im internationa- len Vergleich in der Tat noch aufholen. Zustiftungen an die Stiftung der Deutschen Wirtschaft oder auch an die Studienstiftung des deutschen Volkes sind jederzeit möglich und willkommen. Dies wird sicher auch der Imagepflege als gesuchter Arbeitgeber dienen. Insofern stehen einer weiteren Harmonisierung und Erweiterung des Stipendienwesens die Türen offen. Die weitaus meisten Jugendlichen in Deutschland – rund 60 Prozent eines Altersjahrgangs – beginnen nach der Schule eine duale Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf. Das bedeutet, die Aus- bildung übernimmt der Betrieb. Das heißt, in der über- wiegenden Zahl der Fälle gibt es keine staatliche Förde- rung. Warum sollte dann nicht auch die Wirtschaft im Be- reich der akademischen Fachkräfte mitwirken? Stattdes- sen wurde es bisher vor allem dem Staat bzw. dem Steu- erzahler überlassen, die Akademiker auszubilden, und die berufliche Ausbildung wurde vor allem durch die Wirtschaft getragen. Allerdings ist darauf zu achten, dass durch die Bezuschussung der Stipendien nicht das bewährte System der Begabtenförderung ausgehebelt wird. Sie weisen in Ihrem Antrag zur Finanzierungsbera- tung für Studierwillige auf die aus Ihrer Sicht beste- hende Unübersichtlichkeit der Studienfinanzierungsan- gebote – BAföG, Studienkredite, Stipendien – hin. Die Bundesregierung soll deshalb aufgefordert werden, ein Konzept zur frühzeitigen Finanzierungsberatung für Stu- dierwillige und Studierende zu erarbeiten; insbesondere Personen ohne Anspruch auf BAföG-Förderung sollen „maßgeschneiderte Finanzierungspläne“ angeboten wer- den. Ihre plötzliche Freude am Aufbau neuer Bürokratien überrascht mich! Als bayerische Abgeordnete möchte ich hier anmer- ken: Was die Studienfinanzierungsberatung betrifft, übernehmen in Bayern die Studentenwerke diese Auf- gabe, die wiederum alle Studierenden durch ihre Bei- träge mitfinanzieren und die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zudem einen staatlichen Zuschuss erhalten. Insoweit sehe ich keinen Handlungsbedarf, da die Bera- tung schon besteht und anerkanntermaßen auch recht gut funktioniert. Im Übrigen kann ich von einem erwachse- nen Menschen, der nach der erreichten Hochschulzu- gangsberechtigung ein Studium beginnen möchte, er- warten, dass er sich in Eigeninitiative anhand der Vielzahl an Angeboten und Möglichkeiten eine für ihn passende heraussuchen und nutzen kann. Gerade von den Liberalen hätte ich mehr Mut zum Vertrauen in die Kräfte des Marktes und das Funktionieren der Selbstor- ganisation der Betroffenen erwartet. Nicht nur über das Vergleichen von Stiftung Waren- test, sondern auch aus den Internetauftritten der KfW und privater Geschäftsbanken sowie privater Beratungs- seiten – „studis online“ – sind vorzügliche Übersichten über das Marktangebot im Kreditsegment verfügbar. Das unter anderem von BMBF, KMK, BA und HRK mitgetragene Netzwerk „Wege ins Studium“ bietet auf seiner Internetseite unter der Rubrik „Studium – wie fi- nanzieren?“ eine Übersicht und weiterführende Hin- weise und Links auch zu anderen Finanzierungsinstru- menten wie Begabtenstipendien etc. Es kann nicht Aufgabe des Bundes sein, dem durchaus funktionieren- den Prozess der themenorientierten Informationsverbrei- tung via Internet zusätzlich durch den Versuch eines öf- fentlichen Beratungskonzepts Konkurrenz zu machen. Die Beratungsaufgabe aufseiten der öffentlichen und öf- fentlich beliehenen Institutionen ist da bei den Studen- tenwerken schon richtig und ausreichend verankert. Bund und Länder haben zudem auf dem gemeinsam betriebenen Bildungsserver im Internet unter der Rubrik „Studienfinanzierung/Studienkredite“ einen umfassen- den Überblick über existierende Finanzierungsangebote und Hinweise zu Vergleichen und Bewertungen Dritter zusammengestellt, mit dessen Hilfe sich alle Interessen- ten unmittelbar weiterinformieren und gezielt um Bera- tung nachsuchen können. Neue Beratungsstrukturen halte ich nicht für erforder- lich, wohl aber die weitere Werbung für die vorhandenen Informationssysteme. 16242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Der Gerichtsentscheid des Bundesverfassungsge- richts zum 6. Hochschulrahmenänderungsgesetz hat aus- drücklich festgelegt, dass der Bund die Erhebung von Studiengebühren nicht verbieten kann. Wenn die linke Fraktion sich darüber hinwegsetzt und erneut ein Verbot fordert, dann missachtet sie nicht nur die Entscheidung eines Verfassungsorgans, sondern sie will auch in Zu- kunft den nichtakademischen Steuerzahlern zumuten, über ihre Steuern zu 90 Prozent die Ausbildung der künftigen Akademiker zu bezahlen. Was an dieser Poli- tik sozial sein soll, ist gänzlich unverständlich. Monika Grütters (CDU/CSU): Zum wiederholten Mal diskutieren wir hier im Deutschen Bundestag nun Themen, die nur sehr begrenzt in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Das liegt in der Natur der Sache, denn Hochschulthemen sind in der föderalen Ordnung der Bundesrepublik nun einmal Ländersache. Und dennoch versucht die Opposition, dort vor allem die Grünen und die Linke, uns wiederholt derartige Debatten aufzudrän- gen, haben sie doch beide in den Bundesländern wenig Gelegenheit, sich zu profilieren, weil sie eben auch da in der Opposition sind. Also versuchen wir uns im Bundes- tag in einer Debatte, die in die Länder gehörte. Sei’s drum. Meine Kollegin Seib hat zu den Vorstellungen der FDP über eine Finanzierungsberatung für Studierende ausreichend Stellung bezogen, daher geht mein Kommentar an Sie, die Linke, und auch an die Grünen, die sich im föderalen Geflecht der Bundesrepublik nur schlecht zurechtfinden. Zunächst zu den Linken, die sich einmal mehr in einem Reflex gegen Studiengebühren gefallen, ohne auch nur annähernd realistische Vorschläge für eine aus- kömmliche Hochschulfinanzierung zu machen. Und in den wenigen Ländern, in denen Sie mitreden können, wie Berlin zum Beispiel, toppen Sie diese weltfremde Haltung auch noch durch eine Ablehnung neuer Rechts- formen oder einer Flexibilisierung der Hochschul- verfassungen. Das ist nicht nur unverantwortlich und populistisch, sondern basiert auch auf falschen Annahmen über die Wirkung von Studienbeiträgen: Die Behauptung beispielsweise, durch Studien- beiträge würden junge Menschen vom Studium abgehal- ten, ist falsch. Fakt ist dass in den Ländern, in denen Stu- dienbeiträge erhoben werden, zum Beispiel Niederlande, Australien, die Studienanfängerzahlen sogar gestiegen sind. Die Gebühren werden hier für den Ausbau des Sys- tems verwandt und kommen so den Studierenden selbst zugute. Und auch bei uns in Deutschland ist es so, dass private Hochschulen, die Studiengebühren erheben – und diese übrigens durch entsprechende Stipendien für Bedürftige oder Begabte kompensieren – sehr attraktiv sind. Das gilt auch für Studierende mit geringerem Elterneinkommen, wie das Beispiel Witten-Herdecke zeigt: Dort ist der Anteil der BAFöG-Empfänger ge- nauso hoch wie an staatlichen, kostenfreien Hochschu- len. Ein Verbot von Studiengebühren, das übrigens das Bundesverfassungsgericht im Januar 2005 für unzulässig erklärt hat, würde die Chance leichtsinnig aufs Spiel setzen, die Hochschulen wenigstens etwas besser zu- gunsten der Studierenden auszustatten. Studienbeiträge definieren das Verhältnis zwischen zahlenden Nachfra- gern und Anbietern der Lehrleistungen auch ganz neu: Studierende werden nicht länger als Last begriffen, son- dern die Hochschulen werben neuerdings mit bedarfsge- rechten und differenzierten Angeboten in einem qualita- tiven Wettbewerb um Studierende. Ganz entscheidend in der Debatte aber ist, dass Sie sich endlich von dem Mär- chen verabschieden, Studienbeiträge verschärften die so- ziale Ungleichheit! Wissenschaftliche Gutachten zeigen, dass das bei- tragsfreie Studium de facto eine Umverteilung von arm zu reich bedeutet: Die schlechter Verdienenden finanzie- ren mit ihren Steuern den später besser Verdienenden das Studium, die Krankenschwester finanziert das Medizin- studium des Arztsohnes jedenfalls mit. Auch das Argument, Arbeiterkinder würden durch Studiengebühren vom Studium und somit vom sozialen Aufstieg abgehalten, ist falsch. Die soziale Selektion, die in Deutschland leider immer noch stärker ist als in ande- ren europäischen Ländern, erfolgt nämlich, wie die PISA-Studie jüngst wieder bestätigt hat, nicht beim Übergang zwischen Schule und Universität, sondern schon viel früher, beim Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule. Und zum Schluss erlaube ich mir auch den Hinweis darauf, dass jüngste repräsentative Umfragen einmal mehr belegt haben, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen, 67 Prozent, nicht gegen, sondern für die Ein- führung von Studienbeiträgen ist. Hier manifestiert sich das Bewusstsein für den indivi- duellen Wert eines Hochschulstudiums, das der Staat in Deutschland deshalb so weitgehend finanziert, weil es eben auch einen großen gesamtgesellschaftlichen Nut- zen an unseren Akademikern gibt. Als hochschulpolitische Sprecherin der CDU in Ber- lin – und diese Themen sind ja eben Ländersache – bin ich immer für sozialverträgliche Studienbeiträge einge- treten, auch für ein entsprechend auszubauendes Stipen- diensystem, das sich an Bedürftige und vor allem an Be- gabte richtet. Wir haben immer schon für die sogenannten nach- laufenden Gebühren plädiert, wie sie jetzt in Hamburg eingeführt werden sollen: Hier gibt es tatsächlich keine abschreckende Wirkung, und im Blick zurück werden die Absolventen den Wert ihres Studiums noch höher schätzen. Dass die Grünen ein Monitoring anmahnen, das diese und andere Wirkungen neuerer Beitragsvarianten in eini- gen Bundesländern beschreibt und bewertet, kann ich verstehen – das ist sicher sinnvoll. Aber wie so vieles auch ist dieses Ländersache. Daher gibt es ja auch bei der KMK eine Ministerarbeitsgruppe Hochschulfinan- zierung, die ein solches Monitoring zu liefern hat. Viel- leicht mus man ihr Beine machen, aber den Bund damit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16243 (A) (C) (B) (D) zu beauftragen, wäre eines von vielen föderalen Miss- verständnissen. Studienbeiträge haben ihren Schrecken verloren, denn sie entfalten in vielen Ländern mittlerweile eine ver- nünftige Wirkung. Zu dieser Vernunft sollten wir alle zu- rückkehren! Jörg Tauss (SPD): Die Frage einer ausreichenden, tragfähigen und sozial sensiblen Studienfinanzierung ist sicher eine zentrale Zukunftsfrage für den Innovations- standard Deutschland. Wir brauchen über die Notwen- digkeit der Steigerung der zuletzt wieder fallenden Stu- dierendenquote – Studiengebühren lassen grüßen – als Beitrag auch zur mittelfristigen Sicherung unseres Fach- kräfteangebots an dieser Stelle sicher nicht zu streiten. Aber die Frage sozial vertretbarer Finanzierungs- modelle ist noch weit davor eine grundlegende Frage der echten Chancengleichheit in der Hochschulbildung. Für die SPD als Bildungspartei ist und bleibt die weiterhin gültige Diagnose, dass soziale Herkunft und die finan- ziellen Möglichkeiten der Eltern auch heute noch zu oft über Bildungschancen entscheiden, eine der unerträgli- chen Fehlentwicklungen unserer Zeit. Bildungschancen sind Lebens- und damit Zukunftschancen. Das ist auch der Grund, weshalb wir als SPD gemein- sam mit dem Finanzminister Peer Steinbrück die Kraft- anstrengung im letzten Jahr unternommen haben, das BAföG deutlich auszuweiten und vor allem um 10 Pro- zent zu erhöhen. Über 300 Millionen Euro wird allein der Bund ab dem Wintersemester 2008/2009 jährlich zu- sätzlich für bedürftige Studierende aufwenden. Es ist und bleibt unbefriedigend, dass ein Teil dieser Leistungsverbesserungen in einigen Ländern nicht bei den Studierenden ankommen wird, sondern über die Stu- diengebühren wohl letzten Endes die Landeshaushalte entlasten wird. Wenn sie die Begleichung von Heizkos- tenrechnungen als Beitrag zur Verbesserung der Studien- bedingungen sehen wollen, dann wird ein Teil der Ge- bühren sicher durchaus aufgabenbezogen verwendet. Abgesehen davon, dass Studiengebühren ein bildungs- politischer Irrweg sind, haben die Gebührenländer es bisher auch versäumt, ihre schwarz-gelbe Campusmaut den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupas- sen. Weder ist der Verzicht auf Gebühren für BAföG- Empfänger flächendeckend gelungen, noch sind die An- forderungen des Bundesverfassungsgerichts in Karls- ruhe hinsichtlich der sozialverträglichen Ausgestaltung auch nur im Ansatz berücksichtigt. Die Koalitionsgespräche von CDU und GAL in Ham- burg stellen an diesem Punkt zumindest Erleichterungen für die betroffenen Studierenden in Aussicht, da sie Karlsruhe ernster nehmen als die Union oder die FDP al- lein, wenn das Konzept nachlaufender und einkommens- abhängiger Gebührenerhebung denn dann tatsächlich zum Tragen kommt. Aber eine Erkenntnis hat Hamburg bereits jetzt ge- bracht: Die Grünen wären für die Regierungsbeteiligung bereit, Studiengebührenpartei zu werden. Bereits beim ersten Lackmustest sind sie umgefallen, liebe Frau Sager und liebe Frau Hinz. Es ist zu hoffen, dass die grünen Kolleginnen und Kollegen in Hessen diese Scharte we- nigstens zum Teil wieder auswetzen und die desaströse Bildungspolitik von Roland Koch an dieser Stelle korri- gieren helfen. Wenn nicht, dann ist die SPD die letzte ernstzunehmende Partei in Bund und Ländern, die Stu- diengebühren ablehnt. Wir werden Sie 2009 daran erin- nern, liebe Freunde von den Grünen. Die Studienfinanzierung steht heute neben dem El- ternbeitrag und dem BAföG auf zwei weiteren, wenn auch weit kleineren Säulen. Erstens bilden die Studien- kredite der KfW eine sinnvolle Ergänzung des Studien- finanzierungsangebots. Sie werden weitergeführt, auch wenn die Resonanz weit hinter den Erwartungen der KfW oder der Finanzmarktpuristen – wo auch immer sie sich in diesen Tagen hin verkrochen haben – zurück- bleibt. Auf keinen Fall wird es aber mit uns für Studien- kredite eine Ausfallbürgschaft des Bundes geben. Unser Augenmerk ist und bleibt auf denjenigen, die trotz vor- handener Fähigkeiten ein Studium nicht finanzieren kön- nen. Das ist ein Aspekt der Daseinsvorsorge und originär öffentliche Aufgabe; das ist Bildungspolitik für eine echte Chancengleichheit für alle, für die die SPD steht. Eine zweite, in Deutschland viel zu wenig ausge- prägte Säule stellt die Stipendienfinanzierung dar. Sie liegt in Deutschland mit knapp 2 Prozent aller Studieren- den alarmierend niedrig, ebenso wie die durchschnittli- che Stipendienhöhe von 328 Euro monatlich. Deutsch- land liegt hier weit zurück im Vergleich etwa zu Ländern wie die Niederlande oder vor allem Skandinavien, die laut aktuellen Studien des Hochschul-Informations-Sys- tems im Vergleich um 20 bis sogar 40 Prozent höhere Finanzierungsanteile von öffentlichen und privaten Sti- pendien aufweisen. Wir als Koalition haben uns daher das Ziel gesetzt, die Begabtenförderung auszubauen und die Stipendien- quote deutlich zu erhöhen. Entsprechende Weichenstel- lungen sind in den Haushalt eingeflossen. So sind etwa die Mittel für Begabtenförderungswerke für Studierende um über 40 Prozent auf 113 Millionen Euro in 2008 er- höht worden. Wir stehen zu dieser Politik, auch weil sie komplementär zur BAföG-Erhöhung ist und die SPD so eine vermeintlich „elitenorientierte“ Einseitigkeit der öf- fentlichen Förderung ausschließen konnte. Wer aber erneut seinen Beitrag nicht geleistet hat, sind die Länder und ist die Wirtschaft. Die Realität sieht verglichen mit den vollmundigen Ankündigungen der Studiengebührenfreunde im Vorfeld des Gebühren- urteils, es werde Zehntausende von Stipendien „regnen“, desaströs aus. Die Wirtschaft hat sich faktisch verwei- gert; die Länder ringen bis heute um ein abgestimmtes Stipendienkonzept. Hier will die FDP erneut die öffentli- che Hand als Inkubator nutzen und die gebrochenen Ver- sprechungen des Privatsektors mit staatlichen Mitteln teilweise kurieren. Das ist schon bemerkenswert. Den Gipfel der Unverfrorenheit stellt sicher der Pinkwart-Vorschlag dar, indirekt den Bund kräftig mit zur Kasse zu bitten für eine Aufgabe, die Karlsruhe in die Hände der Länder gelegt hat. Hinzu kommt die Sprengkraft dieses FDP-Vorschlags für die Hochschul- 16244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) landschaft insgesamt, wenn man etwa die unterschiedli- chen wirtschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen in den verschiedenen Hochschulregionen berücksichtigt. Von einem „ebenen Spielfeld“ im angedachten Wettbe- werb um Privatmittel kann hier sicher keine Rede sein. So erfreulich jedes neue Stipendium für alle Bil- dungspolitiker ist, so klar ist, dass die SPD-Bundestags- fraktion dieses FDP-Manöver nicht mitmachen wird. Oder klarer: Der Bund wird keinen finanziellen Beitrag zur Finanzierung von Stipendiensystemen der Länder leisten. Für uns hat die soziale Frage und die Regelung in klaren Rechtsansprüchen Vorrang, weil nur sie bei der Chancengleichheit in der Bildung ansetzt und nicht, wie viele Stipendien, lediglich deren durch soziale Ungleich- heit geprägtes Ergebnis in die Hochschulen hinein ver- längert. Aber die heute eingebrachten Anträge von der FDP haben neben dieser Kritik auch ihr Gutes. Wir finden die Idee einer Verbesserung der Finanzierungsberatung für Studierende interessant und werden uns an der Klärung der Frage beteiligen, wer das mit welchem Personal zu welchen Kosten leisten kann – und wer dies finanziert. Denn dazu sagen Sie nichts, Frau Pieper. Ebenso ernüchternd wie die Politik der Grünen in Hamburg stellt sich deren eingebrachter Antrag dar. Im Grunde fordern Sie mit dem Studiengebühren-Monito- ring sozusagen eine Beobachtung des Verlaufes eines Schadens, den Sie selbst in Hamburg mit anrichten. Ich wiederhole große Worte, wenn ich sage, auf das Handeln kommt es an. Die Linke stellt auf den ersten Blick bei einiger in- haltlicher Übereinstimmung doch wieder einen unfinan- zierbaren Wunschkatalog an Maßnahmen auf, die zudem oft nicht einmal in der Zuständigkeit des Bundes liegen. Leider spricht abschließend kaum ein Antrag die Ur- sache für die Missstände an den Hochschulen und indi- rekt auch für die Studiengebührendebatte an, nämlich deren chronische Unterfinanzierung. Es ist überfällig, endlich zu einem neuen Finanzierungsmodell zwischen den Ländern zu kommen, das echte Anreize für Kapazi- täten und für den Wettbewerb um Studierende setzt. Der Hochschulpakt II oder auch der Qualifizierungsgipfel im Herbst bieten Chancen, hier endlich im Sinne eines „Geld folgt Studierenden“ weiterzukommen und dem Stückwerk ein Ende zu setzen. Zurück zu hier und heute: Alle heute eingebrachten Anträge werden im Ausschuss sicher zu intensiven Dis- kussionen führen, auf die wir uns bereits heute sehr freuen. Alle drei Oppositionsfraktionen werden einiges zu beantworten haben, wenn diese Anträge wirklich die Grenzen ihrer Vorstellungskraft für die Studienfinanzie- rung von morgen darstellen. Wenn nicht, sind wir gern bereit zu hören, was sie eigentlich gemeint haben. Uwe Barth (FDP): Die Fraktion der FDP legt Ihnen heute zwei Anträge vor, die sich aus unterschiedlichen Richtungen mit der Frage beschäftigen, wie junge Men- schen ihr Studium finanzieren können. Zum einen ist es unser Anliegen, mithilfe eines auf in- ternationales Niveau angehobenen Stipendiensystems die Instrumente, die jungen Menschen zur Finanzierung ihres Studiums zur Verfügung stehen, um ein wesentli- ches Element zu erweitern. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil es viele Fälle gibt, in denen Eltern nicht ausreichend zur Unterstützung des studierwilligen Nach- wuchses in der Lage sind, obwohl das Familieneinkom- men so hoch ist, dass ein nennenswerter BAföG-An- spruch eben nicht gegeben ist. BAföG funktioniert zur Unterstützung von Studierenden aus einkommensschwa- chen Elternhäusern. Diese Studenten profitieren darüber hinaus von der sozialen Abfederung der Studienbeiträge. In NRW zahlen – aufgrund der Deckelung der Rückzah- lungshöhe auf 10 000 Euro – zwei Drittel der BAföG- Empfänger faktisch keine Studienbeiträge. Die Behaup- tung, dass gerade Kinder aus einkommensschwachen Milieus zwangsläufig unter Studienbeiträgen zu leiden hätten, ist also schlicht gelogen! Doch es gibt tatsächlich ein Problemfeld: Die verges- sene Mitte. Gerade weil das BAföG nur eine Minderheit der Studierenden erreicht, ist es dringend notwendig, dass auch den anderen Studentinnen und Studenten die Möglichkeit offengehalten wird, unabhängig von einer häufig unsicheren Unterstützung des Elternhauses und des Jobbens ihren Lebensunterhalt während des Stu- diums zu bestreiten. Dazu ist der Ausbau eines – auch leistungsfördernd wirkenden – Stipendiensystems unver- zichtbar. Derzeit werden nach Angaben des Deutschen Studentenwerks lediglich rund 2 Prozent der Studieren- den durch ein Stipendium gefördert. Es muss dringend angestrebt werden, den Anteil der Studierenden, die ein Stipendium erhalten, schrittweise auf mindestens 10 Prozent zu erhöhen. Auch wenn es sicher ein Spezial- fall ist; gerade für ausländische Studenten ist ein Stipen- dium mangels BAföG-Anspruch häufig die einzige Fi- nanzierungsquelle. Privaten Stiftern steht es frei, auch Ausländer in ihre Stipendienprogramme einzubeziehen; der Staat sollte hier ein gutes Beispiel geben und Auslän- der nicht von vornherein von seinen Programmen aus- schließen. Gerade die Vergabe von Leistungsstipendien eröffnet hier Möglichkeiten. Mit unserem zweiten Antrag wollen wir eine indivi- duelle Finanzierungsberatung etablieren, die jungen Menschen zeigt, wie sie ihr Studium finanzieren können und wie auch nach einem Studium anfallende Rückzah- lungsverpflichtungen – sei es aus BAFöG oder auch Stu- dienkrediten – bewältigt werden können. Wir wollen diesen jungen Menschen, die etwas leisten wollen, die sich Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben schaf- fen wollen, die lernen wollen und eben das umsetzen, was wir immer sagen – nämlich den einzigen Rohstoff, über den unser Land verfügt, zu nutzen, dabei helfen, dies auch tun zu können, und das ohne Angst, sondern mit Zuversicht und auch in der Erwartung auf einen ganz persönlichen Gewinn, denn auch das ist ein legitimer Antrieb. Die Erstellung eines maßgeschneiderten Finanzie- rungsplans – beim Bau eines Hauses ganz selbstver- ständliche Voraussetzung, selbst beim Kauf eines Autos mit Überlegungen über Verbrauch, Versicherungsklasse Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16245 (A) (C) (B) (D) und Werkstattkosten ein völlig normaler Vorgang – ist für die Finanzierung eines Studiums alles andere als nor- mal. Laut aktueller HIS-Studie fühlen sich über 33 Pro- zent der Studierenden in Finanzierungsfragen schlecht bis sehr schlecht beraten. Bei Studenten mit „niedriger sozialer Herkunft“ sind dies sogar 44 Prozent! Wie viele tatsächlich schlecht beraten sind, bleibt offen. Hinsicht- lich der Beratungsquellen befragt, gaben nämlich 77 Pro- zent der Studierenden das „Elternhaus“ oder den „Freun- deskreis“ an. Auf Informationen aus dem Dunstkreis des Studentenwerks griffen 20 Prozent der Befragten zurück. Wer sich ein kleines bisschen mit der Vielfalt studen- tischer Lebensbedingungen zwischen München, Ilmenau und Kiel auskennt, wer sich mit den vielfältigen Ange- boten und Modellen zur Finanzierung des Lebensunter- halts von Studierenden beschäftigt hat, den müssen diese Umfrageergebnisse alarmieren. Der mangelhafte Profes- sionalisierungsgrad bei der Finanzierungsberatung ist er- schreckend – denn es ist kaum davon auszugehen, dass die allermeisten Studenten auf ausgewiesene Finanz- experten im Familienkreis verweisen können. Das Stu- dentenwerk hat freimütig zugegeben, dass die vorhan- dene Expertise mit Blick auf die Darlehenssituation auf dem freien Markt höchst begrenzt ist. In diesem Lichte ist es eben wichtig, zu unterscheiden, ob „sich gut bera- ten fühlen“ mit „gut beraten sein“ gleichzusetzen ist. Zweifel sind hier sicher angebracht. An diesem Umstand muss sich etwas ändern – gerade aus diesem Grund for- dern wir Bund, Länder und Hochschulen auf, ein umfas- sendes Konzept zu entwickeln, um die hilfesuchenden Studenten und künftigen Studenten besser über das breite und gute Angebot zu informieren. Das deutsche Hochschulwesen ist chronisch unter- finanziert. Das ist kein Geheimnis. Den Hochschulen fehlt Geld. Ebenso wenig ist neu, dass die öffentliche Hand nicht die Möglichkeit hat, den Hochschulen die Mittel zu geben, die notwendig wären, um diese interna- tional konkurrenzfähig zu halten. Diese Tatsache ist allen bekannt, die sich auch nur etwas mit der Materie auseinandergesetzt haben. Doch leider fehlt die Bereit- schaft, daraus Konsequenzen zu ziehen. Insbesondere die linke Seite des Hohen Hauses akzeptiert den Sub- stanzverlust des deutschen Hochschulwesens, ohne mit der Wimper zu zucken. Hauptsache, die Klientel wird nicht verschreckt. SPD, Linke und Grüne intonieren Schauerlieder über die Folgen von Studienbeiträgen und Darlehen. In ihrem Antrag macht die Linke sogar die dringend benötigten Stipendien schlecht. Die Genossen ängstigen die Betroffenen lieber mit platten Vorurteilen über die horrenden Darlehnszinsen und Schuldenberge am Ende des Studiums. „Visionen“ haben sie nur, wenn sie den er- lahmten AStA-Linken vom Trip an die „Bolivarische Universität“ des Egomanen Chavez vorschwärmen – wir erinnern uns an die letzte Plenarwoche! Dabei sind es gar nicht die vermeintlich Armen, die mit diesen wirren Ideen angesprochen werden oder sogar davon profitieren könnten. Interessanterweise war es Karl Marx, der nicht zu Unrecht angemerkt hat, dass, „solange nur wenige Studenten Zugang zu höherer Bil- dung haben, Gebührenfreiheit ein Subventionspro- gramm für das Bürgertum darstellt.“ Wenn er auch viel geirrt haben mag – da stimme ich dem Herrn mit dem Rauschebart zu! Das tut auch die taz, die nun nicht gerade als Haus- und Hofblatt der FDP bekannt ist. In der Ausgabe vom 17. März 2008 heißt es: Gerecht wäre es nicht etwa, Studiengebühren abzu- schaffen, sondern sie für zehn Jahre in Deutschland flächendeckend einzuführen. Und weiter heißt es: In Hamburg und Hessen kämpfen Studenten darum, dass die Studiengebühren abgeschafft werden. Un- terstützt werden sie von der parlamentarischen Lin- ken, von SPD, Grünen und Linkspartei, die in schö- ner Eintracht die Campusmaut als einen Verstoß gegen Chancengleichheit skandalisieren. Das ist nur auf den ersten Blick eine wunderbare Fusion von außerparlamentarischer und parlamentarischer Linker. Es ist eine verkehrte Welt. Und weiter: Das Bildungssystem steht Kopf. Kindergärten kos- ten teilweise bis zu 400 Euro pro Monat und bereits in der Grundschule werden Schüler mit zehn Jahren einer harten Auslese unterzogen. Die Studenten ficht das nicht an. Sie fordern die Abschaffung von monatlich 83 Euro Studiengebühren und das Verbot jeglicher Auslese für Elitekurse an Hochschulen. Verkehrte Bildungswelt. Es wird Zeit, sie auf die Füße zu stellen. Ihr Antrag zeugt davon, dass diese verkehrte Welt ge- nau die Ihre ist: Wer Studienbeiträge nicht per Gesetz verbietet, soll auch keine Leistungen aus dem Hoch- schulpakt erhalten. Das könnte man als Erpressungsver- such bezeichnen; jedenfalls ist es klarer Ausdruck bru- talstmöglicher Klientel- und Verteilungspolitik. BAföG soll wieder Vollförderung werden, Kredite gehören ab- geschafft, die Altersgrenze aufgehoben, Stipendien am besten verboten und der Leistungsgedanke aus den Hochschulen verbannt. Wie krank muss ein Hirn sein, dem solch ein Wust von verqueren Gedanken und Vor- stellungen entspringt? Kommt alle studieren, von der Schule bis zur Rente, Vollversorgung ohne Gegenleis- tung oder gar Rückforderung garantiert! Solch ein Sam- melsurium von unglaublichem Unfug ist mir lange nicht mehr untergekommen. Der Antrag der Grünen liest sich da vergleichsweise angenehm. Beim unterirdischen Niveau des PDS-Antra- ges ist dies aber nicht wirklich ein Lob; das hätte der An- trag denn auch nicht wirklich verdient. Dem Anliegen, die Auswirkungen von Studiengebüh- ren im Rahmen der empirischen Bildungsforschung zu untersuchen, könnte ich ja noch folgen, auch wenn Der- artiges ausweislich beispielsweise der HIS-Studien be- reits erfolgt. Auch können wir auf positive Erfahrungs- werte aus dem Ausland zurückgreifen. So liefert Österreich geradezu ein Paradebeispiel. Nach einer An- fangsflaute befinden sich die Studentenzahlen auf einem 16246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) „Allzeithoch“. Und Gutes lässt sich auch aus Deutsch- land berichten. Der neue HIS-Bericht belegt, dass sich die finanzielle Situation von Studierenden aus Gebüh- renländern fast genauso positiv darstellt – 73 Prozent – wie anderswo: 75 Prozent. Es gibt also keinen Grund, das Ruder herumzureißen – eine gute Nachricht! Einen großen Haken hat der Antrag dann aber doch: Sie fordern im gleichen Antrag die Abschaffung allge- meiner Studiengebühren. Dass wir Liberale ihn allein deshalb nicht unterstützen können, wird niemanden überraschen. Wie Sie allerdings eine empirische For- schung an einem Objekt machen wollen, welches es dann gar nicht mehr gibt, das würde mich schon interes- sieren. Mit empirischen Daten werden ja gerade theoreti- sche Annahmen am „lebenden Objekt“ überprüft. Fehlt das Objekt, geht der Forschung der Gegenstand verloren. Was soll das? Zum Schluss möchte ich noch auf die aktuellen Dis- kussionen in Hessen und Hamburg eingehen: Der Vor- stoß von SPD, Linken und den Grünen, in Hessen ein Studiengebührenverbot zu erzwingen, ist eine Katastro- phe für die betroffenen Bildungseinrichtungen. Die hes- sischen Hochschulen rechnen mit finanziellen Ausfällen von 50 bis 100 Millionen Euro. In Hamburg sind die Grünen dagegen etwas weiter. Dort sitzen sie ja fröhlich mit am Tisch und haben eine vermurkste, umständliche Form der Studiengebühren mit der CDU ausgehandelt. Das dortige Modell der „nachgelagerten“, also erst nach Abschluss des Studiums erfolgenden Beitragserhebung halte ich jedoch aus meh- reren Gründen für ungeeignet: Den Hochschulen wird Geld vorenthalten, weil diese Zahlungen erst viel später erfolgen. Es nützt auch den Betroffenen nichts: zum ei- nen, weil sie selbst nicht in den Genuss ihrer eigenen Leistung kommen, und zum anderen, weil auch eventu- ell aufgenommene Kredite – wenn überhaupt – erst nach Abschluss des Studiums zurückgezahlt werden müssen, während hier den Hochschulen das Geld aber unmittel- bar zur Verfügung steht. Dass eine völlig unnütze zusätz- liche Bürokratie aufgebaut wird, komplettiert die Män- gelliste des Modells. Die Pressemitteilung des Kollegen Gehring vom 18. Februar mit dem sperrigen Titel „Keine Studienge- bühren statt neuer Stipendien“ ist heute, kaum sechs Wo- chen später, schon wieder Makulatur. In dem Pressepa- pierchen werden die Studienbeiträge noch als „Ursache allen Übels“ bezeichnet und im selben Zug den FDP- Vorstoß für ein nationales Stipendiensystem abgelehnt. Aber nun ist vielleicht alles anders? Jetzt, wo die Grünen Sinn, Zweck und Notwendigkeit von Studienbeiträgen offenbar erkannt haben und ihre Einführung unterstüt- zen, sind jetzt auch die Vorbehalte gegenüber zusätzli- chen Stipendien gewichen? Ich bin gespannt! Lassen Sie uns gemeinsam für ein umfassendes Sti- pendiensystem eintreten; bringen wir Licht in den Finan- zierungsdschungel und verbessern wir die Beratungs- angebote für künftige Studierende! Interessant wäre es doch, zu erfahren, ob die Regierungsfraktionen außer dem reflexhaften Hinweis, dies alles sei doch Länder- sache, auch eine inhaltlich Meinung zu den Themen ha- ben. Ich freue mich deshalb auf die weiteren Beratungen. Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Die heute von der FDP vorgelegten Anträge zur Studienfinanzierung haben beide einen entscheidenden Fehler. Dieser Fehler ist, dass in beiden davon ausgegangen wird, dass allgemeine Studiengebühren ein wichtiges politisches Ziel und alter- nativlos sind. Nie war diese Einschätzung verkehrter als heute, wo es in Hessen gelingt, was vor einigen Monaten noch undenkbar schien: Das erste Bundesland, das allge- meine Studiengebühren eingeführt hat, ist dabei sie wieder abzuschaffen! Das ist ein Riesenerfolg für all die- jenigen, die in den letzten Jahren immer wieder uner- müdlich gegen Studiengebühren auf die Straße gegangen sind. Die Linke kämpft in und außerhalb des Parlaments dafür, dass Hessen kein Einzelfall bleibt. Das Studium muss endlich wieder bundesweit gebührenfrei werden! Für diese Forderung werden wir uns auch in die Födera- lismusreform II stark machen. Wir sind und bleiben kon- sequent gegen Studiengebühren in jeder Form! Im Gründungsaufruf des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren, in dem Die Linke Mitglied ist, heißt es: „Studiengebühren sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen die Krise des Bil- dungssystems.“ Dem ist nichts hinzuzufügen! Studien- gebühren sind unsozial. Sie machen den Zugang zu Bil- dung vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Das Recht auf freie Bildung für alle wird damit abgeschafft. Bil- dung zur Ware und zur Privatsache gemacht. Schon jetzt machen sich erste Auswirkungen von Studiengebühren hierzulande bemerkbar. So geht die Zahl der Studienan- fängerinnen und Studienanfänger zurück und mehr und mehr werden kritische Wissenschaften aus den Vorle- sungsverzeichnissen gestrichen. Studiengebühren be- nachteiligen insbesondere Frauen. Eine am Freitag veröffentlichte Studie des HIS zeigt: 31 Prozent der weiblichen, aber nur 19 Prozent der männlichen Befrag- ten, die kein Studium im Jahrgang 2006 aufgenommen haben, sehen sich nicht in der Lage für anfallende Stu- diengebühren aufzukommen. Sehr geehrte Damen und Herren von der Bundesregierung! Deshalb beenden Sie endlich diese unsoziale Politik und nehmen sie ihre Ver- antwortung wahr, bundesweit für ein gebührenfreies Stu- dium einzutreten! Damit will ich zu den uns heute vorliegenden Anträ- gen kommen: Die Linke hält weder den Antrag der FDP mit der Forderung nach einer besseren Finanzierungsbe- ratung für Studierende, noch den Antrag der Grünen mit der Forderung nach einem Studiengebührenmonitoring für ausreichend. Beide Fraktionen haben sich durch ihr Agieren in den Ländern als Bündnispartner für Studie- rende disqualifiziert. Insbesondere die Grünen haben in Hamburg ihr Versprechen, Studiengebühren abzuschaffen gebrochen! Ich bin deshalb gespannt, was die Grünen Hochschulgruppen künftig bei Wahlen zu den studenti- schen Interessenvertretungsgremien an den Hochschulen plakatieren wollen. Am treffendsten wäre wahrschein- lich: „Wir sind ein bisschen für und ein bisschen gegen Studiengebühren – je nachdem wie wir schneller an die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16247 (A) (C) (B) (D) Regierung kommen!“ Wir finden es erschreckend, dass sich ausgerechnet die Grünen zum Wegbereiter und Ret- ter allgemeiner Studiengebühren machen lassen! Die Frage der Studienfinanzierung ist aber nicht nur ein Thema in den Ländern. Wenn die Bundesregierung ein ernsthaftes Interesse daran hat, den Zugang an die Hochschulen zu öffnen und soziale Ungleichheiten ab- zubauen, muss deutlich mehr passieren, als FDP und Grüne mit ihren Anträgen vorschlagen. Wir stellen in unserem Antrag deshalb ganz konkrete Forderungen auf: Erstens geht es uns darum, dass die Bundesregierung den Ländern für ihren unsozialen Gebührenkurs nicht mehr länger Rückendeckung gibt. Insbesondere muss hierzu dem ratifizierten UN-Sozialpakt zur Gültigkeit verholfen werden, indem die Ablehnung von Studienge- bühren in den Landeshochschulgesetzen zur Vorausset- zung an der Beteiligung zum Hochschulpakt gemacht wird oder im Zuge der geplanten Föderalismusreform II die Unentgeltlichkeit der Bildung im Grundgesetz veran- kert wird. Zweitens muss das BAföG grundlegend ausgebaut werden. Die Bildungsexpansion wäre ohne eine Vollför- derung durch das BAföG in den 1960er Jahren undenk- bar gewesen. Wer mehr Studierende an den Hochschulen will und vor allem endlich den beschämend niedrigen Anteil der Studierenden aus nicht akademischen Haus- halten steigern möchte, muss das BAföG auf eine Voll- förderung umstellen! Um dem sozialen Knick im Bil- dungstrichter nach der Sekundarstufe I entgegen zu wirken, brauchen wir zudem endlich wieder ein umfas- sendes BAföG für Schülerinnen und Schüler. Außerdem ist es absurd, dass Studierende, die doch eindeutig voll- jährig sind, immer noch als Anhängsel ihrer Eltern wahr- genommen werden. Die Linke will deshalb endlich eine elternunabhängige Förderung im BAföG erreichen. Auch muss die diskriminierende Altersgrenze von 30 Jahren endlich der Vergangenheit angehören. Wir sollten es vielmehr begrüßen, wenn junge Menschen bereit sind sich weiter zu qualifzieren! Durch die Umstellung der Studienstruktur auf Bachelor- und Masterstudiengänge haben sich viele Finanzierungsprobleme für die Studie- renden ergeben, bei denen nachgebessert werden muss. Drittens muss der Antrag der FDP zum Aufbau eines nationalen Stipendiensystems unmissverständlich zu- rückgewiesen werden. Das vorgeschlagene Stipendien- system kann die soziale Auslese beim Hochschulzugang nicht vermindern. Im Gegenteil: Er wird die Türen der Hochschulen für Jugendliche aus nichtakademischen und finanzschwachen Elternhäusern weiter schließen und er wird die Privatisierung der Hochschulen weiter beschleunigen. Die Studierenden brauchen eine verläss- liche Studienfinanzierung. Ein Rechtsanspruch auf Stu- dienfinanzierung wie ihn das BAföG vorsieht, ist daher unerlässlich. Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen zu diesen Forderungen Einigkeit herstellen können. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir heute über Studienfinanzierung reden, dann müssen wir auch über aktuelle Entwicklungen in Hessen und Hamburg reden: In Hessen hat gestern auf Antrag von Grünen und SPD die vollständige Abschaffung der schwarzen Studiengebühren die erste parlamentarische Hürde genommen. Der rot-grüne Gesetzentwurf ist so- lide gegenfinanziert und verursacht keine Einnahmever- luste für die Hochschulen. Das zeigt: Wo ein politischer Wille ist, da gibt es auch einen finanzpolitischen Weg. In Hamburg ist Schwarz-Grün für Ole von Beust eine Chance, seine bisher falsche hochschulpolitische Linie zu korrigieren. Unser Ziel, die Studiengebühren voll- ständig abzuschaffen, haben wir dabei gegenüber der Union noch nicht durchsetzen können. Der voraussicht- liche Koalitionskompromiss bringt aber eine deutliche Entschärfung. Die neue Lösung entspricht nicht unserem Ziel; sie ist aber unbestreitbar besser als die bestehende. Damit ist klar: Wir Grüne kämpfen bundesweit wei- terhin für einen kostenfreien Hochschulzugang und tra- gen dazu bei, Studiengebühren für alle ab dem ersten Se- mester zu überwinden. Unser Ziel ist und bleibt die Abschaffung der derzeitigen Unimaut in den Ländern. Mit der Abschaffung in Hessen und der deutlichen Ent- schärfung in Hamburg haben wir Grüne eine Trend- wende eingeleitet: Die bisherige Studiengebührenfront bröckelt! Das ist eine gute Nachricht für alle Studieren- den. Die Campusmaut könnte bundesweit zum Auslauf- modell werden, wenn es nicht in fünf weiteren Bundes- ländern schwarze oder schwarz-gelbe Mehrheiten gäbe, die am unsozialen Bezahlstudium festhalten. Solange es diese Studiengebühren noch gibt, müssen wir damit um- gehen. Mit unserem heutigen Antrag fordern wir daher Bund und Länder auf, die Auswirkungen von Studienge- bühren systematisch und regelmäßig zu evaluieren. Die Daten, die uns bislang vorliegen, liefern klare Hinweise darauf, dass Studiengebühren junge Menschen vom Studium abschrecken, insbesondere Studienberech- tigte aus einkommensschwachen und hochschulfernen Familien. Diese ersten Belege reichen noch nicht aus, vor allem dann nicht, wenn sie von Gebührenbefürwor- tern á la FDP und CDU partout nicht zur Kenntnis ge- nommen werden. Daher brauchen wir endlich ein systematisches, von Bund und Ländern getragenes Monitoringsystem, das die Auswirkungen der Unimaut auf Studierende und Stu- dienberechtigte differenziert untersucht. An einem sol- chen Instrument müssten übrigens gerade auch die Ge- bührenbefürworter, die meinen, dass ihre Unimaut keinen Schaden anrichtet, interessiert sein. Denn wenn Studiengebühren so harmlos sind, wie Sie behaupten, dann gibt es auch nichts zu verheimlichen – aber mittels Monitoring umso mehr zu erforschen. Doch es geht hier nicht nur um einen gutes politisches Argument, sondern auch um einen klaren verfassungs- rechtlichen Auftrag: Das Bundesverfassungsgericht hat 2005 klargestellt, dass ein Eingreifen des Bundes in Sa- chen Studiengebühren gerechtfertigt ist, wenn diese die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesge- biet beeinträchtigen. Wie aber soll der Bund jemals in 16248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Erfahrung bringen, ob sein Eingreifen erforderlich ist, wenn er die Folgen der Studiengebühren nicht genau un- tersucht? Wer sich also heute einem systematischen Gebührenmonitoring verweigert, zeigt sowohl dem Bun- desverfassungsgerichts als auch den Sorgen der Studie- renden die kalte Schulter. Die FDP hat auch etwas zu der heutigen Debatte bei- getragen. Immerhin beschäftigen auch Sie sich mit der Frage der Studienfinanzierung. Und offenbar erkennen sogar Sie, dass die Finanzierungssituation vieler Studie- render prekär ist. Die Finanznöte der Studierenden sind aber nicht allein durch eine bessere Beratung zu behe- ben. Vielmehr braucht es ein stärkeres BAföG, das Aus für die Campusmaut und keine Schuldenberge durch Kredite. Ein nationales Stipendiensystem á la FDP mag zu- nächst gut klingen, widerspricht aber ihrem sonstigen hohen Loblied auf die föderalen Zuständigkeiten. Wa- rum gerade der Bund nun die Studiengebührensuppe der Länder auslöffeln sollte, bleibt mehr als schleierhaft. Wieso startet Minister Pinkwart nicht sein eigenes Lan- desstipendienprogramm NRW? Wieso gewinnt er nicht die Wirtschaft in NRW dafür, ein Programm aufzulegen? Da hat er noch viele Hausaufgaben zu machen. Wenn es der FDP darum geht, die sozialen Auswir- kungen der von Ihnen mit eingeführten Unimaut auszu- bügeln, gebe ich Ihnen einen einfachen Ratschlag: Setzen auch Sie sich dafür ein, die derzeitigen Studien- gebühren abzuschaffen und das Bafög weiter zu stärken. Das hilft den Studierenden deutlich mehr als Ihre An- träge. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (Tages- ordungspunkt 15) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Nach der Katastrophe des von Deutschland aus- gelösten Zweiten Weltkrieges war für die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein Bekenntnis für den neu auf- zubauenden Staat unumstößlich: „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen.“ Dieses Prinzip des friedlichen Zusammenlebens der Völker hat in Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes seinen konkreten Niederschlag gefunden. Der stellt „insbeson- dere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“ unter das Verdikt der Verfassungswidrigkeit und er for- dert, solche Handlungen unter Strafe zu stellen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Grundgesetzartikels wird ausschließlich die Vorbereitung als verfassungs- widrig qualifiziert. Wenn jedoch schon die Vorbereitung eines Angriffskriegs von Verfassungswegen verboten ist, dann ist erst recht auch die Führung eines Angriffskrie- ges verfassungswidrig. So die logische Schlussfolge- rung, die sowohl von namhaften Kommentatoren als auch durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungs- gerichts aus dem Jahr 2005 gestützt wird. Im Verfassungsrecht kann ein solcher Schluss gezo- gen werden; im Strafrecht verbietet sich dies, weil eine solche Analogie gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz verstoßen würde. Genau an dieser Stelle setzt nun der von der Fraktion Die Linke vorgelegte Gesetzentwurf an, der auf eine Än- derung des § 80 des Strafgesetzbuches abzielt. Die im Jahr 1968 mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz einge- führte Vorschrift bestraft die Vorbereitung eines An- griffskriegs, an dem die Bundesrepublik Deutschland be- teiligt sein soll und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik herbeiführt, mit lebenslanger Frei- heitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jah- ren. Nun wird Herr Kollege Nešković behaupten, § 80 StGB setze den Gesetzgebungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG nur teilweise um. Denn nicht nur die Vorbe- reitung eines Angriffskrieges sei unter Strafe zu stellen, sondern auch die Auslösung oder Durchführung eines solchen. Das Führen des Angriffskriegs selber sei jedoch nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht strafbar. Zum Beweis, dass es sich hierbei nicht um eine lediglich theo- retische Frage handelt, zieht die Linksfraktion eine Ant- wort des Generalbundesanwalts auf eine Strafanzeige von Friedensinitiativen gegen Mitglieder der damaligen rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2006 heran. Darin kam der Generalbundesanwalt zu dem Schluss, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift nur die Vorberei- tung an einem Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar sei, sodass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht strafbar sei. Solchen Interpretationen des § 80 StGB soll nach dem Willen der Linksfraktion künftig durch eine Ergän- zung und Präzisierung des Tatbestands der Boden entzo- gen werden. Auf den ersten Blick mag die Argumentation der Linksfraktion etwas für sich haben. Ein zweiter und tie- fer gehender Blick in die Materie zeigt jedoch, dass man es sich so einfach nicht machen kann. Schon der Gesetzgeber des Jahres 1968 hatte erhebli- che Schwierigkeiten mit der einfachgesetzlichen Umset- zung des Verfassungsauftrages. Das Problem lag und liegt in der Unbestimmtheit des Begriffs „Angriffs- krieg“; denn eine allgemein akzeptierte völkerrechtliche Definition dieses Begriffs bestand weder im Jahr 1968 noch gibt es sie heute. Der damalige Gesetzgeber hat je- doch eine Anknüpfung des Begriffs des Angriffskriegs an das Völkerrecht gewollt. Dass es im Völkerrecht nach wie vor an einer verbindlichen Definition des Angriffs- kriegs fehlt, zeigt sich auch im Römerstatut des Interna- tionalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut). Nach Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut wird die Gerichtsbarkeit des Inter- nationalen Strafgerichtshofs in Den Haag über das Ver- brechen der Aggression so lange nicht ausgeübt, bis auf internationaler Ebene „eine Bestimmung angenommen worden ist, die das Verbrechen definiert und die Bedin- gungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Hin- blick auf dieses Verbrechen festlegt“. Eine solche Ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16249 (A) (C) (B) (D) ständigung wurde bislang nicht erzielt. Wie zu hören ist, gestalten sich die entsprechenden Verhandlungen eher schwierig. Vor diesem Hintergrund wird das Anliegen der Links- fraktion in den anstehenden Beratungen im Rechtsaus- schuss kritisch zu bewerten sein, zumal Straftatbestände wegen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots restriktiv auszulegen sind. Hierin liegt der wesentliche Mangel des Gesetzentwurfs. Es begegnet nämlich tief- greifenden Bedenken, mit einem in der völkerrechtli- chen Diskussion noch offenen Begriff wie dem des An- griffskrieges einen Straftatbestand weiter auszubauen und dies als eine „Präzisierung des Straftatbestandes“ anzupreisen. Aber nicht nur deswegen ist der Gesetzent- wurf der Linksfraktion kritisch zu beurteilen. So soll nach deren Willen die einschränkende Bestimmung, nach der an dem Angriffskrieg die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein muss, ersatzlos wegfallen. Der Sinn erschließt sich schnell: Die Linken wollen da- mit künftig das Verhalten ausländischer Staaten vor deutsche Strafgerichte bringen, um das Instrument des Strafprozesses für politische Zwecke zu instrumentali- sieren. Dazu werden wir ihnen die Hand nicht reichen. Schon der Gesetzgeber von 1968 hat dieses Problem klar erkannt und ausgeführt, dass „es nicht Aufgabe deut- scher Strafgerichte sein kann, eine Art internationale Ge- richtsbarkeit auszuüben“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Jörn Thießen (SPD): Die Fraktion der Linken ist von ihrem auch in diesem Punkte unsinnigen Tun nicht abzu- bringen. Ihnen geht es in Wahrheit nicht um die Wahrheit – es geht Ihnen darum, auf einen höchstselbst hingeworfe- nen Misthaufen zu steigen und von dort herab Ihr Gega- cker über den eigenen Hühnerhof schallen zu lassen. 2003 wollten Sie Kanzler Schröder verklagen, weil er den USA Überflugrechte auf dem Weg in den Irak gewährte, und wegen der deutschen Beteiligung an AWACS-Flü- gen. Weil der Generalbundesanwalt Nehm Ihnen damals erklärt hat, dass dies Unfug sei, versuchen Sie es jetzt über eine Änderung des § 80 StGB, in der Hoffnung, dass Frau Harms beim nächsten Mal wenigstens einen An- fangsverdacht annehmen muss. Die Frage ist doch, ob es bei Ihnen irgendjemanden gibt, der sich wirklich für die Materie interessiert, oder ob Sie nur wieder einmal mit Ihrer PR-Arbeit auf die Sahne hauen wollen. Tatsache ist, dass Sie fünf Jahre später diese Vorlage aus dem Eimer ziehen und als Ge- setzentwurf einbringen, dessen Quintessenz darin be- steht, ex post all jene bestrafen zu wollen, die dafür ge- sorgt haben, dass Deutschland nicht in einen Krieg im Irak verwickelt wurde. Das ist doch weder anständig noch intellektuell redlich. Sie schreiben: Die Abweisung der Strafanzeige seitens des Gene- ralbundesanwalts macht eine Ergänzung und Präzi- sierung des Straftatbestandes erforderlich. Nichtjuristen wie mir drängt sich da der Eindruck auf, dass Sie der interessanten Meinung zu sein scheinen, man könne Gesetze einfach so lange kneten, bis sie der eigenen Wunschvorstellung vom strafrechtlich Relevan- ten entsprechen. Da wünsche ich Ihnen viel Glück bei dieser anspruchsvollen Aufgabe, gehe aber davon aus, dass das Rechtsstaatsverständnis am Ende über die poli- tische Opportunität obsiegen wird. Während wir uns nun in der kommenden Zeit mit Ih- rem Gesetzentwurf beschäftigen werden, fordere ich Sie auf, Ihre dem zugrunde liegenden Gedanken auch ein- mal in einer Schule, einer Akademie, einer Kaserne zu vertreten. Ich fordere Sie auf, Ihre Haltung möglichst klar in ein Programm zu packen und einer breiten Öf- fentlichkeit zugänglich zu machen. In meinem Heimatland Schleswig-Holstein findet dies an keinem einzigen Ort statt. Das ist aber dringend notwendig, damit sich die Menschen ein Urteil über Sie bilden können. Wie dieses ausfallen wird, das weiß ich schon heute. Deshalb danke ich Ihnen für diesen Gesetz- entwurf, der im kommenden Wahlkampf wunderbare Argumente gegen Sie liefern wird. Dr. Matthias Miersch (SPD): Selbstverständlich werden werden wir den hier gestellten Antrag mit der notwendigen Sorgfalt in den Ausschüssen beraten. Aller- dings möchte ich bereits an dieser Stelle einige Punkte unmissverständlich klarstellen: Erstens. Wenn der Antrag suggerieren soll, dass im Falle der hier beantragten Änderung des § 80 StGB Mit- glieder der rot-grünen-Bundesregierung in der 14. und 15. Legislaturperiode hätten strafrechtlich belangt wer- den können, so ist dies absurd. Es ist das historische Ver- dienst der rot-grünen Bundesregierung und namentlich das Verdienst des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des Außenministers Joschka Fischers, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht am Irak- Krieg beteiligt hat. Jeden Tag können wir noch heute se- hen, dass diese Entscheidung vollständig richtig gewe- sen ist. Zudem – wenn wir uns an die Stellungnahmen maßgeblicher Politikerinnen und Politiker in diesem Haus erinnern, die eine Beteiligung forderten – können wir feststellen, dass diese Entscheidung zwischen den Fraktionen hochumstritten gewesen ist, sodass die Leistung nicht hoch genug gewürdigt werden kann. Ich finde, es gehört zur Redlichkeit in der Politik dazu, die Leistung anderer Parteien in einem entspre- chenden Kontext auch zu würdigen. Deshalb ist die Ver- bindung des Antrages von der Fraktion Die Linke mit dem Regierungshandeln in der 14. und 15. Legislaturpe- riode unangemessen. Insoweit ist auch zu betonen, dass der Generalbundes- anwalt in seiner Einstellungsverfügung auf zahlreiche Aspekte eingeht, die einen Anfangsverdacht nicht be- gründen und die bereits gegen das Vorhandensein von Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat spra- chen. Nur ein paar dieser Gründe möchte ich nennen: Auch der Generalbundesanwalt betont, dass Bundes- kanzler Schröder bei zahlreichen Gelegenheiten immer wieder bekundet habe, dass sich Deutschland unter kei- nen Umständen an einem Krieg gegen den Irak beteili- gen werde. 16250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Der Generalbundesanwalt geht ausführlich auf die Frage des Merkmals „Angriffskrieg“ im § 80 StGB ein und weist auf die Tatsache hin, dass kein allgemein aner- kannter und auch nur einigermaßen ausdifferenzierter Begriff der völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggres- sion gegeben sei. Gewalt könne im Einzelfall auch völ- kerrechtlich zulässig sein. Im Rahmen der strafrechtli- chen Prüfung sei nicht zu entscheiden, ob die Anwendung von Gewalt durch die Vereinigten Staaten völkerrechtlich zulässig sei. All diese Aspekte müssen berücksichtigt werden. Lei- der geht der Antrag auf diese Umstände in keiner Weise ein. Da vielmehr unterstellt wird, es bestünden Rechtslü- cken, komme ich zur nächsten Klarstellung: Zweitens. Art. 26 des Grundgesetzes regelt eindeutig: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenle- ben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfas- sungswidrig. Die Verfassungslage ist somit klar, sodass auch des- halb keinesfalls davon gesprochen werden kann und darf, es bestünden irgendwelche Rechtslücken. Drittens. Aufgrund der Verfassungslage und auf der Basis internationaler Grundlagen einschließlich der ent- sprechenden Gerichtsbarkeiten wäre es insoweit heute möglich, Aggressoren zu belangen bzw. in entsprechen- den Fällen auch zu intervenieren. Eine Regelungslücke, um ein rechtswidriges Verhalten in diesem Feld zu ver- hindern, erkenne ich insoweit nicht. Allerdings ist das Strafrecht nach Auffassung des Ge- neralbundesanwalts enger als die Verfassungsnorm, wes- halb ich zum vierten und letzten Punkt komme: Viertens. § 80 StGB belegt die Vorbereitung eines Angriffskrieges und die dadurch entstehende Gefahr ei- nes Krieges für die Bundesrepublik Deutschland mit le- benslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. Die Norm setzt also bereits bei der Vorbereitung eines entsprechenden Krieges an. Der Ge- setzgeber hatte klar vor Augen, dass von deutschem Bo- den niemals mehr ein Krieg ausgelöst werden dürfe. Die Durchführung setzt eine Vorbereitung voraus, sodass der Ansatz des Strafrechts in § 80 logisch und konsequent ist. Nun werden wir uns mit der Frage beschäftigen, ob die beantragte Änderung des § 80 StGB notwendig und zweckmäßig ist. Dabei werden die auch in der Einstel- lungsverfügung genannten Aspekte eine Rolle spielen müssen, also zum Beispiel die Tatsache, dass wir mit dem deutschen Strafrecht keine anderen Staaten für ihr Verhalten belangen können, dass es somit nicht Aufgabe deutscher Strafgerichte sein kann, eine Art internationale Gerichtsbarkeit auszuüben, oder dass es schwer sein dürfte, Begriffe im deutschen Strafrecht mit internatio- nalen Vorgängen zu erfassen. Auch diese Argumente waren es, die im Jahre 1968 zu der Formulierung des § 80 StGB führten. Vor dem Hintergrund der klaren Ver- fassungslage, der internationalen Bestimmungen und der heutigen Gegebenheiten werden wir deshalb beurteilen müssen, ob sich heute im Gegensatz zu der Einschätzung des damaligen Gesetzgebers Veränderungsbedarf ergibt. Jörg van Essen (FDP): Es ist ärgerlich, dass wir uns bei einem so wichtigem Thema wie der Bewahrung des Friedens mit einem Schaufensterantrag beschäftigen müssen. Es ist bekannt, dass ich grundsätzlich großen Respekt vor Gesetzentwürfen habe, die von einer Oppo- sitionsfraktion erarbeitet werden. Wir alle wissen sehr genau, wie viel Arbeit damit verbunden ist und welchen Aufwand es darstellt, einen solchen ohne ministerielle Hilfe vorzulegen. Hier ist eine solche Mühe leider nicht erkennbar. Die Begründung ist mehr als dünn. Bei dem heute vorliegenden dreiseitigen Antrag geht es nur um kurze Effekthascherei: So wie die Fraktion der Linken generell jedem Einsatz der Bundeswehr ihre Zustim- mung verweigert, geht es auch bei diesem Antrag nicht um die Sache. Nein, man hat vielmehr den Eindruck, dass die Linke, nachdem sie zuletzt auch mit ihrer Klage gegen den Tor- nado-Einsatz in Afghanistan in Karlsruhe gescheitert ist, nun einen neuen Schauplatz zum Vortrag alter Argu- mente, dieses Mal im Strafrecht, eröffnen will. Ein sol- ches Vorgehen ist unseriös! An solchen Spielchen wird sich meine Fraktion nicht beteiligen. Dabei ist es ja in der Tat richtig, dass man sich darü- ber unterhalten kann, inwieweit § 80 StGB die Vorgaben von Art. 26 Grundgesetz tatsächlich umsetzt. Auch in dem Standardkommentar von Fischer zum StGB heißt es, dass die Vorschrift den Verfassungsauftrag des Art. 26 I 2 GG „im Wesentlichen erfüllt“ – man kann also durchaus über Nuancen streiten. Man mag auch da- rüber diskutieren können, ob aufgrund der zitierten Be- wertungen des Generalsbundesanwalts eine Anpassung des Straftatbestandes angezeigt ist. Der Gesetzentwurf der Linken sieht allerdings keine „Präzisierung und Ergänzung“ vor, sondern die vollkom- mene Neufassung des § 80 StGB. So ist zum Beispiel auch von dem Tatbestandsmerkmal der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr die Rede. So muss es sich ja bisher um einen Krieg handeln, an dem nach den Vorstellungen des Täters die Bundesrepublik unter Einsatz ihrer Streitkräfte als kriegführende Macht beteiligt werden soll. § 80 StGB schützt den Völkerfrie- den nicht umfassend. Friedensverrat – und darüber reden wir hier – ist schon jetzt keine Petitesse. Es ist richtig, hier das scharfe Schwert des Strafrechts einzusetzen. Auch unsere Ge- schichte lehrt uns, den Frieden zu bewahren. Aber: Der vorschnelle Ruf nach dem Staatsanwalt darf nicht dazu führen, dass das Schwert stumpf wird. Ich erinnere mich noch gut an eine Strafanzeige der Partei Die Grünen ge- gen Helmut Schmidt, Hans Dietrich Genscher, Hans Apel, Helmut Kohl, Herbert Wehner und Wolfgang Mischnick wegen des Plans, die neuen Pershing-2-Rake- ten und Cruise Missile der USA entsprechend des NATO-Beschlusses zu stationieren – die Grünen sahen damals darin einen Verstoß gegen § 80 StGB. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16251 (A) (C) (B) (D) Die Geschichte hat uns damals recht gegeben. Ein Angriffskrieg wurde damals nicht vorbereitet. Tatsäch- lich wissen wir heute, dass die damalige Entscheidung wahrscheinlich ein wesentlicher Mosaikstein hin zu „Glasnost“ und zum Mauerfall war. Gleichzeitig – das möchte ich an dieser Stelle auch sagen – ist das Verhalten der rotgrünen Bundesregierung im Irak-Krieg auch nach dem Schreiben des Generalbun- desanwalts nicht ad acta zu legen. Mit dem 1. Unter- suchungsausschuss stehen uns als Parlamentariern aber ganz andere Instrumente als das StGB zur Verfügung. Das Gremium wird sich noch mit der Widersprüchlich- keit der alten Bundesregierung in Sachen Irak-Krieg zu beschäftigen haben. Ob und inwieweit damit auch straf- rechtliche Implikationen verbunden sind, werden wir se- hen. Eine Lehre aus den Kriegen der Vergangenheit ist für mich vor allem diese: Bei der Entscheidung zwischen Krieg und Frieden ist zuallererst ein starkes Parlament gefordert. Leider verweigern sich die Linken seit jeher der außenpolitischen Verantwortung aller Parteien. Da- bei wissen wir alle: Die Justiz alleine wird den Weltfrie- den nicht bewahren können. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An- griffskriege sind Verbrechen gegen die Menschheit und ein fundamentaler Verstoß gegen die internationale Frie- denspflicht. Wenn ich als Deutscher in Art. 26 GG lese, dass alle Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Leben der Menschen zu stören, insbesondere die Vorbe- reitung von Angriffskriegen, zu verbieten sind, dann denke ich historisch an den Angriff Deutschlands auf Polen, die Niederlande und Frankreich, auf Norwegen und viele andere Staaten und nicht zuletzt auf die Sowjet- union. Über 50 Millionen Menschen verloren ihr Leben durch deutsche Angriffskriege. Das menschliche Leid und die Zerstörung kultureller Schätze sind unermess- lich. Die Ächtung von Angriffskriegen in unserer Ver- fassung ist nichts weniger als die Lehre aus dem tiefsten moralischen Niedergang, den unser Land und wir Deut- sche verursacht und erlitten haben: Von Deutschland soll nie wieder Krieg und Vernichtung ausgehen. Der Verfassungsauftrag des Art. 26 GG, friedensver- räterische Handlungen unter Strafe zu stellen, blieb lange unerfüllt. Erst 1968 – nach jahrelangen Diskussio- nen und mehreren fruchtlosen Anläufen – wurden die §§ 80 und 80 a ins StGB aufgenommen. Danach stehen sowohl Vorbereitungen zu Angriffskriegen als auch jeg- liche sie schürende Propaganda unter Strafe. Warum hat es so lange gedauert? Die Dokumente der damaligen Diskussion, insbesondere der Bericht des Sonderaus- schusses für die Strafrechtsreform – Drucksache V/2860 – geben Auskunft. In der Völkergemeinschaft bestand lange Uneinigkeit über den Begriff des Angriffskrieges. Inzwischen sind die Grenzen – mehr oder weniger klar – herausgearbeitet, um völkerrechtswidrige Angriffskriege zu scheiden von Gewalt zur Beendigung von Gewalt, von Gewalt zur Rettung unschuldiger Menschen vor Ge- noziden, von Gewalt, um Angriffskriegen zuvorzukom- men, von Gewalt zur Befreiung von Unterdrückung und Fremdbeherrschung. Der jetzige § 80 StGB ist beileibe nicht vollkommen, und es ist leicht, sich – wie die Linke es heute tut – wich- tigtuerisch und besserwisserisch in Kritik zu üben. Ver- gleichen wir aber die bisherigen Versuche zur völkerrecht- lichen Durchsetzung der internationalen Friedenspflicht und der Ächtung von Angriffskriegen, die bereits ange- sprochenen Schwierigkeiten in der Umsetzung des Ver- fassungsauftrages des Art. 26 GG, die intensiven, kon- troversen und bis heute andauernden Debatten in der verfassungs- wie strafrechtlichen Literatur zu diesem Thema, vergleichen wir also die Tiefe und Intensität die- ser Diskurse mit dem heutigen – ärmlich schlichten und in der Begründung dürftigen – Antrag der Linken, dann müssen wir feststellen: So schludrig, so oberlehrerhaft, so problemignorant können sich des Themas nur diejeni- gen annehmen, denen es weniger um die Sache selbst als vielmehr darum geht, sich im Parlament in Pose zu set- zen und sich als die angeblich einzige Friedenskraft zu präsentieren. Die Begründungsarmut des vorliegenden Antrags dokumentiert das Ausmaß, mit dem sich die Linke an rechtspolitischen Debatten im Bundestag betei- ligt: überaus dürftig und wenig ernsthaft! Unbestritten: Niemand anders als die Generalbundes- anwaltschaft lieferte den Linken die Vorlage, unter dem Deckmantel angeblich offener Arbeitsaufträge der Ver- fassung einen infamen und irrealen politischen Angriff gegen die Politik der früheren rot-grünen Bundesregie- rung zu führen. Die Generalbundesanwaltschaft hatte sinngemäß geäußert: Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift – § 80 StGB – sei nur die Mitwirkung an der Vorbereitung eines Angriffskriegs strafbar, nicht jedoch die Führung des Angriffskriegs selbst, sodass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten An- griffskrieg nicht strafbar sei. Diese von den Linken in ih- rem Antrag leider ohne Fundstelle wiedergegebene Äu- ßerung ist richtig; aber ist auch die inhaltliche Aussage richtig? Könnte nicht vielmehr richtig sein, dass, wenn die Vorbereitung des Verbrechens „Angriffskrieg“ zur einer selbstständigen strafrechtlichen Haupttat erhoben ist, für die lebenslange Freiheitsstrafe droht, das nachfolgende Führen des vorbereiteten Angriffskriegs gedanklich nach den Grundsätzen der mitbestraften Nachtat zu beurteilen ist? Könnte es sein, dass das Unter-Strafe-Stellen der Teilnahme an einem gegen die Bundesrepublik Deutsch- land gerichteten Angriffskrieg einen Widerspruch zum geltenden Art. 82 Abs. 2 der Genfer Kriegsgefangenen- konvention begründen könnte? Und zusätzlich ist zu be- denken: Bei deutschen Soldaten würde eine Strafbeweh- rung nach § 80 StGB aus dem schon heute richtigen wie wichtigen Recht zur Verweigerung völkerrechtswidriger Befehle eine strafbewehrte Pflicht machen. Zu all diesen Fragen und Überlegungen findet sich im Antrag der Linken keinerlei Erwägung oder ernsthafte Auseinandersetzung, von Antworten ganz zu schweigen. Was bleibt, ist der Komplex der Beteiligung an einem Angriffskrieg, der nicht von Deutschland ausgeht und sich nicht gegen Deutschland richtet. Es gibt gute Gründe, diese Frage noch einmal sorgfältig zu prüfen und zu entscheiden. Ich weise an dieser Stelle jedoch ausdrücklich die penetrante Unterstellung der Linken zu- 16252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) rück, diese Frage sei bei den militärischen Einsätzen auf dem Balkan, dem militärischen Vorgehen von NATO- Einheiten gegen Serbien oder bei dem Verhalten Deutschlands bzw. einzelner deutscher Beamter gegen- über dem Krieg der USA gegen den Irak zu stellen. Deutschland hat sich zu keinem Zeitpunkt am Irak-Krieg beteiligt! Auch die Rolle von zwei BND-Agenten, die im laufenden Untersuchungsausschuss noch aufzuklären sein wird, kann nicht zum Friedensverrat, zu einer Betei- ligung am Irak-Krieg umgemünzt werden. Und das mili- tärische Eingreifen der NATO auf dem Balkan sollte Blutvergießen, Vertreibung und Massentötungen been- den. Es ist eine Ungeheuerlichkeit und inzwischen auch international klar zurückgewiesen, dies zu einem An- griffskrieg gegen ein friedliches Land umdeuten zu wol- len. Genau das steckt jedoch in Wirklichkeit hinter dem heute vorgeschobenen Gesetzesansinnen der Linken. Wir nehmen ihnen nicht ab, dass sie nur darauf aus seien, Lücken im Strafrecht und den Auftrag der Verfas- sung zum Schutz des Friedens zu erfüllen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz des Chemiewaffen- übereinkommens und eine Stärkung des Ver- tragsregimes (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU): Das Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen, CWÜ, welches am 29. April 1997 in Kraft trat, kann trotz aller nicht zu leugnenden fortbestehenden Probleme – beispielsweise hinsichtlich der konkreten Umsetzung der weitreichenden Bestimmungen des kom- plexen Regelwerkes – doch zunächst als Erfolg gewertet werden. Bei allen Schatten, die das Feld der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik uns nach einem zuerst sehr ambitionierten Aufbruch nach dem Ende des Kalten Krieges seit einigen Jahren bietet, ist das CWÜ ein hoff- nungsvoller Lichtstrahl inmitten einer derzeit eher trüb- seligen abrüstungspolitischen Wetterlage. Die grundsätzlich konstruktive Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten und Russlands mit den anderen Mit- gliedern der Völkerfamilie wie auch mit den Vereinten Nation darf als ermutigend empfunden werden. Die USA und die Russische Föderation als Besitzer der welt- weit größten Bestände an Chemiewaffen haben das Übereinkommen bereits im Jahre 1997 ratifiziert, und obwohl die Vernichtung der Bestände nicht ohne Hinder- nisse verläuft, kann doch an der Vertragstreue beider Seiten nicht gezweifelt werden. Die Tatsache, dass die Bundesregierung insbesondere Russland bei der Erfül- lung seiner Vertragspflichten unterstützt, muss lobend erwähnt werden. Vor diesem Hintergrund darf zaghaft darauf gehofft werden, dass eine erfolgreiche Gestaltung des CWÜ eine gewisse Strahlkraft auf andere abrüs- tungspolitische Themenfelder entfalten kann. Dies wäre angesichts der insgesamt unbefriedigenden abrüstungspolitischen Gesamtsituation durchaus wün- schenswert. Dachte man vor wenigen Jahren, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sei entsprechender Raum gegeben für umfassende und globale abrüstungspoliti- sche Initiativen, so müssen wir heute feststellen, dass nicht nur Spuren alter Konfliktmuster wiederbelebt wer- den, sondern zudem neue Bedrohungen entstanden sind, denen die Staaten nur allzu oft durch Modernisierung ih- rer Waffenarsenale begegnen. Nun finden wir uns also wieder auf dem knarzenden Boden der Tatsachen. Neue Bedrohungen und ein damit verbundenes anhaltendes Gefühl von asymmetrischer Gefahr und Unsicherheit in den internationalen Bezie- hungen haben unter anderem dazu geführt, dass die Staa- ten in ihrer Gesamtheit, aber vor allem die alten und neuen aufstrebenden Großmächte nicht bereit sind, in dem Sinne auf den Erhalt und Aufbau ihrer Waffenarse- nale in dem Maße zu verzichten, wie wir es uns in die- sem Hohen Hause vielleicht wünschten. Inmitten einer Situation, in welcher wir eine schmerz- hafte Erosion der meisten abrüstungspolitischen Verein- barungen wahrnehmen müssen, die nach dem Ende des Kalten Krieges in Angriff genommen werden konnten, stellt das Chemiewaffenübereinkommen jedoch ein sta- biles, dauerhaftes und mittlerweile nahezu universelles Regelwerk dar. Das ist in der Tat ein großer Erfolg, der sich auch auf die zähen, jahrelangen und manchmal frus- trierten Anstrengungen der deutschen und europäischen Seite gründet. Die bisherigen, durchaus beachtlichen Er- gebnisse im Bereich der Chemiewaffen mögen hierfür entschädigen und zur Fortsetzung der Arbeit – auch auf anderen konfliktiveren abrüstungspolitischen Bereichen – anhalten. Ich möchte es vor diesem Hintergrund keinesfalls ver- säumen, den zuständigen Stellen der Bundesregierung, des Auswärtigen Amtes und den sachkundigen wie auf- merksamen Kollegen aller Parteien für ihr großes und zielgerichtetes Engagement zu danken. Die manchmal zähen und langwierigen Verhandlungen über inhaltliche Anpassungen des komplexen Regelwerkes sind sicher- lich ebenso zehrend und mühsam wie die Umsetzung der Bestimmungen des Abkommens über die Erfassung und Vernichtung der noch existierenden Chemiewaffenbe- stände. Auch die von der Bundesregierung verfolgten Aktivitäten im Rahmen der G-8-Initiative „Globale Part- nerschaft“ seien hier anerkennend unterstrichen. All dies ist wahrlich kein leichtes Brot. Gleichwohl war diese Ar- beit bisher erfolgreich. Dies verdient an dieser Stelle ein ausdrückliches Lob. Als bedeutender Vertragspartner erwächst uns jedoch aus ebendiesen Erfolgen die fortgesetzte Verpflichtung zur Wachsamkeit über die Einhaltung der Vertragsbe- stimmungen, wie auch zur harten Arbeit in der konkre- ten Umsetzung und Anpassung des Abkommens. Hierzu gehört es sicherlich, auf eine konsequente Offenlegung der Chemiewaffenbestände aller Mitgliedstaaten zu drängen. Offene Fragen gibt es in diesem Zusammen- hang an Sudan; aber auch die Volksrepublik China ist gefordert, in diesem Bereich noch überzeugender als bis- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16253 (A) (C) (B) (D) her Transparenz zu schaffen und damit Vertrauen in ihre Rolle als verantwortungsbewusster internationaler Ak- teur zu schaffen. Die fortgesetzte Arbeit am Chemiewaffenüberein- kommen muss umso wichtiger erscheinen, als die Schre- cken chemischer Massenvernichtungswaffen noch im- mer als manifeste Bedrohung der globalen Sicherheit begriffen werden müssen. Diese Gefahren – zumindest aufseiten staatlicher Akteure – zwar noch nicht vollstän- dig gebannt, doch deutlich eingeschränkt zu haben, ist das große Verdienst des Regelwerkes und aller damit be- fassten Parteien und Personen. Die Gefahr einer Weiter- verbreitung chemischer Waffen und Agenzien an isla- mistische und sozialrevolutionäre terroristische Gruppen darf nicht aus dem Blickfeld geraten. Durch die im CWÜ-Abkommen angestrebte vollständige Erfassung und Vernichtung der Chemiewaffenbestände wird letzt- lich auch entscheidend einer Proliferation an diese nicht- staatlichen terroristischen Akteure vorgebeugt. Ein Inter- esse, welches die Weltgemeinschaft nahezu ohne Ausnahme eint und welches die unvermindert gegebene Notwendigkeit aufzeigt, mit nicht nachlassender Energie an einer weiteren Verbesserung des CWÜ zu arbeiten. Die Überprüfungskonferenzen des Chemiewaffenüber- einkommens bleiben damit auch ein wesentliches und unverzichtbares Instrumentarium zur Wahrung und Her- stellung von Sicherheit gegen terroristische Bedrohun- gen. Das Chemiewaffenübereinkommen selbst ist als ein dynamisches Regelwerk zu begreifen. Die Überprü- fungskonferenz ist gefordert, auf neue Entwicklungen zeitnah zu reagieren. Die Erfassung und Kontrolle neuer handlungsunfähiger Agenzien stellt in diesem Kontext sicherlich eine der großen Herausforderungen dar. Es be- steht die dringende Notwendigkeit, auf der anstehenden Konferenz ein gemeinsames Verständnis der Vertrags- staaten zu schaffen, unter welchen Umständen der Ein- satz dieser toxischen Agenzien zulässig ist. Ein ungemein wichtiges Anliegen muss uns jedoch die Universalisierung des Abkommens sein. Bisher sind 183 Staaten der Konvention beigetreten, darunter alle Mitgliedstaaten der NATO und der Europäischen Union. Insgesamt umfasst das CWÜ mittlerweile etwa 98 Pro- zent der Weltbevölkerung sowie etwa 98 Prozent der chemischen Industrie. Bisher erfasste die „Brandung“ damit zwar zahlreiche Steine; entscheidende Felsblöcke bleiben allerdings außen vor. So sind zwölf Staaten au- ßerhalb des Abkommens. Unter den Staaten, die das Abkommen bisher nicht einmal unterzeichnet haben, befinden sich beispiels- weise Angola, Somalia, aber auch Ägypten. Deutschland ist laut BMZ derzeit der viertgrößte Geber des Landes. Laut BMZ genießt „die kontinuierliche deutsche Unter- stützung hohes Ansehen“. Diese Vertrauensbasis ermög- lichte es – laut BMZ – „der deutschen Seite, auch bei po- litisch sensiblen Themen richtungweisende Anregungen zu geben“. Dass dies in Fragen des Umweltschutzes und der Arbeitsmarktpolitik gelingen mag, ist sicherlich er- freulich. Ob diese Fragen allerdings politisch so sensibel sind, bleibt vorerst dahingestellt. Jedoch verdient in diesem Zusammenhang die Frage Beachtung, inwiefern unter anderem das Bundesministe- rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit es bisher ver- säumt hat, Fortschritte in der Frage einer Unterzeich- nung des CWÜ einzufordern. Ähnliches gilt es zu Syrien zu sagen, welches ebenso wenig das CWÜ unterzeichnet hat. Das Auswärtige Amt als auch das BMZ bekräftigen bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihr Bekenntnis zu einem tiefen und kostspieligen Engagement in Syrien und betonen stets die Notwendigkeit eines intensiven Dialoges. Allein die mehr als mageren Ergebnisse dieses Dialoges lassen an dessen Notwendigkeit mitunter doch berechtigte Zweifel aufkommen. Die beiden angespro- chenen Häuser bleiben aufgefordert, die abrüstungspoli- tische Forderung einer CWÜ-Zeichnung durch Kairo, insbesondere aber durch Damaskus stärker als bisher in den Vordergrund zu stellen. Dies wäre zudem mehr als hilfreich, um aufseiten Israels berechtigte Bedrohungs- wahrnehmungen abzubauen und Tel Aviv dafür zu ge- winnen, einer bisher erfolgten Zeichnung auch bald eine Ratifizierung folgen zu lassen. Eine Universalisierung des Chemiewaffenübereinkom- mens würde die globale Sicherheit ein wesentliches Stück voranbringen. Ich bin mir sicher, dass die Bundes- regierung und ihre Ministerien die hohe Priorität einer Unterzeichnung und Ratifizierung des CWÜ-Abkom- mens in die diplomatischen und politischen Konsultatio- nen mit den besagten Staaten einzubringen wissen wer- den. Auch die bisherige Weigerung Nordkoreas, das Abkommen zu zeichnen, muss uns mit großer Sorge er- füllen. Nordkorea steht im Verdacht, größere Bestände an waffenfähigen chemischen und toxischen Substanzen zu besitzen. Nicht nur die an den Sechs-Parteien-Gesprä- chen mit Pjöngjang beteiligten Nationen sind daher aus- drücklich aufgefordert, Nordkorea in aller Klarheit zu ei- ner Unterzeichnung des CWÜ zu drängen. Das CWÜ kann in vielerlei Hinsicht als beispielge- bend empfunden werden und sollte als Musterbeispiel für analoge Problemlösungen auf dem Gebiet der Rüstungs- kontrolle herangezogen werden. Dies muss insbesondere für die mit der Thematik eng verzahnten BWÜ-Überprü- fungskonferenzen für biologische Waffen gelten. Auch dem BWÜ sind bisher alle Mitgliedstaaten der NATO beigetreten; die Universalität des Abkommens ist bei ei- nem derzeitigen Stand von 156 Zeichnern jedoch noch weit entfernt. Zudem sieht das BWÜ im Gegensatz zum Chemiewaffenübereinkommen nur sehr unbefriedigende Verifikationsmaßnahmen vor. Anläßlich der BWÜ-Über- prüfungskonferenzen von 1986 und 1991 wurden zwar Vertrauensbildende Maßnahmen im Sinne von Informa- tionsaustausch über relevante biologische Aktivitäten, zivile Forschungs- und Produktionseinrichtungen sowie die nationalen B-Schutzprogramme vereinbart. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass sich weniger als ein Drittel der Vertragsstaaten hieran beteiligen. Im Jahre 2006 haben neben Deutschland nur weitere 46 Staaten VBM-Meldungen abgegeben. Auf der letzten im Jahre 2006 stattgefundenen BWÜ-Überprüfungskonferenz gab es ermutigende Signale, aber letztlich noch zu wenig greifbare Fortschritte. Das bisherige Engagement der EU zur Unterstützung des BWÜ im Rahmen der Massenver- 16254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) nichtungswaffenstrategie der EU ist löblich. Gleichwohl ist hier weiterer Handlungsbedarf gegeben, den ich im Namen der Unionsfraktion bei den zuständigen Häusern der Regierung anregen möchte. Uta Zapf (SPD): Seit gestern findet in Den Haag die Überprüfungskonferenz zum Chemiewaffenüberein- kommen, CWÜ, statt. Das CWÜ ist das erfolgreichste Abrüstungsabkommen. Eine ganze Kategorie von Waf- fen wurde geächtet. Es hat ein Verifikationsregime mit Inspektionen und einer abschließend geregelten Liste der geächteten Stoffe. Ihm gehören bisher 183 Staaten an. Ziel auch dieser Überprüfungskonferenz ist die Univer- salisierung des Abkommens – die Hoffnung, dass alle 195 Staaten beitreten sollen. Dieses ehrgeizige Ziel hat- ten sich die Mitgliedstaaten für 2007, dem Jahr des zehn- jährigen Jubiläums, gesetzt. Dieses Ziel ist nicht voll- ständig erreicht, und so wird der Aktionsplan, der die fehlenden Länder einbinden soll, verlängert werden müssen. Ägypten, Angola, Somalia, Syrien und Nordko- rea fehlen im Kreis der Mitgliedstaaten. Bei Irak und Li- banon bestehen Chancen, sie einzubinden, Israel hat ge- zeichnet. Schon bei der Pariser Konferenz im Jahr 1993 zeich- neten 130 Staaten. Eine ganze Kategorie von inhumanen tödlichen Waffen wurde abgeschafft, die Staaten ver- pflichteten sich zur völligen Vernichtung der tödlichen Bestände. Die Staaten verpflichteten sich ebenfalls zur Deklaration ihrer Bestände und zu deren Vernichtung bis 2007. Russland und die USA, Indien, Libyen, Südkorea und Albanien haben ihre Bestände deklariert, aber keiner dieser Staaten konnte den Zeithorizont einhalten. Einzig Albanien hat mittlerweile alle Bestände vernichtet. Die USA und Russland haben eine Verlängerung der Ver- nichtungsfrist bis 2012 beantragt und erhalten. Auch die anderen Länder erhielten verlängerte Fristen. Allerdings ist absehbar, dass beide großen Staaten möglicherweise noch längere Fristen brauchen werden. Die USA haben angegeben, dass die Vernichtung möglicherweise sogar bis 2023 dauern könnte, obwohl die Vernichtung auf dem Johnston-Atoll schon im Jahre 1990 begann. Die Vernichtungspläne der USA haben mehrere Rückschläge erlitten, sodass die Vernichtung nur in zwei der insgesamt sieben Chemiewaffenlager be- endet ist. Fehlende Finanzmittel, technische Probleme wie Umweltverschmutzung und Ausbruch von Feuer ha- ben den Prozess mehrfach gestoppt. Politische Probleme wie Sicherheitsbedenken, Angst vor Gesundheitsproble- men und Umweltgefährdung waren weitere Hindernisse. Ähnliche Hindernisse tauchten in Russland auf. Bürger- proteste gegen geplante Vernichtungsanlagen und tech- nische Schwierigkeiten gab es auch hier. Schon frühzeitig, 1992, waren sich alle Parteien im Deutschen Bundestag darin einig, Russland bei der Vernichtung seiner Chemiewaffen zu helfen. Damals wurden 10 Millionen DM in den Haushalt als Abrüs- tungshilfe eingestellt. 1993 unterzeichneten Deutschland und Russland ein Kooperationsabkommen zur Errich- tung von Vernichtungsanlagen. Eine Pilotanlage in Gorny zerstörte seit 2002 1 200 Tonnen Lewisit und Yperit, die in Kanistern und Fässern gelagert waren. Eine weitere Vernichtungsanlage in Kambarka arbeitet seit 2006, und ein weiteres Projekt in Potschep ist in Pla- nung. Deutschland beteiligt sich mit insgesamt 1,5 Mil- liarden Dollar an der globalen G-8-Partnerschaft bis 2012, die internationale Abrüstungshilfe für Russland leistet. Das Engagement der Bundesregierung und des Bun- destages ist immer enorm gewesen. Ich habe den gesam- ten Prozess der Beratungen als Abgeordnete miterlebt und will hier allen Bundesregierungen, die ich miterlebt habe, ausdrücklich danken. Ebenso engagiert waren die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die bei der Bereitstellung von Haushaltsgeldern nie knausrig waren. Es gilt, weiterhin große Anstrengungen zur Universali- sierung des Vertrages zu unternehmen und die Vernich- tung der tödlichen Stoffe voranzutreiben. Aber es gibt auch neue Herausforderungen, die gemeistert werden müssen. Ein Problem ist das Missverhältnis zwischen den In- spektionen der Vernichtungsstätten, die viel Geld und In- spektionskapazitäten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, OPCW, in Den Haag verschlingen, und dem Mangel an Kapazitäten für Industrieinspektio- nen. Wir wollen deshalb, dass sich die Bundesregierung für die Stärkung der Organisation einsetzt. Dies bringt Probleme mit den Schwellenländern mit sich. Aus der Sicht der westlichen Staatengruppen sind verstärkte Inspektionen ein Erfordernis der Umsetzung dieses Ab- rüstungs- und Nichtverbreitungsvertrages. Die soge- nannten Non-Aligned-Members sehen in vermehrten In- dustrieinspektionen eine Bedrohung ihrer wirtschaftlich- technologischen Entwicklung. Es muss aber klar sein, dass die Kontrolle der Ver- tragstreue klar geschieden werden muss von der Frage der technologischen Zusammenarbeit. Inspektionen müssen auch als vertrauensbildende Maßnahmen zwi- schen den Teilnehmerstaaten akzeptiert werden. Die ständige Verbesserung der Verifikationstechnologien, die heute der OPCW zur Verfügung stehen, sind auch eine schiere Notwendigkeit angesichts der Veränderun- gen und Fortschritte in der chemischen Industrie. Obwohl es in der Vergangenheit Fälle von Verdacht auf Vertragsbruch gegen einige Länder gegeben hat, sind Verdachtsinspektionen bisher noch nie durchgeführt worden. Das Abkommen sieht solche Verdachtsinspek- tionen vor, um geheime Einrichtungen und Produktionen aufzudecken oder undeklarierte Bestände zu finden. Die USA haben zum Beispiel 1994 Südafrika, Ägypten, Saudi-Arabien, Iran, Libyen, China, Indien und Pakistan sowie Nordkorea, Südkorea, Thailand und Indonesien verdächtigt, chemische Waffen zu besitzen. Im Jahre 2005 standen China, Russland und Sudan unter Ver- dacht. Niemals jedoch wurden Verdachtsinspektionen angefordert. Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein: Angst, Geheimdienstinformationen zu enthüllen, diplo- matische Rücksichten. Wir geben mit dem Verzicht das Schlüsselelement der Verifikation aus der Hand, das uns zur Verfügung steht. Aber gerade angesichts des drama- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16255 (A) (C) (B) (D) tischen technischen und wissenschaftlichen Fortschritts der chemischen Industrie ist dieses Instrument unerläss- lich, um Verstöße aufzudecken oder Zweifel auszuräu- men. Das größte ungelöste Problem im Rahmen des CWÜ sind handlungsunfähig machende Agenzien, vulgo „nichttödliche Waffen“ genannt. Wir erinnern uns an die Katastrophe im Moskauer Theater und die dadurch ent- fachte heftige Diskussion ebenso wie an unsere eigenen quälenden Diskussionen im Jahre 2004 bei der Ände- rung des Ausführungsgesetzes zum CWÜ nach den Un- ruhen im Kosovo. Was sind erlaubte Mittel zur „Unruhe- bekämpfung“? Hier weist der Vertrag Unschärfen auf, die durch die stürmischen Entwicklungen der chemi- schen und biochemischen Wissenschaften erneut in den Fokus der Diskussion rücken. Mittel zur Unruhebekämpfung dürfen laut der allge- meinen Verpflichtungen des Vertrages nicht im Krieg eingesetzt werden. Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, Mittel zur Be- kämpfung von Unruhen nicht als Mittel der Kriegs- führung einzusetzen. Toxische Agenzien sind zu Zwecken „der Aufrechterhal- tung der öffentlichen Ordnung einschließlich der innerstaat- lichen Bekämpfung von Unruhen“, Art. II, 9 d, erlaubt. Al- lerdings ist die Interpretation von „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ umstritten. „Aufrechterhal- tung der öffentlichen Ordnung einschließlich der inner- staatlichen Bekämpfung von Unruhen“ wird unter- schiedlich interpretiert. Sind Polizeieinsätze im Inneren die begrenzende Definition oder eine Einsatzmöglichkeit für chemische Stoffe unter anderen Möglichkeiten? An- titerroreinsätze, Geiselbefreiung könnten auch Einsatz- szenarien sein. Chemische Stoffe für „Aufstandsbe- kämpfung“ müssen der OPCW nicht gemeldet werden. Tränengas und Pfefferspray sind nicht das Problem. Sie verursachen nur schnelle, vorübergehende sensorische Störungen. Aber die Stoffe, die im Moskauer Theater verwendet wurden, kosteten 130 Menschen das Leben. Ihre Wirkung ging weit über die im CWÜ erlaubten Wir- kungen hinaus. Die Versuchung, Stoffe zu entwickeln, die nichttödlich sind, ist angesichts von Peace-Keeping- Operationen, Aufständen und Terrorbekämpfung groß. Die Blix-Kommission warnt vor einer Aushöhlung des CWÜ angesichts der Tendenz, die strikte Interpretation der CWÜ-Regeln aufzuweichen, um „handlungsunfähig machende Agenzien“ auch in anderen Situationen als Polizeieinsätzen anzuwenden. Die Überprüfungskonfe- renz muss dieses heiße Eisen endlich anpacken, um zu definieren, welche Agenzien unter dem CWÜ unter wel- chen Umständen angewendet werden dürfen. Elke Hoff (FDP): Als Abrüstungspolitiker geht man in eine solche Plenumsdebatte zum Chemiewaffenüber- einkommen, die wir vor dem Hintergrund der in Den Haag tagenden Überprüfungskonferenz führen, mit ei- nem weinenden und einem lachenden Auge. Das Chemiewaffenübereinkommen ist bis heute – glück- licherweise – nicht von der schweren Krise gezeichnet, in der sich viele Instrumente der internationalen Rüstungs- kontrolle befinden. Vor dem Hintergrund des andauern- den kritischen Zustands der anderen multilateralen Ko- operationsregime, wachsender Konflikte innerhalb der CWÜ-Vertragsgemeinschaft und des Problems der kaum noch einzuhaltenden Vernichtungsfristen für alle Che- miewaffen im Jahre 2012 stellt sich aber die Frage, wie lange das CWÜ noch von ersten größeren Krisensym- ptomen verschont bleibt. Chemiewaffen sind historisch betrachtet die ersten der im Begriff „Massenvernichtungswaffen“ zusammen- gefassten Waffentypen, die in Erscheinung getreten sind und deren Einsatz international geächtet wurde. Wirklich umfassend und völkerrechtlich verbindlich wurde das in- ternationale Verbot von Chemiewaffen aber erst mit dem Abschluss des Chemiewaffenübereinkommens. Als das CWÜ am 29. April 1997 in Kraft trat, war es das erste und bislang einzige Abkommen der internatio- nalen Rüstungskontrolle, das Erwerb, Entwicklung, Pro- duktion und Weitergabe einer ganzen Waffenkategorie untersagt und für dieses Verbot umfangreiche Überprü- fungsmechanismen vorsieht. Die beinahe erreichte Uni- versalität des Vertragswerks ist ein beispielhaftes Sym- bol für den internationalen Konsens zur Ächtung von Chemiewaffen. Nichtsdestotrotz sollten Deutschland und die Europäi- sche Union weiterhin das Ziel einer vollständigen Uni- versalität im Auge behalten und die Bemühungen ver- schiedener lateinamerikanischer Staaten unterstützen, die versuchen, viele kleinere Länder in Ozeanien zum Beitritt zu bewegen. Wirklichen Anlass zur Sorge unter den Staaten, die noch außerhalb des CWÜ-Konsenses stehen, bieten Nordkorea, Syrien und Ägypten. Alle drei Staaten stehen im Verdacht, Chemiewaffenprogramme zu entwickeln oder bereits zu unterhalten. Die internationale Gemein- schaft muss gegenüber diesen Ländern mit Nachdruck die Aufgabe ihrer Chemiewaffenpotenziale einfordern und für einen Beitritt zum CWÜ werben. Das CWÜ ist wie kein anderes Rüstungskontrollab- kommen ein Ergebnis und ein Erfolg der Hochphase der internationalen Kooperationsbereitschaft sowie der Ab- rüstungseuphorie nach dem Ende des Ost-West-Kon- flikts. Gerade im Zusammenhang mit den schwierigen Aufgaben, denen sich die Weltgemeinschaft gegenwärtig auf dem Feld der Nichtverbreitung von Massenvernich- tungswaffen gegenübersieht, wäre es wichtig, den Geist dieser Epoche der Abrüstungsbemühungen wiederzubele- ben. Denn in einer globalisierten, zusammenwachsenden Welt sind Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtver- breitung mehr denn je wesentliche Instrumente kooperati- ver Sicherheit, deren Erhalt, Förderung und Weiterent- wicklung wieder oberste Priorität haben muss. Trotz seiner Stärken und bisherigen Erfolge wird das Chemiewaffenübereinkommen in Zukunft mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Ich bin aber opti- mistisch, dass sie bereits auf dieser Überprüfungskonfe- renz thematisiert und vielleicht auch schon gelöst wer- den können. 16256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Das CWÜ ist ein sehr komplexer Vertrag. Dies führt dazu, dass viele – vor allem kleinere – Staaten Schwie- rigkeiten haben, die Vertragsbestimmungen national zu implementieren. Die Vertragsgemeinschaft und die Or- ganisation zum Verbot Chemischer Waffen, OVCW, müssen dafür Sorge tragen, dass diesen Staaten alle er- denkliche Hilfe bei der jeweiligen Umsetzung der Ver- tragsbestimmungen geleistet wird. Denn die jeweilige nationale Implementierung ist eine wesentliche Voraus- setzung für eine erfolgreiche Nichtverbreitungspolitik. Gerade deshalb ist es besonders begrüßenswert, dass die Europäische Union dies zu einem wesentlichen Aspekt ihres gemeinsamen Standpunktes zur Chemiewaffen- überprüfungskonferenz gemacht hat. Der gemeinsame Standpunkt der EU ist für mich da- rüber hinaus ein wichtiges Signal der europäischen Ge- schlossenheit auf dem Feld der Nichtverbreitungspolitik insgesamt. Ein solches Signal wünsche ich mir auch für die kommende, weitaus konfliktreichere Überprüfungs- konferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von multilateraler Abrüstung ist Vertrauen. Grundlegende Elemente einer solchen Vertrauensbildung sind Ver- tragstreue und die Einhaltung von Vertragsverpflichtun- gen durch die Mitgliedstaaten. Deshalb ist es von beson- derer Bedeutung, dass sowohl die USA als auch Russland – die beiden Staaten mit den größten weltwei- ten Chemiewaffenpotenzialen – ihre Verpflichtung ein- halten, ihre chemischen Waffen bis 2012 vollständig zu beseitigen. Ein Verstreichen dieser Frist würde dem CWÜ einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust zufü- gen und könnte eine nachhaltige Aushöhlung der Ver- tragsnormen zur Folge haben. Deshalb begrüßt meine Fraktion ausdrücklich die Be- mühungen, die Deutschland im Rahmen der Globalen Partnerschaft unternimmt, um Russland bei der Beseiti- gung seiner Chemiewaffen zu unterstützen. Die Projekte in Gorny, Kambarka und bald Potschep sind beispielhaft für eine erfolgreiche bilaterale Abrüstungskooperation. Die voranschreitende technische Entwicklung und die wachsende Akzeptanz von sogenannten incapacitants – darunter versteht man nichttödliche, handlungsunfähig machende Stoffe – sind eine weitere Herausforderung für das CWÜ. Sie bergen die Gefahr, auf Dauer die Ver- botsnorm über Entwicklung, Weitergabe und Einsatz von Chemiewaffen aufzuweichen. Denn die Grenze zwi- schen tödlicher und nichttödlicher Wirkung solcher che- mischen Stoffe liegt häufig nur in der Dosierung der ein- gesetzten Menge. Auch ist bislang unklar, welche chemischen Stoffe zu der Gruppe der nichttödlichen Waffen gezählt werden können und beispielsweise zur Bekämpfung von innerstaatlichen Unruhen eingesetzt werden dürfen. Deshalb hängt ein Aspekt der Zukunfts- fähigkeit des CWÜ maßgeblich davon ab, ob es der Ver- tragsgemeinschaft in den kommenden Jahren gelingt, ei- nen verbindlichen Konsens über die Definition von nichttödlichen chemischen Stoffen zu erzielen und die Umstände ihrer Verwendung festzulegen. Des Weiteren ist bedauerlich, dass bis zum heutigen Zeitpunkt das wichtige Verifikationsinstrument der Ver- dachtsinspektion nicht eingesetzt wurde, und dies, ob- wohl bereits Mitgliedstaaten der Konvention beschuldigt worden sind, das CWÜ gebrochen zu haben. Meiner Meinung nach ist es wesentlich, dass in Zukunft das Auslösen einer Verdachtsinspektion nicht mehr länger nur von einem einzelnen Mitgliedstaat beantragt werden muss, sondern auch von der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen ausgelöst werden kann. Solange ein unausgesprochenes Tabu über dem Instrument der Ver- dachtsinspektion liegt, bleibt dieses eigentlich effektive Verifikationsinstrument ein stumpfes Schwert. In ihrer Gesamtheit ist die Geschichte des Chemie- waffenübereinkommens eine Erfolgsgeschichte. Lassen Sie uns gemeinsam mit unseren internationalen Partnern daran arbeiten, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Das 1992 ver- einbarte Chemiewaffenübereinkommen gilt zu Recht als eines der wichtigsten Rüstungskontroll- und Abrüs- tungsvereinbarungen. Anders als im Übereinkommen zum Verbot biologischer Waffen und im Nichtverbrei- tungsvertrag wurde für die gesamte Kategorie dieser schrecklichen Massenvernichtungswaffen ein für alle Staaten gültiges absolutes verbindliches Verbot verein- bart. Für die Überprüfung der Einhaltung des Überein- kommens wurde ein spezifischer Verifikationsmechanis- mus aufgebaut, die Organisation für das Verbot von chemischen Waffen. So weit, so gut. Leider zeigt sich in der Realität ein anderes Bild: Das ambitionierte Ziel des CWÜ, bis 2007 sämtliche C-Waffen vernichtet zu haben, wurde nicht erreicht. Die USA und Russland sind weit hinter ihren Abrüstungs- verpflichtungen geblieben, und es gilt als ausgemacht, dass die USA auch die bis 2012 verlängerte Frist nicht einhalten werden. Staaten wie Ägypten, Angola oder Syrien sind dem CWÜ noch nicht beigetreten, Israel oder Birma haben das CWÜ bislang nicht ratifiziert. Einige Staaten, allen voran erneut Russland und die USA, sind bestrebt, das umfassende Verbot für C-Waf- fen aufzuweichen und die Entwicklung und den Einsatz von handlungsunfähig machenden Agenzien für die Si- cherheitskräfte zu erlauben. Damit würden Tür und Tor geöffnet für die Proliferation chemischer Waffen. Ob Agenzien töten oder handlungsunfähig machen, ist in der Regel eine Frage der Dosierung, und in jedem Fall dienen sie auch der Kriegführung. Globale Exportkontrollregime sind ein wichtiges und effektives Instrument zur Unterbindung der Proliferation von ABC-Waffen. Wesentlich problematischer ist es, wenn selektive Staatengruppen, wie im Fall von C-Waf- fen die Australische Gruppe, der im Wesentlichen die In- dustriestaaten angehören, die Normen alleine festsetzen. Vor allem bei den Mitgliedstaaten der Gruppe des „Non- aligned Movement“, NAM, wächst der Unmut über die Exportkontrollpolitik der sogenannten Australischen Gruppe. Statt vor allem die wachsende chemische Indus- trie in den ärmeren Staaten zu kontrollieren und einzu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16257 (A) (C) (B) (D) schränken, fordern die NAM-Vertreter eine Auswertung der finanziellen und technologischen Unterstützung für die friedliche Nutzung der Chemie. Obwohl das CWÜ über einen starken Verifikations- mechanismus verfügt, werden die Instrumente nicht aus- reichend genutzt. Gerade das eigentlich äußerst effektive Instrument der Verdachtsinspektionen chemischer For- schungs- und Produktionseinrichtungen wird nicht ein- gesetzt aus Sorge vor einer Gegeninspektion. Die erfolgreiche Lösung dieser Probleme muss eine der vordringlichsten Aufgaben auf der CWÜ-Überprü- fungskonferenz sein. Die Bundesregierung wäre gut be- raten, sich nicht auf das Anliegen der Regierungsfraktio- nen einzulassen. Ihr Antrag ist doppelbödig formuliert. Einerseits wird die allgemeine Ächtung chemischer Waffen als größte Errungenschaft des CWÜ betont und festgestellt, dass der Einsatz sogenannter nichttödlicher Waffen das umfassende Verbot zu unterminieren droht. Andererseits wird am Ende des Antrages deutlich, wo- rum es den Regierungsparteien wirklich geht: eine Auf- weichung des umfassenden Verbots. Sie wollen die Ent- wicklung nichttödlicher chemischer Waffen und Wirksubstanzen zulassen. Das erinnert an die fatale Un- terscheidung zwischen gefährlicher und ungefährlicher Streumunition, die derzeit eine internationale Ächtung der Streumunition verhindert. Es gibt keine nachvoll- ziehbaren Gründe, warum toxische Chemikalien bei der Kontrolle von Unruhen eingesetzt werden müssen. Das Prinzip der Abrüstung gilt nun mal auch für den Bereich der inneren Sicherheit. Es hätte den Regierungsparteien gut angestanden, ihren Antrag noch einmal in den Fach- ausschüssen debattieren zu lassen, statt ihn Hals über Kopf durchzustimmen und der Bundesregierung damit ein Mandat für Zugeständnisse in diesem Bereich zu ver- schaffen. Zugleich ist zu hoffen, dass die Teilnehmerstaaten an der CWÜ-Überprüfungskonferenz ihren Blick auch auf die größte zukünftige Herausforderung richten. Der ra- pide technologisch-wissenschaftliche Fortschritt im Be- reich der Naturwissenschaften hat dazu geführt, dass von einer klassischen chemischen Industrie nicht mehr zu re- den ist und damit ein wachsender Teil der Produktions- stätte für chemische Substanzen aus dem Verifikations- raster herausfällt. Noch bedenklicher ist die zunehmende Verschränkung biologischer und chemischer Agenzien. Während das Übereinkommen zum Verbot biologischer Waffen und das CWÜ in Zeitlupe ausgebaut werden, fin- det der technologisch-wissenschaftliche Fortschritt mit Lichtgeschwindigkeit statt. Für einen Großteil der in der Sparte „Life Sciences“ für kosmetische oder medizini- sche Zwecke entwickelten Substanzen sind auch Ver- wendungen im militärischen Bereich oder bei der „Auf- rechterhaltung öffentlicher Sicherheit und Ordnung“, sprich Polizeieinsätzen, möglich. Für diese neue Dual- use-Gefahr reicht das jetzige CWÜ nicht aus – erst recht nicht, wenn das eigentlich absolute Verbot gelockert wird und ihr Einsatz als nichttödliche Waffe gestattet wird. Hier müssen beizeiten neue Wege gefunden wer- den. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel ein Rahmen- übereinkommen für BWÜ und CWÜ, mit dem Ziel, Lü- cken in den Grenzbereichen zu vermeiden und bei der Verifikation Synergieeffekte zu erzielen. Bislang fehlt es an einer überzeugenden abrüstungs- politischen Konzeption der Bundesregierung. Das zeigt sich auch im Bereich der B- und C-Waffen. Auf der ei- nen Seite schürt die Bundesregierung – und vor allem In- nenminister Schäuble – gerne die Angst vor terroristi- schen Anschlägen mit Massenvernichtungswaffen. Auf der anderen Seite ist nicht erkennbar, was die Bundesre- gierung selber dagegen zu tun bereit ist und tut, Es geht bei C-Waffen nicht um die Theorie, sondern um die Pra- xis. Notwendig wären zum Beispiel Anstrengungen, dass Produzenten und Händler von C-Waffen und der entsprechenden Technologie auch international straf- rechtlich verfolgt werden können. Die Bundesregierung muss stärksten Druck auf die USA und Russland aus- üben, ihr Arsenal an C-Waffen so schnell wie möglich zu vernichten. Die Universalisierung des CWÜ erfordert auch direktes bilaterales Engagement seitens der Bundes- regierung, um den Nichtunterzeichnerstaaten unmissver- ständlich klarzumachen, dass dies kein Kavaliersdelikt ist. Über allem aber muss sie sich unmissverständlich gegen eine Ausnahme nichttödlicher chemischer Waffen und Wirkstoffe vom allgemeinen Verbot aussprechen. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Montag findet in Den Haag die zweite Überprüfungs- konferenz zum Chemiewaffenübereinkommen statt. Wir hoffen und wünschen, dass die Vertragsstaaten bis zum 18. April ein Schlussdokument vorlegen, das dieses wichtige Abrüstungsabkommen bekräftigt, stärkt und in entscheidenden Bereichen weiterentwickelt. Chemische Waffen gehören zu den scheußlichsten und grausamsten Waffen der Welt. Sie wurden nicht nur im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit verheerenden Fol- gen eingesetzt. Chemiewaffen wurden unter anderem auch im Vietnam-Krieg verwendet und vor kurzem jährte sich zum zwanzigsten Mal der Giftgaseinsatz ge- gen die kurdische Bevölkerung im irakischen Halabscha. Vor diesem Hintergrund ist es eine nicht zu unter- schätzende Errungenschaft, dass wir vor knapp einem Jahr das zehnjährige Bestehen der Chemiewaffenkon- vention feiern konnten. Das 1997 in Kraft getretene Che- miewaffenabkommen ist in mehrfacher Hinsicht muster- gültig: Das Abkommen kann fast weltweite Gültigkeit bean- spruchen: 183 Staaten sind dem Abkommen beigetreten, fünf weitere haben es unterzeichnet. Das Abkommen verbietet Entwicklung, Herstellung, Besitz, Weitergabe und Einsatz einer ganzen Kategorie von Massenvernich- tungswaffen. Die Chemiewaffenbestände sind durch die Vertragsstaaten offenzulegen und binnen 10, spätestens 15 Jahren, unter internationaler Aufsicht zu vernichten. Das Herzstück des CWÜ ist das „allgemeine Zweckkri- terium“, wonach alle toxischen Chemikalien und Vor- produkte verboten und nur für bestimmte Zwecke er- laubt sind. Es gibt ein permanentes Sekretariat und ein Verifikationssystem, das die Einhaltung des Abkom- 16258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) mens, dessen Weiterentwicklung und die Vernichtung der Waffen sicherstellen soll. Man stelle sich vor: Hätten wir ein solch breit getra- genes Abkommen für den Bereich der Atomwaffen, dann wäre die Welt im Jahr 2020 weitgehend atomwaf- fenfrei! Obwohl das CWÜ eine wichtige Errungenschaft ist, gibt es sowohl im Bereich der Implementierung aber vor allem im Bereich der Weiterentwicklung eine Reihe von Problemen, die hier nur stichwortartig genannt werden können. Der Vertrag ist in vielen Staaten nur unzureichend in nationales Recht umgesetzt. Wichtige Staaten, die im Verdacht stehen, C-Waffen zu besitzen, sind dem Ab- kommen noch nicht beigetreten. Die Bundesregierung und die EU sollten weiterhin und nachdrücklicher auf Nordkorea, Somalia, Angola aber auch auf Ägypten, Sy- rien und Israel einwirken, dem Abkommen beizutreten. Von den 71 000 Tonnen deklarierter Chemiewaffen sind bislang lediglich knapp 28 000 Tonnen zerstört. Das Ziel, bis 2012 alle Waffenbestände vernichtet zu haben, wird bei dem gegenwärtigen Mitteleinsatz voraussicht- lich nicht erreicht. Hier müssen die nationalen Bemü- hungen vor allem der USA und Russlands und die inter- nationalen Hilfen erhöht werden. Um Mitgliedstaaten nicht falschen Verdächtigungen auszusetzen ist das schärfste Verifikationsinstrument – die „Verdachtsinspektion“ – bislang nur übungsweise, aber nicht real zur Anwendung gekommen. Die Bundes- regierung sollte die Mitgliedstaaten des CWÜ ermun- tern, eine unangemeldete Verdachtsinspektion in Deutschland durchzuführen. Die Grenzen zwischen ziviler und militärischer, tödli- cher und nichttödlicher Wirkung, Schutz- und Militär- forschung sind fließend. Ein ganz besonderes Problem stellt die technologische, wissenschaftliche und indus- trielle Weiterentwicklung in diesem Dual-use-Bereich dar. Die chemischen Produktionsanlagen werden immer kleiner. Sie werden bislang nur unzureichend kontrol- liert. Im Bereich der Biotechnologie und Nanotechnolo- gie gibt es rasante – auch sicherheitspolitisch relevante – Entwicklungen. Um eine Aushöhlung des C-Waffenab- kommens zu verhindern, müssen die Vertragsstaaten auf diese Entwicklungen bereits heute und nicht erst nach Abschluss der C-Waffenvernichtung reagieren. Hierzu liegen Experten-Vorschläge vor. Dies gilt auch für den heiklen Bereich des Einsatzes von Reizgasen und sogenannter nichttödlicher Waffen. Sicherheitskräfte, insbesondere in den USA und Russ- land, experimentieren seit Jahren mit nichttödlichen Waffen. Darunter sind auch chemische Mittel, die Men- schen bewegungsunfähig machen oder beruhigen sollen. Falsch dosiert oder in bewaffneten Konflikten eingesetzt können diese tödliche Folgen haben. Im Oktober 2002 setzten russische Spezialkräfte im Moskauer Musical- Theater ein hochdosiertes Betäubungsmittel zur Geisel- befreiung ein. Dabei wurden 132 der 830 Menschen ge- tötet. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass auch das amerikanische Militär ein breites Spektrum an vermeint- lich nichttödlichen Chemiewaffen für Kriegseinsätze entwickelt. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich auf der Überprüfungskonferenz dafür einsetzt, dass sich die Vertragsstaaten dieses Problems annehmen. Und wir erwarten auch, dass die Bundesregierung ihre For- schungsaktivitäten im Bereich der nichtletalen Waffen offenlegt. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Regimes geleistet. Die finanziellen, personellen und technischen Beiträge, die Deutschland zum Beispiel im Rahmen des Globalen Part- nerschaftsprogramms der G 8 zur Vernichtung der C-Waf- fen in Russland leistet, sind beispielhaft. Insgesamt hat die Bundesregierung bis zu 340 Millionen Euro für die Errichtung von drei Anlagen zur Vernichtung chemi- scher Waffen in Russland bereitgestellt. Im Gegensatz zu meinem hoch geschätzten FDP-Kollegen Stinner, halte ich diese Abrüstungshilfe für eine gute und friedensför- derliche Investitition. Sie kommt nicht nur deutschen Unternehmen, sondern auch deutsch-russischer Vertrau- ensbildung und Abrüstung zugute. Bei Delegationsrei- sen nach Gorny und Kambarka konnten wir uns vom Vorbildcharakter dieser deutsch-russischen Abrüstungs- zusammenarbeit überzeugen. Wir appellieren an Russland, seine Anstrengungen zur Beseitigung der Chemiewaffen zu erhöhen. Aber auch Deutschland, die EU und andere Staaten sollten künftig ihre Bemühungen intensivieren um andere Staa- ten bei der Sicherung und Vernichtung von Chemiewaf- fen tatkräftig zu unterstützen. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen innen- politischen Aspekt kommen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, Deutschland habe seine Bestände an vor 1945 produzierten, „alten chemischen Waffen“ vertrags- konform bis Ende April 2007 komplett vernichtet. Dies mag für die an Land gelagerten bzw. gefundenen C-Waf- fen gelten. Es gilt aber nicht für die Munitionsaltlasten, die heute noch vergraben sind bzw. in der Nord- und Ostsee lagern. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurden riesige Mengen chemischer Waffen und Kampf- stoffe im Meer versenkt. In der Lübecker Bucht liegen vermutlich 15 Flaschen mit hochgefährlichem Giftgas, die selbst noch 1961 und offenbar unter offizieller Auf- sicht versenkt worden sein sollen. Erst auf erheblichen öffentlichem Druck entschied sich die Landesregierung vor kurzem, die Giftgasflaschen zu bergen. Es gibt Hin- weise, dass auch in der Flensburger und Kieler Förde, zwischen Usedom und Bornholm und an diversen ande- ren Stellen chemische Kampfstoffe liegen. Dieses Teufelszeug ist damit nicht aus der Welt ge- schafft und nicht in der Versenkung verschwunden. Es ist eine ständige Bedrohung. Immer wieder kommt es vor, dass Fischer oder Strandbesucher von Senfgas, Ta- bun oder Phosphor verletzt werden. Hier sind nicht nur die Länder, hier ist auch der Bund in der Pflicht. Es ist schwer zu erklären, warum die Bundesregierung Russ- land aber nicht Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig- Holstein oder Niedersachsen bei der Identifizierung, Si- cherung, Bergung und Vernichtung von Munitionsaltlas- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16259 (A) (C) (B) (D) ten unter die Arme greift. Es wäre daher sehr zu begrü- ßen, wenn sich der Bund hier zu seiner Verantwortung bekennt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Für eine umfassende Strategie zur demokra- tieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisierung Pakistans – Keine U-Bootlieferung an Pakistan (Tagesordnungspunkt 17, Zusatztagesordnungs- punkt 8) Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Es ist gut, dass wir uns heute auf der Grundlage von zwei Anträgen der Frak- tion Bündnis/Die Grünen mit Pakistan beschäftigen und mit der Frage, wie wir diesen für uns strategisch wichti- gen Schlüsselstaat dauerhaft stabilisieren können. Der ständige Strom von militanten Aufständischen und wohl auch von Al-Qaida-Terroristen aus Pakistan nach Afgha- nistan gehört zu den wichtigsten Sicherheitsproblemen, vor denen Afghanistan und die 40 000 ISAF-Soldaten sowie die Tausenden von zivilen Aufbauhelfern aus vie- len Länder dieser Welt in Afghanistan stehen. Ein strate- gischer Schlüsselstaat ist Pakistan auch im Hinblick auf den internationalen Terrorismus geworden, wie die Aus- bildungslager zeigen, in denen immer häufiger auch Deutsche gesehen werden. Und nicht zuletzt: Pakistan ist ein Atomwaffenstaat. Mit ihrem Antrag „Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabi- lisierung Pakistans“ unternimmt die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen eine wie ich finde zutreffende Beschreibung der Lage. Auch die Einzelmaßnahmen, die die Grünen von der Bundesregierung einfordern, finden im Großen und Ganzen meine Zustimmung; schließlich entsprechen sie weitgehend der bisherigen Politik – die allerdings weiter verstärkt werden muss – wie auch den Empfeh- lungen der International Crisis Group. Andererseits sollten wir uns immer dessen bewusst bleiben, dass Pakistan von außen nur schwer zu beein- flussen ist. Hier habe ich eine kritische Anmerkung zu dem Antrag: Erwartet wird eine nationale, deutsche Pa- kistan-Strategie, die gleichwohl umfassend genannt wird. Wirklich „umfassend“ wäre nur eine gemeinsame EU/NATO-Strategie, die möglichst viele auch der ande- ren ISAF-Truppenstellerländer „umfassen“ müsste. Denn nur wenn Pakistan von möglichst vielen von au- ßerhalb die gleichen Signale empfängt, besteht die Aus- sicht, dass Einfluss genommen werden kann. Ansätze zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen sind in der EU-Entwicklungshilfepolitik gegenüber Pakistan vor- handen; sie ist erfreulicherweise in den letzten Jahren verstärkt worden. In jedem Fall brauchen wir für eine „umfassende“ Pakistan-Strategie eine enge Abstimmung zwischen der Europäischen Union und den USA. Einen wichtigen Faktor dürfen wir dabei nicht überse- hen: die Rolle Chinas. China ist seit jeher ein wichtiger Verbündeter Pakistans, und wir wissen, dass China in seiner Außenpolitik durchaus eigene Ziele verfolgt. Lei- der gehört zu diesen Zielen nicht das, was uns gerade im Falle Pakistans besonders wichtig ist: Zivilgesellschaft, Rechtsstaat, Demokratie. Lassen Sie mich noch einen Hinweis auf Verbindun- gen geben, die sich für eine Pakistan-Strategie vielleicht mehr als bisher nutzen lassen: Pakistan unterhält ein aus- gesprochen enges Verhältnis zu den Vereinigten Arabi- schen Emiraten. Vor allem sind Pakistan und die Türkei eng und freundschaftlich miteinander verbunden. Wa- rum machen wir uns diese Verbindung nicht stärker zu- nutze als bisher? Pakistan hat 165 Millionen Einwohner. Pakistan ist damit der sechstgrößte Staat auf dieser Welt. Pakistan ist seit 60 Jahren unabhängig, gegründet als „Staat für Mus- lime“. Unter diesen Voraussetzungen wäre Pakistan heute überall sonst auf der Welt eine bedeutende Regio- nalmacht, also ein Staat, auf den sich kleinere Nachbarn in ihrer Politik beziehen und die Pakistan mit seiner Politik beeinflussen könnte. Aber das „geografische Schicksal“ hat es so gefügt, dass Pakistan mit Indien und China zwei Milliardenvölker zu Nachbarn hat und mit Iran ebenfalls einen Staat mit regionalem Macht- anspruch. Das Verhältnis zu Afghanistan ist zwiespältig, belastet durch eine koloniale Grenzziehung, die von bei- den nicht anerkannt wird. Aus seiner Stellung in der Re- gion kann Pakistan also Positives für seine Identität zie- hen. Aus dem „Staat für Muslime“, als der Pakistan ge- gründet wurde, ist heute ein Staat geworden, der sich de- zidiert als islamischer Staat versteht. Weil das in sich ein Widerspruch ist – der Islam definiert sich gerade nicht in nationalstaatlichen Grenzen, sondern versteht sich als Umma, als alle Muslime auf der Welt umfassend –, hat Pakistan ein gravierendes Identitätsproblem. Es hat sich hauptsächlich eine Art Antiidentität entwickelt: gegen Indien, gegen den Westen, insbesondere gegen die USA. Das Islamverständnis ist, vor allen Dingen auf dem radi- kalen Flügel der pakistanischen Gesellschaft, immer mehr vom Dschihad, also von einem kämpferischen Is- lam geprägt. Die Fixierung auf Indien – man hat mehr- fach Krieg gegeneinander geführt – hat schließlich zur nuklearen Aufrüstung beider Seiten geführt und in Pa- kistan die dominierende Rolle der Armee bis heute im- mer wieder gefestigt. Warum erwähne ich das alles? Ich glaube, wenn wir über eine umfassende Pakistan-Strategie nachdenken, müssen wir auch überlegen, ob es für Pakistan so etwas wie eine konstruktive regionale Rolle geben könnte. Es könnte unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll sein, die Verbindungen zwischen Pakistan und den zentralasi- atischen Staaten zu stärken. Auch das Pipelineprojekt zwischen Iran, Pakistan und Indien gehört in einen sol- chen Kontext, der allerdings weit in die Zukunft weist. Lassen sie mich einige Anmerkungen zu dem zweiten Antrag – „Keine U-Boot-Lieferung an Pakistan – ma- chen: Im Sinne unserer restriktiven Richtlinien für den 16260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Export von Rüstungsgütern wird Pakistan als „sonstiges Land“ außerhalb von EU und NATO sowie diesen gleichgestellten Ländern bezeichnet. Bei Rüstungsex- porten in diese Länder ist in besonderer Weise sowohl die innere Lage, die Menschenrechtssituation, die regio- nale Stabilität und die Gefahr der Proliferation in die Ab- wägung einzubeziehen, ob überhaupt Rüstungsgüter ge- liefert werden können. Was nun die U-Boote anbetrifft, so gibt es bisher eine positiv entschiedene Voranfrage. Über einen endgültigen Liefervertrag ist bisher noch nicht entschieden. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDP geht allerdings hervor, dass es bisher praktisch noch nicht vorgekommen ist, dass nach einer positiv entschiedenen Voranfrage das Ausfuhrgeschäft letztlich nicht genehmigt wurde. Im Zu- sammenhang mit den möglichen U-Boot-Exporten ist wichtig, dass die Bundesregierung definitiv erklärt hat, dass sie keine Genehmigung für Waffensysteme erteilt, die nuklear bewaffnet werden könnten. Trotzdem halte ich den Export dieser U-Boote für außerordentlich pro- blematisch. Zur Begründung verweise ich auf das vorher Gesagte und auf die in den Anträgen wie ich finde weit- gehend zutreffend beschriebene Analyse der Lage im Land und in der Region. Nach der Ausrufung des Not- stands durch Präsident Musharraf hatten wir am 8. No- vember 2007 im Deutschen Bundestag eine Pakistan- Debatte, in der ich mich für ein Moratorium für Militär- hilfe an Pakistan ausgesprochen habe, das so lange ein- gehalten werden soll, bis man deutlich erkennen kann, in welche Richtung sich Pakistan entwickelt. Daran möchte ich auch im Hinblick auf den U-Boot-Export festhalten. Eine Bemerkung zum Tenor des Antrags kann ich mir zum Abschluss nicht verkneifen: Wenn man den Antrag der Grünen liest, könnte man den Eindruck bekommen, es habe zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung über- haupt keine Rüstungsexporte an Pakistan gegeben. Denn viele der Gründe, die jetzt gegen den U-Boot-Export an- geführt werden, gab es auch schon vor 2005, und sie hät- ten, nimmt man sie so apodiktisch, wie sie in dem An- trag formuliert sind, dazu führen müssen, dass jeder Antrag auf Export von Rüstungsgütern abgelehnt hätte werden müssen. Aber so war es nicht: 2003 wurden aus Deutschland Rüstungsgüter im Wert von 900 000 Euro nach Pakistan ausgeführt, 2004 schon für 32,7 Millionen Euro, 2005 für knapp 100 Millionen Euro. So viel zur Übereinstimmung von Rhetorik und tatsächlichem Han- deln bei unseren grünen Kolleginnen und Kollegen. Johannes Pflug (SPD): In der Plenardebatte am 8. November 2007 habe ich die Auffassung vertreten, dass es für Pakistan aus meiner Sicht vier Entwicklungs- szenarien gibt: der Staat zerfällt und wird unkontrollier- bar wie Afghanistan; es entsteht ein Islamischer Gottes- staat; die Militärdiktatur bleibt an der Macht; die Demokratisierung mit der Gefahr, dass Teile der alten korrupten Eliten wieder in Führungsämter gelangen. Am 18. Februar dieses Jahres haben die Menschen in Pakistan tatsächlich ein neues Parlament gewählt und die EU-Wahlbeobachtungskommission hat dieser Wahl grundsätzlich ihren Segen gegeben. Zwar haben die Wahlbeobachter die Rahmenbedingungen kritisiert, den- noch habe die Wahl ihren pluralistischen Maßstäben ge- nügt. Man darf hoffen, dass die Koalition aus den jahrzehn- telangen Hauptkonkurrenzparteien PPP und PML-N plus der säkularen Awami National Party, ANP, und der reli- giös-konservativen Jamiat Ulema-e-Islam, JUI-F, zur Stabilisierung des Landes beiträgt. Dass die Situation sich vom vergangenen Jahr bis heute etwas stabilisiert hat, wird ja auch deutlich im Un- terschied der Beurteilungen, die sich im Antrag 16/5594 von Bündnis 90/Die Grünen „Keine U-Bootlieferung an Pakistan“ vom 13. Juni 2007 und dem Antrag derselben Fraktion vom heutigen Tage widerspiegelt. Lassen Sie mich feststellen, dass ich im Wesentlichen Ihre Beurtei- lung von heute teile. Allerdings glaube ich zum einen, dass die Bundesregierung sich übernehmen würde, wenn sie Ihrer Forderung nach Vorlage einer umfassenden Pa- kistan-Strategie nachkommen sollte. Zum Zweiten sollte man vorsichtig sein mit der For- derung nach Freilassung aller noch in Haft befindlichen politischen Gefangenen. In einem Staat wie Pakistan sollte man damit behutsam umgehen, weil der Übergang zwischen Islamisten, Fundamentalisten, Extremisten bis hin zu Terroristen mitunter kaum identifizierbar ist, und somit auch nach unserem Verständnis die Abgrenzung zwischen politischem Extremismus und Kriminalität nicht ohne Weiteres möglich ist. Dem Rest Ihrer Forde- rungen stimme ich zu, möchte aber feststellen, dass es im Moment und in der Zukunft wichtig ist, dass sich die Lage wieder normalisiert und stabilisiert. Pakistan darf weder zerfallen noch ein islamischer Gottesstaat werden. Dies hätte gravierende Auswirkungen auf die ganze Re- gion Südasien. Deshalb sollten Deutschland und die Europäische Union durchaus auch im Sinne Ihres Antrages die pakis- tanische Regierung und das pakistanische Parlament in ihren Bemühungen um Demokratisierung und Stabilisie- rung unterstützen, da dies von höchster Bedeutung für die Entwicklung in Afghanistan ist. Die jüngsten Ent- wicklungen in Pakistan sollten uns Deutschen zu einer stärkeren Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern und den USA veranlassen. Zusammen müssen wir als internationale Gemeinschaft auf eine Rückkehr zur Normalität drängen, aber auch die notwendige Hilfe leisten, politisch und finanziell. Abschließend will ich noch auf den Antrag „Keine U-Bootlieferung an Pakis- tan“ vom 13. Juni des letzten Jahres eingehen. Zurzeit befindet sich die Lieferung der U-Boote in einer Stornie- rungsphase. Wie ich schon eingangs feststellte, hat sich in den letzten Wochen die Situation in Pakistan etwas verbessert. Da die Bundesregierung schon bei ihrer ers- ten Entscheidung im letzten Jahr der Meinung war, dass die Voraussetzungen des vierten Kriteriums des EU-Ver- haltenskodexes für Pakistan nicht vorliegen, hat sich ihre Auffassung mithin in der heutigen Situation wohl kaum verändert. Ich will mich darüber nicht weiter auslassen, aber ausdrücklich festhalten, dass ich über die Lieferung von U-Booten nach Pakistan nicht glücklich bin, zumal diese Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16261 (A) (C) (B) (D) kaum zur Stabilisierung der Situation an der pakistani- schen Westgrenze beitragen dürften. Elke Hoff (FDP): Dass sich der Deutsche Bundestag mit der Stabilisierung Pakistans beschäftigt, ist überfäl- lig. Die Bundesregierung beschreibt zwar immer wieder zutreffend die Bedeutung Pakistans als Schlüssel zur Lö- sung der Probleme in der Region, doch halten sich die Anstrengungen der Bundesregierung in Grenzen, wenn es darum geht an der Lösung mitzuwirken. Dabei hofft man in Pakistan gerade nach der überraschend fair und demokratisch verlaufenen Parlamentswahl im Februar auch auf eine deutsche Unterstützung bei der weiteren Stabilisierung und Demokratisierung des Landes. Deutschland ist als ehrlicher Makler hoch willkommen. Es besteht aber auch ein unmittelbares deutsches Inte- resse daran, die demokratische, zivilgesellschaftliche und ökonomische Entwicklung in Pakistan zu fördern. Verlust an regionaler Sicherheit wirkt sich stets auf die weltweite Sicherheitsbalance aus. Wenn es in Pakistan aufwärts geht, wird man das zuerst in Afghanistan spü- ren. Die dortige Verschlechterung der Sicherheitslage hängt neben einem Verlust von Einfluss der pakistani- schen Sicherheitskräfte in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion auch mit der miserablen wirtschaftlichen und infrastrukturellen Situation in der dortigen Region zusammen. Darüber hinaus hat Deutschland Know-how und Technologien anzubieten, die helfen können, die Le- bensbedingungen vieler Menschen und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich denke hier ins- besondere an Infrastrukturprojekte, Bildungsangebote, alternative Energien sowie technologische Unterstüt- zung bei der Grenzsicherung. Uns sollte Mut machen, dass Pakistan über ein großes Reservoir an gut ausgebil- deten jungen Menschen verfügt, die Teil einer zukünfti- gen politischen und wirtschaftlichen Elite sein können. Mit diesen Hoffnungsträgern muss ein intensiver Dialog aufgenommen werden. Ohne Frage ist Pakistan auch nach den Wahlen wei- terhin von stabilen demokratischen Verhältnissen, wie wir sie uns vorstellen, entfernt. Daher brauchen wir Ge- duld und sollten unsere Erwartungen an die Geschwindig- keit von Modernisierungsprozessen auf ein realistisches Maß reduzieren. Nur wenn wir die gesellschaftlichen und kulturellen Besonderheiten Pakistans verstehen, wird ein Dialog mit Pakistan Erfolg haben können. Bei aller angebrachten Skepsis teile ich die düstere Einschätzung in den Anträgen von Bündnis 90/Die Grü- nen nicht und halte die Zustandsbeschreibung und die Forderungen auch für keine sinnvolle Grundlage, die Rolle Deutschlands im Stabilisierungsprozess Pakistans zu definieren. Pakistan steht nicht an der Grenze zum Staatszerfall, und die Nuklearwaffen drohen derzeit auch nicht in die Hände von Extremisten zu fallen. Die Wah- len haben gezeigt, dass die Masse der pakistanischen Be- völkerung die Islamisten nicht will und politisch nicht unterstützt. Sie haben nur einen Sitz im Parlament errun- gen und haben darüber hinaus in den paschtunischen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan und in der Nordwestprovinz ihre Regierungsbeteiligung verloren. Ebenso erfreulich ist, dass die von Präsident Musharraf im vergangenen November entlassenen und unter Haus- arrest gestellten Richter endlich wieder freikommen. Die Bewegung der Rechtsanwälte hat in den letzten Monaten gezeigt, dass es auch außerhalb der Parteien ein großes zivilgesellschaftliches Potenzial in Pakistan gibt. Auch wenn sich die Rolle des Militärs in Pakistan mit unseren Vorstellungen von Streitkräften innerhalb einer Demokratie nicht vereinbaren lässt, so muss man aber konstatieren, dass es auch in den Zeiten größter Instabili- tät die Kontrolle über die pakistanischen Nuklearwaffen sichergestellt hat. Wenn Deutschland einen Beitrag zur Stabilisierung Pakistans leisten will, muss es auch möglich sein, die pa- kistanischen Sicherheitskräfte, insbesondere die Grenz- polizei, sowohl bei deren Ausbildung als auch bei der Ausstattung zu unterstützen. Daher halte ich nichts von einer pauschalen Ablehnung dieser an manchen Stellen notwendigen technologischen Unterstützung, wie sie im vorliegenden Antrag formuliert wird. Vielmehr sollte man im Rahmen eines vertrauensvollen Dialogs versu- chen, Pakistan und auch Indien an die internationalen Rüstungskontrollregime heranzuführen. Pakistan muss vor allem auch durch die internationale Unterstützung in die Lage versetzt werden, gegen die Proliferation von sensiblem Wissen und Technologien nichtstaatlicher Ak- teure besser gerüstet zu sein. Hier war Pakistan in der Vergangenheit zu anfällig, wie der Erfolg des Khan- Netzwerkes gezeigt hat. Ich möchte die Bundesregie- rung ermuntern, die neue Situation in Pakistan für einen Ausbau der bilateralen Beziehungen zu nutzen. Ich halte die von Bündnis 90/Die Grünen vorgenom- mene Verknüpfung des Antrags zur Stabilisierung Pa- kistans mit dem Antrag gegen eine Lieferung deutscher U-Boote nach Pakistan für falsch. Man kann zur U-Boot- Lieferung ja durchaus unterschiedlicher Auffassung sein, dieser Antrag hätte jedoch in die Debatte zum Jahresrüs- tungsbericht oder zum Rüstungskontrollbericht gehört. Das Wahlergebnis hat sowohl der PPP als auch der Muslimliga breiten Rückhalt eingeräumt. Wie stark die Parlamentsfraktionen gegenüber Präsident Musharraf agieren können, hängt sicher auch von der Unterstützung ab, die das pakistanische Parlament aus dem Ausland er- fährt. Daher wünsche ich mir einen intensiveren inner- parlamentarischen Austausch zwischen dem pakistani- schen Parlament und dem Deutschen Bundestag. Unsere pakistanischen Kollegen suchen aktiv nach politischen Kontakten in Deutschland. Ein solcher Austausch kann und soll auf beiden Seiten Türen öffnen, sodass er sich auch mittelfristig im Bereich der Universitäten, der Wirt- schaft und beim Aufbau der zivilen Organisationen nie- derschlagen kann. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Nach den Wahlen am 18. Februar diesen Jahres sieht es so aus, als stabili- siere sich das Land: Musharraf wurde abgewählt, radi- kale religiöse Parteien konnten sich nicht behaupten, die zwei Wahlsieger haben eine Regierung gebildet. 16262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pakistan nach wie vor einer der gefährlichsten Staa- ten auf der Welt ist. Politische Stabilität und demokrati- sche Entwicklung sind auch nach den Wahlen nicht gegeben: Es gibt einen weiterhin mächtigen und unkon- trolliert agierenden Geheimdienst, das Land verfügt über Atomwaffen, und das Militär dominiert Politik und Wirt- schaft sowie die sozialen Beziehungen. Kurz: Pakistan ist ein destabilisiertes Land. Pakistan ist auch deshalb so instabil, weil die interna- tionale Gemeinschaft der Militärdiktatur Musharraf als Partner im Anti-Terrorkampf jahrelang einen Blanko- scheck erteilt hat. Die USA haben in den letzten Jahren 10 Milliarden US-Dollar in das Land gepumpt und die- ses damit massiv aufgerüstet. Auch Deutschland liefert fleißig Rüstungsgüter und unterstützt damit das Wettrüs- ten der Region. Heute sehen wir das Ergebnis dieser Politik. Die Be- drohungen sind größer geworden, für Pakistan und seine Menschen, aber auch für die internationale Gemein- schaft. Einer demokratischen und friedlichen Entwick- lung stehen Gefahren entgegen, die aus der bisherigen Entwicklung Pakistans erwachsen. So werden die Militärs nicht bereit sein, ihre umfas- sende Kontrolle des politischen und ökonomischen Lebens einfach so abzugeben und einem Demokratisie- rungsprozess unterzuordnen. Allerdings wird die inter- nationale Gemeinschaft gleichzeitig dagegen sein, dass die Kontrolle des atomaren Waffenarsenals aus den Hän- den der Militärs genommen wird, die zurzeit noch für die Sicherheit der Atomwaffen stehen. Dieses Dilemma wird sich in absehbarer Zukunft nicht einfach so auflö- sen. Zu befürchten ist, dass die internationale Gemein- schaft weiterhin auf das Militär setzt, und damit feuda- listische und nicht demokratische Strukturen gestärkt werden. Weiterhin besteht die Gefahr eines Staatszerfalls. Die krassen ökonomischen und sozialen Unterschiede kön- nen zu einer Radikalisierung von Teilen der Bevölke- rung führen, die bestehenden ethnischen Spaltungen der Gesellschaft lassen sich leicht instrumentalisieren. Über manche Provinzen des Landes, über Warizistan und Be- lutschistan, hatte bereits die alte Regierung keine Kon- trolle mehr. Und nicht zuletzt steht zu befürchten, dass Pakistan wegen seiner geopolitischen zentralen Lage sowie seiner immensen Öl- und Gasvorkommen auch in Zukunft im Machtpoker anderer Mächte eine zentrale Rolle spielen wird. Das bedeutet, dass Demokratisierung und der Schutz der Menschenrechte weiterhin die Nebenrollen einnehmen werden. Das sind düstere Aussichten für die Menschen in Pa- kistan. Die derzeitige katastrophale Situation in Pakistan ist auch ein Ergebnis des gescheiterten „Kampfes gegen den Terror“. Die „Koalition der Willigen“ hat in der Ver- gangenheit allein auf Militär und Krieg gesetzt. Hinter- lassen wurde ein hochgerüstetes Pakistan, über das man die Kontrolle vollständig verloren hat. Nicht zuletzt die Bundesregierung hat mit ihrer Rüstungsexportpolitik diesen Zustand mit herbeigeführt. Die deutsche Bundes- wehr führt Krieg in Afghanistan. Und solange dieser Krieg andauert, solange wird auch Pakistan weiter desta- bilisiert. Da helfen auch keine Entwicklungs- und Stabi- lisierungsprogramme, wie der vorliegende Antrag der Grünen fordert. Denn dieser zeigt, dass die Grünen das eigentliche Problem verkennen. Vordringlich notwendig ist die Entmilitarisierung der ganzen Region, das heißt die Beendigung des Krieges in Afghanistan. Notwendig ist der Stopp der Aufrüstung Pakistans sowie eine internationale Kontrolle ihres Atomwaffenpotenzials, die darauf abzielt, es vollständig zu beseitigen. Zudem müssen die territorialen Konflikte mit dem Nachbarn Indien gelöst werden. Dann können auch Entwicklungsprogramme eine nachhaltige Wirkung erzielen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den letzten Jahren haben wir die Entwicklungen in Pa- kistan mit Sorge zur Kenntnis genommen. Seit der Machtübernahme von Präsident Musharraf 1999 betrifft das nicht nur das innere Demokratiedefizit und eine mi- serable Menschenrechtsbilanz. Pakistan drohte sich in Richtung eines Failed State und zunehmenden Aktions- felds für islamistische Extremisten zu entwickeln. Lange Zeit hielten vor allem die USA an Musharraf als Hauptverbündetem im „Krieg gegen den Terroris- mus“ fest. Die Erfolgsbilanz ist ernüchternd: Die Struk- turen der Taliban in den Grenzgebieten zu Afghanistan wurden nicht entscheidend geschwächt; die Lebensbe- dingungen der dortigen Bevölkerung bleiben katastro- phal; aufseiten der pakistanischen Geheimdienste und Armee gibt es wenig Begeisterung für den US-erklärten Antiterrorkrieg und teils offene Sympathie und Verbin- dungen zu den jahrelang instrumentalisierten Taliban- kämpfern. Gerade aus diesem Grund ist die jahrelange Versor- gung Musharrafs als vermeintlich bestem Garanten von Stabilität mit Finanzmitteln und Rüstungsgütern kritisch zu hinterfragen. Denn die letzten Monate haben nicht nur gezeigt, wie schwach seine Legitimation im eigenen Land war; letztlich eskalierte unter seiner Alleinherr- schaft die extremistische Bedrohung in Pakistan infolge der Kämpfe um die „Rote Moschee“ in Islamabad wei- ter. Es fällt auf, dass unsere – damit meine ich deutsche und europäische – Politik kein umfassendes Konzept zum Umgang mit diesem Land und seiner instabilen Lage entwickelt hat. Zwar gibt es multilaterale Konsul- tationen vor allem in Bezug auf den Wiederaufbau in Af- ghanistan sowie begrenzte Aktivitäten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Eine echte Pakistan-Stra- tegie fehlt aber. Deshalb hat meine Fraktion bereits zwei Anträge vorgelegt, die einerseits eine solche Strategie auf die Tagesordnung setzen, andererseits auf die Unver- antwortlichkeit und großen Gefahren deutscher Rüs- tungslieferungen an Pakistan hinweisen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16263 (A) (C) (B) (D) Die jüngsten Entwicklungen in Pakistan waren be- sorgniserregend; mit den jüngsten Wahlen gab es aber auch positive Zeichen. Die Alleinherrschaft Musharrafs wurde im letzten Jahr in Pakistan zunehmend unpopulä- rer. Der Versuch, per Notstand und Einschränkung der Zivilgesellschaft eine wachsende Protestbewegung zu stoppen, scheiterte. Erst sicherte sich Musharraf eine Wiederwahl, die nur durch eine verfassungswidrige Ab- setzung der obersten Richter möglich wurde. Danach legte Musharraf zwar seinen Posten als Armeekomman- deur nieder und hob den Notstand auf; die Kritik an sei- ner demokratisch nicht legitimierten Amtsführung hielt aber an. Bei den jüngsten Parlamentswahlen am 18. Februar dieses Jahres erlitt Präsident Musharraf mit seiner Partei eine deutliche Wahlniederlage. Die Wahlsieger von der Pakistan Peoples Party, PPP, der am 27. Dezember 2007 ermordeten Benazir Bhutto und die Pakistan Muslim League-N, PML-N, unter Nawaz Sharif haben eine ge- meinsame Regierung gebildet und Yousaf Raza Gillani zum Premierminister gewählt. Das Personal dieser Par- teien bietet zwar nur eingeschränkt die Aussicht auf dy- namische Veränderung in Richtung von Rechtsstaatlich- keit und Demokratie in Pakistan. Dennoch: Erstmals seit langem existiert eine demokratisch zweifelsfrei legiti- mierte Regierung. Immerhin wurden auch die von Musharraf unter Hausarrest gestellten Richter und Rechtsanwälte von der neuen Regierung freigelassen. Für eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung ist notwendig, dass sie ihre Ämter wieder aufnehmen kön- nen. Die internationale Gemeinschaft und insbesondere deutsche und europäische Politik muss jetzt diese Rück- kehr zur verfassungsmäßigen Ordnung unterstützen und gemeinsam mit der neuen Regierung den neugewonne- nen Spielraum nutzen. Pakistan ist ein weitaus pluralistischeres Land, als wir es oftmals wahrnehmen. Es existiert eine ausgeprägte und vielfältige Presselandschaft; die Zivilgesellschaft ist ebenfalls aktiv. Ihr kraftvollstes Element war die Bewe- gung der Richter und Rechtsanwälte unter Führung des ehemaligen Obersten Richters Iftikhar Chaudhry, die über Monate offen ihre Kritik an Musharrafs Willkür- herrschaft übte. Mit diesen Kräften, welche die neue Re- gierung einbeziehen muss, existieren viele Ansprech- partner, mit denen wir den Dialog suchen müssen. Insbesondere entwicklungspolitische Instrumente müs- sen wir nutzen, um rechtsstaatliche Strukturen und Insti- tutionen, um die Zivilgesellschaft zu stärken. In Pakistan ist die Rolle der Armee so stark, dass oft- mals von einer „Armee, die einen Staat hat“ anstelle ei- nes „Staates mit einer Armee“ gesprochen wird. Pakis- tan wird nur dann dauerhaft stabil werden können, wenn die zentrale Rolle der Armee im staatlichen Gefüge um- sichtig abgebaut wird und zivile Strukturen an ihre Stelle treten. Der Stabilitätsgarant einer starken Armee ist trü- gerisch; denn Konfliktpotenziale in der Region wie der Kaschmir-Konflikt mit Indien bestehen weiterhin und werden sich nicht durch weiteres Aufrüsten entschärfen lassen. Der Glaube, dass nur mit der Militärherrschaft Musharrafs Stabilität in Pakistan zu gewährleisten sei, war ein Missverständnis. Die Hoffnung insbesondere der USA, einen zuverlässigen Partner im „Krieg gegen den Terrorismus“ zu haben, war und ist trügerisch. Musharrafs Doppelspiel aus Appeasement und harter militärischer Linie gegenüber radikalen islamistischen Gruppen hat die Probleme in den schwierigen Gebieten, insbesondere in Wasiristan und Belutschistan, nicht lö- sen können. Wie groß das Störungspotenzial radikaler Organisationen ist, zeigen dagegen die anhaltenden, teils schweren Selbstmordattentate und Anschläge in Pakis- tan. Islamistische Parteien in Pakistan erlitten in den jüngsten Wahlen dagegen eine herbe Niederlage. Die Lage im Land ist und bleibt instabil, die weitere Entwicklung unvorhersehbar. Auch deshalb ist die Bot- schaft unseres Antrages zu den Rüstungslieferungen an Pakistan eindeutig: Die Ausfuhr von Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen und wäre eine endgültige Abkehr vom Grundsatz restriktiver Rüstungsexportpolitik. Der Bun- dessicherheitsrat hat dennoch eine Voranfrage Pakistans über die Lieferung zweier U-Boote positiv beschieden und Hermeskredite über 1,2 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Der Bundestag wurde im Vorfeld dieser Ent- scheidung weder unterrichtet noch konsultiert. Es bleibt ein großer Missstand deutscher Rüstungsexportkon- trolle, dass hier hinter verschlossenen Türen entschieden und dem Parlament jegliche Kontrollfunktion verwehrt wird. In der Antwort auf eine Große Anfrage unserer Frak- tion hat die Bundesregierung erklärt, dass sie die innere Lage in Pakistan bei ihrer Abwägung einbezieht. Wenn dem so ist, müsste es ein Leichtes sein, ein deutliches Nein für die in Aussicht gestellte U-Boot-Lieferung zu formulieren – ebenso wie für weitere Lieferungen in die angespannte Region. Rüstungslieferungen an Pakistan sind in keiner Weise geeignet, zur Stabilität beizutragen, sondern drohen den Rüstungswettlauf in der Region an- zuheizen. Die ungeklärte innere Lage und Instabilität verbieten die Lieferungen ebenso wie die bisherige of- fensichtliche Rolle Pakistans bei der Weiterverbreitung und der direkten und indirekten Unterstützung für extre- mistische Organisationen, insbesondere mit Blick auf Afghanistan. Pakistan ist Nuklearstaat, und wie bei kaum einem anderen Land besteht die Sorge, Massen- vernichtungswaffen könnten angesichts der instabilen inneren Lage und des anhaltenden Dauerkonflikts mit Indien außer Kontrolle geraten oder in die falschen Hände gelangen. Auch Politikerinnen und Politiker der Koalitionsfraktionen haben bereits ihre Bedenken ge- genüber Rüstungsexporten nach Pakistan eingeräumt, die gegen alle Grundsätze deutscher und europäischer Rüstungsexportrichtlinien verstoßen. Ein klares Nein der Bundesregierung ist gefordert. Sie muss darüber hinaus darauf hinwirken, dass Pakistan nicht weiterhin zu einer Quelle der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägerwaf- fen wird, sondern sich den internationalen Rüstungskon- trollregimen anschließt. Außerdem müssen wir dringend darüber diskutieren, wie der Deutsche Bundestag end- lich an einer wirksamen Kontrolle der Rüstungsexporte beteiligt werden kann. 16264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Es gibt jetzt eine Chance, Pakistan langfristig zu sta- bilisieren, was auch eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau in Afghanistan ist. Das geht nicht mit Rüstungs- lieferungen! Es muss jetzt darum gehen, eine möglichst umfassende Strategie zu entwickeln, wie in Pakistan um- fassende Verbesserungen in zentralen staatlichen Berei- chen wie Justiz, Verwaltung, Parlament und Rechtsstaat- lichkeit sowie bei den Menschenrechten und aufseiten der Zivilgesellschaft erreicht werden können. Einen wei- teren gescheiterten Staat in der Region können wir uns nicht leisten. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufsbildung (Tagesordnungs- punkt 16) Uwe Schummer (CDU/CSU): Ein europäischer Bil- dungsraum wird immer wichtiger. Hierbei gilt es, die kulturellen Eigenheiten im Blick zu behalten. So sollen mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen alle erwor- benen Kompetenzen zwischen Portugal und Malta ver- gleichbar werden. Hierzu wird derzeit eine engagierte Debatte geführt. Die duale Berufsausbildung ist als Mar- kenkern Deutschlands neben dem Europäischen Qualifi- kationsrahmen auch bei der Neuordnung der Europäi- schen Stiftung für Berufsbildung angemessen zu berücksichtigen. Sie ist bei der weiteren Gestaltung des Europäischen Bildungsraumes ein zentraler Punkt. Die Europäische Stiftung für Berufsbildung leistet seit 1990 eine gute und wichtige Arbeit in Europa und darüber hinaus. Der Vorschlag der Europäischen Kom- mission für eine Änderung der Verordnung zur Errich- tung der Europäischen Stiftung für Berufsbildung geht jedoch über das Ziel hinaus. Neben einer sinnvollen und notwendigen Anpassung des geografischen Wirkungsbe- reiches der Stiftung möchte die Kommission das Aufga- bengebiet verwässern. Um die Tragweite zu verdeutli- chen, zitiere ich aus dem Vorschlag der Kommission: „Das thematische Arbeitsgebiet der ETF sollte auf die gesamte Humanressourcenentwicklung, insbesondere die allgemeine und berufliche Bildung unter dem Ge- sichtspunkt des lebenslangen Lernens, sowie auf damit verbundene Arbeitsmarktfragen ausgeweitet werden.“ Damit würde sie ihren Markenkern – die berufliche Bil- dung – aufweichen. Die vorgeschlagene Kompetenzerweiterung ist zu all- gemein gefasst. In unserem Koalitionsantrag benennen wir von daher drei klare Punkte: Als Erstes soll der Aufgabenbereich der Stiftung nicht unklar und zu weitgehend ausgeweitet werden. Bei der Neuanpassung der Aufgaben müssen die Kompetenzre- gelungen des EG-Vertrages eingehalten werden. Das Subsidiaritätsprinzip ist zu beachten. Die Bundesregie- rung ist gefordert, dies mit auf den Weg zu nehmen und umzusetzen. Als Zweites ist wichtig, dass unser deutsches duales Ausbildungssystem angemessen berücksichtigt und ge- würdigt wird. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten in den Gremien der Stiftung weiterhin mit mehr Stimmen als die Europäische Kommission vertreten sein. Damit wird gewährleistet, dass die Regierungen ihre nationalen Be- lange auch in Zukunft angemessen einbringen können. Durch eine klare Aufgabenerweiterung und eine Mehr- heit der Mitgliedstaaten in den Gremien der Stiftung wird es keine zentralen Entscheidungen der Kommission geben. Vielmehr stehen die Mitgliedstaaten und deren Berufsbildungssysteme im Mittelpunkt. Als Drittes möchten wir, dass sich die Stiftung in der Entwicklungszusammenarbeit mit den zuständigen Insti- tutionen und Gebern stärker abstimmt. Bildung schafft Beteiligungschancen. Als Vorausset- zung für lebenslanges Lernen wird die berufliche Bil- dung immer wichtiger. Das deutsche duale System ist auch ein Exportschlager und ein gutes Modell für andere Länder. Mit unserem Antrag zur Neuausrichtung der Eu- ropäischen Stiftung für Berufsbildung wollen wir einen Beitrag leisten, damit dies zukünftig weiter verbessert werden kann. Willi Brase (SPD): Die Europäische Stiftung für Be- rufsbildung hat als eine Einrichtung der Europäischen Union seit ihrer Gründung 1990 in Turin wertvolle Ar- beit hinsichtlich der Entwicklung der Berufsbildungssys- teme in Drittstaaten sowie bei der Heranführung neuer Mitgliedstaaten geleistet. Im Netzwerk internationaler Berufsbildungsinstitutionen und Spezialisten arbeitet un- ter anderem auch das Bundesinstitut für Berufsbildung eng mit dem ETF zusammen. Im Zeitalter der offenen Grenzen in der Europäischen Union und der Entwick- lung eines gemeinsamen starken Wirtschaftsraumes hat die berufliche Bildung einen sehr hohen Stellenwert. Umso wichtiger ist ein reger gedanklicher Austausch zwischen den entsprechenden Mitgliedsländern und EU- Institutionen. Dass die Europäische Stiftung für Berufs- bildung diesbezüglich gut gearbeitet hat, zeigt die im Rahmen der Evaluation durchgeführte Aufgabenüber- prüfung. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Arbeit der Stiftung wurde als gut eingestuft. Auf Grundlage der Bewertung hat die Kommission einen Legislativvorschlag veröffentlicht. Das themati- sche Arbeitsgebiet der ETF soll – ich zitiere aus dem Antrag – „auf die gesamte Humanressourcenentwick- lung, insbesondere die allgemeine und berufliche Bil- dung unter dem Gesichtpunkt des lebenslangen Lernens, sowie auf damit verbundenen Arbeitsmarktsfragen aus- geweitet werden“. Unter diesem Gesichtpunkt ist es mei- ner Meinung nach sehr wichtig, dass die Aufgabenaus- weitung im Rahmen des EG-Vertrages vollzogen wird. Danach liegt die Verantwortung für Inhalt und Gestal- tung der beruflichen Bildung in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Die berufliche Bildung in Deutschland – und hier möchte ich besonders die duale Berufsausbildung her- vorheben – genießt international einen sehr guten Ruf. Um diesen weiter zu verbessern, hat die SPD gemeinsam Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16265 (A) (C) (B) (D) mit dem Koalitionspartner bereits vor zwei Jahren einen Antrag zur „Weiterentwicklung der europäischen Be- rufsbildungspolitik“ verabschiedet. Europa soll zu einer Wissensgesellschaft entwickelt werden. Schon alleine daraus begründet sich der hohe Stellenwert von Bildung, Wissen und Fähigkeiten. Zur- zeit leben in der EU rund 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die zu der Gruppe der gering Qualifizierten zäh- len. Ihre Qualifikationsniveaus müssen weiter verbessert werden. Hier gilt es, innerhalb der Mitgliedstaaten pass- genaue Instrumente zu entwickeln. Von der Begabtenför- derung über eine breite Bildungsvermittlung, dem lebenslangen Lernen als eigenständige Säule der Bil- dungssystems bis hin zur Benachteiligtenförderung müs- sen Ausbildung und Qualifikation allen europäischen Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen. Vor die- sem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig eine gut ar- beitende Institution wie die Europäische Stiftung für Be- rufsbildung ist. Ein weiterer Schritt auf das Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die berufliche Bildung kann auch die Gestaltung europäischer Kernberufe sein. Da die Arbeits- und Geschäftsprozesse in Europa weit- gehend einheitlich sind, können auch die beruflichen Standards gemeinsam auf europäischer Ebene formuliert werden. Im Dialog der Sozialpartner können unter Betei- ligung der Europäischen Kommission die beruflichen Qualifikationen gemeinsam definiert werden, die junge Menschen erlernen sollen. Den Staaten bleibt es dann überlassen, an welchen Lernorten die Inhalte vermittelt werden. Um die Transparenz von Qualifikationen und grenzüberschreitende Mobilität zu erleichtern, sollte der in der EU eingeführte Europass umfassend genutzt wer- den. Von einem abgestimmten Konzept würden sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Mitglied- staaten als auch die Wirtschaft profitieren. Auch vor diesem Ausblick ist es wünschenswert, dass in der ETF an verantwortlicher Stelle Fachleute tätig sind, die über spezifische Kenntnisse des dualen Ausbil- dungssystems verfügen und dafür Sorge tragen, dass die Vorzüge des Ausbildungssystems hinreichend bei der Arbeit der Stiftung Berücksichtigung finden. Die duale Berufsausbildung in Deutschland verfolgt einen ganz- heitlichen Ansatz des Lernens in Schule und Betrieb. Bei ihrem Berufseinstieg nach der Lehre sind die jungen Menschen voll berufsfähig, weisen eine hohe soziale Kompetenz auf und tragen in einem hohen Maße dazu bei, den Fachkräftebedarf der Wirtschaft zu decken. Uns ist es sehr wichtig, dass die Arbeit der ETF pro- fessionell weitergeführt wird. Klar muss aber auch sein, dass die Bildungskompetenz in der EU bei den Mitglied- staaten liegt und dort auch bleiben muss. In diesem Sinne freuen wir uns auf eine gute Arbeit der Europäi- schen Stiftung für Berufsbildung. Patrick Meinhardt (FDP): Die Europäische Stiftung für Berufsbildung, ETF, soll ihr Gesicht verändern. 18 Jahre nach ihrer Gründung – sozusagen im Alter der Volljährigkeit – ist es auch mehr als sinnvoll, Ausrich- tung und Inhalte mit den Anforderungen und dem Er- reichten abzugleichen. Die Entscheidung zur Umstrukturierung und Neuaus- richtung gründet auf einer Expertise aus dem Jahr 2005, als die Tätigkeit der Stiftung umfassend und kritisch un- ter die Lupe genommen wurde. Im Jahr 2006 lag der Kommission für diese so wichtige Stiftung der Empfeh- lungskatalog vor. Und Empfehlung heißt: Handeln. Über drei Jahre nach der Vorlage der Expertise werden jetzt die nationalen Parlamente damit beschäftigt. Selbst für die EU ist es unglaublich, dass die Mühlen der Bildungs- bürokratie 36 Monate gemahlen haben. Die Änderungs- anmerkungen sind sinnvoll, sie sind nachvollziehbar, sie sind konsequent. Schließlich ist der Bildungsbereich ei- ner stetigen Dynamik und dem Wandel unterworfen. Da- her muss jetzt auch über notwendige Anpassungen de- battiert und entschieden werden. Natürlich muss auch die Europäische Stiftung für Berufsbildung den Wand- lungsprozess berücksichtigen und nachvollziehen, den die Staaten der Europäischen Union bereits beschritten haben. Denn im Moment hinkt sie der bildungspoliti- schen Debatte hinterher, statt sich an die Spitze zu stel- len. Gerade neue Strategien und Ansätze im Bereich der beruflichen Bildung müssen sich in den Strukturen der Stiftung für Berufsbildung wiederfinden – und für uns Liberale zählt: Die duale Ausbildung muss ein Referenz- projekt für berufliche Bildung in Europa werden. Berufliche Bildung ist auch schon lange kein zeitlich ab- gegrenzter Lebensbereich mehr. Ständige Wissenserwei- terung, ein Ausbau von Lernmodulen weit über den schulischen Bereich hinaus und eine steigende Anzahl von Seminarangeboten machen deutlich: Lebenslanges Lernen wird die persönliche Herausforderung für die Zu- kunft. Deswegen muss auch der Inhalt der Stiftung zügig den aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Der Be- reich der beruflichen Bildung kann, sollte und darf nicht mehr von anderen Teilen des gesamten Bildungssystems losgelöst betrachtet werden. Diese Stiftung muss sich zu einer Stiftung des lebenslangen Lernens fortentwickeln. Aber auch die Veränderungen aus der Neuordnung der Außenbeziehungen der EU müssen sich bindend in der Ausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufs- bildung niederschlagen. Der geographische Wirkungsbe- reich der ETF muss mit den Aufgaben und Beziehungen der EU wachsen. Aber: Dies gilt nicht als Automatismus. Es gibt nicht automatisch mehr Geld, es gibt nicht automatisch mehr Kooperationen, es gibt nicht automatisch eine größere Bürokratie. Wir entscheiden heute über eine Aktualisie- rung der Aufgaben – und über nichts anderes. Hier er- warten wir Liberale, dass die Bundesregierung diesen Prozess aufmerksam und kritisch begleitet. Das Maßnahmenpaket der Kommission besteht im Wesentlichen aus folgenden drei Kernforderungen: Erstens. Das thematische Arbeitsgebiet der ETF soll auf die gesamte Humanressourcenentwicklung ausge- weitet werden. 16266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Zweitens. Der Wirkungsbereich der ETF im Bereich der Außenbeziehungen soll aktualisiert werden. Drittens. Schließlich sollen – dem aktualisierten Auf- gabenfeld der ETF geschuldet – die Lenkungsstrukturen der Stiftung gemäß der Vorgaben der interinstitutionellen Vereinbarung über Regulierungsagenturen modernisiert werden, um eine wirksame Entscheidungsfindung zu er- reichen. Allerdings nach dem Prinzip: „Weniger regulie- ren, sondern mehr fördernd beraten“. Der Antrag von CDU/CSU und SPD bezieht sich nun auf dieses Maßnahmenbündel und greift auch berechtige Sorgen auf. Die Neuausrichtung der ETF ist überfällig – unter ständiger Beteiligung der Länder. Der Antrag for- dert die Bundesregierung dazu auf, die Zuständigkeit der Länder bei der Ausgestaltung der Bildungsgänge zu be- tonen, die Sicherung der deutschen Interessen mit Blick auf das System der dualen Ausbildungsgänge zu ge- währleisten und ein sparsames Arbeiten der ETF sicher- zustellen. Ohne diese Grundprinzipien wäre ein Be- schluss nicht herbeizuführen! Und nur mit diesem kann und wird die FDP zustimmen. Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Wir sollen heute ei- nen Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufs- bildung“ verabschieden. Vom Titel her klingt das ja sehr gut, „Neuausrichtung“ hört sich nach Veränderung an. „Europäische Stiftung“ hört sich international und ge- meinnützig an. Und dass Bildung und insbesondere Be- rufsausbildung sehr wichtige Themen sind, hat ja nun auch die Koalition erkannt, auch wenn sie bisher wenig Hilfreiches hervorgebracht hat. Wir begrüßen, dass die Koalition ebenfalls die vorge- schlagene Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf die Kommission ablehnt. Allerdings entspräche eine Stär- kung des Europäischen Parlaments viel eher unseren Vor- stellungen von demokratischer Mitbestimmung. Der An- trag der Koalition fordert jedoch die Verlagerung in die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung. Wir be- dauern, dass die Koalition die Möglichkeit zu mehr De- mokratie in Europa verpasst hat. Die von der Kommis- sion vorgeschlagene Abschaffung des Beratergremiums will die Koalition nicht grundsätzlich rückgängig ma- chen. Sie will künftig „auch wieder mehr Fachleute“ an verantwortlicher Stelle in der ETF beschäftigt sehen. Hier wäre ein klares Signal nötig gewesen, statt ihrer halbher- zigen „Auch-wieder-mehr“-Forderung. Die ehemals in diesem Gremium einbezogenen Sachverständigen, inter- nationalen Organisationen, Vertreter der Partnerländer sowie der Sozialpartner verlieren so ihre Stimme. Ver- stärkt wird diese Schwächung der zivilgesellschaftlichen Kräfte durch die Forderung, dass die ETF zukünftig auf die vereinbarten Ziele der „Pariser Erklärung“ achtet. Diese sieht eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Regierungen der Partnerländer vor. Viele Nichtregie- rungsorganisationen sehen hierin eine Schwächung der Zivilgesellschaft. Geradezu typisch für Ihre Politik ist ihre Formulie- rung, dass „durch die neue Aufgabenbeschreibung des ETF kein Mittelmehrbedarf begründet wird.“ Sie erklä- ren ständig, was Sie wieder neues in Angriff nehmen wollen, Geld jedoch stellen Sie dafür nicht gerne bereit. Dieses Spardogma zieht sich durch ihre Politik wie ein roter, man möchte eher sagen schwarzer Faden. Dabei fordern seit Jahren alle national und international aner- kannten Organisationen der Entwicklungsarbeit, dass die Bundesregierung endlich einmal mehr Geld für diese so wichtige Aufgabe in die Hand nehmen muss. Unsere eigentliche Kritik jedoch bezieht sich auf die neue Strategieausrichtung der ETF. Die stärkere Einbin- dung in die berufsbildungspolitische Strategie der EU, dass heißt eine stärkere Ausrichtung an den Wettbewerbs- zielen der Lissabon-Strategie, lehnen wir grundsätzlich ab. Als Beitrag zur Lissabon-Strategie vereinbarten die europäischen Bildungsministerinnen und Bildungsminis- ter das Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bil- dung 2010“. Die Fokussierung auf die Wettbewerbsfähig- keit widerspricht jedoch einer auf eine Angleichung der Teilhabe an Bildung und den Lebensverhältnissen ausge- richteten EU-Außenhilfe. Diese Neuausrichtung wird durch die Erweiterung des thematischen Arbeitsgebiets der ETF sichtbar. Dieses soll insofern erweitert werden, als Berufsbildung künftig als Teil eines „umfassenden Konzepts der Humanressourcenentwicklung“ aufgefasst und daher stärker im Rahmen der gesamten Bildungssys- teme, aber auch im Zusammenhang mit Arbeitsmarktfra- gen betrachtet werden soll. Die Bildung verkommt hier zu einer ökonomisch ausschlachtbaren Ressource und die Zusammenarbeit dazu, sich die Arbeitskräfte der zukünf- tigen Beitrittsländer verfügbar zu machen. Diese strategische Ausrichtung allein auf die Verwert- barkeit des Menschen im ökonomischen Prozess, die Re- duktion auf die Wettbewerbsfähigkeit, stellt die Koali- tion mit ihrem Antrag leider nicht in Frage. Wir bedauern dies sehr. Die Fraktion Die Linke kann daher dem Antrag der Koalition keinesfalls zustimmen. In ei- nigen wenigen Punkten stellt der Antrag die Fehlent- wicklung fest, greift in seinen Lösungsansätzen jedoch zu kurz. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Europäische Stiftung Berufsbildung (ETF) ist eine dezentrale Einrichtung der EU mit dem Ziel, in Partnerländern außerhalb der EU einen Beitrag zur Ent- wicklung der Berufsbildungssysteme zu leisten. Die ETF wurde ursprünglich gegründet, um im Rahmen des Gemeinschaftshilfeprogramms PHARE in den Ländern Mittel- und Osteuropas die Berufsbildung zu unterstüt- zen. Inzwischen hat sich der geografische Wirkungsbe- reich auch auf Zielländer anderer Programme – TACIS, CARDS und MEDA – ausgedehnt. Eine 2002 bis 2005 vorgenommene Evaluierung be- scheinigte der ETF ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei ihrer Arbeit. Auch die Fachkompetenz wurde positiv beurteilt. Die EU strebt nun einige Anpassungen bei der ETF an. Die Koalition nimmt dies zum Anlass, einen Antrag vorzulegen, der von einem unterschwelligen Misstrauen gegenüber der EU gekennzeichnet ist. Das verwundert uns schon ein bisschen, und das können wir so nicht teilen. Wir sehen zum Beispiel keine Gefahr, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16267 (A) (C) (B) (D) dass die Änderungen bei der ETF zu Kompetenzüber- schreitungen der EU im Bildungsbereich führen könn- ten. Ein paar Worte zu den geplanten Veränderungen: Ers- tens soll der geografische Wirkungsbereich der Stiftung vergrößert werden, vor allem in Richtung Zentralasien. Außerdem will die EU das thematische Arbeitsgebiet der ETF auf die gesamte Humanressourcenentwicklung – Stichwort lebenslanges Lernen – ausweiten. Das sehen wir im Grunde sehr positiv, weil es der Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft entspricht. Allerdings fragen wir uns, welche Auswirkungen dies auf die finanzielle Ausstattung der Stiftung hätte. Pauschal zu beschließen, dass man hier nicht mehr Geld geben will, wie die Koali- tion es in ihrem Antrag tut, ist nicht zielführend. Zudem sollen mit der Reform auch die Lenkungs- strukturen der ETF moderner werden. Der Vorstand würde auf 15 Personen reduziert, das heißt je sechs Ver- treter aus den Mitgliedstaaten und der Kommission so- wie drei nicht stimmberechtigte Vertreter der Partnerlän- der. Die Amtszeit des Vorstands würde von drei auf fünf Jahre verlängert. Auch hier hat die Koalition wieder Angst, dass die EU-Kommission zu stark werden könnte. Sie will daher festlegen, dass mehr Vertreter der Mitgliedstaaten als der Kommission vertreten sind. Das halten wir für verzichtbar. Insgesamt können wir die mantra-artig wiederholte Befürchtung strukturkonservativer Berufsbildungspoliti- ker aller Couleur, die Vorzüge des deutschen dualen Ausbildungssystems würden in der EU nicht ausrei- chend gewürdigt, nicht mehr hören. Auch das ist ein Grund, den Antrag abzulehnen. Wenn das duale Ausbil- dungssystem alle Probleme lösen würde, dann hätten wir doch nicht die Ausweitung des Übergangssystems, in dem sich inzwischen mehr als die Hälfte der Jugendli- chen in Deutschland befinden, und die Ausweitung der vollschulischen Ausbildung. Wenn man – wie es die Ko- alition ja immer vorgibt – wirklich an die Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens glaubt, sollte man sich nicht immer ausschließlich auf den Lernort Betrieb fixieren. Stattdessen sollte die Große Koalition ihre Kraft darauf lenken, bei der Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens tatsächlich die Orientierung an Kompetenzen durchzusetzen und nicht – wie unlängst berichtet – schon jetzt bestimmte Abschlüsse bestimm- ten Niveaustufen zuordnen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Steuerverlagerung ins Ausland verhindern (Tagesordnungspunkt 21) Manfred Kolbe (CDU/CSU): Der vorliegende An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschäftigt sich mit der Frage: Welche Maßnahmen müssen wir un- ternehmen, um Steuerverlagerungen ins Ausland zu ver- hindern? Die Frage ist richtig gestellt, und seitens der Union sind auch wir schon immer um wirkungsvolle Lö- sungen bemüht. Die Fraktion der Grünen beantwortet die Frage allerdings sehr einseitig mit ihrem Antrag. Nur durch einen Wechsel von der Freistellungs- zur Anrech- nungsmethode in den Doppelbesteuerungsabkommen kann Steuerflucht ins Ausland nicht effektiv und wir- kungsvoll bekämpft werden. Lassen sie mich beide Methoden für im Ausland woh- nende bzw. arbeitende Deutsche kurz erläutern. Erzielt zum Beispiel ein in Deutschland Wohnender in Frankreich Einkünfte, so sind diese französischen Einkünfte einer Doppelbesteuerung ausgesetzt. Sie wer- den in Deutschland besteuert, weil für einen hier Woh- nenden das Welteinkommensprinzip gilt. In Frankreich werden sie auch besteuert, weil sie dort erzielt worden sind. Diese Doppelbesteuerung ist nur durch freiwillige Koordination der beteiligten Staaten im Rahmen eines Doppelbesteuerungsabkommens zu lösen. Im Prinzip gibt es hier zwei Lösungen – die Freistellungs- und die Anrechnungsmethode: Freistellungsmethode würde in dem Beispiel bedeuten, dass Frankreich – zugunsten von Deutschland – die in Frankreich erzielten Einkünfte von der Besteuerung freistellt, so dass sie nur einmal, näm- lich von deutscher Seite, besteuert werden können. An- rechnungsmethode würde bedeuten, dass Deutschland – zugunsten von Frankreich – die in Frankreich auf Grund der beschränkten Steuerpflicht bezahlten Steuern auf die deutsche Steuerschuld anrechnet, so dass eine Doppelbesteuerung im Ergebnis vermieden wird. Nun ist es sicherlich legitim, einmal über Vor- und Nachteile beider Methoden nachzudenken, um die Kon- sequenzen für das Steueraufkommen für die Bundes- republik Deutschland zu untersuchen. Wir werden dies in den weiteren Beratungen des Finanzausschusses gründlich tun. Allerdings sei schon hier auf einige grundlegende Einwände gegen eine vollständige Um- stellung von der Freistellungs- auf die Anrechnungsme- thode hingewiesen: Mehr als 100 Doppelbesteuerungsabkommen gehen bisher von der Freistellungsmethode aus und müssten bei einer Umstellung auf die Anrechnungsmethode grundlegend neue verhandelt werden. Dies wäre ein langwieriger Prozess über sicherlich ein, zwei oder drei Jahrzehnte. Auch der bürokratische Aufwand einer Umstellung für unsere Steuerverwaltung wäre gigantisch, da Deutschland dann ja auch die Gegenseitigkeit gewähren müsste und von Ausländern in Deutschland gezahlte Einkommensteuer auf deren inländische Steuern ange- rechnet werden müsste. Die deutsche Finanzverwaltung müsste viele Millionen von Bescheinigungen erstellen, da allein bei uns 3,8 Millionen Ausländer aus EU-Staa- ten und weitere rund 3 Millionen Nicht-EU-Ausländer leben. Der fiskalische Ertrag wäre demgegenüber wohl eher bescheiden, da nur rund 1,5 Millionen Deutsche im Aus- land leben. Die meisten dürften in europäischen Nach- barländern mit einem mehr oder weniger gleich hohen Steuerniveau wie in der Bundesrepublik Deutschland leben, so dass der Ertrag gering wäre. Schnellschüsse 16268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) helfen also nicht weiter, und gerade eine solche grundle- gende Umstellung muss vorher gründlich beraten wer- den. Einig sind wir uns aber in dem Ziel, Steuerverlage- rungen ins Ausland härter entgegenzutreten als bisher, um das deutsche Steueraufkommen zu sichern und auch für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Aus diesem Grunde befürworten wir von der Union Folgendes: Erstens. Steuerharmonisierung in Europa: Mit der Europäischen Zins-Richtlinie soll eine Mindestbesteue- rung von Kapitaleinkünften in Europa erreicht werden. Eine europäische konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer soll geschaffen werden. Zweitens. Gegen Steueroasen vorgehen: Für ein be- sonderes Ärgernis halte ich es, dass es mitten in Europa Steueroasen, wie die britischen Kanalinseln und einige Schweizer Kantone, gibt, die praktisch keine Steuern er- heben. Aber auch Kernländer der EU, wie Luxemburg oder die Niederlande, treiben bisweilen einen unfairen Steuerwettbewerb. Drittens. Wettbewerbsfähige Steuersätze in Deutsch- land: Mit der Unternehmensteuerreform haben wir die no- minale Körperschaftsteuerbelastung von Kapitalgesell- schaften von 38,65 Prozent auf 29,83 Prozent ermäßigt und damit das fiskalische Interesse der Unternehmen an einer Verlagerung der in Deutschland erwirtschafteten Erträge ins Ausland deutlich gemindert. Die Einführung einer 25-prozentigen Abgeltungsteuer auf Kapitalein- künfte mindert das Interesse privater Anleger, Kapital al- lein aus steuerlichen Gründen ins Ausland zu verlagern, deutlich. Die Unionsfraktion wird daher den Antrag an den Finanzausschuss überweisen. Hier werden wir dann den Antrag ausführlicher beraten. Antje Tillmann (CDU/CSU): „Steuerverlagerung ins Ausland verhindern“, das ist ein Anliegen, mit dem wir uns beschäftigen – mindestens seitdem ich Mitglied des Deutschen Bundestages bin. Wir haben in vielen Geset- zen diesem Anliegen Rechnung getragen, zuletzt im Un- ternehmensteuerreformgesetz 2008. Heute schlagen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vor, von der bishe- rigen Freistellungsmethode für im Ausland erzielte Ein- künfte deutscher Steuerpflichtiger auf die Anrechnungs- methode überzugehen. Der Gedanke, der auch seit einiger Zeit im Finanzausschuss Thema ist, ist nicht neu. Die Bundesregierung hat dem Finanzausschuss zuletzt am 18. März 2008 einen Bericht, in dem sie auf Chancen und Probleme der Methodenwahl eingeht und diese ge- genüberstellt, zugesandt. Sie stellt klar, dass ein bloßer Methodenwechsel nicht die Ideallösung zur Vermeidung von Steuerverlagerungen ins Ausland ist. Die Ausfüh- rungen in diesem Bericht sind so präzise, dass ich im Weiteren diese Darstellungen zugrunde lege. Doppelbesteuerungsabkommen können Lenkwirkun- gen auf grenzüberschreitende Investitionen entfalten und so neben dem Steueraufkommen unter anderem Wachs- tum und Beschäftigung im Inland sowie Konzernstruktu- ren beeinflussen. Über die DBA-Politik können neben der Erzielung stabiler Steuereinnahmen weitere politi- sche Ziele wie zum Beispiel die Förderung von Investi- tionen im Ausland und im Inland verfolgt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Methoden- wahl für die deutsche DBA als sehr komplex dar. Beide Methoden haben bezüglich ihrer ökonomischen und fiskalischen Auswirkungen Vor- und Nachteile. Ökonomische Auswirkung der Anrechnungsmethode: Die Anrechnungsmethode im Doppelbesteuerungsrecht entspricht dem Prinzip der Kapitalexport-Neutralität. Dies bedeutet Herstellung derselben Wettbewerbslage für alle inländischen Anleger durch identische Besteue- rung – unabhängig davon, ob sie im Ausland oder im In- land investieren. Auslandsinvestitionen werden durch die Anrechnungsmethode im Prinzip weder steuerlich begünstigt noch zusätzlich belastet oder sonst behindert. Eine Verzerrung von Standortentscheidungen kann sich häufig jedoch aufgrund von sogenannten „Anrechnungs- überhängen“ ergeben, da die Anrechnung ausländischer Steuern auf das inländische Steuerniveau der Körper- schaft- oder Einkommensteuer begrenzt ist. Die Anrech- nungsmethode erstreckt sich nicht auf die Gewerbe- steuer, da diese nur auf inländische Einkünfte erhoben wird. Darüber hinaus macht die Anrechnungsmethode ein Sitzland mit höherem Steuerniveau für multinatio- nale Unternehmen weniger attraktiv und trägt so zu einer Verzerrung von multinationalen Eigentumsstrukturen bei. Dadurch könnte Deutschland Konzernspitzen verlie- ren bzw. keine neuen anziehen. Erschwert werden könnte zudem die Nutzung von Größenvorteilen sowie der Zugang zu Lieferanten und Vertriebswegen. Diese Folgen wären negativ für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ökonomische Auswirkung der Freistellungsme- thode: Die Freistellungsmethode wiederum entspricht dem Prinzip der Kapitalimport-Neutralität. Dies bedeu- tet Herstellung derselben Wettbewerbslage für alle In- vestoren im Anlagestaat – unabhängig davon, ob sie ihre Investitionen aus dem Ausland oder aus dem Inland vor- nehmen. Besteuert wird der Kapitalexport günstiger als die inländische Anlage, sofern der ausländische Staat ein niedrigeres Steuerniveau als das Inland hat. Eine Anla- geentscheidung ist neben wirtschaftlichen auch durch steuerliche Faktoren am Anlageort motiviert, das heißt gegebenenfalls durch Steuergefälle und Steuerwettbe- werb verzerrt und ökonomisch weniger effizient. Im Ge- winnfall profitiert das Unternehmen von einer niedrigen Steuerbelastung im Ausland, was Standortentscheidun- gen erheblich verzerren kann. Im Bereich der Einkom- mensteuer wird diese Wirkung gemindert. Dieser wird in deutschen DBA regelmäßig in Verbindung mit der Frei- stellung vereinbart. Der ökonomische Effekt der Methodenwahl hängt stark vom Steuergefälle zwischen den beiden DBA-Staa- ten ab. Je niedriger der Unterschied zwischen den Steu- ersätzen ist, desto weniger fallen Vor- und Nachteile der Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ins Gewicht: Bei Freistellung ist eine Verlagerung allein aus steuerlichen Gründen unattraktiv, und umgekehrt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16269 (A) (C) (B) (D) beschwert die Anrechnungsmethode die heimische Wirt- schaft weniger durch den höheren inländischen Steuer- satz auf alle Gewinne. Die Unternehmensteuerreform mit der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 Prozent hat daher die Bedeutung der Methodenwahl reduziert; dies gilt aber nur, solange andere Staaten ihre Steuern nicht weiter senken. Die Europäische Union ist daher aufgefordert, eine gleichmäßige Besteuerung si- cherzustellen. Fiskalische Auswirkungen der Anrechnungsme- thode: Hervorheben möchte ich auch die Anfälligkeit der Anrechnungsmethode für Steuergestaltungen, die zum Beispiel zunächst den Abzug ausländischer Verluste zur Senkung der inländischen Steuerbelastung ausnutzen und ausländische Gewinne der inländischen Besteuerung entziehen, indem sie zum Beispiel durch einen vom in- ländischen Steuerpflichtigen verschiedenen ausländi- schen Rechtsträger erzielt werden. So sehen sich auch Staaten, die traditionell die Anrechnungsmethode ver- wenden, in massivem Umfang mit steuerminimierenden Gestaltungen konfrontiert. In den USA gibt es bereits Vorschläge, partiell von der Anrechnungsmethode zur Freistellungsmethode überzugehen. Fiskalische Auswirkungen der Freistellungsmethode: Die Freistellungsmethode erlaubt dem Steuerpflichtigen, von niedrigen ausländischen Steuersätzen zu profitieren. Damit wird sie anfällig für den internationalen Steuer- wettbewerb und bietet Anreize zur künstlichen Verlage- rung inländischer positiver Einkünfte in niedriger be- steuernde DBA-Staaten. Für die Freistellungsmethode spricht, dass nach derzeitiger deutscher Rechtsauffas- sung Finanzierungskosten und Verluste im Zusammen- hang mit einer ausländischen Betriebsstätte nicht abzugsfähig sind. Beachtet werden muss aber, dass die erforderliche Aufwandsaufteilung gestaltungsanfällig ist. Außerdem wird die Nichtberücksichtigung von Auf- wand erst durch grundsätzlichen Verzicht auch auf die Besteuerung von Gewinnen erreicht. Zudem wird dies EG-rechtlich angegriffen. Nach dem EuGH-Urteil vom 31. Dezember 2005 müssen auch Verluste ausländischer Tochtergesellschaften grenzüberschreitend im Sitzstaat der Muttergesellschaft berücksichtigt werden, obwohl die Gewinne der ausländischen Tochtergesellschaft dort – mangels unbeschränkter Steuerpflicht – nicht besteuert werden können. Die Frage der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Deutschland, wo eine solche Verlust- berücksichtigung nicht generell zulässig ist, und auf Ver- luste ausländischer Betriebsstätten trotz Anwendung der Freistellungsmethode aufgrund eines DBA ist Gegenstand eines weiteren EuGH-Verfahrens, RS C-414/06-„Lidl“. Sollte der EuGH entscheiden, dass ausländische Be- triebsstättenverluste trotz Geltung der Freistellungsme- thode nach einem DBA im Inland zu berücksichtigen sind, wäre die symmetrische Freistellung von Gewinnen und Verlusten nicht mehr möglich. In diesem Fall käme es zu einer Kombination der fiskalischen Nachteile der Freistellungsmethode – Nichtbesteuerung ausländischer Betriebsstättengewinne – mit den Nachteilen der An- rechnungsmethode – Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste. Fazit: Beim aktuellen Stand der Steuergestaltungs- techniken sind daher beide Methoden in hohem Maß ge- staltungs- und missbrauchsanfällig und erfordern jeweils eine Abwehrgesetzgebung. Zum gegenwärtigen Zeit- punkt lässt sich nicht beurteilen, wie die Unternehmen auf die Unternehmensteuerreform 2008 reagieren wer- den. Die finanziellen Folgen aus einer eventuell breite- ren Anwendung der Anrechnungsmethode sind daher nicht abschätzbar. Auch das Urteil des EuGH sollte bei einer Entscheidung berücksichtigt werden. Wir plädieren daher dafür, den Antrag an den Finanzausschuss zu über- weisen und alle Aspekte beider Methoden intensiv zu diskutieren. Ein solcher Methodenwechsel ist so auf- wändig und riskant, dass wir sicher sein sollten, alle As- pekte bedacht zu haben. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die mit dem Antrag verfolgte Idee ist ein verständlicher Reflex auf die Ermittlungen der Steuerfahnder der Staatsanwalt- schaft Bochum gegen zahlreiche Personen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Enorme Vermögens- werte sollen nach Liechtenstein verschoben worden sein, um die daraus zufließenden Einkünfte dem Zugriff des deutschen Fiskus zu entziehen. Ich gehe davon aus, dass die bisherigen Erkenntnisse lediglich die Spitze des Eis- bergs sind. Dieser Skandal ist nur Teil eines umfassenderen Phä- nomens, das wir seit einiger Zeit beobachten und ener- gisch bekämpfen. Denn nicht nur vermögende Privatper- sonen, sondern auch international operierende Konzerne betreiben eine massive Steuerverlagerung ins Ausland – zum Schaden des ehrlichen Steuerzahlers und auf Kos- ten der Handlungsfähigkeit des Staats. Deshalb brauchen wir einen umfassenderen Ansatz in der Steuerpolitik, wahrscheinlich weniger auf der Seite der Gesetzgebung, der Legislative, als vielmehr im Bereich des Vollzugs, der Exekutive. Die unterschiedlichen Formen der Steuerhinterzie- hung und -gestaltung gedeihen prächtig auf einem Nähr- boden, der offensichtlich auch von zu vielen Steuerbe- trügern und ihren Helfershelfern in ausgewählten Banken und Regierungen von Steueroasen zum eigenen Vorteil bestellt wird. Begünstigt werden diese gesetzes- widrigen Tricksereien und die unseriösen Geschäfts- praktiken durch Mängel in der Finanzmarktkontrolle so- wie im Gesetzesvollzug. Diese Lücken wollen wir schließen, denn Steuerkri- minalität verbaut den Weg zu unserem Ziel einer solida- rischen Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft und unterspült deren finanzielles Fundament. Wir streben an, dass das Risiko, entdeckt zu werden, für Steuerbetrü- ger deutlich steigt. Denn ein System, das steuerehrliche Personen oder Unternehmen nicht vor Wettbewerbs- nachteilen schützen kann und betrügerischen Gestaltun- gen keinen Einhalt gebietet, hat schwerwiegende Ge- rechtigkeitsdefizite, Akzeptanzprobleme übrigens auch. Steuergerechtigkeit erfordert auch die Gleichbehand- lung aller Steuerpflichtigen und die gleichmäßige und angemessene Verteilung ihrer Finanzierungslasten. Steu- ergerechtigkeit und Steuerehrlichkeit sind zwei Seiten 16270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) einer Medaille und spiegeln wichtige Aspekte des mora- lischen Grundkonsenses unserer Gesellschaft wider. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will mit seinem Vorschlag der Umstellung von der Freistel- lungs- auf die Anrechnungsmethode bei Doppelbesteue- rungsabkommen nichts Falsches. Allerdings zielt der Vorschlag auf einen viel zu kleinen Anwendungsbereich und droht schon dadurch, sein Ziel zu verfehlen. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Zu viele zentrale Sachverhalte sind nicht berücksichtigt. Bleiben wir einen Augenblick bei dieser Spezialbe- trachtung: Doppelbesteuerungsabkommen. Ich plädiere bei der Ausgestaltung der DBAs für einen Ansatz, der die sehr unterschiedliche Qualität der bilateralen Bezie- hungen berücksichtigt. Damit können wir den Unter- schieden in Art und Umfang der Wirtschaftsbeziehungen ebenso wie unseren eigenen Besteuerungsinteressen an- gemessen Rechnung tragen. Zudem ist auch die Anrechnungsmethode für Steuer- gestaltungen anfällig. Deshalb haben auch Länder mit Anrechnungsverfahren wie etwa die USA eine umfang- reiche Kontroll- und Abwehrgesetzgebung installiert, um dieses Problems Herr zu werden. Der Preis dafür ist allerdings hoch, denn damit werden die Verfahren unnö- tigerweise kompliziert. So kann das Anrechnungsverfah- ren etwa bei Dividendeneinkünften, die in tief geschach- telten Konzernstrukturen anfallen, zu sehr komplizierten und aufwendigen Besteuerungsverfahren führen. Unser Grundsatz lautet in Anlehnung an eine ironi- sche Bemerkung von Albert Einstein dagegen: Gesetze müssen so einfach sein wie möglich – aber nicht einfa- cher. In der SPD-Fraktion bzw. der SPD-Arbeitsgruppe Finanzen entwickeln wir deshalb einen Antrag zur Be- kämpfung von Steuerhinterziehung und Gewinnverlage- rung ins Ausland. Damit setzen wir unsere Strategie der Bekämpfung der Erosion unserer Steuerbasis fort. Das Vorgehen gegen Steuerbetrug bedarf starker Ver- bündeter auf nationalstaatlicher, auf europäischer und auf globaler Ebene. In den vergangenen Jahren haben wir daher gemeinsam mit den Bundesländern und im Austausch mit den anderen Mitgliedstaaten der EU wirk- same Instrumente der Strafverfolgung und Ahndung von Steuervergehen entwickelt, die den Missbrauch steuer- rechtlicher Regelungen bekämpfen. Ich sage wirksam. Allerdings gibt es hier im Vollzug doch einige Schwä- chen, die von Steuersündern radikal ausgenutzt werden. Deshalb möchte ich zunächst kurz darstellen, welche In- strumente wir in den vergangenen Jahren entwickelt und gesetzlich geregelt haben und anschließend weitere Maßnahmen vorstellen, um die Wirksamkeit und Dichte der Gesetze zu erhöhen. Mit dem Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SESTEG) und der Unternehmensteuerreform 2008 sind wir Steuergestaltungen, insbesondere der Gewinnverla- gerung ins Ausland, begegnet und haben zahlreiche Steuerschlupflöcher geschlossen. Ich denke etwa an die Sofortversteuerung an der Grenze oder die starke Ein- schränkung der grenzüberschreitenden Verlustverrech- nung. Das Wirkungsspektrum dieser erst kürzlich einge- führten Maßnahmen kann sich naturgemäß erst langsam entfalten. Die Weiterentwicklung unserer Strategie der Bekämpfung von Steuerbetrug bedarf einer sorgfältigen Evaluierung der vorhandenen Kapazitäten und Kompe- tenzen. Die Abgabenordnung sieht in § 370 zur Ahndung von Steuerhinterziehung Freiheitsstrafen vor, in besonders schweren Fällen sogar ein Höchststrafmaß von zehn Jah- ren. Gegen Zahlung einer Geldbuße kann zur Beschleu- nigung des Verfahrens die Einstellung der Ermittlungen erfolgen. Bei Verdacht auf schwere Fälle des Umsatz- steuerbetrugs besteht die Möglichkeit der Telefonüber- wachung. Steuerrechtlich relevante Informationen, die im Rahmen einer Betriebsprüfung erhoben werden, kön- nen nach § 193 der Abgabenordnung vom Prüfer im Wege der Kontrollmitteilung an das zuständige Finanz- amt übermittelt werden, wenn Anzeichen für Steuerbe- trug vorliegen. Mit dem Kontenabrufverfahren verfügen Finanzbe- hörden über ein Kontrollverfahren, das über den Zugriff auf Kontostammdaten die Aufdeckung unvollständiger oder nicht wahrheitsgemäßer Angaben von Steuerpflich- tigen und die Bekämpfung von Sozialleistungsmiss- brauch ermöglicht. Die Europäische Richtlinie zur Zinsbesteuerung re- gelt innerhalb der Europäischen Union sowie in der Schweiz, in Liechtenstein, San Marino, Monaco und An- dorra die einheitliche und gleichmäßige Besteuerung der Zinseinnahmen aller EU-Bürger mit EU-Wohnsitz, un- abhängig davon, wo sie dieses Zinseinkommen erwirt- schaften. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD hat Informationspflichten für Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, erarbeitet. Die Umset- zung dieses Regelwerkes für die europäischen Wertpa- piermärkte ist allerdings nicht von allen Mitgliedstaaten lückenlos und einheitlich geleistet worden. Hier gibt es noch großen (Ver)Handlungsbedarf. Das Steuerverkür- zungsbekämpfungsgesetz trat Anfang 2001 in Kraft und verbesserte die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Finanzbehörden beim Umsatzsteuerbetrug. Neuge- gründete Unternehmen sind verpflichtet, ihre Umsatz- steuervoranmeldung monatlich abzugeben, um kurz- lebige Firmen zu identifizieren, die nur zum Zweck des Umsatzsteuerbetrugs gegründet wurden. Finanzbehör- den können unangemeldet eine Umsatzsteuernachschau durchführen, um sich einen objektiven Eindruck eines Unternehmens zu verschaffen. Auch im Steueränderungsgesetz 2003 und im Haus- haltsbegleitgesetz 2004 wurden die Kompetenzen der Fi- nanzverwaltung zur Umsatzsteuerbekämpfung gestärkt und Maßnahmen zur Vermeidung von Steuerausfällen ergriffen. Die beim Bundeszentralamt für Steuern einge- richtete Zentrale Datenbank zur Speicherung und Aus- wertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und Entwick- lung von Risikoprofilen erfasst bundesweite Betrugsfälle und ermöglicht den schnellen Informationsaustausch, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16271 (A) (C) (B) (D) was Finanzbehörden die frühzeitige Aufdeckung von Scheinunternehmen ermöglicht. Die Zentrale Koordinie- rungsstelle beim Bundeszentralamt für Steuern arbeitet mit den zuständigen Stellen der EU-Mitgliedstaaten und den Bundesländern zusammen und koordiniert die staa- ten- und länderübergreifenden Umsatzsteuersonderprü- fungen und Steuerfahndungsprüfungen. Das Verfahren zur länderumfassenden Namensabfrage ermöglicht den Online-Zugriff auf Daten des Grundinfor- mationsdienstes, die bei Vergabe einer Umsatzsteueriden- tifikationsnummer erhoben werden. Dieses Verfahren wird erweitert, indem Zugriffsmöglichkeiten ausgebaut und eine Vernetzung mit der Informationsdatenbank ZAUBER geschaffen werden. Auch im Bereich der Überprüfung von Umsatzsteuer- voranmeldungen wurden mittlerweile gute Instrumente entwickelt: Fast alle Bundesländer setzen ein sogenann- tes regelbasiertes Entscheidungssystem ein, mit dem alle eingehenden Umsatzsteuervoranmeldungen bezüglich ihres typischen Risikos hinsichtlich eines Umsatzsteuer- betrugsversuches oder einer ungerechtfertigten Erstat- tung bewertet werden. Sie sehen, dass schon sehr viel in den vergangenen Jahren geschehen ist. Zur Vermeidung und zur Bekämp- fung von Steuerbetrug muss dieser rechtliche Rahmen aber auch auf der Basis einer hinreichenden Personalaus- stattung ausgeschöpft werden. Leider haben einige Län- der, zum Beispiel Hamburg und Bayern, in den hier angesprochenen Zuständigkeitsbereichen Personal abge- baut. Die Zahl der Steuerfahnder und die personelle Ausstattung der Länderfinanzverwaltungen reichen oft nicht aus, um den effizienten Vollzug einer ordnungsge- mäßen Besteuerung zu sichern und Steuerhinterziehung aufzudecken. Das ist ein Standortwettbewerb zum Scha- den des Ganzen und falsch verstandener Föderalismus. Abschließend will ich die gegenwärtig reflektierten Eckpunkte unseres Antrags zur Bekämpfung des Steuer- betrugs skizzieren. Wir vertrauen dabei weiterhin auf die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der Euro- päischen Union und im Europäischen Wirtschaftsraum sowie in den Steuerverwaltungsbehörden der Bundeslän- der. Wir denken unter anderem an Folgendes: klare EU- weite Koordinierung der Bekämpfung von Steuerhinter- ziehung und der Austrocknung von Steueroasen, um de- ren Attraktivität für Steuerbetrüger zu verringern; wir wissen alle, dass „Austrocknung“ eine komplizierte bis fast unmögliche Angelegenheit werden kann, aber Sie wissen ja: Sisyphos war ein glücklicher Mensch; ent- schlossene Ausnutzung der Kompetenzen der Ermitt- lungs- und Strafverfolgungsbehörden, die etwa in § 370 AO angelegt sind; Verschärfung und Erweiterung der EU-Zinsrichtlinie zur Erfassung von Kapitaleinkünften; aktive Unterstützung der Arbeit der OECD gegen schäd- lichen Steuerwettbewerb; personelle Verstärkung bei Steuerfahndern, Betriebsprüfern und Staatsanwaltschaf- ten; Einrichtung einer Bundessteuerverwaltung, die ein- heitlich im ganzen Bundesgebiet und auch grenzüber- schreitend agieren kann. Unser Antrag bündelt also Maßnahmen aus vielen Bereichen, um mit einer guten Kombination aus gesetz- lichen Regelungen und effizienten Vollzugsmaßnahmen die berechtigten Interessen des Staates und aller ehrli- chen Steuerzahler – Bürgerinnen und Bürger ebenso wie Unternehmen – zu schützen. Dies ist ein ehrgeiziges Vorhaben, aber bedauerlicherweise notwendig. Denn Steuerehrlichkeit ist eine moralische Tugend, die leider nicht voller Vertrauen den guten Willen aller vorausge- setzt, sondern – wie wir gelernt haben – nur in einem sta- bilen gesetzlichen Rahmen garantiert werden kann. Dafür hoffen wir auf Ihre konstruktive Mitarbeit und Unterstützung. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Mit dem heute von den Grünen in erster Lesung eingebrachten Antrag unter der Überschrift „Steuerverlagerung ins Ausland verhindern“ erwecken die Grünen den Eindruck, dass es eine zuneh- mende Steuerverlagerung ins Ausland gebe und diese verhindert werden müsse. In ihrem Antrag schlagen die Grünen vor, ein bislang an konkreten Einzelfällen diskutiertes Verfahren abzuschaffen und eine grund- sätzliche Änderung der Doppelbesteuerungsabkommen vorzunehmen. Zunächst ist dabei zu fragen, inwieweit es tatsächlich zutrifft, dass zunehmend eine „Steuer- verlagerung“ in das Ausland erfolgt. Im Zuge der Globa- lisierung sind viele Firmen darauf angewiesen, Teile ihrer Produktion nicht nur in Deutschland zu halten, sondern diese auch ins Ausland zu verlagern. Dieses dient gerade auch der Sicherung einheimischer Arbeits- plätze. Anders als durch einen offenen Wettbewerb, durch offene Märkte und durch die entsprechende Aus- landstätigkeit deutscher Unternehmen wäre die Wettbe- werbsfähigkeit Deutschlands im Export überhaupt nicht zu halten. Die FDP ist stolz darauf, dass Deutschland der Exportweltmeister ist. Die FDP ist schon lange der Auffassung, dass es im Zuge des internationalen Wettbewerbs – den es auch im Steuerrecht gibt – dringend notwendig ist, das deutsche Steuerrecht grundlegend zu vereinfachen und wettbe- werbsfähiger zu gestalten. Wir brauchen eine grundsätz- liche Steuerreform, die unser Steuerrecht einfacher und gerechter gestaltet und für niedrige Steuersätze sorgt. An dieser Stelle unterscheidet sich die FDP ganz fundamen- tal von allen anderen Fraktionen im Deutschen Bundes- tag. Die FDP will die dringend notwendige völlige Neu- ordnung und Neujustierung des Steuersystems in Deutschland angehen. Die anderen Parteien dagegen möchten gerne das derzeitige System beibehalten und fortentwickeln. Dies ist jedoch der falsche Ansatz. Wer sich vor Augen führt, wie komplex und kompliziert un- ser Steuerrecht durch den Gesetzgeber durch jährliche Veränderungen des Steuerrechtes in enormer Größenord- nung geworden ist, der muss feststellen, dass in Deutsch- land inzwischen ein schier undurchdringliches Dickicht an Rechtsvorschriften entstanden ist. Dieses wird nur noch übertroffen durch die Arbeit des Verordnungsge- bers, der stets noch zusätzlich auf die Auswüchse des Gesetzgebers draufsattelt. Es reicht daher nicht aus, die- ses Dickicht an der einen oder anderen Stelle mit der Nagelschere zu beschneiden, um so einen Weg für ein 16272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) einfacheres Steuerrecht freizumachen. Man muss viel- mehr mit der Machete ansetzen, um wirklich in der Lage zu sein, neue Wege aus dem Dickicht hinaus zu finden. Dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages liegt ein aktueller Bericht des Bundesministeriums der Finanzen von Mitte März vor, in dem die aktuellen Aspekte der deutschen Politik im Bereich der Abkom- men zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeführt sind. Diese Unterrichtung enthält neben der Darstellung aktueller Herausforderungen an die deutsche Doppel- besteuerungspolitik detaillierte Ausführungen bezüglich der Wahl der Methode zur Vermeidung der Doppel- besteuerung. Dieser Bericht sollte zunächst im Finanz- ausschuss diskutiert werden bevor in abschließender Lesung der Antrag der Grünen beraten wird. Es ist hier darauf hinzuweisen, dass die Parteitags- beschlüsse der Grünen darauf angelegt sind, Mehr- einnahmen in der Höhe von 60 Milliarden Euro pro Jahr vorzusehen. Deshalb ist die komplette Steuerpolitik der Grünen darauf angelegt, zu Mehreinnahmen in zigfacher Milliardenhöhe zulasten der Steuerzahler kommen zu müssen. Anders lässt sich dieses Ausgabenprogramm der Grünen überhaupt nicht finanzieren. Insofern drängt sich bei diesem Antrag der Verdacht auf, dass die Grünen auch mit diesem Antrag die Steuern erhöhen wollen, um ihre Forderungen überhaupt finanzieren zu können. Sämtliche Steuerpflichtige sollen vor diesem Hintergrund mit sämtlichen Steuereinkünften bei deut- lich höheren Steuersätzen in Deutschland einer höheren steuerlichen Belastung ausgesetzt sein, unabhängig da- von, wo diese Einkünfte erzielt werden. Das ist der tra- gende Teil des Antrages der Grünen. Dieses ist der Grunddissens, der seitens der FDP mit den Grünen besteht. Die FDP möchte einen leistungsfä- higen Staat, der sich auf die Kernaufgaben beschränkt. Deshalb schlagen wir in jeder Haushaltsdebatte entspre- chende Einsparungsvorschläge im Bundeshaushalt vor. Die Grünen haben diesen Sparvorschlägen der FDP noch nie zugestimmt. Sie benötigen mehr Staatseinnahmen, um viele zusätzliche Ausgabenwünsche zu erfüllen. Auch auf Basis dieser unterschiedlichen konzeptionellen Ansätze würde die FDP es begrüßen, wenn auch die an- deren Fraktionen endlich die Vereinfachung des deut- schen Steuerrechtes mit breiter Bemessungsgrundlage und niedrigeren Steuersätzen beschließen könnten. So- lange dies aber nicht der Fall ist, ist die FDP der Auffas- sung, dass der Antrag der Grünen viel zu pauschal und zu wenig differenziert ist. Die FDP-Bundestagsfrak- tion lehnt den vorgelegten Antrag daher ab. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Der Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verhinderung der Steuerverlagerung ins Ausland ist im Prinzip sinnvoll. Die Fraktion Die Linke hatte bereits im Mai des vergan- genen Jahres die Forderung nach der Umstellung auf das Anrechnungsverfahren im Rahmen des Antrags „Unter- nehmen leistungsgerecht besteuern – Einnahmen der öf- fentlichen Hand stärken“ – Drucksache 16/5249 – erho- ben. Laut Bundesfinanzministerium wendet Deutschland nach wie vor grundsätzlich bei Doppelbesteuerungsab- kommen die Freistellungsmethode mit Progressionsvor- behalt an. Nur bei Zinsen von ausländischen Schuldne- rinnen und Schuldnern, Lizenzgebühren ausländischer Lizenznehmerinnen und -nehmer und Dividenden aus- ländischer Kapitalgesellschaften findet im Regelfall die Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Steuer statt. Ein aktuelles Beispiel für eine solche Aus- gestaltung ist das zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesre- publik Deutschland und Georgien. Die Freistellungsmethode schafft Anreize zur Steuer- vermeidung durch die Verschiebung von Gewinnen und Vermögen in Länder mit niedrigerer Besteuerung. Denn bei deren Anwendung wird häufig das Besteuerungs- recht dem ausländischen Staat überlassen: So finden sich beispielsweise im Abkommen mit der Volksrepublik China entsprechende Überlassungsregelungen. Dabei verzichtet der hiesige Fiskus, zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung bei im Ausland erzielten Einkünften von in Deutschland Ansässigen auf eine adäquate Erfassung der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Der Progres- sionsvorbehalt, also die Berücksichtigung der ausländi- schen Einkünfte bei der Bestimmung des Steuersatzes, kann diese faktischen Steuerbefreiungen nicht kompen- sieren: Würden ausländische wie inländische Einkünfte gleich behandelt, ergäbe sich derselbe durchschnittliche Steuersatz auf ein durch die Auslandseinkünfte erhöhtes zu versteuerndes Einkommen. Gerade Besserverdienende und Vermögende haben und nutzen diese Möglichkeiten zur Vermeidung von Steuern. Die konsequente Anwendung der Anrechnungs- methode könnte dagegen garantieren, dass Einkünfte von Inländerinnen und Inländern steuerlich gleich be- handelt werden, unabhängig vom Ort der Entstehung dieser Einkünfte. So müsste beispielsweise bei einer Ka- pitalanlage in einem Land mit niedrigerer Besteuerung der Kapitalerträge als in Deutschland, der sich ergebende Differenzbetrag hierzulande nachgezahlt werden. Die Umstellung in der Ausgestaltung der Doppelbesteue- rungsabkommen auf die Anrechnungsmethode bietet so- mit eine Chance auf mehr Steuergerechtigkeit. Für eine wirksame Verhinderung von legaler, aber auch von illegaler internationaler Steuerverlagerung greift der Vorschlag der Grünen zu kurz. Insbesondere fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass für eine wirksame Besteuerung auf im Ausland erzielte Einkünfte das ent- sprechende Wissen über diese bei den Finanzämtern vor- liegen muss. Wie der aktuelle Steuerhinterziehungsskan- dal um Herrn Zumwinkel und Konsorten zeigt, ist der internationale Informationsaustausch über Kapitalein- künfte äußerst lückenhaft. Für einen besseren internatio- nalen Informationsaustausch wären flankierende Maß- nahmen notwendig, wie beispielsweise die Ergreifung von Maßnahmen gegenüber Staaten, die bezüglich des Informationsaustausches über die Kapitalerträge von Steuerpflichtigen nicht kooperieren, die Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit der Finanzbehörden, insbe- sondere deren personelle Aufstockung und Neuverhand- lungen innerhalb der EU, mit der Zielsetzung einer Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16273 (A) (C) (B) (D) Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie auf weitere Kapital- ertragsarten, wie beispielsweise Dividenden. Insgesamt kann die Umstellung der Doppelbesteue- rungsabkommen von der Freistellungsmethode auf die Anrechnungsmethode nur ein Baustein im Rahmen eines Maßnahmenbündels zur Bekämpfung der Steuerverlage- rung darstellen. Ohne ergänzende Maßnahmen würde die Einführung dieser Methode lediglich zu einer Ver- schiebung von legaler zu illegaler Steuerverlagerung führen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kaum ein anderes Thema hat die Menschen in den ver- gangenen Wochen so bewegt wie der Skandal um die nach Liechtenstein verschobenen Millionen von Zumwinkel & Co. Die Aufregung war deswegen so groß, weil es hier um die Frage geht, wie sich gutverdienende Menschen an der Finanzierung des Gemeinwohls beteili- gen und mit welcher Kaltschnäuzigkeit sie dies immer wieder verweigern. Keine Gestaltung scheint zu kompli- ziert, wenn es darum geht, dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen und ihre Einkommensmillionen von der Steuer unbehelligt in ausländische Stiftungen einzubrin- gen. Die Erträge daraus müssten im Wohnsitzland ver- steuert werden, was aber häufig nicht passiert. Staaten regeln normalerweise den steuerlichen Um- gang mit Einkommen, die ihre Bürger und Bürgerinnen in einem anderen Land erzielen, mit sogenannten Dop- pelbesteuerungsabkommen, DBA. Sinn und Zweck die- ser Vereinbarungen: Die Leute sollen nicht zweimal Steuern auf das gleiche Einkommen zahlen. Mit einer Vielzahl von Staaten weltweit unterhält die Bundesrepu- blik solche Abkommen, nicht aber mit Steuer- und Re- gulierungsoasen wie Liechtenstein und anderen. Noch nicht einmal an diesem Mindestmaß an internationaler Kooperation beteiligt sich das alpenländische Fürsten- tum. Schief an der Debatte um die Steuerhinterziehung per liechtensteinischer Stiftung ist: Die Bundesregierung könnte selbst viel mehr gegen Steuerverlagerung ins Ausland tun, als das gegenwärtig der Fall ist. Finanz- minister Steinbrück und andere sind schnell dabei, wenn es darum geht, auf die Hinterziehungspraxis zu schimp- fen und an die Steuermoral zu appellieren. Sie vergessen dabei, dass die Bundesregierung es an verschiedenen Stellen selbst in der Hand hat, für mehr Steuergerechtig- keit zu sorgen. Eine zentrale Stellschraube dabei sind die Doppelbesteuerungsabkommen. Sie folgen üblicher- weise dem Musterabkommen der OECD. Darin festge- schrieben sind im Grundsatz zwei zentrale Verfahren: Die Anrechnungs- und die Freistellungsmethode. Letz- tere öffnet einer faktischen Nullbesteuerung Tür und Tor. Denn diese Methode besagt, dass im Ausland bereits versteuertes Einkommen in Deutschland nicht erneut be- steuert werden darf. Als „versteuert“ gilt dabei aber auch Einkommen, das im Ausland einem Nullsatz unterliegt. Bestes Beispiel dafür: Das Doppelbesteuerungsabkom- men mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, VAE, das im Sommer 2006 von der Bundesregierung entgegen an- derslautender Versprechungen um zwei Jahre verlängert wurde. Der Wüstenstaat erhebt auf viele Einkommens- arten gar keine Steuer; dennoch gilt das Einkommen in Deutschland dann als versteuert. Weil die Freistellungs- methode angewendet wird, geht der deutsche Fiskus leer aus. Wir sind gespannt, was die Bundesregierung von der Neuverhandlung mit den VAE berichtet und ob sie die Anrechnungsmethode in das neue DBA festschrei- ben konnte. Wir sind dafür, dass sich Deutschland an die Muster- abkommen der OECD hält, weil wir eine möglichst ein- heitliche Abkommensstruktur wollen. Wir fordern aber, dass die Bundesregierung in allen Abkommen zur An- rechnungsmethode wechselt und, wenn notwenig, beste- hende Abkommen neu verhandelt. Nur dann sind nach dem Welteinkommensprinzip alle im Ausland erzielten Einkommen auch in Deutschland voll steuerpflichtig. Eine eventuell im Ausland bereits gezahlte Steuer wird bei dieser Methode angerechnet, eine Doppelbesteue- rung also vermieden. Dieses Verfahren soll nicht nur für Einkommen, sondern auch für Schenkungen und Erb- schaften gelten. Besteht bereits in einem DBA die Option zum Wechsel von der Freistellungs- zur Anrech- nungsmethode, dann soll diese Möglichkeit auch umge- hend genutzt werden. Die bisherige Präferenz Deutsch- lands für die Freistellungsmethode stammt aus einer Zeit, als es Ziel deutscher Politik war, den deutschen Un- ternehmen den Weg ins Ausland zu ebnen und den ärme- ren Ländern das Instrument der steuerlichen Förderung ausländischer Investitionen zu ermöglichen. Heute, vor dem Hintergrund vor allem zahlreicher Steueroasen, die dieses Instrument massiv zur Förderung von Steuer- flucht missbrauchen, muss die bisherige Sichtweise kor- rigiert werden. Wir sind neugierig, ob SPD und Union in den parlamentarischen Verhandlungen ihren Worten Ta- ten folgen lassen und mit uns gemeinsam für mehr Steu- ergerechtigkeit in Deutschland sorgen wollen. Unser An- trag bietet die Gelegenheit dazu. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Breitbandversorgung in ländlichen Räumen schnell verbessern – Datenbasis für flächendeckende Versorgung mit breitbandigem Internetzugang schaffen – Schnelles Internet für alle – Unternehmen zum Breitbandanschluss gesetzlich ver- pflichten – Den Ausbau der Breitbandinfrastruktur flä- chendeckend voranbringen (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Schnelle Zu- gangsmöglichkeiten zum Internet sind für die wirtschaft- liche und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes von grundlegender Bedeutung. Eine leistungsfähige 16274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Breitbandinfrastruktur ist eine wesentliche Vorausset- zung für Wachstum, Innovation und Arbeitsplätze. Im- mer mehr Geschäftsmodelle, Dienste und Anwendungen können nur mit einem schnellen Zugang zum Netz ge- nutzt werden. Wertschöpfungs- und Kommunikations- prozesse in Unternehmen, Verwaltungen und im gesell- schaftlichen Leben werden immer stärker über schnelle Datenleitungen abgewickelt. Zentrales Ziel ist es deshalb, möglichst schnell flä- chendeckenden Breitbandzugang in Deutschland zu er- reichen. Diese Zielsetzung ist nicht nur für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland von entscheiden- der Bedeutung. Sie ist auch eine zwingende Vorausset- zung dafür, die Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen in Deutschland an den Chancen der Informationsgesell- schaft teilhaben können. Der Breitbandmarkt in Deutschland ist in den vergan- genen zwei Jahren sehr stark gewachsen. Wir haben in Deutschland derzeit circa 20 Millionen Breitbandan- schlüsse. Allerdings gibt es erhebliche Versorgungsun- terschiede zwischen Ballungszentren und ländlichen Räumen. Viele Kommunen in der Fläche sind von den Möglichkeiten der Breitbandnutzung immer noch ausge- schlossen. Sie gehören zu den sogenannten weißen Fle- cken, in denen – sieht man einmal von Satellitenverbin- dungen ab – nach wie vor kein Zugang zum Breitband möglich ist. Dies ist auch deshalb paradox, weil breit- bandiges Internet besonders geeignet ist, gerade ländli- chen Räumen einen erheblichen Wachstumsimpuls zu vermitteln. Nach wie vor sind rund 2 000 Kommunen in Deutschland schlecht oder unzureichend mit Breitband versorgt. Die Gründe für den fehlenden Breitbandanschluss sind vielfältig. In vielen Kommunen im ländlichen Raum ist die Entfernung zum nächsten bestehenden DSL-Hauptverteiler zu groß. Aufgrund geringer Bevöl- kerungsdichte ist meist aus Sicht der Telekommunika- tionsunternehmen die Zahl potenzieller Nachfrager zu gering, als dass sich die notwendigen Investitionen für die Breitbanderschließung für drahtgebundene Übertra- gungswege – DSL, Kabel – derzeit betriebswirtschaft- lich lohnen würden. Deshalb müssen wir auch bereit sein, die bisherigen Maßnahmen zu verstärken und auch neue Wege zu be- schreiten, um möglichst schnell flächendeckendes Breit- band zu ermöglichen. Aus unserer Sicht hängen weitere Fortschritte bei der Flächenabdeckung vor allem von ei- ner Steigerung des intermodalen Wettbewerbs in Deutschland ab. Eine Stärkung des Wettbewerbs bleibt unser Leitprinzip. Es gibt aber Kommunen, in denen un- ter anderem aufgrund dünner Besiedlung eine Breit- bandanbindung im wettbewerblichen Umfeld auch auf absehbare Zeit nicht möglich ist. In diesen Fällen muss zusätzlich die Verwendung staatlicher Fördermittel in Betracht gezogen werden. Der klare Vorrang für wettbewerbliche Lösungen muss ergänzt werden durch eine flexible und effiziente Frequenzpolitik. Frequenzen sind eine der wichtigsten Ressourcen in der Informationsgesellschaft. Eine ineffi- ziente Nutzung von Frequenzen muss unbedingt vermie- den werden, da diese Frequenzen sonst nicht für neue Funktechnologien und innovative Anwendungen genutzt werden können. Eine effiziente Nutzung der Frequenzen birgt dagegen große Chancen, auch dünn besiedelte ländliche Regionen ohne aufwendige Leitungsverlegung über Funk an Breitbandinternet anzuschließen. Wichtig ist uns zudem eine verbesserte Markttranspa- renz und Information. Telekommunikationsmärkte sind gekennzeichnet durch schnelle Innovationszyklen und rasche technologische Weiterentwicklungen. Umso wichtiger sind eine zeitnahe Information und Markt- transparenz für Anbieter und Nutzer gleichermaßen. Hier besteht Handlungsbedarf. Bürgermeister und Ge- meinderäte können auch vor dem Hintergrund der sich schnell weiterentwickelnden Technologien oftmals nicht beurteilen, welche Technologien für eine Breitbandan- bindung ihrer Gemeinde speziell für ihre lokalen Bedürf- nisse geeignet und sinnvoll sind. Darüber hinaus fehlen ihnen oftmals notwendige Planungsparameter, um mit potenziellen Anbietern über geeignete Realisierungs- möglichkeiten zu verhandeln. Zudem wird DSL in Deutschland immer noch zu häufig als Synonym für Breitband gesehen. Dies verstellt den Blick auf die Chancen anderer Zugangstechnologien insbesondere in der Fläche. Hier bedarf es einer umfassenden Informa- tionskampagne in Deutschland. Die für die Versorgung der Gemeinden notwendige Technologie- und Imple- mentierungsberatung müssen zentral organisiert sein. Was die Markttransparenz anbetrifft, so ist der Breit- bandatlas der Bundesregierung ein richtiges Instrument. Er kann jedoch nur zu größerer Markttransparenz beitra- gen, wenn er geografisch in höherer Präzision dargestellt wird. Konkret fordern wir die Bundesregierung auf, für die notwendige Erschließung der „Weißen Flecken“ in Deutschland im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eine „Task Force“ einzurichten, die schnellst- möglich für jede der rund 700 bislang vollkommen unerschlossenen Gemeinden sowie die 1 400 schlecht an- gebundenen Gemeinden in Deutschland aktive Hilfestel- lung bei der Informationsbeschaffung und -aufbereitung, der Bewertung ökonomischer Alternativen und bei der Auswahl der geeigneten Technologie bieten kann; eine Internetplattform einzurichten, auf der Beispiele erfolg- reicher Kommunen gebündelt dargestellt werden, um den Erfahrungsaustausch über unterschiedliche Lö- sungsmodelle zu erleichtern und transparenter zu ma- chen und das Bewusstsein für lokale Lösungsmöglich- keiten bzw. gegebenenfalls für einen Technologiemix zu steigern; die Markttransparenz für Anbieter und Nutzer zu erhöhen und den Breitbandatlas geografisch in höhe- rer Präzision darzustellen; dabei vorrangig für die nicht vollständig angeschlossenen Gemeinden eine detaillierte Darstellung der tatsächlichen Versorgung und Versor- gungsmöglichkeiten zu erarbeiten; stärker als bisher auf die schnelle Vergabe und effiziente Nutzung von Funk- frequenzen hinzuwirken und hierbei dem Aspekt der Flächenabdeckung in Form von Versorgungsauflagen für die Fläche seitens der Frequenzinhaber so weit wie mög- lich Rechnung zu tragen; den Gemeinden, in denen dau- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16275 (A) (C) (B) (D) erhaft nicht mit einer Breitbandversorgung im wettbe- werblichen Umfeld zu rechnen ist, Unterstützung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel – EU-Struk- tur-/Regionalfonds, Beihilfen – in Form von Informatio- nen und Hilfestellungen anzubieten. Wir sind überzeugt, dass mit der Umsetzung dieser Forderungen den heutigen „Weißen Flecken“ schnell ge- holfen werden kann – für flächendeckendes Breitband in Deutschland. Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU): Unbestrit- ten ist der ländliche Raum ein Herzstück unseres wirt- schaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Ungefähr 65 Prozent unserer Bevölkerung leben außer- halb von Ballungsräumen. Mehr als 75 Prozent aller Ge- meinden in Deutschland haben weniger als 5 000 Ein- wohner. Von 3,5 Millionen Wirtschaftsbetrieben, davon circa 400 000 landwirtschaftliche Betriebe, befindet sich die Mehrzahl in kleinen Gemeinden und Mittelstädten. Trotz der besonderen Bedeutung besteht jedoch eine Vielzahl von Nachteilen, deren Auswirkungen auf die- sen Raum es zu kompensieren gilt. Die Stärkung der Zukunftschancen auch in ländlichen Räumen bedingt zu- allererst auch den Aus- und Aufbau moderner Infrastruk- turen. Ein bedeutender Teil davon stellt die Schaffung moderner Kommunikationstechnologien dar. Die Wei- chen müssen heute gestellt werden. Ich bin froh, dass alle Fraktionen dem Grunde nach dies genauso sehen. Die Breitbandversorgung als ein Schlüssel für die Zu- kunft ist in den ländlichen Regionen bisher noch völlig unzureichend entwickelt. Die Ursachen dafür sind struk- tureller Art. Deshalb besteht die Verpflichtung, zur Wah- rung der Wettbewerbschancen finanzielle Ausgleichs- leistungen zu erbringen. Der vorliegende Antrag der Regierungskoalition eröffnet Hilfeleistungen und unter- stützt den Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbie- tern und Technologien. Internationale Studien belegen: Diejenigen Länder, in denen ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Breitbandzugangstechnologien besteht, sind gleichzeitig am erfolgreichsten bei der Flächenab- deckung. Die unterschiedlichen Technologien sind dabei nicht als alternativ, sondern als zueinander gleichwertig zu betrachten. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung in der Vergangenheit wäre es fatal, hier nur eine Breitbandtechnologie zu favorisieren. Ob DSL, Ka- bel, SAT, UMTS, EDGE, WiMAX, HSDPA, LTE oder Funk-DSL – die Verfügbarkeit und die Bandbreiten die- ser Technologien sind in den letzten Jahren enorm ge- stiegen bzw. werden steigen. Soll der Markt entscheiden, welche der Technologien sich etablieren und durchset- zen werden. Ein großes Anliegen dieses Antrages ist es, die Ge- meinden im ländlichen Raum in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Breitbandlösung zu schaffen. Die sich daraus ergebenden Aufgaben müssen von allen Akteuren schnell, unbürokratisch und lebensnah angepackt wer- den. In meinem Wahlkreis gibt es bereits einige Gemein- den, die sich für eine Funk-DSL-Lösung entschieden ha- ben. Ähnliche solcher Projekte wurden jetzt durch das Bundesministerium für Wirtschaft in einem Beispiel-Ka- talog zusammengefasst. Das sind alles Projekte, die Mut machen und eine zukunftsfeste Lösung darstellen. So ein Projekt kann in wenigen Wochen umgesetzt werden – wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Hierbei entstehen im Übrigen auch völlig neue Chancen für den Mittelstand, denn diese Art der Breitbandversorgung kann auch von lokalen mittelständischen Unternehmen vorgenommen werden. Die Union ist deshalb entschie- den gegen eine voreilige Aufnahme von Breitband in die Universaldienste. Es sollte vielmehr ein Leistungsange- bot eines Anbieters sein. Aufgabe der Bundespolitik ist es, die dazu nötigen Rahmenbedingungen für Wahlmög- lichkeiten und Wettbewerb zu setzen. Besonders dankbar bin ich, dass erstmals im Haushalt 2008 des Bundes- ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz (BMELV) Fördermittel bereitstehen. Das BMELV hat mit der Aufnahme der Breitbandför- derung in die Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ wichtige Im- pulse zur schnellen Verbesserung der Breitbandsituation in strukturschwachen und ländlichen Regionen gesetzt. Das schnelle Internet ist eine Voraussetzung für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und zum anderen ein viel- versprechendes Angebot, um der weiteren Abwanderung junger Menschen aus dem ländlichen Raum entgegenzu- wirken. Breitbandangebote als Standortfaktor erhöhen die Attraktivität des ländlichen Raums und stärken des- sen Zukunftsfähigkeit. Martin Dörmann (SPD): In Deutschland können wir uns über einen besonders dynamischen Breitbandmarkt freuen. Gerade im letzten Jahr sind 5 Millionen neue Breitbandanschlüsse hinzugekommen, insgesamt sind es nun fast 20 Millionen. Damit liegen wir an der Spitze Europas. Ein funktionierender Wettbewerb hat zu äu- ßerst verbraucherfreundlichen Preisen geführt. Und auch die Qualität der Anschlüsse ist im europäischen Ver- gleich hervorragend. Diese überaus positive Bilanz wird jedoch dadurch getrübt, dass noch nicht alle Regionen über ein adäqua- tes Angebot für breitbandige Internetanschlüsse verfü- gen. Einige Gemeinden in eher ländlichen Räumen dro- hen abgekoppelt zu werden, sodass viele von einer „Digitalen Kluft“ sprechen. Etwa 2 000 Gemeinden sind davon betroffen. Dabei nimmt die Bedeutung des Inter- nets täglich zu. Gesellschaftliche Teilhabe der Menschen und die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten ei- ner Kommune sind zunehmend abhängig von der Fähig- keit, ein breitbandiges Internetangebot zu nutzen. Ziel der Großen Koalition ist es, zu einer flächende- ckenden Breitbandversorgung in Deutschland zu kom- men und die weißen Flecken möglichst schnell zu schlie- ßen. Mit dem vorliegenden Antrag legen wir ein Maßnahmenbündel vor, das die Rahmenbedingungen hierfür entscheidend verbessert. Vorrangig setzen wir auf den dynamischen Wett- bewerb und die Kreativität von Unternehmen und unter- versorgten Gemeinden, passgenaue Lösungen für jede betroffene Region zu finden. Dies wollen wir durch die 16276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Verbesserung der Informationsgrundlagen sowie unter- stützende und koordinierende Angebote für die betroffe- nen Kommunen fördern. Der seit 2005 bestehende Breitbandatlas der Bundes- regierung soll präzisiert werden. Es soll eine Task-force gebildet werden, die weiße Flecken genau lokalisiert und konkrete Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Beispiele er- folgreicher Kommunen sollen gebündelt über eine Inter- netplattform dargestellt werden, um Anregungen zu ge- ben, passgenaue Lösungsmodelle zu erleichtern und das Zusammenwirken von Gemeinden und Unternehmen zu intensivieren. In den meisten Fällen hängt es entscheidend von der Initiative der Gemeindeverwaltung ab, die den eigenen Bedarf vor Ort abklären und Unternehmen aktiv anspre- chen sollte. Mit entsprechendem Engagement sind bereits heute in den allermeisten Fällen relativ schnell kreative Lösungen zu finden, wenn auch möglicherweise mit unterschiedlichen Bandbreiten. Dies belegen die bis- herigen Erfahrungen. Einige von ihnen hat die Bundes- regierung auf ihrer Homepage www.zukunft-breitband.de als „Best-Practice-Beispiele“ eingestellt. Es ist stärker als bisher ins Bewusstsein zu rücken, dass es inzwischen zahlreiche Alternativen zum DSL gibt, auch wenn diese Technik heute noch 95 Prozent der Anschlüsse in Deutschland abdeckt. Da DSL jedoch lei- tungsgebunden ist, rentiert sich für die Unternehmen ein Ausbau in dünn besiedelten Regionen oft nicht. Hier rü- cken insbesondere die modernen Funktechnologien in den Vordergrund, da über diese Breitbandanschlüsse kostengünstiger umzusetzen sind, insbesondere WLAN, WiMAX oder der UMTS-Standard HSDPA. Hinzu kom- men die Angebote der Kabelnetzbetreiber. Im Prinzip überall verfügbar ist heute bereits die Satellitentechno- logie, allerdings immer noch mit etwas höheren Kosten sowie Bandbreitennachteilen, insbesondere bei der Rückkanalfähigkeit. In vielen Fällen wird ein Mix unter- schiedlicher Technologien in Betracht kommen. Die Möglichkeiten, über Funktechnologie Breitband- anschlüsse anzubieten, soll nach Auffassung der Großen Koalition durch eine möglichst effiziente Frequenzpoli- tik unterstützt werden. Dies bedeutet beispielsweise, bei der Vergabe von neuen Frequenzen, dort wo es sinnvoll ist, Ausbauverpflichtungen hinsichtlich der nicht voll- ständig angeschlossenen Gemeinden im Vergabeverfah- ren vorzusehen. Hier hinein spielt auch die Frage, wie wir die „Digitale Dividende“ nutzen, die durch die Um- stellung des Rundfunks von der analogen auf die digitale Technik entstanden ist. Insofern müssen zunächst der Bestand und die Entwicklungsmöglichkeiten des Rund- funks gesichert sein. Soweit hierfür Frequenzbereiche nicht mehr gebraucht werden, sollten wir zügig und gründlich prüfen, inwieweit diese für den weiteren Breit- bandausbau genutzt werden können. Denn die betroffe- nen Frequenzen liegen in einem niedrigen Frequenz- bereich, der besonders kostengünstige Lösungen ermöglicht. Nach Vorstellung der Großen Koalition sollen staatli- che Fördermittel ergänzend eingesetzt werden, wo sich der Ausbau ansonsten nicht rechnen würde. Neben EU-Fördermitteln stehen hierfür bereits Mittel im Bun- deshaushalt zur Verfügung, die durch Ländermittel er- gänzt werden. So stellt die Bundesregierung seit 2008 jährlich 10 Millionen Euro im Rahmen der Gemein- schaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“, GAK, bereit; zusätzlich ist auch eine Förderung aus den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der re- gionalen Wirtschaftsstruktur“, GA, möglich. Wir sind zuversichtlich, dass mit den zuvor genannten Maßnahmen und technischen Entwicklungsmöglichkei- ten die weißen Flecken in absehbarer Zeit beseitigt wer- den können. Voraussetzung ist, dass alle Akteure ihre Hausaufgaben machen und zusammenwirken, von den Gemeinden über die Länder und den Bund bis hin zu den Unternehmen. Vorsorglich setzen wir uns für den Fall, dass dies wider Erwarten nicht erreicht werden sollte, dafür ein, dass der EU-Rechtsrahmen dahin gehend ab- geändert wird, dass die Aufnahme von Breitband- internetanschlüssen als Universaldienst durch die Mit- gliedsländer grundsätzlich ermöglicht werden sollte, sofern die EU-Kommission entsprechende Vorschläge entwickelt. Angesichts der bestehenden technischen Möglichkei- ten und der Dynamik des Wettbewerbs wäre es jedoch verfrüht und unangemessen, bereits heute alleine die Einführung des Universaldienstes als Lösungsmodell an- zubieten, zumal die Umsetzung aus vielerlei Gründen kurzfristig kaum zu realisieren wäre. Von daher greift der Antrag der Fraktion Die Linke, der sich alleine hie- rauf bezieht, viel zu kurz und wäre sogar kontraproduk- tiv, weil er die schnelle Umsetzung alternativer Lösun- gen zunächst einmal behindern würde. Auch der Antrag der FDP-Fraktion ist völlig einseitig, da er lediglich auf die Verbesserung der Informationen über die weißen Fle- cken setzt. Diese ist zwar eine Voraussetzung und wird deshalb gerade auch im Antrag der Großen Koalition nachhaltig verfolgt, ist aber für sich genommen noch nicht die vollständige Lösung des Problems. Hingegen habe ich am Antrag der Grünen inhaltlich wenig auszu- setzen, da er bis auf wenige Nuancen weitgehend auf den Antragsentwurf der Großen Koalition zurückgreift, der ihnen frühzeitig vorlag. Zusammenfassend lässt sich deshalb feststellen: Mit ihrem Antrag legt die Große Koalition ein umfassendes und realistisches Maßnahmenpaket vor, um möglichst schnell zu einer flächendeckenden Breitbandabdeckung in Deutschland zu gelangen. Wir wollen die „Digitale Kluft“ überwinden und in allen Regionen die gesell- schaftliche Teilhabe der Menschen ermöglichen sowie die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale durch das Internet nutzen. Lassen Sie uns in einer gemeinsamen Kraftanstrengung sicherstellen, dass wir die sozialen, kulturellen und ökonomischen Chancen nachhaltig nut- zen. Deutschland soll nicht nur hinsichtlich der Quantität und Qualität von Breitbandanschlüssen, sondern auch bei der Flächenabdeckung an der Spitze Europas stehen. Manfred Zöllmer (SPD): Das Internet müssen wir als Infrastruktur unseres Landes betrachten wie unsere Straßen, die Energienetze oder Bahntrassen. Genau wie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16277 (A) (C) (B) (D) diese Infrastruktur Anbindung ländlicher Regionen oder Metropolen bedeutet, so bedeutet der Internetzugang, genauer gesagt der breitbandige schnelle Zugang, Teil- habe für Privatpersonen oder Unternehmen. Er ist damit zentraler Standortfaktor. Der aktuelle Jahresbericht der Bundesnetzagentur für 2007 weist aus, dass die hohe Nachfrage nach Breit- bandanschlüssen weiter anhält. Die Gesamtzahl der breitbandigen Anschlüsse lag bei nahezu 20 Millionen. Allein im Jahre 2007 wurden fast 5 Millionen neue Breitbandanschlüsse geschaltet. Die Verbraucherinnen und Verbraucher benutzen das Internet mit großer Selbstverständlichkeit als Informa- tionsportal, zum Downloaden von Fotos, Filmen und Musik. Sie buchen ihre Reise darüber, ersteigern und kaufen Waren. Aber auch für die Unternehmen ist das Internet unverzichtbar geworden. In unserer auf Export ausgerichteten Wirtschaft erleichtert das Internet in nie da gewesener Weise Zugang zu Märkten und Abneh- mern. Trotz der weiten Verbreitung von Breitbandanschlüs- sen müssen wir aber feststellen, dass in Deutschland eine „digitale Kluft“ besteht. In Großstädten und Ballungs- zentren haben wir eine überwiegend gute Versorgung, hingegen sind ländliche Regionen vielfach von der Ent- wicklung abgekoppelt. Die Bundesregierung ließ einen Breitbandatlas erstellen, der ausweist, dass für etwa 97 Prozent der Haushalte die Möglichkeit besteht, einen Breitbandanschluss zu erhalten, aber vielen Regionen diese Option verwehrt ist. Wir können dabei von etwa 2 000 Gemeinden ausgehen. Dies ist eine viel zu hohe Zahl. Diese digitale Spaltung können und wollen wir nicht hinnehmen, da Chancenunterschiede beim Zugang zum Internet und anderen digitalen Informations- und Kom- munikationstechniken für die betroffenen ländlichen Räume vielfältige negative gesellschaftliche und wirt- schaftliche Auswirkungen haben. Wir haben daher im vorliegenden Antrag formuliert, welche Anstrengungen wir unternehmen müssen, um bei der Flächenabdeckung der Breitbandversorgung schnel- ler Fortschritte zu erzielen und die Breitbandinfrastruk- tur nachhaltig zu verbessern. Hierbei gibt es nicht den einen richtigen Weg oder den einen richtigen Dienst. Es ist nicht nur DSL, das uns zur Verfügung steht. Als Technikalternativen bieten sich beispielsweise Richtfunk, WiMAX, kommerzielle oder selbst verwaltete WLAN-Netzwerke, Satellit, UMTS so- wie TV-Kabelinternet an. Erwähnt sei, was unter dem Stichwort „Digitale Dividende“ zu verstehen ist: Dies ist der Gewinn an Übertragungskapazität durch den Um- stieg auf die Digitaltechnik. Diese Rundfunkfrequenzen eignen sich besonders für Funktechnologien. Sie können vergleichsweise kostengünstig für die Breitbandversor- gung ausgebaut werden. Wir glauben, dass nur eine Zusammenarbeit aller Ak- teure, also von Bund, Ländern und Kommunen, aber auch mit den Anbietern und Nutzern, eine sinnvolle Lö- sung darstellt, um die weißen Flecken der Versorgung zu füllen. Hier hat es in der Vergangenheit erhebliche Defi- zite gegeben. Alle Beteiligten müssen an einen Tisch. Nur wenn zusammengearbeitet wird, kann es entspre- chende Ergebnisse geben. Das Bundeswirtschaftsministerium wird eine Task- force einrichten, die für jede der bislang vollkommen un- erschlossenen Gemeinden und der schlecht angebunde- nen Gemeinden eine aktive Hilfestellung bei der Infor- mationsbeschaffung und -aufbereitung, der Bewertung ökonomischer Alternativen und bei der Auswahl der ge- eigneten Technologie bieten soll. Darüber hinaus wird eine Internetplattform eingerich- tet, auf der Beispiele erfolgreicher Kommunen darge- stellt werden, um den Erfahrungsaustausch zu erleich- tern. Insgesamt sind die Maßnahmen vielfältig, individuell ausgerichtet und geeignet, eine bestehende Kluft im Zu- gang zum Internet zu beseitigen. Nur eine Infrastruktur, die auch die ländlichen Räume abdeckt, ist eine gute In- frastruktur. Dies gilt bei Bahn, Energie und Straßen wie beim Internetzugang. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Zuletzt ha- ben wir vor einigen Wochen an dieser Stelle über die massiven Nachteile, die eine unzureichende Versorgung bestimmter Gebiete in Deutschland mit breitbandigem Internetzugang hervorrufen, gesprochen. Kein Zweifel: Das Problembewusstsein ist bei den meisten inzwischen vorhanden, Unterschiede gibt es zwischen den Fraktio- nen vor allem über die Prioritäten bei der Lösung des Problems. Ich bedauere, dass sich die Koalitionsfraktionen nicht zu einer Unterstützung der Initiative der FDP haben durchringen können. Wir haben uns frühzeitig detailliert mit dem Thema „Weiße Flecken“ auseinandergesetzt und in unserem Antrag den einschlägig als höchste Prio- rität anerkannten Handlungsbedarf aufgezeigt. Denn die FDP-Bundestagsfraktion hatte im Dezember eine Exper- tenanhörung durchgeführt, bei der führende Vertreter aus Wissenschaft, Industrie und staatlicher Regulierung an- wesend waren. Sämtliche – ich wiederhole: sämtliche! – Experten waren der Auffassung, dass die Hauptursache der weißen Flecken das Fehlen einer detaillierten und belastbaren Datenbasis ist. Und eine solche Datenbasis liefert der Breitbandatlas der Bundesregierung aus dem Hause des Bundeswirtschaftsministers zweifellos nicht. Dieser ist lediglich eine mehr oder weniger interessante Übersicht über die bestehenden Infrastrukturen. Insofern kann ich auch das Lob der Koalitionsfraktionen über die- sen Atlas nicht uneingeschränkt teilen. Sie sagen es ja im Prinzip selbst: Er ist nicht präzise genug. Er schafft so- mit eben keine ausreichende Grundlage für Investitio- nen. Weder der Antrag der Koalitionsfraktionen noch der der Grünen geht auf diese zentrale Investitionsvorausset- zung explizit ein. Ihre altbekannten Forderungen heißen stattdessen: ein paar Fördersubventionen hier, ein paar Frequenzen dort, garniert mit der obrigkeitsstaatlichen Keule der „Universaldienstverpflichtung“. Natürlich 16278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) sprechen Sie auch richtige Punkte an. Das Thema „Fle- xibilisierung des Frequenzmanagements“ bzw. „Digi- tale Dividende“ haben Sie richtigerweise auf dem Schirm, und ich bin froh, dass nicht – wie sonst üblich – reflexartig sofort Besitzstandsdebatten um den öffent- lich-rechtlichen Rundfunk aufkommen. Das wird ange- sichts der Sitzung des Beirates der Bundesnetzagentur am vergangenen Montag noch wichtiger, in der von den entsprechenden Anbietern eingeräumt wurde, dass sta- tionäre Funklösungen wie WiMAX letztendlich ökono- misch wohl nicht kostendeckend seien. Da Sie also ver- kehrte Prioritäten setzen und noch immer die Keule einer gesetzlichen Regelung schwingen, von der wir alle wis- sen, dass sie nicht zum erwünschten Ziel fuhren wird, kann die FDP Ihren Anträgen nicht zustimmen. Was wir brauchen, ist ein Produktmix, der sich an den topografischen, demografischen, ökologischen und öko- nomischen Besonderheiten der jeweiligen Regionen orientiert. Während in einem Bereich vielleicht mit dem Kabel ein Breitbandzugang geschaffen werden kann, brauchen wir in einem anderen intelligente, mobile Funklösungen. Es verbleiben unter Umständen auch ei- nige wenige Gebiete, wo nur der Satellit einen wirt- schaftlich tragfähigen Breitbandzugang schaffen kann. Welche Lösung ganz konkret wo die sinnvollste ist, diese Antwort kann nur die von uns als vordringlich er- kannte präzise Datenerhebung liefern. Deshalb appel- liere ich an Sie nochmals: Unterstützen Sie unseren An- trag und damit die Aufstellung einer belastbaren Datenbasis. Unterstützen Sie den Appell der kommuna- len Verbände mit dem VATM. Die dabei gegebenenfalls zusätzlich notwendigen Mittel sind in den zahlreichen Fördertöpfen bereits enthalten. Sie müssen nur effektiv und an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Von technologiefixierten Förderungen und der Keule des Ge- setzgebers sollten Sie dagegen Abstand nehmen. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Der Markt ver- sagt dabei, jedem Dorf und jedem Stadtteil einen Zugang zum schnellen Internet zu verschaffen – diese Meinung hat lange Zeit nur die Linke vertreten. Jetzt hat ein Um- denken eingesetzt, was wir als Linke begrüßen. Auch die Grünen und weite Teile von Union und SPD zweifeln in- zwischen daran, ob der Markt für das Problem fehlender Internetanschlüsse die richtige Lösung ist. In dem Antrag der Koalition heißt es: Auf dem Land ist „meist aus Sicht der Telekommunikationsunterneh- men die Zahl potentieller Nachfrager zu gering, als dass sich die notwendigen Investitionen“ lohnen würden. Und die Grünen stellen völlig richtig fest: „Entgegen der ursprünglichen Hoffnung regelt der Markt die flächende- ckende Versorgung mit Breitbandverbindungen nicht von selbst.“ Nur die FDP ist hier unbelehrbar. In der Tat haben wir ein großes Problem: Unterneh- men meiden den Netzausbau im ländlichen Raum, weil sie sich hier keinen oder zu wenig Gewinn versprechen. Dieses rein betriebswirtschaftliche Verhalten einzelner Unternehmen führt dazu, dass gegenwärtig 5 bis 6 Millionen Menschen keinen Zugang zum schnellen In- ternet haben. Was dies im Einzelfall für den Betroffenen oder die Betroffene bedeutet, habe ich in meiner letzten Rede an einem Beispiel dargelegt. Mit dem Ausbau der neuen Hochgeschwindigkeitsnetze in den großen Städ- ten wächst die digitale Kluft weiter. Ich begrüße, dass Sie erkannt haben, dass der Markt das Problem fehlender Zugänge zum schnellen Internet nicht allein regelt. Leider haben Sie bisher aus der richti- gen Erkenntnis völlig unzureichende Schlussfolgerun- gen gezogen. Die Bundesregierung sucht jetzt die Zu- sammenarbeit mit den Kommunen, sammelt Daten über die Unterversorgung einzelner Gemeinden. All das ist nicht falsch, eher selbstverständlich. Gesichert ist damit jedoch nicht, dass im nächsten Jahr tatsächlich die über- wältigende Zahl der Gemeinden, die heute keinen schnellen Zugang zum Internet haben, diesen wirklich bekommen. Das allein kann nur der Universaldienst leisten. Er schreibt vor, dass jedem Haushalt ein schneller Internet- anschluss angeboten werden muss. Er verpflichtet größere Unternehmen in ländlichen Regionen, das Tele- kommunikationsnetz auszubauen, auch wenn sie aus dem Geschäft dort nicht hohe Renditen erwarten. Jahrelang ist das Problem fehlender schneller Internet- anschlüsse bekannt. Jahrelang hat die Bundesregierung auf den Markt gesetzt und Gesprächsrunden mit der Wirtschaft geführt. All das hat zu nichts geführt. Auch die Fördermittel, die die Bundesregierung jetzt zur Ver- fügung stellt, werden das Problem nicht umfassend lö- sen. Wollen wir weiter auf den Markt vertrauen und ab- warten? Nein! Es ist jetzt schnelles und entschiedenes Handeln gefragt. Der Gesetzgeber muss jetzt und sofort einen schnellen Internetanschluss für jedermann gesetz- lich festschreiben. Nur so können wir ausschließen, dass wir in einem Jahr wieder über das Problem reden und die digitale Kluft in Deutschland weiter zunimmt. Und der Universaldienst hat einen weiteren Vorteil: Mit ihm können auch größere Unternehmen über ein Umlageverfahren dazu verpflichtet werden, Gelder für den Netzausbau im ländlichen Raum zur Verfügung zu stellen. Damit würde verhindert, dass, wie gegenwärtig, der Staat mit Millionenbeträgen die Tilgung der „weißen Flecken“ auf dem Land subventioniert, den Unterneh- men aber die Ballungszentren und großen Städte über- lässt, um dort ordentliche Gewinne zu machen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie haben die Wahl: Entweder Sie vertrauen weiter auf den Markt und lassen damit Millionen Menschen ohne schnellen Internetanschluss. Oder Sie nehmen den schnellen Internetanschluss in die staatlich garantierte Grundversorgung auf und sorgen damit für gleiche Le- bensbedingungen in Deutschland. Grietje Staffelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Deutsche Bundestag hat sich früher häufiger mit Südko- rea befasst, vornehmlich im Außenausschuss. Südkorea sollte uns inzwischen aber auch im Medienausschuss be- schäftigen. Denn in diesem Land haben ungefähr dop- pelt so viele Menschen wie in Deutschland einen Breit- bandanschluss zur Verfügung. Das ist erstaunlich. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16279 (A) (C) (B) (D) Glauben wir Deutschen doch gerne, wir hätten technisch die Nasenspitze ganz vorn. Dass dem nicht so ist, zeigen die nackten Zahlen. Rund 4 Millionen Haushalte und Unternehmen haben hierzulande keinen Anschluss an das schnelle Internet. Das sind 4 Millionen Haushalte ohne die Chance auf ein Fernstudium per Internet, ohne die Möglichkeit zur elektronischen Steuererklärung und ohne die Aussicht auf „Nachrichten-online“. Das ist nicht nur ungerecht, das ist unhaltbar. Was die Breitbandversorgung betrifft, sollte Südkorea Vorbild für uns sein. Wir müssen dringend tätig werden, um ein solches Netz auch in Deutschland zu schaffen. Meine Fraktion bietet dazu ein ausgefeiltes Konzept. Wir fordern im Kern drei Dinge: erstens mehr Transpa- renz, zweitens sinnvolle Transfers und drittens weniger „Telekom-Beschützerdenken“. Transparenz brauchen wir vor allem, damit sich in- vestitionswillige Unternehmen schneller und besser in- formieren können. Dazu ist eine Datenbasis nötig, die nicht nur aufnimmt, wo Breitbandanschlüsse bereits be- stehen, sondern auch, wo wer noch welche will. Ein sol- cher Breitbandbedarfsatlas beschleunigt den Ausbau, weil private Telekommunikationsanbieter schneller ein- schätzen können, ob sich die Investitionen lohnen. Das hat auch die FDP erkannt. Allerdings hat sie in der ersten Lesung hier im Parlament im Eifer des Ge- fechts übersehen, dass sowohl wir als auch die Regie- rung genauso weit gedacht haben. Allerdings auch noch weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen der Freien De- mokraten. Denn es ist klar, dass private Telekommunika- tionsunternehmen eindeutige Interessen haben. Diese lauten: Gewinne erwirtschaften. Das ist nicht verwerf- lich, aber wie bitte soll in einem kleinen Dorf wie Wustrow in Brandenburg ein entsprechender Gewinn er- wirtschaftet werden? In dieser Milchmädchenrechnung scheinen Sie dann doch ein paar Variablen vergessen zu haben. Wir jedenfalls ziehen den Schluss: Der Markt re- gelt das Problem nicht alleine. Sonst ständen wir auch nicht vor der Situation, in der wir uns seit mehr als zehn Jahren befinden: Die Städter sind schnell und schneller im Internet unterwegs. Die Menschen auf dem Land schauen buchstäblich in die leere Röhre. Transparenz brauchen wir aber auch, damit sich Bür- gerinnen und Bürger besser über die Möglichkeiten der Eigeninitiative informieren können. Es gibt bereits För- derungen, es gibt Beispiele, bei denen Dörfer zur Schau- fel gegriffen haben. Schade nur, wenn das Rad immer wieder neu erfunden werden muss oder Gelder unge- nutzt in Fördertöpfen liegen. Wir fordern deshalb eine Informationsplattform, die für Interessierte ohne schnel- les Internet zugänglich ist. Transfer dagegen brauchen wir bei der Verwendung von Geldern. Herr Tiefensee hat in seinem Ministerium 13 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen zu Ver- fügung. Diese Mittel müssen umgeschichtet werden. Wir fordern eine Umverteilung von der Straße auf die schnelle Datenautobahn. Dann endlich kommen die Da- ten zu den Menschen und nicht andersrum! Jetzt komme ich zu unserem dritten Punkt. Das Tele- kom-Beschützerdenken der Großen Koalition: Sie ma- chen in Ihrem Antrag Vorschläge für eine gesetzliche Verpflichtung zum Ausbau von Breitband, soweit die EU das empfiehlt. Bei der Universaldienstrichtlinie an- zusetzen, ist ja zunächst richtig, aber Sie machen einen Denkfehler. Denn wenn die geltende Universaldienstver- pflichtung einfach vom Anspruch einer Telefonleitung auf den eines schnellen Internetanschlusses ausgedehnt wird, dann geht diese Verpflichtung an die Telekom, die dafür die Kosten vom Staat erstattet bekommen würde. Das kann teuer werden! Wir Grüne dagegen setzen auf das Prinzip Wettbewerb, auch im Rahmen der Universal- dienstrichtlinie: Für unterversorgte Regionen fordern wir ein wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren. Das Unternehmen mit dem besten Angebot bekommt den Zuschlag. So garantieren wir nicht nur niedrige Kosten, sondern auch die sinnvollste Technik für jede Region. Ausschreibungsverfahren setzen wir doch sonst in der Verwaltung für jeden Papierkorb ein, der neu angeschafft werden muss. Offensichtlich wollen Sie – liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition – wieder einmal die Mo- nopolstrukturen im Telekommunikationsmarkt stärken. Das kennen wir ja bereits vom VDSL-Ausbau der Tele- kom. Jedenfalls treibt ein solches Vorgehen die Kosten unnötig in die Höhe, und die Zeche zahlen am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb können wir dem auch nicht zustimmen. Da liefern wir einfach bes- sere Vorschläge. Die Linke dagegen setzt weder auf Transparenz noch auf Transfer, sondern glänzt mit Totalverweigerung der Realität. Erstens wissen Sie selbst, dass eine Universal- dienstverpflichtung zum jetzigen Zeitpunkt nicht mög- lich ist, ohne sich Unternehmensklagen auf EU-Ebene einzuhandeln. Zweitens wissen wir alle, dass solche Kla- gen in erster Linie Zeitverzögerung bedeuten. Drittens würde die von Ihnen vorgeschlagene Verpflichtung eine bestimmte Technik vorschreiben. Dadurch wird Geld zum Fenster rausgeschmissen, weil nicht garantiert ist, dass für die jeweiligen Regionen die beste technische Lösung gewählt wird. Diese Lehre sollten wir aber schon gezogen haben. Ganze Landstriche Ostdeutsch- lands wurden vor 15 Jahren mit ISDN-Leitungen verka- belt, mit denen wir heute nicht viel anfangen können. Für Breitband sind sie unbrauchbar. Aus diesen Fehlern sollten wir aber lernen und sie nicht wiederholen. Unsere Debatte hat verdeutlicht, dass wir uns im Ziel eigentlich einig sind. Wenn Sie dem grünen Konzept fol- gen, könnten wir die weißen Flecken wirklich zügig be- seitigen und dadurch die digitale Spaltung in Deutsch- land endlich stoppen. Um noch mal auf Südkorea zurückzukommen: Das Land weist nicht nur bei den In- ternetanschlüssen eine gute Bilanz auf, sondern hat auch bei PISA hervorragend abgeschnitten. Das gibt zu den- ken. Über einen Zusammenhang können wir nur speku- lieren. Wir können aber festhalten, dass unsere Regie- rung sich stärker dafür engagieren muss, unsere Bürgerinnen und Bürger mit der nötigen Basis für die Wissens- und Informationsgesellschaft auszustatten. Die entsprechenden Strukturen lassen noch zu wünschen üb- rig. 16280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und die Rechtsstellung sei- nes Hauptquartiers zwischen der Französischen Republik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spa- nien und dem Großherzogtum Luxemburg (Straßburger Vertrag) (Tagesordnungspunkt 20) Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): Die Ratifizierung des Straßburger Vertrags ist ein weite- rer, wichtiger Meilenstein auf dem Weg der europäi- schen Integration: Der Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und die Rechtsstellung sei- nes Hauptquartiers zwischen der Französischen Repu- blik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spanien und dem Großherzog- tum Luxemburg besitzt vor dem Hintergrund der europäi- schen Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts eine histori- sche Dimension. Die Aufstellung des Eurokorps kann als das Ergebnis des am 22. Januar 1963 vom französischen Staatspräsi- denten General de Gaulle und dem deutschen Bundes- kanzler Konrad Adenauer unterzeichneten Élysée-Ver- trages betrachtet werden. In diesem Vertrag, der auf die Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen ab- zielte, verpflichteten sich beide Länder zur Zusammen- arbeit im Bereich der Verteidigung. Abgesehen von engeren politischen Beziehungen planten die beiden Länder ein Personalaustauschprogramm zwischen ihren Armeen und die Zusammenarbeit im Bereich der Rüs- tungsindustrie. Die Gründerväter im konkreten Sinne waren dann freilich der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Präsident François Mitterrand am 22. Mai 1992 beim Gipfel in La Rochelle, als beide offi- ziell die Aufstellung des Eurokorps beschlossen. Bereits am 1. Juli, nur wenige Wochen später, richtete sich ein Aufstellungsstab in Straßburg ein, dessen Ziel die Auf- stellung des Eurokorps war. Diese Initiative weckte schnell das Interesse weiterer europäischer Partnerlän- der. Bereits ein Jahr später traten Belgien, 1994 Spanien und 1996 Luxemburg dem Eurokorps bei. Als Aufgaben benennt der Art. 3 des Vertrags neben Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen, der West- europäischen Union, der NATO und im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Euro- päischen Union auch Einsätze, die von den fünf Ver- tragspartnern beschlossen werden können. Dabei geht es auch um „Aufgaben im Rahmen der Teilnahme an der gemeinsamen Verteidigung, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen.“ Der erste reale Einsatz des Eurokorps begann 1998: Rund 470 Angehörige des Eurokorps-Hauptquartiers verließen in vier aufeinanderfolgenden Kontingenten Straßburg in Richtung Bosnien-Herzegowina, als Ver- stärkung für das Hauptquartier der SFOR. Die Euro- korpssoldaten machten über ein Drittel der Kräfte des Hauptquartiers aus. Am 28. Januar 2000, weniger als zwei Jahre später, beschloss der NATO-Rat, dass das Hauptquartier des Eurokorps den Kern des Hauptquartiers der KFOR- Truppen im Kosovo stellen solle. Von März bis Oktober 2000 bildeten die rund 350 Soldaten des Eurokorps den Kern der Hauptquartiere in Priština und Skopje. Vor eine besondere Herausforderung wurde das Eurokorps Mitte des Jahres 2004 gestellt, als die Soldatinnen und Solda- ten die Führung der ISAF in Afghanistan übernahmen. In ihre Einsatzzeit fiel die Abhaltung der reibungslosen Wahlen im Oktober und die Einrichtung zusätzlicher Provincial Reconstruction Teams sowie die Ausweitung des Verantwortungsbereichs über Kabul hinaus. Im Jahr 2002 evaluierte die NATO die allgemeinen und die operativen Fähigkeiten des Straßburger Haupt- quartiers in mehreren Schritten. Die Übung „Common Effort“ war ein wichtiger Teil dieses Prozesses, bei des- sen Abschluss das Hauptquartier die Zertifizierung als Krisenreaktionskorps erhielt. Das Korps war mehrfach turnusgemäß mit Aufgaben der NATO Response Force betraut. Kommandierender General, stellvertretender Kom- mandierender General, Chef des Stabes und stellvertre- tender Chef des Stabes wechseln rotierend zwischen den Mitgliedstaaten. Seine Weisungen erhält der Komman- dierende General des Eurokorps vom Gemeinsamen Ko- mitee, dem die Generalstabschefs und die politischen Direktoren der Außenministerien jeder Vertragspartei angehören. Dieses Gemeinsame Komitee ist das wich- tigste Koordinierungsinstrument zwischen politischem und militärischem Bereich. Der Vertrag regelt in 46 Artikeln sehr präzise und de- tailliert eine Fülle von Fragen bis hin zu Schadens-, Steuer-, Zoll-, Haushalts- und Finanzbestimmungen. Da- mit erklärt sich möglicherweise die lange Verhandlungs- dauer bis zum Vertragsschluss. Schwerer zu verstehen ist allerdings, dass es von der Vertragsunterzeichnung am 22. November 2004 bis zur Ratifizierung heute noch ein- mal dreieinhalb Jahre dauerte. Wir haben im Eurokorps seit 15 Jahren ein Stück ge- lebte europäische Solidarität und Kooperation. Dafür sollten wir dankbar sein. Das Eurokorps hat seine Auf- gaben bisher hervorragend erfüllt. Bedauerlicherweise ist dieses wichtige Instrument der europäischen Integra- tion im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch zu wenig verankert. Dies zu ändern, haben wir Parlamentarier mit- tels Besuchen selbst in der Hand. Den Soldatinnen und Soldaten des Eurokorps spreche ich unseren Dank und unsere Anerkennung aus und wünsche ihnen allzeit Soldatenglück! Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetz zu. Gerd Höfer (SPD): Heute ratifiziert der Deutsche Bundestag endlich den sogenannten Straßburger Vertrag Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16281 (A) (C) (B) (D) zur Rechtsstellung des Eurokorps mit Sitz seines Stabes in Straßburg – endlich deshalb, weil die Aufstellung die- ses Korps schon am 22. Mai 1992 vom Deutsch-Franzö- sischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat in die Wege geleitet wurde – Bericht von La Rochelle – und die bel- gische Regierung am 25. Juni 1993, die spanische am 1. Juli 1994 und die luxemburgische am 7. Mai 1996 beigetreten sind. Erst am 22. November 2004 kam es zur Formulierung eines Vertrages über die Rechtsstellung der Soldatinnen und Soldaten des Eurokorps und dessen Institutionen. Dieser Vertrag soll nun heute mit der Vor- lage eines Gesetzentwurfes der Bundesregierung völker- rechtlich ratifiziert werden. Das ist löblich und dem ist zuzustimmen, worum ich im Namen der SPD-Fraktion bitte; der Bundesrat hat am 15. Februar 2008 bereits be- schlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendun- gen zu erheben, hat also zugestimmt. Warum dauert das eigentlich so lange und ist unendlich kompliziert? Allein die interministerielle Abstimmung in Deutschland, aber auch bei den Vertragspartnern hat gedauert. Jede betei- ligte Nation hatte und hat das Bestreben, so viel wie möglich an nationalen Rechten für ihre „Staatsbürger in Uniform“ zu bewahren und keine eigenstaatliche Souve- ränitätsrechte und -ansprüche preiszugeben. Es ist ein heikler Balanceakt, Regelungen zu finden, die sich mit Rechten und Pflichten der multinationalen Truppe ausei- nandersetzen und statusrechtliche Verfahren regeln. Ob es um die Befehls- und Kommandogewalt des Kommandierenden Generals geht, wie Dienstpflichtver- letzungen disziplinarisch und von wem geahndet wer- den, welche Steuer- und Zollbestimmungen angewendet werden können, welchen Rechtsstatus die Angehörigen des Korps und seiner Untergliederungen haben, all dies ist Paragraf für Paragraf geregelt. Wenn dann alle betei- ligten Nationen diesen Straßburger Vertrag ratifiziert ha- ben, soll er eine Dauer von zehn Jahren haben. Man könnte sich beinahe wünschen, dass ein Vertragspartner sich noch etwas Zeit nimmt, dann ist die Laufzeit länger. Schließlich soll das Korps im Auftrag der Vereinten Nationen, der Westeuropäischen Union, WEU, der NATO, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, aber auch durch einen gemeinsamen Beschluss der Vertragsparteien eingesetzt werden und dabei Aufga- ben der gemeinsamen Verteidigung, humanitäre und Rettungseinsätze und friedenserhaltende Aktivitäten ent- falten, aber auch Kampfeinsätze bei Krisenbewältigung oder friedensschaffende Maßnahmen bewältigen; siehe Art. 3 des Vertrages. Fakt zurzeit ist, dass das Eurokorps nachgewiesen hat, zu allen diesen Aufträgen fähig zu sein; es ist auch zertifiziert, aber bisher nie geschlossen eingesetzt wor- den. Seine nationalen Teile waren mit unterschiedlicher Dauer und Häufigkeit in den Einsatzgebieten dieser Welt, nie gemeinsam. Ausgenommen davon ist der Stab, der bisher einmal das Einsatzhauptquartier gestellt und eine Mission geführt hat. Das widerspricht eigentlich dem Gründungszweck, zeigt, wie kompliziert gemeinsa- mes Handeln im Rahmen internationaler Engagements ist. Für die Soldatinnen und Soldaten allerdings ist es Frust. Wozu übt man jahrelang gemeinsames Handeln im Rahmen von Truppenübungsplatzaufenthalten, be- kommt höchste militärische Anerkennung und die Bestä- tigung, einsatzbereit und -fähig zu sein, wenn man dann aber nicht darf? Hier zeigt sich der gute Wille, im europäischen Geist gemeinsam zu agieren, ohne allerdings verbindliche Normen europäisch zu entwickeln, die in allen Mitglied- staaten Geltung haben. Der Straßburger Vertrag zeigt, wie steinig und beschwerlich der Weg zu einer vertiefen- den Integration in Europa ist, und das nicht nur auf dem Sektor der GASP und der ESVP. Dennoch ist dies kein Grund, heute nicht zuzustim- men. Deshalb bitte ich das Haus, dem Vertrag mit großer Mehrheit beizutreten und mitzuarbeiten, beharrlich die europäische Integration zu fordern und zu fördern. Dr. Rainer Stinner (FDP): Im Jahr 1987 beschlos- sen Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterrand eine Intensivierung der deutsch-französischen Koopera- tion im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungs- politik. Dem folgte die Aufstellung der deutsch-französi- schen Brigade und die Gründung des Eurokorps im Jahr 1992. Heute beteiligen sich Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Luxemburg am Eurokorps. Dies ist ein großer Erfolg der Aussöhnung in Europa nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Gegner in zwei Weltkriegen arbeiten nun eng und vertrauensvoll zusam- men. Auch der Stationierungsort des Eurokorps, Straßburg, ist bewusst gewählt. Die Region Elsass-Loth- ringen verdeutlicht die wechselvolle und viel zu oft krie- gerische Vergangenheit von Deutschland und Frank- reich. Das Eurokorps ist eine beeindruckende Leistung auf dem Weg der Versöhnung in Europa. Zudem ist es ein ermutigendes Zeichen für die wachsende Zusam- menarbeit im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Durch diese strukturierte Zusammenarbeit mit euro- päischen Partnern wird das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen militärischen Führungskulturen, Konzep- tionen, Einsatzgrundsätze und die Materialplanung ge- fördert. Dies ist ein erster Schritt zur Harmonisierung der jeweiligen Grundlagen und zur Erarbeitung von eu- ropäischen Standards. Das vorliegende Vertragswerk ist umfassend und von hohem Detaillierungsgrad. Dies er- scheint jedoch notwendig, um die unterschiedlichen militärischen Kulturen und Verwaltungsbestimmungen – soweit möglich – zusammenzuführen. Es ist besser, dies jetzt umfassend zu regeln, anstatt im Nachhinein zu streiten. Wir brauchen jedoch eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen einer verstärkten Euro- päisierung von Streitkräften – oder gar einer europäi- schen Armee. Um schon vor der Aufstellung supranatio- naler Streitkräfte Fortschritte erzielen zu können, wird in den letzten Jahren verstärkt über ein Pooling von natio- nalen Fähigkeiten und Finanzmitteln und über eine Spe- zialisierung der Streitkräfte im Sinne einer Arbeitstei- lung nachgedacht. Durch ein solches Pooling von 16282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) Fähigkeiten sollen bestehende Doppelstrukturen obsolet werden. Somit sollen die für Verteidigungszwecke aus- gegebenen Steuergelder weitaus effizienter eingesetzt werden. Ein Beispiel für das Pooling von Fähigkeiten ist das geplante europäische Lufttransportkommando. Beim Pooling von Finanzmitteln für die Forschung und Be- schaffung von Wehrmaterial ist mit der 2004 gegründe- ten Europäischen Verteidigungsagentur, EDA, ein – wenn auch bescheidener – erster Schritt gemacht. Es bestehen hier aus politischen und militärischen Gründen auch mittelfristig enge Grenzen. In einem weitergehen- den Schritt wird eine Spezialisierung nationaler Streit- kräfte vorgeschlagen. Durch eine solche Arbeitsteilung sollen die hohen Entwicklungs-, Beschaffungs- und Be- triebskosten minimiert werden und die Typenvielfalt der Waffensysteme stark reduziert werden. Aus rein ökonomischer Perspektive wäre eine europäi- sche Armee die Ideallösung. In einer solchen europäi- schen Armee könnte aufgrund der zu erwartenden Ska- leneffekte ein weitaus effizienterer Mitteleinsatz möglich sein. Eine solche – stark ökonomisch geprägte – Betrachtungsweise stößt jedoch sehr schnell an politi- sche und militärische Grenzen. Ein Pooling, also ein Verzicht von Fähigkeiten oder auch Teilfähigkeiten auf nationaler Ebene, führt unweigerlich zu einem Souverä- nitätsverlust. Auch nach der Verabschiedung der europäi- schen Sicherheitsstrategie bestehen in Europa jedoch er- hebliche Differenzen bezüglich des Zwecks, der Ziele und der Mittel der Sicherheitspolitik. Hinzu kommt, dass die meisten Mitgliedstaaten über den europäischen Rahmen hinausgehende, historisch be- dingte, nationale Interessen verfolgen. Insbesondere Staaten mit einer ausgeprägt kolonialen Vergangenheit haben nationale Interessen, die nicht immer mit den eu- ropäischen Interessen kongruent sind. Diese Interessen können jedoch nur dann gewahrt werden, wenn diese Staaten Streitkräfte zur Verfügung haben, die weitge- hend autonom, also ohne Beiträge europäischer Partner, als geschlossenes Gesamtsystem handlungsfähig sind. Deutschland strebt eine solche Autonomie nur bei der Rettung und Evakuierung von Staatsbürgern an. In allen anderen Fällen wird von einem multinationalen Kräf- teansatz ausgegangen. Da die meisten Partner diese Grundannahme nicht teilen, kommt es nur sehr zögerlich zum Pooling von Fähigkeiten oder gar der Spezialisie- rung von Streitkräften. Nur wenn sich Verbündete auf die Verlässlichkeit aller Kooperationsteilnehmer unein- geschränkt verlassen könnten, wäre ein solcher Souverä- nitätstransfer möglich. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Eine europäische Armee ist daher – wenn überhaupt – nur langfristig, also in mehr als 30 Jahren, realisierbar. Aber auch wenn diese politischen Probleme der euro- päischen Integration überwunden wären, ist eine Euro- päisierung auf unteren Ebenen aus militärischen Grün- den nicht sinnvoll. Die Erfahrungen der deutsch- französischen Brigade zeigen, dass eine Internationali- sierung unterhalb der Brigadeebene bereits aus Sprach- gründen, aber auch aufgrund unterschiedlicher Füh- rungsphilosophien unzweckmäßig ist. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Budde, hat dies sehr tref- fend beschrieben: „Ein Kampftruppenbataillon ist kein Sprachlabor.“ Daher gilt es auch zukünftig, mit Reali- tätssinn und Augenmaß die Integration der Streitkräfte voranzutreiben. Im Mittelpunkt dürfen nicht idealpoliti- sche Wunschvorstellungen, sondern die Einsatzbereit- schaft unserer Streitkräfte stehen. Inge Höger (DIE LINKE): Fünf europäische Staaten, Frankreich, Deutschland, Spanien, Belgien und Luxem- burg kooperieren im Rahmen des 1996 aufgestellten Eurokorps miteinander. Es ist ein Fortschritt, dass Län- der wie Deutschland und Frankreich heute eng zusam- menarbeiten und die erbitterte Feindschaft und die Kriege zwischen ihnen der Vergangenheit angehören. Aber es ist ein Fehler, die militärische Kooperation von ehemaligen Feinden mit Friedenspolitik zu verwechseln. Der hier zur Abstimmung stehende Vertrag ermög- licht es, das bisherige militärische Agieren des Euro- korps rechtlich abzusichern. Durch die von der Bundes- regierung gewünschte Ratifizierung des Straßburger Vertrags wird das Eurokorps „die notwendige finanzielle Autonomie haben, um in einem multinationalen Rahmen schnell Maßnahmen ergreifen zu können.“ Der Vertrag schafft darüber hinaus neue Einsatzoptionen. Insgesamt ist das Eurokorps fest in die Militärpolitik der NATO und der Europäischen Union integriert. Um es klar zu sa- gen: Das Eurokorps ist fähig und in der Lage, überall auf dieser Welt Kriege und Angriffe durchzuführen. Es ist eindeutig kein Friedensprojekt. Der Stab des Eurokorps bildete bereits den Kern des KFOR-Hauptquartiers im Kosovo und hatte das ISAF-Kommando in Afghanistan inne. Soldaten des Eurokorps sind an den Kampftruppen der NATO, der sogenannten Nato Response Force, ebenso beteiligt wie an den Schlachttruppen der Euro- päischen Union. Der offensive Charakter des Eurokorps zeigt sich in seiner gesamten Struktur. So soll sich die deutsch-französische Brigade, ein zentraler Teil des Eurokorps, „zum Kernelement der schnellen Eingreiffä- higkeit der Europäischen Union, zu ihrer am ehesten verfügbaren und universell einsetzbaren ,Speerspitze‘ weiterentwickeln.“ Der Straßburger Vertrag ermöglicht im Art. 3 Ein- sätze des Eurokorps im Rahmen der Vereinten Nationen, der NATO, der WEU und der EU. Dies entspricht der bisherigen deutschen Rechtslage, die Einsätze im Rah- men eines kollektiven Sicherheitssystems ermöglicht, zumindest wenn der Begriff „Verteidigung“ so über- dehnt wird, wie es zurzeit bei der Bundesregierung und ihren Verbündeten üblich ist. Neu ist jedoch, dass der Vertrag auch den Einsatz des Eurokorps auf Grundlage eines Beschlusses der Ver- tragsparteien vorsieht – auch ohne einen Beschluss von NATO oder EU. Ein solcher Einsatz im Rahmen einer Koalition der Willigen widerspricht der deutschen Rechtslage. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundesta- ges teilte auf Anfrage mit: „Ein gemeinsamer Beschluss Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 16283 (A) (C) (B) (D) der Vertragsparteien … bietet verfassungsrechtlich keine ausreichende Grundlage für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr.“ Es geht bei der Formulierung im Straßburger Vertrag also darum, Vorsorge zu treffen für eine zukünftige Auf- weichung der grundgesetzlichen Regelungen für den Bundeswehreinsatz. Der Wissenschaftliche Dienst spricht von „einer Öffnungsklausel für zukünftige Kon- stellationen“. Um welche Konstellationen es sich dabei handeln könnte, bleibt offen. In der Denkschrift zum Straßburger Vertrag ist zwar davon die Rede, dass das Eurokorps nur „gemäß den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der fünf Ver- tragsstaaten“ eingesetzt werden darf. Die Denkschrift ist jedoch rechtlich nicht verbindlich – im Gegensatz zum Straßburger Vertrag. Es ist für die Fraktion Die Linke nicht akzeptabel, dass hier ein Vertrag unterzeichnet werden soll, der Ein- sätze ermöglicht, die im Widerspruch zum Grundgesetz stehen. Wir lehnen den Vertrag deswegen entschieden ab. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 63 Jahre, das ist keine lange Zeit, wenn man zurück- blickt in die Geschichte. Vor 63 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Damals endete eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, und es endete eine der leidvollsten Phasen für die Menschen in Europa. Seit- dem hat Europa viel gelernt und sich enorm verändert. Schlüssel dafür war und ist die Erkenntnis, dass Europa zusammenwachsen muss. Dies gilt auch für den Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Vor den Erfahrungen der Geschichte war dieser Pro- zess nicht immer einfach. Der Versuch der Benelux- Staaten und Frankreichs, wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Italien und Deutschland eine integrierte europäische Armee aufzubauen, war denn auch zum Scheitern verurteilt. Die französische Nationalversammlung lehnte 1954 die Ratifizierung des Vertrags über eine Europäische Verteidigungsgemein- schaft ab. Es sollte viele Jahre und Jahrzehnte dauern, bis eine deutsch-französische Brigade, ein Eurokorps oder eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspo- litik möglich werden sollten. Ich erinnere daran, welche Diskussionen die Einrichtung des ersten Deutsch-Nie- derländischen Korps Anfang der 90er-Jahre gerade in den Niederlanden auslöste. Die Entscheidung, dass große Teile des niederländischen Heeres künftig zeit- weise unter dem Kommando deutscher Offiziere stehen sollten, weckte angesichts der Geschichte anfangs erheb- liche Emotionen. Doch das Korps besteht seit nunmehr 13 Jahren, und es ist damit letztlich auch ein gutes Bei- spiel für das Zusammenwachsen Europas. Heute beraten wir hier das Ratifizierungsgesetz zum Straßburger Vertrag. 1993 aufgestellt, ist dieser multina- tionale militärische Verband, dem inzwischen Soldaten aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Lu- xemburg angehören, seit 1996 einsatzbereit. Es hat ein wenig gedauert, bis wir nun den Straßburger Vertrag, der rechtliche Grundlagen für diesen Verband schaffen wird, ratifizieren können. In den Ausschussberatungen wurde vonseiten der Linksfraktion darauf hingewiesen, dass dieser Vertrag verfassungswidrig sei. Die Linke sieht den Parlamentsvorbehalt gefährdet. Ich halte diese Befürch- tung substanziell für unbegründet. Ein Blick in den Ver- tragstext hätte genügt, um dies einzusehen: In der Denk- schrift zum Art. 3, in dem „ein gemeinsamer Beschluss der Vertragsparteien“ als Tatbestandsvoraussetzung an- geführt wird, ist völlig unmissverständlich klargestellt, dass „die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der fünf Vertragsstaaten“ bindend sind. Das heißt; der Ver- fassungs- und der Parlamentsvorbehalt des Grundgeset- zes sind somit nicht nur nicht in Gefahr, sondern im Straßburger Vertrag explizit geschützt. Auch finde ich es deutlich überzogen, wenn die Linksfraktion keine Gelegenheit auslässt, um vor einer angeblichen fortschreitenden Militarisierung der Euro- päischen Union zu warnen. Dies ist hier völlig fehl am Platze. Das Eurokorps ist kein stehendes Korps, sondern ein Korps, das bei Bedarf aus Truppen der Mitgliedstaa- ten zusammengestellt wird. Das trägt zur Vertrauensbil- dung und Vertiefung der europäischen Integration bei. Eine sich vertiefende EU wirkt friedensstiftend in Eu- ropa. Die weitere Stärkung der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein wichtiges Element dieser weiteren Vertiefung der Europäischen Union. Sie sollten diesen friedenschaffenden Charakter der EU besser würdigen, liebe Kolleginnen und Kolle- gen der Linksfraktion. Selbstverständlich muss die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik von einem Sicherheitsverständnis aus- gehen, das mehr ist als klassische Verteidigungspolitik. Im Mittelpunkt muss eine zivile Außenpolitik stehen, die sich an den Zielen Frieden, Demokratie und Menschen- rechte ausrichtet. Frieden braucht Expertise. Deshalb werden Expertinnen und Experten gebraucht, die bei Be- darf gut ausgebildet und gut ausgestattet für internatio- nale Friedenseinsätze zur Verfügung stehen. Deshalb werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass sich die Staaten der EU auch für den Aufbau eines europäischen zivilen Friedenskorps einsetzen. Die Zeit hierfür ist reif. Die Kooperation europäischer Sicherheitskräfte im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik – wie im Falle des Eurokorps – ist wichtig und richtig. Die Europäische Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik muss aber gleichzeitig das Primat des Zivi- len garantieren und umfassenden parlamentarischen Kontrollrechten des Europaparlaments und der nationa- len Parlamente unterliegen. Hier muss auf europäischer Ebene noch nachgebessert werden. Die Bemühungen um eine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind die Lehre aus unserer deutschen Geschichte und der europäischen Ge- schichte. Vor diesem Hintergrund verstehe ich den au- ßen- und sicherheitspolitischen Kurs der Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion nicht. Die Ratifizie- 16284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 (A) (C) (B) (D) rung des Straßburger Vertrages, die Debatte um das Eu- rokorps, dies ist der falsche Ort für Ihre polemische Ohne-uns-Rhetorik! Der Partei mit der höchsten Offi- ziersdichte in Deutschland nimmt man die Wandlung vom Saulus zum Paulus nicht ab. Machen Sie lieber kon- struktive Vorschläge dazu, wie das zivile Element in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ge- stärkt werden kann, anstatt hier Schaufensterdebatten zu führen. Ich fasse zusammen: Meine Fraktion begrüßt grund- sätzlich die Kooperation europäischer Sicherheitskräfte im Rahmen der ESVP. Wir haben klare Anforderung be- züglich des Primats des Zivilen und der parlamentari- schen Kontrolle der ESVP. Hier werden wir nacharbeiten müssen. Wir sehen jedoch keinen Anlass zu verfassungs- rechtlichen Bedenken angesichts des vorliegenden Straß- burger Vertrages. Daher werden wir dem Ratifizierungs- gesetz zustimmen. 154. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. April 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Franz Obermeier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

    gen! „Das Energiekartell aufbrechen – Für Klimaschutz,
    Wettbewerb und faire Energiepreise“ lautet der Titel des
    Antrags der Grünen. Arbeiten wir einmal auf, was zu fai-
    ren Energiepreisen gehört. Der Antrag befasst sich in
    erster Linie mit Strom; also nehmen wir exemplarisch
    die Strompreise.

    Bei der Stromerzeugung fallen zunächst einmal Pro-
    duktionskosten an. In Deutschland ist die Erzeugung
    von Strom mithilfe von Kohle, insbesondere Braun- und
    Steinkohle, sowie Kernenergie am preiswertesten. Aus
    beiden Stromerzeugungsverfahren möchten die Grünen
    aussteigen. Das hätte zur Folge, dass teurere Produk-
    tionsmethoden die bisherigen substituieren müssen. Das
    ist so. Derzeit liegen die Produktionskosten für Strom
    aus Kohle oder Kernenergie zwischen 4 und 5 Cent pro
    Kilowattstunde. Bei den anderen Produktionsmethoden
    liegen die Kosten aber teilweise um ein Vielfaches hö-
    her. Sie müssen der Bevölkerung also erklären, was Sie
    vor diesem Hintergrund unter „fairen Energiepreisen“
    verstehen.

    Das Zweite sind die Übertragungskosten, also die
    Netzkosten. Diese Netzkosten stehen in letzter Zeit – zu
    Recht – sehr stark in Rede. Darauf hat die Regierung re-
    agiert und dem Kartellamt und der Bundesnetzagentur
    bei ihren Bemühungen, sich verstärkt um diesen Punkt
    zu kümmern, den Rücken gestärkt. Frau Höhn, Sie ha-
    ben den Bundeswirtschaftsminister Michael Glos völlig
    zu Unrecht kritisiert. Er hat nämlich als Erster mit Macht
    darauf gedrängt, die Preisgestaltung bei den Netzkosten
    unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen.
    Das zeitigt bereits Erfolge. Denn die Bundesnetzagentur
    hat, wie wir alle wissen, schon die ersten Bescheide ent-
    sandt, zur Entlastung unserer Verbraucher.

    Der Bundeswirtschaftsminister ist im Gegensatz zu
    seinem Vorvorgänger nicht dafür verantwortlich, dass
    wir bei der Gasversorgung ein echtes Kartell haben. Ver-
    antwortlich ist jemand, der in der Regierung saß, an der
    Sie von den Grünen beteiligt waren. Jetzt kommen Sie






    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Obermeier
    auf uns zu und werfen uns vor, dass es beim Netz ein
    Kartell gibt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist scheinheilig, Frau Höhn, was Sie hier betreiben.
    Sie hätten während Ihrer Regierungszeit die Möglichkeit
    gehabt, diese Dinge zu unterbinden.

    Dann haben wir bei der Strompreisgestaltung als drit-
    ten großen Block den staatlich induzierten Teil. Fangen
    wir einmal mit der Ökosteuer an. Die Ökosteuer macht
    beim Endverbraucher immerhin 5 bis 6 Cent pro Kilo-
    wattstunde Strom aus. Wer hat denn die Ökosteuer ein-
    geführt? Das waren Sie.


    (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie sie wieder zurücknehmen? Wie wollen Sie die Renten bezahlen?)


    Sie haben die Ökosteuer eingeführt. Sie haben die
    Zweckentfremdung solcher Einnahmen für die Renten-
    versicherung induziert. Sie haben das veranlasst.


    (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Genauso war das! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie sie dann nicht wieder abgeschafft?)


    Sie sind die Preistreiber auf dem Stromsektor. Das muss
    man der Öffentlichkeit sagen. Wer hat denn die Kosten
    erhöht?

    Übrigens, Frau Lötzer, die beiden Vertreter der Ener-
    giekonzerne gestern haben nicht gesagt, der Gesetzgeber
    solle ihnen den Weg öffnen, damit sie leicht Netze bauen
    könnten, sondern sie haben gesagt, dass sie eine gesetzli-
    che Regelung wollen, damit sie überhaupt Netze bauen
    können. Das wird das nächste Problem.

    Im Übrigen ist diese ganze Situation auch preistrei-
    bend. Dies alles zahlt der Verbraucher. Diese staatlich in-
    duzierten Kosten nehmen ja einen erheblichen Teil ein.
    Da darf man nicht zu laut schreien; denn wir sind mit un-
    serer Mehrwertsteuererhöhung daran beteiligt.


    (Gudrun Kopp [FDP]: So ist es!)


    – Das gehört mit zur Wahrheit. Davor scheue ich nicht
    zurück.

    Aber der Hauptteil besteht darin, dass die Vorgänger-
    regierung – daran waren Sie von den Grünen beteiligt –
    einen großen Block auf die Stromkosten obendrauf ge-
    setzt hat. Ich bin ein harter Brocken. Im Jahr 2000 haben
    wir in der Energie-Enquete-Kommission furchtbar über
    die Frage gestritten, ob der Weg richtig ist, dass man die
    Strompreise so erhöht, dass der Stromverbrauch in
    Deutschland zurückgeht. Die alte Strategie der Grünen,
    dass man die Energiepreise nur genügend erhöhen muss,
    damit der Verbrauch insgesamt zurückgeht, war Ihre Po-
    litik. Heute beschweren Sie sich in Ihrem Antrag über
    die hohen Preise.


    (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie doch einmal, wie die Gewinne explodiert sind! Was sagen Sie denn dazu? 300 Prozent zusätzliche Gewinne!)

    Dies lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Wir wehren uns mit Händen und Füßen dagegen, dass
    Sie vor der Öffentlichkeit eine Politik betreiben, die irre-
    führend ist und mit den Realitäten überhaupt nichts zu
    tun hat.



Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Herr Kollege Obermeier, die Frau Kollegin Kopp

würde gerne eine Zwischenfrage stellen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Franz Obermeier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Selbstverständlich, Frau Kopp.