2) Anlage 5
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15151
(A) (C)
(B) (D)
ein erheblicher Standortfaktor für den Forschungsstand-
ort Bundesrepublik Deutschland.Schily, Otto SPD 15.02.2008
Deutschland zu betreiben. Die Forschung an embryona-
len Stammzellen ist eine große Chance, der Medizin
neue Erkenntnisse zu verschaffen und der Klärung der
Humangenese näher zu kommen, und nicht zuletzt auch
Paula, Heinz SPD 15.02.2008
Poß, Joachim SPD 15.02.2008
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 15.02.2008
Anlage 1
Liste der entschuldi
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 15.02.2008
Blumentritt, Volker SPD 15.02.2008
Bodewig, Kurt SPD 15.02.2008
Brand, Michael CDU/CSU 15.02.2008
Burchardt, Ulla SPD 15.02.2008
Eichel, Hans SPD 15.02.2008
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.02.2008
Grosse-Brömer, Michael CDU/CSU 15.02.2008
Dr. Hemker, Reinhold SPD 15.02.2008
Hinz (Essen), Petra SPD 15.02.2008
Hoff, Elke FDP 15.02.2008
Hoffmann (Wismar), Iris SPD 15.02.2008
Jelpke, Ulla DIE LINKE 15.02.2008
Jung (Karlsruhe),
Johannes
SPD 15.02.2008
Kelber, Ulrich SPD 15.02.2008
Kramer, Rolf SPD 15.02.2008
Kramme, Anette SPD 15.02.2008
Kranz, Ernst SPD 15.02.2008
Krichbaum, Gunther CDU/CSU 15.02.2008
Lafontaine, Oskar DIE LINKE 15.02.2008
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.02.2008
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.02.2008
Nitzsche, Henry fraktionslos 15.02.2008
Anlagen zum Stenografischen Bericht
gten Abgeordneten
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Stammzellgesetzes
– Entwurf eines Gesetzes für eine menschen-
freundliche Medizin – Gesetz zur Änderung
des Stammzellgesetzes
– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonen-
schutzes im Zusammenhang mit menschli-
chen embryonalen Stammzellen (Stammzell-
gesetz – StZG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Stammzellgesetzes
– Antrag: Keine Änderung des Stichtages im
Stammzellgesetz – Adulte Stammzellfor-
schung fördern
(142. Sitzung, Tagesordnungspunkt 4 a bis e)
Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Worüber beraten
wir heute? Im Prinzip über die Bereitschaft, politisch der
deutschen Forschung – speziell der Gesundheitsfor-
schung – zu ermöglichen, Grundlagenforschung hier in
Schultz (Everswinkel),
Reinhard
SPD 15.02.2008
Schwabe, Frank SPD 15.02.2008
Dr. Stadler, Max FDP 15.02.2008
Steinbach, Erika CDU/CSU 15.02.2008
Steppuhn, Andreas SPD 15.02.2008
Strothmann, Lena CDU/CSU 15.02.2008
Wicklein, Andrea SPD 15.02.2008
Zeil, Martin FDP 15.02.2008
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
15152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Die öffentliche Diskussion der vergangenen Monate
rankte sich ja weitgehend um die Frage nach dem Be-
ginn des Lebens und die Frage, ob menschliches Leben
durch die embryonale Stammzellforschung vernichtet
wird oder ein Anreiz zur Vernichtung menschlichen Le-
bens gesetzt wird.
Dieser ethische Disput ist wichtig – aber bei der be-
stehenden Rechtslage in Deutschland nicht zu Ende ge-
dacht. Wenn wir uns tatsächlich auf die Position stellen,
dass jede Forschung an embryonalen Stammzellen Le-
ben vernichtet, müssen wir konsequenterweise sofort
jede Form der Abtreibung, der künstlichen Befruchtung,
ja selbst der „Pille danach“ oder der sogenannten Spirale
verbieten. Gerade bei letztgenannten Methoden werden
in erheblichem Maße embryonale Zellen getötet. Wollen
wir dies wirklich? Wollen wir den Abtreibungs-Touris-
mus der 60er-Jahre wirklich wiederbeleben?
Fakt ist, dass es weltweit ein reichliches Angebot an
Stammzelllinien gibt. Keiner kann im Ernst behaupten,
dass durch die deutsche Forschung ein Anreiz irgend-
welcher Art entsteht, menschliches Leben zu töten. Sol-
len deutsche Forscher, die auf diesem Gebiet erhebliche
Kompetenz haben, gezwungen werden, ins Ausland zu
gehen? Sollen die international gewonnenen Erkennt-
nisse und in Zukunft möglichen Therapieformen den
deutschen Patienten vorenthalten werden – oder nur per
Gesundheits-Tourismus zur Verfügung stehen?
Wir haben hier in der Bundesrepublik eine weltweit
einmalige, sichere und öffentlich ethisch kontrollierte
Forschung. Ich traue unseren Forschern und den sie be-
gleitenden Ethikkommisionen zu, verantwortlich mit
den Ressourcen umzugehen. Ich bin nicht sicher, ob in-
ternational diese Standards überall gewahrt sind.
Eines ist sicher: Es wird weltweit an embryonalen
Stammzellen geforscht – egal was wir hier beschließen,
welche Hürden wir errichten. Die Forschung an diesen
Zellen ist erforderlich, um auch die Mechanismen der
adulten Stammzellen zu verstehen.
Die Frage nach der schon vorhandenen Therapierele-
vanz ist nicht fair. Wir befinden uns im Stadium der
Grundlagenforschung, erste Erkenntnisse sind sehr viel-
versprechend – aber es ist nun mal das Wesen von For-
schung, speziell von Grundlagenforschung, dass fest de-
finierte Ergebnisse nicht vorformulierbar sind. Wir
brauchen diese für unsere Menschen, zur Erklärung un-
serer Genese und nicht zuletzt auch zur Weiterentwick-
lung unserer Medizin. Vertrauen wir auf unsere Forscher,
lassen wir Sie arbeiten, sie haben unser Vertrauen verdient.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Bevölkerungsschutz-
system reformieren – Zuständigkeiten klar re-
geln (Tagesordnungspunkt 26)
Beatrix Philipp (CDU/CSU): Der uns vorliegende
Antrag der FDP-Fraktion zur Reformierung des Bevöl-
kerungsschutzsystems – eindeutig getragen von dem
Wunsch nach klaren Zuständigkeiten – zeigt deutlich,
dass der Informationsfluss innerhalb der FDP-Fraktion
ausgesprochen gut ist. Aber das trifft natürlich auch auf
meine Fraktion zu: Auch wir wissen, was im Haushalts-
ausschuss des Deutschen Bundestages am 7. November
des vergangenen Jahres beschlossen wurde.
Ich will es für uns alle noch einmal ins Gedächtnis
rufen: Der Haushaltsausschuss forderte das BMI auf, bis
zum 1. Juli 2008 – also bis in circa einem halben Jahr ab
heute gerechnet – ein Konzept zum gesamten Bereich
des Bevölkerungsschutzes vorzulegen. Dieses Konzept
soll die rechtlichen Grundlagen und vor allem die Zu-
sammenarbeit bzw. die Kompetenzregelungen zwischen
Bund und Ländern ausweisen.
Nun kommt der gravierende Unterschied zwischen
Ihnen von der FDP und uns: Wir wissen und können uns
darauf verlassen, dass das Innenministerium unter Herrn
Innenminister Dr. Schäuble einen solchen Auftrag nicht
nur zur Kenntnis und ernst nimmt, sondern den Auftrag
auch zügig umsetzt. Ich will Ihnen nicht unbedingt un-
terstellen, dass Sie mit diesem Antrag den Eindruck
erwecken möchten, ohne Sie täte sich nichts, oder es be-
dürfe Ihres Antrages, um die Regierung auf Trab zu brin-
gen. Aber etwas merkwürdig ist Ihre Einlassung schon:
Nach einer „Schamfrist“ von etwa vier Wochen setzen
Sie sich hin und schreiben das auf, was bereits beschlos-
sen und auf den Weg gebracht worden ist.
Aber weil wir nett sind, debattieren wir Ihren Antrag
heute und nutzen die Gelegenheit, den Menschen in un-
serem Land zu sagen, auf welchem Stand der Verhand-
lungen wir derzeit sind. Dabei ist besonders bemerkens-
wert, dass hier fast ein Kunststück gelungen ist, zu dem
man uns eigentlich beglückwünschen müsste: Dank des
Verhandlungsgeschicks unseres Innenministers und sei-
ner Beamten ist es tatsächlich gelungen, was kaum noch
jemand glauben wollte und der vorigen Regierung aus
unterschiedlichen Gründen eben nicht gelungen ist,
einen Konsens mit den Ländern zu finden! Dabei geht
es um die Ausstattung im Katastrophenschutz und die
besondere Berücksichtigung des in diesem Bereich
anzutreffenden besonders großen ehrenamtlichen En-
gagements. Ich freue mich deshalb ganz besonders
darüber, weil gerade dieses Engagement der Ehrenamtli-
chen in den vergangenen Jahren erheblich in den Hinter-
grund getreten war.
Zeitweise gab es sogar erhebliche Befürchtungen in
Bezug auf die Zukunftsaussichten der Hilfsorganisatio-
nen; ich will das hier nicht weiter ausführen. Wie gesagt,
Sie wissen genau, dass das Bundesministerium des In-
nern längst an einer Reform des Bevölkerungsschutzes
arbeitet.
Wer den Mitgliedern des Haushaltsausschusses nicht
glauben wollte, konnte dies sogar im Behörden Spiegel
im vergangenen November nachlesen. Auch die in ihrem
Antrag unter II. formulierten Forderungen sind wenig
kreativ: Sie wiederholen – fast gleichlautend – die Anre-
gungen, die bereits in den Beschlüssen der Innenminis-
terkonferenz vom Frühjahr 2007 zu finden sind. Um es
zusammenzufassen: Das Bundesinnenministerium arbei-
tet aktuell an Eckwerten für einen Gesetzentwurf zur
Fortentwicklung des Zivilschutzgesetzes. Bisher regelt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15153
(A) (C)
(B) (D)
das Zivilschutzgesetz nur den Schutz der Bevölkerung in
militärischen Krisen und Lagen. Die bestehende Aufga-
benteilung zwischen Bund und Ländern – und zwar auf-
seiten des Bundes für den Verteidigungsfall und aufseiten
der Länder für den Katastrophenschutz – ist heute über-
holt. Das liegt darin begründet, dass einerseits der klassi-
sche Verteidigungsfall glücklicherweise eher unwahr-
scheinlich geworden ist und andererseits die heutigen
Herausforderungen und Bedrohungen eher im Bereich der
großen Naturkatastrophen bzw. des internationalen Terro-
rismus liegen. Diesen aktuellen Herausforderungen wird
das geltende Zivilschutzgesetz aber nicht mehr gerecht.
So besteht der Bedarf für eine Anpassung des Gesetzes an
die eben genannten neuen Bedrohungslagen, wie zum
Beispiel ABC-Lagen oder etwa einem Massenanfall von
Verletzten bei Katastrophen jeder Art.
Die Leistungen des Bundes haben in den vergangenen
Jahren bereits den neuen Bedrohungslagen Rechnung
getragen. Dieser Anpassungs- und Umstellungsprozess
wurde 2002 durch die Innenministerkonferenz in die
Wege geleitet, als diese die sogenannte „Neue Strategie“
beschloss. Auf ihrer Frühjahrssitzung 2007 hat die In-
nenministerkonferenz die Neuausrichtung des Bundes
im Bevölkerungsschutz ausdrücklich begrüßt. Weiterhin
forderte sie, dass der Bund zusätzlich zu seiner Zustän-
digkeit für den Schutz der Bevölkerung im Verteidi-
gungsfall auch die gesetzliche Befugnis erhalten solle,
die Länder beim Schutz der Bevölkerung in Fällen terro-
ristischer Anschläge sowie bei Naturkatastrophen und
Unglücksfällen, die das Gebiet mehr als eines Landes
gefährden, zu unterstützen. Genau diesen Forderungen
der Landesinnenminister bzw. den neuen Herausforde-
rungen wird das neue Gesetz gerecht werden. Fragen
hinsichtlich einer Stärkung der Koordinierungskompe-
tenz des Bundes bei der Bewältigung von Großkatastro-
phen und länderübergreifenden schweren Unglücksfäl-
len befinden sich noch in der Abstimmung mit den
Ländern. In diesem Zusammenhang gilt es zu berück-
sichtigen, dass eine solche länderübergreifende Gefah-
renlage ein einziges Bundesland bei der Gesamtkoordi-
nation leicht überfordern kann. Daher könnte eine
Koordinierungskompetenz des Bundes durchaus eine
sinnvolle Ergänzung sein.
Mit dem neuen Ausstattungskonzept ist Folgendes
vorgesehen: Der Bund zieht sich aus der bisherigen flä-
chendeckenden Grundversorgung, wie sie mit Blick auf
den traditionellen Verteidigungsfall geboten war, zurück.
Dafür konzentriert er sich angesichts aktuell in den Vor-
dergrund gerückter neuer Bedrohungslagen auf Spezial-
fähigkeiten mit den Schwerpunkten ABC-Schutz und
Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten: weg
vom Gießkannenprinzip und hin zu einer gefährdungs-
orientierten und damit schwerpunktmäßigen Vorsorge
für Sonderlagen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat
sich immer dafür stark gemacht, dass der Bund für den
Katastrophenschutz eigene Mittel bereithält, um die
Länder in ihren Aufgaben zu unterstützen. Grundsätzlich
ist Katastrophenschutz zwar Ländersache und damit
auch deren Finanzierung, aber es ist eine jahrelang ge-
übte Praxis, dass der Bund sich am Katastrophenschutz
beteiligt. Wie gesagt, nach anfänglichen Widerständen
sind die Länder nun mit diesem neuen Konzept einver-
standen. Ihnen werden selbstverständlich Übergangszei-
ten eingeräumt, um sich auf die veränderten Unterstüt-
zungsleistungen des Bundes einzustellen und für die
Bereiche, die der Bund nicht mehr prioritär ansieht,
selbst Vorsorge zu treffen.
Ich habe es bereits eingangs erwähnt: Ohne die vielen
Menschen, die sich tagtäglich in den verschiedenen
Hilfsorganisationen freiwillig engagieren und ihre Frei-
zeit in Einsätzen und für Übungen opfern, wären alle
Ausstattungskonzepte dieser Welt ohne Wert und unsere
Gesellschaft ein deutliches Stück ärmer. Dieses ehren-
amtliche Engagement gilt es zu erhalten und zu fördern.
Gerade dieser Aufgabe fühlt sich die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion in besonderem Maße verbunden und
auch verpflichtet. Deshalb möchte ich es an dieser Stelle
nicht versäumen, meinen ausdrücklichen Dank und vor
allem meine Anerkennung allen Ehrenamtlichen für die
geleistete, sehr wertvolle Arbeit auszusprechen. Auch
unter diesem Aspekt ist mit dem neuen Ausstattungskon-
zept eine gute Lösung gefunden worden. Natürlich ist es
jeder Fraktion dieses Hauses unbenommen – und erst
recht der Opposition –, mit Anträgen die Regierung zum
Handeln aufzufordern. Und natürlich nehmen wir Anre-
gungen auf und ernst! Dieser Antrag fällt leider nicht in
diese Kategorie, weil er das umständlich fordert, was
schon längst in der Mache ist. Aber einem guten parla-
mentarischen Brauch folgend überweisen wir auch – ei-
gentlich unnötige, weil überflüssige – Anträge in den
Ausschuss; also auch diesen.
Gerold Reichenbach (SPD): Für die Väter des
Grundgesetzes war nur eine Situation vorstellbar, in der
Infrastruktur und Aufrechterhaltung eines geregelten öf-
fentlichen Lebens bundesweit bedroht sind – nämlich
der Kriegs- beziehungsweise Verteidigungsfall.
Darum ist im Grundgesetz unser Notfallsystem zwei-
geteilt: In Friedenszeiten sind die Länder für den Kata-
strophenschutz zuständig. Im Verteidigungsfall ist der
Bund für den Schutz der Bevölkerung zuständig.
Nach dem Ende der Blockkonfrontation hat sich die
Bedrohung der Bundesrepublik durch einen umfassen-
den militärischen Angriff drastisch reduziert – und damit
die Anforderung an den Zivilschutz des Bundes.
Spätestens die Elbeflut 2002 aber machte deutlich:
Naturkatastrophen können Dimensionen erreichen, die
weit über die Grenzen eines Bundeslandes hinausgreifen
und deren Bewältigung die gesamte Republik fordert.
Dies sind nicht mehr nur seltene Jahrhundertereignisse.
Die Auswirkungen des Klimawandels werden zu einer
Häufung und Verschärfung von Naturkatastrophen auch
bei uns führen.
Der Terroranschlag in den USA 2001 zeigt, auch Ge-
walt unterhalb der Kriegsschwelle kann verheerende
Schäden verursachen.
Neue Bedrohungsszenarien und wachsende Verwund-
barkeiten in Friedenszeiten treten ins Bewusstsein: Infra-
strukturausfälle etwa in der Stromversorgung oder der
IT-Kommunikation, Zusammenbruch der Lieferketten –
15154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Katastrophen mit bundesweit oder gar europaweit ver-
heerenden Auswirkungen. Dabei sind die Ursachen nicht
erheblich.
Technisches Versagen, Naturkatastrophen, Terroran-
schläge oder eine Pandemie können solche Katastrophen
auslösen. Ob bei einer Pandemie nun 10 Prozent der Be-
völkerung erkranken oder 30 Prozent oder gar 50 Pro-
zent und mehr – das Leben der Menschen, das von Just-
in-time-Lieferketten, Stromversorgung und Kommuni-
kation abhängig geworden ist, wäre zusätzlich zu der
Vielzahl von Erkrankten bedroht. Die Bedrohung ist
real. Unter Fachleuten ist es keine Frage mehr, ob eine
Pandemie kommt, sondern nur wann.
Die bestehende Aufgabenteilung zwischen Zivil-
schutz als Bundesaufgabe und Katastrophenschutz als
reine Länderaufgabe ist historisch überholt. Sie ist zur
Bewältigung dieser neuen Bedrohungen ungeeignet.
Wir haben ein bewährtes und gutes System zur Be-
wältigung der alltäglichen Gefahrenabwehr und zur Be-
wältigung von Großschadensereignissen, die ein oder
zwei Bundesländer betreffen. Aber auf die Bewältigung
solcher Szenarien, die bundesweite Auswirkungen ha-
ben, sind wir völlig unzureichend vorbereitet. Es gibt er-
hebliche Defizite, etwa bei der Sanitätsversorgung oder
den Management- und Führungsfähigkeiten für solche
zivilen Großkatastrophen. Diese Defizite werden wir auf
der Länderebene alleine nicht beheben können.
Es ist kein Zufall, dass nach der Erfahrung des Elbe-
hochwassers im Jahre 2002 von der Innenministerkon-
ferenz die „Neuen Strategien zum Schutz der Bevölke-
rung“ verabschiedet wurden, um länderübergreifende
Katastrophenlagen wie die erlebten Überschwemmun-
gen besser bewältigen zu können. Die Koordinierung
und Kooperation zwischen Bund und Ländern sollte ver-
bessert werden. Die jeweilige Verantwortung sollte sich
künftig nicht mehr am Anlass – ob Krieg oder Frieden –,
sondern an der Schwere des Ereignisses orientieren.
Seitdem wartet diese neue Strategie auf ihre Umsetzung –
und zwar sowohl was ihre gesetzliche Basis als auch
eine gemeinsam abgestimmte Gefährdungsanalyse be-
trifft.
Wir Sozialdemokraten haben vielfach auf diese
Schutzlücken hingewiesen. Die Bemühungen des Bun-
des – insbesondere unter der rot-grünen Regierung –,
Verantwortung für zivile Katastrophenlagen zu überneh-
men, sind bisher am Beharrungsvermögen der Mehrzahl
der Länder gescheitert.
Unsere Vorschläge dazu in der Föderalismuskommis-
sion hat der Verhandlungsführer der Länder, Edmund
Stoiber, brüsk zurückgewiesen. Der niedersächsische In-
nenministers Schünemann fordert sogar immer wieder,
hier jegliche Verantwortung des Bundes zu streichen und
alles auf die Länder zu übertragen. Dennoch ist der Bund
unter Rot-Grün mit dem BBK, mit DeNiS, mit ABC-
Task-Forces usw. immer wieder in Vorleistung getreten.
In den Koalitionsvertrag wurde auf Drängen der SPD
aufgenommen, dass wir „die Steuerungs- und Koordinie-
rungskompetenz des Bundes für die Bewältigung von
Großkatastrophen und länderübergreifenden Katastro-
phenlagen“ stärken wollen. Wir wollen auf die neuen zi-
vilen Bedrohungen vorbereitet sein. Sie stehen zwar
nicht so im Fokus der Öffentlichkeit wie der Terroris-
mus, aber sie können in ihren Auswirkungen gleichwohl
sehr viel schwerwiegender sein. Leider hat Bundes-
innenminister Schäuble bislang dieses gemeinsam ver-
abredete Ziel gegenüber den Ländern politisch nicht vo-
ranbringen können.
Gleichwohl bietet der Bund weiter in freiwilliger Vor-
leistung Instrumente zur Koordinierung der Länder an.
Mit dem BBK treiben wir die Ausrichtung und Vorberei-
tung auf länderübergreifende Katastrophen voran. Ich
nenne nur die Pandemieübung im Herbst vergangenen
Jahres. In sie waren sowohl Bund und Länder als auch
die Privatwirtschaft einbezogen.
Wir Sozialdemokraten halten es für erforderlich und
richtig, dass der Bund auch im zivilen Katastrophen-
schutz Verantwortung für die Bewältigung dieser länder-
übergreifenden Gefahren übernimmt. Dazu gehört auch
die Bereitstellung zusätzlicher Ausstattung und ein Bei-
trag zum Erhalt der ehrenamtlichen Strukturen, so wie
dies mit den Innenministern der Länder vereinbart
wurde.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass der
Bundesrechnungshof deutlich moniert hat, dass dafür die
gegenwärtige Rechtsgrundlage nicht ausreicht. Das
Grundgesetz beschränkt die Verantwortung des Bundes
auf den Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungs-
fall.
Damit diese fehlende gesetzliche Kompetenzklärung
zwischen Bund und Ländern nicht zulasten der notwen-
digen Anstrengung und der betroffenen ehrenamtlichen
Helfer geht, hat der Haushaltsausschuss die entsprechen-
den Mittel für 2008 in den Haushalt eingestellt; dies aber
unter dem Vorbehalt eines Begleitbeschlusses, der die
Bundesregierung auffordert, die notwendige gesetzliche
Grundlage zu schaffen. Ansonsten ist die Weiterfinan-
zierung gefährdet. Der Wissenschaftliche Dienst des
Deutschen Bundestages hat ebenfalls deutlich gemacht:
Dazu brauchen wir eine entsprechende Anpassung der
Aufgabenzuweisung im Grundgesetz.
Wir haben bereits den Auftrag. Das sollten wir ernst
nehmen, und dazu bedarf es des Antrages der FDP, dem
ich in seiner inhaltlichen Beschreibung ja nur zustimmen
kann, nicht!
Herr Kollege Wolff, überzeugen Sie Ihren Parteikolle-
gen und nordrhein-westfälischen Innenminister von der
Notwendigkeit dessen, was sie in Ihrem Antrag be-
schreiben! Der Landesinnenminister des bevölkerungs-
reichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Dr. Ingo
Wolf, partei- und namensgleich mit Ihnen, lehnt dies bis-
lang strikt ab. Auf dem Katastrophenschutzkongress des
Jahres 2006 verstieg er sich sogar zu der Ansicht, dass
der Bund für den Schutz der Bevölkerung überflüssig
wäre.
Die Bundesregierung dazu aufzufordern und in eige-
ner Regierungsverantwortung dagegenzuarbeiten, die-
ser Spagat der FDP hilft den Menschen und der Sicher-
heit in unserem Land nicht weiter.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15155
(A) (C)
(B) (D)
Es geht nicht darum, den Ländern Kompetenzen zu
entziehen. Sie sollen weiterhin die volle Verantwortung
für den Katastrophenschutz tragen, und zwar nicht nur
rechtlich, sondern auch materiell. Der Bund soll nicht in
die Länder hineinregieren. Er soll vielmehr in die be-
währte subsidiäre Systematik des zivilen Katastrophen-
schutzes eingebunden werden – mit eigenen Anstren-
gungen und klarer Verantwortung.
Es ist auch und gerade im Interesse der vielen ehren-
und hauptamtlichen Helferinnen und Helfer und der
Hilfsorganisationen, dass die Verantwortung des Bundes
für zivile länderübergreifende Katastrophenlagen auf
eine gesetzliche Grundlage gestellt wird, die auch für sie
verlässlich ist.
Sie leisten eine hervorragende Arbeit, allein ausge-
richtet an dem Ziel eines bestmöglichen Schutzes der
Bevölkerung. Die Helferinnen und Helfer sowie unsere
Bevölkerung haben wenig Verständnis dafür, dass dieses
Ziel unter der Verteidigung von Kompetenzerbhöfen lei-
det.
Wir haben die Pflicht, den Bevölkerungs- und Kata-
strophenschutz auf die neuen Bedrohungslagen auszu-
richten und dies entsprechend im Grundgesetz abzusi-
chern. Die volle Unterstützung der SPD haben Sie dazu.
Lassen Sie uns das gemeinsam angehen!
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der Schutz der
Bevölkerung vor Katastrophen und Unglücksfällen ist
eine der grundlegenden Aufgaben des Staates. Dies darf
in der aktuellen Debatte um immer neue Sicherheitsge-
setze nicht vergessen werden. Im Gegenteil: Wir brau-
chen im Bevölkerungsschutz dringend eine Modernisie-
rung, um den Herausforderungen besser Herr werden zu
können. Sicherheit entsteht nicht durch Gesetze, sondern
durch gut ausgebildete und ausgerüstete Kräfte.
Nach dem Sommerhochwasser 2002 sowie aufgrund
der Risiken bei kritischen Infrastrukturen ist es offen-
sichtlich: Bei bestimmten überregionalen Naturereignis-
sen oder von Menschen verursachten Unglücksfällen
können Gefahren für die Bevölkerung auftreten, denen
mit gesamtstaatlichen Maßnahmen begegnet werden
muss.
Die bestehende Zweiteilung in den Zivilschutz im
Verteidigungsfall und Katastrophenschutz im Frieden
bedarf einer Neuordnung. Der bisherige Dualismus von
Zivil- und Katastrophenschutz muss überwunden und
die Zuständigkeit klar geregelt werden. Hierfür am bes-
ten geeignet ist ein von Bund und Ländern gemeinsam
getragenes, einheitliches Bevölkerungsschutzsystem mit
allein am Schadensausmaß und an den schnellsten und
besten Reaktionsmöglichkeiten ausgerichteten Zustän-
digkeiten und Verantwortlichkeiten.
Die bislang praktizierte Zuweisung von Zuständigkei-
ten nach der Schadensursache wird der Lage nicht länger
gerecht. Zum Zeitpunkt einer notwendigen Gefahren-
abwehr kann nicht die Ursachenforschung höchste Prio-
rität haben, um Zuständigkeitsfragen zu klären. Hier
muss einfach und schnell geholfen werden.
Daher ist eine Aufgabenverteilung anzustreben, bei
der die Zuständigkeit für lokale Schadensereignisse im
Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr bei den Kom-
munen bzw. beim Land, die Zuständigkeit für Großscha-
densereignisse innerhalb eines Bundeslandes ohne wei-
tere Auswirkungen auf das Bundesgebiet bei den
Ländern und die Zuständigkeit für außerordentliche bun-
desweite Schadenslagen sowie für länderübergreifende
Großschadenslagen beim Bund liegt. Innerhalb dieses
Rahmens ist die Ressourcenverantwortung zu regeln, um
effektiv und schnellstmöglich helfen zu können.
Ein neues, zeitgemäßes Ausstattungskonzept ist dabei
ohne einen schlagkräftigen und wirkungsvollen Beitrag
des Bundes nicht denkbar. Die Konzentration des Bun-
des auf die Bereitstellung von Spezialressourcen für
„Sonderlagen“ darf nicht zu einem schleichenden Rück-
zug des Bundes aus der Fläche führen. Die Verteilung
der Ressourcen hat vielmehr dergestalt zu erfolgen, dass
eine zeitnahe Reaktion auf Ereignisse an jedem Ort in
Deutschland sichergestellt ist. Dabei ist die Frage nach
der Rechtsgrundlage auch für die Bundesleistungen im
Bereich Ausstattung, wie sie vom Deutschen Bundestag
und dem Bundesrechnungshof aufgeworfen worden ist,
abschließend und eindeutig zu klären.
Darüber hinaus sind die ehrenamtlichen Strukturen im
Katastrophenschutz mindestens im bisherigen Umfange
unbedingt aufrecht zu erhalten. Das ehrenamtliche En-
gagement ist die bürgerschaftliche Grundlage für die Si-
cherheit aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
und die tragende personelle Infrastrukturkomponente
des Bevölkerungsschutzes. Zur langfristigen Sicherung
und Stärkung des ehrenamtlichen Engagements bedarf
es eines zukunftsorientierten, tragfähigen Konzepts. Hier
müssen alle Träger, Bund, Land und Kommunen, zu-
sammenarbeiten.
Hierzu zählen insbesondere eine Intensivierung der
Öffentlichkeitsarbeit für die Förderung des Ehrenamtes,
die Harmonisierung und Verbesserung helferrechtlicher,
auch steuerrechtlicher Regelungen in Bund und Ländern
sowie die verstärkte Zusammenarbeit mit den Arbeitge-
bern ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer.
Ein weiteres Ziel ist es, mehr Frauen und auch mehr
Migrantinnen und Migranten für das Ehrenamt im Zivil-
und Katastrophenschutz zu gewinnen. Ich begrüße nach-
drücklich, dass der Präsident des Deutschen Feuerwehr-
verbandes, Kröger, nach der tragischen Brandkatastro-
phe in Ludwigshafen sich zu diesem Ziel bekannt hat.
Zur weiteren Qualitätssteigerung muss die Ausbil-
dung im Bevölkerungsschutz verbessert werden. Auch
die Forschung zum Bevölkerungsschutz kann zur Ver-
besserung der Vorsorge im Katastrophenfall beitragen.
Hier wäre etwa neuen Risikomanagementmethoden be-
sondere Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei können
auch betriebswirtschaftliche Methoden zur Vermeidung
von Geschäftsrisiken geeignet sein, das Katastrophen-
verwaltungsrecht zu optimieren.
Die FDP ist überzeugt: Die ehrenamtlichen und die
professionellen Helferinnen von THW und Feuerweh-
15156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
ren, von Rettungsdiensten und anderen Hilfsorganisatio-
nen leisten ausgezeichnete Arbeit.
Wir als Parlamentarier sind aufgefordert, die rechtli-
chen Rahmenbedingungen für ein zukunftsorientiertes
Bevölkerungsschutzsystem zu setzen.
Jan Korte (DIE LINKE): Ich begrüße es ausdrück-
lich, dass wir durch den Antrag der FDP-Fraktion einmal
die Möglichkeit haben, über den Bevölkerungs- und Ka-
tastrophenschutz zu debattieren, ohne gleich über den
Einsatz der Bundeswehr im Innern streiten zu müssen.
Zum Antrag: Aus Sicht der Linken ist der vorliegende
Antrag sinnvoll und in seiner Zielstellung zu unterstüt-
zen. Es ist richtig, ein einheitliches Bevölkerungsschutz-
system einzurichten und Zuständigkeiten endlich ein-
deutig zu regeln. Dies ist bisher nicht der Fall. Die
Kolleginnen und Kollegen stellen vollkommen richtig
dar, dass es notwendig ist, zukünftig ein einheitliches
Bevölkerungsschutzsystem mit allein am Schadensmaß
ausgerichteten Zuständigkeiten und Verantwortlichkei-
ten aufzubauen. Die bislang vorgenommene Zuweisung
von Verantwortlichkeiten nach der Schadensursache
muss der Vergangenheit angehören.
Es ist deshalb wichtig, diese Fragen breit zu diskutie-
ren, mit den Kommunen, den Ländern und dem Bund so-
wie den Verbänden und Vereinen. Ergebnis dieser Neu-
justierung des Bevölkerungsschutzes darf jedoch nicht
sein, dass sich der Bund aus der Verantwortung stiehlt,
vielmehr muss es darum gehen, die Mitfinanzierung des
Bevölkerungsschutzes durch den Bund klar zu regeln
und die Basisausstattungen der Bevölkerungsschutzein-
richtungen zu verbessern.
Im Vordergrund müssen dabei folgende Parameter
stehen: Erstens muss die Einsatzbereitschaft vor Ort er-
halten und ausgebaut werden. Zum Zweiten müssen wir
uns darum bemühen, wieder mehr junge Menschen an
den ehrenamtlichen Bevölkerungsschutz heranzuführen.
In den vielen Gesprächen, die ich vor Ort in meinem
Wahlkreis und in Sachsen-Anhalt mit freiwilligen Feuer-
wehren, dem THW und weiteren Einrichtungen geführt
habe, wurde mir immer wieder bedeutet, dass die derzei-
tigen Kernprobleme neben den Regelungen der Zustän-
digkeiten vor allem in der materiellen und finanziellen
Ausstattung und dem nachlassenden ehrenamtlichen
Engagement der Menschen vor Ort liegen.
Und die Probleme sind uns doch seit langem bekannt.
Vor wenigen Wochen haben wir hier im Bundestag über
die Neuordnung der Wahlkreise debattiert. Darin wurde
unter anderem entschieden, dass das Bundesland Sach-
sen-Anhalt aufgrund der sinkenden Bevölkerungsent-
wicklung einen Wahlkreis verliert. Die Abwanderung
vor allem junger Menschen aus dem Osten der Republik
hält an. Es mag ja sein, dass mit der Beschlussfassung
über die neue Wahlkreisstruktur eine Übergangslösung
für die Abwanderung aus dem Osten gefunden wurde.
Für den Bevölkerungsschutz und die Strukturen vor Ort
freilich ist dies natürlich keine Lösung. Hier müssen an-
dere, langfristige Lösungen gefunden und neue Anreize
für ehrenamtliches Engagement gegeben werden. Die
Linke hat dieses Thema mehrfach auch in diesem Hause
wie auch in allen ostdeutschen Landtagen angesprochen
und mit Anfragen und Anträgen inhaltlich untersetzt. Es
ist also an der Zeit, partei- und fraktionsübergreifend
endlich praktikable Lösungen hierfür zu finden. Aber
auch das spricht der vorliegende Antrag an. Deshalb
sollte aus unserer Sicht diesem auch entsprochen wer-
den.
Die Stärkung des Bevölkerungsschutzes und des eh-
renamtlichen Engagements in diesem wird aber immer
dann ad absurdum geführt, wenn unser Sicherheitsminis-
ter ohne Uniform den Einsatz selbiger zu Hunderten im
Innern fordert. Es ist eben nicht nachvollziehbar, die
Bundeswehr im Innern einsetzen zu wollen. Weder aus
Sicht des Bevölkerungsschutzes noch aus Sicht der Stär-
kung und der Finanzierung des ehrenamtlichen Engage-
ments oder im Hinblick auf das deutsche Grundgesetz.
Zum Schluss noch eine Bemerkung, die leider in dem
Antrag der FDP keinen Eingang gefunden hat, aber viel-
leicht hätte dies auch zu weit geführt. Gerade an dem
Beispiel des Bevölkerungsschutzes und des ehrenamtli-
chen Engagements in diesem wird deutlich, wie sehr
doch die Verteidigung sozialer und politischer Rechte
zusammenhängen. Man kann meiner Meinung nach
nicht über die Stärkung des Ehrenamts debattieren und
gleichzeitig über Hartz IV das persönliche und indivi-
duelle Engagement ver- oder zumindest behindern. Ein
Diskurs über das Ehrenamt und über die Sicherheit in
Deutschland muss deshalb auch vor dem Hintergrund
der deutschen Sozialpolitik geführt werden.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Das Thema Bevölkerungsschutz braucht ei-
nen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, und wir sind uns
alle einig: Angesichts der zunehmenden Risiken braucht
der Bevölkerungsschutz in Deutschland aber auch in Eu-
ropa neue Strategien. Die Zunahme extremer Wetterla-
gen, bedingt durch den Klimawandel, die Gefahren von
Pandemien durch aggressive Viren, die Gefahren durch
Risikotechnologien wie die Atomkraft oder die Bedro-
hung durch den internationalen Terrorismus fordern von
einer verantwortlichen Politik nicht nur neue Konzepte
im Bereich der inneren Sicherheit, sondern auch im Be-
reich der öffentlichen Sicherheit.
Ein moderner Bevölkerungsschutz muss auf drei Säu-
len gestellt werden: Erstens. Die Selbsthilfekräfte der
Bevölkerung müssen gestärkt werden, und angesichts
des demografischen Wandels brauchen wir Konzepte,
die das ehrenamtliche Engagement fördern und stärken.
Zweitens. Die staatlichen Ressourcen müssen gebündelt
werden; wir brauchen ein modernes Bevölkerungs-
schutzgesetz und den Abbau der föderalen Hemmnisse.
Drittens. Kritische Infrastrukturen wie Mobilität, Ener-
gieversorgung und Kommunikation sind weitgehend pri-
vatisiert. Der Sicherstellungsauftrag der Wirtschaft muss
neu definiert werden.
Wir haben im Bundestag ein fraktionsübergreifendes
Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit eingerichtet. Hier
arbeiten Politiker, Experten und Verbände aus dem Be-
völkerungsschutz und die Wirtschaft in Arbeitsgruppen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15157
(A) (C)
(B) (D)
und Foren zusammen, um in einem Konsensverfahren
neue Strategien im Bereich der öffentlichen Sicherheit
zu entwickeln. Noch vor der Sommerpause soll ein
„Grünbuch öffentliche Sicherheit“ mit Analysen, Leit-
fragen und Lösungsansätzen der Öffentlichkeit vorge-
stellt werden.
Lassen Sie mich sagen: Ich bedaure, dass die Bundes-
tagsfraktion der FDP zu diesem Zeitpunkt mit einem An-
trag zum Bevölkerungsschutz kommt. Lassen Sie uns
doch fair miteinander umgehen und die Vorstellung des
Grünbuches abwarten! Danach ist der richtige Zeitpunkt,
aus den Bundestagsfraktionen zu erklären, welche Ant-
worten wir aus der Politik geben.
In der FDP heulen ja bekanntlich mehrere Wölfe:
Hartfrid Wolff, der MdB, der hier heute den Antrag der
Bundestagsfraktion der FDP mit der Forderung nach ei-
nem einheitlichen Bevölkerungsschutzgesetz vorstellt,
und Ingo Wolf, der Innenminister der FDP aus NRW, der
genau dies vehement behindert. Genau hier liegt das
Hauptproblem. Der Föderalismus in Deutschland ist ein
Hemmnis für den Aufbau eines modernen Bevölke-
rungsschutzes in Deutschland. Ohne Grundgesetzände-
rung werden wir nicht zu einer vernünftigen Lösung
kommen.
Wir sind seit Jahren nicht in der Lage, die völlig ver-
alteten Katastrophenschutz- und Zivilschutzgesetze in
ein einheitliches Bevölkerungsschutzgesetz umzuwan-
deln, weil die Länder hier aus machtpolitischen Gründen
in unverantwortlicher Weise mauern. Dies hat zur Folge,
dass es keinen Überblick über die vorhandenen Kapazi-
täten gibt. Dies hat auch zur Folge, dass die Anschaffung
von Feuerwehrfahrzeugen zu einem permanenten Fi-
nanzstreit zwischen Kommunen, Ländern und Bund
führt. Eine gemeinsame Kommunikation bei länderüber-
greifenden Großlagen existiert nach wie vor nur auf dem
Papier.
Am Beispiel BOS-Digitalfunk wird deutlich, wie
teuer und unsinnig der Föderalismus im Bereich der öf-
fentlichen Sicherheit ist. In keinem europäischen Land
hat die Einführung des BOS-Digitalfunks so lange ge-
dauert wie in Deutschland, und in keinem anderen euro-
päischen Land ist die Umsetzung so teuer wie in
Deutschland. Die Länder zwingen den Bund zu völlig
unsinnigen Organisationsstrukturen, wie die Einrichtung
einer Bund-Länder-Anstalt.
Jedes Bundesland entwickelt ein eigenes Leitstellen-
konzept. Aber damit nicht genug: Es gibt auch Bundes-
länder, die mehrere Leitstellenkonzepte haben. Die tech-
nischen Systeme sind nicht miteinander kompatibel.
Diese Kleinstaaterei führt nicht nur zu erheblichen
Schutzlücken, sie ist auch ein gravierender Nachteil für
die deutsche Wirtschaft. Auf dem Sicherheitsmarkt, der
einer der am stärksten wachsenden Märkte weltweit ist,
spielen deutsche Unternehmen keine Rolle, weil es keine
vernünftigen Referenzanwendungen im eigenen Land
gibt.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Der FDP-Antrag
trifft nur einen kleinen, allen bekannten Teilbereich des
umfassenden Problems. Die FDP in den Landesregierun-
gen ist Teil des Problems. Einen Lösungsansatz hat die
FDP nicht zu bieten. Die Debatte um den Antrag ist so
überflüssig wie der Antrag selbst.
Wir werden uns weiter konstruktiv an dem Prozess im
Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit beteiligen und das
Grünbuch abwarten, um dann auf einer fundierten
Grundlage Konzepte für die Modernisierung des Bevöl-
kerungsschutzes in Deutschland vorzulegen. Wir werden
auch die Analysen und Strategien aufgreifen, die im
April auf der RisiKA, der Messe für Krisenmanagement
von Naturereignissen, vorgestellt werden. Zu vernünfti-
gen Lösungen werden wir nur mit einem gesamtgesell-
schaftlichen Ansatz kommen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Rechtsanspruch auf Mieterberatung
für Menschen mit geringem Einkommen (Ta-
gesordnungspunkt 27)
Heinz-Peter Haustein (FDP): In dem Antrag der
Linken, der hier zur Debatte steht, wird ein Rechtsan-
spruch auf Mieterberatung für Menschen mit geringem
Einkommen verlangt. Die Linken begründen die Not-
wendigkeit zur Einführung dieser Regelung damit, dass
die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Nebenkosten-
abrechnungen oder Mieterhöhungen häufig bei den Kos-
tenträgern nicht vorgenommen wird, sondern dass die
Mieterhöhungen oder Nebenkostenabrechnungen ein-
fach so übernommen werden. Insofern, so die Logik der
Linken, würde der gesetzlich verankerte Anspruch auf
eine Mieterberatung zu einem effizienten Einsatz staatli-
cher Mittel beitragen.
Man mag ja geneigt sein, dem zuzustimmen; denn
„effizient“ klingt ja gut. Und einen wirtschaftlichen
Staat, der effizient arbeitet, findet jeder gut. Nur ist es so,
dass uns die Erfahrung gelehrt hat, dass wir immer auf
der Hut sein müssen, wenn uns die Linken etwas von
effizientem Wirtschaften vorträgt. So auch hier: Was uns
nämlich als notwendige Maßnahme der Steigerung der
Effizienz verkauft wird, ist ja tatsächlich doch wieder
eine Ausweitung der Staatstätigkeit. So eine Regelung
brauchen wir nicht.
Der Staat und mit ihm die Träger der „Kosten der Un-
terkunft“ sind ohnehin schon zur Effizienz verpflichtet.
Wo nicht auf Minimierung der Ausgaben geachtet wird,
ist dies höchstens ein Fall für die die Fachaufsicht aus-
übende Stelle und letztlich für die Rechnungshöfe.
Ferner führen die Linken in ihrem Antrag zur Begrün-
dung an, der Anspruch auf eine Mietrechtsberatung sei
„aus rechtsstaatlichen Gründen“ zu befürworten. Es wird
suggeriert, es gäbe eine „Gerechtigkeitslücke“. Dem ist
jedoch nicht so. Wie ausgeführt, sind die Kostenträger
ohnehin zu wirtschaftlichem Handeln verpflichtet. Da-
rüber hinaus schreiben die Linken in ihrem Antrag
selbst, dass es längst Praxis der Sozialämter ist, für die
Mieter den Mitgliedsbeitrag für den Mieterverein zu
15158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
übernehmen. Wenn also der Mieter Interesse an der
Überprüfung seiner Nebenkostenabrechnung oder seiner
Mieterhöhung hat, so kann er sich auch heute schon
Hilfe beim Mieterverein holen. Völlig kostenlos aber
kann er auch beim Kostenträger auf eine Überprüfung
drängen. Das müsste der erste Schritt sein. Der Mieter
kann sich auch kostenlos in zahlreichen Internetforen
informieren. Auch auf die Möglichkeit, Prozesskosten-
hilfe zu erhalten, muss hier ausdrücklich hingewiesen
werden. Von einem Mangel kann hier also nicht gespro-
chen werden.
Dem mündigen Bürger sind also längst ausreichend
Möglichkeiten an die Hand gegeben. Und wo der Staat
bei der Überprüfung von Mieterhöhungen und Sonsti-
gem untätig bleibt, also unwirtschaftlich handelt, ist das
der Beweis dafür, dass staatliches Handeln immer teurer
ist als alles andere. Es ist nicht die Begründung für eine
neue gesetzliche Regelung. Die Logik der Linken ist ja
grotesk: Weil der Staat versagt, brauchen wir mehr Staat.
So ja nicht, meine Damen und Herren. Wo es so ist, wie
die Linken sagen, wo die Nebenkostenabrechnungen
und Mieterhöhungen nicht ausreichend überprüft wer-
den, muss den Verantwortlichen auf die Finger geklopft
werden und auf die Einhaltung der Vorschriften gedrängt
werden. Nichts anderes.
Das Gegenteil ist der Fall: Nicht momentan besteht
eine Gerechtigkeitslücke, sondern es würde eine ge-
schaffen, wenn man jetzt diesen Anspruch auf Miet-
rechtsberatung einführte, wie von den Linken beantragt.
Wo will man die Grenze ziehen? Wer soll denn die Bera-
tung erhalten und wer nicht, und warum? Es müsste
doch der schwer arbeitende Geringverdiener fragen, wa-
rum er nun wieder gerade nicht mehr in den Genuss des
Anspruchs auf Beratung kommt?
Selbst wenn ich einen Mangel anerkennen würde,
könnte der Vorschlag der Linken nicht die Lösung sein.
Die einzige Lösung ist und bleibt der mündige Bürger,
der sich über die Korrektheit seiner Mieterhöhungen und
Nebenkostenabrechnungen informiert. Und die Lösung
ist nach wie vor der Staat, der wirtschaftlich arbeitet und
seiner Pflicht nachkommt, seine Ausgaben niedrig zu
halten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Insofern
können wir den Antrag der Linken nur ablehnen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Für ein Gesamtkonzept zur Einrichtung von
EU-Agenturen
– Gerichtliche und parlamentarische Kon-
trolle von EU-Agenturen
(Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord-
nungspunkt 7)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Die in den letzten
Jahren drastisch gestiegene Anzahl von europäischen
Agenturen bereitet Anlass zu großer Besorgnis. Ich halte
es für unbedingt erforderlich, dass wir diesbezüglich die
Bundesregierung in die Pflicht nehmen und in unserer
Rolle als nationales Parlament unmissverständlich Stel-
lung beziehen. Daher begrüße ich die heutige Debatte
zum Thema ausdrücklich.
Es ist unbestritten, dass mit der Übertragung von na-
tionalen Kompetenzen auf die europäische Ebene gleich-
zeitig ein gesteigertes Maß an Koordination innerhalb
der EU notwendig geworden ist. Daher mag auch die
Auslagerung der Wahrnehmung europäischer Aufgaben
auf dezentral errichtete Agenturen in einzelnen Teilbe-
reichen sinnvoll und auch effizient sein.
Der inflationären Art und Weise jedoch, wie in jüngs-
ter Vergangenheit diverse Agenturen und Beobachtungs-
stellen beschlossen und EU-weit aus dem Boden ge-
stampft worden sind, müssen wir entschieden
entgegentreten. Vielfach ist die Einrichtung von Agentu-
ren eben nicht durch ein Aufgabenbedürfnis der EU zu
begründen, sondern entspringt dem Wunsch nach geo-
grafischer Streuung von EU-Einrichtungen in den Mit-
gliedstaaten. Eine grundlegende Konzeption ist bei die-
sem „Agenturunwesen“ nicht erkennbar. Ich nenne an
dieser Stelle nur das Stichwort „Agentur für Grund-
rechte“.
Vielfach sind mit der Einrichtung derartiger Institu-
tionen Doppelstrukturen entstanden, die unter finanziel-
len und bürokratischen Gesichtspunkten nicht zu recht-
fertigen sind. Komplizierte Organisationsformen tragen
zur wachsenden Unübersichtlichkeit bei, und Kollisio-
nen mit dem Subsidiaritätsprinzip bleiben völlig unge-
ahndet.
Wir geben uns zudem einem uferlosen Unterfangen
hin, wenn wir die Schaffung von neuen Agenturen und
Beobachtungsstellen, verstreut über das gesamte Gebiet
der EU, mit einer größeren Bürgernähe begründen wol-
len. Wie viele Agenturen soll dann jeder Mitgliedstaat
erhalten? Die Resonanz bei der Bevölkerung sieht dage-
gen völlig anders aus. Wenn solche Einrichtungen von
den Bürgern überhaupt wahrgenommen werden, dann
als bürokratischer „Monsterapparat“, der mit Geldern
aus den einzelnen Mitgliedstaaten in beliebigem Aus-
maß gefüttert wird. Der Appell geht in erster Linie auch
an den Europäischen Rat, in welchem sich die Mitglied-
staaten mit der Einrichtung solcher Institutionen so man-
che Zustimmung zu bestimmten Paketlösungen versüßen
lassen. Das kann nicht der Stil transparenter demokrati-
scher Politik sein!
Da die Gemeinschaftsagenturen lediglich zur Entlas-
tung ihrer Verwaltungshaushalte rechenschaftspflichtig
sind, entziehen sich die Sinnhaftigkeit ihrer Mandats-
wahrnehmung sowie die Details ihrer Finanzierung allzu
oft einer gründlichen Überprüfung. Ich stimme mit den
Antragstellern in ihrem Anliegen insoweit überein, dass
die Agenturen einer wesentlich effizienteren und restrik-
tiveren Kontrolle unterliegen müssen.
Die Forderung an die Bundesregierung, dem Deut-
schen Bundestag ein Gesamtkonzept zu EU-Agenturen
vorzulegen, löst jedoch nicht das eigentliche Problem.
Für eine solche Vorlage fehlt der Regierung auch das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15159
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(B) (D)
Initiativrecht im Europäischen Rat. Vielmehr hat uns das
Beispiel Grundrechteagentur eines deutlich vor Augen
geführt: dass es nämlich an einem Konzept fehlt, wie
Bundesregierung und Parlament bei solchen Fragenstel-
lungen zusammenarbeiten sollten. Die Position des
Deutschen Bundestages muss in den Verhandlungen auf
europäischer Ebene eine deutlich größere Berücksichti-
gung finden. Dazu müssen wir die Bundesregierung in
die Pflicht nehmen. Sie muss ihrem eigenen, immer wie-
der betonten Bedenken gegenüber den EU-Agenturen
endlich auch Taten folgen lassen. Der Beschluss zur Er-
richtung der Grundrechteagentur muss eine absolute
Ausnahme bleiben.
Als Grundlage für ein erfolgreiches Vorgehen bedarf
es einer gründlichen und transparenten Kosten-Nutzen-
Analyse für alle zur Gründung anstehenden EU-Agentu-
ren. Bereits bestehende Verwaltungsstellen müssen re-
gelmäßig hinsichtlich der effizienten Erfüllung ihrer
Zielvorgaben überprüft werden und bei negativen Ergeb-
nissen wieder abgebaut werden. Ein von der Bundesre-
gierung einseitig entwickeltes Gesamtkonzept hingegen
führt uns nicht ans Ziel. Aus diesem Grunde werden wir
diese Forderung aus dem zur Debatte stehenden Antrag
der Grünen nicht unterstützen. Zu vielen anderen Aspek-
ten könnte ich mir vorstellen, zu einem Konsens mit an-
deren Fraktionen zu kommen. Ein fraktionsübergreifen-
der Antrag wäre eine sehr starke Antwort des Deutschen
Bundestages auf die Frage nach den Agenturen.
Eduard Lintner (CDU/CSU): Es ist schon bemer-
kenswert, was sich in der EU über die Jahre hinweg alles
an Agenturen angesammelt hat. Man kann schon, ohne
polemisch zu sein, von einem „Wildwuchs“ sprechen,
denn offenbar ist es schon nicht mehr möglich, sich auf
die genaue Zahl der vorhandenen Agenturen zu einigen.
In der Tageszeitung Die Welt war am 10. Januar zu lesen,
es gebe 23 EU-Agenturen, häufig hört man die Zahl 31,
und zählt man die im Internet unter dem Stichwort
„Agenturen der EU“ aufgezählten Einrichtungen zusam-
men, so kommt man auf sage und schreibe 36 Agentu-
ren. Es ist also durchaus berechtigt, wie es der Kollege
Silberhorn einmal formuliert hat, von einer „Agenturi-
tis“ der EU zu sprechen. Und weil es sich dabei um Ein-
richtungen handelt, die immerhin einen jährlichen Fi-
nanzaufwand von etwa 1,3 Milliarden Euro erfordern
und mittlerweile fast 4 000 Mitarbeiter zählen, ist es
durchaus berechtigt, dass sich der Deutsche Bundestag
heute des Themas annimmt.
Natürlich ist nicht jede Agentur eine Fehlkonstruktion
oder überflüssig, aber viele Agenturen befassen sich mit
eng benachbarten oder sogar gleichgerichteten Tätig-
keitsfeldern. Hier wäre Konzentration und Präzisierung
wünschenswert. So gibt es eine europäische „Agentur
für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“
und zugleich eine „Europäische Stiftung zur Verbesse-
rung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“, oder neben-
einander existieren zum Beispiel eine „Europäische Stif-
tung für Berufsbildung“ und ein „Europäisches Zentrum
für die Förderung der Berufsbildung“.
Darüber hinaus, und hier wird es kontraproduktiv und
damit bedenklich, sind Agenturen eingerichtet worden,
deren Tätigkeit zwangsläufig in die über Jahre hin be-
währte Arbeit von anderen europäischen Institutionen
eingreift, die sich durch gute Arbeit große und weltweite
Reputation erarbeitet haben. Das gilt zum Beispiel für
die erst kürzlich gegen den heftigen Widerstand des
Deutschen Bundestages in Wien etablierte „Europäische
Agentur für Grundrechte“. Sie soll auf einem Feld tätig
werden, das bislang vom Europarat und insbesondere
von seinem Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte in Straßburg abgedeckt worden ist, mit großem
Echo in den 47 Mitgliedstaaten des Europarats. Der Ge-
richtshof ist für viele der insgesamt ca. 800 Millionen
Menschen in diesen Ländern ein echter Hoffnungsträger.
der häufig der letzte Rettungsanker im Kampf um die
Beachtung der Menschenrechte ist. Seit seinem Beste-
hen sind Hunderttausende von Klagen beim Gerichtshof
eingereicht worden. Und dass heute ein Rückstau von
etwa 100 000 Fällen besteht, an dem der Gerichtshof zu
ersticken droht, zeigt seine große konkrete Bedeutung.
Es wäre deshalb sinnvoller gewesen, die EU hätte sich
beim Gerichtshof finanziell und gegebenenfalls perso-
nell engagiert, um ihm und damit den betroffenen Men-
schen aus der Bredouille zu helfen, statt mit der Grün-
dung einer Agentur unnötige und teure Doppelstrukturen
zu schaffen. Zwar wird jetzt durch vertragliche Verein-
barungen versucht, das Nebeneinander reibungslos zu
gestalten, aber dennoch besteht die Gefahr der Verwäs-
serung von Standards durch unterschiedliche Akzentuie-
rungen.
Sorgen bereiten muss auch die Tatsache, dass die EU-
Agenturen als selbstständige Institutionen konstruiert
sind, sodass sie sich praktisch einer unmittelbaren Kon-
trolle durch das Europäische Parlament oder den Rat ent-
ziehen. Sie nehmen also an der staatsrechtlich gebotenen
Gewaltenteilung gar nicht teil. Sie sind Instrumente der
Kommission, entfalten ihr Wirken am Parlament vorbei
und sind längst über die ursprüngliche Zielsetzung einer
Agentur, nämlich der „Ausübung ganz bestimmter tech-
nischer, wissenschaftlicher und verwaltungstechnischer
Aufgaben“ zu dienen, hinausgewachsen, treiben konkret
Politik oder gestalten sie inhaltlich und sind an der Um-
setzung beteiligt, ohne einer wirksamen Kontrolle unter-
worfen zu sein. Zwar sind die Rechte des Parlaments in
diesem Zusammenhang kürzlich gestärkt worden, aber
von einer „parlamentarischen Kontrolle“ kann dennoch
nicht gesprochen werden.
Leider gilt auch hier die alte Lebenserfahrung, dass
einmal Geschaffenes nicht so leicht wieder abgeschafft
werden kann. Dennoch sollte sich die EU dazu durchrin-
gen, zu überprüfen, ob nicht manche dieser Agenturen
wieder aufgegeben werden können und ob Zusammen-
fassungen möglich sind. In jedem Fall sollte aber der
mittlerweile leider verfestigte unselige Brauch schnells-
tens unterbunden werden, dass jede Ratspräsidentschaft
sich eine neue Agentur ausdenkt und die übrigen Mit-
gliedsländer dies solidarisch abnicken. Ein solcher Um-
gang mit Prinzipien und vor allem auch eine solch groß-
zügige Umgangsweise mit dem Geld der Bürger ist nicht
zu rechtfertigen und trägt nur zur Verstärkung der Aver-
15160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
sionen gegen die schon heute allgemein als ausufernd
verschriene europäische Bürokratie bei.
Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Komplizierte euro-
päische Zusammenhänge erfordern eine differenzierte
Betrachtungsweise, um angemessene Antworten zu ge-
ben. Die Frage der EU-Agenturen ist dafür ein Beispiel –
und zwar in jeder Hinsicht. Es zeigt, dass leider einige in
diesem Hause das Ganze populistisch verpacken und
deutsche Sichtweisen voranstellen, während Betroffen-
heiten anderer EU-Mitgliedstaaten völlig außen vor ge-
lassen werden.
Im Einzelnen:
Erstens. Wir wollen ein föderales Europa, keine „Zen-
trale“ in Brüssel. Damit ist völlig klar, dass auch die Ver-
waltung sachlich wie örtlich nicht an einer Stelle kon-
zentriert werden kann. Ein Prinzip, das für uns in
Deutschland gilt und das wir im Rahmen eines über
sechs Jahrzehnte insgesamt erfolgreichen Föderalismus
praktiziert haben, muss auch ein Maßstab für unsere
europäische Beurteilung sein. Um es auf den Punkt zu
bringen: Ein Staat wie Deutschland mit insgesamt
83 obersten Bundesbehörden und Bundesoberbehörden
darf nicht in der EU so auftreten, als würden wir jede
neue EU-Agentur rundweg ablehnen. Ganz im Gegen-
teil: Wir sind die Letzten, die dazu moralisch legitimiert
wären! Da Politik eine Frage des guten Gedächtnisses ist
– wie Kurt Schumacher schon zu Recht bemerkte –, soll-
ten wir uns anständigerweise ins Gedächtnis rufen:
Die wichtigste institutionelle Neugründung in der
EG/EU war das europäische Währungsinstitut – daraus
entstand die Europäische Zentralbank; heute eine mäch-
tige Institution in Europa. Ihr Sitz: Frankfurt am Main.
Keine Partei in Deutschland hätte dem Euro zugestimmt,
wenn dies anders wäre.
Die europäische Agentur für Flugsicherung erfüllt un-
bestreitbar wichtige Aufgaben. Unser Land hatte auch
aus verkehrspolitischen Gründen ein großes Interesse
daran, diese Behörde in Deutschland anzusiedeln. Sie
residiert in Köln, wie jeder weiß.
Das zeigt: Wir dürfen keinesfalls den Eindruck ver-
mitteln, nachdem Deutschland zu den Mitgliedsländern
mit der besten Infrastruktur an EU-Einrichtungen gehört,
dass es jetzt das Mitglied ist, welches anderen Ländern
eine gerechte Teilhabe an der dezentralen Organisation
Europas mit einer sichtbaren Repräsentanz an vielen Or-
ten des Kontinents entgegensteht.
Zweitens. Es ist gut, dass wir uns vor diesem Hinter-
grund kritisch mit bestehenden Entwicklungen auseinan-
dersetzen. Die entscheidenden Fragen sind zum Teil von
den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sowie der
FDP in ihren Anträgen aufgeworfen worden. Aber an ei-
nigen Stellen ist ein völlig falscher Ansatz zu erkennen:
Es kann zum Beispiel meines Erachtens nicht sein, dass
die nationalen Parlamente in Zukunft über die EU-Agen-
turen entscheiden – wie das die FDP will –, genauso we-
nig kann die deutsche Bundesregierung ein Gesamtkon-
zept für EU-Agenturen vorlegen, wie es die Grünen
fordern. Beides verkennt die europäischen Strukturen
völlig. Was aber viel schlimmer ist: Die geschätzten Kol-
leginnen und Kollegen dieser Fraktion nehmen mit kei-
nem Wort Bezug auf die tatsächlich schon erreichte
Situation in der EU, wo der Entwurf für eine „Interinsti-
tutionelle Vereinbarung zur Festlegung von Rahmenbe-
dingungen für die europäischen Regulierungsagenturen“
von der Kommission vorgelegt worden ist, vom Europä-
ischen Parlament unterstützt wird und im Rat allerdings
noch nicht vorangebracht worden ist.
Drittens. Da wir in Europa zusammenarbeiten wollen
und auch voneinander lernen können, sollten in diesem
Zusammenhang durchaus Fragen einer besseren Aufga-
bentrennung – auch in der Kommission – angesprochen
werden. Ich halte es für problematisch, dass die EU-
Kommission als ein politisches Organ selbst unmittelbar
für die Wettbewerbskontrolle zuständig ist, während in
Deutschland ein unabhängiges Kartellamt viele Bei-
spiele guter Arbeit vorweisen kann. Also: Auch über
mehrere Richtungen, nicht nur über Einbahnstraßen
nachdenken.
Viertens. Ich bin davon überzeugt, dass wir jetzt be-
ginnen, zu fraktionsübergreifenden gemeinsamen Ent-
schließungen zu kommen – aber nicht ad hoc und übers
Knie gebrochen und vor allen Dingen nicht nur mit der
deutschen Sicht auf Europa, sondern auch mit europäi-
scher Gesinnung in Deutschland. Deshalb ist es wichtig,
dass sowohl der Bundestag in Zusammenarbeit mit dem
Europäischen Parlament als auch die einzelnen Fraktio-
nen dieses Hauses im Rahmen ihrer europäischen Partei-
familien die Diskussion führen. Europäische Sichtweise
darf nicht durch nationale Scheuklappen eingeengt wer-
den. Das Ergebnis eines integrativen Ansatzes könnte
auch sein, die Bundesregierung im Rat zu unterstützen,
damit Blockaden überwunden und die interinstitutionelle
Vereinbarung vorangebracht werden kann.
Markus Löning (FDP): „Das haben wir den Part-
nern zugesagt, diese Zusage können wir nicht mehr zu-
rücknehmen, wir können das Paket nicht noch einmal
aufschnüren.“ Wohl keine Ausrede haben wir bei der
Debatte um die Grundrechtsagentur im letzten Jahr öfter
gehört, als diese. Die Bundesregierung hat im Europäi-
schen Rat eine – zunächst informelle – Zusage zu einem
bestimmten institutionellen Paket gemacht und benutzt
anschließend diese Zusage als Argument gegenüber den
gewählten Vertretern des Volkes, warum sie nicht mitre-
den können. Bei der Grundrechteagentur war der Anlass,
nämlich die Grundrechtecharta, entfallen.
Die Fraktionen des Bundestages waren sich in ihrer
Kritik weitgehend einig, dass die Agentur, wenn über-
haupt, dann zumindest nicht in der ursprünglich geplan-
ten Größe an den Start gehen sollte. Es gab sehr ernste
Bedenken hinsichtlich der gerichtlichen und parlamenta-
rischen Kontrolle der Agentur. Dennoch konnten weder
Ochs noch Esel das Projekt in seinem Lauf aufhalten.
Die Agentur wurde gegründet. Die Planstellen wurden
geschaffen. Das Budget wurde genehmigt.
Dies war ein Beispiel dafür, wie es in Zukunft nicht
mehr laufen soll. In Zukunft soll die Bundesregierung
den Bundestag einbeziehen, bevor sie Zusagen macht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15161
(A) (C)
(B) (D)
Es gibt ja durchaus auch sinnvolle Aufgaben für Agentu-
ren. Auch in Deutschland lagern wir ja manche Aufga-
ben in Anstalten, wie zum Beispiel die Bundesanstalt für
Materialforschung oder das Robert-Koch-Institut, aus.
Die EU-Agentur zur Umsetzung der Chemikalien-
richtlinie war sicher eine sinnvolle Gründung, denn sie
bündelt sehr spezifischen Sachverstand und ist der eine
Ansprechpartner für die betroffene Wirtschaft. Ich ver-
stehe nicht, warum die Bundesregierung bei solch sinn-
vollen Gründungen Angst vor dem Deutschen Bundes-
tag hat. Es stärkt doch auch die Position der
Bundesregierung, wenn die Sinnhaftigkeit einer Agentur
in der Debatte mit den Abgeordneten Bestand hat.
Wir wollen, dass vor einer Zusage die Zustimmung
des Bundestages eingeholt wird, und wir wollen, dass es
vor der Errichtung einer Agentur ein transparentes Ver-
fahren gibt. Der Bundestag muss in einem geordneten
Verfahren einbezogen werden. Die Mitteilung, dass man
den Bundestag natürlich gerne informiere, die Entschei-
dung aber längst gefallen sei, ist ein Schlag ins Gesicht
der Parlamentarier. Wir wollen ein geordnetes Verfah-
ren, bei dem der EU-Ausschuss, betroffene Fachaus-
schüsse und gegebenenfalls das Plenum Gelegenheit zur
Stellungsnahme bekommen, bevor die Entscheidung
über die Errichtung endgültig fällt.
Die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie gehö-
ren zur gemeinsamen Wertegrundlage der EU. Sie müs-
sen in allen Aspekten des Handelns der EU berücksich-
tig werden. Es kann nicht sein, dass für jede EU-Agentur
ein neuer Rechtsweg beschlossen werden muss, und es
kann erst Recht nicht sein, dass nicht sichergestellt ist,
dass es für die Bürgerinnen und Bürger immer einen
Rechtsweg gibt. Hoheitliche Akte der Agenturen können
schwerwiegende Eingriffe in Rechte von Personen oder
Unternehmen darstellen. Jeder betroffene Bürger, jedes
betroffene Unternehmen muss alle Akte von EU-Agen-
turen rechtlich überprüfen lassen können. Es ist nach un-
serem Rechtsstaatsverständnis schlicht inakzeptabel,
wenn der Rechtsweg nicht klar – oder noch schlimmer –
nicht vorhanden ist.
Die Freien Demokraten fordern daher eine Rechtswe-
gegarantie für alle Bürgerinnen und Bürger gegenüber
allen EU-Agenturen. Genauso wichtig ist die demokrati-
sche Kontrolle. Dies betrifft die Budgets, den Haushalts-
vollzug und bei einigen Agenturen die inhaltliche Ar-
beit.
Der Haushaltskontrollausschuss des Europäischen
Parlamentes verweigert zurzeit wegen einer Reihe von
ungeklärten Fragen einigen Agenturen die Entlastung.
Ich kann die Kollegen im EP nur bestärken, ihre Rechte
wahrzunehmen und im Sinne der europäischen Steuer-
zahler auf einem transparenten und ordentlichen Haus-
haltsvollzug zu bestehen.
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt der demo-
kratischen Kontrolle. Die Agentur für Grundrechte oder
die Agentur für Gleichstellungsfragen werden gutachter-
lich tätig sein. Sie werden Stellungnahmen auf Anfrage
oder aus eigenem Antrieb erarbeiten und verbreiten. Da-
mit sind sie Teilnehmer einer öffentlichen politischen
oder juristischen Debatte. Wer legitimiert sie dazu? Sie
sind weder unabhängige Gerichte, die das Recht ausle-
gen und durchsetzen, noch gewählte Vertreter des Vol-
kes, die der Kontrolle durch Wahl unterliegen. Dies wi-
derspricht dem Prinzip der Gewaltenteilung in einem
demokratischen Rechtsstaat. Es muss hier eine klare Zu-
ordnung geben. Auch dies stellen wir daher mit unserem
Antrag klar: Alle Agenturen müssen der vollen parla-
mentarischen Kontrolle unterworfen sein.
Lieber Kollege Schäfer, lieber Kollege Stübgen, ich
denkte, wir sind uns in den Kernanliegen auch weiterhin
einig. Ich freue mich, dass die Koalitionsfraktionen in
dieser Frage einen gemeinsamen Antrag mit FDP und
Grünen machen wollen. Das wäre ein weiterer Schritt
zur Stärkung des Deutschen Bundestages in EU-Fragen.
Heike Hänsel (DIE LINKE): Die heutige Debatte ist
überfällig. Die Zahl der Aufgaben der Europäischen
Union nimmt seit dem Vertrag von Amsterdam ständig
zu, ohne dass eine wirkliche Gewaltenteilung und demo-
kratische Kontrolle über diese Aufgaben möglich ist.
Heute wird durch die Europäische Union in vielen Poli-
tikbereichen eine faktische Entparlamentarisierung be-
schleunigt. Ein Beispiel für diese Entparlamentarisierung
und damit auch einer zunehmenden Entdemokratisie-
rung von politischen Prozessen in der Europäischen
Union ist die massive Zunahme von EU-Agenturen.
Heute gibt es in der Europäischen Union 35 Agentu-
ren, die von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
politik bis zur Frage der Grundrechte hochsensible poli-
tische Bereiche bearbeiten. Diese Agenturen unterliegen
keinem Einfluss vonseiten eines demokratisch gewähl-
ten Parlaments. Auch ist dem Haushaltsausschuss des
Europäischen Parlaments zuzustimmen, wenn er auch
auf die mangelhafte budgetäre Kontrolle der EU-Agen-
turen hinweist.
Die Struktur der Europäischen Agenturen hält einer
kritischen demokratischen Betrachtung nicht stand. In
der Bundesrepublik Deutschland würden sie vom Bun-
desverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz nicht
vereinbar aufgehoben, da sie zu einer Verwischung der
Gewaltenteilung führen. Die Entwicklung der EU-Struk-
turen führt zu einem Rückfall in vordemokratische
Strukturen, indem die Gewaltenteilung zwischen Exeku-
tive und Legislative immer weiter aufgehoben wird. Die
Exekutive übernimmt in der Europäischen Union immer
mehr Macht- und Entscheidungsbefugnisse. Eine solche
Entwicklung dürfen Demokraten nicht weiter unwider-
sprochen hinnehmen.
Nehmen wir als Beispiel die sogenannte Europäische
Verteidigungsagentur, bei der es sich in Realität um eine
Rüstungsagentur handelt. Die Agentur ist organisato-
risch direkt unterhalb des Rates für Allgemeine Angele-
genheiten und Außenbeziehungen angesiedelt. Die Ver-
teidigungsminister – und damit die jeweilige Exekutive
der Nationalstaaten – erhalten durch die Agentur unmit-
telbar die Möglichkeit, eine bessere europäische Koordi-
nation der Rüstungszusammenarbeit und den beschleu-
nigten Aufbau für militärische Kapazitäten für weltweite
Militäreinsätze durchzusetzen. Ein demokratisches Mit-
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spracherecht oder wenigstens eine demokratisch-parla-
mentarische Kontrolle der Militär- und Rüstungspolitik
auf europäischer Ebene wird dadurch fast unmöglich. Im
Rahmen der Europäischen Verteidigungsagentur wird
weder dem Europäischen Parlament noch den nationalen
Parlamenten eine politische oder fiskalische Kontroll-
möglichkeit eingeräumt.
Gleichzeitig nimmt der Deutsche Bundestag durch
die organisatorische Entwicklung der Europäischen
Union hin, dass sich in der Europäischen Union immer
mehr undemokratische Strukturen durchsetzen und ver-
festigen. Die beiden Anträge können hier eine Grund-
lage sein, diesen Prozess zu beenden. Wir müssen die
zunehmende Entdemokratisierung von politischen Ent-
scheidungsprozessen stoppen. Deshalb fordern wir eine
grundsätzliche Debatte über die Notwendigkeit von EU-
Agenturen. Unsere Position ist dabei klar: Wir setzen
uns dafür ein, dass alle Entscheidungen und daraus fol-
gend die exekutiven Umsetzungen solcher Entscheidun-
gen nach demokratischen Gesichtspunkten organisiert
werden müssen. Wir müssen auch auf europäischer
Ebene die demokratische Gewaltenteilung und Kontrolle
durchsetzen.
Deshalb stehen wir dem Instrument von Europäischen
Agenturen skeptisch gegenüber. Natürlich können wir
uns vorstellen, dass in spezifischen Bereichen wie zum
Beispiel der Sicherheit des See- und Luftverkehrs oder
der Organisation von Übersetzungsarbeiten Agenturen
als Umsetzungsinstrument von politischen Entscheidun-
gen geschaffen werden. In allen grundsätzlichen politi-
schen Bereichen haben Agenturen jedoch nichts verlo-
ren.
Wir wollen die heutige Debatte und die beiden An-
träge als Aufschlag für eine grundsätzliche Debatte zur
Durchsetzung von demokratischen Strukturen auf euro-
päischer Ebene verstanden wissen. Eine solche grundle-
gende Debatte können wir nur über die Grenzen von par-
teipolitischen Diskussionen zum Erfolg führen. Deshalb
steht Die Linke für die Ausarbeitung eines gemeinsamen
Antrages aller Fraktionen gerne zur Verfügung.
Alleine in der Zeit von 2005 bis 2007 – hier weisen
Sie in Ihrem Antrag richtigerweise darauf hin – ist der
Gesamthaushalt der Europäischen Agenturen auf fast
1,3 Milliarden Euro angewachsen. Wir wollen, dass
diese Mittel, die alle von den Bürgerinnen und Bürgern
der Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgebracht
werden, demokratisch vergeben und vor allem auch de-
mokratisch kontrolliert werden. Deshalb unterstützen
wir das Anliegen, mit allen Parlamenten der europäi-
schen Mitgliedstaaten, aber auch in enger Kooperation
mit dem Europäischen Parlament, in eine Diskussion
über eine Gesamtkonzeption der zukünftigen Ausgestal-
tung von Europäischen Agenturen einzutreten.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Europäische Arzneimittelagentur in London,
die Europäische Umweltagentur in Kopenhagen oder die
Europäische Eisenbahnagentur in Valenciennes – diese
zufällig herausgegriffenen Beispiele zeigen, dass zu
zahlreichen und unterschiedlichsten Themen und überall
verteilt in der Europäischen Union sogenannte EU-
Agenturen bestehen. Zur Ausführung ihrer Aufgaben
sind die EU-Agenturen nicht weisungsgebunden, ledig-
lich zur Entlastung ihres Verwaltungshaushalts dem
Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlamen-
tes rechenschaftspflichtig. Insgesamt sind es derzeit
22 Gemeinschaftsagenturen, drei Agenturen für die Ge-
meinsame Außen- und Sicherheitspolitik und drei Exe-
kutivagenturen. Weitere Agenturen wie beispielsweise
zur Koordinierung von nationalen Regelungsbehörden
im Bereich Telekommunikation oder Energie sind in
Planung.
Wir Grünen unterstützen EU-Agenturen, die sinnvoll
und notwendig sind und die durch ihre dezentrale Ein-
richtung der Europäischen Union auch vor Ort ein weite-
res Gesicht geben. Teilweise leisten die Agenturen eine
sehr gute Arbeit; dies steht außer Frage. Aber mit den
EU-Agenturen hat sich parallel zu den Arbeitsstrukturen
in Brüssel ein riesiger Apparat zur Bewältigung neuer
Aufgaben rechtlicher, technischer und wissenschaftli-
cher Art aufgebaut. Gerade in den letzten Jahren ist ihre
Zahl dramatisch gestiegen: So hat sich die Anzahl seit
dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt, die Personalplan-
stellen sind im selben Zeitraum um 148 Prozent ange-
wachsen, und der Gesamthaushalt hatte allein in den
letzten beiden Jahren einen Aufwuchs von 20 Prozent.
Wir kritisieren, dass dabei nicht alle EU-Agenturen
notwendig und sinnvoll sind. Mitunter werden über sie
sogar Aufgaben erledigt, die bereits an anderer Stelle be-
arbeitet werden. In einigen Fällen sind die Mandate der
Agenturen nicht eindeutig und Doppelstrukturen zwi-
schen unterschiedlichen Agenturen erkennbar. Weiterhin
beanstanden wir, dass bei einigen Agenturen lange Zeit
ein klar erkennbares Konzept fehlte oder sogar das Di-
rektorium nicht eingesetzt wird. Und schließlich lässt die
Finanzverwaltung zu wünschen übrig und wird auch
vom Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Par-
lamentes als mangelhaft kritisiert.
Diese Mängel müssen abgeschafft werden. Die EU-
Strukturen müssen genauso wie nationale Strukturen ef-
fizient und effektiv arbeiten. Mit unserem Antrag for-
dern wir die Bundesregierung auf, sich in den EU-Gre-
mien dafür einzusetzen, dass diese Mängel abgeschafft
werden. Hierzu fordern wir erstens, uns ein Gesamtkon-
zept zur Einrichtung von EU-Agenturen vorzulegen, in
dem klare Kriterien für die Einrichtung von EU-Agen-
turen genannt werden, und zweitens, sich für die Vermei-
dung von Doppelstrukturen zwischen den jeweiligen
Agenturen, aber auch zwischen Agenturen und den Ge-
neraldirektionen der Europäischen Kommission einzu-
setzen.
Schließlich fordern wir die Bundesregierung dazu
auf, uns eine Stellungnahme vorzulegen, aus der ersicht-
lich wird, inwieweit eine effiziente und transparente
Kontrolle der Finanzverwaltung der EU-Agenturen ge-
währleistet ist.
Wir freuen uns sehr, wenn uns auch die anderen Frak-
tionen im Deutschen Bundestag in dieser wichtigen
Frage unterstützen, und fordern Sie auf, unseren Antrag
zu unterstützen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008 15163
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Anlage 6
Amtliche Mitteilungen
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben mit
Schreiben vom 25. Januar 2008 mitgeteilt, dass sie den
Antrag Die UN-Vertragsstaatenkonferenz in Bali –
Den Grundstein für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen
legen auf Drucksache 16/7281 zurückziehen.
Der Abgeordnete Gerhard Wächter hat mitgeteilt,
dass er seine Unterschrift auf dem Entwurf eines Geset-
zes für eine menschenfreundliche Medizin – Gesetz
zur Änderung des Stammzellgesetzes auf Drucksache
16/7982 zurückzieht.
Die Abgeordneten Johannes Jung (Karlsruhe) und
Heidi Wright haben darum gebeten, bei dem Entwurf ei-
nes Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin –
Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes auf
Drucksache 16/7982 nachträglich in die Liste der An-
tragsteller aufgenommen zu werden.
Die Abgeordnete Ingrid Fischbach hat darum gebe-
ten, bei dem Antrag Keine Änderung des Stichtages im
Stammzellgesetz – Adulte Stammzellforschung för-
dern auf Drucksache 16/7985 nachträglich in die Liste
der Antragsteller aufgenommen zu werden.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun-
gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver-
breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte-
potenziale (Jahresabrüstungsbericht 2004)
– Drucksache 15/5801 –
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 10 Titel 632 07
– Ausgaben nach § 8 Abs. 2 des Unterhaltsvorschuss-
gesetzes –
– Drucksachen 16/7681, 16/7793 Nr. 1.6 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 10 Titel 681 01
– Erziehungsgeld – sowie Kapitel 17 10 Titel 681 02
– Elterngeld –
– Drucksachen 16/7723, 16/7793 Nr. 1.8 –
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2006
– Drucksache 16/3000 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007
– Drucksache 16/6385 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Fortschrittsbericht zur Hightechstrategie für
Deutschland
– Drucksache 16/6900 –
Ausschuss für Kultur und Medien
– Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien
Bericht über das Prüfergebnis zur Sicherung eines ziel-
gruppengerechten und qualitativ hochwertigen Ange-
bots an interaktiven Unterhaltungsmedien
– Drucksachen 16/7081, 16/7376 Nr. 1 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 16/7070 Nr. A.4
Drucksache 16/7070 Nr. A.6
Drucksache 16/7223 Nr. A.10
Drucksache 16/7393 Nr. A.27
Drucksache 16/7393 Nr. A.28
Drucksache 16/7575 Nr. A.1
Drucksache 16/7575 Nr. A.3
Drucksache 16/7575 Nr. A.16
Drucksache 16/7575 Nr. A.17
Drucksache 16/7575 Nr. A.18
Drucksache 16/7575 Nr. A.19
Drucksache 16/7575 Nr. A.23
Innenausschuss
Drucksache 16/6041 Nr. 2.16
Drucksache 16/6041 Nr. 2.18
Drucksache 16/6715 Nr. 1.5
Drucksache 16/6715 Nr. 1.19
Rechtsausschuss
Drucksache 16/901 Nr. 2.5
Drucksache 16/993 Nr. 2.15
Drucksache 16/3382 Nr. 2.1
Drucksache 16/4819 Nr. 1.1
Drucksache 16/4939 Nr. 3.1
Drucksache 16/5199 Nr. 2.15
Drucksache 16/5681 Nr. 1.2
Drucksache 16/6389 Nr. 1.78
Drucksache 16/6715 Nr. 1.14
Drucksache 16/6715 Nr. 1.15
Haushaltsausschuss
Drucksache 16/7070 Nr. A.5
Drucksache 16/7070 Nr. A.11
15164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 16/820 Nr. 1.32
Drucksache 16/1748 Nr. 2.5
Drucksache 16/4105 Nr. 2.9
Drucksache 16/4105 Nr. 2.22
Drucksache 16/4105 Nr. 2.64
Drucksache 16/4501 Nr. 2.49
Drucksache 16/4635 Nr. 2.23
Drucksache 16/4635 Nr. 2.24
Drucksache 16/6389 Nr. 1.52
Drucksache 16/6715 Nr. 1.7
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 16/4501 Nr. 2.18
Drucksache 16/4501 Nr. 2.33
Drucksache 16/4501 Nr. 2.34
Drucksache 16/4501 Nr. 2.42
Drucksache 16/4501 Nr. 2.45
Drucksache 16/4635 Nr. 2.5
Drucksache 16/4635 Nr. 2.8
Drucksache 16/4635 Nr. 2.9
Drucksache 16/4635 Nr. 2.10
Drucksache 16/6389 Nr. 1.9
Drucksache 16/7393 Nr. A.8
Drucksache 16/7393 Nr. A.9
Drucksache 16/7393 Nr. A.20
Drucksache 16/7393 Nr. A.21
Drucksache 16/7393 Nr. A.29
Drucksache 16/7393 Nr. A.30
Drucksache 16/7575 Nr. 1.45
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Drucksache 16/6389 Nr. 1.27
Drucksache 16/6389 Nr. 1.28
Drucksache 16/6389 Nr. 1.33
Drucksache 16/6501 Nr. 1.2
Drucksache 16/7223 Nr. A.1
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 16/7070 Nr. A.14
Drucksache 16/7070 Nr. A.15
Drucksache 16/7070 Nr. A.16
Drucksache 16/7223 Nr. A.2
Drucksache 16/7223 Nr. A.9
Drucksache 16/7223 Nr. A.11
Drucksache 16/7393 Nr. A.11
Drucksache 16/7393 Nr. A.16
Drucksache 16/7393 Nr. A.18
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 16/150 Nr. 1.42
Drucksache 16/820 Nr. 1.49
Drucksache 16/5681 Nr. 1.27
Drucksache 16/5681 Nr. 1.28
Drucksache 16/6389 Nr. 2.28
Drucksache 16/6865 Nr. 1.26
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Drucksache 16/1101 Nr. 2.16
Drucksache 16/7575 Nr. A.24
143. Sitzung
Berlin, Freitag, den 15. Februar 2008
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6