1) Anlage 12
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15021
(A) )
(B) )
punkt. Sie erfordert Achtung und Schutz desZeil, Martin FDP 14.02.2008
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 14.02.2008
Bodewig, Kurt SPD 14.02.2008
Burchardt, Ulla SPD 14.02.2008
Erler, Gernot SPD 14.02.2008
Faße, Annette SPD 14.02.2008
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 14.02.2008
Jelpke, Ulla DIE LINKE 14.02.2008
Kelber, Ulrich SPD 14.02.2008
Klug, Astrid SPD 14.02.2008
Kranz, Ernst SPD 14.02.2008
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.02.2008
Möller, Kornelia DIE LINKE 14.02.2008
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.02.2008
Nahles, Andrea SPD 14.02.2008
Nitzsche, Henry fraktionslos 14.02.2008
Paula, Heinz SPD 14.02.2008
Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 14.02.2008
Poß, Joachim SPD 14.02.2008
Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 14.02.2008
Schultz (Everswinkel),
Reinhard
SPD 14.02.2008
Schwabe, Frank SPD 14.02.2008
Strothmann, Lena CDU/CSU 14.02.2008
Wicklein, Andrea SPD 14.02.2008
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Stammzellgesetzes
– Entwurf eines Gesetzes für eine menschen-
freundliche Medizin – Gesetz zur Änderung
des Stammzellgesetzes
– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonen-
schutzes im Zusammenhang mit menschli-
chen embryonalen Stammzellen (Stammzell-
gesetz – StZG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Stammzellgesetzes
– Antrag: Keine Änderung des Stichtages im
Stammzellgesetz – Adulte Stammzellfor-
schung fördern
(Tagesordnungspunkt 4 a bis e)
Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Bei der Diskussion
m die embryonale Stammzellforschung stellt sich als
oraussetzung für alle Entscheidungen die grundlegende
thische Frage: Wann beginnt individuelles menschli-
hes Leben? Die Antwort auf diese Frage entscheidet al-
es Weitere, denn menschliches Leben unterliegt dem
icht relativierbaren Schutz der Menschenwürde durch
as Grundgesetz.
Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt hat das
issen um den Zeitpunkt des Beginns individuellen
enschlichen Lebens in den letzten Jahrzehnten immer
eiter nach vorne verschoben. Für Laien war wohl der
m wörtlichen Sinne augenfälligste Einschnitt die Ultra-
challuntersuchung, die vorgeburtliches Leben und seine
chutzbedürftigkeit jedem sichtbar gemacht hat.
Heute vertreten Wissenschaftler unterschiedliche
einungen zum Lebensbeginn, wobei mich nachdenk-
ich macht, dass Mediziner den Beginn individuell
enschlichen Lebens meist früher ansetzen als Biolo-
en.
Nach meiner Überzeugung müssen Lebensbeginn und
amit Lebensschutz im Falle unterschiedlicher Defini-
ionen eher früher als später angesetzt werden: In dubio
ro vita. In dem im Dezember 2007 verabschiedeten er-
euerten Grundsatzprogramm der CDU heißt es dazu zu-
reffend:
Die unantastbare Würde des Menschen als Ge-
schöpf Gottes ist menschlicher Verfügung nicht zu-
gänglich und ist zu schützen. Der Mensch ist immer
Subjekt, er darf niemals Objekt sein. Die Würde des
Menschen ist auch für die Bewertung bioethischer
Herausforderungen Ausgangs- und Orientierungs-
15022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
(B) )
menschlichen Lebens in allen Phasen. Das noch
nicht geborene Leben bedarf beginnend mit der
Verschmelzung von Samen und Eizelle unseres be-
sonderen Schutzes …
Dieser Schutz der Menschenwürde darf nicht je nach
vor- und nachgeburtlichem Lebensalter relativiert wer-
den. Für diese Festlegung des Lebensbeginns ist uner-
heblich, ob es sich um eine natürliche oder künstliche
Befruchtung handelt. Es entstehen Embryonen als
menschliches Leben mit unverwechselbarer Individuali-
tät.
Genau deshalb stellt das in Deutschland geltende
Embryonenschutzgesetz verbrauchende Embryonenfor-
schung unter Strafe und verbietet, dass menschlichen
Embryonen etwas angetan wird, was ihre Lebensfähig-
keit gefährdet. Folgerichtig ist es verboten, in Deutsch-
land embryonale Stammzellen zu gewinnen, weil dies
Tötung von Embryonen und damit individuellen
menschlichen Lebens einschließt.
Mir leuchtet nicht ein, wie der Import embryonaler
Stammzellen nach Deutschland ethisch vertretbar sein
soll, wenn zugleich deren Gewinnung in Deutschland
aus ethischen Gründen verboten ist.
Um diesen Widerspruch aufzulösen, werden Hilfs-
argumente bemüht – immer wieder ist zum Beispiel von
einer sogenannten Ethik des Heilens die Rede. Das Ziel
eventueller Heilungschancen schwerer Krankheiten
durch embryonale Stammzellforschung kann aber die
Relativierung des Schutzes der Menschenwürde nicht
rechtfertigen. Einmal abgesehen davon, dass es sich hier
lediglich um eine bloße Hoffnung auf Heilungschancen
durch embryonale Stammzellforschung handelt, würde
selbst bei einer Gewissheit über sichere Heilungschan-
cen, der Zweck der Krankheitsbekämpfung nicht das
Mittel der Relativierung des Lebensschutzes rechtferti-
gen. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel!
Auch der Verweis auf die grundgesetzlich geschützte
Forschungsfreiheit ist nicht überzeugend, denn diese
Forschungsfreiheit gilt auch nach dem Grundgesetz na-
türlich nicht absolut, sondern ist durch den Schutz der
Menschenwürde eingeschränkt.
Es gehört im Übrigen auch zur politischen Verantwor-
tung, durch Vorgaben dem Forschungsdrang eine Rich-
tung zu geben, etwa zugunsten der ethisch unbedenkli-
chen adulten Stammzellforschung. Diejenigen aus der
Wissenschaft, die vor Jahren diesen Weg verworfen und
stattdessen embryonale Stammzellforschung in Deutsch-
land gefordert haben, müssen sich vorhalten lassen, dass
die erzielten Forschungsergebnisse der Vehemenz ihrer
Argumentation nicht entsprechen. Jetzt wird die embryo-
nale Stammzellforschung nicht mehr wie damals als Al-
ternative zur adulten Stammzellforschung dargestellt,
sondern man führt an, ohne den Vergleich mit der
embryonalen Stammzellforschung sei die adulte Stamm-
zellforschung nicht zum Erfolg zu führen. Solche funda-
mentalen Begründungswechsel in kurzer Zeit erhöhen
nicht die Glaubwürdigkeit der Argumentation.
Dass von involvierten Forschern eine Liberalisierung
des Importes embryonaler Stammzellen durch Strei-
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hung des geltenden Stichtages gefordert wird, über-
ascht in diesem Zusammenhang nicht. Es liegt nahe,
ass von dort nach Ablauf eines neuen Stichtages auch
ine abermalige Verschiebung gefordert würde. Schon
er geltende Stichtag wurde als „einmalig“ definiert, wer
ollte da glauben eine erneute Verschiebung würde „ein-
alig“ bleiben.
Schließlich wird embryonale Stammzellforschung in
eutschland auch mit dem Argument gefordert, sie sei
n anderen Ländern erlaubt und wir würden uns isolie-
en, wenn wir uns nicht anpassten.
Es gilt aber doch umgekehrt: Wo unsere Wertmaß-
täbe international – noch – nicht gelten, haben wir die
erpflichtung, internationale Rahmenbedingungen zu
eeinflussen und nicht die Grundlagen unserer Werte-
rdnung zur Disposition zu stellen. Wo der Einsatz für
deutsche Interessen“ außenpolitischer Alltag ist, kön-
en wir nicht beim Einsatz für unsere Grundwerte auf
er internationalen Bühne die Segel streichen. Schließ-
ich sind die Grundwerte unseres Grundgesetzes unser
öchstes nationales Interesse.
Deshalb unterstütze ich die zutreffende Forderung im
rneuerten CDU-Grundsatzprogramm:
Die Achtung der unantastbaren Würde des Men-
schen hat für uns Vorrang vor der Freiheit der
Forschung und der Sicherung von Wettbewerbsfä-
higkeit. Wir wollen die Beibehaltung des konse-
quenten Embryonenschutzes und wenden uns ge-
gen verbrauchende Embryonenforschung. Dafür
setzen wir uns auch auf europäischer und interna-
tionaler Ebene ein.
Aus all dem ergibt sich für mein Abstimmungsverhal-
en, dass ich die Initiative unterstütze, die durch ein ge-
erelles Verbot des Imports embryonaler Stammzellen
ach Deutschland die embryonale Stammzellforschung
ei uns ausschließt. Falls sich dafür keine Mehrheit im
arlament finden lässt, werde ich mich für die Beibehal-
ung des geltenden Stichtages und damit die größtmögli-
he Einschränkung des Imports solcher Stammzellen
insetzen. Einer Importerleichterung für embryonale
tammellen durch Stichtagsverschiebung oder der Im-
ortfreigabe durch die gänzliche Streichung eines Stich-
ages kann ich aus den genannten grundsätzlichen Erwä-
ungen nicht zustimmen.
Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): Im Jahr 2002
urde für die deutsche Wissenschaft im Bereich der For-
chung an embryonalen Stammzellen ein gesetzlicher
ahmen geschaffen.
Heute müssen wir feststellen, dass die Intention von
amals, einen Interessenausgleich zu schaffen zwischen
er unbedingten Bewahrung der menschlichen Würde
nd dem Schutz auch des vorgeburtlichen Lebens und
em Postulat einer möglichst freien wissenschaftlichen
orschung im Dienste am Menschen durch die fort-
chreitende Entwicklung, nicht mehr zeitgemäß ist.
Grundsätzlich wichtig ist die Erkenntnis: Erstens.
tammzellen sind keine Embryonen. Das heißt, die Dis-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15023
(A) )
(B) )
kussion um den Schutz menschlichen Lebens spielt sich
hier auf anderer Ebene ab. Zweitens. Die zur Gewinnung
notwendigerweise zu zerstörenden Embryonen hätten
auf Dauer keinen Bestand gehabt.
Das Stammzellgesetz legt nämlich fest, dass nur Em-
bryonen, die aus Anwendungen der In-Vitro-Fertilisa-
tion „übriggeblieben“ sind und die nicht mehr zu einer
Herbeiführung einer Schwangerschaft genommen wer-
den, zur Gewinnung von Stammzellen genutzt werden.
Die jetzige Diskussion zu nehmen, um mit fundamen-
talistischen Eifer das Rad der Entwicklung wieder zu-
rückdrehen zu wollen und den 2002 gefundenen Kom-
promiss auszuhebeln, kann nicht ernsthaft in Erwägung
gezogen werden.
Daher ganz deutlich: Ein Antrag, der ein gesamtes
Forschungsgebiet, nämlich dasjenige mit menschlichen
embryonalen Stammzellen der deutschen Wissenschaft
verschließen will, ist rational überhaupt nicht nachzu-
vollziehen. Und es entspricht meines Erachtens nicht
dem, was unser Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 zur Freiheit
von Wissenschaft und Forschung festgeschrieben hat.
Denn auch Forschungsfreiheit ist Ausdruck der mensch-
lichen Würde.
Die Behauptung, die Forschung mit human embryo-
nalen Stammzellen sei nicht alternativlos, wird aus
Fachkreisen mehrheitlich nicht mitgetragen. Die For-
schung mit adulten Stammzellen ist keine Alternative,
da sie nicht in dem Maße für die wichtige Grundlagen-
forschung geeignet sind. Die Entwicklung von induziert
pluripotenten Stammzellen aus der Haut ist ebenfalls
noch keine Alternative. Und auf hoffnungsgetragene
Spekulationen, was in Zukunft daraus werden könnte,
kann ich mein Urteil nicht gründen.
Es ist also irreführend, wenn behauptet wird, diese
Forschung an humanen embryonalen Stammzellen sei
verzichtbar. Richtig allerdings halte ich den Hinweis,
dass angesichts des nicht abzuschätzenden Fortschritts
der Forschung eine einmalige Verschiebung eines Stich-
tags einer Selbsttäuschung oder vorschnellen Beruhi-
gung ängstlicher Zögerer gleich kommt.
Nur die Konsequenz, die ich darin sehe, ist doch deut-
lich eine andere: Eine Stichtagsregelung ist sinnvoller-
weise gänzlich aus dem Gesetz zu streichen.
Auch über Kriminalisierung deutscher Wissenschaft-
ler und deutscher Forschung auf diesem Gebiet kann es
nüchtern betrachtet keine zwei Meinungen geben. Eine
ethische Diskussion, die sicherlich auch weiterhin zu
führen ist, hier mit dem Strafrecht zu sanktionieren, halte
ich nicht für tragbar. Auch dies gehört daher zu strei-
chen.
Ich möchte schließen mit einem Zitat aus der Debatte,
die wir 2002 hier geführt haben:
Im Zweifel sollten wir die Freiheit der Forschung
nicht durch gesetzliche Einzelregelung reglemen-
tieren, sondern eher auf die gewissensstärkende
Kraft eines ethischen Diskurses setzen.
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Diese Überzeugung unseres heutigen Bundesinnen-
inisters gilt meines Erachtens auch heute noch.
Daher sehe ich keine sinnvolle Alternative zu dem
ntrag „Gesetz für eine menschenfreundliche Medizin“
nd bitte um Ihre Unterstützung.
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Der
chutz der Embryonen ist im Embryonenschutzgesetz
eregelt. Das ist so, das bleibt so, und das ist auch gut
o!
Heute reden wir in erster Lesung über die Frage, ob,
nd wenn ja, in welchem Umfang, das Forschen mit
mbryonalen Stammzellen in Deutschland erlaubt wer-
en soll. Dazu muss man wissen: Keine einzige der
eute etablierten Therapien mit adulten Stammzellen ba-
iert auf Erkenntnissen der Forschung mit menschlichen
mbryonalen Stammzellen. Keine einzige der gegenwär-
ig laufenden klinischen Studien mit adulten Stammzel-
en bezieht auch embryonale Stammzellen ein.
Wer behauptet, Erkenntnisse der embryonalen
tammzellforschung seien für den medizinischen Fort-
chritt bei adulten Stammzellen unverzichtbar, ist den
eleg dafür schuldig. Erkenntnisse sind in der Naturwis-
enschaft nur publizierte reproduzierbare Ergebnisse,
icht aber Hörensagen, Hypothesen, Hoffnungen oder
pekulationen.
Auch die Bundesregierung kennt keinerlei wissen-
chaftliche Belege für diese Behauptung. Auf die schrift-
iche Frage an die Bundesregierung „Welches sind aus
icht der Bundesregierung die zehn wichtigsten Publika-
ionen aus dem Bereich der Forschung an humanen
mbryonalen Stammzellen (hES) seit 1998, die in Publi-
ationen über klinische Studien oder therapieorientierten
xperimentellen Arbeiten mit adulten Stammzellen am
äufigsten als ausschlaggebend zitiert werden und die
ussage stützen, Erkenntnisse aus der Grundlagenfor-
chung, die an und über hES-Zellen gewonnen werden,
eien sehr wesentlich für die Nutzbarmachung adulter
tammzellen für künftige Therapien?“ antwortete der
arlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel am
. Februar 2008: „Zu dieser Frage liegen der Bundes-
egierung keine Zitationsanalysen vor.“
Angesichts der bisherigen therapeutischen Erfolglo-
igkeit embryonaler Stammzellen und der Einsicht, dass
mbryonale Stammzellen selbst nicht therapeutisch
utzbar sind, muss in den Beratungen geklärt werden,
elchem Zweck die Forschung an embryonalen Stamm-
ellen dient. Geht es hierbei nur um wissenschaftliche
orbeeren auf einem Fachgebiet, oder gibt es einen kon-
ret zu erwartenden Nutzen für die Menschen?
Würde es nicht ausreichen, an adulten Stammzellen
u forschen? Warum muss ein Stichtag verschoben wer-
en, wenn man bei der Stichtagsregelung bleibt? Welche
egativen Auswirkungen hätte eine Verschiebung des
tichtages? Diese und andere Fragen sind zu beraten und
u klären.
Ich freue mich auf einen interessanten Meinungs- und
issensaustausch im Haus.
15024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
(B) )
Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Wie viele an-
dere meiner Kolleginnen und Kollegen unterstütze ich
den Gruppenantrag – Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rung des Stammzellgesetzes – der Vorsitzenden der Ar-
beitsgruppe Bildung und Forschung, Ilse Aigner, MdB
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der eine einmalige
Verschiebung der Stichtagsregelung auf den 1. Mai 2007
vorsieht.
Das Stammzellgesetz wurde am 25. April 2002 mit
einer breiten Mehrheit des Deutschen Bundestages be-
schlossen. Damals wurde der Import von embryonalen
Stammzellen auf Linien, die vor dem Stichtag 1. Januar
2002 hergestellt worden sind, begrenzt. Ziel und Kern
des Gesetzes war und ist es, zu verhindern, dass von
Deutschland ein Anreiz zur Tötung von Embryonen
durch die Entnahme von Stammzellen ausgeht. Mithin
muss aber auch die Arbeit an ethisch hochwertigen For-
schungsprojekten, insbesondere für die Entwicklung
neuer Therapien, durch das Gesetz ermöglicht werden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, hatte
am 10. November 2006 eine ausführliche Stellungnahme
zur Stammzellforschung vorgelegt, mit der sie die Erfah-
rungen mit dem Stammzellgesetz von 2002 darlegt so-
wie die Entwicklungen der letzten Jahre sowohl auf dem
Gebiet der adulten wie auch der embryonalen Stammzel-
len beschreibt.
In dieser Stellungnahme wurde deutlich, dass deut-
sche Forscher durch die ausschließliche Nutzbarkeit äl-
terer Zelllinien zunehmend von internationalen Entwick-
lungen abgeschnitten sind. Es wurde klargestellt, dass
die bisher in Deutschland verwendeten und verwendba-
ren Zellen nicht mehr den Ansprüchen der internationa-
len Qualitätsstandards genügen. Gleichzeitig ist es aber
eine Tatsache, dass die Stammzellforschung weltweit ein
sehr dynamisches Gebiet ist und es rund 500 embryonale
Stammzelllinien gibt, mit denen die internationale For-
schung arbeitet. Durch den Stichtag im deutschen
Stammzellgesetz können nach Deutschland nur Linien,
die vor 2002 hergestellt wurden, importiert werden.
Diese älteren Linien sind jedoch verunreinigt und zuneh-
mend für die Forschung wertlos. Dadurch werden die für
die deutsche Forschung so wichtigen internationalen Ko-
operationen erschwert.
Am 9. Mai 2007 hatte eine ergebnisoffene Anhörung
des Deutschen Bundestages stattgefunden. Dabei wurde
deutlich, dass auch die Wissenschaftler, vertreten durch
die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, keine
grundsätzliche Änderung des Embryonenschutzgesetzes
anstreben.
Bei den embryonalen Stammzellen handelt es sich nur
um Zellen, die ohnehin nicht zum Leben gelangen. Da-
her ist eine einmalige Verschiebung des Stichtages
ethisch vertretbar.
Auch in Zukunft sollen in Deutschland keine mensch-
lichen Embryonen zu Forschungszwecken erzeugt und
zerstört werden – dies ist der inhaltliche und ethische
Kern des Stammzellgesetzes.
Allerdings sind seit der Verabschiedung des Stamm-
zellgesetzes mehrere hundert Stammzelllinien etabliert
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orden, die teilweise unter den inzwischen standardi-
ierten Bedingungen isoliert und kultiviert worden sind.
ie einmalige Verschiebung ermöglicht unseren deut-
chen Forschern – natürlich im Rahmen der gesetzlichen
estimmungen –, diese Stammzelllinien zu nutzen.
ollte der Stichtag nicht verschoben werden, wären die
tammzelllinien für die deutsche Forschung verloren.
Der Gruppenantrag erfüllt den Grundsatz der Verhält-
ismäßigkeit, da die einmalige Verschiebung des Stichta-
es auf den 1. Mai 2007 zum einen die Grundausrichtung
es Gesetzes, dass von Deutschland keine Veranlassung
ur Herstellung von menschlichen embryonalen Stamm-
elllinien ausgehen darf, nicht verändert. Zum anderen
erden wir auch unserer Verantwortung für die medizi-
ische Forschung und der sich dadurch eröffnenden Hei-
ungschancen gerecht.
Zur Stammzellforschung gibt es in der CDU – wie ja
brigens in den christlichen Kirchen auch – unterschied-
iche Meinungen und ethische Bewertungen. Es gilt je-
och, den hohen deutschen Standard beim Lebensschutz
u erhalten, der auch in Zukunft durch das Embryonen-
chutzgesetz garantiert wird.
Die einmalige Verschiebung des Stichtages auf den
. Mai 2007 kann dies leisten. Die Grundausrichtung des
esetzes, dass von Deutschland keine Veranlassung zur
erstellung von menschlichen embryonalen Stammzell-
inien ausgehen darf, wird dadurch nicht verändert.
eutschland bleibt damit ein praktisches, wirksames und
ffektives Mittel zur Steuerung der humanen embryona-
en Stammzellforschung erhalten.
Monika Knoche (DIE LINKE): Mit überwältigender
ehrheit wurde 2002 in diesem Haus kein Zweifel daran
elassen, dass der menschliche Embryo Menschenwürde
at, dass er nicht verfügbar ist. Hat, ja kann sich an die-
er grundlegenden Menschenrechtsfrage in nur sechs
ahren etwas ändern? Kann nach Maßgabe unserer Ver-
assung nach Moral und Ethik in der Fortpflanzungsme-
izin und Forschung die Antwort heute anders ausfallen?
ch meine, nein.
Das prinzipielle Instrumentalisierungsverbot des
enschen, die Zweckfreiheit seiner Existenz, ganz egal
ie und wo sich sein Leben zeigt, darf nicht zur Disposi-
ion gestellt werden. Das Verbot fremdnütziger For-
chung als Tabu ist für mich das wertvollste zivilisatori-
che Gut, das wir aufgrund historischer Erfahrungen
aben, weshalb wir sagen können: Die Forschungsfrei-
eit ist von Verfassungsrang, sie findet ihre Grenze im
orrang der Menschenwürde.
Ich möchte es klar sagen: Der frühe Mensch, um den
s hier geht, ist ohne Schwangerschaft und Geburt in die
elt gebracht. Er ist erzeugt worden. Er ist nicht ge-
eugt. Und weil er nicht durch den Körper einer Frau ge-
chützt ist, machen Forscher ihn sich nutzbar, nützlich
ür Zwecke, die nicht im Lebensinteresse des Embryos
iegen. Er soll zum Ding, zur Sache erklärt werden, da-
it man aus ihm ein Produkt machen kann. Erzeugt, um
erstört zu werden. Damit ist die gewaltsame Beendi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15025
(A) )
(B) )
gung eines menschlichen Lebensprozesses zur Voraus-
setzung für einen ganzen Forschungszweig geworden.
Mir ist wichtig, zu sagen: Auch wenn sich der Em-
bryo in seinem Entwicklungsstadium noch nicht als
menschliches Gegenüber zeigt, so hat er doch die volle
aus ihm selbst kommende Kraft, sich als Mensch zu ent-
wickeln und genau die Person zu werden, die normaler-
weise geboren wird. Es gibt aus meiner Sicht keine
Möglichkeit, ihn von der Zugehörigkeit zur Menschheit
auszuschließen. Wer sagt, der Embryo sei nur dann ein
Mensch, wenn er die Gebärmutter erreicht und zu le-
bensfähiger Reife gelangt, sieht über die Anthropologie
und die Menschenrechtsphilosophie unserer Verfassung
hinweg.
Ich trete für die Unverfügbarkeit des menschlichen
Embryos ein und sage dennoch Ja zur Stammzellfor-
schung. Ein humanistisches Verständnis der Human-
medizin schließt die Suche nach Therapiemöglichkeiten
ein, die für körpereigenes Gewebe und das Geheimnis
der Selbstheilungskräfte Forschung braucht. Mit der Re-
programmierung und den Erfolgen der adulten Stamm-
zellforschung beispielsweise sind vorzeigbare Erfolge
vorhanden. Diese Wege sollten wir in Deutschland wei-
ter beschreiten.
Der Wissensgewinn und das Gerieren von neuen The-
rapien sollen sich in den ethisch-moralischen Grenzen
vollziehen, die durch das Stammzellgesetz von 2002 ge-
zogen sind. Nicht diejenige ist forschungsfreundlich, die
der Forschung gibt, was sie verlangt, und die gesetzge-
berischen Nachschub liefert, wann immer er eingefor-
dert wird.
Wer heute eine Veränderung oder gar Aufhebung der
Stichtagsregelung vornehmen will, sagt nichts anderes,
als dass er in die Embryonenerzeugung für Forschungs-
zwecke einwilligt. Das ist nicht im Geiste des sogenann-
ten Kompromisses von 2002. Denn die Initiatorinnen
und Initiatoren haben die Einführung des Stichtags damit
begründet, dass zum Zweck der Forschung kein einziger
weiterer Embryo zerstört werden soll. Und niemand
kann heute ernsthaft in Abrede stellen, dass bei weltwei-
ten Begehrlichkeiten der Forschung Frauen zu Eizelllie-
ferantinnen gemacht werden. Ihre Fruchtbarkeit wird in
den Dienst fremdnütziger Forschung gestellt.
Mit der embryonalen Stammzellforschung ist eine
neue Menschenrechtsfrage und eine neue Frauenfrage
aufgekommen, wie es sie in der Menschheitsgeschichte
nie gab. Ich plädiere für die Beibehaltung der Rechts-
lage.
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Auf dem Felde der
Bioethik fällt es der Politik schwer, stringente und gänz-
lich widerspruchsfreie Entscheidungen zu treffen. Ein
besonders eklatantes Beispiel moralischer Inkonsistenz
stellt der Stichtagsbeschluss des Deutschen Bundestages
aus dem Jahre 2002 dar: Eine embryonale Stammzelle,
die vor dem l. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurde,
darf seither in Deutschland zu Forschungszwecken be-
nutzt werden. Es wäre eine seltsame Moral, welche die
Nutzung und damit Vernichtung solcher Stammzellen
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ollkommen unterschiedlich bewertet, je nachdem, in
elchem Staat oder zu welchem Zeitpunkt sie entstan-
en sind.
Die dem Kompromiss aus dem Jahre 2002 zugrunde
iegende Frage, ob menschliches Leben bereits mit der
erschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, ent-
ieht sich einer letztgültigen naturwissenschaftlichen Er-
enntnis. Auch die Bibel gibt uns auf diese Frage unmit-
elbar keine Antwort. Ich beneide deshalb alle Kollegen
n diesem Hause, die sich sicher sind, wann der Beginn
enschlichen Lebens anzusetzen ist. Ich verfüge über
ine solche Gewissheit leider nicht.
Seit wir aber aus der Genetik wissen, dass für die
enschliche Entwicklung das Erbgut von Mutter und
ater entscheidend ist, steht fest, dass der Verschmel-
ungsakt beider Zellen eine wichtige Zäsur in dieser Ent-
icklung ist. Es spricht somit einiges dafür, dass unsere
ntwicklung „als Mensch“ und nicht nur „zum Men-
chen“ bereits mit dieser Verschmelzung einsetzt. Bleibt
uch eine gewisse Unsicherheit, so kann ich diese für
ich nur nach der Klugheitsregel „in dubio pro vita“
uflösen, wonach im Zweifelsfalle von dem jeweils frü-
eren Beginn des menschlichen Lebens auszugehen ist.
Der Gesetzgeber tut gut daran, sich dieser Klugheits-
egel zu unterwerfen. Er hat es auch bereits getan, als er
990 im Embryonenschutzgesetz alle menschlichen Em-
ryonen unter den Schutz des Strafrechts gestellt hat,
uch dann, wenn sie im Reagenzglas gezeugt worden
ind. Das Embryonenschutzgesetz steht in einem rechts-
olitisch äußerst unbefriedigenden Widerspruch zu der
rlaubnis des Stammzellenimportes. Wenn der Gesetz-
eber bei seiner Prämisse des Jahres 1990 bleibt – oder
u ihr zurückkehren will –, dass embryonales menschli-
hes Leben den Schutz der Rechtsordnung verdient, so
st die Freigabe von Embryonen zur Forschung damit
nvereinbar.
Menschliches Leben stellt immer einen Zweck an
ich dar. Ein Embryo, der zu Forschungszwecken „ver-
raucht“ wird, wird dagegen zu einem bloßen Instru-
ent, zu einem Objekt der Forschung herabgewürdigt.
age Heilungsversprechen, die sich bislang zudem in
einem Falle konkretisiert, geschweige denn realisiert
aben, können diese Verzweckung menschlichen Lebens
icht rechtfertigen.
Die derzeit vorangetriebene Verschiebung des Stich-
ages bestätigt auf traurige Weise die Befürchtungen des
ahres 2002. Eine Stichtagsregelung taugt nicht zur Ein-
ämmung der Embryonenforschung. Eine nunmehrige
erschiebung, obwohl keines der vollmundigen Thera-
ieversprechen bislang eingelöst wurde, könnte Forscher
m Ausland darauf spekulieren lassen, dass sie kein ein-
aliger Vorgang bleiben wird.
Außerhalb der Stammzellendebatte mögen sich noch
xistenziellere Fragen der Lebensethik stellen. Diese
ebatte ist allerdings deshalb wichtig, weil ethische Ero-
ionen immer an den Rändern unseres Lebens einsetzen.
m Lebensanfang und am Lebensende zeigt sich, wel-
he Bedeutung wir dem Leben in unserer Rechts- und
esellschaftsordnung insgesamt geben. Deshalb ist es
15026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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richtig, das Drängen nach einer Stichtagsverschiebung
zum Anlass zu nehmen, den umfassenden Embryonen-
schutz in Deutschland wiederherzustellen und auf die
Forschung an embryonalen Stammzellen zu verzichten.
Ingbert Liebing (CDU/CSU): Seit dem 1. Juli 2002
gilt das Stammzellgesetz. Es erlaubt – unter strengen Be-
dingungen – den Import und die Verwendung embryona-
ler Stammzellen zu Forschungszwecken. Eine dieser Be-
dingungen lautet, dass nur embryonale Stammzellen
nach Deutschland importiert werden dürfen, die vor dem
1. Januar 2002 gewonnen wurden (Stichtagsregelung).
Aus der Sicht des Jahres 2008 sind diese Bedingun-
gen veraltet. Inzwischen gelten viele dieser Stammzellli-
nien als nicht mehr für die Forschung geeignet. Forscher
bemängeln, diese Zellen seien zu alt und führten zu Feh-
lern in den Versuchen. Zudem wird die deutsche For-
schung mit dem aktuellen Gesetz zunehmend internatio-
nal isoliert. Deshalb beraten wir heute in einer großen
Debatte über Chancen und Risiken einer Lockerung der
Regelungen und die Anpassung des Gesetzes an verän-
derte äußere Rahmenbedingungen. Diese Angelegenheit
ist von großer Bedeutung für viele Menschen, die bis-
lang nicht wirksam behandelt werden können, und die
biomedizinische Forschung am Standort Deutschland.
Nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Für
und Wider habe ich mich entschlossen, mich dem Antrag
mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes für eine men-
schenfreundliche Medizin – Gesetz zur Änderung des
Stammzellgesetzes“ anzuschließen, der vor allem von
Katherina Reiche, Ulrike Flach und Rolf Stöckel erar-
beitet wurde. Mit diesem Antrag verbindet sich die über-
parteiliche Initiative, deutschen Wissenschaftlern Zu-
gang zu allen vorhandenen Stammzelllinien in der Welt
zu verschaffen und die Forschungsfreiheit von ihrer
„willkürlichen Fesselung“ (Zitat Katherina Reiche) zu
befreien. Dabei geht es um die vorhandenen Stammzell-
linien – nicht um das gezielte Erzeugen von Stammzell-
linien für Zwecke der Forschung. Das entsprechende
Verbot im deutschen Recht steht für mich nicht zur Dis-
position. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der
Stichtag im Stammzellgesetz gestrichen wird und somit
die entsprechende Forschung an embryonalen Stamm-
zellen dauerhaft freigegeben wird. Eine Verschiebung
des Stichtages wird aus meiner Sicht in fünf Jahren wie-
der zu ähnlichen Problemen führen. In diesem Punkt ist
unser Antrag konsequent und ehrlich. Ferner tritt dieser
Antrag dafür ein, dass zukünftig Strafandrohungen ge-
gen deutsche Wissenschaftler bei Beteiligung an Koope-
rationsprojekten mit ausländischen Kollegen unterblei-
ben.
Es ist ausdrücklich nicht mein Ziel, die Substanz des
Gesetzes aufheben. Importiert werden dürfen auch wei-
terhin nur Zellen, die es bereits gibt; auch in Zukunft
wird kein Embryo für die Forschung in Deutschland ge-
zeugt und getötet. Der Staat hat die Verantwortung zur
Bewahrung menschlichen Lebens, das gebietet unser
Grundgesetz. Daraus ergibt sich für mich auch die
Pflicht, die Erforschung medizinischer Therapien zu er-
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öglichen. Von der Forschung an embryonalen Stamm-
ellen erhoffen wir uns Fortschritte bei der Entschlüsse-
ung menschlicher Krankheiten und der Linderung
enschlichen Leidens.
Niemand hier im Saal wird abstreiten können, dass
ie deutsche Forschung bisher verantwortungsbewusst
it dem 2002 verabschiedeten Gesetzeskompromiss
mgegangen ist.
Schlussendlich streben wir einen Forschungsstand an,
n dem wir keine Stammzellen mehr brauchen. Bis es
oweit ist, möchte ich mich zum Ende meines Beitrages
iner Forderung meiner Kollegin Ulrike Flach anschlie-
en: Sie plädiert für eine „Ethik des Heilens“. Dabei
öchte ich einen Gegensatz zwischen einer „Ethik des
eilens“ und einer „Ethik des Lebensschutzes“ nicht
elten lassen. Auch das Heilen von Krankheiten dient
em Schutz des Lebens. In diesem Sinne halte ich die
utzung von Chancen medizinischer Forschung, die
thische Schranken akzeptiert, nicht nur für akzeptabel,
ondern auch für geboten.
Philipp Mißfelder (CDU/CSU): In großem Respekt
or der Debatte um die Forschung mit embryonalen
tammzellen und unter Abwägung aller Argumente habe
ch mich entschieden, zu den Erstunterzeichnern des Ge-
etzentwurfes von Hubert Hüppe zu gehören, der ein
ollständiges Verbot der Forschung mit embryonalen
tammzellen vorsieht. Dabei waren zwei wesentliche
ründe ausschlaggebend: Die großen Erfolge der letzten
ahre bei der Forschung mit adulten Stammzellen und
ie Überlegung, dass es ohne die Tötung von Embryo-
en keine Forschung mit menschlichen embryonalen
tammzellen geben kann. Letzteres widerspricht jedoch
ach meiner Auffassung der Unantastbarkeit der Men-
chenwürde, die zu den Grundkoordinaten der beiden
nionsparteien CDU und CSU gehört.
Demnach haben nach unserer Auffassung Menschen
ie gleiche unantastbare Würde, unabhängig von ihrer
erschiedenartigkeit, ihrer einzigartigen Prägung durch
rbanlagen und ihrer Lebensumstände, ihrem Ge-
chlecht, ihrer Rasse, ihren Überzeugungen, ihrer Ge-
undheit und ihrer Leistungsfähigkeit. Dabei beginnt für
ns das menschliche Leben und dessen Schutzwürdig-
eit mit der Vereinigung von Samen und Eizelle. Der
ensch wird nicht zum Menschen, sondern er ist es von
nfang an. Diese Auffassung von der universalen Men-
chenwürde vom Zeitpunkt der Verschmelzung von Sa-
en und Eizelle an halte ich für nicht verhandelbar und
nterstütze deshalb das vollständige Verbot der For-
chung mit embryonalen Stammzellen.
Gerade junge Menschen sind bei diesem Thema auf-
erksam: In einer repräsentativen Umfrage von Januar
008 ist empirisch eindeutig belegt, dass sich 61 Prozent
er Menschen in Deutschland gegen eine Forschung an
tammzellen aus Embryonen aussprechen. Bei der
üngsten erfassten Altersgruppe dieser Umfrage, der
wischen 14 und 29 Jahren, sind sogar 67,4 Prozent der
einung, dass ausschließlich an adulten Stammzellen
nd an umprogrammierten Zellen geforscht werden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15027
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sollte. Es ist damit eindeutig, dass es die Mehrheit mei-
ner Generation mit der Würde des Menschen für unver-
einbar hält, dass Embryonen zu Forschungszwecken ge-
tötet werden. Dies belegen auch die Befunde der letzten
Shell-Studie aus dem Jahr 2006, in der den Jugendlichen
eine stabile Werteorientierung und eine große Sensibili-
tät in Fragen von Ethik und Moral bescheinigt wurde.
Seit Jahren beschäftigt sich auch die Junge Union in-
tensiv mit der Frage der Stammzellforschung. So hat
sich die Junge Union Deutschlands auf ihrem Deutsch-
landtag vom 19. bis 21. Oktober 2007 sehr ernsthaft mit
der Frage einer Verschiebung oder Aufhebung der gel-
tenden Stichtagsregelung (1. Januar 2002) befasst. Vom
höchsten Gremium der Jungen Union wurde dabei der
Beschluss gefasst, dass der geltende Stichtag unter kei-
nen Umständen infrage gestellt werden darf und dass
vielmehr die Forschung an adulten Stammzellen sowohl
aus moralischer als auch aus medizinischer Sicht die zu-
kunftsweisende Alternative ist. Der gemeinsame Nach-
wuchsverband von CDU und CSU lehnt die Forschung
an embryonalen Stammzellen damit unmissverständlich
ab. Diese Haltung wird breit unterstützt, wie auch die
Unterschrift des bayerischen Vorsitzenden der Jungen
Union, meines Kollegen Stefan Müller, unter den Ge-
setzentwurf von Hubert Hüppe zeigt.
Wir sollten uns bei der Suche nach neuen Behand-
lungsmethoden vielmehr auf die gerade bei uns in
Deutschland vielversprechende Forschung mit adulten
Stammzellen konzentrieren. Hier sind wir führend, und
hier können wir in Deutschland Spitzenforschung si-
chern. Deshalb unterstützt die Bundesregierung diese
Forschung auch mit umfangreichen Forschungsgeldern.
Denn es ist die erfolgversprechendere Forschung:
Weltweit gibt es nicht eine einzige klinische Studie mit
embryonalen Stammzellen am Menschen, ebenso wenig
wie eine Therapie. In der ethisch unproblematischen
Medizin mit adulten Stammzellen, die beispielsweise
aus dem Blut Erwachsener gewonnen werden können,
gibt es hingegen zahlreiche Heilungserfolge. So gelang
es vor wenigen Monaten dem Düsseldorfer Medizinpro-
fessor Bodo Strauer, Herzinfarktpatienten mit adulten
Stammzellen zu heilen. Diese Erfolge weisen in die rich-
tige Richtung, ohne auch nur im Ansatz ethische und
moralische Schwierigkeiten aufzuwerfen. Das ist der
Weg der Forschung, auf den wir uns konzentrieren soll-
ten.
Die Transplantation adulter Stammzellen des Kno-
chenmarks ist dabei seit Jahrzehnten lebensrettende kli-
nische Praxis, der auch tausende deutsche Patienten ihr
Leben verdanken. Dafür erhielt der amerikanische
Hämatologe Edward Donnall Thomas den Medizin-
Nobelpreis. Aus adulten Stammzellen der Haarwurzel
wird seit Jahren klinisch einsetzbarer patienteneigener
Hautersatz gezüchtet. Diese Beispiele will ich gar nicht
noch weiter ausführen, möchte aber noch einmal beto-
nen, dass dies nachweisbar die Wege der Forschung
sind, die bisher die größten Erfolge gebracht haben und
die die realistische Perspektive bieten, schwere und bis-
her unheilbare Krankheiten zu therapieren. Und hierfür
werden keine Embryonen verbraucht.
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Dr. Marlies Volkmer (SPD): Als Verfechterin eines
ompromisses – als solche rede ich – geht man gewis-
ermaßen auch mit sich selbst einen Kompromiss ein:
iemand ist „von Hause aus“ Anhänger einer Lösung,
ie per se inkonsistent ist, ja sein muss. So werden sicher
inige Befürworter der Stichtagsverschiebung ausführen,
ass ihnen eine restriktivere Lösung eigentlich mehr am
erzen läge. Anderen – ich schließe mich hier mit ein –
ird der Kompromiss eigentlich nicht weit genug gehen.
ber im Interesse eines höheren Ziels, das ich erläutern
erde, werden sowohl die einen wie die anderen ihre
edenken zurückstellen – wie auch schon 2002.
Wenn man einem Kompromiss zustimmt, gibt man
lso indirekt zu, dass man den einen oder anderen Zwei-
el hegt. So zweifle ich unter anderem an den ethischen
aßstäben, die dem Stammzellgesetz zugrunde liegen:
inerseits ist in Deutschland die Gewinnung embryona-
er Stammzellen verboten. Andererseits darf mit impor-
ierten Stammzellen – wenn bestimmte Voraussetzungen
rfüllt sind – gearbeitet werden. Die Frage ist bis heute
icht beantwortet worden, warum ein im Ausland ver-
ichteter Embryo anders beurteilt wird als einer in
eutschland.
Wenn aber die Vernichtung von überzähligen Embryo-
en aus der künstlichen Befruchtung Grundlage für For-
chung ist, dann muss doch sichergestellt werden, dass
afür strenge rechtliche Rahmenbedingungen vorhanden
ind. Die im Ausland hergestellten embryonalen Stamm-
ellen müssen aber lediglich vor dem Stichtag und in
bereinstimmung mit der Rechtslage im jeweiligen
and hergestellt worden sein. Wer garantiert für die
ualität nach unseren Maßstäben?
Ist die Frage unzulässig, ob die Herstellung embryo-
aler Stammzellen in Deutschland nicht strenger über-
acht werden könnte als in manch anderem Land? Aber
iese Debatte führt heute zu weit. Wir haben über die
nderung des Stammzellgesetzes zu befinden, nicht
ber die Änderung des Embryonenschutzgesetzes. Heute
eht es darum, einen ethisch fundierten Kompromiss zu
inden zwischen Forschungsfreiheit und der Hoffnung
uf Heilung einerseits und dem Embryonenschutz ande-
erseits.
Seit das Stammzellgesetz 2002 verabschiedet wurde,
at sich in der internationalen Forschung viel getan. Eine
berprüfung der fünf Jahre alten Regelungen erscheint
ngemessen. Von den Stammzelllinien, die vor dem
. Januar 2002 gewonnen wurden, sind heute wegen ge-
etischer Instabilität und Kontaminierung mit tierischen
rodukten nur noch wenige einzusetzen, Ein vergrößer-
er Pool von einsatzfähigen Zelllinien auch in Deutsch-
and ist nach Meinung vieler Forscher notwendig, damit
eutschland in diesem Forschungsbereich nicht abge-
ängt wird. Eine Verschiebung des Stichtages auf den
. Mai 2007 wird der ursprünglichen Intention des
tammzellgesetzes gerecht.
Heute geht es genau wie damals um die Frage, ob in
er Forschung embryonale Stammzellen verwendet wer-
en dürfen. Unter strengen Auflagen ja, lautete 2002 der
ompromiss, insbesondere darf von Deutschland aus
15028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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keinerlei Aktivität für eine verbrauchende Embryonen-
forschung ausgehen. Das ist bei diesem Kompromiss der
Fall.
Es gibt aus heutiger Sicht keinen Grund, eine embryo-
nale Stammzelle, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen
wurde, ethisch anders zu beurteilen als eine von vor dem
1. Mai 2007.
Es besteht die Hoffnung, dass die Stammzellmedizin
eines Tages ohne Embryonen auskommen wird. Wir
brauchen aber heute eine fundierte Grundlagenforschung
auch mit embryonalen Stammzellen, um Mechanismen
der Reprogrammierung sowie der Entstehung und Hei-
lung von Krankheiten zu erkennen. Auf Basis einer sol-
chen hochwertigen Forschung werden wir – hoffentlich –
den Durchbruch bei den adulten Stammzellen erleben.
Lassen Sie mich noch ein Wort als Ärztin sagen: Der-
zeit sind wir noch weit davon entfernt, dass Stammzellen
in der Therapie von Krankheiten wie Alzheimer und Par-
kinson eingesetzt werden können. Der Kompromiss ver-
baut aber auch nicht die Perspektive: die Entwicklung
therapeutischer Optionen. Heilung ist ein wichtiges Ziel
von Forschung. Politik hat die Verantwortung, erfolgver-
sprechende Wege, die zu größeren Heilungschancen füh-
ren, nicht von vornherein auszuschließen. Und um es
ganz klar zu sagen: Deutschland kann sich nicht vom Er-
trag der weltweiten Stammzellforschung abschotten.
Wenn in Chicago oder Tokio auf der Grundlage em-
bryonaler Stammzellforschung neue Therapien entwi-
ckelt werden, dann werden wir aus ethischen Gründen
deutschen Patienten diese Heilungschancen nicht ver-
wehren können. Deswegen ist es richtig, dass auch in
Deutschland die Forschung mit embryonalen Stammzel-
len unter strengen Auflagen möglich ist und nicht unnö-
tig erschwert wird. Bitte stimmen Sie der Verschiebung
der Stichtagsregelung zu.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die For-
schung an und mit embryonalen Stammzellen ist mit
großen Hoffnungen und Erwartungen verbunden, aber
gleichzeitig auch mit großen Befürchtungen hinsichtlich
der Verletzung der Würde des Menschen, der ethischen
Maßstäbe, die eine humane Gesellschaft zusammenhal-
ten und die Grundlage der Menschenrechte und der Ach-
tung menschlichen Lebens sind, für die wir weltweit
eintreten. Seit fast sechs Jahren können Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler in Deutschland an und mit
embryonalen Stammzellen forschen – eingeschränkt und
unter strengen Auflagen. Die Wissenschaft lockte mit
vielfältigen Heilungsversprechen, was die Mehrheit im
Deutschen Bundestag im Jahr 2002 veranlasste, ein Ge-
setz zu verabschieden, das die Forschung mit importier-
ten Zelllinien möglich machte. Es sei diese Forschung
wichtig, bahnbrechend, unabdingbar, ja gar heilbringend
für die Menschen, hieß es. Heute ringen wir im Parla-
ment wieder um verantwortliche Lösungen in diesen
schwierigen Fragen der Bioethik im Spannungsfeld zwi-
schen Heilungsversprechen, Forschungsfreiheit, Men-
schenwürde und Schutz des menschlichen Lebens.
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Wäre die Forschung mit embryonalen Stammzellen
thisch unbedenklich, so müsste man heute nur bedau-
rnd mit den Schultern zucken oder auch den Verlust der
eflossenen Fördergelder beklagen. Denn bisher konnten
eine Durchbrüche erzielt werden, alle Ankündigungen
rwiesen sich als haltlos, Erfolge sind nicht in Sicht, und
leichzeitig ist die Forschung an und mit embryonalen
tammzellen ethisch überaus bedenklich.
Alle noch so schönen und oft vernebelnden Formulie-
ungen können eine Tatsache nicht verleugnen: Um für
ie Forschung embryonale Stammzellen zu gewinnen,
üssen menschliche Embryonen, muss menschliches
eben zerstört werden. Kann es für dieses Töten eine
echtfertigung geben? „Die Würde des Menschen ist
nantastbar“, dieser Satz steht überdeutlich am Beginn
er Grundrechte im deutschen Grundgesetz. So schwie-
ig es im Einzelnen sein mag, die „Würde des Men-
chen“ und ein mögliches Antasten dieser zu definieren,
ines steht fest: Vernutzen wir menschliches Leben oder
erwerfen es gar, um damit Forschungs-, Heilungs- oder
ndere Zwecke zu verfolgen, so verletzen wir die Men-
chenwürde.
Art. 1 des Grundgesetzes steht nicht umsonst am An-
ang unserer Verfassung, er ist oberster Verfassungs-
rundsatz! Warum steht er dort? Die Mütter und Väter
es Grundgesetzes haben nach der menschenverachten-
en Ära des Nationalsozialismus festgelegt, dass sich al-
es staatliche Handeln zukünftig daran messen lassen
uss, ob die Menschenwürde unangetastet bleibt. Sie
ind sogar noch weiter gegangen: „Sie zu achten und zu
chützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“,
eißt es im zweiten Satz des Art. 1. Der Staat muss also
ktiv werden, wachsam bleiben gegenüber möglichen
ürdeverletzungen, gegensteuern.
Mancher wendet hier ein, dass die Würde von Kran-
en verletzt werde, wenn man nicht alles für deren Ge-
esung tue. Das ist richtig, aber es gibt auch Grenzen,
o andere Rechtsgüter verletzt werden. Darin werden
ie mir sofort zustimmen, wenn ich beispielsweise von
ersuchen an geborenen Menschen spreche. Es gibt also
renzen, darin sind wir uns einig. Auch ich wünsche
ir, dass Krankheit, Leiden und Schmerzen gelindert
erden. Wer tut das nicht? Gerade in diesem Zeitalter
er rasanten Entwicklungen, Fortschritte, neuer Erkennt-
isse stehen wir oft fassungslos vor Verfall, Schmerz
nd Tod. Das darf aber nicht dazu verleiten, den Schutz
er Würde des Menschen und die Achtung vor dem
enschlichen Leben, auch vor dem noch nicht gebore-
en menschlichen Leben, über Bord zu werfen. Wenn
ie Hoffnung auf Forschungserfolge oder der jeweilige
orschungsstand darüber bestimmen sollen, ob Stamm-
ellen eines getöteten menschlichen Embryos für For-
chungszwecke genutzt werden dürfen oder nicht, ob
tichtage für den Import von Stammzellen festgelegt
erden oder nicht, ob solche Stichtage verschoben wer-
en oder nicht, dann wird die Menschenwürde zu einem
eränderbaren Gut. Eine solche Relativierung der Men-
chenwürde wird auf Dauer nicht ohne Auswirkungen
leiben auf den grundsätzlichen Umgang einer Gesell-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15029
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schaft mit menschlichem Leben, sowohl von Anfang an
als auch was das Ende menschlichen Lebens anbelangt.
Stattdessen sollten die ethisch unbedenklichen Alter-
nativen noch stärker gefördert werden: zum Beispiel die
Forschung an adulten Stammzellen. Und wenn wir
schon so sehr auf die Heilungsaussichten achten: Adulte
Stammzellen werden schon seit vielen Jahren erfolgreich
therapeutisch eingesetzt. Sie retten Leben und heilen!
Lassen Sie uns gemeinsam diese erfolgreiche und
ethisch unbedenkliche Forschung stärken und nicht auf
ethisch prekäre und bis heute erfolglose Alternativen set-
zen!
Ich bin überzeugt: Noch mehr als im Jahr 2002 spre-
chen heute alle guten Gründe dafür, dass wir die ethisch
höchst problematische Forschung an und mit embryona-
len Stammzellen verbieten. Deutschland ist und kann
erst recht in Zukunft Forschungsstandort Nummer eins
in Sachen adulte Stammzellen sein. Ich sehe nicht die
Gefahr, dass wir uns weltweit in der Forschung isolieren,
sondern ich sehe die Chance, dass wir in dieser ethisch
schwierigen Frage weltweit beispielgebend sind.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): „Die Würde des
Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese
schlichten Sätze haben die Väter des Grundgesetzes an
seinen Beginn gestellt. Sie formulierten damit die
oberste Schutzverpflichtung unserer staatlichen Ord-
nung. Diese Würde kommt dem Menschen zu, als unmit-
telbare Folge seiner Geschöpflichkeit und seiner Gottes-
ebendbildlichkeit – von Anfang an und bis zum Ende
seines irdischen Daseins. Sie ist unserer Verfügbarkeit
entzogen.
Mit dem Beschluss des Stammzellgesetzes durch den
Deutschen Bundestag 2002 wurde die Büchse der Pan-
dora geöffnet. Die Verfechter der Festlegung eines Stich-
tages oder gar völliger Freigabe warben vor allem mit
der Aussicht auf Heilung schwerer Krankheiten, wie
Parkinson oder Alzheimer. Unter dem Stichwort „Organ-
ersatzbildung“ schien der Menschheitstraum nach Über-
windung allen Leides und ewigen Lebens auf.
Die Argumentation von damals folgt bekannten Mus-
tern, die heutige ebenso: Wieso soll der in-vitro gezeugte
Embryo besser geschützt werden als der Embryo im
Mutterleib, dem durch die Abtreibungspraxis in
Deutschland der Schutz weitgehend versagt wird? Wenn
wir schon das Entstehen überzähliger Embryos im Rah-
men künstlicher Befruchtung zulassen, wieso führen wir
sie dann nicht noch einer „nützlichen Verwendung“ zu,
wenn ihr Leben doch ohnehin schon verwirkt ist?
Schließlich das Heilsversprechen: Wie kann man an-
gesichts des Leides heute nicht behandelbarer schwerer
Erkrankungen dem Mitmenschen die nahe Hilfe verwei-
gern, wo doch nur eine kleine Grenzverschiebung erfor-
derlich ist, um den Durchbruch zu erreichen? Andere tun
es doch auch, wie kann man da so hartherzig sein?
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Ich sage Ihnen heute voraus: Der einmaligen Ver-
chiebung des einmaligen Stichtages werden weitere fol-
en. Wer einmal der Verzwecklichung der menschlichen
erson zustimmt, gibt das kategoriale Argument aus der
and.
Wir sollten die Diskussion umgekehrt führen: Wie
önnen wir endlich einen umfassenden Schutz des
enschlichen Lebens, gerade in den besonders schutz-
ürdigen Phasen des Werdens und Vergehens, verbes-
ern und garantieren? Ist es richtig, überzählige Embryo-
en im Rahmen der künstlichen Befruchtung entstehen
u lassen in der sicheren Voraussicht, sie später zu ver-
erfen? – Welch ein schrecklicher Ausdruck im Zusam-
enhang mit menschlichem Leben! – Dürfen wir bei
ränataler und Präimplantationsdiagnostik unterscheiden
n wertes und unwertes Leben? Wie begegnen wir den
egehrlichkeiten, am Ende unseres irdischen Daseins
ine Grenze zu ziehen, ab der dem alten oder kranken
enschen der Schutz der staatlichen Ordnung entzogen
ird? Wie schärfen wir das Bewusstsein, dass bei allen
egensreichen Fortschritten der Wissenschaft, der Medi-
in im Besonderen, Freude und Leid, Gesundheit und
rankheit, Werden und Vergehen existenziell zum
enschlichen Leben gehören?
Ich rede keinesfalls einem schlichten Fatalismus oder
inem dumpfen Wissenschaftsskeptizismus das Wort.
ber ich plädiere für Selbstbescheidung: Wir dürfen
icht alles, was wir können. Diesen Satz wird jeder
eichthin unterschreiben, schließlich ist es unsere tägli-
he Aufgabe, durch Normsetzung erwünschtes von uner-
ünschtem Tun oder Unterlassen zu scheiden und die
inhaltung des Erwünschten nicht selten durch Straf-
ndrohung zu erzwingen. Nach meiner festen Überzeu-
ung bewegen wir uns bei der heute zu behandelnden
rundfrage menschlicher Existenz in einem Bereich, der
nserer Freiheit zur Normsetzung entzogen ist. Wir kön-
en hier lediglich in Worte fassen, was naturrechtlich
orgegeben ist. Unsere staatliche Ordnung lebt von Vo-
aussetzungen, die sie nicht selber gelegt hat. Lassen Sie
s mich als Christ durch einen Rückgriff auf ein bibli-
ches Bild ausdrücken: Wir dürfen die Früchte des „Bau-
es der Erkenntnis“ nicht verzehren gleich, wer sie ge-
rntet hat oder in wessen Garten der Baum steht.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Ver-
wecklichung menschlicher Embryonen zur Gewinnung
mbryonaler Stammzellen ist mit dieser zentralen Vor-
abe des Grundgesetzes und dem christlichen Sittenge-
etz nicht vereinbar. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
it dem geltenden Stammzellgesetz wird die Tötung
enschlicher Embryonen akzeptiert, solange diese im
usland und vor dem 1. Januar 2002 geschehen ist. Wir
ollten die heutige Diskussion nutzen, um diesen Wider-
pruch zu beenden.
Meine lieben Kollegen, wir müssen in diesem Gesetz-
ebungsverfahren eine eindeutige Antwort geben: Das
mfassende Verbot, menschliche embryonale Stammzel-
en einzuführen, und damit keine Forschung mit
enschlichen embryonalen Stammzellen in Deutsch-
and!
15030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Beratungsqualität
für Erwerbslose verbessern – Personal der
Grundsicherungsträger qualifizieren und ihm
Zukunftsperspektiven geben (Tagesordnungs-
punkt 12)
Dirk Niebel (FDP): Vor der Hartz-IV-Reform wur-
den Leistungsempfänger in einer komplizierten Parallel-
welt von Arbeits- und Sozialämtern hin- und hergescho-
ben. Wir haben zugestimmt, dass diese Doppelstrukturen
abgeschafft werden, um die Effektivität bei der Vermitt-
lung in Beschäftigung zu erhöhen und Kosten zu sparen.
Bei der politischen Umsetzung ist allerdings mit den Ar-
beitsgemeinschaften ein weiteres bürokratisches Mons-
ter herausgekommen. Wer hat denn geglaubt, dass die
Einrichtung einer weiteren, zusätzlichen Behörde aus
zwei bestehenden in ihrer Verwaltung billiger wird,
wenn die zwei anderen bestehen bleiben?
Statt die Betreuung der Arbeitslosen in alleiniger Ver-
antwortung einer Behörde zu organisieren, wurde sie in
Arbeitsagenturen, Arbeitsgemeinschaften und Kommu-
nen, also in drei unterschiedlichen Behördenstrukturen
angesiedelt und damit das größtmögliche Chaos ange-
richtet. Die schwarz-rote Regierung hat den Kopf in den
Sand gesteckt und abgewartet, bis das Bundesverfas-
sungsgericht die nötigen Fakten schafft. Es hat die Ar-
beitsgemeinschaften als verfassungswidrig eingestuft.
Jetzt ist ein klarer Schnitt nötig und möglich.
Die Alternativen dürfen nicht zu einem Bundessozial-
amt führen. Der Bundesarbeitsminister hat sein neues
Konzept in den alten Denkstrukturen gestern vorgestellt.
Er träumt jetzt von sogenannten kooperativen Job-
centern. Aber solchen neuen Behörden unter dem Dach
und der Kontrolle der zentralistisch organisierten Arbeits-
agenturen wird es nicht gelingen, die Chancen für Ar-
beitsuchende zu verbessern.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes be-
steht jetzt die historische Chance, die Bundesagentur für
Arbeit aufzulösen und die Aufgaben neu zu ordnen. Wir
ordern, dass die Betreuung und Beratung aller Arbeit-
suchenden in kommunalen Jobcentern in eigener Verant-
wortung erfolgt. Die finanzielle Ausstattung ist als Bud-
get im Grundgesetz festzuschreiben. Die Gewährung
aller Leistungen aus einer Hand machen langwierige Ab-
stimmungsprozesse mit den Arbeitsagenturen überflüs-
sig und erlauben individuelle, flexible und unbürokrati-
sche Lösungen für die Betroffenen. Die doppelten
Verwaltungsstrukturen müssen endlich abgeschafft wer-
den.
Gleichzeitig können die Prinzipien der Arbeitslosen-
versicherung über die Einführung von Pflicht- und
Wahltarifen gestärkt werden. Über Wahltarife könnten
dann auch eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosen-
geld oder gegen niedrigere Beiträge Karenztage verein-
bart werden.
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Jedes Amt ist nur so gut wie die Leitung und die Mit-
rbeiter. In den Zeitungen hat man in dieser Woche wie-
er nachlesen können, dass Arbeitslose trotz eines Ange-
otes keine Arbeit aufnehmen wollen, weil es sich
inanziell nicht lohnt. Arbeiten lohnt sich nicht, wenn
an ohne Arbeit die gleiche oder sogar eine bessere Le-
enssituation erreicht. Deshalb muss jemand, der arbei-
et, mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Hier ist
uch die politische Ebene gefordert, nicht nur die Ver-
altungsebene.
Für Langzeitarbeitslose ist jede legale Arbeit zumut-
ar. Es ist Aufgabe der Arbeitsvermittler, Arbeitslose in
eschäftigung zu vermitteln und ihre Integration in den
rsten Arbeitsmarkt zu betreiben und nicht in eine sub-
entionierte Beschäftigung. Eine Studie des IAB hat auf-
ezeigt, dass 1-Euro-Jobs nur selten zu einer neuen
telle führen. Mit den jungen Menschen unter 25 Jahren
ird eine Personengruppe überproportional gefördert,
on denen viele das gar nicht nötig haben, aber während
er Maßnahme auch weniger Zeit für Bewerbungen ha-
en.
Wir müssen jetzt darüber diskutieren, wer und was
en Arbeitslosen am besten hilft, eine neue Stelle zu fin-
en. Je näher und engagierter die Fallmanager und Ver-
ittler am regionalen Arbeitsmarkt sind, desto größer
ind die Chancen der Betroffenen. Davon profitieren
ann auch die Arbeitslosen, die aufgrund zusätzlicher
ersönlicher Probleme schwer vermittelbar sind. Zudem
önnen regional oder lokal begrenzt auch leichter neue
ege bei der Arbeitsuche ausprobiert werden.
Statt wie die SPD über sogenannte gute Arbeit zu
chwadronieren, müssen Arbeitslose verstärkt zur Ar-
eitsaufnahme und zur Integration in den Arbeitsmarkt
otiviert werden. Das geht vorwiegend über finanzielle
nreize. Wenn den Arbeitnehmern durch niedrigere
teuern und Abgaben mehr netto vom selbstverdienten
eld bliebe, wäre auch der Anreiz größer, Arbeit aufzu-
ehmen. Dieses Ziel wird auch vom Bürgergeldkonzept
er FDP unterstützt. Es erhöht die Anreize zur Arbeits-
ufnahme vor allem im gering qualifizierten Bereich.
Die Einführung der Grundsicherung für Arbeit-
uchende war richtig. Aber die Ziele wurden bisher nicht
rreicht. Arbeitsrechtliche und tarifpolitische Regelun-
en wurden nicht wie notwendig modernisiert. Deshalb
ind auch für Langzeitarbeitslose kaum neue Arbeits-
lätze verfügbar. Die verbliebenen werden darüber hi-
aus durch eine flächendeckende Einführung von Min-
estlöhnen gefährdet.
Der Jobmotor Zeitarbeit, der maßgeblich am Auf-
chwung bei den Sozialversicherungspflichtigen Ar-
eitsplätzen beteiligt war, wird durch die Einführung
on Mindestlöhnen abgewürgt, abgesehen davon, dass
ier wie beim Postmindestlohn das Arbeitnehmerentsen-
egesetz wieder einmal missbraucht werden soll, um ei-
en innerdeutschen, brancheninternen Wettbewerb zu
erhindern. Die FDP lehnt Mindestlöhne ab, weil sie Ar-
eitsplätze vernichten oder in die Schwarzarbeit treiben.
eitarbeit ist gerade für Geringqualifizierte und Lang-
eitarbeitslose eine Brücke in den Arbeitsmarkt. Deren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15031
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(B) )
Chancen auf Beschäftigung werden weiter beeinträch-
tigt.
Arbeit ist immer noch zu teuer, weil die Steuern und
Sozialabgaben weiter steigen. Und die notwendigen Re-
formen im Arbeits- und Tarifrecht, die zu mehr Einstel-
lungen motivieren, stehen bei der schwarz-roten Koali-
tion nicht mehr auf der Agenda.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Nichtkommerzielle klinische Studien
in Deutschland voranbringen (Tagesordnungs-
punkt 13)
Michael Kretschmer (CDU/CSU): Die Situation
von nichtkommerziellen klinischen Studien, von Stu-
dien, die also unabhängig von der pharmazeutischen In-
dustrie durchgeführt werden, brennt der medizinischen
Wissenschaft seit Jahren auf den Nägeln. Als Folge der
12. und 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes hat sich
für die Wissenschaft der administrative und finanzielle
Aufwand dieser Studien enorm verschärft.
Ziel der Novellen war es, die Sicherheit und Qualität
klinischer Studien zu verbessern. Das begrüßen wir auch
ausdrücklich. Jedoch hat sich gezeigt, dass die Anforde-
rungen für nichtkommerzielle klinische Studien teil-
weise unangemessen hoch sind. Das gilt insbesondere
dann, wenn bereits zugelassene und in ihrem Wirkungs-
spektrum bekannte Arzneimittel untersucht werden.
Ich habe im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von
Gesprächen mit Wissenschaftlern geführt und viele Zu-
schriften zum Thema nichtkommerzielle Studien erhal-
ten. Der gestiegene Verwaltungsaufwand und die im-
mensen Kosten machen es der Forschung zunehmend
schwer, neue nichtkommerzielle Studien zu initiieren
und umzusetzen.
Für den Forschungs- und Gesundheitsstandort
Deutschland ist das ein großer Verlust. Gerade die vom
wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse geleiteten und
industrieunabhängigen Studien verfügen oft über eine
sehr hohe Qualität und großen Nutzen für die Patienten.
Die Studien tragen nachweislich zu einer hochwertigen
medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten
bei und sind Treiber des Fortschritts in der medizini-
schen Behandlung.
Oftmals haben diese Studien zum Ziel, eine Therapie
zu optimieren, Therapien zu vergleichen oder einen Bei-
trag zur Qualitätssicherung in der Behandlung zu leisten.
Dank solcher Studien ist es beispielsweise gelungen, in
der Onkologie ein standardisiertes Toxizitätsmonitoring
zu etablieren. Dieses trägt dazu bei, die Rate der schwer-
wiegenden behandlungsbedingten Nebenwirkungen
kontinuierlich zu überwachen und flächendeckend zu re-
duzieren. Das ist ein echter Zugewinn an Lebensqualität
für die Kranken.
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Andere Studien verfolgen das Ziel, die Dosierung von
edikamenten zu verbessern. Auch davon profitieren
atienten direkt. Zugleich aber hilft es der Solidarge-
einschaft, weil weniger Ressourcen für eine bessere,
chonendere und effizientere Behandlung ausgegeben
erden müssen.
Es liegt also im Interesse von uns allen, dafür zu sor-
en, dass die Wissenschaft auch künftig in der Lage ist,
ichtkommerzielle Studien in Deutschland umzusetzen.
tellvertretend für viele zustimmende Zuschriften
öchte ich aus einem Brief zitieren, den der For-
chungsausschuss von der Deutschen Morbus Crohn
ereinigung erhalten hat. Dort heißt es: „Im Interesse
er Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkran-
ungen und aller chronisch Kranken bitten wir Sie, die-
em Antrag zuzustimmen und seine Umsetzung durch
ie Bundesregierung engagiert zu begleiten.“
Ich will das gerne tun.
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, bei gleichblei-
ender Patientensicherheit die Anforderungen an nicht-
ommerzielle klinische Studien besser damit in Einklang
u bringen, was die Wissenschaft finanziell, administra-
iv und personell leisten kann. An einem Rücklauf dieser
tudien kann keinem gelegen sein. Das Bundesfor-
chungsministerium ist das Problem bereits angegangen
nd hat im Dezember 2006 Experten zu einem Work-
hop zusammengerufen. Die Wissenschaft hat dort eine
eihe Verbesserungsvorschläge gemacht, die zum Teil
uch Eingang in unseren Antrag gefunden haben.
Jetzt liegt der Ball im Feld des Bundesgesundheitsmi-
isteriums, das nun aufgerufen ist, die Vorschläge zu
rüfen und an Vereinfachungen, im nationalen wie auch
m europäischen Kontext, mitzuwirken. Neben Vereinfa-
hungen in der Bürokratie, etwa bei Melde- und Doku-
entationspflichten (ich will die Details jetzt nicht nen-
en, sie sind dem Antrag zu entnehmen) müssen wir
emeinsam daran arbeiten, Deutschland als Standort der
linischen Forschung besser aufzustellen.
Ärzte, die sich der klinischen Forschung widmen, ha-
en heute mehrere Nachteile gegenüber ihren Kollegen
n der Patientenversorgung. Klinische Forscher verdie-
en in der Regel weniger. Gerade der neue Tarifvertrag
at diese Situation verschärft; leider ist dieser Aspekt in
en Tarifverhandlungen von Ärzteseite nicht themati-
iert worden, sondern kam erst nachträglich auf den
isch. Zudem fehlt es an einer systematischen Ausbil-
ung zum forschenden Mediziner, wie sie im Ausland
blich ist. Auch gibt es zu wenige Karriereanreize für
orschende Mediziner. Das Interesse an einer For-
chungskarriere muss schon im Medizinstudium gelegt
erden. Hier sind nicht nur der Bund, sondern auch die
undesländer, die Ärztekammern und die Universitäten
it guten Ideen gefragt.
Mehr Anerkennung für die klinische Forschung muss
ich aber auch bei den Kostenträgern durchsetzen. Da
ichtkommerzielle klinische Studien essenziell für eine
ochwertige Behandlung sind, müssen auch die Kosten-
räger an ihrer Finanzierung beteiligt werden.
15032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
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Das Bundesforschungsministerium fördert bereits ge-
meinsam mit der DFG klinische Studien mit 20 Millio-
nen Euro jährlich. Zusätzlich werden vom BMBF
„Langzeitstudien in der Gesundheitsforschung“ geför-
dert, die nichtkommerzielle klinische Studien mit einem
langen Untersuchungszeitraum unterstützen.
Aber der wissenschaftliche Fortschritt der Medizin
lässt sich nicht allein aus Forschungsgeldern bestreiten.
Auch die Kassen haben die Pflicht zur Qualitätssiche-
rung. § 135 a SGB V verpflichtet die Leistungserbringer
zur „Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der
von ihnen erbrachten Leistung“. Dies ist ohne Forschung
nur schwer zu erreichen. Die „Task Force Pharma zur
Verbesserung der Standortbedingungen und der Innova-
tionsmöglichkeiten der pharmazeutischen Industrie in
Deutschland“ unter Vorsitz des Bundesgesundheitsmi-
nisteriums hat bereits 2005 empfohlen, eine Beteiligung
der Kostenträger im Gesundheitswesen an der Finanzie-
rung der versorgungsorientierten Forschung zu errei-
chen.
Die Kassen erklären ihr fehlendes Engagement oft
mit einer unklaren Rechtslage. Das Bundesgesundheits-
ministerium sollte hier endlich Klarheit schaffen, dass
sich aus den Regelungen von SGB V kein generelles
Forschungsverbot für die Kostenträger im Gesundheits-
wesen ableiten lässt. Vielmehr ist Forschung, die der
Verbesserung der Versorgung dient, ausdrücklich im
Sinne der Krankenkassen und eines effizienten Mittel-
einsatzes der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nur wer kurzsichtig ist, verliert über den Kosten der
Forschung deren Nutzen aus dem Blick. Wer den Weit-
blick behält, der weiß, dass Therapieoptimierung häufig
sogar beim Sparen hilft.
In diesem Sinne: Streifen wir der klinischen For-
schung in Deutschland endlich ihre Fesseln ab! Es steckt
viel Potenzial in ihr – wir müssen es nur freisetzen.
Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Im Grundsatz-
programm der Union, das wir im Dezember vergange-
nen Jahres in Hannover beschlossen haben, bringen wir
unsere positive Einstellung und Wertschätzung von Wis-
senschaft und Forschung zum Ausdruck. Eine unserer
Kernaussagen lautet dort:
Wissenschaft und Forschung entscheiden über den
materiellen und immateriellen Wohlstand einer Ge-
sellschaft und tragen zur Bewältigung der großen
Herausforderungen der wachsenden Weltbevölke-
rung bei.
Ausdrücklich nennen wir als eines unserer Ziele: Wir
werden Forschung in Deutschland von bürokratischen
Fesseln befreien.
Der heute zur Debatte und Abstimmung stehende An-
trag zur Förderung der nichtkommerziellen klinischen
Studien in Deutschland weist eindeutig in diese Rich-
tung. Die medizinische Forschung und der daraus resul-
tierende medizinische Fortschritt gehören zu den we-
sentlichen Grundlagen unseres Lebens, dafür dass sich
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nsere Chancen, ein hohes Alter bei guter Gesundheit zu
rreichen, enorm verbessert haben. Auf kaum einem an-
eren Fachgebiet profitieren die Menschen so unmittel-
ar vom Fortschritt, von neuen Entdeckungen und Ent-
icklungen wie in der Medizin.
Forschung und Innovationen aus Deutschland sind
eltweit anerkannt. Dies gilt gerade auch für den Be-
eich der Medizin und des Gesundheitswesens. Die hier
usammengetragenen Forderungen und Anregungen ge-
en uns in der Gesundheitspolitik einen ambitionierten
eitfaden zur Steigerung der Effektivität in der klini-
chen Forschung an die Hand. Wenn wir unsere interna-
ionale Spitzenposition in der Medizin halten wollen,
üssen wir unsere Ressourcen besser nutzen. Wir kön-
en uns unnötigen Ballast in der Dokumentation, dop-
elte Überprüfungen und weitere organisatorische und
ürokratische Hemmnisse nicht mehr leisten.
Gerade der therapieoptimierende Ansatz dieser Stu-
ien ist von erheblichem Nutzen für die betroffenen
atienten und führt nicht zuletzt auch zu niedrigeren
osten. Hier ist die durch das WSG ermöglichte Finan-
ierung – zumindest die Kofinanzierung – durch Kosten-
bernahme der Arzneikosten durch die gesetzliche Kran-
enversicherung ein Schritt in die richtige Richtung.
benso ist es erforderlich, dass die Versorgungskosten
er Patientinnen und Patienten im abrechenbaren und er-
tattungsfähigen Bereich von den Krankenkassen über-
ommen werden und nur der studienbedingte Mehrauf-
and von der die Studie tragenden Einrichtung zu tragen
st.
Darüber hinaus müssen eine weitere Beteiligung öf-
entlicher Finanzmittel und eine Einbeziehung der Kos-
enträger im Gesundheitswesen geprüft werden, die Frei-
tellung und Ausbildung des wissenschaftlich-ärztlichen
ersonals gefördert werden und der Austausch zwischen
orschung und Wissenschaft und angewandter medizini-
cher Tätigkeit unbürokratisch organisiert werden.
Wir haben eine erfolgreiche Tradition in der medizini-
chen Forschung. Wir wollen sie fortführen, um die me-
izinische Versorgung, die Heilung von Krankheiten und
ie Vorsorge zu sichern und zu verbessern. Es ist unsere
ufgabe, das heißt die Aufgabe der Politik, dafür zu sor-
en, dass unsere Wissenschaftler gute Arbeitsbedingun-
en vorfinden und beste Voraussetzungen dafür haben,
pitzenergebnisse zu erzielen.
Für uns ist nicht nur ganz klar, dass wir unnötige bü-
okratische Hürden abbauen und zugleich auch alle sinn-
ollen Maßnahmen ergreifen, um die Bedingungen für
ie nichtkommerzielle klinische Forschung zu verbes-
ern. Wir können auch davon ausgehen, dass das Ge-
undheitswesen im Zuge der demografischen Entwick-
ung bei uns wie in anderen europäischen und
ußereuropäischen Ländern expandiert. Der medizini-
che Fortschritt führt dazu, dass der Gesundheitsbereich
ich zu einem der weltweiten Wachstumsmärkte entwi-
kelt.
Dies müssen wir von politischer Seite unterstützen,
icht nur durch die Bereitstellung ausreichender finan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15033
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zieller Mittel, sondern ebenso durch schlanke, transpa-
rente organisatorische Rahmenbedingungen. Wir müssen
endlich die Scheu überwinden, den Gesundheitsbereich
allein unter sozialen, sondern auch unter wirtschaftli-
chen Aspekten zu betrachten. Wir müssen das öffentli-
che Bewusstsein dafür stärken, dass soziale und wirt-
schaftliche Interessen keineswegs Gegensätze sind.
René Röspel (SPD): Klinische Studien sind ein
existenzieller Bestandteil der modernen Gesundheitsfor-
schung. Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass unser Wis-
sen über die Entstehung und den Verlauf von Krankhei-
ten wächst. Erst die Überprüfung von therapeutischen
sowie diagnostischen Verfahren in einem kontrollierten
Umfeld schafft die Voraussetzungen für eine fundierte
Bewertung etwa von Arzneimitteln.
Grundsätzliches Ziel des von den Koalitionsfraktio-
nen der SPD und der CDU/CSU eingebrachten Antrages
ist es, Studien aus dem wissenschaftsinternen Bereich zu
fördern, die nicht etwa im Rahmen einer Arzneimittelzu-
lassungsprüfung durchgeführt werden sollen, jedoch
neue Erkenntnisse generieren könnten. So kann hier
durch staatliche Finanzierungshilfen Wissen entstehen,
welches allein durch die Aktivitäten der Pharmaindustrie
nicht entstehen würde.
Der Bereich der nichtkommerziellen klinischen Stu-
dien ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit einer
staatlichen Grundlagenforschung. Es gibt nun einmal be-
stimmte Forschungsfelder, die durch Unternehmen nicht
bearbeitet werden, da hier keine Gewinne erwartet wer-
den. Diese Bereiche werden dann auch noch zu selten
etwa an Universitäten beforscht, da etwa die Kosten zu
hoch sind. Hier muss der Bundestag Hilfe bereitstellen,
damit mehr nichtkommerzielle klinische Studien in
Deutschland durchgeführt werden können.
Zwar werden schon seit Jahren nichtkommerzielle
klinische Studien durchgeführt. Durch Verbesserungen
im Zuge der 12. und 14. AMG-Novelle haben wir bereits
vor einiger Zeit die Anforderungen an Sicherheit und
Qualität dieser Studien angepasst.
Im Rahmen des Antrages wurde versucht, den immer
sehr schwierigen Ausgleich zwischen der Vermeidung
von überflüssiger Bürokratie und notwendigem Proban-
denschutz zu schaffen. Grundsätzlich gilt, dass der
Schutz der Probanden aus Sicht unserer Fraktion immer
Vorrang haben muss. Wir haben daher in unseren Antrag
die Forderung nach der Etablierung eines standardisier-
ten, vereinfachten Meldesystems für Nebenwirkungen
aufgenommen.
Als Forschungspolitiker interessieren mich selbstver-
ständlich insbesondere die forschungs- und wissen-
schaftspolitischen Aspekte von nichtkommerziellen kli-
nischen Studien.
An erster Stelle denke ich hierbei an das nächste Ge-
sundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung.
Diesbezüglich fordert unser Antrag, dass man die krank-
heits- und patientenorientierte Forschung weiter stärken
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uss. Auch sollen Förderinstrumente entwickelt wer-
en, um eine Anschubfinanzierung für nichtkommer-
ielle klinische Studien bereitzustellen. Ich bin mir sicher,
ass die zuständigen Bundesministerien unsere Anre-
ungen aufnehmen werden und bei der Ausgestaltung
es Programms diese Forderungen entsprechend in die
rojektgestaltung einfließen lassen werden.
Auch sage ich ganz klar, dass wir die Ausbildung von
edizinischem Personal verbessern müssen, damit jene
eichter Studien durchführen können. Hierzu zählt auch
ie Möglichkeit, Personal für die Durchführung von kli-
ischen Studien freizustellen. Denkbar wäre auch, dass
an Erfahrungen in der Durchführung von klinischen
tudien positiv bei der Bewertung zum Beispiel von Be-
erberinnen und Bewerbern etwa bei Stellenausschrei-
ungen berücksichtigen könnte. Oder aber man bindet
ewisse finanzielle Anreize an Erfahrungen mit klini-
chen Studien. Hier sind selbstverständlich nicht in ers-
er Linie die Politik, sondern die Arbeitgeber gefordert.
Wir wollen, dass die Ausbildung für klinische For-
cher und für das beteiligte Personal ausgebaut und qua-
itativ verbessert wird. Die Investitionen, die man hier
ätigt, werden unserer Gesellschaft und hier insbeson-
ere den Patientinnen und Patienten auf viele Jahre hi-
aus zugutekommen. Langfristig könnte es sogar sein,
ass die Verbesserung der klinischen Forschung zur
angfristigen Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswe-
ens beitragen wird.
Damit überhaupt nichtkommerzielle klinische Studien
urchgeführt werden, muss es natürlich finanzielle An-
eize geben. Hierzu zählt auch, dass man die gesetzli-
hen – aber auch die privaten – Krankenkassen darauf
inweist, dass sie durch die Ergebnisse nichtkommer-
ieller klinischer Studien Vorteile haben. Neben der ver-
esserten Versorgung ihrer Versicherten sind hier auch
ragen der Versorgungseffizienz sowie der Qualität der
ersorgung relevant. Alle Krankenkassen sollten sich
aher fragen lassen, ob sie nicht – in welcher konkreten
orm auch immer – einen Beitrag zur Verbesserung der
linischen Forschung leisten können.
Neben den finanziellen Anreizen gibt es auch diverse
öglichkeiten, um auf organisatorischer Ebene die
urchführung von nichtkommerziellen klinischen Stu-
ien zu erleichtern. Diesbezüglich ist es notwendig, dass
n Deutschland ein nationales Register aufgebaut wird,
n dem alle national durchgeführten klinischen Studien
inheitlich registriert werden. Wir brauchen eine größere
ransparenz über laufende, abgebrochene und abge-
chlossene Studien. Ich freue mich sehr darüber, dass das
undesministerium für Bildung und Forschung im Sep-
ember 2007 angekündigt hat, mit insgesamt 2,2 Millio-
en Euro über zunächst vier Jahre den Aufbau eines natio-
alen Registers an der Universität Freiburg zu fördern.
Register sind selbstverständlich insbesondere dann
ehr nützlich, wenn der Zugang zu ihnen nicht durch un-
ötige Bürokratie behindert wird. Daher fordern wir in
nserem Antrag, dass der öffentliche Zugang zu nationa-
15034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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len und europäischen Registern für klinische Studien er-
leichtert wird.
Wir haben erkannt, dass wir die Rahmenbedingungen
insbesondere für nichtkommerzielle klinische Studien
weiter verbessern müssen. Wir wollen mir unserem An-
trag einen Beitrag zu diesem Prozess leisten. Das Bun-
desministerium und auch die Deutsche Forschungsge-
meinschaft leisten hier schon seit Jahren einen wichtigen
Beitrag. Wir als Parlament werden unseren Teil dazu
beitragen, die Rahmenbedingungen für die Gesundheits-
forschung in Deutschland konsequent weiterzuentwi-
ckeln und zu verbessern.
In diesem Zusammenhang freue ich mich sehr da-
rüber, dass die FDP im federführenden Ausschuss für
Bildung und Forschung unseren Antrag mit unterstützt
hat und sich die Vertreter der Linken und der Grünen bei
der Abstimmung lediglich enthalten haben. Dies zeigt:
Auch die Oppositionsfraktionen erkennen unser Bemü-
hen an, die Durchführung nichtkommerzieller klinischer
Studien in Deutschland zu erleichtern.
Dr. Marlies Volkmer (SPD): Nichtkommerzielle kli-
nische Studien sind Studien, die nicht von der pharma-
zeutischen Industrie initiiert werden, sondern von Uni-
versitätskliniken oder sonstigen Krankenhäusern und
Versorgungseinrichtungen. Die nichtkommerzielle For-
schung ist in besonderem Maße Grundlage für eine qua-
litätsgesicherte medizinische Versorgung: Es werden un-
ter anderem etablierte diagnostische und therapeutische
Methoden auf ihre Wirksamkeit, Nebenwirkungen und
Leistungsfähigkeit überprüft. Im Rahmen von klinischen
Prüfungen wird zum Beispiel auch bei seltenen Erkran-
kungen untersucht, ob eine Arzneimitteltherapie wirk-
sam ist, außerhalb der Indikation, für die der Hersteller
die Zulassung beantragt und erhalten hat. Der größte Teil
dieser Studien wird über Drittmittel und öffentliche Gel-
der finanziert. Es ist richtig, dass wir als Gesetzgeber uns
mit den Rahmenbedingungen für diese Studien beschäf-
tigen.
Der Antrag enthält sehr viele Maßnahmen, die ich lei-
der aufgrund der begrenzten Zeit nicht alle einzeln wür-
digen kann. Ich werde mich nur auf zwei zentrale Punkte
beschränken.
Ein Punkt ist die Aufforderung, ein nationales Regis-
ter zu etablieren, in dem alle durchgeführten Studien zu
Beginn einheitlich registriert werden. Die Gründe für ab-
gebrochene Studien und die Ergebnisse abgeschlossener
Studien sind zu erheben, Das Bundesforschungsministe-
rium unterstützt bereits den Aufbau eines Registers an
der Universität Freiburg, den es selbstverständlich weiter
zu befördern gilt. Der Schwerpunkt der Formulierung im
Antrag liegt allerdings auf dem Wörtchen „alle“: Alle
Studien sollen dort registriert werden. Die Gewähr aber,
dass wirklich jede Studie registriert wird, hat man nur,
wenn es eine gesetzliche Pflicht dazu gibt. Keine Ethik-
kommission wird ihr Votum von der Registrierung der
Studie abhängig machen, wenn es vom Gesetz nicht ver-
langt wird.
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Es ist richtig, dass es für den Bereich der Nichtarznei-
ittelstudien keine Rechtsgrundlage gibt, auf der man
ine bundesweite Lösung aufbauen könnte. Das sollte
ns aber nicht davon abhalten, da eine Pflicht einzufüh-
en, wo wir Bundesgesetze erlassen können, nämlich im
rzneimittelbereich. Ich denke auch nicht, dass dadurch
ie Registrierung der Nichtarzneimittelstudien leiden
ürde. Im Gegenteil könnte eine gesetzliche Regelung
m einen Bereich für den anderen Bereich einen Stan-
ard setzen.
Letztlich kann es nicht sein, dass wir große Summen
ufbringen für die Einrichtung eines Registers, wenn
icht sichergestellt ist, dass es auch vollständig ist. Un-
ollständige Register nützen nur sehr bedingt. Unter an-
erem kann ein solches Register keine sicheren Angaben
arüber machen, ob eine Prüfung an einem anderen Ort
ereits durchgeführt wurde. Überflüssige Forschung am
enschen ist unethisch und muss vermieden werden.
Wir wollen auch, dass der öffentliche Zugang zu na-
ionalen und europäischen Registern für klinische Stu-
ien erleichtert wird und bürokratische Hemmnisse ab-
ebaut werden. Ärzte und Patienten sollen das Recht
aben, sich über klinische Studien zu informieren.
Der zweite Punkt, auf den ich näher eingehen möchte,
st die Aufforderung, Daten aus Studien mit Krebspa-
ienten in die entsprechenden klinischen Krebsregister
ufzunehmen. Klinische Krebsregister zielen darauf ab,
ie Behandlung von Tumorerkrankungen zu verbessern.
amit klinische Register wirklich gute Ergebnisse lie-
ern können, müssen die Erkrankungen der jeweiligen
herapieeinrichtung vollzählig erfasst werden.
Es gäbe noch vieles anzumerken. Nur so viel: Unbe-
ührt von unserem Antrag bleibt die Verpflichtung nicht-
ommerzieller Sponsoren, hochqualitative Studien vor-
ulegen: hinsichtlich der Studiendesigns und der
atientensicherheit, aber auch hinsichtlich der vorzule-
enden Unterlagen. Wenn dies gegeben ist und die For-
erungen unseres Antrags umgesetzt wurden, kann
eutschland sich als Standort für international wettbe-
erbsfähige klinische Forschungsvorhaben weiterent-
ickeln. Das ist wichtig für eine qualitätsgesicherte me-
izinische Versorgung der Bevölkerung.
Cornelia Pieper (FDP): In dem Antrag der Koali-
ion – den meine Fraktion im Übrigen unterstützt –
rängt die Bundesregierung darauf, den bereits unter
chwarz-Gelb begonnenen Weg der Förderung der
ichtkommerziellen klinischen Studien konsequent fort-
usetzen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung,
MBF, und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG,
auen seit Jahren ihre Förderprogramme für klinische
tudien aus. Das allein reicht aber nicht. Es müssen auch
ie Rahmenbedingungen stimmen. Klinische Studien
ind – und da sind wir uns alle einig – unverzichtbar, um
orschungsergebnisse für die Weiterentwicklung von
rävention, Diagnose und Therapie in die Anwendung
berführen zu können. Erst wenn gesicherte Erkennt-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15035
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nisse vorliegen, kann ihr Einsatz beim Patienten verant-
wortet werden. Mithilfe der bisherigen und künftiger
Förderprogramme werden sogenannte wissenschaftsini-
tiierte, nichtkommerzielle klinische Studien finanziert.
Es wird die Durchführung wissenschaftlich hochrangi-
ger, multizentrischer Studien unterstützt, durch die das
Know-how an deutschen Universitätskliniken für die
Planung und Durchführung klinischer Studien auf inter-
nationales Niveau gehoben und breit etabliert werden.
Doch leider werden auf der anderen Seite erhebliche
Hürden errichtet.
Der uns vorliegende Antrag zeigt sehr anschaulich,
wo wir heute stehen und welche Hemmnisse für nicht-
kommerzielle klinische Studien bestehen, die häufig der
Therapieoptimierung bzw. dem Therapievergleich die-
nen. Ja, es existieren in Deutschland erhebliche bürokra-
tische und finanzielle Hürden für die Wissenschaft. Für
nichtkommerzielle klinische Studien ist es nicht einfach,
all die Anforderungen zu erfüllen. Ich spreche hier be-
wusst die 12. und 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes
an, durch die die Rahmenbedingungen auch für diese Art
von Studien noch einmal verschärft worden sind. Wir
müssen gemeinsam daran arbeiten, die Bedingungen für
die klinischen Studien zu erleichtern, ohne die Qualität
der Durchführung zu beeinträchtigen. Das heißt, wir
müssen den bürokratischen Aufwand in vertretbaren
Grenzen halten und zum Beispiel Fristen im Rahmen der
Beantragungen und Registrierungen so gestalten, dass
sie auch eine Klinik erfüllen kann, die nicht jeden Tag
solche Studien durchführt. Wir müssen uns darum küm-
mern, dass der Versicherungsschutz nicht zu einem un-
überwindbaren Hindernis wird. Und wir müssen dafür
sorgen, dass die Forschung in Form der klinischen Stu-
dien gefördert wird.
Der Antrag ist ein erster Ansatz auf dem Weg, den
Standort Deutschland für die klinische Forschung wei-
terzuentwickeln.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Der Antrag soll die
nichtkommerzielle Forschung in Deutschland stärken,
die von der Wissenschaft selbst initiiert wird. Diese Ar-
beiten dienen vor allem der Qualitätssteigerung der Pa-
tientenversorgung und der Qualifizierung des gesamten
Gesundheitssystems. Diese grundsätzlichen Ziele des
Antrags teilt die Linke. Leider jedoch bleiben viele Vor-
schläge halbherzig und damit hinter den Erwartungen
zurück. Fragen der Kostenerstattungen, Strukturverände-
rungen und präziser Verantwortungsübernahme werden
nicht konsequent und konkret abgearbeitet.
Alle Beteiligten wissen, dass die Einführung von Fall-
pauschalen im stationären Bereich des Gesundheitswe-
sens und geringere Zuführungen für Forschung und
Lehre aus Länderhaushalten den Universitätsklinika die
Finanzierung nichtkommerzieller klinischer Studien er-
heblich erschwert haben.
Einnahmeverluste ergeben sich auch infolge von
Hochschulstrukturreformen. Universitätsklinika mit ih-
ren spezifischen Aufgabenstellungen – von der Kranken-
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ersorgung über Forschung bis hin zur Lehre – sind in
inen für sie unfairen Wettbewerb gestoßen worden. Die
assen dürfen nicht, Bund und Länder wollen die Kos-
en nicht tragen. An dieses Grundproblem geht der An-
rag gar nicht heran. Rechtsformänderungen und die
usgliederung bzw. Privatisierung profitabler Bereiche
omplizieren die Finanzsituation zusätzlich. Die vom
undesministerium ausgelobten 20 Millionen Euro für
ichtkommerzielle Studien sind daher der berühmte
ropfen auf den heißen Stein. Denn was nützt es, die Re-
genzien zu bezahlen, wenn mittlerweile ganze For-
chungslabore geschlossen werden müssen? Es kann
lso nicht wundern, wenn im europäischen Vergleich
eutschland nur wenige nichtkommerzielle Studien vor-
eisen kann.
Nur was sich rechnet, darf an den Universitäten noch
eforscht werden. Längst gilt das Primat der Drittmittel-
inwerbung als Maßstab forschender Größe. Unter die-
em Diktat kann eine freie Forschung nicht mehr statt-
inden. Nicht die vermeintliche Überbürokratisierung,
ondern die Kommerzialisierung der klinischen For-
chung ist das Haupthindernis für eine stärker pharma-
nabhängige Forschung.
Schon jetzt ist die Verengung der Forschung und der
ördermittel auf lukrative Bereiche der Medizintechnik
der Blockbuster verordnungsstarker, aber zweifelhafter
nnovationen enorm. Klinische Forschung aber muss
reit angelegt sein, im Interesse der Gesundheit aller und
ines guten Gesundheitssystems. Dass wir einen Mangel
n industrieunabhängiger Expertise haben, dass Dritt-
ittel aus der Wirtschaft massiven Einfluss auf die klini-
che Forschung nehmen, zeigt aktuell die Klage des
hefs der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas
öhler. Er moniert, dass Forscher auf Druck der
harmabranche ihre Zusagen, Studien für das IQWiG zu
rarbeiten, zurückgezogen haben. Kaum noch ein For-
cher steht nicht auf Gehaltslisten der Unternehmen.
Die Linke will der Gefahr entgegenwirken, dass ins-
esondere die Pharmaindustrie bereits auf die Ausrich-
ung der Grundlagenforschung Einfluss nehmen kann.
ir fordern eine Umschichtung der Forschungsmittel
us der Pharma-Initiative, für die die Bundesregierung in
en nächsten Jahren insgesamt 800 Millionen Euro für
ie Subventionierung bereits renditestarker Pharmafir-
en aufwenden will. Damit sollten zum Beispiel ent-
prechende Programme des Bundes und der Deutschen
orschungsgemeinschaft für nichtkommerzielle For-
chung aufgestockt werden.
Das gesamte Finanzierungssystem von Krankenver-
orgung und Wissenschaft muss dem Mehraufwand von
niversitätsklinika Rechnung tragen. Diese haben näm-
ich den Auftrag, neben Maximalversorgung und Hoch-
eistungsmedizin Forschung und Lehre zu sichern. Auch
us unserer Sicht erscheint es allemal sinnvoll, zu über-
rüfen, ob und wie weitere Kostenträger in die Finanzie-
ung einzubinden sind. Denkbar wäre in der Tat ein
onds, der sich anteilig an den Werbeausgaben von
harmafirmen bemisst. Immerhin beträgt der Anteil von
arketingausgaben am Gesamtumsatz von Pharmakon-
15036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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zernen durchschnittlich circa 40 Prozent, während For-
schungsausgaben bei 10 Prozent liegen. Weitere Einzah-
ler könnten gesetzliche Krankenversicherungen und der
Staat sein. Vor diesem Hintergrund würden dann Forde-
rungen dieses Antrages nach mehr Ausbildung und Frei-
stellung von Personal für Forschungen und Mitarbeit in
Ethikkommissionen realistisch zu diskutieren sein.
Der Antrag befürwortet Kassenerstattungen für inner-
halb einer Studie eingesetzte Arzneimittel. Die Gefahr
besteht, dass auf die Versicherten damit immense Kosten
zukommen und lediglich die Industrie einen echten Nut-
zen daraus ziehen kann.
Ebenso wenig macht der Antrag Vorschläge, wie und
durch wen Kosten im ambulanten Bereich zu schultern
sind.
Letztlich sind Genehmigungsverfahren, wie gefor-
dert, ständig zu überprüfen und, wo sinnvoll, auch zu
vereinfachen. Zuerst aber sollten keine Gebühren für
nichtkommerzielle Studien erhoben werden. Dafür
müssten Ressourcen von Behörden aufgestockt und
nicht etwa Normen aufgeweicht werden. Das würde der
Akzeptanz nichtkommerzieller Studien schaden, weil
sich damit ihre bisher geschätzte wissenschaftliche Qua-
lität infrage stellen würde. Genau diese gilt es jedoch zu
sichern.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Wir sprechen heute über einen Antrag der Regie-
rungsfraktionen, der ein wichtiges Thema behandelt,
aber leider keinen echten Fortschritt bringt. Auch wenn
der Antrag im Titel behauptet, es gehe um alle Arten von
nichtkommerziellen klinischen Studien, so greift er doch
ausschließlich die Arzneimittelforschung auf. Gerade
dies ist der Bereich der klinischen Forschung, wo Rege-
lungen im Interesse des Probandenschutzes existieren.
Viel relevanter wäre es, sich dem fehlenden Probanden-
schutz in der Nichtarzneimittelforschung zu widmen.
Doch nun zum Gegenstand des Koalitionsantrages.
Die Regelung nicht kommerzieller klinischer Arzneimit-
telstudien liegt an der Schnittstelle der Bereiche For-
schung und Gesundheit. Zentrale Regelungen finden
sich im auf EU-Richtlinien basierenden Arzneimittelge-
setz samt zugehöriger Verordnungen. Bei der 12. Arznei-
mittelgesetznovelle unter Rot-Grün wurden umfassende
Neuerungen für Arzneimittelstudien verabschiedet. Da-
bei wurde ausführlich über nichtkommerzielle Therapie-
optimierungsstudien diskutiert und der maximale Spiel-
raum innerhalb der EU-Richtlinie ausgelotet. Die
gefundenen Regelungen waren ein Kompromiss zwi-
schen den Bedürfnissen der Forschenden und den Inte-
ressen der Probandinnen und Probanden. Als positiver
Nebeneffekt wurde von verschiedener Seite angebracht,
dass durch die neuen Regelungen auch wissenschaftlich
eher fragwürdigen Studien ein Riegel vorgeschoben
würde. Das ist ein Wert an sich, weil er Probandinnen
und Probanden geschont hat und durch ein höheres Be-
gründungsniveau auch das Forschungsniveau angehoben
hat. Ein Grundproblem dieses Antrags und seiner Forde-
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ung nach Erleichterungen für nichtkommerzielle Arz-
eimittelstudien ist, dass er keinen Lösungsvorschlag für
as zentrale Problem bietet: die notwendige eindeutige
nd klare Abgrenzung zwischen kommerziellen und
ichtkommerziellen Studien.
Nun noch zwei konkrete Beispiele aus dem Antrag:
lle, die sich mit klinischen Studien befassen, wissen,
ass der Aspekt der Versicherung der Probandinnen und
robanden ein neuralgischer ist. Die Union erkennt das
usdrücklich an, die SPD nennt in der Ausschussbera-
ung sogar einen Lösungsvorschlag. Aber wie üblich
ann sich die Koalition nicht einigen, und so bleibt es
uch in dem Bereich, in dem die Regelungskompetenz
es Bundes eindeutig ist, bei einer vagen Absichtserklä-
ung. Sie fordern, „die Einrichtung einer Arbeitsgruppe
it der Versicherungswirtschaft und der Wissenschaft zu
rüfen, um einen Katalog von Risikoklassen der Proban-
enversicherung zu erstellen, nach dem zukünftige Versi-
herungsbeiträge abgestuft entrichtet werden könnten.“
s geht also darum, dass erst einmal geprüft wird, ob sich
ie Beteiligten zusammensetzen können – ehrlicherweise
st vielleicht eher zu prüfen, ob die das wollen –, um dann
ber Risikokriterien zu reden, nach denen Versicherungs-
eiträge ausgestaltet werden können. Statt der Bundesre-
ierung klare Arbeitsaufträge zu erteilen, schiebt die Ko-
lition den Ball den beiden Parteien zu, die diametral
nterschiedliche Interessen haben. Sieht so politische
estaltung aus? Da hilft kein weiterer Stuhlkreis des Mi-
isteriums mit der Wirtschaft, da müssen mit Fachleuten
riterien entwickelt werden, und dann muss politisch
ntschieden werden. Und genau hier, bei der Versiche-
ungsfrage, kann sich die Bundesregierung nicht hinter
er Kompetenzfrage verstecken: Das Versicherungsrecht
st Bundesrecht. Hier muss nachgelegt werden. Denn an
inen Placeboeffekt, dass die Versicherungswirtschaft
ich allein aufgrund einer Arbeitsgruppe bewegen wird,
laubt die Koalition doch selbst nicht!
Mein zweites Beispiel für die Hasenfüßigkeit des An-
rags ist die wachsweiche Forderung zum Register. Wir
ind uns doch einig, dass abgestimmte und auf dem
euesten Stand basierende Forschung nur dann möglich
st, wenn es ein, möglichst in internationale Strukturen
ingebundenes, nationales Register über alle in Deutsch-
and durchgeführten klinischen Studien gibt. Nur dann
issen die Forschenden, was die Fragestellungen und
rgebnisse, aber eben auch die Nebenwirkungen sowohl
er laufenden als auch der abgeschlossenen und abge-
rochenen Studien sind. Aber statt entsprechende gesetz-
iche Regelungen vorzuschlagen, äußern Sie demütig
ine Bitte an die Bundesregierung. Wer ist hier eigent-
ich der Gesetzgeber? Ich dachte, es sei die Koalition
nd sie habe auch Einfluss auf das Regierungshandeln –
ber dieser Antrag lässt nur den Schluss zu, dass dies
icht der Fall ist. Unser Fazit: Wir lehnen den Antrag ab,
eil sich der Antrag der Koalition darauf beschränkt, die
undesregierung sehr abstrakt zum Handeln aufzufor-
ern. Der Antrag hat den Charakter eines reinen „Tätig-
eitsnachweises“ gegenüber den Forscherinnen und For-
chern. Wirklich weiterbringende Ergebnisse sind nicht
u erwarten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15037
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Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht: Für eine
Initiative der Bundesregierung mit dem Ziel
einer humanitären, kohärenten und nachhal-
tigen Ausrichtung der europäischen Flücht-
lingspolitik
– Antrag: Die deutsche Ratspräsidentschaft
für eine grundlegende Wende der europäi-
schen Migrations- und Flüchtlingspolitik
nutzen
(Tagesordnungspunkt 14)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Die Anträge der
Grünen und der Linken beziehen sich auf Erwartungen
zur europäischen Flüchtlingspolitik im Rahmen der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die ersichtlich be-
reits längere Zeit hinter uns liegt. Deswegen kann ich bei
dieser Gelegenheit festhalten: Die deutsche EU-Ratsprä-
sidentschaft war, insbesondere was die Fragen der
Flüchtlingspolitik und der inneren Sicherheit angeht,
sehr erfolgreich, gerade weil wir die Anträge der Oppo-
sition nicht berücksichtigt haben. Herzlichen Glück-
wunsch an das Bundesinnenministerium.
Wenn man die Anträge heute liest, stellt man fest, das
auch andere EU-Staaten – übrigens unabhängig davon,
ob dort Sozialisten oder Konservative regieren – gerade
nicht die Politik betreiben, die Grüne und Linke für
Deutschland fordern.
Ob Spanien, Italien, Griechenland oder Malta, alle
diese Länder haben – bei Beachtung der europäischen
und internationalen Menschenrechts-Konventionen – die
Grenzsicherung verstärkt. Sie haben begriffen, dass man
keine falschen Pull-Effekte aussenden darf. Sie haben
klar erkannt, dass eine Politik, die die Zuwanderung
nicht steuert, am Ende nur Schleppern und Schleusern
nutzt. Wir können das Flüchtlingselend in Afrika oder
anderen Regionen der Welt nur vor Ort, aber nicht auf
dem Boden der Europäischen Union lösen.
Alle Länder haben eine konsequente Rückführungs-
politik betrieben, wie wir das in Deutschland angesichts
der großen Zuströme von Rumänen und Bulgaren Mitte
der 90er-Jahre gemacht haben. Nur eine konsequente
Rückführung kann vor Ort in Afrika oder Asien Schlep-
pern oder Schleusern das Handwerk legen, weil es sich
herumspricht, dass es keinen Sinn macht, zum Teil
Zehntausende von Dollar auszugeben und dann in Le-
bensgefahr im Mittelmeer oder vor den Kanarischen In-
seln zu geraten oder nach kurzer Zeit bereits wieder in
das Heimatland abgeschoben zu werden.
Wir haben im Rahmen von FRONTEX solidarisch
den Mittelmeeranrainern geholfen, illegale Migration zu
unterbinden und die EU-Außengrenzen zu sichern, und
wir haben auch den besonders belasteten Transitländern
humanitäre Hilfe und organisatorische Unterstützung ge-
währt. Ich will eines klar betonen: Gerade angesichts des
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mmer größer werdenden Schengen-Raums gibt es zu ei-
er lückenlosen und effizienten Grenzsicherung keine
lternative.
Diese Erkenntnis hat sich jetzt – man möchte sagen:
ndlich – auch bei der Brüsseler EU-Kommission
urchgesetzt. Die EU-Kommission hat jetzt ein Maß-
ahmenpaket gegen die illegale Migration vorgelegt:
in sogenanntes Entry-Exit-System, das nicht nur alle
inreisenden, sondern erstmals auch ausreisende Besu-
her an den Grenzübergängen registrieren soll. Damit
erden wir insbesondere das Problem der Overstayer
esser lösen können, also die Feststellung von Perso-
en, die zwar ein reguläres Visum haben, sich jedoch
änger als erlaubt im Schengen-Raum aufhalten und
omöglich während ihres Aufenthalts auch andere
eisezwecke verfolgen. Es sollen erstmals auch Fin-
erabdrücke und Fotos von allen Visumantragstellern
emacht werden. Damit können wir den Visummiss-
rauch entschieden bekämpfen.
Zweitens soll es für alle Besucher der EU eine elek-
ronische Reisegenehmigung geben, auch wenn diese
ein Visum benötigen. Dies spielt vor allem bei Ländern
ie Spanien bei der illegalen Zuwanderung aus Latein-
merika eine Rolle. Und drittens soll EUROSUR ein eu-
opäisches Überwachungssystem etabliert werden, das
lle nationalen Radarschirme, Infrarotkameras und Sa-
ellitensysteme organisatorisch zusammenfügt, um eine
ückenlose Überwachung der EU-Außengrenzen zu ge-
ährleisten.
Und wer jetzt davon redet, dass sich Europa weiter
bschottet, dass es eine Festung Europa gibt, dem kann
an nur entgegenhalten: Nein, in Wahrheit geht es da-
um, mit der Verhinderung der illegalen Zuwanderung
ben auch Tote unter den Bootsflüchtlingen im Mittel-
eer zu verhindern. Wer nichts tut, der macht sich mit-
chuldig daran, dass Schleusern und Schleppern nicht
ndlich das Handwerk gelegt wird.
Wir müssen die Steuerung der Zuwanderung in einen
rößeren und aktuellen Zusammenhang stellen. Ich bin
utiefst davon überzeugt, dass wir noch riesige Aufga-
en bei der Integration der bereits in der EU lebenden
usländer zu bewältigen haben. Man spürt das in diesen
agen vor dem Hintergrund der Kontroversen aus An-
ass des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten
rdogan bei uns im Land. Man kann das in Frankreich
rleben angesichts der massiven Integrationsprobleme in
en Vorstädten.
Und auch im derzeit laufenden spanischen Wahl-
ampf ist die Frage der Steuerung der Zuwanderung ein
entrales Thema, weil sich die Lage auf dem Arbeits-
arkt in Spanien gerade bei niedrig qualifizierten Tätig-
eiten gewaltig verändert hat und jetzt angesichts einer
achsenden Konkurrenz zwischen einheimischen Ar-
eitskräften und den legalisierten Zuwanderern Integra-
ionsprobleme immer stärker aufbrechen.
Wir haben als Union ganz bewusst gesagt: Unser
and ist ein Integrationsland und kein Einwanderungs-
and. Einwanderungsländer zeichnen sich dadurch aus,
ass sie streng an den Interessen des Aufnahmelandes
15038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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orientiert die Zuwanderung steuern. Das haben wir in
Deutschland; das haben die Franzosen oder Spanier
nicht getan. Wir haben eine unbegrenzte Zuwanderung
mit massiven Integrationsproblemen als Folge daraus er-
lebt. Ich kann nur dazu aufrufen: Lasst uns jetzt konse-
quent die Integrationsprobleme in unserem Land und in
Europa beseitigen, und lasst uns nicht durch weitere un-
gesteuerte Zuwanderung den Integrationsprozess von
vornherein gefährden.
Wir halten auch nichts davon, jetzt in Europa eine
umfassende Arbeitsmigration zu ermöglichen. Das muss
jeder einzelne Mitgliedstaat im Lichte der spezifischen
Situation des jeweiligen nationalen Arbeitsmarktes
selbst entscheiden. Wir in Deutschland haben ausrei-
chende gesetzliche Grundlagen, um vom Wissenschaft-
ler über den qualifizierten Facharbeiter bis hin zur
Pflegekraft oder dem Spargelstecher ausländische Ar-
beitskräfte in unser Land zu holen, wenn der heimische
Arbeitsmarkt die Besetzung der jeweiligen Stelle nicht
ermöglicht. Wir müssen jetzt erst einmal abwarten, wie
sich die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit zugunsten der
zehn neuen Beitrittsländer auswirken wird, die wir 2009
oder spätestens 2011 aufnehmen werden.
Ich gehöre übrigens nicht zu jenen, die sagen: Ihr habt
die Entwicklung in Deutschland verschlafen. Die wirk-
lich guten Arbeitnehmer sind jetzt alle in Großbritannien
oder in den Niederlanden. Allein wegen der räumlichen
Nähe zu Polen oder Tschechien werden viele qualifi-
zierte Arbeitnehmer auch aus anderen EU-Staaten nach
Deutschland weiterwandern und hier nach Arbeit su-
chen. Diesen Prozess gilt es erst einmal abzuwarten.
Und im Verhältnis zu afrikanischen Staaten darf man
auch das Problem des sogenannten Brain Drain nicht
übersehen. Die Entwicklung vieler afrikanischer Staaten
würde erheblich belastet, würden wir die besten Kräfte
aus diesen Ländern nach Europa abziehen. Deshalb kann
man allenfalls über eine zirkuläre Migration nachden-
ken, bei der eine Rückkehr der ausländischen Arbeits-
kräfte in ihre ursprünglichen Heimatländer auch mit ei-
ner Verbesserung der wirtschaftlichen Lage vor Ort
verbunden wird. Weil diese Menschen neben Devisen
auch berufliche Qualifikationen mitbringen, die vor Ort
für die Entwicklung dieser Länder förderlich sein kön-
nen. Gleichzeitig könnte diese zirkuläre Migration in
EU-Ländern, in denen die illegale Beschäftigung in ein-
zelnen Wirtschaftszweigen ein großes Ausmaß hat, eine
sinnvolle Alternative darstellen, die Zuwanderung auf
den Arbeitsmarkt zu steuern.
Eines muss aber völlig klar sein, und das gilt übrigens
auch für die Blue-Card-Initiative von EU-Kommissar
Frattini: Eine zirkuläre Migration ist nur in solchen Län-
dern vertretbar, die über einen aufnahmefähigen Arbeits-
markt verfügen. Und die Staaten in Afrika und Asien
müssen sich im Rahmen von Partnerschaftsabkommen
verpflichten, ihre Staatsangehörigen und möglicherweise
auch Drittstaatler zurückzunehmen, sodass die Rückfüh-
rung reibungsloser funktioniert als dies im Augenblick
der Fall ist.
Ein wenig fassungslos reagiert man dann auf die For-
derung der Linken nach einem neuen Visakodex. Der
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rundsatz „Reisefreiheit vor Sicherheit“ wird wieder
us der Kiste geholt, als ob es einen Visa-Untersu-
hungsausschuss nicht gegeben hätte. Ich bleibe dabei:
ir müssen Menschenhandel und Zwangsprostitution
onsequent bekämpfen und dürfen dem durch ein laxe
isapolitik nicht Vorschub leisten.
Ich will nochmals betonen: Die Grenzschutzbehörden
er EU-Mitgliedstaaten wissen um ihre Verantwortung.
ie retten in Seenot geratene Flüchtlinge und handeln
em Völkerrecht entsprechend. Ermittlungen gegen ein-
elne Seeleute haben ihren Grund nicht in einer unsiche-
en Rechtsgrundlage, sondern in dem Versuch vieler EU-
taaten, die Schleuserkriminalität entschieden zu be-
ämpfen und deshalb allen Verdachtsmomenten ent-
chieden nachzugehen.
Im Übrigen ist nach wie vor der viel wichtigere Weg
llegaler Migranten der Landweg. Hier muss – ich wie-
erhole das – gerade nach der Schengen-Erweiterung
on unseren Grenzschutz- und Polizeibehörden noch
ehr getan werden, um illegale Zuwanderung zu unter-
inden. Ich will in diesem Zusammenhang auf die mas-
iv gewachsene Zahl von Asylbewerbern verweisen. Wir
aben mehr als eine Verdoppelung der Zugangszahlen
ei Asylsuchenden aus dem Irak. Dies birgt auch erheb-
iche Gefahren für die innere Sicherheit.
Wir brauchen eine europäische Flüchtlingspolitik mit
ugenmaß. Wir brauchen eine Politik, die Integration
rmöglicht und den Zusammenhalt in unserer Gesell-
chaft nicht gefährdet. Wir brauchen deshalb eine konse-
uente Steuerung der Zuwanderung, und dies schließt
ie Sicherung unserer Außengrenzen in Europa ebenso
in wie die unverzügliche Rückführung illegaler Mi-
ranten.
Rüdiger Veit (SPD): Der Schutz von Flüchtlingen ist
ine wichtige europäische Aufgabe. Seitdem die EU vor
unmehr bald zehn Jahren die Kompetenz erhalten hat,
en Umgang mit Flüchtlingen gemeinsam zu gestalten,
at sie einiges erreicht. Wir haben gemeinsame euro-
äische Standards für das Verfahren, für die Frage, wer
in Flüchtling ist und welche Rechte er hat, für die Auf-
ahmebedingungen, und wir haben ein gemeinsames
uständigkeitssystem – um nur einige Eckpfeiler zu nen-
en. Auch hat die EU mit der Grenzschutzagentur
RONTEX ein Mittel geschaffen, um die europäischen
ußengrenzen in gemeinsamer Anstrengung zu sichern.
Auf welche Weise sollen die bisherigen Bemühungen
ortgesetzt werden? Diese Frage wird in den Anträgen,
ber die wir heute diskutieren, aufgeworfen. Sie betref-
en die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Mi-
rations- und Flüchtlingspolitik, geben aber nicht in al-
en Punkten die richtigen Antworten.
Insbesondere aber ist der eigentliche Anlass der An-
räge nicht mehr gegeben. Sie sind darauf gerichtet, dass
ie Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsident-
chaft Initiativen zur Verbesserung des Flüchtlingsschut-
es ergreifen möge. Damit enthalten sie einen Appell,
er ins Leere geht: Die deutsche Ratspräsidentschaft en-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15039
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dete bekanntlich am 30. Juni 2007. Schon deshalb sind
die Anträge aus formalen Gründen abzulehnen.
Diese Ablehnung darf indes nicht darüber hinweg
täuschen, dass die Anträge in ihrem Grundanliegen in
die richtige Richtung weisen. Ihnen beiden liegt das Be-
kenntnis zu völkerrechtlichen Garantien zugrunde, ins-
besondere zum Gebot des Non-Refoulment aus der Gen-
fer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK). Damit erinnern sie
uns zu Recht an elementare Verpflichtungen – Verpflich-
tungen übrigens, die die EU selbst im Haager Programm
und im EG-Vertrag zum Maßstab ihrer Politik erhoben
hat.
Die Ablehnung darf ebenso wenig darüber hinweg-
täuschen, dass es einen anderen aktuellen Anlass gibt,
die in den Anträgen angesprochenen Themen zu erör-
tern. Im vergangenen Juni hat die Kommission ein
„Grünbuch Asyl“ herausgegeben, das erst nach Veröf-
fentlichung der hier diskutierten Anträge erschienen ist.
Nachdem die erste Stufe der Harmonisierung abge-
schlossen ist, hat die Kommission darin Vorschläge ge-
macht, wie die zweite Stufe gestaltet werden könnte. Auf
dieser Grundlage hat sie bereits für 2008 mehrere Recht-
setzungsinitiativen angekündigt. Sie alle betreffen die-
selbe Frage: Was können, was müssen wir in Zukunft
besser machen?
Ich möchte einige der Probleme aufgreifen, die in den
Anträgen angesprochen sind, und darlegen, welche Vor-
schläge die Kommission hierzu gemacht hat.
Lassen Sie mich zunächst etwas zur Verbesserung der
bestehenden Instrumente sagen. Im Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen wird die Richtlinie für Aufnahmebe-
dingungen angesprochen. Auch die Kommission hat die-
ses wichtige Instrument aufgegriffen und strebt eine
noch stärkere Angleichung an, damit Asylsuchende in
allen Staaten gleich behandelt werden. Vor allem aber
hat sie in einer auf das Grünbuch folgenden Evaluation
kritisiert, dass die Behandlung besonders schutzbedürfti-
ger Gruppen, also Minderjähriger, Folteropfer und Trau-
matisierter in vielen Staaten nicht ausreichend umgesetzt
ist. Dies sollten wir zum Anlass nehmen, die Umsetzung
in Deutschland kritisch zu betrachten. Auch nach dem
Richtlinienumsetzungsgesetz des vergangenen Sommers
bleiben Lücken bestehen. Insbesondere müssen wir erör-
tern, wo in der Behandlung von Minderjährigen, von
Folteropfern und von Traumatisierten nachgebessert
werden muss.
Der Antrag der Linken thematisiert ausdrücklich das
Konzept der sicheren Dritt- bzw. Herkunftsstaaten. Auch
die Kommission hat dies getan und dazu aufgefordert,
Inhalt und Mehrwert dieses Konzeptes neu zu bewerten.
Damit hat sie – mit noch offenem Ausgang – die Kritik
aufgegriffen, die UNHCR und NGOs wiederholt geäu-
ßert haben. Mit Recht: Wir müssen nicht nur kritisch
evaluieren, ob das Konzept die Gefahr von Kettenab-
schiebungen in sich birgt, wir müssen auch die Frage
stellen, ob es überhaupt praktikabel ist. Die einzigen
Nicht-EU-Staaten, die als sichere Drittstaaten gelten,
sind Norwegen, Island und die Schweiz, Staaten also,
die bereits jetzt oder, im Falle der Schweiz, ab Ende
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008 am Dublin-II-System beteiligt sind. Darüber hi-
aus konnte eine Einigung im Rat auf eine gemeinsame
iste von Staaten, die den Anforderungen der Verfah-
ensrichtlinie genügt, bislang nicht erzielt werden.
Lassen Sie mich weiterhin etwas zur europäischen
renzschutzagentur FRONTEX sagen. Der Antrag der
inken fordert die Einstellung der Unterstützung von
RONTEX Dies teile ich nicht. Die Kontrolle der Au-
engrenzen ist seit dem Amsterdamer Vertrag eine ge-
einsame europäische Aufgabe. Unser Ziel kann nicht
ie Revidierung europäischen Primärrechts sein, unser
iel muss seine Umsetzung sein. Zu dieser Umsetzung
ählt, dass die Aufgaben von FRONTEX in Überein-
timmung mit dem Non-Refoulment-Gebot wahrgenom-
en werden müssen.
Auch die Kommission hat im Grünbuch folgende
rage aufgeworfen: Wie kann sichergestellt werden,
ass bei Grenzschutzmaßnahmen zur Bekämpfung der
llegalen Einwanderung der Zugang schutzbedürftiger
ersonen zum Asylverfahren nicht beeinträchtigt wird?
ier ist noch einiges zu klären. So hat die Bundesregie-
ung noch vor zwei Jahren auf eine kleine Anfrage ge-
ntwortet, das Gebot des Non-Refoulment der GFK
elte erst bei territorialem Gebietskontakt. Finden die
xterritorialen Maßnahmen von FRONTEX also in ei-
em rechtsfreien Raum statt? Der UNHCR, das Deut-
che Institut für Menschenrechte und mehrere NGOs
ommen in aktuellen Stellungnahmen zum gegenteili-
en Ergebnis – mit guten Argumenten. Sie sehen, hier
esteht auch bei uns erheblicher Diskussionsbedarf.
Lassen Sie mich abschließend etwas dazu sagen, dass
ich beide Anträge positiv auf das Konzept des Resettle-
ent beziehen. Worum handelt es sich hierbei? Es geht
m eine Idee, bei der in Zusammenarbeit mit dem
NHCR Verfahren entwickelt werden sollen, mit denen
esonders schutzbedürftige Personen von EU-Ländern
reiwillig aufgenommen werden. Die Kommission be-
ennt sich im Grünbuch zum Resettlement als wichti-
em Teil der externen Dimension der EU-Asylpolitik.
ie Diskussion in Deutschland über Resettlement wird
erade wieder neu belebt. Nehmen wir die Haltung der
ommission zum Anlass, das Konzept offen zu bewer-
en.
Aus den oben genannten Gründen plädiere ich für die
blehnung der Anträge. Gleichzeitig aber plädiere ich
afür, über die in ihnen angesprochenen Themen weiter
u diskutieren. Die zweite Stufe der Asylrechtsharmoni-
ierung steht an. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, sie
m Sinne derer zu gestalten, die den Schutz Europas
ringend benötigen.
Florian Toncar (FDP): Mit erschütternder Regelmä-
igkeit erreichen uns dramatische Nachrichten von
lüchtlingen, die auf dem Weg nach Europa im Mittel-
eer und vor den Kanarischen Inseln Schiffbruch erlei-
en und umkommen. Die Hoffnung auf Verbesserung
er eigenen wirtschaftlichen Lage treibt viele Personen,
esonders junge, dazu, eine von Strapazen gekennzeich-
ete Reise aus ihrer Heimat durch Transitländer in der
ahel-Zone bis nach Nordafrika zu unternehmen, um
15040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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von dort aus die Seereise in die EU anzutreten. Auf ih-
rem langen Weg sind diese Menschen oft korrupten Be-
amten ausgeliefert und müssen sich für den Transfer
über das Meer nach Europa in die Hände von skrupello-
sen Menschenschleppern begeben. Um der Verhaftung
zu entgehen, zwingen diese Seelenverkäufer die Flücht-
linge regelmäßig, noch vor Erreichen der europäischen
Küste ins Meer zu springen und die restliche Strecke
zum rettenden Land schwimmend zurückzulegen. Für
viele Flüchtlinge endet diese letzte Etappe tödlich. In an-
deren Fällen erweisen sich die Boote schon während
Überfahrt als nicht seetüchtig, sodass die Menschen an
Bord Schiffbruch erleiden.
Dieses immer wiederkehrende Leid fordert Europa
heraus, eine humane Lösung für die Flüchtlingsproble-
matik an den EU-Außengrenzen zu finden. Dabei ist
klar, dass die EU-Staaten gemeinsam handeln müssen,
denn viele Flüchtlinge steuern nach ihrer Ankunft in
Spanien oder Italien die nördlichen EU-Staaten an. Aus
diesem Grund ist ein gemeinsames europäisches Kon-
zept sinnvoll, das auch die Europäische Grenzschutz-
agentur FRONTEX einbezieht und das eine gerechte
Verteilung der entstehenden Lasten innerhalb der EU
vorsieht.
Der menschenwürdige Umgang mit den Flüchtlingen
an den EU-Außengrenzen allein kann langfristig jedoch
keine Abhilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingspro-
blems schaffen. Hier müssen neue Ansätze gefunden
werden, um die Zusammenarbeit der EU mit den Tran-
sitstaaten im Sinne einer Migrationseindämmung zu ver-
bessern. Ein Konzept, das nur auf die bessere Sicherung
der europäischen Küsten baut, setzt zu spät an. Deswe-
gen muss die EU ihre Zusammenarbeit mit den Transit-
staaten Nordafrikas und der Sahel-Zone intensivieren.
Langfristig wird der Flüchtlingsproblematik nur bei-
zukommen sein, wenn der Migrationsdruck in den Her-
kunftsstaaten entschärft wird. Dazu müssen sich die
Entwicklungsperspektiven für junge Menschen deut-
lich verbessern. Bei alledem darf Europa seine eigenen
Interessen nicht vernachlässigen, sondern muss eine ge-
steuerte Zuwanderung zulassen, die sich an den wirt-
schaftlichen Bedürfnissen in der EU orientiert. Davon
unberührt muss es Menschen weiterhin möglich bleiben,
in Europa ungehindert Schutz zu suchen und zu finden,
um politischer Verfolgung in ihrer Heimat zu entfliehen.
Der vorliegende Antrag der Grünen weist in vielen
Ansätzen in die richtige Richtung. So werden klare Re-
geln gefordert, die es Kapitänen erlauben, schiffbrüchige
Flüchtlinge zu retten und diese in der EU sicher an Land
zu setzen, ohne sich der Beihilfe zur illegalen Migration
schuldig zu machen. Das Gebot der Lebensrettung aus
Seenot darf nicht durch die Furcht vor etwaigen straf-
rechtlichen Konsequenzen ausgehebelt werden. Ebenso
sinnvoll ist die Forderung nach einer Vernetzung der na-
tionalen Seenotrettungsdienste und FRONTEX. Wenn
die Grünen sich für die Schaffung eines ausgewogenen
asyl- und migrationspolitischen Gesamtkonzepts einset-
zen, ist dies zu begrüßen. Hier besteht in der EU ein
Nachholbedarf.
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Leider gibt der Antrag auf andere wesentliche Fragen
eine Antwort. So blenden die Grünen die Intensivie-
ung der Zusammenarbeit der EU mit Drittländern wie
twa Marokko aus. Auch gibt der Antrag keinen Auf-
chluss auf die Frage, wie dem Migrationsdruck bereits
n den Herkunftsländern entgegengewirkt werden kann.
ierzu wäre eine spürbare Verbesserung der Lebensum-
tände notwendig, damit junge Menschen ihre Hoffnun-
en nicht auf eine gefährliche Odyssee ins Ungewisse
etzen. Die EU muss potenzielle Wirtschaftsmigranten
ereits in den Herkunftsländern über die teils lebensbe-
rohlichen Risiken aufklären, denen sie sich auf ihrem
igrationsweg aussetzen würden. Daneben müssen
iese Menschen bereits vor Reiseantritt erfahren, wie
art die Realität illegal eingewanderter Migranten in Eu-
opa allzu oft ist. In diesem Licht werden junge Men-
chen eher dazu zu bewegen sein, ihre Energie eher in
en Fortschritt ihres eigenen Landes zu investieren als
hr vermeintliches Glück im fernen Europa zu suchen.
ezielte Aufklärungskampagnen in einigen Staaten
estafrikas haben hier ermutigende Resultate erbracht.
Die Schlüsselfrage, wie die wirtschaftliche Situation
n den Herkunftsländern entspannt werden kann, damit
enschen sich nicht dazu gezwungen sehen, ihre Hei-
at zu verlassen, bleibt leider unbeantwortet. Auch
enn der Antrag einige sinnvolle Elemente enthält,
reift er zu kurz. Daher wird die FDP mit Enthaltung vo-
ieren.
Dagegen leistet die Fraktion Die Linke mit ihrem An-
rag einen vollkommen unzureichenden Beitrag zur De-
atte um eine europäische Flüchtlingspolitik. In polemi-
chem Duktus werden pauschale Schuldzuweisungen an
ie EU gerichtet, ohne praktikable Lösungen zu den
omplizierten Sachfragen aufzuzeigen. So kann keine
ede davon sein, dass die EU Migranten lediglich als In-
trumente behandele. Wenn die Linken die Einstellung
er Zusammenarbeit mit der Europäischen Grenz-
chutzagentur FRONTEX fordern, zeugt dies von feh-
endem Realitätssinn.
Zahlreiche andere Forderungen sind dazu geeignet,
ine starke Zunahme der unkontrollierten Zuwanderung
u befördern. Dabei nehmen die Linken weder Rück-
icht auf die Interessen der EU noch auf die wirtschaftli-
he Entwicklung in den Herkunftsstaaten, die dann mit
inem massiven Braindrain konfrontiert wären. Im Sinne
iner positiven Entwicklung in den Herkunftsländern ist
ieser Ansatz völlig verfehlt. In überzogen einseitiger
anier werden holzschnittartige Forderungen aufge-
tellt, die an den eigentlichen Ursachen der Flüchtlings-
roblematik vorbeigehen. Daher lehnt die FDP diesen
ntrag der Linken entschieden ab.
Aus liberaler Sicht muss die EU ein gemeinsames
onzept zur Bewältigung der Migrationsproblematik
ntwerfen. Dabei muss gewährleistet werden, dass Men-
chen, die in ihrer Heimat politischer Verfolgung ausge-
etzt wurden, in der EU weiterhin ungehindert Schutz
uchen und finden können. Um die Auswüchse irregulä-
er Migration zu entschärfen, muss eine verbesserte Zu-
ammenarbeit mit den Transitstaaten gesucht werden.
ie Wurzel des Problems besteht aber im bestehenden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15041
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Migrationsdruck in den Herkunftsstaaten. Nur die Ver-
besserung der Lebensperspektive junger Leute dort kann
das Problem langfristig lösen. Hier müssen die deutsche
und europäische Entwicklungszusammenarbeit anset-
zen. Nebenbei bemerkt: Es hat sich gezeigt, dass diejeni-
gen Entwicklungsländer am erfolgreichsten sind, die so-
wohl rechtsstaatliche Grundsätze achten als auch ihre
Wirtschaft für den internationalen Handel öffnen und so
die Globalisierung nutzen. Beides sind Grundpfeiler li-
beraler Politik.
Deutschland und die EU haben ein Interesse daran,
Wege für eine gesteuerte Migration zu eröffnen. Die
FDP hat dazu für Deutschland ein Zuwanderungskon-
zept mit einem Punktesystem vorgestellt, das sowohl
den Bedürfnissen von Zuwanderern als auch den wirt-
schaftlichen Interessen Deutschlands Rechnung trägt.
Damit weist die FDP den Weg zu einer ausgewogen Zu-
wanderungspolitik.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Auch wenn die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft vorbei ist, das Thema
Flüchtlingsschutz behält seine traurige Aktualität.
Der Begriff „Schutz“ wird nach wie vor nur als
„Schutz“ der Außengrenzen verstanden – statt Flücht-
lingsschutz Grenzschutz. Statt Fluchtursachen werden
Flüchtlinge bekämpft. Priorität hat der Kampf gegen die
illegale Einwanderung.
Mehr Grenzschutz, mehr Rückübernahmeabkommen
und mehr gemeinsame Abschiebungen bilden die
Schlüsselelemente deutscher EU-Migrationspolitik.
Das europäische Asylsystem gleicht einer Schutzlot-
terie. Gerade das Dublin-System ist Grundstein für ein
unfaires und einseitiges EU-Asylsystem: Solange die
Anerkennungspraxis in der EU enorm unterschiedlich
ist, widerspricht das Dublin-System eklatant dem
Grundsatz eines möglichst effektiven Flüchtlingsschut-
zes. Denn unzähligen Flüchtlingen in der EU wird völlig
willkürlich ein Schutz verwehrt, obwohl sie ihn in einem
anderen EU-Land erhalten würden.
Für Flüchtlinge aus Tschetschenien entscheidet bei-
spielsweise die Frage, ob sie in Warschau oder in Wien
ihr Asylverfahren durchlaufen müssen, über Schutzsta-
tus oder weitgehende Rechtlosigkeit.
Und so wurden in den ersten Tagen nach der Grenz-
öffnung im deutsch-polnischen Grenzraum vermehrt
Flüchtlinge aus Tschetschenien aufgegriffen. Menschen
aus dieser Bürgerkriegsregion haben nämlich in Polen
gar keine Chance auf Asyl, in Deutschland eine kleine
Chance und die besten Aussichten, wenn sie es nach Dä-
nemark oder Österreich schaffen.
Natürlich suchen Flüchtlinge ihren Zufluchtsstaat
nicht vordergründig nach der jeweiligen Gesetzgebung
und Anerkennungsquote aus. Das würde auch Kennt-
nisse voraussetzen, die die Betroffenen im Regelfall
nicht haben. Es sind vor allem familiäre Kontakte, Mi-
grationsnetzwerke, Sprachkenntnisse usw., die bei der
Wahl des Zufluchtlandes eine entscheidende Rolle spie-
len.
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Aber das Dublin-System verhindert systematisch,
ass diese individuellen Gesichtspunkte überhaupt be-
ücksichtigt werden können. Und da muss man sich
icht wundern, wenn Menschen mit gutem Recht versu-
hen, menschenrechtswidrige Systeme und Grenzen zu
berwinden! Erst recht gilt das in Bezug auf Länder wie
olen oder Griechenland, die von der EU zwar mit per-
ekter elektronischer und sonstiger Ausstattung zur
renzabwehr und Migrationskontrolle ausgestattet wer-
en, bei denen es aber zugleich zum Beispiel bei den
ufnahmebedingungen erhebliche Mängel gibt.
Nach der Logik der Dubliner Regelungen werden
lüchtlinge, wie die angesprochenen Tschetschenen, und
atürlich Flüchtlinge generell nach Polen zurückge-
chickt. Von dort droht ihnen wiederum die Rückschie-
ung nach Weißrussland und von dort weiter zurück
ach Russland.
Das heißt: Das Dublin-System begünstigt, was die
enfer Flüchtlingskonvention genau verhindern wollte:
ie Kettenabschiebung von Flüchtlingen bis zurück in
hren Herkunftsstaat.
Ein weiteres Beispiel für solche Kettenabschiebungen
ind die irakischen Flüchtlinge, die über Griechenland
uf europäisches Territorium gelangt sind. In Norwegen
urde nun entschieden, dass keine Flüchtlinge nach
riechenland mehr zurückgeschoben werden dürfen,
eil ihnen die Kettenabschiebung droht.
Am Beispiel Griechenland wird die Fehlkonstruktion
es europäischen Asylsystems offensichtlich. Die Staa-
en an den Außengrenzen der EU werden allein gelassen.
ogenannte Hilfe erhalten sie zwar durch die EU-Grenz-
chutzagentur FRONTEX, aber nicht bei der Aufnahme,
ondern nur bei der völkerrechtswidrigen Zurückwei-
ung der Flüchtlinge auf hoher See.
Meine Fraktion wird dem Antrag der Grünen nicht
ustimmen, weil wir den dort vertretenen Ansatz für zu
urz gegriffen halten. Fast alle Forderungen sind zwar
erechtigt, zum Beispiel, dass das Gebot der Nichtzu-
ückweisung auch bei Aufgriffen auf hoher See gelten
uss. Aber die Art und Weise, in der die Grenzschutz-
gentur FRONTEX von den Grünen als hilfreicher Sa-
ariter dargestellt wird, dem es um die Seenotrettung
on Bootsflüchtlingen geht, halten wir für naiv und weit
n der Realität vorbeigehend.
Der Antrag gerät an vielen Stellen in Gefahr, mit einer
lühenden Menschenrechtsrhetorik und wirkungslosen
llgemein-Appellen das System der Abschottung und
ie Praxis der Abweisung in naiver Weise zu legitimie-
en. So sollen Menschen frühzeitig in Flüchtlinge und ir-
eguläre Migrantinnen und Migranten aufgeteilt werden.
Wir wenden uns gegen den herrschenden EU-Migra-
ions- und Flüchtlingsansatz, der zentral auf Abschot-
ung und „Auslese“ im nationalstaatlichen Eigeninte-
esse und Externalisierung des Flüchtlingsschutzes
asiert.
Abgelehnt wird von uns auch die maßlose Datener-
assung von Drittstaatsangehörigen und das Modell der
zirkulären Migration“. Dabei handelt es sich aus-
15042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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schließlich um die zeitlich begrenzte legale Erwerbstä-
tigkeit im puren Eigeninteresse der Nationalstaaten. Op-
fer wären im Gegenzug die Flüchtlinge. Mit der Abwehr
von Flüchtlingen soll Platz für die künftig erwünschten
und benötigten Migrantinnen und Migranten geschafft
werden.
Dazu bedarf es aber einer grundlegend neu ausgerich-
teten europäischen Migrations-, Flüchtlings- und Inte-
grationspolitik.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wöchentlich hören wir Schreckensmeldungen von ge-
kenterten Flüchtlingsbooten, von im Mittelmeer oder im
Atlantik ertrunkenen Flüchtlingen. Ich war im letzten
Jahr zweimal an der EU-Südgrenze: in Marokko, in Spa-
nien und auf den kanarischen Inseln. Einmal gemeinsam
mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen. Ich
denke, alle die einmal vor Ort waren, können bestätigen:
Die Situation der Flüchtlinge ist dramatisch. Vor diesem
Hintergrund hat meine Fraktion bereits Ende 2006 einen
umfassenden Antrag vorgelegt. Unser Ziel war und ist
es, endlich eine humanitäre, kohärente und nachhaltige
Ausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik zu er-
reichen.
Wenn ich mir nun in der Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses die Begründung von CDU/CSU und
SPD zur Ablehnung unseres Antrags anschaue, muss ich
sagen: Meine Damen und Herren, sie handeln zynisch!
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, schrei-
ben dort, sie wollen „durch Schutz der Außengrenzen,
konsequente Rückführungsaktionen und Hilfe vor Ort
die illegale, ungesteuerte Migration zum Erliegen brin-
gen“.
Wo leben Sie denn eigentlich, wenn Sie glauben:
„Wir ziehen um uns herum Mauern hoch und dann ver-
sucht schon niemand mehr, zu uns zu kommen“? Wo le-
ben Sie denn eigentlich, wenn Sie glauben, die Men-
schen würden sich auf den riskanten, gefährlichen Weg
in die EU machen, nur weil die Außengrenzen der Euro-
päischen Union so einladend frei zu überwinden seien?
Wenn Sie einmal mit Flüchtlingen gesprochen haben,
wenn Sie mitbekommen, aus welchen Lebensumständen
in ihren Heimatländern sie fliehen, dann würden Sie
nicht so tun, als könnte mit einer Abschottungspolitik
diese Migrationsbewegung „zum Erliegen“ gebracht
werden. Außerdem wissen wir doch längst, dass künftig
der voranschreitende Klimawandel ein weiterer Faktor
dafür sein wird, dass es ein Mehr an sogenanntem „Mi-
grationsdruck“ in Afrika und in anderen Teilen der Welt
geben wird. Ich bin entsetzt darüber, wie Sie hier unser
wichtiges Anliegen abtun, und dies angesichts so vieler
Toter, die wir jedes Jahr neu zu beklagen haben!
Und noch eines ist mir aufgefallen in ihrer Begrün-
dung: „Deutschland verhalte sich nicht passiv“ ist da zu
lesen. Das mag sein. Aber „aktiv“ verhält sich die Bun-
desregierung ganz bestimmt auch nicht. Offensichtlich
ist Ihnen dies bereits selbst aufgefallen. Dabei wäre
mehr Aktivität, mehr Engagement für Flüchtlinge sei-
tens der Bundesregierung dringend geboten.
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Lassen Sie mich nur an den erschütternden Fall vom
ai letzten Jahres erinnern, als 27 gekenterte Boots-
lüchtlinge drei Tage auf dem Meer vor der Küste Maltas
usharren mussten, bevor sie schließlich von der italieni-
chen Marine geborgen wurden. Hintergrund dafür wa-
en Streitereien zwischen Malta und Libyen über see-
echtliche Fragen und die Tatsache, dass sich Malta von
en übrigen Mitgliedstaaten der EU schlicht im Stich ge-
assen fühlte. Echte Konsequenzen aus diesem Vorfall
at bislang leider niemand gezogen. Dabei geschah diese
atastrophe doch während der ach so erfolgreichen
eutschen EU-Ratspräsidentschaft. Wenn es um das Ret-
en von Menschenleben geht, war die deutsche Präsi-
entschaft leider alles andere als erfolgreich.
Lassen Sie mich auch daran erinnern, dass es während
er deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Vorstoß von
roßbritannien, den Niederlanden und Schweden für
ine gemeinsame Aufnahme von irakischen Kriegs-
lüchtlingen gab. Auch diesen wichtigen Vorschlag zum
chutz von Flüchtlingen ließ Deutschland ins Leere lau-
en.
Es gibt unzählige Beispiele mehr, die zeigen, dass die
undesregierung nicht aktiv ist, wenn es um den Schutz
on Flüchtlingen und eine gemeinsame europäische
lüchtlingspolitik geht. Im Gegenteil: Sie steht auf der
remse, auch wenn es um Weg der legalen Zuwande-
ung in die EU geht.
Zugegeben, die Bundesregierung unterstützt die Pläne
er EU-Kommission für mehr zirkuläre und temporäre
igration – und diese Vorschläge sind zumindest im
rundsatz durchaus sinnvoll. Gleichzeitig macht sie
ber deutlich, dass sie an einer dauerhaften Migration
ein Interesse hat. Die Bundesregierung fällt damit zu-
ück in die alte Gastarbeiterlogik, den Irrglauben, man
önnte Menschen für ein paar Jahre zum Arbeiten ins
and holen und ihnen dann einfach wieder den Stuhl vor
ie Tür stellen. Aus alten Fehlern sollte man eigentlich
ernen. Zumindest Bundesinnenminister Wolfgang
chäuble scheint der Ansicht zu sein, alte Fehler sollte
an ständig wiederholen.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition,
ie betreiben hier eine falsche Politik: Sie setzen falsche
chwerpunkte, Sie unterstützen die immer weiterge-
ende Abschottung Europas nach außen und Sie schlie-
en gleichzeitig die Augen vor der Situation der Flücht-
inge und vor dem realen Problem Schwarzarbeit in der
U.
Gestern hat EU-Kommissar Franco Frattini ein „EU-
renzschutzpaket“ vorgestellt. Die Bewertung in den
edien ist weitgehend einhellig: „Europa schottet sich
b“. Die Vertreter von Flüchtlingsorganisationen haben
ehr zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass damit
n den Grenzen Europas technologisch aufgerüstet wer-
en soll, ohne dass Menschen in Not der Zugang zu ei-
em Asylverfahren erleichtert wird.
Ich fürchte, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis
uch hier die Bundesregierung ihre volle Unterstützung
ignalisieren wird. Von Innenminister Schäuble mag da
ichts anderes zu erwarten sein. Doch wenigstens von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15043
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den Kollegen der SPD würde ich mir wünschen, dass sie
die Empörung einiger ihrer sozialdemokratischen Kolle-
gen im Europäischen Parlament über eine solche Politik
hören und teilen würden. Schließlich geht es um Men-
schenleben.
Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben in Sa-
chen europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik
nicht gemacht. Die Chancen, die mit der deutschen EU-
Ratspräsidentschaft 2007 verbunden waren, hat sie nicht
genutzt. Wir haben mit unserem Antrag konkrete Vor-
schläge für eine humanitäre, kohärente und nachhaltige
Ausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik ge-
macht. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem
Antrag, im Sinne des Schutzes von Menschenleben.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung der Aufsichtsstruktur der Bun-
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz) (Zu-
satztagesordnungspunkt 5)
Leo Dautzenberg (CDU/CSU): In der morgigen Fi-
nanzmarktdebatte werden wir intensiv über die notwen-
digen Konsequenzen aus der US-Hypothekenkrise dis-
kutieren. Auch die Frage nach der Notwendigkeit einer
optimierten Aufsicht über bestimmte Refinanzierungs-
strukturen der Banken wird sich in diesem Zusammen-
hang möglicherweise stellen.
Getrennt von dieser wichtigen – allerdings mehr in-
ternational als national zu führenden – Debatte ist das
Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz zu betrachten,
das heute zur Verabschiedung ansteht. Mit dem
Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz setzen wir eine
Maßnahme um, die wir uns bereits im Koalitionsvertrag
vorgenommen haben.
Basierend auf der fünfjährigen Erfahrung mit der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin,
als Allfinanzaufsicht passen wir ihre Organisationsstruk-
tur an. Wir ersetzen die bisherige Präsidialstruktur der
BaFin durch ein fünfköpfiges Direktorium, weil wir
überzeugt davon sind, dass ein Direktorium den wach-
senden Aufgaben einer Allfinanzaufsicht besser gerecht
wird als eine Präsidialstruktur. Parallel zum Aufsichts-
strukturmodernisierungsgesetz, das die Organisation der
BaFin regelt, wird die neue Aufsichtsrichtlinie für bes-
sere Arbeitsabläufe in der Bankenaufsicht sorgen. Die
Kompetenzen von Bundesbank und BaFin in diesem Be-
reich werden klarer definiert und eindeutig der einen
oder anderen Institution zugewiesen. Auch dieses Ziel
hatten wir uns bereits im Koalitionsvertrag gesteckt und
als Hausaufgabe aus der Evaluation des Deutschen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung, DIW, mitgenommen.
Ich bin sehr froh, dass Bundesbank und BaFin hierzu
nun vor zwei Wochen gemeinsam eine gute Lösung ge-
funden haben. Ansonsten hätten wir als Gesetzgeber
bzw. das BMF auf dem Erlasswege tätig werden müssen.
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as ist dank der erzielten Einigung, die in der kommen-
en Woche auch formal durch den Bundesbankvorstand
estätigt werden wird, nun nicht mehr erforderlich.
Doch kommen wir – bevor mir ein paar Worte zur
ufsichtsrichtlinie erlaubt seien – zum Aufsichtsstruk-
urmodernisierungsgesetz und der darin angelegten
euen Organisationsstruktur der BaFin. Meine Fraktion
st überzeugt davon, dass es aus mehreren Gründen rich-
ig und wichtig ist, die bisherige Präsidialstruktur der
aFin durch ein Kollegialmodell in Form eines Direkto-
iums zu ersetzen.
Erstens geht es um die Entlastung des Präsidenten
on internen Verwaltungsaufgaben. Der Präsident ist zu-
ehmend mehr eingebunden in die Vertretung der deut-
chen Aufsicht in den europäischen und internationalen
remien. Zweitens sollen die einzelnen Aufsichtssäulen
estärkt und drittens insgesamt Entscheidungswege ver-
ürzt und damit Arbeitsabläufe effizienter gestaltet wer-
en.
Diese Zielsetzungen erreichen wir, indem wir dem
räsidenten vier Exekutivdirektoren zur Seite stellen: ei-
en Direktor für die Bankenaufsicht, einen Direktor für
ie Versicherungsaufsicht, einen Direktor für die Wert-
apieraufsicht und einen Direktor für „Querschnittsauf-
aben/Innere Verwaltung“. Im Regierungsentwurf lau-
ete die Bezeichnung noch „Grundsatzfragen/Innere
erwaltung“. Wir sind aber überzeugt davon, dass der
egriff „Querschnittsaufgaben“ treffender ist. Denn der
irektor für die innere Verwaltung wird vor allem dafür
uständig sein, Synergieeffekte zwischen den einzelnen
äulen voranzutreiben, das heißt, Querschnittsaufgaben
u definieren. Die Grundsatzfragen – verstanden als
estlegung der grundsätzlichen Ausrichtung der BaFin –
erbleiben selbstverständlich beim Präsidenten.
Damit die neue Führungsstruktur sich nicht nur im
rganigramm wiederfindet, sondern tatsächlich zu einer
erbesserten Effizienz der Arbeitsabläufe beiträgt, ist es
ichtig, dass die Direktoren die Ressortverantwortung
ür ihre Bereiche erhalten. Das stellt das Gesetz sicher,
ndem es ihnen die Organisations-, Finanz- und Perso-
alhoheit für den jeweiligen Geschäftsbereich erteilt.
ie Richtlinienkompetenz, das heißt die Entscheidung
ber die strategische Ausrichtung bzw. die Grundsatzfra-
en der BaFin verbleibt hingegen beim Präsidenten –
benso wie die gerichtliche und außergerichtliche Ver-
retung der BaFin. Dazu gehört vor allem die Interessen-
ertretung Deutschlands in den internationalen Gremien.
Ebenso wichtig wie die Verteilung der einzelnen Ver-
ntwortlichkeiten auf fünf Schultern ist für mich die Ver-
reiterung der Legitimationsbasis von wichtigen Be-
chlüssen. Laut Regierungsentwurf soll das Direktorium
ls tatsächliches Kollegialmodell funktionieren. Das
eißt, das Direktorium fasst seine Beschlüsse – bei-
pielsweise über den Erlass von Verwaltungsvorschriften
mit einfacher Mehrheit. Einzig bei Stimmengleichheit
ibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Gerade
ngesichts der komplexer werdenden Anforderungen an
ie BaFin halte ich es für sachgerecht, dass wichtige
ntscheidungen künftig nicht mehr von einem Präsiden-
15044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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ten alleine, sondern – nach eingehender Beratung – von
einem fünfköpfigen Direktorium getroffen werden.
Wie bei jeder Organisation, so wird auch der Erfolg
der neuen Führungsstruktur der BaFin von den handeln-
den Personen abhängen. Daher ist es unerlässlich. für die
neuen Direktoriumsposten kompetentes Fachpersonal zu
gewinnen. Dafür bedarf es einer angemessenen Bezah-
lung. In der Union begrüßen wir es deshalb sehr, dass
mit dem Gesetz die Besoldungsgruppe für die Direktori-
umsmitglieder von B 6 auf B 8 angehoben wird.
Abschließend bleibt mir zum Gesetzentwurf zu sagen,
dass wir uns in den Koalitionsfraktionen im Beratungs-
prozess für zwei kleine Änderungen entschieden haben:
Die erste Änderung betrifft die bereits angesprochene
Zuständigkeitsbeschreibung des Direktors für die innere
Verwaltung. Hier ersetzen wir die Bezeichnung „Grund-
satzfragen/Innere Verwaltung“ durch „Querschnittsauf-
gaben/Innere Verwaltung“. Die zweite Änderung betrifft
die Vertretung des Direktoriums im Verwaltungsrat. Mit
der neuen Formulierung stellen wir sicher, dass sowohl
der Präsident als auch die Direktoren eine Berichts-
pflicht im Verwaltungsrat haben.
Erlauben Sie mir nun noch einige Worte zur neuen
Aufsichtsrichtlinie, auf die die Deutsche Bundesbank
und die BaFin sich vor 14 Tagen verständigt haben und
die nur noch der formalen Bestätigung durch den Vor-
stand der Bundesbank bedarf. Ich begrüße die neue Auf-
sichtsrichtlinie ausdrücklich. Sie setzt zentrale Forderun-
gen meiner Fraktion um. Die Richtlinie ist dazu
geeignet, Doppelarbeit von BaFin und Bundesbank zu
reduzieren und damit den bürokratischen Aufwand für
die beaufsichtigten Institute auf das notwendige Maß zu-
rückzuführen. Das wird durch eine – eindeutiger als bis-
lang formulierte – Kompetenzverteilung erreicht, die da
lautet: Die BaFin ist zuständig für alle aufsichtsrechtli-
chen Maßnahmen, die Bundesbank für die laufende
Überwachung aller Institute. Damit hat die Bundesbank
bei den bankgeschäftlichen Prüfungen den – von uns
auch eingeforderten – Vorrang vor Wirtschaftsprüfern.
Ebenso begrüßenswert wie die klare Aufgabentren-
nung zwischen Bundesbank und BaFin ist die gemein-
same Verantwortung, zu der sich beide Institutionen
ebenso bekennen. Manifest wird diese gemeinsame Ver-
antwortung zum Beispiel in der von beiden Institutionen
gemeinsam vorzunehmenden Einordnung der Institute in
systemrelevante Institute, Probleminstitute oder auf-
sichtsintensive Institute.
Abschließend darf ich sagen: Ich halte sowohl das
Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz als auch die
neue Aufsichtsrichtlinie für gelungen. Doch sowohl für
die neue Organisationsstruktur als auch für die neuen
Regeln der Zusammenarbeit zwischen Bundesbank und
BaFin gilt: Auf die gelebte Praxis kommt es an! In die-
sem Sinne, werbe ich bei Ihnen, meine Damen und Her-
ren, für die Zustimmung zum Gesetz. Bei den handeln-
den Personen in Bundesbank und BaFin werbe ich dafür,
die neuen Regeln positiv zu leben.
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Nina Hauer (SPD): Wir haben im Frühjahr 2002 mit
er Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
ungsaufsicht, BaFin, eine völlig neue Aufsichtsstruktur
ür den Finanzmarkt geschaffen. Die BaFin ist die zu-
tändige Aufsicht für alle drei Finanzmarktsektoren, also
ür das Versicherungswesen, den Wertpapierhandel und
ür das Bankenwesen. Zuvor war für jeden dieser Berei-
he ein eigenes Aufsichtsamt verantwortlich, und es
and zu wenig Informationsaustausch zwischen den Äm-
ern statt. Die SPD-geführte Bundesregierung war da-
als der Meinung, dass diese historisch gewachsene
ektorale Aufsichtsorganisation den Bedürfnissen unse-
es Finanzplatzes nicht mehr gerecht wird. Schließlich
ieten Versicherungen und Banken zunehmend ähnliche
rodukte zum Beispiel für die Altersvorsorge an, und
uch Finanzkonglomerate stellen neue Herausforderun-
en an die Finanzaufsicht.
Diese sogenannte Allfinanzaufsichtstruktur der BaFin
ieht heute keiner mehr ernsthaft in Zweifel. Sie hat sich
ewährt und zu einer höheren Expertise unserer Finanz-
ufsicht in sektorübergreifenden Risiken und Entwick-
ungen geführt. Schon 2002 war klar, dass – auch wenn
ich die Allfinanzidee bewähren würde – die BaFin nach
inigen Jahren der praktischen Erfahrung in ihrer Orga-
isation evaluiert werden muss. Wer sich mit den Fi-
anzmärkten beschäftigt, weiß, wie schnell sich dieser
irtschaftssektor weiterentwickelt und die Aufsicht
tändig neu herausfordert.
Im Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz organi-
ieren wir die Leitung der BaFin neu. Die BaFin ist zu
iner großen Behörde mit rund 1 700 Mitarbeitern ange-
achsen – was aufgrund der wichtigen und umfassenden
ufgaben, die sie bewältigt, auch nachvollziehbar ist.
leichzeitig werden sehr viele der wesentlichen Regu-
ierungsentscheidungen inzwischen in europäischen und
nternationalen Gremien getroffen. Hier muss die Lei-
ung der BaFin ebenfalls präsent sein und deutsche Auf-
ichtsinteressen vertreten. Auch auf nationaler Ebene
ind die Anforderungen an die Aufsicht erheblich gestie-
en. Deshalb wollen wir den Präsidenten stärken, indem
ir ihn von organisatorischen Aufgaben innerhalb der
aFin entlasten und ihm die Konzentration auf Aufga-
en im Ausland und auf Strategienfragen erleichtern.
Künftig wird die BaFin von einem Kollegialorgan ge-
eitet, in welchem neben dem Präsidenten vier Exekutiv-
irektoren vertreten sind. Einer der Exekutivdirektoren
bernimmt die Funktion des Vizepräsidenten. Die Zu-
tändigkeiten und Aufgabenbereiche der Mitglieder des
irektoriums werden im Organisationsstatut, das das Di-
ektorium einstimmig verabschieden muss, festgelegt.
rotz dieser Zuständigkeitsverteilung stehen aber die
eitungsentscheidungen der BaFin unter der Gesamtver-
ntwortung des Direktoriums. Mit dem Direktorium
ird der sektorübergreifende Ansatz der Allfinanzauf-
icht noch stärker betont, indem die für einzelne Sekto-
en zuständigen Direktoren gemeinsam Entscheidungen
reffen und vorausschauend auf Entwicklungen am Fi-
anzmarkt reagieren. Auf diese Weise kann die BaFin
en künftigen nationalen und internationalen Anforde-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15045
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rungen sowie ihrer komplexeren inneren Verwaltung ge-
recht werden.
So wird es künftig zum Beispiel einen Exekutivdirek-
tor geben, der für die innere Verwaltung dieser großen
Behörde zuständig sein wird. Das ermöglicht dem Präsi-
denten, sich auf die strategische Ausrichtung der Finanz-
aufsicht zu konzentrieren, ihm obliegt sozusagen die
Richtlinienkompetenz. Damit bestimmt der Präsident die
nationale Ausrichtung der BaFin und deren Positionie-
rung bei der überaus wichtigen Arbeit in internationalen
Gremien. Im parlamentarischen Verfahren haben wir uns
mit unserem Koalitionspartner geeinigt, diese hervorge-
hobene Position des Präsidenten auch bei der Unterrich-
tung des Verwaltungsrates zu zeigen: Es ist – nach unse-
rer gesetzlichen Klarstellung – Aufgabe des Präsidenten,
den Verwaltungsrat regelmäßig über die Geschäftsfüh-
rung der Bundesanstalt zu unterrichten.
Ich begrüße besonders, dass die künftigen eigenver-
antwortlichen Exekutivdirektoren attraktiver besoldet
werden. Wir wollen für diese Posten hochqualifizierte
Aufseher gewinnen, die den herausfordernden Aufgaben
gewachsen sind. Das ist übrigens auch der Wunsch der
Marktteilnehmer, die sich überwiegend für die Beibehal-
tung der vollständigen Finanzierung der Aufsicht durch
die regulierten Unternehmen aussprechen und an einer
„schwachen“ BaFin kein Interesse haben. Schließlich ist
eine starke Aufsicht heute eine Grundvoraussetzung, um
international als attraktiver Finanzplatz anerkannt zu
werden. Die derzeitigen Turbulenzen auf dem Finanz-
markt zeigen, dass wir für eine weiterhin schlagkräftige
und mit umfassender Expertise ausgestattete Leitung für
unsere Finanzaufsicht sorgen müssen. Dafür haben wir
mit dem Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz die
Voraussetzungen geschaffen.
Frank Schäffler (FPD): Die Bankenaufsicht ist der-
zeit ein großes Gesprächsthema, aber leider im negati-
ven Sinne. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht, BaFin, kommt wie eine Feuerwehr des
Finanzmarktes immer erst, wenn es schon lichterloh
brennt, statt im Vorfeld Feuer zu verhindern. Nötig wäre
in dieser Situation ein klares Konzept, wie die Aufsicht
effizienter gestaltet werden kann.
Vor einigen Monaten hat Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück auch angekündigt, nach einer „Reifezeit“ ent-
sprechende Vorschläge machen zu wollen. Was stattdes-
sen herausgekommen ist, ist nur der kleinste gemein-
same Nenner, zu dem die Koalition in der Lage war.
Immerhin wurde die im ursprünglichen Gesetzentwurf
vorgesehene Entmachtung der Bundesbank nicht umge-
setzt. Aber darüber hinaus haben Sie sich seitens der
Koalition für ein „Weiter so“ entschieden. An das Kre-
ditwesengesetz gehen Sie nicht heran. Die Aufsichts-
richtlinie soll neu gefasst werden, eine entsprechende Ei-
nigung zwischen BaFin und Bundesbank gibt es, aber
den Inhalt haben Sie noch nicht veröffentlicht, sodass
wir über diesen wesentlichen Punkt hier nicht diskutie-
ren können.
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Ihr Gesetzentwurf ist auch im Detail nicht stimmig,
bwohl Sie sich nur auf die Leitungsstruktur konzentrie-
en. So sprechen Sie von einer hervorgehobenen Stel-
ung des Präsidenten, im Gesetz kommt diese aber nicht
um Ausdruck; das hat auch die Anhörung deutlich ge-
acht. Wichtige Fragen wie die nach der Haftung für
ufsichtsversagen der BaFin und danach, wer künftig
ür aufsichtsfremde Aufgaben zahlen soll, werden nicht
eantwortet. Es ist aus rechtsstaatlicher Sicht inakzepta-
el, dass der Staat Beamte auswählt und einstellt, dann
ber Dritte im Falle von Fehlern zahlen müssen. In der
ollfinanzierung der BaFin durch die Unternehmen liegt
er Grund dafür, warum der BaFin ständig neue Aufga-
en übertragen werden, die gar nichts mit der Banken-
ufsicht zu tun haben. Die ständige Ausweitung der Auf-
aben trägt aber nicht zur Effizienz der Aufsicht bei, im
egenteil: Wer zu viel machen muss, der sieht am Ende
en Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Als Fazit ist festzuhalten, dass Sie seitens der Koali-
ion mit diesem Gesetz nur den Korruptionsfall bei der
aFin aufarbeiten, indem Sie den Präsidenten entmach-
en, aber die Zukunftsprobleme der Bankenaufsicht nicht
ösen. Wir brauchen eine effiziente Bankenaufsicht,
üssen aber gleichzeitig unnötige Bürokratie abbauen.
ier müssen Sie Ihre Hausaufgaben noch machen.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Seit der ersten Le-
ung im November letzten Jahres hat sich am Gesetzent-
urf in den Beratungen durch den Finanzausschuss lei-
er nicht eine Silbe verändert. Von daher widerlegt
ieses Gesetz den vielzitierten Ausspruch, kein Gesetz
ürde das Parlament verlassen, wie es eingebracht
urde. Leider gibt es daher zum Aufsichtsstrukturmo-
ernisierungsgesetz selbst auch nicht viel mehr zu sagen,
ls ich bereits in unserer Kritik in der ersten Lesung ge-
agt habe.
Es ist und bleibt dabei, dass der Gesetzentwurf groß-
purig mit der Äußerung beginnt, dass ein starker Fi-
anzplatz eine starke Aufsicht erfordere, er dann aber
raktisch nichts an der Substanz der Finanzaufsicht ver-
ndert. Oder wollen die Kolleginnen und Kollegen der
oalition ernsthaft behaupten, dass irgendein Akteur auf
em Finanzmarkt dadurch stärker und restriktiver beauf-
ichtigt wird, dass sie dem Präsidenten des Bundesamts
ür Finanzdienstleistungsaufsicht vier Direktoren an die
eite stellen? Anders als viele andere Gesetzentwürfe
er Koalition leidet der vorliegende Entwurf daher nicht
aran, dass er Schritte in die falsche Richtung tut, son-
ern daran, dass er gar keinen Schritt tut.
Von Ihrer ursprünglich großspurig angekündigten
erbesserung der Finanzdienstleistungsaufsicht und des
usammenspiels von Bundesbank und BaFin ist im Ge-
etz nichts angekommen. Denn ein solches Direktorium
st für sich nur soviel wert, wie es konkrete Instrumente
n die Hand bekommt, um die Finanzmärkte auch zu be-
ufsichtigen und wirksam zu kontrollieren. Mit Ihrem
ntwurf fallen Sie selbst hinter die ohnehin sehr beschei-
enen Reformziele des entsprechenden Eckpunktepa-
iers des Bundesfinanzministers zurück, der seinerseits
15046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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nicht gerade für drakonische Finanzmarktregulierung
bekannt ist.
Seit der ersten Lesung im Dezember ist sich die Fach-
welt nicht viel einiger geworden, wie weitreichend die
Folgen der aktuellen Finanzkrise für die Konjunktur in
Deutschland tatsächlich ist. Aber gerade jetzt, wo selbst
die Hauptprotagonisten auf den internationalen Finanz-
märkten, nämlich die Großbanken und die institutionel-
len Investoren, unsicher geworden sind und ihre Ge-
schäftspraxis kritisch in Zweifel ziehen, wäre der
geeignete Moment, um sie politisch enger an die Leine
der Regulierung zu legen. Die Bundesregierung be-
schwört immer, die großen Finanzmarktakteure seien
wegen der Globalisierung kaum mehr nationalstaatlich
einzuhegen. Auch wenn wir dies nur teilweise unter-
schreiben würden, wäre gerade jetzt wegen der Verunsi-
cherung vieler anderer mächtiger Regierungen die
Chance, substanzielle Schritte zu mehr Regulierung
auch international anzupacken.
Ihr Verhalten lässt deshalb nur einen Schluss zu:
Nicht die vermeintliche Machtlosigkeit nationaler Poli-
tik in Zeiten der Globalisierung ist der Grund für Ihr
Nichthandeln. Nein, Sie wollen es genau so! Sie wollen
die Spielräume der mächtigen Banken, Versicherungen
und Fonds nicht beschneiden und sie wollen den Rei-
chen und Superreichen, die wesentlich hinter diesen
Institutionen stehen, kein Haar krümmen.
Eine Sache hat sich seit der ersten Sitzung aber tat-
sächlich geändert: Sie haben angekündigt, dass die Re-
form der Führungsstruktur der BaFin nur der erste
Schritt sei; weitere gesetzliche Schritte entsprechend
dem Eckpunktepapier des BMF würden folgen. Faktisch
hat das BMF in der Zwischenzeit die Kompetenzabgren-
zung zwischen BaFin und Bundesbank am Gesetzgeber
vorbei durch eine Aufsichtsrichtlinie geklärt und hat es
offenbar nicht einmal für nötig gehalten, dies dem Fi-
nanzausschuss überhaupt mitzuteilen.
Nach allem, was wir bisher über diese Aufsichtsricht-
linie wissen, sieht es so aus, dass eher die Bundesbank
gestärkt aus der Rivalität mit der BaFin hervorgeht. Das
bedauern wir sehr, denn als Linksfraktion würden wir
zweifellos die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht lieber gestärkt sehen als die Bundesbank. Auch
an der Bafin ist sicherlich Kritik zu üben, aber diese be-
sitzt immerhin einen Verwaltungsrat, in dem auch fünf
Abgeordnete dieses Hauses vertreten sind. Somit ist, an-
ders als bei der Bundesbank, wenigstens ein Minimum
parlamentarische Kontrolle über die Finanzaufsicht ge-
geben.
Im Rahmen der morgigen Aussprache zur Finanz-
marktkrise werden sie von uns im Übrigen noch eine
Vielzahl von konkreten Vorschlägen hören, wie eine
wirksame Aufsicht in Deutschland aussehen müsste und
welche Regulierungen dafür gesetzlich verankert werden
müssten.
Nichtsdestotrotz, neben den richtigen Spielregeln
braucht man starke Institutionen, die diese Regeln
durchsetzen. Das erfordert eine starke und kompetente
demokratische Aufsicht. Ihr Aufsichtsstrukturmoderni-
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ierungsgesetz leistet in dieser Hinsicht einfach gar
ichts.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
iel des Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetzes soll
ie Effizienzsteigerung der Bundesanstalt für Finanz-
ienstleistungsaufsicht – kurz BaFin – sein.
Für einen starken Finanzplatz braucht man eine starke
ufsicht, da stimmen wir mit der Großen Koalition völ-
ig überein. Auch muss eine Aufsichtsbehörde gut für
ie internationale Zusammenarbeit mit den Partnerbe-
örden aufgestellt sein. All das teilen wir. Wir sehen
ber gravierende Defizite dieses Gesetzes und lehnen es
eshalb auch ab.
Deutschland ist mit seiner Allfinanzaufsicht auf dem
ichtigen Weg. Die vorhandenen Probleme bei der Fi-
anzaufsicht haben eher damit zu tun, dass dieser Weg
isher noch nicht konsequent gegangen wurde. Um die
rei Bereiche zusammenzuführen, bedarf es eines star-
en Präsidenten an der Spitze, der über den Bereichen
teht. Die ihm zur Seite stehenden Direktoren werden
etzt mit dem Gesetz aufgewertet, aus einer präsidialen
ird eine kollektive Führung. Wenn aber die Direktoren
n ihrer Kompetenz gestärkt werden, dann wird der Prä-
ident geschwächt, das kann nicht anders sein.
Das halten wir für den ersten Fehler dieses Gesetzes.
enn der Präsident muss gerade in diesen für die Finanz-
ärkte äußerst unruhigen Zeiten ständig sehr schwierige
ntscheidungen treffen und verantworten. Da schadet
hm jede Schwächung. Auch bei seinen Kolleginnen und
ollegen bei den andern Aufsichtsbehörden wird dieses
ignal zu Irritationen und Unverständnis führen. Warum
erade in einer solchen Phase eine Schwächung vorneh-
en? Uns leuchtet das auch nicht ein.
Vor allem aber leuchtet uns nicht ein, warum die Bun-
esregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht zu-
rst an eine Reform der Inhalte der Aufsicht gehen und
nschließend an eine dann möglicherweise notwendige
euordnung der Leitungsstruktur. Die gegenwärtige Fi-
anzmarktkrise hat eines besonders deutlich gemacht:
ie BaFin hat zu wenige Möglichkeiten, präventiv zu
andeln. Ob private oder öffentliche Banken – alle hät-
en von einer schlagkräftigeren Aufsicht profitiert, die
egenwärtige Krise hätte nicht solche Ausmaße anneh-
en müssen.
Die Bundesregierung hat es aber versäumt, vor einer
eform eine schonungslose Analyse der Situation auf
en Finanzmärkten und die Rolle der Aufsichtsstellen
orzulegen. Erst danach würde eine Strukturreform Sinn
achen. Dann wüssten wir, welche Rolle der Verbrau-
herschutz beispielsweise zukünftig einnehmen sollte,
m die Anlegerinnen und Anleger wirksam zu schützen,
elche Personalausstattung die BaFin nötig hätte, um
chlagkräftig und präventiv arbeiten zu können, und
elche Struktur auch eine EU-weite Aufsichtsstruktur
aben müsste. Wären diese Fragen geklärt, dann könnte
an anfangen, die BaFin an den festgelegten Zielen neu
uszurichten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15047
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Sie haben die organisatorische Neuordnung der Fi-
nanzmarktaufsicht zunächst getrennt von sonstigen Fra-
gen der Finanzaufsicht. Deswegen haben wir heute sozu-
sagen ein Minigesetz vorab. Dann aber haben Sie es
doch wieder verbunden mit der Frage der Neuaufteilung
der Kompetenzen zwischen Bundesbank und BaFin. Die
entsprechende Einigung lag uns Abgeordneten aller-
dings nicht vor, als wir über die Strukturreform der
BaFin gestern abschließend berieten und abstimmten.
Dabei ist die Frage der Kompetenzverteilung zwischen
den beiden Aufsichtsbehörden von zentraler Bedeutung
für den Finanzplatz Deutschland und natürlich auch für
die Zukunft der BaFin. Sonst wäre sie doch nicht so um-
stritten gewesen – auch zwischen den beiden Koalitions-
parteien.
Einer hat sich hier auf jeden Fall zurückgelehnt: Fi-
nanzminister Peer Steinbrück konnte sich aus der Aus-
einandersetzung zwischen BaFin und Bundesbank raus-
halten. Doch eine Lösung, auf die sich die beiden häufig
konkurrierenden Institutionen einigen, ist noch nicht
notwendigerweise eine gute Lösung für den Finanzplatz
Deutschland. Und genau darauf hinzuarbeiten, wäre
Aufgabe des Bundesfinanzministers gewesen. In der Sa-
che ist die Einigung zwischen Bundesbank und BaFin
fatal: Weiterhin werden Reibungsverluste die Arbeit der
Aufsicht insgesamt unnötig behindern, werden unklare
Aufteilungen von Zuständigkeiten dafür sorgen, dass
gute Aufsichtsarbeit in Deutschland schwieriger ist als
notwendig.
Die Bundesregierung zäumt bei dieser Reform der
Aufsichtsstruktur das Pferd von hinten auf. Sie stellt
Struktur vor Inhalt und das in einer so sensiblen Phase
wie der gegenwärtigen. Die große Koalition schwächt
mit dem vorliegenden Gesetz den Präsidenten national
und international, sie vertut die Chance, den Verbrau-
cherschutz zu stärken, und sie versäumt es, die BaFin
personell so auf die Höhe zu bringen, dass sie den immer
umfangreicheren und komplexeren Aufgaben des gegen-
wärtigen Finanzsystems gerecht werden kann.
Auch für die Aufsichtsstruktur selbst haben uns die
Sachverständigen im Ausschuss eine Reihe von guten
Vorschlägen mitgegeben, die von der Koalition leider
nicht aufgegriffen wurden. In besonderer Weise will ich
in diesem Zusammenhang den Vorschlag einer systema-
tischen Aufwertung und institutionellen Verankerung
des Verbraucher- und Anlegerschutzes nennen. Eine
Strukturreform der BaFin muss dieses grundlegende De-
fizit der deutschen Aufsichtsarchitektur überwinden,
dass niemand so richtig für den Schutz der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher da ist.
Häufig liegen die Informationen bei der BaFin vor,
dürfen aber nicht verwendet werden. Häufig führen Hin-
weise auf Insiderhandel, Geldwäsche oder ähnliche Ka-
pitalmarktdelikte nicht zu entsprechenden Verurteilun-
gen, weil Deutschland hier institutionell nicht gut
aufgestellt ist. Doch all das findet mit der heutigen Mini-
reform nicht statt – eine verpasste Chance.
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nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007 über
das System der Eigenmittel der Europäischen
Gemeinschaften (Tagesordnungspunkt 15)
Michael Stübgen (CDU/CSU): Am 7. Juni 2007 hat
er Rat der Europäischen Union den Beschluss über das
ystem der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaf-
en angenommen, einschließlich der zu diesem Be-
chluss abgegebenen Erklärungen. Der Beschluss soll an
ie Stelle des Beschlusses des Rates der Europäischen
nion vom 29. September 2000 über das System der Ei-
enmittel der Europäischen Gemeinschaften treten und
etzt die auf dem Europäischen Rat vom 15./16. Dezem-
er 2005 beschlossenen Änderungen des Eigenmittelsys-
ems um. Ziel ist es, eine fairere Lastenteilung innerhalb
er Europäischen Union zu erreichen, damit kein Mit-
liedstaat, gemessen an seinem relativen Wohlstand,
berhöhte Haushaltsbelastungen zu tragen hat.
Der neue Eigenmittelbeschluss ist, wie die früheren
nsgesamt fünf Eigenmittelbeschlüsse auch, in nationa-
es Recht umzusetzen. Die Umsetzung bestimmt sich
ach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 59
bs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Das klingt sehr rechts-
echnisch, bedeutet aber nichts anderes, als dass es sich
m ein Bundesgesetz handelt, mit dem Hoheitsrechte
es Bundes auf die Europäische Union übertragen wer-
en. Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat, die das
esetz ratifizieren, geben damit grünes Licht zum Fi-
anzregime der Europäischen Union in den Jahren 2007
is 2013, einschließlich der Einnahmen und Ausgaben
ür den Bundeshaushalt, und natürlich auch zur finan-
iellen Gewichtung und politischen Schwerpunktsetzung
er Europäischen Union in den verschiedenen Haus-
altsrubriken.
Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen zu-
ächst sagen, dass die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
undestag den vorliegenden Gesetzentwurf nachhaltig
nterstützt. Grundlage des jetzigen Eigenmittelbeschlus-
es ist der überaus erfolgreiche Europäische Rat vom De-
ember 2005, bei dem wir uns alle an die großartige Rolle
rinnern, die damals unsere gerade ins Amt gewählte
undeskanzlerin Angela Merkel bei den Verhandlungen
espielt hat. Sie hat es geschafft, ein monatelanges, quä-
ndes Tauziehen und Feilschen um Geld und Geschenke
nd schwere finanzpolitische Konflikte zwischen Franzo-
en und Briten über die gemeinsame Agrarpolitik und den
abatt für Großbritannien durch kluge Moderation und
esichtswahrende Kompromissvorschläge zu beenden.
ber nicht nur das: Beim Europäischen Rat in Brüssel im
ezember 2005 ist es gelungen, dem Anliegen der sechs
roßen Nettozahler der Union – Deutschland, Frankreich,
ngland, Niederlande, Schweden und Österreich – ge-
echt zu werden, den Finanzrahmen 2007 bis 2013 auf
Prozent des Bruttonationaleinkommens zu begrenzen.
ie Beschlüsse setzten damit ein Schreiben der sechs
taats- und Regierungschefs dieser Staaten an den damali-
en Kommissionspräsidenten Prodi um.
15048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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Das politische Signal, das die Bundesregierung damit
gegenüber der EU-Kommission gegeben hat und das die
CDU/CSU-Fraktion bis heute nachhaltig unterstützt,
lautet: Wir können in Europa das Geld nicht mit vollen
Händen ausgeben, wenn wir auf der Ebene der National-
staaten den Bürgern schmerzhafte Sparprogramme ab-
verlangen müssen und ihnen Einkommensstagnation und
höhere Steuern und Abgaben zumuten. Auch wenn die
EU-Kommission dieses Signal zunächst nicht verstan-
den hat und einen Finanzrahmen vorgelegt hat, der weit
über die Begrenzung von 1 Prozent hinausging – statt
840 Milliarden Euro 1025 Milliarden Euro oder
1,22 Prozent EU-BNP – hat sich am Ende die Vernunft
durchgesetzt. Heute profitieren wir davon. Der Finanz-
rahmen wurde durch die Nachsteuerung in der soge-
nannten Inter-Institutionellen Vereinbarung zwischen
Kommission, Rat und Europäischem Parlament zwar auf
864 Milliarden Euro erhöht – unter dem Strich zahlt die
Bundesregierung jedoch durchschnittlich 1 Milliarde Euro
pro Jahr weniger an die EU. Was ebenso wichtig ist: Die
Belastungsungleichgewichte bei den Nettozahlern in Be-
zug auf ihren BNP-Anteil wurden deutlich verringert.
Auch wenn für Deutschland der Nettosaldo immer noch
bei minus 0,4 Prozent liegt – der Abstand zu den übrigen
Nettozahlern hat sich ausweislich einer Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Frak-
tion vom 8. Februar 2006 auf maximal 0,1 Prozent ver-
ringert. So müssen Italien und Frankreich unter dem
Strich heute deutlich mehr zum EU-Haushalt beisteuern,
ihr Nettohaushalt hat sich deutlich erhöht und dem deut-
schen Saldo angeglichen. Auch das ist ein positives Er-
gebnis der Beschlüsse des Brüsseler Gipfels vom De-
zember 2005 und sicher auch ein Beitrag, zu mehr
Beitragsgerechtigkeit zu kommen.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch über den
britischen Beitragsrabatt reden. Es war leider nicht ver-
handelbar, für die Finanzperiode 2007 bis 2013 den briti-
schen Beitragsrabatt abzuschaffen, den Margaret Thatcher
beim Europäischen Rat in Fontainebleau 1984 mit der be-
rühmten und damals durchaus begründeten Forderung
„I want my money back!“ durchgesetzt hat. Der Briten-
Rabatt wurde in seiner Systematik erhalten. Aber es ist
gelungen, die Beitragskorrektur für Großbritannien
schrittweise abzusenken, immerhin bis zu einem Betrag
von 10,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2013. Dies war zu-
gegeben nur ein kleiner Schritt, es war aber zugleich ein
wichtiger Schritt, weil Großbritannien damit politisch an-
erkannt hat, dass es durchaus bereit ist, über notwendige
Korrekturen beim Rabatt zu verhandeln, wenn andere Un-
gerechtigkeiten im Beitragssystem, etwa bei unverhältnis-
mäßig hohen Vorteilen für andere Länder in der GAP,
ebenfalls korrigiert werden. Für die anstehende Midterm-
Review jedenfalls bietet sich hier durchaus ein Ansatz, die
Beitragsgerechtigkeit im EU-Finanzsystem weiter zu ver-
bessern und mehr Transparenz in das Dickicht der Son-
dervorteile einzelner Mitgliedstaaten zu bringen. Was die
Agrarpolitik anbelangt, so sage ich für die CDU/CSU-
Fraktion ausdrücklich, dass wir es begrüßen, dass in der
laufenden Periode ab 2010 die Ausgaben für die Rubrik 1
der Finanziellen Vorausschau, also für nachhaltiges
Wachstum, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt,
die Ausgaben für die Agrarpolitik erstmals übersteigen
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erden und auch die Ausgaben für die Rubrik III – Unions-
ürgerschaft, Freiheit, Sicherheit – sowie für die Rubrik IV
EU-Außenpolitik – deutlich steigen – leider nur auf das
iveau der Verwaltungsausgaben. Es bleibt also noch ei-
iges zu tun. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Eu-
opäische Union zukünftig noch mehr leisten kann in die
ereichen, die den Bürgern einen echten europäischen
ehrwert bringen: Außenpolitik und gemeinsame Vertei-
igung, Forschung und strategische Investitionsprojekte,
icherheit und Terrorismusbekämpfung – und zwar ohne
rneute Erhöhung der Obergrenzen für die Haushalte.
nd wir werden auch dafür Sorge tragen müssen, dass die
U-Kommission ihren Verpflichtungen zur Übersetzung
uropäischer Rechtssetzungsvorhaben in die deutsche
prache mit den vorhandenen Ressourcen nachkommt,
eil ansonsten das Gerede von der aktiveren Mitwirkung
er nationalen Parlamente an der europäischen Rechtset-
ung schnell zur Makulatur wird. Wenn die Parlamente
ie EU-Vorlagen ordentlich beraten sollen, was uns die
ommission immer wieder erklärt, und dafür sendet sie
em Deutschen Bundestag und den anderen nationalen
arlamenten ihre Vorlagen seit dem September 2007 ja
uch unmittelbar zu, dann müssen diese Dokumente auch
deutscher Sprache vorgelegt werden – das ist jedenfalls
ichtiger als im Monatsrhythmus neue Agenturen ins Le-
en zu rufen, die sich weitgehend der politischen oder par-
mentarischen Kontrolle entziehen und an deren Sinnhaf-
gkeit man mit Fug und Recht zweifeln kann.
Zum Eigenmittelbeschluss gehört auch – ich habe es
ereits erwähnt – die sogenannte Midterm-Review, ge-
auer gesagt: Die Midterm-Review hat die Einnahmen
nd Ausgaben der Europäischen Union und die politi-
che Ausrichtung und Schwerpunktsetzung der Finan-
iellen Vorausschau einschließlich der finanziellen Aus-
irkungen auf die Mitgliedstaaten, kurzum den
igenmittelbeschluss selbst zum Gegenstand. Dabei ha-
en wir gut verstanden, dass es nützlich sein kann, über
ine Finanzreform der Europäischen Union nicht zu früh
ffentlich nachzudenken, weil man damit unter Umstän-
en die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon gefähr-
en könnte – was wir alle, die Linksfraktion ausgenom-
en, im Deutschen Bundestag nicht wollen. Der Preis
ines erneuten Scheiterns einer Vertragsreform wäre zu
och. Aber ich will doch einige grundsätzliche Überle-
ungen in unsere Debatte heute einbringen, die ja auch
uf der Ebene der Kommission und im Europäischen
arlament angestellt werden. Der ehemalige österreichi-
che Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der auch beim
uropäischen Rat im Dezember 2005 dabei war, hat im
ergangenen Jahr in einer Veröffentlichung der Bertels-
ann-Stiftung geschrieben: „Das aktuelle System der
U-Finanzierung ist intransparent, komplex und unge-
echt. Deshalb muss es verändert werden. Zudem
raucht die Europäische Union mehr finanzielle Beweg-
ichkeit, um ihren globalen Verpflichtungen nachkom-
en zu können. Damit sie wieder über mehr finanzielle
igenmittel verfügt, sollte eine EU-Steuer ernsthaft ge-
rüft werden. Klar ist aber auch: Eine stärkere Belastung
er Bürger ist ausgeschlossen.“ In der Analyse hat Herr
chüssel völlig recht. Wer sich heute einmal anschaut
ie unterschiedlich die EU-Mitgliedstaaten zur Finan-
ierung des Briten-Rabattes beitragen – der Eigenmittel-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15049
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beschluss gibt da zumindest für Fachleute ein wenig
Orientierung – kann nur zu dem Ergebnis gelangen, dass
die Berechnung das Ergebnis eines unsäglichen Gefeil-
sches über mehrere Eigenmittelbeschlüsse hinweg gewe-
sen ist. Und deshalb haben wir uns auch immer wieder
fraktionsübergreifend dafür eingesetzt, dass der Rabatt
abgeschafft wird. Aber das geht eben nur mit Zustim-
mung der Briten. Wer im Übrigen glaubt, in einer neuen
Eigenmittelquelle, ob sie nun aus der Besteuerung der
globalen Finanztransfers oder des Flugbenzins oder aus
einer europäischen Mehrwertsteuerabgabe gespeist
würde, könnte der Streit vermieden werden, der irrt ge-
waltig. Solche Überlegungen führen allenfalls dazu, dass
das Projekt Europa für den Bürger teurer wird. Und die
neue ZEW-Studie zur Reform des Eigenmittelsystems
kommt zu dem Ergebnis, dass neue Steuern zu einer
neuen Umverteilungswelle mit neuen Kompensations-
zahlungen führen würden.
Erinnern wir uns nur an die Vorschläge für den Fi-
nanzrahmen 2007 bis 2013, welche die Kommission und
das EP vorgelegt haben. Jede Lebenserfahrung spricht
dagegen, dass in einem System wie der Europäischen
Union die Bemessungsgrundlagen oder die Hebesätze
für Steuern jemals abgesenkt werden oder nationale
Steuern weniger werden, wenn Europa eigene Steuern
kassiert. Deshalb tun wir gut daran, europäische Steuern
abzulehnen. Wir tun auch gut daran, dass es dabei bleibt,
dass sich die Europäische Union nicht verschulden darf.
Wir ersparen der Union damit eine Glaubwürdigkeitsde-
batte, wie wir sie seit Jahrzehnten in fast allen Mitglied-
staaten haben. Die CDU/CSU-Fraktion will die Fehlent-
wicklungen in den nationalen Haushalten nicht auf
europäischer Ebene wiederholen: Es ist eben viel leich-
ter Geld auszugeben, das man eigentlich gar nicht hat,
als Geld in den öffentlichen Kassen zu sparen. Und da-
her sagen wir: Wehret den Anfängen.
Wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir die Fi-
nanzierung der Europäischen Union noch transparenter
und gerechter ausgestalten können. Der Kollege Silber-
horn hat hierzu vor einigen Wochen Leitlinien für die
Midterm-Review vorgestellt, die ich für sehr überlegens-
wert halte. Lassen Sie mich abschließend einige davon
nennen. Die Ausgabenobergrenze des Finanzrahmens
der EU sollte auch in Zukunft 1,0 Prozent des europäi-
schen BNP nicht überschreiten, denn das Haushaltsvolu-
men für diese Grenze wächst mit steigendem BNP ohne-
hin mit. Beitragsgerechtigkeit und Transparenz müssen
verbessert werden, indem alle Sondervergünstigungen
und Rabatte, auch diejenigen zur Erleichterung der Zu-
stimmung zum Finanzregime, abgeschafft werden. Die
Sparsamkeit im Umgang mit EU-Geldern wird am ehes-
ten erreicht, wenn die Selbstbeteiligung an den Ausga-
ben gestärkt wird. Das bedeutet in der Strukturpolitik die
Anhebung der Kofinanzierungssätze und in der Agrarpo-
litik die Einführung der Kofinanzierung. Beide beugen
Korruption und Kaskomentalität vor. Ein ausschließlich
am Bruttonationaleinkommen orientierter EU-Beitrag,
der einfach und transparent ist, wird auch von den Bür-
gern als gerecht angesehen. Wenn es einen Korrekturme-
chanismus für die Nettozahler geben soll, müssen alle
Nettozahler in gerechter Weise daran partizipieren kön-
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en. Wir müssen nicht nur die Einnahmeseite der Euro-
äischen Union kritisch durchforsten, es ist auch erfor-
erlich, auf der Ausgabenseite genauer zu prüfen,
elche Aufgaben zwingend und unter strenger Beach-
ung des Subsidiaritätsprinzips von der Europäischen
nion übernommen werden und welche nicht. Edmund
toiber hat immer wieder gemahnt, dass nicht jedes Pro-
lem in Europa ein Problem für Europa ist. Wir sollten
eshalb immer wieder die Frage stellen: Wo liegt der eu-
opäische Mehrwert? Wer diese Frage ehrlich beantwor-
et, kann mit der Subsidiarität eigentlich nie in Konflikt
ommen. Es gibt aber im Vertrag von Lissabon zugleich
ine formale Hilfestellung, denn dieser Vertrag definiert
ie Kompetenzen der Europäischen Union deutlich
chärfer, er gibt den nationalen Parlamenten mit der Sub-
idiaritätsrüge und Subsidiaritätsklage neue Instrumente
n die Hand. Es liegt an uns, diese Instrumente gegen-
ber der Europäischen Union tatsächlich auch zu nutzen.
ie Midterm-Review bietet hierzu ausreichend Gelegen-
eit.
Hans Eichel (SPD): Mit der Einigung über die finan-
ielle Vorausschau 2007 bis 2013 haben wir in der Dis-
ussion über das Eigenmittelsystem der Europäischen
nion zwar eine Etappe beendet, am Ziel sind wir noch
ange nicht. Im Gegenteil, die Diskussion ist heftig ent-
rannt. Im Bewusstsein der Unzulänglichkeit der bishe-
igen Beschlüsse zum Eigenmittelsystem haben die Re-
ierungschefs eine umfangreiche Überprüfung des
isherigen Systems beschlossen. Auch die Kommission
st zu dieser Erkenntnis gelangt und hat deshalb eine De-
atte angestoßen, die ohne Denk- und Redeverbote ge-
ührt werden soll und muss. Denn die Zeit für eine
eform ist reif, das gegenwärtige System veränderungs-
edürftig.
Die Frage ist nur: In welche Richtung soll die Reform
ehen? Eine Reform innerhalb des bestehenden Systems
der ein radikaler Umbruch? Um diese Frage zu klären,
uss in erster Linie geklärt werden, inwiefern sich das
igenmittelsystem in die Struktur- und Kohäsionspolitik
nd deren Funktionalität in einer auf 27 Mitglieder ange-
achsenen Union einpassen lässt. Folgende Punkte sind
abei meines Erachtens unabdingbare Diskussions-
rundlage: die Vereinfachung des Systems, die Beseiti-
ung von Intransparenzen und Ungerechtigkeiten, die
ritische Beleuchtung aller Rabatte, das Bewusstsein,
ass Reformen bei Einnahmen und Ausgaben nicht un-
edingt voneinander abhängig sind, und die Ablehnung
iner zusätzlichen EU-Steuer.
Lassen sie mich gerade zum letzten Punkt einige aus-
ührliche Anmerkungen machen, die meine ablehnende
osition untermauern: In föderalen Staaten existieren
rei Verfahren, um mehrere Ebenen mit eigenständigen
teuereinnahmen auszustatten: erstens das Verbundsys-
em, zweitens das Zuschlagsystem und drittens das
rennsystem. Die Verfahren unterscheiden sich darin,
ie weit die Ebenen bei der Erzielung von Steuereinnah-
en kooperieren.
Im Verbundsystem teilen sich mehrere föderale Ebe-
en das Aufkommen einer Steuer. Dies ist die weitestge-
15050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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hende Form der steuerpolitischen Kooperation der
Ebenen. Auf die Europäische Union bezogen bedeutet
dies, dass sie am nationalen Aufkommen einer Steuer
oder am Gesamtsteueraufkommen beteiligt wird. Aller-
dings scheidet dieses System schon aufgrund der Unter-
schiede in den Steuertarifen und in der Abgrenzung der
Bemessungsgrundlage von vornherein aus.
In einem Zuschlagsystem erheben mehrere föderale
Ebenen eine eigenständige Steuer mit gleicher Bemes-
sungsgrundlage. Die Kooperation bezieht sich also nur
auf die Bemessungsgrundlage, nicht auf den Steuertarif.
Für die EU heißt das, dass die Union einen prozentualen
Aufschlag auf eine in den Mitgliedstaaten vorhandene
Bemessungsgrundlage als eigene Steuer erhebt. Voraus-
setzung hierfür ist, dass die Bemessungsgrundlage voll-
ständig harmonisiert ist. Andernfalls kommt es zu
Ungleichbehandlungen zwischen den Bürgern unter-
schiedlicher Mitgliedstaaten. Dies schränkt die Menge
der infrage kommenden Steuern allerdings stark ein. Es
bleiben lediglich die Mehrwertsteuer oder eine verein-
heitlichte Unternehmensteuer.
Die Mehrwertsteuer ist nicht hinlänglich konkreti-
siert; das gilt insbesondere für die Anwendung des ermä-
ßigten Steuersatzes. Die Bemühungen um eine harmoni-
sierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer
kommen nicht vom Fleck. Die Einkommensteuer ist un-
geeignet; denn in vielen Mitgliedstaaten ist sie völlig un-
terschiedlich ausgestaltet. Bei einem europäischen Zu-
schlag auf die Mehrwertsteuern der Mitgliedstaaten wird
im Gegensatz zu den jetzigen Mehrwertsteuer-Eigenmit-
teln die harmonisierte Bemessungsgrundlage nicht zur
Berechnung von Finanzbeiträgen der Mitgliedstaaten ge-
nutzt, sondern die EU-Steuer würde dann als eine eigen-
ständige Steuer erhoben.
Darüber hinaus besteht beim Zuschlagssystem – im
Gegensatz zum Verbundsystem – auch die Gefahr, dass
der gleichzeitige, unkoordinierte Zugriff mehrerer Ebe-
nen auf dieselbe Steuerbasis zu einer sogenannten Über-
nutzung der Steuerbasis führt. Die addierte tarifliche
Steuerbelastung von mitgliedstaatlicher und europäi-
scher Ebene würde so hoch, dass die Ökonomie beein-
trächtigt würde und massive legale und illegale Aus-
weichreaktionen drohen. Im Extremfall sind diese
Wirkungen so stark, dass dasselbe Steueraufkommen
auch bei wesentlich geringeren Steuersätzen – und damit
verbunden bei wesentlich größerer wirtschaftlicher Dy-
namik und geringeren Ausweichreaktionen – erreicht
werden könnte.
Im steuerlichen Trennsystem erheben die föderalen
Ebenen jeweils völlig eigenständige Steuern. Eine Ko-
operation der Ebenen findet hier höchstens bezüglich der
Steuerverwaltung statt. Daher ist eine Harmonisierung
von Steuersätzen oder Bemessungsgrundlagen nicht er-
forderlich. Konkret würde dies bedeuten, dass der Union
die Kompetenz zur Erhebung einer eigenständigen euro-
päischen Steuer, also zur Festlegung der Bemessungs-
grundlage und des Steuersatzes, übertragen wird. Hier
stellt sich nun die Gretchenfrage: Welche steuerliche Be-
messungsgrundlage kommt für eine solche EU-Steuer in
Betracht?
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Wird sie zu eng gewählt, etwa im Rahmen einer euro-
äischen Energie- oder CO2-Steuer oder einer europäi-
chen Zinsbesteuerung, so trägt nur ein Teil der Steuer-
flichtigen zur Finanzierung der EU bei. So würden
utznießer von öffentlichen Gütern und diejenigen, die
ür ihre Finanzierung aufkommen, gegeneinander ausge-
pielt. Außerdem wäre die Union bei der Steuererhebung
uf die Mitwirkung der nationalen Steuerbehörden ange-
iesen. Denn der Aufbau einer eigenständigen europäi-
chen Steuerverwaltung kann aus Kostengründen kein
erantwortungsbewusster Europäer fordern. Ob diese ih-
erseits ein Interesse an einer effizienten Steuerdurchset-
ung hätten, bliebe abzuwarten. Also behielten nationale
ffizienzunterschiede Relevanz. Sie könnten sich sogar,
e nach gewählter Steuerbemessungsgrundlage, aufgrund
on Anreizproblemen noch verstärken.
Diese Probleme entstünden zum Beispiel bei einer eu-
opäischen Körperschaftsteuer dadurch, dass die Mit-
liedstaaten zwar die Kosten der Steuerprüfung bei den
apitalgesellschaften übernähmen, aber jeden Euro, den
ie Steuerbehörden durch die Prüfung zusätzlich verein-
ahmten, als EU-Steuer an die europäische Ebene abfüh-
en müssten. Nur soweit bei der Steuerprüfung auch zu-
ätzliche Einnahmen für den Mitgliedstaat entstünden,
ätte dieser auch ein Interesse an einer Durchsetzung des
U-Steuerrechts.
Halten wir also fest: Alle drei angesprochenen Ver-
ahren sind im Rahmen der Europäischen Union äußerst
roblematisch und unpraktikabel. Weiterhin bestehen für
ine eigenständige europäische Steuer zwei weitere gra-
ierende Gefahren:
Erstens. Es ist zu befürchten, dass sich im System-
bergang die Steuerbelastung insgesamt erhöht. Ange-
ichts der Haushaltsprobleme in den meisten Mitglied-
taaten ist es unwahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten
hre Steuern im gleichen Ausmaß senken würden, wenn
ie Finanzierung vom Eigenmittelsystem auf eine ei-
enständige EU-Steuer umgestellt würde. Gerade im
inblick auf die höchsten Zustimmungswerte seit über
ehn Jahren bezüglich der EU-Akzeptanz in Deutsch-
and – 67 Prozent sprachen sich letztens für die Mitglied-
chaft aus –, will ich mir nicht ausmalen, was eine stär-
ere Steuerbelastung hier ausrichten würde.
Zweitens. Eine neue Gerechtigkeitsdebatte ent-
tünde. Denn jede europäische Steuer würde zu Ver-
chiebungen im Steueraufkommen zwischen den Mit-
liedstaaten führen. Neue, harte Rabattdiskussionen
ären die Folge. Daraus folgt: Es gibt kein gerechteres
inanzierungssystem für die EU als die Anknüpfung an
as Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten. Und
s gibt kein einfacheres Verfahren als Zuweisungen aus
en nationalen Haushalten auf BNE-Basis.
Welche Folgen hat dies für den Reformprozess? Zu-
ächst einmal bleibt festzuhalten, dass der Spielraum für
ine Reform durch politische und ökonomische Sach-
wänge, wie bereits ausgeführt, eng begrenzt ist. Trotz-
em bestehen gute und realistische Chancen, die Finan-
ierung der EU hinsichtlich eines effizienteren und
ntegrationsverträglicheren Systems zu verbessern.
ntsprechende Vorschläge hat das Zentrum für Europäi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15051
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sche Wirtschaftsforschung (ZEW) unter der Leitung von
Dr. Heinemann kürzlich in seiner Studie „Reformoptio-
nen für das EU-Eigenmittelsystem“ für das Bundesmi-
nisterium der Finanzen formuliert. Die Studie be-
schränkt sich dabei im Wesentlichen auf drei Punkte:
vollständiges Auslaufen der Mehrwertsteuer-Eigenmit-
tel, Festlegung auf BNE-Eigenmittel als zentrale und
langfristige Einnahmequelle der EU-Finanzierung, Ein-
richtung eines verallgemeinerten, jedoch auf bestimmte
Politikfelder beschränkten Korrekturmechanismus, des
ABKM.
Gerade durch das Instrument des ABKM wird eine
Reform im Stil eines radikalen Umbruchs des Eigenmit-
telssystems vermieden, aber auch eine Lösung präsen-
tiert, die die gegenwärtigen unbestrittenen und gravie-
renden Probleme mindestens abmildert, wenn nicht
sogar vollständig löst. Durch den allgemeinen Ansatz
des Korrekturmechanismus werden der Umfang und die
Struktur der Korrekturzahlungen auf der Basis von ob-
jektiven und messbaren Länderdaten festgesetzt. Da-
rüber hinaus wird durch die Begrenzung des Korrektur-
mechanismus auf bestimmte Politikfelder ein weiterer
Vorteil ersichtlich: Man begrenzt die Korrektur auf jene
Politikfelder, in denen die Verteilungseffekte nicht ak-
zeptabel erscheinen.
Durch diese maßvolle Reform bleiben gut funktionie-
rende Elemente wie die beitragsbasierte Verbindung von
nationalen Haushalten und dem EU-Haushalt bestehen.
Gerade mit Blick auf eine auch im Bereich der EU drän-
gender werdende Haushaltsdisziplin, ist eine Beibehal-
tung dieser bewährten Regelung nur zu empfehlen. Inso-
fern setzen wir auf eine maßvolle und praktikable
Reform innerhalb des Systems. Lassen Sie uns Bewähr-
tes erhalten und intransparente und ungerechte Regelun-
gen gegen praktikable und gerechte Instrumente austau-
schen. Eine gute Anleitung dazu hat uns das ZEW an die
Hand gegeben.
Michael Link (FDP): Heute, zwei Jahre und zwei
Monate nachdem sich die europäischen Staats- und Re-
gierungschefs am 15./16. Dezember 2005 endlich auf
eine Finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 einigen
konnten, beschäftigt sich der Bundestag mit der Umset-
zung der rechtlichen Grundlagen.
Ich betrachte diese heutige Debatte mit einem lachen-
den und einem weinenden Auge. Lachend, weil das oft
technisch anmutende Thema EU-Finanzen zumindest für
kurze Zeit aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Wei-
nend, da der Deutsche Bundestag erneut zwar de jure,
nicht aber de facto sein traditionelles Haushaltrecht hin-
sichtlich gerundeter 172,8 Milliarden Euro an deutschen
Steuermitteln wahrnimmt. Diese Summe, rund 20 Pro-
zent der 864 Milliarden Euro, macht den deutschen An-
teil am Gesamtfinanzrahmen der EU 2007 bis 2013 aus.
Als Abnick-Gremium für spätabendliche Koppelge-
schäfte der Staats- und Regierungschefs auf Europäi-
schen Räten müsste sich der Bundestag prinzipiell zu
schade zu sein.
Politisch ist ein Nein ausgeschlossen, da die Förder-
periode 2007 bis 2013 bereits auf der Grundlage der ge-
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roffenen Beschlüsse angelaufen ist. Die logische Konse-
uenz und eine permanente Forderung der FDP: Der
eutsche Bundestag muss sich in Zukunft beim Thema
U-Haushalt frühzeitig in die Debatte einschalten und
ie Bundesregierung inhaltlich mit dem Instrument der
tellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 GG bei haushalteri-
chen Entscheidungen an die kurze Leine nehmen. Das
ilt bei den mehrjährlichen finanziellen Vorausschauen
brigens ebenso wie bei Fragen der jährlichen EU-Haus-
alte.
Insbesondere muss die Aufmerksamkeit des Bundes-
ages jedoch der geplanten strategischen Neuausrichtung
er EU-Einnahmen und Ausgaben gelten. Auf diese
vollständige, weitreichende Überprüfung sämtlicher
spekte der EU-Ausgaben und EU-Einnahmen“ hat man
ich zu Recht verständigt, ohne Tabus. Denn mit dem
orliegenden Eigenmittelbeschluss wurden zwar einige
erbesserungen vorgenommen, die Ansprüche an ein ge-
echtes, einfaches und sparsames Finanzierungssystem
rfüllt der neue Eigenmittelbeschluss aber noch nicht.
Dennoch sehen wir Liberale in dem neuen Eigenmit-
elbeschluss Fortschritte, da er dem Ziel einer fairen
astenteilung zwischen den Mitgliedstaaten einen
chritt näher gekommen ist.
Aus deutscher Sicht ist zu begrüßen, dass eine finan-
ielle Entlastung für Deutschland von jährlich rund einer
illiarde Euro gelungen ist. Neben Deutschland genie-
en auch die Niederlande, Schweden, Österreich und vor
llem Großbritannien als große Beitragszahler Rabatte
uf der Einnahmenseite. Solange das Ausgabensystem
berproportional einzelne Regionen und Berufsgruppen
ubventioniert und nicht prioritär in Zukunftsbereiche
it wirklichem europäischen Mehrwert wie der GASP,
er Sicherung der EU-Außengrenzen sowie der trans-
uropäischen Verkehrs- und Informationsnetze inves-
iert, sind diese Kompensationszahlungen auf der Ein-
ahmeseite noch nachvollziehbar.
Leider ist mit der neuen Finanzperiode 2007 bis 2013
ine substanzielle inhaltliche Neuausrichtung auf Berei-
he, die allen – gemeinschaftlich! – zugutekommen,
icht gelungen. Damit wurde erneut die Chance ver-
asst, Synergieeffekte zu generieren. Denn auch mit der
euen Finanziellen Vorausschau wird das Geld der Steu-
rzahler in Dauersubventionen der Agrar- und Struktur-
onds vergraben. Solange hier kein Umdenken stattfin-
et, werden auch die hitzigen Nettozahlerdebatten und
ie komplizierten Rabattverrechnungssysteme nicht be-
eitigt werden. Von Transparenz für die Steuerzahler
eine Spur!
Bei der anstehenden Revision des EU-Finanzsystems
etzen wir Liberalen uns deshalb für eine Umschichtung
er Mittel in die genannten Zukunftsbereiche, eine natio-
ale Ko-Finanzierung der Agrarförderung, 50/50, sowie
in degressives Auslaufen der Struktur- und Kohäsions-
onds ein. Als Liberale stehen wird zum Solidaritätsprin-
ip. Wo Förderung aber zum Dauertatbestand und Sub-
entionen nicht in erster Linie dazu verwandt werden,
ich zukünftig davon unabhängig zu machen, da wird
er Solidaritätsgedanke pervertiert. Deshalb muss sich
15052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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die EU-Regionalpolitik zukünftig noch viel stärker auf
die wirklich bedürftigen Regionen konzentrieren.
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, eine ausgewogene
Belastung der EU-Mitglieder, europäischer Mehrwert,
vor allem aber keine zusätzlichen Belastungen der Bür-
ger müssen oberste Maximen bei der Formulierung eines
neuen Finanzierungssystems sein. Für die FDP gilt: Um-
schichten statt Aufstocken.
Außerdem gilt, allen europäischen Begehrlichkeiten
nach einer EU-Steuer eine klare Abfuhr zu erteilen.
Denn Aufkommensneutralität ist bei einem Übergang zu
einem steuerfinanzierten System nicht sicherzustellen.
Auch muss betont werden, dass die finanzpolitische Au-
tonomie der EU aus Steuerzahlersicht kein Selbstzweck
sein kann, sondern dass die europäischen Bürger ein
Recht auf Budgeteffizienz und sparsamen Umgang mit
den bereitgestellten Ressourcen haben.
Aktuelle wissenschaftliche Studien – unter anderem
vom ZEW und vom Institut der deutschen Wirtschaft –
bestätigen, dass jegliche in die Debatte eingebrachten
Steuerarten als Finanzierungsgrundlage für die EU gänz-
lich ungeeignet sind; sei es aufgrund ihrer starken Kon-
junkturabhängigkeit, aufgrund der immanenten Be-
schneidung des Steuerwettbewerbs oder aufgrund der
unvermeidbar damit verbundenen Wettbewerbsverzer-
rungen.
Die FDP präferiert deshalb ein Modell, das aus Trans-
parenzgründen vollständig auf die Mehrwertsteuer-
Eigenmittel verzichtet und als Finanzierungsquelle auf
das Bruttonationaleinkommen setzt, da dies die ökono-
mische Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten am besten
widerspiegelt.
Damit verbunden ist eine klare Absage an eine EU-
Steuer. Die deutliche Ablehnung einer EU-Steuer durch
den bayerischen Europaminister Söder haben wir Libe-
ralen deshalb gerne vernommen. Worte alleine reichen
jedoch nicht aus. Während in München eine EU-Steuer
zu Recht abgelehnt wird, stimmen die deutschen Kon-
servativen in Straßburg den Plänen des Europaparlamen-
tariers Lamassoure für ein zweistufiges Verfahren zur
Einführung einer EU-Steuer zu, wie übrigens auch die
Kollegen der SPD, die auf ihrem Hamburger Parteitag
2007 hinsichtlich der EU-Finanzierung leider für den
Aufbau einer eigenen Einnahmequelle der EU plädiert
haben. Aber warum sollten sie nun gerade auf EU-Ebene
anfangen, zu sparen und den Bürger zu entlasten, wenn
sie dies noch nicht einmal zu Hause können?
Alexander Ulrich (DIE LINKE): Die Bundesregie-
rung ist stolz, dass sie weniger Geld nach Brüssel
überweisen muss. Die EU-Finanzen sind jedoch keine
Trendsportart Buchhaltung, sondern die Grundlage des
wichtigsten Staatenverbunds der Welt. Daher lehnen wir
den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.
Die zunehmende Armut von 80 Millionen Menschen
in der EU – dies entspricht allen Einwohnern der Bundes-
republik – ist ein gesellschaftlicher Skandal. Die Armut,
insbesondere von Kindern, wird zurückschlagen wie ein
Bumerang. Die EU wird ohne eine Umkehr dieser Ent-
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icklung an Legitimität und ökonomischer Bedeutung
erlieren. Brüssel beansprucht über die sogenannte Me-
hode der offenen Koordinierung Zuständigkeit in der
rbeitsmarkt- und in der Rentenpolitik. Die EU kann und
uss daher auch Verantwortung in der Sozialpolitik
bernehmen.
Die Kommission könnte etwa ein Sofortprogramm
egen Armut anregen. Würde die EU ihren Etat nur auf
Prozent der Wirtschaftsleistung steigern, könnte von
iesem Geld jeder arme EU-Einwohner, also Menschen
it weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkom-
ens, monatlich 50 Euro als Soforthilfe erhalten. Damit
ürde die Wirtschaft in der EU spürbar angekurbelt, und
ie Menschen würden einmal erfahren, dass Europa auf
hrer Seite steht.
Natürlich wäre es noch besser, in Ländern wie
eutschland würden angemessene Löhne bezahlt, und
ie EU könnte sich auf wichtige Aufgaben, etwa in der
orschung, konzentrieren. Ich möchte damit nur deutlich
achen, dass ein kleiner Schritt im EU-Etat ein großer
chritt für die Menschen sein kann. Natürlich kommt es
arauf an, das Geld auch vernünftig einzusetzen. Die
ehlende demokratische Kontrolle der EU ist der Grund,
ass sich in Europa immer wieder die Interessen der
onzerne und der Rüstungsindustrie durchsetzen.
An eine sinnvolle wirtschaftspolitische Steuerung des
uropäischen Währungsraums ist mit der gegenwärtigen
inanzausstattung der EU gar nicht zu denken. Dies wird
ich spätestens mit der drohenden Weltwirtschaftskrise
ächen. Die Eigenmittelobergrenze von 1,24 Prozent der
U-weiten Wirtschaftsleistung sowie von 1,31 Prozent
ür Verpflichtungsermächtigungen wurde seit Mitte der
990er-Jahre weder angepasst noch ausgeschöpft. Die
atsächlichen Zahlungen betrugen seit 2000 weniger als
Prozent der Wirtschaftsleistung.
Selbstverständlich gibt es auch Einsparpotenziale,
twa bei der teuren Unterhaltung zweier Parlamentssitze
n Brüssel und Straßburg oder den Ausgaben für militäri-
che Operationen der EU. Dies ändert jedoch nichts da-
an, dass Europa mittelfristig über mindestens 3 Prozent
eines Bruttoinlandsprodukts verfügen muss, um den wirt-
chaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhalt Eu-
opas zu sichern.
Der Klimawandel erfordert ein ökologisches Wirt-
chaftswunder in Europa. Nachhaltiges Wachstum ist
ine Priorität der Kommission. Dennoch steigen die Mit-
el für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit um
2 Prozent, während die Ausgaben für Kohärenz nur um
Prozent zunehmen. Die Mittel für die nachhaltige Be-
irtschaftung natürlicher Ressourcen fallen gar um
Prozent und werden zu einem erheblichen Teil in den
usbau der Atomenergie fließen.
Wir brauchen eine Verstetigung des Ausgabenpfads,
amit sich die Wirtschaftsleistung antizyklisch den
taatsausgaben anpasst und nicht umgekehrt. Grundsätz-
ich sollte es den Mitgliedsländern überlassen sein, aus
elchen Steuerarten sie den EU-Haushalt finanzieren.
er Beitrag von Gewinn- und Vermögenseinkommen
um Steueraufkommen hat in Deutschland dramatisch
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abgenommen. Er lag 1970 bei 27 Prozent, der Anteil der
Lohnsteuern lag damals bei nur 23,7 Prozent. Der Bei-
trag der Gewinn- und Vermögenssteuern sank bis 2005
auf 17,7 Prozent, und der Beitrag der Lohnsteuern stieg
spiegelbildlich auf 32,2 Prozent. Den Löwenanteil finan-
zieren also mittlerweile Arbeitnehmer und Verbraucher.
Deutschland hat das Steuerdumping bei den Unter-
nehmensteuern in der EU selbst entfacht. Bei den effek-
tiven Unternehmensteuern liegen wir im unteren euro-
päischen Mittelfeld, gemessen an der Größe unserer
Volkswirtschaft liegen wir international sogar ganz weit
unten. Das jüngste Beispiel ist Nicolas Sarkozy, der die
französischen Proteste gegen seine Unternehmensteuer-
reform mit dem Verweis auf die deutsche Steuererleich-
terung rechtfertigte. Der Lohnsteuerstaat behindert die
wirtschaftliche Entwicklung und ist sozial ungerecht.
Die drei von der Kommission empfohlenen Säulen
der EU-Eigenmittel sehen wir kritisch:
Eine mehrwertsteuergestützte Säule würde aufgrund
des unterschiedlichen Gewichts der Verbrauchsteuern
nur neue Diskussionen um Rabatte entfachen.
Ähnliches gilt für die Körperschaftsteuern. Hier gibt
es sehr unterschiedliche Proportionen zwischen Perso-
nen- und Kapitalgesellschaften, die eine gleichmäßige
Belastung zwischen den Mitgliedsländern erschweren.
Energiesteuern haben hingegen einen Lenkungs- und
einen Aufkommenszweck. Immer wenn der Lenkungs-
effekt, also die Verminderung des Energieverbrauchs,
greift, müssten sie also erhöht werden.
Wir plädieren daher für eine progressive EU-Steuer,
die sich am Bruttosozialprodukt orientiert: Ein Mit-
gliedsland, dessen Pro-Kopf-Einkommen um 20 Prozent
über dem EU-Durchschnitt liegt, zahlt also einen um
20 Prozent höheren Steuersatz; bei einem EU-Durch-
schnittssatz von 2 Prozent wären das dann 2,4 Prozent.
Diese Variante, die in der zweiten Hälfte der 1980er-
Jahre von der spanischen Präsidentschaft vorgeschlagen
wurde, hat den Vorteil, deutlich zum wirtschaftlichen
und sozialen Zusammenhalt in der EU beizutragen. Sie
würde auch den Vorteilen entsprechen, die ein Land wie
Deutschland durch seine Exportüberschüsse in der EU
genießt. Da die einkommensärmeren Länder von dieser
Variante profitieren, wird es ihnen erleichtert, auf Steu-
erdumping zu verzichten. Hierzu sollte die EU Mindest-
steuersätze auf einer harmonisierten Bemessungsgrund-
lage verabreden.
Die Linke steht für Verbesserungen im Sinne der EU-
Bürger. Ein Europa der Banken, der Konzerne und der
Rüstungsindustrie ist mit uns nicht zu machen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die EU hat sich die Überprüfung ihres Haushalts
auf die Fahnen geschrieben. Wir halten dies für eine gute
Initiative und beteiligen uns an der Debatte, woher das
Geld im EU-Haushalt in Zukunft kommen soll und wo-
für wir das Geld ausgeben wollen.
Das bisherige System ist ineffizient, undemokratisch
und instabil und nicht gemacht für eine EU mit 27 Mit-
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liedern. Zwar ist die Bereitschaft der Staats- und Regie-
ungschefs, der EU auf Gipfeltreffen und in Sonntagsre-
en neue Aufgaben zuzuweisen, groß. Die Initiativen
eichen von Klimaschutz über eine gemeinsame Außen-
nd Sicherheitspolitik bis hin zu einer gemeinsamen Mi-
rationspolitik. Wenn es dann ums Geld geht, werden
ie Töne leiser. Will die EU ihre Ziele jedoch verwirkli-
hen und neue Aufgaben angehen, braucht sie einen sta-
ilen Haushalt.
Die Bundesregierung ist bisher nicht mit innovativen
orschlägen aufgefallen. Ihr geht es in erster Linie da-
um, ihre Mitgliedsbeiträge auf Euro und Cent herauszu-
olen. Die Bundesregierung hat drei grundlegende Prin-
ipien der EU nicht verstanden: erstens das Prinzip der
olidarität, zweitens das Prinzip, nach dem sich die fi-
anziellen Rückflüsse auch zum Beispiel im gesteigerten
xportvolumen in die neuen Märkte Mittel- und Osteu-
opas berechnen und drittens das Mehrwertprinzip. Der
uropäische Mehrwert liegt nämlich auch in einem Mehr
n politischer und ökonomischer Stabilität und Sicher-
eit sowie in der Einsicht, dass die EU Aufgaben wie
en Klimaschutz effizienter wahrnehmen kann, als es
ie Mitgliedstaaten allein können.
Wir wollen der EU ein ökologisches und solidarisches
rofil geben. Damit wird die EU ihren Ansprüchen als
limaschutzakteurin gerecht, und Klimaschutz wird zu
inem Politikfeld mit europäischem Mehrwert, deutlich
ichtbar und nachvollziehbar für die Bürgerinnen und
ürger der EU. Der ökologische und solidarische Mehr-
ert soll sich auch im Haushalt wiederfinden.
Statt des Gerangels um die mehrjährigen Haushalts-
läne und populistischer Nettozahlerdebatten braucht die
U einen stabilen, transparenten und demokratischen
aushalt. Wir wollen kontinuierliche Einnahmen statt
efeilsche um Rabatte und sogenannte Korrekturmecha-
ismen. Wie im privaten Haushalt gilt auch für die EU:
ie Finanzen sind begrenzt, die Prioritäten müssen stim-
en und das Geld muss effizient eingesetzt werden. Un-
er Ziel ist eine neue stabile Einnahmequelle für die EU,
ostenneutral für die Bürger und Bürgerinnen. Wir wol-
en ein Finanzsystem, das nach dem Verursacherprinzip
unktioniert. Denkbar wäre die Besteuerung von Treib-
toffen, sodass die größten Klimaschädiger am tiefsten
n die Tasche greifen müssen. Die Einnahmen sollten in
limaschutzmaßnahmen investiert werden. Eine harmo-
isierte Unternehmensteuer oder eine Börsenumsatz-
teuer wären ebenfalls möglich. Im Sinne des Binnen-
arkts ist es nur folgerichtig, Unternehmen EU-weit zu
esteuern und die Einnahmen zum Beispiel in struktur-
chwachen Regionen zu investieren.
Angesichts globaler Herausforderungen wie Klima-
andel, Wassermanagement, Ernährungssicherheit so-
ie Erhalt der Biodiversität und der ländlichen Regionen
st die Gemeinsame Agrarpolitik ein wichtiger Schlüs-
el. Wir wollen die landwirtschaftlichen Direktzahlun-
en neu legitimieren, Subventionen an gesellschaftliche
eistungen der landwirtschaftlichen Betriebe koppeln
ie Klima-, Natur-, Umwelt- und Tierschutz und Ar-
eitsplatzsicherung und mit einem Klimabonus für be-
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sonders klimafreundliche Bewirtschaftung, zum Beispiel
durch ökologischen Landbau, Anreize schaffen.
Der Vertrag von Lissabon gibt dem Europäischen Par-
lament endlich das parlamentarische Grundrecht der
Haushaltskontrolle. Damit kommen wir der demokrati-
schen Legitimation ein gutes Stück näher und weg von
den Kungeleien unter Staats- und Regierungschefs.
Die anstehende Finanzreform bietet die Chance, mit
einer Vision unserer politischen Prioritäten und stabilen
Finanzen das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen in
die EU zu stärken. Diese Chance sollten wir nutzen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Für ein Europäisches Kartellamt (Ta-
gesordnungspunkt 18)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Gestatten Sie mir,
dass ich die Gelegenheit nutze und meinen Ausführun-
gen zum Antrag der Linken „Für ein europäisches Kar-
tellamt“ ein paar grundsätzliche Erwägungen zum Deut-
schen Kartellrecht voranstelle.
Kaum ein Politiker hat diese Republik so nachhaltig
geprägt wie Ludwig Erhard. Kaum ein Politiker wurde
aber auch so wenig verstanden. Soziale Marktwirtschaft
für Politikergenerationen nach ihm hieß „sozial“: Um-
verteilung ohne Rücksicht auf Wirtschaft. Marktwirt-
schaft hieß: Der Große frisst den Kleinen. Als Maßstab
für kartellrechtliche Schranken wurden lediglich die Ver-
braucherpreise gesehen. Übersehen wurde, was Konzen-
trationsprozesse zum Beispiel im Handel für mittelstän-
dische Strukturen vom Fachhändler bis zum Lieferanten
heißen. Kartellrecht – in Deutschland wie in ganz Eu-
ropa – muss gerade auch die Auswirkungen auf Zuliefe-
rer ins Blickfeld nehmen. Nur dann ist die Erhard’sche
Vision des „Wohlstands und der Teilhabe für alle“ als
eine Zukunftsoption zu retten.
In den neuen EU-Staaten vollziehen sich derzeit be-
schleunigt die Konzentrationsprozesse, die wir bereits
hinter uns haben. Ich meine, dass hier zuallererst die Na-
tionalstaaten gefordert sind. Auch im Zeitalter der Glo-
balisierung haben Märkte einen lokalen Bezug, sind
räumlich abgrenzbar. Subsidiarität heißt dabei: Wenn
man national marktbeschränkende Konzentrationen ver-
hindert, sind europäische ausgeschlossen. Das heißt, die
nationale Perspektive ist die entscheidende. Es muss ein
deutsches Anliegen sein, die nationalen Kompetenzen zu
sichern, gleichzeitig aber auch sicherzustellen, dass in
den anderen europäischen Mitgliedstaaten analog ver-
fahren und nach vergleichbaren Maßstäben marktbe-
schränkende Konzentrationsprozesse kontrolliert wer-
den.
Umgekehrt sollten wir uns aber nicht Sand in die Au-
gen streuen lassen. Es gibt da welche, die uns einreden:
Wenn man den Markt nur groß genug wählt, dann
herrscht Wettbewerb. Am Beispiel der Energieversorger
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rläutert: Das Defizit in Deutschland ist nicht dadurch zu
eheben, dass der Energiemarkt europäisch betrachtet
ird.
Das 2005 als Basis für die verstärkte Zusammenarbeit
er nationalen Kartellbehörden gegründete Europäische
etzwerk der Kartellbehörden, ECN, ist inzwischen an-
rkannt und ermöglicht erfolgreich eine effektive Ko-
peration. Die Linke fordert stattdessen einen neuen
bersten europäischen Wettbewerbshüter, übersieht da-
ei, dass Deutschland wie auch die Europäische Union
ereits ein gut funktionierendes System der Wettbe-
erbshüter haben.
Im Hinblick auf internationale Sachverhalte gilt ge-
äß § 130 II GWB bereits heute das Auswirkungsprin-
ip. Demnach kann das Bundeskartellamt auch bei inter-
ationalen Wettbewerbsverstößen tätig werden, wenn sie
ich auf den deutschen Wirtschaftsraum auswirken.
Auf europäischer Ebene ist die Kartellhoheit schon
lleine deshalb nicht gut aufgehoben, da die europäische
ommission in ihrer Entscheidungspraxis nicht nur al-
ein dem Schutz des Wettbewerbsrechts verpflichtet ist,
ondern auch industrie-, regional-, sozial-, beschäfti-
ungs- und umweltpolitische Aspekte wahrnimmt. In
er europäischen Kommission wird der Schutz des Wett-
ewerbs also immer hinter anderen Zielen zurücktreten
nd deshalb wohl immer weniger restriktiv gehandhabt
ls durch das deutsche – unabhängige – Kartellamt.
In Ihrer zweiten Forderung attackiert die Linke genau
iese ehemals besonders hoch geschätzte Unabhängig-
eit des Systems der Wettbewerbsaufsicht von der Poli-
ik. Ihre Forderung, dass das europäische Kartellamt so-
ohl eigeninitiativ als auch auf Initiative der nationalen
arlamente sowie des Europäischen Parlaments tätig
erden soll, würde zu einer Politisierung des Wettbe-
erbsrechts führen. Ich lehne dies aus oben genannten
ründen entschieden ab.
Vor genau dieser Einflussnahme hat uns Ludwig Erhard
och gewarnt. Wir müssen heute die Aufgabenteilung ver-
idigen, in der der Gesetzgeber zwar die Grundlagen für
ntscheidungen vorgibt, die Wettbewerbsbehörde jedoch
nabhängig entscheidet. Eben diese Unabhängigkeit der
ettbewerbshüter ist in jedem Fall zu wahren.
Wir haben in Europa derzeit ein vom Einfluss einzel-
er Mitgliedstaaten relativ unabhängiges System der
ettbewerbsaufsicht. Entsprechend dem Subsidiaritäts-
rinzip kooperieren die nationalen Kartellämter mit dem
uropäischen Wettbewerbshüter sehr gut. Die Zuständig-
eiten sind klar abgestimmt und angesichts der unter-
chiedlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Mit-
liedstaaten, halte ich es für mehr als wichtig, dass auch
eiterhin die nationalen Kartellämter in der Hauptver-
ntwortung stehen. Wir brauchen definitiv keine weitere
uropäische Zentralinstitution, die die Wettbewerbspoli-
ik der Mitgliedsländer bürger- und realitätsfern gestal-
et. Das Ergebnis Ihres Antrags wäre aber genau dies:
ine neue Behörde, die weite Kompetenzen an sich zie-
en wird, um diese zu vereinheitlichen oder zu zentrali-
ieren.
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Die CDU/CSU tritt energisch an gegen einen solchen
zusätzlichen Verwaltungsapparat ohne Mehrwert. Unse-
rer Meinung nach führt der Weg zur Beschränkung der
Marktmacht von Großkonzernen einzig und alleine über
Wettbewerb, dessen Rahmen auf die nationalen Bedürf-
nisse abgestimmt sein muss.
Des Weiteren bitte ich Sie zu berücksichtigen, dass
für einen funktionierenden Markt Preise Preise bleiben
müssen. Angebot und Nachfrage bestimmen in einer
Marktwirtschaft den Preis und nicht der Staat. Nur dann
kommt es zur Markträumung. Schlagen Sie sich Ihre
Vorstellungen von Sozialismus durch die Hintertür end-
lich aus dem Kopf.
Natürlich müssen wir die Rahmenbedingungen
schaffen, damit sich Preise frei am Markt finden. Bei
den Stromversorgern sind wir gerade dabei. Das heißt
aber nicht zwingend, dass mehr Wettbewerb am Ende
zu sinkenden Preisen führen wird, weil die von vielen
Faktoren beeinflusst werden. Nur Monopol- bzw. Oli-
gopolrenditen können ausgeschlossen werden. Beim
Strompreis hatten wir übrigens bereits früher staatliche
Preiskontrollen. Trotzdem sind die Preise gestiegen.
Dass staatliche Preiskontrollen ein Einfallstor sind,
belegen Ihre Forderungen nach Sozialtarifen für Strom.
Da sind sich auf dem „Holzweg ins Uferlose“. Sozialpo-
litik wird über staatliche Transfers gemacht. Sozialtarife
für Strom: Warum nicht auch für Lebensmittel oder Me-
dizin? Am Ende weiß niemand mehr, wer was bekommt.
Am Ende sind diejenigen die Lackierten, die knapp mehr
als das Arbeitslosengeld II mit harter Arbeit erwirtschaf-
ten und von den Wohltaten nicht profitieren.
Außerdem: Wie wollen wir einen solchen Eingriff ei-
gentlich umsetzen? Wie wollen wir ihn rechtfertigen?
Energieversorger können ihn gerne freiwillig anbieten.
Das bleibt ihnen überlassen. Einen verordneten Sozialta-
rif würden die Versorger übrigens doch wohl kaum aus
ihren Gewinnen finanzieren. Sie würden ihn sich entwe-
der von den nicht begünstigten Verbrauchern oder vom
Staat erstatten lassen.
Was wir in diesem Land sicher nicht brauchen, ist
mehr Planwirtschaft. Deshalb: Ihr Lob für die Bemühun-
gen unseres Bundeswirtschaftsministers Michael Glos,
die Missbrauchsaufsicht im Energiesektor zu verschär-
fen, nehmen wir dankend an, ihren Antrag für ein euro-
päisches Kartellamt lehnen wir dankend ab.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): In Ihrem
Antrag fordern die Kollegen der Linken die Bundesre-
gierung auf, sich für die Einrichtung eines europäischen
Kartellamtes einzusetzen. Die neue Institution solle die
Kompetenzen der Generaldirektion Wettbewerb inner-
halb der EU-Kommission übernehmen und für seine
Aufgaben angemessen personell und rechtlich ausgestat-
tet werden. Aufgabe des Amtes müsse es sein, Fusionen
und Kartelle zu überwachen, zu unterbinden und den
Missbrauch von Marktmacht bei der Preisbildung zu
verhindern.
Gewiss sind Zweifel angebracht, ob die europäische
Wettbewerbsbehörde wirklich sachgerecht aufgestellt
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st. Es drängt sich immer wieder der Eindruck auf, dass
ier mehr nach politischen Maßstäben und eben nicht
ach einheitlichen rechtlichen Maßstäben kontrolliert
ird und Wettbewerbsregeln durchgesetzt werden. Was
edoch die Linke plant, ist erst recht eine politisierte In-
titution, die sowohl aus eigener Initiative als auch auf
nitiative der nationalen Parlamente sowie des Europa-
arlaments tätig werden können soll. Dies tragen wir
icht mit. Wenn es denn ein Europäisches Kartellamt ge-
en sollte, dann nur als politisch unabhängige Institu-
ion.
Unabhängig davon funktioniert das bestehende Sys-
em durchaus nicht so schlecht, wie es die Linke dar-
tellt. Die Kooperation zwischen der EU-Wettbewerbs-
ehörde und den nationalen Behörden und Gerichten ist
nstitutionalisiert und sorgt für eine einheitliche Anwen-
ung des europäischen Wettbewerbsrechts. Und was die
reismissbrauchsaufsicht für Strom und Gas angeht, so
aben wir erst vor wenigen Monaten mit dem Gesetz ge-
en Wettbewerbsbeschränkungen die Möglichkeiten der
issbrauchsaufsicht deutlich verbessert.
Wer mit seinen Strom- oder Erdgaspreisen mehr als
0 Prozent über denen eines Wettbewerbers in einem
ergleichbaren Markt liegt, muss sich gefallen lassen,
ass das Kartellamt ihn überprüft. Die Mitwirkungs-
flichten des betroffenen Unternehmens an dieser Über-
rüfung werden innerhalb des Kartellverfahrens durch
mkehr der Beweislast verstärkt. Mit diesen Regelungen
aben wir die Missbrauchsaufsicht verbessert, aber keine
enerelle Preisregulierung für Strom und Gas eingeführt.
enn wir wollen, dass sich die Zahl der Marktteilnehmer
eutlich vergrößert und dadurch mehr Wettbewerb ent-
teht. Deswegen setzen wir in erster Linie auf die Her-
tellung des diskriminierungsfreien Netzzugangs für
eue Marktteilnehmer und die Einführung einer effizienz-
rientierten Anreizregulierung. Deswegen fordern wir
ie Öffnung und Verknüpfung der europäischen Gas- und
tromnetze, damit europäischer Wettbewerb entsteht.
Martin Zeil (FDP): Für Ludwig Erhard war das
er-se-Kartellverbot ein Kernelement des deutschen
ettbewerbsrechts, für das er leidenschaftlich gestritten
at. Weniger leidenschaftlich agieren leider die schwarz-
ote Bundesregierung und allen voran Bundeswirt-
chaftsminister Glos, wenn es um die Frage der Stärkung
es Wettbewerbs in Deutschland und der Europäischen
nion geht. Gerade die Rahmenbedingungen für den eu-
opäischen Wettbewerb und das europäische Wettbe-
erbsrecht aber müssen kontinuierlich weiterentwickelt
erden, auch um eine wettbewerbsfeindliche Neuinter-
retation des Gemeinschaftsrechts wirkungsvoll zu ver-
eiden. Es gibt die verhängnisvolle Tendenz, Begriffe
ie Markt, Wettbewerb und Globalisierung zu missbrau-
hen und Ängste zu schüren. Diese politisch erzeugte
urcht vor dem „freien und unverfälschten Wettbewerb“
at auf europäischer Ebene dazu geführt, dass die ent-
prechende Passage aus dem Vertrag von Lissabon ge-
trichen wurde.
Ein erster Schritt wäre die Schaffung eines europäi-
chen Kartellamts. Der Vorschlag der FDP zu diesem
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Thema liegt Ihnen vor, jetzt haben die Linken einen Vor-
schlag präsentiert, über den wir heute debattieren. Die
Bundesregierung wollte oder konnte hingegen weder in
Deutschland noch auf europäischer Ebene Überzeu-
gungsarbeit für ein ordnungspolitisch klares und recht-
lich einwandfreies Wettbewerbsrecht, zu dem dann auch
ein europäisches Kartellamt gehören würde, leisten.
Stattdessen schaffen Sie gesetzliche Grundlagen wie
beim Mindestlohn im Postsektor, von denen Sie selbst
sagen, dass es Angelegenheit der Gerichte sei, die Aus-
gestaltung dieses Gesetzes festzulegen. Damit schaffen
Sie bei den betroffenen Unternehmen, die auch bereits
investiert haben, in einem hohen Maß Rechtsunsicher-
heit. Ein Blick auf die Wirtschaftspolitik der Bundesre-
gierung, von der die Wirtschaftsweisen sagen, dass keine
wirtschaftspolitische Strategie erkennbar sei und richtige
und wegweisende Reformen konterkariert würden, zeigt,
dass bei der schwarz-roten Koalition nachhaltige, ord-
nungspolitische Zusammenhänge und ein wirksamer
Wettbewerb sträflich vernachlässigt werden.
Generell bleibt festzuhalten: Der Wettbewerb muss in
diesem Land und in Europa auf allen Ebenen funktionie-
ren: Wir brauchen endlich eine europäische Wettbe-
werbspolitik. Wir müssen die Grundlage dafür schaffen,
dass nationalen Regierungen die Möglichkeit genommen
wird, auf ihren Heimatmärkten nationalen Unternehmen
Fusionen zu gestatten, auch wenn damit massive Wettbe-
werbsbeschränkungen verbunden sind. Dieses führt zu
Handelsverzerrungen und damit zu weniger Wettbewerb
und höheren Preisen, die am Ende die Verbraucher in
den jeweiligen Ländern zu tragen haben. Deshalb wer-
den wir uns für die Schaffung eines politisch unabhängi-
gen europäischen Kartellamts einsetzen, welches dem
Ziel eines Binnenmarkts mit freiem und unverfälschtem
Wettbewerb verpflichtet ist und dabei auf ein ergebnisof-
fenes Wettbewerbskonzept zum Schutz der Handlungs-
freiheit der Marktteilnehmer und zur Sicherung einer
wettbewerbsförderlichen Marktstruktur vertraut.
Zu einem wirksamen Wettbewerbsschutz gehört als
Ultima Ratio auch die Möglichkeit der Entflechtung von
Unternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung ein-
nehmen. Diese Möglichkeit, die es im amerikanischen
Kartellrecht seit Jahrzehnten gibt, muss auch ins deut-
sche und ins europäische Kartellrecht übernommen wer-
den. Die eigentumsrechtliche Entflechtung im Energie-
sektor ist der Schlüssel zu mehr Wettbewerb und
niedrigeren Verbraucherpreisen.
Noch ein Wort zum dem Antrag der Linken: Ihr An-
trag fordert die Einführung eines europäischen Kartell-
amts bei gleichzeitiger Entmachtung bzw. Abschaffung
der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission.
Das neu gegründete Kartellamt soll jedoch nicht der
Wahrung und Ausweitung wettbewerblicher Prozesse
verpflichtet sein. Ich zitiere: „Wo Wettbewerb mehr zer-
stört als erschafft, ist es nicht angezeigt, ihn einzuführen
oder zu verstärken.“ Gleichzeitig zeugt der Antrag von
einer erheblichen institutionellen Skepsis gegenüber den
heutigen EU-Wettbewerbsinstitutionen und deren Willen
und Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Wettbewerbs- und
Marktmissbrauchsaufsicht. Dem Antrag der Linken liegt
daher eine völlig falsche Betrachtungsweise zugrunde.
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r führt zu weniger Wettbewerb, mehr Bürokratie und
ehr staatlichem Dirigismus. Deshalb können wir die-
em Antrag nicht zustimmen.
Wir brauchen in Deutschland wie in Europa schlag-
räftige Wettbewerbsbehörden. Wer die europäische In-
egration will, muss auch ein Kartellamt auf europäi-
cher Ebene wollen. Ein europäisches Kartellamt würde
uch eine dringend erforderliche Stärkung des Wettbe-
erbsgedankens innerhalb der EU bewirken. In der so-
ialen Marktwirtschaft ist das Kernelement der wirk-
ame Wettbewerb, und wir sind für eine Stärkung des
artellrechts – bis hin zu einer Entflechtungsnorm –,
nd wir sind für ein europäisches Kartellamt. Unsere
raktion hat hierzu die entsprechenden Anträge vorge-
egt. Es ist nun an der Bundesregierung und an Bundes-
irtschaftsminister Glos sich in Zukunft nicht nur sym-
olisch für die Stärkung des „freien und unverfälschten
ettbewerbs“ auf der europäischen Ebene einzusetzen,
ondern endlich zu handeln.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Ein europäisches
artellamt ist dringend notwendig. Die Unternehmens-
onzentration in Europa nimmt weiterhin zu. Der Dämp-
er bei den Fusionen und Übernahmen gegen Ende 2007
st allein auf die Finanzkrise zurückzuführen. Für die
ommenden Monate wird eher ein Verharren auf dem re-
ativ hohen Niveau als ein weiterer Rückgang erwartet.
st die Finanzkrise erst einmal überstanden, wird die
ahl der Fusionen und Übernahmen wieder ansteigen, so
ie sie es auch nach dem abrupten Ende des Fusions-
ooms 2000 wieder tat.
Die fortschreitende Konzentration hat weitreichende
olgen: nicht zuletzt steigende Preise. Die Unternehmen
ind zunehmend in der Lage, Preise jenseits der Wettbe-
erbspreise durchzusetzen: zugunsten ihres Gewinns
nd zulasten der Verbraucher.
Die Europäische Zentralbank hingegen ist davon
berzeugt, dass Inflation ein rein monetäres Phänomen
st: Wenn die EZB ihr Inflationsziel verletzt sieht, hebt
ie die Zinssätze an und drosselt so die Geldversorgung.
ls Ergebnis dieser Politik flacht das Wirtschaftswachs-
um ab. Die Stabilisierung des Preisniveaus durch Geld-
olitik führt demnach zu einem niedrigen Wachstum und
u einer höheren Arbeitslosigkeit. Von einem unmittel-
aren Zusammenhang zwischen Geldversorgung und
reisniveau kann allerdings nicht die Rede sein. Stabile
reise sind lediglich ein Nebenprodukt der Geldpolitik.
atsächlich wirkt die Geldpolitik in der folgenden Weise
uf das Preisniveau: Eine Zunahme des Wirtschafts-
achstums erhöht den Preiserhöhungsspielraum für die
nternehmen. Die kontraktive Geldpolitik verringert das
irtschaftswachstum und damit den Preiserhöhungs-
pielraum. Nur in dieser Weise hat die Geldpolitik Erfolg
ei der Stabilisierung des Geldwertes. Aus Gründen der
eldwertstabilität wird also der Wirtschaftsaufschwung
lach gehalten.
Das europäische Kartellamt kann dazu beitragen, das
reisniveau zu halten, ohne dabei das Wirtschaftswachs-
um abzuflachen. Ein europäisches Kartellamt ist ebenso
ie die Geldpolitik in der Lage, die Preiserhöhungs-
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spielräume der Unternehmen einzuschränken: präven-
tiv, indem es bei Fusionen und Übernahmen darauf ach-
tet, dass Marktmacht nicht entsteht, und korrektiv, indem
es den Missbrauch dieser Macht bei der Preissetzung
verhindert. Das Ergebnis ist eine geringere Inflation
ohne die bei der Geldpolitik der EZB entstehenden
Wohlfahrtsverluste.
Zu den Folgen steigender Konzentration gehört auch
die Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen
weniger. Wirtschaftliche Macht strebt stets politische
Macht an. Damit nicht mächtige Lobbyisten die Politik
diktieren, muss der Konzentration wirtschaftlicher
Macht Einhalt geboten werden. Die Generaldirektion
Wettbewerb der Europäischen Kommission ist dazu
nicht in der Lage, wie das aktuelle Beispiel des Regulie-
rungsversuchs im Energiesektor zeigt.
Eine entsprechende personelle und rechtliche Aus-
stattung eines europäischen Kartellamts ist daher unver-
zichtbar. Es muss in die Lage versetzt werden, sich mit
marktbeherrschenden Unternehmen auseinanderzuset-
zen. Zu beachten ist dabei, dass Wettbewerb stets immer
nur ein Mittel zum Zweck ist und kein Ziel an sich.
Wettbewerb kann unter Umständen ein Mittel zur Ver-
besserung der volkswirtschaftlichen Allokation sein. Wo
Wettbewerb mehr zerstört, als er erschafft, ist es nicht
angezeigt, ihn einzuführen oder zu fördern.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mehr Wettbewerbskontrolle: Das ist wichtig. Deswegen
müssen wir die Kartellbehörden stärken.
Europäische Wirtschaftsstrukturen brauchen auch eine
europäische Wettbewerbskontrolle, ein verlässliches und
integriertes System regionaler, nationaler und europäi-
scher Wettbewerbspolitik. Das befördern wir aber nicht
durch bürokratische Schnellschüsse. Wir müssen ge-
meinsame Leitlinien nationaler und internationaler Wett-
bewerbspolitik und Grundsätze internationalen Wettbe-
werbsrechtes entwickeln. Die Kompetenzen nationaler
und internationaler wettbewerbspolitischer Institutionen
müssten klar abgegrenzt werden. Und wir müssen die
umfassenden Defizite der nationalen Wettbewerbskon-
trolle beseitigen.
Die Begründung des Antrages enthält eine äußerst eta-
tistische und wettbewerbsfeindliche Sichtweise auf Preis-
bildung und Preiskontrolle. Die Linksfraktion warnt hier
sehr deutlich vor scheinbar zerstörerischen Folgen von
Wettbewerb. Er sei günstigenfalls Mittel zum Zweck.
Das ist am Thema vorbeigeschrieben: Lebensmittel,
Energie, Telekommunikation, Bahn, Post – in all diesen
Bereichen haben wir doch nicht das Problem, dass ein
zerstörerischer Wettbewerb herrschen würde. Vielmehr
dominieren frühere Monopolisten oder nur sehr wenige
Wettbewerber. Sie haben den Markt weitgehend unter
sich aufgeteilt. Das verhindert Wettbewerb, treibt die
Preise in die Höhe und schadet den Verbraucherinnen
und Verbrauchern. Gerade eine marktwirtschaftlich aus-
gerichtete Wirtschaftspolitik, die auf Wettbewerb setzt,
muss konsequent oligopolistische und monopolistische
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trukturen bekämpfen. Deswegen brauchen wir starke
artellbehörden.
Wir wollen den Wettbewerb stärken. Dazu gehört eine
reie Preisbildung, zu deren Voraussetzung die Auflö-
ung von Monopolen oder Oligopolen gehört. Das ist gut
ür die Verbraucher. Ein bunter Markt mit bunten Ange-
oten führt zu sinkenden Preisen. Monopole und Oligo-
ole sind immer Preistreiber.
Eine Preiskontrolle auf europäischer Ebene, wie ihn
ie Linksfraktion fordert, ist aber der falsche Ansatz. Es
st nicht die Aufgabe des Staates, Preise zu setzen. Es ist
eine Aufgabe, für Wettbewerb zu sorgen und Rahmen-
edingungen für einen funktionierenden Markt zu set-
en. Wenn der Markt sich selbst überlassen wird, setzt
ich leicht das Recht des Stärkeren auf Kosten der Ange-
otsvielfalt durch. Neue Anbieter müssen mit ihren gu-
en Angeboten durchdringen können. Das muss funktio-
ieren, aber dafür brauchen wir keinen Preisdirigismus.
Wir müssen in Deutschland dringend für eine bessere
usstattung der Kartellbehörden sorgen. Dem Bundes-
artellamt fehlt es seit Jahren an Personalmitteln und
usstattung – trotz steigender Ausgaben. In der Haus-
altsdebatte haben Bündnis 90/Die Grünen beantragt,
ier die Personalmittel um 1,2 Millionen Euro auf
,5 Millionen Euro aufzustocken. Wie im Vorjahr hat die
roße Koalition diesen Antrag abgelehnt. Das ist fatal.
em Amt fehlen bereits 28 Stellen, um seine Aufgabe
ffizient erfüllen zu können. Wir müssen das Bundeskar-
ellamt in die Lage zu versetzen, die Missbrauchsauf-
icht zu verstärken. Und wir brauchen scharfe Instru-
ente, um Wettbewerb auf den Märkten durchzusetzen,
ie heute unter der Macht von Oligopolen leiden.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Bereiten Sie die
msetzung der Eigentumsentflechtung ownership un-
undling vor, nach dem die Übertragungsnetze vollstän-
ig und damit auch eigentumsrechtlich von den restli-
hen Geschäftsbereichen der Energiekonzerne getrennt
ind! Geben Sie Ihren Widerstand gegen die entspre-
henden Pläne der EU auf! Bündnis 90/Die Grünen for-
ern, im Energiewirtschaftsgesetz festzuschreiben, dass
nternehmen, die im Elektrizitäts- und Gasbereich eine
er Funktionen Vertrieb, Erzeugung und Gewinnung
usüben, nicht Eigentümer oder Miteigentümer oder Be-
reiber eines Übertragungs- oder Fernleitungsnetzes sein
ürfen.
Wir wollen im Energiewirtschaftsgesetz festschrei-
en, dass ein Energieunternehmen in marktbeherrschen-
er Stellung gezwungen wird, so viele seiner Kraftwerke
n unabhängige Dritte zu verkaufen, bis seine Marktdo-
inanz beendet ist.
Für den Lebensmittelbereich muss die Bundesregie-
ung nachhaltige Konzepte entwickeln, wie der vertikale
irtschaftliche Druck auf die Landwirte verhindert wer-
en kann, Lebensmittel unter Erzeugungspreis an markt-
ominierende Unternehmen abzugeben. Wir müssen die
öglichkeiten des Bundeskartellamts weiter stärken,
eine erfolgreiche Arbeit der Marktkontrolle im Lebens-
ittelbereich intensiv fortzuführen und auszubauen.
15058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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(B) )
Im Postbereich muss die steuerliche Bevorzugung der
Deutschen Post AG gegenüber den Wettbewerbern end-
lich beendet werden.
Wir brauchen eine wettbewerbsorientierte Telekom-
munikationspolitik. Es war ein Trauerspiel, dass die
Bundesnetzagentur nur unter schärfsten Anfeindungen
Gleichheit bei der Netznutzung durchsetzen konnte.
Und bei der Bahn dürfen wir die Fehler aus anderen
Bereichen nicht wiederholen, indem der Ex-Monopolist
das Netz noch gratis dazubekommt. Auch hier ist die
Trennung von Netz und Betrieb Voraussetzung für einen
echten Wettbewerb.
Eine klare antimonopolistische Politik ist Grundlage
für erfolgreiches Wirtschaften. Nur so können wir die
Potenziale ausschöpfen, die die Marktwirtschaft bietet.
Und nur so können die mittelständischen Ideenträger,
von denen wir in Deutschland viele haben, auf dem
Markt auch endlich zum Zuge kommen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Siebenunddreißigste Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzge-
setzes (Verordnung zur Absicherung von Luft-
qualitätsanforderungen – 37. BimSchV) (Tages-
ordnungspunkt 17)
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion stimmt der 37. Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu.
Die Verordnung der Bundesregierung dient zur Absiche-
rung von Luftqualitätsanforderungen und verfolgt als
wesentliches Ziel die Senkung der NO2-Emissionsfrach-
ten aus Feuerungsanlagen. Betroffen sind dabei einer-
seits Großfeuerungs- und Gasturbinenanlagen, zum an-
deren Anlagen zur Verbrennung und Mitverbrennung
von Abfällen. Teilweise geht es dabei auch um Umset-
zung europäischen Rechts. So legt die Richtlinie 96/62/
EG über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqua-
lität in Verbindung mit der Richtlinie 1999/30/EG unter
anderem Luftqualitätswerte für Stickstoffoxide fest. Zu
hohe weiträumige Hintergrundbelastungen führen teil-
weise zusammen mit zusätzlichen lokalen Belastungen
zur Überschreitung dieser Grenzwerte. Um eine dauer-
hafte Einhaltung der Grenzwerte zu erreichen, ist die
Verringerung der Hintergrundbelastung notwendig. Au-
ßerdem ist die Emissionsminderung im Bereich der
Stickoxide auch aufgrund der Überarbeitung der soge-
nannten NEC-Richtlinie über nationale Emissions-
höchstmengen erforderlich. Ziel ist die Absenkung der
nationalen Emissionshöchstmengen.
Somit werden wir mit den Maßnahmen sowohl unse-
ren europäischen Verpflichtungen gerecht als auch unse-
rem nationalen Interesse an der Reinhaltung der Luft und
an einem hohen Schutzniveau im Bereich der Luftquali-
tät im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.
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In den letzten Tagen wurden nun noch Änderungs-
ünsche an uns herangetragen, mit denen mögliche Pro-
leme bei der Einhaltung der Vorschriften für kleine
asturbinen zur Strom- und Wärmeerzeugung sowie für
en Einsatz als Antriebsmaschine angesprochen werden.
iese Fragen werden sicherlich in dem sich nun an-
chließenden Bundesratsverfahren ausführlich erörtert
erden können. Soweit sich demnach ein Änderungsbe-
arf noch ergeben sollte, ist die Union für eine Diskus-
ion hierüber sicherlich offen.
Ich will abschließend auf eine Argumentation in der
egründung der Verordnung eingehen: Unter Buch-
tabe a, Problem und Ziel, heißt es: „Vor dem Hinter-
rund des Atomausstiegs ist der Einsatz fossiler Brenn-
toffe unverzichtbar. Das gleichzeitige Bemühen um
ine klimaneutrale Energieproduktion, insbesondere
urch die Abscheidung und Speicherung von CO2, führt
zumindest vorübergehend – durch den erhöhten Ein-
atz fossiler Energieträger zu einem verstärkten Ausstoß
on Luftschadstoffen.“ Ich will diese Formulierung zum
nlass nehmen, eines klarzustellen: Meine Fraktion ist
icht für einen Atomausstieg, der zu einer Erhöhung der
O2-Emissionen führt.
Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Das Bundeskabi-
ett hat im August 2007 in Meseberg mit den 29 Eck-
unkten das derzeit weltweit ambitionierteste Energie-
nd Klimaprogramm beschlossen. Dazu hat das Kabinett
m 5. Dezember 2007 ein erstes umfangreiches Paket mit
4 Gesetzen und Verordnungen beschlossen, die jetzt zur
arlamentarischen Beratung anstehen.
Das Maßnahmenpaket zeigt uns die Möglichkeit auf,
ie auch in Zukunft eine Energiepolitik, die auf Ver-
orgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltver-
räglichkeit basiert, möglich ist. Dazu gehört, dass die
nergiewirtschaft und die Industrie verlässliche und
ettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für ihre Inves-
itionen haben. Gleichzeitig benötigen die Verbraucher
osteneffiziente Lösungen und transparente, verlässli-
he Rahmenbedingungen für ihre Konsum- und Inves-
itionsentscheidungen. Die vorgelegten Rechtsetzungs-
orhaben bieten diese Verlässlichkeit; sie definieren
eweils für ihre Bereiche Ziele bis 2020 und unterlegen
ies mit konkreten Maßnahmen.
Das Wort, das sich wie ein roter Faden durch das
KEP schlängelt, ist Energieeffizienz; im Maßnahmen-
atalog ist unter dem Oberbegriff Energieeffizienz übri-
ens auch die Novellierung der 37. Bundes-Immissions-
chutzverordnung enthalten, über die wir hier heute im
arlament debattieren. Genauer formuliert: Wir debattie-
en über die 37.Verordnung zur Durchführung des Bun-
es-Immissionsschutzgesetzes, die Verordnung zur Ab-
icherung von Luftqualitätsanforderungen. Durch diese
ovellierung werden ambitionierte Standards mit ehr-
eizigen Grenzwerten für den Stickoxidausstoß neuer
raftwerke und Müllverbrennungsanlagen festgelegt.
amit wollen wir erreichen, dass neue Kraftwerke nicht
ur effizienter, sondern auch sauberer als alte sind.
urch die Vorgabe von Grenzwerten werden insbeson-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15059
(A) )
(B) )
dere die zukünftigen Betreiber von Kohlekraftwerken in
die Pflicht genommen.
Fakt ist aber, dass wir die geplanten sauberen Kohle-
kraftwerke gerade vor dem Hintergrund des Atomaus-
stieges, den wir als SPD-Fraktion nicht infrage stellen,
benötigen. Wir können auf fossile Brennstoffe derzeit
noch nicht verzichten. Effiziente Kohle- und Gaskraft-
werke spielen unserer Meinung nach auch im Energie-
mix der Zukunft eine wichtige Rolle. In den nächsten
15 Jahren muss in Deutschland die Leistung von unge-
fähr einem Drittel aller Kraftwerke erneuert werden:
rund 40 000 Megawatt. Hier sind modernste Technolo-
gien gefragt – erneuerbare Energien, hocheffiziente
Kohle- oder Gaskraftwerke und zukünftig auch kohlen-
dioxidfreie Kohlekraftwerke. Wir müssen deshalb mas-
siv in die Erneuerung des Kraftwerksparks investieren,
um alte gegen neue und effizientere Anlagen auszutau-
schen.
Nicht nur bei der Effizienz des Energieverbrauchs,
sondern auch bei der Energieerzeugung – insbesondere
der Stromerzeugung – müssen wir Fortschritte erzielen.
Wenn wir im Jahr 2020 rund 25 Prozent des Stromver-
brauchs aus erneuerbaren Energien decken, dann ist dies
ein wichtiger Schritt – aber es bleiben 75 Prozent übrig
für die fossilen Energien. Eine vollständige Energiever-
sorgung nur aus erneuerbaren Energien ist bis 2020 tech-
nisch kaum realisierbar oder finanziell nicht vertretbar.
Deshalb brauchen wir Investitionen in hochmoderne,
hocheffiziente Öl-, Gas- und Kohlekraftwerke. Wir können
es uns nicht leisten, dass wertvolle Rohstoffe verschwendet
werden, weil mit veralteten Technologien gearbeitet wird.
Moderne Kohlekraftwerke mit Wirkungsgraden von über
45 Prozent gewinnen nicht nur mehr Strom aus der gleichen
Menge Brennstoff; sie sparen auch mehr als die Hälfte des
Kohlendioxids gegenüber alten Anlagen ein und können
die Grundlastversorgung mit Strom sichern. Insgesamt gibt
es hier große Möglichkeiten für Innovationen und Beschäf-
tigung, auch weil deutsche Firmen bei Kraftwerkstechnolo-
gien führend auf dem Weltmarkt sind.
Es ist klar, dass die Umsetzung der Eckpunkte für ein
integriertes Energie- und Klimaprogramm die Wirtschaft
vor neue Herausforderungen stellt. Immer noch führt der
Einsatz fossiler Energieträger zu einem Ausstoß von
Luftschadstoffen. Hier müssen und werden wir gegen-
steuern. Wir wollen in Zukunft keinen neuen Wildwuchs
von Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen mit al-
ter Technik, sondern die bestmöglichen technischen An-
lagen, weil uns die Umwelt, die Gesundheit und das
Klima wichtig sind.
Insbesondere Stickstoffoxide gelten als sehr gefährli-
che Schadstoffe. Sie kommen vorwiegend in der Luft
vor und stammen insbesondere aus Abgasen von Indus-
trieanlagen, Kraft- und Fernheizwerken, von Gebäude-
heizungen und Verkehrsabgasen. Den größten Anteil an
der Emission von Stickstoffoxiden hat hier mit Abstand
der Verkehr. Bei der Ausgestaltung von Grenzwerten für
künftige Euro-Normen für Pkw und Lkw wird auf Stick-
stoffoxide verstärkt geachtet werden müssen.
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Die Novellierung der 37. Bundes-Immissionsschutz-
erordnung nimmt jetzt auch die Betreiber von Indus-
rieanlagen, von Kraft- und Feinheizwerken und Müll-
erbrennungsanlagen verstärkt in die Pflicht. Ziel der
ovelle ist es, frühzeitige Vorgaben von Rahmenbedin-
ungen für die Planung neuer Anlagen, die ab 2013 in
etrieb gehen, zu geben.
Wie andere Luftschadstoffe wirken Stickstoffoxide
chädlich auf die Atemwege. Eine erhöhte Empfindlich-
eit gegenüber Atemwegsinfektionen und chronische
ronchitis bei länger einwirkenden höheren Konzentra-
ionen lassen sich nachweisen. In der Außenluft sind
tickstoffoxide an der Bildung von Feinstaub und bo-
ennahem Ozon beteiligt. Bei Pflanzen schädigen sie
lattoberschichten und Nadeln. Der sogenannte saure
egen, der Stickstoffoxide enthält, führt zur Versaue-
ung von Böden und Gewässern. Karge Böden werden
urch das zunehmende Nährstoffangebote überdüngt
nd die an diese nährstoffarme Umgebung angepassten
flanzen verdrängt.
Stickstoffverbindungen sind leider wahre Verwand-
ungskünstler: Sie sind sehr mobil und ineinander trans-
ormierbar. Sie werden mit der Luft verbreitet, dringen
ber Niederschläge in Böden und Gewässer ein und ge-
angen von dort in die Meere. Inzwischen stören Stick-
toffrückstände weiträumig natürliche Stoffkreisläufe
nd Ökosystembeziehungen. Die Wandlungsfähigkeit
acht Stickstoffverbindungen auch so problematisch.
inderungsmaßnahmen in einem Umweltbereich kön-
en unter Umständen dazu führen, Probleme in einen an-
eren Bereich zu verschieben und sie noch zu verstär-
en. Deshalb sind auch andere Verbindungen, zum
eispiel Ammoniak und Schwefeldioxid, Bestandteil
es sogenannten Göteborg-Protokolls, nach der engli-
chen Bezeichnung „national emission ceilings“ auch als
EC-Richtlinie bekannt.
In der NEC-Richtlinie werden durch die EU die
ährlichen nationalen Emissionshöchstmengen über
lle Emissionsquellen eines Staates festgelegt, die von
en Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Nationale Emis-
ionshöchstmengen begrenzen also den gesamten
ährlichen Ausstoß eines Schadstoffes für einen Staat.
ie NEC-Richtlinie lässt allerdings offen, mit wel-
hen Maßnahmen die Mitgliedstaaten diese Werte ein-
alten wollen. Neben der NEC-Richtlinie bildet die
U-Luftqualitäts-Rahmenrichtlinie, die in Verbindung
it der ersten Tochterrichtlinie Immissionsgrenzwerte
nter anderem für Stickstoffoxide festlegt, die ab
010 einzuhalten sind, die Grundlage für die Novel-
ierung der 37. BlmschV.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit der Novellie-
ung der 37. BlmschV soll dem verstärkten Schadstoff-
usstoß insbesondere von Stickstoffoxiden entgegenge-
irkt werden, damit Deutschland die Einhaltung der
ationalen Emissionshöchstwerte innerhalb der NEC-
ichtlinie einhalten kann. Gleichzeitig geben wir aber
it dieser Novellierung zukünftigen Betreibern klare
nd verlässliche Rahmenbedingungen, die sie erfüllen
üssen, und sorgen damit für eine berechenbare und
ertrauenswürdige Politik.
15060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
(B) )
Wir als SPD-Fraktion betrachten die Regelungen für
notwendig und angemessen. Ich bitte Sie deshalb um
Ihre Zustimmung.
Michael Kauch (FDP): Im Umweltausschuss ent-
brannte eine energiepolitische Debatte vor allem an dem
Passus in der Gesetzesbegründung, in dem es heißt: „Vor
dem Hintergrund des Atomausstiegs ist der Einsatz fos-
siler Brennstoffe unverzichtbar“. Tatsächlich ist diese
Schlussfolgerung nur konsequent. Wenn Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke sowie Teile der SPD das nicht
wahr haben wollen, dann verschließen sie sich der Reali-
tät.
Es ist schlichtweg unseriös zu behaupten, der Einsatz
erneuerbarer Energien könne bereits mittelfristig Atom
und Kohle ersetzen. Für die FDP steht fest: Zu einem
breiten Energiemix der Zukunft wird auch auf absehbare
Zeit die Kohle gehören.
Die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe wie Braun-
und Steinkohle ist langfristig mit einer ambitionierten
Klimaschutzpolitik aber nur dann in Einklang zu bringen,
wenn wir Technologien zur Abscheidung und Einlage-
rung von CO2 einsetzen. Die CO2-Abscheidung – CCS –
ist nach Expertenaussagen ab 2020 eine machbare Option
für den Klimaschutz. Mit CCS können wir Kohle und Gas
für Jahrzehnte nutzen, ohne zusätzliche Treibhausgase in
die Atmosphäre zu geben. Es ist eine Technologie, die ne-
ben Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in der
Zukunft einen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz
leisten kann. Das bedeutet aber nach unserem jetzigen
Wissen über diese Technik, dass mit der CO2-Abschei-
dung niedrigere Wirkungsgrade und somit ein höherer
Brennstoffeinsatz verbunden ist. Das ist aus ökologischer
Sicht zumindest dann verantwortbar, wenn wir im Rah-
men der immissionschutzrechtlichen Regelungen Vor-
sorge treffen. Daher brauchen wir die vorliegende Ände-
rung der 37. Bundes-Immissionschutzverordnung, um
auch dauerhaft eine gute Luftqualität zu sichern.
Die verschärfte Festlegung von Grenzwerten zum
Ausstoß von Stickoxiden wird von der FDP-Bundestags-
fraktion begrüßt. Die 37. BlmSchV enthält Regelungen
zur Absenkung der Emissionsfrachten für Stickstoff-
oxide und frühzeitige Vorgaben von Rahmenbedingun-
gen für die Planung neuer Anlagen. Sie dient der Umset-
zung von EU-Vorgaben und ergänzt darüber hinaus
andere deutsche immissionsschutzrechtliche Verordnun-
gen. Wir teilen die Intention dieser Verordnung, Klima-
schutz und Immissionsschutz auf fortschrittlichstem
technischem Niveau zur Akzeptanzsteigerung bei Neu-
bauprojekten von Kraftwerken zu realisieren.
Wir halten es für richtig, einem verstärkten Ausstoß
von Stickstoffoxiden entgegenzuwirken. Auch zukünftig
sollen steigende Anforderungen an die Luftqualität si-
cher eingehalten werden. Betreiber von Anlagen, die ab
2013 in Betrieb gehen, erhalten Rechts- und Planungssi-
cherheit. Das sind richtige Maßnahmen. Nach unserer
Kenntnis stellen diese Emissionswerte grundsätzlich
kein Problem dar und können von Anlagen ab 2013 ein-
gehalten werden. Allerdings werden die neuen Grenz-
werte zusätzliche Investitionen erfordern.
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Zu klären bleibt aber noch, wie die Verordnung
echtssystematisch einzuordnen ist. Denn auch weiterhin
erden die Konzentrationsgrenzwerte der geltenden
3. Bundes-Immissionschutzverordnung für Großfeue-
ungsanlagen bzw. der 17. BlmSchVfür Abfallverbren-
ungsanlagen gelten. Es wäre daher zu überlegen, ob
ämtliche anlagenbezogenen Grenzwerte in einer ge-
einsamen Verordnung zusammengefasst werden kön-
en. Diese Frage sollte noch auf den Fachebenen und
ann gegebenenfalls in einem weiteren Verfahren poli-
isch geklärt werden. Daran soll aber nun die materiell-
echtliche Verbesserung der Luftreinhaltung jedoch nicht
cheitern.
In der Gesamtbeurteilung des Verordnungsentwurfes
ommt die FDP-Bundestagsfraktion zu dem Schluss,
ass zur Erreichung ambitionierter klima- und umwelt-
olitischer Ziele die Verordnung notwendig und dazu
uch geeignet ist. Wir stimmen dem Verordnungsent-
urf daher zu.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): 19 neue Kohlekraft-
erke sollen in Deutschland entstehen – mindestens.
ie, die Bundesregierung, tun nichts dagegen. Im Ge-
enteil, Sie befürworten sogar den Bau dieser Kraft-
erke. Das ist Ihr klimapolitischer Offenbarungseid.
as ist Ihr klimapolitischer GAU. Das Einzige, was Ih-
en gegen die negativen Folgen einfällt, ist diese Verord-
ung. Im Übrigen verteilen Sie kräftig Beruhigungspil-
en. Stichwort Emissionshandel. Der funktioniert aber
icht richtig. Stichwort CCS. Das Kohlendioxid wollen
ie aus den Abgasen herausfiltern. Dann wollen Sie es
ls Zeitbombe für zukünftige Generationen unter der
rde entsorgen. Das Spiel kennen wir schon zur Genüge
om Atommüll. Ich sage Ihnen: Mit uns nicht! Was noch
us den Schornsteinen kommt, sind die Luftschadstoffe.
ie belasten nicht das Klima, dafür aber die Gesundheit
er Menschen. An vielen Standorten geplanter Kraft-
erke haben sich ja nun erfreulicherweise Bürgerinitiati-
en gebildet – wie zu besten Zeiten der Antiatombewe-
ung. Diese werden wie in Mainz, Hamburg und
nsdorf in ihrem Widerstand durch Ärzteinitiativen un-
erstützt, die auf die Gesundheitsgefahren der Menschen
urch die zusätzlichen Schadstoffe hinweisen. Was da
us den Schornsteinen kommt, sind Kohlenmonoxid,
tickoxide, Schwefeloxide, Schwermetalle – und auch
rsen. Genau, das ist das Gift, das man eigentlich nur
us Krimis kennt. All das kommt aus den Schornsteinen,
bwohl die Grenzwerte eingehalten werden. Selbst wenn
an also den Klimaschutz gedanklich kurz beiseite lässt,
elbst dann ist diese Verordnung völlig unzureichend.
enn statt für alle oben genannten Schadstoffe drasti-
che Verschärfungen der Grenzwerte einzuführen, sollen
ur für Stickoxide schärfere Grenzwerte eingeführt wer-
en. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass Sie die
assive Gesundheitsgefährdung von Anwohnerinnen
nd Anwohnern in Kauf nehmen. Nicht umsonst warnen
rzteinitiativen vor einer extrem ansteigenden Fein-
taubbelastung. In Hamburg-Moorburg sollen es jährlich
ast 400 Tonnen sein. Über Umweltzonen brauchen wir
ann gar nicht mehr zu reden. Ich sage Ihnen: Schärfere
renzwerte nur für Stickoxide einzuführen, ist deswegen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15061
(A) )
(B) )
nicht nur unsinnig. Das ist schon fahrlässig. Und mit Ih-
rer Begründung verhöhnen Sie den gesunden Menschen-
verstand: Zwar hat Deutschland in der Tat Probleme, den
von der EU bis 2010 geforderten Ausstoß von Stickoxi-
den in Deutschland zu verringern. Ihre Verordnung greift
aber erst ab 2013. Da fühlt sich jedes Schulkind veräp-
pelt, so hanebüchen ist das.
Zudem soll die entsprechende Richtlinie der EU noch
im April verschärft werden. Dabei sollen für Feinstaub
ebenfalls nationale Höchstwerte eingeführt werden. Da
frage ich mich, ob Sie sich wirklich den Schutz der Ge-
sundheit auf die Fahnen geschrieben haben. Wenn Sie
Feinstaub bei dieser Verordnung außen vor lassen, dann
schützen Sie jedenfalls nicht die Anwohnerinnen und
Anwohner. Dann schützen Sie nur die Kraftwerksbetrei-
ber! Das hat anscheinend Methode. Denn bestehende
Anlagen werden von weiteren Auflagen komplett ver-
schont. Gesetzlich vorgeschrieben ist aber, dass alle
Kraftwerke und Fabriken mit den besten verfügbaren
Techniken betrieben werden. Das wird von den Verwal-
tungen im Vollzug allerdings sehr großzügig im Sinne
der Industrie gehandhabt. Daran wollen Sie auch mit
dem neuen Umweltgesetzbuch nichts ändern. Die ent-
sprechenden Vorschriften lassen Sie so vage, wie sie
jetzt schon sind. An der Luftverschmutzung und der Kli-
mabelastung durch Kraftwerke und Industrieanlagen
wird sich also nichts ändern. Von der Tragweite her noch
problematischer ist, dass im Umweltgesetzbuch weiter-
hin keine vernünftige Planrechtfertigung vorgesehen ist.
Denn warum werden überhaupt so viele neue Kohle-
kraftwerke geplant? Warum werden diverse Großheiz-
kraftwerke mit Ersatzbrennstoffen geplant, obwohl wir
schon längst massenhaft Müll importieren? Nur, weil Sie
freiwillig die Hebel aus der Hand gegeben haben. Jeder
kann hier beliebig viele Kohlekraftwerke oder sonstige
Anlagen bauen. Ob das volkswirtschaftlich sinnvoll ist,
ob das klimapolitisch schädlich ist – das ist für die Ge-
nehmigung alles irrelevant. Diesen Gestaltungsspiel-
raum müssen Sie von der Koalition der Exekutive end-
lich wieder verschaffen. Dann können in Berlin und
anderswo die Anträge für neue Kohlekraftwerke nämlich
einfach abgelehnt werden. Dazu muss im Umweltgesetz-
buch eine vernünftige Planrechtfertigung eingeführt
werden. Die Antragsteller müssen darlegen, wozu ge-
plante Kraftwerke gebraucht werden und wie sie mit den
übergeordneten Klimazielen vereinbar sind. Dann wür-
den uns viele falsche Weichenstellungen erspart bleiben.
Wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben
es in der Hand, Deutschland vor dem Weg zurück ins
Kohlezeitalter des 18. Jahrhunderts zu bewahren. Lassen
Sie uns diese Chance nutzen.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der vorliegende Verordnungsentwurf ist umweltpoli-
tisch weniger als unambitioniert und klimapolitisch
geradezu ein Skandal. Beachten Sie doch einmal die
politische Botschaft dieser 37. Bundes-Immissions-
schutzverordnung. Die Botschaft heißt: Weg frei für die
Kohle. Im festen Vertrauen auf die noch nicht verfügbare
Technologie CCS – ich frage mich, woher dieses Ver-
trauen kommt angesichts der jüngsten Entwicklungen
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um Beispiel der norwegischen Projekte –, im festen
ertrauen auf dieses bisher durch nichts belegte Verspre-
hen der Atom- und Kohlekonzerne wird ihnen im
egenzug lediglich zur Auflage gemacht, ihre Stick-
xidemissionen entsprechend den EU-Anforderungen zu
egrenzen – von CO2-Emissionen ist in dieser zum Kli-
aschutzpaket der Bundesregierung gehörenden Verord-
ung gar nicht die Rede. Was die 37. BImSchV mit Kli-
aschutz zu tun hat, erschließt sich mir nicht.
Wenn die Bundesregierung es ernst meinte mit dem
Bemühen um eine klimaneutrale Energieproduktion“,
ann müsste sie den Weg gehen, den die Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen im Energiekonzept 2.0 ausführlich
argestellt hat: die Verminderung der CO2-Emissionen
m 40 Prozent bis zum Jahr 2020, ohne den Atomaus-
tieg infrage zu stellen und ohne den Neubau von Kohle-
raftwerken. Der Fokus muss endlich vollständig auf die
ffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien ge-
egt werden. Ihre ständige Streiterei in der Großen Ko-
lition ob nun lieber Kohleausbau oder Durchlöcherung
es Atomausstiegs, verstellt völlig den Blick auf das
irklich Notwendige und Machbare.
Einig sind Sie sich allerdings in Ihrem Setzen auf die
onzerne, obwohl die logischerweise wenig Neigung
eigen, den Klimaschutz als Ziel einer zukünftigen Ener-
iewirtschaft akzeptieren zu wollen. Im Schulterschluss
it den Energiekonzernen verhindern Sie so den Umbau
nseres Energieversorgungssystems.
So viel zur klimapolitischen Bedeutung der vorlie-
enden Verordnung.
Was den Umwelt- und Gesundheitsschutz betrifft, ist
ie auch keine Offenbarung. Die geplanten Grenzwerte
ür die Stickoxide sind alles andere als anspruchsvoll,
nd von den besonders die Gesundheit gefährdenden
täuben ist überhaupt nicht die Rede. Nach wie vor dür-
en mit jedem Kubikmeter Abluft 20 Gramm Stäube
mittiert werden, obwohl der Stand der Technik heute
chon weniger als 10 Gramm erlaubt. Mit dem Koh-
eausbau werden die Stäube also zunehmen. Wieder ein-
al ein wunderbares Beispiel dafür, dass das, was von
er einzelnen Bürgerin verlangt wird – Stichworte Die-
elrußfilter und Umweltzonen –, von der Wirtschaft als
umutung ferngehalten wird. So, meine Damen und
erren von den Regierungsfraktionen, kriegen wir den
esundheitsschutz nicht auf die Reihe.
Und dann schauen Sie sich einmal den Zeitpunkt an,
b dem die Verordnung gelten soll: Ende 2020. Alles,
as vorher gebaut wird, ist gar nicht betroffen. Ein
chelm, wer Böses dabei denkt! Herr Gabriel, Ihre Ge-
chenke an die Kohlelobby sind seit dem NAP2 der be-
onderen Beachtung wert. Hier haben wir das jüngste.
lles was Sie mit dieser Verordnung tun, ist die Umset-
ung der Mindestanforderung der EU zu den Stickoxid-
missionen. Sie tun das unambitioniert, Sie vernachlässi-
en den Gesundheitsschutz der Bevölkerung, und Sie
ordern die Energiekonzerne geradezu auf, mit den Pla-
ungen Ihrer Kohlekraftwerke weiter in die Offensive zu
ehen.
15062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
(B) )
Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung
zum beliebten Thema Bürokratie: Der Normenkontroll-
rat hat keine Bedenken gegen den Verordnungsentwurf
erhoben, da er mit zwei Informationspflichten für Unter-
nehmen nur zu einer geringen finanziellen Belastung
führte. Würde allerdings der Umweltminister sein unsin-
niges Ansinnen, den Klimaschutz über den Ausbau der
Kohle erreichen zu wollen, aufgeben und stattdessen
konsequent den Weg der Effizienzsteigerung und der er-
neuerbaren Energien gehen, dann würde neben dieser
37. BImSchV noch eine Menge anderer Regelungen
zum Schutz von Umwelt und Gesundheit überflüssig
und damit tatsächlich Bürokratie abgebaut.
Für mich und meine Fraktion ist diese Verordnung
nicht zustimmungsfähig – sie dient dem Ausbau der
Kohle und geht damit zulasten von Umwelt, Gesundheit
und Klima.
Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit: Das Bundeskabinett hat letztes Jahr in Meseberg
ein umfassendes Energie- und Klimaprogramm be-
schlossen. Zur konsequenten Umsetzung dieser Be-
schlüsse haben wir im Dezember ein nicht nur äußerst
ambitioniertes, sondern auch historisches Klimapaket
vorgelegt:
Ambitioniert ist es deshalb, weil es 14 Gesetze und
Verordnungen enthält, die auf einen effizienten Klima-
schutz abzielen, der zugleich bezahlbar bleibt und mit
der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt hält.
Historisch ist dieses Programm deshalb, weil es in der
deutschen Klimapolitik und auch international einmalig
ist. Es gibt kein vergleichbares Industrieland mit einem
ähnlich ambitionierten und konkret ausgestalteten Pro-
gramm.
Als ein Mosaikstein zu dieser konkreten Ausgestal-
tung gehört die Verordnung, die wir heute hier beraten:
Was verbirgt sich hinter dem eher trockenen Arbeitstitel
„37. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immis-
sionsschutzgesetzes“? In dieser Verordnung geht es
– vereinfacht gesagt – um saubere Kraftwerke und an-
spruchsvolle Standards für deren Stickstoffoxidausstoß.
Stickstoffoxide sind verantwortlich für den Sommer-
smog, der die menschlichen Atemwege und die Vegeta-
tion schädigt. Stickstoffoxide tragen zur Versauerung der
Böden bei und schädigen insbesondere Wälder und Ge-
wässer. Die Folgen sind eine Gefährdung des Grundwas-
sers und der Artenvielfalt.
Aufgrund der zu hohen Hintergrundbelastung durch
Stickoxide hat die EU mit der Luftqualitäts-Rahmen-
richtlinie Grenzwerte festgelegt, die bei zusätzlichen lo-
kalen Belastungen überschritten werden können.
Gleichzeitig wird unser Ziel einer klimaneutralen
Energieproduktion zumindest vorübergehend zu einem
höheren Einsatz fossiler Energieträger führen. Dies hätte
einen erhöhten Ausstoß von Luftschadstoffen wie Stick-
oxide zur Folge, wenn dem nicht die „Verordnung zur
Absicherung von Luftqualitätsanforderungen“ entgegen-
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irken würde. Deshalb ist die Verordnung im Energie-
nd Klimaprogramm integriert.
Ziel ist es also, neue Kraftwerke, die wir in Deutsch-
and zur Erhaltung der Versorgungssicherheit brauchen,
icht nur effizienter, sondern auch sauberer zu machen.
as Gleiche gilt für Abfallverbrennungsanlagen, Ze-
entwerke und Gasturbinen.
Ein weiteres Ziel ist, angesichts steigender Anforde-
ungen an die Luftqualität Betreibern von Anlagen, die
b dem Jahr 2013 in Betrieb gehen sollen, bereits heute
echtssicherheit und Planungssicherheit zu geben.
leichzeitig versuchen wir den mit der Durchführung
er Verordnung verbundenen Aufwand zu begrenzen: So
erden zum Beispiel keine neuen Messverfahren einge-
ührt. Zudem gehen die Bürokratiekosten infolge der
erordnung gegen null.
Mit dieser Verordnung halten wir also unser Verspre-
hen ein, effizienten Klimaschutz voranzutreiben und
leichzeitiger deutschen Wirtschaft, das heißt in diesem
all vor allem der Energiewirtschaft, die hier erforderli-
hen verlässlichen und wettbewerbsfähigen Rahmenbe-
ingungen für ihre Investitionsentscheidungen zu geben.
ir bleiben mit dieser Verordnung bei unserer klaren
ichtschnur. Diese lautet: Versorgungssicherheit, Wirt-
chaftlichkeit und Umweltverträglichkeit.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Arbeitslosengeld II
unbürokratisch berechnen und auszahlen –
Rechts- und Planungssicherheit für Leistungs-
beziehende schaffen (Tagesordnungspunkt 19)
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Nachdem
ich bereits in den vergangenen Wochen seit ihrem Ham-
urger Parteitag die SPD mehr und mehr von ihrer gro-
en Arbeitsmarktreform der Agenda 2010 verabschie-
et hat, scheinen es ihr die Grünen mit diesem Antrag
leichtun zu wollen. Da drängt sich dem interessierten
ürger unweigerlich der Eindruck auf, als seien die
artz-Reformen eine spontane Idee einzelner Sozialde-
okraten gewesen und nicht das Werk der damaligen
ot-grünen Bundesregierung. Wenn Sie etwas mehr Mut
ätten, würden Sie sich vor Ihre Reform stellen und sie
erteidigen und sie nicht mit derartigen Anträgen wie
em heutigen scheibchenweise auseinandernehmen.
Es ist unbestritten, dass bei einer so großen Reform,
ie die des Arbeitsmarktes in den vergangenen vier Jah-
en auch Probleme auftauchen, die im Vorfeld nicht ab-
ehbar waren und die ganz unzweifelhaft der Korrektur
edürfen. Auch als grundsätzlicher Befürworter dieser
eform sehe ich an der einen oder anderen Stelle Opti-
ierungsbedarf. Das darf allerdings nicht dazu führen,
ass wir grundsätzliche Elemente infrage stellen und Tür
nd Tor öffnen für zusätzliche Ausgaben. Nichts anderes
un Sie von Bündnis 90/Die Grünen, auch wenn sie das
anze nicht als Mehrausgaben, sondern als „soziokultu-
elles Existenzminimum“ und „individuelle Bedarfsde-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15063
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ckung“ bezeichnen. Das alles hätten Sie doch schon vor
Jahren zu Beginn der Reform haben können.
Sie spielen das typische Spiel der Opposition, indem
Sie mit wohlmeinenden Anträgen versuchen, auf Stim-
menfang zu gehen, obwohl Sie genau wissen, dass eine
Leistungsausweitung in diesem Bereich unwägbare
Haushaltsrisiken in sich birgt. Früher hatten Sie mal ei-
nen Haushaltsexperten, der Sie darauf hingewiesen
hätte.
Auch mir ist völlig klar, dass mit dem derzeitigen Re-
gelsatz kein Leben in Wohlstand finanziert werden kann.
Mir ist auch klar, dass es für die Betroffenen ein hohes
Maß an Verzicht und Disziplin bedeutet, mit diesem
Geld einen ganzen Monat auszukommen. Wir müssen
uns aber klar machen, dass die Leistungen des SGB II
nicht dazu dienen sollen, damit das ganze Leben zu fi-
nanzieren. Die Idee der Grundsicherung ist die Überbrü-
ckung einer Notlage für die Zeit, in der es den Menschen
aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, für ihren
eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Es ist eine Hilfe der
Solidargemeinschaft für einen begrenzten Zeitraum, um
wieder auf eigenen Beinen zu stehen.
Das Arbeitslosengeld II ist keine rentengleiche Dau-
erleistung für einen unbegrenzten Zeitraum. Wenn Sie in
Ihrem Antrag Sonderbedarfe für Übergrößen verlangen,
sollten Sie den Menschen auch ehrlich sagen, was Sie
sonst noch als Sonderbedarf für angemessen halten und
vor allem was nicht.
Ich kann Ihnen auch gute Beispiele nennen, wofür wir
zusätzlich Geld in die Hand nehmen sollten, um die
Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen. Und die Kol-
legen der SPD und die der Linken könnten das sicherlich
auch. Es wäre aber unredlich, sich dieser Diskussion an-
zuschließen.
Wenn Sie sich einen Wettlauf um die Verteilung zu-
sätzlicher Steuergelder liefern wollen, können Sie das
gern tun. Mir ist es wichtiger, den Menschen mit konkre-
ten Angeboten auf eine Beschäftigung wieder eine sinn-
volle Alternative zum ALG-II-Bezug zu geben. Der
Aufschwung in Deutschland ist da und wir sollten ihn
stützen, damit mehr Menschen von ihm profitieren, als
bereits jetzt von ihm profitiert haben.
Die Bundesregierung hat für das Jahr 2008 6,5 Mil-
liarden Euro für Eingliederungsmittel bereitgestellt, um
arbeitslose Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu in-
tegrieren. Das ist trotz des deutlichen Rückgangs der Ar-
beitslosigkeit dieselbe Summe, die wir auch im vergan-
genen Jahr für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt
haben. Wir sind der festen Überzeugung, dass trotz des
deutlichen Rückgangs der Arbeitslosigkeit für die ver-
bleibenden Arbeitslosen mehr unternommen werden
muss, um auch sie wieder in Lohn und Brot zu bringen.
Es ist der richtige Weg, das Geld der Steuerzahler einzu-
setzen, weil es hier effektiv und nachhaltig Wirkung
zeigt und nicht einseitig auf Konsum ausgerichtet ist.
Die Kollegen von den Grünen bemängeln in ihrem An-
trag, dass die „Verordnung zur Berechnung von Einkom-
men sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen
und Vermögen beim Arbeitslosengeld II“ die Jobcenter
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it fragwürdigen bürokratischen Einzelfallprüfungen
berfrachtet. Wenn Sie aber gleichzeitig in Ihrer An-
ragsbegründung ein Bekenntnis zum Grundsatz pau-
chalierter Leistungen bei gleichzeitiger Wahrung des
nspruchs auf besonders gerechtfertigte Mehraufwen-
ungen verlangen, dann frage ich mich, wie das zusam-
enpassen soll. Sie können doch nicht allen Ernstes
leichzeitig bürokratische Einzelfallprüfungen bemän-
eln und auf der anderen Seite einen Anspruch auf indi-
iduelle Mehraufwendungen fordern. Wer soll denn
iese Ansprüche überprüfen, wenn nicht das Jobcenter?
Ihr Antrag ist in einer Art und Weise in sich wider-
prüchlich, dass er kaum der Befassung durch das Ple-
um des Deutschen Bundestages wert ist. Sie werfen der
undesregierung vor, sie würde sich mit dem derzeitigen
nrechnungsverfahren systemwidrig vom Prinzip pau-
chalierter Leistungen verabschieden, und fordern im
elben Atemzug die individuelle Absicherung des sozio-
ulturellen Existenzminimums. Unseriöser kann man
ozialpolitik nicht betreiben. Sie hätten doch wenigstens
onsequent bleiben und eine pauschale Erhöhung des
egelsatzes ohne zusätzliche Mehrbedarfsprüfung for-
ern können. Dann wären Sie sowohl Ihrem Ziel einer
inanziellen Besserstellung der Arbeitslosengeld-II-Be-
ieher gerecht geworden als auch dem Ziel der Vermei-
ung unnötiger Bürokratie.
In einer Sache sind Sie in Ihrem Antrag wenigstens
onsequent geblieben, nämlich in der Offenbarung eines
angelnden Verständnisses unserer Arbeitsverwaltung.
n der Begründung zu Punkt drei monieren Sie, dass
urch die derzeitige bürokratische Detailsteuerung für
as eigentliche Ziel der Arbeitsmarktreform, nämlich
er Integration von Arbeitslosen, immer weniger Res-
ourcen blieben. Wie ich bereits erwähnt habe, haben
ir die Ausgaben für die Arbeitsmarktintegration stabil
ehalten, sodass pro Arbeitslosen sogar mehr Geld zur
erfügung steht als vor einem Jahr. Zudem muss ich an
ieser Stelle wohl darauf hinweisen, dass die Arbeitsver-
altung in den Jobcentern in einen Leistungsbereich und
inen Betreuungsbereich unterteilt ist, sodass sich eine
ventuelle zusätzliche Belastung der Mitarbeiter des
eistungsbereichs bei der Regelsatzberechnung nicht auf
ie Jobvermittler auswirkt.
Gerade diese Arbeitsteilung, die mit den Reformen
m Arbeitsmarkt eingeführt wurde, diente doch dem
weck, dass sich die Jobvermittler auf ihre eigentliche
ufgabe konzentrieren und sie eben nicht mit den zeit-
aubenden Verwaltungsaufgaben belastet werden sollten.
Die Debatte, inwieweit der derzeitige Berechnungs-
odus für die Regelsätze noch zeitgemäß ist, hat uns be-
eits im vergangenen Jahr angesichts teils kräftiger
reissteigerungen bei den Lebensmitteln beschäftigt. Bei
ller berechtigten Kritik an der Einkommens-Verbrau-
herstatistik, EVS, und insbesondere der Gewichtung
inzelner Komponenten, gibt es aus meiner Sicht derzeit
eine bessere als die jetzige Lösung. Bis 1989 wurde der
ür die Führung eines menschenwürdigen Lebens not-
endige Bedarf auf Grundlage eines von Experten zu-
ammengestellten Warenkorbs bestimmt. Nach dem Be-
chluss der Ministerpräsidenten erfolgte ab 1990 der
15064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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Umstieg zum Statistikmodell, das heißt, der notwendige
Bedarf orientiert sich an den tatsächlichen, statistisch er-
mittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten im unte-
ren Einkommensbereich. Mit dieser Umstellung sind wir
der Lebenswirklichkeit ein ganzes Stück näher gekom-
men. Seinerzeit wurden noch bestimmte Abzüge vorge-
nommen, die als „nicht regelsatzrelevant“ betrachtet
wurden beispielsweise Nachhilfeunterricht, Musikunter-
richt oder Haustiere. All das könnte man ohne große Be-
gründungsschwierigkeiten wieder als individuell ge-
rechtfertigte Mehraufwendung einführen. Dennoch tun
wir das nicht, weil es ein Fass ohne Boden wäre, das vor
den Steuerzahlern nicht zu rechtfertigen wäre.
Mit dem Vorliegen der Ergebnisse der EVS 2008 ist
der Verordnungsgeber gesetzlich verpflichtet, die Regel-
satzbemessung zu überprüfen und gegebenenfalls wei-
terzuentwickeln, § 28 Abs. 3 Satz 5 SGB XII. Bei dieser
Gelegenheit kann es auch eine spezielle Überprüfung der
Angemessenheit der geltenden Kinder-Regelsatz-Relati-
onen – 60 Prozent bzw. 80 Prozent – geben. Das Ganze
muss jedoch, um wirklich Planungssicherheit für die Be-
troffenen zu schaffen, in ein Gesamtkonzept gebettet
sein und darf sich nicht in der Aneinanderreihung von
Einzelforderungen erschöpfen.
Angelika Krüger-Leißner (SPD): Was mich an dem
Antrag ärgert, ist, dass wichtige Sachverhalte schlicht
und ergreifend falsch dargestellt werden. Behauptet
wird, die Berücksichtigung von Sachleistungen wie die
Verpflegung während eines Krankenhausaufenthaltes
würde durch die Verordnung neu eingeführt. Richtig ist:
Es hat sie auch vorher schon gegeben.
Nach der bisher geltenden Regelung wäre sogar ein
höherer Betrag anzurechnen gewesen, als dies seit dem
1. Januar 2008 der Fall ist. Dieser höhere Betrag hätte je-
doch den für Verpflegung enthaltenen Anteil beim
Arbeitslosengeld II bzw. beim Sozialgeld überstiegen.
Deshalb musste gehandelt werden.
Neu ist aber nicht nur die Begrenzung der Anrech-
nung. Wir haben zusätzlich eine Bagatellgrenze einge-
führt. Vielen Menschen bleibt damit eine Anrechnung
der Verpflegung im Krankenhaus auf ihr Arbeitslosen-
geld II erspart.
Konkret bedeutet dies: Wer vorher 347 Euro Arbeits-
losengeld II erhalten hat, nun ins Krankenhaus muss und
im Krankenhaus voll verpflegt wird, erhält fast drei Wo-
chen lang das volle Arbeitslosengeld II weiter. Oder an-
dersherum: Bei einer durchschnittlichen Dauer eines
Krankenhausaufenthaltes von 8,5 Tagen wird es bei der
weit überwiegenden Zahl der Arbeitsuchenden zu keiner
Anrechnung der Verpflegung mehr kommen.
Aber auch einen anderen Aspekt stellen Sie in ihrem
Antrag falsch dar. Erst vor wenigen Wochen – noch vor
dem Jahreswechsel – wurde ich darauf angesprochen,
dass einzelne Träger kostenlose Schulmahlzeiten als
Einkommen anrechnen würden. Dies war Praxis. Dies
war deshalb nicht tragbar, weil so Hilfen für Kinder er-
schwert oder gar unmöglich gemacht wurden.
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Mit der geänderten Verordnung und der Einführung
er Bagatellgrenze gehört diese Praxis der Vergangen-
eit an. Kindern kann jetzt konkret und vor allem wirk-
am geholfen werden. Es ist jetzt sichergestellt, dass ein
ostenloses Mittagessen in der Schule oder im Kinder-
arten nicht als zusätzliches Einkommen angerechnet
ird. Das ist ein konkreter Beitrag, um Kinderarmut zu
ekämpfen.
Übrigens: Kinderarmut ist nicht nur fehlendes Ein-
ommen. Armut ist generell ein Mangel an Teilhabe-
nd Verwirklichungschancen. Deshalb ist es so wichtig,
ass wir nicht nur die Transfers im Auge haben. Zentral
st Bildung. Und damit meine ich Bildung von hoher
ualität. Voraussetzung hierfür sind eine gute schulische
nfrastruktur und Lernmittelfreiheit – aber auch Kinder-
ärten. Das sind nur ein paar Beispiele. Diese machen
ber deutlich, dass eine gemeinsame Anstrengung aller
otwendig ist. Gefordert sind Bund, Länder und Kom-
unen.
Aber zurück zur Verordnung: Ich finde es gut, dass
er Verordnungsgeber, das heißt das Bundesministerium
ür Arbeit und Soziales, die Praxis genau beobachtet und
egengesteuert hat. Ein solches Verfahren halte ich auch
ür die Zukunft für richtig. Wir müssen uns genau an-
chauen, wie die neue Verordnung wirkt. Dort, wo es er-
ennbare Unzulänglichkeiten gibt, die auch praktischer
nd nicht nur theoretischer Natur sind, müssen wir han-
eln.
Die Forderung nach einer Nichtanrechnung karitati-
er Zuwendungen wie beispielsweise Lebensmittel- oder
öbelspenden ist bereits erfüllt. Auch Zuwendungen
er freien Wohlfahrtspflege, die dem gleichen Zweck
ie das Arbeitslosengeld II dienen, sind nicht als Ein-
ommen zu berücksichtigen.
Daher eine Bitte an die Antragsteller: Wir können
iele Missverständnisse vermeiden, wenn im Vorfeld in-
ensiver recherchiert wird.
Für viel gefährlicher halte ich jedoch die Debatte, die
urch die beiden Artikel am Dienstag und am Mittwoch
n der Bildzeitung angestoßen wurde. Die geschilderten
allbeispiele mag es geben. Das ist nicht der Punkt. Es
ntsteht jedoch der Eindruck, dass alle Arbeitsuchenden
ich lieber auf die faule Haut legen würden, als zu arbei-
en. Das ist nicht wahr. Wer zu den Menschen geht und
it ihnen spricht, der erfährt etwas anderes.
Die ganz überwiegende Mehrheit der Arbeitsuchen-
en will einen Job. Dies hat nicht zuletzt der große Run
uf die Arbeitsgelegenheiten gezeigt. Als die Grund-
icherung für Arbeitsuchende 2005 eingeführt wurde,
ar vielerorts die Zahl der Interessenten größer als die
er Arbeitsgelegenheiten.
Mir ist auch klar, warum das so ist. Arbeit bedeutet
icht nur Einkommen, sondern auch Teilhabe an der Ge-
ellschaft in jedweder Form. Viele persönliche Kontakte
ind mit dem Arbeitsplatz verbunden. Für fast jeden be-
eutet Arbeit auch Anerkennung und ist gut für das
elbstwertgefühl. Viele Studien zeigen auf der anderen
eite, dass lang andauernde Erwerbslosigkeit zu sozialer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15065
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Isolation, zu Krankheit oder zum Zerbrechen der Familie
führen kann.
Man kann Arbeit nicht einfach darauf reduzieren, wie
viel Euro mehr man in der Tasche hat.
Gleichwohl müssen wir erkennen, dass bei der Höhe
der Löhne oftmals vieles im Argen liegt. Sich für das Ar-
beitslosengeld II zu entscheiden, statt arbeiten zu gehen,
weil es sich nicht lohnt, darf es nicht geben. Das Lohn-
abstandsgebot muss eingehalten werden. Hier müssen
wir handeln. Deshalb setzen wir uns für Mindestlöhne
ein.
Darüber hinaus möchte ich betonen, dass jeder gehal-
ten ist, seinen Lebensunterhalt so weit wie möglich
selbst zu bestreiten. Die Gesetzeslage ist hier eindeutig.
Der Eindruck, der in dieser Debatte oft vermittelt wird,
ist falsch. Man kann nicht zwischen Arbeitslosengeld II
und Arbeit frei wählen. Fördern und Fordern sind zwei
Seiten ein und derselben Medaille.
Einen weiteren Punkt halte ich für sehr wichtig. Um
sicherzustellen, dass die Menschen, die arbeiten, mehr
haben, als wenn sie nicht arbeiten, benötigen wir auch
vernünftige Freibetragsregelungen. Menschen, die nur
wenig verdienen, brauchen einen ordentlichen Freibe-
trag. Ihnen kann man nichts wegnehmen. Man darf sie
nicht im Stich lassen. Auch sie haben Werbungskosten.
Ich wende mich gegen all diejenigen, die für eine Kür-
zung plädieren und Menschen mit einem kleinen Ver-
dienst bis 400 Euro den Hinzuverdienst nicht gönnen.
Lassen Sie mich noch einmal zum Antrag der Grünen
zurückkommen. Gefreut hat mich hier, dass Sie weiter
zu der Entscheidung stehen, das Arbeitslosengeld II stär-
ker zu pauschalieren, als dies früher in der Sozialhilfe
der Fall war. Die Zusammenfassung vieler einmaliger
Leistungen zu einem einheitlichen Zahlbetrag gibt den
Menschen mehr Handlungsfreiheit. Sie müssen nicht
mehr wie früher beim Sozialamt für jede Kleinigkeit als
Bittsteller vorsprechen. Übrigens haben wir damit eine
alte Forderung der Wohlfahrtsverbände erfüllt.
Eine Anmerkung in diesem Zusammenhang: Die
Höhe des Arbeitslosengeldes II genauso wie die Leistun-
gen nach dem SGB XII muss nach einem verlässlichen
und transparenten Verfahren bestimmt werden. Willkür-
liche Entscheidungen haben hier keinen Platz. Beson-
dere Anlässe wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder
die Erhöhung der Preise für Milchprodukte geben Anlass
zu der Frage, ob durch das Arbeitslosengeld II aktuell
das Existenzminimum noch abgedeckt wird. Es ist daher
zu begrüßen, dass Bundesminister Olaf Scholz das
Thema aufgegriffen und eine Überprüfung eingeleitet
hat.
Damit sind wir auch wieder bei der Verordnung. Wir
brauchen einen lernenden Gesetz- und Verordnungsge-
ber. Das haben wir, und das ist auch gut so.
Dirk Niebel (FDP): Wir haben seinerzeit der Einfüh-
rung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuge-
stimmt, weil der bürokratische Aufwand bei der An-
tragsbearbeitung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
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ingedämmt und Verwaltungskosten eingespart werden
ollten. Auch drei Jahre nach der Einführung des
rbeitslosengeldes II ist der Ansturm auf die Sozialge-
ichte ungebrochen. Nach Angaben des Bundessozialge-
ichts sind im letzten Jahr in der ersten Instanz 154 000
lagen im Zusammenhang mit Hartz IV eingegangen.
er Zuwachs liegt bei 32 Prozent gegenüber dem Vor-
ahr; die Verfahren sind für die Betroffenen kostenfrei,
ofern kein Rechtsanwalt eingeschaltet wird.
Die meisten Fälle drehen sich um Bedarfsberechnung
nd Fragen der Anrechnung von Einkommen und Ver-
ögen. Aber auch die Überprüfung von angemessenen
ohnungskosten und Sanktionen sind immer öfter Teil
er Klageflut. Im Durchschnitt sind 30 Prozent aller Ver-
ahren vor den Sozialgerichten ganz oder teilweise er-
olgreich. Bei Hartz IV liegt die Erfolgsquote allerdings
eutlich darunter; diese Verfahren kosten Zeit und Geld
ller Beteiligten. Das Bundessozialgericht in Kassel
atte Mitte des letzten Jahres sogar einen neuen Senat
peziell für Hartz-Fälle eingerichtet, weil dort etwa jedes
ünfte Revisionsverfahren landet. Die Gerichte geben in
inzelfällen den Betroffenen Recht; in anderen machen
ie die Ablehnung nachvollziehbar.
Hartz IV hat für mehr Arbeitsplätze gesorgt: bei den
rbeitsagenturen, bei den Kommunen und bei Gerich-
en. Nur die, die schneller auf einen Arbeitsplatz vermit-
elt werden und damit die Möglichkeit bekommen soll-
en, zusätzlich zu den Leistungen selbst zu ihrem
ebensunterhalt beizutragen, haben von diesem Be-
chäftigungsprogramm bisher nicht profitiert.
Die Reform galt als bahnbrechend; es gab Befürwor-
er und Gegner, Gewinner und Verlierer. Aber nur wirk-
ich Bedürftige sollen vom Staat unterstützt werden.
chließlich werden die Transferleistungen von der Ge-
einschaft der Bürgerinnen und Bürger finanziert. Seit
anuar erhalten ALG-II-Empfänger 35 Prozent weniger
eistungen, wenn sie im Krankenhaus oder in einer sta-
ionären Rehabilitationsmaßnahme sind. Dies ist streitig
nd wird kritisiert, weil man nicht die Möglichkeit hat,
ahlzeiten ausfallen und sich das Geld auszahlen zu las-
en.
Wir brauchen für die Leistungsbezieher eine andere
erspektive als mehr Anträge für mehr Leistung, näm-
ich die Perspektive auf Beschäftigung. Wir brauchen
uch für diejenigen, die die finanzielle Grundlage des
eistungsbezuges ermöglichen, eine andere Perspektive.
as sind die Menschen in der Mitte der Gesellschaft. Sie
üssen entlastet statt immer weiter belastet werden. Die
ragen sich zu Recht, warum der Aufschwung bei ihnen
icht angekommen ist, wo der Abschwung schon in
ichtweite geraten ist.
Beim ALG II handelt es sich um ein steuerfinanzier-
es soziokulturelles Existenzminimum, das auf der Basis
er alle fünf Jahre stattfindenden Einkommens- und Ver-
rauchsstichprobe ermittelt wird. Das Arbeitslosengeld
oll und kann durch Hinzuverdienste aufgestockt wer-
en. Das Bundessozialgericht hat im November 2006
estgestellt, dass der monatliche Regelsatz nicht gegen
as Grundgesetz verstößt.
15066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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Arbeitslose sollten aktiviert und vermittelt statt mög-
lichst lange alimentiert werden. Fördern und Fordern
war als Begriffspaar in aller Munde. Diese Ziele wurden
bisher nicht erreicht, weil die notwendigen Rahmenbe-
dingungen nicht gesetzt wurden. Um mehr Arbeitsplätze
zu schaffen, müssen Steuern und Abgaben gesenkt, Bü-
rokratie abgebaut und arbeits- und tarifrechtliche Vor-
schriften gelockert werden.
Die pauschalierten Regelsätze geben den Menschen
die Freiheit, ihr Geld so einzusetzen, wie sie es brau-
chen. Die Situation für die betroffenen Leistungsemp-
fänger hat sich aber bisher nicht wesentlich verbessert.
Eine schnellere Vermittlung in Beschäftigung hat nicht
stattgefunden. Das Personal ist mit Verwaltungs- statt
Vermittlungsaufgaben befasst. Aber bisher wurden we-
der neue Arbeitsplätze geschaffen, noch wurden die An-
reize zur Arbeitsaufnahme attraktiv gesetzt. Statt der
Einführung eines Niedriglohnsektors, der diesen Men-
schen die Chance auf Beschäftigung gibt, werden wei-
tere Arbeitsplätze durch die geplante Einführung von
flächendeckenden Mindestlöhnen gefährdet. Sie ver-
drängen Arbeitsplätze in die Schwarzarbeit und ver-
schärfen dadurch die Lebenssituation von Langzeitar-
beitslosen.
Deshalb hat die FDP die Auflösung der Bundesagen-
tur für Arbeit in ihrer jetzigen Form und die Neuordnung
ihrer Aufgaben gefordert. Wir fordern den verantwor-
tungsvollen Umgang mit den Mitteln der Beitrags- und
Steuerzahler und die Anpassung an die Bedürfnisse der
Arbeitslosen, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden. Das
Zuständigkeitschaos von Arbeitsagenturen, Kommunen
und Arbeitsgemeinschaften muss beendet werden. Wir
wollen, dass alle Arbeitslosen in kommunalen Job-
centern betreut und beraten werden, weil die Kommunen
besser auf individuelle Problemlagen und den regionalen
Arbeitsmarkt reagieren können. Darin sehen wir uns
auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
bestätigt, das im Dezember 2007 entschieden hat, dass
die Errichtung von Arbeitsgemeinschaften gegen die
Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstößt. Die
Bundesregierung hat drei Jahre Zeit, um für eine neue
Ordnung zu sorgen.
Ich hoffe sehr, dass die FDP von den Wählerinnen
und Wählern beauftragt wird, an den entscheidenden
Stellen eine liberale Richtung vorzugeben. Ich hoffe
sehr, dass wir zu einem Systemwechsel beitragen kön-
nen. Die FDP war die erste Partei, die ein Bürgergeld für
Deutschland beschlossen hat. Im Gegensatz zu anderen
wollen wir kein bedingungsloses Grundeinkommen,
sondern ein bedarfsorientiertes Bürgergeld, ein Steuer-
und Transfersystem aus einem Guss.
Alle steuerfinanzierten Sozialtransferleistungen wer-
den gebündelt, die Sozialbürokratie verschlankt und das
Transferleistungssystem transparenter und fairer. Alle, die
arbeitsfähig sind, bekommen das Bürgergeld über die Fi-
nanzämter, die es als Negativsteuer berechnet. Diejenigen,
die leistungsfähig sind, haben damit den klaren Anreiz,
dass ihnen Arbeit ein höheres Netteinkommen einbringt.
Die eigene Anstrengung zahlt sich – unabhängig von Fa-
milienstand, Anzahl der Kinder und so weiter – aus. Das
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LG II leistet das nicht, weil für alle Familien mit Kin-
ern jeder selbst erarbeitete Cent über 1 500 Euro von den
ransferleistungen abgezogen wird. Zusätzliche Anstren-
ungen zahlen sich also nicht aus. Das ist nicht gerecht.
ei unserem Bürgergeld-Konzept hat der arbeitende Ar-
eitnehmer netto immer mehr als der, der nicht arbeitet.
eder Erwerbsfähige bleibt verpflichtet, zumutbare Arbeit
uch anzunehmen.
Das Bürgergeld stellt ein Mindesteinkommen für je-
en sicher, und zugleich schafft es zusätzliche Anreize,
urch Arbeit ein höheres Nettoeinkommen zu erzielen.
amit ist es gerechter und wirksamer als jede Mindest-
ohnregelung. Das Bürgergeld muss individuell ausge-
taltet werden, je nach Lebenssituation. Das Bürgergeld
uss so berechnet werden, dass es bezahlbar bleibt und
ine hinreichende Versorgung gewährleistet.
Wir wissen, dass die Umsetzung unserer Forderung
m politischen Wettbewerb sehr schwierig wird, aber wir
ind bereit, uns dieser Aufgabe zu stellen.
Katja Kipping (DIE LINKE): Im vorliegenden An-
rag fordern die Grünen, die zum 1. Januar 2008 in Kraft
etretene ALG-II-Verordnung zur Berechnung von Ein-
ommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkom-
en und Vermögen im Sinne des Grundsatzes pauscha-
ierter Leistungen zu überarbeiten. Dabei soll gesichert
erden, dass Verpflegungsleistungen bei stationären
ufenthalten oder Teilverpflegungen in Kindertagesstät-
en und Schulen grundsätzlich nicht auf die Regelleis-
ung angerechnet werden dürfen. Sowohl die grundsätz-
ichen Erwägungen als auch die konkreten Forderungen
es Antrags werden von uns geteilt. Die Linke hat selbst
n ihren eigenen Anträgen immer wieder ähnliche Forde-
ungen erhoben. So haben wir bereits mehrfach die deut-
iche Anhebung des Regelsatzes, die Berücksichtigung
inder- und jugendspezifischer Bedarfe und kürzlich
uch die Nichtanrechnung von Verpflegung bei stationä-
em Aufenthalt auf die Regelleistung gefordert.
Hier teilt meine Fraktion die Sicht der Grünen, dass
ine solche Anrechnung – auch jenseits einer Bagatell-
renze – dem Grundsatz der Pauschalierung wider-
pricht. Gleichzeitig möchte ich die Interpretation des
inisteriums, dass mit der Verordnung dem Votum des
etitionsausschusses weitgehend entsprochen wurde
diese Sichtweise können Sie gern in der Antwort auf
nsere Kleine Anfrage zu Implikationen der neuen
LG-II-Verordnung nachlesen – auf das Schärfste zu-
ückweisen.
Ebenfalls lehnen wir, wie die Grünen, eine Ermessens-
ntscheidung durch die Grundsicherungsträger bei der
berprüfung der Betriebsausgaben von Selbstständigen,
ie ergänzendes ALG II beziehen, ab. Statt in Zukunft um
den Bleistift und jede Druckerkartusche zu streiten so-
ie noch mehr bürokratischen Aufwand zu erzeugen, sol-
n sich die Jobcenter auf gute Beratung und Vermittlung
onzentrieren.
Mit den Grünen teilen wir schließlich auch die Be-
ürchtung, dass die neue ALG-II-Verordnung von den
eistungsbehörden dazu genutzt werden könnte, lokale
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15067
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Unterstützungsmaßnahmen zur Abwendung sozialer
Härten auf die Hilfeleistungen anzurechnen. Ich denke
da beispielsweise an die sozialen Aktivitäten von Initia-
tiven und Kommunen, die für eine preisgünstige Ver-
pflegung in Schulen und Kindertagesstätten sorgen. Der-
artige Leistungen könnten dann auf die ohnehin schon
nicht bedarfsdeckende Regelleistung angerechnet wer-
den. Folglich würde die Verelendung und Ausgrenzung
von Kindern durch Hartz IV auf die Spitze getrieben,
während die Regierung in Berlin wortreich die Kinder-
armut beklagt. Hier ist dringend eine Klarstellung erfor-
derlich.
Ich kann es gar nicht oft genug sagen: Ebenso drin-
gend erforderlich ist die im Antrag angemahnte Anhe-
bung der Regelsätze. Dem Bundestag liegen hier zwei
Anträge der Linken und der Grünen vor, die zügig be-
schlossen werden könnten. Die Koalitionsfraktionen
blockieren aber aufgrund des Wahlkampfs den Anhö-
rungstermin. Nach den Wahlen in Hamburg werden sie
Gelegenheit haben, den Wünschen der Bevölkerung
nach mehr sozialer Gerechtigkeit zu entsprechen.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht
immer ist die Bundesregierung unentschlossen: Zum ers-
ten Januar diesen Jahres ist eine Neufassung der „Ver-
ordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur
Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen
beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld“ in Kraft getreten.
Diese ALG-II-Verordnung verstößt gegen den Grundsatz
pauschalierter Regelleistungen, gängelt die Leistungsbe-
ziehenden im Detail und überzieht die Jobcenter mit zu-
sätzlicher Bürokratie.
Wie verhält es sich zum Beispiel, wenn ALG-II-Be-
ziehende als Selbstständige ergänzendes Arbeitslosen-
geld II erhalten? Sie können nunmehr nur noch solche
Betriebsausgaben absetzen, die im Allgemeinen den Le-
bensumständen eines ALG-II-Beziehenden entspre-
chen. Die Fallmanager sollen bei Selbstständigen prüfen,
welche „tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben“
ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzu-
setzen sind. Was sind denn „notwendige Ausgaben“? Ist
der – steuerlich unproblematisch absetzbare – geleaste
Mittelklassewagen eines Versicherungsvertreters noch
notwendig im Sinne der Verordnung? Oder darf nun nur
noch ein gebrauchtes Fahrzeug abgesetzt und abge-
schrieben werden? Das heißt: Selbstständige, die sich
am Existenzminimum bewegen, müssen sich jetzt mit
ihrer Leistungsbehörde abstimmen, welche Betriebsaus-
gaben tatsächlich notwendig sind. Vor dem 1. Januar 2008
galt für die Leistungsbehörden als Maßstab zur Beurtei-
lung der Notwendigkeit einer Ausgabe noch das Steuer-
recht. Jetzt müssen Selbstständige, die in der Regel nur
vorübergehend auf ALG II angewiesen sind, eine zusätz-
liche Buchführung für den Fallmanager erstellen und im
Zweifelsfall Investitionsentscheidungen mit ihrem Fall-
manager abstimmen. Mit diesem Eingriff in die unter-
nehmerische Handlungsfreiheit ist die Verordnung ein
ausgezeichnetes Instrument zur Verhinderung von Exis-
tenzgründungen.
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Mit der Arbeitslosengeld-II-Verordnung bricht die
undesregierung mit dem sinnvollen Prinzip der pau-
chalierten Leistung. Im Unterschied zur früheren
ozialhilfe ist mit dem Zweiten und Zwölften Buch So-
ialgesetzbuch der Grundsatz pauschalierter Regelleis-
ungen eingeführt worden, damit die Hilfebedürftigen
utonom Konsumentscheidungen treffen können und
icht für jede größere Anschaffung einen Antrag stellen
üssen. Dies bedeutet, dass nicht in jeder Lebenslage
innahmen und Ausgaben gegeneinander aufgerechnet
erden. Wir erinnern uns als Sozialpolitiker noch alle an
ie langwierigen und demütigenden Prozesse, die etwa
bdachlose führen mussten, denen die Leistung mit der
egründung gekürzt wurde, sie bräuchten zu Weihnach-
en keinen Christbaum.
Nun feiert diese überwunden geglaubte Scheinlogik
bereifriger Sozialamtsleiter fröhliche Urständ im Bun-
esministerium für Arbeit und Soziales: Künftig soll das
ssen in Krankenhäusern und anderen stationären Ein-
ichtungen zu 35 Prozent auf die Regelleistung ange-
echnet werden, allerdings ohne dass die zusätzlichen
usgaben für den Krankenhausaufenthalt Berücksichti-
ung finden. Die eingeführte Bagatellgrenze von
3 Euro ist ein Bestrafungsinstrument für die wirklich
ranken Leistungsbezieher, nämlich für solche, die sich
änger als drei Wochen in stationärer Unterbringung be-
inden.
Mit der Anrechnung von Verpflegung im Kranken-
aus auf den Regelsatz ignoriert die Bundesregierung
icht nur den damaligen politischen Willen des Gesetz-
ebers im Jahr 2003, sondern auch die herrschende
echtsprechung, die eine Anrechnungsmöglichkeit als
eldwertes Einkommen grundsätzlich verneint. Die
undesregierung ignoriert überdies die am 27. Oktober
007 erfolgte einstimmige Zustimmung des Deutschen
undestages zum Beschluss des Petitionsausschusses,
rucksache 16/6618, der sich ausdrücklich gegen eine
ürzung der Regelleistung bei einem Krankenhausauf-
nthalt ausspricht. Und schließlich greift die Bundes-
egierung mit dieser Regelung einem Urteil des Bundes-
ozialgerichts vor, das noch in diesem Frühjahr erwartet
ird.
Tatsächlich steht die Verordnung juristisch auf töner-
en Füßen. Die zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene
erordnung ist bereits vier Wochen später vom Sozial-
ericht Berlin kassiert worden. Die Berliner Richter
rteilen, dass die Bundesregierung mangels Ermächti-
ungsgrundlage gar keine Verordnungsregelung zur An-
echnung von Verpflegung im Krankenhaus als Einkom-
en erlassen darf. Es bedarf hierzu einer gesetzlichen
egelung, das heißt einer Änderung des SGB II. Da § 13
r. 1 SGB II wörtlich festlegt, dass auf dem Verord-
ungswege nur geregelt werden kann, welche Einnah-
en nicht als Einkommen angerechnet werden dürfen,
ann davon ausgegangen werden, dass die Sozialge-
ichtsbarkeit sich in diesem Punkt einig ist. Hier stellt
ich die Frage, warum der Verordnungsgeber handwerk-
ich so schlecht arbeitet, dass die neue Arbeitslosengeld-
I-Verordnung kurz nach Inkrafttreten zum Beschäfti-
ungsprogramm für die Sozialgerichte wird. Wer hand-
15068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
(B) )
werklich eine derart schlechte Leistung abgibt, sollte
sein Produkt wieder zurücknehmen.
Überdies ist die Verordnung alles andere als ein Bei-
trag zur Verwaltungsvereinfachung zur Entlastung der
Jobcenter und Arbeitsgemeinschaften. Mit der Bundes-
agentur für Arbeit wurde die ALG-II-Verordnung offen-
bar nicht abgestimmt. Die Bundesagentur vermutet zu
Recht, dass die Verordnung mehr (Bürokratie-)Kosten
verursacht, als durch vermeintlichen Missbrauch einge-
spart werden kann. Statt staatlicher Gängelung im Detail
sollten die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen ge-
stärkt und die Handlungsfreiheit der Jobcenter herge-
stellt werden, damit diese ihrer eigentlichen Aufgabe
nachgehen können: die Integration Langzeitarbeitsloser
in den Arbeitsmarkt zu fördern.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Das Erneuerbare-
Energien-Gesetz darf nicht durch europäische
Vorgaben für einen Zertifikatehandel unterlau-
fen werden (Zusatztagesordnungspunkt 6)
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das Thema
erneuerbare Energien ist zurzeit in aller Munde. Es ver-
geht kein Tag, an dem nicht in den Medien über die Kli-
maschutzdebatte, Energiepolitik und die regenerativen
Energien berichtet wird.
Ende 2006 machten sowohl der Klimabericht des bri-
tischen Regierungsberaters Sir Nicholas Stern als auch
der Weltklimabericht der Vereinten Nationen deutlich,
dass der Klimawandel zu den zentralen Herausforderun-
gen unserer Zeit gehört.
So führte der IPCC im dritten Teil des vierten Weltkli-
maberichtes „Mitigation of Climate Change“ drastisch
vor Augen, dass der weltweite Ausstoß von Treibhaus-
gasen zwischen 1970 und 2004 um 70 Prozent zugenom-
men hat. Fortschritte in der Energieeffizienz wurden
durch die wachsende Weltbevölkerung und das stei-
gende weltweite Einkommen größtenteils wieder zu-
nichte gemacht. Sollte die derzeitige Entwicklung anhal-
ten, könnte der Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030
gegenüber dem Jahr 2000 um 25 bis 90 Prozent zuneh-
men.
Klar ist, dass Deutschland und Europa sich der He-
rausforderung des Klimawandels stellen müssen.
Deutschland, mit seiner Expertise in vielen Bereichen
der Produktions- und Energietechnik, kann und sollte
den Klimawandel auch als Chance für einen großen In-
novationsschub begreifen.
Die Große Koalition hat dem Klimaschutz oberste
Priorität eingeräumt. Die deutsche EU-Ratspräsident-
schaft und die G-8-Präsidentschaft standen ganz unter
dem Primat der internationalen Klimaschutzpolitik, in
der Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkenswert am-
bitionierte CO2-Reduktionsziele international durchset-
zen konnte.
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So hat der Europäische Rat auf seiner Frühjahrskon-
erenz im März 2007 beschlossen, den Ausstoß der ge-
ährlichen Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um ein
ünftel zu reduzieren. Sollten große nichteuropäische
taaten diesem Beispiel folgen, will die EU die CO2-
missionen bis 2020 sogar um 30 Prozent mindern. Der
nteil von erneuerbaren Energien aus Sonne, Wasser,
ind, Erdwärme und Biomasse am europäischen Ge-
amtenergieverbrauch soll bis dahin mit 20 Prozent ver-
reifacht werden. Die Energieeffizienz will die EU bis
020 um 20 Prozent erhöhen.
Mittelpunkt der deutschen Klimaschutzanstrengun-
en ist zurzeit die Umsetzung dieser Beschlüsse. Das
undeskabinett hatte im August 2007 die Eckpunkte für
in „Energie- und Klimapaket“ beschlossen, welches
ünktlich zur Weltklimakonferenz auf Bali am 5. De-
ember als umfangreiches Paket der Bundesregierung
it 14 Gesetzen und Verordnungen vorgelegt wurde. Ein
weites kleineres Paket mit weiteren Rechtsetzungsvor-
aben wird am 21. Mai dieses Jahres folgen.
Mit dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm,
EKP, verdoppelt Deutschland seine Anstrengungen zum
limaschutz. Zurzeit wurde eine Reduktion der Treib-
ausgasemissionen um 18 Prozent gegenüber 1990
rreicht; das Programm soll eine Reduktion um etwa
6 Prozent erzielen. Damit ist ein großer Schritt hin zur
rreichung des Klimaschutzziels von minus 40 Prozent
is 2020 getan. Das Integrierte Energie- und Klimapro-
ramm ist damit nicht nur in der Geschichte der deut-
chen Klimapolitik, sondern auch international einmalig.
Die EU-Kommission hat nun wieder ihrerseits am
3. Januar 2008 ein umfassendes Maßnahmenpaket zur
nergie- und Klimapolitik vorgestellt. Es zeigt den Weg
uf, wie die Beschlüsse des Europäischen Rats vom
ärz 2007 auf die Mitgliedstaaten heruntergebrochen
mgesetzt werden können – nämlich den Anteil der re-
enerativen Energien am Endenergieverbrauch in der
U bis 2020 auf insgesamt 20 Prozent zu erhöhen. Für
eutschland wurde eine nationale Quote von 18 Prozent
is zum Jahr 2020 festgelegt.
Im Zusammenhang mit der Quotenfestsetzung für
inzelne Mitgliedstaaten wurde auch über die möglichst
ffiziente Allokation der unterschiedlichen erneuerba-
en Energien diskutiert. So macht die Überlegung, zum
eispiel Windkraftanlagen vor allem an den windstarken
üstenstandorten und Fotovoltaikanlagen vor allem im
onnigen Südeuropa zu platzieren, durchaus Sinn. Ein
nstrument, um dieses Ziel zu erreichen, könnte der Han-
el mit Ökozertifikaten sein. Mit dem Zertifikatehandel
ersucht die Kommission zudem dem Wunsch einiger
itgliedstaaten nach zusätzlicher Flexibilität bei der
ielerfüllung nachzukommen, was ebenfalls grundsätz-
ich erstrebenswert ist.
Dennoch ist die CDU/CSU-Fraktion im deutschen
undestag strikt dagegen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt
iesen Handel zu ermöglichen und begrüßt daher aus-
rücklich den Genehmigungsvorbehalt der Mitgliedstaa-
en, den das Kommissionspapier für den Handel von
ertifikaten für erneuerbare Energien auf Unternehmens-
bene vorsieht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15069
(A) )
(B) )
Einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung unserer Kli-
maschutzziele im Strombereich leistet das Erneuerbare-
Energien-Gesetz (EEG) mit der vorrangigen Einspei-
sung und der Vergütungsregelung. Das EEG ist sogar ein
besonders effizientes Instrument für einen zügigen Zu-
bau von erneuerbaren Energien im internationalen Ver-
gleich. Dies bescheinigt auch die EU-Kommission in ih-
rem Papier „The support of electricity from renewable
energy sources“, das am 7. Dezember 2005 veröffent-
licht wurde. – Außerdem sind wir als Union entschieden
der Auffassung, dass die Entscheidung über die Instru-
mente zur Zielerreichung beim Ausbau der erneuerbaren
Energien im Sinne der Subsidiarität bei den Mitglied-
staaten selbst liegen muss.
Die Folge eines völlig offenen Zertifikatehandels
könnte es nämlich sein, dass aus Mitgliedstaaten mit in-
effizienteren Förderstrukturen und uneffektiverem Aus-
bau der erneuerbaren Energien auf deutsche Zertifikate
zugegriffen und damit die Erfüllung des nationalen Aus-
bauziels verfehlt würde; und das obwohl die deutschen
Stromverbraucher mit ihrer EEG-Umlage den Ausbau in
unserem Land finanzieren. Der so finanzierte Erfolg
würde dann aber anderen Mitgliedstaaten zugerechnet
und Deutschland würde bei Nichterreichen des Ziels
möglicherweise auch noch mit Sanktionszahlungen
rechnen müssen.
Das allerdings würde das sehr erfolgreiche EEG und
vergleichbare Regelungen in anderen EU-Mitgliedstaa-
ten geradezu konterkarieren. Es würde den weiteren
Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland be-
drohen und letztendlich wäre auch fraglich, ob das
20-Prozent-Ziel auf EU-Ebene insgesamt überhaupt er-
reicht werden kann. Außerdem lassen die Ergebnisse
von Gutachten annehmen, dass ein solches System zu
weiteren hohen Belastungen für die europäischen Strom-
verbraucher führen würde, die überhaupt keine positiven
Effekte auf den Klimaschutz hätten.
Deshalb hatte Deutschland sich im Vorfeld des Green
Package erfolgreich gegen einen völlig offenen Zertifika-
tehandel stark gemacht. Denn das EEG mit seiner Ein-
speisevergütung ist sehr erfolgreich und hat sich über die
Grenzen Deutschlands hinaus bewährt. Um es nicht zu
gefährden, bitten wir die Bundesregierung, sich auch wei-
terhin – bei den Beratungen des Green Package im Minis-
terrat und im Hinblick auf die Diskussionen im Europäi-
schen Parlament – für die individuelle Zielerreichung in
den einzelnen Mitgliedstaaten einzusetzen. Das beinhal-
tet, die Kommission und den Ministerrat davon zu über-
zeugen, die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten
über geeignete Förderinstrumente zur Zielerfüllung nicht
einzuschränken, keinen europaweiten virtuellen Zertifi-
katehandel zur Förderung erneuerbarer Energien auf der
Ebene der Unternehmen einzuführen, den Staaten die
Möglichkeit zu geben, Zielüberfüllungen von Staaten mit
Defiziten anderer Staaten auszugleichen.
Es macht keinen Sinn, mitten im Rennen die Pferde
zu wechseln. Das Erreichen unserer ehrgeizigen Ausbau-
ziele wird unter Anwendung der bewährten Instrumente
schon schwierig genug werden. Deshalb denken wir im
Bundestag nicht über die komplette Umstellung des För-
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ersystems nach, sondern sind jetzt dabei, das EEG noch
ffizienter zu gestalten und die erneuerbaren Energien
äher an den Markt zu führen.
Das EEG ist ein Erfolgsmodell: es forciert effektiv
en Ausbau erneuerbarer Energien und trägt zur Versor-
ungssicherheit bei, es ist ein Jobmotor, es sorgt für effi-
ienten Klimaschutz und schafft Innovationen in der
irtschaft. Wir wollen es deshalb zur Erreichung der
hrgeizigen Klimaschutzziele erfolgreich weiterentwi-
keln.
Dies kann aber nur gelingen, wenn sichergestellt ist,
ass das Erfolgsmodell EEG nicht durch europäische
orgaben unterlaufen wird. Deshalb bitten wir Sie, liebe
olleginnen und Kollegen, um Unterstützung des Koali-
ionsantrags.
Dirk Becker (SPD): Die Bundesrepublik Deutsch-
and hat durch die Bundesregierung und die Koalitions-
raktionen von CDU/CSU und SPD umfangreiche Maß-
ahmen zum Klimaschutz auf den Weg gebracht.
intergrund ist die im internationalen und europäischen
ontext eingegangene Verpflichtung, den nationalen
usstoß an Treibhausgasen um 40 Prozent bis zum
ahr 2020 zu reduzieren. Damit wird Deutschland den
rößten nationalen Anteil innerhalb der EU leisten, da-
it diese insgesamt ihre geplanten Minderungsziele er-
eichen kann.
Wir unterstützen die EU ausdrücklich in ihrem Bemü-
en, die Energieeffizienz bis 2020 um 20 Prozent zu
teigern, den Ausstoß der Treibhausgase EU-weit um
0 Prozent zu reduzieren und den Anteil der erneuerba-
en Energien auf mindestens 20 Prozent zu steigern. Ge-
ade dem Ausbau der erneuerbaren Energien fällt dabei
ine entscheidende Schlüsselrolle zu.
Die SPD-Bundestagsfraktion verweist daher mit Stolz
uf das unter Rot-Grün verabschiedete erfolgreiche
EG. Mittlerweile ist unbestritten bewiesen, dass das
EG das effizienteste und günstigste System zur Markt-
inführung erneuerbarer Energien im Stromsektor ist. Es
at sich deutlich gegenüber anderen Modellen bewährt,
as weder auf EU-Ebene noch im nationalen Vergleich
it anderen Modellen bestritten wird. Mehr als
0 Länder haben daher mittlerweile das EEG für ihre
ationale Strategie übernommen. Nicht zuletzt wegen die-
er eindeutigen Erfolgsbilanz ist unser heutiger Koali-
onspartner vom EEG-Kritiker zum Befürworter gewor-
en. Dies bestätigt und freut uns natürlich besonders.
Ebenso freut uns die Entwicklung des tatsächlichen
EG-Anteils an der Stromerzeugung, die heute deutlich
ber den ursprünglichen Prognosen liegt. Nur wenn die-
es erfolgreiche deutsche Modell des EEG fortgeführt
ird, kann Deutschland seinen Beitrag im Rahmen der
uropäischen Minderungsziele erfüllen. Daher muss
uch künftig die Entscheidungsfreiheit über geeignete
örderinstrumente den Mitgliedstaaten überlassen blei-
en. Das von der EU angedachte Zertifikatesystem hin-
egen würde die Ausbauziele gefährden und die Kosten
ür den Einsatz erneuerbarer Energien in die Höhe trei-
15070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
(A) )
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ben. Dies ist weder im europäischen noch im deutschen
Interesse.
Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich bei
der Kommission und im Ministerrat, vor allem im Hin-
blick auf die kommenden Schlussfolgerungen des EU-
Frühjahrsgipfels zum Lissabon-Prozess, dafür einzuset-
zen, dass im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die Ent-
scheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten über geeignete
Förderinstrumente zur Zielerfüllung nicht eingeschränkt
wird, dass kein europaweiter virtueller Zertifikathandel
zur Förderung erneuerbarer Energien auf der Ebene der
Unternehmen eingeführt wird, da dieser ein untaugliches
und den Ausbau erneuerbarer Energien gefährdendes In-
strument wäre, dass den Staaten die Möglichkeit gege-
ben wird, Zielüberfüllungen von Staaten mit Defiziten
anderer Staaten auszugleichen, und bei der EU-Kommis-
sion und den Mitgliedstaaten, insbesondere bei der slo-
wenischen und französischen Ratspräsidentschaft, für
diese Positionen zu werben.
Michael Kauch (FDP): Umweltverträglichkeit, Wirt-
schaftlichkeit und Versorgungssicherheit sind die Voraus-
setzungen für eine nachhaltige Energieversorgung. Des-
halb setzen auch die Freien Demokraten auf einen
deutlich stärkeren Einsatz erneuerbarer Energiequellen in
Deutschland und in Europa. Ja, dazu brauchen wir auch
staatliche Fördermaßnahmen. Doch auch eine Förderpoli-
tik erneuerbarer Energien muss sich an der Wirtschaftlich-
keit messen lassen und mehr Wettbewerb als bislang zu-
lassen. Für einen marktwirtschaftlichen, effizienten Weg
zur Förderung der erneuerbaren Energien – dafür steht die
FDP.
Die Zielsetzungen des Europäischen Rates vom
März 2007, wonach der Anteil erneuerbarer Energien
bis 2020 auf 20 Prozent am Primärenergieverbrauch
gesteigert werden soll, begrüßen und unterstützen wir
ausdrücklich. Und – darin unterscheiden wir uns offen-
sichtlich von den anderen Fraktionen im Bundestag –
wir sehen in dem Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion Anfang dieses Jahres nicht zuerst einen Angriff
auf das deutsche EEG, sondern vor allem eine Chance,
auch andere Wege zur Förderung der erneuerbaren
Energien in ganz Europa zu gehen.
Ein Handel mit „Grünstrom-Zertifikaten“ würde be-
deuten, dass die erneuerbaren Energien dort ausgebaut
werden, wo es am wirtschaftlichsten ist. Wir stimmen
Ihnen zu, dass es den Mitgliedstaaten überlassen bleiben
soll, ob sie so einen Handel auch auf Unternehmens-
ebene zulassen. Dafür spricht das Subsidiaritätsprinzip.
Aber wir sagen anders als die Koalition: Auch Deutsch-
land sollte sich in nationaler Entscheidung für den weite-
ren Zubau bei den erneuerbaren Energien am Modell des
Handels mit „Grünstrom-Zertifikaten“ orientieren – zu-
mindest nach einer angemessenen Übergangsperiode.
Die bisherige Ausrichtung des EEG, wodurch allein
die Erzeugung von elektrischem Strom und dessen Ein-
speisung in ein bestehendes Netz zu staatlich vorgegebe-
nen Preisen und bei selektiver Förderung bestimmter
Techniken gefördert wird, ist nicht sinnvoll; denn das
EEG ist anfällig für das Lobby-Gezerre bei der Festle-
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ung der Einspeisepreise. Und das EEG ist zwar empi-
isch leistungsfähig beim Zubau von Kapazitäten, aber
abei eben nicht effizient. Wenn die Koalition das be-
auptet, dann hat sie die Gutachten der EU-Kommission
ben nicht richtig gelesen. Man kann nicht einfach
indstrom in Deutschland und Großbritannien verglei-
hen und dann sagen, das EEG sei billiger. Was ist denn
it den Preisen der anderen erneuerbaren Energien, die
as EEG fördert? Hier wird doch zum Teil deutlich mehr
om Verbraucher aufgewendet. Solch eine Rosinen-
ickerei beim Vergleich der Effizienz von Systemen
ann man nicht seriös machen.
Die FDP plädiert nicht für ein reines Mengensteue-
ungsmodell wie in Großbritannien, sondern für ein Mo-
ell der differenzierten Mengensteuerung. Wir halten da-
ei eine prinzipielle Fortsetzung der EEG-Förderung für
ltanlagen für richtig. Für den Neubau wollen wir aber
en Einstieg in den EU-weiten Handel mit „Grünstrom-
ertifikaten“. Dabei sollten die Energieversorger in
eutschland verpflichtet werden, bis 2020 im Stromsek-
or für 30 Prozent ihrer verkauften Energiemenge Zerti-
ikate nachzuweisen, um das Gesamtziel „20 Prozent er-
euerbarer Energien am Primärenergieverbrauch“ zu
rreichen. EEG-Mengen aus Bestandsanlagen sind da-
auf anzurechnen.
Die wichtigste Abweichung von der reinen Mengen-
teuerung im FDP-Modell besteht aber in Folgendem:
nnovative und vielversprechende Technologien, die auf-
rund ihres Entwicklungsstandes im Markt noch nicht
igenständig bestehen können, sollen aus unserer Sicht
usätzlich steuerfinanzierte, zeitlich befristete und de-
ressive Zuschüsse zu den Erlösen erhalten, die die Be-
reiber im System der Mengensteuerung erwirtschaften.
utznießer solcher Erlöszuschüsse wäre unter anderem.
ie Fotovoltaik, da sie, von einem hohen Kostenniveau
ommend, massive Kostensenkungsraten pro Jahr reali-
iert. Eine solche Technologiepolitik sollte aber vom
teuerzahler und nicht vom Stromverbraucher finanziert
erden, denn den Nutzen für den Standort Deutschland
aben nicht nur diejenigen, die einen hohen Stromver-
rauch haben.
Die Entscheidung der EU-Kommission zur Förderung
er erneuerbaren Energien in Europa ist keine Gefahr für
eutschland, sondern eine Chance. Wir sollten auch im
ationalen Interesse diese Chance annehmen und nicht
llein in Abwehrhaltung gegenüber der EU verfallen,
ie es der vorliegende Antrag von Union und SPD vor-
acht. Das EEG als heilige Kuh der deutschen Energie-
olitik – die ideologische Lobhudelei aufs EEG im Fest-
tellungsteil des Antrags, die ein Instrument quasi zum
igenständigen Ziel erhebt, ist mit der FDP nicht zu ma-
hen. Der Antrag ist im Übrigen völlig überholt; denn
as, was Sie in Ihrem Antrag letztlich fordern, nämlich
ie nationale Entscheidung über das Förderinstrument,
at die EU-Kommission doch längst vorgesehen. Wir
erden deshalb den unausgegorenen Schaufenster-An-
rag der Koalition ablehnen.
Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Das Erneuerbare-
nergien-Gesetz ist ein Erfolgsmodell, das weltweit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15071
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Schule macht. Es ist ein Garant für die Erreichung der
erforderlichen Klimaschutzziele und ersetzt knappes und
teures Öl und Gas. Das EEG ist ein Beschäftigungsmo-
tor und eine wirksame Friedensdividende. Denn um So-
lar- und Windenergie wird kein Krieg geführt, während
Öl und Atomenergie immer näher an militärische Ten-
denzen heranrücken.
Es gibt jedoch Hindernisse beim Ausbau der erneuer-
baren Energien. Dabei meine ich nicht die FDP, die sich
mit der ablehnenden Haltung gegenüber dem EEG be-
reits ins Abseits befördert hat. Vielmehr schürt die kar-
tellartige Energiewirtschaft Stimmung gegen die Zu-
kunftsenergien. Da ist es doch erstaunlich, dass SPD-
Umweltminister Gabriel der Kohlelobby das Wort redet
und Herr Clement der Atomindustrie beispringt. Wofür
stehen die Sozialdemokraten eigentlich? Ist ihnen nicht
bewusst, dass sie mit den EEG-Verhinderern Tango tan-
zen? Sie lassen sich besser von Frau Ypsilanti in Hessen
beraten. Die sagt ganz klar: Keine neuen Kohlekraft-
werke, raus aus der Atomkraft und 100 Prozent erneuer-
bare Energien!
Man muss festhalten, dass die Verhinderer unter den
Energiebossen auf EU-Ebene fast einen Sieg davonge-
tragen haben. Sie wollten das Erfolgsmodell EEG euro-
paweit abschaffen und durch einen Zertifikatehandel er-
setzen. Die Folge wäre ein Stillstand bei den
erneuerbaren Energien gewesen. Denn wenn in jedem
Land nur noch Unternehmen bestimmte Anteile erneuer-
barer Energien europaweit handeln, wäre ein Technolo-
gie-Dumping die Folge: Nur was billig ist und einfach
zu realisieren, käme zum Zuge. Innovation, Weiterent-
wicklung und kluge Netzintegration würden auf der
Strecke bleiben. Darüber hinaus ist die Zertifikatelösung
für die Stromkunden teurer als das EEG. Das zeigen die
Beispiele in den Ländern, die mit diesem Modell leben
müssen.
Deshalb ist es richtig, mit dem vorliegenden Antrag
im Bundestag die Reihen zu schließen – vielleicht auch
mit Hilfe der Liberalen – und ein klares Signal an die
EU-Kommission und die Energiebosse zu senden: Das
EEG muss erhalten bleiben und als Erfolgsmodell EU-
weit durchgesetzt werden. Deshalb wird die Linksfrak-
tion dem Antrag zustimmen.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass
Die Linke deutlich höhere Anteile an erneuerbaren Ener-
gien in Deutschland und Europa für machbar hält. Aus
unserer Sicht ist auch eine stärkere Senkung des Klima-
gasausstoßes erforderlich. Das haben wir an anderer
Stelle deutlich gemacht. Auch halten wir einen Aus-
tausch von erneuerbaren Energiemengen bei Übererfül-
lung der einzelstaatlichen Ziele für falsch. Gleichwohl
stellen wir uns hinter die Hauptforderung des Antrags:
Kein Zertifikatehandel für erneuerbare Energien auf
Kosten von Arbeitsplätzen und Innovation. Das EEG
darf nicht durch die Energiekonzerne unterlaufen wer-
den.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat einen uner-
wartet erfolgreichen Siegeszug hinter sich. Bei der Ver-
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bschiedung im Jahre 2000 gab es vor allem Kritiker und
weifler, ob das angepeilte Ziel von 12,5 Prozent Anteil
rneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bis 2010
berhaupt erreichbar sei. Ende 2007 wurden allen Un-
enrufen zum Trotz bereits 14,3 Prozent erreicht. Hätten
ir 2000 auf die Gegner des EEGs gehört und ein Quo-
en-Zertifikatssystem eingeführt, hätte dies zwei Konse-
uenzen gehabt: Erstens. Der Ausbau der erneuerbaren
nergien wäre ins Stocken gekommen. Und zweitens
äre der Ausbau viel teurer gekommen. Deutschland
utzt zehnmal mehr Windenergie als Großbritannien,
nd das, obwohl in Großbritannien viel mehr Wind weht
ls hierzulande und obwohl in Großbritannien fast dop-
elt so viel für die Kilowattstunde Windstrom gezahlt
ird.
Deutschland hat mit dem EEG das weltweit bedeu-
endste Innovationsprogramm. Nur mit diesem Förder-
odell konnten Technologien wie die Fotovoltaik einen
arkt entwickeln. Es gibt kein Quoten-Zertifikatsmo-
ell, das der Fotovoltaik einen Markt gegeben hätte.
eutschland ist heute nicht nur Weltmeister bei der Fo-
ovoltaik. Hierzulande werden auch die niedrigsten
reise für Fotovoltaikanlagen bezahlt. Dies hat sogar die
nternationale Energieagentur bestätigt.
Bestätigt wurde sowohl die Effektivität des Erneuer-
are-Energien-Gesetzes als auch dessen Effizienz von
er EU-Kommission. Das heißt die EU-Kommission ist
ich vollkommen bewusst, dass mit diesem Instrument
er Ausbau der erneuerbaren Energien besonders umfas-
end und kostengünstig vorangetrieben wird. Umso un-
erständlicher sind die Versuche von Teilen der EU-
ommission, das EEG durch ein Fördermodell abzulö-
en, das sich bislang nirgends auf der Welt bewährt hat.
etrieben wird die EU-Kommission vor allem von der
uropäischen konventionellen Energiewirtschaft, die
ahr für Jahr mitansehen muss, wie erneuerbare Energien
hren Atom- und Kohlekraftwerken Konkurrenz machen
nd die Preise senken.
Die Stromkonzerne wollen die erneuerbaren Energien
it einem Quoten-Zertifikatssystem ähnlich in ihren
errschaftsbereich übernehmen, wie dies den Mineral-
lkonzernen mit den nationalen Quotensystemen für
iokraftstoffe gelungen ist. Mehr noch: Die Energiekon-
erne erhoffen sich Mitnahmeeffekte mit dem ineffizien-
n Zertifikatssystem. Als Vorbild soll der Emissionshan-
el dienen, der den Energiekonzernen Mitnahmeeffekte
n mehrstelliger Milliardenhöhe ermöglicht hat, aber
aktisch noch kein CO2 eingespart hat. Wissenschaftler
chätzen die möglichen Mehrkosten eines Quoten-Zerti-
ikatssystems auf etwa 100 Milliarden Euro im Vergleich
u Stromeinspeisungssystemen. Kein Wunder, dass hier
ie Lobbyisten scharren, damit dieser neuer Fettnapf ge-
chaffen wird. Es fragt sich nur, wieso Teile der EU-
ommission die Interessen der Stromkonzerne vertreten
nstatt die der Bürger.
Der Richtlinienentwurf sieht entgegen den Befürch-
ungen keine Verpflichtung zu einem Quoten-Zertifikats-
ystem vor. Dennoch enthält er eine Reihe von Ansätzen,
ie in diese Richtung gehen. Mehr noch: Die EU-Kom-
ission arbeitet im Hintergrund weiter in Richtung Quo-
15072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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ten-Zertifikatssystem. Umso wichtiger ist, dass die Re-
gierungen hier dagegenhalten. Es ist daher von großer
Bedeutung, dass der Deutsche Bundestag der Bundesre-
gierung einen eindeutigen Auftrag gibt.
Wir begrüßen daher den Antrag der Regierungsfrak-
tionen, der genau dies tut, nämlich die Bundesregierung
auf die Verteidigung des bewährten Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetzes festzulegen, und dazu auffordert, dass sie
gegen ein europäisches Quoten-Zertifikatssystem an-
geht. Der Antrag der Regierungsfraktionen findet daher
unsere Zustimmung.
Sicher, es gibt auch Punkte, wo wir uns mehr Mut in
dem Antrag gewünscht hätten. So begrüßt der Antrag die
Ziele der EU zur Einsparung von CO2 und zum Ausbau
der erneuerbaren Energien. Wir sind uns sehr bewusst,
dass diese Ziele mutlos und viel zu vorsichtig sind. Aber
das deutsche Beispiel hat gezeigt, dass Ziele nachrangig
sind, wenn das Instrument stimmt. Wenn die 20 Prozent
für erneuerbare Energien europaweit deutlich vor 2020
erreicht werden, ist das Ziel Makulatur. Erforderlich
wäre hierfür allerdings die europaweite Einführung von
Stromeinspeisungssystemen im Stromsektor. Die Bun-
desregierung sollte sich genau dafür einsetzen. Damit
könnte sie auch die Peinlichkeit ausgleichen, dass die
Kanzlerin sich in der EU für ein 20-Prozent-Ziel für er-
neuerbare Energien eingesetzt hat, ihre Minister aber
später in Brüssel dafür kämpften und kämpfen, dass
Deutschland lediglich 18 Prozent erreichen muss.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhin-
dern – Staatliche Sperrminorität bei EADS her-
stellen (Tagesordnungspunkt 20)
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Die Luftfahrt-
branche ist ein wesentlicher Stützpfeiler der deutschen
Industrie und muss es auch bleiben. Sie ist eine hoch-
innovative Zukunftsindustrie, die Wachstum und Arbeit
garantiert: mit steigendem Branchenumsatz, der 2006
fast 20 Milliarden Euro betrug; mit über 85 000 Mit-
arbeitern und mit hohen Forschungsausgaben von durch-
schnittlich rund 20 Prozent des Umsatzes.
Das europäische Gemeinschaftsprojekt Airbus und
seine Zulieferer- und Ausrüstungsindustrie sind hier die
wichtigsten Akteure. Sie haben Deutschland und Europa
zum Weltmarktführer im zivilen Luftfahrtbau gemacht.
Rund 40 Prozent der Airbus-Produktion kommen aus
Deutschland. 2007 konnte die EADS-Tochter Airbus
wieder Rekordaufträge und -verkäufe verbuchen. Und
doch ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luft-
fahrtindustrie noch lange kein Selbstläufer. Der Druck
der internationalen Konkurrenz wächst.
Zudem ist gerade Airbus, das Paradepferd der deut-
schen und europäischen Luftfahrtindustrie, in den letzten
zwei Jahren in Turbulenzen geraten und hat die Zuliefer-
industrie in Mitleidenschaft gezogen. Managementfeh-
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er, Finanzierungsprobleme durch Verzögerungen beim
irbus 380 und Kostensteigerungen durch den starken
uro machten das milliardenschwere Sanierungspro-
ramm Power 8 notwendig, um der Konkurrenz von
oeing standzuhalten und die Finanzierung neuer Air-
us-Modelle zu sichern. Power 8 hat einen großen Um-
trukturierungsprozess in der Airbus-Industrie in Gang
esetzt. Davon sind besonders deutsche Produktions-
tandorte und deutsche Arbeitsplätze betroffen. Europa-
eit müssen rund 10 000 Airbus-Arbeitsplätze in der
erwaltung abgebaut werden, davon allein 3 700 in
eutschland. Die deutschen Werke Nordenham, Varel,
ugsburg und Laupheim stehen zum Verkauf. Und die
ahl der Zulieferbetriebe soll auf nur noch wenige Mo-
ul- und Systemlieferanten reduziert werden.
Verschärft wird das Problem für Deutschland durch
ie EADS-interne Konkurrenz mit Frankreich. Eine an-
altende Dollarschwäche könnte zudem in absehbarer
eit dazu führen, dass EADS Teile der Airbus-Produk-
ion in den Dollarraum, in die USA, verlagert. Das hätte
eiteren Arbeitsplatzabbau in Deutschland zur Folge,
or allem bei den Zulieferbetrieben. Die internationale
ettbewerbsfähigkeit der stark fragmentierten, mittel-
tändischen deutschen Ausrüster- und Werkstoffindus-
rie würde dadurch zusätzlich geschwächt, und so würde
er Luftfahrtstandort Deutschland insgesamt gefährdet.
Handlungsbedarf besteht daher auch für die Politik.
ir brauchen starke zukunftsfähige Standorte und zu-
unftsfähige Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie in
eutschland. Wir brauchen ein stabiles deutsch-franzö-
isches Gleichgewicht bei Airbus, damit deutsche Stand-
rte und Zulieferunternehmen auch künftig bei Entwick-
ung und Produktion entsprechend der bisherigen
rbeitsteilung berücksichtigt werden. Dafür muss die
olitik die Rahmenbedingungen setzen.
Gleichzeitig müssen die Konzernstrukturen insgesamt
eiter gestrafft und das Sanierungsprogramm Power 8
um Erfolg geführt werden. Dafür ist jedoch allein das
nternehmen zuständig.
Der Antrag der Fraktion Die Linke wird diesen He-
ausforderungen nicht gerecht. Die Forderungen gehen
rstens in die falsche Richtung. Eine staatliche Sperr-
inorität bei den deutschen Anteilen an EADS – also
ine Entwicklung in Richtung Staatsfonds – oder gar
ingriffe in die Firmenpolitik – wie die Verhinderung
on Werksverkäufen – sind kontraproduktiv. Sie sind
icht mit unserem Verständnis der Rolle des Staates in
er Wirtschaftspolitik vereinbar. Sie können nicht die
robleme bei Airbus oder beim Dollarkurs lösen. Sie
önnen nicht die Wettbewerbsfähigkeit des Unterneh-
ens stärken, und sie können keine Arbeitsplätze si-
hern.
Zweitens ist eine Sperrminorität aus rein rechtlichen
ründen nicht möglich, denn EADS ist eine Aktienge-
ellschaft nach niederländischem Recht, das keine Sperr-
inoritäten kennt.
Drittens ist der Antrag, der jetzt schon ein Jahr alt ist,
berholt, denn vieles bei Airbus hat sich in der Zwi-
chenzeit positiv entwickelt – auch dank der klugen Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15073
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gleitung des Umstrukturierungsprozesses durch die Bun-
desregierung.
Die Umsetzung von Power 8 macht gute Fortschritte:
Die notwendigen Einsparungen waren 2007 bei Airbus
höher als erwartet.
Airbus wird auch künftig wichtige Teile seines Kern-
geschäfts in Deutschland ansiedeln. So kommt das Kom-
petenzzentrum für Kabine und Rumpf nach Deutsch-
land. Und der Bau der Familie A320 sowie die
Auslieferung des A380 für Asien und Arabien erfolgen
künftig komplett in Hamburg.
Der Verkauf der Standorte Nordenham, Varel und
Augsburg hat sich zwar verzögert. Wir begrüßen jedoch,
dass sich nach langwierigen Verhandlungen jetzt eine
deutsche Lösung abzeichnet. EADS hat die deutsche MT
Aerospace – Tochter des Bremer Raumfahrtunterneh-
mens OHB – als bevorzugten Bieter ausgewählt, nach-
dem lange Zeit der amerikanische Boeing-Zulieferer
Spirit Aero Systems als Favorit galt. Wenn alles nach
Plan verläuft, können die Werke schon im Sommer über-
geben und zu einem starken Industriepartner ausgebaut
werden. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an
für eine deutsche Lösung eingesetzt. Sie wird Airbus,
MT Aerospace und die Standorte im Rahmen geltender
EU- und WTO-Regeln finanziell zusätzlich unterstützen,
damit die Konsolidierung der Ausrüsterbranche erfolg-
reich verläuft.
Bis Ende März soll auch die Vorentscheidung über
den Käufer des Werks in Laupheim fallen, für das nach
letzten Berichten noch die Bieter Diehl und Käfer aus
Deutschland sowie Zodiac (Frankreich) und PAIG
(Schottland) im Rennen sind.
Wir setzen auch bei der weiteren Umsetzung von
Power 8 auf ein verantwortungsvolles Vorgehen von
EADS und Airbus und auf eine Strategie, die langfristig
auf die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet
ist.
Auch die Verbesserung der finanziellen, wirtschaftli-
chen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die deut-
sche Luftfahrtindustrie durch die Politik hat im letzten
Jahr weitere Fortschritte gemacht. Sie steht auch künftig
ganz oben auf unserer Agenda.
Die Bundesregierung hat sich auf der Grundlage des
bestehenden Aktionärspakts, mit der industriellen Füh-
rerschaft von Daimler auf deutscher und von Lagardère
auf französischer Seite, erfolgreich für ein stabiles
deutsch-französisches Gleichgewicht bei EADS einge-
setzt. Bereits im letzten Februar hat ein Bankenkonsor-
tium, das zu 60 Prozent private Investoren und zu
40 Prozent staatliche Investoren inklusive der KfW um-
fasst, 7,5 Prozent der Daimler-Anteile am EADS-Akti-
enpaket übernommen. Für diese Anteile hat sich der
Bund zudem ein Vorkaufsrecht im Jahr 2010 gesichert.
Die Stimmrechte bleiben bis dahin bei Daimler.
Die derzeit laufenden sensiblen Verhandlungen zwi-
schen Deutschland und Frankreich zur künftigen Aktio-
närsstruktur und zum Schutz vor feindlichen Übernah-
men sind ein wichtiger Schritt, um das Gleichgewicht
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eider Staaten und die angemessene Beteiligung deut-
cher Firmen auch künftig zu sichern. Wir unterstützen
as Ziel der Bundesregierung, für den Übernahmeschutz
ösungen auf Konzernebene zu finden und den staatli-
hen Anteil beider Seiten im Aktionärspakt zu vermin-
ern. Denn nur mit einer privaten Ausrichtung kann das
nternehmen dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben.
Auch die Entscheidung von Angela Merkel und
icolas Sarkozy, die Doppelspitze in der Führungsstruk-
ur bei EADS Ende 2007 abzuschaffen, dient der
alance. Mit Louis Gallois als EADS-Konzernchef,
homas Enders als Chef von Airbus und Rüdiger Grube
ls Chef des EADS-Verwaltungsrats wird zudem die
anagement- und Entscheidungsstruktur verbessert und
ehlentwicklungen vorgebeugt.
Damit die Schlüsselindustrien der Luftfahrt in
eutschland bleiben, muss sich die deutsche Werkstoff-
nd Ausrüsterindustrie konsolidieren. Das bleibt Auf-
abe der Industrie selbst. Die Bundesregierung unter-
tützt diese Konsolidierung jedoch, indem sie konse-
uent ihre Reformpolitik fortführt mit den Zielen:
eniger Staat, mehr Wettbewerb. Die Aufgabe der Poli-
ik heißt auch künftig: weniger Bürokratie, weniger
teuern und Abgaben. Bei der Einsetzung des Normen-
ontrollrats, der Unternehmensteuerreform 2007 und
en bisher eingeleiteten Reformen in den sozialen Siche-
ungssystemen und auf dem Arbeitsmarkt dürfen wir
icht stehenbleiben.
Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und die
ettbewerbsfähigkeit zu stärken, sollten künftig auch
ie Subventionen für die beiden größten Unternehmen
er Luftfahrtindustrie zurückgefahren werden – und
war auf beiden Seiten des Atlantiks. Das betrifft in
uropa die Anschubfinanzierung, die sogenannte
aunch Aid für Airbus in Form von rückzahlbaren Dar-
ehen, und das betrifft in den USA die indirekten Sub-
entionen für Boeing über Aufträge von Pentagon und
ASA.
Die Koalitionsfraktionen unterstützen die Bundes-
egierung in dem Ziel, das derzeit laufende Streitverfah-
en zwischen EU und USA über diese Subventionen vor
er Welthandelsorganisation WTO möglichst bald zu
lären und vorzugsweise eine Verhandlungslösung au-
erhalb der WTO zu erreichen. Langfristig müssen sich
U und USA auch über den Subventionsabbau bei Air-
us und Boeing einigen. Zu überlegen ist dabei auch
ine Umschichtung von Fördermitteln in die Technolo-
ieentwicklung der Ausrüster- und Zulieferindustrie.
ir müssen die staatliche Technologieförderung in der
uftfahrtindustrie konsequent ausbauen, um gerade in
eiten der Konsolidierung und des schnell wachsenden
uftverkehrs den deutschen Unternehmen zu helfen,
uch künftig die Technologieführerschaft auf dem Welt-
arkt zu sichern.
Das gilt besonders für den Umweltschutz. Der Luft-
erkehr muss wesentlich umweltverträglicher werden.
r ist bereits heute für rund 3 Prozent der weltweiten
reibhausgasemissionen verantwortlich. Dieser Wert
ird sich bei einem geschätzten Wachstum des Luftver-
ehrs von jährlich 5 bis 7 Prozent schon bald vervielfa-
15074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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chen. Nur innovative anspruchsvolle Technik kann
helfen, die Herausforderungen dieses Wachstums zu
meistern, begrenzten Luftraum und begrenzte Flugplatz-
kapazitäten optimal zu nutzen, die Umwelt zu schützen
und die großen Wachstums- und Beschäftigungspoten-
ziale dieser Branche für uns zu erschließen.
Schärfere Umweltstandards bringen die Entwicklung
umweltfreundlicher Technik erheblich voran. Wir begrü-
ßen, dass sich die europäische Luftfahrtindustrie im
Rahmen von ACARE 2020 schon 2002 selbst verpflich-
tet hat, bis 2020 Flugzeugmodelle auf den Markt zu brin-
gen, die nur noch halb soviel Treibstoff verbrauchen,
50 Prozent weniger CO2 und 80 Prozent weniger Lach-
gas-Emissionen ausstoßen und bei denen auch der Lärm-
pegel bei Start und Landung um 50 Prozent niedriger
liegt als heute.
Einen weiteren Anreiz bietet das Ziel der EU, den
Flugverkehr künftig in den Handel mit Emissionsrechten
einzubeziehen. Ab 2012 soll nach den Plänen der Kom-
mission und der EU-Umweltminister der Emissionshan-
del für alle Fluglinien verbindlich sein, die in der EU
starten und landen. Die USA und China wollen dies
zwar anfechten, doch schärfere Umweltauflagen kom-
men auf die Luftfahrtindustrie auf jeden Fall zu.
Das macht neue Technologiesprünge notwendig. Die
Zukunft des Flugzeugbaus liegt im Einsatz neuartiger,
emissionsarmer und leichterer Antriebssysteme und in
der Nutzung innovativer, sehr leichter und hochfester
Materialien. Innovative Turbinen, Bauteile aus kohlen-
stofffaserverstärktem Kohlenstoff und die neue Bau-
weise der Doppelhülle werden das Flugzeug der Zukunft
sauberer, leiser und um fast ein Drittel leichter machen
als heute. Auch an völlig neuartigen Konstruktionsmo-
dellen muss gearbeitet werden.
Bei der Entwicklung des „Öko-Flugzeugs“ der Zu-
kunft kann und muss die deutsche Luftfahrtindustrie ei-
nen maßgeblichen Beitrag leisten. Wichtig ist, dass
Deutschland besonders seine Kompetenz in Leichtbau-
weisen, vor allem der Kohlefasertechnologie (CFK-
Technologie) schnell ausbaut, denn der A350 und der
A320 werden künftig überwiegend aus Kohlenfaserver-
bundstoffen hergestellt. Durch das Kompetenzzentrum
Rumpf und Kabine und die Alleinfertigung der A320-
Familie sind wir hier in der Pflicht
Wir unterstützen die entsprechenden Fördermaßnah-
men der Bundesregierung, die bereits 1995 unter der
Führung von Helmut Kohl das nationale Luftfahrtfor-
schungsprogramm aufgelegt hat, um die Technologie-
kompetenz des Luftfahrtstandorts Deutschland global zu
stärken. Sie hat dieses Programm seitdem ständig wei-
terentwickelt und erfolgreich an die neuen Herausforde-
rungen angepasst.
Das aktuelle vierte Luftfahrtforschungsprogramm
LuFo IV – mit einem Budget von rund 600 Millionen
Euro 2007 bis 2013 – ist auch Teil der Hightechstrategie.
Es legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Förde-
rung klimafreundlicher Luftfahrttechnologien und mo-
derner Bauweisen und auf den Aufbau leistungsfähiger
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orschungsnetzwerke mit Partnern aus Großindustrie,
lein- und mittelständischer Zuliefererindustrie und der
issenschaft. Gleichzeitig forciert die Hightechstrategie
ie Entwicklung umweltfreundlicher Flugzeug- und
riebwerksprogramme und fördert die deutsche Teil-
ahme an der aktuellen EU-Initiative „Clean Sky“, die
eue Basistechnologien für ein nachhaltiges Luftver-
ehrssystem hervorbringen soll.
Steuerliche Anreize – bisher weitgehend tabu – könn-
en ebenfalls die Entwicklung klimafreundlicher Tech-
ologien voranbringen. So hat sich EADS-Chef Gallois
nzwischen öffentlich dafür ausgesprochen, die Entwick-
ung zum „Öko-Flugzeug“ zusätzlich durch eine stärkere
esteuerung von Kerosin zu fördern, als „effiziente
öglichkeit, um den Fortschritt anzustoßen“. Ebenso
abe der hohe Ölpreis bereits gute Anreize gesetzt. Noch
teht Louis Gallois allerdings mit dieser Meinung unter
einen Kollegen alleine da.
Die Chancen für den deutschen Luftfahrtstandort sind
ut. Aber die Restrukturierung der deutschen Luftfahrt-
ndustrie kann nur dann gelingen, unser Standort kann
ur dann attraktiv und konkurrenzfähig bleiben, unsere
rbeitsplätze in der Branche können wir nur dann nach-
altig sichern, wenn wir den eingeschlagenen Weg kon-
equent weiter verfolgen und vor allem an den Zielen
esthalten: Weniger Staat – mehr Wettbewerb – zu-
unftsweisende Technologieförderung.
Die Koalitionsfraktionen haben dies in einem eigenen
ntrag zur Unterstützung der deutschen Luftfahrtindus-
rie deutlich gemacht. Branchenexperten haben uns in
er Anhörung vom 8. Oktober 2007 in unseren Zielen
estärkt und weitere Anregungen gegeben. Unser Antrag
nd die Arbeit der Bundesregierung sind eine gute
rundlage, um die Wettbewerbsfähigkeit von Airbus
nd der Branche nachhaltig zu sichern. Auf die Hand-
ungsempfehlungen aus dem angekündigten Bericht des
undeswirtschaftsministeriums zur aktuellen Lage der
eutschen Luftfahrtindustrie sind wir gespannt.
Auf dieser Grundlage werden wir alles daran setzen,
ie Rahmenbedingungen für die Branche weiter zu ver-
essern: damit Deutschland ein Luftfahrtstandort erster
lasse bleibt, damit Airbus ein erfolgreiches Aushänge-
child deutscher und europäischer Luftfahrtindustrie
leibt, damit neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze bei Air-
us und seinen Industriepartnern in Deutschland entste-
en.
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Wir hatten bereits im
ärz vergangenen Jahres die Gelegenheit, den Antrag
er Linken zu diskutieren und abzulehnen. Gerne nehme
ch die erneute Gelegenheit wahr, um ihn ein zweites
al, einschließlich der Ausschussberatungen sogar ein
rittes Mal abzulehnen.
An den Forderungen der Linken, eine staatliche
perrminorität bei EADS zu erlangen, hat sich ebenso
enig geändert wie an meiner Haltung und der Haltung
er SPD-Bundestagsfraktion zu dieser Frage. Was for-
ert die Linke? Sie möchte die Bundesregierung ver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008 15075
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pflichten, gemeinsam mit anderen europäischen Regie-
rungen eine staatliche Sperrminorität bei EADS zu
schaffen. Dies soll gelingen, indem erstens die von
Daimler-Chrysler abgestoßenen 7,5 Prozent Aktienan-
teile vom Staat übernommen werden sollen. Zweitens
soll die Übertragung der Stimmrechte öffentlicher An-
teilseigner beendet werden. Und zuletzt soll der politi-
sche Einfluss genutzt werden, um den Arbeitsplatzabbau
zu verhindern sowie um die notwendige Rüstungskon-
versions- und Klimaschutzpolitik umzusetzen.
Die Linke unterstellt dem Daimler-Konzern mit ihrem
Antrag, die Interessen des Unternehmens und voran die
deutschen Interessen nicht angemessen bei EADS zu
vertreten. Ich glaube hingegen, dass wir im Zusammen-
hang mit Airbus/EADS eine ausgesprochen gute Bilanz
vorzuweisen haben. Dies zeigt sich unter anderem beim
Streit um die Doppelspitze, die Besetzung des Boards
und Power 8.
Zweifelsfrei hat es in der Vergangenheit Fehleinschät-
zungen des Managements gegeben, insbesondere was
die Wünsche der Kunden betrifft und was in diesem Zu-
sammenhang die neuen technologischen Voraussetzun-
gen an den Flugzeugen selbst betrifft. Was die Fehler der
Vergangenheit betrifft, sei Folgendes gesagt: Nach unse-
rem Besuch bei Boeing in Seattle und in Chicago haben
wir gegenüber der Airbusführung die Herausforderung
im Zusammenhang mit der Boeing 787 angesprochen.
Leider stießen unsere Hinweise auf keine große Reso-
nanz. Das mag daran gelegen haben, dass man sich auf
die große Herausforderung des A380 konzentrierte und
dachte, mit einer technisch wenig innovativen A350 den
Wettbewerb mit der Boeing 787 bestehen zu können.
Diese Rechnung des Managements ist nicht aufgegan-
gen.
Es nützt uns aber nichts, auf die Fehler der letzten
Jahre zu verweisen. Wir wissen, die EADS hat noch
nicht alle Stolpersteine für eine weitere unternehmeri-
sche Erfolgsgeschichte aus dem Weg geräumt. Wir wis-
sen aber auch, dass sich der Konzern auch ohne staatli-
che Sperrminorität den Herausforderungen stellen kann.
Im vergangenen Jahr hat EADS schmerzhafte, aber
wichtige Schritte eingeleitet, um wieder in ruhigeres
Fahrwasser zu gelangen. Zum Ersten wurde die Doppel-
spitze abgeschafft. Trotz aller Befürchtungen ist es ge-
lungen, das deutsch-französische Gleichgewicht im
Konzern zu erhalten. Heute ist die deutsche Seite sowohl
im Management als auch im Board gut vertreten. Zum
Zweiten ist es gelungen, mit der Auswahl von MT Aero-
space als bevorzugtem Bieter für die Airbus-Werke Nor-
denham und Varel sowie das EADS-Werk Augsburg
eine deutsche Lösung zu finden.
Natürlich wäre es uns lieber, die Werke blieben im
Konzern, und natürlich bleiben auch Zweifel, ob ein ver-
hältnismäßig kleines Unternehmen wie die MT Aero-
space die Werke integrieren kann. Doch auf der anderen
Seite öffnet sich der deutschen Zulieferindustrie die
Chance, sich neu zu ordnen. Bereits seit Jahren fordert
der Bundesverband der deutschen Luftfahrtindustrie so-
wie die Politik, Struktur- und Systemlieferanten in der
Luftfahrtindustrie aufzubauen. Nur so können wir lang-
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ristig im internationalen Wettbewerb mit den großen
merikanischen, britischen und französischen Spielern
ithalten. Dies sieht übrigens auch die IG Metall Küste
benso.
Zum Dritten ist es gelungen, Arbeitspakete für die
eutsche Luft- und Raumfahrtindustrie zu sichern. Im
ahmen von Power 8 wird eine weitere Fertigungslinie
ür den A320 nach Hamburg kommen, und auch bei der
350 soll Deutschland angemessen berücksichtigt wer-
en. Unser Ziel muss es sein, die Arbeitsplätze, vor al-
em aber die technologisch hochwertigen Arbeitsplätze
n Deutschland, langfristig – zusammen mit den Ge-
erkschaften – zu sichern. Bislang ist uns dies gelungen.
Es ist eine sehr verkürzte Analyse der Probleme,
enn es von der linken Seite heißt, Daimler und
agardère wollen aus dem Unternehmen aussteigen und
achen die Braut für Investoren hübsch, indem Entlas-
ungen und strukturelle Veränderung durchgeführt wer-
en. Das Unternehmen ist in einer sehr schwierigen
age, weil es große Herausforderungen zu meistern hat.
ielleicht sollten Sie sich einmal daran erinnern, dass es
icht nur um den A380 geht, sondern auch um den
400M, den Militärtransporter. Es geht um einen neuen
350 und eine neue A320er-Familie. Nicht nur von der
inanziellen Seite her, sondern auch was die Forschungs-
nd Entwicklungskapazitäten angeht, ist die Herausfor-
erung enorm. Dazu kommt, dass der schwache Dollar
ADS enorm belastet.
EADS/Airbus wäre ohne politische bzw. staatliche
nterstützung nicht zu dem Unternehmen geworden, das
s jetzt ist. Wir haben uns aus verschiedenen Gründen
afür entschieden, einen großen Luft- und Raumfahrt-
onzern in Europa aufzubauen: weil wir innovative Pro-
ukte in Europa herstellen wollen, weil wir hochwertige
rbeitsplätze schaffen wollen und weil wir die Bundes-
ehr nach den Zeiten des Kalten Krieges für neue Auf-
aben umrüsten mussten.
Mit dem Luftfahrtforschungsprogramm haben wir da-
ür Sorge getragen, die Großen und die Kleinen in der
uftfahrtindustrie in die Lage zu versetzen, mit staatli-
her Hilfe neue Technologien zu entwickeln, um damit
eren Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Inzwi-
chen sind fast 90 000 Menschen in der hiesigen Luft-
nd Raumfahrtindustrie beschäftigt. Über die Hälfte da-
on sind hochqualifizierte Arbeitsplätze. Gerade deshalb
üssen wir die Luftfahrtindustrie fördern und als
chlüsselindustrie erhalten. Dies schaffen wir nur, wenn
as Flaggschiff EADS seinen Weg frei von staatlichen
ängelungen wählen kann.
Natürlich ist eines klar: Solange die EADS vom Staat
nterstützung erhält, muss sie auch gesellschaftliche
nd soziale Verantwortung tragen. Doch werden Unter-
ehmensentscheidungen nicht besser, wenn sie politisch
otiviert sind. Einfluss können wir im Übrigen auch
usüben, ohne Shareholder zu sein. Es gibt sogar Situa-
ionen, in denen man sagen muss: Bisweilen ist derje-
ige, der andere Hilfen anbietet, sehr viel besser dran, in
er Beeinflussung eines Unternehmens einen bestimm-
en Weg zu gehen, als derjenige, der im Aufsichtsrat
15076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
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sitzt. Die Linke sollte sich genau überlegen, ob ihr Weg
der richtige ist. Ich glaube es nicht.
Ulrike Flach (FDP): Es ist ja ganz auffällig, dass die
Antragsteller selbst offenbar einsehen, dass ihr Antrag
von der Zeit überholt ist, und deshalb selbst vorgeschla-
gen haben, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden
sollen. Der Antrag ist aber nicht nur durch die Entwick-
lung des Sanierungsprogramms Power 8 und der Ver-
handlungen über den Verkauf von Produktionsstätten
veraltet, sondern er offenbart auch veraltetes, rückwärts-
gewandtes Denken. Die Linksfraktion setzt nämlich wie-
der einmal auf den Staat als „Retter“ oder „Helfer“, wo
es doch gerade bei Airbus und EADS der Staat ist, der
für einen guten Teil der Probleme der Unternehmen ver-
antwortlich ist. Zuviel staatliche Kontrolle und unfle-
xible Unternehmensführung waren es doch, die das Un-
ternehmen Airbus im Wettbewerb mit Boeing ins
Hintertreffen gebracht haben. Sicher, es hat auch falsche
Unternehmensentscheidungen gegeben, beispielsweise
das zu lange Festhalten an veralteten Werkstoffen. Aber
gerade hier ist doch der Staat völlig ungeeignet, die beste
Technologie vorzugeben. Wir brauchen weniger Staat
und nicht mehr.
Die FDP lehnt eine Aufstockung der Aktien des Bun-
des ebenso ab wie „Goldene Aktien“. Sie wollen einem
Unternehmen, das geradezu symbolhaft auf Flügel der
Freiheit angewiesen ist, Zügel anlegen. Das ist falsch.
Und es ist schon erstaunlich, dass in dem Antrag zahlrei-
che Probleme, die es ja wirklich im deutschen Flugzeug-
bau gibt, nicht angesprochen werden, sei es die Schwä-
che des Dollars oder die Subventionspolitik der USA –
hier ist unser Einfluss gering. Aber es existiert auch der
Fachkräftemangel, der beispielsweise dazu führt, dass
ein Unternehmen wie Airbus Schwierigkeiten hat, zwei
Projekte gleichzeitig vom Fachpersonal her anständig zu
bestücken. Hier könnten Bund und Länder wirklich et-
was tun, aber davon findet sich in Ihrem Antrag nichts.
Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir sagen, der
Staat sollte sich sowohl bei Airbus wie bei der EADS
weiter aus dem Geschäft herausziehen und bis auf
kleine, strategisch notwendige Bereiche im militärischen
Sektor das Unternehmen weiter in private Hände überge-
ben.
Sie sehen den Staat – in diesem Fall den Bund – in ei-
ner Vielzahl von Rollen: „Kreditgeber, Großabnehmer,
Anteilseigner, Bereitsteller von Infrastruktur und Förde-
rer der Forschung“ – das Wort Markt kommt bei Ihnen
gar nicht vor. Und wozu soll der Staat seinen Einfluss
denn nutzen? Auch das ist in Ihrem Antrag eine wirklich
abenteuerliche Vorstellung, nämlich: Der politische Ein-
fluss bei EADS soll genutzt werden, um aus einem Rüs-
tungskonzern ein Unternehmen der „Konversions- und
Klimaschutzpolitik“ zu machen. Da können wir ja in Zu-
kunft Anträge der Linken erwarten, dass bei Aufklä-
rungsflügen in Krisengebieten eine Klimaschutzabgabe
zu zahlen ist oder Panzer nur mit Biodiesel betrieben
werden. So weltfremd sind heute nicht einmal mehr die
Grünen, denn auch die haben Ihren Antrag abgelehnt.
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Die deutsche Luftfahrtindustrie steht in einem harten
ettbewerb. Sie muss aus Sicht der FDP durch Qualität
berzeugen, nicht durch zusätzliche Subventionen und
chon gar nicht durch zusätzliche staatliche Aktienan-
eile. Dazu gehört, dass Programme wie Power 8, die in
er Tat harte Einschnitte bedeuten, ohne ständiges Rein-
eden der Politik umgesetzt werden können. Dazu gehört
uch, dass der Luftfahrtstandort Deutschland durch zügi-
en Ausbau der Infrastruktur vorangebracht wird, und da
aben wir die Linken in Hessen nicht an vorderster Front
eim Ausbau des Frankfurter Flughafens gesehen. Es ist
ben nicht glaubwürdig, wenn hier Herr Dr. Schui den
taat als Bereitsteller von Infrastruktur sehen will, aber
m konkreten Fall die Linkspartei den Bau neuer Start-
ahnen ablehnt.
Mehr Staat führt in dem schwierigen Markt der Luft-
ahrtindustrie nicht zum Erfolg. Weniger Staat ist zwar
uch nicht immer ein Garant für den Erfolg am Markt,
ber zumindest eine bessere Variante.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Der vorliegende
ntrag fordert ein Vetorecht der Politik beim Airbus-
utterkonzern EADS. Alle Fraktionen außer der Linken
aben widersprochen und verlangt, der Einfluss der Poli-
ik müsse sogar noch weiter zurückgedrängt werden.
as bedeutet im vorliegenden Fall, die Geschäftspolitik
on Airbus auf deutscher Seite dem Privatkonzern
aimler anzuvertrauen. Das erscheint heute noch blau-
ugiger als zu Beginn der Beratung. Damals hieß der
onzern noch Daimler-Chrysler. Inzwischen ist offen-
ichtlich, dass sich Daimler bei Chrysler verhoben hat.
er amerikanische Autobauer wurde mit Milliardenver-
ust an Cerberus weiterverkauft. Cerberus gehört zu je-
en Finanzinvestoren, die Franz Müntefering als Heu-
chrecken charakterisiert hat.
Weniger Politik bedeutet Allmacht für Mehrheitsak-
ionäre und Management. Die Auswüchse bei Airbus
aren schon bei der ersten Beratung unseres Antrags be-
annt, inzwischen sind weitere Details ans Licht gekom-
en. Hunderte von Führungskräften sowie die Privat-
onzerne Daimler-Chrysler und Lagardère haben in
roßem Umfange Aktien verkauft, als die Probleme
eim Modell A380 intern bereits bekannt, jedoch noch
icht öffentlich waren. Erst danach stürzte der Aktien-
urs ab. In Frankreich wird wegen Insiderhandels gegen
as Top-Management ermittelt. Wir haben es also mit ei-
em Management zu tun, das gegen das eigene Unter-
ehmen spekuliert, während es durch Managementfehler
ine Unternehmenskrise herbeiführt.
Das dritte Problem, vor dem alle stehen, die keinen
taatseinfluss bei Airbus wollen, ist schlicht: Es gibt
eine privaten Investoren, die bereit sind, die Risiken
es Großflugzeugbaus zu tragen. Bereits vor unserer
iskussion war die Bundesregierung damit gescheitert,
inen deutschen Privatinvestor für die Airbus-Anteile zu
inden, die Daimler-Chrysler abgestoßen hat. Nun trifft
irbus auf große Schwierigkeiten, seine Werke Augs-
urg, Laupheim, Nordenham und Varel zu verkaufen.
rei dieser Werke sollen an einen Familienbetrieb ver-
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kauft werden. Dieser mag vielleicht gut geführt sein, die-
ses Volumen kann er nicht schultern. Deswegen wird ein
Verkaufspreis von 150 Millionen Euro angestrebt, was
intern als „Schnäppchenpreis“ bezeichnet wird. Die
Bundesregierung will dem Betrieb dafür über die KfW
bis zu 300 Millionen Euro zinsgünstige Darlehen ge-
währen, rückzahlbar nur, wenn die Geschäfte gut laufen.
Das Modell läuft also darauf hinaus, dass Private kaufen,
aber der Staat bezahlt.
Es gibt allerdings wirkliche Interessenten für EADS.
Das sind zunächst ausländische Staatsfonds, etwa aus
dem Nahen Osten und Russland. Die will die Bundesre-
gierung draußen halten und erwägt nun plötzlich doch
ein staatliches Veto im Sinne einer goldenen Aktie. Das
ist eine interessante Wende; in der ersten Lesung des An-
trags haben sich noch alle Fraktionen außer der Linken
dagegen ausgesprochen. Es sollte jedoch zu denken ge-
ben, dass andere Staaten an einer aktiven Beteiligung an
der Flugzeugindustrie interessiert sind, während die
Bundesregierung nur den Zugriff anderer Staaten unter-
binden, nicht jedoch selbst Einfluss auf die Geschäftspo-
litik von EADS ausüben möchte.
Die zweite Interessentengruppe sind Finanzinvesto-
ren. Es wird vermutet, dass Cerberus in Kürze mit dem
Käufer der Airbuswerke ins Geschäft kommen wird. Fi-
nanzinvestoren werden die Geschäftspolitik auf die
Spitze treiben, welche Daimler-Chrysler und Lagardère
bisher bei EADS betrieben haben: Investitionen ver-
nachlässigen, Dividenden steigern, blinde Kürzungspro-
gramme ankündigen – inzwischen ist von „Power 8
plus“ die Rede, Auslagerung von Wertschöpfung, dafür
Zukäufe im Rüstungsgeschäft in den USA, und der deut-
sche Staat soll die Risikoabsicherung übernehmen.
Im letzten Jahr hat Airbus mehr Flugzeugbestellun-
gen erhalten und mehr Flugzeuge ausgeliefert als je zu-
vor. Der Auftragsbestand bedeutet Vollauslastung für
sechs Jahre. Unter diesen Umständen ist es keine leere
Drohung, wenn die Gewerkschaften sich die Option von
Streiks vorbehalten. Die Menschen verstehen nicht, wa-
rum die Bundesregierung der Auslagerung von Wert-
schöpfung bei Airbus zusehen möchte. Eine Alternative
dazu ist eine wirksame staatliche Sperrminorität bei
EADS. Dafür müssten Sie dem Antrag der Linken zu-
stimmen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es dürfte weltweit nicht viele Unternehmen geben, deren
Auftragsbücher so dick gefüllt sind wie die von Airbus.
Wer heute einen Airbus-Jet ausgeliefert bekommt, hat
diesen schon vor Jahren bestellt. Da ist es nur schwer zu
begreifen, wenn der Chef des Unternehmens die Lage
des Flugzeugherstellers als „lebensbedrohlich“ be-
schreibt und unter dem Namen „Power 8“ ein hartes Sa-
nierungsprogramm auflegt, das nun sogar noch ver-
schärft werden soll. Und doch: Airbus steckt tatsächlich
in einer tiefen Krise.
Es ist also durchaus angebracht, sich Überlegungen
zu machen, wie dieser Krise begegnet werden soll. Die
Linksfraktion schlägt eine Verstaatlichung von Airbus
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or. Das ist genau der falsche Weg. Der derzeitige staat-
iche Einfluss bei Airbus ist nicht zu niedrig, sondern zu
och.
Der staatliche Einfluss ist nicht nur für die teilweise
enig rationale Standortpolitik, sondern vor allem auch
ür die ineffizienten Führungsstrukturen verantwortlich.
enn auf jeder Ebene bis hinauf zum Vorstandsvorsitz
ationale Parallelstrukturen installiert werden, ist irgend-
ann klar, dass die linke Hand nicht mehr weiß, was die
echte tut. Zum Glück ist es zwischenzeitlich gelungen,
umindest die Doppelspitze abzuschaffen.
Die zentralen Probleme bei Airbus hat das Manage-
ent zu verantworten. Dies betrifft nicht nur die Pannen
nd Lieferverzögerungen beim A380, sondern auch die
öllig unzureichende Absicherung gegen das Währungs-
isiko. Firmen wie Porsche haben vorgemacht, wie sich
uch bei steigendem Dollarkurs richtig gut Geld verdie-
en lässt. Bei Airbus schlägt dagegen ein um 10 Cent ge-
unkener Dollarkurs mit einer Milliarde weniger Gewinn
u Buche.
Für uns ist deshalb ganz besonders wichtig, dass die
anierung nun nicht auf dem Rücken der Beschäftigten
rfolgt. Diese leisten großartige Arbeit, und ihr Engage-
ent ist auch weiterhin nötig; schließlich kommt Airbus
it dem Bau bestellter Flugzeuge kaum hinterher.
Deshalb muss es auch nach dem Verkauf der Werke in
ordenham, Varel und Augsburg eine langfristige Per-
pektive für die Standorte und die Beschäftigten geben.
rotz des Verkaufs an die Bremer OHB wird sich erst
och zeigen müssen, wie tragfähig die gefundene Lö-
ung für die verkauften Standorte ist. Hinter der Bremer
HB-Gruppe als Käufer steht vor allem der amerika-
ische Finanzinvestor Cerberus, der nicht unbedingt für
angfristige Engagements bekannt ist.
Die Bundesregierung wollte aber unbedingt einen na-
ionalen Zulieferer und hat ihn – auch dank dem großzü-
igen Zuschuss von Steuergeldern – bekommen. Doch
icht immer ist die nationale Lösung auch für die Be-
chäftigten langfristig die beste Lösung. Ich hoffe, dass
er Wunsch nach einer starken deutschen Zulieferindus-
rie nicht die wirtschaftliche Vernunft außer Kraft gesetzt
at.
Wer die Arbeitsplätze dauerhaft sichern möchte,
ollte nicht auf politische Einflussnahme sondern auf In-
ovation, Material- und Energieeffizienz setzen. Des-
alb muss in innovative zukunftsfähige Technologien in-
estiert werden, allen voran in die Kohlefasertechnik.
ch hoffe sehr, dass bei dem Verkauf auch verbindliche
nvestitionszusagen vereinbart wurden. Wer die sichers-
en, leisesten und verbrauchärmsten Flugzeuge baut, hat
n der Zukunft die Nase am Flugzeughimmel vorn und
raucht sich auch auf dem Boden keine Sorgen um sei-
en Arbeitsplatz zu machen.
Airbus hat die Unterstützung Frankreichs und
eutschlands als Geburtshilfe gebraucht – keine Frage.
och zwischenzeitlich ist der Flugzeughersteller längst
lügge geworden. Was früher eine Hilfe war, ist heute ein
roblem. Denn der staatliche Einfluss hat die kriseauslö-
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senden Fehlentscheidungen des Managements zumin-
dest begünstigt, indem er für die intransparenten Ma-
nagementstrukturen mitverantwortlich war. Doch auch
die neue, verschlankte Führungsstruktur braucht Eigen-
ständigkeit, um zu funktionieren. Wenn ständig von
staatlicher Seite dazwischengefunkt wird, ist nichts ge-
wonnen. Es ist also mehr als kontraproduktiv, jetzt auch
noch eine Ausweitung der staatlichen Einflussnahme zu
fordern, wie die Linksfraktion dies tut. Kein Arbeitsplatz
wird sicherer, wenn das Unternehmen von Politikern ge-
leitet wird.
Anstreben sollten wir das Gegenteil: Perspektivisch
sollten sich Deutschland und Frankreich gleichermaßen
zurückziehen. Zwar sollte die Balance zwischen den Län-
dern gewahrt bleiben, aber eben auf einem viel niedrige-
ren Niveau als heute. Angesichts der industriepolitischen
Philosophie der Franzosen ist dies zugegebenermaßen ein
Vorschlag, der einer Menge Überzeugungsarbeit bedarf.
Doch die aktuelle Krise sollte der Bundesregierung genü-
gend Argumente in die Hand geben, um jetzt mit den an-
deren Partnerstaaten eine Problematisierung des Staats-
einflusses zu beginnen.
142. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 14. Februar 2008
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12