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    Plenarprotokoll 16/136 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bun- Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14275 D desregierung: zu den Ergebnissen des Klimagipfels auf Bali b) Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vertrauen in Klimaschutzpro- jekte im Ausland erhöhen – Clean De- velopment Mechanism durch Reformen stärken (Drucksache 16/7006) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, wei- 14261 A 14277 B 14278 C 14279 C 14280 D 14282 B 14283 B Deutscher B Stenografisc 136. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Antje Blumenthal, Klaus Hagemann, Bernd Scheelen und Dr. Gregor Gysi . . . . . . . . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Helmut Lamp und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 c, 18 und 23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 3: 14259 A 14259 B 14259 C 14260 C 14260 C Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: undestag her Bericht tzung en 17. Januar 2008 l t : Unterlaufen von Klimaschutzzielen durch CDM-Projekte beenden (Drucksache 16/7752) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14261 B 14261 C 14266 A 14267 D 14269 B 14271 A 14272 C 14274 A 14274 D terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerabzug b Managerabfindungen begrenzen (Drucksache 16/7530) . . . . . . . . . . . . . . - ei . 14284 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Begren- zung der Managervergütung fördern (Drucksache 16/7743) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Masseur- und Physiothera- peutengesetzes und anderer Gesetze zur Regelung von Gesundheitsfachberufen (Drucksache 16/1031) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundes- ministeriums der Finanzen und zur Än- derung des Münzgesetzes (Drucksache 16/7616) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- ten Gesetzes zur Änderung des Betriebs- prämiendurchführungsgesetzes (Drucksache 16/7685) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Wan- derarbeiterkonvention endlich ratifizie- ren (Drucksache 16/6787) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Den Deutschen Bundestag zum Vorbild für die spar- 14284 C 14284 C 14285 C 14287 A 14288 C 14290 B 14292 D 14293 C 14294 C 14296 A 14297 B 14298 D 0000 A14299 C 14300 C 14302 B 14302 B 14302 B 14302 C same und klimafreundliche Stromver- sorgung machen (Drucksache 16/7529) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bundeswild- wegeplan als Ergänzung zum Bundesver- kehrswegeplan (Drucksache 16/7145) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007 (Drucksache 16/6385) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Eu- ropäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft an- dererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlun- gen, die ihre finanziellen Interessen be- einträchtigen (Drucksachen 16/6965, 16/7517) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 24. April 2007 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Luftraums bei Bedrohungen durch zivile Luftfahr- zeuge (Drucksachen 16/7219, 16/7766) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Anpassung statistischer Rechtsvorschrif- ten (Drucksachen 16/7248, 16/7732) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates über den Zugang 14302 C 14302 C 14302 D 14303 A 14303 B 14303 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 III zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaa- ten KOM (2007) 265 endg.; Ratsdok 10092/ 07 (Drucksachen 16/5806 Nr. 10, 16/7370) . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des
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    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14397 (A) (C) (B) (D) tokolls des Deutschen Bundestages ein Bild über unsere Ausrüstung machen könnten.Waitz, Christoph FDP 17.01.2008 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ahrendt, Christian FDP 17.01.2008 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.01.2008 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 17.01.2008 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Duin, Garrelt SPD 17.01.2008 Golze, Diana DIE LINKE 17.01.2008 Dr. h. c. Kastner, Susanne SPD 17.01.2008 Knoche, Monika DIE LINKE 17.01.2008 Krummacher, Johann- Henrich CDU/CSU 17.01.2008 Lötzer, Ulla DIE LINKE 17.01.2008 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.01.2008 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 17.01.2008 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Poß, Joachim SPD 17.01.2008 Roth (Heringen), Michael SPD 17.01.2008 Scheelen, Bernd SPD 17.01.2008 Schily, Otto SPD 17.01.2008 Seib, Marion CDU/CSU 17.01.2008 Stiegler, Ludwig SPD 17.01.2008 Strothmann, Lena CDU/CSU 17.01.2008 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüglich beschaffen (Tages- ordnungspunkt 13) Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): In den Einsätzen der Bundeswehr geht für die eingesetzten Kräfte und Einrichtungen erhebliche Gefahr von Mitteln und Methoden asymmetrischer Kriegführung aus. Dabei greifen gegnerische Kräfte bei ihrem Vorgehen zuneh- mend auf behelfsmäßige Sprengvorrichtungen – Impro- vised Explosive Devices, IED – zurück. Anschläge unter Nutzung von IED unterliegen keinen festen Verhaltens- mustern. Der Gegner passt seine Einsatztaktiken laufend den eigenen Schutzmaßnahmen an. Daher sind eigene Reaktionen und das eigene Verhalten flexibel zu gestal- ten. Die gestiegene Bedrohung durch IED als Mittel der asymmetrischen Kriegführung hat Auswirkungen auf alle Führungsebenen und erfordert die gezielte Vorberei- tung aller für den Auslandseinsatz vorgesehenen Kräfte auf den Umgang mit dieser Bedrohung. Präventive Maß- nahmen zur Abwehr eines Anschlags mit IED bieten sich insbesondere in den Phasen der Vorbereitung an, zum Beispiel durch Verhinderung der Proliferation der Komponenten sowie durch Verhinderung der Fertigung oder des Transports des IED an den Anschlagsort. Ergänzend dazu wurden passive Schutzmaßnahmen zur Abschwächung der Wirkung von IED zum Fahr- zeugschutz, Konvoischutz, Schutz von Einrichtungen und Objekten und zum Schutz abgesessener Kräfte er- griffen. Auch eine genaue Tatortanalyse nach einem An- schlag ist von besonderer Bedeutung. Wir können die IED-Bedrohung nur reduzieren, wenn wir durch eine den jeweiligen lokalen technischen und taktischen IED- Fähigkeiten gegnerischer Kräfte angepasste Kombina- tion aus passiven und aktiven Schutzmaßnahmen sowie durch angemessenes taktisches Verhalten agieren. Ent- sprechend diesem Vorsatz bildet die Bundeswehr ihre Soldaten für den Einsatz aus. Was nun die technische Seite des Counter-IED angeht, wurden auf Basis einer Marktsichtung und in Verbindung mit den militärischen Forderungen drei Störsender unter- schiedlicher Firmen beschafft und zur Erprobung unter Einsatzbedingungen in eingeführte geschützte Fahrzeuge – TPz FUCHS, DINGO 2, WOLF SSA – integriert. Mit den gewonnenen Erkenntnissen aus der Einsatzerpro- bung wurden anschließend unterschiedliche Beschaffun- gen eingeleitet bzw. durchgeführt. Die Überführung der Gerätschaften in das Einsatzgebiet Afghanistan wird vo- raussichtlich noch im Januar 2008 abgeschlossen sein. Mehr sollte man aus taktischen und operativen Grün- den nicht zum Thema sagen; denn es wäre fatal, wenn sich gegnerische Kräfte mittels des stenografischen Pro- 14398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Die Notwendigkeit, „Jammer“ bzw. Counter-IED für die Bundeswehr einzuführen, stellte die Bundeswehr vor neue Herausforderungen. Es wurde eine Eigenentwick- lung vom „Reißbrett“ gewählt, da das neue Gerät an die entsprechenden Bundeswehrfahrzeuge angepasst werden musste. Wehrmaterialexperten sprechen davon, dass „es bis dato nichts Verfügbares gab, was ,Bw-kompatibel’ gewesen wäre“. Jedes neue Gerät braucht Zeit für Entwicklung und Erprobung. Dies gilt auch für die sogenannten Jammer. Der Rückgriff auf Systeme verbündeter Nationen, wie jetzt im FDP-Antrag gefordert, war nicht möglich; denn deren Geräte sind mit ganz unterschiedlichen Leistungs- parametern ausgestattet und nicht a priori kompatibel mit den in der Bundeswehr eingeführten Fahrzeugen. Die Auswahl, die Beschaffung und die Integration in ein Trägerfahrzeug von gegebenenfalls „am Markt verfügba- ren Störsendern gegen Sprengfallen“ sowie die Verläss- lichkeitsuntersuchungen des Störsendersystems, Störsen- der/Trägerfahrzeug, insgesamt stellten eine besondere Herausforderung dar, die mit einem nicht unerheblichen Zeit- und Realisierungsaufwand verbunden war. Eine Be- schaffung unter Zeitdruck durfte nicht dazu führen, dass Führungs- und Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt sowie das für den Einsatz geforderte Schutzniveau der Trägerfahrzeuge nicht erreicht worden wären. Die Ermittlung und die Deckung des materiellen Be- darfs für C-IED Maßnahmen erfolgten grundsätzlich nach den Verfahren des Customer-Product-Manage- ments, CPM. Die Bedarfsermittlung begann mit der Auswertung aller bekannt gewordenen IED-Vorfälle durch das Einsatzführungskommando, EinsFüKdoBw, und Streitkräfteunterstützungskommando, SKUKdo, auch wenn eigene Kräfte nicht direkt betroffen waren, ging über daraus abzuleitende funktionale Forderungen an künftige Schutz-, Detektions- und Neutralisierungs- technologie hin zu einer schnellstmöglichen Verbesse- rung eingeführter oder in Beschaffung befindlicher neuer Produkte. Entwicklung und Beschaffung im Be- reich C-IED mussten dabei mit der Entwicklung der Be- drohung durch IED im Einsatzgebiet Schritt halten bzw. absehbare Entwicklungen antizipieren. Die nun be- schafften Systeme sind daher auf dem neuesten Stand. Kritisiert wird die Zahl der beschafften Geräte; aber diese Kritiker sollten bedenken, dass Bundeswehrfahr- zeuge in Afghanistan grundsätzlich im Konvoi fahren, das heißt auf Patrouille mit vier bis fünf Fahrzeugen und bei Versorgungstransporten bis zu 20 Fahrzeugen. Zum Schutz dieser Konvois müssen nicht alle Fahrzeuge mit C-IED ausgerüstet sein. Es ist daher weder notwendig noch sinnvoll, alle Fahrzeuge mit „Jammern“ auszurüs- ten. Bei Fahrten im Konvoi bestünde die Gefahr der ge- genseitigen Neutralisierung. Aus diesem Grunde ist der FDP-Antrag erstens unnö- tig, da die bereits beschafften Störsender nicht mehr in der Erprobung, sondern bereits im Einsatz sind; zweitens überholt, da die Bundeswehr „Jammer“ mit Beginn des Jahres in ihre Fahrzeuge einbaut und im Laufe des Jahres die Zahlen kontinuierlich erhöht und drittens gefährlich für unsere Soldaten in Afghanistan, wenn einsatzrele- vante Details genannt werden. Ich bin mir sicher, dass die Bundeswehrführung alles unternimmt, um den notwendigen und auch verfügbaren Schutz unserer Soldaten sicherzustellen. Die Bundes- wehrführung hat auf das Problem der Sprengfallen ange- messen reagiert und die notwendigen Maßnahmen ein- geleitet. Daher sollte die FDP ihren Antrag zurückziehen und die Diskussion dort führen, wo sie hingehört: im Vertei- digungsausschuss. Gerd Höfer (SPD): Liest man den Antragstext, kommt man unwillkürlich zur Auffassung, die Bundes- wehr habe keine Abwehrmöglichkeit gegen Sprengfallen in ihren Einsatzgebieten, speziell nicht in Afghanistan. Da scheint es selbstverständlich, dass man eigentlich diesem Antrag nur zustimmen kann, denn der Schutz der Soldaten hat bei allen Einsätzen absoluten Vorrang. Gäbe es die FDP nicht, wäre keinem aufgefallen, dass es einen solchen Schutz nicht gibt, Bundeswehr und Politik hätten es versäumt, diesem Mangel abzuhelfen. Wenn es denn so wäre. Speziell die Vertreter der SPD im Verteidigungsausschuss, die allerdings diesen Antrag initiiert haben, wissen es besser. Allerdings genießen sie den Schutz eben dieses Ausschusses, weil er ein ge- schlossener Ausschuss ist, so bestimmt es die Verfas- sung. Geschlossen gegenüber der Öffentlichkeit, natür- lich nicht unbedingt gegenüber den Fraktionen. Nun tagt aber der Bundestag – und das ist richtig so – öffentlich. Was sagt man also vor dem Bundestag? Die Vertrau- lichkeit der Sitzungen des Verteidigungsausschusses ist sicherlich gewahrt, wenn ich als Mitglied dieses Aus- schusses feststelle, dass im Ausschuss ausgiebig beraten wurde. Spätestens bei der Beratung des Haushaltes des Bundesministeriums der Verteidigung hat dieses Thema eine Rolle gespielt, besonders bei den Kapitelbetrach- tungen des Einzelplanes 14. Geld zur Beschaffung ist vorhanden aus dem Titel „Einsatzbedingter Sofortbe- darf“. Aus diesem Titel hat es Beschaffungen gegeben. Um klarzumachen, worum es geht, bezieht sich der Antrag der FDP nur auf Sprengfallen, die elektronisch, zum Beispiel durch Handy oder Funksignal, ausgelöst werden und zwar immer dann, wenn ein militärisches Fahrzeug der ISAF-Truppen vorbeifährt. Durch Störsen- der kann die Auslösung verhindert werden. Dazu sind schon immer auf der Basis eines gepanzerten Transport- fahrzeuges die Störsender „Hummel“ in die Einsatzkon- tingente integriert. Sie eignen sich zum Schutz eines Konvois, weil sie eine ziemlich große Reichweite haben. Nach Erkenntnissen aus der Erprobung werden 54 Störsender bis Ende Januar 2008 für Einzelfahrzeuge einsatzbereit sein, weitere 38 werden im Laufe des Jah- res beschafft und integriert. Die Erprobung war notwendig. Es musste der Nach- weis erbracht werden, dass diese Sender in das elektri- sche System der Fahrzeuge passen, eine hinreichende Reichweite haben und durch ihre elektromagnetische Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14399 (A) (C) (B) (D) Abstrahlung weder die eigene elektronische Kommuni- kation noch die Gesundheit der Soldaten gefährden. Die Nachweise sind erbracht, die Beschaffung ist erfolgt und wird ergänzt. Leider haben zwar die Attentäter inzwischen begrif- fen, dass eine Fernzündung mit elektromagnetischen Im- pulsen nur noch wenig Erfolg verspricht, und sind des- halb vermehrt wieder zu mechanischer Auslösung zurückgekehrt. Das ist aber kein Grund, die Beschaffung von Störsendern einzustellen. Dieser Schutz für die Sol- daten wird gebraucht, so sieht es auch die Bundeswehr. Was ist nun mit der Entscheidung zum FDP-Antrag? Die SPD-Fraktion wird diesen ablehnen. Nicht nach dem Motto „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“, sondern aus ganz anderen Gründen: Der wichtigste ist, dass die Mitglieder der FDP im Verteidigungsausschuss einen Vertrauensbruch began- gen haben. Wie soll ich, wie sollen die anderen Mitglie- der des Ausschusses damit umgehen, dass man ab heute jederzeit gewärtig sein muss, Beratungsgegenstände und Ergebnisse des Ausschusses über das Vehikel „Bundes- tag“ auf Schleichwegen in die Öffentlichkeit zu bringen? Der Bundestag kann sich eigentlich nicht gefallen las- sen, dass er so missbraucht wird. Der weitere Grund ist, dass der Antrag indirekt unter- stellt, andere Fraktionen oder die Bundeswehr verwei- gerten auf diesem speziellen Gebiet ein Ausstattungsde- tail zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten, dieser Zustand sei nur durch die FDP und durch Beschluss des Bundestages zu heilen. Eine billige populistische Unter- stellung. Elke Hoff (FDP): Die deutsche Öffentlichkeit hat Anspruch, zu erfahren, wieso der Deutsche Bundestag in aller Öffentlichkeit über den mangelnden Schutz von Fahrzeugen der Bundeswehr vor Sprengfallen berät. Die Bedrohung durch Sprengfallen in Afghanistan ist die größte für deutsche Soldaten im über Jahre hinweg wich- tigsten Einsatz der Bundeswehr. In diesem Bereich bestehen in der Bundeswehr ekla- tante Ausrüstungsdefizite. Bis kurz vor Jahresende 2007 gab es lediglich Prototypen für drei Fahrzeugtypen. In den letzten Wochen sind einige wenige Fahrzeuge des Typs Wolf mit Schutzsystemen gegen Sprengfallen aus- gerüstet worden. Obwohl die Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zu den bisherigen Auswirkungen der Transformation in Aussicht gestellt hat, in den Jah- ren 2008 bis 2010 die Fahrzeuge Wolf, Fuchs und Dingo mit Schutzsystemen gegen Sprengfallen auszustatten, hat die FDP-Bundestagsfraktion in den Haushaltsbera- tungen beantragt, zum Schutz unserer Soldaten im Ein- satz unverzüglich ein effektives und am Markt verfügba- res Schutzsystem gegen Sprengfallen zu beschaffen. Denn nach unserer Auffassung braucht die Bundeswehr vor dem Jahr 2010 ausreichend geschützte Fahrzeuge im Einsatz, die auch gegen die Hauptbedrohung gerüstet sind. Zu unserer großen Freude haben in der Sitzung des Verteidigungsausschusses vom 24. Oktober alle Fraktio- nen außer der Linksfraktion unserem Antrag zuge- stimmt. Dennoch hat die Bundesregierung für das Jahr 2008 lediglich 1 Million Euro für Schutzsysteme gegen Sprengfallen in den Verteidigungshaushalt eingestellt. Für 2009 gerade einmal 8 Millionen Euro. In Anbetracht der Größe des Verteidigungsetats kann keinesfalls von einer Schwerpunktsetzung gesprochen werden. Weil uns der Schutz unserer Soldaten ab 2010 nicht genügt, hat die FDP in der Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt 2008 beantragt, die für 2008 und 2009 eingeplanten Mittel alle in 2008 auszugeben, um diese Minimalausstattung an Fahrzeugen mit IED-Schutz in 2008 den Soldaten zur Verfügung zu stellen. Dies haben die Regierungsfraktionen des Deutschen Bundestages abgelehnt. Das passt nicht zusammen: im Fachausschuss unserem Antrag zustimmen, aber die dafür notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stellen. Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln ist die konkrete Umsetzung des politischen Willens. Bundesverteidigungsminister Jung versucht der Öf- fentlichkeit immer wieder weiszumachen, dass die Bun- desregierung alles für den Schutz unserer Soldaten im Einsatz Notwendige inzwischen beschafft. Dies trifft lei- der nicht zu. Bisher sind einige wenige Fahrzeuge des Typs Wolf mit Störsendern ausgerüstet worden. Der Dingo 2 soll erst ab 2009 teilweise ausgerüstet werden. Für die wichtige Patrouillentätigkeit in Afghanistan brauchen wir aber unverzüglich Fahrzeuge, die über ei- nen ausreichenden Schutz gegen Sprengfallen verfügen, das heißt oberhalb des Schutzniveaus, das der Wolf bie- ten kann; denn der Wolf entspricht selbst nach Ansicht der Bundesregierung nicht dem geforderten Schutz- niveau. Dass Fahrzeuge des Typs Wolf nur bedingt für den Einsatz in Afghanistan geeignet sind, hat beispiels- weise der Anschlag auf eine Bundeswehrpatrouille am 5. Oktober 2007 gezeigt, bei dem Soldaten in einem Wolf durch einen Selbstmordattentäter teilweise schwer verwundet wurden. Daher hatte sich die Bundesregie- rung das Ziel gesetzt, den Wolf schnellstmöglich abzulö- sen und durch ein Nachfolgemodell zu ersetzen. Ein Ersatz der veralteten Wolf-Fahrzeuge durch ge- schützte Fahrzeuge Schutzklasse 1 ist aber frühestens ab 2009, 2010 zu erwarten, weil die Entscheidung über ein Nachfolgemodell ausgesetzt werden musste, da keines der vorgesehenen Fahrzeugmodelle den von der Bundes- wehr geforderten Leistungen und Fähigkeiten entsprach. Das ist eine zutiefst unbefriedigende Situation, gerade weil Fahrzeuge der leichten Schutzklasse oft in Afgha- nistan aufgrund der besonderen geographischen Gege- benheiten die einzigen sind, die sich vor Ort bewegen können. Ich vermisse bis heute eine klare Priorisierung in der Ausgabenpolitik des Verteidigungsministers. Dass Sie bei einem Budget von beinahe 30 Milliarden Euro nicht in der Lage sind, mehr als 1 Million Euro für den drin- gend notwendigen Schutz der Soldatinnen und Soldaten aufzubringen, ist ein Armutszeugnis. 14400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Daher fordere ich die Bundesregierung heute konkret auf: Beschaffen Sie die für 2009 eingeplanten Schutz- systeme gegen Sprengfallen noch im Jahre 2008 über das Instrument des einsatzbedingten Sofortbedarfs! Le- gen Sie dem Deutschen Bundestag umgehend einen Be- darf vor – wie viele Fahrzeuge der Bundeswehr müssen mit IED-Schutz ausgerüstet werden? –, und leiten Sie die Beschaffung dieses Bedarfs ein. Der Schutz unserer Soldaten im Einsatz darf nicht nur in Sonntagsreden oberste Priorität haben. Inge Höger (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der FDP verfolgt das redliche Ansinnen, sich um die körperliche Unversehrtheit der Soldatinnen und Soldaten zu sorgen. Aber der vorgeschlagene Weg, möglichst schnell Störsender zum Schutz der Bundeswehrfahr- zeuge vor Sprengfallen zu kaufen, ist nicht überzeugend. Es ist ziemlich naiv, davon auszugehen, dass sich die Be- drohung für Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebie- ten durch technische Aufrüstung wirklich beseitigen ließe. Potenzielle Attentäter stellen sich erfahrungsge- mäß sehr schnell auf das jeweilige Schutzniveau ihrer Gegner ein. Im Irak zeigt sich das Dilemma. Kaum wa- ren dort in größerem Umfang Störsender im Einsatz, ka- men neue Generationen von Sprengfallen zum Einsatz. Sie werden nun mit Infrarotsensoren ausgelöst und sind durch Störsender nicht zu stoppen. Was die FDP hier fordert und die Bundesregierung et- was langsamer umsetzen wird, das nützt den Soldatinnen und Soldaten bestenfalls kurzfristig, wenn überhaupt. Mittelfristig wird so lediglich eine Aufrüstungsspirale im Straßenkampf in Gang gesetzt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis neue Technologien für Attentate auch in Afghanistan zur Verfügung stehen. Bereits heute sind viele Sprengfallen so aufgebaut, dass sie durch Störsen- der nicht zu stoppen sind. Als im Sommer letzten Jahres deutsche Polizisten einem Anschlag zum Opfer fielen, da war der Zündmechanismus ein ganz primitiver: Die Sprengladung wurde mit einem Kabel gezündet. Auch das lässt sich nicht mit Störsendern stoppen. Die einzi- gen, die wirklich profitieren von der Ausrüstung der Fahrzeuge mit Störsendern, sind die Produzenten dieser Apparate. Von den Produzenten dieser Störsender wird gerne versichert, dass diese keine gesundheitlichen Gefahren für die Fahrzeugbesatzung nach sich ziehen. Doch jüngste EU-Studien ergaben, dass selbst längeres Telefo- nieren mit Handys gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Im Verhältnis dazu sind dauerhafte Bestrahlungen durch Störsender, die parallel auf verschiedenen Fre- quenzen senden und denen die Soldaten auf engstem Raum ausgesetzt sind, eine wesentlich ernsthaftere Ge- fährdung. Die Soldatinnen und Soldaten bezahlen also möglicherweise für einen ungewissen Schutz vor Sprengfallen mit einer konstanten gesundheitlichen Ge- fährdung. Für eine politische Beurteilung der Störsendertechno- logien ist es ferner wichtig zu berücksichtigen, dass diese keineswegs eine rein defensive Technologie dar- stellen. Sie können auch für offensive Szenarien als Teil der elektronischen Kriegführung eingesetzt werden. Es ist zudem kein Beitrag zur Entspannung der Situa- tion und zu guten Beziehungen zur afghanischen Bevöl- kerung, wenn überall dort, wo Bundeswehrfahrzeuge auftauchen, die Mobilfunkkommunikation lahmgelegt wird. Bundeswehrsoldaten berichteten mir überdies, dass auch sie bei Patrouillen in Afghanistan zur Kommu- nikation auf das dortige Mobilfunknetz zurückgreifen. Wirklicher Schutz der Soldatinnen und Soldaten lässt sich auf technischem Wege nicht erreichen. Der einzig wirkliche Schutz ist ihr Abzug. Die Probleme Afghanis- tans sind militärisch nicht zu lösen. Deswegen gibt es keine Alternative zum Abzug der Truppen. Die Linke lehnt deswegen den Antrag der FDP ab. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schwerpunkte, die die Bundesregierung in der Ver- teidigungspolitik setzt, sind falsch. Dies beginnt bei dem grundlegenden Fehler, dass Sicherheitspolitik immer noch fast ausschließlich unter dem Aspekt „Bundes- wehr“ verstanden wird und nicht auch die anderen sicherheitsrelevanten Bereiche wie Außenpolitik und Di- plomatie, Entwicklungszusammenarbeit und zivile Kon- fliktprävention ausreichend in ein vernetztes Gesamt- konzept einbezogen werden. Und dies endet bei einer verfehlten Beschaffungspolitik, die trotz eines gestiege- nen Etats des Bundesverteidigungsministeriums nicht in der Lage ist, eine adäquate Ausstattung für die laufenden Einsätze zu gewährleisten, und stattdessen viel Geld in teure Großprojekte versenkt, die niemand braucht. Der Antrag der FDP-Fraktion, Schutzsysteme gegen Sprengfallen schneller als geplant zu beschaffen, ist des- halb richtig; denn er greift ein Detail heraus, bei dem die Regierung unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz nicht gerecht wird. Sprengfallen oder IED, improvisierte Sprengkörper, sind kein neues Phänomen. Die Zahl der IED-Angriffe in Afghanistan lag 2002 noch um die 30 pro Jahr. Diese Zahl stieg aber bereits 2003 auf über 200 und lag 2006 bei über 600. Warum aber ist denn dann der bestehende Schutz ge- gen Sprengfallen so unzureichend? Wenn bisher nur circa 50 mit solchen Systemen geschützte Fahrzeuge im Einsatz sind und jetzt eine Nachrüstung bis 2010 geplant ist, so ist dies vollkommen unverständlich. Es wird nur dadurch verständlich, dass die vorhandenen Mittel eben nicht für sofort erforderliche Ausrüstung verwendet wer- den. Diese fließen in Großprojekte, die man aus den un- terschiedlichsten Gründen vorantreibt – Prestige, rüs- tungsindustriellen Interessen, Nostalgie. Das zweite Los U-Boote U212 A bringt unseren Soldatinnen und Solda- ten in Afghanistan herzlich wenig. Die überteuerte Fre- gatte F125 oder MEADS mit Zweitflugkörpertrallala ebenfalls. Wenn das Geld hier vergraben wird, wundert es wenig, dass unsere Einsatzkräfte manchmal im Regen stehen – oder in der Wüste. Die Beteuerungen des Ministeriums, im Grunde sei alles vorhanden oder zumindest in der Beschaffung, sind Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14401 (A) (C) (B) (D) reine Augenwischerei. Klagen aus den Einsatzgebieten bekommt man oft genug zu hören. Als Beispiel möchte ich einige Missstände aufführen, die im jüngsten „Erfah- rungsbericht des 14. deutschen Einsatzkontingents ISAF über den Zeitraum August bis November 2007“ zur Sprache kamen: Mangel bei Fernmeldemitteln und ge- schützten Fahrzeugen, Verbesserungsbedarf beim Sys- tem IdZ. Andauerndes Ärgernis ist auch der Mangel an geeigneten Hubschraubern, für die es massiven zivilen, humanitären und militärischen Bedarf gibt. Die falsche Priorität bei der Ausrüstung behindert die Bundeswehr in Afghanistan bei der Ausübung ihrer vom Bundestag beschlossenen Aufgabe im Rahmen der UN- Stabilisierungsmission und trägt zur Gefährdung von Soldatinnen und Soldaten bei. Das Ausrüstungsdefizit löst man aber nicht mit geänderten Einsatzregeln, man löst es nur durch sinnvolle Beschaffung und Verzicht auf milliardenteuren Unfug. Es liegt eigentlich in den Händen der Regierung, allen voran des Verteidigungsministers, für eine Ausstattung der Bundeswehr zu sorgen, die unsere Soldatinnen und Soldaten ausreichend schützt und ihren Auftrag ermög- licht. Solange sie dieses aber erkennbar nicht schafft, ist es unsere Pflicht als Parlament, der Bundeswehr beizu- stehen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Rahmenbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorbekämpfung (inklusive 14960/07 ADD 1 und 14960/07 ADD 2) (Zusatztagesord- nungspunkt 7) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Der Deutsche Bundestag schließt mit der heutigen Debatte den zweiten COSAC-Testlauf zur Subsidiaritäts- prüfung auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon ab. Gegenstand war dieses Mal der Vorschlag für einen Rah- menbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbe- schlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung. Die Initiative der COSAC (COSAC – Konferenz der Aus- schüsse für Gemeinschafts- und Europaangelegenheiten der nationalen Parlamente in der Europäischen Union), den nationalen Parlamenten die Möglichkeit zu geben, im Rahmen von Testläufen mit dem Verfahren zur Subsidia- ritätsprüfung und den nach dem Vertrag von Lissabon künftig erweiterten Mitsprachemöglichkeiten im euro- päischen Gesetzgebungsverfahren vertraut zu werden, ist zu begrüßen. So werden wir Parlamentarier mit unseren neuen Rechten, den Mechanismen und Gepflogenheiten dieses Verfahrens vertraut, damit wir in Zukunft von die- sem Instrument und seinen Einflussnahmemöglichkeiten effektiv Gebrauch machen können. Mit dem im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Subsidiaritäts-Kontroll- mechanismus erhalten die nationalen Parlamente in der Europäischen Union eine neue wichtige Aufgabe. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben sich dafür in den Verhandlungen stark gemacht – die Veranke- rung des Subsidiaritätsprinzips im neuen Vertragswerk war ein zentrales deutsches Anliegen. Nur was die Na- tionalstaaten nicht selbst können, soll Europa regeln. In den Politikfeldern, in denen die Union nicht über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, muss ein schlei- chender Prozess der Verlagerung von Kompetenzen von der regionalen und nationalen Ebene auf die EU-Ebene verhindert werden. Die lange diskutierte Frage, wie eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Ab- grenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäi- schen Union und den Mitgliedstaaten geschaffen werden und vor allem wie auch ihre Einhaltung sichergestellt werden kann, hat mit dem Vertrag von Lissabon und dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Sub- sidiarität und der Verhältnismäßigkeit eine Antwort er- halten, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lis- sabon in der Praxis mit Leben erfüllt werden muss. Künftig obliegt es nicht nur den Organen der Union über den Grundsatz der Subsidiarität zu wachen, sondern auch den nationalen Parlamenten, in Deutschland also dem Bundestag und Bundesrat. Das bereits erwähnte Protokoll ermöglicht es jedem nationalen Parlament, in- nerhalb einer Frist von acht Wochen eine begründete Stellungnahme zu einem europäischen Gesetzgebungs- vorschlag abzugeben, in der dargelegt wird, weshalb der Entwurf nach seinem Erachten gegen das Subsidiaritäts- prinzip verstößt. Je nachdem, wie hoch die Anzahl der kritischen Stimmen aus den Parlamenten der Mitglied- staaten ausfällt, kann dies entweder zu einer Überprüfung des Entwurfs führen oder gar zu einer Nichtweiterverfol- gung des Gesetzgebungsvorschlags auf europäischer Ebene. Wir Parlamentarier bekommen also mit dem zur Rati- fizierung anstehenden Vertrag von Lissabon ein scharfes Schwert an die Hand. Wir müssen es jedoch auch gezielt und sinnvoll einsetzen. Der neue Kontrollmechanismus zur Subsidiaritätsprüfung wird unser Parlamentarierle- ben revolutionieren. Schon jetzt beschert uns die euro- päische Gesetzgebung eine Flut von Dokumenten. Einer Studie von Herrn Professor Karpen habe ich kürzlich entnommen, dass der Deutsche Bundestag im Schnitt jährlich 20 000 EU-Dokumente und 12 000 Unterrich- tungsdokumente zu europäischen Gesetzesinitiativen er- hält. Allein in der Zeit von Oktober 2006 bis Mitte Juli 2007 wurden uns 317 Vorschläge für europäische Ge- setzgebungsvorhaben unterbreitet. Es nimmt nicht Wun- der, dass der Autor der Studie zu dem Ergebnis kommt, die Arbeitsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages seien ausgeschöpft. Daher, auch das haben wir mit die- sem zweiten COSAC-Testlauf zur Subsidiaritätsprüfung festgestellt, werden wir nicht umhinkommen, den mit diesem Verfahren verbundenen Mehraufwand durch eine personelle Aufstockung versuchen aufzufangen. Zu Recht wurde in den Ausschussberatungen fraktionsüber- greifend darauf hingewiesen, dass das Sekretariat des Rechtsausschusses – sollte es hierfür zuständig bleiben – eine Personalaufstockung erhalten muss. Auch die Kürze der Frist – acht Wochen – lässt wenig Spielraum für ausgiebige Ausschussberatungen. Wir sind froh, dass 14402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) die ursprünglich im entsprechenden Protokoll zum Ver- fassungsvertrag vorgesehene Frist von sechs durch den Europäischen Rat um zwei Wochen auf jetzt acht Wo- chen verlängert worden ist. Wichtig ist dabei auch, dass die 8-Wochen-Frist erst zu laufen beginnt, wenn der ent- sprechende Gesetzgebungsakt in den Amtssprachen der Union übermittelt ist. Eine entsprechende von deutscher Seite angeregte Klarstellung in Art. 6 des Protokolls konnte im Zuge der Überprüfung durch die Sprachjuris- ten erreicht werden. In diesem Testlauf sind wir zu dem Ergebnis gekom- men, dass der Rahmenbeschlussentwurf zur Terroris- musbekämpfung nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Die in dem Rahmenbeschluss geregelte Mate- rie unterfällt nicht der ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Die Bedrohungen durch den Terrorismus haben jedoch einen grenzüberschreiten- den Charakter. Internationale Terrornetzwerke operieren über Landesgrenzen hinweg, die Verbreitung von terro- rismusfördernden strafbaren Inhalten über das Internet weist ebenfalls einen grenzüberschreitenden Charakter auf. Das Internet dient den Terroristen als Informations- börse, Kommunikationsmedium, Gemeinschaftsraum und Bibliothek des terroristischen Wissens. Um diesen He- rausforderungen gewachsen zu sein, sind auf Ebene der Europäischen Union ein abgestimmtes Verhalten der Mitgliedstaaten und eine Angleichung der Straftatbe- stände erforderlich. Nur so ist eine wirksame Bekämp- fung terroristischer Straftaten wie der öffentlichen Auf- forderung zur Begehung terroristischer Straftaten und der Anwerbung und Ausbildung für terroristische Zwe- cke möglich. Eine Regelung auf der Ebene der Mitglied- staaten wäre nicht geeignet, das von der Kommission verfolgte Ziel ebenso gut zu erreichen. Daher verstößt der Vorschlag nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip. Allerdings haben wir Rechtspolitiker Bedenken hin- sichtlich der Einhaltung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Vor- schlag für den Rahmenbeschluss geäußert. Damit haben wir zwar überobligationsmäßig mehr geprüft als europa- rechtlich notwendig ist, wir waren aber fraktionsüber- greifend der Meinung, dass wir auch zu diesem Punkt mit unserer Auffassung nicht hinter dem Berg halten sollten. Da es bereits ein Übereinkommen des Europa- rats zur Verhütung des Terrorismus vom 15. Mai 2005 gibt – das allerdings noch der Ratifizierung und Umset- zung harrt – sehen wir die Gefahr einer bloßen Duplizie- rung von Vorschriften. Ich danke den beteiligten Kolle- gen, dem Sekretariat des Rechtsausschusses sowie dem Bundesministerium der Justiz für die guten Beratungen im Rechtsausschuss. Die COSAC-Vorsitzenden werden auf ihrem Treffen am 17. und 18. Februar 2008 in Ljubljana die Erfahrungen mit diesem zweiten Testlauf evaluieren. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Teil- nahme daran gezeigt, dass er das neue Verfahren ernst nimmt und seine zukünftigen Rechte wahrnehmen wird. Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Die gute Nach- richt ist, dass wir heute feststellen können, dass es grundsätzlich möglich ist, innerhalb der gesetzten Frist von acht Wochen eine begründete Stellungnahme abzu- geben, so wie dies im Rahmen des Testlaufs vorgegeben war. Für diese respektable Leistung möchte ich meinen herzlichen Dank an das Bundesministerium der Justiz und an das Sekretariat des Rechtsausschusses richten. Der Dank gilt aber auch dem Europareferat (PA 1) des Deutschen Bundestages, das ja eigens zur Unterstützung für die Bewältigung der durch den Lissabonvertrag er- höhten Prüfanforderungen von EU-Vorlagen geschaffen worden ist. Zweifellos wäre die Einhaltung der Frist ohne das reibungslose Funktionieren dieser Stellen nicht realisierbar gewesen. Lassen Sie mich in diesem Zusam- menhang aber auch unterstreichen, dass das Sekretariat des Rechtsausschusses mit der aktuellen Personalaus- stattung die Subsidiaritätsprüfung in dem künftig zu erwartenden Massenbetrieb kaum so effektiv wird unter- stützen können. Ich rege daher an, diese Frage zum Ge- genstand der kommenden Haushaltsberatungen zu ma- chen. In der jüngsten Vergangenheit wurden in den Parla- menten aller 27 Mitgliedstaaten Testläufe zur Subsidiari- tätsprüfung unternommen. Das Ziel war es, dadurch ge- meinsame Erfahrungen für dieses neue Verfahren zu sammeln. Es ging um die Frage des Postmonopols und um die Zuständigkeit im Ehescheidungsverfahren (hier 2006) (vergleiche Bundestagsdrucksache 16/2784 vom 27. September 2006). Anfang November des vergange- nen Jahres wurde der Testlauf zur Terrorismusbekämp- fung gestartet, für den nun die Beschlussempfehlung vorliegt, die wir heute abschließend beraten. Es sind zwei wesentliche Punkte, die wir im Rahmen der Verhandlungen im Rechtsausschuss in die Beschluss- empfehlung und in den Bericht auf der Bundestags- drucksache 16/7769 aufgenommen haben. Erstens. Der Vorschlag der Kommission entspricht nach unserer Ein- schätzung, das heißt der Einschätzung der Mehrheit im Rechtsausschuss, den Anforderungen des Subsidiaritäts- prinzips. Die ausführliche Begründung ist in der Be- schlussempfehlung dokumentiert – lassen Sie mich aber einen aus meiner Sicht wesentlichen Grund der hierfür spricht, deutlich markieren: Terrorismus auf EU-Ebene erfordert ein abgestimm- tes Vorgehen der Mitgliedstaaten. Ebenso ist die Zusam- menarbeit auf internationaler Ebene notwendig. Hierfür bietet die in dem Kommissionsvorschlag vorgesehene Vereinheitlichung strafrechtlicher Regelungen in den Mitgliedstaaten eine wesentliche Erleichterung. Das gilt insbesondere für die Strafverfolgung grenzübergreifen- der terroristischer Aktivitäten. Zweitens. Hinsichtlich der Vereinbarkeit des Rahmenbeschlusses mit dem Art. 2 EU-Vertrag in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 EG- Vertrag statuierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden Bedenken angemeldet. Eine zentrale Problematik liegt in der Frage der Fris- ten begründet. Es steht außer Frage, dass der Zeitrahmen von acht Wochen knapp bemessen ist. Allerdings ist uns dieser Zeitrahmen verbindlich vorgegeben. Er ist bereits jetzt real. Eine Änderung der Acht-Wochen-Frist ist nach Vertragsunterzeichnung nun nicht mehr möglich. Die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes ist in dieser Hin- sicht unmissverständlich – wir alle wissen das. Immer- hin konnte jedoch auf Initiative der Bundesregierung er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14403 (A) (C) (B) (D) reicht werden, dass die Acht-Wochen-Frist erst dann beginnt, wenn der entsprechende Gesetzgebungsent- wurf in den jeweiligen Amtssprachen der Union über- mittelt worden ist. Dieser Gesichtspunkt darf gerade vor dem Hintergrund des Zeitfaktors nicht unterschätzt wer- den. Daher ist diese Regelung begrüßenswert und folge- richtig. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch mit Nachdruck darauf hinweisen, dass die Frist problema- tisch ist, wenn sie in die sitzungsfreie Zeit fällt. Meines Erachtens muss deshalb ein Verfahren für diejenigen Fälle gefunden werden, in denen ein EU-Vorschlag län- gere sitzungsfreie Zeiten des Parlaments betrifft. Ich halte es aber auch für wichtig, in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt zu lassen, dass im Protokoll zum Ver- fassungsvertrag ursprünglich sogar nur eine Sechs-Wo- chen-Frist vorgesehen war. Vor diesem Hintergrund gibt die nun vorliegende Acht-Wochen-Frist wenigstens eine akzeptablere Zeitreserve an die Hand. Ihr Votum zur Subsidiaritätsprüfung ist – laut Ihres Entwurfes für die Beschlussempfehlung – meines Erach- tens lediglich eine unsaubere Abschrift der Stellung- nahme des Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu- ropäischen Union. Lediglich die Wertungen sind andere. Es ist eben wie in der Schule: Abschreiben ist erlaubt – nur erwischen lassen darf man sich nicht! Ich stelle mir in diesem Zusammenhang wirklich die Frage, ob Sie etwa im Ernst glauben, dass Sie mit dieser Abschriftstel- lerei zu einer besseren Profilierung Ihrer Fraktion beitra- gen, die doch wahrscheinlich Ihr eigentliches Ziel ist? In der Sache, meine Damen und Herren von der PDS, kom- men wir doch so wohl kaum weiter. Und unter einer aus- giebigen Auseinandersetzung mit der Frage der Subsi- diarität im Ausschuss verstehe ich auch etwas anderes! Ich stelle fest: Nach unserer Auffassung bestehen keine grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Einhal- tung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Sub- sidiarität. Jedoch melden wir Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Vorschlag für den Rahmenbeschluss. Zum Schluss möchte ich festhalten, dass der zweite Testlauf verdeutlicht hat, dass es erforder- lich ist, innerhalb des Bundestages eindeutige Verfahrens- regelungen und Zuständigkeiten für die Durchführung einer fristgerechten Subsidiaritäts- und Verhältnismäßig- keitsprüfung zu eruieren. Nur so werden die hohen An- forderungen, die künftig an die Ebene der Verwaltung, an die Fraktionen und an die einzelnen Mandatsträger gestellt werden, realistischerweise erfüllt werden kön- nen. Lassen Sie uns ein einheitliches Votum an die Präsi- denten des Europäischen Parlamens, des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission übermitteln. Jörg van Essen (FDP): Nachdem sich der Deutsche Bundestag im vergangenen Jahr erstmalig mit der Subsi- diaritätsprüfung befasst hat, schließen wir heute den zweiten Testlauf ab. Ich glaube, man kann als Ergebnis bereits jetzt festhalten, dass der Testlauf ein Erfolg war und der Deutsche Bundestag sich insoweit als europa- tauglich erwiesen hat. Das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sieht vor, dass die Kommission den nationalen Parlamenten ihren Vorschlag zuleitet mit der Bitte um Prüfung der Subsi- diarität. Die Subsidiaritätsprüfung muss innerhalb von acht Wochen abgeschlossen werden. Es ist uns gelungen, innerhalb dieser Frist die Subsidiaritätsprüfung durchzu- führen und eine entsprechende Stellungnahme vorzule- gen. Wir alle wissen, dass dies ohne die tatkräftige und sachkundige Unterstützung des Sekretariats des Rechts- ausschusses und des Europa-Referats nicht möglich ge- wesen wäre. An dieser Stelle danke ich den Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern daher sehr herzlich für ihre wertvolle Hilfe. Es besteht Einigkeit zwischen den Frak- tionen, dass künftig ein erfolgreicher Ablauf der Subsi- diaritätskontrolle nur dann garantiert werden kann, wenn das Ausschusssekretariat personell entsprechend ver- stärkt wird. Ich sage für meine Fraktion zu, dass wir uns hierfür einsetzen werden. Der Reformvertrag von Lissabon weist den nationa- len Parlamenten künftig im Rahmen der Subsidiaritäts- prüfung eine zentrale Rolle zu. Nach Auffassung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, sind die nationalen Parlamente die natürlichen Hüter des Subsidiaritätsgedankens. Das Subsidiaritäts- prinzip ist grundsätzlich Ausdruck einer bürgernahen Gestaltung von Europa. Es ist daher für die Akzeptanz des europäischen Einigungsprozesses von wesentlicher Bedeutung. Das Subsidiaritätsprinzip zielt darauf ab, dass die größere Einheit in einer Gemeinschaft nur dann zur Erfüllung einer Aufgabe zuständig sein soll, wenn das Individuum oder die kleinere Einheit aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage ist. Der Grundsatz der Sub- sidiarität hat in Deutschland im Hinblick auf Art. 23 GG und das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsge- richts Verfassungsrang. In der Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehlsge- setz ist dies erneut bestätigt worden. Die Betonung des Vorrangs der Autonomie vor der Staatslenkung ist auch ein zutiefst liberaler Ansatz. Den- noch lässt sich nicht bestreiten, dass ein Widerspruch bleibt. Einerseits sollen Entscheidungen auf einer mög- lichst niedrigen Ebene zustande kommen, andererseits werden sie bei Erfüllung bestimmter Kriterien auf einer höheren Ebene getroffen. Dennoch bin ich davon über- zeugt, dass die Verankerung des Gedankens der Subsi- diarität entscheidend zum weiteren Zusammenwachsen von Europa beitragen wird. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Stärkung der nationalen Parlamente. Bisher waren sie eher am Rande an der europäischen Rechtset- zung beteiligt. Nun wird ihre Rolle in der europäischen Politik und im europäischen Rechtsetzungsprozess neu bestimmt. Ihre Einbeziehung in den europäischen Ent- scheidungsprozess ist daher sehr zu begrüßen. Die Berichterstatter sind sich einig darin, dass bei dem vorliegenden Rahmenbeschluss des Rates zur Än- derung des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämp- fung der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt ist. Die Kompetenz der Europäischen Union ist gegeben. Auch von einem Vorrang der Zuständigkeit der Union ist aus- zugehen. Schließlich müssen die Maßnahmen verhält- 14404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) nismäßig sein. Art, Umfang und Intensität der Maßnah- men müssen mit Blick auf das mit ihnen angestrebte Ziel geeignet, erforderlich sein und dürfen zu diesen Zielen nicht außer Verhältnis stehen. Die Verhältnismäßigkeits- prüfung im inneren Sinn ist nicht Gegenstand der Subsi- diaritätsprüfung. Dennoch bin ich froh, dass die Be- schlussempfehlung auch zur Verhältnismäßigkeit eine Aussage trifft. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ist dies auch geboten. In diesem Zusammenhang weise ich auf das Überein- kommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 hin. Das Übereinkommen enthält an- nähernd gleichlautend die in dem Änderungsentwurf enthaltenen Straftatbestände. Über die Regelungen in dem Änderungsentwurf hinaus enthält das Übereinkom- men auch Bedingungen und Garantien als immanente Schranken. Die Vertragsparteien sollen bei der Umset- zung sicherstellen, dass bei der Schaffung, Umsetzung und Anwendbarkeit der Strafbarkeit die Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenrechte, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Vereinigungs- freiheit und auf Religionsfreiheit geachtet werden. Da- mit soll einer Überkriminalisierung vorgebeugt werden. Diese Garantien enthält der Änderungsentwurf zum Rahmenbeschluss nicht. Es spricht daher viel dafür, sich zunächst auf die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zu konzentrieren und von einem gleichlau- tenden Rechtsakt der Union abzusehen. Denkbar ist, dass sich die Mitgliedstaaten des Europarats dazu ver- pflichten, das Übereinkommen innerhalb einer vereinbar- ten Frist umzusetzen. Obwohl zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine abschließende Entscheidung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung getroffen werden muss, ist mir wichtig, für die FDP-Bundestagsfraktion bereits jetzt darauf hinzuweisen, dass wir hier Bedenken haben. Zum Schluss möchte ich festhalten, dass ich mich sehr darüber freue, dass die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses von einer breiten Mehrheit der Frak- tionen getragen wird. Dies ist ein gutes und wichtiges Signal. Ich bin daher zuversichtlich, dass es uns auch künftig gelingen wird, einvernehmlich zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Dies wird die Gestaltungskraft des Deutschen Bundestages bei der europäischen Recht- setzung enorm stärken. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Wir sprechen heute über die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeits- prüfung des Vorschlags für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses zur Terro- rismusbekämpfung. So kompliziert wie der Gegenstand unserer Debatte sich anhört, ist auch der ihm zugrunde liegende Sachverhalt. Es geht um die schwierige und für uns weitgehend neue Frage der Abgrenzung der Gesetz- gebungszuständigkeiten zwischen dem europäischen Gesetzgeber und dem Deutschen Bundestag. Hinter die- ser formalen Abgrenzung verbirgt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation schwerster Grund- rechtseingriffe. Es geht also darum, wie das für demo- kratische Rechtsstaaten konstituierende Gebot, dass ein Bürger grundsätzlich nur nach Gesetzen bestraft werden darf, auf deren Entstehung er als Souverän Einfluss neh- men kann, im Europa des 21. Jahrhunderts verwirklicht werden soll. Rahmenbeschlüsse werden unter Missachtung dieser elementaren Regel durch die Regierungen der Mitglied- staaten beschlossen. Weder das Europäische Parlament noch die nationalen Parlamente sind entscheidend an ih- rer Entstehung beteiligt. Ihre Auswirkungen für die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten sind trotz oder gerade wegen dieses Mangels an demokrati- scher und transparenter Willensbildung immens. Ich er- innere nur an den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpor- nographie, welcher unser über Jahrzehnte gewachsenes und sensibel austariertes Sexualstrafrecht völlig auf den Kopf stellt. Vom Rahmenbeschluss über den Europäi- schen Haftbefehl ganz zu schweigen. Ich will nicht verhehlen, dass mir die immer weiter ausufernden Zuständigkeiten auf europäischer Ebene auch und gerade im Bereich der Strafrechts- und Sicher- heitspolitik schwere Kopfschmerzen bereiten. Sie führen leider regelmäßig zu einem der öffentlichen Diskussion weitgehend entzogenen Abbau von Bürgerrechten. Dies wird die uns jetzt beschäftigende Prüfungsmöglichkeit auch unter der Geltung des Vertrags von Lissabon nicht verhindern können. Auch mit ihr bleiben die Einfluss- möglichkeiten der nationalen Parlamente schon deshalb gering, weil das Votum der Mitgliedstaaten, die EU be- sitze keine Kompetenz, alles andere als ein echtes Veto- recht darstellt. Selbst wenn die Mehrheit der Mitglied- staaten der Meinung ist, es würde unrechtmäßig in ihre souveränen Rechte eingegriffen, führt dies lediglich dazu, dass der Europäische Gesetzgeber seinen Vor- schlag überprüfen muss, aber dennoch an ihm festhalten kann. Ist die Subsidiaritätsprüfung demnach ein stumpfes Schwert? Sind wir dennoch verpflichtet, für die demo- kratischen Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger zu streiten? Wir schulden Ihnen die gründliche Prüfung, ob es der Europäischen Union zusteht, sich der Regelungs- kompetenz eines bestimmten Themas zu bemächtigen oder nicht. In dem vorliegenden Testlauf dreht es sich einfach ausgedrückt um die Frage, ob die Bekämpfung des Ter- rorismus es erfordert, dass die Strafvorschriften über die öffentliche Aufforderung zur Begehung terroristischer Straftaten, die Anwerbung für terroristische Zwecke und die Ausbildung für ebensolche Ziele europaweit angegli- chen werden. Die EU darf nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs und ih- rer Wirkungen besser auf EU-Ebene erreicht werden können. Dies ist anhand der Fragen zu prüfen, ob der zu regelnde Bereich transnationale Aspekte aufweist, die durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können, ob alleinige Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaß- nahmen gegen die Anforderungen des Vertrags versto- ßen oder auf sonstige Weise die Interessen der Mitglied- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14405 (A) (C) (B) (D) staaten erheblich beeinträchtigen würden und ob Maßnahmen auf EU-Ebene wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile mit sich bringen würden. Über die Antworten auf diese Fragen lässt sich treff- lich streiten. Der politische Streit lebt von den Argumen- ten. Das Argument bedarf der Fakten. Der Vorschlag für die Änderung des Rahmenbeschlusses verzichtet bei der Begründung der Annahme einer EU-Kompetenz aber weitgehend auf Argumente, schlimmer noch, er macht uns eine fundierte Diskussion des Für und Wider einer EU-Kompetenz unmöglich, denn wir haben nicht die Fakten, die wir für eine solche zwingend benötigen. Für eine seriöse Diskussion müssten wir einen Vergleich sämtlicher Vorschriften der europäischen Mitgliedsstaa- ten zu dem vorliegenden Regelungsgegenständen vor- nehmen. Niemand in diesem Parlament kennt jedoch diese Normen. Deshalb kann auch niemand die vorste- henden Fragen seriös beantworten. Er kann nur aus dem Bauch heraus eine Bewertung ins Blaue hinein vorneh- men. Dann erweist sich die Subsidiaritätsprüfung ledig- lich als ein Placebo, um das eigene schlechte demokrati- sche Gewissen zu therapieren. Hier liegen das eigentliche Problem und der Grund dafür, dass die Fraktion Die Linke sich in den Ausschüs- sen genötigt sah, ein von der Mehrheit abweichendes Votum zu formulieren. Ich will Ihnen dies illustrieren: Der Entwurf des Vorschlags behauptet, dass durch die Änderungen verhindert werde, „dass sich Terroristen die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen und Gesetzeslücken zunutze machen“. Diese Behaup- tung wird nicht belegt. Es wird weder dargestellt, welche Gesetzeslücken es gibt, noch wie Terroristen von diesen profitieren können. Dabei ist nicht einmal im Ansatz dargetan, dass die Existenz von Strafvorschriften auf das Verhalten von Terroristen irgendwie Einfluss hat. Ange- sichts der globalen Wirkung des Internets drängt sich die Frage der Nützlichkeit auch europaweiter Strafvorschrif- ten geradezu auf, kann die Propaganda doch einfach von einem Nicht-EU-Standort aus verbreitet werden, ohne dass ihre Wirkung innerhalb der EU abnähme. Reichen vielleicht die Instrumente des Europäischen Haftbefehls in Verbindung mit den Regelungen über die Geltungsbe- reiche der einzelnen Strafrechtsordnungen der Mitglied- staaten aus, um das Ziel des Vorschlags zu erreichen? Diese und noch weitere Fragen hätte bereits der Vor- schlag des Rates aufwerfen müssen, damit wir sie hätten diskutieren können. Stattdessen haben wir nicht einmal eine Übersetzung der ausführlichen Begründung des Vorschlags erhalten. So können wir unserer Pflicht ge- genüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht nachkom- men, so ist unsere Prüfung ein nutzloses demokratisches Feigenblatt. Diese Erkenntnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass dieser Testlauf stattfindet. Sie zeigen, wo wir alle ge- meinsam ansetzen müssen, um unserer verfassungs- rechtlich zugewiesenen Aufgabe als Vertreter des ge- samten Volkes gerecht zu werden: Wir müssen dafür streiten, dass auf europäischer Ebene eine Begründungs- und Diskussionskultur Einzug hält, die Transparenz und Rationalität an die Stelle europäischer Glaubensbekennt- nisse setzt. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Lissabonner Vertrag wird, wenn er in Kraft treten wird, die Rechte der nationalen Parlamente in der Euro- päischen Union stärken. Bis es so weit ist, finden Test- läufe dieser zukünftigen Parlamentsbeteiligung statt, um Schwächen und Unverträglichkeiten rechtzeitig aufzude- cken und bei uns im Bundestag Vorsorge dafür treffen zu können, dass unsere gestärkten Beteiligungsrechte nicht leerlaufen. In der Sache geht es darum, dass die nationalen Parla- mente durch das Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissa- bon ermächtigt werden, jeweils innerhalb von acht Wo- chen eine Stellungnahme dazu abzugeben, ob eine bestimmte EU-Vorlage mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist oder nicht. Hält eine Mindestanzahl natio- naler Parlamente den Grundsatz der Subsidiarität für verletzt, muss die EU-Vorlage von der Kommission überprüft werden. Das kann im Ergebnis sogar dazu füh- ren, dass die Vorlage ganz zurückgezogen wird. Solange der Vertrag von Lissabon aber noch nicht in Kraft ist, findet diese Prüfung als Testlauf statt. Die nationalen Parlamente sollen also – und das ist ein Fortschritt – in Zukunft bei der europäischen Gesetz- gebung gestärkt werden und zwar dadurch, dass sie früh- zeitig die möglicherweise fehlende Kompetenz der Kommission rügen können. Denn nichts anderes bedeu- tet das Subsidiaritätsprinzip. Geprüft wird, ob die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen – für die es aller- dings überhaupt eine EU-Rechtssetzungskompetenz ge- ben muss – nicht ausreichend durch die Mitgliedstaaten erreicht werden und deshalb besser durch Maßnahmen der Gemeinschaft erreicht werden können. Nur dann darf die Europäische Gemeinschaft tätig werden. Vorliegend haben wir die Einhaltung der Subsidiarität beim Entwurf eines Rahmenbeschlusses, der den Rah- menbeschluss zur Terrorismusbekämpfung von 2002 än- dern soll, geprüft und mit Ausnahme der Fraktion Die Linke interfraktionell bejaht. Wir Grüne weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff „Cyberkrimi- nalität“, wie er in der Stellungnahme vorkommt, vom Bundestag einstimmig schon seit langem als zu unbe- stimmt und schwammig kritisiert wird. Die Bundesre- gierung bleibt aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die von der EU verwendeten Deliktsgruppen konkreti- siert werden. Niemand kann bestreiten, dass es grenzüberschrei- tende Tendenzen des Terrorismus gibt. Bei der notwen- digen Verfolgung solcher schwersten Straftaten durch in- ternational agierende Organisationen stößt nationale Gesetzgebung an ihre Grenzen. Insoweit ist der Vorstoß der Europäischen Union, die diese Strafverfolgung koor- diniert, nicht nur richtig, sondern auch besser als ein Ne- beneinander nationaler Aktivitäten. Die Kritik der Lin- ken teilen wir deshalb nicht. Kritisch haben wir uns mit der Frage der Verhältnis- mäßigkeit auseinandergesetzt. Da ganz ähnliche straf- 14406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) rechtliche Regelungen im Übereinkommen des Europa- rats zur Verhütung des Terrorismus vom 15. Mai 2005 enthalten sind, ist nicht klar, welchen rechtlichen und praktischen Mehrwert eine Doppelung dieser Vorschrif- ten in einem Rechtsakt der EU hat. Dies gilt umso mehr, als die Ratifizierung dieses Übereinkommens ohnehin von allen Mitgliedstaaten angestrebt wird. Ich begrüße, dass der Bundestag diese Bedenken deutlich zum Aus- druck bringt und hoffe, dass dies in den EU-Gremien nochmals intensiv diskutiert wird. Eine gründliche inhaltliche Befassung mit dem Rah- menbeschluss steht noch bevor. Wir Grüne werden die darin befindlichen Regelungen von weiteren Straftatbe- ständen zur Terrorismusbekämpfung kritisch prüfen. Ein letztes Wort noch zum Verfahren des Testlaufs: Ich möchte mich ausdrücklich beim Rechtsausschuss- sekretariat, aber auch beim Referat Europa für die gründlichen Vorarbeiten bedanken. Es besteht Einigkeit darüber, dass bei EU-Vorhaben, die dem Rechtsaus- schuss überwiesen werden, die Beschlussvorlage der Subsidiaritätsprüfung künftig vom Rechtsausschuss er- arbeitet wird. Für die dafür erforderliche personelle Aufstockung spreche ich mich schon heute explizit aus. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Weiterentwicklung des Adressraums im Internet (Tagesordnungspunkt 10) Dorothee Bär (CDU/CSU): Durch das Internet, heißt es, wird die Welt zum Dorf. Jeder kann sich von zu Hause aus viele Dörfer anschauen. Er muss sie nur fin- den. Damit das „Dorf“ sich selbst auch im Internet wie- derfindet und gefunden wird, haben die Regierungsko- alitionen diesen Antrag gestellt. Regionen, Städte, Dörfer sollen in der landesüblichen Schreibweise zu finden sein. Wir haben bereits erreicht, dass sich bei- spielsweise die Homepage der Stadt Nürnberg unter www.nürnberg.de öffnen lässt, wobei man den Namen mit „ü“ schreiben kann. Nun fehlt noch die Bezeichnung der eigenen Region in der sogenannten Top-Level-Domain, die derzeit meist mit dem Kürzel des jeweiligen Landes, in Deutschland meist mit „.de“, gekennzeichnet ist. Das ist Ziel unseres Antrages: Die Menschen sollen im weltweiten Netz auch direkt ihre Region finden können. Eine Top-Level-Do- main wie „.bayern“ wäre mit unserem Antrag möglich und erleichtert den Internetnutzern das Suchen von An- geboten, Unternehmen, Städten in der jeweiligen Re- gion. Mit diesem Antrag machen wir für das Internet beides möglich: Globalisierung und Regionalisierung. Schließ- lich ist doch eine der besten Errungenschaften des Inter- nets, dass man von allen Orten dieser Welt beinahe alles über das Internet erledigen kann. Das ermöglicht zum Beispiel, dass Menschen in ländlichen Regionen die gleichen Angebote nutzen können wie Menschen in der Großstadt. Sie müssen dafür nicht ihre Heimat verlassen, um in die nächstgrößere Stadt zu gelangen. Sie können unter Umständen auch von dort aus arbeiten und müssen nicht täglich pendeln oder gar völlig aus ihrer Region wegziehen. Sie können sich von zu Hause aus über fast alles im Internet informieren: über Dinge, die sie erwerben wol- len, über Menschen, die sie kennen gelernt haben, oder auch darüber, was ihre Politiker für sie machen. Dabei ist es oft schwierig, aus der Fülle der Informationen die relvanten herauszufiltern. Hier soll unser Antrag helfen: Die regionalen Top-Level-Domains machen es möglich, dass Informationen schneller gefunden werden, zum Beispiel, wenn jemand in eine bestimmte Region unse- res Landes reisen möchte. Schon jetzt ist die Informa- tionsmöglichkeit über das Internet besonders für Rei- sende eine große Hilfe. Sie ist aber auch eine große Chance für unsere Regio- nen. Sie können sich vorstellen, und man kann sich von ihnen ein Bild machen. Manch eine Region hätte man so vielleicht nie kennen gelernt. Diese große Chance nutzen viele Tourismusagenturen unserer Regionen. Sie sind durch die ganz spezielle Be- zeichnung zum Beispiel „.unterfranken“ dann noch leichter zu finden. Und auch die dazu passenden Ange- bote lassen sich dann leichter finden. Das Internet bietet so immer größere Chancen. In der vergangenen Zeit wurde viel zu oft nur über die Risiken des Internets ge- sprochen. Es sollte aber niemand ein „Internet-Analphabet“ sein. Niemand, besonders ältere Menschen, sollten durch negative Diskussionen abgeschreckt werden, das Inter- net zu nutzen. Er verschließt sich selbst damit einem Teil unseres Lebens und wird ausgeschlossen. Solche Dis- kussionen erinnern sehr an die Diskussion über das Fern- sehen in den 60er-Jahren. Gerne wurde das Fernsehen wie heute das Internet als Sündenbock für Fehlentwick- lungen in unserer Gesellschaft hergenommen. Die Ursa- chen sind aber meist vielschichtig und liegen – heute wie damals – auch woanders: in den Familien, der Erzie- hung, der Gesellschaft. Die Schuld dann bei einzelnen Angeboten wie dem Internet zu suchen, ist zu einfach. Mit unserem Antrag soll das Internet also übersichtli- cher und regionaler werden. Das ist notwendig, weil schon heute in Städten wie London, New York oder Ber- lin mehr Domainregistrierungen zu verzeichnen sind als in über 150 Ländern. Für bestimmte Regionen wird es deshalb auch im Internet einfach eng. Mit einer eigenen Top-Level-Domain lässt sich mehr Übersichtlichkeit und Platz schaffen. Nutzen wir also die vielfältigen Möglichkeiten, die das Internet bietet, und machen es möglich, dass es uns nicht nur die Welt, sondern auch die eigene Region er- öffnet. Christoph Pries (SPD): Gronau ist eine Stadt im Kreis Borken, den ich im Deutschen Bundestag vertrete. Nicht nur als ehemals bedeutender Standort der deutschen Textilindustrie und als Geburtsstadt von Udo Lindenberg Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14407 (A) (C) (B) (D) hat Gronau von sich reden gemacht. Unter Internetnutzern gelangte die Stadt kürzlich aufgrund der 11 111 111. Re- gistrierung einer .de-Domain durch eine ansässige Dru- ckerei zu einem gewissen Bekanntheitsgrad. In keinem Land der Erde sind mittlerweile so viele Landesdomains registriert wie in Deutschland. Was auf der einen Seite die Internetbegeisterung unserer Bürgerinnen und Bürger so- wie deren Wissen über die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Internet kennzeichnet, zeigt auf der anderen Seite die Grenzen auf: Aufgrund der hohen Zahl an Domains ge- lingt es kaum noch, eine zutreffende Adressbezeichnung für individuelle Präsentationen oder die des Unterneh- mens im Internet zu finden. Als Zugangscode für Web- sites haben Domainnamen jedoch eine herausragende Be- deutung, und eine treffende, merkfähige Bezeichnung ist nicht nur wichtig für den Erfolg der Seite, sondern auch konstituierendes Merkmal der Onlineinfrastruktur insge- samt. Analog zur fortschreitenden Durchdringung fast sämtlicher Lebensbereiche durch das Netz steigt daher die Notwendigkeit, das bestehende System weiterzuentwi- ckeln. Längst ist das Thema auch bei der Internetverwal- tungsorganisation ICANN, Internet Corporation for As- signed Names and Numbers, angekommen. Mit der Einführung von „.asia“ für Asien, ,,.eu“ für Europa und ,,.cat“ für Katalonien hat ICANN die Weiterentwicklung des bestehenden Systems in die Wege geleitet. Die Zulas- sung der Domain ,,.cat“ für Katalonien im Jahr 2005 hat gezeigt, dass dies ein Stimulus für die Produktion unzähli- ger Websites in katalanischer Sprache und mit auf Katalo- nien bezogenen Inhalten war. Weltweit haben sich inzwi- schen Initiativen gebildet, um auf Ebene der TOP-Level- Domains (TLD) stärker regionale Zuordnungsmerkmale zu etablieren. So sollen künftig ,,.sco“ die schottische Sprache und kulturelle Gemeinschaft, ,,.nyc“ die Stadt New York im Netz repräsentieren. Auf dem jüngsten Treffen der Organisation in Los Angeles Ende vergangenen Jahres wurde angekündigt, dass ab kommendem Jahr weitere Bewerbungen für neue TOP-Level-Domains entgegengenommen werden. Die Ausweitung der Namensvergabe auf Ebene der Top-Le- vel-Domains wird auch den Bundesländern, Regionen und Städten unseres Landes bessere Chancen bieten, sich in ihrer Eigenheit weltweit zu präsentieren. Sie be- kommen die Möglichkeit, mit Stadtstaaten gleichzuzie- hen, die bereits heute aufgrund ihres Status eine eigene TOP-Level-Domain innehaben, obwohl ihre Bedeutung – gemessen an der Anzahl der registrierten Domains – nur sehr gering ist. So hat zum Beispiel Gibraltar mit der eigenen Endung ,,.gi“ und circa 30 000 Einwohnern viel bessere Möglichkeiten sich im Netz zu präsentieren, als Berlin, wo schon weit mehr als 500 000 Domains unter der Domain „.de“ registriert sind. Es wundert daher nicht, dass auch in Berlin Bemühungen existieren, „.ber- lin“ als TOP-Level-Domain zu etablieren. Dass Bedarf an neuen Möglichkeiten der Namensfindung besteht, zeigt auch der sich ausweitende irreguläre Gebrauch von Länderdomains, angefangen von ,,.by“ – der Endung für Belarussland –, genutzt durch die Bayrische Tourismus und Marketing GmbH, bis hin zur Nutzung der rumäni- schen Länderdomain „.ro“. Unter www.rathaus.ro findet man heute den Onlineauftritt der Stadtverwaltung von Rosenheim. Mit dem heute zu verabschiedenden Koalitionsantrag unterstreichen wir unsere Auffassung, dass die Weiter- entwicklung von lokalen Inhalten im Internet für Deutschland von erheblicher Bedeutung ist. Der Antrag zielt darauf, den gegenwärtig auf internationaler Ebene stattfindenden Diskussionsprozess zu unterstützen. Mit unserem Antrag fordern wir daher die Bundesregierung auf, sich im Rahmen ihrer Mitarbeit bei der ICANN für die Einführung neuer Top-Level-Domains einzusetzen. Als Ergänzung zur nationalen Kennzeichnung „.de“ wer- den dadurch sowohl der regionalen Wirtschaft als auch der Kultur, der Politik sowie den Bürgerinnen und Bür- gern neue Möglichkeiten eröffnet. Dabei ist darauf zu achten, dass durch die neuen Do- mains Rechte Dritter nicht verletzt werden. Analog zu der Einmaligkeit der Domain und der Person „Peter Struck“ hat gleiches auch für die neuen TLDs zu gelten. Es zeichnet sich ab, dass hier noch erhebliches Konflikt- potenzial herrscht. ICANN ist daher gut beraten, offene Fragen rechtzeitig zu klären. Weiterhin ergeht der politi- sche Auftrag an die Bundesregierung, im Rahmen ihrer Mitarbeit im Internet Governance Forum darauf hinzu- wirken, die Verwaltung der Domains auch zukünftig im Rahmen einer Selbstverwaltung zu gewährleisten. Auch soll dahin gehend gewirkt werden, dass es zu einer wei- teren Flexibilisierung des Zeichensatzes für das Na- menssystem kommt und dass personenbezogene Daten, die bei einer Domainregistrierung erfasst werden, besser gegen Missbrauch geschützt werden. Bedenkt man, wie stark das Internet in wenigen Jah- ren die wirtschaftlichen Strukturen sowie das soziale, kulturelle, wissenschaftliche und rechtliche Miteinander weltweit verändert hat, so können wir gespannt darauf sein, in welche Richtung sich das Medium entwickeln wird. Ich glaube, dass mit der Weiterentwicklung des Adressraums im Internet ein vielversprechender Weg be- schritten wird. Jörg Tauss (SPD): Der Deutsche Bundestag berät heute abschließend den Antrag der Koalitionsfraktionen zur „Weiterentwicklung des Adressraums im Internet“. Ich begrüße es außerordentlich, dass sich der Deutsche Bundestag erneut mit den rechtlichen Rahmenbedingun- gen in einem weltweiten Informations- und Kommuni- kationsnetz, dem Internet, seiner technischen Verfasst- heit und dem fairen Zugang zu seiner Infrastruktur befasst. Diese Fragen sind heute und in Zukunft für Deutschland und alle anderen Nationen von hoher sozia- ler, kultureller, rechtlicher und nicht zuletzt auch ökono- mischer Bedeutung. Das konstituierende Merkmal des Internets als welt- weites Daten-, Informations- und Kommunikationsnetz ist die Vergabe einmaliger und eindeutiger Adressen, da- mit Nutzer weltweit Inhalte leicht und nachvollziehbar auffinden können. Die Kontrolle über den Adressraum des Internets, über Domains und Top-Level-Domains, TLDs, das heißt die höchsten Hierarchiestufen von Do- mains, sind ein entscheidender Teil dieser Infrastruktur. Sie liegt bei der ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, einer privatrechtlichen 14408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Non-Profit-Organisation US-amerikanischen Rechts mit Sitz in Marina del Rey, die heute zugleich über die Grundlagen der Verwaltung von Namen und Adressen im Internet entscheidet und Standards für Technik und Verfahren beschließt. Auch wenn die ICANN kein ver- bindliches Recht setzt, koordiniert sie so doch techni- sche Aspekte des Internets, deren normative Kraft des Faktischen weltweit erhebliche ökonomische und politi- sche Auswirkungen hat. Die ICANN entscheidet über die Grundlage der Verwaltung der sogenannten Top-Le- vel-Domains und wird auch gerne als „Weltregierung des Internets“ bezeichnet. Und obwohl die ICANN längst Teil einer autonomen Selbstregulierung des Internets sein oder aber ihre Legi- timation durch eine verstärkte internationale Koopera- tion erhalten sollte, ist sie heute allein mit der US-Admi- nistration durch staatliche Aufsicht und einen Vertrag verbunden. Dieses ist bereits seit langem Gegenstand von Diskussionen über die künftige Struktur der politi- schen Kontrolle des Internets – zuletzt auf dem UN- Weltgipfel zur Informationsgesellschaft. Einer der Kern- forderungen des heute zur abschließenden Beratung anstehenden Koalitionsantrags lautet daher konsequent, dass die Bundesregierung den ICANN-Prozess und die Diskussion um die zukünftige Internetverwaltung in en- gem Zusammenwirken mit der deutschen Internetnutzer- schaft sowie den europäischen Partnern weiterhin auf- merksam begleiten und sich für eine mittelfristige Internationalisierung der Aufsicht der Domainnamen- verwaltung einsetzen soll. In diesem Jahr blickt die ICANN auf ihr nunmehr zehnjähriges Bestehen zurück. Wichtigstes Thema bleibt damit die Fragestellung, ob die US-Regierung die ICANN tatsächlich – wie angekündigt – vollständig aus ihrer Kontrolle entlassen wird. 2009 läuft das aktuelle Joint Project Agreement aus. Hierzu hat die ICANN An- fang Januar 2008 eine Stellungnahme vorgelegt, in der sie die Einschätzung vertritt, dass es einer solchen Kon- trolle nicht mehr bedarf und dass das Joint Project Agreement, JPA, keiner weiteren Verlängerung bedürfe. Dies wird auch Gegenstand des nächsten Treffens des Internet Governance Forum der Vereinten Nationen, IGF, sein, welches vom 8. bis zum 12. Dezember 2008 in Delhi tagt. Das zweite große Thema der diesjährigen ICANN- Meetings wird die Weiterentwicklung des Adressraums im Internet sein, welche auch aus deutscher Sicht von entscheidender Bedeutung ist. Mit der deutschen Top- Level-Domain „.de“ wird in Deutschland privatwirt- schaftlich die weltweit mit Abstand erfolgreichste Top- Level-Domain auf Staatenebene betrieben. Unterhalb von „.de“ sind heute bereits über 10 Millionen Domains registriert. Ich verweise auf eine höchst aktuelle Statis- tik. Diese stammt von der DENIC, der zentralen Regis- trierungsstelle für alle Domains unterhalb der Top- Level-Domain „.de“. Dort werden also alle Internet- adressen mit der Endung „.de“ registriert und verwaltet. Ge- mäß dieser Statistik gab es heute Morgen 11 720 160 Do- mains mit der Endung „.de“. Begonnen hat die DENIC übrigens erst im Jahr 1994! Betrachtet man die interna- tionale Entwicklung bei der Registrierung von Domains, so zeigt sich ein ähnlich erfolgreiches Bild. Auch hier möchte ich auf eine Statistik verweisen, eine Statistik der ICANN. Gemäß ICANN gab es demnach Ende 2007 weltweit etwa 138 000 000 registrierte Domains. Gegenwärtig wird in den Gremien der ICANN eine Debatte über die Einführung neuer Top-Level-Domains geführt, und dies ist auch der Anlass dafür, dass der Deutsche Bundestag sich mit diesem Antrag positioniert. Auch wenn das Internet global strukturiert ist, zeigt sich wegen des großen Erfolges dieser und anderer nationaler Adressierungen inzwischen weltweit ein Trend, die Adressierung auf Ebene der Top-Level-Domains weiter- zuentwickeln. Neben den bekannten Adressen wie „.com“, „.org“ und den nationalen Adressen wie „.de“ wird der Adressraum um regionale Adressierung erwei- tert, um stärkere lokale und regionale Nutzung zu för- dern bzw. homogene Märkte und Nutzungsräume schon auf Ebene der Top-Level-Domains sichtbarer und er- kennbarer zu machen. In der Vergangenheit wurden von der ICANN regionale Top-Level-Domains nur für Natio- nalstaaten zugelassen. Mit der Einführung von „.eu“ für Europa, „.asia“ für Asien oder „.cat“ für Katalonien wur- den inzwischen jedoch entsprechend diesem Trend erste regionale Top-Level-Domains geschaffen. Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Bundesregierung aufge- fordert, sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass auch regionale und urbane Gemeinschaften in Deutschland als neue Top-Level-Domains zugelassen werden können. Die Bundesregierung soll ihren Einfluss geltend machen, damit die Verwaltung der Domains und Top-Level-Domains weiter im Rahmen einer Selbstver- waltung der Internetgemeinschaft unter Aufsicht einer internationalen Kooperation durchgeführt wird und zu- gleich die Rechte der Inhaber von Namensrechten ge- wahrt bleiben. Eine weitere Forderung ist auf die weitere Flexibilisierung des Zeichensatzes für das Domain- namensystem gerichtet. Hier geht es darum, auch Um- laute und Sonderzeichen zuzulassen. Da es sich hierbei um eine ganz aktuelle Diskussion bezüglich der Modernisierung des Internetadressraums handelt, gibt es natürlich auch kritische Anmerkungen. So gibt es beispielsweise die Befürchtung, dass die Ein- führung neuer und regionaler Top-Level-Domains die Übersichtlichkeit des Internetadressraums gefährden würde. Dem muss entgegengehalten werden, dass dies für jedwede Erweiterung des Internetadressraums gelten würde. Ein zentraler Vorteil aber ist, dass damit der Inter- netadressraum deutlich vergrößert wird und dass durch den Ausbau um regionale Adressierung eine stärkere lo- kale und regionale Nutzung gefördert wird bzw. homo- gene Märkte und Nutzungsräume schon auf Ebene der Top-Level-Domains sichtbarer und erkennbarer gemacht werden können. Verwiesen wird auch auf Probleme, die sich aufgrund der unterschiedlichen Schreibweise bzw. der Tatsache, dass manche Städtenamen mehrfach vorkommen, erge- ben. Aber auch das ist kein unlösbares Problem. Darüber hinaus gibt es in Berlin die Besonderheit, dass sich zwar eine breite private Initiative von Bürgern und Unterneh- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14409 (A) (C) (B) (D) men für „.berlin“ als neue TLD stark macht, der Berliner Senat das allerdings kritisch sieht. Befürchtet werden Kollisionen mit dem bestehenden Berlin-Portal, das un- ter www.berlin.de betrieben wird. Nicht auszuschließen sei darüber hinaus, dass der Name „Berlin“ durch pro- blematische Domainnamen – so werde es ja nicht nur „theater.berlin“ oder „taxi.berlin“ geben – Schaden neh- men könnte. Diese Argumentation übersieht aber, dass regionale TLDs ja gerade die Chance zu regional verabredeten Re- geln der Domainvergabe eröffnen. Gerade dadurch würde es erstmals möglich, problematische Entwicklun- gen im Internet, die wir heute national oder lokal nicht regeln können, durch verbindliche Verabredungen mit dem Betreiber zu lösen. Das ist etwas ganz anderes als der Betrieb eines Internetportals und erscheint mir zu- dem auch politisch bedeutsamer als die Frage, wie viele Zugriffe die bisherige Web-Visitenkarte einer Gemeinde künftig haben wird. Denn – auch wenn man es bedauern mag –: Art. 87 f Abs. 2 des Grundgesetzes besagt, dass die öffentliche Hand die Vergabe von Domains hoheitlich gestaltet. Die Idee, nur weil es eine deutsche Gemeinde nicht möchte, dass eine andere Gemeinde in der Welt gleichen Namens einen Antrag stellt, könnte sie die Vergabe des Namens insgesamt verhindern, trägt ebenfalls nicht. Bei einer neuen Domain wie „.berlin“ verlangen wir von der ICANN aber mindestens, dass eine private Initiative wie bei „.berlin“ die Belange der deutschen Namensträger berücksichtigen muss, um Unterstützung, oder Beteili- gung einfordern zu können. Darin sehe ich eine große Chance; denn so können – unabhängig von der verfas- sungsrechtlichen Situation – wenigstens mittelbar Nor- men des deutschen Jugendschutzes, des Strafrechts, des Namens- und Markenrechtes usw. in einen international erreichbaren Domainraum einfließen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen verweist daher auf die entsprechenden Initiativen, welche sich für Städte wie London, Paris, Berlin oder New York City ge- bildet haben und die bei der ICANN eine Registrierung entsprechender Stadt-Top-Level-Domains beantragen wollen. Zur Vermeidung einer Benachteiligung deut- scher Städte, Gemeinden und Regionen gegenüber ande- ren Regionen und Metropolen befürwortet der Deutsche Bundestag mit diesem Antrag solche Initiativen aus Deutschland ausdrücklich und stellt zugleich aus den oben genannten Gründen klar, dass diese von den zu- ständigen öffentlichen Stellen unterstützt oder mitgetra- gen werden sollen. Vielleicht sieht man es mal von einer anderen Seite: Gestern konnte man beim ZDF nachlesen, dass schät- zungsweise 15 000 Schleswig-Holsteiner auf St. Helena leben – zumindest virtuell; denn sie haben eine eigene Webdomain mit der für Schleswig-Holstein attraktiven Länderkennung „.sh“ registriert. Dies ist natürlich kein norddeutsches Phänomen; denn auch rund 30 000 Bay- ern haben eine Webadresse, die auf das weißrussische Länderkürzel „.by“ endet. Dies können doch aber letzt- lich nur Notbehelfe sein, machen aber eben die Notwen- digkeit neuer und regionaler Top-Level-Domains offen- sichtlich. Schließlich befasst sich – um auch hierauf noch kurz einzugehen – der Antrag der Koalitionsfraktionen mit der ebenfalls bei den ICANN-Meetings diskutierten Fra- gestellung, ob es auch neuer Regeln zum Dienst „Whois“ bedarf. Bei dem „Whois“ einer Domain handelt es sich um ein Protokoll und darauf aufbauende Informa- tionsdienste, mit denen personenbezogene Angaben zu Inhabern von Domains, Ansprechpartnern und zuständi- gen Technikadministratoren abgefragt werden können. Die bislang öffentlich für jedermann zugängliche Bereit- stellung umfasst jedoch auch sensible persönliche Daten wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen, IP-Adressen und Anschriften und geht damit weit über Kontaktdaten aus öffentlichen Telefonverzeichnissen hinaus. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Bundesregie- rung aufgefordert, im Rahmen ihrer Mitwirkung in der ICANN eine Weiterentwicklung des Systems der Spei- cherung und Weitergabe von Whois-Daten im Sinne der besseren Gewährleistung eines Schutzes personenbezo- gener Daten insbesondere gegen Identitätsdiebstähle und der Nutzung unverlangter Werbung, Spam, zu fordern. Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit und für die interessanten Debatten in den Ausschüssen und möchte für die Unterstützung des Antrages der Koalitionsfrak- tionen werben – ausdrücklich auch in Richtung der deut- schen Städte und Regionen, die so attraktiv sind, dass sich für sie eine eigene Domain im Internet lohnen könnte. Christoph Waitz (FDP): Der Erfolg des Internets führt zu einer rasanten Erhöhung der Anzahl der Web- seiten. Webseiten, die nicht nur dem Angebot von Waren dienen, sondern wie zum Beispiel die Internetseite des Deutschen Bundestages den Bürgerinnen und Bürgern ein Informationsangebot über unsere Arbeit präsentie- ren. Neben dieser Funktion dient diese Präsentation auch dazu, Werbung in eigener Sache zu machen. Deshalb ist es notwendig, dass diese Seiten im Internet schnell zu finden sind. Einfache Internetadressen, die schon im Na- men den Inhalt oder den Autor der Webpräsenz deutlich machen, sind dazu am besten geeignet. Mit der Internet- adresse „Bundestag.de“ ist das sicher gelungen. Die Bür- gerinnen und Bürger können sich ohne langwieriges Su- chen über unsere Arbeit, unsere Streitkultur und die Art und Weise, wie der Deutsche Bundestag im Konzert mit den anderen Verfassungsorganen funktioniert, informie- ren. Aber: Allein unter dem Domainkürzel „.de“ waren Ende 2007 weit über 11 Millionen Internetseiten regis- triert. Nicht eingerechnet sind all die Unternehmen, Organisationen und Bürger in Deutschland, die die Do- mainkennungen „.org“, „.com“ oder „.info“ nutzen. Dies hat zur Folge, dass es kaum noch möglich ist, Internet- adressen registrieren zu lassen, die den Ansprüchen an Einfachheit, Prägnanz und Werbewirksamkeit genügen. Sie können deshalb nicht registriert werden, weil Wett- bewerber oder Namensvettern sich die Rechte schon ge- sichert haben. 14410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Es ist also ein Flaschenhals entstanden, der beseitigt werden muss. Ein Flaschenhals, der auch deshalb besei- tigt werden muss, weil der Name, also die Adresse der Internetseite, über die möglichen Zugriffszahlen und da- mit letztlich über den wirtschaftlichen Erfolg mit ent- scheidet. Wie das gelingen kann, zeigen uns bereits andere Länder. Regionale Domainnamen wie „.cat“ für Katalo- nien in Spanien werden schon jetzt von der ICANN (In- ternet Corporation for Assigned Names and Numbers) zugelassen. Da der Adressraum immer enger wird, macht es aus Sicht der FDP-Fraktion Sinn, über die Domain „.de“ hi- naus zu denken. Durch die Einführung von regionalen Domainnamen, die der Antrag fordert, ließen sich Adressen schaffen, die eine besondere regionale Verbun- denheit oder schlichtweg eine Kurzbeschreibung des in- haltlichen Angebotes ermöglichen würden. Mit der Adresse „Wirtschaftsfoerderung.Sachsen“ oder „Kultur- tourismus.Thueringen“ wäre das Wesentliche schon in der Internetadresse gesagt. Es so zu gestalten, ist nicht nur sinnvoll, sondern es gibt auch den Bedarf dazu. Schon heute gibt es rund 30 000 Internetadressen aus Bayern, die auf das Kürzel „by“, das weißrussische Län- derkürzel, zurückgreifen. Das macht deutlich, dass es of- fenkundig den Wunsch nach einem bayrischen Regio- nalkürzel gibt. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Zwischenbe- merkung: Für uns sind das Internet und die damit verbun- denen Informationsangebote zu einem täglichen Arbeits- mittel und zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Aber die Informationsfreiheit, der Zugang zu Berichten und Informationen sind im weltweiten Vergleich leider nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Der Blick auf Staaten wie Weißrussland und China macht deutlich, dass das Internet als Bedrohung der jeweiligen politi- schen Systeme und Führungsgruppen wahrgenommen wird. Dort wird der Versuch unternommen, das Internet zu zensieren. Das Internet bietet aber gerade in diesen Staaten den einzigen Zugang zu freien und unabhängi- gen Informationen. Das Internet ist dort Schaufenster in zwei Richtungen: Wir sehen, was in Ländern ohne de- mokratische Kultur passiert. Und: Die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder können bei uns Erfahrungen sam- meln, wie das Zusammenleben in einer freien und demo- kratischen Gesellschaft zum Wohle aller funktioniert. Gerade in Ländern wie China interessieren sich im- mer mehr Menschen für mehr als nur das materielle Vo- rankommen. Grundlegende Bürgerrechte werden einge- fordert. Dissidenten können über Repressionen durch den Staat aufmerksam machen und so dafür sorgen, dass sie nicht spur- und namenlos in Gefängnissen und La- gern verschwinden. Ein breites Spektrum an Informatio- nen aus Deutschland und ein weites Spektrum gerade auch an deutschen Domains kann helfen, Beispiele an Freiheit und Gerechtigkeit für diese Länder besser zu- gänglich zu machen und die staatlichen Sperren von be- stimmten Inhalten durch die große Vielfalt an Web- Adressen zu erschweren. Aber ich sage auch an den Bundesinnenminister Schäuble gerichtet: Die mit der Terrorgefahr begründete vorbeugende Kontrolle durch Onlinedurchsuchungen des Bundeskriminalamtes im Internet legt die Axt an die Wurzeln unseres demokratischen Gemeinwesens. Ich fordere Sie auf, die beabsichtigte Novelle des BKA-Ge- setzes zu den Akten zu legen. Überwachung muss auch künftig durch Ermittlungs- behörden möglich sein. Aber nur dann, wenn ein Tatver- dacht existiert und eine richterliche Anordnung erfolgte. Dass es darüber hinaus Tabuzonen der Überwachung ge- ben muss, wie bei Strafverteidigern, Pfarrern und Abge- ordneten, ist eine Selbstverständlichkeit, und will ich nicht weiter ausführen. Ich rate bei der ICANN-Reform zu einer objektiven Herangehensweise. Wer grundlegende Reformen for- dert, muss zuerst ein besseres System der Domainzuwei- sung vorstellen. Sicher: Die ICANN unterliegt schon allein wegen ih- res Sitzes dem US-amerikanischen Recht. Sie untersteht der Aufsicht der US-Behörden. Den Plänen der ICANN nach soll diese Aufsicht jedoch Ende 2009 enden. Die Entflechtung von der US-Aufsicht, so wie sie auch Bill Clinton seinerzeit geplant hatte, begrüße ich. Schließlich geht es darum, wie weit der Einfluss des Staates bei der Weiterentwicklung des Internets reichen darf. Gerade die Staatsferne des Internets ist in meinen Augen einer der Garanten seines Erfolges. Internet – dieser Oberbegriff steht für die heute wichtigste Informations-, Kommuni- kations- und Wirtschaftsinfrastruktur. Mit einer Koope- ration von internationalen zivilgesellschaftlichen Grup- pen, die die ICANN bei der Bewältigung ihrer Aufgaben begleitet und unterstützt, wären wir auf einem guten Weg. Setzt sich aber der Ansatz durch, einzelnen Ländern auch künftig ein Mitspracherecht einzuräumen, sollte auf eine Internationalisierung der Struktur, zum Beispiel im Rahmen der UNO, geachtet werden. Bei komplexe- ren Fragen könnte das Internet Governance Forum (IGF) die geeignete Plattform darstellen, um ein effizientes und wachstumsfähiges System der Domainverwaltung aufrechtzuerhalten. Lothar Bisky (DIE LINKE): Die herausragende Stel- lung des Internets für den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Austausch ist unbestritten. Wir stehen dabei erst am Beginn einer Entwicklung. Die Politik muss die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Der vorliegende Antrag der Regierungs- fraktionen fordert unter anderem die Neuschaffung von regionalen Top-Level-Domains im Internet. Dieses Vor- haben sieht Die Linke sehr kritisch. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag auch ab. Das hat mehrere Gründe. Zunächst ist bis heute nicht ausreichend nachgewie- sen, dass eine Ausweitung des Adressraumes überhaupt notwendig ist. Nur einem vorgeblichen Trend folgen zu wollen, wie es im Antrag heißt, ist als Begründung für einen solchen Schritt ein bisschen dünn. Ein feines und bewährtes Geflecht der bestehenden Domainadressen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14411 (A) (C) (B) (D) sollte man nicht mit Hauruck-Methoden zerstören, nur um einem vermeintlichen Trend zu folgen, der zudem in erster Linie durch privatwirtschaftliche Interessensverei- nigungen vorangetrieben wird. In Fachkreisen wird die Ausweitung auf regionale Endungen ebenfalls sehr kritisch gesehen. Es besteht die Gefahr der zunehmenden Unübersichtlichkeit bei der Identifikation von Adressen. So kommen unnötiger- weise auch viele ungeklärte Rechtsfragen auf den Tisch, beispielsweise welche Rechte Domaininhaber bestehen- der Adressen hinsichtlich der neuen Endungen haben. Dies schwächt den Verbraucherschutz. Auf solche Fra- gen haben auch die Antragsteller leider keine Antwort. Um die Qualität zu sichern, muss zunächst sauber und unter Berücksichtigung der betroffenen Verbände, Initia- tiven und Expertinnen und Experten gearbeitet und über- legt werden, ob und unter welchen Umständen eine Einführung neuer Endungen sinnvoll sein kann. Schnell- schüsse sollten hier keinen Platz haben. Dazu ist das Thema zu wichtig. Im weiteren Verfahren sollte auf- grund der vielen offenen und ungeklärten Fragen ein Ex- pertengespräch durchgeführt werden. Im Antrag der Re- gierungsfraktionen wird auch auf die Struktur und die Legitimation der privatrechtlich organisierten Verwal- tung – ICANN, Internet Corporation for Assigned Na- mes and Numbers – der Domainadressen eingegangen. Die Linke sieht bei der bisherigen Organisationsform ein großes Demokratiedefizit. Da sind wir uns ja einig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Es wider- spricht dem Charakter des Internets, dass bislang die ICANN allein vertraglich den USA zur Rechenschaft verpflichtet ist. Hier muss so schnell wie möglich eine internationale Lösung gefunden werden, um die Freiheit des Internet und der Adressvergabe dauerhaft zu sichern und krisenfest zu machen. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ge- schehen noch Zeichen und Wunder. Die Koalition hat es tatsächlich zustande gebracht, eine parlamentarische Ini- tiative auf den Weg zu bringen, die sich mit der Me- dienwelt beschäftigt. Da rafft sich die Koalition nun mal auf – und dann so etwas: ein Antrag zur Weiterent- wicklung des Adressraums im Internet. Als gäbe es keine dringenderen Fragen! Internetnutzer werden mit Spam zugemüllt – die Koalition schafft keine wirksamen Regelungen. Bürgerinnen und Bürger werden durch Ab- mahnungen abgezockt – die Koalition lässt sie damit al- leine. Auf den Computerbildschirmen erscheinen rechts- radikale Lieder und Texte – die Koalition schaut tatenlos zu. Das zeigt uns: der Verbraucherschutz im Internet weist große Lücken auf – und die Koalition unternimmt nichts. Das Telemediengesetz sollte längst wieder aufge- schnürt werden. Die FDP und wir haben dazu Anträge eingebracht. Nichts ist passiert. Die Bürgerinnen und Bürger werden seit über einem Jahr vertröstet. Die Koalition aber kümmert sich um den Adressraum im In- ternet. Also dazu: Richtig ist, dass das Netz nur dann ein Tor zur Welt bietet, wenn wir die Informationen auch finden. Das ist aber keine Frage der Internetadresse. Kaum je- mand gibt „Bürgeramt.Berlin.de“ in die Domainzeile seines Browsers ein, wenn er oder sie den Pass verlän- gern möchte. Das würde sich auch nicht ändern, gäbe es die Top-Level-Domain „.berlin“. Nein, wir alle suchen mit Suchmaschinen im Internet. Wir öffnen eine Such- maschine und geben „Pass verlängern“ und „Berlin Mitte“ ein. Da liegt doch das Hauptproblem: Eine Such- maschine hat die Marktmacht, und was hier nicht auf- taucht, existiert nicht im Netz. Dabei ist unklar, wie Su- cherergebnisse zustande kommen. Es ist unklar, was mit Nutzerdaten geschieht. Es ist unklar, ob Profile erstellt werden. Hier sehe ich die eigentlichen Probleme der Su- che und Auffindbarkeit im Netz, nicht in der Adress- zeile. Die angebotenen Lösungen gehen am Problem vorbei. Aber ich habe auch konkrete Bedenken an dem Vor- stoß der Koalition. Zum Ersten: Nehmen wir an, ich reise auf die andere Seite der Erde und ein Japaner fragt mich: „Wo kommst Du her?“, dann antworte ich be- stimmt nicht: „Schleswig-Holstein“, und schon gar nicht „Flensburg“, sondern: „Deutschland, aus dem Norden.“ Auch das Internet ist global. Was also soll dieser Japa- ner, der – nehmen wir an – Ingenieur bei SAP werden möchte mit dem Kürzel „.BaWü“ anfangen, wenn er im Internet nach dem Unternehmen sucht? Er gibt doch nie- mals „SAP.BaWü“ ein! Also müsste SAP sämtliche Do- mains registrieren: „SAP.de“, „SAP.baWü“, „SAP.baden“, „SAP.Walldorf“ und vielleicht auch noch „SAP.RNK“. Das kostet. Ich halte die heutige Hierarchie des Adress- systems im Internet für logisch. Auch wenn wir Grünen hierarchische Gesellschaftsstrukturen für zweifelhaft halten, haben wir gegen die Hierarchie beim Domain- Name-System nichts einzuwenden. Wir beurteilen Strukturen nach ihrer Sinnhaftigkeit. Die des Domain- namesystems machen Sinn. Es funktioniert nach dem Grundsatz: „form follows function“ – die Form folgt der Funktion –, und das ist auch richtig so. Der zweite Kritikpunkt: Die Koalition will Umlaute im Adresssystem des Internets fördern. Was aber tun In- ternetnutzer, deren Tastatur keine Umlaute hat? Was tun, wenn der Rechner nicht in der Lage ist, dies zu nutzen? „Köln.de“ wird im Koalitionsantrag als gelungenes Bei- spiel für die Nutzung von Umlauten angeführt. Zu dumm nur, dass sich gerade diese Stadt dazu entschieden hat, diesen Schritt rückgängig zu machen. Stattdessen wird wieder eine einheitliche Adresse angeboten. Sie sprechen auch die Aufsicht im Internet an. Sie for- dern, den ICANN-Prozess zusammen mit der deutschen Internetnutzerschaft zu begleiten. Das ist richtig. Bei der ICANN fehlt es an Offenheit und Transparenz. Es herrscht ein Demokratiedefizit. Wir Grünen fordern, dass die Domainvergabe insgesamt überdacht wird. Die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer dürfen dabei nicht außen vor gelassen werden. Wir müssen die Adress- aufsicht internationalisieren. Ihre Forderungen finden also an diesem Punkt unsere Unterstützung. Allerdings hat die Regierung hier bisher nicht viel getan. Andere Regierungen, zum Beispiel in Großbritannien, haben sich beim Internet Governance Forum viel stärker einge- bracht als Deutschland. Wir wünschen uns ein größeres Engagement unserer Regierung. Das betrifft vor allem 14412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) den Datenschutz, der auch Teil der Verhandlungen dar- stellt. Unter dem Strich können wir diesem Antrag nicht zu- stimmen, schon deshalb nicht, weil einzelne Forderun- gen und Feststellungen des Antrags fast wortwörtlich aus einem Positionspapier eines großen Verbandes der Internetwirtschaft abgeschrieben sind. Das kann doch nicht sein! Gestalten Sie Ihre Politik selbst! Lassen Sie sich Bedürfnisse und Lösungen nicht von Lobbygruppen in die Feder diktieren! Dann kommen solche Anträge da- bei heraus, bei denen unschlüssig bleibt, warum ein dringliches Problem besteht. Ich vermute: Da will je- mand Geld machen. Die reinen Wirtschafts- und Lob- byinteressen werden dann auch noch unter dem Label der Nutzerfreundlichkeit verkauft. Vor allem aber fordern wir von der Koalition, sich endlich um die drängenden Probleme im Internet zu kümmern. Wir brauchen internationale Abkommen; denn das Internet macht an keiner Grenze halt, die Auf- sicht aber ist nur national. Der Verbraucherschutz in der digitalen Welt hat große Lücken. Die neuen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung und zu Onlinedurchsuchungen verschärfen die Lage zusätzlich. Tun Sie etwas! Denken Sie mehr an die Bürgerinnen und Bürger! Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Antrag: Völkerstrafgesetzbuch wirksam anwenden – Antrag: Für eine verbesserte Zusammen- arbeit deutscher Behörden bei der Verfol- gung von Straftaten nach dem Völkerstraf- gesetzbuch (Tagesordnungspunkt 28 a bis c) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Am 24. Oktober 2007 führte der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe eine Anhörung zum Thema „Nationale Umsetzung des Völkerstrafge- setzbuches“ durch. Die eingeladenen Sachverständigen, insbesondere Herr Professor Dr. Kai Ambos von der Georg-August-Universität Göttingen, warteten mit An- regungen zum Völkerstrafrecht auf, die in einem Gesetz- entwurf und einem Antrag der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen sowie in einem Antrag der Fraktion der FDP aufgegriffen werden. Die praktische Relevanz der Anre- gungen der Sachverständigen tendiert gegen null. Dies lässt sich sehr gut am Beispiel des ehemaligen usbekischen Innenministers Sakirdschan Almatow dar- stellen. Er steht im Verdacht, Hauptverantwortlicher für die Erschießung Hunderter friedlicher Demonstranten in der usbekischen Stadt Andijan im Mai 2005 gewesen zu sein. Im November 2005 beschloss der Rat der Europäi- schen Union, ihm die Einreise in die Europäische Union zu verweigern. Über ein ihm von der deutschen Bot- schaft in Moskau erteiltes Visum gelang es ihm, nach Deutschland einzureisen, um sich in einem Krankenhaus in Hannover medizinisch behandeln zu lassen. Als der Generalbundesanwalt durch Strafanzeigen von Amnesty International und Human Rights Watch Anfang Dezem- ber 2005 von der Einreise Almatows erfuhr, hatte dieser Deutschland bereits wieder verlassen. Dies thematisiert der FDP-Antrag mit dem Ziel einer besseren Koordinierung der Informationen durch das Auswärtige Amt, die Auslandsvertretungen, die Grenz- schutzbehörden und die Bundesanwaltschaft. Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst bei rechtzeitiger Informa- tion der Bundesanwaltschaft von der Einreise Almatows eine Strafverfolgung in Deutschland nicht möglich ge- wesen wäre. Zwar gilt materiellrechtlich für das Völker- strafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip. Dies deshalb, um den schwerer Menschenrechtsverletzungen Tatverdäch- tigen einen sicheren Zufluchtshafen abzuschneiden. Verfahrensrechtlich gilt bei uns aber auch für das Völ- kerstrafgesetzbuch die deutsche Strafprozessordnung. Almatow hätte nur festgehalten werden können, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 112 der Strafprozessordnung gegeben gewesen wären. Dies hätte schon einmal einen dringenden Tatver- dacht vorausgesetzt. Dafür fehlten aber die notwendigen Anknüpfungspunkte. Nach seiner Ausreise ein Ermitt- lungsverfahren gegen Almatow einzuleiten, wäre wenig zielführend gewesen, weil das deutsche Strafprozess- recht eine Hauptverhandlung gegen einen Abwesenden nicht vorsieht. Fazit ist also, dass auch ein bestmöglicher Informations- austausch zwischen dem Auswärtigen Amt, den Auslands- vertretungen, den Grenzschutzbehörden und der Bundes- anwaltschaft zu einem Verfahren gegen Almatow nicht hätte führen können. Damit nicht mit wenig erfolgverspre- chenden Strafverfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch unnötig personelle Ressourcen der Bundesanwaltschaft gebunden werden, eröffnet § 153 f der Strafprozessord- nung die Möglichkeit, von einer Strafverfolgung abzuse- hen, wenn und soweit kein Deutschlandbezug besteht. Anders verhält es sich nur dann, wenn bei einer Tat mit fehlendem Inlandsbezug und ausbleibenden Ermittlun- gen einer vorrangig zuständigen Gerichtsbarkeit eine spätere Strafverfolgung durch Beweissicherungsmaß- nahmen vorzubereiten wäre. Dabei bleibt festzuhalten, dass deutsche Ermittlungsbehörden auch bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch trotz Weltrechtsprinzip keine Möglichkeiten haben, im Ausland zu ermitteln. Dies führt dazu, dass bei Anzeigen nach dem Völker- strafgesetzbuch überwiegend nach § 153 f der Strafpro- zessordnung zu verfahren sein wird. Letztlich beanstanden dies Bündnis 90/Die Grünen auch nicht. Sie wünschen aber eine Mitentscheidung ei- nes Gerichts bei einem Absehen von Strafverfolgung oder einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153 f der Strafprozessordnung. Dabei dürfte schon die Bestimmung des zuständigen Gerichts Probleme berei- ten, wenn Tathandlungen und Tatort im Ausland liegen. Im Übrigen kann nicht festgestellt werden, dass die Bun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14413 (A) (C) (B) (D) desanwaltschaft bisher in sachwidriger Weise von § 153 f der Strafprozessordnung Gebrauch gemacht hat, sodass es einer Einbeziehung eines Gerichts in die Entschei- dung nicht zwingend bedarf. So sieht übrigens die Nicht- verfolgung anderer Auslandstaten nach § 153 c der Strafprozessordnung ebenfalls keine Beteiligung eines Gerichts an der Entscheidung der Staatsanwaltschaft vor. Nichts anderes gilt für das Absehen von Strafverfolgung bei politischen Straftaten nach § 153 d der Strafprozess- ordnung. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, dass das gerichtliche Zustimmungserfordernis bei Verfahrens- einstellungen dem deutschen Strafprozessrecht nicht fremd ist (§ 153 a StPO). Ob aber die besondere Bedeu- tung des Völkerstrafrechts einen gerichtlichen Mehrauf- wand rechtfertigt, mag der Beratung im Rechtsausschuss vorbehalten bleiben. Festzuhalten bleibt auch, dass der Weg über ein Kla- geerzwingungsverfahren gemäß § 172 der Strafprozess- ordnung, eine Entscheidung der Generalbundesanwalt- schaft einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, nicht möglich ist. Das Klageerzwingungsverfahren ist nämlich auf § 153 f der Strafprozessordnung nicht anwendbar. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart am 13. Septem- ber 2005 – veröffentlicht in NStZ 2006, 117 – mit zutreffender Begründung so entschieden. Da aus den vorgetragenen Gründen Ermittlungsverfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch bei der Bundesanwaltschaft auch in Zukunft nicht vermehrt auflaufen werden, erübrigt sich auch eine personelle Aufstockung in diesem Referat der Bundesanwaltschaft. Nebenbei sei bemerkt, dass die Bundesanwaltschaft in diesem Bereich Personalmangel auch nicht beklagt, vielmehr aber in den Referaten „ter- roristischer Islamismus“ und „Proliferation“, wo es nur mit Mühen gelingt, die Sitzungsvertretung in anstehen- den Hauptverhandlungsterminen sicherzustellen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die rechtstheoretischen Erwägungen, insbesondere des Sachverständigen Professor Dr. Ambos, den praktischen Bedürfnissen eher nicht gerecht werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen auf eine Personal- aufstockung bei der Bundesanwaltschaft und den Antrag der FDP nicht mittragen. Über den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des § 153 f der Strafprozessordnung mag im Rechtsausschuss ergebnisoffen beraten werden. Christoph Strässer (SPD): Als Jurist und Men- schenrechtspolitiker war ich 2002 sehr froh und glück- lich, dass in Deutschland mit der Verabschiedung des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) das Weltrechtsprinzip Einzug in die deutsche Rechtssprechung und das deut- sche Sanktionensystem gefunden hat. Konkret beinhaltet das VStGB, dass im Fall von Völkermord, Kriegsverbre- chen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein deut- sches Gericht Anklage erheben kann, auch wenn weder Täter noch Opfer die deutsche Staatsangehörigkeit besit- zen. Der 26. Juni 2002 war insofern ein guter Tag für die Komplettierung des Menschenrechtsschutzes. Er war ein schlechter Tag für alle Potentaten, die sich angesichts ei- ner zu erwartenden Straflosigkeit skrupelloser Men- schenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Ich möchte trotz oder gerade wegen aller Kritik an der Auslegungs- und Anwendungspraxis des VStGB durch die Generalbundesanwaltschaft noch einmal betonen, was für ein enormer menschenrechtlicher, humanitärer und rechtspolitischer Fortschritt die Existenz des VStGB bedeutet. Denn es ist das Ergebnis eines langen histori- schen Prozesses und der Erkenntnis, die bereits Kant treffend formuliert hat. Ich zitiere: „Da (…) die Rechts- verletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantasti- sche und überspannte Vorstellungsart des Rechts, son- dern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentli- chen Menschenrechte überhaupt.“ Im Zuge der Globalisierung und der damit einherge- henden notwendigen Weiterentwicklung des Rechts hat diese Erkenntnis im VStGB endlich ihren Niederschlag gefunden. Damit haben wir den Weg beschritten zur Ver- besserung der weltweiten Bekämpfung von Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter. Das ist ein Erfolg. Den sollten wir trotz aller Defizite, die es noch zu bewältigen gilt, auch deutlich so benennen, gerade auch deshalb, weil international zu Recht die Auffassung vorherrscht, dass der materielle Teil in VStGB §§ 1 bis 14 geradezu vorbildlich gelungen ist. Nun jährt sich die Verabschiedung des VStGB zum sechsten Mal, ohne dass es bisher zu einer einzigen Anklage gekommen wäre. Von circa 50 angezeigten Fäl- len sind bis auf einen alle ohne Aufnahme konkreter Er- mittlungen durch die Generalbundesanwaltschaft nach § 153 f StPO eingestellt worden. Dabei ist es nicht so, dass es keine Anlässe für Ermittlungen gegeben hätte. Dass die Generalbundesanwaltschaft zum Beispiel kein Ermittlungsverfahren gegen den 2006 in Deutschland weilenden usbekischen Innenminister Almatow, der im Mai 2005 für das Massaker in Andischan mitverantwort- lich war, angestrengt hat, macht die Defizite bei der Anwendung des VStGB besonders deutlich. Meines Er- achtens sind wir uns bezüglich der Verbesserungsnot- wendigkeiten in diesem Hause einig. Das betrifft vor al- lem die aktuelle Fassung des § 153 f StPO, die der GBA einen weiten Ermessensspielraum zuweist, den sie im Fall Almatow auch genutzt und damit durchaus im Rah- men ihrer Kompetenzen und damit rechtmäßig gehandelt hat. Denn sie lehnte eine Ermittlungseinleitung im We- sentlichen mit dem Hinweis auf den fehlenden Bezug zum Inland ab. Die Experten sind sich diesbezüglich sel- tenerweise mal einig: Eine gerichtlich nicht überprüfbare Opportunitätsentscheidung nach § 153 f StPO in dieser weiten Fassung enthält das Risiko einer tatsächlichen Aushebelung des materiellrechtlich festgelegten Welt- rechtsprinzips. Insofern sollten wir dem Gedanken nahe- treten, § 153 f StPO so zu ergänzen, dass die Entschei- dung der zuständigen Generalbundesanwältin (nach § 120 Abs. 1 Nr. 8 in Verbindung mit § 142 a Abs. 1 Satz 1 GVG) für die Verfolgung von Straftaten nach dem VStGB einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen wird, etwa vergleichbar einer Einstellungsentscheidung nach 14414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) § 153 a StPO. Das heißt, die GBA entscheidet nicht – wie bisher – allein über das Absehen von der Verfol- gung von Völkerstraftaten, sondern nur mit Zustimmung des für die Eröffnung der Hauptverhandlung zuständigen Gerichts. Über einen solchen Vorschlag sollten wir in den Ausschussberatungen intensiv nachdenken. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass Straf- verfahren wegen Völkerrechtsverbrechen, die in anderen Staaten begangen worden sind, äußerst viel Zeit und Ar- beitskraft binden. Die Einleitung von Ermittlungen aber mit der Begründung eines zweifelhaften Aufklärungser- folges gar nicht erst zu beginnen, untergräbt die Zielset- zung des VStGB und läuft meinem Rechtsverständnis zuwider. Denn Recht schaffen und Recht sprechen da- von abhängig zu machen, wie stark die Widerstände ge- gen die Herstellung von Gerechtigkeit und wie groß die Chancen auf ihre Durchsetzung sind, ist aus menschen- rechtlicher und rechtspolitischer Sicht eindeutig inak- zeptabel. Deshalb müssen die Ressourcen für eine mögliche Rechtsdurchsetzung des VStGB auch in Deutschland zur Verfügung gestellt werden. Denkbar ist für mich in diesem Zusammenhang eine verbesserte Fi- nanz- und Personalausstattung der GBA für effektive Strafverfolgung nach dem VStGB. Auch hierüber ist eine ernsthafte Debatte erforderlich. Ich möchte noch auf einen weiteren äußerst sensiblen Punkt zu sprechen kommen. Von vielen Experten und Kolleginnen und Kollegen wird ein besserer Informa- tionsfluss zwischen der Bundesregierung, insbesondere den Auslandsvertretungen, den Grenzschutzbehörden und der GBA über den Inlandsaufenthalt möglicher Straftäter nach dem Völkerstrafgesetzbuch angemahnt. Wie es im Fall von Almatow gewesen zu sein scheint, kommen eventuelle Aktivitäten im Sinne einer Ermitt- lungseröffnung und einer eventuellen Festnahme durch die GBA ansonsten zu spät, da in diesem Fall die GBA von einem Aufenthalt Almatows erst erfahren habe, als dieser bereits wieder außer Landes war. Prinzipiell ist ein intensiverer Informationsfluss zwischen den staatli- chen Stellen zur Verfolgung von schwerwiegenden Men- schenrechtsverletzungen richtig und gut. Äußerst hilf- reich sind in diesem Zusammenhang die Lageberichte des Auswärtigen Amtes über die Situation in den jewei- ligen Ländern. Eines muss allerdings bei der Forderung nach einer besseren Einbindung unserer Botschaften bei der Umsetzung des VStGB immer mitbedacht werden: Auslandsvertretungen sind keine Hilfsorgane der Ermitt- lungsbehörden. Es besteht die Gefahr, dass unsere Aus- landsvertretungen ihre Handlungsfähigkeit und ihren po- litischen Einfluss in den Ländern verlieren, in denen sie offensichtlich dabei helfen, ehemalige oder aktuelle Mit- glieder des Staatsapparates dieses Landes völkerstraf- rechtlich zu verfolgen. Insofern handelt es sich bei der Einbindung unserer Auslandsvertretungen in die bessere Verfolgung von Straftätern nach den VStGB um eine po- litische Gratwanderung, die gut durchdacht sein will und erst dann infrage kommen kann, wenn ein strafrechtli- ches Ermittlungsverfahren gegen eine konkrete Person eröffnet worden ist oder zum Beispiel ein vollziehbarer Haftbefehl vorliegt. Eine generelle Einbindung, wie sie in den Oppositionsanträgen gefordert wird, ist deshalb nach meiner Auffassung kaum umsetzbar und kann auch kontraproduktive Folgen haben. Letztendlich sollte es unser aller Ziel sein, die not- wendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine faire, effektive und schnelle Umsetzung und Anwendung des VStGB in Deutschland zu gewährleisten. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, sich für eine gemeinsame po- litische Initiative stark zu machen, und freue mich auf konstruktive Beratungen in den Ausschüssen. Die SPD- Fraktion wird sich dieser Debatte jedenfalls nicht ver- weigern. Florian Toncar (FDP): Unter dem Eindruck der Ar- beit der Tribunale zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen aus den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien sowie des Genozids in Ruanda in den 90er-Jahren, erwuchs in der internationalen Gemein- schaft der politische Wille zur Gründung eines perma- nenten Gerichtshofs zur Ahndung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit. Nach langen Verhandlungen trat am 30. Juni 2002 das Römische Statut des Internationalen Strafge- richtshofs in Kraft. Das Gericht hat nach mehrjähriger Aufbauphase seine Arbeit im niederländischen Den Haag aufgenommen. Die zuständigen Ankläger haben bereits zahlreiche Haftbefehle gegen Personen ausgestellt, denen vorge- worfen wird, in den Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo, in der sudanesischen Krisenregion Darfur sowie im Norden Ugandas für grausame Kriegs- verbrechen verantwortlich zu sein. In einem Fall konnte dem Gericht bereits ein Gesuchter zugeführt werden. Im Herbst 2007 begann der Prozess gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor, dessen Miliz RUF im benachbarten Sierra Leone zahllose Gräueltaten gegen Zivilisten begangen hat. Um auch in Deutschland international gesuchte Völ- kerstraftäter zur Verantwortung ziehen zu können, wurde hierzulande zeitgleich mit dem Römischen Statut das Völkerstrafgesetzbuch verabschiedet. Dies sieht vor, dass Völkerstraftaten durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zur Anklage gebracht werden können. Über fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Geset- zes muss konstatiert werden, dass die Regelung in ihrer Substanz nicht zu beanstanden ist. Jedoch sind seither Mängel in der Umsetzung bzw. Durchsetzung des Geset- zes deutlich geworden. Die FDP hat einen Antrag vorgelegt, um diese Defi- zite zu beseitigen. Dafür ist es notwendig, dass der Infor- mationsfluss zwischen anderen staatlichen Stellen und dem Generalbundesanwalt verbessert wird. Wenn andere staatliche Stellen Informationen über das mögliche Vor- liegen von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erhalten, müssen sie diese künftig umgehend an die Karlsruher Behörde weiterleiten. Besonders das Aus- wärtige Amt und seine Auslandsvertretungen sind hier in der Pflicht, wenn sie Kenntnis über die mögliche Ein- reise von Personen erhalten, die im Zusammenhang mit Völkerstraftaten im Verdacht stehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14415 (A) (C) (B) (D) Ein klares Signal für einen solchen Anfangsverdacht ergibt sich dann, wenn eine Person nach Deutschland einreisen will, für die eine Ausnahme von einem Einrei- severbot gewährt wird, welches die EU oder eine andere internationale Organisation verhängt hat. Denn solche Verbote sind nahezu immer eine Reaktion auf Vorgänge, die einen Straftatbestand des VStGB erfüllen würden. Dies mag auf den ersten Blick wie eine Selbstver- ständlichkeit anmuten. Die Vergangenheit belegt jedoch, dass hier noch Lücken bestehen. Dies wurde am Fall des ehemaligen usbekischen Innenministers Zakirjon Almatow deutlich, gegen den ein Einreiseverbot der EU bestand, weil er im Verdacht steht, an dem im Mai 2005 in der usbekischen Stadt Andijan an über 700 Demons- tranten verübten Massaker beteiligt gewesen zu sein. Da Herr Almatow sehr krank war, genehmigte das Auswär- tige Amt ausnahmsweise seine Einreise, damit sich Almatow in einer Spezialklinik in Hannover behandeln lassen konnte. Gegen dieses humanitäre Vorgehen ist nichts einzu- wenden. Jedoch hätte das Auswärtige Amt den General- bundesanwalt über den bevorstehenden Aufenthalt von Herrn Almatow frühzeitig informieren müssen. Als die Karlsruher Ermittler von Almatows Aufenthalt in Deutschland erfuhren, war Almatow bereits wieder au- ßer Landes. Da mit einer Rückkehr Almatows nach Deutschland nicht mehr zu rechnen ist, ist es für erfolg- versprechende Ermittlungen zu spät. So eine Panne darf sich nicht wiederholen. Hier müssen andere staatliche Stellen besser mit dem Generalbundesanwalt zusam- menarbeiten. Ferner fordert meine Fraktion, die Arbeit der euro- päischen Justizbehörde Eurojust um den Informations- austausch und die Koordinierung europäischer Justiz- behörden in Fällen internationaler Völkerstraftaten zu erweitern. Diese Koordination kann Doppelungen in der Strafverfolgung in Europa vermeiden und Lücken schließen. Damit der Generalbundesanwalt und das Bundeskri- minalamt ihre Arbeit effektiv ausführen können, müssen sie mit den nötigen finanziellen und personellen Res- sourcen ausgestattet sein. Dies muss die Bundesregie- rung sicherstellen. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass beim Generalbundesanwalt eine eigene Einheit zur Bear- beitung von Fällen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu schaffen ist. Denn eine solche Einheit wird vorhersehba- rerweise zu einigen Zeiten unterbesetzt und zu anderen überbesetzt sein. Wichtig ist aber, dass die Bundes- anwälte wie auch das BKA organisatorisch und fachlich auf solche Ermittlungen vorbereitet und ausgebildet wer- den. Entscheidend ist auch, dass die beiden Behörden in der Lage sind, schnell eine große Zahl an Ermittlern be- reitzustellen. Gerade bei Straftaten nach dem VStGB laufen die Ermittlungen nämlich oft unter großem Zeit- druck ab, da immer die Ausreise des Beschuldigten droht, solange die Bundesanwaltschaft noch keinen Haftgrund darlegen kann. Es geht also mehr um die schnelle Aufwuchsfähigkeit von Ermittlungsteams als um eine eigene organisatorische Einheit. Ich möchte an dieser Stelle noch auf den von den Grünen vorgelegten Gesetzentwurf eingehen, der eine Änderung des § 153 f Strafprozessordnung vorsieht. Derzeit ermöglicht § 153 f StPO es dem Generalbundes- anwalt, von der Strafverfolgung abzusehen, wenn sich beispielsweise kein Tatverdächtiger im Inland aufhält und dies auch nicht zu erwarten ist. Wenn die Strafver- folgungsbehörden die Tatverdächtigen nicht ergreifen können, ergeben Ermittlungen keinen Sinn. Die von den Grünen vorgeschlagene Änderung sieht vor, künftig die Entscheidung des Generalbundesanwalts, nach § 153 f StPO von der Verfolgung von Straftaten nach dem Völ- kerstrafgesetz abzusehen, automatisch einer gerichtli- chen Überprüfung zu unterstellen. Diese Änderung ist nicht notwendig. Denn es hat sich in der Praxis erwiesen, dass die Bundesanwaltschaft den § 153 f StPO bisher fehlerfrei angewendet hat. Wenn von den über 60 bis dato eingegangenen Anzeigen nur drei zur Aufnahme von Ermittlungen geführt haben, so liegt dies nicht an vermeintlichen Versäumnissen des Generalbundesanwalts, sondern daran, dass die Anzei- gen teils sachfremd waren oder es sich um Straftaten handelte, bei denen sich die Tatverdächtigen nicht in Deutschland aufhalten und dies auch nicht zu erwarten ist. Hier wären Ermittlungen ins Leere gelaufen. Der Vorschlag der Grünen ist derzeit überflüssig. Denn in keinem bisherigen Fall hätte die angestrebte Änderung des § 153 f StPO zu einem anderen Ergebnis geführt. So- lange ein Gesetz aber in der Praxis kein Problem auf- weist, sollte man es auch nicht so kurz nach Inkrafttreten wieder ändern. Lassen Sie mich mit einem positiven Gedanken schließen: Auch wenn die beschriebenen Defizite bei der Durchsetzung des Völkerstrafgesetzbuches noch beho- ben werden müssen, hat es sich bereits heute bewährt. Wenn es bisher noch zu keiner Anklage im Zusammen- hang mit dem Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland gekommen ist, so ist dies auch ein Beleg für die abschre- ckende Wirkung dieses Gesetzes. Deutschland ist offen- bar kein bequemer Rückzugsraum für flüchtige Kriegs- verbrecher oder Diktatoren im Ruhestand. Wenn dieser Personenkreis Deutschland meidet, kann das nur daran liegen, dass das Völkerstrafgesetzbuch als glaubhaftes Strafverfolgungsinstrument ernst genommen wird. Damit leistet Deutschland einen sinnvollen Beitrag zur Umsetzung des Weltrechtsprinzips für die Verfolgung schwerster gegen internationales Recht verstoßender Straftaten. In nur fünf Jahren ist es dem Internationalen Strafgerichtshof gelungen, Kriegsverbrechern, Warlords und Diktatoren zu verdeutlichen, dass sie nirgends auf der Welt sicher vor Strafverfolgung sein werden. Dieser lange Arm des Gesetzes hat bereits heute eine mäßi- gende Wirkung auf die Konflikt- und Bürgerkriegspar- teien in der Welt. Auch wenn wir damit noch lange nicht am Ziel sind, ist dies ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Welt, in der nicht Gewalt regiert, sondern das Recht. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Der Gesetzent- wurf der Grünen und auch ihr begleitender Antrag fin- den die uneingeschränkte Zustimmung der Fraktion Die Linke. 14416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) In der Begründung des Gesetzentwurfs lesen Sie jenen geraden und richtigen Satz, den die damalige Bundesjus- tizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin bei der Beschluss- fassung zum Völkerstrafgesetzbuch am 25. April 2002 formulierte. „Bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlich- keit und Kriegsverbrechen darf es künftig nirgendwo auf dieser Welt mehr Straflosigkeit geben.“ Die Verabschiedung des Völkerstrafgesetzbuches war ein notwendiger und mutiger Schritt, mit dem sich die Bundesrepublik an die Seite der wenigen Staaten auf der Welt stellte, die das Weltrechtsprinzip in ihren inner- staatlichen Rechtsordnungen verankerten. Noch mehr Mut als der Gesetzgeber bewies im Win- ter 2004 der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. In konse- quenter Anwendung des neuen fortschrittlichen Völker- strafrechts stellte er gemeinsam mit vier irakischen Staatsbürgern und dem amerikanischen Center for Con- stitutional Rights eine Strafanzeige, die sich unter ande- rem gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Henry Rumsfeld richtete und dessen Verantwor- tung für die Folterungen in Abu Ghuraib betraf. Nun lag das Erfordernis nach Mut ganz aufseiten des zuständigen Generalbundesanwalts Kay Nehm. Der aber lehnte ein Ermittlungsverfahren ab und verwies in seiner Entschließung unter anderem auf die Prinzipien der Nichteinmischung und der Immunität und eine ganze Reihe anderer komplizierter Überlegungen, nach denen Sie allerdings im Völkerstrafgesetzbuch lange und ver- geblich suchen können. Für eine vollständige Kritik der Entscheidung empfehle ich Ihnen die Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Kreß vor dem Menschenrechtsaus- schuss vom 24. Oktober 2007. Kay Nehm, der durchaus zu anderen Anlässen Mut bewies, erweckte den Eindruck, in der Rumsfeld-Ent- schließung politisch motivierte Rücksicht genommen zu haben. Dass politische Motivation bei der Generalbun- desanwaltschaft eine große Rolle spielen könnte, hat unlängst Frau Harms wieder demonstriert, als sie gegen 18 G-8-Gipfelgegner wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren einleitete, zu dem sie eine Kompetenz aus § 129 a StGB mal eben ersann. Es verwundert auch nicht sonderlich, dass die Gene- ralbundesanwaltschaft politische Prägungen erfährt – schließlich ist die Generalbundesanwältin eine politische Beamtin, die einer politisch denkenden Justizministerin unterstellt ist, die einem politischen Kabinett angehört, das den politischen Richtlinien der Kanzlerschaft zu fol- gen hat. Bei soviel Unvermeidlichkeit von Politik im Recht ist aber ein Korrektiv nötig, das für eine unabhängige Wür- digung der Sach- und Rechtslage einsteht. Deshalb ist es richtig, eine Nichtverfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafrecht von der Zustimmung des zuständigen Gerichts, also von der Zustimmung einer unabhängigen Richterschaft, abhängig zu machen. Unter den vielen Begründungen, die Kay Nehm sei- nerzeit für eine Nichtverfolgung von Herrn Rumsfeld durch die Bundesanwaltschaft angibt, findet sich ein ganz besonders interessanter. Nehm gibt an, dass Ermitt- lungen nur dann überhaupt denkbar wären, wenn „durch die Ermittlung deutscher Strafverfolgungsbehörden ein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte, um eine spätere Strafverfolgung vorzubereiten.“ Ich verstehe Herrn Nehm so, dass er bemängelte, dass der Bundesanwaltschaft nach Inkrafttreten des Völker- strafgesetzbuches keinerlei zusätzliches Personal zur Ver- fügung gestellt wurde, kein eigenes Referat für die neue Aufgabe gebildet wurde und auch keine Aufstockung der Sachmittel erfolgte. Mit meiner Fraktion bedauere ich es natürlich, dass die wünschenswerten Ermittlungen gegen Herrn Rumsfeld dann wohl an einer unzureichenden personel- len und sachlichen Ausstattung der Bundesanwaltschaft scheiterten. Wir freuen uns darüber, dass die Grünen solchen Hin- dernissen für die Zukunft – selbst für den Fall einer un- verdienten erneuten Regierungsbeteiligung – abhelfen wollen und werden daher auch ihrer zweiten Vorlage zu- stimmen, die eine Verbesserung der behördlichen Aus- stattung und der informationellen Anbindung zum Ziel hat. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mitte Oktober des letzten Jahres fand im Menschenrechtsaus- schuss eine Anhörung zum Völkerstrafgesetzbuch statt. Dieses Völkerstrafgesetzbuch ist seit 2002 in Kraft und soll durch die Eingrenzung des Rückzugsraumes für Tä- ter schwerster Menschenrechtsverbrechen dazu beitra- gen, solche Verbrechen weltweit ahnden zu können. Das Gesetz stellt damit einen wichtigen Beitrag zum interna- tionalen Menschenrechtsschutz dar. Auch die zu der Anhörung eingeladenen Sachverstän- digen waren grundsätzlich der Meinung, dass das unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung verabschie- dete Völkerstrafgesetzbuch eine wichtige Errungen- schaft im Kampf gegen Straflosigkeit darstelle und kei- ner grundlegenden Reform bedürfe. Es sei ein sehr weit gehendes Gesetz, das sowohl in seiner materiellen als auch in seiner prozessualen Ausgestaltung vergleichbare Gesetze anderer Staaten übertreffe. In den Jahren seit seiner Verabschiedung muss aller- dings festgestellt werden, dass die Anwendung des Völ- kerstrafgesetzes durch die Generalbundesanwältin hinter den Strafverfolgungsbemühungen anderer Staaten zu- rückbleibt. Zu nennen wären hier insbesondere Belgien und die Niederlande. In der Diskussion mit den Sachver- ständigen wurden dafür die folgenden möglichen Gründe thematisiert. Die Generalbundesanwältin sieht in enger Auslegung des § 153 f StPO Abs. 1 Satz 1 ohne Anknüpfung von Tat oder Täteraufenthalt an deutsches Territorium von einer Verfolgung der Tat ab. Dies ist dann besonders prekär, wenn die Generalbundesanwältin keine Kenntnis von einem Aufenthalt eines Täters auf deutschem Territorium hat. So einen Fall gab es, als der ehemalige usbekische Innenminister Almatow Ende 2005 nach Deutschland einreiste. Er stand und steht un- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14417 (A) (C) (B) (D) ter dem Verdacht der Mitverantwortung für schwere Menschenrechtsverstöße in Usbekistan und konnte in die Bundesrepublik nur einreisen, weil ihm aus humanitären Gründen eine Ausnahme zu der gegen ihn verhängten EU-Einreisesperre gewährt worden war. Damals hatten Menschenrechtler gegen ihn Anklage erhoben. Ermitt- lungen wurden aber von dem damaligen Generalbundes- anwalt nicht aufgenommen mit der Begründung, er habe erst nach Almatows Ausreise durch die Anzeige über- haupt von dessen zeitweiligem Aufenthalt in der Bun- desrepublik erfahren. Dieser Fall macht deutlich, dass der Informationsfluss zwischen der Bundesregierung, insbesondere den Auslandsvertretungen und den Grenz- schutzbehörden, und der Generalbundesanwaltschaft über den Inlandsaufenthalt möglicher Straftäter verbes- sert werden muss. Ganz entscheidend für die Stärkung der Umsetzung des Völkerstrafrechts ist die Ausstattung der General- bundesanwaltschaft. Dort wurden auch nach Inkrafttre- ten des Völkerstrafgesetzbuches keine zusätzlichen Per- sonal- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt. Nach unserer Kenntnis bearbeiten zurzeit nur drei Personen mit jeweils noch anderen Zuständigkeiten die Verfol- gung von Menschenrechtsverbrechen. Dies ist schon an- gesichts der Komplexität der Fälle zu wenig. Dazu kommt, dass die Generalbundesanwältin gemäß ihrem Ermessensspielraum nur dann Ermittlungen aufnimmt, wenn eine Verurteilung in der Bundesrepublik Deutsch- land in einem konkreten Fall möglich erscheint. Um ei- nen Verurteilungserfolg vorzubereiten, bedarf es aber umfangreicher Ermittlungen. Dies kann von allein drei Beschäftigten in der Generalbundesanwaltschaft nicht geleistet werden. Auch im internationalen Vergleich ste- hen wir hinsichtlich der Ausstattung der Generalbundes- anwaltschaft für den Komplex Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch schlecht da. In den Niederlanden beispielsweise gibt es eine eigene Einheit für Kriegsver- brechen mit 32 Expertinnen und Experten. Die schon angesprochene Regelung des § 153 f StPO beinhaltet zumindest die Gefahr einer faktischen Aushe- belung des materiellrechtlich festgelegten Weltrechtprin- zips. Danach wird, wie gesagt der Generalbundesanwäl- tin unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, von ihren Verfolgungsmöglichkeiten keinen Gebrauch zu machen. Eine gerichtliche Überprüfung der Generalbundesanwältin obliegenden Ermessenentschei- dung ist in dieser Vorschrift bisher nicht vorgesehen. Dies kritisierten die Sachverständigen, und dies haben vor ihnen andere Menschenrechtsexpertinnen und -ex- perten kritisiert. Wir wollen deshalb mit unserem Geset- zesentwurf eine Änderung dahingehend erreichen, dass der § 153 f StPO ähnlich wie bei § 153 a StPO ergänzt wird um das Erfordernis der Zustimmung des für die Er- öffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts. Unser Gesetzentwurf und unser Antrag zum Völker- strafgesetzbuch benennen die vorhandenen Schwachstel- len in der Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuches und schlagen konkrete Lösungen vor. Dabei haben wir uns auch an dem orientiert, was von unabhängigen Sachver- ständigen gefordert wird. In der Anhörung bestand dazu unter den Ausschussmitgliedern eine große Einhellig- keit, dem Völkerstrafgesetzbuch gemeinsam zu einer größeren Wirksamkeit verhelfen und damit den interna- tionalen Menschenrechtsschutz stärken zu wollen. Wir hoffen deshalb, dass wir im Wege der Ausschussberatun- gen zu einer gemeinsamen Initiative kommen können. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 12) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Eine der größten He- rausforderungen der letzten zehn Jahre ist die Reform des deutschen Arbeitsmarktes. Die bisher beschlossenen und von der Großen Koalition angepassten Gesetze zeiti- gen erste greifbare Erfolge. Viel hat sich für die Bürge- rinnen und Bürger verändert, und so haben sich auch viele Unsicherheiten ergeben. Diese Erfahrungen hatten beinahe zwangsläufig auch Folgen für einen anderen Bereich, der mit den Um- wälzungen auf dem Arbeitsmarkt in direktem Zusam- menhang steht: die Sozialgerichtsbarkeit und die Arbeitsmarktgesetze. Zum 1. Januar 2005 ist der Sozial- gerichtsbarkeit die Zuständigkeit für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Sozialhilfe sowie das Asylbewerberleistungsgesetz übertragen wor- den. Es ist nicht verwunderlich, dass die Sozialgerichte auf diese Weise eine sehr viel größere Last zu tragen hat- ten als noch in der Vergangenheit. Die Einführung eines neuen Rechtsgebietes wie der Grundsicherung für Ar- beitsuchende zieht für gewöhnlich einen erhöhten ge- richtlichen Klärungsbedarf nach sich. Insbesondere die Rentenversicherer hatten in jüngster Zeit mit millionen- fachen Widersprüchen zu tun. Zudem haben Klagen und Eilanträge rund um Hartz IV Spitzenzahlen erreicht. Al- lein für den Oktober 2007 meldete das Bundessozialge- richt den Eingang von mehr als 2 000 neuen Verfahren in diesem Bereich. Seit Juli 2007 kümmert sich am Bun- dessozialgericht der eigens eingerichtete 14. Senat um Klagen, die das ALG II betreffen. Bei ihrer Arbeit müs- sen die Richter auch Korrekturen berücksichtigen, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren vorge- nommen hat. Dazu zählen die Angleichung der Regel- sätze von Ost- und Westdeutschland auf heute 347 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für Arbeitseinkommen und die Verschärfung von Sanktionen. Zwar konnten Perso- nalmaßnahmen der Länder diese Mehrbelastung zum Teil auffangen. Dennoch ist es nötig geworden, die So- zialgerichtsbarkeit insgesamt zu entlasten. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die Initia- tive ergriffen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, das sozialgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleunigen, sodass die Gerichte ihrer Amtsermitt- lungspflicht besser nachkommen können. Damit ist – so der Entwurf – letztlich auch den Prozessparteien gedient. 14418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Vorgesehen ist laut Entwurf unter anderem: bereits im Widerspruchsverfahren die Sozialleistungsträger zu ent- lasten, indem der Verwaltung die Bekanntgabe der Wi- derspruchsentscheidung bei sogenannten „Massenwider- sprüchen“ im Wege der öffentlichen Bekanntgabe ermöglicht wird. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit für die Landessozialgerichte soll für Rechtsfragen einge- führt werden, die über individuelle Beschwerden hinaus- gehen. Zur Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens kann das Gericht unter engen Voraussetzungen den Vor- trag einer Partei präkludieren. Dies soll insbesondere der zeitnahen Umsetzung der vollständigen Tatsachenermitt- lung dienen und darauf hinwirken, dass der Kläger frist- gemäß seine Mitwirkungspflichten erfüllt. Demnach gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Schwellenwert zur Beru- fung wird für natürliche Personen auf 750 Euro und für juristische Personen auf 10 000 Euro angehoben. So soll die mit Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit verbundene Mehrbelastung der Landessozialgerichte aufgefangen werden. Vom Bundesrat wurde unter ande- rem in einem eigenen Gesetzentwurf vorgeschlagen, die ärztliche Gutachterwahl des Betroffenen im gerichtli- chen Verfahren abzuschaffen und Instrumente aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozialgerichtliche Ver- fahren zu übertragen. Damit soll die Dauer der Verfahren verringert werden. Was die Arbeitsgerichtsbarkeit an- geht, soll den Arbeitnehmern die Klageerhebung erleich- tert werden, indem sie ihre Klage auch vor dem Arbeits- gericht erheben können, in dessen Bezirk sie normalerweise ihre Arbeit leisten. Das kommt vor allen den Beschäftigten zugute, die, wie zum Beispiel Außen- dienstmitarbeiter, ihre Arbeitsleistung fern vom Firmen- sitz und dem Ort der Niederlassung erbringen. Ziel ist es auch, arbeitsgerichtliche Verfahren durch eine Erweite- rung der Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zu vereinfachen und zu beschleunigen. Den Vorschlag des Bundesrates, verstärkt auch Instru- mente aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozial- gerichtliche Verfahren zu übertragen, sehe ich etwas kri- tisch. Völlig zu Recht stellt die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates fest, dass die Betroffenen vor den Sozialgerichten in der Re- gel um ihre wirtschaftliche Existenzsicherung streiten und die Fragestellungen häufig einen komplexen medizi- nischen Hintergrund haben. Dies erfordere eine beson- ders umfängliche Tatsachenaufklärung. Hinzu kommt, dass die Verfahrensbeteiligten in der Regel unterschied- liche Voraussetzungen haben. Auf der einen Seite stehen Leistungsempfänger, Versicherte oder behinderte Men- schen. Auf der anderen Seite steht eine hochspeziali- sierte Verwaltung, die über einen professionellen Vor- sprung verfügt. Das sozialgerichtliche Verfahren hat deshalb auch die Aufgabe, zwischen diesen ungleichen Parteien ein gewisses Kräftegleichgewicht herzustellen. Kritisch sehe ich auch die Einführung einer fiktiven Klagerücknahme. Der Bundesrat hatte hier in seinem Gesetzentwurf im Gegensatz zur Dreimonatsfrist des Regierungsentwurfs eine Frist von zwei Monaten vorge- schlagen. Wie in der Gegenäußerung der Bundesregie- rung festgestellt, bin auch ich der Ansicht, dass Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren häufig länger für die Entscheidungsfindung benötigen als andere Personen, da sie durch Krankheit oder Behinderung in ihrer Entschei- dungsfähigkeit eingeschränkt sind. Außerdem kann die Entscheidung langfristige Folgen für sie nach sich zie- hen. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Betroffenen tat- sächlich in der Lage sind, innerhalb einer Zwei- oder Dreimonatsfrist fundiert darzulegen, warum ihr Rechts- schutzbedürfnis weiter fortbesteht. Bei aller berechtigter Absicht, die Sozialgerichtsver- fahren zu beschleunigen und zu entschlacken: Die Inte- ressen der Betroffenen müssen im Vordergrund stehen. Deshalb schießt auch der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates, den § 109 SGG abzuschaffen, über das Ziel hinaus. § 109 SGG besagt, dass im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden muss. Die Erstellung ei- nes Gutachtens durch einen frei gewählten Arzt erhöht die Akzeptanz des Urteils durch die betroffene Partei deutlich. § 109 SGG gibt dem Betroffenen die Gewiss- heit, dass seine Belange umfassend gewürdigt werden. Oft kann hierdurch der langwierige und für die Justiz kostenintensive Gang in die zweite Instanz vermieden werden. Die Änderungen des Sozialgerichts- und des Arbeits- gerichtsgesetzes sind unbedingt notwendig. Sie tragen zu einer Verfahrensbeschleunigung bei. Die Änderungen dürfen aber nur so weit gehen, dass sie die Rechte der Betroffenen nicht unzumutbar einschränken. Somit bie- tet die anstehende Änderung des SGG unter verfahrens- ökonomischen wie auch sozialen Aspekten eine Chance zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung der sozial- gerichtlichen Verfahren. Anette Kramme (SPD): Die gegenwärtige Debatte um Jugendgewalt hat der Öffentlichkeit zweierlei ins Bewusstsein gerufen. Zum einen: Bestimmte CDU-Mi- nisterpräsidenten zeigen eine fragwürdige Auffassung von Demokratie und Menschenrechten. Zum anderen: Die Zeit zwischen Anzeige und Urteil wird immer län- ger. Unsere Gerichte sind überlastet. Laut Aussagen des Deutschen Richterbundes fehlen rund 4 000 Richterstel- len. Dies gilt nicht nur in Jugendstrafsachen. Es gilt auch für die Arbeitsgerichte und vor allem für die Sozialge- richte. Nur rund ein Fünftel der Klagen werden inner- halb von sechs Monaten erledigt. Im Jahr 2006 wurden allein 100 000 Klagen bezüglich der Regelungen von Hartz IV eingereicht. Diese Menge ist mit den gegen- wärtigen Verfahren nicht mehr handhabbar. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichts- und des Arbeitsgerichtsgesetzes ver- folgt die Bundesregierung vor allem zwei Ziele. Die So- zialgerichtsbarkeit soll nachhaltig entlastet werden. Die Verfahren sollen schneller werden, um einen effektiven und bürgerfreundlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Diese Ziele sind richtig gewählt. Sie treffen die Be- dürfnisse der gerichtlichen Praxis, und sie sind im Sinne Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14419 (A) (C) (B) (D) der Bürger; denn sie dienen der Beschleunigung von Verfahren um oft existentielle Fragen. Der Gesetzesentwurf ist inhaltlich gelungen. Er ent- hält viel Gutes und beachtet sensibel die wichtigsten Ei- genheiten der Sozialgerichtsordnung. Sinnvoll ist zum Beispiel, bei Massenwidersprüchen die Entscheidung des BVerfG öffentlich im Bundesge- setzblatt und in mindestens drei überregionalen Tages- zeitungen bekanntzugeben, statt die Beteiligten indivi- duell zu informieren. Diese Regelung wird flankiert durch eine auf ein Jahr verlängerte Widerspruchsfrist, um zu garantieren, dass die Betroffenen ausreichend Zeit zur Kenntnisnahme haben. Gleiches gilt für den Vorschlag, bei mehr als 20 Ver- fahren zur gleichen Streitfrage die einzelnen Verfahren auszusetzen und ein Musterverfahren durchzuführen. Aber es gibt auch einen Punkt, über den noch zu re- den sein wird. Diskussionsbedarf besteht hinsichtlich des Schwellenwertes für die Zulassung einer Berufung. Über eine moderate Erhöhung kann man reden. Doch die in Art. 1 Nr. 25 vorgeschlagenen 750 Euro erscheinen mir sehr hoch. Auch 500 Euro sind viel Geld für jeman- den, der auf Leistungsansprüche innerhalb von Hartz IV klagt! Durch diese Erhöhung würden viele Verfahren von der zweiten Instanz ausgeschlossen. Die Vorschläge des Bundesrates schießen jedoch deutlich über das Ziel hinaus. Die Forderung nach der Einführung von Gebühren in das sozialgerichtliche Ver- fahren ist abzulehnen. Vor Arbeits- und Sozialgerichten werden elementare Fragen geklärt, deren Lösung nicht von der individuellen Finanzkraft abhängen darf! Eine weitere Verschärfung der Regelungen zur Beru- fung ist ebenfalls nicht tragbar. Diese nur nach Zulas- sung durch die Gerichte der ersten Instanz zu ermögli- chen, ist aus zwei Gründen abzulehnen: Schon heute nutzen nur 10 Prozent der Kläger im so- zialgerichtlichen Verfahren eine zweite Instanz. Diese Zahl durch gesetzliche Restriktionen weiter zu verklei- nern, scheint schlichtweg unnötig. Die Berufung ist nötig zur Qualitätssicherung. Schon die alten Römer wussten: Errare humanum est – Irren ist menschlich. Die Zulässigkeit der Berufung vor einer zweiten Instanz muss gegeben sein. Bei allen Änderungen der bestehenden Gesetze soll- ten wir eines immer im Hinterkopf behalten: Arbeits- und Sozialgerichte sind dazu da, Menschen in elementa- ren Fragen zu helfen. Viele Bürger greifen nicht auf einen Anwalt zurück, sondern vertreten sich selbst. Des- halb unterscheiden sich diese Verfahrensordnungen von anderen. Die Vorschläge des Bundesrats hingegen zielen auf eine Annäherung der SGG an die Verfahrensordnung der Verwaltungsgerichte. Das lehnen wir ab. Die Erhebung von Klagen so schwierig wie möglich zu machen, ist kein Dienst am Bürger. Das ist der schlecht verhehlte Versuch, die Konsolidierung der Lan- deshaushalte auf dem Rücken der Schwachen auszutra- gen! Wir wollen nicht, dass der Zugang zum Gericht ver- sperrt wird! Wir wollen keine kafkaeske Situation! Wir wollen nicht, dass ein Türhüter den Eingang zum Gesetz verschließt und tönt „Merke aber: Ich bin mächtig.“ Wir wollen ein tragfähiges SGG und ArbGG, das den Interessen der Schwachen dient! Heinz-Peter Haustein (FDP): Der Mann an seinem Schreibtisch ist nicht zu sehen. Nur wenn man um die Aktenberge herumgeht, sieht man den Richter in seinem Büro bei der Arbeit. So oder so ähnlich kann man es bei jedem Fernsehbericht über die Zustände an den deut- schen Sozialgerichten sehen. Am größten deutschen So- zialgericht, dem Berliner Sozialgericht, stieg die Zahl der anhängigen Verfahren zwischen Januar 2006 und Juni 2007 um nahezu 100 Prozent, von 748 auf 1 405. Allerorts hört man von Richtermangel und fehlendem Personal an den Gerichten. Wo Richter arbeiten, sind sie wegen der Flut von Klagen total überlastet. Eilanträge und Klagen wechseln sich im Posteingang im Dutzend ab. Die Rede ist von einer Klageflut oder einer Klage- welle. Experten schätzen, dass die schiere Masse der Verfahren so schnell nicht abnehmen wird, weil die Klä- ger an den Gerichten oftmals Recht bekommen, was potenzielle Kläger weiter ermuntern wird, den Rechts- weg zu beschreiten. Deswegen müssen wir zwingend etwas zur Entlas- tung der Sozialgerichtsbarkeit tun. Bessere Personalaus- stattung der Gerichte wäre dringend geboten. Gerade solange sich die Personalausstattung nicht bessert, muss sich jede rechtliche Neuerung daran messen lassen, ob sie zur Verfahrensbeschleunigung beiträgt oder nicht. Der Gesetzentwurf der Regierung, über den wir hier heute in erster Lesung beraten, weist an einigen Stellen in die richtige Richtung. Manche Punkte jedoch hält die FDP-Fraktion für ungeeignet, dem Ziel der Entlastung der Gerichte näher zu kommen. Lassen Sie mich auf ei- nige Vorschläge eingehen: Die Einführung der Fiktion einer Klagerücknahme im § 102 Sozialgerichtsgesetz, SGG, und auch die Einführung der fakultativen Präklu- sionsregelung im § 106 a Arbeitsgerichtsgesetz, AGG, sind aus unserer Sicht klar zu begrüßen. Die Mitwirkung der Betroffenen, insbesondere natürlich der Kläger, steht als Grundvoraussetzung für einen zügigen Verfahrens- verlauf an erster Stelle. Wo Verfahren verzögert werden, weil die notwendigen Mitwirkungspflichten vonseiten der Kläger nicht erbracht werden, wo erforderliche Un- terlagen nicht über- oder notwendige Informationen nicht weitergegeben werden, muss als Allererstes ange- setzt werden. Hierdurch kann am effektivsten eine Be- schleunigung der Verfahrensabläufe erreicht werden. Auch die beabsichtigten Änderungen im Kündigungs- schutzgesetz, KSchG, werden von der FDP-Fraktion mit- getragen. Die Möglichkeit für das Arbeitsgericht, über die nachträgliche Klagezulassung und die eigentliche Klage zusammen zu entscheiden, wie sie laut Gesetz- entwurf in den neuen Sätzen 3 und 4, Abs. 5 KSchG vorgesehen ist, halten wir für geeignet, zur Verfahrens- beschleunigung beizutragen. Ebenso hilfreich ist der geplante neue § 5 Abs. 5 KSchG, wonach künftig das 14420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Landesarbeitsgericht unter bestimmten Voraussetzun- gen erstmalig über Anträge entscheiden darf. Für nur sehr bedingt tauglich halten wir die beabsich- tigte Zuständigkeitsregelung des § 29 SGG. Zwar kann die erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialge- richte für diejenigen Fälle, in denen es nicht nur um ei- nen konkreten Fall, sondern auch um eine Rechtsfrage geht, hilfreich sein. Eine solche Regelung ist jedoch nur hilfreich, wenn sie die Rechtsstreitigkeiten, auf die die Regelung zielt, klar definiert und abgrenzt. Wenn es zu Auseinandersetzungen über die Sachzuständigkeit kommt, ist wenig erreicht. Insofern plädiert meine Fraktion an dieser Stelle für eine Konkretisierung der Regelung. Für falsch halten wir hingegen die Absicht der Regie- rung, künftig neue Verwaltungsakte nur noch dann nach Erhebung der Klage in das Verfahren einzubeziehen, wenn dadurch ein vorhergehender ersetzt oder abgeän- dert wird. Bislang wurde die Vorschrift des § 96 SGG so ausgelegt, dass die Verwaltungsakte, die mit dem bereits anhängigen Verfahren in Zusammenhang stehen, ohne erneutes zusätzliches Vorverfahren in das Klageverfah- ren einbezogen wurden. Die Neuregelung würde dazu führen, dass künftig wegen jedes nicht einen anderen er- setzenden oder abändernden Verwaltungsaktes ein Vor- verfahren und im Anschluss ein Klageverfahren eröffnet werden muss. Dem Ziel der Verschlankung der Abläufe ist diese Neuerung kontraproduktiv. Insofern halten meine Fraktion und ich auch die Ein- führung eines neuen Gerichtsstandes am „gewöhnlichen Arbeitsort“ in § 48 AGG für wenig dienlich. Der Arbeit- nehmer soll nun nach dem „Gerichtsstand am gewöhnli- chen Arbeitsort“ dort Klage erheben können, wo er ge- wöhnlich seine Arbeit verrichtet. Doch zum einen haben zum Beispiel Außendienstmitarbeiter bereits heute laut § 29 Zivilprozessordnung, ZPO, die Möglichkeit, Klage am Erfüllungsort zu erheben. Zum anderen dürfte es in der Praxis zu Problemen führen, wenn zu entscheiden ist, was der „gewöhnliche Arbeitsort“ ist. Die beste- hende Rechtsunsicherheit beseitigt die Neuregelung nicht. Eine Verfahrensbeschleunigung ist hiervon nicht zu erwarten. Die FDP-Fraktion wird im parlamentarischen Verfah- ren auf die entsprechenden Änderungen drängen. Mit einem herzlichen Glück auf aus dem Erzgebirge! Katja Kipping (DIE LINKE): Uns allen hier dürfte bekannt sein, dass am 1. Januar 2005 der Sozialgerichts- barkeit die Zuständigkeit für das SGB II – Hartz IV –, das SGB XII – Sozialhilfe – sowie das Asylbeweberleis- tungsgesetz übertragen worden sind. Folglich hat in den letzten Jahren die Zahl der Verfahren vor den Sozialge- richten und somit die Arbeitsbelastung aller Beteiligten deutlich zugenommen. Vor allem die Einführung von Hartz IV sowie eine Verwaltungspraxis im Geiste von Repressionen sind dafür ursächlich. So hat sich allein die Klagequote von Hartz-IV-Beziehenden, die gegen abge- lehnte Widersprüche gerichtlich vorgehen, innerhalb ei- nes Jahres um 5 Prozentpunkte erhöht. Der hier vorliegende Gesetzentwurf sieht nun vor, die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten und eine Straffung der Verfahren herbeizuführen – meistens aber zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger. Insbesondere folgende Maßnahmen werden dazu führen, dass Rechts- mittel und Rechtsschutz abgebaut werden und vor allem für Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen – also in der Hauptsache Sozialleistungsbeziehende – der Zu- gang zu Gerichten in nicht akzeptabler und eines soge- nannten Sozialstaates unwürdiger Weise erschwert wird. Besonders die Erhöhung des Beschwerdewertes bei Beru- fungen auf mindestens 750 Euro, für Erstattungsstreitig- keiten auf 10 000 Euro sowie die Einschränkung der Überprüfung von Prozesskostenhilfeentscheidungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Das bedeutet im Klartext, dass ein großer Teil der Verfahren, bei denen es um die Anrechnung von Einkommen, einen Streit über Unterhaltskosten sowie Zuschläge geht, zukünftig nicht mehr zur Berufung zugelassen werden. Besonders aus Sicht von Hartz-IV-Beziehenden ist es nicht akzeptabel, dass eine Beschwerdemöglichkeit bei Prozesskostenhilfe- verfahren, soweit es um die wirtschaftlichen Verhältnisse geht, von nun an ausgeschlossen werden soll. Auch sieht der Gesetzentwurf vor, die Einbeziehung von weiteren Bescheiden in das Gerichtsverfahren zu er- schweren. Das erscheint mir sehr paradox, denn genau dadurch werden möglicherweise neue Verfahren not- wendig, was der Intention des Gesetzentwurfes deutlich zuwiderläuft. Die Belastung der Sozialgerichte darf keinesfalls dazu führen, dass Verfahrensrechte von Bürgerinnen und Bürgern beschnitten oder verkürzt bzw. die Anliegen nicht mehr mit ausreichender Sorgfalt behandelt werden – aber genau das wird mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf eintreten. Bitte führen Sie sich vor Augen: Verhandelt wird vor Sozialgerichten in der Regel über Leistungen, die für viele Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer von existenzieller Bedeutung sind. Auch war immerhin ein Drittel der Widersprüche im Bereich Hartz IV von Erfolg gekrönt; viele Bürger wehren sich also zu Recht. So gibt es unter anderem für Berlin klare Indizien, die gegen einen politisch unterstellten Anteil mutwilliger Klagen sprechen: die hohe Erfolgsquote – 40 Prozent –, die niedrige Rechtsmittelquote – 10 Prozent – sowie ein Anteil von fast 70 Prozent unstreitiger Erledigungen von Hartz-IV-Klagen. Aus unserer Sicht gibt es ungleich geeignetere Mög- lichkeiten zur Entlastung der Sozialgerichte, die zudem überaus bürgerfreundlich sind: eine Weiterbildung der zuständigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder am besten gleich die Abschaffung von Hartz IV. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Sozialgerichtsgesetz regelt das Verfahren der gerichtli- chen Auseinandersetzungen, in denen Bürgerinnen und Bürger für sie oft sozial und ökonomisch existenzielle Forderungen gegen staatliche Behörden und Institutio- nen geltend machen. Sehr oft sind die Klägerinnen und Kläger in ihrer Ausdrucksfähigkeit, in ihrer Aktionsfä- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14421 (A) (C) (B) (D) higkeit und ihrer Mobilität eingeschränkt und den be- klagten Behörden und Institutionen erheblich unterle- gen. Das Verfahren vor den Sozialgerichten muss diese Ungleichheit, die Ursache dafür sein kann, dass Bürge- rinnen und Bürger zu ihrem Recht nicht kommen, ob- wohl es ihnen zusteht, durch eine ausgeprägte Klägerzu- wendung ausgleichen und bei bestehender umfassender „Waffenungleichheit“ für größtmögliche Waffengleich- heit sorgen. Das Amtsaufklärungsprinzip ist eines der wichtigen Elemente dieses Ausgleichs. Weitere sind die Kostenfreiheit vor den Sozialgerichten, eine niedrige Zugangsschwelle und weitgehende Formfreiheit und weitreichende durch Rechtsbehelfe auszulösende Über- prüfungsinstanzen. In ihren grundlegenden Strukturen sind die Bestim- mungen des Sozialgerichtsgesetzes Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips und damit Konkretisierungen eines Grundpfeilers der Verfassung. Hieraus ergibt sich, dass Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes besonders sensi- bel auf ihre Wirkungen für die Betroffenen zu prüfen sind. Wir verkennen natürlich nicht, dass alle Prozessord- nungen in der alltäglichen Gerichtspraxis einer fortwäh- renden Qualitätsüberprüfung ausgesetzt sind und dass Vorschriften, die mehr Schaden als Nutzen produzieren oder sich als unpraktikabel oder für die Gesamtheit der Rechtsgewährung als kontraproduktiv erweisen, sehr wohl optimiert, geändert oder auch abgeschafft werden können und müssen. Die, auch nachhaltige, Entlastung der Sozialgerichte – so die Zielbestimmung der Bundes- regierung in der Gesetzesbegründung – ist für uns kein Wert an sich. Auch eine weitreichende Rechtsverweige- rung durch Aufbau von Hürden, kurze Fristen und ge- strichene Rechtsbehelfe entlastet die Sozialgerichte. Auch ein erhöhter Anfall von Sozialgerichtsverfahren durch gesetzliche Änderungen wie zum Beispiel die Ein- führung der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann für sich kein Grund für gesetzliche Änderungen zulasten der Rechtsuchenden sein. Solche systemimmanenten Aufgabenmehrungen sind durch eine bessere Ausstattung und qualifizierte Richterinnen und Richter aufzufangen und abzuarbeiten. Hinzu kommt, dass die Bundesregie- rung selbst zugibt, keine belastbaren Feststellungen zu den Auswirkungen der von den Ländern durchgeführten Personalmaßnahmen zu kennen und auch zu dem tat- sächlichen Ausmaß der Belastung kein belastbares Zah- lenmaterial zu haben. Dies alles bedenkend werden wir die vorliegenden Vorschläge sorgfältig prüfen und uns sinnvollen Ände- rungen nicht verschließen. Wir sichern eine konstruktive Mitarbeit zu, weil uns die Leistungsfähigkeit und Quali- tät der Sozialgerichte am Herzen liegt. Dem Bundesrat ist eigentlich nur zu folgen, wo er empfiehlt: „das Gesetz geschlechterneutral zu formulieren und einseitig männli- che Formulierungen zu vermeiden“. Ansonsten bietet der Bundesrat in seiner Stellungnahme und in einer Fülle von Gesetzesvorschlägen aus dem Jahr 2006 die nahezu vollständige Abschaffung von Rechtsmitteln, Zugangs- sperren durch Kosten und Gebühren und die Versetzung von Richterinnen und Richtern gegen ihren Willen. Sol- chen Vorschlägen werden wir uns laut und deutlich wi- dersetzen. Es gilt, den Sozialstaat zu verteidigen, auch und gerade im sozialgerichtlichen Verfahren. Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Mit dem Gesetzent- wurf, den wir heute beraten, verfolgt die Bundesregie- rung zwei Ziele: Wir wollen die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit entlasten. Gleichzeitig wollen wir die Verfahren im Interesse der Bürger, die Rechtsschutz suchen, beschleunigen. Wir reagieren damit auch auf die Erfahrungen nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Zahl der Sozialgerichtsverfahren ist dadurch erheb- lich gestiegen. Das ist nichts Ungewöhnliches: Immer wenn ein neues Rechtsgebiet eingeführt wird, steigen die Fallzahlen deutlich an, bis die Grundsatzurteile gespro- chen sind. Danach normalisiert sich die Lage wieder. Aber auch in solchen Spitzenzeiten haben Recht- suchende Anspruch auf eine angemessene Verfahrens- dauer und die Justiz auf gute Arbeitsbedingungen. Hier war und ist es primär Sache der Länder, durch entsprechende Personalmaßnahmen für eine angemes- sene Ausstattung der Gerichte zu sorgen. Wir helfen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zusätzlich. Dabei ist uns wichtig, dass die Klägerfreundlichkeit des Verfahrens erhalten bleibt. Diejenigen, deren materielle Existenz betroffen ist, sollen weiterhin ohne Zugangs- schwelle Rechtsschutz erhalten. Das Maßnahmenpaket ist umfangreich, daher er- wähne ich hier nur zwei wichtige Aspekte: Wir schaffen erstens eine erstinstanzliche Zuständig- keit für die Landessozialgerichte in Verfahren, in denen es überwiegend um übergeordnete Rechtsfragen geht. Darüber hinaus werden zweitens die Mitwirkungs- pflichten der Parteien im Prozess strengeren Anforde- rungen unterzogen. Das hilft den Gerichten, ohne die Beteiligten zu überfordern und ihre Rechte einzuschrän- ken. Der Gesetzentwurf setzt Anregungen aus der Praxis um. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Regelungen schnell in der täglichen Arbeit greifen. Auch die Änderungen des Arbeitsgerichtsgesetzes sind darauf ausgerichtet, Verfahren einfacher, schneller und bürgerfreundlicher zu gestalten. Künftig können zum Beispiel Arbeitnehmer auch in dem Gerichtsbezirk klagen, in dem sie gewöhnlich arbeiten. Das kommt vor allem denjenigen zugute, die im Außendienst arbeiten und zukünftig nicht mehr zum Hunderte von Kilometern entfernten Arbeitsgericht am Firmensitz ihres Arbeitge- bers anreisen müssen. Weitere Änderungen betreffen prozesstechnische Fra- gen wie die Zurückweisung einer verspäteten Berufung. Um das Verfahren zu beschleunigen, soll hier der haupt- amtliche Richter zukünftig in größerem Umfang als bis- her allein entscheiden können. Außerdem verändern wir 14422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) das Verfahren bei der nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen. Wenn Arbeitnehmer die drei- wöchige Klagefrist ohne Verschulden versäumt und An- trag auf nachträgliche Klagezulassung gestellt haben, soll die Entscheidung über die nachträgliche Klagezulas- sung zukünftig mit der Kündigungsschutzklage verbun- den werden. Das beschleunigt das Verfahren. Gleichzei- tig ermöglichen wir auch in der Frage der nachträglichen Klagezulassung den Weg zum Bundesarbeitsgericht. Eine bundeseinheitliche Rechtsprechung schafft auch bei diesen Streitfällen größere Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Die Sozial- und Arbeitsgerichte in Deutschland leis- ten hervorragende Arbeit. Sie leisten damit auch einen wertvollen Beitrag zur dauerhaften Funktionsfähigkeit unseres Sozialstaats und des deutschen Erfolgsmodells soziale Marktwirtschaft. Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf legen wir eine gute Grundlage dafür, dass das auch in Zukunft so bleibt Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Eintreten für die Beendigung der von den USA auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba (Tagesord- nungspunkt 16) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Der beherrschende Fak- tor in der kubanischen Außenpolitik ist das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Seit dem 7. Februar 1962 ver- hängt die USA eine Wirtschafts-, Handels- und Finanz- blockade gegenüber Kuba, das US-Embargo. Die An- tragsteller sind der Ansicht, dass das US-Embargo internationalen Handelsregeln widerspricht und der ku- banischen Bevölkerung auf sozialem und wirtschaftli- chem Gebiet Schäden zufügt. Deshalb fordert die Links- fraktion in ihrem Antrag auf Drucksache 16/5115 die Bundesregierung auf, im Rahmen der deutschen EU- Ratspräsidentschaft die Aufhebung des Embargos von den USA zu fordern und sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union im Umgang mit den USA jede Ver- urteilung Kubas unterlasse. Der Antrag der Fraktion Die Linke ist aus folgenden Gründen abzulehnen: Erstens. Die Handelspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Kuba ist eine bilaterale Angele- genheit. Zweitens. Der Antrag der Linken erweckt den Ein- druck, dass Kuba international als isoliert gilt. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr wird Kuba in weiten Teilen der Welt geachtet. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Kuba Mitglied der Vereinten Nationen ist und den Vorsitz der Bewegung der nicht paktgebundenen Staaten bis 2009 führt. Drittens. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben stets ihre Ablehnung der extraterritorialen Auswirkungen des US-Embargos zum Ausdruck gebracht. Beispielsweise hat vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 8. November 2006 die finnische Ratspräsidentschaft im Namen der EU und ihrer Mitgliedstaaten alle einseiti- gen Maßnahmen gegen Kuba zurückgewiesen, die un- vereinbar sind mit den internationalen Handelsregeln und ebenso die Haltung vertreten, dass eine Aufhebung des Handelsembargos die Wirtschaft Kubas öffnen und dem kubanischen Volk zugute kommen würde. Auch das Europäische Parlament unterstreicht in einer aktu- ellen Entschließung zu Kuba vom November 2007, P6_TA(2004)0061, den kontraproduktiven Charakter des US-Embargos und hält die Aufhebung dessen für wünschenswert. Zusätzlich ist festzuhalten, dass die Eu- ropäische Union in ihren Beziehungen zu Kuba eine ei- genständige Politik verfolgt und regelmäßige Konsulta- tionen zum Thema Kuba führt. Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU, RAA, beschloss in seiner Sitzung am 12. Juni 2006, eine mit- tel- und langfristige Strategie zu Kuba zu beginnen. Seit- dem tauschen sich die Regierungen der EU-Mitglied- staaten regelmäßig in der entsprechenden Ratsarbeitsgruppe, COLAT, aus. Viertens. Es finden regelmäßige Gespräche zu Kuba zwischen der Bundesregierung, der EU und den Verei- nigten Staaten statt. Ein Ergebnis solcher Konsultationen ist die Passage zu Kuba in der Erklärung zum Gipfeltref- fen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika am 30. April 2007 in Washington. Sie lautet: „We will sup- port human rights, freedom of the press, and free speech in the region (i. e. Latin America). In particular we will support the Cuban people as they seek to exercise these same rights.“ Mit dieser Formulierung wurde in ange- messener Form der gemeinsamen Sorge über die Situa- tion der Menschenrechte in Kuba Ausdruck verliehen und gleichzeitig den Chancen einer Entwicklung zu mehr Demokratie und Menschenrechten Rechnung ge- tragen. Die Fraktion der CDU/CSU unterstützt die Bundesre- gierung in ihrer Politik im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, gegenüber Kuba, sich weiterhin für einen offenen und konstruktiven Dia- log über alle Themen von gegenseitigem Interesse ohne Vorbedingungen und einschließlich der Menschenrechts- problematik einzusetzen. Wir alle sind uns des Problems bewusst. Eine Nicht- existenz des Embargos wäre uns allen lieber. Kubas Bot- schafter S. E. Gerado Penalver Portal bezifferte auf einer Pressekonferenz im Oktober 2007 den wirtschaftlichen Schaden der seit fast 46 Jahren anhaltenden Blockade auf 89 Milliarden US-Dollar. Man sollte aber auch wis- sen, dass die USA Hauptimporteur kubanischer Lebens- mittel und nach Angaben des Auswärtigen Amtes mit ei- nem Handelsvolumen von 340 Millionen US-Dollar inzwischen wieder einer der wichtigsten Handelspartner Kubas sind. Vielmehr kommt es einem so vor, als ob die kubanische Regierung das Embargo einerseits zur Rechtfertigung ihrer wirtschaftlichen Missstände nutzt und anderseits zur Einschränkung von politischen Frei- heiten in Kuba. Die Lage der Menschenrechte ist weiter- hin prekär. Nach wie vor gibt es keine Pressefreiheit, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14423 (A) (C) (B) (D) keine Meinungsfreiheit, keine Bürgerrechte, keine de- mokratischen Parteien sowie Gewaltenteilung. Erfreulich ist, dass es Ansätze gibt für einzelne Verbes- serungen. Dazu gehören beispielsweise ein erweiterter Handlungsspielraum für Dissidenten sowie die Verringe- rung der Zahl der politischen Häftlinge. Nach Angaben, des Auswärtigen Amts wurde die Zahl der politischen Häftlinge um circa 25 Prozent gesenkt, von 333 Anfang 2006 auf 240 im Herbst 2007. Diese Verbesserungen sind es, die uns hoffen lassen auf eine politisch friedliche Entwicklung in Richtung Demokratie und Verbesserung der Menschenrechtslage. Dafür und für eine Sicherung der europäischen Handlungsfähigkeit durch eine kohä- rente EU-Politik setzten wir uns ein. Lothar Mark (SPD): Der hier zu beratende Antrag „Eintreten für die Beendigung der von den USA aufer- legten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba“ wird von meiner Fraktion nicht mitgetragen. In dem vorliegenden Antrag wird die Bundesregie- rung aufgefordert, auf dem EU-USA-Gipfel, der am 30. April des vergangenen Jahres stattfand, aktiv für eine Beendigung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblo- ckade gegen Kuba einzutreten. Zudem wird an die EU appelliert, auf dem Gipfel keiner Erklärung zuzustim- men, die eine – ich zitierte aus dem Antrag – „US-typi- sche Verurteilung Kubas“ beinhaltet. Wie unschwer zu erkennen ist, sind diese Forderungen nicht nur sehr pla- kativ und überspitzt formuliert, sondern auch zeitlich überholt; denn mittlerweile liegt die Abschlusserklärung des EU-USA-Gipfels vom 30. April 2007 vor. Sie ent- hält keinerlei Verurteilung Kubas, wie möglicherweise von den USA gewünscht wurde. Die einzelnen Ab- schlussdokumente halten lediglich die Bemühungen der EU und der USA zur „Unterstützung der Menschen- rechte, der Pressefreiheit und der freien Meinungsäuße- rung“ in der Region Lateinamerika fest. Im Besonderen soll die „kubanische Bevölkerung in Ihrem Streben nach Ausübung dieser Rechte unterstützt werden“. Auch der im Antrag enthaltene Appell, die Bundesre- gierung möge sich während der deutschen EU-Ratspräsi- dentschaft für die Aufhebung der politischen Maßnah- men der EU gegen Kuba einsetzen, ist bekanntermaßen mittlerweile veraltet. Zwar konnte während der deut- schen EU-Ratspräsidentschaft nicht, wie von einigen EU-Mitgliedsstaaten gefordert, die Aufhebung der poli- tischen Maßnahmen des gemeinsamen Standpunktes der EU gegen Kuba erreicht werden. Die EU-Mitgliedstaa- ten einigten sich jedoch darauf, die ohnehin seit 2005 suspendierten Bestimmungen auch weiterhin auszuset- zen. Zudem wurde der kubanischen Regierung ein um- fassendes Dialogangebot über alle Themen von gemein- samem Interesse, einschließlich Menschenrechte, unterbreitet. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat damit auf der politischen Ebene zu einer Annäherung zwischen der EU und Kuba beigetragen und den Weg für die Aufnahme eines politischen Dialoges geebnet. Die deutschen Bemühungen im Rahmen der Erfüllung des Mandats des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU, RAA, vom 12. Juni 2006 wurden, wie ich aus hochrangigen politischen Gesprä- chen weiß, auch von kubanischer Seite wahrgenommen und honoriert. In dem vorliegenden Antrag stellte Die Linke jedoch einen Zusammenhang zwischen dem Aufheben der poli- tischen Maßnahmen der EU gegen Kuba und der Glaub- würdigkeit der Bundesregierung beim Eintreten gegen das US-Handelsembargo her. Diese beiden Themen kön- nen jedoch nicht ohne weiteres miteinander gleichge- setzt werden. Denn einerseits handelt es sich um – mei- nes Erachtens ebenfalls zu diskutierende – politische Maßnahmen, andererseits um wirtschaftliche Sanktio- nen. Damit komme ich zurück zu der Kernforderung des Antrages, die Bundesregierung möge sich aktiv für eine Beendigung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblo- ckade einsetzen. Grundsätzlich ist das US-Handelsem- bargo gegen Kuba aus Sicht der SPD-Bundestagsfrak- tion in der Tat zu verurteilen. Die vor über 40 Jahren verhängten Wirtschaftssanktionen sind eine erhebliche Belastung für die kubanische Volkswirtschaft und gehen vor allem zulasten wichtiger wirtschaftlicher und gesell- schaftlicher Entwicklungen und damit letztlich auch auf Kosten der kubanischen Bevölkerung. Dass Die Linke es sich in ihrer Beurteilung der Situa- tion jedoch zu einfach macht, wird in einem entschei- denden Punkt deutlich: Der Antrag verschweigt ein ganz wesentliches Element, indem behauptet wird, dass auch Lebensmittel von dem Embargo betroffen seien. Lebens- mittel und medizinische Geräte sind jedoch seit dem Jahr 2000 vom Embargo ausgeschlossen. Die Zusammenar- beit der USA mit Kuba ist in diesen sensiblen Bereichen durchaus gegeben. Im Jahr 2006 belief sich der Betrag der kubanischen Lebensmittelkäufe in den USA auf 340 Millionen US-Dollar. Im März unterzeichnete der US-Bundesstaat Nebraska ein Handelsabkommen mit Kuba über Lebensmittellieferungen im Wert von 17 Mil- lionen US-Dollar. Es lässt sich also festhalten, dass die Kernforderungen des Antrages zwar grundsätzlich in die richtige Richtung weisen, jedoch nicht nur veraltet, son- dern auch sachlich undifferenziert sind. Hinzu kommt ein weiterer gewichtiger Punkt: Auch wenn man die Embargopolitik der USA gegenüber Kuba verurteilen mag, so handelt es sich dabei letztlich nach Auffassung der Bundesregierung und anderer EU-Mit- gliedstaaten um eine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und Kuba, in welche die EU nicht ohne weite- res einzugreifen vermag. Die extraterritorialen, das heißt in diesem Falle auch die EU betreffenden Auswirkungen des Cuban Democracy Act – Toricelli-Gesetz – und des Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act – Helms- Burton-Gesetz – hat die EU dagegen stets verurteilt. Im Bezug auf die Ausweitung des Helms-Burton-Gesetzes von 1996 gegen Unternehmen aus Drittstaaten reagierte die EU nicht nur, wie im Antrag benannt, mit einer Klage vor der Welthandelsorganisation, WTO, wegen des Verstoßes gegen die Regeln und Verpflichtungen der USA im Rahmen der WTO. Sie erließ zudem als Gegen- maßnahme eine Verordnung des Rates der EU zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen An- 14424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) wendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte so- wie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, EU-Richtlinie EG 227l. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass sich die EU im Rahmen ih- rer Möglichkeiten durchaus gegen das US-Handels- embargo wendet und somit sehr wohl eine eigenständige Kuba-Politik vertritt. Die Zukunft der Kuba-Politik der EU wird jedoch we- sentlich davon abhängen, ob es gelingt, die Annäherung zu vertiefen und den politischen Dialog auch tatsächlich wieder aufzunehmen. Denn wie Willy Brandt und Egon Bahr uns Sozialdemokraten lehrten, kann Wandel letzt- lich nur durch Annäherung, nicht aber durch Blockade erzielt werden. Daran sollten sich auch die USA orien- tieren. Die Blockadepolitik hat Kuba in den letzten 40 Jahren nicht in die Knie gezwungen und wird dies auch fortan nicht tun. Stattdessen sollten alle beteiligten Akteure auf den politischen Dialog setzen; denn letztlich können nur im Rahmen einer kontinuierlichen Diskus- sion Erfolge erzielt werden. Im Falle Kubas, so wurde mir während meiner letzten Dienstreise von mehreren Gesprächspartnern, insbesondere von Kardinal Jaime Ortega, bestätigt, habe man äußerst positive Erfahrungen mit der „stillen Diplomatie“ gemacht. Diese werde dort mit großem Erfolg eingesetzt und sollte demnach Vor- bildcharakter besitzen. Zu einem tatsächlichen politi- schen Dialog und einer „stillen Diplomatie“ gehört je- doch unweigerlich harte, kontinuierliche und vor allem sachlich differenzierte Arbeit bei allen Beteiligten. Der vorliegende Antrag weist hingegen mit seinen plakativen Maximalforderungen in eine gänzlich andere Richtung und kann deswegen von der SPD-Bundestagsfraktion nicht mitgetragen werden. Marina Schuster (FDP): Unter dem Aufhänger des Wirtschaftsembargos versucht die Linke einmal mehr, in diesem Haus die Zustände auf Kuba zu relativieren. Die- sen Antrag können wir aber nur im Gesamtzusammen- hang Ihrer Haltung gegenüber dem Regime in Havanna diskutieren. Denn, Kolleginnen und Kollegen der Links- fraktion, Ihre Gesamtposition ist vollkommen unausge- wogen. Sie beziehen sich heute auf die Wirtschaftsblo- ckade der USA. Zur desolaten Lage der Menschenrechte und zum Druck auf Dissidenten schweigen Sie erneut. Wir hatten dazu bereits zwei Debatten. Sie haben damals gegen unseren Antrag gestimmt, Menschenrechte einzu- fordern und die kubanische Zivilgesellschaft zu stärken. Die Presse- und Meinungsfreiheit wird auch von Raul Castro weiterhin unterdrückt. Das Gleiche gilt für die Versammlungsfreiheit. Dissidenten sitzen im Gefängnis. Die freie Nutzung des Internet wird den Kubanern ver- wehrt, weil das Regime befürchtet, dass die Opposition sonst weiteren Zulauf erhalten würde. Die Menschen in Kuba leiden aber nicht nur unter der innenpolitischen Repression, sondern auch unter einer schlechten Wirtschaftspolitik ihrer eigenen Regierung. Die sozialistische Planwirtschaft ist ineffizient und scha- det der Entwicklung Kubas. Das verschweigen Sie. Es fehlt an unternehmerischen Freiräumen im Land selbst. Daher muss ein Großteil der Lebensmittel importiert und anschließend stark subventioniert werden. Das Durch- schnittseinkommen von 14 Euro monatlich reicht nur für das karge staatliche Angebot. Parallelwährungen teilen die Gesellschaft in zwei Klassen. Die Bevölkerung benötigt harte Devisen, um ihren Alltag zu bewältigen. Das Auswärtige Amt schreibt hierzu: „Der Lebensstandard einer kubanischen Familie wird heute weitgehend durch den Zugang zu konvertibler Währung … und andere Einkommensquel- len bestimmt.“ Durch Hugo Chavez und seine Öl-für- Sozialismus-Politik werden die eklatanten Schwächen des Systems im Moment noch überdeckt. Nicht nur die Linksfraktion hat eine ambivalente Hal- tung zu Kuba. Auch innerhalb der Bundesregierung gibt es offenbar keine gemeinsame Haltung. Wenn man den Presseberichten glauben darf, setzt die Bundeskanzlerin auf Isolierung und der Außenminister auf Pragmatismus. Die Trennlinie verläuft allerdings nicht nur zwischen Rot und Schwarz, sondern auch zwischen CDU und CSU: Wirtschaftsminister Glos musste offenbar auf Druck des Kanzleramts eine Delegationsreise nach Kuba absagen. Sein Staatsekretär Pfaffenbach sollte im Februar dieses Jahres gemeinsam mit Unternehmern deutsche Wirtschaftsinteressen auf Kuba ausloten. Nun ist davon keine Rede mehr. Auf meine schriftliche An- frage ans Wirtschaftsministerium wurde mir mitgeteilt, dass es bislang keine festen Planungen gebe. Die Bun- desregierung prüfe weiterhin mögliche Optionen. Hat die Bundesregierung also ungeachtet der politischen Spannungen wirtschaftliche Interessen in Kuba oder nicht? Herr Minister Glos, Sie haben sich wohl von Ihren Parteifreunden in der Bayrischen Staatsregierung inspi- rieren lassen. Die CSU hat ja beste Kontakte zum Re- gime in Havanna. Bayerns Wirtschaftsstaatssekretär Hans Spitzner empfing im November den Sohn Fidel Castros, der gleichzeitig Berater der kubanischen Regie- rung ist, zu einem Gespräch. Anschließend erklärte er: „Die Entwicklung der wirtschaftlichen und wissen- schaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Län- dern ist sehr erfreulich.“ Interessant ist auch, dass sich Spitzner bei dem Treffen auch nach dem Gesundheitszu- stand von Fidel Castro erkundigte, den er von seinen Be- suchen in Kuba persönlich kennt, und seine Genesungs- wünsche übermittelte. Kontakte mit sozialistischen Unrechtsregimen haben in Bayern bei den CSU-Regierungen seit Franz Josef Strauß Tradition. Es ist allerdings unglaubwürdig, Ge- schäftskontakte mit dem Castro-Clan anzubahnen und gleichzeitig in den Bierzelten daheim gegen die Kom- munisten zu wettern. Das zeigt einmal mehr, wie tief in der CSU die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist. Ich kann nur hoffen, dass sich SPD, CDU und CSU auf einen gemeinsamen Kurs ihrer Kuba-Politik verstän- digen. Denn es ist gerade angesichts der unterschiedlichen Positionen innerhalb der EU wichtig, dass Deutschland hier mit einer starken Stimme spricht. Wir können doch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14425 (A) (C) (B) (D) nicht kritisieren, dass Spanien und Tschechien unter- schiedliche Ansätze gegenüber Kuba verfolgen, wenn die Bundesrepublik selbst nicht weiß, wie sie sich in die- ser Frage aufstellen will. Ich fordere die Bundesregie- rung auf, hier schnell Klarheit zu schaffen. Für die FDP sage ich klar: Wir möchten Kuba auch weiterhin auf dem Weg in eine freie Zukunft unterstüt- zen. Während andere eine gescheiterte Idee verteidigen, hoffen wir in Kuba auf eine Demokratie unter Palmen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Am 1. Januar wurde die kubanische Revolution 50 Jahre alt. Ich beglückwünsche die Kubanerinnen und Kubaner zu den sozialen Errun- genschaften, die sie in diesen 50 Jahren erkämpft haben. Ich selbst war mehrmals in Kuba und habe mit vielen Kubanerinnen und Kubanern diskutiert. Ich habe viele engagierte Kubanerinnen und Kubaner getroffen, die an der Überwindung der Defizite, die es in Kuba gibt, auch Defizite in der demokratischen Teilhabe, selbstbestimmt, ohne äußere Einmischung und ihren Vorstellungen ent- sprechend arbeiten. Ein Embargo, das sie stranguliert, oder politische Sanktionen, die sie „erziehen“ sollen, sind nicht akzeptabel. In diesen Tagen, in denen sich in Kuba ein Wechsel an der Staats- und Parteispitze vollzieht, in denen aber auch politische und wirtschaftliche Veränderungen vor- bereitet werden, haben sich die Begehrlichkeiten und Feindseligkeiten gegenüber Kuba seitens der US-Regie- rung und der Exilkubaner nochmals verstärkt. Zugleich freue ich mich, dass auch in den USA die Stimmen aus der Zivilgesellschaft lauter werden, die ein Ende der des- truktiven Kuba-Politik ihrer Regierung, insbesondere ein Ende des Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargos gegen Kuba fordern. Ich beziehe mich hier auf einen Appell US-amerikanischer Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Sean Penn, Carlos Santana, Tom Waits und Harry Belafonte. Wie in jedem Jahr seit 1992 so hat auch im Oktober 2007 die Vollversammlung der Vereinten Nationen wie- der mit übergroßer Mehrheit das Embargo verurteilt, das die USA über Kuba verhängt haben. Nie war die Mehr- heit gegen die USA in dieser Frage so groß: 184 Staaten stimmten der Resolution zu, die die Aufhebung des Em- bargos verlangt. Die USA fanden lediglich drei Verbün- dete. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung nicht dazu gehörte und dass Deutschland seit einigen Jahren im großen Lager derer zu finden ist, die das Embargo ab- lehnen. Die kubanische Bevölkerung erfährt durch die US- Sanktionen ungeheure Einschränkungen. Alle sozialen und wirtschaftlichen Bereiche der kubanischen Gesell- schaft werden durch das Embargo geschädigt. Der Wa- renaustausch mit den USA ist fast vollständig unterbun- den, der mit anderen Staaten wird behindert – teilweise durch geradezu absurde bis lächerliche Regelungen –, ebenso Kreditgeschäfte, ausländische Investitionen und damit die Weiterentwicklung bedeutender Wirtschafts- zweige wie des Tourismus. Die kubanische Regierung beziffert den Schaden, der ihrem Land seit der Inkraft- setzung der Sanktionen im Jahr 1960 entstanden ist, auf über 80 Milliarden US-Dollar. Diese Blockade ist völ- kerrechtswidrig und grausam. Sie muss fallen! Die US-Regierung hat sich bisher vom fast einstim- migen Votum der Vollversammlung nicht beeindruckt gezeigt. Wir finden es deshalb wichtig, dass sich die Bundesregierung dazu durchringt, ihre Kritik an der Blo- ckade, die in ihrer exterritorialen Wirkung ja auch die deutschen Beziehungen zu Kuba berührt, gegenüber der US-Regierung direkt vorzubringen. Das wäre umso not- wendiger, als der US-Präsident im Herbst die Schraube der Aggression noch ein Stückchen weitergedreht, Kuba als „tropischen Gulag“ bezeichnet, die Aufrechterhal- tung der Blockade bestätigt und die Einrichtung eines milliardenschweren „Freiheitsfonds“ angekündigt hat, aus dem ein Regime Change finanziert werden soll. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung nicht auf die Einladung des Präsidenten reagiert hat, sich an diesem Fonds zu beteiligen. Die US-Politik gegenüber Kuba ist eine unheilvolle Mischung wirtschaftlicher Interessen, missionarischer Anmaßung und totaler Ignoranz gegenüber der kubani- schen Gesellschaft. Diese Mischung ist hochgefährlich, und sie entfaltet seit 50 Jahren destruktive Wirkung. Ich appelliere an die Bundesregierung, sich dieser Politik nicht nur passiv in der UN-Vollversammlung, sondern ganz klar und deutlich in der direkten Auseinanderset- zung mit der US-Regierung entgegenzustellen! Das wäre auch ein wichtiges Signal in Richtung der Kräfte, die in ganz Lateinamerika Träger eines neuen sozialen Auf- bruchs sind und die sich dabei auf die Solidarität Kubas stützen. Wir brauchen einen völlig neuen, auf gleichbe- rechtigte Partnerschaft und solidarische Unterstützung abzielenden Ansatz in der deutschen Lateinamerikapoli- tik. Die Signale der Bundesregierung sind bislang unein- deutig. Von deutscher Kritik an der Kuba-Politik von Bush hat man bislang nichts gehört. Im EU-Rat zählte die Bundeskanzlerin während ihrer Präsidentschaft 2007 leider zu den Hardlinern gegen Kuba. Durchgesetzt hat sich in der EU glücklicherweise vorerst eine andere Hal- tung, die vor allem von Italien, Spanien und Belgien ge- tragen wurde und die auf Dialog setzt. So blieben die EU-Sanktionen gegen Kuba auch unter deutscher Rats- präsidentschaft weiter ausgesetzt. Zugleich bleibt der Anspruch der EU, in Kuba auf ei- nen „friedlichen Wandel“ hinwirken zu wollen, ein Hin- dernis für die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba. Für eine vollständige Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und Kuba wäre es notwendig, dass die Sanktionen der EU nicht nur ausgesetzt, sondern endgül- tig aufgehoben werden und der gemeinsame Standpunkt der EU zu Kuba endlich aufgegeben und durch einen neuen Ansatz ersetzt wird. Auf der anderen Seite sehen wir durchaus, dass es in letzter Zeit einige positive Signale in der deutschen Kuba-Politik gab. Insbesondere begrüßen wir, dass das 2003 auf Eis gelegte Kulturabkommen zwischen Deutschland und Kuba nun sehr bald unterzeichnet wer- den soll. Auch in der Frage der Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit hoffen wir auf mehr Be- wegung. 14426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Gerade auf dem Gebiet der Entwicklungszusammen- arbeit böten sich viele Felder einer fruchtbaren Zusam- menarbeit zwischen Deutschland und Kuba, von der auch Dritte profitieren könnten. Ich denke an den Be- reich der regenerativen Energien, an die Unterstützung des Austauschs von Fachleuten mit noch schwächeren Nachbarländern Kubas, an die Finanzierung von Stipen- dien kubanischer Universitäten für Studentinnen und Studenten aus Entwicklungsländern etc. Als Entwick- lungspolitikerin bin ich von der Bereitschaft der Kubanerinnen und Kubaner beeindruckt, ihre sozialen Errungenschaften auch mit anderen, viel schwächeren Gesellschaften zu teilen. In Haiti beispielsweise wird ge- rade mit kubanischer Hilfe ein groß angelegtes Alphabe- tisierungsprogramm durchgeführt. Kubanische Techni- kerinnen und Techniker bauen dort Solarkollektoren auf, Hunderte kubanische Ärztinnen und Ärzte, Krankenpfle- ger und -pflegerinnen versorgen die Bevölkerung selbst in entlegenen Regionen Haitis. Diese Süd-Süd-Solidari- tät verdient unsere Unterstützung und kann Vorbild für eine zukünftige Entwicklungszusammenarbeit sein. Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu- nächst und vorausgeschickt; Auch meine Fraktion ist ge- gen die einseitige Blockadepolitik der USA gegen Kuba. Sie ist politisch erfolglos und schadet der kubanischen Bevölkerung. Sie bedient den in Lateinamerika lange ge- wachsenen und leicht zu erklärenden Anti-Amerikanis- mus und verhilft dem USA-Bekämpfer Fidel Castro zu andauerndem Ruhm. Mehr noch: Sie wirkt – besonders nach der Verschärfung seit 2004 – womöglich gar sys- temstabilisierend; denn sie liefert der kubanischen Füh- rung einen Vorwand für ihre repressive Politik. Ohnehin ist jede Opposition in Kuba dem staatlichen Vorwurf ausgesetzt, gemeinsame Sache mit den Anhängern der 1956 vertriebenen bösartigen Batista-Junta und ihren Nachfolgern zu machen. Dieses in abgewandelter Form auch seinerzeit bei der SED beliebte Argument gegen- über der Opposition in der DDR erschwert natürlich den berechtigten Kampf für Demokratie und Menschen- rechte, und wir wollen diesen Kampf unterstützen und nicht behindern. An dieser Stelle wäre eine Debatte über Entspannungs- politik angebracht. Diese Debatte wurde in Deutschland seit Beginn von Willy Brandts Ostpolitik geführt, und ei- nes ihrer Themen war die Unterscheidung zwischen Ent- spannung und Anbiederung, neudeutsch: Appeasement. Diese Debatte ist auch heute noch notwendig, auch in Beziehung zu Kuba. Inwieweit ist es sinnvoll, auf ein to- talitäres Regime zuzugehen, um seine Reformfähigkeit zu testen, seine Differenzierung zu befördern, es zu Zu- geständnissen zugunsten der Bevölkerung zu bringen? Ist es überhaupt berechtigt, Reformfähigkeit zu erwar- ten? Ich sage dies angesichts wiederholter, ziemlich naiv anmutender Erwartungen an das Ableben von Fidel Castro und die Machtübernahme durch seinen Bruder. Natürlich kann ein neues Regime flexibler sein, und diese Möglichkeit wäre größer, wenn die USA sich an- ders verhielten, als sie es tun. Aber von der Installation einer Castro-Dynastie per se politische Reformen zu er- warten, zeugt schon von sehr viel Optimismus. In Kuba herrscht nach wie vor ein Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Das Recht ist ein Will- kürinstrument der politischen Führung. Nach Angaben einer kubanischen Menschenrechtsorganisation ist der Anteil Gefangener an der Bevölkerung in Kuba höher als in den USA – und das will etwas heißen. Wieviele politi- sche Gefangene es darunter gibt, ist eine Frage der Defi- nition und das Ergebnis rein taktischer Entscheidungen der Führung. Ist der Besitz einer Satellitenschüssel kri- minell oder ein politisches Verbrechen? Es gibt weder unabhängige Informationen noch eine kritische Öffent- lichkeit. Wer die Regierung kritisiert, läuft Gefahr, ver- haftet zu werden. „Reporter ohne Grenzen“ zählt Kuba zu den zehn repressivsten Staaten weltweit hinsichtlich des Umgangs mit dem Internet. Sämtliche zivilgesell- schaftlichen Initiativen sind illegal. Ihre Angehörigen sind umfassendem staatlichen Terror ausgesetzt, sofern sie nicht verhaftet sind. Von Demokratie und Pluralis- mus, von Selbstbestimmung des Volkes kann also keine Rede sein. Insofern übrigens ist die Forderung des EU- Lateinamerika-Gipfels vom Mai 2006 nach Achtung des Rechts auf Selbstbestimmung, die Die Linke in ihrem Antrag zitiert, durchaus berechtigt. Aber so meinen diese Verteidiger des Regimes ihren Antrag natürlich nicht. Der Text enthält kein Sterbens- wort über die politische Situation in Kuba. Indem Die Linke die beschriebenen Probleme vollständig ignoriert, zeigt sie einmal mehr ihre Prioritäten: Der realexistie- rende Sozialismus ist schütz-, nicht kritikwürdig. Men- schenrechte kommen bei dieser Fraktion besonders gern vor, wenn die USA sie verletzen. Deshalb lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen wieder bzw. weiterhin den Dialog mit Vertretern zivilge- sellschaftlicher Initiativen in Kuba pflegen und ihnen Schutz geben. Dazu bedarf es diplomatischer und natür- lich auch wirtschaftlicher Kontakte zur kubanischen Führung. Isolation war und ist der falsche Weg. Aber das Ziel muss klar sein: Hilfe auf dem Weg zur Demokrati- sierung Kubas. Darin ist sich die EU auch einig. Sie un- terstützt bekanntlich die Blockadepolitik der USA nicht. Was konkret notwendig wäre, sind Forderungen nach der sofortigen Entlassung aller gewaltlosen politischen Ge- fangenen, nach internationalem Zugang zu den Gefäng- nissen und die Legalisierung zivilgesellschaftlicher Ini- tiativen. Es geht um die Auflösung der kubanischen Erstarrung. Ob das gegenwärtige Regime diese betreibt oder bei Strafe seines Untergangs behindert, ist offen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gesundheitscheck der europäischen Agrarpolitik – Mit Klima- bonus zu Klimaschutz, guter Ernährung und nachhaltiger Entwicklung (Tagesordnungs- punkt 15) Marlene Mortler (CDU/CSU): Gleich am Anfang möchte ich festhalten, dass die Gesundheitsüberprüfung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14427 (A) (C) (B) (D) der EU-Agrarpolitik nicht als erneute Reform angedacht ist. Das hat EU-Kommissarin Fischer Boel heute Mittag im Gespräch mit unserem Ausschuss so bestätigt. Es soll vor allem um die Überprüfung der Funktionsweise, um die Verbesserung und Vereinfachung der tiefgreifenden GAP-Reform von 2003 gehen. Die alte Bundesregierung hat bereits im Oktober 2002 einvernehmlich mit allen Staats- und Regierungschefs der EU die Finanzierung der ersten Säule der EU-Agrar- politik bis 2013 verbindlich beschlossen. Dieser Be- schluss war wesentliche Grundlage für den nachfolgen- den gewaltigen Systemwechsel hin zu entkoppelten Direktzahlungen sowie zur Anbindung der Direktzah- lungen an Cross Compliance. Die maßgeblichen Krite- rien bei Cross Compliance gehen weit über die Band- breite des unmittelbaren landwirtschaftlichen Fachrechts hinaus. Sowohl bei der Entscheidung über die Agrar- reform im Juni 2003 als auch bei der Entscheidung über deren nationale Umsetzung im Juli 2004 haben die ver- antwortlichen Agrarminister den landwirtschaftlichen Betrieben zugesichert, dass dieser Gestaltungsrahmen bis 2013 gilt. Diese Planbarkeit und Verlässlichkeit brau- chen unsere Bäuerinnen und Bauern, um ihre Betriebe als Einkommens-, Lebens- und Existenzgrundlage nach- haltig fortzuführen. Die Beschlüsse wurden von und mit der damaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast getroffen. Die erneute Forderung einer Wende in der EU-Agrar- politik von Bündnis 90/Die Grünen im vorliegenden An- trag dürfte bedeuten, dass man für eine Umkehr der Agrarreform von 2003 ist. Diese Agrarreform wurde ge- rade von Frau Künast als Wende in der EU-Agrarpolitik erklärt. Wenn man sich nun erneut für eine Wende der bereits gewendeten EU-Agrarpolitik ausspricht, würde das quasi einem Stillstand gleichkommen. Kann man daraus deuten, dass die Grünen der Politik ihrer damali- gen Bundesministerin nicht mehr folgen? Die Bäuerinnen und Bauern vertrauen darauf, dass es bei den voll einkommenswirksamen Direktzahlungen über die Betriebsprämien keine zusätzlichen Kürzungen gibt. Diese entkoppelten Direktzahlungen sind der ge- rechtfertigte Ausgleich für die im Vergleich zu nicht europäischen Staaten sehr hohen EU-Anforderungen der Bürger und der Politik beim Verbraucherschutz, Um- weltschutz und bei der Tierhaltung. Das gilt auch für grundsätzliche Gemeinwohlleistungen wie den Erhalt unserer attraktiven Kulturlandschaft. Weil diese Leistun- gen vom Markt nicht voll entgolten werden, gewährt der Staat einen Ausgleich. Deshalb ist es auch nicht in Ord- nung, wenn nach einer langen Periode des niedrigen Er- zeugerpreisniveau eine massive Umwidmung der EU- Agrarmittel gefordert wird. Erstens. Akzeptable Preise gibt es erst seit wenigen Monaten. Zweitens. Wir dürfen auch nicht die Kosten- seite vernachlässigen; denn die Ausgaben für Energie und Betriebsmittel sind deutlich gestiegen. Drittens. Alle Finanzmittel, die von der ersten Säule in die zweite Säule geschoben werden, kommen nicht mehr hundert- prozentig bei den Betrieben an. Fakt ist, dass mit dem deutschen Umsetzungsmodell bei der Agrarreform sich alle Zahlungsansprüche, auch die in Bezug auf das Grünland entstandenen, nach 2009 schrittweise auf einen Wert von rund 300 Euro pro Hek- tar in Deutschland entwickeln. Dies führt zu einer deutli- chen Stärkung des Grünlands, für das seit Jahren und bis heute für Agrarumweltmaßnahmen und als Ausgleich für benachteiligte Gebiete rund 50 bis 60 Prozent aller Zahlungen geleistet werden. Und dies vor dem Hinter- grund, dass die landwirtschaftlichen Nutzflächen in Deutschland zu einem Drittel Grünland und zwei Drittel Ackerland sind. Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen nach ei- ner Basisprämie bei den Direktzahlungen ist überflüssig, da ohnehin schon seit 2004 für Deutschland beschlossen ist, dass wir 2013 regional einheitliche Zahlungsan- spruchswerte haben. Und dazu fordert die EU-Kommis- sion beim Health Check auch alle EU-Staaten auf, die noch nicht auf diesem Weg sind, zum Beispiel Frank- reich, Österreich, Italien, die Niederlande und Belgien. Die Forderung nach einer Erhöhung der Modulation auf 13 Prozent, wie es die EU-Kommission vorschlägt, be- trifft in Deutschland rund 50 Prozent aller Betriebe, selbst in bäuerlich strukturierten Bundesländern wie Bayern. Diese Pläne würden für die in Deutschland be- troffenen Betriebe rund 250 Millionen Euro pro Jahr zu- sätzliche Kürzung bei den voll einkommenswirksamen Betriebsprämien nach sich ziehen, in Bayern rund 60 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich. Das heißt, der vorliegende Antrag fordert vor allem weitere und zusätzliche Kürzungen bei den Betriebsprä- mien der rund 380 000 deutschen Landwirte. Unberücksichtigt bleiben außerdem in diesem Antrag die bereits erbrachten Beiträge der Landwirtschaft zum Klimaschutz. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, dass vor allem die EU-Agrarpolitik erst so auszurichten ist, damit die Landwirtschaft zum Klimaschutz und zur Bio- diversität beiträgt. Außen vor bleibt, was bereits geleistet wurde. Die Fehler, die der Landwirtschaft zugeordnet werden, geschehen in anderen Erdteilen. In Deutschland besitzt die Landwirtschaft nach Aussage des Umwelt- bundesministeriums sogar eine positive CO2-Bilanz. Die deutschen Landwirte sind damit die Klimaschützer Nummer Eins. Scharf abgrenzen möchte ich mich von sogenannten Naturschutzorganisationen – wie Green- peace –, die Horrorszenarien aufbauen, um ihren Spen- dentopf zu füllen. Klimaschutzpolitik ist keine Sektor- politik, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nicht nachvollziehbar ist, dass Bündnis 90/Die Grü- nen hier preiswerte und gute Nahrungsmittel zur Versor- gung der Menschen fordern, aber keine ausreichenden Erzeugerpreise für die deutschen Landwirte zulassen will. Reden und Handeln liegen bei den Grünen einmal mehr weit auseinander. Ebenfalls wird eine stärkere Anpassung der EU- Agrarpolitik an internationale Abkommen gefordert. Bei den WTO-Verhandlungen hat bislang einzig die EU ein sehr weitgehendes konkretes Angebot unterbreitet. Fer- ner bestehen für echte Entwicklungsländer Präferenzab- kommen für Importe in die EU. Die Forderung nach ei- 14428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) ner weiteren Qualifizierung der ersten Säule der EU- Agrarpolitik bedeutet noch mehr Bürokratie und Regu- lierung. Es muss gemeinsames Ziel aller politischen Par- teien sein, die Bürokratielast für unsere Bürger und die Wirtschaft deutlich zu reduzieren. Die EU-Kommission hat in einer aktuellen Studie er- mittelt, dass unsere deutschen Landwirte mit 1 300 Euro je Betrieb und Jahr die höchsten Verwaltungskosten bei der Umsetzung der EU-Agrarpolitik haben. In Däne- mark sind es zum Beispiel nur rund 500 Euro und in Ita- lien sogar nur 100 Euro. Hier müssen wir ansetzen und nicht noch zusätzlich draufsatteln. Unverständlich ist mir die Forderung nach ökologi- schen Ausgleichsmaßnahmen für die von der Kommis- sion angedachte Aufhebung der sehr bürokratischen Re- geln zur obligatorischen Stilllegung. Viele bisherige Flächen der obligatorischen Stilllegung bleiben stillge- legt. Die Agrarumweltmaßnahmen bleiben alle bestehen. Landwirte als unternehmerisch Selbstständige und Grundeigentümer bzw. Bewirtschafter verstehen Forde- rungen nach ökologischen Ausgleichsmaßnahmen nicht, da es mit der Abschaffung der sehr komplizierten und bürokratischen Stilllegungsregelung um echten Bürokra- tieabbau sowie um Verfügungsfreiheit von Eigentum und Bewirtschaftungsfreiheit für bäuerliche Unterneh- mer geht. Freiwillige Stilllegungen, davon bin ich fest überzeugt, wird es in Deutschland weiterhin geben. In Bayern sind von den 168 000 Hektar Stilllegung bereits über 60 000 Hektar mit NAWARO genutzt. Die restlichen Flächen werden überwiegend stillgelegte Flä- chen bleiben. Es sind meist schlecht zugeschnittene, sehr ertragsschwache und unwirtschaftliche Teilflächen. Die Sorge also, dass alle 168 000 Hektar Stilllegung wieder voll unter den Pflug genommen werden, ist absolut unre- alistisch. In Bayern zum Beispiel werden bislang knapp 3 000 Hektar – das sind unter 1,8 Prozent – der 168 000 Hektar Stilllegung im Rahmen des Förderpro- gramms „Lebensraum Brache“ als speziell fürs Wild an- gelegte Stilllegungsflächen genutzt. Diese Flächen kön- nen trotz Abschaffung der Stilllegung bestehen bleiben und sicher bei attraktiven Konditionen und Werbung der Jäger bei den Jagdgenossenschaften noch ausgeweitet werden. Die Forderung nach Abbau von Exportsubven- tionen müsste erweitert werden, sodass alle Exportunter- stützungsmaßnahmen, die andere Staaten anwenden, auch einbezogen werden. Neben allen kritischen Punkten gibt es einen positi- ven Ansatz: Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich auch für die Impfstrategie auf EU-Ebene aus. Wir werden in den kommenden Wochen intensive Gespräche mit der EU-Kommission und den Vertretern des Europäischen Parlamentes führen. Eine gute Gelegenheit bietet der heutige Start der Internationalen Grünen Woche hier in Berlin. Wir müssen gemeinsam zur Quelle, um etwas für die deutschen Landwirte zu erreichen und nicht mit dem Strom schwimmen. Ich setze auf eine Politik für eine un- ternehmerische, nachhaltige und wettbewerbsfähige Landwirtschaft in Europa. Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Die Europäische Kom- mission hat am 20. November 2007 eine Mitteilung zu den Perspektiven der europäischen Agrarpolitik vorge- legt. Ziel der Mitteilung ist es, im Rahmen eines soge- nannten Gesundheitschecks Handlungsfelder für Nach- besserungen der Gemeinsamen Agrarpolitik, GAP, zu identifizieren. Grundsätzlich ist eine Überprüfung der Maßnahmen der im Jahr 2003 beschlossenen Agrarre- form zu begrüßen. Gerade bei großen umfangreichen Reformvorhaben ist eine ständige Feineinstellung uner- lässlich. Andererseits haben unsere Landwirte einen An- spruch auf Verlässlichkeit, denn „Landwirtschaften“ heißt in Generationen denken, und deshalb kann man die Betroffenen nicht ständig mit neuen Konzepten konfron- tieren. Zusammenfassend kann hier festgestellt werden, dass die Europäische Kommission dieser Herausforderung zwischen zielorientierter Nachjustierung und Verläss- lichkeit nur teilweise gerecht wird. Vor allem die Maß- nahmen zur Senkung des Verwaltungsaufwandes und zum Bürokratieabbau können dazu beitragen, Vertrauen in die Politik zu schaffen und die Gemeinsame Agrar- politik zukunftssicher auszugestalten. Die Abschaffung der Stilllegungspflicht und eine klare Aussage zur Zu- kunft der Milchquote sind ebenfalls Ansätze, um diese Ziele zu erreichen. Bei diesen Vorschlägen der Kommission für einen Gesundheitscheck handelt es sich aber eben nicht um eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik. Nach den zahlreichen Reformen der ver- gangenen Jahre, die den Landwirten viel abverlangt ha- ben, sind Klarstellungen besonders wichtig und helfen bei wichtigen unternehmerischen Entscheidungen. Erstmalig seit langem befinden sich die Erzeugerpreise für die meisten Agrarprodukte auf einem kostendecken- den Niveau. Ich räume ein, dass diese Momentaufnahme es etwas leichter macht, berechtigte, auch unbequeme, Fragen zu stellen und zu beantworten. Aber andererseits bedeutet dies nicht, gerade weil es sich hierbei lediglich um eine Momentaufnahme handelt, dass man nun das gesamte System infrage stellen sollte. Die europäische Land- und Forstwirtschaft braucht bis zum Ende der laufenden Finanzierungsperiode 2013 vor allem Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Ge- rade Investitionsentscheidungen in der Veredelungswirt- schaft binden die Finanzmittel eines Unternehmens für mindestens zehn Jahre. Die drastische Kürzung der Di- rektzahlungen in Abhängigkeit von der Betriebsgröße in den sogenannten Health Check mit einzubeziehen, liegt in diesem Sinne weit außerhalb des politischen Auftra- ges, den die Kommission realisieren sollte. Alle politi- schen Versprechen hinsichtlich Verlässlichkeit und Stabilität werden mit der Einführung einer betriebsgrö- ßenabhängigen Kürzung und Kappungsgrenzen der Di- rektzahlungen ad absurdum geführt. Dieser Griff in die agrarpolitische Mottenkiste des letzten Jahrhunderts ist auf das Entschiedenste abzulehnen, da er ganz überwie- gend zulasten der Betriebe in den neuen Bundesländern geht. Im Detail sind 10 Prozent Kürzungen für Zahlungen über 100 000 Euro, 25 Prozent Kürzungen für Zahlun- gen über 200 000 Euro und 45 Prozent für Zahlungen über 300 000 Euro je Betrieb geplant. In Deutschland Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14429 (A) (C) (B) (D) wären rund 6 000 Betriebe betroffen, davon 96 Prozent in Ostdeutschland. Den ostdeutschen landwirtschaftli- chen Betrieben würde ein Finanzbetrag von über 300 Millionen Euro verloren gehen. Bei einer entsprechenden Rentabilitätsanpassung durch die Senkung der Kosten für lebendige Arbeit wür- den über 10 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Der Vorschlag ist nicht nur volkswirtschaftlicher, son- dern auch sachlicher Unsinn. Durch diese Maßnahmen würde sich der Kommissionsvorschlag durch die Ge- fährdung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen sehr schäd- lich auf die Agrarstruktur in den ostdeutschen Bundes- ländern auswirken. Es ist einfach nicht zu vermitteln, warum ein 1 000-Hektar-Betrieb mit 15 Beschäftigen über 25 000 Euro weniger Direktzahlungen erhalten soll als derselbe Betrieb, der in drei gleich große Teile aufge- teilt ist. Es ist nicht hinnehmbar, dass die wettbewerbsfä- hige Agrarstruktur in den neuen Bundesländern in das 20. Jahrhundert zurückpolitisiert wird. Ein Ansatz zur Lösung des Problems wäre der Vor- schlag des Berichterstatters des Landwirtschaftsaus- schusses des Europäischen Parlamentes MdEP Goepel, der durch die Einbeziehung des Arbeitskräftebestandes bei einem landwirtschaftlichen Betrieb die Degression verhindern will. Der nunmehr laufende Konsultations- prozess bis zur Vorlage konkreter Vorschläge für die Nachbesserung der Maßnahmen der GAP muss deshalb für umfangreiche Nachbesserung in diesem Punkt genutzt werden. Degression und Kappungsgrenzen sind keine adäquaten Gestaltungsmittel einer modernen Agrarpoli- tik. Abschließend möchte ich mich bei der Bundesregie- rung und dem Bundesminister für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz Horst Seehofer bedanken, der in seiner Haltung so konsequent wie beharrlich die Degressionsvorschläge der Europäischen Kommission bekämpft. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Im November hat die Kommission ihre Mitteilung „Vorbereitung auf den GAP-Gesundheitscheck“ vorgelegt. Sie hat mit ih- ren Vorstellungen zu notwendigen Anpassungen eine wichtige Diskussion ausgelöst: Wir diskutieren intensiv, welche Aufgabe die Gemeinsame Agrarpolitik hat. Der EU-Agrarhaushalt ist deutlich unter Druck gera- ten: Die Aufgabenfelder Landwirtschaft, ländlicher Raum und Lebensmittelsicherheit werden im Konsulta- tionspapier der Kommission zum EU-Haushalt nicht mehr als zukünftige Ausgabeprioritäten genannt. Stei- gende Preise für Agrarerzeugnisse werden als gute Gele- genheit zur Kürzung landwirtschaftlicher Beihilfen und Mittelkürzungen im Agrarhaushalt angesehen. Im Vor- schlag der EU-Kommission zur Finanzierung des Satel- litennavigationssystems Galileo ist bereits eine Absen- kung des Plafonds für die Agrarausgaben um rund 2,2 Milliarden Euro vorgesehen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Mitteln für die ländliche Entwicklung. Wir ha- ben uns deswegen ganz klar für eine höhere Modulation ausgesprochen. Die Agrarausgaben brauchen eine neue Begründung: Früher waren diese produktbezogen und sollten durch Preisabsenkungen entstandene Einkommensverluste aus- gleichen. Heute sind die Zahlungen von der Erzeugung entkoppelt. Sie werden für die Erbringung von Leistun- gen in den Bereichen Umwelt- und Tierschutz sowie Le- bensmittelsicherheit gewährt. Wir wollen die bisherigen Reformen der Gemeinsa- men Agrarpolitik fortsetzen: weg von der Marktinter- vention hin zur Stärkung der ländlichen Entwicklung. Die Landwirtschaft soll sich an den Märkten ausrichten, Marktchancen sollen ergriffen werden, gleichzeitig auch Herausforderungen wie der Klimawandel oder der Rück- gang der Artenvielfalt gemeistert werden. Der Antrag der Grünen greift ein wichtiges Thema auf: Die Landwirtschaft trägt nicht unerheblich zum Kli- mawandel und zu regionaler Wasserknappheit bei und konnte in der Vergangenheit dem Rückgang der Arten- vielfalt nur unzureichend Einhalt gebieten. Sie ist gleich- zeitig von sich ändernden klimatischen Bedingungen stark betroffen. Die europäische Landwirtschaft muss eine nachhal- tige Landwirtschaft sein, die dem Ziel einer ressourcen- schonenden Produktionsweise verpflichtet ist. Wichtig ist mir: Es geht in der Klimadiskussion nicht darum, ein- zelne Wirtschaftszweige an den Pranger zu stellen. Es geht darum, in jedem einzelnen Wirtschaftszweig das vorhandene Potenzial zur Verbesserung der Klimabilanz auszuschöpfen. Das heißt, dass wir darüber diskutieren müssen, welche Potenziale wir bei Düngung, Tierhal- tung und Bodennutzung haben und wie wir zu einem möglichst niedrigen Energieverbrauch in der Landwirt- schaft und im Gartenbau, wie wir zu einer Minimierung des Lachgas- und Methanausstoßes kommen und wie wir mit dem Humus den Boden als CO2-Speicher erhal- ten. Wir müssen über die zweite Säule Maßnahmen zur Abschwächung bzw. Anpassung an den Klimawandel, für klimaschonende Bodenbewirtschaftungs- und Hal- tungsformen, für ein sachgemäßes Wassermanagement und für den Schutz der Artenvielfalt ergreifen. Auch deshalb sprechen wir uns mit Nachdruck dafür aus, den Ausbau des Maßnahmenkatalogs in der zweiten Säule voranzutreiben und eine Aufstockung der Finanzmittel der zweiten Säule vorzusehen. Wir müssen – allein um die Akzeptanz der Gemeinsa- men Agrarpolitik zu erhalten – klar definieren, welche Ziele und Maßnahmen wir verfolgen. Diese Ziele gelten für alle Betriebe – ob groß oder klein. Wir haben sicher die Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbrau- cher, wenn wir als ein Ziel den Tierschutz definieren. Das bedeutet dann aber auch, dass Leistungen bei allen Betrieben honoriert werden. Sie von den Grünen schießen in Ihrem Antrag gegen Großbetriebe und fordern eine Degression der Direkt- zahlungen. Wollen Sie die Förderung wirklich auf die Größe des Betriebes beziehen? Dann erklären Sie bitte den Menschen, warum Sie Milchbetrieben in Mecklen- burg-Vorpommern mit modernen Freilaufställen die 14430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Zahlungen kürzen und damit süddeutsche Betriebe mit Anbindehaltung besserstellen wollen. Unser Weg ist an- ders: Wir wollen den Tierschutz fördern. Dabei ist es uns egal, wer seine Tiere artgerecht hält: der kleine Betrieb in Süddeutschland oder der große im Mecklenburg-Vor- pommern. Nicht auf die Größe, auf die Leistung soll es in der Förderung ankommen. Der aktuelle Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit stellt die Bedeutung der Landwirtschaft für die Entwicklung der ländlichen Räume in Ostdeutschland dar. 165 100 Arbeitskräfte sind in 29 500 Betrieben be- schäftigt. Die ostdeutsche Landwirtschaft besitzt ein ho- hes Maß an Wettbewerbsfähigkeit und trägt zur Siche- rung regionaler Arbeitsplätze bei. Sie unterstützen die Kommission in ihren Plänen zur Einführung einer Degression. Das bedeutet nichts ande- res, als dass Sie die ländliche Entwicklung in Ost- deutschland infrage stellen. Die Degression müsste etwa zur Hälfte von Ostdeutschland getragen werden. Von ei- ner 300 000-Euro-Obergrenze wären 1 787 landwirt- schaftliche Betriebe betroffen, darunter 1 739 in Ost- deutschland. Damit wäre die Zukunftsfähigkeit gerade der ostdeutschen Landwirtschaft, die in der Vergangen- heit enorm in Umweltschutz und Qualität investiert hat, infrage gestellt und zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet. Es kann nicht sein, dass die Landwirtschaft gerade dort geschwächt wird, wo wir einen großen Bedarf für eine Stärkung der ländlichen Räume haben. Ziel der Stärkung der zweiten Säule ist auch, die ländlichen Räume zu stärken. Es ist nicht Ziel, die ländlichen Räume in Ostdeutschland zu schwächen. Die mit der Agrarreform von 2003 eingeführten Ver- pflichtungen hinsichtlich der Einhaltung von Standards in den Bereichen Umwelt- und Tierschutz sowie Lebens- mittelsicherheit gelten für alle Flächen. Es geht darum, welche Leistungen ein Betrieb erbringt, nicht, wie groß er ist. Eine Differenzierung nach Betriebsgrößen würde im Widerspruch zu den Zielen der Cross-Compliance- Regelung stehen. Es hilft auch nichts, die Degression an die Arbeits- kräfte zu koppeln. Wir haben bei den BWG-Flächen ja eine an Arbeitsplätze gekoppelte beschränkte Ausschrei- bung von Flächen. Wir stellen fest, dass insbesondere Ökobetriebe große Probleme mit dem Erwerb ihrer Flä- chen haben. Modulation ja – wir brauchen die Stärkung der zwei- ten Säule – aber keine Degression. Ich denke, wir tun gut daran, die Verwendung der zweiten Säule überlegt zu ge- stalten, anstatt einfach große Betriebe an den Pranger zu stellen. Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lehnen wir deshalb ab. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die Position der Grünen zur Gesundheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik ist überaus widersprüchlich und bauern- feindlich. Im Tagesspiegel vom 2. September 2007 hat die Fraktionsvorsitzende und ehemalige Landwirt- schaftsministerin Künast die Abschaffung der Agrarsub- ventionen im EU-Haushalt gefordert. Im Widerspruch zu dieser Forderung wird in dem vorliegenden Antrag der Grünen eine Fortführung bzw. Ausweitung der EU- Agrarförderung unter anderem Namen gefordert. Widersprüchlich ist zudem, dass im Antrag einerseits die letzte Agrarreform als „Gegenstrategie zu Fehlent- wicklungen wie Überschusserzeugung, Marktverzer- rung, Lebensmittelskandalen und ökologischen Folge- schäden“ ausdrücklich gewürdigt wird. Andererseits fordern die Antragsteller die „notwendige Wende in der Agrarpolitik“ im Rahmen der Gesundheitsüberprüfung. Für die FDP-Bundestagsfraktion war es immer klar, dass der Health Check der Agrarreform nur eine Feinjustie- rung vornehmen und nicht eine weitere Reform darstel- len darf. Die meisten Agrarpolitiker haben den Bauern bei der GAP-Reform 2005 versprochen, dass sie bis 2013 Pla- nungssicherheit haben. Dieses Versprechen müssen wir halten, getreu dem Motto: Geschlossene Verträge müs- sen gehalten werden. Doch die EU-Kommission will unter anderem die Modulationsrate bis 2013 von derzeit 5 Prozent auf 13 Prozent anheben. Mit diesem zusätzlichen Modula- tionsmitteln sollen Risikomanagement- und Klima- schutzmaßnahmen bezahlt sowie Anreize für Wasserein- sparungen und die Entwicklung von Biotreibstoffen der zweiten Generation geschaffen werden. Und prompt fin- det sie Beifall in den Reihen der SPD und der Grünen, als wenn es nicht sie gewesen wären, unter deren Feder- führung die GAP-Reform beschlossen worden wäre. Weiterhin will die EU-Kommission die Beihilfen der ersten Säule im Rahmen einer degressiven Kappung drastisch reduzieren. Beispielhaft nennt die EU-Kom- mission in ihrem Papier Kürzungssätze von 10 Prozent für die Beihilfespanne zwischen 100 000 Euro bis 200 000 Euro, 25 Prozent für die Spanne bis 300 000 Euro und 45 Prozent für alle darüber hinausge- henden Beihilfen. Die ab 2010 geplante degressive Kap- pung würde das Fördervolumen der deutschen Großbe- triebe bei denen ins Auge gefassten Schwellenwerten bis 2013 um rund 1,2 Milliarden Euro reduzieren. Nach den statistischen Angaben der Kommission für das Haus- haltsjahr 2005 würde die degressive Kappung in den 15 „alten“ EU-Mitgliedstaaten rund 22 300 Betriebe treffen, davon etwa 5 320 in Deutschland. Wegen der zwischenzeitlichen Einführung der Milchbeihilfen und der EU-Zuckermarktreform geht man im Bundesland- wirtschaftsministerium davon aus, dass sogar 5 700 hei- mische Betriebe betroffen wären. Die überwiegende Mehrzahl der betroffenen Betriebe liegt in den neuen Bundesländern. Das ist völlig inakzeptabel. Einmal abgesehen davon, dass die FDP schon prinzipiell gegen Eingriffe bei der ersten Säule bis 2013 ist, können wir keinem Kahlschlag bei der ostdeutschen Landwirtschaft die Hand reichen. Die FDP lehnt deshalb die Vorschläge der EU-Kommis- sion ab. Im Gegensatz dazu fordert die FDP-Bundestagsfrak- tion eine Stärkung der unternehmerischen und mittel- ständischen Land- und Ernährungswirtschaft im Rahmen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14431 (A) (C) (B) (D) der Gesundheitsüberprüfung. Dazu sind insbesondere die überbordende Bürokratie abzubauen und Vereinfa- chungen durchzusetzen. Aus Gründen der Planungssi- cherheit und Verlässlichkeit müssen die Direktzahlungen der ersten Säule bis zum Jahr 2013 gesichert bleiben. Danach kann über eine degressive Ausgestaltung der Di- rektzahlungen verhandelt werden. Die von der EU-Kom- mission geplante Kappung bzw. Degression bedeutet eine Existenzgefährdung bislang stabiler Unternehmen und vieler Arbeitsplätze im ländlichen Raum, die zu ei- ner enormen Verunsicherung der gesamten Branche und der Menschen in den neuen Ländern führen würde. Das lehnt die FDP ebenfalls strikt ab. Für die FDP-Bundes- tagsfraktion muss der erfolgreiche Reformkurs zur marktwirtschaftlichen Weiterentwicklung der gemeinsa- men Agrarpolitik konsequent fortgeführt werden. Eine leistungsfähige, unternehmerische und nachhaltige Landwirtschaft ist die entscheidende Voraussetzung für die Herstellung qualitativ hochwertiger Lebensmittel. Nur eine effiziente und produktive Landwirtschaft kann den notwendigen Beitrag für einen wirkungsvollen Klimaschutz leisten. Gesetzliche Regulierungen, die überproportional und einseitig die Land- und Forstwirt- schaft belasten, wie sie auch die Grünen in ihrem Antrag fordern, lehnen die Liberalen ab. Die FDP hat im Rahmen der Internationalen Grünen Woche ein Positionspapier „Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft“ vorge- stellt, in dem achtzehn zentrale Punkte zur Verbesserung des Klimaschutzes im Bereich Landwirtschaft dargestellt werden. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Selten schien/ war die Stimmung in der Agrarwirtschaft so gut wie im Moment, ausgelöst vor allem durch die steigenden Er- zeugerpreise zumindest in einigen Bereichen. Die Vorschläge der EU-Kommission zur Degression und Modulation der Förderung trüben diese gute Stim- mung. Sie wirken wie Gift und vergiften auch die At- mosphäre, denn zumindest die Degression beruht auf falschen Annahmen. Über Jahrzehnte hatten die Agrarbe- triebe mit sinkenden Erzeugerpreisen und gleichzeitig steigenden Kosten zu kämpfen. Die Folge: Rationalisie- rungsdruck, Arbeitsplatzabbau, Lohndumping, Selbstaus- beutung. Arbeitsplätze und landwirtschaftliche Einkom- men gingen in Größenordnungen verloren. Auch wenn überall versucht wurde, über alternative Einkommens- quellen die Not zu lindern: Die Folge ist ein zunehmen- des Ausbluten zahlreicher ländlicher Regionen. Die Landflucht ist ein Faktum. Sie erfolgt zudem selektiv. Es gehen die Menschen, die dann am meisten fehlen: die mit dem größten Potenzial und die jungen Frauen. Seit nunmehr circa einem Jahr geht es einigen Betrie- ben besser. Dafür sorgen und sorgten steigende Preise bei Milch, Getreide und vielen anderen Produkten. Bäu- erinnen und Bauern haben dadurch erstmals die Chance, Wichtiges nachzuholen, was in den vergangenen Jahren kaum drin war: Eigenkapital zu bilden, die Betriebe wirtschaftlich zu konsolidieren, Maschinen und Ge- bäude zu erneuern oder gar neu zu bauen, in Tiere zu investieren, Altschulden abzubauen, vielleicht Pachtflä- chen zu kaufen. Manche können auch einfach nur wenigstens mit den steigenden Produktionskosten mit- halten. Diese Chancen für eine Stabilisierung der Land- wirtschaftsbetriebe sind nach schweren Jahren jetzt wie- der gewachsen. Das hilft den ländlichen Räumen in Deutschland und dem Erhalt von gerade hier so wertvol- len – weil raren – Arbeitsplätzen. Aber es ist bislang erst einmal nur eine Hoffnung – noch lange keine Realität und schon gar kein Ruhekissen. Die Vorschläge der EU-Kommission für eine Begren- zung der Direktzahlungssumme an die Betriebe betref- fen in erster Linie Betriebe in Ostdeutschland, die grö- ßere Flächen bewirtschaften. Ist das Absicht oder Zufall? Es wird bei diesem Vorschlag nicht unterschie- den, wie diese Betriebe produzieren. Trotzdem soll ab jetzt pro Hektar weniger gezahlt werden. Das ist unbe- rechtigt und ungerecht. Auch wenn ein Ostbetrieb meh- rere Tausend Hektar bewirtschaftet, ist bei der Förder- summe pro Arbeitskraft bei vielen Betrieben kein Unterschied zu klein- und mittelbäuerlichen Betrieben in Westdeutschland oder anderen Teilen Europas vorhan- den. Der Mythos der Abzocker in den ostdeutschen Genossenschaften bleibt ein Mythos, auch wenn er pene- trant wiederholt wird. So hat zum Beispiel der zweit- größte Fördermittelempfänger in Brandenburg auf die Arbeitskraft gerechnet nicht mehr Förderung als ein mittlerer westdeutscher Betrieb mit einer Größe von 70 Hektar. Besonders ungerecht bestraft werden durch die Vorschläge der EU-Kommission die Betriebe mit Tierhaltung. Sie haben einen hohen Arbeitskräftebedarf und einen großen Anteil an der Wertschöpfung in der Landwirtschaft. Sie sorgen für Arbeit in den Dörfern. Ich bin Brandenburgerin. Die Degressionsvorschläge der EU gefährden bis zu 8 000 märkische Arbeitsplätze. Die davon betroffenen oder bedrohten Landwirtinnen und Landwirte sind häufig ohne wirkliche Einkommens- alternative in der Region. Nur wenige werden die Mög- lichkeit haben, sich selbstständig zu machen und als Kleinbetrieb dann wieder die gerade entzogene Förde- rung zu erhalten. Es ist ja auch die Frage, ob das denn politisch gewollt sein kann. Auch wenn die Erzeugerbe- triebe derzeitig eine wirtschaftliche Aufschwungphase erleben: Mit der Agrarreform 2006/2007 sind Planungs- vorgaben für die Betriebe bis zum Jahr 2013 gesetzt worden. Davon gingen die Bäuerinnen und Bauern zu- mindest aus. Sie fordern zu Recht eine verlässliche Poli- tik und planen danach. Die EU-Kommissionsvorschläge zerstören erneut diese Glaubwürdigkeit. Die Linke lehnt daher kategorisch die Vorschläge zur Degression ab. Wir halten es auch für wenig hilfreich, diese Direktzahlungen über die sogenannte Modulation für den ländlichen Raum retten zu wollen. Ob die Länder die dann notwendigen Kofinanzierungsmittel aufbringen können oder wollen, ist offen. Außerdem hätten wir dann die Kürzungen im Grunde akzeptiert, obwohl Deutschland schon einen großen Beitrag zur Senkung der Agrarausgaben geleistet hat. Die Linke tritt für eine umweltverträgliche und sozial verantwortliche, multifunktionale Landwirtschaft ein. Das ist die Landwirtschaft, die auch die Verbraucherin- 14432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) nen und Verbraucher wollen. Die Nachfrageentwicklung nach ökologischen Produkten im Supermarkt zeigt dies besonders deutlich. Das gilt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Österreich, Italien oder Spa- nien. Globalisierung in der Landwirtschaft bedeutet daher für die Linke, dass gerade Deutschland und Europa die ökologischen und sozialen Maßstäbe für eine nachhal- tige Landwirtschaft setzen müssen, deren Produkte be- zahlbar bleiben und die gleichzeitig die Lebensfähigkeit der ländlichen Räume in den Regionen erhält. Für die Landwirtschaft gilt daher noch mehr als sonst: global denken, regional handeln. Das neoliberale Gegenmodell einer globalisierten Agrarwirtschaft löst keine Probleme, sondern schafft neue Probleme: Wenn mit gentechnisch verändertem So- jaschrot aus Brasilien in Deutschland zu viel Schweine gemästet werden und der Fleischberg dann steuermittel- finanziert nach China exportiert wird, zeigt sich die Ab- surdität der aktuellen Globalisierungspolitik. Die aktuel- len Nöte der Schweinehalter sind auch der Linken selbstverständlich nicht egal; aber aus vielen sozialen und ökologischen Gründen müssen wir andere Wege ge- hen. Daher sind die anderen Instrumente der europäischen Agrarpolitik wie die Export- und Investitionsförderung kritisch zu hinterfragen und auf ihre globalen Auswir- kungen zu überprüfen. Im Rahmen der WTO muss die EU die Position umwelt- und sozial verträglicher Agrar- politik vertreten. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kli- mawandel, Wassermanagement, Welternährung, Erhalt der Biodiversität, der Arbeitsplätze und der ländlichen Regionen – die EU steht vor einer Vielzahl von globalen Herausforderungen, für deren Bewältigung die Land- wirtschaft ein wichtiger Schlüssel ist. Ein Blick in die ersten deutschen Daten zur Verteilung der Agrarsubventionen zeigt, dass deren Lenkungswir- kung im Hinblick auf ökologische und soziale Ziele man- gelhaft ist. Wir Bündnisgrünen sind der Auffassung, dass die Zahlungen der ersten Säule als Anreiz zum Erreichen gesellschaftlicher Ziele grundsätzlich neu legitimiert wer- den müssen. Wir begrüßen es darum ausdrücklich, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung zum Ge- sundheitscheck den richtigen Weg hin zu einer zukunfts- fähigen Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpoli- tik, GAP, einschlägt, auch wenn die Ansätze in vielen Punkten nicht weit genug gehen. Man muss leider in aller Deutlichkeit feststellen, dass die Bundesregierung mit ihrer Blockadehaltung gegen die Vorschläge der EU-Kommission die Chance auf eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der GAP verspielt. Mit der Taktik des Verwässerns und Besitzstandswah- rens bei der Gemeinsamen Agrarpolitik schadet sie mas- siv der Umwelt, dem Naturschutz, den Bauern und auch der Agrarwirtschaft. Mit ihrem „Weiter so“ setzt sie ei- nen angesichts drängender Zukunftsaufgaben unverant- wortlichen Umgang mit Steuergeldern fort und stellt so- mit die Legitimität der europäischen Agrarförderung insgesamt infrage. Dabei muss uns allen klar sein, dass im Zuge der für 2009 anstehenden Überprüfung des EU- Haushaltes in Anbetracht der knappen Kassen und der steigenden Agrarpreise auch die Begehrlichkeiten auf das Agrarbudget wachsen werden. Eine Aufrechterhal- tung der Gemeinsamen Agrarpolitik und gemeinsamer Verantwortung nach 2013 wird es nur dann geben, wenn wir die Zahlungen mit Blick auf die globalen Herausfor- derungen schlüssig ausrichten und legitimieren und so die Akzeptanz der Gesellschaft erlangen. Der Gesund- heitscheck muss dazu genutzt werden, die notwendige Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik einzuläu- ten. Bislang ist die Landwirtschaft der große schwarze Fleck in der Klimapolitik. Dabei spielt vor allem die in- dustrielle Landwirtschaft als Emittent klimarelevanter Gase eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Durch unef- fektive und übermäßige Stickstoffdüngung, durch den un- verantwortlichen Umgang mit den Böden und die inten- sive Tierhaltung verursacht sie bis zu 16 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen, und das ohne Berücksichtigung des CO2-Ausstoßes durch Landnut- zungsumwandlungen wie zum Beispiel durch Regenwald- zerstörung, Gen-Soja-Anbau oder Rodungen für Palmöl- plantagen. Man kann auch vereinfacht sagen: Die Rinderhaltung ist das Kohlekraftwerk der Landwirtschaft. Wir stehen in der Verantwortung, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Deshalb dürfen wir die Landwirtschaft beim Klimaschutz nicht aussparen. Die beschlossenen Klimaschutz-Reduktionsziele müssen auch für die Landwirtschaft gelten. Wir Bündnisgrüne fordern, dass im Zuge des Gesundheitschecks alle Förderansätze der ersten und zweiten Säule mit klimaschädlicher Aus- wirkung unverzüglich eingestellt werden. Darüber hinaus wollen wir die Leistungen besonders klimafreundlicher Bewirtschaftungssysteme, wie zum Beispiel des ökologi- schen Landbaus, über einen Klimabonus vergüten, bei gleichzeitiger Abschmelzung der allgemeinen Direktzah- lungen zu einer Basisprämie. Auch müssen die Cross- Compliance-Regeln als Instrument zur Durchsetzung von Mindeststandards mit Blickrichtung Klimaschutz wie auch sozialer Standards weiterentwickelt werden. Zur Stärkung der ländlichen Regionen und zum Erhalt von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum brauchen wir eine andere Verteilung der Direktbeihilfen. Zurzeit ge- hen 80 Prozent der Zahlungen an 20 Prozent der Be- triebe. Die heutige Agrarförderpolitik der ersten Säule bevorteilt die rationalisierte Großlandwirtschaft, die weit über 100 000 Euro Subventionen pro Arbeitskraft jähr- lich erhalten kann. Im Durchschnitt erhalten die deut- schen Betriebe aber nur 8 000 Euro Direktzahlungen pro Arbeitskraft im Jahr. Bei den bäuerlichen Betrieben kommen nach wie vor kaum öffentliche Mittel an, die Arbeitnehmer erhalten Hungerlöhne. Wer mit Blick auf diese Zahlen von einer Neiddiskus- sion spricht, will die Debatte um Gerechtigkeit verhin- dern. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Agrarsubventionen, um die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren Leistungen für den ländlichen Raum zu unter- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14433 (A) (C) (B) (D) stützen. Deshalb fordern wir den grundsätzlichen Einbe- zug des Faktors Arbeit in die Bemessung der Direktbei- hilfen. Wir sprechen uns dafür aus, als Einstieg das von der Kommission vorgeschlagene Degressionsmodell mittels der Berücksichtigung des Arbeitskraftbesatzes der Betriebe in einen qualitativen Ansatz zu überführen. Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission zur Erhöhung der Modulation auf 13 Prozent. Die Kommis- sion folgt damit dem richtigen Ansatz, Beihilfen an die Erbringung gesellschaftlicher Leistungen zu knüpfen. Die Weigerung von Bundesminister Seehofer, die Er- höhung der Modulation mitzutragen, ist unverantwortlich gegenüber der deutschen Landwirtschaft. Unisono fordern CDU/CSU und Bauernverband Planungssicherheit für die deutschen Landwirte. Dabei wird zu gerne vergessen, dass Frau Merkel mit ihren Vereinbarungen zum EU-Haushalt 2007 bis 2013 den Betrieben, die auf Agrarumweltmaß- nahmen oder ökologischen Landbau gesetzt haben, die Planungssicherheit schon lange entzogen hat. Einer Umfrage zufolge hält jeder zweite Steuerzahler eine finanzielle Unterstützung von Landwirten für rich- tig. Als die wichtigsten Aufgaben der Landwirtschaft wurden in derselben Erhebung die tiergerechte Haltung von Nutztieren, die Sicherung einer hohen Lebensmittel- qualität sowie die Erhaltung der Wirtschaftskraft der ländlichen Räume genannt. Die Erfüllung dieser Aufga- ben wird über Programme der zweiten Säule gefördert. Die zweite Säule zu stärken heißt, den Wünschen der Steuerzahler zu entsprechen und die Akzeptanz für die Agrarförderung zu sichern. Eine Stärkung der zweiten Säule ist unerlässlich, um die multifunktionale bäuerli- che Landwirtschaft in Europa zu sichern. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr ergreifen – Klima- und umweltpolitische Herausforde- rungen der Hochseeschifffahrt (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Ein Klick in der virtuellen Welt oder ein Griff ins Regal des Supermark- tes ihres Vertrauens – und Sie haben die Welt bei sich zu Hause: Seide aus Asien, Kakao aus Lateinamerika, Wolle aus Australien und die Edelsteine aus Afrika. Wa- ren und Güter aus allen Teilen der Welt sind an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar und abrufbar. Entfernun- gen und Transportwege haben sich relativiert. Transport- zeiten haben sich im internationalen Handel dramatisch verkürzt. Moderne Technologien ermöglichen und ge- währleisten heute effiziente und zügige Warenbewegun- gen weltweit. Die Märkte sind zusammengerückt. Der Trend hält weiter an. In den aktuellen Prognosen sind na- tional wie international starke Zuwächse im Logistikbe- reich für die kommenden Jahre zu verzeichnen. Einen besonders hohen Nutzen haben exportorien- tierte Wirtschaftsnationen wie Deutschland. Für sie ist eine funktionierende Logistik eine wichtige Lebensader und zugleich ein Garant für ein wirtschaftliches Wachs- tum. Den Titel Exportweltmeister haben wir auch einer effizienten und sicheren Verschickung unserer Produkte in zahlreiche Länder zu verdanken. Deshalb kommt auch uns eine besondere Verantwortung bei der klimafreundli- chen Gestaltung des Transportverkehrs zu. Die Klimadebatten der letzen Monate haben uns sehr eindrucksvoll die Folgen dieser Welt der Mobilität vor Augen geführt. In dieser Legislatur setzten wir uns im Verkehrsausschuss deshalb bereits intensiv mit der CO2- Reduktion auseinander. In den Mittelpunkt der parla- mentarischen wie auch öffentlichen Diskussion um Emissionsminderungen im Verkehr ist immer wieder der Straßenverkehr gerückt. Dies wird der Bedeutung der Seeschifffahrt und des Flugverkehrs wie auch des bishe- rigen starken Engagements im politischen Ringen um Verbesserungen bei den Emissionsminderungen in den Bereichen nicht gerecht. Seeschiffe verladen enorme Lasten und können vor allem Massengüter über weite Entfernungen relativ preisgünstig ans Ziel bringen. Mit ihren Ladekapazitäten tragen moderne Frachter wesentlich zu einer Reduzie- rung von Transportbewegungen bei und bilden eine wichtige Säule im internationalen Seehandel. Sie zählen deshalb zu den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. Dennoch ist die Bilanz dieses Transportmittels nicht un- getrübt: Die heute in den Seeschiffen verwendeten Die- selmotoren sind auf die Verwendung von kostengünsti- gem, aber schadstoffreichen Schweröl ausgelegt. Dies belastet die Luft auch an unseren Küsten der Haupschiff- fahrtsrouten und in den Häfen. Die Akzeptanz von Schiffsverkehren wird deshalb gerade auch in unseren Küstenregionen massiv von den Luftemissionen abhän- gen. Die Senkung der Schadstoffemissionen, insbeson- dere von Schwefel, Stickoxiden und Partikeln ist deshalb das derzeit bedeutendste Umweltproblem in der See- schifffahrt und bereits heute weltweit ein politisches Hauptthema. Da diese Emissionen mit der Verwendung von Schweröl als Schiffstreibstoff verbunden sind, steht in der Diskussion deshalb vor allem auch die Frage nach einem Mindeststandard für die Treibstoffqualität von Seeschiffen. Deutschland unterstützt in den internationa- len Gremien wie zum Beispiel der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO bereits aktiv die Einfüh- rung eines Mindeststandards für Bunkeröl, der zur Ver- wendung sauberer Treibstoffe führt. Aber auch bei der Integration der Seeschifffahrt in den Emissionshandel und die Weiterentwicklung der Grenzwerte im Schiffs- verkehr zählt Deutschland zu den Hauptakteuren. Im Zentrum der Diskussion stehen hier die Verschärfung der Schwefelgrenzwerte, die Senkung der Stickstoffemissio- nen und Grenzwerte für Partikelemissionen für See- schiffe. Schärfere Grenzwerte und Qualtiätstandards sind An- reize für technische Innovation. Dies gilt sowohl für Schiffsmotoren neuer Generationen wie auch denkbare 14434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Nachrüstsysteme für den Bestand. Doch sie nutzen uns allen wenig, wenn die Regeln nur für einzelne Teilneh- mer im internationalen Transportmarkt gelten. Nationale oder europäische Sonderwege zur Beschränkung von Emissionen können den internationalen Seeverkehr empfindlich beeinträchtigen und weitere Ausflaggungen nach sich ziehen. Entwicklungsländer bilden bereits heute die größten Schiffsregister. Die bisherige Aus- nahme der Entwicklungsländer von Beiträgen zur Emis- sionsreduzierung ist angesichts der klimawirksamen Beiträge ihrer Flotten weder durch einen Nachholbedarf gerechtfertigt noch für wirksame Emissionsreduzierun- gen zielführend. Lösungen müssen deshalb diese Länder einbinden. Hier ist die IMO der richtige Ort für die Dis- kussion, denn nur sie kann alle Staaten gleichermaßen verpflichten. Deutschland gilt als Weltmeister des Blumenimports. Viele Blumen erreichen uns aus Afrika und Lateiname- rika. Wie würden die Auslagen unserer Blumengeschäfte und die Blumenarrangements aussehen, könnten wir nicht auf eine moderne Luftlogistik zurückgreifen, die Frische und Terminlieferungen weltweit gewährleistet. Die Frage der Umweltauswirkungen des Luftverkehrs ist von besonderer Bedeutung im internationalen Raum. Angesichts der Zuwachsraten ist es sinnvoll, den Luft- verkehr in eine Gesamtstrategie einer umfassenden Kli- maschutzpolitik einzubinden. Die europäischen Mit- gliedstaaten gehen davon aus, dass mit der Einbeziehung des Luftverkehrs in das europäische Emissionshandels- system die CO2-Emissionen begrenzt werden können. Wir diskutieren heute auf europäischer Ebene nicht mehr das Ob sondern das Wie einer Einbindung des Luftver- kehrs in den Emissionshandel. Die deutsche Bundesre- gierung beteiligt sich an den Diskussionen und unter- stützt dieses Vorhaben aktiv auf internationaler Ebene. Ziel der europäischen Schlussfolgerungen ist, die ande- ren ICAO-Staaten von der Notwendigkeit der Einbezie- hung des Luftverkehrs in den Emissionshandel zu über- zeugen und somit ein gemeinsames offenes System zu schaffen, das Wettbewerbsnachteile ausschließt. Die Verhandlungen mit den Partnern aus den nichteuropäi- schen Staaten stellen sich als schwierig dar. Umso wichtiger ist es, mit der Schaffung eines ein- heitlichen europäischen Luftraums „Single European Sky“ ein deutliches Signal für Potenziale und Erfolge bei der Emissionsminderung im Luftverkehr zu setzen. Durch die Neuorganisation und Verbesserung der Ge- samteffizienz des Flugverkehrs wird angestrebt, die CO2-Emissionen im europäischen Flugverkehr um bis zu 10 Prozent in Europa zu senken. Mit der Einführung von emissionsabhängigen Start- und Landeentgelten an den wichtigen Flughäfen München und Frankfurt (Main) zum 1. Januar diesen Jahres setzen wir einen wichtigen Anreiz für den Einsatz schadstoffärmerer moderner Flugzeug und gehen einen wichtigen Schritt, die Luft- qualität im Umfeld unserer Flughäfen zu verbessern. Bei beiden Verkehrsträgern wird das Verkehrsauf- kommen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Mit dem integrierten Energie- und Klimaprogramm hat sich die Bundesregierung deutlich in diesen Fragen posi- tioniert. Klimapolitik und wirtschaftlicher Erfolg werden sich in der Zukunft stärker als bisher bedingen. Die heu- tigen klimawirksamen Lösungskonzepte tragen dazu bei, den wirtschaftlichen Erfolg von morgen zu sichern. Es ist uns daher ein Anliegen, aktiv auf Verbesserungen hinzuwirken. Dies wird uns jedoch nicht durch nationale Alleingänge gelingen. Ich erinnere hier an die internatio- nale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Energiepreise. Ein einseitiger Beitrag einzelner Staaten löst weder das Kli- maproblem noch dient es den Interessen der deutschen Wirtschaft. Ausgeflaggte Schiffe und Billig-Airlinies tragen schon aus Kosten- und Wirtschaftlichkeitsgrün- den nicht zu Emissionsminderungen bei. Die Anträge der Grünen sind in ihrem Anspruch und ihrer Gänze umweltpolitisch allumfassend und absolut. In der Tat sind die Herausforderungen einer Emissions- reduzierung in diesen beiden Bereichen groß. Aber auch die Herausforderungen, internationale Absprachen und Vereinbarungen zum Klimaschutz zu erzielen, sind im- mens. Die Erkenntnis über die Notwendigkeit, dem Klimawandel aktiv und gemeinsam durch die Schaf- fung internationaler politischer Rahmenbedingungen entgegenzutreten, und die Gewichtung von klima- und wirtschaftspolitischen Zielen sind in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich ausgeprägt. Kioto und Bali haben dies eindrucksvoll gezeigt. Aus sieben Jahren Erfahrung mit einem grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin sollte Ihnen dies bekannt sein. Für uns als Union ist es daher wichtig, den Güterver- kehr von morgen nachhaltig und klimafreundlich auf na- tionaler und internationaler Ebene zu gestalten. Im Inte- resse der Wälder, den größten Sauerstoffproduzenten, wünsche ich uns einen papierminimalen Beratungsvor- gang. Auch dies ist ein wirksamer Beitrag zum Klima- schutz. In diesem Sinn freue ich mich auf die bevorste- henden Beratungen im Ausschuss. Christian Carstensen (SPD): Klimaschutz ist eines der Hauptanliegen unserer Zeit. Spätestens seit den Weltklimaberichten des Intergovernmental Panel on Cli- mate Change (IPCC) muss jedem die Handlungsnotwen- digkeit klar sein. Die Große Koalition hat unter Feder- führung unseres Umweltministers Sigmar Gabriel mit dem Integrierten Klima- und Energieprogramm der Bun- desregierung (IKEP), das Ende letzten Jahres vorgestellt wurde, Maßstäbe gesetzt. Wichtige Bausteine dieses Programms sind die Einsparpotenziale im Bereich Bau und Verkehr: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm weist bereits erfreuliche Ergebnisse auf, an der Umstel- lung der Kfz-Steuer auf CO2-Basis wird intensiv gear- beitet, die Lkw-Maut wird weiterentwickelt und soll so stärkere Klimaschutzwirkung entfalten. Und auch der Schiffs- und Flugverkehr wird seinen Beitrag leisten. Nun liegt uns heute der Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen „Klimaschutzmaßnahmen im Luft- verkehr ergreifen“ vor. Ein wenig verwundert habe ich dies zur Kenntnis genommen, haben wir uns doch als Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Jahr 2007 bereits ausführlich mit diesem Thema be- schäftigt und entsprechende Forderungen an die Bundes- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14435 (A) (C) (B) (D) regierung auf den Weg gebracht. Zur Erinnerung: Die Expertenanhörung zum Thema „Luftverkehr und Klima“ am 9. Mai 2007 hat deutlich gemacht, dass sich die Flug- linien, Flughäfen und Hersteller ihrer Verantwortung für den Umweltschutz bewusst sind und Maßnahmen zur Reduzierung von CO2- und NOx-Ausstoß aktiv unter- stützen. Im Weiteren haben die Koalitionsfraktionen bereits im Juni 2007 einen Entschließungsantrag zum Richtlini- envorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft verabschiedet. Darin wird die Bundesre- gierung aufgefordert, dafür einzutreten, dass der Luft- verkehr in das bestehende Emissionshandelssystem der EU integriert und dass eine Gesamtstrategie zur Redu- zierung des CO2-Ausstoßes im Flugverkehr erarbeitet wird, die eine Verbesserung der Flugtechnik, des Flug- verkehrsmanagements sowie der Flugverkehrskontrolle im Sinne der Single-European-Sky Initiative der Euro- päischen Kommission beinhaltet. Zudem ist eine Be- schleunigung der Einführung des Single-European-Skys unabdingbar, damit unnötige Umwege in der Luft zu- künftig vermieden werden können und so der CO2-Aus- stoß verringert werden kann. Dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen an eini- gen Stellen bereits von der Wirklichkeit eingeholt wurde, zeigt sich unter anderem auch anhand der Forde- rungen zur ICAO-Vollversammlung letzten Herbst. Wie wir alle wissen, konnten sich die Europäer mit Ihrer For- derung zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emis- sionshandel gegen den Widerstand aller anderen Natio- nen nicht durchsetzen. Nichtsdestotrotz wird die EU an ihrem Vorhaben weiterhin festhalten, alle Flüge, die auf einem europäischen Flughafen landen oder starten, ab 2012 in dieses System einzubeziehen. Das heißt, diese Regelung wird auch Flugzeuge aus Drittländern betref- fen. Auch auf nationaler Ebene haben sich die Forderun- gen des Antrags bereits zu weiten Teilen erfüllt. Zum 1. Januar 2008 wurden an den beiden größten deutschen Flughäfen Frankfurt und München emissionsabhängige Start- und Landeentgelte eingeführt. Neben Lärm wer- den nun auch die Stickoxid-Emissionen bei Start und Landung berücksichtigt. 17 Tage nach Einführung dieser Maßnahme kann logischerweise noch keine Bilanz gezo- gen werden. Sobald aber belastbare Werte vorliegen und die positiven Effekte deutlich werden, werden sicherlich auch weitere deutsche Flughäfen dem Beispiel der bei- den Großflughäfen folgen und eine entsprechende An- passung ihrer Landeentgelte vornehmen. Gefreut habe ich mich diese Woche auch über die An- kündigung einer – leider nicht deutschen – Fluglinie, im Februar mit einer Maschine des Herstellers Boeing einen Probeflug mit Bio-Kerosin zu machen. Der Einsatz von Bio-Kerosin steckt zwar im Moment noch in der Ent- wicklung, aber diese Ankündigung zeigt deutlich, dass hier von allen Seiten Anstrengungen unternommen wer- den, den Flugverkehr möglichst effizient und umwelt- schonend zu machen. Die Liste an weiteren innovativen Vorhaben in den Bereichen Technologie, Werkstoffe und Aerodynamik ließe sich hier jetzt erfreulich lange fortsetzen. Um Forschung und Entwicklung weiter vo- ranzutreiben, werden im Rahmen des Luftfahrtfor- schungsprogramms der Bundesregierung auch zukünftig ausreichend Mittel zur Förderung im Bereich „Umwelt- verträglicher Luftverkehr“ zur Verfügung gestellt wer- den. Ich bin davon überzeugt, dass alle Akteure im Luft- verkehr – seien es die Fluglinien, die Flughäfen oder die Flugzeugentwickler – mittlerweile erkannt haben, wel- che Verpflichtung sie in Bezug auf den Klimaschutz ha- ben. Wir stehen zugegeben noch am Anfang eines lan- gen Weges, allerdings stimmen mich die Bemühungen und Signale optimistisch. Wir Sozialdemokraten werden alle Maßnahmen, die zur Reduzierung von klimaschädli- chen Emissionen beitragen, auch weiterhin unterstützen und politisch befördern. Insofern nehmen wir den vorlie- genden Antrag gerne zum Anlass, das Thema Klima- schutz und Luftverkehr erneut im Verkehrsausschuss zu diskutieren. Dr. Margrit Wetzel (SPD): Die klima- und umwelt- politischen Herausforderungen der Hochseeschifffahrt sind ganz zweifellos ein wichtiges Thema, das die Kolle- gen der Grünen Ende Oktober letzten Jahres mit einem Antrag aufgegriffen haben. Leider haben Sie sich damit aber hinter einen fahrenden Zug geworfen: Für die Wei- chenstellung und Gestaltung dessen, was Regierung und Parlament wollen, kommen Sie damit deutlich zu spät! Wir freuen uns ja, dass die Grünen „voll auf Regierungs- linie liegen“ und uns damit bescheinigen, auch aus Sicht der Opposition im Bundestag das „Richtige“ in Sachen Klimaschutz bei der Seeschifffahrt zu initiieren bzw. zu unterstützen: Sehen Sie sich doch nur die Beschlüsse von Meseberg an! Das Kabinett hat ausdrücklich betont, sich für die Einbeziehung des Emissionshandels bei der IMO und bei der Klimarahmenkonvention einzusetzen. Seit Jah- ren wird in der IMO daran gearbeitet, verbindliche Re- duktionsverpflichtungen für Treibhausgase zu erarbei- ten. Dies ist besonders wichtig, weil die Relation zwischen dem riesigen Welthandelsvolumen des Seever- kehrs und den Treibhausgasemissionen, die der See- schifffahrt zugeordnet werden, sich zukünftig mit jeder erfolgreichen Reduzierung von Treibhausgasen in ande- ren Industriebereichen deutlich zu Ungunsten des See- verkehrs verändern würde. Allein seit der Jahrtausend- wende haben die Emissionen von circa 1,8 Prozent auf 2,5 Prozent zugelegt. Und der Welthandel nimmt eben- falls ständig zu. Es muss also zweifellos und unbedingt auch im Bereich der Seeschifffahrt gehandelt werden. Es ist auch keineswegs so, dass Deutschland oder die Gutwilligen in der IMO nichts täten: Die Hinderer sind dort vor allem China und Saudi Arabien, die auf die Zugeständ- nisse für den wirtschaftlichen Nachholbedarf der Entwick- lungs- und Schwellenländer setzen und diese – sachlich völlig falsch – auch für die globalisierte Seeschifffahrt ein- fordern. Trotz des nachdrücklichen Widerstands dieser Länder wird in der IMO die weltweit einheitliche Bewer- 14436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) tungsgrundlage für Reduktionsziele erarbeitet, ein Index- system mit entsprechenden Anwendungsrichtlinien für die Effizienz der Schiffe erarbeitet sowie technische, operative und marktbasierte Lösungsvorschläge inklusiv eines Zeit- plans für die Abarbeitung entwickelt. Deutschland beteiligt sich aktiv an der Erarbeitung dieser Voraussetzungen für die Reduktion der Treibhaus- gase. Und dass die EU-Kommission selbst prüft, wie der Seeverkehr in den Emissionshandel einbezogen werden kann, und angekündigt hat, gegebenenfalls selbst für die EU aktiv zu werden, wenn die IMO keine Lösung findet, ist hinreichend bekannt und richtig. Allerdings: Alles, was wir sinnvollerweise tun und fordern, muss gerade bei der Seeschifffahrt weltweit erfolgen! Der Seehandel ist international und Regelungen müssen deshalb wettbe- werbsneutral sein. Wenn wir deutsche oder europäische Alleingänge initiieren, ist die Folge allenfalls, dass die Reeder ihre Schiffe in Länder ausflaggen, die die Vor- schriften konsequent umgehen – damit ist niemandem gedient, am wenigstens dem Umweltschutz. Denn am Flaggenstaat hängt noch eine ganze Menge mehr als der Umweltschutz. Außerdem muss alles, was wir beim See- verkehr an Restriktionen einführen, daraufhin geprüft werden, ob es zu Verlagerungseffekten auf Landver- kehrsträger führen würde: Denn die sind immer noch er- heblich stärkere Emittenten von CO2. Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen hängt außerdem eng zusammen mit den noch erheblich stärke- ren Belastungen durch Schwefel, Stickoxide und Parti- kel, die durch die Verbrennung der sogenannten „Schweröle“ – man könnte auch sagen des Sondermülls – auf See entstehen. Die deutsche Regierung handelt wirklich vorbildlich und verdient großes Lob für ihre Aktivitäten in der IMO und in der EU: So hat Deutsch- land doch maßgeblich daran mitgewirkt, dass wir die Schwefelemissionsüberwachungsgebiete (SECAs) in Ost- und Nordsee haben. Der Schwefelgrenzwert von 1,5 Prozent in diesen Gebieten wird ab 2010 durch die EU-Hafen-Vorschrift von maximal 0,1 Prozent Schwe- felgehalt im Treibstoff ergänzt. Ab 2015 sollen aus deut- scher Sicht Destillate mit maximal 0,5 Prozent Schwe- felgehalt von allen Seeschiffen verwendet werden. Die weitere Absenkung des Grenzwertes auf 0,1 Prozent ist eine klare Beschlusslage der Regierung, die in Meseberg auch schriftlich fixiert wurde. Eine Übergangsfrist bzw. Zielfrist von etwa einem Jahrzehnt ist schon deshalb nötig, weil die Verfügbarkeit der entsprechenden Menge an Destillaten infrage steht. Die Umstellung der Raffinerien braucht eine gewisse Zeit. Außerdem fordern die Grünenvöllig zu Recht Lö- sungen für den Umgang mit den Rückständen aus dem Schweröl. Aber auch daran wird – wie wir alle wissen – gearbeitet. Die Arbeit der IMO an diesen Themen hat die Bun- desregierung mit einer Sonderkonferenz im Oktober 2007 eigens zur Klärung technischer Fragen deutlich un- terstützt. An dieser Stelle möchte ich für unsere Fraktion auch ausdrücklich unseren Dank an die engagierten und hoch motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMVBS richten, die das Thema mit hohem Sachver- stand und großer Umsicht energisch vorantreiben. Ihre Forderung nach mehr „SECAs“, liebe Kollegen von den Grünen, sehen wir allenfalls als Übergangslö- sung an und wissen uns auch da in guter Gesellschaft mit unserer Regierung: Langfristig brauchen wir die Redu- zierung von Schadstoffen im Seeverkehr weltweit auf al- len Meeren und das heißt im Grunde die völlige Umstel- lung auf Destillate. Nur Destillate haben ein wirklich hohes Reduktionspotenzial für Schwefel, Stickstoff und Partikel und zusätzlich bieten sie auch bessere Voraus- setzungen für Abgasnachbehandlungen. Denn eins ist auch klar: Auch im Seeverkehr müssen alle Möglich- keiten genutzt werden, Schadstoffe zu minimieren. Die Seeschifffahrt hat dazu eine ganze Palette kreativer Möglichkeiten. Das Einfachste ist zweifellos, die Ge- schwindigkeit der großen Schiffe auf den maximalen Ef- fizienzgrad zu senken – und glauben Sie mir, Reeder sind wirtschaftlich denkende Spezies, die kommen sogar von ganz allein darauf, dass sie damit die ständig stei- genden Treibstoffkosten reduzieren können. In den letz- ten Jahren hatten wir praktisch jährlich eine Verdoppelung der Treibstoffkosten (für Schweröl!) zu verzeichnen. Heute kostet die Tonne Schweröl circa 450 US-Dollar, das schad- stoffreduzierte Schweröl mit 1,5 Prozent Schwefel für den Betrieb in den SECAs ist unwesentlich teuerer: Es kostet derzeit circa 490 US-Dollar, wohingegen das Gasöl mit einem Schwefelanteil von 0,1 Prozent heute mit mehr als 800 US-Dollar fast das Doppelte an Treibstoffkosten be- deuten würde. Geschwindigkeitsreduzierungen um wenige Knoten bringen durchaus bis zu 30 Prozent Einsparungen an Treibstoff. Mögliche Routenveränderungen, die natürli- che Strömungen nutzen, können ebenfalls zu Einsparun- gen führen. Ich bin sicher, die Reeder werden diese na- türlichen Chancen zur Einsparung schon aus wirtschaftlichen Gründen nutzen. Das Potenzial, dass während der Liegezeiten der Schiffe genutzt werden kann, ist ebenfalls erkannt. Dazu gehören selbstverständ- lich die landgestützte Stromversorgung für die Liegezei- ten in Häfen, die allerdings nur für bestimmte Schiffe sinnvoll scheint, sowie der Einsatz moderner Filtertech- niken, die ihrerseits wieder innovative Kraftstoffe brau- chen. Der Entwurf der ISO für die nötigen weltweit glei- chen Normen und Standards liegt seit Herbst letzten Jahres förmlich aus. Auch hier scheint also der Erfolg bereits in Sichtweite. Und bitte: Vertrauen wir doch auch darauf, dass die Entwickler in den Werften auch beim Schiffbau alles daran setzen, zum Beispiel durch innova- tive Rumpfformen und Rumpfanstriche Einsparpoten- ziale zu generieren. Gerade der deutsche Schiffbau weiß um seine Innovationspotenziale, die ihm Weltmarktan- teile und Wettbewerbsfähigkeit sichern! Auch die alternativen Antriebstechniken wie die Zugdrachensysteme von Skysails, der Vertikal-Rotor- Antrieb – solare Antriebe und Brennstoffzellen sind im Testbetrieb vielversprechend – müssen marktfähig ge- macht werden und gehören damit zur breiten Palette neuer kreativer Möglichkeiten, den Schiffsverkehr lang- fristig schadstoffärmer zu machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14437 (A) (C) (B) (D) Abschließend: Ja, liebe Kollegen von den Grünen, wir sind uns absolut einig darin, dass viel getan werden muss und es dafür einen engagierten Zeitplan braucht. Die IMO und die EU sind auf dem absolut richtigen Weg. Wir als SPD-Fraktion bestätigen deshalb auch gern der Bundesregierung, dass sie eine hervorragende Arbeit in IMO und EU leistet, aber auch, dass nationale Allein- gänge kontraproduktiv wären und die Regierung sich auf die Unterstützung des deutschen Parlaments verlassen kann bei ihren Bestrebungen, die IMO zu weltweit ver- bindlichen Regelungen zu veranlassen. Höhere welt- weite Verbindlichkeiten sind zweifellos wünschenswert und notwendig – die erreichen wir aber nicht mit einem Beschluss im Deutschen Bundestag, sondern in diesem Fall vor allem in der konstruktiven und nachdrücklichen Unterstützung aller Vertreter der Bundesregierung, die auf den verschiedenen internationalen Ebenen für den Klimaschutz in der Seeschifffahrt aktiv sind. Denn den Kurs bestimmen Sie, liebe Kollegen von der Opposition, mit Ihrem Antrag ganz sicher nicht. Das bundespoliti- sche Ruder ist längst richtig gestellt. Sie haben fleißig alle Maßnahmen aufgelistet, die – von Deutschland un- terstützt – sinnvollerweise in der EU und der IMO vo- rangebracht werden. Gut, dass wir darüber geredet ha- ben. Den Akteuren an unseren Küsten in Schiffbau, Maschinenbau und Schifffahrt wünschen wir weiterhin viel Erfolg bei den zukunftsbestimmenden Innovationen und beim Entwickeln eines wirtschaftlich zu gestalten- den ökologischen Fortschritts, mit dem wir die weltwei- ten Klimaschäden aufhalten und hoffentlich auch mit- hilfe der Seeschifffahrt weiter reduzieren können. Jan Mücke (FDP): Das Thema Schiffsemissionen gewinnt eine immer größere Bedeutung. Dabei gilt es aber, zunächst einmal festzuhalten, dass es keinen effizi- enteren Gütertransport als den mit Schiffen gibt, insbe- sondere hinsichtlich des Energiebedarfs. Der Wirkungs- grad der modernen Großmotoren konnte in den letzten Jahren um 50 Prozent verbessert werden und damit der CO2-Ausstoß trotz zunehmenden Verkehrs deutlich ver- ringert werden, doch die Emissionen von Stickoxiden und Schwefeloxiden aus der Schifffahrt sind angestie- gen. Die Anstrengungen der letzten Jahre um eine Ver- besserung der Luftqualität im Binnenland haben trotz einiger Verbesserungen bei den Schiffsemissionen logi- scherweise den prozentualen Anteil des Schiffsverkehrs an der Luftverschmutzung insgesamt, insbesondere in den Häfen, enorm steigen lassen. Die Schwefeloxid-Emissionen des Schiffsverkehrs sind direkt abhängig vom Schwefelgehalt im Treibstoff und derzeit effektiv nur dadurch zu senken, dass der Schwefelgehalt im Treibstoff abgesenkt wird. Filtertech- nologien für den Schiffsverkehr sind derzeit noch nicht marktreif und ihr Einsatz nicht absehbar. Seit Mitte 2006 gelten für die Ostsee verschärfte Grenzwerte für Bunker- öle, die die Internationale Seeschifffahrts-Organisation, IMO, mit dem Annex 6 des MARPOL-Übereinkom- mens 2005, einem weltweit geltenden Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt durch Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, beschlossen hat. Der zulässige Schwefelgehalt im Treibstoff wurde in diesen sensiblen Seegebieten, SECA, auf 1,5 Prozent be- schränkt. Diese neuen Grenzwerte gelten seit Herbst 2007 auch in der Nordsee und im Ärmelkanal, und sie werden in diesen Gebieten zu einer Schwefeloxid-Re- duktion in der Luft um 10 Prozent führen. Darüber hinaus hat die EU in einer Richtlinie be- schlossen, dass ab 2010 in Häfen der EU nur noch Schwefeltreibstoff mit einem Schwefelgehalt von weni- ger als 0,1 Prozent verwendet werden darf. Dabei gibt es aber derzeit das ganz praktische Problem, ob die Mine- ralölwirtschaft überhaupt ausreichend schwefelreduzier- ten Treibstoff zur Verfügung stellen kann, insbesondere wenn weltweit weitere sensible Seegebiete festgelegt werden und die Nachfrage nach schwefelreduziertem Treibstoff steigt. Denn abgesehen von aufwendigeren Raffinierungen durch Umweltanforderungen, steigt die Nachfrage nach Schiffstreibstoff ja schon allein deshalb, weil der Schiffsverkehr schneller zunimmt, als die Raffi- nerieindustrie ihre Produktion erhöhen kann. Bei dieser Diskussion sollte auch nicht vergessen werden, dass die Entschwefelung des Treibstoffs in der Raffinerie selbst zu einem erheblich höheren CO2-Ausstoß führt. Wenn alle europäischen Raffinerien auf stark schwefelredu- zierten Schiffstreibstoff umstellen würden, würde nach einer Untersuchung der CO2-Ausstoß bei diesem Prozess um 21 Millionen Tonnen oder um 15 Prozent steigen. Man sieht, einfache Antworten gibt es bei dieser Proble- matik nicht. Ein besonderes Thema in diesem Zusammenhang ist die Landstromversorgung von Schiffen in Häfen. Nicht zuletzt auch durch die Debatte um die Feinstaubbelas- tung ist inzwischen zu Recht ein erheblicher politischer Druck entstanden. Angesichts drohender Fahrverbote in den Städten wegen der Feinstaubbelastung ist die Forde- rung nur zu verständlich, die Schiffsemissionen in den Häfen deutlich zu verringern. So hat die EU-Kommis- sion eine Empfehlung verabschiedet, wonach die Mit- gliedstaaten – bislang noch unverbindlich – aufgefordert werden, entsprechende Landstromeinrichtungen aufzu- bauen. Bislang gibt es aber nur wenig rechtliche Mittel, um bei dem Problem entscheidend voranzukommen, da auch in Deutschland nicht die Bundesemissionsschutz- verordnung, sondern das MARPOL-Abkommen gilt. Die generelle Verbesserung der Treibstoffqualität kann – wie oben dargelegt – nur sinnvoll durch die IMO vor- genommen werden, und deren Mühlen mahlen langsam, und ob das dann immer und überall schnellstmöglich umgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Die Ter- minals der deutschen Seehäfen sind für eine Landstrom- versorgung außerdem gar nicht ausgerüstet. Es müssten überall Mittelspannungsleitungen verlegt werden. Ein- mal abgesehen von dem dazu notwendigen baulichen Aufwand, der betrieben werden müsste, würden solche Bauarbeiten sofort zu Engpässen in den Häfen führen. Nur bei Neubauten könnte man dies baulich gleich mit berücksichtigen. Weiterhin gibt es bis heute keine inter- nationalen technischen Standards, die aber Vorausset- zung für eine Landstromversorgung wären. Eine Span- nungs- und Frequenzumformung an Land wäre mit erheblichen technischen Kosten und Personalkosten ver- bunden. Vorstellbar wäre auch eine Umformung an 14438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Bord, doch dafür müssten die entsprechenden Schiffe umgerüstet werden. Diese Investition ist derzeit hinfäl- lig, sobald sich das Fahrgebiet des Schiffes ändert, da es eben zurzeit keine internationalen Standards gibt. Eine entscheidende Frage ist der zusätzliche Energiebedarf, der in den Häfen bei der landseitigen Stromversorgung entstehen würde. Kühlcontainer und Kreuzfahrtschiffe haben einen Verbrauch von bis zu 10 Megawatt. Das be- deutet, dass in der Nähe der Hafenstädte neue Kraft- werke gebaut werden müssten, mit allen möglichen öko- logischen Folgen, wie zum Beispiel CO2-Belastung. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht nur europäi- sche oder gar nationale Regelungen treffen, sondern mit der IMO im Gleichklang sind. Deswegen müssen wir auch immer wieder auf der europäischen Ebene den mahnenden Finger erheben, durch Abweichungen von IMO-Standards nicht die Wettbewerbsfähigkeit der euro- päischen bzw. deutschen Schifffahrt zu gefährden. Wich- tiger für die gesamte Umwelt ist vielmehr, dass die EU ihre Einflussmöglichkeiten nutzt, um weltweit auf die Einhaltung der IMO-Standards zu drängen. Und bei al- lem gesetzgeberischem Eifer auf nationaler, europäi- scher oder weltweiter Ebene darf nicht vergessen wer- den, dass vor allem ein Schwerpunkt auf die Forschung gesetzt werden muss. Denn neue Technologien können zu erheblichen Verbesserungen führen, weshalb unsere Gesetzgebung diesem Potenzial Rechnung tragen muss. Es ist eben im Zweifel nicht sinnvoll, wenn der Gesetz- geber eine einzusetzende Technologie vorschreibt, son- dern es ist besser, wenn er Zielvorgaben festlegt, was die Obergrenze einer Belastung darstellen soll, damit sich dann der effektivste Weg zur Umsetzung dieser Zielvor- gabe durchsetzt. So hat sich das Konzept von der Ein- richtung besonders sensibler Seegebiete, SECA’s, in de- nen besondere Abgaswerte gelten, bewährt, auf diesem Weg sollte bei den aktuellen Verhandlungen zur Revi- sion des Annex 6 des MARPOL-Übereinkommens kon- sequent weitergegangen werden. Letztlich kann Deutschland durch schärfere Grenzwerte nur gewinnen, denn es hat die Technologieführerschaft und profitiert durch eine saubere Umwelt. Da die deutsche Handels- flotte mit einem Durchschnittsalter von sechs Jahren pro Schiff zu den modernsten Flotten der Welt gehört, ist sie damit auch die umweltfreundlichste Flotte der Welt. Es ist deshalb auch richtig und wichtig, dass die deutschen Reeder bei diesen aktuellen Verhandlungen um Verbes- serungen der Schadstoffbelastungen durch die Schiff- fahrt eine sehr positive Rolle spielen. So tritt der Ver- band Deutscher Reeder dafür ein, dass bei den laufenden Verhandlungen der IMO über eine Verschärfung der Grenzwerte im Annex 6 des MARPOL-Übereinkom- mens eine weitere Reduktion des Schwefelgehaltes welt- weit erreicht wird, und das nicht nur in besonders sensi- blen Gebieten wie der Ost- und Nordsee. Im Laufe dieses Jahres ist mit der Verabschiedung eines neuen Annex 6 zu rechnen, das wäre ein gutes Ergebnis der laufenden Verhandlungen. Die Notwendigkeit, nur Maßnahmen von globalem Ausmaß zu ergreifen, gilt für den Bereich des Luftver- kehrs gleichermaßen. Örtlich begrenzte Maßnahmen würden zu Ausweicheffekten führen. Verkehre – und so- mit CO2-Emissionen – würden nicht wegfallen, sondern sich nur verlagern. Klimaschutz kann aber nur gelingen, wenn er weltweit praktiziert wird. Nicht zuletzt aus die- sem Grunde muss der geplante, auf das Gebiet der Euro- päischen Union beschränkte Emissionshandel im Luft- verkehr kritisch beurteilt werden. Seit der letzten ICAO- Vollversammlung vergangenen Herbst in Montreal ist offensichtlich, dass der Europäische Weg ein Alleingang werden wird. Bedeutende Nationen wie die Vereinigten Staaten und China lehnen den Emissionshandel katego- risch ab. Somit wird Luftverkehr allein in Europa künst- lich verteuert; dies geht insbesondere zulasten der euro- päischen Fluggesellschaften. Durch diese zusätzlichen finanziellen Belastungen wird deren Wettbewerbsfähig- keit im internationalen Vergleich spürbar beeinträchtigt. Dabei ist der Nutzen des auf Europa beschränkten Emis- sionshandels für Umwelt und Klima mehr als fraglich. Nur acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen des Luftverkehrs stammen von innereuropäischen Flügen. Mit Einführung des Handelssystems reduziert sich je- doch die Finanzkraft der Fluggesellschaften spürbar, um in neue emissionsärmere Techniken investieren zu kön- nen. Nach Berechnungen der Beratungsgesellschaft Ernst & Young werden die Airlines mit bis zu 65 Milliarden Euro bis zum Jahr 2022 zusätzlich belastet. Im Europäischen Rat wurde am 20. Dezember 2007 eine Einigung über die Eckpunkte eines europäischen Emissionshandels erzielt. Danach wird die zulässige Ge- samtemissionsmenge für den Luftverkehr ab 2012 auf 100 Prozent des Durchschnitts der Emissionen der Jahre 2004 bis 2006 festgesetzt. Bei einem jährlichen Wachstum von mindestens 4 Prozent bleibt bei Beginn der ersten Handelsperiode somit ein Viertel der Flugbe- wegungen rechnerisch unberücksichtigt. Oder mit ande- ren Worten: Die Luftverkehrswirtschaft müsste zwi- schen 2007 und 2012 ihre CO2-Emissionen um jährlich 4 Prozent reduzieren, um nicht gezwungen zu sein, Zer- tifikate zuzukaufen. Das Handelssystem fordert von den Fluggesellschaften somit Verbesserungen in einem Maße, das technisch nicht zu realisieren ist, bevor es überhaupt in Kraft getreten ist. Klimaschutzmaßnahmen, die an den Realitäten vorbeigehen, werden aber die euro- päische Luftfahrt schwer schädigen und es schwer ha- ben, auf Akzeptanz zu stoßen. Die Forderung nach Einführung einer Kerosinsteuer ist Sinnbild der ideologisch geprägten Abneigung der Antragsteller gegen das Verkehrsmittel Flugzeug. Die Erhebung einer Steuer auf den Treibstoff führt zu keiner- lei klimaschützender Wirkung; sie führt allein zu einer Verteuerung des Fliegens. Die Einnahmen stehen dem Finanzminister zur freien Verfügung. Eine Zweckbin- dung, zum Beispiel zur Förderung von Klimaschutzmaß- nahmen, ist als Steuer unzulässig. Zudem wird die deut- sche Luftverkehrswirtschaft durch die Erhebung einer Kerosinsteuer gegenüber ihren europäischen und inter- nationalen Wettbewerbern entscheidend benachteiligt. Durch Kompensationsmaßnahmen werden so den zu- sätzlichen Steuereinnahmen Stellenabbau und Arbeitslo- sigkeit für eine Vielzahl von Beschäftigten entgegenste- hen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14439 (A) (C) (B) (D) Eine deutliche Reduzierung der von den Flugzeugen emittierten Schadstoffe ist unabdingbar. Diese zu errei- chen, kann jedoch nicht allein Aufgabe der Airlines sein. Durch Errichtung des Single-European-Sky, SES, und funktionaler Luftraumblöcke wäre es möglich, die Emis- sionen auf einen Schlag um 16 Prozent zu senken. Nur wurden hierfür noch keinerlei Voraussetzungen geschaf- fen. Nach derzeitiger Verfassungslage ist es ausländi- schen Flugsicherungsorganisationen nicht erlaubt, in Deutschland Flight Control anzubieten. Zudem ist es der Deutschen Flugsicherung GmbH, DFS, wegen der Bin- dung an die Bundeshaushaltsordnung faktisch verwehrt, im Ausland aktiv zu werden. Die Bundesregierung hat es nach über einem Jahr seit der Nichtausfertigung des Flugsicherungsgesetzes durch den Bundespräsidenten nicht geschafft, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ge- eignet ist, diese Missstände abzustellen. Statt anzupa- cken und die wirklich klimaschützende Maßnahme SES voranzutreiben, verliert sich die Partei des Bundesum- weltministers in einer Diskussion, ob die DFS kapitalpri- vatisiert werden sollte oder nicht. Ein anderer wichtiger Schritt ist der bedarfsgerechte Ausbau der Infrastruktur. Es geht dabei nicht darum, die Grundlage für mehr Luft- verkehr zu schaffen. Vielmehr reichen die Start- und vor allem Landekapazitäten der Flughäfen nicht mehr aus, den derzeitgen Gegebenheiten gerecht zu werden. Durch unzählige, durch Kapazitätsengpässe notwendig wer- dende Warteschleifen verbraucht allein Lufthansa täg- lich so viel Kerosin, wie für elf Flüge zwischen Frank- furt und New York benötigt wird – mit all den negativen Auswirkungen auf das Klima und zusätzlichem Lärm in den Flughafenanrainergebieten. Lassen Sie uns den Luftverkehr nicht verteufeln und so tun, als wenn die Airlines nur durch Zwang zu CO2- reduzierenden Maßnahmen zu bewegen seien. Vielmehr besteht auch bei den Fluggesellschaften seit jeher ein ur- eigenes Interesse an einer Senkung des Kerosinver- brauchs und somit einer Verminderung der emittierten Schadstoffe. Um Kosten zu verringern, investieren sie in eine stetige Modernisierung ihrer Flotten. So gelang es beispielsweise der Lufthansa AG, den durchschnittlichen Treibstoffverbrauch ihrer Flugzeuge um knapp 30 Pro- zent in 15 Jahren zu reduzieren. Dieses Bestreben ver- stärkte sich in letzter Zeit durch die immense Steigerung der Ölpreise. Der Anteil der Kerosinkosten an den Be- triebskosten erhöhte sich von 14 Prozent im Jahre 2003 auf 26 Prozent in 2006; fast eine Verdoppelung in drei Jahren. Klimaschutz ist gut und notwendig. Er darf aber nicht dazu führen, dass der Wettbewerb verzerrt wird und un- gleiche Bedingungen für die Marktteilnehmer geschaf- fen werden. Wir müssen darauf achten, dass Deutsch- land und Europa nicht vom Rest der Welt abgekoppelt werden und das Wachstum in anderen Teilen der Welt stattfindet. Denn damit wäre dem Klima auch nicht ge- holfen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Ein wichtiges Thema der letzten Wochen war die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel; die politische Einigung des Rates hat für Wirbel gesorgt. Für die Linke ist dieser Beschluss skandalös, weil er jegliche Bemü- hungen, das atemberaubende Wachstum des klimaschäd- lichen Luftverkehrs wirksam zu bremsen, aushebelt. Dass die Bundesregierung den Ratsbeschluss begrüßt, weil er „weitgehend den deutschen Verhandlungszielen“ entspreche, wie im BMU-Bericht über die Umweltrats- sitzung zu lesen ist, zeigt, wie ernst die Koalition den Klimaschutz nimmt. Der Ratsbeschluss hat die Uhr wie- der zurückgedreht auf den unakzeptablen Kommissions- entwurf. Alle fortschrittlichen Änderungen des EU-Par- laments wurden verworfen. Nunmehr soll die zugeteilte Gesamtmenge nicht 90, sondern 100 Prozent des Durchschnitts der Jahre 2004 bis 2006 betragen. Das System soll nicht 2011, sondern erst 2012 starten. Und es sollen gerade einmal 10 Prozent der Rechte versteigert werden. Warum hat die Bundesregierung hier nicht das Parlament unterstützt? Und warum hat sie nicht für eine 100-prozentige Verstei- gerung der Emissionsrechte gekämpft? Oder wenigstens für den Vorschlag des EP, nachdem 25 Prozent der Zerti- fikate versteigert werden sollten? Minister Gabriel dürfte doch aus dem EU-Emissionshandelssystem bekannt sein, dass die kostenlose Vergabe nicht zu Preissenkun- gen, sondern ausschließlich zu leistungslos erzielten Ex- tragewinnen der Betreiber führt! Eine Studie der Interna- tional Air Transport Association, IATA, bestätigt dies. Danach werden die Fluggesellschaften den Marktpreis der kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen vo- raussichtlich zu 75 Prozent auf den Ticketpreis überwäl- zen. Infolge dessen werden die Gewinne der Fluggesell- schaften durch die Einbeziehung in den Emissionshandel nicht sinken, sondern steigen. Die erzielten Windfall Profits werden höher sein als die Kosten der Emissions- vermeidung, so die Studie! Wenn dem so ist, dann darf man fragen, wie bei einem solchen System eine ökologi- sche Lenkungswirkung eintreten soll. Dies gilt umso mehr, als sich laut IATA-Schätzung der Ticketpreis durch das System lediglich um 1,5 bis 3,5 Prozent erhöhen wird. Dies wird niemanden vom Wochenendtrip nach Barcelona abhalten. Zudem igno- riert die Bundesregierung offensichtlich die Aussagen des Weltklimarates IPCC, nach der die indirekten Ef- fekte des Flugverkehrs wie NOx und Wasserdampf die Treibhauswirkung je Tonne ausgestoßenem CO2 um den Faktor 2 bis 4 erhöhen. Ansonsten hätte sie die Forderung des EU-Parlaments unterstützt – und nicht blockiert –, nach der der Zukauf von Emissionsberechtigungen aus dem ETS oder aus CDM/JI zur Nutzung im Flugverkehr nur mit dem Faktor 2 je angefordertem Zertifikat gestat- tet sein sollte. Nun geht Kohlendioxid nur mit Faktor 1 ein. Die Verzahnung mit dem EU-Emissionshandel so- wie darüber mit CDM und JI wird dazu führen, dass der Flugverkehr fast ungezügelt wachsen kann. Er kann zu- mindest um 20 Prozent zunehmen; denn das soll nun die Obergrenze der möglichen CDM/JI-Anrechnung sein. Das ganze Problem hätte man umgangen, wenn der Emissionshandel im Flugbereich ein eigenes abgeschlos- senes System wäre. Dann entstünde nämlich für dessen Emissionen ein echter Deckel. Der wird aber angehoben, wenn Emissionsrechte aus dem Energie- oder Industrie- sektor hinzugekauft werden können, und zwar ver- 14440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) gleichsweise billig, da die Umweltwirkungen im Emis- sionsfaktor nur zu einem Viertel berücksichtigt werden. Der Antrag der Grünen entspricht im Wesentlichen unse- rer Kritik. Wir unterstützen ihn und hoffen, dass das EU- Parlament den Ratsbeschluss zurückweist. Auch den Antrag der Grünen-Fraktion zur Einbindung des Schiffs- verkehrs in die Reduktionsverpflichtungen des Kioto- Nachfolgeprotokolls und zur Minderung der Schiffs- emissionen können wir unterstützen. Zu den Einzelhei- ten werden wir uns sicher im Ausschuss verständigen. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erstens zu Drucksache 16/5967: Der Deutschen Bank Research zufolge ist bei den weltweiten Verkehrsdienst- leistungen in den nächsten 20 Jahren mit einer Zunahme von rund 50 Prozent zu rechnen. Der Luftverkehr boomt. Er nimmt mit einem jährlichen Wachstum von rund 5 Prozent überproportional zu. Die Menschen fliegen immer mehr, große Mengen von Waren und Güter wer- den täglich rund um den Globus transportiert. Unbestritten trägt der Luftverkehr mit seinen Emis- sionen zum Klimawandel bei. In keinem anderen Sektor wachsen die Treibhausgasemissionen schneller als im Luftverkehr. Das IPCC prognostizierte, dass sich bei an- haltendem Wachstum gegenüber 1990 allein die CO2- Emissionen aus dem Flugverkehr bis 2015 verdoppeln und bis 2030 verdreifachen werden. Das Umweltbundes- amt erwartet eine Verdreifachung der Kohlendioxidbe- lastung bis 2030 allein durch den deutschen Flugverkehr. Nur die auf den internationalen Flugverkehr zurückge- henden Treibhausgasemissionen der EU sind seit 1990 um 87 Prozent gewachsen, 2004 stieg der Anteil um weitere 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die EU ist verantwortlich für ungefähr 50 Prozent al- ler CO2-Emissionen der Industrieländer aus der interna- tionalen Luftfahrt. Es besteht die Gefahr, dass innerhalb der EU der wachsende Anteil der Gemeinschaft an die- sen Emissionen mittelfristig die Reduktionen, zu denen sich die EU im Kioto-Protokoll verpflichtet hat, wieder zunichte machen wird. Wenn der Trend ungebrochen an- hält, werden sämtliche Einsparungen im Straßenverkehr, der Wirtschaft, der Energiewirtschaft und Haushalte auf- gebraucht. Der Luftverkehr muss dringend seinen Bei- trag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel für Kohlendioxid ist daher ein wichtiger klimapolitischer Schritt und ein deutliches Signal an die Luftwirtschaft. Bereits vor einem Jahr hatte die EU-Kommission den Richtlinienvorschlag zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel für Kohlendioxid vorgelegt KOM (2006) 818 endgültig. Inzwischen wurde er in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments be- raten und zum Teil erheblich nachgebessert. Die Debatte um den Vorschlag ist noch nicht abgeschlossen. Um den Klimaschutzanforderungen zu begegnen, brauchen wir ein umfangreiches Konzept zur konse- quenten Ökologisierung des Flugverkehrs. Hierzu gehö- ren ambitionierte Vorgaben für den Emissionshandel im Luftverkehr (Einbezug aller klimaschädigenden Sub- stanzen, mindestens CO2 mal Faktor 2; Einbezug aller Flüge schon in der Startphase; Versteigerung von mind. 50 Prozent der Emissionszertifikate; wirksame Reduk- tionsverpflichtungen mit transparenten Zeitplänen etc. Hinzu müssen Maßnahmen zur Optimierung des Luft- verkehrsmanagements treten: verbesserte Flugrouten, Umsetzung des European-Single-Sky. Von entscheiden- der Bedeutung ist die Umgestaltung der Rahmenbedin- gungen, um falsche Anreize zu korrigieren und Anreize für umweltfreundliche Innovationen zu setzen. Dazu ist ein Maßnahmenpaket zur Internalisierung der externen Kosten des Flugverkehrs und Gleichstellung der Ver- kehrsträger im Rahmen einer ökologischen Finanzre- form notwendig. Die Luftverkehrsinfrastruktur sollte ei- ner bundesweiten Regulierung und Planung unterliegen, die dem Leitbild eines nachhaltigen Flugverkehrs und nicht regionalen Entwicklungsinteressen verpflichtet ist. Schließlich müssen wir alle Potenziale für die Entwick- lung ökoeffizienter Flugzeuge ausschöpfen und For- schung und Entwicklung für emissionsarme, leise und verbrauchsarme Flugzeuge. Zweitens zu Drucksache 16/6790: Schiffe stehen in dem Ruf, umweltverträgliche Transportmittel zu sein. Doch ist das – noch – richtig? Ist dieses Potenzial ausge- schöpft? Nicht nur in Hafenstädten sorgen laufende Schiffsmotoren für schlechte Luft und schädigen unser Klima, produzieren Lärm und mindern die Lebensquali- tät. Auch die klimarelevanten Emissionen aus Schiffen auf hoher See, selbst weit ab von jeder menschlichen Be- hausung, belasten Umwelt und Ökosysteme. Auf unse- ren Meeren fahren echte Dreckschleudern. Als Treib- stoffe werden häufig Abfälle aus Erdölraffinerien genutzt, die an Land als Sondermüll entsorgt werden müssten. Vergleichbare Abgasmengen – wie denen aus Schiffen – würden für Fahrzeuge in Innenstädten zur Stilllegung führen. Die Trends sind Anlass zur Sorge, denn sie drohen, sich angesichts wachsenden Schiffsver- kehrs zu verschärfen. Wir müssen Antworten auf die Frage finden, wie ein ökologisch verträglicher Schiffsverkehr aussehen kann und mit welchen Instrumenten und Maßnahmen wir auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene hierzu beitragen können? Anfang 2008 will die Europäische Kommission die Meeresstrategie-Richtlinie präsentieren, die sich maß- geblich mit dem Schutz der Meere beschäftigen wird. Schiffsemissionen spielen in der öffentlichen Debatte um Klima- und Energiepolitik noch eine untergeordnete Rolle. Angesichts der zunehmenden Belastungen unse- rer Meere durch Schiffsemissionen, Einträge aus der Landwirtschaft, Überfischung und unsichere Schiffe sei eine stimmige Strategie zum Schutz der Meere dringend notwendig. Schließlich haben die Meere für die EU eine besondere Bedeutung als Transportweg, Nahrungs- quelle, Handelsroute, Erholungsgebiet und wichtiger Be- standteil im Klimasystem. Meere halten das Klima im Gleichgewicht, indem sie etwa die Hälfte des vom Men- schen erzeugten Kohlendioxids binden. Der Schutz der Meere muss auch im Interesse der EU liegen: Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben in Küs- tengebieten, dort werden 40 Prozent des Bruttoinlands- produkts erwirtschaftet. Nahezu alle weltweit gehandel- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14441 (A) (C) (B) (D) ten Waren werden über die Meere transportiert. Daher muss die EU eine umfassende und nachhaltige Schutz- politik für unsere Meere entwickeln. Die aktuellen Vor- schläge für eine Europäische Meerespolitik sind erste zaghafte Schritte, um die Emissionen aus dem Schiffs- verkehr in den Griff zu bekommen: Die Kommission schlägt vor, die Einrichtung von Landstromanschlüssen in Häfen zu prüfen, Landstrom von der Steuer zu be- freien und den Schwefelgehalt in Kraftstoffen deutlich zu senken. Schätzungen zur Folge wird der Schiffsverkehr bis zum Jahr 2020 um knapp 60 Prozent wachsen, der CO2- Ausstoß wird im selben Zeitraum um 72 Prozent zuneh- men. Während für den Straßenverkehr festgelegte Re- duktionsziele in der Umsetzung sind, fehlen ähnliche Regelungen bisher im Schiffsverkehr. Wie die Flugzeug- emissionen gehören die Schiffsemissionen bei den Kli- maverhandlungen um ein Kioto-Folgeabkommen auf die Tagesordnung. Möglicherweise kann der Schiffsverkehr in einen internationalen Handel mit Emissionsrechten einbezogen werden, so wie es jetzt für den Flugverkehr in Vorbereitung ist. Auch lokale Maßnahmen sind not- wendig wie die Versorgung mit Landstrom für Schiffe, die in Häfen liegen, eine deutlich bessere Qualität der Kraftstoffe bis zum gänzlichen Verbot von Schweröl in der Schifffahrt. Bedeutsam sind weitere Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung für alternative Antriebe und Treibstoffe und mehr Effizienz im Schiffsverkehr. Ziel muss es sein, die Ökobilanz der Schifffahrt zu verbessern. Neben nationalen Maßnahmen wie emis- sionsbezogene Gebühren garantieren vor allem internati- onale Vereinbarungen weltweit gleiche Standards für alle. Für den globalen Schiffsverkehr müssten die Staa- ten in der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) gemeinsame Regelungen finden. Wirksamer als jede Einzelmaßnahme ist eine Energie- und Effizienzstrategie für den Schiffsverkehr, die an allen Ebenen ansetzt: von Vereinbarungen der Internationalen Schifffahrtsorgani- sation über ein Vorangehen der EU, wo auf internationa- ler Ebene Stillstand herrscht, bis zu verbesserten Kraft- stoffen und der Nutzung erneuerbarer Energien wie Windkraft und Sonnenenergie. Fazit: Schiffs- und Flugverkehr gefährden als Wachs- tumsbranchen das Klima und unterlaufen Klimaschutz- politik, wenn sie nicht endlich unter Berücksichtigung ihrer Emissionsbilanz geregelt werden. Ohne Klima- schutz im Flug- und Schiffsverkehr kein wirksamer Kli- maschutz. Nationales und internationales Handeln ist überfällig! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Erhaltungsrückstand bei Bundesfern- straßen beenden (Tagesordnungspunkt 19) Renate Blank (CDU/CSU): Der heute vorliegende „Schaufensterantrag“ der Grünen-Fraktion macht Fol- gendes deutlich: Erstens. Opposition ist schwierig und frustrierend, zu- mal, wenn man, wie die Grünen, mitregiert hat. Zweitens. Wenn man als Opposition nichts wirklich umsetzen muss, kann man jedes Sonderprogramm ein- fordern – auch wenn man dies in der eigenen Regie- rungsveranwortung noch vehement abgelehnt hat. Drittens. Wenn Landtags- und Kommunalwahlen an- stehen, werden Positionen neu formuliert, auch wenn in den Ländern und Kommunen von den eigenen Mitglie- dern eine völlig andere Haltung vertreten wird. Zum Beispiel: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, „Da- tenautobahn statt Straßenbau“ etc. Das sind nur einige der programmatischen Aussagen zum Straßenbau von Grünen vor Ort aus der letzten Zeit. Umso überraschender der Antrag der Grünen. Plötz- lich ist davon die Rede, dass mangelhafte Straßenquali- tät mehrere negative Folgen haben. So, als hätten Sie nie mitregiert – die Grünen wollten doch immer beim Stra- ßenbau einsparen und die dann frei werdenden Mittel auf die Schiene verlagern. Die Politik der Grünen-Fraktion war doch immer bestimmt von Kürzungen für den Stra- ßenbau – wie ich selbst jahrelang miterleben und mit- erleiden durfte. Verhinderungspolitik war doch immer ideologisch motivierte Grünen-Politik. Ich kann mich an viele Debatten – ich denke an den Bundesverkehrswege- plan, das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und andere – erinnern. Ihre Linie der ideologisch moti- vierten Kürzungen im Straßenbau führte zu einem Inves- titionsstau, zu Überlastungen im Straßennetz, und daraus resultieren auch viele Straßenschäden, die Sie heute wortreich beklagen. Sehr entlarvend ist Ihr Antrag. Hätten wir noch 2005 einen solchen Antrag vorgelegt, wäre er von Ihnen in Bausch und Bogen abgelehnt worden. Ich kann mich noch gut erinnern, als Vertreter grüner Ideologien das Bedürfnis der Menschen nach Mobilität negierten und Treibstoffpreise durch Zwangsabgaben wie die Öko- steuer auch noch künstlich verteuerten. Jetzt beklagen Sie zu wenig Mittel für die Sanierung der Bundesfern- straßen. Ich bin jetzt seit 1990 im Bundestag. Dass ich das noch erleben darf. Wer hätte das gedacht. Allerdings erweist sich dadurch: Sie hätten unseren stets massiv be- kämpften Anträgen in Ihrer Regierungszeit zustimmen müssen, sie geben also im Grunde zu, dass Ihre Haltung falsch war. Späte Einsicht ist aber immer noch besser als keine Besinnung. In den wenigen Landtagen, in denen die Grünen sind, stellen Sie eifrig weiter Anträge, um Straßenbau generell zurückzufahren – Motto: Bildung statt Beton – und hier im Bundestag beklagen Sie sich im Antrag wortreich über Schlaglöcher und Spurrillen auf Straßen – eine be- merkenswerte, gleichwohl durchschaubare Doppelstra- tegie. Das nimmt dann teilweise groteske Züge an, wenn Sie scheinheilig und mit verkehrspolitischen Krokodils- tränen beklagen – und ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Mangelhafte Straßenqualität hat mehrere negative Fol- gen: Teilweise ist direkt die Verkehrssicherheit betroffen, etwa durch starke Spurrinnen auf der rechten Fahrbahn. Geschwindigkeiten müssen reduziert werden, wodurch es zu vermehrten Stauereignissen kommt … 14442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Abgesehen von dieser bemerkenswerten Zustandsbe- schreibung, die übrigens in meinen Augen ein sehr ein- drucksvolles Plädoyer gegen das Tempolimit ist: Wen wollen Sie denn damit beeindrucken? Jahrzehnte haben Sie verkehrspolitisch alles getan, dass es doch genau dazu kommt. Jede Maßnahme gegen Straßen- und Infra- strukturprojekte war Ihnen recht. Gott sei Dank haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land kein so ein schlechtes Gedächtnis, wie Sie es sich vielleicht für ihre Politik erhoffen. Eine Einschränkung von Mobilität beeinträchtigt nicht nur unsere Lebensqualität, sondern gefährdet auch unsere wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Der tägliche Stau in Deutschland ist eine auch ökolo- gisch nicht hinnehmbare Geld- und Zeitvernichtungsma- schinerie. Studien zeigen auf, dass durch den täglichen Stau 13 Millionen Stunden Zeitverlust im Jahr eintreten und 33 Millionen Liter Kraftstoff zusätzlich verbraucht werden. Nachhaltige Mobilität zu schaffen und zu erhal- ten, ist also eine komplexe Herausforderung an die Ge- sellschaft, in der finanzpolitischer Spielraum für den Erhalt, den Ausbau und den Neubau von Verkehrsinfra- struktur immer enger wird. Nehmen Sie nur den wichtigen Klimaschutz, dann wird deutlich, dass Infrastrukturausbau aktiver Umwelt- schutz ist. Eine Aussage, die Sie, meine Damen und Her- ren von den Grünen, seit Jahren höhnisch belächelt ha- ben. An den Engstellen in unserem Straßennetz und im Stop-and-go-Verkehr verpuffen täglich bis zu 500 Mil- lionen Liter Kraftstoff sinnlos. Das muss noch in die Köpfe der Grünen-Fraktion rein: Nicht nur die Wirt- schaftlichkeit, auch die Umwelt braucht bedarfsgerech- ten – denken Sie nur an Ihren Widerstand gegen die Planungsbeschleunigungsgesetze – und schnellen Infra- strukturausbau. Vielleicht ist dieser Antrag ja ein An- fang. Man darf gespannt sein, wie ernst Sie das wirklich meinen. Wir müssen in Zukunft mehr Geld für die Straßenver- kehrsinfrastruktur ausgeben. Die Finanzierungsengpässe dürfen nicht zum Hemmschuh für die wirtschaftliche Ent- wicklung werden. Die zusätzlichen Steuereinnahmen müssen auch in dringende Investitionen fließen. Wenn zum Beispiel der Benzinpreis um 10 Cent steigt, nimmt der Staat rund 2 Cent pro Liter zusätzliche Mehrwert- steuer ein. Da geht es also schon aktuell um Hunderte von Millionen Euro. Meiner Meinung nach muss das Auslaufen der VDE- Maßnahmen genutzt werden, die dort frei werdenden Mittel in den Ausbau wichtiger Ost-West-Achsen zu len- ken, die durch die Öffnung nach Osten starke Verkehrs- zuwächse haben. Auch Ausbaumaßnahmen in den alten Bundesländern müssen mehr berücksichtigt werden. Um unseren Aufgaben aber insgesamt gerecht zu werden, bei der Bestandserhaltung ebenso wie beim Neubau und Ausbau, brauchen wir eine dauerhaft ausreichende, so- lide und berechenbare Finanzausstattung und keine Son- derprogramme. Die im Grünen-Antrag vorgesehene Umschichtung von Haushaltsmitteln würde allerdings dazu führen, dass für den Neubau von Straßen notwendige Mittel einfach nicht zur Verfügung stehen. Aus verkehrspolitischer Sicht ist es sicherlich wünschenswert, insgesamt mehr Mittel für den Straßenbau zur Verfügung zu haben. Dies muss sich aber in den Gesamtrahmen des Haushaltes einfügen. Ich lade heute die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen daher herzlich dazu ein, sich gemeinsam mit uns für eine Verbesserung der Finanzausstattung des Bundesfernstraßenbaus einzuset- zen – dann werden wir ja sehen, ob Ihr Antrag Substanz hat oder nur reine Augenwischerei war. Korrigieren Sie mich, aber finanzielle Erfolge der Grünen in Sachen Verkehrsinvestitionen in der letzten Legislaturperiode sind mir jedenfalls nicht bekannt. Fakt ist: Die Verkehrspolitiker von CDU/CSU und SPD ha- ben sich trotz der angespannten Finanzen schon bei den Koalitionsverhandlungen und den jeweiligen Haushalts- beratungen seit der Wahl 2005 in der Frage der Ver- kehrsinvestitionen durchsetzen können. Diese wurden erhöht und verstetigt. Es ist ein Erfolg der Verkehrspoli- tiker der Großen Koalition, dass der Mittelansatz für den Bundesfernstraßenbau für das Jahr 2008 um 225 Millio- nen Euro erhöht wurde. Die CDU/CSU fordert auch weiterhin den Einsatz privaten Kapitals durch öffentlich-private Partnerschaf- ten im Bundesfernstraßenbau. Wir müssen jede realisti- sche Chance ergreifen, das deutsche Verkehrsnetz auf ei- nen Standard zu bringen, der aktuellen und künftigen Anforderungen gerecht wird. Um Engpässe auf Auto- bahnen zu entschärfen, müssen deshalb zügig neue PPP- Verkehrsprojekte aufgelegt werden. Der Vorteil liegt da- rin, dass mit der Mobilisierung privaten Kapitals Zeit ge- wonnen wird. Wichtige Verkehrsprojekte werden we- sentlich schneller realisiert als über die konventionelle Haushaltsfinanzierung. Bürger und Wirtschaft profitie- ren davon – unter dem Strich ein Gewinn für alle. Unser Ziel muss sein, Infrastrukturinvestitionen wei- ter zu verstetigen und zu stärken, damit wir Engpässe be- seitigen und die Substanz erhalten können. Wir müssen Substanzverzehr verhindern. Ich danke und ermutige die Kolleginnen und Kolle- gen im Haushaltsausschuss, die anlässlich der Haus- haltsberatungen auch über das Problem gesprochen haben, den Finanzplan insbesondere bei den Fernstra- ßeninvestitionen in den nächsten Jahren entsprechend anzupassen. Aus den Einnahmen der Lkw-Maut könnten noch mehr Mittel für den Straßenbau zur Verfügung ge- stellt werden. Der Verkehrsminister sollte hier in Ver- handlungen mit dem Finanzminister eintreten, um nach einer erfolgreichen Haushaltskonsolidierung mehr Geld für den Straßenneu- und -ausbau zu erhalten. Wir sollten wirklich alle Möglichkeiten nutzen, die uns die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft bietet, hier noch effizienter und flexibler zu werden. Aber in der Großen Koalition gibt es bei diesem wichtigen Thema noch Diskussionsbedarf. Die Koalitionsfraktionen setzen wie schon bisher auf solide Staatsfinanzen und zugleich auf eine möglichst hohe Investitionskraft. Wir tun was für den Straßenaus- und -neubau. Klar ist: Marode Straßen sind keine Lappa- lie, Gefahren müssen beseitigt werden. Nach Lage der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14443 (A) (C) (B) (D) öffentlichen Haushalte in Deutschland ist es aber unse- riös, mit immer neuen Forderungen Wahlkampf zu be- treiben. Die Große Koalition bietet hingegen seriös finanzierte Politik an, die sich nicht an einem Wettlauf der Versprechungen beteiligt. Wir versprechen nur, was wir auch halten können. Diese Regierungskoalition wird weiter ihren Beitrag dazu leisten, das Bundesfernstraßennetz in seiner Leis- tungsfähigkeit zu verbessern, weiterhin bedarfsgerecht auszubauen und zukunftsfähig zu gestalten. Auf diese Weise kann Deutschland seine Position als eine der füh- renden Industrienationen nachhaltig sichern. Auch die wichtige Mobilität aller Bürgerinnen und Bürger wird gewährleistet – gerade in einer Zeit, wo Flexibilität und Mobilität Voraussetzungen für unsere Arbeitswelt sind. Die Qualität von Deutschlands Bundesfernstraßen in Ost und West kann sich sehen lassen. Dafür werden wir auch in Zukunft sorgen. Hierzu werden wir als CDU/ CSU-Fraktion in der Koalition weiterhin Akzente set- zen. Wir wollen dies gemeinsam tun, mit allen, die in diesem Hause zur Zusammenarbeit bereit sind – zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Ich bin überzeugt: Wir sind auf dem richtigen Kurs. Jörg Vogelsänger (SPD): Beim Ausbau der Infra- struktur sind wir in Deutschland gut vorangekommen. Das betrifft Straße, Schiene und Wasserstraße gleicher- maßen. Die desolate Infrastruktur in Ostdeutschland, die wir 1990 vorgefunden haben, ein schweres Erbe der Mangelwirtschaft des Staatssozialismus der DDR, ge- hört der Vergangenheit an. Die Hauptachsen waren nach der Deutschen Einheit dem neuen nationalen und internationalen Verkehrsauf- kommen nicht mehr gewachsen. Die notwendige Kapa- zitätserweiterung war nur mit einer Priorität des Neu- baues möglich. Einen wesentlichen Anteil daran haben die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“. Davon profi- tiert Deutschland insgesamt, nicht nur Ostdeutschland. Die A 2 nach Hannover, die A 9 nach Franken sind dafür nur zwei Beispiele. Mit dem weitestgehenden Abschluss dieser Projekte ist eine deutliche Verstärkung der Mittel für den Bereich Erhaltung und Sanierung möglich. Im Straßenbaubericht 2007 der Bundesregierung ist die Sicherung des vorhandenen Netzes der Bundesfern- straßen durch verstärkte Erhaltung als besonderer Schwerpunkt für den Verkehrsträger Straße aufgeführt. Gemeinsam mit den Bundesländern, den Auftragsver- waltern, erfolgte bereits diese neue Prioritätensetzung. Damit ist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen überflüssig und überholt. In den Jahren 2009 und 2010 sind insgesamt rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr für die Erhaltungsmaßnahmen im Bereich Bundesfern- straßen vorgesehen. Dies bedeutet eine deutliche Mittel- verstärkung für die Erhaltungsmaßnahmen. Das Thema Infrastruktur hat ohnehin eine besondere Priorität für die Große Koalition. In der mittelfristigen Finanzplanung 2006 bis 2009 sind 4,3 Milliarden Euro für Straße, Schiene und Wasserstraße zusätzlich er- kämpft worden. Dies ist ein wichtiger Erfolg für die Ver- kehrspolitik, für die Mobilität und für unsere Bürger. Zu- dem ist eine leistungsfähige Infrastruktur in einem größer werdenden Europa für die Verkehrsdrehscheibe Deutschland von entscheidender strategischer Bedeu- tung. Davon hängen in Deutschland Millionen Arbeits- plätze ab. Das betrifft den Bereich Bauwirtschaft ge- nauso wie den Bereich Logistik. Hinzu kommt, dass Neuansiedlungen nur bei entsprechender Infrastruktur stattfinden. Die Nähe zu einem Autobahnanschluss spielt dabei immer eine besondere Rolle. Die drei neuen Solarfabriken in Frankfurt (Oder) sind dafür ein Bei- spiel, wie der Aufbau Ost zusätzliche Impulse bekom- men kann. Mobilität und Infrastruktur sind Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung. In den Haushaltsberatungen für 2008 ist eine zusätzli- che Verstärkung der Mittel für die Infrastruktur erreicht worden. Hier sollten wir weiter kämpfen. Das bringt uns bei den notwendigen Maßnahmen im Bereich Neubau und Erhaltung am besten voran. Patrick Döring (FDP): Der vorliegende Antrag, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt die richtigen Fra- gen, liefert die richtigen Analysen, gibt dann aber leider die falschen Antworten. Die FDP-Bundestagsfraktion wird den vorliegenden Antrag deshalb ablehnen. In der grundsätzlichen Beobachtung muss ich den Grünen indes zustimmen: Es ist leider vollkommen rich- tig, dass sich der Zustand der Straßen in Deutschland kontinuierlich verschlechtert. Daran hat nicht zuletzt die rot-grüne Regierung der Jahre 1998 bis 2005 einen er- heblichen Anteil. Und – ich hatte dies nie für möglich gehalten – auch unter der Regierung einer christdemo- kratischen Kanzlerin fehlt es im Bereich der Verkehrs- infrastruktur überall an Geld, vor allem an Mitteln für die Erhaltung der Straßen. Der Etat für Erhaltungsmaß- nahmen bei Bundesautobahnen wurde im Haushalt 2008 sogar erneut um 130 Millionen Euro abgesenkt. Das ent- spricht einem Minus von 17,3 Prozent. Die Differenz zwischen Bedarf und vorhandenen Finanzmitteln wächst damit noch weiter – dabei hatte bereits die Pällmann- Kommission seinerzeit eine Nachhaltigkeitslücke von 15 Milliarden Euro diagnostizert. Die Politik von Rot-Grün und Schwarz-Rot hat sich in dieser Hinsicht tatsächlich als extrem unnachhaltig herausgestellt. Wertvolle Bausubstanz wird so lange ver- nachlässigt, bis wir irgendwann nicht mehr umhin kom- men werden, für viel Geld von Grund auf zu sanieren oder katastrophale Straßenverhältnisse in Kauf zu neh- men. Jeder Eigenheimbesitzer wird Ihnen sagen, dass das nicht vernünftig ist. Am Ende werden wir mehr zu bezahlen haben, als nachhaltige Erhaltungsinvestitionen uns in der Gegenwart jemals kosten könnten. Wir leben von der Substanz und überlassen die notwendigen Inves- titionen den nächsten Generationen. Das ist dumm, un- verantwortlich und fahrlässig. Es wird mir auf immer ein Rätsel bleiben, wie gerade die gegenwärtige Koalition in einer Phase der Hochkon- junktur und bei sprudelnden Einnahmen es geschafft hat, bei Mehreinnahmen von 50 Milliarden Euro die Neuver- schuldung um gerade einmal 18 Milliarden zu senken 14444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) und auf der anderen Seite nicht einmal die Investitionen merklich zu erhöhen. Dass die Kolleginnen und Kolle- gen von der SPD beim Umgang mit Geld so ihre Schwierigkeiten haben mögen, ist ja an sich nichts Neues, aber dass nun auch noch die Union sich mit die- sem roten Fieber angesteckt hat, finde ich geradezu er- schütternd. Dabei haben die Verkehrspolitiker der Koalition bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr mit ei- nem Antrag im Ausschuss selbst eingeräumt, dass im Verkehrsbereich vieles im Argen liegt. Doch herausge- kommen ist dabei so gut wie gar nichts. Daran ändert sich auch nichts, wenn Sie noch so oft sagen, Sie hätten den Etat um 600 Millionen aufgestockt. Das ist eine grobe Unwahrheit, wie Sie wissen. 600 Millionen mehr gab es nur gegenüber dem Entwurf für ein Verkehrshaus- halt 2008. Dieser Ansatz lag aber deutlich unter den Ausgaben des Jahres 2007. Real gibt es im nächsten Jahr gerade einmal 78 Millionen Euro mehr für den gesamten Straßenbereich. Bei Mehreinnahmen des Bundes – nicht zu vergessen – von 50 Milliarden Euro. Das ist nicht ein- mal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die Antwort der Grünen auf die verstetigte Nachhal- tigkeitslücke in unseren Infrastrukturinvestitionen lautet nun: Umschichtung. 300 Millionen Euro wollen sie vom Neubau in Erhaltungsmaßnahmen umleiten. Dabei feh- len schon jetzt 500 Millionen Euro pro Jahr, um die In- vestitionsziele des Bundesverkehrswegeplanes zu errei- chen. Der Gesamtetat liegt derzeit bereits bei unter 1 Milliarde Euro. Selbst unter Rot-Grün waren es im Jahr 2001 noch doppelt soviel; bevor dann in den folgen- den Jahren die Neubauinvestitionen gründlich gekürzt wurden. Von daher sollte man meinen, dass die Kolle- ginnen und Kollegen bei den Grünen schon recht zufrie- den mit ihren Erfolgen bei der Neubauverhinderung hät- ten sein dürfen. Aber offenbar wollen Sie keine Ruhe geben, solange in Deutschland auch nur ein Kilometer Autobahn oder Bundesstraße neu gebaut wird. Dem werden wir Freie Demokraten uns mit aller Kraft entgegenstellen; denn auch in der Gegenwart müs- sen wir unsere Infrastrukturen ausbauen. Infolge der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas und der Entstehung neuer Handelsbeziehungen im Zuge der Glo- balisierung müssen wir reagieren. Wir können nicht von der Hand weisen, dass die Wirtschaft wächst. Vor allem auch viele osteuropäische Staaten erleben einen enormen Aufholprozess. Wir können diesen Austausch zwischen den Nationen nun mutwillig blockieren, indem wir nichts gegen den sich anbahnenden Verkehrskollaps un- ternehmen. Oder wir können investieren, um fließenden und damit auch möglichst effizienten Verkehr zu ge- währleisten; denn Stau ist der größte Spritfresser und Umweltverschmutzer. Der Ausbau der Nord-Süd-Verbindungen in Ost- deutschland, Entlastungsstrecken für die rasant wach- senden Hinterlandverkehre, nicht zu vergessen der Bau neuer Umgehungsstraßen zur Entlastung der Ortskerne und der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger sowie zahlreiche noch ausstehende Lückenschlüsse erfordern ein stetiges Investitionsvolumen. Würde der Neubauetat, wie die Grünen es vorschlagen, mal eben um über 30 Prozent gekürzt, wären all diese Aufgaben nicht ein- mal im Ansatz zu lösen. Dabei geht es meines Erachtens hier nicht um den so oft beschworenen Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie. Verkehr ist eine unmittelbare Voraussetzung für ökonomischen, sozialen, aber auch ökologischen Fortschritt. Denn nur durch den intensiven Handel und Verkehr untereinander ist eine moderne Arbeitsteilung überhaupt möglich. In dem Moment, in dem der Verkehr zusammenbricht, bricht auch die moderne Wirtschaft zu- sammen. Diese Arbeitsteilung ist aber nicht nur unab- dingbar für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Verbesserung unseres Lebensstandards. Diese Arbeits- teilung ermöglicht auch einen viel effizienteren Ressour- ceneinsatz. Mit anderen Worten: Die moderne Arbeits- teilung spart Material und Energie. Oder andersherum gesagt: Wenn die Anschaffung eines Produktes zu um- ständlich oder teuer wird, wird der Bedarf durch eine ei- gene Produktion vor Ort gedeckt werden müssen. Statt einer großen Fabrik, die höchst effizient produzieren kann, haben sie also viele kleine Fabriken, die in der Summe einen viel größeren Materialaufwand haben, um die gleiche Menge zu produzieren. Das ist vielleicht ein wenig komplizierter, als die grüne Polemik gegen den vorgeblichen Umweltsünder Verkehr, aber man kommt nicht umhin, zu sagen: Handel und Verkehr sind die Vor- bedingung für Arbeitsteilung, und Arbeitsteilung ist die Voraussetzung für die ökonomische und ökologische Optimierung unserer Wirtschaft. Wenn wir diesen Fortschritt stützen wollen, dann brauchen wir eine ordentliche Verkehrsinfrastruktur – mehr Investitionen in die Erhaltung und den Bau neuer Straßen. Das haben die Grünen nie gelernt, und Schwarz-Rot offenbar leider vergessen. Nur die FDP be- herzigt in diesem Haus offenbar noch diese Lehren. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Damit singen CDU/CSU, SPD und FDP ein Lied von gestern. Das ist kein Hit, sondern eine alte Leier, die nur noch dazu taugt, uns aus den Ohren zu hängen. Denn es ist ja aller- orten zu sehen, dass wir mehr Verkehr ernten, wenn wir mehr Straßen säen. Diese Weisheit ist aktueller denn je. Dagegen hilft die „Mehr-Straßen-Melodei“ überhaupt nicht, wenn es da- rum geht, den Kernproblemen unserer Zeit zu begegnen. Weder dem Klimawandel ist damit abzuhelfen, noch den absehbaren Energieengpässen. Insofern bitte ich die Vertreter des „Alles-muss-mehr- werden“ innezuhalten und die Tatsachen zu beachten. In der Begründung des Antrags steht es klipp und klar: So wie der Bund das Geld im Verkehrsbereich verteilt, wird er den Erhalt der Straßen nur teilweise gewährleisten können: nur zu etwa zwei Dritteln bei den Bundesstra- ßen und nur etwa zur Hälfte bei den Autobahnen. Das ist zu wenig. Statt Denkkapazitäten in den Ingenieursbüros für oft auch abstruse Neubaupläne von Autobahnen zu ver- schleudern, fänden wir Linken es sinnvoller, Hirn- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14445 (A) (C) (B) (D) schmalz dafür zu nutzen, auch den Etat zum Erhalt von Straßen komplett auszugeben und nicht nur einen Teil davon. Wir können mit der Reparatur von Autobahnen und Bundesstraßen nicht erst dann anfangen, wenn uns Brücken komplett zerbröseln. Da türmt sich offensichtlich etwas auf, das uns und der Generation nach uns teuer zu stehen kommen wird – wenn wir daran nichts ändern. Der uns vorliegende An- trag weist uns angemessen in die richtige Richtung. Da sollten wir das eine Problem – das des mangelhaften Er- halts – nicht mit einem zweiten – nämlich dem, mehr Straßen zu wollen – vermischen. Im Sinne einer fruchtbaren Zusammenarbeit ein Ja der Linken zu diesem Antrag. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Vor dem Hintergrund des sich verschlechternden Erhal- tungszustands der Bundesfernstraßen hat die grüne Bun- destagsfraktion unter Drucksache 16/3141 beantragt, die Unterfinanzierung der Erhaltungsinvestitionen bei Bun- desfernstraßen von mindestens 300 Millionen Euro durch Umschichtung von Mitteln für Maßnahmen des Bedarfs- plans für die Bundesfernstraßen zu beenden und den auf- gelaufenen Instandhaltungsrückstand bei den Bundesfern- straßen durch ein zusätzliches Sonderprogramm mit einem jährlichen Volumen von 300 Millionen Euro über zehn Jahre abzubauen, das ebenfalls durch Umschichtung von Mitteln des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen finanziert wird. Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass sich der Erhal- tungszustand der Bundesfernstraßen in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat. Das hat im Ausschuss auch niemand behauptet. Anstatt dann aber mehr Geld für den Erhalt auszugeben, auch wenn das zulasten der Mittel für neue Maßnahmen gehen sollte, wird einfach nach mehr Geld gerufen. Mit dieser Taktik erreichen Sie, dass der Druck, zukünftig noch mehr für den Erhalt ausgeben zu müssen, nur noch steigt. Anstatt das Problem zu lösen, vergrößern und verschieben Sie es in die Zukunft. Dass große Teile der Politik das Problem noch nicht ein- mal ansatzweise verstanden haben, belegen die Ausführun- gen des Parlamentarischen Staatssekretärs Großmann im Ausschuss. Vordringlichstes Ziel vieler Wahlkreisabgeord- neter seien neue Straßen in ihrem Wahlkreis. Mit dieser Politik wird ein wichtiger Standortfaktor, nämlich eine zuverlässige Infrastruktur, geschwächt. Da- ran sollte aber in diesem Hause niemand Interesse ha- ben. Wenn Sie einer weiteren Verlotterung der Bundes- fernstraßen nicht Vorschub leisten wollen, sollten Sie über Ihren Schatten springen und unserem Antrag zu- stimmen, auch wenn Sie dann in Ihrem Wahlkreis viel- leicht das ein oder andere Bändchen weniger durch- schneiden können. 136. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Addicks


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

    Kollegen! Ich freue mich wirklich, dass dieses wichtige
    Thema heute hier im Bundestag auf der Tagesordnung
    steht. Wir haben die soziale Sicherung und den Aufbau
    der sozialen Sicherungssysteme in Entwicklungs- und
    Schwellenländern lange genug vernachlässigt. Ich denke,
    die Reihenfolge im Titel wäre umgekehrt besser gewe-
    sen: erst die Schwellenländer, dann die Entwicklungslän-
    der.

    Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Riester: Ei-
    nige der Schwellenländer sind heute tatsächlich reif da-
    für, langsam damit anzufangen, solche sozialen Siche-
    rungssysteme aufzubauen. Natürlich ist das gerade für
    Sie eine Herzensangelegenheit, Herr Riester. Ich denke,
    wenn es zur Ausführung kommt, werden wir Sie an eini-
    gen Stellen unterstützen können. Das Thema ist ganz be-
    sonders vor dem Hintergrund von Aids, Malaria, TBC
    und anderen Geißeln in den Tropen wichtig, wie Sie es
    gesagt haben. Dabei unterstütze ich Sie.


    (Beifall bei der FDP und der SPD)


    Natürlich stellt diese Angelegenheit ein sehr dickes
    Brett dar, das wir uns vorgenommen haben, zu bohren.
    Darüber dürfen wir uns überhaupt keine Illusionen ma-
    chen.


    (Gabriele Groneberg [SPD]: Da müssen wir wenigstens mal anfangen!)


    Die erste Bohrung in dieses Brett, die Sie mit diesem
    Antrag heute angebracht haben – um im Bild zu bleiben –,
    ist ein bisschen oberflächlich. Die Überschrift ist sehr
    vielversprechend. Sie reden gleich von Implementie-
    rung. Ich denke, wir sollten uns erst einmal vornehmen,
    das Thema zu installieren und dann kontinuierlich daran
    zu arbeiten.

    Ich teile die Analyse zur Situation in den Entwick-
    lungsländern, wie sie in Ihrem Antrag vorgenommen
    wird, zum allergrößten Teil. Sie ist richtig. Hinsichtlich
    der Lösungsvorschläge bleiben Sie mit Ihrem Antrag
    aber leider ein bisschen diffus. Ich hätte mir hier etwas
    mehr erwartet. Auch die Forderungen, mit denen Sie
    sich an den Bundestag wenden, sind unkonkret. Das
    müssen wir nachbessern – am besten alle zusammen.

    Wir hoffen, dass die konkreten Vorschläge und Maß-
    nahmen sowie Angaben dazu, wie das im Einzelnen
    gehen soll, noch benannt werden. Mit diesem Antrag
    werden sie jedenfalls nicht geliefert – weder im Feststel-
    lungsteil noch im Forderungsteil. Ich befürchte aber,






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Karl Addicks
    dass in der laufenden Legislaturperiode dazu nicht mehr
    viel kommen wird.


    (Jörg van Essen [FDP]: Das machen wir dann nach der Regierungsübernahme!)


    Ich weiß nicht, ob das der kleinste gemeinsame Nenner
    ist, auf den Sie sich gerade noch einigen konnten.

    An eines muss ich in dem Zusammenhang auch noch
    erinnern: Dieser Antrag passt überhaupt nicht zu der
    Entscheidung, die die Große Koalition getroffen hat, als
    wir im letzten Sommer die Einrichtung eines Unteraus-
    schusses zur Gesundheit in Entwicklungsländern ange-
    sprochen haben. Herr Riester, ich weiß, dass Sie und
    viele andere Kollegen das unterstützt haben. Von den
    Parlamentarischen Geschäftsführern Röttgen und Scholz
    ist dieser Vorschlag aus sachfremden Erwägungen aber
    leider einfach so abgelehnt worden. Ich thematisiere das
    hier noch einmal, weil ich glaube, dass die Einrichtung
    eines solchen Unterausschusses wirklich ein sehr guter
    erster Schritt gewesen wäre, um dieses Thema mit der
    Intensität zu bearbeiten, die notwendig ist.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Denn die entscheidenden Fragen werden in Ihrem
    Antrag aufgeworfen – aber das wurden sie auch schon
    vorher. Nur leider ist es nie zur Einsetzung dieses Unter-
    ausschusses gekommen. Aber man kann sich ja jederzeit
    eines Besseren besinnen und doch noch einen solchen
    Unterausschuss fordern, der die konkrete Sacharbeit
    leisten könnte, die erforderlich ist, um das Notwendige
    umsetzen und implementieren zu können.

    Eines möchte ich allerdings – so wie Sie, Herr
    Riester, es im Grunde auch getan haben – sagen: Es darf
    in den Schwellenländern und Entwicklungsländern keine
    Kopie des deutschen Systems geben. Das wäre das Ende
    noch vor dem Anfang. Wir müssen mit kleinen Schritten
    anfangen.


    (Beifall bei der FDP)


    Wir müssen uns auch ganz genau überlegen, ob wir
    gleichzeitig mit allen Versicherungssparten von der Un-
    fallversicherung über die Krankenversicherung und Ar-
    beitslosenversicherung bis hin zur Rentenversicherung
    beginnen wollen. Es muss ja nicht gleich mit der Riester-
    Rente anfangen. Man sollte lieber mit kleinen Schritten
    anfangen und sehen, welche Reaktionen es darauf gibt.
    Dem Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern
    entsprechend kann man das System dann anpassen und
    zu immer größeren Einheiten kommen. Ein deutsches
    Kurwesen und all die anderen entsprechenden Leistun-
    gen, die es bei unserer Krankenversicherung gibt, brau-
    chen wir dort nicht.


    (Gabriele Groneberg [SPD]: Davon war doch gar nicht die Rede!)


    Wir brauchen auch nicht – –


    (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ein „Addicks-Placebo“!)

    – Nein, mit Placebos haben wir überhaupt nicht gearbei-
    tet.


    (Walter Riester [SPD]: Gegen was sprechen Sie jetzt? Doch nicht gegen den Antrag!)


    – Wie bitte?


    (Walter Riester [SPD]: Gegen was sprechen Sie jetzt mit diesen Vorschlägen? Doch nicht gegen den Antrag! Das steht doch gar nicht drin!)


    – Ich spreche mich auch ein wenig gegen den Antrag
    aus. Ich hätte mir mehr gewünscht, Herr Riester. Das
    habe ich Ihnen am Anfang ja gesagt.


    (Gabriele Groneberg [SPD]: Wir sind eben realistisch, nicht träumerisch!)


    Am Ende meiner Redezeit will ich Ihnen aber anbie-
    ten, dieses wichtige Thema gemeinsam fraktionsüber-
    greifend zu bearbeiten.

    Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


    (Beifall bei der FDP)




Rede von Katrin Dagmar Göring-Eckardt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegin Sibylle Pfeiffer spricht jetzt für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Sibylle Pfeiffer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Lieber Karl Addicks, du weißt sehr wohl, wie sehr wir
    alle für diesen Unterausschuss zur Gesundheit in Ent-
    wicklungsländern gekämpft haben.


    (Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich habe es ja gesagt!)


    Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Mir erschließt
    sich überhaupt nicht, warum du das jetzt in diesem kon-
    kreten Zusammenhang vorbringst.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gabriele Groneberg [SPD]: Vollkommen richtig! – Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich ärgere mich noch heute darüber!)


    Ich gehe davon aus, dass du seit etlichen Wochen
    nach einer Möglichkeit suchst, dieses Thema endlich
    wieder einmal ins Plenum zu bringen.


    (Dr. Karl Addicks [FDP]: So ist es! – Gegenruf des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Immerhin ehrlich!)


    Wenn das der Fall ist, dann ist es dir hiermit gelungen.
    Aber den Zusammenhang verstehe ich bei aller Wert-
    schätzung nicht. Natürlich sind wir alle der Meinung,
    dass wir diesen Unterausschuss brauchen. Du hast das
    jetzt noch einmal angebracht, und ich finde es okay,
    wenn wir das so machen.

    Du beklagst unseren Antrag von vornherein als unzu-
    reichend und als in den Einzelheiten nicht konkret ge-
    nug. Einen so hohen Anspruch hatten wir aber gar nicht,






    (A) (C)



    (B) (D)


    Sibylle Pfeiffer
    worin Herr Riester mir wohl zustimmen wird. Es geht
    vielmehr darum, etwas in Gang zu setzen, was Entwick-
    lungspolitiker in Deutschland bisher versäumt haben.


    (Dr. Karl Addicks [FDP]: Habe ich ja gesagt! – Gegenruf der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]: Aber wir machen es jetzt!)


    Ich will dir und den anderen von den Reaktionen er-
    zählen, die ich von den Kolleginnen und Kollegen erhal-
    ten habe, denen ich diesen Antrag in die Hand gedrückt
    habe: Du willst doch nicht allen Ernstes unser marodes
    soziales Sicherungssystem in die Entwicklungsländer
    exportieren?


    (Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich wollte das doch nicht!)


    Um Gottes willen, sollen wir das jetzt auch noch bezah-
    len?


    (Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich habe davor gewarnt!)


    Darum geht es aber nicht.

    Die Antwort ist ganz einfach. Wir müssen einfach
    einmal schauen, wie die Situation bei uns Ende des
    19. Jahrhunderts war und warum bei uns soziale Siche-
    rungssysteme eingeführt wurden. Es gab Hunger, Armut
    und politische Instabilität. Ähnlich ist die Situation in
    den Entwicklungsländern. Auch dort finden wir Armut
    und Hunger. Die Menschen vor Ort befinden sich in ei-
    nem fürchterlichen Kreislauf. Sie sind arm und werden
    krank, und wenn sie krank sind, werden sie noch ärmer.
    Aus diesem Kreislauf kommen sie nicht heraus.

    Wir wissen aber auch – das können wir aus deutscher
    Sicht wunderbar nachvollziehen –, wie wichtig soziale
    Sicherungssysteme sind. Wir haben die soziale Markt-
    wirtschaft darauf aufgebaut. Wir haben einen ganzen
    Wirtschaftssektor, der sich um unsere sozialen Siche-
    rungssysteme herum gebildet hat und sich zum Beispiel
    mit Gesundheit befasst, und wir haben einen entspre-
    chenden Arbeitsmarkt. Auch diese Chance dürfen wir
    nicht unterschätzen, wenn es darum geht, welche sozia-
    len Sicherungssysteme in den einzelnen Ländern vorhan-
    den sind – Walter Riester hat es bereits angesprochen – und
    wie diese Länder solche Systeme aufbauen könnten.
    Denn unsere sozialen Sicherungssysteme werden
    schlechtergeredet, als sie sind. Im Gegenteil, sie sind so-
    gar sehr gut.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dass wir im Laufe der Jahrzehnte aus dem einen oder
    anderen – ich gestehe zu: auch politischen – Grund ver-
    säumt haben, nachzuarbeiten und nachzujustieren, und
    bestimmte Zeichen nicht rechtzeitig erkannt haben, die
    es notwendig gemacht hätten, die sozialen Sicherungs-
    systeme auch für die Zukunft sicher zu machen, ist eine
    der Erkenntnisse, die wir in Verhandlungen und Unter-
    stützungsgesprächen mit einbringen und berücksichtigen
    können. Wenn es um den Aufbau solcher Systeme geht,
    bringen wir all das mit ein, was wir in diesem Zusam-
    menhang gelernt haben.
    Ich glaube, dass wir unsere sozialen Sicherungssys-
    teme – ob Krankenversicherung, Rentenversicherung
    oder Ähnliches – sehr wohl als einen entwicklungspoliti-
    schen Exportschlager bezeichnen können. Es muss nur
    richtig gemacht werden. Das soll nicht heißen – um auf
    mein Eingangsstatement zurückzukommen –, dass wir
    unsere Gelder verteilen und sagen sollten: Liebe
    Freunde, macht mal! – Jedes Land ist gesondert zu be-
    trachten. Schwellenländer unterscheiden sich von Ent-
    wicklungsländern. China, Indien und Südafrika sind an-
    ders als zum Beispiel die Länder in Subsahara-Afrika zu
    betrachten.

    Jedes Land weist aber etwas einem Sicherungssystem
    Ähnliches auf. Das gilt für Südafrika. Aber auch Malawi
    – das haben wir gehört – hat eine Art soziales Sicherungs-
    system, das vielleicht langfristig nachhaltig werden kann.
    Die Systeme müssen je nach den kulturellen Gegebenhei-
    ten und der vorhandenen Infrastruktur aufgebaut werden.
    Dafür muss erfasst werden, wo das System bereits funk-
    tioniert, wo nachzujustieren ist und wo was gemacht wer-
    den kann. Es geht nicht darum, unsere Entwicklungshil-
    fegelder dort hineinzupumpen und sozusagen das
    deutsche Mäntelchen darüber auszubreiten. Es geht viel-
    mehr darum, für die Menschen alles zukunftssicher zu
    machen.

    Das Wichtige an sozialen Sicherungssystemen ist, zu-
    nächst die Schwächsten der Gesellschaft zu erreichen.
    Das sind an erster Stelle immer die Frauen, die in vielen
    Gesellschaften unterdrückt sind, keinerlei Eigenleben
    führen, unter Krankheiten leiden und beim Tod ihres
    Ehemannes nicht erben, weil das Erbe an dessen Familie
    geht. Mit einem sozialen Sicherungssystem können wir
    die Frauen in der Gesellschaft stärken. Uns Politikern
    muss ich nicht erklären, wie wichtig starke Frauen für
    diese Länder sind.

    Die zweite Gruppe sind die Alten. Auch in den Ent-
    wicklungsländern wird es in absehbarer Zeit zu einer
    Überalterung kommen. Aber die Alten in diesen Län-
    dern haben keine soziale Absicherung, weder für sich
    selber, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und sich
    Medikamente zu kaufen, geschweige denn, um sich um
    ihre Enkelkinder zu kümmern, wenn diese zu Aidswai-
    sen werden. Auch für diese Gruppe ist keine soziale Ab-
    sicherung vorhanden. Ich glaube, dass wir auch in die-
    sem Punkt der Gesellschaft etwas Gutes tun.

    Die dritte Gruppe sind die Kinder. Die meisten Kin-
    der, die in den Entwicklungsländern sterben, würden in
    den Industrieländern überleben.

    All diese Maßnahmen dienen dem Zweck, politische
    Stabilität in diesen Ländern zu erreichen. Politische
    Stabilität erreichen wir, indem wir die Gesellschaft an
    sich stärken. Eine Gesellschaft stärkt sich über soziale
    Sicherungssysteme. Irgendwann muss aber auch eine
    Eigenfinanzierung über den Aufbau der sozialen
    Sicherungssysteme in den betreffenden Ländern erfol-
    gen. Wir müssen zusehen, dass parallel zum wirtschaftli-
    chen Wachstum Sicherungssysteme entwickelt werden,
    damit es keine große Schere zwischen der wirtschaftli-
    chen Entwicklung eines Landes und der Lage der Men-
    schen gibt. Wir dürfen die Menschen nicht außen vor






    (A) (C)



    (B) (D)


    Sibylle Pfeiffer
    lassen. Das würde anderenfalls nicht gut gehen und so-
    zialen Sprengstoff bergen. Sozialer Sprengstoff in den
    Entwicklungsländern ist etwas, was wir auf keinen Fall
    haben wollen.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)