Protokoll:
16136

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 136

  • date_rangeDatum: 17. Januar 2008

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:16 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/136 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bun- Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14275 D desregierung: zu den Ergebnissen des Klimagipfels auf Bali b) Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vertrauen in Klimaschutzpro- jekte im Ausland erhöhen – Clean De- velopment Mechanism durch Reformen stärken (Drucksache 16/7006) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, wei- 14261 A 14277 B 14278 C 14279 C 14280 D 14282 B 14283 B Deutscher B Stenografisc 136. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Antje Blumenthal, Klaus Hagemann, Bernd Scheelen und Dr. Gregor Gysi . . . . . . . . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Helmut Lamp und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 c, 18 und 23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 3: 14259 A 14259 B 14259 C 14260 C 14260 C Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: undestag her Bericht tzung en 17. Januar 2008 l t : Unterlaufen von Klimaschutzzielen durch CDM-Projekte beenden (Drucksache 16/7752) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14261 B 14261 C 14266 A 14267 D 14269 B 14271 A 14272 C 14274 A 14274 D terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerabzug b Managerabfindungen begrenzen (Drucksache 16/7530) . . . . . . . . . . . . . . - ei . 14284 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Begren- zung der Managervergütung fördern (Drucksache 16/7743) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Masseur- und Physiothera- peutengesetzes und anderer Gesetze zur Regelung von Gesundheitsfachberufen (Drucksache 16/1031) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundes- ministeriums der Finanzen und zur Än- derung des Münzgesetzes (Drucksache 16/7616) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- ten Gesetzes zur Änderung des Betriebs- prämiendurchführungsgesetzes (Drucksache 16/7685) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Wan- derarbeiterkonvention endlich ratifizie- ren (Drucksache 16/6787) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Den Deutschen Bundestag zum Vorbild für die spar- 14284 C 14284 C 14285 C 14287 A 14288 C 14290 B 14292 D 14293 C 14294 C 14296 A 14297 B 14298 D 0000 A14299 C 14300 C 14302 B 14302 B 14302 B 14302 C same und klimafreundliche Stromver- sorgung machen (Drucksache 16/7529) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bundeswild- wegeplan als Ergänzung zum Bundesver- kehrswegeplan (Drucksache 16/7145) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007 (Drucksache 16/6385) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Eu- ropäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft an- dererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlun- gen, die ihre finanziellen Interessen be- einträchtigen (Drucksachen 16/6965, 16/7517) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 24. April 2007 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Luftraums bei Bedrohungen durch zivile Luftfahr- zeuge (Drucksachen 16/7219, 16/7766) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Anpassung statistischer Rechtsvorschrif- ten (Drucksachen 16/7248, 16/7732) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates über den Zugang 14302 C 14302 C 14302 D 14303 A 14303 B 14303 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 III zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaa- ten KOM (2007) 265 endg.; Ratsdok 10092/ 07 (Drucksachen 16/5806 Nr. 10, 16/7370) . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des
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    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14397 (A) (C) (B) (D) tokolls des Deutschen Bundestages ein Bild über unsere Ausrüstung machen könnten.Waitz, Christoph FDP 17.01.2008 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ahrendt, Christian FDP 17.01.2008 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.01.2008 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 17.01.2008 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Duin, Garrelt SPD 17.01.2008 Golze, Diana DIE LINKE 17.01.2008 Dr. h. c. Kastner, Susanne SPD 17.01.2008 Knoche, Monika DIE LINKE 17.01.2008 Krummacher, Johann- Henrich CDU/CSU 17.01.2008 Lötzer, Ulla DIE LINKE 17.01.2008 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.01.2008 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 17.01.2008 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Poß, Joachim SPD 17.01.2008 Roth (Heringen), Michael SPD 17.01.2008 Scheelen, Bernd SPD 17.01.2008 Schily, Otto SPD 17.01.2008 Seib, Marion CDU/CSU 17.01.2008 Stiegler, Ludwig SPD 17.01.2008 Strothmann, Lena CDU/CSU 17.01.2008 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüglich beschaffen (Tages- ordnungspunkt 13) Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): In den Einsätzen der Bundeswehr geht für die eingesetzten Kräfte und Einrichtungen erhebliche Gefahr von Mitteln und Methoden asymmetrischer Kriegführung aus. Dabei greifen gegnerische Kräfte bei ihrem Vorgehen zuneh- mend auf behelfsmäßige Sprengvorrichtungen – Impro- vised Explosive Devices, IED – zurück. Anschläge unter Nutzung von IED unterliegen keinen festen Verhaltens- mustern. Der Gegner passt seine Einsatztaktiken laufend den eigenen Schutzmaßnahmen an. Daher sind eigene Reaktionen und das eigene Verhalten flexibel zu gestal- ten. Die gestiegene Bedrohung durch IED als Mittel der asymmetrischen Kriegführung hat Auswirkungen auf alle Führungsebenen und erfordert die gezielte Vorberei- tung aller für den Auslandseinsatz vorgesehenen Kräfte auf den Umgang mit dieser Bedrohung. Präventive Maß- nahmen zur Abwehr eines Anschlags mit IED bieten sich insbesondere in den Phasen der Vorbereitung an, zum Beispiel durch Verhinderung der Proliferation der Komponenten sowie durch Verhinderung der Fertigung oder des Transports des IED an den Anschlagsort. Ergänzend dazu wurden passive Schutzmaßnahmen zur Abschwächung der Wirkung von IED zum Fahr- zeugschutz, Konvoischutz, Schutz von Einrichtungen und Objekten und zum Schutz abgesessener Kräfte er- griffen. Auch eine genaue Tatortanalyse nach einem An- schlag ist von besonderer Bedeutung. Wir können die IED-Bedrohung nur reduzieren, wenn wir durch eine den jeweiligen lokalen technischen und taktischen IED- Fähigkeiten gegnerischer Kräfte angepasste Kombina- tion aus passiven und aktiven Schutzmaßnahmen sowie durch angemessenes taktisches Verhalten agieren. Ent- sprechend diesem Vorsatz bildet die Bundeswehr ihre Soldaten für den Einsatz aus. Was nun die technische Seite des Counter-IED angeht, wurden auf Basis einer Marktsichtung und in Verbindung mit den militärischen Forderungen drei Störsender unter- schiedlicher Firmen beschafft und zur Erprobung unter Einsatzbedingungen in eingeführte geschützte Fahrzeuge – TPz FUCHS, DINGO 2, WOLF SSA – integriert. Mit den gewonnenen Erkenntnissen aus der Einsatzerpro- bung wurden anschließend unterschiedliche Beschaffun- gen eingeleitet bzw. durchgeführt. Die Überführung der Gerätschaften in das Einsatzgebiet Afghanistan wird vo- raussichtlich noch im Januar 2008 abgeschlossen sein. Mehr sollte man aus taktischen und operativen Grün- den nicht zum Thema sagen; denn es wäre fatal, wenn sich gegnerische Kräfte mittels des stenografischen Pro- 14398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Die Notwendigkeit, „Jammer“ bzw. Counter-IED für die Bundeswehr einzuführen, stellte die Bundeswehr vor neue Herausforderungen. Es wurde eine Eigenentwick- lung vom „Reißbrett“ gewählt, da das neue Gerät an die entsprechenden Bundeswehrfahrzeuge angepasst werden musste. Wehrmaterialexperten sprechen davon, dass „es bis dato nichts Verfügbares gab, was ,Bw-kompatibel’ gewesen wäre“. Jedes neue Gerät braucht Zeit für Entwicklung und Erprobung. Dies gilt auch für die sogenannten Jammer. Der Rückgriff auf Systeme verbündeter Nationen, wie jetzt im FDP-Antrag gefordert, war nicht möglich; denn deren Geräte sind mit ganz unterschiedlichen Leistungs- parametern ausgestattet und nicht a priori kompatibel mit den in der Bundeswehr eingeführten Fahrzeugen. Die Auswahl, die Beschaffung und die Integration in ein Trägerfahrzeug von gegebenenfalls „am Markt verfügba- ren Störsendern gegen Sprengfallen“ sowie die Verläss- lichkeitsuntersuchungen des Störsendersystems, Störsen- der/Trägerfahrzeug, insgesamt stellten eine besondere Herausforderung dar, die mit einem nicht unerheblichen Zeit- und Realisierungsaufwand verbunden war. Eine Be- schaffung unter Zeitdruck durfte nicht dazu führen, dass Führungs- und Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt sowie das für den Einsatz geforderte Schutzniveau der Trägerfahrzeuge nicht erreicht worden wären. Die Ermittlung und die Deckung des materiellen Be- darfs für C-IED Maßnahmen erfolgten grundsätzlich nach den Verfahren des Customer-Product-Manage- ments, CPM. Die Bedarfsermittlung begann mit der Auswertung aller bekannt gewordenen IED-Vorfälle durch das Einsatzführungskommando, EinsFüKdoBw, und Streitkräfteunterstützungskommando, SKUKdo, auch wenn eigene Kräfte nicht direkt betroffen waren, ging über daraus abzuleitende funktionale Forderungen an künftige Schutz-, Detektions- und Neutralisierungs- technologie hin zu einer schnellstmöglichen Verbesse- rung eingeführter oder in Beschaffung befindlicher neuer Produkte. Entwicklung und Beschaffung im Be- reich C-IED mussten dabei mit der Entwicklung der Be- drohung durch IED im Einsatzgebiet Schritt halten bzw. absehbare Entwicklungen antizipieren. Die nun be- schafften Systeme sind daher auf dem neuesten Stand. Kritisiert wird die Zahl der beschafften Geräte; aber diese Kritiker sollten bedenken, dass Bundeswehrfahr- zeuge in Afghanistan grundsätzlich im Konvoi fahren, das heißt auf Patrouille mit vier bis fünf Fahrzeugen und bei Versorgungstransporten bis zu 20 Fahrzeugen. Zum Schutz dieser Konvois müssen nicht alle Fahrzeuge mit C-IED ausgerüstet sein. Es ist daher weder notwendig noch sinnvoll, alle Fahrzeuge mit „Jammern“ auszurüs- ten. Bei Fahrten im Konvoi bestünde die Gefahr der ge- genseitigen Neutralisierung. Aus diesem Grunde ist der FDP-Antrag erstens unnö- tig, da die bereits beschafften Störsender nicht mehr in der Erprobung, sondern bereits im Einsatz sind; zweitens überholt, da die Bundeswehr „Jammer“ mit Beginn des Jahres in ihre Fahrzeuge einbaut und im Laufe des Jahres die Zahlen kontinuierlich erhöht und drittens gefährlich für unsere Soldaten in Afghanistan, wenn einsatzrele- vante Details genannt werden. Ich bin mir sicher, dass die Bundeswehrführung alles unternimmt, um den notwendigen und auch verfügbaren Schutz unserer Soldaten sicherzustellen. Die Bundes- wehrführung hat auf das Problem der Sprengfallen ange- messen reagiert und die notwendigen Maßnahmen ein- geleitet. Daher sollte die FDP ihren Antrag zurückziehen und die Diskussion dort führen, wo sie hingehört: im Vertei- digungsausschuss. Gerd Höfer (SPD): Liest man den Antragstext, kommt man unwillkürlich zur Auffassung, die Bundes- wehr habe keine Abwehrmöglichkeit gegen Sprengfallen in ihren Einsatzgebieten, speziell nicht in Afghanistan. Da scheint es selbstverständlich, dass man eigentlich diesem Antrag nur zustimmen kann, denn der Schutz der Soldaten hat bei allen Einsätzen absoluten Vorrang. Gäbe es die FDP nicht, wäre keinem aufgefallen, dass es einen solchen Schutz nicht gibt, Bundeswehr und Politik hätten es versäumt, diesem Mangel abzuhelfen. Wenn es denn so wäre. Speziell die Vertreter der SPD im Verteidigungsausschuss, die allerdings diesen Antrag initiiert haben, wissen es besser. Allerdings genießen sie den Schutz eben dieses Ausschusses, weil er ein ge- schlossener Ausschuss ist, so bestimmt es die Verfas- sung. Geschlossen gegenüber der Öffentlichkeit, natür- lich nicht unbedingt gegenüber den Fraktionen. Nun tagt aber der Bundestag – und das ist richtig so – öffentlich. Was sagt man also vor dem Bundestag? Die Vertrau- lichkeit der Sitzungen des Verteidigungsausschusses ist sicherlich gewahrt, wenn ich als Mitglied dieses Aus- schusses feststelle, dass im Ausschuss ausgiebig beraten wurde. Spätestens bei der Beratung des Haushaltes des Bundesministeriums der Verteidigung hat dieses Thema eine Rolle gespielt, besonders bei den Kapitelbetrach- tungen des Einzelplanes 14. Geld zur Beschaffung ist vorhanden aus dem Titel „Einsatzbedingter Sofortbe- darf“. Aus diesem Titel hat es Beschaffungen gegeben. Um klarzumachen, worum es geht, bezieht sich der Antrag der FDP nur auf Sprengfallen, die elektronisch, zum Beispiel durch Handy oder Funksignal, ausgelöst werden und zwar immer dann, wenn ein militärisches Fahrzeug der ISAF-Truppen vorbeifährt. Durch Störsen- der kann die Auslösung verhindert werden. Dazu sind schon immer auf der Basis eines gepanzerten Transport- fahrzeuges die Störsender „Hummel“ in die Einsatzkon- tingente integriert. Sie eignen sich zum Schutz eines Konvois, weil sie eine ziemlich große Reichweite haben. Nach Erkenntnissen aus der Erprobung werden 54 Störsender bis Ende Januar 2008 für Einzelfahrzeuge einsatzbereit sein, weitere 38 werden im Laufe des Jah- res beschafft und integriert. Die Erprobung war notwendig. Es musste der Nach- weis erbracht werden, dass diese Sender in das elektri- sche System der Fahrzeuge passen, eine hinreichende Reichweite haben und durch ihre elektromagnetische Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14399 (A) (C) (B) (D) Abstrahlung weder die eigene elektronische Kommuni- kation noch die Gesundheit der Soldaten gefährden. Die Nachweise sind erbracht, die Beschaffung ist erfolgt und wird ergänzt. Leider haben zwar die Attentäter inzwischen begrif- fen, dass eine Fernzündung mit elektromagnetischen Im- pulsen nur noch wenig Erfolg verspricht, und sind des- halb vermehrt wieder zu mechanischer Auslösung zurückgekehrt. Das ist aber kein Grund, die Beschaffung von Störsendern einzustellen. Dieser Schutz für die Sol- daten wird gebraucht, so sieht es auch die Bundeswehr. Was ist nun mit der Entscheidung zum FDP-Antrag? Die SPD-Fraktion wird diesen ablehnen. Nicht nach dem Motto „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“, sondern aus ganz anderen Gründen: Der wichtigste ist, dass die Mitglieder der FDP im Verteidigungsausschuss einen Vertrauensbruch began- gen haben. Wie soll ich, wie sollen die anderen Mitglie- der des Ausschusses damit umgehen, dass man ab heute jederzeit gewärtig sein muss, Beratungsgegenstände und Ergebnisse des Ausschusses über das Vehikel „Bundes- tag“ auf Schleichwegen in die Öffentlichkeit zu bringen? Der Bundestag kann sich eigentlich nicht gefallen las- sen, dass er so missbraucht wird. Der weitere Grund ist, dass der Antrag indirekt unter- stellt, andere Fraktionen oder die Bundeswehr verwei- gerten auf diesem speziellen Gebiet ein Ausstattungsde- tail zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten, dieser Zustand sei nur durch die FDP und durch Beschluss des Bundestages zu heilen. Eine billige populistische Unter- stellung. Elke Hoff (FDP): Die deutsche Öffentlichkeit hat Anspruch, zu erfahren, wieso der Deutsche Bundestag in aller Öffentlichkeit über den mangelnden Schutz von Fahrzeugen der Bundeswehr vor Sprengfallen berät. Die Bedrohung durch Sprengfallen in Afghanistan ist die größte für deutsche Soldaten im über Jahre hinweg wich- tigsten Einsatz der Bundeswehr. In diesem Bereich bestehen in der Bundeswehr ekla- tante Ausrüstungsdefizite. Bis kurz vor Jahresende 2007 gab es lediglich Prototypen für drei Fahrzeugtypen. In den letzten Wochen sind einige wenige Fahrzeuge des Typs Wolf mit Schutzsystemen gegen Sprengfallen aus- gerüstet worden. Obwohl die Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zu den bisherigen Auswirkungen der Transformation in Aussicht gestellt hat, in den Jah- ren 2008 bis 2010 die Fahrzeuge Wolf, Fuchs und Dingo mit Schutzsystemen gegen Sprengfallen auszustatten, hat die FDP-Bundestagsfraktion in den Haushaltsbera- tungen beantragt, zum Schutz unserer Soldaten im Ein- satz unverzüglich ein effektives und am Markt verfügba- res Schutzsystem gegen Sprengfallen zu beschaffen. Denn nach unserer Auffassung braucht die Bundeswehr vor dem Jahr 2010 ausreichend geschützte Fahrzeuge im Einsatz, die auch gegen die Hauptbedrohung gerüstet sind. Zu unserer großen Freude haben in der Sitzung des Verteidigungsausschusses vom 24. Oktober alle Fraktio- nen außer der Linksfraktion unserem Antrag zuge- stimmt. Dennoch hat die Bundesregierung für das Jahr 2008 lediglich 1 Million Euro für Schutzsysteme gegen Sprengfallen in den Verteidigungshaushalt eingestellt. Für 2009 gerade einmal 8 Millionen Euro. In Anbetracht der Größe des Verteidigungsetats kann keinesfalls von einer Schwerpunktsetzung gesprochen werden. Weil uns der Schutz unserer Soldaten ab 2010 nicht genügt, hat die FDP in der Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt 2008 beantragt, die für 2008 und 2009 eingeplanten Mittel alle in 2008 auszugeben, um diese Minimalausstattung an Fahrzeugen mit IED-Schutz in 2008 den Soldaten zur Verfügung zu stellen. Dies haben die Regierungsfraktionen des Deutschen Bundestages abgelehnt. Das passt nicht zusammen: im Fachausschuss unserem Antrag zustimmen, aber die dafür notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stellen. Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln ist die konkrete Umsetzung des politischen Willens. Bundesverteidigungsminister Jung versucht der Öf- fentlichkeit immer wieder weiszumachen, dass die Bun- desregierung alles für den Schutz unserer Soldaten im Einsatz Notwendige inzwischen beschafft. Dies trifft lei- der nicht zu. Bisher sind einige wenige Fahrzeuge des Typs Wolf mit Störsendern ausgerüstet worden. Der Dingo 2 soll erst ab 2009 teilweise ausgerüstet werden. Für die wichtige Patrouillentätigkeit in Afghanistan brauchen wir aber unverzüglich Fahrzeuge, die über ei- nen ausreichenden Schutz gegen Sprengfallen verfügen, das heißt oberhalb des Schutzniveaus, das der Wolf bie- ten kann; denn der Wolf entspricht selbst nach Ansicht der Bundesregierung nicht dem geforderten Schutz- niveau. Dass Fahrzeuge des Typs Wolf nur bedingt für den Einsatz in Afghanistan geeignet sind, hat beispiels- weise der Anschlag auf eine Bundeswehrpatrouille am 5. Oktober 2007 gezeigt, bei dem Soldaten in einem Wolf durch einen Selbstmordattentäter teilweise schwer verwundet wurden. Daher hatte sich die Bundesregie- rung das Ziel gesetzt, den Wolf schnellstmöglich abzulö- sen und durch ein Nachfolgemodell zu ersetzen. Ein Ersatz der veralteten Wolf-Fahrzeuge durch ge- schützte Fahrzeuge Schutzklasse 1 ist aber frühestens ab 2009, 2010 zu erwarten, weil die Entscheidung über ein Nachfolgemodell ausgesetzt werden musste, da keines der vorgesehenen Fahrzeugmodelle den von der Bundes- wehr geforderten Leistungen und Fähigkeiten entsprach. Das ist eine zutiefst unbefriedigende Situation, gerade weil Fahrzeuge der leichten Schutzklasse oft in Afgha- nistan aufgrund der besonderen geographischen Gege- benheiten die einzigen sind, die sich vor Ort bewegen können. Ich vermisse bis heute eine klare Priorisierung in der Ausgabenpolitik des Verteidigungsministers. Dass Sie bei einem Budget von beinahe 30 Milliarden Euro nicht in der Lage sind, mehr als 1 Million Euro für den drin- gend notwendigen Schutz der Soldatinnen und Soldaten aufzubringen, ist ein Armutszeugnis. 14400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Daher fordere ich die Bundesregierung heute konkret auf: Beschaffen Sie die für 2009 eingeplanten Schutz- systeme gegen Sprengfallen noch im Jahre 2008 über das Instrument des einsatzbedingten Sofortbedarfs! Le- gen Sie dem Deutschen Bundestag umgehend einen Be- darf vor – wie viele Fahrzeuge der Bundeswehr müssen mit IED-Schutz ausgerüstet werden? –, und leiten Sie die Beschaffung dieses Bedarfs ein. Der Schutz unserer Soldaten im Einsatz darf nicht nur in Sonntagsreden oberste Priorität haben. Inge Höger (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der FDP verfolgt das redliche Ansinnen, sich um die körperliche Unversehrtheit der Soldatinnen und Soldaten zu sorgen. Aber der vorgeschlagene Weg, möglichst schnell Störsender zum Schutz der Bundeswehrfahr- zeuge vor Sprengfallen zu kaufen, ist nicht überzeugend. Es ist ziemlich naiv, davon auszugehen, dass sich die Be- drohung für Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebie- ten durch technische Aufrüstung wirklich beseitigen ließe. Potenzielle Attentäter stellen sich erfahrungsge- mäß sehr schnell auf das jeweilige Schutzniveau ihrer Gegner ein. Im Irak zeigt sich das Dilemma. Kaum wa- ren dort in größerem Umfang Störsender im Einsatz, ka- men neue Generationen von Sprengfallen zum Einsatz. Sie werden nun mit Infrarotsensoren ausgelöst und sind durch Störsender nicht zu stoppen. Was die FDP hier fordert und die Bundesregierung et- was langsamer umsetzen wird, das nützt den Soldatinnen und Soldaten bestenfalls kurzfristig, wenn überhaupt. Mittelfristig wird so lediglich eine Aufrüstungsspirale im Straßenkampf in Gang gesetzt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis neue Technologien für Attentate auch in Afghanistan zur Verfügung stehen. Bereits heute sind viele Sprengfallen so aufgebaut, dass sie durch Störsen- der nicht zu stoppen sind. Als im Sommer letzten Jahres deutsche Polizisten einem Anschlag zum Opfer fielen, da war der Zündmechanismus ein ganz primitiver: Die Sprengladung wurde mit einem Kabel gezündet. Auch das lässt sich nicht mit Störsendern stoppen. Die einzi- gen, die wirklich profitieren von der Ausrüstung der Fahrzeuge mit Störsendern, sind die Produzenten dieser Apparate. Von den Produzenten dieser Störsender wird gerne versichert, dass diese keine gesundheitlichen Gefahren für die Fahrzeugbesatzung nach sich ziehen. Doch jüngste EU-Studien ergaben, dass selbst längeres Telefo- nieren mit Handys gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Im Verhältnis dazu sind dauerhafte Bestrahlungen durch Störsender, die parallel auf verschiedenen Fre- quenzen senden und denen die Soldaten auf engstem Raum ausgesetzt sind, eine wesentlich ernsthaftere Ge- fährdung. Die Soldatinnen und Soldaten bezahlen also möglicherweise für einen ungewissen Schutz vor Sprengfallen mit einer konstanten gesundheitlichen Ge- fährdung. Für eine politische Beurteilung der Störsendertechno- logien ist es ferner wichtig zu berücksichtigen, dass diese keineswegs eine rein defensive Technologie dar- stellen. Sie können auch für offensive Szenarien als Teil der elektronischen Kriegführung eingesetzt werden. Es ist zudem kein Beitrag zur Entspannung der Situa- tion und zu guten Beziehungen zur afghanischen Bevöl- kerung, wenn überall dort, wo Bundeswehrfahrzeuge auftauchen, die Mobilfunkkommunikation lahmgelegt wird. Bundeswehrsoldaten berichteten mir überdies, dass auch sie bei Patrouillen in Afghanistan zur Kommu- nikation auf das dortige Mobilfunknetz zurückgreifen. Wirklicher Schutz der Soldatinnen und Soldaten lässt sich auf technischem Wege nicht erreichen. Der einzig wirkliche Schutz ist ihr Abzug. Die Probleme Afghanis- tans sind militärisch nicht zu lösen. Deswegen gibt es keine Alternative zum Abzug der Truppen. Die Linke lehnt deswegen den Antrag der FDP ab. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schwerpunkte, die die Bundesregierung in der Ver- teidigungspolitik setzt, sind falsch. Dies beginnt bei dem grundlegenden Fehler, dass Sicherheitspolitik immer noch fast ausschließlich unter dem Aspekt „Bundes- wehr“ verstanden wird und nicht auch die anderen sicherheitsrelevanten Bereiche wie Außenpolitik und Di- plomatie, Entwicklungszusammenarbeit und zivile Kon- fliktprävention ausreichend in ein vernetztes Gesamt- konzept einbezogen werden. Und dies endet bei einer verfehlten Beschaffungspolitik, die trotz eines gestiege- nen Etats des Bundesverteidigungsministeriums nicht in der Lage ist, eine adäquate Ausstattung für die laufenden Einsätze zu gewährleisten, und stattdessen viel Geld in teure Großprojekte versenkt, die niemand braucht. Der Antrag der FDP-Fraktion, Schutzsysteme gegen Sprengfallen schneller als geplant zu beschaffen, ist des- halb richtig; denn er greift ein Detail heraus, bei dem die Regierung unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz nicht gerecht wird. Sprengfallen oder IED, improvisierte Sprengkörper, sind kein neues Phänomen. Die Zahl der IED-Angriffe in Afghanistan lag 2002 noch um die 30 pro Jahr. Diese Zahl stieg aber bereits 2003 auf über 200 und lag 2006 bei über 600. Warum aber ist denn dann der bestehende Schutz ge- gen Sprengfallen so unzureichend? Wenn bisher nur circa 50 mit solchen Systemen geschützte Fahrzeuge im Einsatz sind und jetzt eine Nachrüstung bis 2010 geplant ist, so ist dies vollkommen unverständlich. Es wird nur dadurch verständlich, dass die vorhandenen Mittel eben nicht für sofort erforderliche Ausrüstung verwendet wer- den. Diese fließen in Großprojekte, die man aus den un- terschiedlichsten Gründen vorantreibt – Prestige, rüs- tungsindustriellen Interessen, Nostalgie. Das zweite Los U-Boote U212 A bringt unseren Soldatinnen und Solda- ten in Afghanistan herzlich wenig. Die überteuerte Fre- gatte F125 oder MEADS mit Zweitflugkörpertrallala ebenfalls. Wenn das Geld hier vergraben wird, wundert es wenig, dass unsere Einsatzkräfte manchmal im Regen stehen – oder in der Wüste. Die Beteuerungen des Ministeriums, im Grunde sei alles vorhanden oder zumindest in der Beschaffung, sind Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14401 (A) (C) (B) (D) reine Augenwischerei. Klagen aus den Einsatzgebieten bekommt man oft genug zu hören. Als Beispiel möchte ich einige Missstände aufführen, die im jüngsten „Erfah- rungsbericht des 14. deutschen Einsatzkontingents ISAF über den Zeitraum August bis November 2007“ zur Sprache kamen: Mangel bei Fernmeldemitteln und ge- schützten Fahrzeugen, Verbesserungsbedarf beim Sys- tem IdZ. Andauerndes Ärgernis ist auch der Mangel an geeigneten Hubschraubern, für die es massiven zivilen, humanitären und militärischen Bedarf gibt. Die falsche Priorität bei der Ausrüstung behindert die Bundeswehr in Afghanistan bei der Ausübung ihrer vom Bundestag beschlossenen Aufgabe im Rahmen der UN- Stabilisierungsmission und trägt zur Gefährdung von Soldatinnen und Soldaten bei. Das Ausrüstungsdefizit löst man aber nicht mit geänderten Einsatzregeln, man löst es nur durch sinnvolle Beschaffung und Verzicht auf milliardenteuren Unfug. Es liegt eigentlich in den Händen der Regierung, allen voran des Verteidigungsministers, für eine Ausstattung der Bundeswehr zu sorgen, die unsere Soldatinnen und Soldaten ausreichend schützt und ihren Auftrag ermög- licht. Solange sie dieses aber erkennbar nicht schafft, ist es unsere Pflicht als Parlament, der Bundeswehr beizu- stehen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Rahmenbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorbekämpfung (inklusive 14960/07 ADD 1 und 14960/07 ADD 2) (Zusatztagesord- nungspunkt 7) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Der Deutsche Bundestag schließt mit der heutigen Debatte den zweiten COSAC-Testlauf zur Subsidiaritäts- prüfung auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon ab. Gegenstand war dieses Mal der Vorschlag für einen Rah- menbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbe- schlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung. Die Initiative der COSAC (COSAC – Konferenz der Aus- schüsse für Gemeinschafts- und Europaangelegenheiten der nationalen Parlamente in der Europäischen Union), den nationalen Parlamenten die Möglichkeit zu geben, im Rahmen von Testläufen mit dem Verfahren zur Subsidia- ritätsprüfung und den nach dem Vertrag von Lissabon künftig erweiterten Mitsprachemöglichkeiten im euro- päischen Gesetzgebungsverfahren vertraut zu werden, ist zu begrüßen. So werden wir Parlamentarier mit unseren neuen Rechten, den Mechanismen und Gepflogenheiten dieses Verfahrens vertraut, damit wir in Zukunft von die- sem Instrument und seinen Einflussnahmemöglichkeiten effektiv Gebrauch machen können. Mit dem im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Subsidiaritäts-Kontroll- mechanismus erhalten die nationalen Parlamente in der Europäischen Union eine neue wichtige Aufgabe. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben sich dafür in den Verhandlungen stark gemacht – die Veranke- rung des Subsidiaritätsprinzips im neuen Vertragswerk war ein zentrales deutsches Anliegen. Nur was die Na- tionalstaaten nicht selbst können, soll Europa regeln. In den Politikfeldern, in denen die Union nicht über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, muss ein schlei- chender Prozess der Verlagerung von Kompetenzen von der regionalen und nationalen Ebene auf die EU-Ebene verhindert werden. Die lange diskutierte Frage, wie eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Ab- grenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäi- schen Union und den Mitgliedstaaten geschaffen werden und vor allem wie auch ihre Einhaltung sichergestellt werden kann, hat mit dem Vertrag von Lissabon und dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Sub- sidiarität und der Verhältnismäßigkeit eine Antwort er- halten, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lis- sabon in der Praxis mit Leben erfüllt werden muss. Künftig obliegt es nicht nur den Organen der Union über den Grundsatz der Subsidiarität zu wachen, sondern auch den nationalen Parlamenten, in Deutschland also dem Bundestag und Bundesrat. Das bereits erwähnte Protokoll ermöglicht es jedem nationalen Parlament, in- nerhalb einer Frist von acht Wochen eine begründete Stellungnahme zu einem europäischen Gesetzgebungs- vorschlag abzugeben, in der dargelegt wird, weshalb der Entwurf nach seinem Erachten gegen das Subsidiaritäts- prinzip verstößt. Je nachdem, wie hoch die Anzahl der kritischen Stimmen aus den Parlamenten der Mitglied- staaten ausfällt, kann dies entweder zu einer Überprüfung des Entwurfs führen oder gar zu einer Nichtweiterverfol- gung des Gesetzgebungsvorschlags auf europäischer Ebene. Wir Parlamentarier bekommen also mit dem zur Rati- fizierung anstehenden Vertrag von Lissabon ein scharfes Schwert an die Hand. Wir müssen es jedoch auch gezielt und sinnvoll einsetzen. Der neue Kontrollmechanismus zur Subsidiaritätsprüfung wird unser Parlamentarierle- ben revolutionieren. Schon jetzt beschert uns die euro- päische Gesetzgebung eine Flut von Dokumenten. Einer Studie von Herrn Professor Karpen habe ich kürzlich entnommen, dass der Deutsche Bundestag im Schnitt jährlich 20 000 EU-Dokumente und 12 000 Unterrich- tungsdokumente zu europäischen Gesetzesinitiativen er- hält. Allein in der Zeit von Oktober 2006 bis Mitte Juli 2007 wurden uns 317 Vorschläge für europäische Ge- setzgebungsvorhaben unterbreitet. Es nimmt nicht Wun- der, dass der Autor der Studie zu dem Ergebnis kommt, die Arbeitsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages seien ausgeschöpft. Daher, auch das haben wir mit die- sem zweiten COSAC-Testlauf zur Subsidiaritätsprüfung festgestellt, werden wir nicht umhinkommen, den mit diesem Verfahren verbundenen Mehraufwand durch eine personelle Aufstockung versuchen aufzufangen. Zu Recht wurde in den Ausschussberatungen fraktionsüber- greifend darauf hingewiesen, dass das Sekretariat des Rechtsausschusses – sollte es hierfür zuständig bleiben – eine Personalaufstockung erhalten muss. Auch die Kürze der Frist – acht Wochen – lässt wenig Spielraum für ausgiebige Ausschussberatungen. Wir sind froh, dass 14402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) die ursprünglich im entsprechenden Protokoll zum Ver- fassungsvertrag vorgesehene Frist von sechs durch den Europäischen Rat um zwei Wochen auf jetzt acht Wo- chen verlängert worden ist. Wichtig ist dabei auch, dass die 8-Wochen-Frist erst zu laufen beginnt, wenn der ent- sprechende Gesetzgebungsakt in den Amtssprachen der Union übermittelt ist. Eine entsprechende von deutscher Seite angeregte Klarstellung in Art. 6 des Protokolls konnte im Zuge der Überprüfung durch die Sprachjuris- ten erreicht werden. In diesem Testlauf sind wir zu dem Ergebnis gekom- men, dass der Rahmenbeschlussentwurf zur Terroris- musbekämpfung nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Die in dem Rahmenbeschluss geregelte Mate- rie unterfällt nicht der ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Die Bedrohungen durch den Terrorismus haben jedoch einen grenzüberschreiten- den Charakter. Internationale Terrornetzwerke operieren über Landesgrenzen hinweg, die Verbreitung von terro- rismusfördernden strafbaren Inhalten über das Internet weist ebenfalls einen grenzüberschreitenden Charakter auf. Das Internet dient den Terroristen als Informations- börse, Kommunikationsmedium, Gemeinschaftsraum und Bibliothek des terroristischen Wissens. Um diesen He- rausforderungen gewachsen zu sein, sind auf Ebene der Europäischen Union ein abgestimmtes Verhalten der Mitgliedstaaten und eine Angleichung der Straftatbe- stände erforderlich. Nur so ist eine wirksame Bekämp- fung terroristischer Straftaten wie der öffentlichen Auf- forderung zur Begehung terroristischer Straftaten und der Anwerbung und Ausbildung für terroristische Zwe- cke möglich. Eine Regelung auf der Ebene der Mitglied- staaten wäre nicht geeignet, das von der Kommission verfolgte Ziel ebenso gut zu erreichen. Daher verstößt der Vorschlag nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip. Allerdings haben wir Rechtspolitiker Bedenken hin- sichtlich der Einhaltung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Vor- schlag für den Rahmenbeschluss geäußert. Damit haben wir zwar überobligationsmäßig mehr geprüft als europa- rechtlich notwendig ist, wir waren aber fraktionsüber- greifend der Meinung, dass wir auch zu diesem Punkt mit unserer Auffassung nicht hinter dem Berg halten sollten. Da es bereits ein Übereinkommen des Europa- rats zur Verhütung des Terrorismus vom 15. Mai 2005 gibt – das allerdings noch der Ratifizierung und Umset- zung harrt – sehen wir die Gefahr einer bloßen Duplizie- rung von Vorschriften. Ich danke den beteiligten Kolle- gen, dem Sekretariat des Rechtsausschusses sowie dem Bundesministerium der Justiz für die guten Beratungen im Rechtsausschuss. Die COSAC-Vorsitzenden werden auf ihrem Treffen am 17. und 18. Februar 2008 in Ljubljana die Erfahrungen mit diesem zweiten Testlauf evaluieren. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Teil- nahme daran gezeigt, dass er das neue Verfahren ernst nimmt und seine zukünftigen Rechte wahrnehmen wird. Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Die gute Nach- richt ist, dass wir heute feststellen können, dass es grundsätzlich möglich ist, innerhalb der gesetzten Frist von acht Wochen eine begründete Stellungnahme abzu- geben, so wie dies im Rahmen des Testlaufs vorgegeben war. Für diese respektable Leistung möchte ich meinen herzlichen Dank an das Bundesministerium der Justiz und an das Sekretariat des Rechtsausschusses richten. Der Dank gilt aber auch dem Europareferat (PA 1) des Deutschen Bundestages, das ja eigens zur Unterstützung für die Bewältigung der durch den Lissabonvertrag er- höhten Prüfanforderungen von EU-Vorlagen geschaffen worden ist. Zweifellos wäre die Einhaltung der Frist ohne das reibungslose Funktionieren dieser Stellen nicht realisierbar gewesen. Lassen Sie mich in diesem Zusam- menhang aber auch unterstreichen, dass das Sekretariat des Rechtsausschusses mit der aktuellen Personalaus- stattung die Subsidiaritätsprüfung in dem künftig zu erwartenden Massenbetrieb kaum so effektiv wird unter- stützen können. Ich rege daher an, diese Frage zum Ge- genstand der kommenden Haushaltsberatungen zu ma- chen. In der jüngsten Vergangenheit wurden in den Parla- menten aller 27 Mitgliedstaaten Testläufe zur Subsidiari- tätsprüfung unternommen. Das Ziel war es, dadurch ge- meinsame Erfahrungen für dieses neue Verfahren zu sammeln. Es ging um die Frage des Postmonopols und um die Zuständigkeit im Ehescheidungsverfahren (hier 2006) (vergleiche Bundestagsdrucksache 16/2784 vom 27. September 2006). Anfang November des vergange- nen Jahres wurde der Testlauf zur Terrorismusbekämp- fung gestartet, für den nun die Beschlussempfehlung vorliegt, die wir heute abschließend beraten. Es sind zwei wesentliche Punkte, die wir im Rahmen der Verhandlungen im Rechtsausschuss in die Beschluss- empfehlung und in den Bericht auf der Bundestags- drucksache 16/7769 aufgenommen haben. Erstens. Der Vorschlag der Kommission entspricht nach unserer Ein- schätzung, das heißt der Einschätzung der Mehrheit im Rechtsausschuss, den Anforderungen des Subsidiaritäts- prinzips. Die ausführliche Begründung ist in der Be- schlussempfehlung dokumentiert – lassen Sie mich aber einen aus meiner Sicht wesentlichen Grund der hierfür spricht, deutlich markieren: Terrorismus auf EU-Ebene erfordert ein abgestimm- tes Vorgehen der Mitgliedstaaten. Ebenso ist die Zusam- menarbeit auf internationaler Ebene notwendig. Hierfür bietet die in dem Kommissionsvorschlag vorgesehene Vereinheitlichung strafrechtlicher Regelungen in den Mitgliedstaaten eine wesentliche Erleichterung. Das gilt insbesondere für die Strafverfolgung grenzübergreifen- der terroristischer Aktivitäten. Zweitens. Hinsichtlich der Vereinbarkeit des Rahmenbeschlusses mit dem Art. 2 EU-Vertrag in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 EG- Vertrag statuierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden Bedenken angemeldet. Eine zentrale Problematik liegt in der Frage der Fris- ten begründet. Es steht außer Frage, dass der Zeitrahmen von acht Wochen knapp bemessen ist. Allerdings ist uns dieser Zeitrahmen verbindlich vorgegeben. Er ist bereits jetzt real. Eine Änderung der Acht-Wochen-Frist ist nach Vertragsunterzeichnung nun nicht mehr möglich. Die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes ist in dieser Hin- sicht unmissverständlich – wir alle wissen das. Immer- hin konnte jedoch auf Initiative der Bundesregierung er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14403 (A) (C) (B) (D) reicht werden, dass die Acht-Wochen-Frist erst dann beginnt, wenn der entsprechende Gesetzgebungsent- wurf in den jeweiligen Amtssprachen der Union über- mittelt worden ist. Dieser Gesichtspunkt darf gerade vor dem Hintergrund des Zeitfaktors nicht unterschätzt wer- den. Daher ist diese Regelung begrüßenswert und folge- richtig. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch mit Nachdruck darauf hinweisen, dass die Frist problema- tisch ist, wenn sie in die sitzungsfreie Zeit fällt. Meines Erachtens muss deshalb ein Verfahren für diejenigen Fälle gefunden werden, in denen ein EU-Vorschlag län- gere sitzungsfreie Zeiten des Parlaments betrifft. Ich halte es aber auch für wichtig, in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt zu lassen, dass im Protokoll zum Ver- fassungsvertrag ursprünglich sogar nur eine Sechs-Wo- chen-Frist vorgesehen war. Vor diesem Hintergrund gibt die nun vorliegende Acht-Wochen-Frist wenigstens eine akzeptablere Zeitreserve an die Hand. Ihr Votum zur Subsidiaritätsprüfung ist – laut Ihres Entwurfes für die Beschlussempfehlung – meines Erach- tens lediglich eine unsaubere Abschrift der Stellung- nahme des Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu- ropäischen Union. Lediglich die Wertungen sind andere. Es ist eben wie in der Schule: Abschreiben ist erlaubt – nur erwischen lassen darf man sich nicht! Ich stelle mir in diesem Zusammenhang wirklich die Frage, ob Sie etwa im Ernst glauben, dass Sie mit dieser Abschriftstel- lerei zu einer besseren Profilierung Ihrer Fraktion beitra- gen, die doch wahrscheinlich Ihr eigentliches Ziel ist? In der Sache, meine Damen und Herren von der PDS, kom- men wir doch so wohl kaum weiter. Und unter einer aus- giebigen Auseinandersetzung mit der Frage der Subsi- diarität im Ausschuss verstehe ich auch etwas anderes! Ich stelle fest: Nach unserer Auffassung bestehen keine grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Einhal- tung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Sub- sidiarität. Jedoch melden wir Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Vorschlag für den Rahmenbeschluss. Zum Schluss möchte ich festhalten, dass der zweite Testlauf verdeutlicht hat, dass es erforder- lich ist, innerhalb des Bundestages eindeutige Verfahrens- regelungen und Zuständigkeiten für die Durchführung einer fristgerechten Subsidiaritäts- und Verhältnismäßig- keitsprüfung zu eruieren. Nur so werden die hohen An- forderungen, die künftig an die Ebene der Verwaltung, an die Fraktionen und an die einzelnen Mandatsträger gestellt werden, realistischerweise erfüllt werden kön- nen. Lassen Sie uns ein einheitliches Votum an die Präsi- denten des Europäischen Parlamens, des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission übermitteln. Jörg van Essen (FDP): Nachdem sich der Deutsche Bundestag im vergangenen Jahr erstmalig mit der Subsi- diaritätsprüfung befasst hat, schließen wir heute den zweiten Testlauf ab. Ich glaube, man kann als Ergebnis bereits jetzt festhalten, dass der Testlauf ein Erfolg war und der Deutsche Bundestag sich insoweit als europa- tauglich erwiesen hat. Das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sieht vor, dass die Kommission den nationalen Parlamenten ihren Vorschlag zuleitet mit der Bitte um Prüfung der Subsi- diarität. Die Subsidiaritätsprüfung muss innerhalb von acht Wochen abgeschlossen werden. Es ist uns gelungen, innerhalb dieser Frist die Subsidiaritätsprüfung durchzu- führen und eine entsprechende Stellungnahme vorzule- gen. Wir alle wissen, dass dies ohne die tatkräftige und sachkundige Unterstützung des Sekretariats des Rechts- ausschusses und des Europa-Referats nicht möglich ge- wesen wäre. An dieser Stelle danke ich den Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern daher sehr herzlich für ihre wertvolle Hilfe. Es besteht Einigkeit zwischen den Frak- tionen, dass künftig ein erfolgreicher Ablauf der Subsi- diaritätskontrolle nur dann garantiert werden kann, wenn das Ausschusssekretariat personell entsprechend ver- stärkt wird. Ich sage für meine Fraktion zu, dass wir uns hierfür einsetzen werden. Der Reformvertrag von Lissabon weist den nationa- len Parlamenten künftig im Rahmen der Subsidiaritäts- prüfung eine zentrale Rolle zu. Nach Auffassung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, sind die nationalen Parlamente die natürlichen Hüter des Subsidiaritätsgedankens. Das Subsidiaritäts- prinzip ist grundsätzlich Ausdruck einer bürgernahen Gestaltung von Europa. Es ist daher für die Akzeptanz des europäischen Einigungsprozesses von wesentlicher Bedeutung. Das Subsidiaritätsprinzip zielt darauf ab, dass die größere Einheit in einer Gemeinschaft nur dann zur Erfüllung einer Aufgabe zuständig sein soll, wenn das Individuum oder die kleinere Einheit aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage ist. Der Grundsatz der Sub- sidiarität hat in Deutschland im Hinblick auf Art. 23 GG und das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsge- richts Verfassungsrang. In der Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehlsge- setz ist dies erneut bestätigt worden. Die Betonung des Vorrangs der Autonomie vor der Staatslenkung ist auch ein zutiefst liberaler Ansatz. Den- noch lässt sich nicht bestreiten, dass ein Widerspruch bleibt. Einerseits sollen Entscheidungen auf einer mög- lichst niedrigen Ebene zustande kommen, andererseits werden sie bei Erfüllung bestimmter Kriterien auf einer höheren Ebene getroffen. Dennoch bin ich davon über- zeugt, dass die Verankerung des Gedankens der Subsi- diarität entscheidend zum weiteren Zusammenwachsen von Europa beitragen wird. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Stärkung der nationalen Parlamente. Bisher waren sie eher am Rande an der europäischen Rechtset- zung beteiligt. Nun wird ihre Rolle in der europäischen Politik und im europäischen Rechtsetzungsprozess neu bestimmt. Ihre Einbeziehung in den europäischen Ent- scheidungsprozess ist daher sehr zu begrüßen. Die Berichterstatter sind sich einig darin, dass bei dem vorliegenden Rahmenbeschluss des Rates zur Än- derung des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämp- fung der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt ist. Die Kompetenz der Europäischen Union ist gegeben. Auch von einem Vorrang der Zuständigkeit der Union ist aus- zugehen. Schließlich müssen die Maßnahmen verhält- 14404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) nismäßig sein. Art, Umfang und Intensität der Maßnah- men müssen mit Blick auf das mit ihnen angestrebte Ziel geeignet, erforderlich sein und dürfen zu diesen Zielen nicht außer Verhältnis stehen. Die Verhältnismäßigkeits- prüfung im inneren Sinn ist nicht Gegenstand der Subsi- diaritätsprüfung. Dennoch bin ich froh, dass die Be- schlussempfehlung auch zur Verhältnismäßigkeit eine Aussage trifft. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ist dies auch geboten. In diesem Zusammenhang weise ich auf das Überein- kommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 hin. Das Übereinkommen enthält an- nähernd gleichlautend die in dem Änderungsentwurf enthaltenen Straftatbestände. Über die Regelungen in dem Änderungsentwurf hinaus enthält das Übereinkom- men auch Bedingungen und Garantien als immanente Schranken. Die Vertragsparteien sollen bei der Umset- zung sicherstellen, dass bei der Schaffung, Umsetzung und Anwendbarkeit der Strafbarkeit die Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenrechte, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Vereinigungs- freiheit und auf Religionsfreiheit geachtet werden. Da- mit soll einer Überkriminalisierung vorgebeugt werden. Diese Garantien enthält der Änderungsentwurf zum Rahmenbeschluss nicht. Es spricht daher viel dafür, sich zunächst auf die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zu konzentrieren und von einem gleichlau- tenden Rechtsakt der Union abzusehen. Denkbar ist, dass sich die Mitgliedstaaten des Europarats dazu ver- pflichten, das Übereinkommen innerhalb einer vereinbar- ten Frist umzusetzen. Obwohl zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine abschließende Entscheidung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung getroffen werden muss, ist mir wichtig, für die FDP-Bundestagsfraktion bereits jetzt darauf hinzuweisen, dass wir hier Bedenken haben. Zum Schluss möchte ich festhalten, dass ich mich sehr darüber freue, dass die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses von einer breiten Mehrheit der Frak- tionen getragen wird. Dies ist ein gutes und wichtiges Signal. Ich bin daher zuversichtlich, dass es uns auch künftig gelingen wird, einvernehmlich zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Dies wird die Gestaltungskraft des Deutschen Bundestages bei der europäischen Recht- setzung enorm stärken. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Wir sprechen heute über die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeits- prüfung des Vorschlags für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses zur Terro- rismusbekämpfung. So kompliziert wie der Gegenstand unserer Debatte sich anhört, ist auch der ihm zugrunde liegende Sachverhalt. Es geht um die schwierige und für uns weitgehend neue Frage der Abgrenzung der Gesetz- gebungszuständigkeiten zwischen dem europäischen Gesetzgeber und dem Deutschen Bundestag. Hinter die- ser formalen Abgrenzung verbirgt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation schwerster Grund- rechtseingriffe. Es geht also darum, wie das für demo- kratische Rechtsstaaten konstituierende Gebot, dass ein Bürger grundsätzlich nur nach Gesetzen bestraft werden darf, auf deren Entstehung er als Souverän Einfluss neh- men kann, im Europa des 21. Jahrhunderts verwirklicht werden soll. Rahmenbeschlüsse werden unter Missachtung dieser elementaren Regel durch die Regierungen der Mitglied- staaten beschlossen. Weder das Europäische Parlament noch die nationalen Parlamente sind entscheidend an ih- rer Entstehung beteiligt. Ihre Auswirkungen für die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten sind trotz oder gerade wegen dieses Mangels an demokrati- scher und transparenter Willensbildung immens. Ich er- innere nur an den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpor- nographie, welcher unser über Jahrzehnte gewachsenes und sensibel austariertes Sexualstrafrecht völlig auf den Kopf stellt. Vom Rahmenbeschluss über den Europäi- schen Haftbefehl ganz zu schweigen. Ich will nicht verhehlen, dass mir die immer weiter ausufernden Zuständigkeiten auf europäischer Ebene auch und gerade im Bereich der Strafrechts- und Sicher- heitspolitik schwere Kopfschmerzen bereiten. Sie führen leider regelmäßig zu einem der öffentlichen Diskussion weitgehend entzogenen Abbau von Bürgerrechten. Dies wird die uns jetzt beschäftigende Prüfungsmöglichkeit auch unter der Geltung des Vertrags von Lissabon nicht verhindern können. Auch mit ihr bleiben die Einfluss- möglichkeiten der nationalen Parlamente schon deshalb gering, weil das Votum der Mitgliedstaaten, die EU be- sitze keine Kompetenz, alles andere als ein echtes Veto- recht darstellt. Selbst wenn die Mehrheit der Mitglied- staaten der Meinung ist, es würde unrechtmäßig in ihre souveränen Rechte eingegriffen, führt dies lediglich dazu, dass der Europäische Gesetzgeber seinen Vor- schlag überprüfen muss, aber dennoch an ihm festhalten kann. Ist die Subsidiaritätsprüfung demnach ein stumpfes Schwert? Sind wir dennoch verpflichtet, für die demo- kratischen Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger zu streiten? Wir schulden Ihnen die gründliche Prüfung, ob es der Europäischen Union zusteht, sich der Regelungs- kompetenz eines bestimmten Themas zu bemächtigen oder nicht. In dem vorliegenden Testlauf dreht es sich einfach ausgedrückt um die Frage, ob die Bekämpfung des Ter- rorismus es erfordert, dass die Strafvorschriften über die öffentliche Aufforderung zur Begehung terroristischer Straftaten, die Anwerbung für terroristische Zwecke und die Ausbildung für ebensolche Ziele europaweit angegli- chen werden. Die EU darf nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs und ih- rer Wirkungen besser auf EU-Ebene erreicht werden können. Dies ist anhand der Fragen zu prüfen, ob der zu regelnde Bereich transnationale Aspekte aufweist, die durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können, ob alleinige Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaß- nahmen gegen die Anforderungen des Vertrags versto- ßen oder auf sonstige Weise die Interessen der Mitglied- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14405 (A) (C) (B) (D) staaten erheblich beeinträchtigen würden und ob Maßnahmen auf EU-Ebene wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile mit sich bringen würden. Über die Antworten auf diese Fragen lässt sich treff- lich streiten. Der politische Streit lebt von den Argumen- ten. Das Argument bedarf der Fakten. Der Vorschlag für die Änderung des Rahmenbeschlusses verzichtet bei der Begründung der Annahme einer EU-Kompetenz aber weitgehend auf Argumente, schlimmer noch, er macht uns eine fundierte Diskussion des Für und Wider einer EU-Kompetenz unmöglich, denn wir haben nicht die Fakten, die wir für eine solche zwingend benötigen. Für eine seriöse Diskussion müssten wir einen Vergleich sämtlicher Vorschriften der europäischen Mitgliedsstaa- ten zu dem vorliegenden Regelungsgegenständen vor- nehmen. Niemand in diesem Parlament kennt jedoch diese Normen. Deshalb kann auch niemand die vorste- henden Fragen seriös beantworten. Er kann nur aus dem Bauch heraus eine Bewertung ins Blaue hinein vorneh- men. Dann erweist sich die Subsidiaritätsprüfung ledig- lich als ein Placebo, um das eigene schlechte demokrati- sche Gewissen zu therapieren. Hier liegen das eigentliche Problem und der Grund dafür, dass die Fraktion Die Linke sich in den Ausschüs- sen genötigt sah, ein von der Mehrheit abweichendes Votum zu formulieren. Ich will Ihnen dies illustrieren: Der Entwurf des Vorschlags behauptet, dass durch die Änderungen verhindert werde, „dass sich Terroristen die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen und Gesetzeslücken zunutze machen“. Diese Behaup- tung wird nicht belegt. Es wird weder dargestellt, welche Gesetzeslücken es gibt, noch wie Terroristen von diesen profitieren können. Dabei ist nicht einmal im Ansatz dargetan, dass die Existenz von Strafvorschriften auf das Verhalten von Terroristen irgendwie Einfluss hat. Ange- sichts der globalen Wirkung des Internets drängt sich die Frage der Nützlichkeit auch europaweiter Strafvorschrif- ten geradezu auf, kann die Propaganda doch einfach von einem Nicht-EU-Standort aus verbreitet werden, ohne dass ihre Wirkung innerhalb der EU abnähme. Reichen vielleicht die Instrumente des Europäischen Haftbefehls in Verbindung mit den Regelungen über die Geltungsbe- reiche der einzelnen Strafrechtsordnungen der Mitglied- staaten aus, um das Ziel des Vorschlags zu erreichen? Diese und noch weitere Fragen hätte bereits der Vor- schlag des Rates aufwerfen müssen, damit wir sie hätten diskutieren können. Stattdessen haben wir nicht einmal eine Übersetzung der ausführlichen Begründung des Vorschlags erhalten. So können wir unserer Pflicht ge- genüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht nachkom- men, so ist unsere Prüfung ein nutzloses demokratisches Feigenblatt. Diese Erkenntnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass dieser Testlauf stattfindet. Sie zeigen, wo wir alle ge- meinsam ansetzen müssen, um unserer verfassungs- rechtlich zugewiesenen Aufgabe als Vertreter des ge- samten Volkes gerecht zu werden: Wir müssen dafür streiten, dass auf europäischer Ebene eine Begründungs- und Diskussionskultur Einzug hält, die Transparenz und Rationalität an die Stelle europäischer Glaubensbekennt- nisse setzt. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Lissabonner Vertrag wird, wenn er in Kraft treten wird, die Rechte der nationalen Parlamente in der Euro- päischen Union stärken. Bis es so weit ist, finden Test- läufe dieser zukünftigen Parlamentsbeteiligung statt, um Schwächen und Unverträglichkeiten rechtzeitig aufzude- cken und bei uns im Bundestag Vorsorge dafür treffen zu können, dass unsere gestärkten Beteiligungsrechte nicht leerlaufen. In der Sache geht es darum, dass die nationalen Parla- mente durch das Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissa- bon ermächtigt werden, jeweils innerhalb von acht Wo- chen eine Stellungnahme dazu abzugeben, ob eine bestimmte EU-Vorlage mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist oder nicht. Hält eine Mindestanzahl natio- naler Parlamente den Grundsatz der Subsidiarität für verletzt, muss die EU-Vorlage von der Kommission überprüft werden. Das kann im Ergebnis sogar dazu füh- ren, dass die Vorlage ganz zurückgezogen wird. Solange der Vertrag von Lissabon aber noch nicht in Kraft ist, findet diese Prüfung als Testlauf statt. Die nationalen Parlamente sollen also – und das ist ein Fortschritt – in Zukunft bei der europäischen Gesetz- gebung gestärkt werden und zwar dadurch, dass sie früh- zeitig die möglicherweise fehlende Kompetenz der Kommission rügen können. Denn nichts anderes bedeu- tet das Subsidiaritätsprinzip. Geprüft wird, ob die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen – für die es aller- dings überhaupt eine EU-Rechtssetzungskompetenz ge- ben muss – nicht ausreichend durch die Mitgliedstaaten erreicht werden und deshalb besser durch Maßnahmen der Gemeinschaft erreicht werden können. Nur dann darf die Europäische Gemeinschaft tätig werden. Vorliegend haben wir die Einhaltung der Subsidiarität beim Entwurf eines Rahmenbeschlusses, der den Rah- menbeschluss zur Terrorismusbekämpfung von 2002 än- dern soll, geprüft und mit Ausnahme der Fraktion Die Linke interfraktionell bejaht. Wir Grüne weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff „Cyberkrimi- nalität“, wie er in der Stellungnahme vorkommt, vom Bundestag einstimmig schon seit langem als zu unbe- stimmt und schwammig kritisiert wird. Die Bundesre- gierung bleibt aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die von der EU verwendeten Deliktsgruppen konkreti- siert werden. Niemand kann bestreiten, dass es grenzüberschrei- tende Tendenzen des Terrorismus gibt. Bei der notwen- digen Verfolgung solcher schwersten Straftaten durch in- ternational agierende Organisationen stößt nationale Gesetzgebung an ihre Grenzen. Insoweit ist der Vorstoß der Europäischen Union, die diese Strafverfolgung koor- diniert, nicht nur richtig, sondern auch besser als ein Ne- beneinander nationaler Aktivitäten. Die Kritik der Lin- ken teilen wir deshalb nicht. Kritisch haben wir uns mit der Frage der Verhältnis- mäßigkeit auseinandergesetzt. Da ganz ähnliche straf- 14406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) rechtliche Regelungen im Übereinkommen des Europa- rats zur Verhütung des Terrorismus vom 15. Mai 2005 enthalten sind, ist nicht klar, welchen rechtlichen und praktischen Mehrwert eine Doppelung dieser Vorschrif- ten in einem Rechtsakt der EU hat. Dies gilt umso mehr, als die Ratifizierung dieses Übereinkommens ohnehin von allen Mitgliedstaaten angestrebt wird. Ich begrüße, dass der Bundestag diese Bedenken deutlich zum Aus- druck bringt und hoffe, dass dies in den EU-Gremien nochmals intensiv diskutiert wird. Eine gründliche inhaltliche Befassung mit dem Rah- menbeschluss steht noch bevor. Wir Grüne werden die darin befindlichen Regelungen von weiteren Straftatbe- ständen zur Terrorismusbekämpfung kritisch prüfen. Ein letztes Wort noch zum Verfahren des Testlaufs: Ich möchte mich ausdrücklich beim Rechtsausschuss- sekretariat, aber auch beim Referat Europa für die gründlichen Vorarbeiten bedanken. Es besteht Einigkeit darüber, dass bei EU-Vorhaben, die dem Rechtsaus- schuss überwiesen werden, die Beschlussvorlage der Subsidiaritätsprüfung künftig vom Rechtsausschuss er- arbeitet wird. Für die dafür erforderliche personelle Aufstockung spreche ich mich schon heute explizit aus. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Weiterentwicklung des Adressraums im Internet (Tagesordnungspunkt 10) Dorothee Bär (CDU/CSU): Durch das Internet, heißt es, wird die Welt zum Dorf. Jeder kann sich von zu Hause aus viele Dörfer anschauen. Er muss sie nur fin- den. Damit das „Dorf“ sich selbst auch im Internet wie- derfindet und gefunden wird, haben die Regierungsko- alitionen diesen Antrag gestellt. Regionen, Städte, Dörfer sollen in der landesüblichen Schreibweise zu finden sein. Wir haben bereits erreicht, dass sich bei- spielsweise die Homepage der Stadt Nürnberg unter www.nürnberg.de öffnen lässt, wobei man den Namen mit „ü“ schreiben kann. Nun fehlt noch die Bezeichnung der eigenen Region in der sogenannten Top-Level-Domain, die derzeit meist mit dem Kürzel des jeweiligen Landes, in Deutschland meist mit „.de“, gekennzeichnet ist. Das ist Ziel unseres Antrages: Die Menschen sollen im weltweiten Netz auch direkt ihre Region finden können. Eine Top-Level-Do- main wie „.bayern“ wäre mit unserem Antrag möglich und erleichtert den Internetnutzern das Suchen von An- geboten, Unternehmen, Städten in der jeweiligen Re- gion. Mit diesem Antrag machen wir für das Internet beides möglich: Globalisierung und Regionalisierung. Schließ- lich ist doch eine der besten Errungenschaften des Inter- nets, dass man von allen Orten dieser Welt beinahe alles über das Internet erledigen kann. Das ermöglicht zum Beispiel, dass Menschen in ländlichen Regionen die gleichen Angebote nutzen können wie Menschen in der Großstadt. Sie müssen dafür nicht ihre Heimat verlassen, um in die nächstgrößere Stadt zu gelangen. Sie können unter Umständen auch von dort aus arbeiten und müssen nicht täglich pendeln oder gar völlig aus ihrer Region wegziehen. Sie können sich von zu Hause aus über fast alles im Internet informieren: über Dinge, die sie erwerben wol- len, über Menschen, die sie kennen gelernt haben, oder auch darüber, was ihre Politiker für sie machen. Dabei ist es oft schwierig, aus der Fülle der Informationen die relvanten herauszufiltern. Hier soll unser Antrag helfen: Die regionalen Top-Level-Domains machen es möglich, dass Informationen schneller gefunden werden, zum Beispiel, wenn jemand in eine bestimmte Region unse- res Landes reisen möchte. Schon jetzt ist die Informa- tionsmöglichkeit über das Internet besonders für Rei- sende eine große Hilfe. Sie ist aber auch eine große Chance für unsere Regio- nen. Sie können sich vorstellen, und man kann sich von ihnen ein Bild machen. Manch eine Region hätte man so vielleicht nie kennen gelernt. Diese große Chance nutzen viele Tourismusagenturen unserer Regionen. Sie sind durch die ganz spezielle Be- zeichnung zum Beispiel „.unterfranken“ dann noch leichter zu finden. Und auch die dazu passenden Ange- bote lassen sich dann leichter finden. Das Internet bietet so immer größere Chancen. In der vergangenen Zeit wurde viel zu oft nur über die Risiken des Internets ge- sprochen. Es sollte aber niemand ein „Internet-Analphabet“ sein. Niemand, besonders ältere Menschen, sollten durch negative Diskussionen abgeschreckt werden, das Inter- net zu nutzen. Er verschließt sich selbst damit einem Teil unseres Lebens und wird ausgeschlossen. Solche Dis- kussionen erinnern sehr an die Diskussion über das Fern- sehen in den 60er-Jahren. Gerne wurde das Fernsehen wie heute das Internet als Sündenbock für Fehlentwick- lungen in unserer Gesellschaft hergenommen. Die Ursa- chen sind aber meist vielschichtig und liegen – heute wie damals – auch woanders: in den Familien, der Erzie- hung, der Gesellschaft. Die Schuld dann bei einzelnen Angeboten wie dem Internet zu suchen, ist zu einfach. Mit unserem Antrag soll das Internet also übersichtli- cher und regionaler werden. Das ist notwendig, weil schon heute in Städten wie London, New York oder Ber- lin mehr Domainregistrierungen zu verzeichnen sind als in über 150 Ländern. Für bestimmte Regionen wird es deshalb auch im Internet einfach eng. Mit einer eigenen Top-Level-Domain lässt sich mehr Übersichtlichkeit und Platz schaffen. Nutzen wir also die vielfältigen Möglichkeiten, die das Internet bietet, und machen es möglich, dass es uns nicht nur die Welt, sondern auch die eigene Region er- öffnet. Christoph Pries (SPD): Gronau ist eine Stadt im Kreis Borken, den ich im Deutschen Bundestag vertrete. Nicht nur als ehemals bedeutender Standort der deutschen Textilindustrie und als Geburtsstadt von Udo Lindenberg Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14407 (A) (C) (B) (D) hat Gronau von sich reden gemacht. Unter Internetnutzern gelangte die Stadt kürzlich aufgrund der 11 111 111. Re- gistrierung einer .de-Domain durch eine ansässige Dru- ckerei zu einem gewissen Bekanntheitsgrad. In keinem Land der Erde sind mittlerweile so viele Landesdomains registriert wie in Deutschland. Was auf der einen Seite die Internetbegeisterung unserer Bürgerinnen und Bürger so- wie deren Wissen über die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Internet kennzeichnet, zeigt auf der anderen Seite die Grenzen auf: Aufgrund der hohen Zahl an Domains ge- lingt es kaum noch, eine zutreffende Adressbezeichnung für individuelle Präsentationen oder die des Unterneh- mens im Internet zu finden. Als Zugangscode für Web- sites haben Domainnamen jedoch eine herausragende Be- deutung, und eine treffende, merkfähige Bezeichnung ist nicht nur wichtig für den Erfolg der Seite, sondern auch konstituierendes Merkmal der Onlineinfrastruktur insge- samt. Analog zur fortschreitenden Durchdringung fast sämtlicher Lebensbereiche durch das Netz steigt daher die Notwendigkeit, das bestehende System weiterzuentwi- ckeln. Längst ist das Thema auch bei der Internetverwal- tungsorganisation ICANN, Internet Corporation for As- signed Names and Numbers, angekommen. Mit der Einführung von „.asia“ für Asien, ,,.eu“ für Europa und ,,.cat“ für Katalonien hat ICANN die Weiterentwicklung des bestehenden Systems in die Wege geleitet. Die Zulas- sung der Domain ,,.cat“ für Katalonien im Jahr 2005 hat gezeigt, dass dies ein Stimulus für die Produktion unzähli- ger Websites in katalanischer Sprache und mit auf Katalo- nien bezogenen Inhalten war. Weltweit haben sich inzwi- schen Initiativen gebildet, um auf Ebene der TOP-Level- Domains (TLD) stärker regionale Zuordnungsmerkmale zu etablieren. So sollen künftig ,,.sco“ die schottische Sprache und kulturelle Gemeinschaft, ,,.nyc“ die Stadt New York im Netz repräsentieren. Auf dem jüngsten Treffen der Organisation in Los Angeles Ende vergangenen Jahres wurde angekündigt, dass ab kommendem Jahr weitere Bewerbungen für neue TOP-Level-Domains entgegengenommen werden. Die Ausweitung der Namensvergabe auf Ebene der Top-Le- vel-Domains wird auch den Bundesländern, Regionen und Städten unseres Landes bessere Chancen bieten, sich in ihrer Eigenheit weltweit zu präsentieren. Sie be- kommen die Möglichkeit, mit Stadtstaaten gleichzuzie- hen, die bereits heute aufgrund ihres Status eine eigene TOP-Level-Domain innehaben, obwohl ihre Bedeutung – gemessen an der Anzahl der registrierten Domains – nur sehr gering ist. So hat zum Beispiel Gibraltar mit der eigenen Endung ,,.gi“ und circa 30 000 Einwohnern viel bessere Möglichkeiten sich im Netz zu präsentieren, als Berlin, wo schon weit mehr als 500 000 Domains unter der Domain „.de“ registriert sind. Es wundert daher nicht, dass auch in Berlin Bemühungen existieren, „.ber- lin“ als TOP-Level-Domain zu etablieren. Dass Bedarf an neuen Möglichkeiten der Namensfindung besteht, zeigt auch der sich ausweitende irreguläre Gebrauch von Länderdomains, angefangen von ,,.by“ – der Endung für Belarussland –, genutzt durch die Bayrische Tourismus und Marketing GmbH, bis hin zur Nutzung der rumäni- schen Länderdomain „.ro“. Unter www.rathaus.ro findet man heute den Onlineauftritt der Stadtverwaltung von Rosenheim. Mit dem heute zu verabschiedenden Koalitionsantrag unterstreichen wir unsere Auffassung, dass die Weiter- entwicklung von lokalen Inhalten im Internet für Deutschland von erheblicher Bedeutung ist. Der Antrag zielt darauf, den gegenwärtig auf internationaler Ebene stattfindenden Diskussionsprozess zu unterstützen. Mit unserem Antrag fordern wir daher die Bundesregierung auf, sich im Rahmen ihrer Mitarbeit bei der ICANN für die Einführung neuer Top-Level-Domains einzusetzen. Als Ergänzung zur nationalen Kennzeichnung „.de“ wer- den dadurch sowohl der regionalen Wirtschaft als auch der Kultur, der Politik sowie den Bürgerinnen und Bür- gern neue Möglichkeiten eröffnet. Dabei ist darauf zu achten, dass durch die neuen Do- mains Rechte Dritter nicht verletzt werden. Analog zu der Einmaligkeit der Domain und der Person „Peter Struck“ hat gleiches auch für die neuen TLDs zu gelten. Es zeichnet sich ab, dass hier noch erhebliches Konflikt- potenzial herrscht. ICANN ist daher gut beraten, offene Fragen rechtzeitig zu klären. Weiterhin ergeht der politi- sche Auftrag an die Bundesregierung, im Rahmen ihrer Mitarbeit im Internet Governance Forum darauf hinzu- wirken, die Verwaltung der Domains auch zukünftig im Rahmen einer Selbstverwaltung zu gewährleisten. Auch soll dahin gehend gewirkt werden, dass es zu einer wei- teren Flexibilisierung des Zeichensatzes für das Na- menssystem kommt und dass personenbezogene Daten, die bei einer Domainregistrierung erfasst werden, besser gegen Missbrauch geschützt werden. Bedenkt man, wie stark das Internet in wenigen Jah- ren die wirtschaftlichen Strukturen sowie das soziale, kulturelle, wissenschaftliche und rechtliche Miteinander weltweit verändert hat, so können wir gespannt darauf sein, in welche Richtung sich das Medium entwickeln wird. Ich glaube, dass mit der Weiterentwicklung des Adressraums im Internet ein vielversprechender Weg be- schritten wird. Jörg Tauss (SPD): Der Deutsche Bundestag berät heute abschließend den Antrag der Koalitionsfraktionen zur „Weiterentwicklung des Adressraums im Internet“. Ich begrüße es außerordentlich, dass sich der Deutsche Bundestag erneut mit den rechtlichen Rahmenbedingun- gen in einem weltweiten Informations- und Kommuni- kationsnetz, dem Internet, seiner technischen Verfasst- heit und dem fairen Zugang zu seiner Infrastruktur befasst. Diese Fragen sind heute und in Zukunft für Deutschland und alle anderen Nationen von hoher sozia- ler, kultureller, rechtlicher und nicht zuletzt auch ökono- mischer Bedeutung. Das konstituierende Merkmal des Internets als welt- weites Daten-, Informations- und Kommunikationsnetz ist die Vergabe einmaliger und eindeutiger Adressen, da- mit Nutzer weltweit Inhalte leicht und nachvollziehbar auffinden können. Die Kontrolle über den Adressraum des Internets, über Domains und Top-Level-Domains, TLDs, das heißt die höchsten Hierarchiestufen von Do- mains, sind ein entscheidender Teil dieser Infrastruktur. Sie liegt bei der ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, einer privatrechtlichen 14408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Non-Profit-Organisation US-amerikanischen Rechts mit Sitz in Marina del Rey, die heute zugleich über die Grundlagen der Verwaltung von Namen und Adressen im Internet entscheidet und Standards für Technik und Verfahren beschließt. Auch wenn die ICANN kein ver- bindliches Recht setzt, koordiniert sie so doch techni- sche Aspekte des Internets, deren normative Kraft des Faktischen weltweit erhebliche ökonomische und politi- sche Auswirkungen hat. Die ICANN entscheidet über die Grundlage der Verwaltung der sogenannten Top-Le- vel-Domains und wird auch gerne als „Weltregierung des Internets“ bezeichnet. Und obwohl die ICANN längst Teil einer autonomen Selbstregulierung des Internets sein oder aber ihre Legi- timation durch eine verstärkte internationale Koopera- tion erhalten sollte, ist sie heute allein mit der US-Admi- nistration durch staatliche Aufsicht und einen Vertrag verbunden. Dieses ist bereits seit langem Gegenstand von Diskussionen über die künftige Struktur der politi- schen Kontrolle des Internets – zuletzt auf dem UN- Weltgipfel zur Informationsgesellschaft. Einer der Kern- forderungen des heute zur abschließenden Beratung anstehenden Koalitionsantrags lautet daher konsequent, dass die Bundesregierung den ICANN-Prozess und die Diskussion um die zukünftige Internetverwaltung in en- gem Zusammenwirken mit der deutschen Internetnutzer- schaft sowie den europäischen Partnern weiterhin auf- merksam begleiten und sich für eine mittelfristige Internationalisierung der Aufsicht der Domainnamen- verwaltung einsetzen soll. In diesem Jahr blickt die ICANN auf ihr nunmehr zehnjähriges Bestehen zurück. Wichtigstes Thema bleibt damit die Fragestellung, ob die US-Regierung die ICANN tatsächlich – wie angekündigt – vollständig aus ihrer Kontrolle entlassen wird. 2009 läuft das aktuelle Joint Project Agreement aus. Hierzu hat die ICANN An- fang Januar 2008 eine Stellungnahme vorgelegt, in der sie die Einschätzung vertritt, dass es einer solchen Kon- trolle nicht mehr bedarf und dass das Joint Project Agreement, JPA, keiner weiteren Verlängerung bedürfe. Dies wird auch Gegenstand des nächsten Treffens des Internet Governance Forum der Vereinten Nationen, IGF, sein, welches vom 8. bis zum 12. Dezember 2008 in Delhi tagt. Das zweite große Thema der diesjährigen ICANN- Meetings wird die Weiterentwicklung des Adressraums im Internet sein, welche auch aus deutscher Sicht von entscheidender Bedeutung ist. Mit der deutschen Top- Level-Domain „.de“ wird in Deutschland privatwirt- schaftlich die weltweit mit Abstand erfolgreichste Top- Level-Domain auf Staatenebene betrieben. Unterhalb von „.de“ sind heute bereits über 10 Millionen Domains registriert. Ich verweise auf eine höchst aktuelle Statis- tik. Diese stammt von der DENIC, der zentralen Regis- trierungsstelle für alle Domains unterhalb der Top- Level-Domain „.de“. Dort werden also alle Internet- adressen mit der Endung „.de“ registriert und verwaltet. Ge- mäß dieser Statistik gab es heute Morgen 11 720 160 Do- mains mit der Endung „.de“. Begonnen hat die DENIC übrigens erst im Jahr 1994! Betrachtet man die interna- tionale Entwicklung bei der Registrierung von Domains, so zeigt sich ein ähnlich erfolgreiches Bild. Auch hier möchte ich auf eine Statistik verweisen, eine Statistik der ICANN. Gemäß ICANN gab es demnach Ende 2007 weltweit etwa 138 000 000 registrierte Domains. Gegenwärtig wird in den Gremien der ICANN eine Debatte über die Einführung neuer Top-Level-Domains geführt, und dies ist auch der Anlass dafür, dass der Deutsche Bundestag sich mit diesem Antrag positioniert. Auch wenn das Internet global strukturiert ist, zeigt sich wegen des großen Erfolges dieser und anderer nationaler Adressierungen inzwischen weltweit ein Trend, die Adressierung auf Ebene der Top-Level-Domains weiter- zuentwickeln. Neben den bekannten Adressen wie „.com“, „.org“ und den nationalen Adressen wie „.de“ wird der Adressraum um regionale Adressierung erwei- tert, um stärkere lokale und regionale Nutzung zu för- dern bzw. homogene Märkte und Nutzungsräume schon auf Ebene der Top-Level-Domains sichtbarer und er- kennbarer zu machen. In der Vergangenheit wurden von der ICANN regionale Top-Level-Domains nur für Natio- nalstaaten zugelassen. Mit der Einführung von „.eu“ für Europa, „.asia“ für Asien oder „.cat“ für Katalonien wur- den inzwischen jedoch entsprechend diesem Trend erste regionale Top-Level-Domains geschaffen. Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Bundesregierung aufge- fordert, sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass auch regionale und urbane Gemeinschaften in Deutschland als neue Top-Level-Domains zugelassen werden können. Die Bundesregierung soll ihren Einfluss geltend machen, damit die Verwaltung der Domains und Top-Level-Domains weiter im Rahmen einer Selbstver- waltung der Internetgemeinschaft unter Aufsicht einer internationalen Kooperation durchgeführt wird und zu- gleich die Rechte der Inhaber von Namensrechten ge- wahrt bleiben. Eine weitere Forderung ist auf die weitere Flexibilisierung des Zeichensatzes für das Domain- namensystem gerichtet. Hier geht es darum, auch Um- laute und Sonderzeichen zuzulassen. Da es sich hierbei um eine ganz aktuelle Diskussion bezüglich der Modernisierung des Internetadressraums handelt, gibt es natürlich auch kritische Anmerkungen. So gibt es beispielsweise die Befürchtung, dass die Ein- führung neuer und regionaler Top-Level-Domains die Übersichtlichkeit des Internetadressraums gefährden würde. Dem muss entgegengehalten werden, dass dies für jedwede Erweiterung des Internetadressraums gelten würde. Ein zentraler Vorteil aber ist, dass damit der Inter- netadressraum deutlich vergrößert wird und dass durch den Ausbau um regionale Adressierung eine stärkere lo- kale und regionale Nutzung gefördert wird bzw. homo- gene Märkte und Nutzungsräume schon auf Ebene der Top-Level-Domains sichtbarer und erkennbarer gemacht werden können. Verwiesen wird auch auf Probleme, die sich aufgrund der unterschiedlichen Schreibweise bzw. der Tatsache, dass manche Städtenamen mehrfach vorkommen, erge- ben. Aber auch das ist kein unlösbares Problem. Darüber hinaus gibt es in Berlin die Besonderheit, dass sich zwar eine breite private Initiative von Bürgern und Unterneh- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14409 (A) (C) (B) (D) men für „.berlin“ als neue TLD stark macht, der Berliner Senat das allerdings kritisch sieht. Befürchtet werden Kollisionen mit dem bestehenden Berlin-Portal, das un- ter www.berlin.de betrieben wird. Nicht auszuschließen sei darüber hinaus, dass der Name „Berlin“ durch pro- blematische Domainnamen – so werde es ja nicht nur „theater.berlin“ oder „taxi.berlin“ geben – Schaden neh- men könnte. Diese Argumentation übersieht aber, dass regionale TLDs ja gerade die Chance zu regional verabredeten Re- geln der Domainvergabe eröffnen. Gerade dadurch würde es erstmals möglich, problematische Entwicklun- gen im Internet, die wir heute national oder lokal nicht regeln können, durch verbindliche Verabredungen mit dem Betreiber zu lösen. Das ist etwas ganz anderes als der Betrieb eines Internetportals und erscheint mir zu- dem auch politisch bedeutsamer als die Frage, wie viele Zugriffe die bisherige Web-Visitenkarte einer Gemeinde künftig haben wird. Denn – auch wenn man es bedauern mag –: Art. 87 f Abs. 2 des Grundgesetzes besagt, dass die öffentliche Hand die Vergabe von Domains hoheitlich gestaltet. Die Idee, nur weil es eine deutsche Gemeinde nicht möchte, dass eine andere Gemeinde in der Welt gleichen Namens einen Antrag stellt, könnte sie die Vergabe des Namens insgesamt verhindern, trägt ebenfalls nicht. Bei einer neuen Domain wie „.berlin“ verlangen wir von der ICANN aber mindestens, dass eine private Initiative wie bei „.berlin“ die Belange der deutschen Namensträger berücksichtigen muss, um Unterstützung, oder Beteili- gung einfordern zu können. Darin sehe ich eine große Chance; denn so können – unabhängig von der verfas- sungsrechtlichen Situation – wenigstens mittelbar Nor- men des deutschen Jugendschutzes, des Strafrechts, des Namens- und Markenrechtes usw. in einen international erreichbaren Domainraum einfließen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen verweist daher auf die entsprechenden Initiativen, welche sich für Städte wie London, Paris, Berlin oder New York City ge- bildet haben und die bei der ICANN eine Registrierung entsprechender Stadt-Top-Level-Domains beantragen wollen. Zur Vermeidung einer Benachteiligung deut- scher Städte, Gemeinden und Regionen gegenüber ande- ren Regionen und Metropolen befürwortet der Deutsche Bundestag mit diesem Antrag solche Initiativen aus Deutschland ausdrücklich und stellt zugleich aus den oben genannten Gründen klar, dass diese von den zu- ständigen öffentlichen Stellen unterstützt oder mitgetra- gen werden sollen. Vielleicht sieht man es mal von einer anderen Seite: Gestern konnte man beim ZDF nachlesen, dass schät- zungsweise 15 000 Schleswig-Holsteiner auf St. Helena leben – zumindest virtuell; denn sie haben eine eigene Webdomain mit der für Schleswig-Holstein attraktiven Länderkennung „.sh“ registriert. Dies ist natürlich kein norddeutsches Phänomen; denn auch rund 30 000 Bay- ern haben eine Webadresse, die auf das weißrussische Länderkürzel „.by“ endet. Dies können doch aber letzt- lich nur Notbehelfe sein, machen aber eben die Notwen- digkeit neuer und regionaler Top-Level-Domains offen- sichtlich. Schließlich befasst sich – um auch hierauf noch kurz einzugehen – der Antrag der Koalitionsfraktionen mit der ebenfalls bei den ICANN-Meetings diskutierten Fra- gestellung, ob es auch neuer Regeln zum Dienst „Whois“ bedarf. Bei dem „Whois“ einer Domain handelt es sich um ein Protokoll und darauf aufbauende Informa- tionsdienste, mit denen personenbezogene Angaben zu Inhabern von Domains, Ansprechpartnern und zuständi- gen Technikadministratoren abgefragt werden können. Die bislang öffentlich für jedermann zugängliche Bereit- stellung umfasst jedoch auch sensible persönliche Daten wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen, IP-Adressen und Anschriften und geht damit weit über Kontaktdaten aus öffentlichen Telefonverzeichnissen hinaus. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Bundesregie- rung aufgefordert, im Rahmen ihrer Mitwirkung in der ICANN eine Weiterentwicklung des Systems der Spei- cherung und Weitergabe von Whois-Daten im Sinne der besseren Gewährleistung eines Schutzes personenbezo- gener Daten insbesondere gegen Identitätsdiebstähle und der Nutzung unverlangter Werbung, Spam, zu fordern. Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit und für die interessanten Debatten in den Ausschüssen und möchte für die Unterstützung des Antrages der Koalitionsfrak- tionen werben – ausdrücklich auch in Richtung der deut- schen Städte und Regionen, die so attraktiv sind, dass sich für sie eine eigene Domain im Internet lohnen könnte. Christoph Waitz (FDP): Der Erfolg des Internets führt zu einer rasanten Erhöhung der Anzahl der Web- seiten. Webseiten, die nicht nur dem Angebot von Waren dienen, sondern wie zum Beispiel die Internetseite des Deutschen Bundestages den Bürgerinnen und Bürgern ein Informationsangebot über unsere Arbeit präsentie- ren. Neben dieser Funktion dient diese Präsentation auch dazu, Werbung in eigener Sache zu machen. Deshalb ist es notwendig, dass diese Seiten im Internet schnell zu finden sind. Einfache Internetadressen, die schon im Na- men den Inhalt oder den Autor der Webpräsenz deutlich machen, sind dazu am besten geeignet. Mit der Internet- adresse „Bundestag.de“ ist das sicher gelungen. Die Bür- gerinnen und Bürger können sich ohne langwieriges Su- chen über unsere Arbeit, unsere Streitkultur und die Art und Weise, wie der Deutsche Bundestag im Konzert mit den anderen Verfassungsorganen funktioniert, informie- ren. Aber: Allein unter dem Domainkürzel „.de“ waren Ende 2007 weit über 11 Millionen Internetseiten regis- triert. Nicht eingerechnet sind all die Unternehmen, Organisationen und Bürger in Deutschland, die die Do- mainkennungen „.org“, „.com“ oder „.info“ nutzen. Dies hat zur Folge, dass es kaum noch möglich ist, Internet- adressen registrieren zu lassen, die den Ansprüchen an Einfachheit, Prägnanz und Werbewirksamkeit genügen. Sie können deshalb nicht registriert werden, weil Wett- bewerber oder Namensvettern sich die Rechte schon ge- sichert haben. 14410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Es ist also ein Flaschenhals entstanden, der beseitigt werden muss. Ein Flaschenhals, der auch deshalb besei- tigt werden muss, weil der Name, also die Adresse der Internetseite, über die möglichen Zugriffszahlen und da- mit letztlich über den wirtschaftlichen Erfolg mit ent- scheidet. Wie das gelingen kann, zeigen uns bereits andere Länder. Regionale Domainnamen wie „.cat“ für Katalo- nien in Spanien werden schon jetzt von der ICANN (In- ternet Corporation for Assigned Names and Numbers) zugelassen. Da der Adressraum immer enger wird, macht es aus Sicht der FDP-Fraktion Sinn, über die Domain „.de“ hi- naus zu denken. Durch die Einführung von regionalen Domainnamen, die der Antrag fordert, ließen sich Adressen schaffen, die eine besondere regionale Verbun- denheit oder schlichtweg eine Kurzbeschreibung des in- haltlichen Angebotes ermöglichen würden. Mit der Adresse „Wirtschaftsfoerderung.Sachsen“ oder „Kultur- tourismus.Thueringen“ wäre das Wesentliche schon in der Internetadresse gesagt. Es so zu gestalten, ist nicht nur sinnvoll, sondern es gibt auch den Bedarf dazu. Schon heute gibt es rund 30 000 Internetadressen aus Bayern, die auf das Kürzel „by“, das weißrussische Län- derkürzel, zurückgreifen. Das macht deutlich, dass es of- fenkundig den Wunsch nach einem bayrischen Regio- nalkürzel gibt. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Zwischenbe- merkung: Für uns sind das Internet und die damit verbun- denen Informationsangebote zu einem täglichen Arbeits- mittel und zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Aber die Informationsfreiheit, der Zugang zu Berichten und Informationen sind im weltweiten Vergleich leider nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Der Blick auf Staaten wie Weißrussland und China macht deutlich, dass das Internet als Bedrohung der jeweiligen politi- schen Systeme und Führungsgruppen wahrgenommen wird. Dort wird der Versuch unternommen, das Internet zu zensieren. Das Internet bietet aber gerade in diesen Staaten den einzigen Zugang zu freien und unabhängi- gen Informationen. Das Internet ist dort Schaufenster in zwei Richtungen: Wir sehen, was in Ländern ohne de- mokratische Kultur passiert. Und: Die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder können bei uns Erfahrungen sam- meln, wie das Zusammenleben in einer freien und demo- kratischen Gesellschaft zum Wohle aller funktioniert. Gerade in Ländern wie China interessieren sich im- mer mehr Menschen für mehr als nur das materielle Vo- rankommen. Grundlegende Bürgerrechte werden einge- fordert. Dissidenten können über Repressionen durch den Staat aufmerksam machen und so dafür sorgen, dass sie nicht spur- und namenlos in Gefängnissen und La- gern verschwinden. Ein breites Spektrum an Informatio- nen aus Deutschland und ein weites Spektrum gerade auch an deutschen Domains kann helfen, Beispiele an Freiheit und Gerechtigkeit für diese Länder besser zu- gänglich zu machen und die staatlichen Sperren von be- stimmten Inhalten durch die große Vielfalt an Web- Adressen zu erschweren. Aber ich sage auch an den Bundesinnenminister Schäuble gerichtet: Die mit der Terrorgefahr begründete vorbeugende Kontrolle durch Onlinedurchsuchungen des Bundeskriminalamtes im Internet legt die Axt an die Wurzeln unseres demokratischen Gemeinwesens. Ich fordere Sie auf, die beabsichtigte Novelle des BKA-Ge- setzes zu den Akten zu legen. Überwachung muss auch künftig durch Ermittlungs- behörden möglich sein. Aber nur dann, wenn ein Tatver- dacht existiert und eine richterliche Anordnung erfolgte. Dass es darüber hinaus Tabuzonen der Überwachung ge- ben muss, wie bei Strafverteidigern, Pfarrern und Abge- ordneten, ist eine Selbstverständlichkeit, und will ich nicht weiter ausführen. Ich rate bei der ICANN-Reform zu einer objektiven Herangehensweise. Wer grundlegende Reformen for- dert, muss zuerst ein besseres System der Domainzuwei- sung vorstellen. Sicher: Die ICANN unterliegt schon allein wegen ih- res Sitzes dem US-amerikanischen Recht. Sie untersteht der Aufsicht der US-Behörden. Den Plänen der ICANN nach soll diese Aufsicht jedoch Ende 2009 enden. Die Entflechtung von der US-Aufsicht, so wie sie auch Bill Clinton seinerzeit geplant hatte, begrüße ich. Schließlich geht es darum, wie weit der Einfluss des Staates bei der Weiterentwicklung des Internets reichen darf. Gerade die Staatsferne des Internets ist in meinen Augen einer der Garanten seines Erfolges. Internet – dieser Oberbegriff steht für die heute wichtigste Informations-, Kommuni- kations- und Wirtschaftsinfrastruktur. Mit einer Koope- ration von internationalen zivilgesellschaftlichen Grup- pen, die die ICANN bei der Bewältigung ihrer Aufgaben begleitet und unterstützt, wären wir auf einem guten Weg. Setzt sich aber der Ansatz durch, einzelnen Ländern auch künftig ein Mitspracherecht einzuräumen, sollte auf eine Internationalisierung der Struktur, zum Beispiel im Rahmen der UNO, geachtet werden. Bei komplexe- ren Fragen könnte das Internet Governance Forum (IGF) die geeignete Plattform darstellen, um ein effizientes und wachstumsfähiges System der Domainverwaltung aufrechtzuerhalten. Lothar Bisky (DIE LINKE): Die herausragende Stel- lung des Internets für den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Austausch ist unbestritten. Wir stehen dabei erst am Beginn einer Entwicklung. Die Politik muss die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Der vorliegende Antrag der Regierungs- fraktionen fordert unter anderem die Neuschaffung von regionalen Top-Level-Domains im Internet. Dieses Vor- haben sieht Die Linke sehr kritisch. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag auch ab. Das hat mehrere Gründe. Zunächst ist bis heute nicht ausreichend nachgewie- sen, dass eine Ausweitung des Adressraumes überhaupt notwendig ist. Nur einem vorgeblichen Trend folgen zu wollen, wie es im Antrag heißt, ist als Begründung für einen solchen Schritt ein bisschen dünn. Ein feines und bewährtes Geflecht der bestehenden Domainadressen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14411 (A) (C) (B) (D) sollte man nicht mit Hauruck-Methoden zerstören, nur um einem vermeintlichen Trend zu folgen, der zudem in erster Linie durch privatwirtschaftliche Interessensverei- nigungen vorangetrieben wird. In Fachkreisen wird die Ausweitung auf regionale Endungen ebenfalls sehr kritisch gesehen. Es besteht die Gefahr der zunehmenden Unübersichtlichkeit bei der Identifikation von Adressen. So kommen unnötiger- weise auch viele ungeklärte Rechtsfragen auf den Tisch, beispielsweise welche Rechte Domaininhaber bestehen- der Adressen hinsichtlich der neuen Endungen haben. Dies schwächt den Verbraucherschutz. Auf solche Fra- gen haben auch die Antragsteller leider keine Antwort. Um die Qualität zu sichern, muss zunächst sauber und unter Berücksichtigung der betroffenen Verbände, Initia- tiven und Expertinnen und Experten gearbeitet und über- legt werden, ob und unter welchen Umständen eine Einführung neuer Endungen sinnvoll sein kann. Schnell- schüsse sollten hier keinen Platz haben. Dazu ist das Thema zu wichtig. Im weiteren Verfahren sollte auf- grund der vielen offenen und ungeklärten Fragen ein Ex- pertengespräch durchgeführt werden. Im Antrag der Re- gierungsfraktionen wird auch auf die Struktur und die Legitimation der privatrechtlich organisierten Verwal- tung – ICANN, Internet Corporation for Assigned Na- mes and Numbers – der Domainadressen eingegangen. Die Linke sieht bei der bisherigen Organisationsform ein großes Demokratiedefizit. Da sind wir uns ja einig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Es wider- spricht dem Charakter des Internets, dass bislang die ICANN allein vertraglich den USA zur Rechenschaft verpflichtet ist. Hier muss so schnell wie möglich eine internationale Lösung gefunden werden, um die Freiheit des Internet und der Adressvergabe dauerhaft zu sichern und krisenfest zu machen. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ge- schehen noch Zeichen und Wunder. Die Koalition hat es tatsächlich zustande gebracht, eine parlamentarische Ini- tiative auf den Weg zu bringen, die sich mit der Me- dienwelt beschäftigt. Da rafft sich die Koalition nun mal auf – und dann so etwas: ein Antrag zur Weiterent- wicklung des Adressraums im Internet. Als gäbe es keine dringenderen Fragen! Internetnutzer werden mit Spam zugemüllt – die Koalition schafft keine wirksamen Regelungen. Bürgerinnen und Bürger werden durch Ab- mahnungen abgezockt – die Koalition lässt sie damit al- leine. Auf den Computerbildschirmen erscheinen rechts- radikale Lieder und Texte – die Koalition schaut tatenlos zu. Das zeigt uns: der Verbraucherschutz im Internet weist große Lücken auf – und die Koalition unternimmt nichts. Das Telemediengesetz sollte längst wieder aufge- schnürt werden. Die FDP und wir haben dazu Anträge eingebracht. Nichts ist passiert. Die Bürgerinnen und Bürger werden seit über einem Jahr vertröstet. Die Koalition aber kümmert sich um den Adressraum im In- ternet. Also dazu: Richtig ist, dass das Netz nur dann ein Tor zur Welt bietet, wenn wir die Informationen auch finden. Das ist aber keine Frage der Internetadresse. Kaum je- mand gibt „Bürgeramt.Berlin.de“ in die Domainzeile seines Browsers ein, wenn er oder sie den Pass verlän- gern möchte. Das würde sich auch nicht ändern, gäbe es die Top-Level-Domain „.berlin“. Nein, wir alle suchen mit Suchmaschinen im Internet. Wir öffnen eine Such- maschine und geben „Pass verlängern“ und „Berlin Mitte“ ein. Da liegt doch das Hauptproblem: Eine Such- maschine hat die Marktmacht, und was hier nicht auf- taucht, existiert nicht im Netz. Dabei ist unklar, wie Su- cherergebnisse zustande kommen. Es ist unklar, was mit Nutzerdaten geschieht. Es ist unklar, ob Profile erstellt werden. Hier sehe ich die eigentlichen Probleme der Su- che und Auffindbarkeit im Netz, nicht in der Adress- zeile. Die angebotenen Lösungen gehen am Problem vorbei. Aber ich habe auch konkrete Bedenken an dem Vor- stoß der Koalition. Zum Ersten: Nehmen wir an, ich reise auf die andere Seite der Erde und ein Japaner fragt mich: „Wo kommst Du her?“, dann antworte ich be- stimmt nicht: „Schleswig-Holstein“, und schon gar nicht „Flensburg“, sondern: „Deutschland, aus dem Norden.“ Auch das Internet ist global. Was also soll dieser Japa- ner, der – nehmen wir an – Ingenieur bei SAP werden möchte mit dem Kürzel „.BaWü“ anfangen, wenn er im Internet nach dem Unternehmen sucht? Er gibt doch nie- mals „SAP.BaWü“ ein! Also müsste SAP sämtliche Do- mains registrieren: „SAP.de“, „SAP.baWü“, „SAP.baden“, „SAP.Walldorf“ und vielleicht auch noch „SAP.RNK“. Das kostet. Ich halte die heutige Hierarchie des Adress- systems im Internet für logisch. Auch wenn wir Grünen hierarchische Gesellschaftsstrukturen für zweifelhaft halten, haben wir gegen die Hierarchie beim Domain- Name-System nichts einzuwenden. Wir beurteilen Strukturen nach ihrer Sinnhaftigkeit. Die des Domain- namesystems machen Sinn. Es funktioniert nach dem Grundsatz: „form follows function“ – die Form folgt der Funktion –, und das ist auch richtig so. Der zweite Kritikpunkt: Die Koalition will Umlaute im Adresssystem des Internets fördern. Was aber tun In- ternetnutzer, deren Tastatur keine Umlaute hat? Was tun, wenn der Rechner nicht in der Lage ist, dies zu nutzen? „Köln.de“ wird im Koalitionsantrag als gelungenes Bei- spiel für die Nutzung von Umlauten angeführt. Zu dumm nur, dass sich gerade diese Stadt dazu entschieden hat, diesen Schritt rückgängig zu machen. Stattdessen wird wieder eine einheitliche Adresse angeboten. Sie sprechen auch die Aufsicht im Internet an. Sie for- dern, den ICANN-Prozess zusammen mit der deutschen Internetnutzerschaft zu begleiten. Das ist richtig. Bei der ICANN fehlt es an Offenheit und Transparenz. Es herrscht ein Demokratiedefizit. Wir Grünen fordern, dass die Domainvergabe insgesamt überdacht wird. Die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer dürfen dabei nicht außen vor gelassen werden. Wir müssen die Adress- aufsicht internationalisieren. Ihre Forderungen finden also an diesem Punkt unsere Unterstützung. Allerdings hat die Regierung hier bisher nicht viel getan. Andere Regierungen, zum Beispiel in Großbritannien, haben sich beim Internet Governance Forum viel stärker einge- bracht als Deutschland. Wir wünschen uns ein größeres Engagement unserer Regierung. Das betrifft vor allem 14412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) den Datenschutz, der auch Teil der Verhandlungen dar- stellt. Unter dem Strich können wir diesem Antrag nicht zu- stimmen, schon deshalb nicht, weil einzelne Forderun- gen und Feststellungen des Antrags fast wortwörtlich aus einem Positionspapier eines großen Verbandes der Internetwirtschaft abgeschrieben sind. Das kann doch nicht sein! Gestalten Sie Ihre Politik selbst! Lassen Sie sich Bedürfnisse und Lösungen nicht von Lobbygruppen in die Feder diktieren! Dann kommen solche Anträge da- bei heraus, bei denen unschlüssig bleibt, warum ein dringliches Problem besteht. Ich vermute: Da will je- mand Geld machen. Die reinen Wirtschafts- und Lob- byinteressen werden dann auch noch unter dem Label der Nutzerfreundlichkeit verkauft. Vor allem aber fordern wir von der Koalition, sich endlich um die drängenden Probleme im Internet zu kümmern. Wir brauchen internationale Abkommen; denn das Internet macht an keiner Grenze halt, die Auf- sicht aber ist nur national. Der Verbraucherschutz in der digitalen Welt hat große Lücken. Die neuen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung und zu Onlinedurchsuchungen verschärfen die Lage zusätzlich. Tun Sie etwas! Denken Sie mehr an die Bürgerinnen und Bürger! Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Antrag: Völkerstrafgesetzbuch wirksam anwenden – Antrag: Für eine verbesserte Zusammen- arbeit deutscher Behörden bei der Verfol- gung von Straftaten nach dem Völkerstraf- gesetzbuch (Tagesordnungspunkt 28 a bis c) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Am 24. Oktober 2007 führte der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe eine Anhörung zum Thema „Nationale Umsetzung des Völkerstrafge- setzbuches“ durch. Die eingeladenen Sachverständigen, insbesondere Herr Professor Dr. Kai Ambos von der Georg-August-Universität Göttingen, warteten mit An- regungen zum Völkerstrafrecht auf, die in einem Gesetz- entwurf und einem Antrag der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen sowie in einem Antrag der Fraktion der FDP aufgegriffen werden. Die praktische Relevanz der Anre- gungen der Sachverständigen tendiert gegen null. Dies lässt sich sehr gut am Beispiel des ehemaligen usbekischen Innenministers Sakirdschan Almatow dar- stellen. Er steht im Verdacht, Hauptverantwortlicher für die Erschießung Hunderter friedlicher Demonstranten in der usbekischen Stadt Andijan im Mai 2005 gewesen zu sein. Im November 2005 beschloss der Rat der Europäi- schen Union, ihm die Einreise in die Europäische Union zu verweigern. Über ein ihm von der deutschen Bot- schaft in Moskau erteiltes Visum gelang es ihm, nach Deutschland einzureisen, um sich in einem Krankenhaus in Hannover medizinisch behandeln zu lassen. Als der Generalbundesanwalt durch Strafanzeigen von Amnesty International und Human Rights Watch Anfang Dezem- ber 2005 von der Einreise Almatows erfuhr, hatte dieser Deutschland bereits wieder verlassen. Dies thematisiert der FDP-Antrag mit dem Ziel einer besseren Koordinierung der Informationen durch das Auswärtige Amt, die Auslandsvertretungen, die Grenz- schutzbehörden und die Bundesanwaltschaft. Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst bei rechtzeitiger Informa- tion der Bundesanwaltschaft von der Einreise Almatows eine Strafverfolgung in Deutschland nicht möglich ge- wesen wäre. Zwar gilt materiellrechtlich für das Völker- strafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip. Dies deshalb, um den schwerer Menschenrechtsverletzungen Tatverdäch- tigen einen sicheren Zufluchtshafen abzuschneiden. Verfahrensrechtlich gilt bei uns aber auch für das Völ- kerstrafgesetzbuch die deutsche Strafprozessordnung. Almatow hätte nur festgehalten werden können, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 112 der Strafprozessordnung gegeben gewesen wären. Dies hätte schon einmal einen dringenden Tatver- dacht vorausgesetzt. Dafür fehlten aber die notwendigen Anknüpfungspunkte. Nach seiner Ausreise ein Ermitt- lungsverfahren gegen Almatow einzuleiten, wäre wenig zielführend gewesen, weil das deutsche Strafprozess- recht eine Hauptverhandlung gegen einen Abwesenden nicht vorsieht. Fazit ist also, dass auch ein bestmöglicher Informations- austausch zwischen dem Auswärtigen Amt, den Auslands- vertretungen, den Grenzschutzbehörden und der Bundes- anwaltschaft zu einem Verfahren gegen Almatow nicht hätte führen können. Damit nicht mit wenig erfolgverspre- chenden Strafverfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch unnötig personelle Ressourcen der Bundesanwaltschaft gebunden werden, eröffnet § 153 f der Strafprozessord- nung die Möglichkeit, von einer Strafverfolgung abzuse- hen, wenn und soweit kein Deutschlandbezug besteht. Anders verhält es sich nur dann, wenn bei einer Tat mit fehlendem Inlandsbezug und ausbleibenden Ermittlun- gen einer vorrangig zuständigen Gerichtsbarkeit eine spätere Strafverfolgung durch Beweissicherungsmaß- nahmen vorzubereiten wäre. Dabei bleibt festzuhalten, dass deutsche Ermittlungsbehörden auch bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch trotz Weltrechtsprinzip keine Möglichkeiten haben, im Ausland zu ermitteln. Dies führt dazu, dass bei Anzeigen nach dem Völker- strafgesetzbuch überwiegend nach § 153 f der Strafpro- zessordnung zu verfahren sein wird. Letztlich beanstanden dies Bündnis 90/Die Grünen auch nicht. Sie wünschen aber eine Mitentscheidung ei- nes Gerichts bei einem Absehen von Strafverfolgung oder einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153 f der Strafprozessordnung. Dabei dürfte schon die Bestimmung des zuständigen Gerichts Probleme berei- ten, wenn Tathandlungen und Tatort im Ausland liegen. Im Übrigen kann nicht festgestellt werden, dass die Bun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14413 (A) (C) (B) (D) desanwaltschaft bisher in sachwidriger Weise von § 153 f der Strafprozessordnung Gebrauch gemacht hat, sodass es einer Einbeziehung eines Gerichts in die Entschei- dung nicht zwingend bedarf. So sieht übrigens die Nicht- verfolgung anderer Auslandstaten nach § 153 c der Strafprozessordnung ebenfalls keine Beteiligung eines Gerichts an der Entscheidung der Staatsanwaltschaft vor. Nichts anderes gilt für das Absehen von Strafverfolgung bei politischen Straftaten nach § 153 d der Strafprozess- ordnung. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, dass das gerichtliche Zustimmungserfordernis bei Verfahrens- einstellungen dem deutschen Strafprozessrecht nicht fremd ist (§ 153 a StPO). Ob aber die besondere Bedeu- tung des Völkerstrafrechts einen gerichtlichen Mehrauf- wand rechtfertigt, mag der Beratung im Rechtsausschuss vorbehalten bleiben. Festzuhalten bleibt auch, dass der Weg über ein Kla- geerzwingungsverfahren gemäß § 172 der Strafprozess- ordnung, eine Entscheidung der Generalbundesanwalt- schaft einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, nicht möglich ist. Das Klageerzwingungsverfahren ist nämlich auf § 153 f der Strafprozessordnung nicht anwendbar. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart am 13. Septem- ber 2005 – veröffentlicht in NStZ 2006, 117 – mit zutreffender Begründung so entschieden. Da aus den vorgetragenen Gründen Ermittlungsverfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch bei der Bundesanwaltschaft auch in Zukunft nicht vermehrt auflaufen werden, erübrigt sich auch eine personelle Aufstockung in diesem Referat der Bundesanwaltschaft. Nebenbei sei bemerkt, dass die Bundesanwaltschaft in diesem Bereich Personalmangel auch nicht beklagt, vielmehr aber in den Referaten „ter- roristischer Islamismus“ und „Proliferation“, wo es nur mit Mühen gelingt, die Sitzungsvertretung in anstehen- den Hauptverhandlungsterminen sicherzustellen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die rechtstheoretischen Erwägungen, insbesondere des Sachverständigen Professor Dr. Ambos, den praktischen Bedürfnissen eher nicht gerecht werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen auf eine Personal- aufstockung bei der Bundesanwaltschaft und den Antrag der FDP nicht mittragen. Über den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des § 153 f der Strafprozessordnung mag im Rechtsausschuss ergebnisoffen beraten werden. Christoph Strässer (SPD): Als Jurist und Men- schenrechtspolitiker war ich 2002 sehr froh und glück- lich, dass in Deutschland mit der Verabschiedung des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) das Weltrechtsprinzip Einzug in die deutsche Rechtssprechung und das deut- sche Sanktionensystem gefunden hat. Konkret beinhaltet das VStGB, dass im Fall von Völkermord, Kriegsverbre- chen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein deut- sches Gericht Anklage erheben kann, auch wenn weder Täter noch Opfer die deutsche Staatsangehörigkeit besit- zen. Der 26. Juni 2002 war insofern ein guter Tag für die Komplettierung des Menschenrechtsschutzes. Er war ein schlechter Tag für alle Potentaten, die sich angesichts ei- ner zu erwartenden Straflosigkeit skrupelloser Men- schenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Ich möchte trotz oder gerade wegen aller Kritik an der Auslegungs- und Anwendungspraxis des VStGB durch die Generalbundesanwaltschaft noch einmal betonen, was für ein enormer menschenrechtlicher, humanitärer und rechtspolitischer Fortschritt die Existenz des VStGB bedeutet. Denn es ist das Ergebnis eines langen histori- schen Prozesses und der Erkenntnis, die bereits Kant treffend formuliert hat. Ich zitiere: „Da (…) die Rechts- verletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantasti- sche und überspannte Vorstellungsart des Rechts, son- dern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentli- chen Menschenrechte überhaupt.“ Im Zuge der Globalisierung und der damit einherge- henden notwendigen Weiterentwicklung des Rechts hat diese Erkenntnis im VStGB endlich ihren Niederschlag gefunden. Damit haben wir den Weg beschritten zur Ver- besserung der weltweiten Bekämpfung von Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter. Das ist ein Erfolg. Den sollten wir trotz aller Defizite, die es noch zu bewältigen gilt, auch deutlich so benennen, gerade auch deshalb, weil international zu Recht die Auffassung vorherrscht, dass der materielle Teil in VStGB §§ 1 bis 14 geradezu vorbildlich gelungen ist. Nun jährt sich die Verabschiedung des VStGB zum sechsten Mal, ohne dass es bisher zu einer einzigen Anklage gekommen wäre. Von circa 50 angezeigten Fäl- len sind bis auf einen alle ohne Aufnahme konkreter Er- mittlungen durch die Generalbundesanwaltschaft nach § 153 f StPO eingestellt worden. Dabei ist es nicht so, dass es keine Anlässe für Ermittlungen gegeben hätte. Dass die Generalbundesanwaltschaft zum Beispiel kein Ermittlungsverfahren gegen den 2006 in Deutschland weilenden usbekischen Innenminister Almatow, der im Mai 2005 für das Massaker in Andischan mitverantwort- lich war, angestrengt hat, macht die Defizite bei der Anwendung des VStGB besonders deutlich. Meines Er- achtens sind wir uns bezüglich der Verbesserungsnot- wendigkeiten in diesem Hause einig. Das betrifft vor al- lem die aktuelle Fassung des § 153 f StPO, die der GBA einen weiten Ermessensspielraum zuweist, den sie im Fall Almatow auch genutzt und damit durchaus im Rah- men ihrer Kompetenzen und damit rechtmäßig gehandelt hat. Denn sie lehnte eine Ermittlungseinleitung im We- sentlichen mit dem Hinweis auf den fehlenden Bezug zum Inland ab. Die Experten sind sich diesbezüglich sel- tenerweise mal einig: Eine gerichtlich nicht überprüfbare Opportunitätsentscheidung nach § 153 f StPO in dieser weiten Fassung enthält das Risiko einer tatsächlichen Aushebelung des materiellrechtlich festgelegten Welt- rechtsprinzips. Insofern sollten wir dem Gedanken nahe- treten, § 153 f StPO so zu ergänzen, dass die Entschei- dung der zuständigen Generalbundesanwältin (nach § 120 Abs. 1 Nr. 8 in Verbindung mit § 142 a Abs. 1 Satz 1 GVG) für die Verfolgung von Straftaten nach dem VStGB einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen wird, etwa vergleichbar einer Einstellungsentscheidung nach 14414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) § 153 a StPO. Das heißt, die GBA entscheidet nicht – wie bisher – allein über das Absehen von der Verfol- gung von Völkerstraftaten, sondern nur mit Zustimmung des für die Eröffnung der Hauptverhandlung zuständigen Gerichts. Über einen solchen Vorschlag sollten wir in den Ausschussberatungen intensiv nachdenken. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass Straf- verfahren wegen Völkerrechtsverbrechen, die in anderen Staaten begangen worden sind, äußerst viel Zeit und Ar- beitskraft binden. Die Einleitung von Ermittlungen aber mit der Begründung eines zweifelhaften Aufklärungser- folges gar nicht erst zu beginnen, untergräbt die Zielset- zung des VStGB und läuft meinem Rechtsverständnis zuwider. Denn Recht schaffen und Recht sprechen da- von abhängig zu machen, wie stark die Widerstände ge- gen die Herstellung von Gerechtigkeit und wie groß die Chancen auf ihre Durchsetzung sind, ist aus menschen- rechtlicher und rechtspolitischer Sicht eindeutig inak- zeptabel. Deshalb müssen die Ressourcen für eine mögliche Rechtsdurchsetzung des VStGB auch in Deutschland zur Verfügung gestellt werden. Denkbar ist für mich in diesem Zusammenhang eine verbesserte Fi- nanz- und Personalausstattung der GBA für effektive Strafverfolgung nach dem VStGB. Auch hierüber ist eine ernsthafte Debatte erforderlich. Ich möchte noch auf einen weiteren äußerst sensiblen Punkt zu sprechen kommen. Von vielen Experten und Kolleginnen und Kollegen wird ein besserer Informa- tionsfluss zwischen der Bundesregierung, insbesondere den Auslandsvertretungen, den Grenzschutzbehörden und der GBA über den Inlandsaufenthalt möglicher Straftäter nach dem Völkerstrafgesetzbuch angemahnt. Wie es im Fall von Almatow gewesen zu sein scheint, kommen eventuelle Aktivitäten im Sinne einer Ermitt- lungseröffnung und einer eventuellen Festnahme durch die GBA ansonsten zu spät, da in diesem Fall die GBA von einem Aufenthalt Almatows erst erfahren habe, als dieser bereits wieder außer Landes war. Prinzipiell ist ein intensiverer Informationsfluss zwischen den staatli- chen Stellen zur Verfolgung von schwerwiegenden Men- schenrechtsverletzungen richtig und gut. Äußerst hilf- reich sind in diesem Zusammenhang die Lageberichte des Auswärtigen Amtes über die Situation in den jewei- ligen Ländern. Eines muss allerdings bei der Forderung nach einer besseren Einbindung unserer Botschaften bei der Umsetzung des VStGB immer mitbedacht werden: Auslandsvertretungen sind keine Hilfsorgane der Ermitt- lungsbehörden. Es besteht die Gefahr, dass unsere Aus- landsvertretungen ihre Handlungsfähigkeit und ihren po- litischen Einfluss in den Ländern verlieren, in denen sie offensichtlich dabei helfen, ehemalige oder aktuelle Mit- glieder des Staatsapparates dieses Landes völkerstraf- rechtlich zu verfolgen. Insofern handelt es sich bei der Einbindung unserer Auslandsvertretungen in die bessere Verfolgung von Straftätern nach den VStGB um eine po- litische Gratwanderung, die gut durchdacht sein will und erst dann infrage kommen kann, wenn ein strafrechtli- ches Ermittlungsverfahren gegen eine konkrete Person eröffnet worden ist oder zum Beispiel ein vollziehbarer Haftbefehl vorliegt. Eine generelle Einbindung, wie sie in den Oppositionsanträgen gefordert wird, ist deshalb nach meiner Auffassung kaum umsetzbar und kann auch kontraproduktive Folgen haben. Letztendlich sollte es unser aller Ziel sein, die not- wendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine faire, effektive und schnelle Umsetzung und Anwendung des VStGB in Deutschland zu gewährleisten. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, sich für eine gemeinsame po- litische Initiative stark zu machen, und freue mich auf konstruktive Beratungen in den Ausschüssen. Die SPD- Fraktion wird sich dieser Debatte jedenfalls nicht ver- weigern. Florian Toncar (FDP): Unter dem Eindruck der Ar- beit der Tribunale zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen aus den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien sowie des Genozids in Ruanda in den 90er-Jahren, erwuchs in der internationalen Gemein- schaft der politische Wille zur Gründung eines perma- nenten Gerichtshofs zur Ahndung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit. Nach langen Verhandlungen trat am 30. Juni 2002 das Römische Statut des Internationalen Strafge- richtshofs in Kraft. Das Gericht hat nach mehrjähriger Aufbauphase seine Arbeit im niederländischen Den Haag aufgenommen. Die zuständigen Ankläger haben bereits zahlreiche Haftbefehle gegen Personen ausgestellt, denen vorge- worfen wird, in den Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo, in der sudanesischen Krisenregion Darfur sowie im Norden Ugandas für grausame Kriegs- verbrechen verantwortlich zu sein. In einem Fall konnte dem Gericht bereits ein Gesuchter zugeführt werden. Im Herbst 2007 begann der Prozess gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor, dessen Miliz RUF im benachbarten Sierra Leone zahllose Gräueltaten gegen Zivilisten begangen hat. Um auch in Deutschland international gesuchte Völ- kerstraftäter zur Verantwortung ziehen zu können, wurde hierzulande zeitgleich mit dem Römischen Statut das Völkerstrafgesetzbuch verabschiedet. Dies sieht vor, dass Völkerstraftaten durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zur Anklage gebracht werden können. Über fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Geset- zes muss konstatiert werden, dass die Regelung in ihrer Substanz nicht zu beanstanden ist. Jedoch sind seither Mängel in der Umsetzung bzw. Durchsetzung des Geset- zes deutlich geworden. Die FDP hat einen Antrag vorgelegt, um diese Defi- zite zu beseitigen. Dafür ist es notwendig, dass der Infor- mationsfluss zwischen anderen staatlichen Stellen und dem Generalbundesanwalt verbessert wird. Wenn andere staatliche Stellen Informationen über das mögliche Vor- liegen von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erhalten, müssen sie diese künftig umgehend an die Karlsruher Behörde weiterleiten. Besonders das Aus- wärtige Amt und seine Auslandsvertretungen sind hier in der Pflicht, wenn sie Kenntnis über die mögliche Ein- reise von Personen erhalten, die im Zusammenhang mit Völkerstraftaten im Verdacht stehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14415 (A) (C) (B) (D) Ein klares Signal für einen solchen Anfangsverdacht ergibt sich dann, wenn eine Person nach Deutschland einreisen will, für die eine Ausnahme von einem Einrei- severbot gewährt wird, welches die EU oder eine andere internationale Organisation verhängt hat. Denn solche Verbote sind nahezu immer eine Reaktion auf Vorgänge, die einen Straftatbestand des VStGB erfüllen würden. Dies mag auf den ersten Blick wie eine Selbstver- ständlichkeit anmuten. Die Vergangenheit belegt jedoch, dass hier noch Lücken bestehen. Dies wurde am Fall des ehemaligen usbekischen Innenministers Zakirjon Almatow deutlich, gegen den ein Einreiseverbot der EU bestand, weil er im Verdacht steht, an dem im Mai 2005 in der usbekischen Stadt Andijan an über 700 Demons- tranten verübten Massaker beteiligt gewesen zu sein. Da Herr Almatow sehr krank war, genehmigte das Auswär- tige Amt ausnahmsweise seine Einreise, damit sich Almatow in einer Spezialklinik in Hannover behandeln lassen konnte. Gegen dieses humanitäre Vorgehen ist nichts einzu- wenden. Jedoch hätte das Auswärtige Amt den General- bundesanwalt über den bevorstehenden Aufenthalt von Herrn Almatow frühzeitig informieren müssen. Als die Karlsruher Ermittler von Almatows Aufenthalt in Deutschland erfuhren, war Almatow bereits wieder au- ßer Landes. Da mit einer Rückkehr Almatows nach Deutschland nicht mehr zu rechnen ist, ist es für erfolg- versprechende Ermittlungen zu spät. So eine Panne darf sich nicht wiederholen. Hier müssen andere staatliche Stellen besser mit dem Generalbundesanwalt zusam- menarbeiten. Ferner fordert meine Fraktion, die Arbeit der euro- päischen Justizbehörde Eurojust um den Informations- austausch und die Koordinierung europäischer Justiz- behörden in Fällen internationaler Völkerstraftaten zu erweitern. Diese Koordination kann Doppelungen in der Strafverfolgung in Europa vermeiden und Lücken schließen. Damit der Generalbundesanwalt und das Bundeskri- minalamt ihre Arbeit effektiv ausführen können, müssen sie mit den nötigen finanziellen und personellen Res- sourcen ausgestattet sein. Dies muss die Bundesregie- rung sicherstellen. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass beim Generalbundesanwalt eine eigene Einheit zur Bear- beitung von Fällen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu schaffen ist. Denn eine solche Einheit wird vorhersehba- rerweise zu einigen Zeiten unterbesetzt und zu anderen überbesetzt sein. Wichtig ist aber, dass die Bundes- anwälte wie auch das BKA organisatorisch und fachlich auf solche Ermittlungen vorbereitet und ausgebildet wer- den. Entscheidend ist auch, dass die beiden Behörden in der Lage sind, schnell eine große Zahl an Ermittlern be- reitzustellen. Gerade bei Straftaten nach dem VStGB laufen die Ermittlungen nämlich oft unter großem Zeit- druck ab, da immer die Ausreise des Beschuldigten droht, solange die Bundesanwaltschaft noch keinen Haftgrund darlegen kann. Es geht also mehr um die schnelle Aufwuchsfähigkeit von Ermittlungsteams als um eine eigene organisatorische Einheit. Ich möchte an dieser Stelle noch auf den von den Grünen vorgelegten Gesetzentwurf eingehen, der eine Änderung des § 153 f Strafprozessordnung vorsieht. Derzeit ermöglicht § 153 f StPO es dem Generalbundes- anwalt, von der Strafverfolgung abzusehen, wenn sich beispielsweise kein Tatverdächtiger im Inland aufhält und dies auch nicht zu erwarten ist. Wenn die Strafver- folgungsbehörden die Tatverdächtigen nicht ergreifen können, ergeben Ermittlungen keinen Sinn. Die von den Grünen vorgeschlagene Änderung sieht vor, künftig die Entscheidung des Generalbundesanwalts, nach § 153 f StPO von der Verfolgung von Straftaten nach dem Völ- kerstrafgesetz abzusehen, automatisch einer gerichtli- chen Überprüfung zu unterstellen. Diese Änderung ist nicht notwendig. Denn es hat sich in der Praxis erwiesen, dass die Bundesanwaltschaft den § 153 f StPO bisher fehlerfrei angewendet hat. Wenn von den über 60 bis dato eingegangenen Anzeigen nur drei zur Aufnahme von Ermittlungen geführt haben, so liegt dies nicht an vermeintlichen Versäumnissen des Generalbundesanwalts, sondern daran, dass die Anzei- gen teils sachfremd waren oder es sich um Straftaten handelte, bei denen sich die Tatverdächtigen nicht in Deutschland aufhalten und dies auch nicht zu erwarten ist. Hier wären Ermittlungen ins Leere gelaufen. Der Vorschlag der Grünen ist derzeit überflüssig. Denn in keinem bisherigen Fall hätte die angestrebte Änderung des § 153 f StPO zu einem anderen Ergebnis geführt. So- lange ein Gesetz aber in der Praxis kein Problem auf- weist, sollte man es auch nicht so kurz nach Inkrafttreten wieder ändern. Lassen Sie mich mit einem positiven Gedanken schließen: Auch wenn die beschriebenen Defizite bei der Durchsetzung des Völkerstrafgesetzbuches noch beho- ben werden müssen, hat es sich bereits heute bewährt. Wenn es bisher noch zu keiner Anklage im Zusammen- hang mit dem Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland gekommen ist, so ist dies auch ein Beleg für die abschre- ckende Wirkung dieses Gesetzes. Deutschland ist offen- bar kein bequemer Rückzugsraum für flüchtige Kriegs- verbrecher oder Diktatoren im Ruhestand. Wenn dieser Personenkreis Deutschland meidet, kann das nur daran liegen, dass das Völkerstrafgesetzbuch als glaubhaftes Strafverfolgungsinstrument ernst genommen wird. Damit leistet Deutschland einen sinnvollen Beitrag zur Umsetzung des Weltrechtsprinzips für die Verfolgung schwerster gegen internationales Recht verstoßender Straftaten. In nur fünf Jahren ist es dem Internationalen Strafgerichtshof gelungen, Kriegsverbrechern, Warlords und Diktatoren zu verdeutlichen, dass sie nirgends auf der Welt sicher vor Strafverfolgung sein werden. Dieser lange Arm des Gesetzes hat bereits heute eine mäßi- gende Wirkung auf die Konflikt- und Bürgerkriegspar- teien in der Welt. Auch wenn wir damit noch lange nicht am Ziel sind, ist dies ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Welt, in der nicht Gewalt regiert, sondern das Recht. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Der Gesetzent- wurf der Grünen und auch ihr begleitender Antrag fin- den die uneingeschränkte Zustimmung der Fraktion Die Linke. 14416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) In der Begründung des Gesetzentwurfs lesen Sie jenen geraden und richtigen Satz, den die damalige Bundesjus- tizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin bei der Beschluss- fassung zum Völkerstrafgesetzbuch am 25. April 2002 formulierte. „Bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlich- keit und Kriegsverbrechen darf es künftig nirgendwo auf dieser Welt mehr Straflosigkeit geben.“ Die Verabschiedung des Völkerstrafgesetzbuches war ein notwendiger und mutiger Schritt, mit dem sich die Bundesrepublik an die Seite der wenigen Staaten auf der Welt stellte, die das Weltrechtsprinzip in ihren inner- staatlichen Rechtsordnungen verankerten. Noch mehr Mut als der Gesetzgeber bewies im Win- ter 2004 der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. In konse- quenter Anwendung des neuen fortschrittlichen Völker- strafrechts stellte er gemeinsam mit vier irakischen Staatsbürgern und dem amerikanischen Center for Con- stitutional Rights eine Strafanzeige, die sich unter ande- rem gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Henry Rumsfeld richtete und dessen Verantwor- tung für die Folterungen in Abu Ghuraib betraf. Nun lag das Erfordernis nach Mut ganz aufseiten des zuständigen Generalbundesanwalts Kay Nehm. Der aber lehnte ein Ermittlungsverfahren ab und verwies in seiner Entschließung unter anderem auf die Prinzipien der Nichteinmischung und der Immunität und eine ganze Reihe anderer komplizierter Überlegungen, nach denen Sie allerdings im Völkerstrafgesetzbuch lange und ver- geblich suchen können. Für eine vollständige Kritik der Entscheidung empfehle ich Ihnen die Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Kreß vor dem Menschenrechtsaus- schuss vom 24. Oktober 2007. Kay Nehm, der durchaus zu anderen Anlässen Mut bewies, erweckte den Eindruck, in der Rumsfeld-Ent- schließung politisch motivierte Rücksicht genommen zu haben. Dass politische Motivation bei der Generalbun- desanwaltschaft eine große Rolle spielen könnte, hat unlängst Frau Harms wieder demonstriert, als sie gegen 18 G-8-Gipfelgegner wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren einleitete, zu dem sie eine Kompetenz aus § 129 a StGB mal eben ersann. Es verwundert auch nicht sonderlich, dass die Gene- ralbundesanwaltschaft politische Prägungen erfährt – schließlich ist die Generalbundesanwältin eine politische Beamtin, die einer politisch denkenden Justizministerin unterstellt ist, die einem politischen Kabinett angehört, das den politischen Richtlinien der Kanzlerschaft zu fol- gen hat. Bei soviel Unvermeidlichkeit von Politik im Recht ist aber ein Korrektiv nötig, das für eine unabhängige Wür- digung der Sach- und Rechtslage einsteht. Deshalb ist es richtig, eine Nichtverfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafrecht von der Zustimmung des zuständigen Gerichts, also von der Zustimmung einer unabhängigen Richterschaft, abhängig zu machen. Unter den vielen Begründungen, die Kay Nehm sei- nerzeit für eine Nichtverfolgung von Herrn Rumsfeld durch die Bundesanwaltschaft angibt, findet sich ein ganz besonders interessanter. Nehm gibt an, dass Ermitt- lungen nur dann überhaupt denkbar wären, wenn „durch die Ermittlung deutscher Strafverfolgungsbehörden ein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte, um eine spätere Strafverfolgung vorzubereiten.“ Ich verstehe Herrn Nehm so, dass er bemängelte, dass der Bundesanwaltschaft nach Inkrafttreten des Völker- strafgesetzbuches keinerlei zusätzliches Personal zur Ver- fügung gestellt wurde, kein eigenes Referat für die neue Aufgabe gebildet wurde und auch keine Aufstockung der Sachmittel erfolgte. Mit meiner Fraktion bedauere ich es natürlich, dass die wünschenswerten Ermittlungen gegen Herrn Rumsfeld dann wohl an einer unzureichenden personel- len und sachlichen Ausstattung der Bundesanwaltschaft scheiterten. Wir freuen uns darüber, dass die Grünen solchen Hin- dernissen für die Zukunft – selbst für den Fall einer un- verdienten erneuten Regierungsbeteiligung – abhelfen wollen und werden daher auch ihrer zweiten Vorlage zu- stimmen, die eine Verbesserung der behördlichen Aus- stattung und der informationellen Anbindung zum Ziel hat. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mitte Oktober des letzten Jahres fand im Menschenrechtsaus- schuss eine Anhörung zum Völkerstrafgesetzbuch statt. Dieses Völkerstrafgesetzbuch ist seit 2002 in Kraft und soll durch die Eingrenzung des Rückzugsraumes für Tä- ter schwerster Menschenrechtsverbrechen dazu beitra- gen, solche Verbrechen weltweit ahnden zu können. Das Gesetz stellt damit einen wichtigen Beitrag zum interna- tionalen Menschenrechtsschutz dar. Auch die zu der Anhörung eingeladenen Sachverstän- digen waren grundsätzlich der Meinung, dass das unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung verabschie- dete Völkerstrafgesetzbuch eine wichtige Errungen- schaft im Kampf gegen Straflosigkeit darstelle und kei- ner grundlegenden Reform bedürfe. Es sei ein sehr weit gehendes Gesetz, das sowohl in seiner materiellen als auch in seiner prozessualen Ausgestaltung vergleichbare Gesetze anderer Staaten übertreffe. In den Jahren seit seiner Verabschiedung muss aller- dings festgestellt werden, dass die Anwendung des Völ- kerstrafgesetzes durch die Generalbundesanwältin hinter den Strafverfolgungsbemühungen anderer Staaten zu- rückbleibt. Zu nennen wären hier insbesondere Belgien und die Niederlande. In der Diskussion mit den Sachver- ständigen wurden dafür die folgenden möglichen Gründe thematisiert. Die Generalbundesanwältin sieht in enger Auslegung des § 153 f StPO Abs. 1 Satz 1 ohne Anknüpfung von Tat oder Täteraufenthalt an deutsches Territorium von einer Verfolgung der Tat ab. Dies ist dann besonders prekär, wenn die Generalbundesanwältin keine Kenntnis von einem Aufenthalt eines Täters auf deutschem Territorium hat. So einen Fall gab es, als der ehemalige usbekische Innenminister Almatow Ende 2005 nach Deutschland einreiste. Er stand und steht un- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14417 (A) (C) (B) (D) ter dem Verdacht der Mitverantwortung für schwere Menschenrechtsverstöße in Usbekistan und konnte in die Bundesrepublik nur einreisen, weil ihm aus humanitären Gründen eine Ausnahme zu der gegen ihn verhängten EU-Einreisesperre gewährt worden war. Damals hatten Menschenrechtler gegen ihn Anklage erhoben. Ermitt- lungen wurden aber von dem damaligen Generalbundes- anwalt nicht aufgenommen mit der Begründung, er habe erst nach Almatows Ausreise durch die Anzeige über- haupt von dessen zeitweiligem Aufenthalt in der Bun- desrepublik erfahren. Dieser Fall macht deutlich, dass der Informationsfluss zwischen der Bundesregierung, insbesondere den Auslandsvertretungen und den Grenz- schutzbehörden, und der Generalbundesanwaltschaft über den Inlandsaufenthalt möglicher Straftäter verbes- sert werden muss. Ganz entscheidend für die Stärkung der Umsetzung des Völkerstrafrechts ist die Ausstattung der General- bundesanwaltschaft. Dort wurden auch nach Inkrafttre- ten des Völkerstrafgesetzbuches keine zusätzlichen Per- sonal- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt. Nach unserer Kenntnis bearbeiten zurzeit nur drei Personen mit jeweils noch anderen Zuständigkeiten die Verfol- gung von Menschenrechtsverbrechen. Dies ist schon an- gesichts der Komplexität der Fälle zu wenig. Dazu kommt, dass die Generalbundesanwältin gemäß ihrem Ermessensspielraum nur dann Ermittlungen aufnimmt, wenn eine Verurteilung in der Bundesrepublik Deutsch- land in einem konkreten Fall möglich erscheint. Um ei- nen Verurteilungserfolg vorzubereiten, bedarf es aber umfangreicher Ermittlungen. Dies kann von allein drei Beschäftigten in der Generalbundesanwaltschaft nicht geleistet werden. Auch im internationalen Vergleich ste- hen wir hinsichtlich der Ausstattung der Generalbundes- anwaltschaft für den Komplex Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch schlecht da. In den Niederlanden beispielsweise gibt es eine eigene Einheit für Kriegsver- brechen mit 32 Expertinnen und Experten. Die schon angesprochene Regelung des § 153 f StPO beinhaltet zumindest die Gefahr einer faktischen Aushe- belung des materiellrechtlich festgelegten Weltrechtprin- zips. Danach wird, wie gesagt der Generalbundesanwäl- tin unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, von ihren Verfolgungsmöglichkeiten keinen Gebrauch zu machen. Eine gerichtliche Überprüfung der Generalbundesanwältin obliegenden Ermessenentschei- dung ist in dieser Vorschrift bisher nicht vorgesehen. Dies kritisierten die Sachverständigen, und dies haben vor ihnen andere Menschenrechtsexpertinnen und -ex- perten kritisiert. Wir wollen deshalb mit unserem Geset- zesentwurf eine Änderung dahingehend erreichen, dass der § 153 f StPO ähnlich wie bei § 153 a StPO ergänzt wird um das Erfordernis der Zustimmung des für die Er- öffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts. Unser Gesetzentwurf und unser Antrag zum Völker- strafgesetzbuch benennen die vorhandenen Schwachstel- len in der Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuches und schlagen konkrete Lösungen vor. Dabei haben wir uns auch an dem orientiert, was von unabhängigen Sachver- ständigen gefordert wird. In der Anhörung bestand dazu unter den Ausschussmitgliedern eine große Einhellig- keit, dem Völkerstrafgesetzbuch gemeinsam zu einer größeren Wirksamkeit verhelfen und damit den interna- tionalen Menschenrechtsschutz stärken zu wollen. Wir hoffen deshalb, dass wir im Wege der Ausschussberatun- gen zu einer gemeinsamen Initiative kommen können. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 12) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Eine der größten He- rausforderungen der letzten zehn Jahre ist die Reform des deutschen Arbeitsmarktes. Die bisher beschlossenen und von der Großen Koalition angepassten Gesetze zeiti- gen erste greifbare Erfolge. Viel hat sich für die Bürge- rinnen und Bürger verändert, und so haben sich auch viele Unsicherheiten ergeben. Diese Erfahrungen hatten beinahe zwangsläufig auch Folgen für einen anderen Bereich, der mit den Um- wälzungen auf dem Arbeitsmarkt in direktem Zusam- menhang steht: die Sozialgerichtsbarkeit und die Arbeitsmarktgesetze. Zum 1. Januar 2005 ist der Sozial- gerichtsbarkeit die Zuständigkeit für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Sozialhilfe sowie das Asylbewerberleistungsgesetz übertragen wor- den. Es ist nicht verwunderlich, dass die Sozialgerichte auf diese Weise eine sehr viel größere Last zu tragen hat- ten als noch in der Vergangenheit. Die Einführung eines neuen Rechtsgebietes wie der Grundsicherung für Ar- beitsuchende zieht für gewöhnlich einen erhöhten ge- richtlichen Klärungsbedarf nach sich. Insbesondere die Rentenversicherer hatten in jüngster Zeit mit millionen- fachen Widersprüchen zu tun. Zudem haben Klagen und Eilanträge rund um Hartz IV Spitzenzahlen erreicht. Al- lein für den Oktober 2007 meldete das Bundessozialge- richt den Eingang von mehr als 2 000 neuen Verfahren in diesem Bereich. Seit Juli 2007 kümmert sich am Bun- dessozialgericht der eigens eingerichtete 14. Senat um Klagen, die das ALG II betreffen. Bei ihrer Arbeit müs- sen die Richter auch Korrekturen berücksichtigen, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren vorge- nommen hat. Dazu zählen die Angleichung der Regel- sätze von Ost- und Westdeutschland auf heute 347 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für Arbeitseinkommen und die Verschärfung von Sanktionen. Zwar konnten Perso- nalmaßnahmen der Länder diese Mehrbelastung zum Teil auffangen. Dennoch ist es nötig geworden, die So- zialgerichtsbarkeit insgesamt zu entlasten. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die Initia- tive ergriffen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, das sozialgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleunigen, sodass die Gerichte ihrer Amtsermitt- lungspflicht besser nachkommen können. Damit ist – so der Entwurf – letztlich auch den Prozessparteien gedient. 14418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Vorgesehen ist laut Entwurf unter anderem: bereits im Widerspruchsverfahren die Sozialleistungsträger zu ent- lasten, indem der Verwaltung die Bekanntgabe der Wi- derspruchsentscheidung bei sogenannten „Massenwider- sprüchen“ im Wege der öffentlichen Bekanntgabe ermöglicht wird. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit für die Landessozialgerichte soll für Rechtsfragen einge- führt werden, die über individuelle Beschwerden hinaus- gehen. Zur Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens kann das Gericht unter engen Voraussetzungen den Vor- trag einer Partei präkludieren. Dies soll insbesondere der zeitnahen Umsetzung der vollständigen Tatsachenermitt- lung dienen und darauf hinwirken, dass der Kläger frist- gemäß seine Mitwirkungspflichten erfüllt. Demnach gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Schwellenwert zur Beru- fung wird für natürliche Personen auf 750 Euro und für juristische Personen auf 10 000 Euro angehoben. So soll die mit Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit verbundene Mehrbelastung der Landessozialgerichte aufgefangen werden. Vom Bundesrat wurde unter ande- rem in einem eigenen Gesetzentwurf vorgeschlagen, die ärztliche Gutachterwahl des Betroffenen im gerichtli- chen Verfahren abzuschaffen und Instrumente aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozialgerichtliche Ver- fahren zu übertragen. Damit soll die Dauer der Verfahren verringert werden. Was die Arbeitsgerichtsbarkeit an- geht, soll den Arbeitnehmern die Klageerhebung erleich- tert werden, indem sie ihre Klage auch vor dem Arbeits- gericht erheben können, in dessen Bezirk sie normalerweise ihre Arbeit leisten. Das kommt vor allen den Beschäftigten zugute, die, wie zum Beispiel Außen- dienstmitarbeiter, ihre Arbeitsleistung fern vom Firmen- sitz und dem Ort der Niederlassung erbringen. Ziel ist es auch, arbeitsgerichtliche Verfahren durch eine Erweite- rung der Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zu vereinfachen und zu beschleunigen. Den Vorschlag des Bundesrates, verstärkt auch Instru- mente aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozial- gerichtliche Verfahren zu übertragen, sehe ich etwas kri- tisch. Völlig zu Recht stellt die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates fest, dass die Betroffenen vor den Sozialgerichten in der Re- gel um ihre wirtschaftliche Existenzsicherung streiten und die Fragestellungen häufig einen komplexen medizi- nischen Hintergrund haben. Dies erfordere eine beson- ders umfängliche Tatsachenaufklärung. Hinzu kommt, dass die Verfahrensbeteiligten in der Regel unterschied- liche Voraussetzungen haben. Auf der einen Seite stehen Leistungsempfänger, Versicherte oder behinderte Men- schen. Auf der anderen Seite steht eine hochspeziali- sierte Verwaltung, die über einen professionellen Vor- sprung verfügt. Das sozialgerichtliche Verfahren hat deshalb auch die Aufgabe, zwischen diesen ungleichen Parteien ein gewisses Kräftegleichgewicht herzustellen. Kritisch sehe ich auch die Einführung einer fiktiven Klagerücknahme. Der Bundesrat hatte hier in seinem Gesetzentwurf im Gegensatz zur Dreimonatsfrist des Regierungsentwurfs eine Frist von zwei Monaten vorge- schlagen. Wie in der Gegenäußerung der Bundesregie- rung festgestellt, bin auch ich der Ansicht, dass Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren häufig länger für die Entscheidungsfindung benötigen als andere Personen, da sie durch Krankheit oder Behinderung in ihrer Entschei- dungsfähigkeit eingeschränkt sind. Außerdem kann die Entscheidung langfristige Folgen für sie nach sich zie- hen. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Betroffenen tat- sächlich in der Lage sind, innerhalb einer Zwei- oder Dreimonatsfrist fundiert darzulegen, warum ihr Rechts- schutzbedürfnis weiter fortbesteht. Bei aller berechtigter Absicht, die Sozialgerichtsver- fahren zu beschleunigen und zu entschlacken: Die Inte- ressen der Betroffenen müssen im Vordergrund stehen. Deshalb schießt auch der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates, den § 109 SGG abzuschaffen, über das Ziel hinaus. § 109 SGG besagt, dass im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden muss. Die Erstellung ei- nes Gutachtens durch einen frei gewählten Arzt erhöht die Akzeptanz des Urteils durch die betroffene Partei deutlich. § 109 SGG gibt dem Betroffenen die Gewiss- heit, dass seine Belange umfassend gewürdigt werden. Oft kann hierdurch der langwierige und für die Justiz kostenintensive Gang in die zweite Instanz vermieden werden. Die Änderungen des Sozialgerichts- und des Arbeits- gerichtsgesetzes sind unbedingt notwendig. Sie tragen zu einer Verfahrensbeschleunigung bei. Die Änderungen dürfen aber nur so weit gehen, dass sie die Rechte der Betroffenen nicht unzumutbar einschränken. Somit bie- tet die anstehende Änderung des SGG unter verfahrens- ökonomischen wie auch sozialen Aspekten eine Chance zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung der sozial- gerichtlichen Verfahren. Anette Kramme (SPD): Die gegenwärtige Debatte um Jugendgewalt hat der Öffentlichkeit zweierlei ins Bewusstsein gerufen. Zum einen: Bestimmte CDU-Mi- nisterpräsidenten zeigen eine fragwürdige Auffassung von Demokratie und Menschenrechten. Zum anderen: Die Zeit zwischen Anzeige und Urteil wird immer län- ger. Unsere Gerichte sind überlastet. Laut Aussagen des Deutschen Richterbundes fehlen rund 4 000 Richterstel- len. Dies gilt nicht nur in Jugendstrafsachen. Es gilt auch für die Arbeitsgerichte und vor allem für die Sozialge- richte. Nur rund ein Fünftel der Klagen werden inner- halb von sechs Monaten erledigt. Im Jahr 2006 wurden allein 100 000 Klagen bezüglich der Regelungen von Hartz IV eingereicht. Diese Menge ist mit den gegen- wärtigen Verfahren nicht mehr handhabbar. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichts- und des Arbeitsgerichtsgesetzes ver- folgt die Bundesregierung vor allem zwei Ziele. Die So- zialgerichtsbarkeit soll nachhaltig entlastet werden. Die Verfahren sollen schneller werden, um einen effektiven und bürgerfreundlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Diese Ziele sind richtig gewählt. Sie treffen die Be- dürfnisse der gerichtlichen Praxis, und sie sind im Sinne Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14419 (A) (C) (B) (D) der Bürger; denn sie dienen der Beschleunigung von Verfahren um oft existentielle Fragen. Der Gesetzesentwurf ist inhaltlich gelungen. Er ent- hält viel Gutes und beachtet sensibel die wichtigsten Ei- genheiten der Sozialgerichtsordnung. Sinnvoll ist zum Beispiel, bei Massenwidersprüchen die Entscheidung des BVerfG öffentlich im Bundesge- setzblatt und in mindestens drei überregionalen Tages- zeitungen bekanntzugeben, statt die Beteiligten indivi- duell zu informieren. Diese Regelung wird flankiert durch eine auf ein Jahr verlängerte Widerspruchsfrist, um zu garantieren, dass die Betroffenen ausreichend Zeit zur Kenntnisnahme haben. Gleiches gilt für den Vorschlag, bei mehr als 20 Ver- fahren zur gleichen Streitfrage die einzelnen Verfahren auszusetzen und ein Musterverfahren durchzuführen. Aber es gibt auch einen Punkt, über den noch zu re- den sein wird. Diskussionsbedarf besteht hinsichtlich des Schwellenwertes für die Zulassung einer Berufung. Über eine moderate Erhöhung kann man reden. Doch die in Art. 1 Nr. 25 vorgeschlagenen 750 Euro erscheinen mir sehr hoch. Auch 500 Euro sind viel Geld für jeman- den, der auf Leistungsansprüche innerhalb von Hartz IV klagt! Durch diese Erhöhung würden viele Verfahren von der zweiten Instanz ausgeschlossen. Die Vorschläge des Bundesrates schießen jedoch deutlich über das Ziel hinaus. Die Forderung nach der Einführung von Gebühren in das sozialgerichtliche Ver- fahren ist abzulehnen. Vor Arbeits- und Sozialgerichten werden elementare Fragen geklärt, deren Lösung nicht von der individuellen Finanzkraft abhängen darf! Eine weitere Verschärfung der Regelungen zur Beru- fung ist ebenfalls nicht tragbar. Diese nur nach Zulas- sung durch die Gerichte der ersten Instanz zu ermögli- chen, ist aus zwei Gründen abzulehnen: Schon heute nutzen nur 10 Prozent der Kläger im so- zialgerichtlichen Verfahren eine zweite Instanz. Diese Zahl durch gesetzliche Restriktionen weiter zu verklei- nern, scheint schlichtweg unnötig. Die Berufung ist nötig zur Qualitätssicherung. Schon die alten Römer wussten: Errare humanum est – Irren ist menschlich. Die Zulässigkeit der Berufung vor einer zweiten Instanz muss gegeben sein. Bei allen Änderungen der bestehenden Gesetze soll- ten wir eines immer im Hinterkopf behalten: Arbeits- und Sozialgerichte sind dazu da, Menschen in elementa- ren Fragen zu helfen. Viele Bürger greifen nicht auf einen Anwalt zurück, sondern vertreten sich selbst. Des- halb unterscheiden sich diese Verfahrensordnungen von anderen. Die Vorschläge des Bundesrats hingegen zielen auf eine Annäherung der SGG an die Verfahrensordnung der Verwaltungsgerichte. Das lehnen wir ab. Die Erhebung von Klagen so schwierig wie möglich zu machen, ist kein Dienst am Bürger. Das ist der schlecht verhehlte Versuch, die Konsolidierung der Lan- deshaushalte auf dem Rücken der Schwachen auszutra- gen! Wir wollen nicht, dass der Zugang zum Gericht ver- sperrt wird! Wir wollen keine kafkaeske Situation! Wir wollen nicht, dass ein Türhüter den Eingang zum Gesetz verschließt und tönt „Merke aber: Ich bin mächtig.“ Wir wollen ein tragfähiges SGG und ArbGG, das den Interessen der Schwachen dient! Heinz-Peter Haustein (FDP): Der Mann an seinem Schreibtisch ist nicht zu sehen. Nur wenn man um die Aktenberge herumgeht, sieht man den Richter in seinem Büro bei der Arbeit. So oder so ähnlich kann man es bei jedem Fernsehbericht über die Zustände an den deut- schen Sozialgerichten sehen. Am größten deutschen So- zialgericht, dem Berliner Sozialgericht, stieg die Zahl der anhängigen Verfahren zwischen Januar 2006 und Juni 2007 um nahezu 100 Prozent, von 748 auf 1 405. Allerorts hört man von Richtermangel und fehlendem Personal an den Gerichten. Wo Richter arbeiten, sind sie wegen der Flut von Klagen total überlastet. Eilanträge und Klagen wechseln sich im Posteingang im Dutzend ab. Die Rede ist von einer Klageflut oder einer Klage- welle. Experten schätzen, dass die schiere Masse der Verfahren so schnell nicht abnehmen wird, weil die Klä- ger an den Gerichten oftmals Recht bekommen, was potenzielle Kläger weiter ermuntern wird, den Rechts- weg zu beschreiten. Deswegen müssen wir zwingend etwas zur Entlas- tung der Sozialgerichtsbarkeit tun. Bessere Personalaus- stattung der Gerichte wäre dringend geboten. Gerade solange sich die Personalausstattung nicht bessert, muss sich jede rechtliche Neuerung daran messen lassen, ob sie zur Verfahrensbeschleunigung beiträgt oder nicht. Der Gesetzentwurf der Regierung, über den wir hier heute in erster Lesung beraten, weist an einigen Stellen in die richtige Richtung. Manche Punkte jedoch hält die FDP-Fraktion für ungeeignet, dem Ziel der Entlastung der Gerichte näher zu kommen. Lassen Sie mich auf ei- nige Vorschläge eingehen: Die Einführung der Fiktion einer Klagerücknahme im § 102 Sozialgerichtsgesetz, SGG, und auch die Einführung der fakultativen Präklu- sionsregelung im § 106 a Arbeitsgerichtsgesetz, AGG, sind aus unserer Sicht klar zu begrüßen. Die Mitwirkung der Betroffenen, insbesondere natürlich der Kläger, steht als Grundvoraussetzung für einen zügigen Verfahrens- verlauf an erster Stelle. Wo Verfahren verzögert werden, weil die notwendigen Mitwirkungspflichten vonseiten der Kläger nicht erbracht werden, wo erforderliche Un- terlagen nicht über- oder notwendige Informationen nicht weitergegeben werden, muss als Allererstes ange- setzt werden. Hierdurch kann am effektivsten eine Be- schleunigung der Verfahrensabläufe erreicht werden. Auch die beabsichtigten Änderungen im Kündigungs- schutzgesetz, KSchG, werden von der FDP-Fraktion mit- getragen. Die Möglichkeit für das Arbeitsgericht, über die nachträgliche Klagezulassung und die eigentliche Klage zusammen zu entscheiden, wie sie laut Gesetz- entwurf in den neuen Sätzen 3 und 4, Abs. 5 KSchG vorgesehen ist, halten wir für geeignet, zur Verfahrens- beschleunigung beizutragen. Ebenso hilfreich ist der geplante neue § 5 Abs. 5 KSchG, wonach künftig das 14420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Landesarbeitsgericht unter bestimmten Voraussetzun- gen erstmalig über Anträge entscheiden darf. Für nur sehr bedingt tauglich halten wir die beabsich- tigte Zuständigkeitsregelung des § 29 SGG. Zwar kann die erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialge- richte für diejenigen Fälle, in denen es nicht nur um ei- nen konkreten Fall, sondern auch um eine Rechtsfrage geht, hilfreich sein. Eine solche Regelung ist jedoch nur hilfreich, wenn sie die Rechtsstreitigkeiten, auf die die Regelung zielt, klar definiert und abgrenzt. Wenn es zu Auseinandersetzungen über die Sachzuständigkeit kommt, ist wenig erreicht. Insofern plädiert meine Fraktion an dieser Stelle für eine Konkretisierung der Regelung. Für falsch halten wir hingegen die Absicht der Regie- rung, künftig neue Verwaltungsakte nur noch dann nach Erhebung der Klage in das Verfahren einzubeziehen, wenn dadurch ein vorhergehender ersetzt oder abgeän- dert wird. Bislang wurde die Vorschrift des § 96 SGG so ausgelegt, dass die Verwaltungsakte, die mit dem bereits anhängigen Verfahren in Zusammenhang stehen, ohne erneutes zusätzliches Vorverfahren in das Klageverfah- ren einbezogen wurden. Die Neuregelung würde dazu führen, dass künftig wegen jedes nicht einen anderen er- setzenden oder abändernden Verwaltungsaktes ein Vor- verfahren und im Anschluss ein Klageverfahren eröffnet werden muss. Dem Ziel der Verschlankung der Abläufe ist diese Neuerung kontraproduktiv. Insofern halten meine Fraktion und ich auch die Ein- führung eines neuen Gerichtsstandes am „gewöhnlichen Arbeitsort“ in § 48 AGG für wenig dienlich. Der Arbeit- nehmer soll nun nach dem „Gerichtsstand am gewöhnli- chen Arbeitsort“ dort Klage erheben können, wo er ge- wöhnlich seine Arbeit verrichtet. Doch zum einen haben zum Beispiel Außendienstmitarbeiter bereits heute laut § 29 Zivilprozessordnung, ZPO, die Möglichkeit, Klage am Erfüllungsort zu erheben. Zum anderen dürfte es in der Praxis zu Problemen führen, wenn zu entscheiden ist, was der „gewöhnliche Arbeitsort“ ist. Die beste- hende Rechtsunsicherheit beseitigt die Neuregelung nicht. Eine Verfahrensbeschleunigung ist hiervon nicht zu erwarten. Die FDP-Fraktion wird im parlamentarischen Verfah- ren auf die entsprechenden Änderungen drängen. Mit einem herzlichen Glück auf aus dem Erzgebirge! Katja Kipping (DIE LINKE): Uns allen hier dürfte bekannt sein, dass am 1. Januar 2005 der Sozialgerichts- barkeit die Zuständigkeit für das SGB II – Hartz IV –, das SGB XII – Sozialhilfe – sowie das Asylbeweberleis- tungsgesetz übertragen worden sind. Folglich hat in den letzten Jahren die Zahl der Verfahren vor den Sozialge- richten und somit die Arbeitsbelastung aller Beteiligten deutlich zugenommen. Vor allem die Einführung von Hartz IV sowie eine Verwaltungspraxis im Geiste von Repressionen sind dafür ursächlich. So hat sich allein die Klagequote von Hartz-IV-Beziehenden, die gegen abge- lehnte Widersprüche gerichtlich vorgehen, innerhalb ei- nes Jahres um 5 Prozentpunkte erhöht. Der hier vorliegende Gesetzentwurf sieht nun vor, die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten und eine Straffung der Verfahren herbeizuführen – meistens aber zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger. Insbesondere folgende Maßnahmen werden dazu führen, dass Rechts- mittel und Rechtsschutz abgebaut werden und vor allem für Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen – also in der Hauptsache Sozialleistungsbeziehende – der Zu- gang zu Gerichten in nicht akzeptabler und eines soge- nannten Sozialstaates unwürdiger Weise erschwert wird. Besonders die Erhöhung des Beschwerdewertes bei Beru- fungen auf mindestens 750 Euro, für Erstattungsstreitig- keiten auf 10 000 Euro sowie die Einschränkung der Überprüfung von Prozesskostenhilfeentscheidungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Das bedeutet im Klartext, dass ein großer Teil der Verfahren, bei denen es um die Anrechnung von Einkommen, einen Streit über Unterhaltskosten sowie Zuschläge geht, zukünftig nicht mehr zur Berufung zugelassen werden. Besonders aus Sicht von Hartz-IV-Beziehenden ist es nicht akzeptabel, dass eine Beschwerdemöglichkeit bei Prozesskostenhilfe- verfahren, soweit es um die wirtschaftlichen Verhältnisse geht, von nun an ausgeschlossen werden soll. Auch sieht der Gesetzentwurf vor, die Einbeziehung von weiteren Bescheiden in das Gerichtsverfahren zu er- schweren. Das erscheint mir sehr paradox, denn genau dadurch werden möglicherweise neue Verfahren not- wendig, was der Intention des Gesetzentwurfes deutlich zuwiderläuft. Die Belastung der Sozialgerichte darf keinesfalls dazu führen, dass Verfahrensrechte von Bürgerinnen und Bürgern beschnitten oder verkürzt bzw. die Anliegen nicht mehr mit ausreichender Sorgfalt behandelt werden – aber genau das wird mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf eintreten. Bitte führen Sie sich vor Augen: Verhandelt wird vor Sozialgerichten in der Regel über Leistungen, die für viele Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer von existenzieller Bedeutung sind. Auch war immerhin ein Drittel der Widersprüche im Bereich Hartz IV von Erfolg gekrönt; viele Bürger wehren sich also zu Recht. So gibt es unter anderem für Berlin klare Indizien, die gegen einen politisch unterstellten Anteil mutwilliger Klagen sprechen: die hohe Erfolgsquote – 40 Prozent –, die niedrige Rechtsmittelquote – 10 Prozent – sowie ein Anteil von fast 70 Prozent unstreitiger Erledigungen von Hartz-IV-Klagen. Aus unserer Sicht gibt es ungleich geeignetere Mög- lichkeiten zur Entlastung der Sozialgerichte, die zudem überaus bürgerfreundlich sind: eine Weiterbildung der zuständigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder am besten gleich die Abschaffung von Hartz IV. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Sozialgerichtsgesetz regelt das Verfahren der gerichtli- chen Auseinandersetzungen, in denen Bürgerinnen und Bürger für sie oft sozial und ökonomisch existenzielle Forderungen gegen staatliche Behörden und Institutio- nen geltend machen. Sehr oft sind die Klägerinnen und Kläger in ihrer Ausdrucksfähigkeit, in ihrer Aktionsfä- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14421 (A) (C) (B) (D) higkeit und ihrer Mobilität eingeschränkt und den be- klagten Behörden und Institutionen erheblich unterle- gen. Das Verfahren vor den Sozialgerichten muss diese Ungleichheit, die Ursache dafür sein kann, dass Bürge- rinnen und Bürger zu ihrem Recht nicht kommen, ob- wohl es ihnen zusteht, durch eine ausgeprägte Klägerzu- wendung ausgleichen und bei bestehender umfassender „Waffenungleichheit“ für größtmögliche Waffengleich- heit sorgen. Das Amtsaufklärungsprinzip ist eines der wichtigen Elemente dieses Ausgleichs. Weitere sind die Kostenfreiheit vor den Sozialgerichten, eine niedrige Zugangsschwelle und weitgehende Formfreiheit und weitreichende durch Rechtsbehelfe auszulösende Über- prüfungsinstanzen. In ihren grundlegenden Strukturen sind die Bestim- mungen des Sozialgerichtsgesetzes Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips und damit Konkretisierungen eines Grundpfeilers der Verfassung. Hieraus ergibt sich, dass Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes besonders sensi- bel auf ihre Wirkungen für die Betroffenen zu prüfen sind. Wir verkennen natürlich nicht, dass alle Prozessord- nungen in der alltäglichen Gerichtspraxis einer fortwäh- renden Qualitätsüberprüfung ausgesetzt sind und dass Vorschriften, die mehr Schaden als Nutzen produzieren oder sich als unpraktikabel oder für die Gesamtheit der Rechtsgewährung als kontraproduktiv erweisen, sehr wohl optimiert, geändert oder auch abgeschafft werden können und müssen. Die, auch nachhaltige, Entlastung der Sozialgerichte – so die Zielbestimmung der Bundes- regierung in der Gesetzesbegründung – ist für uns kein Wert an sich. Auch eine weitreichende Rechtsverweige- rung durch Aufbau von Hürden, kurze Fristen und ge- strichene Rechtsbehelfe entlastet die Sozialgerichte. Auch ein erhöhter Anfall von Sozialgerichtsverfahren durch gesetzliche Änderungen wie zum Beispiel die Ein- führung der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann für sich kein Grund für gesetzliche Änderungen zulasten der Rechtsuchenden sein. Solche systemimmanenten Aufgabenmehrungen sind durch eine bessere Ausstattung und qualifizierte Richterinnen und Richter aufzufangen und abzuarbeiten. Hinzu kommt, dass die Bundesregie- rung selbst zugibt, keine belastbaren Feststellungen zu den Auswirkungen der von den Ländern durchgeführten Personalmaßnahmen zu kennen und auch zu dem tat- sächlichen Ausmaß der Belastung kein belastbares Zah- lenmaterial zu haben. Dies alles bedenkend werden wir die vorliegenden Vorschläge sorgfältig prüfen und uns sinnvollen Ände- rungen nicht verschließen. Wir sichern eine konstruktive Mitarbeit zu, weil uns die Leistungsfähigkeit und Quali- tät der Sozialgerichte am Herzen liegt. Dem Bundesrat ist eigentlich nur zu folgen, wo er empfiehlt: „das Gesetz geschlechterneutral zu formulieren und einseitig männli- che Formulierungen zu vermeiden“. Ansonsten bietet der Bundesrat in seiner Stellungnahme und in einer Fülle von Gesetzesvorschlägen aus dem Jahr 2006 die nahezu vollständige Abschaffung von Rechtsmitteln, Zugangs- sperren durch Kosten und Gebühren und die Versetzung von Richterinnen und Richtern gegen ihren Willen. Sol- chen Vorschlägen werden wir uns laut und deutlich wi- dersetzen. Es gilt, den Sozialstaat zu verteidigen, auch und gerade im sozialgerichtlichen Verfahren. Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Mit dem Gesetzent- wurf, den wir heute beraten, verfolgt die Bundesregie- rung zwei Ziele: Wir wollen die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit entlasten. Gleichzeitig wollen wir die Verfahren im Interesse der Bürger, die Rechtsschutz suchen, beschleunigen. Wir reagieren damit auch auf die Erfahrungen nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Zahl der Sozialgerichtsverfahren ist dadurch erheb- lich gestiegen. Das ist nichts Ungewöhnliches: Immer wenn ein neues Rechtsgebiet eingeführt wird, steigen die Fallzahlen deutlich an, bis die Grundsatzurteile gespro- chen sind. Danach normalisiert sich die Lage wieder. Aber auch in solchen Spitzenzeiten haben Recht- suchende Anspruch auf eine angemessene Verfahrens- dauer und die Justiz auf gute Arbeitsbedingungen. Hier war und ist es primär Sache der Länder, durch entsprechende Personalmaßnahmen für eine angemes- sene Ausstattung der Gerichte zu sorgen. Wir helfen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zusätzlich. Dabei ist uns wichtig, dass die Klägerfreundlichkeit des Verfahrens erhalten bleibt. Diejenigen, deren materielle Existenz betroffen ist, sollen weiterhin ohne Zugangs- schwelle Rechtsschutz erhalten. Das Maßnahmenpaket ist umfangreich, daher er- wähne ich hier nur zwei wichtige Aspekte: Wir schaffen erstens eine erstinstanzliche Zuständig- keit für die Landessozialgerichte in Verfahren, in denen es überwiegend um übergeordnete Rechtsfragen geht. Darüber hinaus werden zweitens die Mitwirkungs- pflichten der Parteien im Prozess strengeren Anforde- rungen unterzogen. Das hilft den Gerichten, ohne die Beteiligten zu überfordern und ihre Rechte einzuschrän- ken. Der Gesetzentwurf setzt Anregungen aus der Praxis um. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Regelungen schnell in der täglichen Arbeit greifen. Auch die Änderungen des Arbeitsgerichtsgesetzes sind darauf ausgerichtet, Verfahren einfacher, schneller und bürgerfreundlicher zu gestalten. Künftig können zum Beispiel Arbeitnehmer auch in dem Gerichtsbezirk klagen, in dem sie gewöhnlich arbeiten. Das kommt vor allem denjenigen zugute, die im Außendienst arbeiten und zukünftig nicht mehr zum Hunderte von Kilometern entfernten Arbeitsgericht am Firmensitz ihres Arbeitge- bers anreisen müssen. Weitere Änderungen betreffen prozesstechnische Fra- gen wie die Zurückweisung einer verspäteten Berufung. Um das Verfahren zu beschleunigen, soll hier der haupt- amtliche Richter zukünftig in größerem Umfang als bis- her allein entscheiden können. Außerdem verändern wir 14422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) das Verfahren bei der nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen. Wenn Arbeitnehmer die drei- wöchige Klagefrist ohne Verschulden versäumt und An- trag auf nachträgliche Klagezulassung gestellt haben, soll die Entscheidung über die nachträgliche Klagezulas- sung zukünftig mit der Kündigungsschutzklage verbun- den werden. Das beschleunigt das Verfahren. Gleichzei- tig ermöglichen wir auch in der Frage der nachträglichen Klagezulassung den Weg zum Bundesarbeitsgericht. Eine bundeseinheitliche Rechtsprechung schafft auch bei diesen Streitfällen größere Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Die Sozial- und Arbeitsgerichte in Deutschland leis- ten hervorragende Arbeit. Sie leisten damit auch einen wertvollen Beitrag zur dauerhaften Funktionsfähigkeit unseres Sozialstaats und des deutschen Erfolgsmodells soziale Marktwirtschaft. Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf legen wir eine gute Grundlage dafür, dass das auch in Zukunft so bleibt Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Eintreten für die Beendigung der von den USA auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba (Tagesord- nungspunkt 16) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Der beherrschende Fak- tor in der kubanischen Außenpolitik ist das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Seit dem 7. Februar 1962 ver- hängt die USA eine Wirtschafts-, Handels- und Finanz- blockade gegenüber Kuba, das US-Embargo. Die An- tragsteller sind der Ansicht, dass das US-Embargo internationalen Handelsregeln widerspricht und der ku- banischen Bevölkerung auf sozialem und wirtschaftli- chem Gebiet Schäden zufügt. Deshalb fordert die Links- fraktion in ihrem Antrag auf Drucksache 16/5115 die Bundesregierung auf, im Rahmen der deutschen EU- Ratspräsidentschaft die Aufhebung des Embargos von den USA zu fordern und sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union im Umgang mit den USA jede Ver- urteilung Kubas unterlasse. Der Antrag der Fraktion Die Linke ist aus folgenden Gründen abzulehnen: Erstens. Die Handelspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Kuba ist eine bilaterale Angele- genheit. Zweitens. Der Antrag der Linken erweckt den Ein- druck, dass Kuba international als isoliert gilt. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr wird Kuba in weiten Teilen der Welt geachtet. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Kuba Mitglied der Vereinten Nationen ist und den Vorsitz der Bewegung der nicht paktgebundenen Staaten bis 2009 führt. Drittens. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben stets ihre Ablehnung der extraterritorialen Auswirkungen des US-Embargos zum Ausdruck gebracht. Beispielsweise hat vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 8. November 2006 die finnische Ratspräsidentschaft im Namen der EU und ihrer Mitgliedstaaten alle einseiti- gen Maßnahmen gegen Kuba zurückgewiesen, die un- vereinbar sind mit den internationalen Handelsregeln und ebenso die Haltung vertreten, dass eine Aufhebung des Handelsembargos die Wirtschaft Kubas öffnen und dem kubanischen Volk zugute kommen würde. Auch das Europäische Parlament unterstreicht in einer aktu- ellen Entschließung zu Kuba vom November 2007, P6_TA(2004)0061, den kontraproduktiven Charakter des US-Embargos und hält die Aufhebung dessen für wünschenswert. Zusätzlich ist festzuhalten, dass die Eu- ropäische Union in ihren Beziehungen zu Kuba eine ei- genständige Politik verfolgt und regelmäßige Konsulta- tionen zum Thema Kuba führt. Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU, RAA, beschloss in seiner Sitzung am 12. Juni 2006, eine mit- tel- und langfristige Strategie zu Kuba zu beginnen. Seit- dem tauschen sich die Regierungen der EU-Mitglied- staaten regelmäßig in der entsprechenden Ratsarbeitsgruppe, COLAT, aus. Viertens. Es finden regelmäßige Gespräche zu Kuba zwischen der Bundesregierung, der EU und den Verei- nigten Staaten statt. Ein Ergebnis solcher Konsultationen ist die Passage zu Kuba in der Erklärung zum Gipfeltref- fen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika am 30. April 2007 in Washington. Sie lautet: „We will sup- port human rights, freedom of the press, and free speech in the region (i. e. Latin America). In particular we will support the Cuban people as they seek to exercise these same rights.“ Mit dieser Formulierung wurde in ange- messener Form der gemeinsamen Sorge über die Situa- tion der Menschenrechte in Kuba Ausdruck verliehen und gleichzeitig den Chancen einer Entwicklung zu mehr Demokratie und Menschenrechten Rechnung ge- tragen. Die Fraktion der CDU/CSU unterstützt die Bundesre- gierung in ihrer Politik im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, gegenüber Kuba, sich weiterhin für einen offenen und konstruktiven Dia- log über alle Themen von gegenseitigem Interesse ohne Vorbedingungen und einschließlich der Menschenrechts- problematik einzusetzen. Wir alle sind uns des Problems bewusst. Eine Nicht- existenz des Embargos wäre uns allen lieber. Kubas Bot- schafter S. E. Gerado Penalver Portal bezifferte auf einer Pressekonferenz im Oktober 2007 den wirtschaftlichen Schaden der seit fast 46 Jahren anhaltenden Blockade auf 89 Milliarden US-Dollar. Man sollte aber auch wis- sen, dass die USA Hauptimporteur kubanischer Lebens- mittel und nach Angaben des Auswärtigen Amtes mit ei- nem Handelsvolumen von 340 Millionen US-Dollar inzwischen wieder einer der wichtigsten Handelspartner Kubas sind. Vielmehr kommt es einem so vor, als ob die kubanische Regierung das Embargo einerseits zur Rechtfertigung ihrer wirtschaftlichen Missstände nutzt und anderseits zur Einschränkung von politischen Frei- heiten in Kuba. Die Lage der Menschenrechte ist weiter- hin prekär. Nach wie vor gibt es keine Pressefreiheit, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14423 (A) (C) (B) (D) keine Meinungsfreiheit, keine Bürgerrechte, keine de- mokratischen Parteien sowie Gewaltenteilung. Erfreulich ist, dass es Ansätze gibt für einzelne Verbes- serungen. Dazu gehören beispielsweise ein erweiterter Handlungsspielraum für Dissidenten sowie die Verringe- rung der Zahl der politischen Häftlinge. Nach Angaben, des Auswärtigen Amts wurde die Zahl der politischen Häftlinge um circa 25 Prozent gesenkt, von 333 Anfang 2006 auf 240 im Herbst 2007. Diese Verbesserungen sind es, die uns hoffen lassen auf eine politisch friedliche Entwicklung in Richtung Demokratie und Verbesserung der Menschenrechtslage. Dafür und für eine Sicherung der europäischen Handlungsfähigkeit durch eine kohä- rente EU-Politik setzten wir uns ein. Lothar Mark (SPD): Der hier zu beratende Antrag „Eintreten für die Beendigung der von den USA aufer- legten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba“ wird von meiner Fraktion nicht mitgetragen. In dem vorliegenden Antrag wird die Bundesregie- rung aufgefordert, auf dem EU-USA-Gipfel, der am 30. April des vergangenen Jahres stattfand, aktiv für eine Beendigung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblo- ckade gegen Kuba einzutreten. Zudem wird an die EU appelliert, auf dem Gipfel keiner Erklärung zuzustim- men, die eine – ich zitierte aus dem Antrag – „US-typi- sche Verurteilung Kubas“ beinhaltet. Wie unschwer zu erkennen ist, sind diese Forderungen nicht nur sehr pla- kativ und überspitzt formuliert, sondern auch zeitlich überholt; denn mittlerweile liegt die Abschlusserklärung des EU-USA-Gipfels vom 30. April 2007 vor. Sie ent- hält keinerlei Verurteilung Kubas, wie möglicherweise von den USA gewünscht wurde. Die einzelnen Ab- schlussdokumente halten lediglich die Bemühungen der EU und der USA zur „Unterstützung der Menschen- rechte, der Pressefreiheit und der freien Meinungsäuße- rung“ in der Region Lateinamerika fest. Im Besonderen soll die „kubanische Bevölkerung in Ihrem Streben nach Ausübung dieser Rechte unterstützt werden“. Auch der im Antrag enthaltene Appell, die Bundesre- gierung möge sich während der deutschen EU-Ratspräsi- dentschaft für die Aufhebung der politischen Maßnah- men der EU gegen Kuba einsetzen, ist bekanntermaßen mittlerweile veraltet. Zwar konnte während der deut- schen EU-Ratspräsidentschaft nicht, wie von einigen EU-Mitgliedsstaaten gefordert, die Aufhebung der poli- tischen Maßnahmen des gemeinsamen Standpunktes der EU gegen Kuba erreicht werden. Die EU-Mitgliedstaa- ten einigten sich jedoch darauf, die ohnehin seit 2005 suspendierten Bestimmungen auch weiterhin auszuset- zen. Zudem wurde der kubanischen Regierung ein um- fassendes Dialogangebot über alle Themen von gemein- samem Interesse, einschließlich Menschenrechte, unterbreitet. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat damit auf der politischen Ebene zu einer Annäherung zwischen der EU und Kuba beigetragen und den Weg für die Aufnahme eines politischen Dialoges geebnet. Die deutschen Bemühungen im Rahmen der Erfüllung des Mandats des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU, RAA, vom 12. Juni 2006 wurden, wie ich aus hochrangigen politischen Gesprä- chen weiß, auch von kubanischer Seite wahrgenommen und honoriert. In dem vorliegenden Antrag stellte Die Linke jedoch einen Zusammenhang zwischen dem Aufheben der poli- tischen Maßnahmen der EU gegen Kuba und der Glaub- würdigkeit der Bundesregierung beim Eintreten gegen das US-Handelsembargo her. Diese beiden Themen kön- nen jedoch nicht ohne weiteres miteinander gleichge- setzt werden. Denn einerseits handelt es sich um – mei- nes Erachtens ebenfalls zu diskutierende – politische Maßnahmen, andererseits um wirtschaftliche Sanktio- nen. Damit komme ich zurück zu der Kernforderung des Antrages, die Bundesregierung möge sich aktiv für eine Beendigung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblo- ckade einsetzen. Grundsätzlich ist das US-Handelsem- bargo gegen Kuba aus Sicht der SPD-Bundestagsfrak- tion in der Tat zu verurteilen. Die vor über 40 Jahren verhängten Wirtschaftssanktionen sind eine erhebliche Belastung für die kubanische Volkswirtschaft und gehen vor allem zulasten wichtiger wirtschaftlicher und gesell- schaftlicher Entwicklungen und damit letztlich auch auf Kosten der kubanischen Bevölkerung. Dass Die Linke es sich in ihrer Beurteilung der Situa- tion jedoch zu einfach macht, wird in einem entschei- denden Punkt deutlich: Der Antrag verschweigt ein ganz wesentliches Element, indem behauptet wird, dass auch Lebensmittel von dem Embargo betroffen seien. Lebens- mittel und medizinische Geräte sind jedoch seit dem Jahr 2000 vom Embargo ausgeschlossen. Die Zusammenar- beit der USA mit Kuba ist in diesen sensiblen Bereichen durchaus gegeben. Im Jahr 2006 belief sich der Betrag der kubanischen Lebensmittelkäufe in den USA auf 340 Millionen US-Dollar. Im März unterzeichnete der US-Bundesstaat Nebraska ein Handelsabkommen mit Kuba über Lebensmittellieferungen im Wert von 17 Mil- lionen US-Dollar. Es lässt sich also festhalten, dass die Kernforderungen des Antrages zwar grundsätzlich in die richtige Richtung weisen, jedoch nicht nur veraltet, son- dern auch sachlich undifferenziert sind. Hinzu kommt ein weiterer gewichtiger Punkt: Auch wenn man die Embargopolitik der USA gegenüber Kuba verurteilen mag, so handelt es sich dabei letztlich nach Auffassung der Bundesregierung und anderer EU-Mit- gliedstaaten um eine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und Kuba, in welche die EU nicht ohne weite- res einzugreifen vermag. Die extraterritorialen, das heißt in diesem Falle auch die EU betreffenden Auswirkungen des Cuban Democracy Act – Toricelli-Gesetz – und des Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act – Helms- Burton-Gesetz – hat die EU dagegen stets verurteilt. Im Bezug auf die Ausweitung des Helms-Burton-Gesetzes von 1996 gegen Unternehmen aus Drittstaaten reagierte die EU nicht nur, wie im Antrag benannt, mit einer Klage vor der Welthandelsorganisation, WTO, wegen des Verstoßes gegen die Regeln und Verpflichtungen der USA im Rahmen der WTO. Sie erließ zudem als Gegen- maßnahme eine Verordnung des Rates der EU zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen An- 14424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) wendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte so- wie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, EU-Richtlinie EG 227l. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass sich die EU im Rahmen ih- rer Möglichkeiten durchaus gegen das US-Handels- embargo wendet und somit sehr wohl eine eigenständige Kuba-Politik vertritt. Die Zukunft der Kuba-Politik der EU wird jedoch we- sentlich davon abhängen, ob es gelingt, die Annäherung zu vertiefen und den politischen Dialog auch tatsächlich wieder aufzunehmen. Denn wie Willy Brandt und Egon Bahr uns Sozialdemokraten lehrten, kann Wandel letzt- lich nur durch Annäherung, nicht aber durch Blockade erzielt werden. Daran sollten sich auch die USA orien- tieren. Die Blockadepolitik hat Kuba in den letzten 40 Jahren nicht in die Knie gezwungen und wird dies auch fortan nicht tun. Stattdessen sollten alle beteiligten Akteure auf den politischen Dialog setzen; denn letztlich können nur im Rahmen einer kontinuierlichen Diskus- sion Erfolge erzielt werden. Im Falle Kubas, so wurde mir während meiner letzten Dienstreise von mehreren Gesprächspartnern, insbesondere von Kardinal Jaime Ortega, bestätigt, habe man äußerst positive Erfahrungen mit der „stillen Diplomatie“ gemacht. Diese werde dort mit großem Erfolg eingesetzt und sollte demnach Vor- bildcharakter besitzen. Zu einem tatsächlichen politi- schen Dialog und einer „stillen Diplomatie“ gehört je- doch unweigerlich harte, kontinuierliche und vor allem sachlich differenzierte Arbeit bei allen Beteiligten. Der vorliegende Antrag weist hingegen mit seinen plakativen Maximalforderungen in eine gänzlich andere Richtung und kann deswegen von der SPD-Bundestagsfraktion nicht mitgetragen werden. Marina Schuster (FDP): Unter dem Aufhänger des Wirtschaftsembargos versucht die Linke einmal mehr, in diesem Haus die Zustände auf Kuba zu relativieren. Die- sen Antrag können wir aber nur im Gesamtzusammen- hang Ihrer Haltung gegenüber dem Regime in Havanna diskutieren. Denn, Kolleginnen und Kollegen der Links- fraktion, Ihre Gesamtposition ist vollkommen unausge- wogen. Sie beziehen sich heute auf die Wirtschaftsblo- ckade der USA. Zur desolaten Lage der Menschenrechte und zum Druck auf Dissidenten schweigen Sie erneut. Wir hatten dazu bereits zwei Debatten. Sie haben damals gegen unseren Antrag gestimmt, Menschenrechte einzu- fordern und die kubanische Zivilgesellschaft zu stärken. Die Presse- und Meinungsfreiheit wird auch von Raul Castro weiterhin unterdrückt. Das Gleiche gilt für die Versammlungsfreiheit. Dissidenten sitzen im Gefängnis. Die freie Nutzung des Internet wird den Kubanern ver- wehrt, weil das Regime befürchtet, dass die Opposition sonst weiteren Zulauf erhalten würde. Die Menschen in Kuba leiden aber nicht nur unter der innenpolitischen Repression, sondern auch unter einer schlechten Wirtschaftspolitik ihrer eigenen Regierung. Die sozialistische Planwirtschaft ist ineffizient und scha- det der Entwicklung Kubas. Das verschweigen Sie. Es fehlt an unternehmerischen Freiräumen im Land selbst. Daher muss ein Großteil der Lebensmittel importiert und anschließend stark subventioniert werden. Das Durch- schnittseinkommen von 14 Euro monatlich reicht nur für das karge staatliche Angebot. Parallelwährungen teilen die Gesellschaft in zwei Klassen. Die Bevölkerung benötigt harte Devisen, um ihren Alltag zu bewältigen. Das Auswärtige Amt schreibt hierzu: „Der Lebensstandard einer kubanischen Familie wird heute weitgehend durch den Zugang zu konvertibler Währung … und andere Einkommensquel- len bestimmt.“ Durch Hugo Chavez und seine Öl-für- Sozialismus-Politik werden die eklatanten Schwächen des Systems im Moment noch überdeckt. Nicht nur die Linksfraktion hat eine ambivalente Hal- tung zu Kuba. Auch innerhalb der Bundesregierung gibt es offenbar keine gemeinsame Haltung. Wenn man den Presseberichten glauben darf, setzt die Bundeskanzlerin auf Isolierung und der Außenminister auf Pragmatismus. Die Trennlinie verläuft allerdings nicht nur zwischen Rot und Schwarz, sondern auch zwischen CDU und CSU: Wirtschaftsminister Glos musste offenbar auf Druck des Kanzleramts eine Delegationsreise nach Kuba absagen. Sein Staatsekretär Pfaffenbach sollte im Februar dieses Jahres gemeinsam mit Unternehmern deutsche Wirtschaftsinteressen auf Kuba ausloten. Nun ist davon keine Rede mehr. Auf meine schriftliche An- frage ans Wirtschaftsministerium wurde mir mitgeteilt, dass es bislang keine festen Planungen gebe. Die Bun- desregierung prüfe weiterhin mögliche Optionen. Hat die Bundesregierung also ungeachtet der politischen Spannungen wirtschaftliche Interessen in Kuba oder nicht? Herr Minister Glos, Sie haben sich wohl von Ihren Parteifreunden in der Bayrischen Staatsregierung inspi- rieren lassen. Die CSU hat ja beste Kontakte zum Re- gime in Havanna. Bayerns Wirtschaftsstaatssekretär Hans Spitzner empfing im November den Sohn Fidel Castros, der gleichzeitig Berater der kubanischen Regie- rung ist, zu einem Gespräch. Anschließend erklärte er: „Die Entwicklung der wirtschaftlichen und wissen- schaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Län- dern ist sehr erfreulich.“ Interessant ist auch, dass sich Spitzner bei dem Treffen auch nach dem Gesundheitszu- stand von Fidel Castro erkundigte, den er von seinen Be- suchen in Kuba persönlich kennt, und seine Genesungs- wünsche übermittelte. Kontakte mit sozialistischen Unrechtsregimen haben in Bayern bei den CSU-Regierungen seit Franz Josef Strauß Tradition. Es ist allerdings unglaubwürdig, Ge- schäftskontakte mit dem Castro-Clan anzubahnen und gleichzeitig in den Bierzelten daheim gegen die Kom- munisten zu wettern. Das zeigt einmal mehr, wie tief in der CSU die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist. Ich kann nur hoffen, dass sich SPD, CDU und CSU auf einen gemeinsamen Kurs ihrer Kuba-Politik verstän- digen. Denn es ist gerade angesichts der unterschiedlichen Positionen innerhalb der EU wichtig, dass Deutschland hier mit einer starken Stimme spricht. Wir können doch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14425 (A) (C) (B) (D) nicht kritisieren, dass Spanien und Tschechien unter- schiedliche Ansätze gegenüber Kuba verfolgen, wenn die Bundesrepublik selbst nicht weiß, wie sie sich in die- ser Frage aufstellen will. Ich fordere die Bundesregie- rung auf, hier schnell Klarheit zu schaffen. Für die FDP sage ich klar: Wir möchten Kuba auch weiterhin auf dem Weg in eine freie Zukunft unterstüt- zen. Während andere eine gescheiterte Idee verteidigen, hoffen wir in Kuba auf eine Demokratie unter Palmen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Am 1. Januar wurde die kubanische Revolution 50 Jahre alt. Ich beglückwünsche die Kubanerinnen und Kubaner zu den sozialen Errun- genschaften, die sie in diesen 50 Jahren erkämpft haben. Ich selbst war mehrmals in Kuba und habe mit vielen Kubanerinnen und Kubanern diskutiert. Ich habe viele engagierte Kubanerinnen und Kubaner getroffen, die an der Überwindung der Defizite, die es in Kuba gibt, auch Defizite in der demokratischen Teilhabe, selbstbestimmt, ohne äußere Einmischung und ihren Vorstellungen ent- sprechend arbeiten. Ein Embargo, das sie stranguliert, oder politische Sanktionen, die sie „erziehen“ sollen, sind nicht akzeptabel. In diesen Tagen, in denen sich in Kuba ein Wechsel an der Staats- und Parteispitze vollzieht, in denen aber auch politische und wirtschaftliche Veränderungen vor- bereitet werden, haben sich die Begehrlichkeiten und Feindseligkeiten gegenüber Kuba seitens der US-Regie- rung und der Exilkubaner nochmals verstärkt. Zugleich freue ich mich, dass auch in den USA die Stimmen aus der Zivilgesellschaft lauter werden, die ein Ende der des- truktiven Kuba-Politik ihrer Regierung, insbesondere ein Ende des Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargos gegen Kuba fordern. Ich beziehe mich hier auf einen Appell US-amerikanischer Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Sean Penn, Carlos Santana, Tom Waits und Harry Belafonte. Wie in jedem Jahr seit 1992 so hat auch im Oktober 2007 die Vollversammlung der Vereinten Nationen wie- der mit übergroßer Mehrheit das Embargo verurteilt, das die USA über Kuba verhängt haben. Nie war die Mehr- heit gegen die USA in dieser Frage so groß: 184 Staaten stimmten der Resolution zu, die die Aufhebung des Em- bargos verlangt. Die USA fanden lediglich drei Verbün- dete. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung nicht dazu gehörte und dass Deutschland seit einigen Jahren im großen Lager derer zu finden ist, die das Embargo ab- lehnen. Die kubanische Bevölkerung erfährt durch die US- Sanktionen ungeheure Einschränkungen. Alle sozialen und wirtschaftlichen Bereiche der kubanischen Gesell- schaft werden durch das Embargo geschädigt. Der Wa- renaustausch mit den USA ist fast vollständig unterbun- den, der mit anderen Staaten wird behindert – teilweise durch geradezu absurde bis lächerliche Regelungen –, ebenso Kreditgeschäfte, ausländische Investitionen und damit die Weiterentwicklung bedeutender Wirtschafts- zweige wie des Tourismus. Die kubanische Regierung beziffert den Schaden, der ihrem Land seit der Inkraft- setzung der Sanktionen im Jahr 1960 entstanden ist, auf über 80 Milliarden US-Dollar. Diese Blockade ist völ- kerrechtswidrig und grausam. Sie muss fallen! Die US-Regierung hat sich bisher vom fast einstim- migen Votum der Vollversammlung nicht beeindruckt gezeigt. Wir finden es deshalb wichtig, dass sich die Bundesregierung dazu durchringt, ihre Kritik an der Blo- ckade, die in ihrer exterritorialen Wirkung ja auch die deutschen Beziehungen zu Kuba berührt, gegenüber der US-Regierung direkt vorzubringen. Das wäre umso not- wendiger, als der US-Präsident im Herbst die Schraube der Aggression noch ein Stückchen weitergedreht, Kuba als „tropischen Gulag“ bezeichnet, die Aufrechterhal- tung der Blockade bestätigt und die Einrichtung eines milliardenschweren „Freiheitsfonds“ angekündigt hat, aus dem ein Regime Change finanziert werden soll. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung nicht auf die Einladung des Präsidenten reagiert hat, sich an diesem Fonds zu beteiligen. Die US-Politik gegenüber Kuba ist eine unheilvolle Mischung wirtschaftlicher Interessen, missionarischer Anmaßung und totaler Ignoranz gegenüber der kubani- schen Gesellschaft. Diese Mischung ist hochgefährlich, und sie entfaltet seit 50 Jahren destruktive Wirkung. Ich appelliere an die Bundesregierung, sich dieser Politik nicht nur passiv in der UN-Vollversammlung, sondern ganz klar und deutlich in der direkten Auseinanderset- zung mit der US-Regierung entgegenzustellen! Das wäre auch ein wichtiges Signal in Richtung der Kräfte, die in ganz Lateinamerika Träger eines neuen sozialen Auf- bruchs sind und die sich dabei auf die Solidarität Kubas stützen. Wir brauchen einen völlig neuen, auf gleichbe- rechtigte Partnerschaft und solidarische Unterstützung abzielenden Ansatz in der deutschen Lateinamerikapoli- tik. Die Signale der Bundesregierung sind bislang unein- deutig. Von deutscher Kritik an der Kuba-Politik von Bush hat man bislang nichts gehört. Im EU-Rat zählte die Bundeskanzlerin während ihrer Präsidentschaft 2007 leider zu den Hardlinern gegen Kuba. Durchgesetzt hat sich in der EU glücklicherweise vorerst eine andere Hal- tung, die vor allem von Italien, Spanien und Belgien ge- tragen wurde und die auf Dialog setzt. So blieben die EU-Sanktionen gegen Kuba auch unter deutscher Rats- präsidentschaft weiter ausgesetzt. Zugleich bleibt der Anspruch der EU, in Kuba auf ei- nen „friedlichen Wandel“ hinwirken zu wollen, ein Hin- dernis für die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba. Für eine vollständige Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und Kuba wäre es notwendig, dass die Sanktionen der EU nicht nur ausgesetzt, sondern endgül- tig aufgehoben werden und der gemeinsame Standpunkt der EU zu Kuba endlich aufgegeben und durch einen neuen Ansatz ersetzt wird. Auf der anderen Seite sehen wir durchaus, dass es in letzter Zeit einige positive Signale in der deutschen Kuba-Politik gab. Insbesondere begrüßen wir, dass das 2003 auf Eis gelegte Kulturabkommen zwischen Deutschland und Kuba nun sehr bald unterzeichnet wer- den soll. Auch in der Frage der Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit hoffen wir auf mehr Be- wegung. 14426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Gerade auf dem Gebiet der Entwicklungszusammen- arbeit böten sich viele Felder einer fruchtbaren Zusam- menarbeit zwischen Deutschland und Kuba, von der auch Dritte profitieren könnten. Ich denke an den Be- reich der regenerativen Energien, an die Unterstützung des Austauschs von Fachleuten mit noch schwächeren Nachbarländern Kubas, an die Finanzierung von Stipen- dien kubanischer Universitäten für Studentinnen und Studenten aus Entwicklungsländern etc. Als Entwick- lungspolitikerin bin ich von der Bereitschaft der Kubanerinnen und Kubaner beeindruckt, ihre sozialen Errungenschaften auch mit anderen, viel schwächeren Gesellschaften zu teilen. In Haiti beispielsweise wird ge- rade mit kubanischer Hilfe ein groß angelegtes Alphabe- tisierungsprogramm durchgeführt. Kubanische Techni- kerinnen und Techniker bauen dort Solarkollektoren auf, Hunderte kubanische Ärztinnen und Ärzte, Krankenpfle- ger und -pflegerinnen versorgen die Bevölkerung selbst in entlegenen Regionen Haitis. Diese Süd-Süd-Solidari- tät verdient unsere Unterstützung und kann Vorbild für eine zukünftige Entwicklungszusammenarbeit sein. Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu- nächst und vorausgeschickt; Auch meine Fraktion ist ge- gen die einseitige Blockadepolitik der USA gegen Kuba. Sie ist politisch erfolglos und schadet der kubanischen Bevölkerung. Sie bedient den in Lateinamerika lange ge- wachsenen und leicht zu erklärenden Anti-Amerikanis- mus und verhilft dem USA-Bekämpfer Fidel Castro zu andauerndem Ruhm. Mehr noch: Sie wirkt – besonders nach der Verschärfung seit 2004 – womöglich gar sys- temstabilisierend; denn sie liefert der kubanischen Füh- rung einen Vorwand für ihre repressive Politik. Ohnehin ist jede Opposition in Kuba dem staatlichen Vorwurf ausgesetzt, gemeinsame Sache mit den Anhängern der 1956 vertriebenen bösartigen Batista-Junta und ihren Nachfolgern zu machen. Dieses in abgewandelter Form auch seinerzeit bei der SED beliebte Argument gegen- über der Opposition in der DDR erschwert natürlich den berechtigten Kampf für Demokratie und Menschen- rechte, und wir wollen diesen Kampf unterstützen und nicht behindern. An dieser Stelle wäre eine Debatte über Entspannungs- politik angebracht. Diese Debatte wurde in Deutschland seit Beginn von Willy Brandts Ostpolitik geführt, und ei- nes ihrer Themen war die Unterscheidung zwischen Ent- spannung und Anbiederung, neudeutsch: Appeasement. Diese Debatte ist auch heute noch notwendig, auch in Beziehung zu Kuba. Inwieweit ist es sinnvoll, auf ein to- talitäres Regime zuzugehen, um seine Reformfähigkeit zu testen, seine Differenzierung zu befördern, es zu Zu- geständnissen zugunsten der Bevölkerung zu bringen? Ist es überhaupt berechtigt, Reformfähigkeit zu erwar- ten? Ich sage dies angesichts wiederholter, ziemlich naiv anmutender Erwartungen an das Ableben von Fidel Castro und die Machtübernahme durch seinen Bruder. Natürlich kann ein neues Regime flexibler sein, und diese Möglichkeit wäre größer, wenn die USA sich an- ders verhielten, als sie es tun. Aber von der Installation einer Castro-Dynastie per se politische Reformen zu er- warten, zeugt schon von sehr viel Optimismus. In Kuba herrscht nach wie vor ein Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Das Recht ist ein Will- kürinstrument der politischen Führung. Nach Angaben einer kubanischen Menschenrechtsorganisation ist der Anteil Gefangener an der Bevölkerung in Kuba höher als in den USA – und das will etwas heißen. Wieviele politi- sche Gefangene es darunter gibt, ist eine Frage der Defi- nition und das Ergebnis rein taktischer Entscheidungen der Führung. Ist der Besitz einer Satellitenschüssel kri- minell oder ein politisches Verbrechen? Es gibt weder unabhängige Informationen noch eine kritische Öffent- lichkeit. Wer die Regierung kritisiert, läuft Gefahr, ver- haftet zu werden. „Reporter ohne Grenzen“ zählt Kuba zu den zehn repressivsten Staaten weltweit hinsichtlich des Umgangs mit dem Internet. Sämtliche zivilgesell- schaftlichen Initiativen sind illegal. Ihre Angehörigen sind umfassendem staatlichen Terror ausgesetzt, sofern sie nicht verhaftet sind. Von Demokratie und Pluralis- mus, von Selbstbestimmung des Volkes kann also keine Rede sein. Insofern übrigens ist die Forderung des EU- Lateinamerika-Gipfels vom Mai 2006 nach Achtung des Rechts auf Selbstbestimmung, die Die Linke in ihrem Antrag zitiert, durchaus berechtigt. Aber so meinen diese Verteidiger des Regimes ihren Antrag natürlich nicht. Der Text enthält kein Sterbens- wort über die politische Situation in Kuba. Indem Die Linke die beschriebenen Probleme vollständig ignoriert, zeigt sie einmal mehr ihre Prioritäten: Der realexistie- rende Sozialismus ist schütz-, nicht kritikwürdig. Men- schenrechte kommen bei dieser Fraktion besonders gern vor, wenn die USA sie verletzen. Deshalb lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen wieder bzw. weiterhin den Dialog mit Vertretern zivilge- sellschaftlicher Initiativen in Kuba pflegen und ihnen Schutz geben. Dazu bedarf es diplomatischer und natür- lich auch wirtschaftlicher Kontakte zur kubanischen Führung. Isolation war und ist der falsche Weg. Aber das Ziel muss klar sein: Hilfe auf dem Weg zur Demokrati- sierung Kubas. Darin ist sich die EU auch einig. Sie un- terstützt bekanntlich die Blockadepolitik der USA nicht. Was konkret notwendig wäre, sind Forderungen nach der sofortigen Entlassung aller gewaltlosen politischen Ge- fangenen, nach internationalem Zugang zu den Gefäng- nissen und die Legalisierung zivilgesellschaftlicher Ini- tiativen. Es geht um die Auflösung der kubanischen Erstarrung. Ob das gegenwärtige Regime diese betreibt oder bei Strafe seines Untergangs behindert, ist offen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gesundheitscheck der europäischen Agrarpolitik – Mit Klima- bonus zu Klimaschutz, guter Ernährung und nachhaltiger Entwicklung (Tagesordnungs- punkt 15) Marlene Mortler (CDU/CSU): Gleich am Anfang möchte ich festhalten, dass die Gesundheitsüberprüfung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14427 (A) (C) (B) (D) der EU-Agrarpolitik nicht als erneute Reform angedacht ist. Das hat EU-Kommissarin Fischer Boel heute Mittag im Gespräch mit unserem Ausschuss so bestätigt. Es soll vor allem um die Überprüfung der Funktionsweise, um die Verbesserung und Vereinfachung der tiefgreifenden GAP-Reform von 2003 gehen. Die alte Bundesregierung hat bereits im Oktober 2002 einvernehmlich mit allen Staats- und Regierungschefs der EU die Finanzierung der ersten Säule der EU-Agrar- politik bis 2013 verbindlich beschlossen. Dieser Be- schluss war wesentliche Grundlage für den nachfolgen- den gewaltigen Systemwechsel hin zu entkoppelten Direktzahlungen sowie zur Anbindung der Direktzah- lungen an Cross Compliance. Die maßgeblichen Krite- rien bei Cross Compliance gehen weit über die Band- breite des unmittelbaren landwirtschaftlichen Fachrechts hinaus. Sowohl bei der Entscheidung über die Agrar- reform im Juni 2003 als auch bei der Entscheidung über deren nationale Umsetzung im Juli 2004 haben die ver- antwortlichen Agrarminister den landwirtschaftlichen Betrieben zugesichert, dass dieser Gestaltungsrahmen bis 2013 gilt. Diese Planbarkeit und Verlässlichkeit brau- chen unsere Bäuerinnen und Bauern, um ihre Betriebe als Einkommens-, Lebens- und Existenzgrundlage nach- haltig fortzuführen. Die Beschlüsse wurden von und mit der damaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast getroffen. Die erneute Forderung einer Wende in der EU-Agrar- politik von Bündnis 90/Die Grünen im vorliegenden An- trag dürfte bedeuten, dass man für eine Umkehr der Agrarreform von 2003 ist. Diese Agrarreform wurde ge- rade von Frau Künast als Wende in der EU-Agrarpolitik erklärt. Wenn man sich nun erneut für eine Wende der bereits gewendeten EU-Agrarpolitik ausspricht, würde das quasi einem Stillstand gleichkommen. Kann man daraus deuten, dass die Grünen der Politik ihrer damali- gen Bundesministerin nicht mehr folgen? Die Bäuerinnen und Bauern vertrauen darauf, dass es bei den voll einkommenswirksamen Direktzahlungen über die Betriebsprämien keine zusätzlichen Kürzungen gibt. Diese entkoppelten Direktzahlungen sind der ge- rechtfertigte Ausgleich für die im Vergleich zu nicht europäischen Staaten sehr hohen EU-Anforderungen der Bürger und der Politik beim Verbraucherschutz, Um- weltschutz und bei der Tierhaltung. Das gilt auch für grundsätzliche Gemeinwohlleistungen wie den Erhalt unserer attraktiven Kulturlandschaft. Weil diese Leistun- gen vom Markt nicht voll entgolten werden, gewährt der Staat einen Ausgleich. Deshalb ist es auch nicht in Ord- nung, wenn nach einer langen Periode des niedrigen Er- zeugerpreisniveau eine massive Umwidmung der EU- Agrarmittel gefordert wird. Erstens. Akzeptable Preise gibt es erst seit wenigen Monaten. Zweitens. Wir dürfen auch nicht die Kosten- seite vernachlässigen; denn die Ausgaben für Energie und Betriebsmittel sind deutlich gestiegen. Drittens. Alle Finanzmittel, die von der ersten Säule in die zweite Säule geschoben werden, kommen nicht mehr hundert- prozentig bei den Betrieben an. Fakt ist, dass mit dem deutschen Umsetzungsmodell bei der Agrarreform sich alle Zahlungsansprüche, auch die in Bezug auf das Grünland entstandenen, nach 2009 schrittweise auf einen Wert von rund 300 Euro pro Hek- tar in Deutschland entwickeln. Dies führt zu einer deutli- chen Stärkung des Grünlands, für das seit Jahren und bis heute für Agrarumweltmaßnahmen und als Ausgleich für benachteiligte Gebiete rund 50 bis 60 Prozent aller Zahlungen geleistet werden. Und dies vor dem Hinter- grund, dass die landwirtschaftlichen Nutzflächen in Deutschland zu einem Drittel Grünland und zwei Drittel Ackerland sind. Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen nach ei- ner Basisprämie bei den Direktzahlungen ist überflüssig, da ohnehin schon seit 2004 für Deutschland beschlossen ist, dass wir 2013 regional einheitliche Zahlungsan- spruchswerte haben. Und dazu fordert die EU-Kommis- sion beim Health Check auch alle EU-Staaten auf, die noch nicht auf diesem Weg sind, zum Beispiel Frank- reich, Österreich, Italien, die Niederlande und Belgien. Die Forderung nach einer Erhöhung der Modulation auf 13 Prozent, wie es die EU-Kommission vorschlägt, be- trifft in Deutschland rund 50 Prozent aller Betriebe, selbst in bäuerlich strukturierten Bundesländern wie Bayern. Diese Pläne würden für die in Deutschland be- troffenen Betriebe rund 250 Millionen Euro pro Jahr zu- sätzliche Kürzung bei den voll einkommenswirksamen Betriebsprämien nach sich ziehen, in Bayern rund 60 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich. Das heißt, der vorliegende Antrag fordert vor allem weitere und zusätzliche Kürzungen bei den Betriebsprä- mien der rund 380 000 deutschen Landwirte. Unberücksichtigt bleiben außerdem in diesem Antrag die bereits erbrachten Beiträge der Landwirtschaft zum Klimaschutz. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, dass vor allem die EU-Agrarpolitik erst so auszurichten ist, damit die Landwirtschaft zum Klimaschutz und zur Bio- diversität beiträgt. Außen vor bleibt, was bereits geleistet wurde. Die Fehler, die der Landwirtschaft zugeordnet werden, geschehen in anderen Erdteilen. In Deutschland besitzt die Landwirtschaft nach Aussage des Umwelt- bundesministeriums sogar eine positive CO2-Bilanz. Die deutschen Landwirte sind damit die Klimaschützer Nummer Eins. Scharf abgrenzen möchte ich mich von sogenannten Naturschutzorganisationen – wie Green- peace –, die Horrorszenarien aufbauen, um ihren Spen- dentopf zu füllen. Klimaschutzpolitik ist keine Sektor- politik, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nicht nachvollziehbar ist, dass Bündnis 90/Die Grü- nen hier preiswerte und gute Nahrungsmittel zur Versor- gung der Menschen fordern, aber keine ausreichenden Erzeugerpreise für die deutschen Landwirte zulassen will. Reden und Handeln liegen bei den Grünen einmal mehr weit auseinander. Ebenfalls wird eine stärkere Anpassung der EU- Agrarpolitik an internationale Abkommen gefordert. Bei den WTO-Verhandlungen hat bislang einzig die EU ein sehr weitgehendes konkretes Angebot unterbreitet. Fer- ner bestehen für echte Entwicklungsländer Präferenzab- kommen für Importe in die EU. Die Forderung nach ei- 14428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) ner weiteren Qualifizierung der ersten Säule der EU- Agrarpolitik bedeutet noch mehr Bürokratie und Regu- lierung. Es muss gemeinsames Ziel aller politischen Par- teien sein, die Bürokratielast für unsere Bürger und die Wirtschaft deutlich zu reduzieren. Die EU-Kommission hat in einer aktuellen Studie er- mittelt, dass unsere deutschen Landwirte mit 1 300 Euro je Betrieb und Jahr die höchsten Verwaltungskosten bei der Umsetzung der EU-Agrarpolitik haben. In Däne- mark sind es zum Beispiel nur rund 500 Euro und in Ita- lien sogar nur 100 Euro. Hier müssen wir ansetzen und nicht noch zusätzlich draufsatteln. Unverständlich ist mir die Forderung nach ökologi- schen Ausgleichsmaßnahmen für die von der Kommis- sion angedachte Aufhebung der sehr bürokratischen Re- geln zur obligatorischen Stilllegung. Viele bisherige Flächen der obligatorischen Stilllegung bleiben stillge- legt. Die Agrarumweltmaßnahmen bleiben alle bestehen. Landwirte als unternehmerisch Selbstständige und Grundeigentümer bzw. Bewirtschafter verstehen Forde- rungen nach ökologischen Ausgleichsmaßnahmen nicht, da es mit der Abschaffung der sehr komplizierten und bürokratischen Stilllegungsregelung um echten Bürokra- tieabbau sowie um Verfügungsfreiheit von Eigentum und Bewirtschaftungsfreiheit für bäuerliche Unterneh- mer geht. Freiwillige Stilllegungen, davon bin ich fest überzeugt, wird es in Deutschland weiterhin geben. In Bayern sind von den 168 000 Hektar Stilllegung bereits über 60 000 Hektar mit NAWARO genutzt. Die restlichen Flächen werden überwiegend stillgelegte Flä- chen bleiben. Es sind meist schlecht zugeschnittene, sehr ertragsschwache und unwirtschaftliche Teilflächen. Die Sorge also, dass alle 168 000 Hektar Stilllegung wieder voll unter den Pflug genommen werden, ist absolut unre- alistisch. In Bayern zum Beispiel werden bislang knapp 3 000 Hektar – das sind unter 1,8 Prozent – der 168 000 Hektar Stilllegung im Rahmen des Förderpro- gramms „Lebensraum Brache“ als speziell fürs Wild an- gelegte Stilllegungsflächen genutzt. Diese Flächen kön- nen trotz Abschaffung der Stilllegung bestehen bleiben und sicher bei attraktiven Konditionen und Werbung der Jäger bei den Jagdgenossenschaften noch ausgeweitet werden. Die Forderung nach Abbau von Exportsubven- tionen müsste erweitert werden, sodass alle Exportunter- stützungsmaßnahmen, die andere Staaten anwenden, auch einbezogen werden. Neben allen kritischen Punkten gibt es einen positi- ven Ansatz: Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich auch für die Impfstrategie auf EU-Ebene aus. Wir werden in den kommenden Wochen intensive Gespräche mit der EU-Kommission und den Vertretern des Europäischen Parlamentes führen. Eine gute Gelegenheit bietet der heutige Start der Internationalen Grünen Woche hier in Berlin. Wir müssen gemeinsam zur Quelle, um etwas für die deutschen Landwirte zu erreichen und nicht mit dem Strom schwimmen. Ich setze auf eine Politik für eine un- ternehmerische, nachhaltige und wettbewerbsfähige Landwirtschaft in Europa. Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Die Europäische Kom- mission hat am 20. November 2007 eine Mitteilung zu den Perspektiven der europäischen Agrarpolitik vorge- legt. Ziel der Mitteilung ist es, im Rahmen eines soge- nannten Gesundheitschecks Handlungsfelder für Nach- besserungen der Gemeinsamen Agrarpolitik, GAP, zu identifizieren. Grundsätzlich ist eine Überprüfung der Maßnahmen der im Jahr 2003 beschlossenen Agrarre- form zu begrüßen. Gerade bei großen umfangreichen Reformvorhaben ist eine ständige Feineinstellung uner- lässlich. Andererseits haben unsere Landwirte einen An- spruch auf Verlässlichkeit, denn „Landwirtschaften“ heißt in Generationen denken, und deshalb kann man die Betroffenen nicht ständig mit neuen Konzepten konfron- tieren. Zusammenfassend kann hier festgestellt werden, dass die Europäische Kommission dieser Herausforderung zwischen zielorientierter Nachjustierung und Verläss- lichkeit nur teilweise gerecht wird. Vor allem die Maß- nahmen zur Senkung des Verwaltungsaufwandes und zum Bürokratieabbau können dazu beitragen, Vertrauen in die Politik zu schaffen und die Gemeinsame Agrar- politik zukunftssicher auszugestalten. Die Abschaffung der Stilllegungspflicht und eine klare Aussage zur Zu- kunft der Milchquote sind ebenfalls Ansätze, um diese Ziele zu erreichen. Bei diesen Vorschlägen der Kommission für einen Gesundheitscheck handelt es sich aber eben nicht um eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik. Nach den zahlreichen Reformen der ver- gangenen Jahre, die den Landwirten viel abverlangt ha- ben, sind Klarstellungen besonders wichtig und helfen bei wichtigen unternehmerischen Entscheidungen. Erstmalig seit langem befinden sich die Erzeugerpreise für die meisten Agrarprodukte auf einem kostendecken- den Niveau. Ich räume ein, dass diese Momentaufnahme es etwas leichter macht, berechtigte, auch unbequeme, Fragen zu stellen und zu beantworten. Aber andererseits bedeutet dies nicht, gerade weil es sich hierbei lediglich um eine Momentaufnahme handelt, dass man nun das gesamte System infrage stellen sollte. Die europäische Land- und Forstwirtschaft braucht bis zum Ende der laufenden Finanzierungsperiode 2013 vor allem Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Ge- rade Investitionsentscheidungen in der Veredelungswirt- schaft binden die Finanzmittel eines Unternehmens für mindestens zehn Jahre. Die drastische Kürzung der Di- rektzahlungen in Abhängigkeit von der Betriebsgröße in den sogenannten Health Check mit einzubeziehen, liegt in diesem Sinne weit außerhalb des politischen Auftra- ges, den die Kommission realisieren sollte. Alle politi- schen Versprechen hinsichtlich Verlässlichkeit und Stabilität werden mit der Einführung einer betriebsgrö- ßenabhängigen Kürzung und Kappungsgrenzen der Di- rektzahlungen ad absurdum geführt. Dieser Griff in die agrarpolitische Mottenkiste des letzten Jahrhunderts ist auf das Entschiedenste abzulehnen, da er ganz überwie- gend zulasten der Betriebe in den neuen Bundesländern geht. Im Detail sind 10 Prozent Kürzungen für Zahlungen über 100 000 Euro, 25 Prozent Kürzungen für Zahlun- gen über 200 000 Euro und 45 Prozent für Zahlungen über 300 000 Euro je Betrieb geplant. In Deutschland Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14429 (A) (C) (B) (D) wären rund 6 000 Betriebe betroffen, davon 96 Prozent in Ostdeutschland. Den ostdeutschen landwirtschaftli- chen Betrieben würde ein Finanzbetrag von über 300 Millionen Euro verloren gehen. Bei einer entsprechenden Rentabilitätsanpassung durch die Senkung der Kosten für lebendige Arbeit wür- den über 10 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Der Vorschlag ist nicht nur volkswirtschaftlicher, son- dern auch sachlicher Unsinn. Durch diese Maßnahmen würde sich der Kommissionsvorschlag durch die Ge- fährdung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen sehr schäd- lich auf die Agrarstruktur in den ostdeutschen Bundes- ländern auswirken. Es ist einfach nicht zu vermitteln, warum ein 1 000-Hektar-Betrieb mit 15 Beschäftigen über 25 000 Euro weniger Direktzahlungen erhalten soll als derselbe Betrieb, der in drei gleich große Teile aufge- teilt ist. Es ist nicht hinnehmbar, dass die wettbewerbsfä- hige Agrarstruktur in den neuen Bundesländern in das 20. Jahrhundert zurückpolitisiert wird. Ein Ansatz zur Lösung des Problems wäre der Vor- schlag des Berichterstatters des Landwirtschaftsaus- schusses des Europäischen Parlamentes MdEP Goepel, der durch die Einbeziehung des Arbeitskräftebestandes bei einem landwirtschaftlichen Betrieb die Degression verhindern will. Der nunmehr laufende Konsultations- prozess bis zur Vorlage konkreter Vorschläge für die Nachbesserung der Maßnahmen der GAP muss deshalb für umfangreiche Nachbesserung in diesem Punkt genutzt werden. Degression und Kappungsgrenzen sind keine adäquaten Gestaltungsmittel einer modernen Agrarpoli- tik. Abschließend möchte ich mich bei der Bundesregie- rung und dem Bundesminister für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz Horst Seehofer bedanken, der in seiner Haltung so konsequent wie beharrlich die Degressionsvorschläge der Europäischen Kommission bekämpft. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Im November hat die Kommission ihre Mitteilung „Vorbereitung auf den GAP-Gesundheitscheck“ vorgelegt. Sie hat mit ih- ren Vorstellungen zu notwendigen Anpassungen eine wichtige Diskussion ausgelöst: Wir diskutieren intensiv, welche Aufgabe die Gemeinsame Agrarpolitik hat. Der EU-Agrarhaushalt ist deutlich unter Druck gera- ten: Die Aufgabenfelder Landwirtschaft, ländlicher Raum und Lebensmittelsicherheit werden im Konsulta- tionspapier der Kommission zum EU-Haushalt nicht mehr als zukünftige Ausgabeprioritäten genannt. Stei- gende Preise für Agrarerzeugnisse werden als gute Gele- genheit zur Kürzung landwirtschaftlicher Beihilfen und Mittelkürzungen im Agrarhaushalt angesehen. Im Vor- schlag der EU-Kommission zur Finanzierung des Satel- litennavigationssystems Galileo ist bereits eine Absen- kung des Plafonds für die Agrarausgaben um rund 2,2 Milliarden Euro vorgesehen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Mitteln für die ländliche Entwicklung. Wir ha- ben uns deswegen ganz klar für eine höhere Modulation ausgesprochen. Die Agrarausgaben brauchen eine neue Begründung: Früher waren diese produktbezogen und sollten durch Preisabsenkungen entstandene Einkommensverluste aus- gleichen. Heute sind die Zahlungen von der Erzeugung entkoppelt. Sie werden für die Erbringung von Leistun- gen in den Bereichen Umwelt- und Tierschutz sowie Le- bensmittelsicherheit gewährt. Wir wollen die bisherigen Reformen der Gemeinsa- men Agrarpolitik fortsetzen: weg von der Marktinter- vention hin zur Stärkung der ländlichen Entwicklung. Die Landwirtschaft soll sich an den Märkten ausrichten, Marktchancen sollen ergriffen werden, gleichzeitig auch Herausforderungen wie der Klimawandel oder der Rück- gang der Artenvielfalt gemeistert werden. Der Antrag der Grünen greift ein wichtiges Thema auf: Die Landwirtschaft trägt nicht unerheblich zum Kli- mawandel und zu regionaler Wasserknappheit bei und konnte in der Vergangenheit dem Rückgang der Arten- vielfalt nur unzureichend Einhalt gebieten. Sie ist gleich- zeitig von sich ändernden klimatischen Bedingungen stark betroffen. Die europäische Landwirtschaft muss eine nachhal- tige Landwirtschaft sein, die dem Ziel einer ressourcen- schonenden Produktionsweise verpflichtet ist. Wichtig ist mir: Es geht in der Klimadiskussion nicht darum, ein- zelne Wirtschaftszweige an den Pranger zu stellen. Es geht darum, in jedem einzelnen Wirtschaftszweig das vorhandene Potenzial zur Verbesserung der Klimabilanz auszuschöpfen. Das heißt, dass wir darüber diskutieren müssen, welche Potenziale wir bei Düngung, Tierhal- tung und Bodennutzung haben und wie wir zu einem möglichst niedrigen Energieverbrauch in der Landwirt- schaft und im Gartenbau, wie wir zu einer Minimierung des Lachgas- und Methanausstoßes kommen und wie wir mit dem Humus den Boden als CO2-Speicher erhal- ten. Wir müssen über die zweite Säule Maßnahmen zur Abschwächung bzw. Anpassung an den Klimawandel, für klimaschonende Bodenbewirtschaftungs- und Hal- tungsformen, für ein sachgemäßes Wassermanagement und für den Schutz der Artenvielfalt ergreifen. Auch deshalb sprechen wir uns mit Nachdruck dafür aus, den Ausbau des Maßnahmenkatalogs in der zweiten Säule voranzutreiben und eine Aufstockung der Finanzmittel der zweiten Säule vorzusehen. Wir müssen – allein um die Akzeptanz der Gemeinsa- men Agrarpolitik zu erhalten – klar definieren, welche Ziele und Maßnahmen wir verfolgen. Diese Ziele gelten für alle Betriebe – ob groß oder klein. Wir haben sicher die Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbrau- cher, wenn wir als ein Ziel den Tierschutz definieren. Das bedeutet dann aber auch, dass Leistungen bei allen Betrieben honoriert werden. Sie von den Grünen schießen in Ihrem Antrag gegen Großbetriebe und fordern eine Degression der Direkt- zahlungen. Wollen Sie die Förderung wirklich auf die Größe des Betriebes beziehen? Dann erklären Sie bitte den Menschen, warum Sie Milchbetrieben in Mecklen- burg-Vorpommern mit modernen Freilaufställen die 14430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Zahlungen kürzen und damit süddeutsche Betriebe mit Anbindehaltung besserstellen wollen. Unser Weg ist an- ders: Wir wollen den Tierschutz fördern. Dabei ist es uns egal, wer seine Tiere artgerecht hält: der kleine Betrieb in Süddeutschland oder der große im Mecklenburg-Vor- pommern. Nicht auf die Größe, auf die Leistung soll es in der Förderung ankommen. Der aktuelle Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit stellt die Bedeutung der Landwirtschaft für die Entwicklung der ländlichen Räume in Ostdeutschland dar. 165 100 Arbeitskräfte sind in 29 500 Betrieben be- schäftigt. Die ostdeutsche Landwirtschaft besitzt ein ho- hes Maß an Wettbewerbsfähigkeit und trägt zur Siche- rung regionaler Arbeitsplätze bei. Sie unterstützen die Kommission in ihren Plänen zur Einführung einer Degression. Das bedeutet nichts ande- res, als dass Sie die ländliche Entwicklung in Ost- deutschland infrage stellen. Die Degression müsste etwa zur Hälfte von Ostdeutschland getragen werden. Von ei- ner 300 000-Euro-Obergrenze wären 1 787 landwirt- schaftliche Betriebe betroffen, darunter 1 739 in Ost- deutschland. Damit wäre die Zukunftsfähigkeit gerade der ostdeutschen Landwirtschaft, die in der Vergangen- heit enorm in Umweltschutz und Qualität investiert hat, infrage gestellt und zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet. Es kann nicht sein, dass die Landwirtschaft gerade dort geschwächt wird, wo wir einen großen Bedarf für eine Stärkung der ländlichen Räume haben. Ziel der Stärkung der zweiten Säule ist auch, die ländlichen Räume zu stärken. Es ist nicht Ziel, die ländlichen Räume in Ostdeutschland zu schwächen. Die mit der Agrarreform von 2003 eingeführten Ver- pflichtungen hinsichtlich der Einhaltung von Standards in den Bereichen Umwelt- und Tierschutz sowie Lebens- mittelsicherheit gelten für alle Flächen. Es geht darum, welche Leistungen ein Betrieb erbringt, nicht, wie groß er ist. Eine Differenzierung nach Betriebsgrößen würde im Widerspruch zu den Zielen der Cross-Compliance- Regelung stehen. Es hilft auch nichts, die Degression an die Arbeits- kräfte zu koppeln. Wir haben bei den BWG-Flächen ja eine an Arbeitsplätze gekoppelte beschränkte Ausschrei- bung von Flächen. Wir stellen fest, dass insbesondere Ökobetriebe große Probleme mit dem Erwerb ihrer Flä- chen haben. Modulation ja – wir brauchen die Stärkung der zwei- ten Säule – aber keine Degression. Ich denke, wir tun gut daran, die Verwendung der zweiten Säule überlegt zu ge- stalten, anstatt einfach große Betriebe an den Pranger zu stellen. Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lehnen wir deshalb ab. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die Position der Grünen zur Gesundheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik ist überaus widersprüchlich und bauern- feindlich. Im Tagesspiegel vom 2. September 2007 hat die Fraktionsvorsitzende und ehemalige Landwirt- schaftsministerin Künast die Abschaffung der Agrarsub- ventionen im EU-Haushalt gefordert. Im Widerspruch zu dieser Forderung wird in dem vorliegenden Antrag der Grünen eine Fortführung bzw. Ausweitung der EU- Agrarförderung unter anderem Namen gefordert. Widersprüchlich ist zudem, dass im Antrag einerseits die letzte Agrarreform als „Gegenstrategie zu Fehlent- wicklungen wie Überschusserzeugung, Marktverzer- rung, Lebensmittelskandalen und ökologischen Folge- schäden“ ausdrücklich gewürdigt wird. Andererseits fordern die Antragsteller die „notwendige Wende in der Agrarpolitik“ im Rahmen der Gesundheitsüberprüfung. Für die FDP-Bundestagsfraktion war es immer klar, dass der Health Check der Agrarreform nur eine Feinjustie- rung vornehmen und nicht eine weitere Reform darstel- len darf. Die meisten Agrarpolitiker haben den Bauern bei der GAP-Reform 2005 versprochen, dass sie bis 2013 Pla- nungssicherheit haben. Dieses Versprechen müssen wir halten, getreu dem Motto: Geschlossene Verträge müs- sen gehalten werden. Doch die EU-Kommission will unter anderem die Modulationsrate bis 2013 von derzeit 5 Prozent auf 13 Prozent anheben. Mit diesem zusätzlichen Modula- tionsmitteln sollen Risikomanagement- und Klima- schutzmaßnahmen bezahlt sowie Anreize für Wasserein- sparungen und die Entwicklung von Biotreibstoffen der zweiten Generation geschaffen werden. Und prompt fin- det sie Beifall in den Reihen der SPD und der Grünen, als wenn es nicht sie gewesen wären, unter deren Feder- führung die GAP-Reform beschlossen worden wäre. Weiterhin will die EU-Kommission die Beihilfen der ersten Säule im Rahmen einer degressiven Kappung drastisch reduzieren. Beispielhaft nennt die EU-Kom- mission in ihrem Papier Kürzungssätze von 10 Prozent für die Beihilfespanne zwischen 100 000 Euro bis 200 000 Euro, 25 Prozent für die Spanne bis 300 000 Euro und 45 Prozent für alle darüber hinausge- henden Beihilfen. Die ab 2010 geplante degressive Kap- pung würde das Fördervolumen der deutschen Großbe- triebe bei denen ins Auge gefassten Schwellenwerten bis 2013 um rund 1,2 Milliarden Euro reduzieren. Nach den statistischen Angaben der Kommission für das Haus- haltsjahr 2005 würde die degressive Kappung in den 15 „alten“ EU-Mitgliedstaaten rund 22 300 Betriebe treffen, davon etwa 5 320 in Deutschland. Wegen der zwischenzeitlichen Einführung der Milchbeihilfen und der EU-Zuckermarktreform geht man im Bundesland- wirtschaftsministerium davon aus, dass sogar 5 700 hei- mische Betriebe betroffen wären. Die überwiegende Mehrzahl der betroffenen Betriebe liegt in den neuen Bundesländern. Das ist völlig inakzeptabel. Einmal abgesehen davon, dass die FDP schon prinzipiell gegen Eingriffe bei der ersten Säule bis 2013 ist, können wir keinem Kahlschlag bei der ostdeutschen Landwirtschaft die Hand reichen. Die FDP lehnt deshalb die Vorschläge der EU-Kommis- sion ab. Im Gegensatz dazu fordert die FDP-Bundestagsfrak- tion eine Stärkung der unternehmerischen und mittel- ständischen Land- und Ernährungswirtschaft im Rahmen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14431 (A) (C) (B) (D) der Gesundheitsüberprüfung. Dazu sind insbesondere die überbordende Bürokratie abzubauen und Vereinfa- chungen durchzusetzen. Aus Gründen der Planungssi- cherheit und Verlässlichkeit müssen die Direktzahlungen der ersten Säule bis zum Jahr 2013 gesichert bleiben. Danach kann über eine degressive Ausgestaltung der Di- rektzahlungen verhandelt werden. Die von der EU-Kom- mission geplante Kappung bzw. Degression bedeutet eine Existenzgefährdung bislang stabiler Unternehmen und vieler Arbeitsplätze im ländlichen Raum, die zu ei- ner enormen Verunsicherung der gesamten Branche und der Menschen in den neuen Ländern führen würde. Das lehnt die FDP ebenfalls strikt ab. Für die FDP-Bundes- tagsfraktion muss der erfolgreiche Reformkurs zur marktwirtschaftlichen Weiterentwicklung der gemeinsa- men Agrarpolitik konsequent fortgeführt werden. Eine leistungsfähige, unternehmerische und nachhaltige Landwirtschaft ist die entscheidende Voraussetzung für die Herstellung qualitativ hochwertiger Lebensmittel. Nur eine effiziente und produktive Landwirtschaft kann den notwendigen Beitrag für einen wirkungsvollen Klimaschutz leisten. Gesetzliche Regulierungen, die überproportional und einseitig die Land- und Forstwirt- schaft belasten, wie sie auch die Grünen in ihrem Antrag fordern, lehnen die Liberalen ab. Die FDP hat im Rahmen der Internationalen Grünen Woche ein Positionspapier „Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft“ vorge- stellt, in dem achtzehn zentrale Punkte zur Verbesserung des Klimaschutzes im Bereich Landwirtschaft dargestellt werden. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Selten schien/ war die Stimmung in der Agrarwirtschaft so gut wie im Moment, ausgelöst vor allem durch die steigenden Er- zeugerpreise zumindest in einigen Bereichen. Die Vorschläge der EU-Kommission zur Degression und Modulation der Förderung trüben diese gute Stim- mung. Sie wirken wie Gift und vergiften auch die At- mosphäre, denn zumindest die Degression beruht auf falschen Annahmen. Über Jahrzehnte hatten die Agrarbe- triebe mit sinkenden Erzeugerpreisen und gleichzeitig steigenden Kosten zu kämpfen. Die Folge: Rationalisie- rungsdruck, Arbeitsplatzabbau, Lohndumping, Selbstaus- beutung. Arbeitsplätze und landwirtschaftliche Einkom- men gingen in Größenordnungen verloren. Auch wenn überall versucht wurde, über alternative Einkommens- quellen die Not zu lindern: Die Folge ist ein zunehmen- des Ausbluten zahlreicher ländlicher Regionen. Die Landflucht ist ein Faktum. Sie erfolgt zudem selektiv. Es gehen die Menschen, die dann am meisten fehlen: die mit dem größten Potenzial und die jungen Frauen. Seit nunmehr circa einem Jahr geht es einigen Betrie- ben besser. Dafür sorgen und sorgten steigende Preise bei Milch, Getreide und vielen anderen Produkten. Bäu- erinnen und Bauern haben dadurch erstmals die Chance, Wichtiges nachzuholen, was in den vergangenen Jahren kaum drin war: Eigenkapital zu bilden, die Betriebe wirtschaftlich zu konsolidieren, Maschinen und Ge- bäude zu erneuern oder gar neu zu bauen, in Tiere zu investieren, Altschulden abzubauen, vielleicht Pachtflä- chen zu kaufen. Manche können auch einfach nur wenigstens mit den steigenden Produktionskosten mit- halten. Diese Chancen für eine Stabilisierung der Land- wirtschaftsbetriebe sind nach schweren Jahren jetzt wie- der gewachsen. Das hilft den ländlichen Räumen in Deutschland und dem Erhalt von gerade hier so wertvol- len – weil raren – Arbeitsplätzen. Aber es ist bislang erst einmal nur eine Hoffnung – noch lange keine Realität und schon gar kein Ruhekissen. Die Vorschläge der EU-Kommission für eine Begren- zung der Direktzahlungssumme an die Betriebe betref- fen in erster Linie Betriebe in Ostdeutschland, die grö- ßere Flächen bewirtschaften. Ist das Absicht oder Zufall? Es wird bei diesem Vorschlag nicht unterschie- den, wie diese Betriebe produzieren. Trotzdem soll ab jetzt pro Hektar weniger gezahlt werden. Das ist unbe- rechtigt und ungerecht. Auch wenn ein Ostbetrieb meh- rere Tausend Hektar bewirtschaftet, ist bei der Förder- summe pro Arbeitskraft bei vielen Betrieben kein Unterschied zu klein- und mittelbäuerlichen Betrieben in Westdeutschland oder anderen Teilen Europas vorhan- den. Der Mythos der Abzocker in den ostdeutschen Genossenschaften bleibt ein Mythos, auch wenn er pene- trant wiederholt wird. So hat zum Beispiel der zweit- größte Fördermittelempfänger in Brandenburg auf die Arbeitskraft gerechnet nicht mehr Förderung als ein mittlerer westdeutscher Betrieb mit einer Größe von 70 Hektar. Besonders ungerecht bestraft werden durch die Vorschläge der EU-Kommission die Betriebe mit Tierhaltung. Sie haben einen hohen Arbeitskräftebedarf und einen großen Anteil an der Wertschöpfung in der Landwirtschaft. Sie sorgen für Arbeit in den Dörfern. Ich bin Brandenburgerin. Die Degressionsvorschläge der EU gefährden bis zu 8 000 märkische Arbeitsplätze. Die davon betroffenen oder bedrohten Landwirtinnen und Landwirte sind häufig ohne wirkliche Einkommens- alternative in der Region. Nur wenige werden die Mög- lichkeit haben, sich selbstständig zu machen und als Kleinbetrieb dann wieder die gerade entzogene Förde- rung zu erhalten. Es ist ja auch die Frage, ob das denn politisch gewollt sein kann. Auch wenn die Erzeugerbe- triebe derzeitig eine wirtschaftliche Aufschwungphase erleben: Mit der Agrarreform 2006/2007 sind Planungs- vorgaben für die Betriebe bis zum Jahr 2013 gesetzt worden. Davon gingen die Bäuerinnen und Bauern zu- mindest aus. Sie fordern zu Recht eine verlässliche Poli- tik und planen danach. Die EU-Kommissionsvorschläge zerstören erneut diese Glaubwürdigkeit. Die Linke lehnt daher kategorisch die Vorschläge zur Degression ab. Wir halten es auch für wenig hilfreich, diese Direktzahlungen über die sogenannte Modulation für den ländlichen Raum retten zu wollen. Ob die Länder die dann notwendigen Kofinanzierungsmittel aufbringen können oder wollen, ist offen. Außerdem hätten wir dann die Kürzungen im Grunde akzeptiert, obwohl Deutschland schon einen großen Beitrag zur Senkung der Agrarausgaben geleistet hat. Die Linke tritt für eine umweltverträgliche und sozial verantwortliche, multifunktionale Landwirtschaft ein. Das ist die Landwirtschaft, die auch die Verbraucherin- 14432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) nen und Verbraucher wollen. Die Nachfrageentwicklung nach ökologischen Produkten im Supermarkt zeigt dies besonders deutlich. Das gilt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Österreich, Italien oder Spa- nien. Globalisierung in der Landwirtschaft bedeutet daher für die Linke, dass gerade Deutschland und Europa die ökologischen und sozialen Maßstäbe für eine nachhal- tige Landwirtschaft setzen müssen, deren Produkte be- zahlbar bleiben und die gleichzeitig die Lebensfähigkeit der ländlichen Räume in den Regionen erhält. Für die Landwirtschaft gilt daher noch mehr als sonst: global denken, regional handeln. Das neoliberale Gegenmodell einer globalisierten Agrarwirtschaft löst keine Probleme, sondern schafft neue Probleme: Wenn mit gentechnisch verändertem So- jaschrot aus Brasilien in Deutschland zu viel Schweine gemästet werden und der Fleischberg dann steuermittel- finanziert nach China exportiert wird, zeigt sich die Ab- surdität der aktuellen Globalisierungspolitik. Die aktuel- len Nöte der Schweinehalter sind auch der Linken selbstverständlich nicht egal; aber aus vielen sozialen und ökologischen Gründen müssen wir andere Wege ge- hen. Daher sind die anderen Instrumente der europäischen Agrarpolitik wie die Export- und Investitionsförderung kritisch zu hinterfragen und auf ihre globalen Auswir- kungen zu überprüfen. Im Rahmen der WTO muss die EU die Position umwelt- und sozial verträglicher Agrar- politik vertreten. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kli- mawandel, Wassermanagement, Welternährung, Erhalt der Biodiversität, der Arbeitsplätze und der ländlichen Regionen – die EU steht vor einer Vielzahl von globalen Herausforderungen, für deren Bewältigung die Land- wirtschaft ein wichtiger Schlüssel ist. Ein Blick in die ersten deutschen Daten zur Verteilung der Agrarsubventionen zeigt, dass deren Lenkungswir- kung im Hinblick auf ökologische und soziale Ziele man- gelhaft ist. Wir Bündnisgrünen sind der Auffassung, dass die Zahlungen der ersten Säule als Anreiz zum Erreichen gesellschaftlicher Ziele grundsätzlich neu legitimiert wer- den müssen. Wir begrüßen es darum ausdrücklich, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung zum Ge- sundheitscheck den richtigen Weg hin zu einer zukunfts- fähigen Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpoli- tik, GAP, einschlägt, auch wenn die Ansätze in vielen Punkten nicht weit genug gehen. Man muss leider in aller Deutlichkeit feststellen, dass die Bundesregierung mit ihrer Blockadehaltung gegen die Vorschläge der EU-Kommission die Chance auf eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der GAP verspielt. Mit der Taktik des Verwässerns und Besitzstandswah- rens bei der Gemeinsamen Agrarpolitik schadet sie mas- siv der Umwelt, dem Naturschutz, den Bauern und auch der Agrarwirtschaft. Mit ihrem „Weiter so“ setzt sie ei- nen angesichts drängender Zukunftsaufgaben unverant- wortlichen Umgang mit Steuergeldern fort und stellt so- mit die Legitimität der europäischen Agrarförderung insgesamt infrage. Dabei muss uns allen klar sein, dass im Zuge der für 2009 anstehenden Überprüfung des EU- Haushaltes in Anbetracht der knappen Kassen und der steigenden Agrarpreise auch die Begehrlichkeiten auf das Agrarbudget wachsen werden. Eine Aufrechterhal- tung der Gemeinsamen Agrarpolitik und gemeinsamer Verantwortung nach 2013 wird es nur dann geben, wenn wir die Zahlungen mit Blick auf die globalen Herausfor- derungen schlüssig ausrichten und legitimieren und so die Akzeptanz der Gesellschaft erlangen. Der Gesund- heitscheck muss dazu genutzt werden, die notwendige Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik einzuläu- ten. Bislang ist die Landwirtschaft der große schwarze Fleck in der Klimapolitik. Dabei spielt vor allem die in- dustrielle Landwirtschaft als Emittent klimarelevanter Gase eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Durch unef- fektive und übermäßige Stickstoffdüngung, durch den un- verantwortlichen Umgang mit den Böden und die inten- sive Tierhaltung verursacht sie bis zu 16 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen, und das ohne Berücksichtigung des CO2-Ausstoßes durch Landnut- zungsumwandlungen wie zum Beispiel durch Regenwald- zerstörung, Gen-Soja-Anbau oder Rodungen für Palmöl- plantagen. Man kann auch vereinfacht sagen: Die Rinderhaltung ist das Kohlekraftwerk der Landwirtschaft. Wir stehen in der Verantwortung, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Deshalb dürfen wir die Landwirtschaft beim Klimaschutz nicht aussparen. Die beschlossenen Klimaschutz-Reduktionsziele müssen auch für die Landwirtschaft gelten. Wir Bündnisgrüne fordern, dass im Zuge des Gesundheitschecks alle Förderansätze der ersten und zweiten Säule mit klimaschädlicher Aus- wirkung unverzüglich eingestellt werden. Darüber hinaus wollen wir die Leistungen besonders klimafreundlicher Bewirtschaftungssysteme, wie zum Beispiel des ökologi- schen Landbaus, über einen Klimabonus vergüten, bei gleichzeitiger Abschmelzung der allgemeinen Direktzah- lungen zu einer Basisprämie. Auch müssen die Cross- Compliance-Regeln als Instrument zur Durchsetzung von Mindeststandards mit Blickrichtung Klimaschutz wie auch sozialer Standards weiterentwickelt werden. Zur Stärkung der ländlichen Regionen und zum Erhalt von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum brauchen wir eine andere Verteilung der Direktbeihilfen. Zurzeit ge- hen 80 Prozent der Zahlungen an 20 Prozent der Be- triebe. Die heutige Agrarförderpolitik der ersten Säule bevorteilt die rationalisierte Großlandwirtschaft, die weit über 100 000 Euro Subventionen pro Arbeitskraft jähr- lich erhalten kann. Im Durchschnitt erhalten die deut- schen Betriebe aber nur 8 000 Euro Direktzahlungen pro Arbeitskraft im Jahr. Bei den bäuerlichen Betrieben kommen nach wie vor kaum öffentliche Mittel an, die Arbeitnehmer erhalten Hungerlöhne. Wer mit Blick auf diese Zahlen von einer Neiddiskus- sion spricht, will die Debatte um Gerechtigkeit verhin- dern. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Agrarsubventionen, um die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren Leistungen für den ländlichen Raum zu unter- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14433 (A) (C) (B) (D) stützen. Deshalb fordern wir den grundsätzlichen Einbe- zug des Faktors Arbeit in die Bemessung der Direktbei- hilfen. Wir sprechen uns dafür aus, als Einstieg das von der Kommission vorgeschlagene Degressionsmodell mittels der Berücksichtigung des Arbeitskraftbesatzes der Betriebe in einen qualitativen Ansatz zu überführen. Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission zur Erhöhung der Modulation auf 13 Prozent. Die Kommis- sion folgt damit dem richtigen Ansatz, Beihilfen an die Erbringung gesellschaftlicher Leistungen zu knüpfen. Die Weigerung von Bundesminister Seehofer, die Er- höhung der Modulation mitzutragen, ist unverantwortlich gegenüber der deutschen Landwirtschaft. Unisono fordern CDU/CSU und Bauernverband Planungssicherheit für die deutschen Landwirte. Dabei wird zu gerne vergessen, dass Frau Merkel mit ihren Vereinbarungen zum EU-Haushalt 2007 bis 2013 den Betrieben, die auf Agrarumweltmaß- nahmen oder ökologischen Landbau gesetzt haben, die Planungssicherheit schon lange entzogen hat. Einer Umfrage zufolge hält jeder zweite Steuerzahler eine finanzielle Unterstützung von Landwirten für rich- tig. Als die wichtigsten Aufgaben der Landwirtschaft wurden in derselben Erhebung die tiergerechte Haltung von Nutztieren, die Sicherung einer hohen Lebensmittel- qualität sowie die Erhaltung der Wirtschaftskraft der ländlichen Räume genannt. Die Erfüllung dieser Aufga- ben wird über Programme der zweiten Säule gefördert. Die zweite Säule zu stärken heißt, den Wünschen der Steuerzahler zu entsprechen und die Akzeptanz für die Agrarförderung zu sichern. Eine Stärkung der zweiten Säule ist unerlässlich, um die multifunktionale bäuerli- che Landwirtschaft in Europa zu sichern. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr ergreifen – Klima- und umweltpolitische Herausforde- rungen der Hochseeschifffahrt (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Ein Klick in der virtuellen Welt oder ein Griff ins Regal des Supermark- tes ihres Vertrauens – und Sie haben die Welt bei sich zu Hause: Seide aus Asien, Kakao aus Lateinamerika, Wolle aus Australien und die Edelsteine aus Afrika. Wa- ren und Güter aus allen Teilen der Welt sind an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar und abrufbar. Entfernun- gen und Transportwege haben sich relativiert. Transport- zeiten haben sich im internationalen Handel dramatisch verkürzt. Moderne Technologien ermöglichen und ge- währleisten heute effiziente und zügige Warenbewegun- gen weltweit. Die Märkte sind zusammengerückt. Der Trend hält weiter an. In den aktuellen Prognosen sind na- tional wie international starke Zuwächse im Logistikbe- reich für die kommenden Jahre zu verzeichnen. Einen besonders hohen Nutzen haben exportorien- tierte Wirtschaftsnationen wie Deutschland. Für sie ist eine funktionierende Logistik eine wichtige Lebensader und zugleich ein Garant für ein wirtschaftliches Wachs- tum. Den Titel Exportweltmeister haben wir auch einer effizienten und sicheren Verschickung unserer Produkte in zahlreiche Länder zu verdanken. Deshalb kommt auch uns eine besondere Verantwortung bei der klimafreundli- chen Gestaltung des Transportverkehrs zu. Die Klimadebatten der letzen Monate haben uns sehr eindrucksvoll die Folgen dieser Welt der Mobilität vor Augen geführt. In dieser Legislatur setzten wir uns im Verkehrsausschuss deshalb bereits intensiv mit der CO2- Reduktion auseinander. In den Mittelpunkt der parla- mentarischen wie auch öffentlichen Diskussion um Emissionsminderungen im Verkehr ist immer wieder der Straßenverkehr gerückt. Dies wird der Bedeutung der Seeschifffahrt und des Flugverkehrs wie auch des bishe- rigen starken Engagements im politischen Ringen um Verbesserungen bei den Emissionsminderungen in den Bereichen nicht gerecht. Seeschiffe verladen enorme Lasten und können vor allem Massengüter über weite Entfernungen relativ preisgünstig ans Ziel bringen. Mit ihren Ladekapazitäten tragen moderne Frachter wesentlich zu einer Reduzie- rung von Transportbewegungen bei und bilden eine wichtige Säule im internationalen Seehandel. Sie zählen deshalb zu den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. Dennoch ist die Bilanz dieses Transportmittels nicht un- getrübt: Die heute in den Seeschiffen verwendeten Die- selmotoren sind auf die Verwendung von kostengünsti- gem, aber schadstoffreichen Schweröl ausgelegt. Dies belastet die Luft auch an unseren Küsten der Haupschiff- fahrtsrouten und in den Häfen. Die Akzeptanz von Schiffsverkehren wird deshalb gerade auch in unseren Küstenregionen massiv von den Luftemissionen abhän- gen. Die Senkung der Schadstoffemissionen, insbeson- dere von Schwefel, Stickoxiden und Partikeln ist deshalb das derzeit bedeutendste Umweltproblem in der See- schifffahrt und bereits heute weltweit ein politisches Hauptthema. Da diese Emissionen mit der Verwendung von Schweröl als Schiffstreibstoff verbunden sind, steht in der Diskussion deshalb vor allem auch die Frage nach einem Mindeststandard für die Treibstoffqualität von Seeschiffen. Deutschland unterstützt in den internationa- len Gremien wie zum Beispiel der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO bereits aktiv die Einfüh- rung eines Mindeststandards für Bunkeröl, der zur Ver- wendung sauberer Treibstoffe führt. Aber auch bei der Integration der Seeschifffahrt in den Emissionshandel und die Weiterentwicklung der Grenzwerte im Schiffs- verkehr zählt Deutschland zu den Hauptakteuren. Im Zentrum der Diskussion stehen hier die Verschärfung der Schwefelgrenzwerte, die Senkung der Stickstoffemissio- nen und Grenzwerte für Partikelemissionen für See- schiffe. Schärfere Grenzwerte und Qualtiätstandards sind An- reize für technische Innovation. Dies gilt sowohl für Schiffsmotoren neuer Generationen wie auch denkbare 14434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Nachrüstsysteme für den Bestand. Doch sie nutzen uns allen wenig, wenn die Regeln nur für einzelne Teilneh- mer im internationalen Transportmarkt gelten. Nationale oder europäische Sonderwege zur Beschränkung von Emissionen können den internationalen Seeverkehr empfindlich beeinträchtigen und weitere Ausflaggungen nach sich ziehen. Entwicklungsländer bilden bereits heute die größten Schiffsregister. Die bisherige Aus- nahme der Entwicklungsländer von Beiträgen zur Emis- sionsreduzierung ist angesichts der klimawirksamen Beiträge ihrer Flotten weder durch einen Nachholbedarf gerechtfertigt noch für wirksame Emissionsreduzierun- gen zielführend. Lösungen müssen deshalb diese Länder einbinden. Hier ist die IMO der richtige Ort für die Dis- kussion, denn nur sie kann alle Staaten gleichermaßen verpflichten. Deutschland gilt als Weltmeister des Blumenimports. Viele Blumen erreichen uns aus Afrika und Lateiname- rika. Wie würden die Auslagen unserer Blumengeschäfte und die Blumenarrangements aussehen, könnten wir nicht auf eine moderne Luftlogistik zurückgreifen, die Frische und Terminlieferungen weltweit gewährleistet. Die Frage der Umweltauswirkungen des Luftverkehrs ist von besonderer Bedeutung im internationalen Raum. Angesichts der Zuwachsraten ist es sinnvoll, den Luft- verkehr in eine Gesamtstrategie einer umfassenden Kli- maschutzpolitik einzubinden. Die europäischen Mit- gliedstaaten gehen davon aus, dass mit der Einbeziehung des Luftverkehrs in das europäische Emissionshandels- system die CO2-Emissionen begrenzt werden können. Wir diskutieren heute auf europäischer Ebene nicht mehr das Ob sondern das Wie einer Einbindung des Luftver- kehrs in den Emissionshandel. Die deutsche Bundesre- gierung beteiligt sich an den Diskussionen und unter- stützt dieses Vorhaben aktiv auf internationaler Ebene. Ziel der europäischen Schlussfolgerungen ist, die ande- ren ICAO-Staaten von der Notwendigkeit der Einbezie- hung des Luftverkehrs in den Emissionshandel zu über- zeugen und somit ein gemeinsames offenes System zu schaffen, das Wettbewerbsnachteile ausschließt. Die Verhandlungen mit den Partnern aus den nichteuropäi- schen Staaten stellen sich als schwierig dar. Umso wichtiger ist es, mit der Schaffung eines ein- heitlichen europäischen Luftraums „Single European Sky“ ein deutliches Signal für Potenziale und Erfolge bei der Emissionsminderung im Luftverkehr zu setzen. Durch die Neuorganisation und Verbesserung der Ge- samteffizienz des Flugverkehrs wird angestrebt, die CO2-Emissionen im europäischen Flugverkehr um bis zu 10 Prozent in Europa zu senken. Mit der Einführung von emissionsabhängigen Start- und Landeentgelten an den wichtigen Flughäfen München und Frankfurt (Main) zum 1. Januar diesen Jahres setzen wir einen wichtigen Anreiz für den Einsatz schadstoffärmerer moderner Flugzeug und gehen einen wichtigen Schritt, die Luft- qualität im Umfeld unserer Flughäfen zu verbessern. Bei beiden Verkehrsträgern wird das Verkehrsauf- kommen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Mit dem integrierten Energie- und Klimaprogramm hat sich die Bundesregierung deutlich in diesen Fragen posi- tioniert. Klimapolitik und wirtschaftlicher Erfolg werden sich in der Zukunft stärker als bisher bedingen. Die heu- tigen klimawirksamen Lösungskonzepte tragen dazu bei, den wirtschaftlichen Erfolg von morgen zu sichern. Es ist uns daher ein Anliegen, aktiv auf Verbesserungen hinzuwirken. Dies wird uns jedoch nicht durch nationale Alleingänge gelingen. Ich erinnere hier an die internatio- nale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Energiepreise. Ein einseitiger Beitrag einzelner Staaten löst weder das Kli- maproblem noch dient es den Interessen der deutschen Wirtschaft. Ausgeflaggte Schiffe und Billig-Airlinies tragen schon aus Kosten- und Wirtschaftlichkeitsgrün- den nicht zu Emissionsminderungen bei. Die Anträge der Grünen sind in ihrem Anspruch und ihrer Gänze umweltpolitisch allumfassend und absolut. In der Tat sind die Herausforderungen einer Emissions- reduzierung in diesen beiden Bereichen groß. Aber auch die Herausforderungen, internationale Absprachen und Vereinbarungen zum Klimaschutz zu erzielen, sind im- mens. Die Erkenntnis über die Notwendigkeit, dem Klimawandel aktiv und gemeinsam durch die Schaf- fung internationaler politischer Rahmenbedingungen entgegenzutreten, und die Gewichtung von klima- und wirtschaftspolitischen Zielen sind in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich ausgeprägt. Kioto und Bali haben dies eindrucksvoll gezeigt. Aus sieben Jahren Erfahrung mit einem grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin sollte Ihnen dies bekannt sein. Für uns als Union ist es daher wichtig, den Güterver- kehr von morgen nachhaltig und klimafreundlich auf na- tionaler und internationaler Ebene zu gestalten. Im Inte- resse der Wälder, den größten Sauerstoffproduzenten, wünsche ich uns einen papierminimalen Beratungsvor- gang. Auch dies ist ein wirksamer Beitrag zum Klima- schutz. In diesem Sinn freue ich mich auf die bevorste- henden Beratungen im Ausschuss. Christian Carstensen (SPD): Klimaschutz ist eines der Hauptanliegen unserer Zeit. Spätestens seit den Weltklimaberichten des Intergovernmental Panel on Cli- mate Change (IPCC) muss jedem die Handlungsnotwen- digkeit klar sein. Die Große Koalition hat unter Feder- führung unseres Umweltministers Sigmar Gabriel mit dem Integrierten Klima- und Energieprogramm der Bun- desregierung (IKEP), das Ende letzten Jahres vorgestellt wurde, Maßstäbe gesetzt. Wichtige Bausteine dieses Programms sind die Einsparpotenziale im Bereich Bau und Verkehr: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm weist bereits erfreuliche Ergebnisse auf, an der Umstel- lung der Kfz-Steuer auf CO2-Basis wird intensiv gear- beitet, die Lkw-Maut wird weiterentwickelt und soll so stärkere Klimaschutzwirkung entfalten. Und auch der Schiffs- und Flugverkehr wird seinen Beitrag leisten. Nun liegt uns heute der Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen „Klimaschutzmaßnahmen im Luft- verkehr ergreifen“ vor. Ein wenig verwundert habe ich dies zur Kenntnis genommen, haben wir uns doch als Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Jahr 2007 bereits ausführlich mit diesem Thema be- schäftigt und entsprechende Forderungen an die Bundes- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14435 (A) (C) (B) (D) regierung auf den Weg gebracht. Zur Erinnerung: Die Expertenanhörung zum Thema „Luftverkehr und Klima“ am 9. Mai 2007 hat deutlich gemacht, dass sich die Flug- linien, Flughäfen und Hersteller ihrer Verantwortung für den Umweltschutz bewusst sind und Maßnahmen zur Reduzierung von CO2- und NOx-Ausstoß aktiv unter- stützen. Im Weiteren haben die Koalitionsfraktionen bereits im Juni 2007 einen Entschließungsantrag zum Richtlini- envorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft verabschiedet. Darin wird die Bundesre- gierung aufgefordert, dafür einzutreten, dass der Luft- verkehr in das bestehende Emissionshandelssystem der EU integriert und dass eine Gesamtstrategie zur Redu- zierung des CO2-Ausstoßes im Flugverkehr erarbeitet wird, die eine Verbesserung der Flugtechnik, des Flug- verkehrsmanagements sowie der Flugverkehrskontrolle im Sinne der Single-European-Sky Initiative der Euro- päischen Kommission beinhaltet. Zudem ist eine Be- schleunigung der Einführung des Single-European-Skys unabdingbar, damit unnötige Umwege in der Luft zu- künftig vermieden werden können und so der CO2-Aus- stoß verringert werden kann. Dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen an eini- gen Stellen bereits von der Wirklichkeit eingeholt wurde, zeigt sich unter anderem auch anhand der Forde- rungen zur ICAO-Vollversammlung letzten Herbst. Wie wir alle wissen, konnten sich die Europäer mit Ihrer For- derung zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emis- sionshandel gegen den Widerstand aller anderen Natio- nen nicht durchsetzen. Nichtsdestotrotz wird die EU an ihrem Vorhaben weiterhin festhalten, alle Flüge, die auf einem europäischen Flughafen landen oder starten, ab 2012 in dieses System einzubeziehen. Das heißt, diese Regelung wird auch Flugzeuge aus Drittländern betref- fen. Auch auf nationaler Ebene haben sich die Forderun- gen des Antrags bereits zu weiten Teilen erfüllt. Zum 1. Januar 2008 wurden an den beiden größten deutschen Flughäfen Frankfurt und München emissionsabhängige Start- und Landeentgelte eingeführt. Neben Lärm wer- den nun auch die Stickoxid-Emissionen bei Start und Landung berücksichtigt. 17 Tage nach Einführung dieser Maßnahme kann logischerweise noch keine Bilanz gezo- gen werden. Sobald aber belastbare Werte vorliegen und die positiven Effekte deutlich werden, werden sicherlich auch weitere deutsche Flughäfen dem Beispiel der bei- den Großflughäfen folgen und eine entsprechende An- passung ihrer Landeentgelte vornehmen. Gefreut habe ich mich diese Woche auch über die An- kündigung einer – leider nicht deutschen – Fluglinie, im Februar mit einer Maschine des Herstellers Boeing einen Probeflug mit Bio-Kerosin zu machen. Der Einsatz von Bio-Kerosin steckt zwar im Moment noch in der Ent- wicklung, aber diese Ankündigung zeigt deutlich, dass hier von allen Seiten Anstrengungen unternommen wer- den, den Flugverkehr möglichst effizient und umwelt- schonend zu machen. Die Liste an weiteren innovativen Vorhaben in den Bereichen Technologie, Werkstoffe und Aerodynamik ließe sich hier jetzt erfreulich lange fortsetzen. Um Forschung und Entwicklung weiter vo- ranzutreiben, werden im Rahmen des Luftfahrtfor- schungsprogramms der Bundesregierung auch zukünftig ausreichend Mittel zur Förderung im Bereich „Umwelt- verträglicher Luftverkehr“ zur Verfügung gestellt wer- den. Ich bin davon überzeugt, dass alle Akteure im Luft- verkehr – seien es die Fluglinien, die Flughäfen oder die Flugzeugentwickler – mittlerweile erkannt haben, wel- che Verpflichtung sie in Bezug auf den Klimaschutz ha- ben. Wir stehen zugegeben noch am Anfang eines lan- gen Weges, allerdings stimmen mich die Bemühungen und Signale optimistisch. Wir Sozialdemokraten werden alle Maßnahmen, die zur Reduzierung von klimaschädli- chen Emissionen beitragen, auch weiterhin unterstützen und politisch befördern. Insofern nehmen wir den vorlie- genden Antrag gerne zum Anlass, das Thema Klima- schutz und Luftverkehr erneut im Verkehrsausschuss zu diskutieren. Dr. Margrit Wetzel (SPD): Die klima- und umwelt- politischen Herausforderungen der Hochseeschifffahrt sind ganz zweifellos ein wichtiges Thema, das die Kolle- gen der Grünen Ende Oktober letzten Jahres mit einem Antrag aufgegriffen haben. Leider haben Sie sich damit aber hinter einen fahrenden Zug geworfen: Für die Wei- chenstellung und Gestaltung dessen, was Regierung und Parlament wollen, kommen Sie damit deutlich zu spät! Wir freuen uns ja, dass die Grünen „voll auf Regierungs- linie liegen“ und uns damit bescheinigen, auch aus Sicht der Opposition im Bundestag das „Richtige“ in Sachen Klimaschutz bei der Seeschifffahrt zu initiieren bzw. zu unterstützen: Sehen Sie sich doch nur die Beschlüsse von Meseberg an! Das Kabinett hat ausdrücklich betont, sich für die Einbeziehung des Emissionshandels bei der IMO und bei der Klimarahmenkonvention einzusetzen. Seit Jah- ren wird in der IMO daran gearbeitet, verbindliche Re- duktionsverpflichtungen für Treibhausgase zu erarbei- ten. Dies ist besonders wichtig, weil die Relation zwischen dem riesigen Welthandelsvolumen des Seever- kehrs und den Treibhausgasemissionen, die der See- schifffahrt zugeordnet werden, sich zukünftig mit jeder erfolgreichen Reduzierung von Treibhausgasen in ande- ren Industriebereichen deutlich zu Ungunsten des See- verkehrs verändern würde. Allein seit der Jahrtausend- wende haben die Emissionen von circa 1,8 Prozent auf 2,5 Prozent zugelegt. Und der Welthandel nimmt eben- falls ständig zu. Es muss also zweifellos und unbedingt auch im Bereich der Seeschifffahrt gehandelt werden. Es ist auch keineswegs so, dass Deutschland oder die Gutwilligen in der IMO nichts täten: Die Hinderer sind dort vor allem China und Saudi Arabien, die auf die Zugeständ- nisse für den wirtschaftlichen Nachholbedarf der Entwick- lungs- und Schwellenländer setzen und diese – sachlich völlig falsch – auch für die globalisierte Seeschifffahrt ein- fordern. Trotz des nachdrücklichen Widerstands dieser Länder wird in der IMO die weltweit einheitliche Bewer- 14436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) tungsgrundlage für Reduktionsziele erarbeitet, ein Index- system mit entsprechenden Anwendungsrichtlinien für die Effizienz der Schiffe erarbeitet sowie technische, operative und marktbasierte Lösungsvorschläge inklusiv eines Zeit- plans für die Abarbeitung entwickelt. Deutschland beteiligt sich aktiv an der Erarbeitung dieser Voraussetzungen für die Reduktion der Treibhaus- gase. Und dass die EU-Kommission selbst prüft, wie der Seeverkehr in den Emissionshandel einbezogen werden kann, und angekündigt hat, gegebenenfalls selbst für die EU aktiv zu werden, wenn die IMO keine Lösung findet, ist hinreichend bekannt und richtig. Allerdings: Alles, was wir sinnvollerweise tun und fordern, muss gerade bei der Seeschifffahrt weltweit erfolgen! Der Seehandel ist international und Regelungen müssen deshalb wettbe- werbsneutral sein. Wenn wir deutsche oder europäische Alleingänge initiieren, ist die Folge allenfalls, dass die Reeder ihre Schiffe in Länder ausflaggen, die die Vor- schriften konsequent umgehen – damit ist niemandem gedient, am wenigstens dem Umweltschutz. Denn am Flaggenstaat hängt noch eine ganze Menge mehr als der Umweltschutz. Außerdem muss alles, was wir beim See- verkehr an Restriktionen einführen, daraufhin geprüft werden, ob es zu Verlagerungseffekten auf Landver- kehrsträger führen würde: Denn die sind immer noch er- heblich stärkere Emittenten von CO2. Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen hängt außerdem eng zusammen mit den noch erheblich stärke- ren Belastungen durch Schwefel, Stickoxide und Parti- kel, die durch die Verbrennung der sogenannten „Schweröle“ – man könnte auch sagen des Sondermülls – auf See entstehen. Die deutsche Regierung handelt wirklich vorbildlich und verdient großes Lob für ihre Aktivitäten in der IMO und in der EU: So hat Deutsch- land doch maßgeblich daran mitgewirkt, dass wir die Schwefelemissionsüberwachungsgebiete (SECAs) in Ost- und Nordsee haben. Der Schwefelgrenzwert von 1,5 Prozent in diesen Gebieten wird ab 2010 durch die EU-Hafen-Vorschrift von maximal 0,1 Prozent Schwe- felgehalt im Treibstoff ergänzt. Ab 2015 sollen aus deut- scher Sicht Destillate mit maximal 0,5 Prozent Schwe- felgehalt von allen Seeschiffen verwendet werden. Die weitere Absenkung des Grenzwertes auf 0,1 Prozent ist eine klare Beschlusslage der Regierung, die in Meseberg auch schriftlich fixiert wurde. Eine Übergangsfrist bzw. Zielfrist von etwa einem Jahrzehnt ist schon deshalb nötig, weil die Verfügbarkeit der entsprechenden Menge an Destillaten infrage steht. Die Umstellung der Raffinerien braucht eine gewisse Zeit. Außerdem fordern die Grünenvöllig zu Recht Lö- sungen für den Umgang mit den Rückständen aus dem Schweröl. Aber auch daran wird – wie wir alle wissen – gearbeitet. Die Arbeit der IMO an diesen Themen hat die Bun- desregierung mit einer Sonderkonferenz im Oktober 2007 eigens zur Klärung technischer Fragen deutlich un- terstützt. An dieser Stelle möchte ich für unsere Fraktion auch ausdrücklich unseren Dank an die engagierten und hoch motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMVBS richten, die das Thema mit hohem Sachver- stand und großer Umsicht energisch vorantreiben. Ihre Forderung nach mehr „SECAs“, liebe Kollegen von den Grünen, sehen wir allenfalls als Übergangslö- sung an und wissen uns auch da in guter Gesellschaft mit unserer Regierung: Langfristig brauchen wir die Redu- zierung von Schadstoffen im Seeverkehr weltweit auf al- len Meeren und das heißt im Grunde die völlige Umstel- lung auf Destillate. Nur Destillate haben ein wirklich hohes Reduktionspotenzial für Schwefel, Stickstoff und Partikel und zusätzlich bieten sie auch bessere Voraus- setzungen für Abgasnachbehandlungen. Denn eins ist auch klar: Auch im Seeverkehr müssen alle Möglich- keiten genutzt werden, Schadstoffe zu minimieren. Die Seeschifffahrt hat dazu eine ganze Palette kreativer Möglichkeiten. Das Einfachste ist zweifellos, die Ge- schwindigkeit der großen Schiffe auf den maximalen Ef- fizienzgrad zu senken – und glauben Sie mir, Reeder sind wirtschaftlich denkende Spezies, die kommen sogar von ganz allein darauf, dass sie damit die ständig stei- genden Treibstoffkosten reduzieren können. In den letz- ten Jahren hatten wir praktisch jährlich eine Verdoppelung der Treibstoffkosten (für Schweröl!) zu verzeichnen. Heute kostet die Tonne Schweröl circa 450 US-Dollar, das schad- stoffreduzierte Schweröl mit 1,5 Prozent Schwefel für den Betrieb in den SECAs ist unwesentlich teuerer: Es kostet derzeit circa 490 US-Dollar, wohingegen das Gasöl mit einem Schwefelanteil von 0,1 Prozent heute mit mehr als 800 US-Dollar fast das Doppelte an Treibstoffkosten be- deuten würde. Geschwindigkeitsreduzierungen um wenige Knoten bringen durchaus bis zu 30 Prozent Einsparungen an Treibstoff. Mögliche Routenveränderungen, die natürli- che Strömungen nutzen, können ebenfalls zu Einsparun- gen führen. Ich bin sicher, die Reeder werden diese na- türlichen Chancen zur Einsparung schon aus wirtschaftlichen Gründen nutzen. Das Potenzial, dass während der Liegezeiten der Schiffe genutzt werden kann, ist ebenfalls erkannt. Dazu gehören selbstverständ- lich die landgestützte Stromversorgung für die Liegezei- ten in Häfen, die allerdings nur für bestimmte Schiffe sinnvoll scheint, sowie der Einsatz moderner Filtertech- niken, die ihrerseits wieder innovative Kraftstoffe brau- chen. Der Entwurf der ISO für die nötigen weltweit glei- chen Normen und Standards liegt seit Herbst letzten Jahres förmlich aus. Auch hier scheint also der Erfolg bereits in Sichtweite. Und bitte: Vertrauen wir doch auch darauf, dass die Entwickler in den Werften auch beim Schiffbau alles daran setzen, zum Beispiel durch innova- tive Rumpfformen und Rumpfanstriche Einsparpoten- ziale zu generieren. Gerade der deutsche Schiffbau weiß um seine Innovationspotenziale, die ihm Weltmarktan- teile und Wettbewerbsfähigkeit sichern! Auch die alternativen Antriebstechniken wie die Zugdrachensysteme von Skysails, der Vertikal-Rotor- Antrieb – solare Antriebe und Brennstoffzellen sind im Testbetrieb vielversprechend – müssen marktfähig ge- macht werden und gehören damit zur breiten Palette neuer kreativer Möglichkeiten, den Schiffsverkehr lang- fristig schadstoffärmer zu machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14437 (A) (C) (B) (D) Abschließend: Ja, liebe Kollegen von den Grünen, wir sind uns absolut einig darin, dass viel getan werden muss und es dafür einen engagierten Zeitplan braucht. Die IMO und die EU sind auf dem absolut richtigen Weg. Wir als SPD-Fraktion bestätigen deshalb auch gern der Bundesregierung, dass sie eine hervorragende Arbeit in IMO und EU leistet, aber auch, dass nationale Allein- gänge kontraproduktiv wären und die Regierung sich auf die Unterstützung des deutschen Parlaments verlassen kann bei ihren Bestrebungen, die IMO zu weltweit ver- bindlichen Regelungen zu veranlassen. Höhere welt- weite Verbindlichkeiten sind zweifellos wünschenswert und notwendig – die erreichen wir aber nicht mit einem Beschluss im Deutschen Bundestag, sondern in diesem Fall vor allem in der konstruktiven und nachdrücklichen Unterstützung aller Vertreter der Bundesregierung, die auf den verschiedenen internationalen Ebenen für den Klimaschutz in der Seeschifffahrt aktiv sind. Denn den Kurs bestimmen Sie, liebe Kollegen von der Opposition, mit Ihrem Antrag ganz sicher nicht. Das bundespoliti- sche Ruder ist längst richtig gestellt. Sie haben fleißig alle Maßnahmen aufgelistet, die – von Deutschland un- terstützt – sinnvollerweise in der EU und der IMO vo- rangebracht werden. Gut, dass wir darüber geredet ha- ben. Den Akteuren an unseren Küsten in Schiffbau, Maschinenbau und Schifffahrt wünschen wir weiterhin viel Erfolg bei den zukunftsbestimmenden Innovationen und beim Entwickeln eines wirtschaftlich zu gestalten- den ökologischen Fortschritts, mit dem wir die weltwei- ten Klimaschäden aufhalten und hoffentlich auch mit- hilfe der Seeschifffahrt weiter reduzieren können. Jan Mücke (FDP): Das Thema Schiffsemissionen gewinnt eine immer größere Bedeutung. Dabei gilt es aber, zunächst einmal festzuhalten, dass es keinen effizi- enteren Gütertransport als den mit Schiffen gibt, insbe- sondere hinsichtlich des Energiebedarfs. Der Wirkungs- grad der modernen Großmotoren konnte in den letzten Jahren um 50 Prozent verbessert werden und damit der CO2-Ausstoß trotz zunehmenden Verkehrs deutlich ver- ringert werden, doch die Emissionen von Stickoxiden und Schwefeloxiden aus der Schifffahrt sind angestie- gen. Die Anstrengungen der letzten Jahre um eine Ver- besserung der Luftqualität im Binnenland haben trotz einiger Verbesserungen bei den Schiffsemissionen logi- scherweise den prozentualen Anteil des Schiffsverkehrs an der Luftverschmutzung insgesamt, insbesondere in den Häfen, enorm steigen lassen. Die Schwefeloxid-Emissionen des Schiffsverkehrs sind direkt abhängig vom Schwefelgehalt im Treibstoff und derzeit effektiv nur dadurch zu senken, dass der Schwefelgehalt im Treibstoff abgesenkt wird. Filtertech- nologien für den Schiffsverkehr sind derzeit noch nicht marktreif und ihr Einsatz nicht absehbar. Seit Mitte 2006 gelten für die Ostsee verschärfte Grenzwerte für Bunker- öle, die die Internationale Seeschifffahrts-Organisation, IMO, mit dem Annex 6 des MARPOL-Übereinkom- mens 2005, einem weltweit geltenden Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt durch Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, beschlossen hat. Der zulässige Schwefelgehalt im Treibstoff wurde in diesen sensiblen Seegebieten, SECA, auf 1,5 Prozent be- schränkt. Diese neuen Grenzwerte gelten seit Herbst 2007 auch in der Nordsee und im Ärmelkanal, und sie werden in diesen Gebieten zu einer Schwefeloxid-Re- duktion in der Luft um 10 Prozent führen. Darüber hinaus hat die EU in einer Richtlinie be- schlossen, dass ab 2010 in Häfen der EU nur noch Schwefeltreibstoff mit einem Schwefelgehalt von weni- ger als 0,1 Prozent verwendet werden darf. Dabei gibt es aber derzeit das ganz praktische Problem, ob die Mine- ralölwirtschaft überhaupt ausreichend schwefelreduzier- ten Treibstoff zur Verfügung stellen kann, insbesondere wenn weltweit weitere sensible Seegebiete festgelegt werden und die Nachfrage nach schwefelreduziertem Treibstoff steigt. Denn abgesehen von aufwendigeren Raffinierungen durch Umweltanforderungen, steigt die Nachfrage nach Schiffstreibstoff ja schon allein deshalb, weil der Schiffsverkehr schneller zunimmt, als die Raffi- nerieindustrie ihre Produktion erhöhen kann. Bei dieser Diskussion sollte auch nicht vergessen werden, dass die Entschwefelung des Treibstoffs in der Raffinerie selbst zu einem erheblich höheren CO2-Ausstoß führt. Wenn alle europäischen Raffinerien auf stark schwefelredu- zierten Schiffstreibstoff umstellen würden, würde nach einer Untersuchung der CO2-Ausstoß bei diesem Prozess um 21 Millionen Tonnen oder um 15 Prozent steigen. Man sieht, einfache Antworten gibt es bei dieser Proble- matik nicht. Ein besonderes Thema in diesem Zusammenhang ist die Landstromversorgung von Schiffen in Häfen. Nicht zuletzt auch durch die Debatte um die Feinstaubbelas- tung ist inzwischen zu Recht ein erheblicher politischer Druck entstanden. Angesichts drohender Fahrverbote in den Städten wegen der Feinstaubbelastung ist die Forde- rung nur zu verständlich, die Schiffsemissionen in den Häfen deutlich zu verringern. So hat die EU-Kommis- sion eine Empfehlung verabschiedet, wonach die Mit- gliedstaaten – bislang noch unverbindlich – aufgefordert werden, entsprechende Landstromeinrichtungen aufzu- bauen. Bislang gibt es aber nur wenig rechtliche Mittel, um bei dem Problem entscheidend voranzukommen, da auch in Deutschland nicht die Bundesemissionsschutz- verordnung, sondern das MARPOL-Abkommen gilt. Die generelle Verbesserung der Treibstoffqualität kann – wie oben dargelegt – nur sinnvoll durch die IMO vor- genommen werden, und deren Mühlen mahlen langsam, und ob das dann immer und überall schnellstmöglich umgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Die Ter- minals der deutschen Seehäfen sind für eine Landstrom- versorgung außerdem gar nicht ausgerüstet. Es müssten überall Mittelspannungsleitungen verlegt werden. Ein- mal abgesehen von dem dazu notwendigen baulichen Aufwand, der betrieben werden müsste, würden solche Bauarbeiten sofort zu Engpässen in den Häfen führen. Nur bei Neubauten könnte man dies baulich gleich mit berücksichtigen. Weiterhin gibt es bis heute keine inter- nationalen technischen Standards, die aber Vorausset- zung für eine Landstromversorgung wären. Eine Span- nungs- und Frequenzumformung an Land wäre mit erheblichen technischen Kosten und Personalkosten ver- bunden. Vorstellbar wäre auch eine Umformung an 14438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Bord, doch dafür müssten die entsprechenden Schiffe umgerüstet werden. Diese Investition ist derzeit hinfäl- lig, sobald sich das Fahrgebiet des Schiffes ändert, da es eben zurzeit keine internationalen Standards gibt. Eine entscheidende Frage ist der zusätzliche Energiebedarf, der in den Häfen bei der landseitigen Stromversorgung entstehen würde. Kühlcontainer und Kreuzfahrtschiffe haben einen Verbrauch von bis zu 10 Megawatt. Das be- deutet, dass in der Nähe der Hafenstädte neue Kraft- werke gebaut werden müssten, mit allen möglichen öko- logischen Folgen, wie zum Beispiel CO2-Belastung. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht nur europäi- sche oder gar nationale Regelungen treffen, sondern mit der IMO im Gleichklang sind. Deswegen müssen wir auch immer wieder auf der europäischen Ebene den mahnenden Finger erheben, durch Abweichungen von IMO-Standards nicht die Wettbewerbsfähigkeit der euro- päischen bzw. deutschen Schifffahrt zu gefährden. Wich- tiger für die gesamte Umwelt ist vielmehr, dass die EU ihre Einflussmöglichkeiten nutzt, um weltweit auf die Einhaltung der IMO-Standards zu drängen. Und bei al- lem gesetzgeberischem Eifer auf nationaler, europäi- scher oder weltweiter Ebene darf nicht vergessen wer- den, dass vor allem ein Schwerpunkt auf die Forschung gesetzt werden muss. Denn neue Technologien können zu erheblichen Verbesserungen führen, weshalb unsere Gesetzgebung diesem Potenzial Rechnung tragen muss. Es ist eben im Zweifel nicht sinnvoll, wenn der Gesetz- geber eine einzusetzende Technologie vorschreibt, son- dern es ist besser, wenn er Zielvorgaben festlegt, was die Obergrenze einer Belastung darstellen soll, damit sich dann der effektivste Weg zur Umsetzung dieser Zielvor- gabe durchsetzt. So hat sich das Konzept von der Ein- richtung besonders sensibler Seegebiete, SECA’s, in de- nen besondere Abgaswerte gelten, bewährt, auf diesem Weg sollte bei den aktuellen Verhandlungen zur Revi- sion des Annex 6 des MARPOL-Übereinkommens kon- sequent weitergegangen werden. Letztlich kann Deutschland durch schärfere Grenzwerte nur gewinnen, denn es hat die Technologieführerschaft und profitiert durch eine saubere Umwelt. Da die deutsche Handels- flotte mit einem Durchschnittsalter von sechs Jahren pro Schiff zu den modernsten Flotten der Welt gehört, ist sie damit auch die umweltfreundlichste Flotte der Welt. Es ist deshalb auch richtig und wichtig, dass die deutschen Reeder bei diesen aktuellen Verhandlungen um Verbes- serungen der Schadstoffbelastungen durch die Schiff- fahrt eine sehr positive Rolle spielen. So tritt der Ver- band Deutscher Reeder dafür ein, dass bei den laufenden Verhandlungen der IMO über eine Verschärfung der Grenzwerte im Annex 6 des MARPOL-Übereinkom- mens eine weitere Reduktion des Schwefelgehaltes welt- weit erreicht wird, und das nicht nur in besonders sensi- blen Gebieten wie der Ost- und Nordsee. Im Laufe dieses Jahres ist mit der Verabschiedung eines neuen Annex 6 zu rechnen, das wäre ein gutes Ergebnis der laufenden Verhandlungen. Die Notwendigkeit, nur Maßnahmen von globalem Ausmaß zu ergreifen, gilt für den Bereich des Luftver- kehrs gleichermaßen. Örtlich begrenzte Maßnahmen würden zu Ausweicheffekten führen. Verkehre – und so- mit CO2-Emissionen – würden nicht wegfallen, sondern sich nur verlagern. Klimaschutz kann aber nur gelingen, wenn er weltweit praktiziert wird. Nicht zuletzt aus die- sem Grunde muss der geplante, auf das Gebiet der Euro- päischen Union beschränkte Emissionshandel im Luft- verkehr kritisch beurteilt werden. Seit der letzten ICAO- Vollversammlung vergangenen Herbst in Montreal ist offensichtlich, dass der Europäische Weg ein Alleingang werden wird. Bedeutende Nationen wie die Vereinigten Staaten und China lehnen den Emissionshandel katego- risch ab. Somit wird Luftverkehr allein in Europa künst- lich verteuert; dies geht insbesondere zulasten der euro- päischen Fluggesellschaften. Durch diese zusätzlichen finanziellen Belastungen wird deren Wettbewerbsfähig- keit im internationalen Vergleich spürbar beeinträchtigt. Dabei ist der Nutzen des auf Europa beschränkten Emis- sionshandels für Umwelt und Klima mehr als fraglich. Nur acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen des Luftverkehrs stammen von innereuropäischen Flügen. Mit Einführung des Handelssystems reduziert sich je- doch die Finanzkraft der Fluggesellschaften spürbar, um in neue emissionsärmere Techniken investieren zu kön- nen. Nach Berechnungen der Beratungsgesellschaft Ernst & Young werden die Airlines mit bis zu 65 Milliarden Euro bis zum Jahr 2022 zusätzlich belastet. Im Europäischen Rat wurde am 20. Dezember 2007 eine Einigung über die Eckpunkte eines europäischen Emissionshandels erzielt. Danach wird die zulässige Ge- samtemissionsmenge für den Luftverkehr ab 2012 auf 100 Prozent des Durchschnitts der Emissionen der Jahre 2004 bis 2006 festgesetzt. Bei einem jährlichen Wachstum von mindestens 4 Prozent bleibt bei Beginn der ersten Handelsperiode somit ein Viertel der Flugbe- wegungen rechnerisch unberücksichtigt. Oder mit ande- ren Worten: Die Luftverkehrswirtschaft müsste zwi- schen 2007 und 2012 ihre CO2-Emissionen um jährlich 4 Prozent reduzieren, um nicht gezwungen zu sein, Zer- tifikate zuzukaufen. Das Handelssystem fordert von den Fluggesellschaften somit Verbesserungen in einem Maße, das technisch nicht zu realisieren ist, bevor es überhaupt in Kraft getreten ist. Klimaschutzmaßnahmen, die an den Realitäten vorbeigehen, werden aber die euro- päische Luftfahrt schwer schädigen und es schwer ha- ben, auf Akzeptanz zu stoßen. Die Forderung nach Einführung einer Kerosinsteuer ist Sinnbild der ideologisch geprägten Abneigung der Antragsteller gegen das Verkehrsmittel Flugzeug. Die Erhebung einer Steuer auf den Treibstoff führt zu keiner- lei klimaschützender Wirkung; sie führt allein zu einer Verteuerung des Fliegens. Die Einnahmen stehen dem Finanzminister zur freien Verfügung. Eine Zweckbin- dung, zum Beispiel zur Förderung von Klimaschutzmaß- nahmen, ist als Steuer unzulässig. Zudem wird die deut- sche Luftverkehrswirtschaft durch die Erhebung einer Kerosinsteuer gegenüber ihren europäischen und inter- nationalen Wettbewerbern entscheidend benachteiligt. Durch Kompensationsmaßnahmen werden so den zu- sätzlichen Steuereinnahmen Stellenabbau und Arbeitslo- sigkeit für eine Vielzahl von Beschäftigten entgegenste- hen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14439 (A) (C) (B) (D) Eine deutliche Reduzierung der von den Flugzeugen emittierten Schadstoffe ist unabdingbar. Diese zu errei- chen, kann jedoch nicht allein Aufgabe der Airlines sein. Durch Errichtung des Single-European-Sky, SES, und funktionaler Luftraumblöcke wäre es möglich, die Emis- sionen auf einen Schlag um 16 Prozent zu senken. Nur wurden hierfür noch keinerlei Voraussetzungen geschaf- fen. Nach derzeitiger Verfassungslage ist es ausländi- schen Flugsicherungsorganisationen nicht erlaubt, in Deutschland Flight Control anzubieten. Zudem ist es der Deutschen Flugsicherung GmbH, DFS, wegen der Bin- dung an die Bundeshaushaltsordnung faktisch verwehrt, im Ausland aktiv zu werden. Die Bundesregierung hat es nach über einem Jahr seit der Nichtausfertigung des Flugsicherungsgesetzes durch den Bundespräsidenten nicht geschafft, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ge- eignet ist, diese Missstände abzustellen. Statt anzupa- cken und die wirklich klimaschützende Maßnahme SES voranzutreiben, verliert sich die Partei des Bundesum- weltministers in einer Diskussion, ob die DFS kapitalpri- vatisiert werden sollte oder nicht. Ein anderer wichtiger Schritt ist der bedarfsgerechte Ausbau der Infrastruktur. Es geht dabei nicht darum, die Grundlage für mehr Luft- verkehr zu schaffen. Vielmehr reichen die Start- und vor allem Landekapazitäten der Flughäfen nicht mehr aus, den derzeitgen Gegebenheiten gerecht zu werden. Durch unzählige, durch Kapazitätsengpässe notwendig wer- dende Warteschleifen verbraucht allein Lufthansa täg- lich so viel Kerosin, wie für elf Flüge zwischen Frank- furt und New York benötigt wird – mit all den negativen Auswirkungen auf das Klima und zusätzlichem Lärm in den Flughafenanrainergebieten. Lassen Sie uns den Luftverkehr nicht verteufeln und so tun, als wenn die Airlines nur durch Zwang zu CO2- reduzierenden Maßnahmen zu bewegen seien. Vielmehr besteht auch bei den Fluggesellschaften seit jeher ein ur- eigenes Interesse an einer Senkung des Kerosinver- brauchs und somit einer Verminderung der emittierten Schadstoffe. Um Kosten zu verringern, investieren sie in eine stetige Modernisierung ihrer Flotten. So gelang es beispielsweise der Lufthansa AG, den durchschnittlichen Treibstoffverbrauch ihrer Flugzeuge um knapp 30 Pro- zent in 15 Jahren zu reduzieren. Dieses Bestreben ver- stärkte sich in letzter Zeit durch die immense Steigerung der Ölpreise. Der Anteil der Kerosinkosten an den Be- triebskosten erhöhte sich von 14 Prozent im Jahre 2003 auf 26 Prozent in 2006; fast eine Verdoppelung in drei Jahren. Klimaschutz ist gut und notwendig. Er darf aber nicht dazu führen, dass der Wettbewerb verzerrt wird und un- gleiche Bedingungen für die Marktteilnehmer geschaf- fen werden. Wir müssen darauf achten, dass Deutsch- land und Europa nicht vom Rest der Welt abgekoppelt werden und das Wachstum in anderen Teilen der Welt stattfindet. Denn damit wäre dem Klima auch nicht ge- holfen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Ein wichtiges Thema der letzten Wochen war die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel; die politische Einigung des Rates hat für Wirbel gesorgt. Für die Linke ist dieser Beschluss skandalös, weil er jegliche Bemü- hungen, das atemberaubende Wachstum des klimaschäd- lichen Luftverkehrs wirksam zu bremsen, aushebelt. Dass die Bundesregierung den Ratsbeschluss begrüßt, weil er „weitgehend den deutschen Verhandlungszielen“ entspreche, wie im BMU-Bericht über die Umweltrats- sitzung zu lesen ist, zeigt, wie ernst die Koalition den Klimaschutz nimmt. Der Ratsbeschluss hat die Uhr wie- der zurückgedreht auf den unakzeptablen Kommissions- entwurf. Alle fortschrittlichen Änderungen des EU-Par- laments wurden verworfen. Nunmehr soll die zugeteilte Gesamtmenge nicht 90, sondern 100 Prozent des Durchschnitts der Jahre 2004 bis 2006 betragen. Das System soll nicht 2011, sondern erst 2012 starten. Und es sollen gerade einmal 10 Prozent der Rechte versteigert werden. Warum hat die Bundesregierung hier nicht das Parlament unterstützt? Und warum hat sie nicht für eine 100-prozentige Verstei- gerung der Emissionsrechte gekämpft? Oder wenigstens für den Vorschlag des EP, nachdem 25 Prozent der Zerti- fikate versteigert werden sollten? Minister Gabriel dürfte doch aus dem EU-Emissionshandelssystem bekannt sein, dass die kostenlose Vergabe nicht zu Preissenkun- gen, sondern ausschließlich zu leistungslos erzielten Ex- tragewinnen der Betreiber führt! Eine Studie der Interna- tional Air Transport Association, IATA, bestätigt dies. Danach werden die Fluggesellschaften den Marktpreis der kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen vo- raussichtlich zu 75 Prozent auf den Ticketpreis überwäl- zen. Infolge dessen werden die Gewinne der Fluggesell- schaften durch die Einbeziehung in den Emissionshandel nicht sinken, sondern steigen. Die erzielten Windfall Profits werden höher sein als die Kosten der Emissions- vermeidung, so die Studie! Wenn dem so ist, dann darf man fragen, wie bei einem solchen System eine ökologi- sche Lenkungswirkung eintreten soll. Dies gilt umso mehr, als sich laut IATA-Schätzung der Ticketpreis durch das System lediglich um 1,5 bis 3,5 Prozent erhöhen wird. Dies wird niemanden vom Wochenendtrip nach Barcelona abhalten. Zudem igno- riert die Bundesregierung offensichtlich die Aussagen des Weltklimarates IPCC, nach der die indirekten Ef- fekte des Flugverkehrs wie NOx und Wasserdampf die Treibhauswirkung je Tonne ausgestoßenem CO2 um den Faktor 2 bis 4 erhöhen. Ansonsten hätte sie die Forderung des EU-Parlaments unterstützt – und nicht blockiert –, nach der der Zukauf von Emissionsberechtigungen aus dem ETS oder aus CDM/JI zur Nutzung im Flugverkehr nur mit dem Faktor 2 je angefordertem Zertifikat gestat- tet sein sollte. Nun geht Kohlendioxid nur mit Faktor 1 ein. Die Verzahnung mit dem EU-Emissionshandel so- wie darüber mit CDM und JI wird dazu führen, dass der Flugverkehr fast ungezügelt wachsen kann. Er kann zu- mindest um 20 Prozent zunehmen; denn das soll nun die Obergrenze der möglichen CDM/JI-Anrechnung sein. Das ganze Problem hätte man umgangen, wenn der Emissionshandel im Flugbereich ein eigenes abgeschlos- senes System wäre. Dann entstünde nämlich für dessen Emissionen ein echter Deckel. Der wird aber angehoben, wenn Emissionsrechte aus dem Energie- oder Industrie- sektor hinzugekauft werden können, und zwar ver- 14440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) gleichsweise billig, da die Umweltwirkungen im Emis- sionsfaktor nur zu einem Viertel berücksichtigt werden. Der Antrag der Grünen entspricht im Wesentlichen unse- rer Kritik. Wir unterstützen ihn und hoffen, dass das EU- Parlament den Ratsbeschluss zurückweist. Auch den Antrag der Grünen-Fraktion zur Einbindung des Schiffs- verkehrs in die Reduktionsverpflichtungen des Kioto- Nachfolgeprotokolls und zur Minderung der Schiffs- emissionen können wir unterstützen. Zu den Einzelhei- ten werden wir uns sicher im Ausschuss verständigen. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erstens zu Drucksache 16/5967: Der Deutschen Bank Research zufolge ist bei den weltweiten Verkehrsdienst- leistungen in den nächsten 20 Jahren mit einer Zunahme von rund 50 Prozent zu rechnen. Der Luftverkehr boomt. Er nimmt mit einem jährlichen Wachstum von rund 5 Prozent überproportional zu. Die Menschen fliegen immer mehr, große Mengen von Waren und Güter wer- den täglich rund um den Globus transportiert. Unbestritten trägt der Luftverkehr mit seinen Emis- sionen zum Klimawandel bei. In keinem anderen Sektor wachsen die Treibhausgasemissionen schneller als im Luftverkehr. Das IPCC prognostizierte, dass sich bei an- haltendem Wachstum gegenüber 1990 allein die CO2- Emissionen aus dem Flugverkehr bis 2015 verdoppeln und bis 2030 verdreifachen werden. Das Umweltbundes- amt erwartet eine Verdreifachung der Kohlendioxidbe- lastung bis 2030 allein durch den deutschen Flugverkehr. Nur die auf den internationalen Flugverkehr zurückge- henden Treibhausgasemissionen der EU sind seit 1990 um 87 Prozent gewachsen, 2004 stieg der Anteil um weitere 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die EU ist verantwortlich für ungefähr 50 Prozent al- ler CO2-Emissionen der Industrieländer aus der interna- tionalen Luftfahrt. Es besteht die Gefahr, dass innerhalb der EU der wachsende Anteil der Gemeinschaft an die- sen Emissionen mittelfristig die Reduktionen, zu denen sich die EU im Kioto-Protokoll verpflichtet hat, wieder zunichte machen wird. Wenn der Trend ungebrochen an- hält, werden sämtliche Einsparungen im Straßenverkehr, der Wirtschaft, der Energiewirtschaft und Haushalte auf- gebraucht. Der Luftverkehr muss dringend seinen Bei- trag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel für Kohlendioxid ist daher ein wichtiger klimapolitischer Schritt und ein deutliches Signal an die Luftwirtschaft. Bereits vor einem Jahr hatte die EU-Kommission den Richtlinienvorschlag zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel für Kohlendioxid vorgelegt KOM (2006) 818 endgültig. Inzwischen wurde er in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments be- raten und zum Teil erheblich nachgebessert. Die Debatte um den Vorschlag ist noch nicht abgeschlossen. Um den Klimaschutzanforderungen zu begegnen, brauchen wir ein umfangreiches Konzept zur konse- quenten Ökologisierung des Flugverkehrs. Hierzu gehö- ren ambitionierte Vorgaben für den Emissionshandel im Luftverkehr (Einbezug aller klimaschädigenden Sub- stanzen, mindestens CO2 mal Faktor 2; Einbezug aller Flüge schon in der Startphase; Versteigerung von mind. 50 Prozent der Emissionszertifikate; wirksame Reduk- tionsverpflichtungen mit transparenten Zeitplänen etc. Hinzu müssen Maßnahmen zur Optimierung des Luft- verkehrsmanagements treten: verbesserte Flugrouten, Umsetzung des European-Single-Sky. Von entscheiden- der Bedeutung ist die Umgestaltung der Rahmenbedin- gungen, um falsche Anreize zu korrigieren und Anreize für umweltfreundliche Innovationen zu setzen. Dazu ist ein Maßnahmenpaket zur Internalisierung der externen Kosten des Flugverkehrs und Gleichstellung der Ver- kehrsträger im Rahmen einer ökologischen Finanzre- form notwendig. Die Luftverkehrsinfrastruktur sollte ei- ner bundesweiten Regulierung und Planung unterliegen, die dem Leitbild eines nachhaltigen Flugverkehrs und nicht regionalen Entwicklungsinteressen verpflichtet ist. Schließlich müssen wir alle Potenziale für die Entwick- lung ökoeffizienter Flugzeuge ausschöpfen und For- schung und Entwicklung für emissionsarme, leise und verbrauchsarme Flugzeuge. Zweitens zu Drucksache 16/6790: Schiffe stehen in dem Ruf, umweltverträgliche Transportmittel zu sein. Doch ist das – noch – richtig? Ist dieses Potenzial ausge- schöpft? Nicht nur in Hafenstädten sorgen laufende Schiffsmotoren für schlechte Luft und schädigen unser Klima, produzieren Lärm und mindern die Lebensquali- tät. Auch die klimarelevanten Emissionen aus Schiffen auf hoher See, selbst weit ab von jeder menschlichen Be- hausung, belasten Umwelt und Ökosysteme. Auf unse- ren Meeren fahren echte Dreckschleudern. Als Treib- stoffe werden häufig Abfälle aus Erdölraffinerien genutzt, die an Land als Sondermüll entsorgt werden müssten. Vergleichbare Abgasmengen – wie denen aus Schiffen – würden für Fahrzeuge in Innenstädten zur Stilllegung führen. Die Trends sind Anlass zur Sorge, denn sie drohen, sich angesichts wachsenden Schiffsver- kehrs zu verschärfen. Wir müssen Antworten auf die Frage finden, wie ein ökologisch verträglicher Schiffsverkehr aussehen kann und mit welchen Instrumenten und Maßnahmen wir auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene hierzu beitragen können? Anfang 2008 will die Europäische Kommission die Meeresstrategie-Richtlinie präsentieren, die sich maß- geblich mit dem Schutz der Meere beschäftigen wird. Schiffsemissionen spielen in der öffentlichen Debatte um Klima- und Energiepolitik noch eine untergeordnete Rolle. Angesichts der zunehmenden Belastungen unse- rer Meere durch Schiffsemissionen, Einträge aus der Landwirtschaft, Überfischung und unsichere Schiffe sei eine stimmige Strategie zum Schutz der Meere dringend notwendig. Schließlich haben die Meere für die EU eine besondere Bedeutung als Transportweg, Nahrungs- quelle, Handelsroute, Erholungsgebiet und wichtiger Be- standteil im Klimasystem. Meere halten das Klima im Gleichgewicht, indem sie etwa die Hälfte des vom Men- schen erzeugten Kohlendioxids binden. Der Schutz der Meere muss auch im Interesse der EU liegen: Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben in Küs- tengebieten, dort werden 40 Prozent des Bruttoinlands- produkts erwirtschaftet. Nahezu alle weltweit gehandel- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14441 (A) (C) (B) (D) ten Waren werden über die Meere transportiert. Daher muss die EU eine umfassende und nachhaltige Schutz- politik für unsere Meere entwickeln. Die aktuellen Vor- schläge für eine Europäische Meerespolitik sind erste zaghafte Schritte, um die Emissionen aus dem Schiffs- verkehr in den Griff zu bekommen: Die Kommission schlägt vor, die Einrichtung von Landstromanschlüssen in Häfen zu prüfen, Landstrom von der Steuer zu be- freien und den Schwefelgehalt in Kraftstoffen deutlich zu senken. Schätzungen zur Folge wird der Schiffsverkehr bis zum Jahr 2020 um knapp 60 Prozent wachsen, der CO2- Ausstoß wird im selben Zeitraum um 72 Prozent zuneh- men. Während für den Straßenverkehr festgelegte Re- duktionsziele in der Umsetzung sind, fehlen ähnliche Regelungen bisher im Schiffsverkehr. Wie die Flugzeug- emissionen gehören die Schiffsemissionen bei den Kli- maverhandlungen um ein Kioto-Folgeabkommen auf die Tagesordnung. Möglicherweise kann der Schiffsverkehr in einen internationalen Handel mit Emissionsrechten einbezogen werden, so wie es jetzt für den Flugverkehr in Vorbereitung ist. Auch lokale Maßnahmen sind not- wendig wie die Versorgung mit Landstrom für Schiffe, die in Häfen liegen, eine deutlich bessere Qualität der Kraftstoffe bis zum gänzlichen Verbot von Schweröl in der Schifffahrt. Bedeutsam sind weitere Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung für alternative Antriebe und Treibstoffe und mehr Effizienz im Schiffsverkehr. Ziel muss es sein, die Ökobilanz der Schifffahrt zu verbessern. Neben nationalen Maßnahmen wie emis- sionsbezogene Gebühren garantieren vor allem internati- onale Vereinbarungen weltweit gleiche Standards für alle. Für den globalen Schiffsverkehr müssten die Staa- ten in der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) gemeinsame Regelungen finden. Wirksamer als jede Einzelmaßnahme ist eine Energie- und Effizienzstrategie für den Schiffsverkehr, die an allen Ebenen ansetzt: von Vereinbarungen der Internationalen Schifffahrtsorgani- sation über ein Vorangehen der EU, wo auf internationa- ler Ebene Stillstand herrscht, bis zu verbesserten Kraft- stoffen und der Nutzung erneuerbarer Energien wie Windkraft und Sonnenenergie. Fazit: Schiffs- und Flugverkehr gefährden als Wachs- tumsbranchen das Klima und unterlaufen Klimaschutz- politik, wenn sie nicht endlich unter Berücksichtigung ihrer Emissionsbilanz geregelt werden. Ohne Klima- schutz im Flug- und Schiffsverkehr kein wirksamer Kli- maschutz. Nationales und internationales Handeln ist überfällig! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Erhaltungsrückstand bei Bundesfern- straßen beenden (Tagesordnungspunkt 19) Renate Blank (CDU/CSU): Der heute vorliegende „Schaufensterantrag“ der Grünen-Fraktion macht Fol- gendes deutlich: Erstens. Opposition ist schwierig und frustrierend, zu- mal, wenn man, wie die Grünen, mitregiert hat. Zweitens. Wenn man als Opposition nichts wirklich umsetzen muss, kann man jedes Sonderprogramm ein- fordern – auch wenn man dies in der eigenen Regie- rungsveranwortung noch vehement abgelehnt hat. Drittens. Wenn Landtags- und Kommunalwahlen an- stehen, werden Positionen neu formuliert, auch wenn in den Ländern und Kommunen von den eigenen Mitglie- dern eine völlig andere Haltung vertreten wird. Zum Beispiel: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, „Da- tenautobahn statt Straßenbau“ etc. Das sind nur einige der programmatischen Aussagen zum Straßenbau von Grünen vor Ort aus der letzten Zeit. Umso überraschender der Antrag der Grünen. Plötz- lich ist davon die Rede, dass mangelhafte Straßenquali- tät mehrere negative Folgen haben. So, als hätten Sie nie mitregiert – die Grünen wollten doch immer beim Stra- ßenbau einsparen und die dann frei werdenden Mittel auf die Schiene verlagern. Die Politik der Grünen-Fraktion war doch immer bestimmt von Kürzungen für den Stra- ßenbau – wie ich selbst jahrelang miterleben und mit- erleiden durfte. Verhinderungspolitik war doch immer ideologisch motivierte Grünen-Politik. Ich kann mich an viele Debatten – ich denke an den Bundesverkehrswege- plan, das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und andere – erinnern. Ihre Linie der ideologisch moti- vierten Kürzungen im Straßenbau führte zu einem Inves- titionsstau, zu Überlastungen im Straßennetz, und daraus resultieren auch viele Straßenschäden, die Sie heute wortreich beklagen. Sehr entlarvend ist Ihr Antrag. Hätten wir noch 2005 einen solchen Antrag vorgelegt, wäre er von Ihnen in Bausch und Bogen abgelehnt worden. Ich kann mich noch gut erinnern, als Vertreter grüner Ideologien das Bedürfnis der Menschen nach Mobilität negierten und Treibstoffpreise durch Zwangsabgaben wie die Öko- steuer auch noch künstlich verteuerten. Jetzt beklagen Sie zu wenig Mittel für die Sanierung der Bundesfern- straßen. Ich bin jetzt seit 1990 im Bundestag. Dass ich das noch erleben darf. Wer hätte das gedacht. Allerdings erweist sich dadurch: Sie hätten unseren stets massiv be- kämpften Anträgen in Ihrer Regierungszeit zustimmen müssen, sie geben also im Grunde zu, dass Ihre Haltung falsch war. Späte Einsicht ist aber immer noch besser als keine Besinnung. In den wenigen Landtagen, in denen die Grünen sind, stellen Sie eifrig weiter Anträge, um Straßenbau generell zurückzufahren – Motto: Bildung statt Beton – und hier im Bundestag beklagen Sie sich im Antrag wortreich über Schlaglöcher und Spurrillen auf Straßen – eine be- merkenswerte, gleichwohl durchschaubare Doppelstra- tegie. Das nimmt dann teilweise groteske Züge an, wenn Sie scheinheilig und mit verkehrspolitischen Krokodils- tränen beklagen – und ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Mangelhafte Straßenqualität hat mehrere negative Fol- gen: Teilweise ist direkt die Verkehrssicherheit betroffen, etwa durch starke Spurrinnen auf der rechten Fahrbahn. Geschwindigkeiten müssen reduziert werden, wodurch es zu vermehrten Stauereignissen kommt … 14442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) Abgesehen von dieser bemerkenswerten Zustandsbe- schreibung, die übrigens in meinen Augen ein sehr ein- drucksvolles Plädoyer gegen das Tempolimit ist: Wen wollen Sie denn damit beeindrucken? Jahrzehnte haben Sie verkehrspolitisch alles getan, dass es doch genau dazu kommt. Jede Maßnahme gegen Straßen- und Infra- strukturprojekte war Ihnen recht. Gott sei Dank haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land kein so ein schlechtes Gedächtnis, wie Sie es sich vielleicht für ihre Politik erhoffen. Eine Einschränkung von Mobilität beeinträchtigt nicht nur unsere Lebensqualität, sondern gefährdet auch unsere wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Der tägliche Stau in Deutschland ist eine auch ökolo- gisch nicht hinnehmbare Geld- und Zeitvernichtungsma- schinerie. Studien zeigen auf, dass durch den täglichen Stau 13 Millionen Stunden Zeitverlust im Jahr eintreten und 33 Millionen Liter Kraftstoff zusätzlich verbraucht werden. Nachhaltige Mobilität zu schaffen und zu erhal- ten, ist also eine komplexe Herausforderung an die Ge- sellschaft, in der finanzpolitischer Spielraum für den Erhalt, den Ausbau und den Neubau von Verkehrsinfra- struktur immer enger wird. Nehmen Sie nur den wichtigen Klimaschutz, dann wird deutlich, dass Infrastrukturausbau aktiver Umwelt- schutz ist. Eine Aussage, die Sie, meine Damen und Her- ren von den Grünen, seit Jahren höhnisch belächelt ha- ben. An den Engstellen in unserem Straßennetz und im Stop-and-go-Verkehr verpuffen täglich bis zu 500 Mil- lionen Liter Kraftstoff sinnlos. Das muss noch in die Köpfe der Grünen-Fraktion rein: Nicht nur die Wirt- schaftlichkeit, auch die Umwelt braucht bedarfsgerech- ten – denken Sie nur an Ihren Widerstand gegen die Planungsbeschleunigungsgesetze – und schnellen Infra- strukturausbau. Vielleicht ist dieser Antrag ja ein An- fang. Man darf gespannt sein, wie ernst Sie das wirklich meinen. Wir müssen in Zukunft mehr Geld für die Straßenver- kehrsinfrastruktur ausgeben. Die Finanzierungsengpässe dürfen nicht zum Hemmschuh für die wirtschaftliche Ent- wicklung werden. Die zusätzlichen Steuereinnahmen müssen auch in dringende Investitionen fließen. Wenn zum Beispiel der Benzinpreis um 10 Cent steigt, nimmt der Staat rund 2 Cent pro Liter zusätzliche Mehrwert- steuer ein. Da geht es also schon aktuell um Hunderte von Millionen Euro. Meiner Meinung nach muss das Auslaufen der VDE- Maßnahmen genutzt werden, die dort frei werdenden Mittel in den Ausbau wichtiger Ost-West-Achsen zu len- ken, die durch die Öffnung nach Osten starke Verkehrs- zuwächse haben. Auch Ausbaumaßnahmen in den alten Bundesländern müssen mehr berücksichtigt werden. Um unseren Aufgaben aber insgesamt gerecht zu werden, bei der Bestandserhaltung ebenso wie beim Neubau und Ausbau, brauchen wir eine dauerhaft ausreichende, so- lide und berechenbare Finanzausstattung und keine Son- derprogramme. Die im Grünen-Antrag vorgesehene Umschichtung von Haushaltsmitteln würde allerdings dazu führen, dass für den Neubau von Straßen notwendige Mittel einfach nicht zur Verfügung stehen. Aus verkehrspolitischer Sicht ist es sicherlich wünschenswert, insgesamt mehr Mittel für den Straßenbau zur Verfügung zu haben. Dies muss sich aber in den Gesamtrahmen des Haushaltes einfügen. Ich lade heute die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen daher herzlich dazu ein, sich gemeinsam mit uns für eine Verbesserung der Finanzausstattung des Bundesfernstraßenbaus einzuset- zen – dann werden wir ja sehen, ob Ihr Antrag Substanz hat oder nur reine Augenwischerei war. Korrigieren Sie mich, aber finanzielle Erfolge der Grünen in Sachen Verkehrsinvestitionen in der letzten Legislaturperiode sind mir jedenfalls nicht bekannt. Fakt ist: Die Verkehrspolitiker von CDU/CSU und SPD ha- ben sich trotz der angespannten Finanzen schon bei den Koalitionsverhandlungen und den jeweiligen Haushalts- beratungen seit der Wahl 2005 in der Frage der Ver- kehrsinvestitionen durchsetzen können. Diese wurden erhöht und verstetigt. Es ist ein Erfolg der Verkehrspoli- tiker der Großen Koalition, dass der Mittelansatz für den Bundesfernstraßenbau für das Jahr 2008 um 225 Millio- nen Euro erhöht wurde. Die CDU/CSU fordert auch weiterhin den Einsatz privaten Kapitals durch öffentlich-private Partnerschaf- ten im Bundesfernstraßenbau. Wir müssen jede realisti- sche Chance ergreifen, das deutsche Verkehrsnetz auf ei- nen Standard zu bringen, der aktuellen und künftigen Anforderungen gerecht wird. Um Engpässe auf Auto- bahnen zu entschärfen, müssen deshalb zügig neue PPP- Verkehrsprojekte aufgelegt werden. Der Vorteil liegt da- rin, dass mit der Mobilisierung privaten Kapitals Zeit ge- wonnen wird. Wichtige Verkehrsprojekte werden we- sentlich schneller realisiert als über die konventionelle Haushaltsfinanzierung. Bürger und Wirtschaft profitie- ren davon – unter dem Strich ein Gewinn für alle. Unser Ziel muss sein, Infrastrukturinvestitionen wei- ter zu verstetigen und zu stärken, damit wir Engpässe be- seitigen und die Substanz erhalten können. Wir müssen Substanzverzehr verhindern. Ich danke und ermutige die Kolleginnen und Kolle- gen im Haushaltsausschuss, die anlässlich der Haus- haltsberatungen auch über das Problem gesprochen haben, den Finanzplan insbesondere bei den Fernstra- ßeninvestitionen in den nächsten Jahren entsprechend anzupassen. Aus den Einnahmen der Lkw-Maut könnten noch mehr Mittel für den Straßenbau zur Verfügung ge- stellt werden. Der Verkehrsminister sollte hier in Ver- handlungen mit dem Finanzminister eintreten, um nach einer erfolgreichen Haushaltskonsolidierung mehr Geld für den Straßenneu- und -ausbau zu erhalten. Wir sollten wirklich alle Möglichkeiten nutzen, die uns die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft bietet, hier noch effizienter und flexibler zu werden. Aber in der Großen Koalition gibt es bei diesem wichtigen Thema noch Diskussionsbedarf. Die Koalitionsfraktionen setzen wie schon bisher auf solide Staatsfinanzen und zugleich auf eine möglichst hohe Investitionskraft. Wir tun was für den Straßenaus- und -neubau. Klar ist: Marode Straßen sind keine Lappa- lie, Gefahren müssen beseitigt werden. Nach Lage der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14443 (A) (C) (B) (D) öffentlichen Haushalte in Deutschland ist es aber unse- riös, mit immer neuen Forderungen Wahlkampf zu be- treiben. Die Große Koalition bietet hingegen seriös finanzierte Politik an, die sich nicht an einem Wettlauf der Versprechungen beteiligt. Wir versprechen nur, was wir auch halten können. Diese Regierungskoalition wird weiter ihren Beitrag dazu leisten, das Bundesfernstraßennetz in seiner Leis- tungsfähigkeit zu verbessern, weiterhin bedarfsgerecht auszubauen und zukunftsfähig zu gestalten. Auf diese Weise kann Deutschland seine Position als eine der füh- renden Industrienationen nachhaltig sichern. Auch die wichtige Mobilität aller Bürgerinnen und Bürger wird gewährleistet – gerade in einer Zeit, wo Flexibilität und Mobilität Voraussetzungen für unsere Arbeitswelt sind. Die Qualität von Deutschlands Bundesfernstraßen in Ost und West kann sich sehen lassen. Dafür werden wir auch in Zukunft sorgen. Hierzu werden wir als CDU/ CSU-Fraktion in der Koalition weiterhin Akzente set- zen. Wir wollen dies gemeinsam tun, mit allen, die in diesem Hause zur Zusammenarbeit bereit sind – zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Ich bin überzeugt: Wir sind auf dem richtigen Kurs. Jörg Vogelsänger (SPD): Beim Ausbau der Infra- struktur sind wir in Deutschland gut vorangekommen. Das betrifft Straße, Schiene und Wasserstraße gleicher- maßen. Die desolate Infrastruktur in Ostdeutschland, die wir 1990 vorgefunden haben, ein schweres Erbe der Mangelwirtschaft des Staatssozialismus der DDR, ge- hört der Vergangenheit an. Die Hauptachsen waren nach der Deutschen Einheit dem neuen nationalen und internationalen Verkehrsauf- kommen nicht mehr gewachsen. Die notwendige Kapa- zitätserweiterung war nur mit einer Priorität des Neu- baues möglich. Einen wesentlichen Anteil daran haben die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“. Davon profi- tiert Deutschland insgesamt, nicht nur Ostdeutschland. Die A 2 nach Hannover, die A 9 nach Franken sind dafür nur zwei Beispiele. Mit dem weitestgehenden Abschluss dieser Projekte ist eine deutliche Verstärkung der Mittel für den Bereich Erhaltung und Sanierung möglich. Im Straßenbaubericht 2007 der Bundesregierung ist die Sicherung des vorhandenen Netzes der Bundesfern- straßen durch verstärkte Erhaltung als besonderer Schwerpunkt für den Verkehrsträger Straße aufgeführt. Gemeinsam mit den Bundesländern, den Auftragsver- waltern, erfolgte bereits diese neue Prioritätensetzung. Damit ist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen überflüssig und überholt. In den Jahren 2009 und 2010 sind insgesamt rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr für die Erhaltungsmaßnahmen im Bereich Bundesfern- straßen vorgesehen. Dies bedeutet eine deutliche Mittel- verstärkung für die Erhaltungsmaßnahmen. Das Thema Infrastruktur hat ohnehin eine besondere Priorität für die Große Koalition. In der mittelfristigen Finanzplanung 2006 bis 2009 sind 4,3 Milliarden Euro für Straße, Schiene und Wasserstraße zusätzlich er- kämpft worden. Dies ist ein wichtiger Erfolg für die Ver- kehrspolitik, für die Mobilität und für unsere Bürger. Zu- dem ist eine leistungsfähige Infrastruktur in einem größer werdenden Europa für die Verkehrsdrehscheibe Deutschland von entscheidender strategischer Bedeu- tung. Davon hängen in Deutschland Millionen Arbeits- plätze ab. Das betrifft den Bereich Bauwirtschaft ge- nauso wie den Bereich Logistik. Hinzu kommt, dass Neuansiedlungen nur bei entsprechender Infrastruktur stattfinden. Die Nähe zu einem Autobahnanschluss spielt dabei immer eine besondere Rolle. Die drei neuen Solarfabriken in Frankfurt (Oder) sind dafür ein Bei- spiel, wie der Aufbau Ost zusätzliche Impulse bekom- men kann. Mobilität und Infrastruktur sind Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung. In den Haushaltsberatungen für 2008 ist eine zusätzli- che Verstärkung der Mittel für die Infrastruktur erreicht worden. Hier sollten wir weiter kämpfen. Das bringt uns bei den notwendigen Maßnahmen im Bereich Neubau und Erhaltung am besten voran. Patrick Döring (FDP): Der vorliegende Antrag, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt die richtigen Fra- gen, liefert die richtigen Analysen, gibt dann aber leider die falschen Antworten. Die FDP-Bundestagsfraktion wird den vorliegenden Antrag deshalb ablehnen. In der grundsätzlichen Beobachtung muss ich den Grünen indes zustimmen: Es ist leider vollkommen rich- tig, dass sich der Zustand der Straßen in Deutschland kontinuierlich verschlechtert. Daran hat nicht zuletzt die rot-grüne Regierung der Jahre 1998 bis 2005 einen er- heblichen Anteil. Und – ich hatte dies nie für möglich gehalten – auch unter der Regierung einer christdemo- kratischen Kanzlerin fehlt es im Bereich der Verkehrs- infrastruktur überall an Geld, vor allem an Mitteln für die Erhaltung der Straßen. Der Etat für Erhaltungsmaß- nahmen bei Bundesautobahnen wurde im Haushalt 2008 sogar erneut um 130 Millionen Euro abgesenkt. Das ent- spricht einem Minus von 17,3 Prozent. Die Differenz zwischen Bedarf und vorhandenen Finanzmitteln wächst damit noch weiter – dabei hatte bereits die Pällmann- Kommission seinerzeit eine Nachhaltigkeitslücke von 15 Milliarden Euro diagnostizert. Die Politik von Rot-Grün und Schwarz-Rot hat sich in dieser Hinsicht tatsächlich als extrem unnachhaltig herausgestellt. Wertvolle Bausubstanz wird so lange ver- nachlässigt, bis wir irgendwann nicht mehr umhin kom- men werden, für viel Geld von Grund auf zu sanieren oder katastrophale Straßenverhältnisse in Kauf zu neh- men. Jeder Eigenheimbesitzer wird Ihnen sagen, dass das nicht vernünftig ist. Am Ende werden wir mehr zu bezahlen haben, als nachhaltige Erhaltungsinvestitionen uns in der Gegenwart jemals kosten könnten. Wir leben von der Substanz und überlassen die notwendigen Inves- titionen den nächsten Generationen. Das ist dumm, un- verantwortlich und fahrlässig. Es wird mir auf immer ein Rätsel bleiben, wie gerade die gegenwärtige Koalition in einer Phase der Hochkon- junktur und bei sprudelnden Einnahmen es geschafft hat, bei Mehreinnahmen von 50 Milliarden Euro die Neuver- schuldung um gerade einmal 18 Milliarden zu senken 14444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 (A) (C) (B) (D) und auf der anderen Seite nicht einmal die Investitionen merklich zu erhöhen. Dass die Kolleginnen und Kolle- gen von der SPD beim Umgang mit Geld so ihre Schwierigkeiten haben mögen, ist ja an sich nichts Neues, aber dass nun auch noch die Union sich mit die- sem roten Fieber angesteckt hat, finde ich geradezu er- schütternd. Dabei haben die Verkehrspolitiker der Koalition bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr mit ei- nem Antrag im Ausschuss selbst eingeräumt, dass im Verkehrsbereich vieles im Argen liegt. Doch herausge- kommen ist dabei so gut wie gar nichts. Daran ändert sich auch nichts, wenn Sie noch so oft sagen, Sie hätten den Etat um 600 Millionen aufgestockt. Das ist eine grobe Unwahrheit, wie Sie wissen. 600 Millionen mehr gab es nur gegenüber dem Entwurf für ein Verkehrshaus- halt 2008. Dieser Ansatz lag aber deutlich unter den Ausgaben des Jahres 2007. Real gibt es im nächsten Jahr gerade einmal 78 Millionen Euro mehr für den gesamten Straßenbereich. Bei Mehreinnahmen des Bundes – nicht zu vergessen – von 50 Milliarden Euro. Das ist nicht ein- mal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die Antwort der Grünen auf die verstetigte Nachhal- tigkeitslücke in unseren Infrastrukturinvestitionen lautet nun: Umschichtung. 300 Millionen Euro wollen sie vom Neubau in Erhaltungsmaßnahmen umleiten. Dabei feh- len schon jetzt 500 Millionen Euro pro Jahr, um die In- vestitionsziele des Bundesverkehrswegeplanes zu errei- chen. Der Gesamtetat liegt derzeit bereits bei unter 1 Milliarde Euro. Selbst unter Rot-Grün waren es im Jahr 2001 noch doppelt soviel; bevor dann in den folgen- den Jahren die Neubauinvestitionen gründlich gekürzt wurden. Von daher sollte man meinen, dass die Kolle- ginnen und Kollegen bei den Grünen schon recht zufrie- den mit ihren Erfolgen bei der Neubauverhinderung hät- ten sein dürfen. Aber offenbar wollen Sie keine Ruhe geben, solange in Deutschland auch nur ein Kilometer Autobahn oder Bundesstraße neu gebaut wird. Dem werden wir Freie Demokraten uns mit aller Kraft entgegenstellen; denn auch in der Gegenwart müs- sen wir unsere Infrastrukturen ausbauen. Infolge der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas und der Entstehung neuer Handelsbeziehungen im Zuge der Glo- balisierung müssen wir reagieren. Wir können nicht von der Hand weisen, dass die Wirtschaft wächst. Vor allem auch viele osteuropäische Staaten erleben einen enormen Aufholprozess. Wir können diesen Austausch zwischen den Nationen nun mutwillig blockieren, indem wir nichts gegen den sich anbahnenden Verkehrskollaps un- ternehmen. Oder wir können investieren, um fließenden und damit auch möglichst effizienten Verkehr zu ge- währleisten; denn Stau ist der größte Spritfresser und Umweltverschmutzer. Der Ausbau der Nord-Süd-Verbindungen in Ost- deutschland, Entlastungsstrecken für die rasant wach- senden Hinterlandverkehre, nicht zu vergessen der Bau neuer Umgehungsstraßen zur Entlastung der Ortskerne und der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger sowie zahlreiche noch ausstehende Lückenschlüsse erfordern ein stetiges Investitionsvolumen. Würde der Neubauetat, wie die Grünen es vorschlagen, mal eben um über 30 Prozent gekürzt, wären all diese Aufgaben nicht ein- mal im Ansatz zu lösen. Dabei geht es meines Erachtens hier nicht um den so oft beschworenen Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie. Verkehr ist eine unmittelbare Voraussetzung für ökonomischen, sozialen, aber auch ökologischen Fortschritt. Denn nur durch den intensiven Handel und Verkehr untereinander ist eine moderne Arbeitsteilung überhaupt möglich. In dem Moment, in dem der Verkehr zusammenbricht, bricht auch die moderne Wirtschaft zu- sammen. Diese Arbeitsteilung ist aber nicht nur unab- dingbar für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Verbesserung unseres Lebensstandards. Diese Arbeits- teilung ermöglicht auch einen viel effizienteren Ressour- ceneinsatz. Mit anderen Worten: Die moderne Arbeits- teilung spart Material und Energie. Oder andersherum gesagt: Wenn die Anschaffung eines Produktes zu um- ständlich oder teuer wird, wird der Bedarf durch eine ei- gene Produktion vor Ort gedeckt werden müssen. Statt einer großen Fabrik, die höchst effizient produzieren kann, haben sie also viele kleine Fabriken, die in der Summe einen viel größeren Materialaufwand haben, um die gleiche Menge zu produzieren. Das ist vielleicht ein wenig komplizierter, als die grüne Polemik gegen den vorgeblichen Umweltsünder Verkehr, aber man kommt nicht umhin, zu sagen: Handel und Verkehr sind die Vor- bedingung für Arbeitsteilung, und Arbeitsteilung ist die Voraussetzung für die ökonomische und ökologische Optimierung unserer Wirtschaft. Wenn wir diesen Fortschritt stützen wollen, dann brauchen wir eine ordentliche Verkehrsinfrastruktur – mehr Investitionen in die Erhaltung und den Bau neuer Straßen. Das haben die Grünen nie gelernt, und Schwarz-Rot offenbar leider vergessen. Nur die FDP be- herzigt in diesem Haus offenbar noch diese Lehren. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Damit singen CDU/CSU, SPD und FDP ein Lied von gestern. Das ist kein Hit, sondern eine alte Leier, die nur noch dazu taugt, uns aus den Ohren zu hängen. Denn es ist ja aller- orten zu sehen, dass wir mehr Verkehr ernten, wenn wir mehr Straßen säen. Diese Weisheit ist aktueller denn je. Dagegen hilft die „Mehr-Straßen-Melodei“ überhaupt nicht, wenn es da- rum geht, den Kernproblemen unserer Zeit zu begegnen. Weder dem Klimawandel ist damit abzuhelfen, noch den absehbaren Energieengpässen. Insofern bitte ich die Vertreter des „Alles-muss-mehr- werden“ innezuhalten und die Tatsachen zu beachten. In der Begründung des Antrags steht es klipp und klar: So wie der Bund das Geld im Verkehrsbereich verteilt, wird er den Erhalt der Straßen nur teilweise gewährleisten können: nur zu etwa zwei Dritteln bei den Bundesstra- ßen und nur etwa zur Hälfte bei den Autobahnen. Das ist zu wenig. Statt Denkkapazitäten in den Ingenieursbüros für oft auch abstruse Neubaupläne von Autobahnen zu ver- schleudern, fänden wir Linken es sinnvoller, Hirn- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 14445 (A) (C) (B) (D) schmalz dafür zu nutzen, auch den Etat zum Erhalt von Straßen komplett auszugeben und nicht nur einen Teil davon. Wir können mit der Reparatur von Autobahnen und Bundesstraßen nicht erst dann anfangen, wenn uns Brücken komplett zerbröseln. Da türmt sich offensichtlich etwas auf, das uns und der Generation nach uns teuer zu stehen kommen wird – wenn wir daran nichts ändern. Der uns vorliegende An- trag weist uns angemessen in die richtige Richtung. Da sollten wir das eine Problem – das des mangelhaften Er- halts – nicht mit einem zweiten – nämlich dem, mehr Straßen zu wollen – vermischen. Im Sinne einer fruchtbaren Zusammenarbeit ein Ja der Linken zu diesem Antrag. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Vor dem Hintergrund des sich verschlechternden Erhal- tungszustands der Bundesfernstraßen hat die grüne Bun- destagsfraktion unter Drucksache 16/3141 beantragt, die Unterfinanzierung der Erhaltungsinvestitionen bei Bun- desfernstraßen von mindestens 300 Millionen Euro durch Umschichtung von Mitteln für Maßnahmen des Bedarfs- plans für die Bundesfernstraßen zu beenden und den auf- gelaufenen Instandhaltungsrückstand bei den Bundesfern- straßen durch ein zusätzliches Sonderprogramm mit einem jährlichen Volumen von 300 Millionen Euro über zehn Jahre abzubauen, das ebenfalls durch Umschichtung von Mitteln des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen finanziert wird. Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass sich der Erhal- tungszustand der Bundesfernstraßen in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat. Das hat im Ausschuss auch niemand behauptet. Anstatt dann aber mehr Geld für den Erhalt auszugeben, auch wenn das zulasten der Mittel für neue Maßnahmen gehen sollte, wird einfach nach mehr Geld gerufen. Mit dieser Taktik erreichen Sie, dass der Druck, zukünftig noch mehr für den Erhalt ausgeben zu müssen, nur noch steigt. Anstatt das Problem zu lösen, vergrößern und verschieben Sie es in die Zukunft. Dass große Teile der Politik das Problem noch nicht ein- mal ansatzweise verstanden haben, belegen die Ausführun- gen des Parlamentarischen Staatssekretärs Großmann im Ausschuss. Vordringlichstes Ziel vieler Wahlkreisabgeord- neter seien neue Straßen in ihrem Wahlkreis. Mit dieser Politik wird ein wichtiger Standortfaktor, nämlich eine zuverlässige Infrastruktur, geschwächt. Da- ran sollte aber in diesem Hause niemand Interesse ha- ben. Wenn Sie einer weiteren Verlotterung der Bundes- fernstraßen nicht Vorschub leisten wollen, sollten Sie über Ihren Schatten springen und unserem Antrag zu- stimmen, auch wenn Sie dann in Ihrem Wahlkreis viel- leicht das ein oder andere Bändchen weniger durch- schneiden können. 136. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10
Gesamtes Protokol Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1613600000

Rechnung des Bundesrechnungshofes
für das Haushaltsjahr 2006 – Einzel-
plan 20 –

(Drucksachen 16/6129, 16/7518) . . . . . . .


Zusatztagesordnungspunkt 4:
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD: Gute kon-
junkturelle Entwicklung als Basis für nach-
haltige Rentenfinanzen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS .

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . .

Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . .

Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Andrea Nahles (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 5:
Unterrichtung durch den Nationalen Normen-
kontrollrat: Jahresbericht 2007 des Nationa-
len Normenkontrollrates – Kostenbewusst-
sein stärken – Für eine bessere
Gesetzgebung

(Drucksache 16/6756) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Hildegard Müller, Staatsministerin BK . . . . .

Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

14303 D

14304 A

14304 B

14304 B

14305 C

14306 D

14307 D

14309 A

14310 A

14311 B

14312 C

14313 D

14314 C

14315 D

14316 D

14318 A

14318 B

14320 A

14321 C

14323 B

14324 B

14325 C
14326 C
Tagesordnungspunkt 6:

a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Sportausschusses

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Klaus Riegert, Annette Widmann-
Mauz, Peter Albach, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Dagmar
Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin
Gerster, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD: Sport und Be-
wegung in Deutschland umfassend
fördern – Bewusstsein für gesunde
Lebensweise stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Detlef Parr, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: SPRINT-Studie
des Deutschen Sportbundes darf
nicht folgenlos bleiben – Jetzt bun-
desweite Wende im Schulsport ein-
leiten


(Drucksachen 16/1648, 16/392, 16/5339)


b) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE: Schutz und Förderung des
Sports ernst nehmen – Sportförde-
rungsgesetz des Bundes schaffen

(Drucksache 16/7744) . . . . . . . . . . . . . . .


Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Reinhold Hemker (SPD) . . . . . . . . . . . . .

Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 7:

Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Frank
Schäffler, Jens Ackermann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP: Kredit-
anstalt für Wiederaufbau neu ordnen

(Drucksache 16/6996) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

14327 C

14327 D

14328 A

14329 B

14330 C

14331 D

14333 A

14334 D

14336 A

14338 A

14338 B

14339 B

14341 A

14341 B

14341 D

14342 D

IV

Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 8:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend

– zu der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung: Erster Erfahrungsbericht der
Bundesregierung zum Bundesgleich-

(Berichtszeitraum 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2004)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung: Vierter Bericht der Bundesre-
gierung über den Anteil von Frauen in
wesentlichen Gremien im Einflussbe-

(Vierter Gremienbericht)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Eva
Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Christel Humme, Ingrid Arndt-Brauer,
Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD: Chancen von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina
Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP: Chancen für Frauen auf dem
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verbes-
sern


(Drucksachen 16/3776, 16/4385, 16/4913 Nr. 1, 16/4558, 16/4737, 16/5689)


in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 5:

Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-
Gerigk, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gleichstel-
lung von Frauen und Männern in den Gre-
mien des Bundestages tatsächlich durchset-
zen

(Drucksache 16/7739) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Dr. Eva Möllring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

14343 A

14343 D

14345 A

14345 D

14346 D

14347 A

14347 C

14348 A

14348 A
Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Eva Möllring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 9:

a) Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE: Energiekosten für Privat-
haushalte mit geringem Einkommen so-
fort wirksam senken

(Drucksache 16/7745) . . . . . . . . . . . . . . .


b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Umstieg
auf den öffentlichen Verkehr fördern
und Benzinpreisanstieg sozial abfedern

(Drucksache 16/7524) . . . . . . . . . . . . . . .


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Tagesordnungspunkt 25:

Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr.
Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Walter Riester, Dr.
Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ent-
wicklungs- und Schwellenländer verstärkt
beim Aufbau und bei Reformen von sozia-
len Sicherungssystemen unterstützen und
soziale Sicherung als Schwerpunkt der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit imple-
mentieren

(Drucksache 16/7747) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

14350 A

14351 B

14352 C

14353 D

14355 B

14356 D

14358 A

14358 B

14358 D

14359 A

14359 A

14360 A

14361 C

14361 C

14361 D

14363 A

14364 C

14364 C

14365 A

14366 A

14366 B

14367 C


V

Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . .

Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . .

Tagesordnungspunkt 11:

Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Reinhard
Loske, Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz durch
den Einsatz von CO2-Abscheidung und -La-
gerung

(Drucksachen 16/5164, 16/7264) . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 6:

Antrag der Abgeordneten Michael Kauch,
Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP: Poten-
ziale der Abtrennung und Ablagerung von
CO2 für den Klimaschutz nutzen

(Drucksache 16/5131) . . . . . . . . . . . . . . . . . .



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .

Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 27:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe

– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD: Die Rechte der Roma
in Europa stärken

– zu dem Entschließungsantrag der Abge-
ordneten Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), Alexander Bonde, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Be-
ratung der Großen Anfrage der Abgeord-
neten Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), Grietje Bettin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Situation von
Roma in der Europäischen Union, in den
EU-Beitrittsländern und im Kosovo

– zu dem Entschließungsantrag der Abge-
ordneten Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), Alexander Bonde, weite-

14368 C

14370 A

14370 D

14371 D

14371 D

14372 A

14373 B

14375 A

14376 B

14377 B

14378 A
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Beratung
der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), Grietje Bettin, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Zur Situation von Roma
in der Europäischen Union, in den EU-
Beitrittsländern und im Kosovo


(Drucksachen 16/5736, 16/918, 16/5784, 16/5785, 16/7768)


Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . .

Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 13:

Antrag der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit
Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP: Schutz-
system gegen Sprengfallen unverzüglich
beschaffen

(Drucksache 16/6999) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Zusatztagesordnungspunkt 7:

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts-
ausschusses zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung: Rahmenbeschluss des Ra-
tes zur Änderung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

(inkl. 14960/07 ADD 1 und 14960/07 ADD 2)

KOM (2007) 650 endg.; Ratsdok. 14960/07

(Drucksachen 16/7393 Nr. A.34, 16/7769) . .


Tagesordnungspunkt 14:

Antrag der Abgeordneten Volker Schneider

(Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE: Solidarausgleich in der Rente für
Versicherte mit unterbrochenen Erwerbs-
biografien und geringen Einkommen stär-
ken

(Drucksache 16/7038) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Volker Schneider (Saarbrücken)


(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . .

Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14379 B

14379 D

14381 B

14382 C

14384 A

14385 A

14386 A

14386 B

14386 C

14386 D

14388 A

14389 C

14390 D

14392 A

VI


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Tagesordnungspunkt 10:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Kultur und Medien zu dem An-
trag der Abgeordneten Dorothee Bär,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg
Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD:
Weiterentwicklung des Adressraums im In-
ternet

(Drucksachen 16/4564, 16/6342) . . . . . . . . . .


Tagesordnungspunkt 28:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), Alexander Bonde, weiteren Ab-

geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung der
Strafprozessordnung

(Drucksache 16/7134) . . . . . . . . . . . . . . . .


b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Jerzy Montag, Wolfgang Wieland,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Völker-
strafgesetzbuch wirksam anwenden

(Drucksache 16/7137) . . . . . . . . . . . . . . . .


c) Antrag der Abgeordneten Florian Toncar,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Für eine verbesserte
Zusammenarbeit deutscher Behörden
bei der Verfolgung von Straftaten nach
dem Völkerstrafgesetzbuch

(Drucksache 16/7734) . . . . . . . . . . . . . . . .


Tagesordnungspunkt 12:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und
des Arbeitsgerichtsgesetzes

(Drucksache 16/7716) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Tagesordnungspunkt 16:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab-
geordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE: Eintreten für die
Beendigung der von den USA auferlegten

14392 D

14394 A

14394 B

14394 B

14394 C

14394 D
Wirtschafts-, Handels- und Finanzblo-
ckade gegen Kuba

(Drucksachen 16/5115, 16/5675) . . . . . . . . . .


Tagesordnungspunkt 15:
Antrag der Abgeordneten Renate Künast,
Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Gesundheitscheck der eu-
ropäischen Agrarpolitik – Mit Klimabo-
nus zu Klimaschutz, guter Ernährung und
nachhaltiger Entwicklung

(Drucksache 16/7709) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Tagesordnungspunkt 17:
a) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann,

Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz-
maßnahmen im Luftverkehr ergreifen

(Drucksache 16/5967) . . . . . . . . . . . . . . .


b) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann,
Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Klima- und um-
weltpolitische Herausforderungen der
Hochseeschifffahrt

(Drucksache 16/6790) . . . . . . . . . . . . . . .


Tagesordnungspunkt 19:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter, Winfried Hermann, Anna Lührmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erhaltungs-
rückstand bei Bundesfernstraßen beenden

(Drucksachen 16/3141, 16/4629) . . . . . . . . . .


Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Schutzsystem gegen Sprengfal-

(Tagesordnungspunkt 13)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)



(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gerd Höfer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .

(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


14394 D

14395 A

14395 B

14395 C

14395 D

14396 C

14397 A

14397 C
14398 C
14399 B
14400 A

14400 C


VII

Anlage 3

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Beschlussempfehlung und des Berichts zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Ra-
tes zur Änderung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

(inkl. 14960/07 ADD 1 und 14960/07 ADD 2)


(Zusatztagesordnungspunkt 7)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)


(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . .

Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anlage 4

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Weiterentwicklung des Adressraums im Inter-
net (Tagesordnungspunkt 10)


Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Christoph Pries (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anlage 5

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:

– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung
der Strafprozessordnung

– Antrag: Völkerstrafgesetzbuch wirksam
anwenden

– Antrag: Für eine verbesserte Zusammen-
arbeit deutscher Behörden bei der Verfol-
gung von Straftaten nach dem Völkerstraf-
gesetzbuch


(Tagesordnungspunkt 28 a bis c)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)


(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


14401 B

14402 B

14403 B

14404 B

14405 C

14406 B

14406 D

14407 D

14409 D

14410 D

14411 B

14412 B

14413 B

14414 C

14415 D

14416 C
Anlage 6

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsge-
richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 12)


Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . .

Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 7

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Eintreten für die Beendigung der von den
USA auferlegten Wirtschafts-, Handels- und

(Tagesordnungspunkt 16)


Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anlage 8

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Gesundheitscheck der europäi-
schen Agrarpolitik – Mit Klimabonus zu Kli-
maschutz, guter Ernährung und nachhaltiger
Entwicklung (Tagesordnungspunkt 15)


Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anlage 9

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Anträge:

– Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr
ergreifen

14417 C

14418 D

14419 C

14420 B

14420 D

14421 C

14422 B

14423 A

14424 B

14425 A

14426 A

14426 D

14428 B

14429 B

14430 B

14431 B

14432 B

VIII


– Klima- und umweltpolitische Herausfor-
derungen der Hochseeschifffahrt


(Tagesordnungspunkt 17 a und b)


Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Christian Carstensen (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anlage 10

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Erhaltungsrückstand bei Bundesfernstraßen
beenden (Tagesordnungspunkt 19)


Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


14433 B

14434 D

14435 C

14437 B

14439 B

14440 A

14441 B

14443 A

14443 C

14444 D

14445 A






(A) (C)



(B) (D)

136. Si

Berlin, Donnerstag, d

Beginn: 9


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613600100

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und gute
Beratungen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es eine
Reihe von beachtlichen Ereignissen und Veränderungen
zu vermelden. Seit unserer letzten Sitzung im Dezember
haben die Kolleginnen und Kollegen Marlene
Rupprecht, Antje Blumenthal, Klaus Hagemann,
Bernd Scheelen und – gestern – Gregor Gysi ihren
60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses
gratuliere ich ihnen herzlich und wünsche alles Gute.


(Beifall)


Der Kollege Carl-Eduard von Bismarck hat am
10. Dezember 2007 auf seine Mitgliedschaft im Deut-
schen Bundestag verzichtet.


(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Ulrich Kelber [SPD]: War der Mitglied? Den habe ich ja nie gesehen!)


Rede
– Die folgende Mitteilung ist noch gesicherter als die ge-
rade vorgetragene: Als Nachfolger begrüße ich sehr
herzlich den uns aus früheren Wahlperioden bestens be-
kannten Kollegen Helmut Lamp.


(Beifall)


Schließlich möchte ich auch den Kollegen
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn herzlich begrüßen,
der am 4. Januar 2008 als Nachfolger für die Kollegin
Margareta Wolf die Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag erworben hat.


(Beifall)


Um den neuen Kollegen gleich einen E
der Arbeit zu vermitteln, haben die Frakti
bart, die verbundene Tagesordnung um di
satzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
tzung

en 17. Januar 2008

.00 Uhr

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zur Bekämp-
fung der Jugendkriminalität hinsichtlich Prä-
vention, Straffälligenhilfe und Ausstattung der
Jugendgerichte (siehe 135. Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Unterlaufen von Klimaschutzzielen durch
CDM-Projekte beenden

– Drucksache 16/7752 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren (Ergänzung zu TOP 29)


Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

text
gierung

Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007

– Drucksache 16/6385 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD:

Gute konjunkturelle Entwicklung als Basis für
nachhaltige Rentenfinanzen

ng des Antrags der Abgeordneten
ard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
indruck von
onen verein-
e in der Zu-

ZP 5 Beratu
Irming
Britta

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Gleichstellung von Frauen und Männern in
den Gremien des Bundestages tatsächlich
durchsetzen

– Drucksache 16/7739 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Potenziale der Abtrennung und Ablagerung
von CO2 für den Klimaschutz nutzen

– Drucksache 16/5131 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des
Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

(inkl. 14960/07 ADD 1 und 14960/07 ADD 2)

KOM (2007) 650 endg.; Ratsdok. 14960/07

– Drucksachen 16/7393 Nr. A.34, 16/7769 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick
Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Mehr Chancen durch bessere Bildung und
Qualifizierung

– Drucksache 16/7733 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg
Rohde, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Altersvorsorge für Geringverdiener attraktiv
gestalten

– Drucksache 16/7177 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:

Gesundheitsfonds stoppen – Beitragsautono-
mie der Krankenkassen bewahren

Die Tagesordnungspunkte 9 c, 18 und 23 sollen
abgesetzt und der bisher zur Beratung vorgesehene Ta-
gesordnungspunkt 20 ohne Debatte an die Ausschüsse
überwiesen werden. Außerdem ist vorgesehen, die Ta-
gesordnungspunkte 25, 27 und 28 von Freitag auf Don-
nerstag vorzuziehen. Hierdurch ergibt sich folgende
neue Reihenfolge: Der Tagesordnungspunkt 25 wird
nach dem Tagesordnungspunkt 9 aufgerufen, der Tages-
ordnungspunkt 27 nach dem Tagesordnungspunkt 11,
und auf den Tagesordnungspunkt 14 folgen zunächst die
Tagesordnungspunkte 10, 28, 12 und 16. Das hat sich je-
der sicherlich sofort gut merken können. Für Rückfragen
stehen das Präsidium und die Parlamentarischen Ge-
schäftsführer sonst gern zur Verfügung.

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der in der 85. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Rechtsausschuss (6. Ausschuss) sowie dem
Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss) zur Mitbera-
tung überwiesen werden.

… Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP zur Änderung des
Gentechnikgesetzes

– Drucksache 16/4143 –
überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Der in der 123. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Rechtsausschuss (6. Ausschuss) sowie dem

(9. Ausschuss)


Erster Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des EG-Gentechnik-Durchfüh-
rungsgesetzes

– Drucksache 16/6557 –
überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Der in der 123. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Rechtsausschuss (6. Ausschuss) sowie dem

(9. Ausschuss)


Vierter Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Gentechnikgesetzes

– Drucksache 16/6814 –
überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Ist irgendjemand mit irgendeiner dieser Veränderun-
gen nicht einverstanden? – Das ist nicht der Fall. Dann
haben wir das einvernehmlich so beschlossen.

Wir kommen nun endlich zu den Tagesordnungs-
punkten 3 a und 3 b sowie zum Zusatzpunkt 2:

3 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung

zu den Ergebnissen des Klimagipfels auf Bali

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Vertrauen in Klimaschutzprojekte im Ausland
erhöhen – Clean Development Mechanism
durch Reformen stärken

– Drucksache 16/7006 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Unterlaufen von Klimaschutzzielen durch
CDM-Projekte beenden

– Drucksache 16/7752 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre auch dazu kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, Sigmar Gabriel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die globale Temperatur steigt weiter; die Welt-
bevölkerung nimmt zu; die Weltwirtschaft und die In-
dustrialisierung erfassen fast jeden Winkel dieser Erde.
Damit steigen der weltweite Energiehunger und inzwi-
schen auch auf breiter Front die Energiepreise.

Die gute Nachricht ist: Beiden Herausforderungen,
dem wachsenden Energiehunger der Weltwirtschaft ei-
nerseits und dem Klimawandel andererseits, können wir
mit einer mutigen gemeinsamen Strategie wirksam be-
gegnen: mit einer deutlichen Steigerung der Energie-
und Rohstoffeffizienz in der Produktion und im Kon-
sum sowie mit dem Wechsel zu erneuerbaren Rohstof-
fen, die zu einem immer größeren Anteil aus nachhalti-
ger Erzeugung stammen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist die einzige friedliche Strategie, mit der die wach-
sende Weltwirtschaft ausreichend mit Rohstoffen ver-
sorgt werden kann.

Gewiss, die notwendige klimafreundliche Umstruktu-
rierung der Industriegesellschaft steckt noch in den Kin-
derschuhen. Auf Bali, wo die Weltgemeinschaft den
Startschuss auf dem Weg zu einem neuen Klimaschutz
gegeben hat, konnten wir jedoch die ersten Fortschritte
verzeichnen. Mehr noch: Die letzte Klimakonferenz hat
für die 2008 beginnenden Verhandlungen eine klare
Richtung vorgezeichnet. Im Kern ging es auf Bali um
die Herstellung einer Balance zwischen den Minde-
rungsverpflichtungen der Industrieländer einerseits und
den Beiträgen der Entwicklungsländer zum Klimaschutz
andererseits.

Angesichts der eindeutigen und klaren Warnsignale
aus der Wissenschaft hätten wir Deutsche und Euro-
päer uns vorgestellt, dass man sich noch stärker an den
Erkenntnissen der Wissenschaft orientiert hätte, also
beispielsweise, dass die Industrieländer einer Vermin-
derung der Treibhausgase bis 2020 in der Größenord-
nung von 30 Prozent zugestimmt hätten. Auch wenn
darüber und über die Festlegung eines langfristigen
Ziels kein Konsens mit wichtigen Industrienationen auf
Bali möglich war, war die Konferenz ein Erfolg.

Die Ergebnisse der Konferenz auf Bali bilden eine
gute Basis für den Verhandlungsmarathon der nächsten
zwei Jahre. Die Ergebnisse sind wichtige Leitplanken,
um 2009 auf der Konferenz in Kopenhagen ein zukunfts-
weisendes, weltweites Klimaabkommen zu erreichen,
das stärker und wirksamer als das Kioto-Protokoll ist.
Alle Industrieländer, auch die USA, haben ihre Bereit-
schaft erklärt, ihre Treibhausgase drastisch zu reduzie-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
ren. Zum ersten Mal sind auch die Entwicklungsländer
bereit, Begrenzungen ihrer Emissionen in einem Vertrag
zu regeln.

Was sind nun aber die entscheidenden politischen Vo-
raussetzungen dafür, dass es 2009 in Kopenhagen auch
wirklich zur Unterzeichnung eines neuen und wirksame-
ren Klimaschutzabkommens kommt? Worauf kommt
es nach Bali in diesem Jahr, dem Jahr 2008, an? Ich bin
sicher, am Ende wird die Beantwortung einer zentralen
Frage über die Zukunft des Klimaschutzes entscheiden:
Ist es möglich, einen wirksamen Klimaschutz mit einer
erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung zu verknüp-
fen? Das ist die Kardinalfrage, meine Damen und Her-
ren, um die es auf Bali ging. Darauf können wir in Eu-
ropa und in Deutschland eine positive und erfolgreiche
Antwort geben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zuallererst müssen wir die im letzten Jahr beschlosse-
nen europäischen Klima- und Energiestrategien
glaubwürdig in die Praxis umsetzen. Es waren ganz
maßgeblich die Europäische Union und Deutschland, die
auf Bali durch ihre glaubwürdige Führungsrolle beim
Klimaschutz in der Lage waren, im Streit zu vermitteln.
In der kommenden Woche, am 23. Januar, will nun die
EU-Kommission vorstellen, wie sie die Ziele, die sie im
Jahre 2007 beschlossen hat, in diesem Jahr umsetzen
will. Die Kommission hat in allen Handlungsbereichen
ganz konkret buchstabiert, was die Umsetzung der Ziele
für die Mitgliedstaaten bedeutet. Auch wenn uns das
heute absehbare Ergebnis noch nicht ausreicht und nicht
in allen Bereichen gefällt, verdient zuallererst der Mut
der Europäer, auch der Kommission und der Staats- und
Regierungschefs, die das beschlossen haben, unseren
Respekt. Ich glaube, wir sollten es auch öffentlich sagen:
Das ist wirklich ein Erfolg der Zusammenarbeit in der
Europäischen Union.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Bundesregierung unterstützt dabei die Zielrich-
tung der Kommission ausdrücklich in folgenden Punk-
ten:

Erstens. Beim Emissionshandel wird mit der bisheri-
gen Kleinstaaterei Schluss gemacht. In Zukunft sollen
europaweit für alle Unternehmen die gleichen Spielre-
geln gelten. Damit schaffen wir gleiche Wettbewerbsbe-
dingungen im europäischen Binnenmarkt. Dazu gehören
auch der Verzicht auf 27 verschiedene Obergrenzen für
die CO2-Emissionen aus der Stromproduktion in den
Mitgliedstaaten und stattdessen die Einführung einer
einheitlichen Obergrenze für die CO2-Emissionen aus
der Stromproduktion für ganz Europa sowie das Ziel ei-
ner 100-prozentigen Auktionierung in der dritten Han-
delsperiode.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in den letzten Monaten auch eine Debatte
über die Kohle geführt. Dies, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, ist die Antwort auf Ihre
Kohlediskussion. Statt jedes Kohlekraftwerk in Deutsch-
land und Europa zu verteufeln, selbst dann, wenn es ein
hocheffizientes Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk ist,
muss man den Emissionshandel stärken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Uns geht es doch nicht um Propaganda und Polemik ge-
gen einzelne Kraftwerkstandorte, sondern um die
Begrenzung der CO2-Emissionen, die mit dieser Rege-
lung ermöglicht wird. Wir sorgen in Europa für eine
einheitliche Obergrenze bei den CO2-Emissionen aus der
Stromproduktion, für ein weiteres Absinken der CO2-
Obergrenzen in Europa und vor allen Dingen für eine
klare Einpreisung durch die Auktionierung. Das ist die
Antwort auf Ihre Kohledebatte, und das ist besser, als
durchs Land zu laufen und die Leute verrückt zu ma-
chen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Sie sind doch Miterfinder des Emissionshandels gewe-
sen. Warum bekennen Sie sich nicht zu ihm? Das ist
meine Frage an Sie.

Hinsichtlich Ihrer Alternative, Gas für die Stromver-
sorgung, muss man in Betracht ziehen, was uns der künf-
tige russische Präsident bereits gesagt hat. Gegenüber
dem Durchschnittspreis von 2007 soll das Gas für
Deutschland im Jahr 2008 um 40 Prozent teurer werden.
Abgesehen davon, dass damit weitere Gaskraftwerke in
der Grundlast – und darüber reden wir – eher unwahr-
scheinlich sind, müssten Sie – mit Blick auf die Men-
schen, die weniger als ein deutscher Bundestagsabgeord-
neter verdienen – einmal erklären, wie Sie den dadurch
entstehenden Strompreis im Griff behalten wollen.

Zweitens. Die Kommission sagt klar, welche Ziele die
einzelnen Mitgliedstaaten bei den erneuerbaren Ener-
gien jeweils erfüllen müssen, damit das europäische
Ausbauziel von 20 Prozent bis 2020 erreicht wird. Das
bedeutet für uns in Deutschland etwa eine Verdoppe-
lung. Mit den Beschlüssen der Großen Koalition und des
Kabinetts in Meseberg werden wir diese Verdoppelung
der erneuerbaren Energien in Deutschland schaffen. Das
ist ein großer Erfolg der gemeinsamen Politik dieser Ko-
alition.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Positiv ist auch die Einbeziehung des Flug-
verkehrs in den Emissionshandel.

Viertens. Der für die Carbon Capture and Sequestra-
tion, also die Abscheidung und Speicherung von Koh-
lendioxid, vorgeschlagene Rechtsrahmen ist eine gute
Basis für die geplanten Pilotprojekte.

Gleichzeitig hat die Bundesregierung nach dem der-
zeitigen Stand aber auch Bedenken in folgenden Punk-
ten:

Erstens. Damit die EU in den internationalen Ver-
handlungen glaubwürdig bleibt, ist es wichtig, dass ihre
Maßnahmenprogramme nicht nur das einseitig von der
EU erklärte Ziel einer 20-prozentigen Minderung der






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber dem Jahr
1990 abbilden. Die EU muss, um für die internationalen
Klimaschutzverhandlungen glaubwürdig zu bleiben,
gleichzeitig die Maßnahmen abbilden, die es ihr er-
lauben, im Fall des Erfolgs der Verhandlungen auf das
30-prozentige Minderungsziel der Industriestaaten zu
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung wird sich deshalb auch von diesem
Ziel leiten lassen und hält darum in ihrer nationalen Kli-
maschutzpolitik am Ziel einer 40-prozentigen Senkung
der Treibhausgase fest, um überhaupt ein 30-prozentiges
EU-Ziel zu ermöglichen.

Zweitens. Bislang fehlen weitgehend Vorschläge, wie
wir das Ziel einer 20-prozentigen Steigerung der Ener-
gieeffizienz erreichen wollen, zum Beispiel zu dynami-
schen Effizienzstandards wie dem Top-Runner-Modell;
das ist bisher in der EU zu schwach ausgeprägt, um da-
mit wirklich Erfolge erzielen zu können.

Drittens. Die erfolgreichen nationalen Fördersys-
teme bei den erneuerbaren Energien dürfen durch das,
was die EU-Kommission vorschlägt, nicht gefährdet
werden; denn da gibt es ein echtes deutsches Erfolgsmo-
dell.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. In der Automobilindustrie muss das Ziel
einer Verringerung auf 120 Gramm CO2 pro Kilometer
im Durchschnitt aller europäischen Fahrzeuge ab dem
Jahr 2012 erreicht werden. Dieses Ziel steht bereits in
der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU/CSU aus
dem Jahre 2005. Klar ist aber auch, dass niemandem da-
mit geholfen wäre, wenn sich Hersteller größerer Fahr-
zeuge auf den Weg machen würden, Hersteller kleinerer
Fahrzeuge zu kaufen, um einen Durchschnittsausstoß ih-
rer Fahrzeuge von 120 Gramm zu erreichen, ohne selber
den Ausstoß auch nur um ein einziges Gramm CO2 ge-
senkt zu haben. Das wäre aber die Konsequenz, wenn
wir etwas umsetzen würden, was nicht auf Wettbewerbs-
neutralität beruht und somit keinen fairen Wettbewerb
ermöglicht. Deswegen sind wir der festen Überzeugung,
dass die Kommission ihre jetzigen Vorschläge zur Um-
setzung des 120-Gramm-Ziels überarbeiten muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Fünftens. Die EU-Kommission darf beim Emissions-
handel nicht die Frage offenlassen, wie Wettbewerbs-
verzerrungen der im internationalen Wettbewerb stehen-
den energieintensiven Unternehmen berücksichtigt
werden. Die Industriebranchen, die nicht zum Stromsek-
tor gehören, die im internationalen Wettbewerb stehen
und die den Stand der Technik bei der CO2-Vermeidung
durch Benchmarks erreicht haben, müssen – bis hin zu
einer kostenlosen Zuteilung ihrer Emissionsberechtigun-
gen – die Möglichkeit bekommen, in Europa zu bleiben,
solange die internationalen Klimavereinbarungen keine
gleichen Wettbewerbsbedingungen vorsehen. Das gilt
zum Beispiel für die Stahlindustrie, für die Zementin-
dustrie sowie für die Chemieindustrie und andere Berei-
che der Kunststoffindustrie.

Wer bisher in Europa nur das Ziel einer Senkung von
8 Prozent CO2 verfolgt hatte, der kann solche Fragen
möglicherweise eine Weile ignorieren. Bei 20, 30 oder,
wie wir das wollen, 40 Prozent Minderung von CO2-
Emissionen müssen wir die Frage nach dem internatio-
nalen Wettbewerb beantworten, solange wir keine glei-
chen Wettbewerbsbedingungen durch ein internationales
Klimaschutzabkommen haben, das alle umfasst. In der
Stahlindustrie, in der Zementindustrie und in vielen an-
deren Bereichen sind China und Indien Wettbewerber,
nicht Entwicklungsländer. Wir müssen aufpassen, dass
wir hier nicht unsere wirtschaftliche Kraft verlieren, die
es uns erst erlaubt, eine engagierte Vorreiterrolle im Kli-
maschutz zu spielen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Tatsächlich waren wir 2007 in Sachen Klimaschutz in
Europa erfolgreich, weil die deutsche Ratspräsident-
schaft und die Europäische Kommission an einem
Strang gezogen haben. Das war die Erfolgsbedingung.
Es ist nicht so, dass alle in Europa gleichermaßen von ei-
nem ambitionierten Klimaschutz getrieben sind. Ohne
unser Land hätte die EU-15, die das Kioto-Protokoll un-
terschieben hatte, gegenüber dem Ausgangsjahr 1990
nicht eine Minderung von 2 Prozent ihrer Treibhausgase
erreicht, sondern 4 Prozent mehr emittiert. Deutschland
schafft allein 75 Prozent der insgesamt in der EU für die
Erfüllung der Kiotoverpflichtungen erforderlichen Min-
derung der Treibhausgase. 75 Prozent gehen auf das
Konto unseres Landes! Wir sagen nicht, dass wir besser
als andere sind. Aber wir sollten schon darauf hinweisen,
dass Deutschland seine Leistungsfähigkeit einsetzt, um
einen Riesenbeitrag für die Erfüllung der EU-Ziele zu
leisten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen diesen Schulterschluss beibehalten. Dazu
muss die EU aber auch die wirtschaftlichen Vorausset-
zungen in unserem Land beachten. Es bleibt dabei: Nur
wenn es gelingt, erfolgreichen Klimaschutz in einer er-
folgreichen Wirtschaft in Deutschland und in Europa
durchzusetzen, werden andere Industrieländer einem
weltweiten Klimaabkommen beitreten und damit weitere
Minderungsverpflichtungen übernehmen. Nur dadurch
wird ein gefährlicher Klimakollaps verhindert werden
können. Auch die Schwellenländer werden keine sub-
stanziellen Beiträge leisten, wenn sie den Eindruck ha-
ben, dass der Klimaschutz die wirtschaftliche Entwick-
lung behindert.

Übrigens werden auch die deutschen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer diesen Kurs nur dann enga-
giert unterstützen, wenn der Klimaschutz in eine wirt-
schaftliche Wachstums- und Modernisierungsstrategie
integriert wird. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn
wir einerseits für engagierten Klimaschutz eintreten, da-
für Gesetze und Verordnungen in unserem Land verab-
schieden, mit denen eine CO2-Minderung von bis zu
40 Prozent möglich ist, aber andererseits darauf auf-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
merksam machen, dass es nicht vernünftig ist, unter dem
Deckmantel von Klimaschutz in der Autoindustrie in
Europa eine Wettbewerbsauseinandersetzung zu führen.
Das ist kein Widerspruch. Es sind zwei Seiten einer Me-
daille.

Entgegen manchen Erwartungen hat die Bundesregie-
rung im August 2007 mit ihren Beschlüssen in der Kabi-
nettsklausur in Meseberg ein umfangreiches Klima- und
Energiepaket geschnürt. Das wollen wir in die Tat um-
setzen. Bereits am 5. Dezember haben wir die ersten
14 Gesetze und Verordnungen beschlossen. Sie liegen
jetzt im Deutschen Bundestag zur Beratung. Das haben
wir in nicht einmal dreieinhalb Monaten geschafft. Das
zweite Paket soll am 21. Mai beschlossen werden.

Wir steigern den Anteil erneuerbarer Energien am
Strommarkt auf 30 Prozent, bauen die Förderung nach
dem EEG aus, verdoppeln die Energieproduktivität unse-
rer Volkswirtschaft, zum Beispiel durch die Erhöhung des
KWK-Anteils, schreiben beim Neubau die Nutzung er-
neuerbarer Wärmetechnologien vor und erhöhen die Mit-
tel für die Finanzierung erneuerbarer Wärmetechnik bei
der Altbausanierung von real 130 Millionen Euro im
Jahr 2005 auf sage und schreibe 500 Millionen Euro jähr-
lich, und zwar durchgeschrieben: dieses Jahr 350 Mil-
lionen, ab dem nächsten Jahr bis 2012 500 Millionen. Ich
finde, das ist ein Riesenergebnis. Ich danke dafür herzlich
allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere aber dem
Finanzminister, der seinen Beitrag dazu geleistet hat.


(Beifall bei der SPD)


Wir steigern die Bundesmittel für den Klimaschutz
insgesamt von 870 Millionen Euro im Jahr 2005 auf
rund 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2008. Im Jahr 2009
werden es rund 2,8 Milliarden Euro sein. Das ist mehr
als eine Verdreifachung, und darin sind die Mittel für die
internationalen Klimaschutzprogramme des BMZ noch
nicht einmal enthalten. Das ist das derzeit weltweit
größte Klimaschutzprogramm. Es ist Unsinn, zu behaup-
ten, das sei Rhetorik und in der Praxis nicht wirksam.

Unser Ziel ist es, die deutschen Treibhausgasemis-
sionen im Rahmen eines anspruchsvollen internationa-
len Klimaschutzabkommens bis zum Jahr 2020 um
40 Prozent unter das Niveau des Jahres 1990 zu bringen.
Mit diesem Paket schaffen wir bereits 36 Prozent. Wenn
die Kritiker dieses Paketes sagen, wir würden nur
30 Prozent schaffen, dann ist das fast schon ein Lob;
denn es gibt auf der Welt bislang keinen Industriestaat,
der eine Reduzierung um 30 Prozent dargestellt hat. Das
ist ein wesentlicher Grund, warum wir aus Deutschland
und Europa auf Bali so überzeugend auftreten konnten.

Das Energie- und Klimaprogramm der Bundesregie-
rung ist angesichts der drastisch steigenden Öl- und Gas-
preise zugleich ein starkes Konjunkturprogramm.
Auch bei uns in Deutschland zeigen sich nämlich die
Folgen der Abhängigkeit von den klimaschädlichen
Energieträgern, deren Preise immer weiter ansteigen. So
hat die deutsche Wirtschaft mit steigenden Rohstoff- und
Energiepreisen zu kämpfen. Zwischen 2000 und 2005
haben sich die Kosten für Energie aus Öl verdreifacht
und der Gaspreis hat sich verdoppelt. Vor diesem Hinter-
grund werden die Steigerung der Energieeffizienz in der
gewerblichen Produktion, die energetische Sanierung
von Gebäuden und der verringerte Kraftstoffverbrauch
bei Kraftfahrzeugen für die Industriegesellschaft zum
Motor für Innovationen, Wachstum und Beschäftigung.

Es entstehen völlig neue Industriezweige mit siche-
ren Arbeitsplätzen. Allein im Bereich der erneuerbaren
Energien sind 235 000 neue Arbeitsplätze entstanden.
Mit den Beschlüssen des Kabinetts und hoffentlich auch
mit Unterstützung des Parlaments wollen wir diese Zahl
bis 2020 auf mindestens 400 000 erhöhen und damit fast
verdoppeln.

Die Schubkraft für dieses Konjunkturprogramm kommt
aus einem breit angelegten Förderprogramm zur ökologi-
schen Modernisierung der Industriegesellschaft. Al-
lein mit dem Gebäudesanierungsprogramm und dem
Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien im Wär-
memarkt lösen wir in unserem Land Investitionen mit ei-
nem Volumen von weit mehr als 10 Milliarden Euro aus.
Es gibt kaum ein Programm, bei dem Investitionen und
Innovationen so gut miteinander verknüpft werden. Auch
das ist ein Erfolg der Regierungspolitik dieser Koalition,
auf den wir getrost stolz sein dürfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Folgen der Energie- und Rohstoffentwicklung
und der Klimaveränderungen betreffen alle Menschen.
Besonders negativ sind aber die Ärmeren und die
Schwächeren vom Klimawandel betroffen. Das gilt vor
allen Dingen für Afrika. In Wahrheit können sich höchs-
tens die Reichen auf der Welt einen schwachen Klima-
schutz leisten. Genau das dürfen wir aber nicht zulassen.
Gerade die Armen und Schwachen in unserer Gesell-
schaft und weltweit sind auf einen starken Klimaschutz
angewiesen. Sonst müssen sie allein die Lasten tragen,
die ein ungebremster Energieverbrauch und ein unge-
bremster Klimawandel mit sich bringen.

Auch bei uns in Deutschland treffen steigende Kos-
ten für Energie aus fossilen Klimakillern auf soziale
Ungleichheit. Nicht jeder in Deutschland wird das Ar-
gument vieler Umweltpolitiker verstehen, dass steigende
Energiepreise gut sind, weil sie zu einem sparsamen
Umgang mit Rohstoffen anhalten. Wenn die Energiekos-
ten eines Dreipersonenhaushaltes um sage und schreibe
70 Prozent steigen – das war zwischen 2000 und 2007
der Fall –, die Nominallöhne im gleichen Zeitraum aber
um nur 18 Prozent erhöht werden, gerät die Klimapolitik
schnell in die Defensive. Deshalb müssen wir uns in die-
sem Jahr mit diesem Problem befassen und Lösungsvor-
schläge erarbeiten.

Die wichtigste Antwort auf diese Herausforderung
lautet: Klimaschutz zahlt sich aus. Wer in Effizienz und
erneuerbare Energien investiert, gibt die richtige und of-
fensive Antwort auf steigende Energiepreise. Jeder hat
es in der Hand, durch die Sanierung seines Gebäudes die
Heizkostenrechnung zu senken, durch den Kauf von
Haushaltsgeräten mit niedrigem Stromverbrauch die
Stromrechnung zu vermindern oder durch kraftstoffspa-
rende Autos die Tankrechnung zu drücken. Dabei wer-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
den Privathaushalte und Wirtschaft von der Bundesre-
gierung mit ihren Programmen massiv unterstützt. So
sind zum 1. Januar dieses Jahres für das Marktanreizpro-
gramm neue Förderrichtlinien in Kraft getreten. Die Mit-
tel dafür haben wir bereits erhöht.

Ich will nur ein konkretes Beispiel nennen. Wenn der
Eigentümer eines Einfamilienhauses einen neuen Pellet-
kessel mit Solaranlage einbaut, wird dies mit über
4 300 Euro gefördert; das sind 17 Prozent der Investitio-
nen. Hinzu kommt die jährliche Ersparnis durch vermie-
dene Brennstoffkosten in Höhe von mindestens
1 000 Euro.

Die Entwicklung der Energiepreise und die Bedro-
hung der hart erarbeiteten Einkommen der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer gehört im Jahr 2008 ins Zen-
trum der integrierten Klima- und Energiepolitik. In den
Medien wurde zu Beginn der Woche berichtet, dass al-
lein die Strompreise von 437 Anbietern in den ersten
Wochen des Jahres um durchschnittlich gut 7 Prozent
steigen werden. Der Strompreis für Privathaushalte ist
seit dem Jahr 2000 um 46 Prozent, der Gaspreis sogar
um 100 Prozent und der Preis für Heizöl um 70 Prozent
gestiegen.

Das bedeutet im Ergebnis: Die jährliche Energierech-
nung eines dreiköpfigen Haushaltes ist seit dem Jahr
2000 von etwa 1 300 Euro auf 2 200 Euro gestiegen.
Wohlgemerkt, das durchschnittliche Nettoeinkommen
einer Krankenschwester liegt bei 1 440 Euro, und ein
Arbeiter im Straßenbau verdient nur 1 200 Euro netto.
Da ist es, weiß Gott, nicht egal, ob man im Monat
75 Euro mehr für Energie zahlen muss oder für die Kin-
der und die Rente sparen kann.

Ich halte den Preisanstieg angesichts dieser Zahlen
für ein ernstes Problem, insbesondere für die unteren
Einkommensgruppen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein Niedrigverdiener kann sich nicht ohne Weiteres die
staatlichen Fördermittel zur Altbausanierung holen, weil
ihm die Eigenmittel fehlen. Ein Niedrigverdiener kann
sich auch nicht schnell ein neues Auto kaufen. Deshalb
wird es nicht ausreichen, nur auf mehr Wettbewerb zu
setzen; denn Wettbewerb und stärkere Wettbewerbskon-
trolle brauchen Zeit.

Ich sehe drei Maßnahmen, mit denen wir in einem
ersten Schritt Klimaschutz und eine Dämpfung der
Energiepreise miteinander verbinden können.

Erstens. Wir brauchen Lösungen, damit Vermieter
und Mieter von Investitionen in die Gebäudesanie-
rung profitieren. Dafür bietet das sogenannte Energie-
contracting vielversprechende Perspektiven. Mit dem
zweiten Teil des Energie- und Klimapakets wird die
Bundesregierung Regelungsvorschläge dazu prüfen und
Lösungen finden.

Zweitens. Wenn Vermieter gesetzliche Mindeststan-
dards für Gebäude unterschreiten und sich schlicht und
ergreifend nicht darum kümmern, was im Gesetz steht,
darf dies nicht dauerhaft zulasten der Mieter gehen. In
ihrem Energie- und Klimapaket hat die Bundesregierung
deshalb beschlossen, dass geprüft werden soll, ob der
Mieter in diesem Fall berechtigt sein soll, die in Rech-
nung gestellten Heizkosten entsprechend zu kürzen. Ich
halte das für eine gute Idee. Wir wollen die Vorschläge
des Mieterbundes dazu prüfen und am 21. Mai dieses
Jahres eine Entscheidung treffen.

Drittens. Ganz entscheidend sehe ich dabei die Ener-
gieversorgungsunternehmen in der Pflicht. Sie haben
mit den gestiegenen Energiepreisen und vor allen Din-
gen mit der Einpreisung kostenlos zugeteilter Zertifikate
im Emissionshandel Milliarden verdient. In unserer Ver-
fassung heißt es nicht „Eigentum verpflichtet zu mög-
lichst hohen Börsenkursen“, sondern „Eigentum ver-
pflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der
Allgemeinheit dienen.“


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Da haben die Unternehmen eine wirkliche Aufgabe.

Der neue Chef von RWE, Jürgen Großmann, hat einen
Energiepakt für Deutschland vorgeschlagen und auch
selbst erste Maßnahmen zur Stabilisierung der Energie-
preise durchgesetzt. Das sind gute Ideen und Ansätze. In
einem Energiepaket müssen auch die Energiepreise be-
handelt werden, vor allen Dingen im Hinblick auf die
einkommensschwachen Haushalte. Die Regionalgesell-
schaften von Eon haben zum Beispiel einen ersten Schritt
getan und bieten Sozialtarife an, aber leider zeitlich und
vom Kontingent her sehr begrenzt. Wenn das mehr als
PR sein soll, dann müssen weitere Schritte folgen. Alle
Energieversorger sollten dauerhaft einen solchen Sozial-
tarif in der Grundversorgung anbieten, wie dies die Euro-
päische Energiecharta vorsieht und die EU-Energie-
dienstleistungsrichtlinie ermöglicht.

In einem so reichen Land wie Deutschland darf es
keine Energie- oder Brennstoffarmut geben. Das muss
unser Ziel in der gemeinsamen Klima- und Energiepoli-
tik sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Noch einmal: Beim Klimaschutz haben Europa und
Deutschland eine Führungsrolle. Viele Menschen in In-
dustrie- und Entwicklungsländern setzen darauf, dass
wir im Hinblick auf den Verhandlungsmarathon bis Ko-
penhagen im Jahr 2009 Antreiber und Mittler sind. Wir
sollten sie und uns nicht enttäuschen und unserer Verant-
wortung gerecht werden. Das bedeutet vor allem: Wir
müssen zeigen, dass in der Realität Deutschlands und
Europas erfolgreicher Klimaschutz, wirtschaftliches
Wachstum und Wohlstand zueinander gehören.

Dies wird uns umso besser gelingen, wenn Deutsch-
land als große Industrienation als erste den Nachweis da-
für erbringt, dass moderne Klimaschutzpolitik Innova-
tionen fördert, neue Märkte öffnet, Unternehmen stärkt
und den Menschen praktisch hilft, mit zukunftssicheren
Arbeitsplätzen und der Förderung effizienter Nutzung
der immer knapper werdenden Ressourcen.

Lassen Sie uns gemeinsam handeln. Lassen Sie uns
gemeinsam dafür sorgen, dass auch die soziale Unge-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
rechtigkeit mit einer intelligenten und modernen Klima-
schutzpolitik, die dafür sorgt, dass Klimaschutz, wirt-
schaftlicher Wohlstand und sozialer Ausgleich
Wirklichkeit werden, weltweit bekämpft wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613600200

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst

der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. MarieLuise Dött [CDU/CSU])



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1613600300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deut-

sche Delegation hat auf Bali Geschlossenheit gezeigt.
Anders als in den Delegationen anderer Länder war klar,
dass das Parlament, die Regierungs- und die Oppositions-
fraktionen, die Verhandlungslinie der Regierung unter-
stützt.


(Beifall des Abg. Marco Bülow [SPD])


Wir streiten im Deutschen Bundestag über die Instru-
mente. Über die Ziele sind wir uns aber einig, und das ist
die Stärke der deutschen Klimapolitik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten aber aufhören, das Verhandlungsergeb-
nis von Bali schönzureden. Es gibt keine Einigung da-
rüber, wie viel CO2 denn überhaupt eingespart werden
soll. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum der
Bundesumweltminister hier eigentlich keine Regie-
rungserklärung zu den Ergebnissen der Konferenz auf
Bali abgegeben hat, sondern eine Regierungserklärung
zur allgemeinen Energie- und Klimapolitik der Bundes-
regierung.

Der Bundesumweltminister hat nach der Konferenz
von Bali im Fernsehen gesagt: Wir haben im Text zwar
keine Ziele beschlossen, aber es gibt da eine Fußnote. –
Dazu kann ich nur sagen: Man kann Fußnoten nicht als
Erfolg verkaufen. Was ist das für ein Verständnis von
politischer Führung, wenn man Ziele in Fußnoten verste-
cken muss?


(Beifall bei der FDP)


Selbst wenn man sich auf eine Fußnotenpolitik à la
Gabriel einließe: Hier hat er die Öffentlichkeit hinters
Licht geführt. Denn schaut man sich den Text an, stellt
man fest: Die Fußnote steht an der falschen Stelle. Sie
steht nicht dort, wo es um die Emissionsreduktionen
geht, sondern dort, wo die Größe des Problems beschrie-
ben wird. Hier hätte ich mir vom deutschen Umweltmi-
nister mehr Ehrlichkeit gewünscht.

Meine Damen und Herren, das Gezerre um die Kli-
maziele wird in den nächsten zwei Jahren weitergehen.
Auf Bali haben wir das Ergebnis dessen gesehen, was
die FDP bereits nach dem Gipfel in Heiligendamm kriti-
siert hat. Angela Merkel hat dort keine Einigung auf der
Ebene der G 8 erreicht. Schöne Worte und schöne
Strandkorbfotos dienten ihrem Image als „Miss World“,
aber sicherlich nicht einem guten Ergebnis auf Bali.


(Beifall bei der FDP)


Jetzt kommt es darauf an, dass wir es nachholen, eine
Einigung im Rahmen der G 8 und mit den großen
Schwellenländern zu erzielen. Dabei müssen wir uns im
Klaren sein, dass wir die Entwicklungs- und Schwel-
lenländer nur dann ins Boot holen werden, wenn die
Frage des Technologietransfers vernünftig gelöst wird.
Denn sie sagen zu Recht: Ihr habt mehr wirtschaftliche
und technologische Kapazitäten als wir. Daher brauchen
wir eure Unterstützung. – Es ist klug, hier eine Brücke
zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern zu
schlagen. Denn das macht den Klimaschutz günstiger.

Die Regierung von Brasilien beispielsweise hat auf
Bali dargestellt, dass die Ziele ihres Waldschutzpro-
gramms, durch das viel CO2 eingespart wird, zu Kosten
von umgerechnet 5 Euro pro Tonne erreicht werden,
während wir im Rahmen der Biokraftstoffpolitik, die wir
in Deutschland betreiben, je nach Kraftstoff teilweise
Vermeidungskosten von 300 Euro pro Tonne CO2 haben.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


– Wir kommen gleich dazu, Herr Kelber. – Für die FDP
steht deshalb fest: Wir brauchen weltweit Klimaschutz-
projekte, in Kooperation von Industrie- und Entwick-
lungsländern. Der Clean-Development-Mechanism ist
der Schlüssel dazu.


(Beifall bei der FDP)


Wenn die Linke jetzt fordert, das zu stoppen, dann
versündigt sie sich an der Kooperation von Industrie-
und Schwellenländern und gefährdet das nächste Ab-
kommen. Richtig ist: Wir müssen die Probleme beim
CDM lösen; aber wir dürfen nicht das Kind mit dem
Bade ausschütten.

Ein Durchbruch ist auf Bali tatsächlich erreicht wor-
den, nämlich beim Waldschutz. Hier gibt es gigantische
Potenziale: Die tropischen Regenwälder binden enorm
viel CO2. Würden beispielsweise die Torfwälder auf
Borneo in Indonesien verbrennen, dann entspräche das
der Jahresemission von CO2 der ganzen Welt. Was pas-
siert? Während die Konferenz auf Bali stattfand, brann-
ten Wälder auf Borneo. Das zeigt, wie schlecht die
Rechtsdurchsetzung in diesen Ländern ist. Deshalb bitte
ich die Bundesregierung eindringlich: Wenn Sie jetzt
diesen Ländern – zu Recht – Millionen dafür geben, dass
sie ihre Wälder nicht abholzen, dass die Wälder als Koh-
lenstoffspeicher erhalten bleiben, dann überweisen Sie
dieses Geld bitte nicht den Regierungen aufs Konto in
der Hoffnung, dass die schon das Richtige damit ma-
chen. Fördern Sie stattdessen Projekte, die den Men-
schen vor Ort Einkommensperspektiven ermöglichen,
und verringern Sie dadurch den Druck, die Wälder abzu-
holzen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
Insbesondere mit Blick auf die Entwicklungsministe-
rin sage ich aber auch: Geben Sie nicht neue Geschäfts-
felder an die staatlichen Entwicklungsorganisationen,
sondern stärken Sie die privaten Initiativen, die es in den
Ländern bereits gibt und die gezeigt haben, dass sie es
können.


(Beifall bei der FDP)


Wir sollten uns nicht darauf beschränken, mit dem
Finger zum Beispiel auf die indonesische Regierung zu
zeigen, dass sie ihre Wälder nicht schützen kann, wir
sollten auch selbstkritisch fragen, was wir denn für die
dortigen Wälder tun. Es gibt ja einen neuen Plan der
Minister Gabriel und Seehofer, auf der Grundlage der
Meseberg-Beschlüsse der Bundesregierung, die Beimi-
schungsquote von Biokraftstoffen in Benzin und Die-
sel zu verdoppeln. Das kann man gut finden; aber man
kann auch die Frage stellen, ob wir damit nicht sozusa-
gen den Staubsauger anwerfen, mit dem Ressourcen aus
der Dritten Welt nach Deutschland gesogen werden, und
den Druck in diesen Ländern, die Wälder abzuholzen,
den Anreiz, krumme Geschäfte zu machen, noch erhö-
hen.


(Beifall bei der FDP)


Die Bundesregierung hat zunächst einmal – da
komme ich zu Herrn Kelbers Lieblingsthema – den
Wegfall der Steuerbefreiung für reine Biokraftstoffe
beschlossen und damit den Konkurs von zahlreichen
mittelständischen Kraftstoffunternehmen bewirkt. Sie
haben durch die Beimischung die heimischen Strukturen
in die Knie gezwungen und die großen Industriestruktu-
ren befördert; denn es gibt eben nur wenige große Mine-
ralölkonzerne, die hier als Nachfrager auftreten. Sie wer-
fen also den Staubsauger an und ziehen so richtig
Ressourcen aus den Wäldern ab. Das, meine Damen und
Herren von der Bundesregierung, ist eine Politik, mit der
Sie sich an den tropischen Regenwäldern versündigen.
Vernünftigen Klimaschutz betreiben Sie damit nicht.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Machen Sie einmal einen eigenen Vorschlag!)


Deshalb haben wir einen eigenen Vorschlag in den
Deutschen Bundestag eingebracht, Herr Kelber, nämlich
die Steuervergünstigung für reine Biokraftstoffe zu-
nächst einmal wieder einzuführen, dann eine Proportio-
nalsteuer einzuführen. Eine Erhöhung der Biokraftstoff-
beimischungsquote kommt aus meiner Sicht, wenn
überhaupt, erst dann infrage, wenn die Zertifizierungs-
systeme funktionieren. Davon, dass der Bundesumwelt-
minister auf Papier eine Verordnung drucken lässt, än-
dert sich in Indonesien noch nichts. Wenn Sie die
Quoten erhöhen und sich erst danach um die Zertifizie-
rung kümmern, sind die Wälder längst abgeholzt.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte noch einige Sätze zu der allgemeinen Er-
klärung des Ministers zum Emissionshandel sagen. Ich
habe sehr genau hingehört. Es ist richtig, dass Sie sich
für die Versteigerung ausgesprochen haben. Wir wün-
schen uns für die Stromwirtschaft, dass das möglichst
komplett geschieht. Ich finde aber auch das wichtig, was
Sie über unsere Industrie gesagt haben, dass sie nämlich
im internationalen Wettbewerb steht. Deshalb wäre es in
der Tat blauäugig, zu sagen: Wir versteigern, die Gren-
zen sind offen, und sie werden mit dem, was mit ihnen
im Wettbewerb geschieht, schon klarkommen.

Wir sollten uns aber auch nicht zu früh darauf festle-
gen, dass wir die Zertifikate der Industrie weiterhin kos-
tenlos zuteilen, wie Sie das hier angedeutet haben; denn
es gibt ja verschiedene Optionen. Es gäbe beispielsweise
auch die Möglichkeit, sie an der Versteigerung zu betei-
ligen, um geeignete Rückerstattungsmöglichkeiten zu
schaffen. Ich denke, darüber sollten wir im Parlament
noch einmal sehr intensiv diskutieren. Wir haben eine
Verantwortung für das Klima, aber auch für die Arbeits-
plätze in diesem Land.

An dieser Stelle und in diesem Zusammenhang aber
auch noch eine ganz klare Bitte an die Bundesregierung:
Der Präsident Frankreichs hat in dieser Woche erneut
vorgeschlagen, man solle doch für alle Länder, die das
Kioto-Protokoll nicht unterschrieben haben, sozusagen
border tax adjustment, also – auf Deutsch – Zölle, ein-
führen. Das kann für ein Land, das auf den Freihandel
angewiesen ist, nicht der richtige Weg sein. Deshalb
bitte ich Sie dringend, diesen französischen Vorstoß in
der Europäischen Union zurückzuweisen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613600400

Katherina Reiche von der CDU/CSU ist die nächste

Rednerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1613600500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Konferenz auf Bali war ein großer Erfolg; denn durch sie
wird der Weg für die eigentlichen Verhandlungen über
wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und über die
verbindlichen Ziele zur Verringerung der Treibhausgas-
emissionen frei gemacht.

Zum ersten Mal beginnen jetzt Verhandlungen mit
dem Ziel, dass alle Industrieländer – eben auch die Ver-
einigten Staaten von Amerika – den Ausstoß von Treib-
hausgasen vermindern, und zum ersten Mal haben sich
die Entwicklungsländer – eben auch Indien und China –
verbindlich bereiterklärt, sich am Klimaschutz zu betei-
ligen. Somit hat der Generalsekretär der Vereinten Na-
tionen, Ban Ki-moon, recht, wenn er sagt, dass nach
zwei Wochen harten Ringens auf Bali das Ergebnis als
entscheidender erster Schritt bezeichnet werden muss,
mit dessen Hilfe wir den Klimawandel meistern können.

Noch vor etwas mehr als einem halben Jahr, also vor
dem Treffen in Heiligendamm, sah es bezüglich der Ei-
nigungsmöglichkeiten alles andere als rosig aus. Die
USA waren damals noch zusammen mit Australien das
einzige Industrieland, das das Kioto-Protokoll nicht rati-
fiziert hatte. Wenn man das sehr vorsichtig ausdrücken
möchte, war die US-Regierung wohl nicht ganz davon






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche (Potsdam)

überzeugt, dass der VN-Rahmen der richtige ist, um dem
Klimawandel entgegenzusteuern. Sie haben seit Jahren
gezögert, sich an den Anstrengungen zur Verhinderung
der drohenden Klimakatastrophe zu beteiligen. Die Ent-
wicklungsländer – das gilt insbesondere für China und In-
dien – standen ebenfalls abseits und waren in das Kioto-
Protokoll nicht eingebunden.

Das war die Ausgangslage. Ich glaube, man kann
2007 zu Recht als das wohl wichtigste Jahr für die inter-
nationale Klimapolitik bezeichnen. Im Wesentlichen
ausgelöst durch den Stern-Report hat das Thema Kli-
maschutz nicht nur die Titelseiten aller internationalen
Medien erreicht, sondern auch die Aufmerksamkeit wei-
ter Bevölkerungskreise und damit die Aufmerksamkeit,
die es verdient.

Manch einer mag es vergessen haben, aber die Union
hat 1989 auf ihrem Parteitag nicht nur auf die Konse-
quenzen des Klimawandels hingewiesen – das haben an-
dere auch –, sondern auch eine langfristige drastische
Verminderung von CO2-Emissionen um 50 Prozent ver-
langt. Gleichzeitig forderten wir die Erarbeitung und den
Abschluss internationaler Vereinbarungen zum Schutz
der Erdatmosphäre sowie ergänzender Protokolle zur
Reduzierung des CO2-Ausstoßes, also nichts anderes als
ein Kioto-Protokoll.

Die Konferenz von Bali ist Teil eines langen Prozes-
ses. Es gibt in diesem Prozess aber auch einige Konstan-
ten, insbesondere politische Konstanten. Eine davon ist
unbestreitbar unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel.
1995 hat sie als Bundesumweltministerin und als Präsi-
dentin der ersten Klimakonferenz der Vereinten Natio-
nen in Berlin nächtelang verhandelt, um das Berliner
Mandat auf den Weg zu bringen und damit einen ersten
verbindlichen Schritt zur Reduzierung der Treibhaus-
gase zu erreichen. Das Berliner Mandat machte dann den
Weg für die Erarbeitung des Kioto-Protokolls frei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und
der G-8-Präsidentschaft wurden im Jahr 2007 klimapoli-
tische Meilensteine gesetzt. Man kann sicherlich sagen,
dass diese beiden Präsidentschaften durch das Topthema
„Klimaschutz“ gekennzeichnet waren. So mancher hatte
im Vorfeld der Sitzung des Europäischen Rates im März
2007 möglicherweise Zweifel, ob ein großer Wurf in
Form ehrgeiziger europäischer Ziele gelingen könne.
Aber bei der Sitzung in Brüssel ist es in schwierigen
Verhandlungen gelungen, einen Durchbruch zu erzielen.

Die Europäische Union verpflichtet sich, die CO2-
Ausstöße bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren – um
30 Prozent, falls Industriestaaten anderer Regionen mit-
ziehen –, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamt-
energieverbrauch auf 20 Prozent zu erhöhen, die Ener-
gieeffizienz zu steigern und den Anteil von
Biokraftstoffen auf 10 Prozent zu erhöhen.

Im Juni 2007 gelang in Heiligendamm der Durch-
bruch: Die führenden Industrienationen der Welt er-
kannten erstmals an, dass der VN-Klimaschutzprozess
das richtige Forum ist, um dem Klimawandel entgegen-
zutreten. Die G 8 haben erstmals geschlossen erklärt,
sich auf der Klimakonferenz auf Bali im Dezember 2007
aktiv und konstruktiv zu beteiligen. Ebenso entschei-
dend ist, dass die G 8 gemeinsam in Erwägung zogen,
die globalen CO2-Emissionen bis 2050 um die Hälfte zu
reduzieren. Damit war auch der Gipfel in Heiligendamm
ein Schlüsselereignis und ein Signal für Bali.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir haben nicht nur außenpolitisch gehandelt,
sondern auch innenpolitisch. 2006 wurde der Energie-
gipfelprozess, an dem Politik, Wirtschaft und Verbrau-
cher gleichermaßen beteiligt waren, initiiert. Es gab eine
gute und solide Bestandsaufnahme, welche die Grund-
lage für das integrierte Klima- und Energieprogramm
der Bundesregierung war. Das erste Paket im Rahmen
dieses Programms wurde im Dezember des vergangenen
Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet. Damit legen
wir die Grundlagen zur Erreichung der Klimaschutzziele
in Deutschland, und zwar durch das ambitionierteste
klima- und energiepolitische Vorhaben, das in diesem
Land jemals verabschiedet wurde und auch weltweit bei-
spielgebend ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das vom Bundeskabinett im Dezember verabschie-
dete Paket ist zudem ein Beweis für die Handlungsfähig-
keit und Reformfähigkeit der Großen Koalition. Es ist
uns gelungen, das Paket marktkonform zu gestalten. Wir
setzen auf wirtschaftliche Anreize, auf die Förderung
neuer Technologien, auf moderne Kraftwerkparks, auf
Forschung, auf einen klugen Energiemix und auf Effi-
zienz.

Herr Kauch, Ihre Sorge um die deutsche Biokraft-
stoffindustrie nehmen wir natürlich ernst. Deshalb hof-
fen wir, dass der Biokraftstoffquotenbericht bald vor-
liegt, an dem wir uns orientieren können, wenn wir
gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen. Die angespro-
chene Situation lässt uns alles andere als kalt. Auch in
meiner Region gibt es wirtschaftliche Schwierigkeiten in
manchen Betrieben, teilweise sogar Entlassungen.

Im vergangenen Jahr ist also etwas gelungen, das in
Deutschland über viele Jahre so nicht möglich war, näm-
lich unser Land in Sachen Klimaschutz, Energiesicher-
heit und Energieeffizienz ganz entscheidend voranzu-
bringen. Insbesondere das BMU und das BMWi haben
in einer gemeinsamen Kraftanstrengung in kürzester Zeit
Entwürfe erarbeitet; der Bundesminister hat das ange-
sprochen. Es gilt jetzt, die parlamentarischen Beratungen
in Angriff zu nehmen. Es gibt selten etwas Gutes, das
nicht noch besser werden kann. Deshalb werden wir in-
tensiv miteinander beraten.

Für die Bürger muss immer auch der Sinn der ver-
schiedenen Maßnahmen erkennbar sein. Gängeleien sind
nicht gewollt. Manche nicht enden wollenden Debatten
sind aber nichts anderes als Gängelung oder Symbolde-
batten; eine davon ist sicherlich die Debatte über das
Tempolimit auf Autobahnen. Bislang wussten wir den
Bundesminister an unserer Seite, der zu Recht festge-
stellt hat, dass ein Tempolimit keinen wesentlichen Bei-






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche (Potsdam)

trag zum Klimaschutz leisten kann; es handele sich um
eine Symboldebatte.


(Ulrich Kelber [SPD]: So hat er es nie gesagt!)


Ich gehe daher davon aus, dass auch im BMU trotz an-
derslautender Pressemeldungen wie in der Süddeutschen
Zeitung und in der Berliner Zeitung weiterhin der Kern-
satz gilt: Ein Tempolimit löst das Klimaproblem nicht im
Ansatz. Ich füge hinzu: Die Union ist ein Garant gegen
eine solche Zwangsmaßnahme.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Abschließend gilt mein Dank Bundesminister Gabriel
für sein erfolgreiches Engagement bei der Konferenz auf
Bali.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben beim Klimaschutz eine weite Strecke zu-
rückgelegt, sind aber noch lange nicht am Ziel. Es gilt
das, was der englische Sozialreformer Samuel Smiles
einst gesagt hat: Keine große Leistung wurde je aus dem
Stegreif erbracht. So müssen wir uns damit zufriedenge-
ben, überall auf gleiche Weise vorwärtszukommen, näm-
lich Schritt für Schritt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613600600

Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-

Schröter für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613600700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

War Bali nur eine Fußnote? Ja und nein: Die Klimakon-
ferenz auf Bali sollte die Weichen für den internationa-
len Klimaschutz nach 2012 stellen. Das ist ihr aber nur
zum Teil gelungen.

Gemessen daran, was eigentlich notwendig wäre, um
den Klimawandel wenigstens auf ein erträgliches Maß
zu begrenzen, sind die Ergebnisse mehr als ernüchternd.


(Beifall bei der LINKEN)


Zwar gibt es nun – das ist das wichtigste Ergebnis –
einen Verhandlungsfahrplan für die nächsten zwei Jahre.
Schließlich muss spätestens 2009 in Kopenhagen ein
Post-Kioto-Abkommen stehen. Eine Vorgabe für ver-
bindliche Ziele der Industriestaaten findet sich jedoch
nur in einer Fußnote. Nun könnte man zwar darauf hin-
weisen, dass es sich um einen komplizierten Verhand-
lungsprozess mit widerstreitenden Interessen handelt,
der auch wirtschaftlich schwierig ist – das alles stimmt
auch –, aber man muss auch die Frage stellen, worum es
eigentlich geht und in welcher Situation wir uns gegen-
wärtig befinden.

Im Jahr 2005 wurden weltweit 27 Prozent mehr vom
wichtigsten Klimagas Kohlendioxid in die Luft geblasen
als 1990. Seit der Jahrtausendwende stieg der Ausstoß
mit 3,1 Prozent pro Jahr gar dreimal schneller als im
Jahrzehnt davor. Wenn das so weitergeht, dann wird die
globale Oberflächentemperatur am Ende des Jahrhun-
derts nicht nur 2 Grad höher sein als zu vorindustriellen
Zeiten – das gilt gerade noch als tolerierbar –, sondern
mehr als 6 Grad. Das wäre Wahnsinn; es wäre das Ende
der Welt, wie wir sie kennen.

Durch Stürme, Überflutungen, Dürren würden ganze
Anbauregionen für die Welternährung ausfallen. Was
das für die menschliche Existenz und die biologische
Vielfalt bedeuten würde, ist noch gar nicht auszuma-
chen. Hinzu kommen Sicherheitsrisiken wie der Kampf
um verbliebene Ressourcen, Kriege oder Umweltmigra-
tion.

Wir spielen also ein sehr gefährliches Spiel. Viele
Menschen in diesem Land kennen Knut und jetzt auch
Vera. Viele freuen sich daran. Wir wollen, dass wir Tiere
wie diese Eisbären künftig nicht nur im Zoo sehen kön-
nen. Wir wollen, dass diese Tiere nicht aussterben. Auch
dafür müssen wir Sorge tragen. Insofern haben Vera und
Knut eine besondere Funktion.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir den Klima-GAU verhindern wollen, dann
müssen wir nach Auskunft von Wissenschaftlern inner-
halb der nächsten zehn Jahre die Trendwende schaffen.
Mit einem schlaffen Post-Kioto-Abkommen würde aber
die globale Turboheizung angeworfen. Wie es aussieht,
gäbe es dann keinen Schalter mehr, um sie wieder abstel-
len zu können.

Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, in Bali tat-
sächlich einen Erfolg zu sehen. Zwar haben die EU und
auch Umweltminister Gabriel dafür gekämpft, wenigs-
tens einen Zielkorridor für die wichtigsten Emittenten in
den Fahrplan bis 2009 aufzunehmen. Es ist ebenso klar,
wer solche Ziele verhindert hat: in erster Linie die USA
und einige andere Länder. Ich frage mich: Warum haben
wir die Verhandlungen über zukünftige Minderungsziele
für Industrieländer nicht ohne die USA konsequent ge-
führt und eine schnelle Einigung innerhalb der Industrie-
länder herbeigeführt? Das wäre wahrscheinlich erfolg-
reich gewesen und wäre schneller gegangen. Das sollte
man nicht vergessen.

Als wirtschaftlichen Fortschritt von Bali sehen wir
das Bekenntnis der Schwellen- und Entwicklungsländer,
zukünftig Klimaschutzverpflichtungen zu übernehmen,
die messbar, dokumentierbar und nachprüfbar sind. Die
meisten weiteren Punkte, die auf Bali beschlossen wur-
den, sind demgegenüber mangelhaft. So ist die verein-
barte Ausstattung des Anpassungsfonds für Entwick-
lungsländer, die Ärmsten der Armen, absurd niedrig.
Laut UN-Weltentwicklungsbericht sind bis 2015 rund
86 Milliarden Dollar Hilfe zur Anpassung an die Folgen
des Klimawandels notwendig. 86 Milliarden! Zurzeit
stehen aber nur 500 Millionen Dollar zur Disposition.
Das sind Peanuts. Zu diesem Schluss kommt man, wenn
man daran denkt, für welche anderen Dinge Geld zum
Fenster hinausgeschmissen wird. Wir brauchen hier
mehr Geld.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Im Vergleich zu den 20 Milliarden Euro, die eine Auf-
stockung der Entwicklungshilfe auf die von den EU-
Staaten vereinbarten 0,56 Prozent bringen würde, sind
das Peanuts.

Während die Vertragsstaaten auf Bali keinen Be-
schluss zustande gebracht haben, um Gelder für die Ver-
hinderung weiterer Entwaldungen bereitzustellen, hat
die Weltbank Tatsachen geschaffen; denn mit ihrem be-
schlossenen Programm soll der Regenwaldschutz letzt-
lich in die Kohlenstoffmärkte einbezogen werden. Um
nicht falsch verstanden zu werden: Wir müssen alles tun,
damit der Regenwald erhalten wird und dass die Rodun-
gen so schnell wie möglich gestoppt werden, am besten
sofort.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir meinen aber, dass der Weg der Weltbank ein gefähr-
licher Pfad ist. Offenbar haben die Vertragsstaaten noch
immer nichts aus dem immer offener zutage tretenden
Missbrauch des CDM-Mechanismus, des Anrechnens
von Klimaschutzprojekten in anderen Ländern durch
Zertifikate, gelernt. Im Übrigen wurde auch zu diesem
Thema kein Beschluss gefasst, der künftige Manipula-
tionen bei angeblichen Klimaschutzprojekten in den Ent-
wicklungsländern verhindern könnte. So werden viele
Unternehmen aus den Industriestaaten weiterhin an
Emissionsgutschriften verdienen, welche ökologisch
vollkommen wertlos sind.

Der Schutz des Regenwaldes darf nicht den Kohlen-
stoffmärkten überlassen werden. Dadurch würde der
Tropenwaldschutz zu einem handelbaren Gut, von dem
man sich auch freikaufen könnte. Dagegen wären ein
Verbot des Imports von illegal geschlagenem Tropen-
holz und ein Verbot der Einfuhr von Agrartreibstoffen
aus großflächigem Anbau wirksame Schritte.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann allerdings nicht erkennen, dass es dafür in
Deutschland oder Europa eine politische Mehrheit gibt.
So wird hierzulande seit Jahren ein wirksames Tropen-
waldschutzgesetz torpediert, welches einen Importstopp
von Tropenhölzern zum Ziel hat. Zwar wird sich neuer-
dings allerorten kritisch zu Palmöl- und Zuckerrohrplan-
tagen für Agrarkraftstoffe geäußert, denen Regenwald
und Kleinbauern zum Opfer fallen, zuletzt sogar in der
EU-Kommission. Die Lösung soll nun ein Zertifizie-
rungssystem sein. Ich sage Ihnen aber: Dieser Weg ist
eine Sackgasse. Ich halte ihn für Augenwischerei.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Problem der indirekten Vertreibungen und Abhol-
zungen, die aus der erhöhten Nachfrage der Industrie-
staaten nach Agrarkraftstoffen resultieren, bekommen
Sie damit nicht in den Griff. Zudem sind die bekannt ge-
wordenen Zertifizierungskriterien ein Witz. Der Um-
weltausschuss hat sich vor Ort erkundigt. Wir waren dort
und haben uns das Ganze angesehen. Nicht umsonst
wurden wir, der Umweltausschuss, ausgeladen.

Die Linke ist der Meinung, dass die internationale
Staatengemeinschaft Kompensationsfonds einrichten
muss, welche die Tropenländer bei Verzicht auf Rodun-
gen und bei der Einrichtung von Schutzgebieten unter-
stützen.

Verschiedene Regierungen des Südens hatten im Vor-
feld der Bali-Konferenz den Schutz ihrer Tropenwälder
angeboten, wenn im Gegenzug Kompensationszahlun-
gen fließen. Herr Gabriel, hier könnten Sie ein Exempel
statuieren; das würde der Bundesregierung guttun.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir in der Kli-
mapolitik brauchen, ist Glaubwürdigkeit. Daran können
wir noch arbeiten. Für Deutschland steht und fällt die
Glaubhaftigkeit der Klimapolitik mit der Anzahl der
Kohlekraftwerke, die hier in den nächsten Jahren ge-
baut werden oder eben nicht gebaut werden. Darum wird
sich die Linke weiter gegen den Neubau solcher Meiler
aussprechen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei geht es um Klimaschutz. Wir haben bereits des
Öfteren dargestellt, wie es mit den CO2-Emissionen aus-
schauen wird, wenn diese Kohlekraftwerke gebaut wer-
den.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das hat doch der Umweltminister gerade erklärt!)


Über CCS werden wir uns nachher unterhalten. Wir leh-
nen also den Neubau von Kohlekraftwerken ab.

Abschließend noch zu unserem Antrag. Ich habe schon
mehrmals auf eine Anhörung unserer Fraktion hingewie-
sen, die ergab, dass 30 bis 50 Prozent der gegenwärtigen
Projekte in Asien nicht zusätzlich sind. Das heißt, ein zu-
sätzlicher Klimaschutz gegenüber dem Status quo ist
nicht nachweisbar. Herr Kauch, Sie haben gesagt, ich ver-
sündigte mich. Wir sind nicht prinzipiell gegen CDM.
Aber der CDM-Prozess – das müssten Sie eigentlich un-
terstützen – muss reformiert werden, um Manipulations-
möglichkeiten auszuräumen. Aus diesem Grund fordern
wir ein Moratorium.

Zum Schluss: Klimaschutz hat sehr viel mit sozialer
Gerechtigkeit zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Es kann uns nicht egal sein, was am anderen Ende der
Welt passiert und wie mit den Menschen dort umgegan-
gen wird. Aber dies hat auch mit der Situation in unse-
rem Land zu tun.

Ich habe gehört, was Minister Gabriel über die hohen
Strom- und Gaspreise gesagt hat. Er hat dies sehr deut-
lich thematisiert – ich glaube, zum ersten Mal; wir haben
es bereits des Öfteren getan – und Art. 14 des Grundge-
setzes zitiert. Herr Gabriel, ich habe aber die Erwähnung
des Art. 15 vermisst, der besagt, wenn solche Unterneh-
men nicht primär dem Gemeinwohl dienten, gebe es
auch die Möglichkeit der Enteignung. Darüber müssen
wir reden; so etwas halten wir für sehr sinnvoll. Auch
müssen wir darüber reden, dass die Gewinne abge-
schöpft werden. Ein Hartz-IV-Empfänger kann diese
Preise nicht mehr zahlen. Viele Menschen in diesem
Land können die Energiepreise nicht mehr zahlen. Des-






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
wegen brauchen wir den Mindestlohn flächendeckend.
Gleiches gilt für eine bezahlbare Mobilität; auch das ist
in diesem Land dringend notwendig. Darüber sollten wir
weiter sprechen. Noch einmal: Klimaschutz hat auch
sehr viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das sind die
Themen der nächsten Zeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613600800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Frank Schwabe für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1613600900

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Herr

Kauch, Sie waren rhetorisch gut, aber inhaltlich
schlecht. Den Popanz von einem Fußnotenminister, den
Sie hier aufzubauen versuchen, nimmt Ihnen hier nie-
mand ab. Diejenigen, die auf Bali waren und die Konfe-
renz erlebt haben – viele Kolleginnen und Kollegen wa-
ren dort, Sie selber auch –, wissen, wie die Situation auf
Bali war und welche Rolle dieser Minister dort gespielt
hat. Sigmar Gabriel war dort eigentlich so jemand wie
der Mister Klimaschutz: allgemein anerkannt bei denen,
die aus Deutschland dabei waren, aber auch internatio-
nal.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit gehen wir nicht!)


Er hat wie ein Löwe für die Positionierung einer Ver-
pflichtung der Senkung der CO2-Emissionen um 25 bis
40 Prozent gekämpft. Es ist nun wirklich nicht dem Mi-
nister zuzuschreiben, dass irgendwelche Dinge nicht so
klar vereinbart worden sind, wie wir es gern gehabt hät-
ten.

Als Partei und Fraktion sollten Sie auch etwas vor-
sichtiger sein – ich habe es hier schon einmal gesagt –,
sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen angesichts des-
sen, dass Sie sich in Deutschland noch nicht einmal zum
40-Prozent-Ziel klar bekennen. Ich kenne jedenfalls kei-
nen Beschluss der FDP dazu. Ich überlege mir aber, was
ein FDP-Minister an dieser Stelle international zuwege
gebracht hätte.


(Beifall bei der SPD)


Als Parlament können wir selbstbewusst mit dem um-
gehen, was in den letzten Jahren erreicht wurde, und
auch mit der Rolle, die Sigmar Gabriel auf solchen inter-
nationalen Konferenzen spielen kann, weil er jedes Mal
den Rückenwind des Parlaments hat. Es gibt nämlich
maßgebliche Beschlüsse. Auf der Klimakonferenz in
Nairobi 2006 hat Deutschland eine gute Rolle spielen
können, weil wir im Deutschen Bundestag vorher ver-
einbart hatten, dass wir eine Senkung der Treibhausgas-
emissionen um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen
wollen. Wir konnten jetzt auf Bali eine gute Rolle spie-
len, weil es das Klima- und Energiekonzept der Bundes-
regierung gibt und wir etwas vorweisen konnten. Wir ha-
ben zugesagt, 120 Millionen Euro für internationale
Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Das
war eine Errungenschaft des Parlaments. Wir hier im
Parlament haben die Versteigerung von CO2-Emissions-
zertifikaten durchgesetzt. Anderenfalls wäre es nicht
möglich gewesen, mit dieser Zusage nach Bali zu fahren.
Deswegen wäre es gut, wenn man die Rolle Deutsch-
lands, des deutschen Parlaments, aber auch des deut-
schen Umweltministers nicht kleinreden würde.

Es gibt, was Bali angeht, sicherlich zwei Betrach-
tungsweisen; das ist schon deutlich geworden. Es ist zu
wenig, was auf Bali erreicht wurde, wenn man zur
Kenntnis nimmt, wie der wissenschaftliche Stand eigent-
lich ist. Es ist aber viel erreicht worden, wenn man die
damaligen Einschätzungen in Nairobi bedenkt. Damals
dachten wir, dass wir nicht so weit kommen würden. In-
sofern ist das Glas durchaus halb voll. Es ist jetzt zum
Ersten klar, dass es ein Nachfolgeabkommen für das
Kioto-Protokoll gibt. Es ist zum Zweiten klar, dass die-
ses Abkommen 2009 beschlossen werden soll. Es ist
auch klar, um welche Inhalte es in den Verhandlungen
gehen soll. Was das Ziel der Industrieländer angeht, die
Emissionen um 25 bis 40 Prozent zu senken, gilt: Nach
der Konferenz ist vor der Konferenz. Wir werden hart
um dieses Ziel ringen müssen.

Was die Inhalte angeht, kann ich nur zu einigen weni-
gen Dingen ganz kurz Stellung nehmen. Ich will das un-
terstützen, was Kolleginnen und Kollegen hier schon
zum Thema Waldschutz gesagt haben. Wir waren mit
einer Delegation auf Borneo und haben uns die Situation
anschauen können. Es ist wirklich erschreckend, wenn
man sieht, mit welcher Schnelligkeit der Regenwald ver-
nichtet wird. Deswegen ist es gut, dass es dazu Vereinba-
rungen auf Bali gegeben hat, wenn das auch nur ein ers-
ter Schritt ist. Es ist auch positiv, dass Deutschland in der
Lage ist, für die Durchführung solcher internationalen
Waldschutzprojekte 40 Millionen Euro zuzusagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass es gut ist, dass es Vereinbarungen
– damit gehe ich kurz auf die beiden Anträge der FDP
und der Linken ein – zum Thema CDM gibt, also zu der
Frage, wie man in Entwicklungsländern Klimaschutz-
maßnahmen unterstützen kann. Es geht um die Praktika-
bilität von CDM-Maßnahmen, es geht aber auch um die
Integrität von CDM-Maßnahmen. Da die Bedeutung sol-
cher CDM-Maßnahmen in den nächsten Jahren zu-
nimmt, muss es gerade im Bereich der Integrität Verbes-
serungen geben. Sonst höhlt sich das System aus, und
davon hat am Ende niemand etwas.

Wenn ich sagen müsste, was ich an dem, was auf Bali
passiert ist, bemerkenswert fand, dann würde ich sagen:
Bemerkenswert ist erstens – ich glaube, das muss man
der deutschen Öffentlichkeit sagen – die unglaubliche
Bewegung bei den Schwellenländern. China, Indien,
aber auch andere Länder wie Brasilien haben sich bei ih-
rer Positionierung zum internationalen Klimaschutz in
den letzten Jahren unglaublich entwickelt. Das kann man
nur begrüßen. Zweitens finde ich bemerkenswert, dass
die USA am Ende doch zugestimmt haben. Das spricht
für die Annahme, dass solche Konferenzen gut sind. Es
wird oft gefragt, ob diese Leute alle durch die Welt fah-
ren müssen. Es ist auf Bali deutlich geworden, dass es






(A) (C)



(B) (D)


Frank Schwabe
eine Konferenzdynamik gibt. Die USA haben gemerkt,
dass sie sich ein Stück weit isoliert haben. Deswegen
gab es am Ende doch die Zustimmung zu dem Abkom-
men, das auf Bali beschlossen wurde. Drittens ist bemer-
kenswert, dass Deutschland und Europa eine Vorreiter-
rolle eingenommen haben. Eine solche Vorreiterrolle
kommt nicht von selbst. Das Thema Vorreiterrolle ist ge-
legentlich bei dem einen oder anderen hier im deutschen
Parlament durchaus noch umstritten. Wenn man eine in-
ternationale Führungsrolle einnehmen will, dann muss
man Vorbild sein und vorangehen.

Dazu dient unter anderem das Klima- und Energie-
paket, das national und international wirklich einzigar-
tig ist. Es geht jetzt darum, zu beweisen, dass wir in der
Lage sind, dieses Paket schnellstmöglich umzusetzen.
Das heißt, im ersten Halbjahr haben das Parlament und
die Regierung diese Aufgabe zu erfüllen. Wir werden
dann vor allen Dingen zusehen müssen, dass es eine re-
gelmäßige Überprüfung der Maßnahmen gibt. Dann ist
die Aufgabe für uns, zu überlegen, wie wir das 5-Pro-
zent-Delta, das noch übrig bleibt – denn wir schaffen mit
dem Paket eine Senkung von etwa 35 Prozent –, in den
nächsten Jahren schließen können. Im Gegensatz zu
Frau Reiche glaube ich, dass das Tempolimit eine Maß-
nahme ist, deren Einführung in den nächsten Jahren an-
zustreben ist. Jedenfalls sieht es die SPD so.


(Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD] – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es hat nur eine geklatscht! – Beifall des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])


Auf der Tagesordnung stehen in den nächsten Mona-
ten für die SPD – der Minister hat es deutlich gemacht –
die Themen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.
Klimaschutz kostet etwas – das ist wahr –; unterlassener
Klimaschutz kostet aber noch mehr.

Wir müssen Fragen beantworten, zum Beispiel: Wie
sieht es eigentlich mit der „zweiten Miete“ aus? Wie kön-
nen wir ein gemeinsames Interesse von Mietern und Ver-
mietern herstellen, diese „zweite Miete“ im Sinne von
Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit zu senken? Wie
sieht es eigentlich – auch das muss auf die Tagesordnung
der Koalition – mit spritfressenden Dienstwagen aus? Es
kann nicht sein, dass sie staatlich noch gefördert werden.
Das ist weder gut für den Klimaschutz noch sozial ge-
recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die nationalen Aufgaben in den nächsten Monaten
sind klar umrissen: die Umsetzung von Meseberg I
und II, die Beantwortung der Frage, wie wir die 5-Pro-
zent-Lücke schließen, und im Übrigen eine klare Aus-
richtung auf die Zukunft über das Jahr 2020 hinaus. Ich
glaube, auch dies sollte eine Perspektive sein. Frau
Reiche hat heute ein bisschen für die Geschichtsbücher
vorgetragen, als sie erzählt hat, was für Positionen die
CDU schon 1989 hatte.


(Katherina Reiche [Potsdam] [CDU/CSU]: Das sollten Sie mal erfahren, Herr Schwabe!)

Es ist toll, dass es diese Positionen gab. Es wäre gut,
wenn sich die Große Koalition in gemeinsamen Be-
schlüssen darauf verständigen könnte, dass wir das Ziel
einer Senkung um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 anstre-
ben. Die SPD ist dazu bereit. Die Union muss klarstel-
len, ob sie ebenfalls dazu bereit ist.

Die nächsten internationalen Verhandlungen finden
2008 in Posen und 2009 in Kopenhagen statt. Schwarz-
Rot wird sich den Herausforderungen – in Kontinuität
der rot-grünen Bundesregierung – stellen. Jedenfalls für
die SPD kann ich das zusagen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613601000

Das Wort hat nun die Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613601100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

werten heute die Ergebnisse der Konferenz von Bali aus.
Ich möchte mit der Bewertung durch die Bundesregie-
rung beginnen. Bundeskanzlerin Merkel hat das Ergeb-
nis der Konferenz von Bali als großen Erfolg gefeiert.
Der Umweltminister hat daraus einen Riesenerfolg ge-
macht. Auch heute haben Sie, Herr Gabriel, noch von
Erfolg gesprochen. Ich persönlich muss sagen: Ange-
sichts des weltweiten Problems der Klimaerwärmung ist
diese Bewertung eine Schönfärberei. Wir brauchen viel
mehr als das, was auf Bali erreicht worden ist, um dem
Klimawandel entgegenzuwirken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die CO2-Emissionen sinken nicht, sie stagnieren nicht,
sondern sie steigen, und zwar so dramatisch wie noch
nie in der Vergangenheit. Das sollten wir immer berück-
sichtigen, wenn wir über die Erfolge und Misserfolge
der Konferenz von Bali reden.

Man muss deutlich und klar herausstellen: Dass auf
Bali nicht mehr erreicht wurde, ist aber nicht die Schuld
der Bundesregierung. Die deutschen Bundesregierun-
gen haben auf internationalen Konferenzen wie dieser
traditionell eine sehr starke Stellung. Sie haben sich dort
nämlich immer sehr konstruktiv verhalten. Wir haben
zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu ei-
nem Vorzeigeprojekt gemacht. Auch in diesem Sinne hat
der Bundesumweltminister auf Bali agiert.

Ich muss allerdings auf Folgendes hinweisen: Kaum
war er zurück, schon hat er all das vergessen, was er auf
Bali gesagt hatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die erste große konkrete Herausforderung war die Reak-
tion auf den Vorschlag der EU-Kommission, endlich ein-
mal etwas gegen den CO2-Ausstoß der Autos zu tun.
Wie hat Herr Gabriel darauf reagiert? Plötzlich war er
ein Klimabremser; all das, was er auf Bali gesagt hatte,






(A) (C)



(D)


Bärbel Höhn
hat er vergessen. Er hat – ich zitiere Herrn Schwabe –
„gekämpft wie ein Löwe“, aber nicht für den Klima-
schutz, sondern für die Automobilindustrie. Das war
das Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lutz Heilmann [DIE LINKE])


Wirtschaftsminister Glos hat von einem Vernich-
tungsfeldzug gegen die Automobilindustrie gesprochen.
Gabriel hat gesagt, das sei ein Wettbewerbskrieg
zwischen der deutschen, der französischen und der ita-
lienischen Automobilindustrie. Das ehemalige VW-Auf-
sichtsratsmitglied Gabriel hat sich gegen den Umweltmi-
nister Gabriel durchgesetzt, und das sollte in Zukunft
nicht mehr der Fall sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht hier um den Klimaschutz.

Deutschland hat sich also an die Spitze des Wider-
stands gegen einen Klimaschutzvorschlag der EU-Kom-
mission gesetzt. Leider hat das Europäische Parlament
mit den Stimmen von Sozialdemokraten und Konservati-
ven beschlossen, die Grenzwerte aufzuweichen und ihre
Einführung auf 2015 zu verschieben. Das ist ein An-
schlag auf den Klimaschutz, und Sie, Herr Minister, ha-
ben die Steilvorlage dafür geliefert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ich sage Ihnen: Wenn Sie auf Bali den Retter des Klima-
schutzes spielen und hier den Schutzpatron der Automo-
bilindustrie, dann nehmen Sie eine Doppelrolle ein, die
die Leute Ihnen nicht mehr abnehmen. Wir werden dafür
sorgen, dass das publik wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf den Punkt Kohlekraftwerke einge-
hen. Es ist spannend, dass der Bundesumweltminister
selber auf die Kohlekraftwerke zu sprechen gekommen
ist. Momentan sind 24 neue Kohlekraftwerke in
Deutschland nicht nur geplant, sondern entweder schon
genehmigt oder kurz vor der Genehmigung. Gerade in
Niedersachsen ist der Wildwuchs dieser Klimakiller be-
sonders schlimm. In Wilhelmshaven sollen zum Beispiel
fünf bis sechs Blöcke gebaut werden: ein Riesenkohle-
kraftwerk, und das ohne Wärmeauskopplung. Sie als
Umweltminister unterstützen das auch noch! Das ist ein
Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn sich in Krefeld die Genossen, die Sozialdemo-
kraten, gegen ein Kohlekraftwerk aussprechen, dann
werden Sie herbeizitiert, dann müssen Sie nach Krefeld
reisen, um die Sozialdemokraten davon zu überzeugen,
dass sie für ein Kohlekraftwerk stimmen. Das ist keine
Klimapolitik, sondern eine Politik für Klimakiller, nicht
mehr und nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde die Argumentation des Ministers Gabriel ex-
trem spannend: Wir haben doch den Emissionshandel,
durch den der CO2-Ausstoß gedeckelt wird; deshalb ist
das mit den Kohlekraftwerken gar nicht so schlimm. –
Kollege Kelber hat gerade in einem Phoenix-Interview
gesagt, man habe sich in Bonn gegen das Kohlekraft-
werk entschieden, weil die Emissionszertifikate immer
teurer würden und sich das neue Kohlekraftwerk nicht
rechne. Logisch weitergedacht, heißt das doch: Minister
Gabriel weiß, dass der Emissionshandel den CO2-Aus-
stoß deckelt, er weiß, dass die Emissionszertifikate im-
mer teurer werden; trotzdem geht er vor Ort und bringt
die Menschen dazu, in die falschen Kraftwerke zu inves-
tieren, in Kraftwerke, die sich in Zukunft nicht mehr
rechnen. Sie gehen vor Ort und argumentieren für Inves-
titionen, die in den Sand gesetzt werden. Das ist ein ab-
soluter Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Kondensationsund KraftWärme-Kopplungs-Kraftwerk?)


– In Wilhelmshaven geht es nicht um ein Kraft-Wärme-
Kopplungs-Kraftwerk. Erkundigen Sie sich einmal, wie
in großen Kraftwerken Wärme ausgekoppelt werden
soll.


(Ulrich Kelber [SPD]: In Krefeld geht es um ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk und nicht um ein Kondensationskraftwerk! Sie verstehen die Unterschiede zwischen den Kraftwerken nicht! Das ist erschreckend!)


Ich komme zu einem anderen Punkt. Heute Morgen
hat ein Vertreter der Stahlindustrie gesagt: Wir kommen
nicht damit klar, dass Emissionszertifikate versteigert
werden sollen; dadurch werden 50 000 Arbeitsplätze ge-
fährdet. Wenn die Industrie sagt, die Versteigerung von
Emissionszertifikaten sei ein großes Problem, dann wird
Minister Gabriel der Erste sein, der sich auf die Seite der
Industrie schlägt und damit vordergründig etwas für die
Industrie tut; langfristig gefährdet er damit aber Arbeits-
plätze, weil notwendige Umstrukturierungen nicht voll-
zogen werden. Das ist das Problem des Umweltministers
Gabriel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben mehrfach gesagt: Für die Glaubwürdigkeit
der Bundesrepublik Deutschland auf internationalen
Konferenzen ist es entscheidend, dass wir eine Vorreiter-
rolle einnehmen. Diese Rolle nehmen wir in Deutsch-
land momentan nicht ein. Der durchschnittliche CO2-
Ausstoß pro Person in Deutschland ist höher als der EU-
Durchschnitt; auch das sollten wir uns klarmachen.

Das letzte Jahr, 2007, war das Jahr der klimapoliti-
schen Ankündigungen der Bundesregierung. Wir, die
Grünen, werden darauf drängen, dass 2008 das Jahr der
Taten wird. Das heißt, man muss ein Tempolimit einfüh-
ren, sich in der Kohlefrage anders verhalten und sich für
strengere Emissionsgrenzwerte bei Pkw einsetzen. Kli-
maschutz wird am Ende an den konkreten Projekten be-
urteilt und nicht an irgendwelchen großen Reden, die
man auf internationalen Konferenzen schwingt. Hier
wird Klimapolitik für Deutschland gemacht. Wir erwar-

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
ten, dass die Bundesregierung den großen Worten Taten
folgen lässt, und zwar hier in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613601200

Nun hat der Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1613601300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Delegation des Umweltausschusses war schon vor
der Konferenz von Bali in Indonesien, um den Anbau
von Ölpalmen in der Praxis zu sehen; später nahm die
Delegation an der Konferenz teil. Es ist schon einiges zu
der Konferenz auf Bali gesagt worden. Mir ist aufgefal-
len, dass Deutschland besonders bei den Entwicklungs-
und Schwellenländern eine hohe Glaubwürdigkeit hat.
Das kommt daher, Frau Kollegin Höhn, dass 2007 eben
nicht das Jahr der Ankündigungen war, sondern das Jahr,
in dem ein deutsches Klimapaket ausgearbeitet und am
5. Dezember 2007 im Kabinett verabschiedet wurde.
Das kommt auch daher, dass die deutsche Bundeskanzle-
rin in ihrer Rede beim Besuch in Japan gesagt hat: Jeder
Mensch auf der Erde hat das gleiche Recht, die Atmo-
sphäre zu beanspruchen; 2 Tonnen pro Kopf müssen das
Ziel sein; auf diesen Wert müssen auch wir mit unserem
Lebensstil herunterkommen. – Das hat viel Glaubwür-
digkeit und Vertrauen in die deutsche Delegation ge-
schaffen. Auch ist das Vertrauen in die deutsche Tech-
nik, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, am
größten. Das ist eine Riesenchance für unsere Wirt-
schaft.

Ich möchte jetzt aber besonders auf die Problematik
des Ölpalmenanbaus eingehen. Wir haben auf Borneo
gesehen, dass praktisch für alle Ölpalmenplantagen Re-
genwälder gerodet werden, weil die internationalen
Konzerne erst den Ertrag aus den wertvollen Tropenhöl-
zern haben wollen. Auf den gerodeten, abgebrannten
Flächen bauen sie dann die Palmbüsche an. Wenn die
nach 10 bis 15 Jahren zusammenbrechen, überlässt man
die Flächen sich selbst und geht in ein anderes Gebiet.

Wir müssen uns nun wirklich überlegen, ob wir un-
sere Beimischungsquoten nach oben schrauben, bevor
wir ein wirksames Kontroll- und Zertifizierungssystem
installiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Punkt, Herr Kollege Kauch, stimmen wir Ih-
nen zu.

Wir sind natürlich in einer Zwangslage; denn die
Frage ist, wie wir den Anteil von Biotreibstoffen sonst
erhöhen können. Unsere Position ist die, dass wir mög-
lichst viel im eigenen Land erzeugen müssen, weil hier
ökologisch besser kontrolliert wird. Wir haben in der
Konferenz dargestellt, wie die europäische Agrarpolitik
funktioniert, mit dem Kontrollsystem InVeKoS zum Bei-
spiel. Schon ein falsch abgelagerter Misthaufen kann zur
Kürzung der Prämie für einen europäischen Bauern füh-
ren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Mir kommen die Tränen!)


Es ist auch ohne Weiteres technisch möglich, die Regen-
waldrodung über Satelliten so zu kontrollieren, dass
praktisch jeder Stamm verfolgt werden kann.

Wir sind ganz entschieden dafür, dass es einen finan-
ziellen Ausgleich für den Schutz der Regenwälder gibt.
Die 40 Millionen Euro im deutschen Klimapaket sind da
ein sehr kraftvoller Beginn.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Andere Länder haben das nicht in dieser Größenord-
nung. Aber es muss Hand in Hand mit einem wirksamen
Kontrollsystem gehen.

Wir dürfen die Biokraftstoffproduktion im eigenen
Land aber nicht durch eine zu schnell ansteigende Be-
steuerung abwürgen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da mag es manche geben, die die ökologische Effizienz
hinterfragen und sagen: 2015 haben wir BTL-Kraft-
stoffe. – Aber wir brauchen jetzt Lösungen. Alle diejeni-
gen, die sagen: „Es gibt etwas Besseres; das ist nicht
ideal“, muss ich nach der Alternative fragen. Solange
wir BTL nur in Apothekermengen zur Verfügung haben,
Herr Bundesfinanzminister, darf man den mittelständi-
schen Markt für Biotreibstoffe nicht mit einer zu schnell
ansteigenden Besteuerung abwürgen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir bitten darum, noch einmal über diese Dinge
nachzudenken. Unser Energie- und Klimapaket sucht in
der Welt seinesgleichen. Wir müssen uns immer wieder
die Frage stellen: Wie machen wir es richtig, zum Bei-
spiel in der Balance zwischen den Energiebauern und
den Bauern, die Lebensmittelerzeugung betreiben? Da-
rauf gibt es keine endgültige Antwort. Das ist auch eine
schwere Frage. Deswegen ist hier immer wieder Korrek-
tur, Schritt für Schritt, nötig. Ich denke, wir sind insge-
samt auf einem guten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613601400

Der Kollege Horst Meierhofer ist der nächste Redner

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1613601500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Göppel, es war richtig angenehm und schön, Ihrer
Rede zuzuhören. Im Gegensatz dazu waren die Ge-






(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
schichten, die Frau Höhn vorher in ihrer Rede erzählt
hat, zum Teil haarsträubend.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man muss sich vor dem Hintergrund unseres Zieles, den
Klimaschutz insgesamt zu verbessern, einmal klarma-
chen, was Sie in Ihrer Rede gebracht haben: Sie be-
schweren sich darüber, dass in Wilhelmshaven das mo-
dernste Kohlekraftwerk der Welt gebaut wird, bei dem
später auch die Möglichkeit bestehen wird, CO2 abzu-
scheiden.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn?)


Diese Möglichkeit besteht in Zukunft. Davor verschlie-
ßen Sie aber ebenso die Augen wie vor der Tatsache,


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dass in China riesige Mengen an Kohle herumliegen.
Wie gehen Sie damit um? Glauben Sie tatsächlich, dass
diese Kohlevorkommen nicht zur Energieerzeugung ein-
gesetzt werden und die Chinesen ausschließlich auf er-
neuerbare Energien setzen werden?


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schneller als die FDP!)


Mit Sicherheit nicht! Deswegen müssen in Deutschland
auch für den Kohlebereich Anlagen mit modernsten
Techniken entwickelt werden, die dann zum Beispiel
nach China exportiert werden könnten. Vor diesen Fak-
ten darf man doch nicht die Augen verschließen und so
tun, als ob wir in Deutschland das Klimaweltproblem lö-
sen könnten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn dies die Haltung der Grünen ist, täte mir das wirk-
lich sehr leid.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: FDP ist für mehr Kohlekraftwerke in Deutschland!)


Ich kann allerdings auch die Große Koalition nicht
völlig ungeschoren davonkommen lassen. Man konnte
hier ja hören, wie schlimm und schwer zu verstehen es
für alle Beteiligten ist, dass so viel Regenwald abgeholzt
wird. Vielleicht sollte man sich vor diesem Hintergrund
einmal Gedanken darüber machen, ob das EEG, so wie
es momentan ausgestaltet ist, nicht dazu führt, dass zum
Beispiel auch in deutschen Blockheizkraftwerken Palmöl
verwendet wird, das aus Indonesien importiert wurde.
Sie sollten sich Gedanken machen, ob man hier in
Deutschland nicht vielleicht politisch tätig werden sollte,
damit die Verwendung solchen Öls, beispielsweise aus
Asien, nicht mehr interessant ist.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie sich einmal den Gesetzentwurf angeschaut, oder reden Sie einfach so drauf los?)

– Sie haben ja wohl die Fakten auf dem Tisch liegen.
Auch ich war bei den Betroffenen.

Ich möchte jetzt an dieser Stelle noch ein paar Punkte
zum Clean-Development-Mechanism, zum CDM, an-
führen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lohnt sich gar nicht in drei Minuten!)


Ich denke, dass hiermit eine echte Möglichkeit besteht,
international etwas zu erreichen. Ich glaube, dass es
nicht ausreicht, wenn wir ausschließlich in Deutschland
versuchen, das Weltklima zu retten. Vielmehr müssen
wir schauen, dass wir durch effektive und günstige Maß-
nahmen auch dort etwas tun, wo die finanziellen Mög-
lichkeiten nicht vorhanden sind. Das ist in der Dritten
Welt, in Entwicklungsländern, aber auch in Schwellen-
ländern der Fall. Da hätten wir mit Techniken aus
Deutschland die Möglichkeit, Antworten zu geben, in-
dem deutsche Firmen auf diesem Wege Zertifikate erhal-
ten, die es ihnen ermöglichen, die Klimaschutzziele zu
erreichen. Damit könnte also tatsächlich ein Schritt nach
vorne getan werden. Wenn wir die Möglichkeit schaffen,
dass deutsche Unternehmen auch im Ausland Klima-
schutzzertifikate ersteigern dürfen, würden wir damit zu-
gleich etwas Positives für das Klima wie für die deutsche
Wirtschaft tun. Das wäre doch ideal. Darum hat die FDP
hier den Antrag zu CDM gestellt.

Sie, Frau Bulling-Schröter, haben für die Fraktion Die
Linke gefordert, ein Moratorium zu beschließen. Ich
denke da sofort an manch andere Moratorien, die in der
Vergangenheit beschlossen wurden, die uns nicht nach
vorne gebracht haben. Das gilt sicher auch für dieses
Moratorium. Deshalb müssen wir handeln und die Pro-
bleme, die zum Beispiel auch der WWF angesprochen
hat, jetzt lösen. Dafür sieht die FDP bei Umsetzung ihres
Antrages sehr gute Möglichkeiten.

Deswegen, meine Damen und Herren, kann ich Ihnen
nur raten, wenn Ihnen der Klimaschutz wirklich am Her-
zen liegt und Sie dafür wirklich etwas tun wollen, hier
nicht nur schöne Reden zu halten, sondern auch dem An-
trag der FDP zuzustimmen.

Danke.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613601600

Das Wort hat nun der Kollege Marco Bülow für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1613601700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-

land hat auf Bali eine gute und wichtige Rolle gespielt.
Das habe Tradition, hat Frau Höhn gesagt. Das stimmt,
aber man muss auch jedes Mal wieder neu beweisen,
dass man diese Rolle ausfüllen kann. Dazu war es wich-
tig, dass wir Folgendes im Gepäck hatten: Erstens zeigte
das Maßnahmenpaket, das wir auf den Weg gebracht
hatten, dass wir den Klimaschutz in Deutschland ernst
nehmen. Zweitens hatten wir Gelder für internationale






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
Klimaschutzmaßnahmen mitgebracht. Nur deswegen
konnten wir diese Rolle auf Bali einnehmen.

Ich danke dem Minister, dass er versucht hat, die Eu-
ropäer noch einmal anzutreiben, da mitzumachen und
mitzuziehen. Es war nämlich nur deshalb möglich, das
eine oder andere zu erreichen, weil alle Europäer an ei-
nem Strang gezogen haben. Das muss aber auch so blei-
ben und auf den nächsten Konferenzen wieder deutlich
werden. Es braucht den Motor Europa, aber auch den
Anlasser für diesen Motor; diese Aufgabe muss
Deutschland wahrnehmen. Das sind wir, wie ich denke,
den Menschen insgesamt auf der Welt, aber auch den
Menschen im eigenen Lande schuldig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt sind wir im Parlament am Zug, uns die Gesetze
in dem Paket, das die Bundesregierung zum Klimawan-
del geschnürt hat, anzuschauen und zu prüfen, wie wir
diese Maßnahmen beschließen und auf den Weg bringen
können. Diese Aufgabe wird das nächste halbe Jahr prä-
gen; wir sollten es gut nutzen.

Den Streit um die Fußnote kann ich langsam nicht
mehr hören. Natürlich kann man sagen, dass sich etwas
in einer Fußnote versteckt. Aber eines sollten wir klar-
stellen: Auf dieser Konferenz war das das Maximum,
das herausgeholt werden konnte, egal unter welcher Re-
gierung und unter welchem Verhandlungsführer. Ich
möchte auf drei Aspekte eingehen, bei denen ich glaube,
dass wir dort einen Schritt weitergekommen sind; das
darf man nicht einfach außer Acht lassen.

Erster Punkt. Selbst die US-Regierung – nicht die
Amerikaner; die sind ohnehin schon weiter – hat Folgen-
des eingesehen: Erstens. Es gibt den Klimawandel.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super!)


Zweitens. Der Mensch ist für den Klimawandel verant-
wortlich. Drittens. Wir müssen etwas unternehmen. Na-
türlich sollten wir das schon seit 30 oder 40 Jahren wis-
sen. Aber die US-Amerikaner haben das lange nicht
zugegeben, und auch die Diskussionen in Deutschland
zeigen, dass wir noch nicht lange so weit sind, das zu ak-
zeptieren. Hier ist also ein Fortschritt zu erkennen.

Zweiter Punkt. Der Schutz der Regenwälder – das
wurde schon angesprochen – ist stärker in den Fokus der
Klimadebatte gerückt. Einerseits ist es gut, dass wir das
Maßnahmenpaket haben, dass wir die Forest Carbon
Partnership Facility haben, und dass Deutschland sich
daran mit einer bestimmten Summe beteiligt. Anderer-
seits ist das eine überfällige Initiative; denn die Zerstö-
rung des Regenwaldes hat schwerwiegende Konsequen-
zen. Mittlerweile verursacht sie 20 Prozent des gesamten
CO2-Ausstoßes, der weltweit zu verzeichnen ist. Außer-
dem – in diesem Jahr findet in Deutschland die Weltkon-
ferenz zur Biodiversität, zur Artenvielfalt, statt – führt
sie dazu, dass viele Arten aussterben, weil vielen Pflan-
zen und Tieren der Lebensraum genommen wird. Des-
wegen ist diese Initiative überfällig und sehr wichtig.
Es besteht aber ein Unterschied – da muss man genau
hinschauen; einige aus diesem Parlament haben das auf
Borneo live erleben können – zwischen einem Urwald
oder Regenwald und einem normalen Wald. Wer glaubt,
nur mit Aufforstung bekomme man bestimmte Dinge in
den Griff, täuscht sich. Die Artenvielfalt, aber auch die
Biomasse und damit das gebundene CO2 sind in einem
Regenwald um ein Vielfaches höher. Wir haben zum
Beispiel auf Borneo in Indonesien mit den Torfböden ein
weiteres Problem. Wenn diese Wälder zerstört werden,
werden riesige Massen von CO2 freigesetzt, die bei an-
deren Waldböden nicht vorhanden sind. Um das einmal
in Zahlen zu gießen: In 1 Hektar Torfboden befinden
sich 4 000 Tonnen Kohlenstoff; in 1 Hektar deutschen
Waldes sind das ungefähr 130 Tonnen. Über diese Di-
mensionen reden wir. Das ist vergleichbar mit den Per-
mafrostböden, bei denen Methan entweicht, wenn sie
auftauen. Das können wir uns nicht leisten.

Zur Palmöldiskussion hat Herr Göppel schon einiges
gesagt. Wir müssen dieses Thema sehr differenziert se-
hen. Einerseits wird das ein immer größeres Problem.
Andererseits haben wir lange die Augen davor ver-
schlossen, dass Palmöl auch in vielen anderen Bereichen
– Kosmetik, Nahrungsmittel – eingesetzt wird, was be-
reits zur Zerstörung von Regenwald geführt hat. Da wa-
ren die Stimmen, die heute sehr laut sind, relativ leise.
Es gibt andere Möglichkeiten; auch das haben wir auf
Borneo gesehen. Es gibt viele freie, waldlose Flächen,
wo aber keine Palmölplantagen gebaut werden. Sie
werden dort gebaut, wo noch Wald ist, damit zusätzlich
das Holz verkauft werden kann. Deswegen brauchen wir
hier Kontrollmechanismen. Aber wir müssen stärker
darüber diskutieren und dürfen nicht auf der einen Seite
etwas aufbauen, was wir auf der anderen Seite „mit dem
Fuß“ kaputtmachen. Wir sind dazu verpflichtet, sehr
sorgfältig mit diesem Thema umzugehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ein dritter Punkt, bei dem ich glaube, dass die Konfe-
renz uns weitergebracht hat. Zum ersten Mal habe ich
den Eindruck, dass die Schwellenländer und die Indus-
trieländer, die mit Blick auf das, was zu tun ist, immer
noch skeptisch sind, näher zusammengebracht worden
sind, dass die Weltgemeinschaft in dieser Hinsicht ge-
wachsen ist und vor allen Dingen die Zahl der Nationen
größer geworden ist, die etwas unternehmen wollen und
bereit sind, konkrete Maßnahmen anzugehen. Das war
vorher nicht sichtbar. Das bedeutet eine Chance, die wir
in den zwei Jahren nutzen sollten.

Bei all dem, was uns weitergebracht hat – nicht nur
die Konferenz, sondern vieles im letzten Jahr –, muss
man aber die Verhältnisse sehen. Ich möchte das an dem
Bild eines 400-Meter-Läufers deutlich machen. Wir ha-
ben in Kioto 1997 verhandelt; die Beschlüsse sind leider
erst 2005 in Kraft getreten. Uns war damals klar: Die
400 Meter müssen in einer bestimmten Zeit gelaufen
werden. Danach richtete sich das Kioto-Protokoll. Jetzt,
ein paar Jahre später, besteht das Problem, dass die Zeit
zum Handeln kürzer geworden ist. Der Läufer muss also
in einer kürzeren Zeit mehr als 400 Meter laufen, weil






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
wir weltweit leider keinen Rückgang von CO2-Emissio-
nen zu verzeichnen haben. Im Gegenteil: Jedes Jahr wird
mehr CO2 emittiert. Die Aufgabe wird damit schwieri-
ger. Jetzt müssen 450 anstatt 400 Meter zurückgelegt
werden.

Wir haben einen Mechanismus für den Anpassungs-
fonds geschaffen, der zwischen 2008 und 2012
400 Millionen Euro bereitstellt. Aber das ist viel zu we-
nig. Ich will diese Zahl einmal in das richtige Verhältnis
setzen. Der Unterhalt eines Panzerkreuzers der US-
Amerikaner kostet pro Jahr ungefähr die gleiche
Summe. 400 Millionen Euro für einen Zeitraum von vier
Jahren reichen auf Dauer nicht aus. Da muss deutlich
draufgesattelt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU] und der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Im Augenblick müssen wir leider feststellen, dass wir
noch einen weiten Weg vor uns haben. Die Zeit wird
knapper. Das Sponsoring ist noch relativ mangelhaft,
auch wenn sich Deutschland bemüht, dass sich das welt-
weit ändert. Dennoch haben wir eine Chance, diesen
Lauf zu gewinnen. Denn es gibt erstens mehr Erkennt-
nisse, und zweitens sind die Technologien vorhanden,
um es zu schaffen. Der Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien und die Instrumente zur Effizienzsteigerung, die
wir in Deutschland geschaffen haben, beweisen das.
Weltweit ist das Geld vorhanden, diese Technologien
einzusetzen.

Wir müssen es erreichen, dass alle Länder dieser Welt
gemeinsam in die richtige Richtung laufen. Dann wer-
den wir es schaffen, dass die nächsten Konferenzen er-
folgreicher sind und dass wir alle in diesem Haus sagen
können: Wir waren erfolgreich; das wollen wir feiern,
und wir wollen diesen Weg gemeinsam weitergehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613601800

Nun erhält der Kollege Hans-Josef Fell das Wort für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613601900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Erde heizt sich immer schneller auf.
Die Beschlüsse der Weltklimakonferenz auf Bali ändern
daran genauso wenig, wie es alle anderen vorherigen
Weltklimakonferenzen vermocht haben. In Bali wurde
letztendlich das weitere Aufheizen der Erdatmosphäre
beschlossen – nichts anderes. Daran ändert auch das Ge-
sundbeten durch den Bundesumweltminister nichts.

Es ist notwendig, innezuhalten und zu fragen, ob denn
die bisher vorgeschlagenen Strategien, die Ziele und die
Maßnahmen für den Klimaschutz die richtigen sind oder
ob es andere erfolgversprechendere Optionen wie etwa
die solare Gesellschaft gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Dramatik der Lage ist den meisten immer noch
nicht in aller Konsequenz bewusst. Auch in dieser De-
batte wird dies ganz klar deutlich. Mit 383 parts per mil-
lion Kohlendioxid in der Atmosphäre ist die Konzentra-
tion von Klimagasen schon heute zu hoch und bewirkt
schon jetzt eine zunehmende Anzahl von Umweltkata-
strophen. Wenn man die Trägheit des Klimasystems,
Selbstverstärkerprozesse wie Methangasemissionen
durch das Auftauen des Permafrostbodens oder die
schwindende CO2-Aufnahmefähigkeit der Meere mit be-
denkt, dann wird klar, dass jegliche Neuemissionen das
Klimaproblem verschärfen. Auch reduzierte Emissio-
nen erhöhen die Klimagaskonzentrationen und heizen
damit die Erde weiter auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Ziel darf nicht mehr einfach nur Halbierung der
Emissionen bis 2050 sein, sondern das Ziel muss die
weltweite solare Gesellschaft sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


80 Prozent aller Klimagasemissionen sind mit der Nut-
zung der fossilen Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle
verbunden. Wer wirksamen Klimaschutz will, muss ne-
ben anderen wichtigen Maßnahmen wie Waldschutz
oder ökologische Landwirtschaft alles tun, um die ver-
bliebenen fossilen Rohstoffe unter der Erde zu lassen
und sie nicht weiter als Energie- und Chemierohstoffe zu
nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Doch diese Klarheit der Gedanken und Strategien hat
der Bundesumweltminister nicht. Er setzt sich lieber
für neue zusätzliche Kohlekraftwerke ein. Jedes dieser
Kraftwerke wird in gigantischem Ausmaß CO2 in die
Atmosphäre schleudern. In Europa sorgt der Bundesum-
weltminister nicht einmal dafür, dass das CO2-Minde-
rungsziel über 20 Prozent hinausgeht, obwohl er das
eigentlich angekündigt hat. Dabei wäre eine emissions-
freie bzw. emissionsneutrale Versorgung der Welt mit er-
neuerbaren Energien möglich und technologisch in we-
nigen Jahrzehnten umsetzbar, wenn denn der Wille dafür
vorhanden wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine konsequente Energieeinsparung würde die Umstel-
lung beschleunigen und erleichtern.

Einer solchen Klimaschutzstrategie stehen aber die
Verkaufsinteressen der großen konventionellen Energie-
konzerne entgegen. Faktisch alle Regierungen der Welt
unterstützen wie die deutsche Regierung ihre Konzerne
bei der Nutzung fossiler Rohstoffe, vor allem die OPEC-
Staaten, Russland, die USA und Australien als größter
Kohleexporteur der Welt. Auf allen Klimaschutzkonfe-
renzen hat sich gezeigt, dass genau diese Staaten die
Bremser sind. Aber auch große Verbraucherländer wie
Japan oder Deutschland weigern sich, endlich eine voll-
ständige Umstellung auf erneuerbare Energien anzuge-
hen.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell
Dabei böte uns eine Vollversorgung mit erneuerba-
ren Energien weitere Vorteile. Die Angst vor weiteren
Preissteigerungen bei Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran
bringt immer mehr Investoren dazu, die kostenlosen
Energien der Sonne, des Wassers, des Windes, der Erd-
wärme und der Meere zu nutzen. In vielen Bereichen
sind erneuerbare Energien heute schon kostengünstiger
als Investitionen in fossile Energieträger. Das zeigt den
Weg, wie Klimaschutz in die Welt kommt: Je mehr in-
dustrielle Fertigungstiefe wir für erneuerbare Energien,
Einspartechnologien und nachwachsende Chemieroh-
stoffe haben, desto billiger werden sie und umso schnel-
ler haben fossile und atomare Energien keine ökonomi-
sche Chance mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Konsequenter Klimaschutz mit erneuerbaren Energien
ist keine Last, sondern erlöst uns von den Belastungen
der Preissteigerungen immer knapper werdender fossiler
und atomarer Ressourcen.

Diese Entwicklung politisch zu beschleunigen, das ist
die entscheidende Klimaschutzstrategie. Es genügt,
wenn einige Industrienationen als Koalition der Willigen
Massenfertigungstiefe dafür schaffen und gleichzeitig
die wahren Kosten für fossile und atomare Energien
wirksam werden lassen. Eine erfolgreiche Klimaschutz-
strategie sieht also folgendermaßen aus: vollständiger
Abbau der Subventionen für fossile und atomare Roh-
stoffe,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Steuererleichterungen und Abbau von Genehmigungs-
hürden für erneuerbare Energien und erneuerbare Roh-
stoffe,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Investitionsunterstützungen mit Einspeisevergütungen
für Ökostrom und Biogas, aber auch Subventionen und
Ordnungsrecht für Energiesparmaßnahmen und vor al-
lem eine Bildungsoffensive. Doch diese Bundesregie-
rung macht das glatte Gegenteil: Sie verlängert die Koh-
lesubventionen, sie besteuert reine Biokraftstoffe, was
die Urwaldabholzung beschleunigt, und kämpft in Brüs-
sel für spritfressende Autos.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
große Worte für den Klimaschutz und ein schwaches
Klimaschutzpaket reichen nicht aus. Die Taten dieser
Bundesregierung entlarven Sie als Klimasünder und
nicht als Klimaschützer. Sie sollten endlich konsequent
eine solare Gesellschaft anstreben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613602000

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1613602100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach der Rede des Kollegen Fell fühle ich mich bemü-
ßigt, zurechtzurücken, was aus meiner Sicht in, vor und
nach Bali geschehen ist. Natürlich ist uns allen klar, dass
in Bali noch keine Lösung für die dramatischen Heraus-
forderungen des Klimawandels gefunden wurde. Das
war aber weder die Absicht noch das Ziel dieser Konfe-
renz, Herr Fell, Frau Höhn. Nach einem leidenschaftli-
chen und dramatischen Ringen, bei dem Papua-Neugui-
nea eine große Rolle gespielt hat, ist es aber doch
gelungen, den Startschuss für den erwähnten 400-Meter-
Lauf – ich würde sogar sagen: für einen Marathonlauf –,
der vor uns liegt, zu geben. Das ist ein Signal der Hoff-
nung und auch ein Grund zu Optimismus. Ich würde so-
gar sagen: In Bali ist das Optimum dessen erreicht wor-
den, was unter realpolitischen Gesichtspunkten auf
dieser Konferenz erreicht werden konnte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Schließlich waren es 187 Verhandlungspartner, es gab
Bremser, die schon genannt wurden, und es galt das Ein-
stimmigkeitsprinzip.

Dafür verdienen die Delegation und ihre Vorarbeiter
unseren Dank und unsere Anerkennung. Ich möchte
auch an Frau Bundeskanzlerin Merkel und ihr Team
Dank sagen und ihnen Anerkennung aussprechen. Das,
was in Meseberg, in Heiligendamm und bei der EU-
Ratspräsidentschaft geleistet wurde, hat die Bresche für
Bali geschlagen. Frau Höhn, wenn das, was Deutschland
im Jahr 2007 für das Weltklima erreicht hat, zu der Zeit,
als Trittin noch Umweltminister war, erreicht worden
wäre, dann hätten Sie sich alle zehn Finger abgeschleckt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für mich als Entwicklungspolitiker war natürlich be-
sonders erfreulich und wichtig, dass es wie nie zuvor ge-
lungen ist, die Entwicklungs- und Schwellenländer
mit ins Boot zu bekommen. Denn sie sind in der Tat mit
entscheidende Akteure. Einerseits sind sie Täter: China
ist auf dem Sprung, die Nation mit den meisten CO2-
Emissionen zu werden; Indonesien ist aufgrund der
Waldzerstörung drittgrößter Emittent. Andererseits sind
sie Opfer: Denn vor allem die Entwicklungs- und
Schwellenländer werden vom Klimawandel mit beson-
derer Wucht getroffen. Dies führt zu dramatischen Kon-
fliktsituationen, die irgendwann voll auf uns zurück-
schlagen und unsere Sicherheit, unsere Stabilität und
unseren Wohlstand gefährden werden. Die Entwick-
lungsländer sitzen auf den grünen Lungen der Welt. Zu
Recht wurde die Rolle des Tropenwaldes hier schon oft
genannt. Die Entwicklungsländer haben die Chance, ihre
wirtschaftliche Aufholjagd mit klimafreundlicheren
Energieträgern zu bestreiten.

Deswegen liegt einer der beiden Schlüssel zur Lösung
ganz klar bei den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Da hat Bali einen großen Fortschritt gebracht. Die Län-
der haben sich zu ihrer Verantwortung bekannt, auch die,
die wir jetzt unbedingt beim Wort nehmen müssen, zum






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck
Beispiel China, Indien und Brasilien. Ein Einstieg zum
Walderhalt wurde gefunden. Nicht nur der Anpassungs-
fonds wurde geschaffen, sondern auch andere Finanzme-
chanismen. Allein aus dem Haushalt des BMZ werden
heuer 800 Millionen Euro in diesen Bereich fließen. Wir
haben auch vereinbart, dass wir zum Jahr der Biodiversi-
tät noch mehr für den Walderhalt tun, und zwar mit Pro-
jekten, durch die wir versuchen, Armutsbekämpfung und
Tropenwalderhalt zu kombinieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich ist klar: Wir müssen Verbesserungen beim
CDM-Mechanismus schaffen. Da sind wir uns einig. Es
ist auch klar, dass wir Hochtechnologietransfer brau-
chen, aber nicht nur diesen. Wir brauchen auch den
Transfer von angepasster Technologie. Es macht keinen
Sinn, den Afrikanern zum Beispiel unsere Dachpaneele
und anderes vor die Füße zu kippen und zu sagen: Nun
macht mal! – Das macht überhaupt keinen Sinn. Viel-
mehr müssen wir mit unseren Partnern einen Austausch
von Kulturen, also auch einen Austausch von Energie-
kultur, betreiben.

Wie gesagt: Ich glaube, für die Länder, die der eine
Schlüssel sind, ist ein guter Einstieg gefunden worden.
Dies gilt aber auch für den anderen Schlüssel: Das sind
wir. Natürlich sind wir Industrieländer mit unseren
Emissionen in Höhe von 80 Prozent besonders gefragt.
Aber dazu muss ich sagen: Wenn wir – das ist unser Ziel –
eine Gesellschaft mit CO2-Emissionen in Höhe von
2 Tonnen pro Kopf sein wollen, dann wird das mit der
bisher bekannten Technologie nicht möglich sein. Wir
brauchen bei der Entwicklung der Technologie einen
Quantensprung, nicht nur für unser Land, sondern auch
für die internationale Staatengemeinschaft. Ich erinnere
an das, was John F. Kennedy 1961 in einem anderen Zu-
sammenhang gesagt hat. Er hat das Ziel der Mondlan-
dung mit Technologien beschrieben, die es damals noch
nicht gab. Acht Jahre später ist die Mondlandung gelun-
gen.

Ein viel höheres Ziel ist es, Technologie für die Ret-
tung des Weltklimas auf den Tisch zu legen. Wir müssen
uns dieses ehrgeizige Ziel stecken und Technologien ent-
wickeln, die es jetzt noch nicht gibt. Dann werden wir
dieses ehrgeizige, aber völlig richtige Ziel – CO2-Emis-
sionen in Höhe von 2 Tonnen pro Kopf – für die Bundes-
republik und für die internationale Staatengemeinschaft
erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613602200

Sehr guter Schluss, Herr Kollege Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1613602300

Mein letzter Satz. Ich stimme all denen zu, die sagen:

Wir müssen unseren eigenen Emissionshandel, unsere
eigenen Technologien und unsere eigenen Systeme so
aufbauen, dass auch die Entwicklungs- und Schwellen-
länder sehen: Investitionen in den Klimaschutz sind et-
was, was für Märkte, Produktion und Wettbewerbsfähig-
keit von morgen sorgt. Dann werden sich alle Länder
dem Kioto-Protokoll anschließen wollen und müssen
nicht dazu gedrängt werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613602400

Die Kollegin Gabriele Groneberg ist die nächste Red-

nerin für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1613602500

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! In der Tat: Spannend war die Bali-Konfe-
renz. Offensichtlich war sie auch ein Lehrstück für die
Unwägbarkeiten der internationalen Politik und für Re-
alpolitik; Kollege Ruck hat das gerade schon geschildert.

Eines muss man ganz deutlich sagen: Die Bundesre-
gierung hat in enger Zusammenarbeit mit anderen Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union eine positive Füh-
rungsrolle ausgeübt; auch das ist heute Morgen schon
des Öfteren betont worden. Ich möchte hinzufügen: Mi-
nisterin Wieczorek-Zeul und Minister Gabriel muss vor
allen Dingen dafür ein herzlicher Dank gesagt werden,
dass sie die entwicklungspolitischen Gesichtspunkte in
einer Art und Weise in diese Debatte getragen haben,
wie es zuvor noch nicht geschehen ist. Die Bali-Konfe-
renz hat unter einem ganz anderen Stern gestanden. Da-
für unser herzlicher Dank!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Der Erfolg dieser Konferenz – auch das hat Kollege
Ruck gerade beschrieben – ist vor allen Dingen darin zu
sehen, dass die Industrie- und Entwicklungsländer ihre
Anstrengungen beim Klimaschutz in messbarer, doku-
mentierbarer und nachprüfbarer Weise verstärken wol-
len. Obwohl die Entwicklungsländer für den Treibhaus-
gasausstoß nicht in dem Maße verantwortlich sind wie
wir, werden sie hier zukünftig eine große Verantwortung
tragen.

Die Entwicklung der Schwellenländer ist rasant; wir
merken das an vielen Stellen. Uns ist wichtig, dass wir
mit ihnen nicht oberlehrerhaft umgehen. Wir möchten
sie allerdings herzlich bitten – dabei wollen wir sie auch
unterstützen –, die Fehler, die wir, die Industrieländer,
gemacht haben, zu vermeiden; das kann man doch tun.
Wir unterstützen diese Länder in technologischer, vor al-
len Dingen aber auch in finanzieller Hinsicht und – auch
das ist bereits angesprochen worden – beim Schutz tropi-
scher Wälder; da der Regenwald heute Morgen schon
mehrfach erwähnt worden ist, brauche ich an dieser
Stelle nicht weiter darauf einzugehen. Es ist Fakt, dass
mit der Forest-Carbon-Partnership-Facility endlich der
Durchbruch auf diesem Gebiet gelungen ist. Das sollte
man entsprechend würdigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
Klimagerechtigkeit ist von der Armutsbekämpfung
nicht zu trennen; sie ist eine unserer großen Zukunftsauf-
gaben. Hierbei geht es um Konflikt- und Krisenpräven-
tion wie auch um den Zugang zu sauberer Energie und
die Versorgung mit Wasser. Für die Entwicklungsländer
wird es dabei nur dann eine reelle Chance geben, wenn
wir in all diesen Bereich erfolgreich sind.

Natürlich müssen wir die dafür notwendige Finanzie-
rung zur Verfügung stellen.


(Heiterkeit der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Frau Höhn lacht schon. – Dieser Punkt ist immens
wichtig. Hier wird es einen enormen Finanzbedarf ge-
ben, gar keine Frage. Maßnahmen zur Abschwächung
der Folgen des Klimawandels durchzuführen, ist eine
teure Angelegenheit. Dafür müssen wir innovative Wege
gehen und eine neue Finanzarchitektur schaffen.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fehlt bei der Großen Koalition!)


Die Grundlagen dafür sind in Bali gelegt worden.

Ich wehre mich dagegen, den Emissionshandel, den
wir als ein Instrument benutzen, von vornherein zu ver-
teufeln. Natürlich werden wir auf die Maßnahmen des
CDM setzen. Wir müssen sie auch für unsere afrikani-
schen Partner verstärkt verfügbar machen. Das Problem
ist doch, dass zurzeit nur 3 bis 5 Prozent der Maßnahmen
in Afrika durchgeführt werden können und der Rest in
Asien und Lateinamerika durchgeführt wird. Hier müs-
sen wir ansetzen. Das ist die Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


In diesem Zusammenhang ist für unsere Unterneh-
men wichtig, dass eine Vereinfachung der aufwendigen
Verfahren und die Beseitigung der hohen Transaktions-
kosten in diesem Bereich angegangen werden. Hier müs-
sen wir nacharbeiten, gar keine Frage.

Wichtig ist auch, dafür zu sorgen, dass Klimaprojekte
gezielt in Angriff genommen werden können. Für den
CDM können aber auch kleine Projekte gebraucht wer-
den. Das ist zurzeit noch nicht in der Form möglich, wie
es sinnvoll wäre. Ich warne aber davor, den CDM zu ei-
nem modernen Ablasshandel verkommen zu lassen.
Diese Gefahr sehe ich nämlich. Natürlich wäre es einfa-
cher, in Zukunft zu sagen: Wir kommen unserer Ver-
pflichtung dadurch nach, dass unsere Unternehmen in
Entwicklungsländern klimarelevante Maßnahmen durch-
führen. Dafür erfüllen wir aber unsere Verpflichtungen
bei uns im Inland nicht. – Das geht nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Insofern muss man da höllisch aufpassen; das gebe ich
zu. Der CDM ist mit Sicherheit ein gutes Instrument;
aber wir müssen auch im Inland unsere Verpflichtungen
erfüllen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, sehe ich bei den in Ihrem Antrag vorgeschlagenen
Maßnahmen leider nicht.
Von den Ergebnissen der Konferenz in Nairobi in Be-
zug auf die Entwicklung des Kioto-Anpassungsfonds
waren alle fürchterlich enttäuscht. Das ist noch gar nicht
lange her. In Bali ist auch da endlich ein Durchbruch er-
folgt. Der Fonds, der jetzt gebildet wird, wird eines die-
ser neuen Finanzierungsmodelle sein. Jetzt kann man na-
türlich, wie die Kolleginnen und Kollegen von den
Linken das tun, sagen: Das ist alles Käse, und das wird
sowieso nicht funktionieren. – Man kann eine Sache
gleich von Anfang an totreden. Wir wissen, dass dieser
Fonds in den ersten Jahren noch nicht mit den Finanz-
mitteln ausgestattet ist, die eigentlich notwendig wären.
Aber es ist doch ein Anfang für ein neues Finanzierungs-
instrument. Warum soll man nicht auch solche Wege ge-
hen? Wir können nicht mit den alten Instrumenten all die
Aufgaben erledigen, die wir erledigen müssen.


(Josef Göppel [CDU/CSU]: Als Feuerwehrfonds für schnelle Hilfe!)


– Eben. – Ich denke, man muss dem Fonds eine Chance
geben. Man muss aufpassen, dass man den Fonds nicht
zu einem Gebilde aufbläht, das selber Geld kostet. Der
Fonds muss bei einer bestehenden Organisation angesie-
delt werden; dann muss man sehen, wie man damit um-
geht. Wichtig ist erst einmal, dass der Fonds auf der
Grundlage eines Marktmechanismus funktioniert; es ist
nicht so, dass nur die Geber permanent einzahlen. Viel-
mehr spielt der Markt eine Rolle.

Über den Finanzbedarf für die klimarelevanten Auf-
gaben hinaus dürfen die Mittel für die Armutsbekämp-
fung nicht zu kurz kommen; die Mittel dafür dürfen nicht
zusammengestrichen werden. Wichtig ist ferner – das for-
dern wir ein, und ich bin sicher, dass wir da gute Ergeb-
nisse erzielen werden – eine kohärente Zusammenarbeit
von BMU und BMZ. Was nicht passieren darf, ist, dass
unsere Bemühungen zersplittern und die deutsche Ar-
beit, wenn wir im Ausland auftreten, nicht mehr als ko-
härente Arbeit zu erkennen ist. Das ist ganz wichtig, und
ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613602600

Das Wort erhält der Kollege Andreas Jung, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1613602700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist heute früh mehrfach bewertet worden, welches die
Ergebnisse der Konferenz von Bali sind. Es ist teilweise
beklagt worden, was nicht erreicht worden ist. Bevor ich
zu einer eigenen Bewertung komme, will ich ein paar
Eindrücke von dieser Konferenz wiedergeben, und zwar
Eindrücke von 3 der 190 souveränen Staaten, die dort
vertreten waren, Eindrücke, die zeigen, wie unglaublich
schwierig es ist, die unterschiedlichsten Vorstellungen,
Mentalitäten und Positionen unter einen Hut zu bekom-
men.

Erstes Beispiel: Indonesien. Auf dem Marktplatz ei-
nes kleinen Dorfes auf Borneo war ein abgehackter






(A) (C)



(D)


Andreas Jung (Konstanz)

Baumstumpf ausgestellt, nicht etwa, wie man denken
könnte, als Mahnmal der Abholzung des Regenwaldes,
sondern im Gegenteil als Symbol für Entwicklung und
Fortschritt, was damit sogar verherrlicht werden sollte –
für die Augen europäischer Betrachter verwunderlich,
fast undenkbar.

Zweites Beispiel: Saudi-Arabien. Die Vertreter
Saudi-Arabiens haben auf der Konferenz die Position
vertreten, mehr Klimaschutz sei ja möglicherweise rich-
tig; klar sei aber, dass mehr Klimaschutz bedeuten
würde: Förderung von neuen Technologien, mehr Tech-
nologietransfer und damit den Weg weg vom Öl. Der
Weg weg vom Öl würde für Saudi-Arabien aber erhebli-
che Einbußen an Umsatz und Gewinn bedeuten; deshalb
könne aus der Sicht Saudi-Arabiens mehr Klimaschutz
nur beschlossen werden, wenn im Gegenzug Schadener-
satz für die ölexportierenden Länder vereinbart werde.

Drittes Beispiel: Australien. Es gab einen australi-
schen Wissenschaftler, der als eine Ursache des Klima-
wandels – nicht ganz zu Unrecht – die Bevölkerungs-
explosion ausgemacht hat. Fakt ist: Steigende
Bevölkerung führt zu mehr CO2-Ausstoß. Deshalb, so
hat er argumentiert, sei es doch die logische Konsequenz,
diejenigen Familien, die sich dafür entscheiden, mehr als
zwei Kinder in die Welt zu setzen, mit einer CO2-Steuer
zu belegen und umgekehrt den Paaren, die sich für Gebur-
tenkontrolle und Verhütung entscheiden, eine CO2-Gut-
schrift zukommen zu lassen – also so etwas wie einen
Babywindel-Emissionshandel.

Wir sind noch nicht dazu gekommen, der Familienmi-
nisterin den Vorschlag zu unterbreiten. Ich finde, alle
drei Vorschläge sind für uns undenkbar und unvorstell-
bar. Umgekehrt mag das, was uns objektiv richtig und
möglicherweise offensichtlich erscheint, anderen selt-
sam und weit hergeholt erscheinen. Das zeigt, wie weit
die Positionen auseinander sind und wie schwierig es ist,
diese 190 souveränen Staaten, die man ja zu nichts zwin-
gen kann und die man nur durch Einsicht zu Ergebnissen
bringen kann, unter einen Hut zu bringen. Schauen Sie
sich die Staaten an, von den USA bis hin zu Papua-Neu-
guinea, von den Industriestaaten, in denen die Menschen
heute im Wohlstand leben, bis hin zu den Entwicklungs-
ländern, in denen Menschen in bitterster Armut leben,
deren größte Sorge es oftmals ist, wie sie den nächsten
Tag überleben können, aber nicht, was in 10 oder
20 Jahren passiert! Ich finde, die Ergebnisse dieser Kon-
ferenz können sich sehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mehr als das, was in Bali erreicht wurde, war nicht
herauszuholen. Frau Höhn, ich finde, das hat gar nichts
mit Schönreden zu tun. Wir sollten uns vergegenwärti-
gen, dass jetzt der Startschuss für die Verhandlungen
über das Post-Kioto-Protokoll gegeben wurde und dass
das, was wir lange Zeit befürchtet haben, nämlich dass
Verhandlungen abseits der Vereinten Nationen geführt
werden, vom Tisch ist. Es ist jetzt klar: Wir wollen ein
Klimaschutzabkommen mit allen Staaten der Welt unter
dem Dach der Vereinten Nationen. Allein das ist schon
ein wichtiger Punkt.
Es ist auch ein wichtiger Punkt, dass sich alle Indus-
triestaaten – die USA eingeschlossen – dazu verpflichtet
haben, selbst wirksame und messbare Maßnahmen gegen
den Klimawandel zu ergreifen. Es war nicht selbstver-
ständlich, dass sich auch die Schwellen- und Entwick-
lungsländer dazu verpflichtet haben. Auf der Konferenz
hat das Szenario einer Spirale nach unten gedroht. Die
Schwellenländer haben gesagt, sie seien nicht bereit,
messbare und ernsthafte Verpflichtungen zu überneh-
men, wenn sich die Industriestaaten, insbesondere die
USA und China, nicht bereit erklären, harte und ehrgei-
zige Verpflichtungen einzugehen. Man muss sich vor al-
lem auch das anschauen, was nicht so sehr im Mittel-
punkt der Berichterstattungen der Medien gestanden hat.
Deshalb finde ich, dass die Konferenz ein Erfolg gewe-
sen ist.

Ich will noch drei Punkte ansprechen: die Vereinba-
rung des Anpassungsfonds, den Technologietransfer und
vor allem das, was jetzt von vielen Rednern in den Mit-
telpunkt gestellt worden ist, nämlich den Durchbruch
beim Schutz der Regenwälder.

Zum ersten Mal soll der Waldschutz Teil eines Kli-
maabkommens werden. Wir konnten uns in Indonesien
davon überzeugen, wie richtig das ist;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn man muss sich vergegenwärtigen, dass 20 Prozent
der weltweiten CO2-Emissionen aufgrund der Rodung
von Regenwäldern entstehen und dass in Indonesien
nicht an jedem Tag, nicht in jeder Stunde, sondern in je-
der Minute Regenwald in der Größe eines Fußballplatzes
einfach verschwindet. Ich finde deshalb, dass wir, die
Staatengemeinschaft, aufgerufen sind, diesem Punkt
eine ganz hohe Bedeutung einzuräumen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mehr Geld! – Gegenruf der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]: Es ist immer einfach, nach mehr Geld zu schreien!)


Im Antrag der Koalitionsfraktionen zu Bali wurde die
Bundesregierung aufgefordert, alle politischen und di-
plomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den
globalen Klimaschutz voranzubringen. Ich finde, wir
können sagen: Auftrag ausgeführt! Herr Minister, ich
will Ihnen für Ihre Verhandlungsführung in Bali danken.
Sie haben mal mehr, mal weniger diplomatisch, aber im-
mer zielorientiert und am Ende mit Erfolg verhandelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin überzeugt – auch das ist schon angesprochen
worden –, dass Grundstein für diesen Erfolg in Bali die
Präsidentschaften der Bundesrepublik Deutschland in
der EU und in der G 8 waren. Daran, was durch die G 8
erreicht worden ist, hat zuvor niemand geglaubt. Ich
glaube auch, dass zu diesem Erfolg der Konsens beige-
tragen hat, den es in der deutschen Delegation gab, nicht
nur zwischen den Koalitionsfraktionen, sondern auch im
gesamten Bundestag über alle Fraktionen hinweg und

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Andreas Jung (Konstanz)

weit über den politischen Bereich hinaus. Ich war beein-
druckt, zu erleben, dass sich hinter der Position der deut-
schen Bundesregierung in Bali alle deutschen Beteilig-
ten – ich will fast sagen: von Greenpeace bis zum BDI –
versammelt haben. Das hat unsere Position gestärkt.

Im Übrigen wurde unsere Position auch dadurch ge-
stärkt, dass man uns international eine hohe Glaubwür-
digkeit beim Klimaschutz zuschreibt. Glaubwürdigkeit
gewinnt man nicht durch Worte, sondern durch Taten. Es
war interessant, zu sehen, wie sich in Bali herumgespro-
chen hat, dass wir Deutschen nicht nur hohe Verpflichtun-
gen eingegangen sind und uns dazu bereit erklärt haben,
weitergehende Verpflichtungen einzugehen, sondern dass
wir auch ganz konkrete Maßnahmen zur Umsetzung die-
ser Verpflichtungen beschlossen haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Auf die kommt es an!)


„Meseberg“ war in Bali ein Begriff. Das ist ein Erfolg
dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Es ist klar, dass Wünsche offengeblieben sind und
diese Ziele weiterverfolgt werden müssen. Sicher ist,
dass die Bundesregierung dabei die Unterstützung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat. Wir wollen belast-
bare Vereinbarungen, in denen sich die Industriestaaten
tatsächlich dazu verpflichten, ihre Treibhausgasemissio-
nen um 25 bis 40 Prozent zu reduzieren. Wir wollen die
Weiterentwicklung des Emissionszertifikatehandels zu
einem globalen Kohlenstoffdioxidmarkt unter Einbezie-
hung des Flugverkehrs und des Schiffsverkehrs.

Wir halten zudem die von Angela Merkel formulierte
Zielvorstellung für richtig: Grundlage für einen globa-
len, gerechten und effizienten Klimaschutz soll sein,
dass langfristig jeder Mensch auf der Welt die gleiche
Menge CO2 ausstoßen darf. Dafür kämpfen wir. In die-
sen Fragen unterstützen wir die Bundesregierung.

Ich hoffe, dass diejenigen Staaten, die den Klima-
schutz in Bali zu einer Fußnote degradieren wollten, am
Ende sagen: Hätten wir nur einmal das Kleingedruckte
gelesen!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613602800

Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1613602900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Zu Beginn möchte ich zunächst einen Dank an
die Oppositionsparteien aussprechen, dass die meisten
der Rednerinnen und Redner in ihren Beiträgen differen-
ziert haben. Zumindest wurde zwischen dem außenpoli-
tischen und dem innenpolitischen Teil des Klimaschut-
zes differenziert. Bei Letzterem gehört es natürlich zum
Pflichtprogramm, den kritischen Teil stärker zu betonen
als die Punkte, in denen man übereinstimmt.

Ich möchte aber als letzter Redner in der Debatte und
als Redner der Koalition auf ein paar der Argumente ein-
gehen, die vonseiten der Opposition vorgetragen wur-
den.

Zunächst zum Beitrag des Kollegen Fell. Der Kollege
Fell ist sicherlich einer der versiertesten Fachleute. Al-
lerdings hat man ihm heute angemerkt, dass er sich mit
dem, was er sich aufgeschrieben hat, einen Kampfauf-
trag gegeben hat, den er dann auch so ausgeführt hat, un-
abhängig von dem, was der Bundesumweltminister ge-
sagt hat. Kollege Fell hat den Bundesumweltminister zu
zwei Dingen aufgefordert: Erstens solle er sagen, dass
wir auf erneuerbare Energien umsteigen wollen. Zwei-
tens solle er sich für eine Reduktion der CO2-Emissionen
in der EU um 30 Prozent einsetzen. Allerdings, Herr
Kollege Fell, hat der Bundesumweltminister genau das
in seiner Rede getan.


(Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das wussten Sie freilich nicht, als Sie Ihre Rede ge-
schrieben haben. Aber Sie hätten hier zuhören und auf
das eingehen müssen, was in der Regierungserklärung
gesagt wurde.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kauch hat versucht, aus dem Problem, dass es
zwischen den Landwirtschaftspolitikern und den Um-
weltpolitikern der FDP zwei völlig konträre Positionen
im Hinblick auf die Biomasse gibt, einen Angriff auf die
Große Koalition zu machen. Herr Kauch, ich gebe Ihnen
recht, dass auch mit einer Quote die Gefahr eines Staub-
saugereffekts besteht und wir dem nur dadurch begegnen
können, dass der Anbau von Biomasse zur Gewinnung
von Biokraftstoffen immer nachhaltiger erfolgt, dass wir
beginnen müssen, daran zu arbeiten, und dass wir dabei
immer punktgenauer werden müssen. Im Umkehrschluss
müssen Sie mir doch aber recht geben, dass eine völlige
Steuerbefreiung bei Biokraftstoffen, wie sie heute ge-
fordert wurde, genau den gleichen Staubsaugereffekt
hat.


(Michael Kauch [FDP]: Aber nur bis 2009!)


Denn wenn Biokraftstoff in Ländern, in denen dazu der
Regenwald gerodet wird, für 55 Cent pro Liter herge-
stellt und nach Deutschland gebracht werden kann, wo
der Konkurrenzsprit 1,30 Euro kostet, dann glauben Sie
doch nicht wirklich, dass darauf verzichtet wird, nur weil
es auf einmal eine Steuerbefreiung statt einer Quote gibt.
Man muss diesbezüglich ein stringentes System anbie-
ten.

Der Kollege Meierhofer hat das Problem des Palm-
öleinsatzes in Kraftwerken dargestellt. Als Erstes muss
man dazu festhalten, dass nur 10 Prozent der Palmölim-
porte in die Europäische Union energetisch genutzt wer-
den. 90 Prozent werden in anderen Bereichen wie der
Kosmetik- und Lebensmittelindustrie genutzt.






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
Erlauben Sie mir eine Belehrung, Herr Kollege
Meierhofer. Man soll eigentlich auf Belehrungen ver-
zichten, aber diese ist notwendig. Wenn wir heute über
die Entwürfe des Klimaschutzprogrammes debattieren,
dann müssen Sie die Entwürfe auch lesen. Im Gesetzent-
wurf zur Novellierung des EEG ist vorgesehen, dass die
Palmölnutzung in Kraftwerken in Zukunft nicht mehr
vergütet wird, bis es zu einer klaren Regelung kommt.
Das hätten Sie lesen müssen, bevor Sie den Umweltmi-
nister angreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Frau Kollegin Höhn, Sie haben zwei Beispiele – Bonn
und Krefeld – genannt und sind auf das Thema Auto ein-
gegangen. Zunächst zu Bonn; das ist wirklich eine span-
nende Debatte. Man muss zwar mit dem, was man aus
Aufsichtsratssitzungen erzählt, vorsichtig sein – sie sind
nämlich nicht öffentlich –, aber Folgendes darf ich si-
cherlich berichten: Der Aufsichtsrat in Bonn hat be-
schlossen, den Bau eines Steinkohlekondensations-
kraftwerks gemeinsam mit anderen in der Trianel-
Gruppe zu prüfen. Dieser Beschluss ist einstimmig – in-
klusive des Vertreters der Partei Bündnis 90/Die Grünen
in diesem Aufsichtsrat – gefasst worden. Diese Prüfung
hat ergeben, dass ein Kondensationskraftwerk nicht nur
nicht in unser ökologisches Portfolio passt – obwohl wir
damit Braunkohlestrom von RWE ablösen wollen, den
wir gegenwärtig ohne eigene Erzeugungskapazitäten be-
ziehen müssen –, sondern unserer Ansicht nach auch
nicht wirtschaftlich betreibbar ist, weil damit ein Effizi-
enzgrad von höchstens 44 oder 45 Prozent erreicht wird.

In Krefeld soll ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraft-
werk mit einem Wirkungsgrad von über 90 Prozent ge-
baut werden, das zum Teil Ölfeuerungen in einer Che-
mieanlage durch Auskopplung von Wärme ablöst.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613603000

Kollege Kelber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Höhn?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1613603100

Immer.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613603200

Bitte.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613603300

Herr Kollege Kelber, ich war selber in Krefeld und

kenne die Daten sehr gut. Können Sie bestätigen, dass
Ihre Aussage, das in Krefeld geplante Kohlekraftwerk
werde einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent errei-
chen, falsch ist? Ich bitte Sie, zu begründen, wie Sie da-
rauf kommen. Diese Aussage ist nach den Unterlagen,
die allen vorliegen, eindeutig falsch.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1613603400

Sie müssen zwei Punkte unterscheiden. Das sind ers-

tens die Versuche, die es gibt, und das, wofür sich die
SPD eingesetzt hat.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben gesagt: Es soll gebaut werden, wenn ein
hocheffizientes Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk mit
der Auskopplung von zum Beispiel 400 Megawatt für
die Chemieanlage entsteht, die heute die Wärmeerzeu-
gung mit einer Ölfeuerung erreicht, und wenn der Strom
zur Eigenerzeugung im Bereich der Stadtwerke Krefeld
ebenfalls den Grundlaststrom von RWE ersetzt, der aus
den aus den 50er-Jahren stammenden Braunkohlekraft-
werken aus Frimmersdorf stammt. Die CO2-Bilanz – wir
können gerne Vergleiche anstellen, Frau Höhn – ist frap-
pierend gut.

Zweitens. Sie haben festgestellt, die Sozialdemokra-
ten im Europaparlament hätten sich dafür eingesetzt,
dass der Zeitpunkt, zu dem die Hersteller von Automo-
bilen den Grenzwert von 120 Gramm CO2 je Kilometer
einhalten müssen, von 2012 auf 2015 verschoben wird.
Ich gehe davon aus, dass man im deutschen Parlament
nicht wissentlich die Unwahrheit sagt. Von daher haben
Sie wahrscheinlich nicht alle Informationen bekommen.
Bei den Einzelpunktabstimmungen hat die SPE gegen
die Verschiebung gestimmt. Ich zitiere den Sprecher der
SPE, den deutschen Abgeordneten Matthias Groote:

Das Startdatum zur Reduzierung der CO2-Emissio-
nen muss 2012 sein, und nicht erst 2015. Die Auto-
mobilindustrie weiß schon seit 1995, dass sie ihre
Kohlendioxidemissionen senken muss. 12 Jahre
Vorlaufzeit sind mehr als genug.

Das Zitat stammt vom 11. Januar 2008. Ich lasse es Ih-
nen gerne gleich zukommen, damit Sie Ihre Aussage in
diesem Punkt revidieren können.

Ich glaube, wir sind – auch mit dem Nationalen Kli-
maschutzprogramm – auf einem guten Weg. Wir werden
nach dem im Mai vorgelegten zweiten Teil irgendwann
noch einen dritten Teil vorlegen müssen; denn wir müs-
sen zeigen, dass wir die 40-Prozent-Vorgabe erfüllen.
Ich glaube, die Große Koalition wäre gut beraten, wenn
sie die dafür notwendigen Positionen noch vor dem
nächsten Wahltermin gemeinsam erstellt, statt bis nach
2009 zu warten.

Ich finde es absolut richtig, das Thema Umweltge-
rechtigkeit verstärkt in diese Debatte einzubringen, wie
es vor allem die Rednerinnen und Redner aus dem Be-
reich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, aber auch
der Umweltminister getan haben, statt bis nach 2009 zu
warten. Das gilt sowohl für die Frage der internationalen
Gerechtigkeit als auch der sozialen Gerechtigkeit im ei-
genen Land; denn es sind nicht nur die Ärmsten der Ar-
men in Afrika oder anderen Regionen der Welt betrof-
fen. Im Übrigen haben diese Ärmsten nie etwas zum
Klimawandel beigetragen. Deren Lebenswandel entspre-
chend hätten sich die CO2-Emissionen auf eine Größen-
ordnung beschränkt, die noch Jahrmillionen hätte beibe-
halten werden können. Daraus entstammt die Pflicht,
dass diejenigen, die den Klimawandel verursacht haben,
denen, die darunter leiden, obwohl sie selbst keine
Schuld haben – weder wissentlich noch unwissentlich –,
ausreichend helfen, statt sie in ihrer Not – es geht um das






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
Überleben dieser Menschen – sitzen zu lassen. Das ist
eine Frage sozialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im eigenen Land müssen wir in der Tat überprüfen,
wo Menschen von bestimmten Entwicklungen besonders
betroffen sind und wo die vorhandenen Fördermechanis-
men und gesetzlichen Regelungen noch nicht in ausrei-
chendem Maße greifen. Ein Beispiel ist, dass unsere För-
dermechanismen in erster Linie den Eigenheimbesitzern
helfen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Woh-
nungsbau, insbesondere der soziale Wohnungsbau, in
die Programme zur Modernisierung und Wärmedäm-
mung einbezogen wird, damit auch diese Menschen die
Möglichkeit haben, ihre Heizkosten zu reduzieren. Hier
verhindern bestimmte zusätzliche Regelungen Investi-
tionen eher. Wir müssen dafür sorgen, dass Regelungen
bei denjenigen, die auf staatliche Sozialtransferleistun-
gen angewiesen sind, dem Klimaschutz nicht entgegen-
stehen.

Ich freue mich sehr, dass Bundesminister Tiefensee
heute Morgen angekündigt hat, gemeinsam mit den Bun-
desländern eine Initiative zur Anpassung des Wohngelds
an die gestiegenen Heizkosten zu starten. Ich finde, es ist
ein Unding, dass jemandem der Umzug in eine Wohnung
verweigert wird, weil für diese eine höhere Kaltmiete zu
zahlen ist als für die alte, obwohl die neue Wohnung we-
sentlich besser gedämmt ist und deswegen keine höhere
Warmmiete zu zahlen ist. Hier stehen deutsche Gesetze
dem Klimaschutz entgegen. Wir werden 2008 die För-
dermechanismen und die Gesetze anpassen, um den so-
zialen Aspekt beim Klimaschutz stärker als in der Ver-
gangenheit zu betonen. Ich glaube, das ist eine wichtige
Weiterentwicklung unseres Klimaschutzprogramms.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613603500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7763. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag
ist gegen die Stimmen der Antragsteller mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/7006 und 16/7752 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Steuerabzug bei Managerabfindungen be-
grenzen

– Drucksache 16/7530 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE

Begrenzung der Managervergütung fördern

– Drucksache 16/7743 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Christine Scheel für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613603600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir führen die Debatte über hohe Bezüge von Managern
und Managerinnen – davon gibt es auch ein paar – heute
nicht zum ersten Mal. Wir, die Grünen, wollen mit unse-
rem Antrag dafür sorgen, dass den Worten auch Taten
folgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Die Grünen waren die Ersten, die in dieser Debatte einen
Antrag vorgelegt haben, der sowohl aus rechtlichen als
auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sinnvoll und
haltbar ist. Wir greifen mit unserem Antrag die gesell-
schaftliche Debatte auf. Ich hoffe, dass unser Antrag bei
der Großen Koalition Zustimmung findet.

Heute berichten Zeitungen und Rundfunk darüber,
dass Minister Steinbrück es durchaus richtig findet, den
staatlich subventionierten Selbstbedienungsladen für
Managerabfindungen zu schließen. Genau dies haben
die Grünen aufgegriffen. Diesen Ansatz sollten wir hier
verfolgen und zu einer klaren Entscheidung bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD] – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Guter Minister!)


Es ist völlig richtig, dass der immer größere Abstand
zwischen extrem hohen Bezügen einzelner Manager und
dem normalen Einkommen von Bürgern und Bürgerin-
nen den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesell-
schaft bedroht. Allerdings stellt sich die Frage – wir wer-
den uns in der heutigen Debatte auch mit dem Antrag
der Linkspartei auseinandersetzen –, welche Antwort
man darauf gibt. Die Antwort, die gegeben werden kann,
muss natürlich auch umsetzbar sein. Das Parlament, die






(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
Politik, muss brauchbare Regelungen treffen und darf
nicht eine Antwort geben, wie sie von der Linkspartei
gegeben wird: den populistischen Vorschlag einer Steu-
erbelastung von 65 Prozent, von dem wir heute schon
wissen, dass das Bundesverfassungsgericht ihn nicht ak-
zeptiert, weil in Deutschland der Halbteilungsgrundsatz
gilt. Das müssen Sie akzeptieren, und es hilft auch
nichts, wenn Sie dies blöd finden. Man muss Vorschläge
machen, die auch tauglich und umsetzbar sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Wir haben in unserem Antrag erstens den konkreten
Vorschlag gemacht, eine Begrenzung des Betriebsaus-
gabenabzugs vorzunehmen, damit Abfindungen, wenn
sie eine Höhe von über 1 Million Euro erreichen, nicht
mehr von den Steuerzahlern subventioniert werden.
Vielmehr sollen die Unternehmen diese Abfindungen
nicht mehr so ansetzen können, dass ihre Gewinne redu-
ziert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Vorschlag, zu dem sich Ministerin Zypries
schon positiv geäußert hat, zielt auf mehr Aktionärsde-
mokratie in unserem Land ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Hauptversammlung soll den Gesamtrahmen der Vor-
standsbezüge festlegen. Dort muss alles auf den Tisch:
nicht nur das, was der Manager oder die Managerin im
Jahr bekommt, sondern auch, welche Gewinnbeteiligun-
gen Bestandteil des Gehalts sind, welche Aufwandsent-
schädigungen und Provisionen gezahlt werden und wel-
che Konsequenzen Aktienoptionen haben. Herr Minister
Glos hat dies ebenfalls aufgegriffen. Aber das Problem
mit der Großen Koalition ist, dass immer erst laut getönt
wird, man sich aber dann, wenn es konkret wird, vom
Acker macht. Trotzdem hoffe ich sehr, dass wir hier eine
Lösung des Problems erreichen und die Hauptversamm-
lung in ihren Rechten gestärkt werden kann,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


auch wenn – das sage ich bewusst an die Adresse der
SPD – dies manchen Gewerkschaftsführern nicht gefällt,
weil sie Angst um ihren Einfluss in den Aufsichtsräten
haben. Aber wir wollen an dieser Stelle mehr Aktionärs-
demokratie.

Gut wäre des Weiteren mehr Transparenz. Wenn die
erforderlichen Informationen in den Hauptversammlun-
gen gegeben werden, dann wird das Bewusstsein aller
Anteilseigner geschärft werden; denn die Selbstbedie-
nungsmentalität, die so ausgeufert ist, geht auch auf
Kosten der Anteilseigner und -eignerinnen. Das ist vie-
len gar nicht bewusst. Mehr Transparenz führte hier zu
einer anderen Situation; dann würden die Debatten bei
den Versammlungen auch anders geführt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte nicht, dass sich die Große Koalition bei
diesem Thema wegduckt.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Niemand duckt sich weg!)


Im Moment führen wir mit Blick auf die anstehenden
Wahlkämpfe Debatten über andere Fragen. Wir möch-
ten, dass sich niemand vor diesen Missständen weg-
duckt, und wollen der Bevölkerung klipp und klar sagen,
was geht und was nicht geht. Diese Debatte muss sehr
ehrlich geführt werden, wobei folgenlose Appelle wie
der der Bundeskanzlerin an die Moral der Manager nicht
ausreichen. Es ist Gift für das Vertrauen der Bürger und
Bürgerinnen, wenn Politiker mit populistischen Themen
auf Stimmenfang gehen, dann aber wegtauchen, sodass
letztlich nichts passiert. Aus diesem Grunde muss ge-
handelt werden. Dafür gibt es einen sehr guten grünen
Vorschlag.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Kollegin Scheel bleibt auf dem Acker!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613603700

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Otto

Bernhardt das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1613603800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wegen der
Zahlung von sehr hohen Abfindungen in Einzelfällen hat
es eine sehr kritische Diskussion in Deutschland gege-
ben, und diese Diskussion über Managergehälter gene-
rell dauert an. Ich sage deutlich: Die Union nimmt diese
Diskussion sehr ernst; denn letztlich geht es um den so-
zialen Frieden in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ich will zwei Bemerkungen machen, bevor ich mich
mit den entscheidenden fünf Punkten der beiden vorlie-
genden Anträge auseinandersetze. Erste Bemerkung:
Wenn wir uns die Managergehälter in der Welt an-
schauen, dann müssen wir heute feststellen, dass an der
Spitze nicht mehr Deutschland liegt, auch nicht mehr die
westlichen Industrieländer liegen; an der Spitze liegen
heute zwei arabische Länder, dann kommen Schwellen-
länder wie China und Russland. In einer internationalen
Statistik liegen wir auf Platz 19, wie immer man das be-
rechnet.

Zweite Bemerkung: Ich glaube, es ist nicht gut, wenn
wir die Diskussion über Spitzengehälter auf den Bereich
der Wirtschaft konzentrieren. Das ist ein Bereich, mit
dem wir uns intensiv beschäftigt haben. Hier muss man
vielleicht noch einiges tun, aber ich sehe nicht ein, wa-
rum andere Bereiche, ob es der Sport oder die Kultur ist
oder ob es die öffentlich-rechtlichen Medien sind, nicht
in die Überlegungen einbezogen werden. Gehälter, die in
der Wirtschaft gezahlt werden, betreffen die Bevölke-
rung insofern, als wegen der Geltendmachung als Be-
triebsausgabe 30 Prozent weniger Steuern gezahlt wer-






(C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
den. Aber die Gehälter etwa im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen – manchmal liest man ein bisschen über die
Beträge, die da gezahlt werden – zahlen wir alle zu
100 Prozent über unsere Gebühren. Deshalb sage ich:
Wir müssen die Diskussion auf andere Bereiche erwei-
tern.

Ich komme nun zu den fünf Punkten, die in den An-
trägen stehen, die heute diskutiert werden. Zwei davon
finden sich in dem Antrag der Grünen, vier im Antrag
der Linken, in einem Punkt stimmen beide überein.

Der erste Punkt ist die Forderung nach Höchstgren-
zen für Spitzengehälter. Diese Forderung finden wir im
Antrag der Linken, und zwar bezogen auf Unternehmen,
auf die die öffentliche Hand Einfluss hat. Ich sage sehr
deutlich: So etwas wird es mit der Union nicht geben. So
etwas gibt es in keinem Land der Welt. Dies ist ein si-
cher nicht geeigneter und wahrscheinlich auch nicht ver-
fassungskonformer Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP])


Der zweite Punkt ist schon ernster zu nehmen. Da
geht es um die Frage, ob man die betriebliche Absetz-
barkeit von Abfindungen begrenzt. Der gemeinsame
Vorschlag der Linken und der Grünen liegt bei 1 Mil-
lion Euro. Das würde bedeuten, dass bei der zweiten
Million, die ein Betrieb unter Umständen aufgrund ver-
traglicher Vereinbarung zahlen muss, der Betrieb dann
300 000 Euro Steuern zahlt und derjenige, der die zweite
Million bekommt, auf diese auch noch einmal
500 000 Euro Steuern zahlt. Das heißt: Netto kommt
eine Abfindung von 500 000 Euro an, und es werden
Steuern in Höhe von 800 000 Euro gezahlt. Ich sage
nicht, dass wir diesen Weg grundsätzlich ablehnen, aber
man muss sich das wirklich genau überlegen. Rechtlich
geht das, um das klar zu sagen; denn man kann zum Bei-
spiel schon heute Aufsichtsratsvergütungen nur zur
Hälfte absetzen. Das Argument zieht also nicht.

Bei dem dritten Punkt geht es um die Frage einer be-
sonderen Steuer für Managergehälter, was letztlich logi-
scherweise eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für
alle bedeutet, weil man das nicht nur bei Managergehäl-
tern machen kann. Die Linken schlagen vor, den Steuer-
satz für zu versteuernde Einkommen ab 2 Millionen
Euro auf 65 Prozent festzusetzen; mit Solidaritätszu-
schlag und Kirchensteuer liegt man dann bei 70 Prozent.
Wir wären damit Spitzenreiter in der Welt. Ich will hier
gar nicht rechtlich argumentieren, wie es die Kollegin
Scheel getan hat. Wahrscheinlich ist das auch rechtlich
sehr problematisch. Wir wollen das aus ganz anderen
Gründen nicht: Die Reichen würden Deutschland verlas-
sen, was katastrophale Folgen hätte. Schon heute haben
viele ihren Wohnsitz in die Schweiz und nach Österreich
verlegt. Wer also glaubt, er bekäme über diesen Weg
mehr Steuern, der irrt. Dieser Weg wird weniger Steuer-
einnahmen bringen.

Der vierte Punkt betrifft die Transparenz. Wir haben
schon manche Maßnahmen zur Erhöhung der Transpa-
renz bei Aktiengesellschaften und in Analogie dazu auch
bei großen Personengesellschaften ergriffen. Wir haben
zum Beispiel der Hauptversammlung das Recht gege-
ben, auf bestimmte Dinge zu verzichten, wenn es dafür
eine qualifizierte Mehrheit gibt.

Was die Transparenz angeht, kann man durchaus über
einzelne Punkte sprechen. Ich sage auch hier sehr deut-
lich: Es muss dann auch einmal ein Blick auf andere Be-
reiche gestattet sein, und es darf keine isolierte Betrach-
tung vorgenommen werden.

Der fünfte Punkt – er ist für mich der interessanteste
in der ganzen Debatte – ist der Vorschlag der Grünen,
die rechtlichen Möglichkeiten der Aktionäre – sie bezah-
len das letztlich; sie bezahlen 70 Prozent, 30 Prozent be-
zahlen wir alle über Steuern – zu verbessern. Ich bin für
eine Erweiterung dieses Vorschlags: Wir sollten nicht
nur die Interessen der Aktionäre, die das größtenteils
bezahlen, stärker berücksichtigen, sondern auch einen
Blick auf das Vereinsrecht im Sport werfen. Ich be-
fürchte, man muss auch über mehr Transparenz dort
nachdenken. Das, was von ganz tollen Vereinen gezahlt
wird, muss auch einmal zumindest kritisch hinterfragt
werden. Vielleicht müssen wir den Verwaltungsräten in
den öffentlich-rechtlichen Bereichen mehr Kompetenzen
in dieser Frage geben.

Ich sage zu den fünf Vorschlägen, die in der Diskus-
sion sind: Eine Begrenzung des Einkommens per Gesetz
wird es mit der Union nicht geben.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das ist uns bekannt!)


Eine Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von
Abfindungen kann man diskutieren. Ich habe dazu schon
einige kritische Bemerkungen gemacht. Eine Erhöhung
des Spitzensteuersatzes über die heutigen 45 Prozent hi-
naus wird es mit der Union nicht geben. Bezüglich einer
besseren Transparenz sind wir bereit, über Einzelheiten
zu diskutieren. Ich mache den Hinweis auf eine mögli-
che Erweiterung. Das Gleiche gilt für den fünften Vor-
schlag: Stärkung der Aktionäre. Wir erweitern diesen
Vorschlag: Stärkung auch in anderen Bereichen.

Für die Union möchte ich einen Gesichtspunkt ganz
deutlich ansprechen: Angesichts der hitzigen Diskus-
sion, die zurzeit läuft – ich habe Verständnis für diese
Diskussion –, warnen wir vor übereilten gesetzlichen
Schritten. Ich vermute, dass die jetzt stattfindende Dis-
kussion schon manchen Gewerkschaftler im Aufsichtsrat
eines DAX-Unternehmens veranlasst hat, intensiver
über die Frage nachzudenken, zu welchen Punkten man
in der Vergangenheit seine Zustimmung gegeben hat.


(Frank Schäffler [FDP]: Das hat man ja bei Herrn Zwickel gesehen!)


Das wird das Bewusstsein der Verantwortlichen in den
Vorständen stärken. Ich habe nicht den Eindruck, dass es
im Sport und beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen
schon eine kritische Diskussion gibt. Dort fühlt man sich
noch in keiner Weise angesprochen. Deshalb müssen wir
die Diskussion hier erweitern.

Ich appelliere an all die Verantwortlichen, die solche
Gehälter, Abfindungen und Nebenleistungen festlegen,
sich einmal das anzuschauen, was eine Regierungskom-

(A)







(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
mission im Sommer letzten Jahres zu dieser Problematik
unter dem Motto Selbstverpflichtung vorgelegt hat. Ich
sage sehr deutlich: Natürlich hat für uns von der Union
Selbstverpflichtung Vorrang vor gesetzlichen Maßnah-
men.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Wenn das funktioniert!)


Ich vermute allerdings, dass am Ende der Diskussion
auch einige gesetzliche Änderungen stehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613603900

Das Wort hat der Kollege Hermann Otto Solms für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613604000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Scheel hat den Antrag der Grünen hier vor-
gestellt. Dieser Antrag beginnt mit einem wichtigen
Satz:

Das immer weitere Auseinanderklaffen der Bezüge
am oberen und unteren Ende der Einkommensskala
ist zu einer ernsten Bedrohung der ethischen
Grundlagen unserer Gesellschaft geworden.

Ich stimme dem zu. Aber ich will vorausschicken: Wer
an andere hohe ethische Ansprüche stellt, muss bei sich
selbst anfangen.


(Beifall bei der FDP)


Ich bin aus dem Staunen nicht herausgekommen, als
ich heute Morgen – zehn Tage vor den Landtagswahlen –
Zeitungen aufschlug und eine Anzeige der Bundestags-
fraktion Bündnis 90/Die Grünen sah, in der rein land-
tagswahlbezogene Themen behandelt werden, nämlich
Jugend, Kriminalität und Bildung. Gefunden habe ich
diese Anzeige in den Zeitungen Frankfurter Allgemeine,
Frankfurter Rundschau, Hannoversche Allgemeine,
Neue Presse aus Hannover und Süddeutsche Zeitung; in
Bayern finden ja Anfang März Kommunalwahlen statt.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und in Hamburg?)


– Die Zeitungen in Hamburg habe ich nicht überprüft.
Das überlasse ich Ihnen; überprüfen Sie bitte auch noch
die Hamburger Zeitungen.

Ich möchte dazu nur sagen: Das ist unzulässig; zu die-
sem Ergebnis sind wir immer wieder gekommen, wenn
wir uns mit solchen Fällen befasst haben.


(Beifall bei der FDP)


Das erhebt den Verdacht der unzulässigen Parteienfinan-
zierung. Damit muss sich der Rechnungshof befassen.
Sie können nicht mit den Steuergeldern der Bundestags-
fraktion Wahlkampfmittel und Wahlkampfeinsätze fi-
nanzieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Vor allem nicht, wenn Grün-Schwarz droht!)


– Das mit Grün-Schwarz kommt noch hinzu.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Zurück zum Thema. Natürlich kann man sich ärgern,
wenn Manager absurd hohe Gehälter und Abfindungen
erhalten, insbesondere, wenn sie erfolglos gehandelt ha-
ben. Die Frage ist nur: Soll sich jetzt die Politik – bei den
Mindestlöhnen wie bei den Managergehältern – in die
Lohnfindung einmischen? Wir in Deutschland haben
doch immer das in der Verfassung festgeschriebene
Grundprinzip der Vertragsfreiheit gesichert und bewahrt.
Werden nicht die Gewerkschaften entmachtet, wenn jetzt
die Politik die Löhne festsetzt?


(Zuruf des Abg. Florian Pronold [SPD])


Ich möchte daran erinnern, in welch schwierige Situa-
tion die Gewerkschaften dadurch kommen.

Die Tarifautonomie wurde immer wieder von allen
Parteien im Bundestag bestätigt. Jetzt wollen Sie sich in
die Lohnfindung einmischen, und das in einem Parla-
ment, das nicht einmal in der Lage ist, eine vernünftige
Versorgungsregelung für die Abgeordneten selbst zu be-
schließen.


(Beifall bei der FDP)


Jetzt wollen Sie für alle reden; dabei kann doch nichts
Vernünftiges herauskommen.

Wenn Sie das machen, dann werden Sie bei jeder
Wahl Oskar Lafontaine hinterherlaufen, weil er immer
noch weiter als Sie geht und das Stöckchen immer höher
hebt;


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist gut so!)


Sie kommen da nicht hinterher. Es wird genau so laufen
wie jetzt bei den Steuervorschlägen: Sie haben den Spit-
zensteuersatz auf 45 Prozent angehoben; jetzt fordert
Lafontaine 65 Prozent. Wenn Sie ihm ein Stück weit fol-
gen, dann fordert er halt 75 oder 85 Prozent.


(Zuruf von der SPD: Na ja!)


Sie können seine Forderungen nie erfüllen. Auf solche
Dinge darf man sich nicht einlassen.


(Beifall bei der FDP)


Sie müssen sich schon mit der Frage befassen: Wie si-
chern wir den Standort Deutschland international, in ei-
ner offenen Welt? Die Sauerei, die jetzt von Nokia ver-
anlasst wird,


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Klassenkämpfer! – Zurufe von der SPD: Oh!)


ist in genau diesem Zusammenhang zu sehen. Die ganze
Subventionitis hat doch zu nichts geführt.


(Beifall bei der FDP)


Jetzt sind die Bindefristen für die Subventionen ausge-
laufen; die Subventionen sind kassiert. Jetzt wird die
Ansiedlung von Nokia in Rumänien indirekt mit unseren






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms
Steuergeldern von europäischer Ebene mitfinanziert.
Selbst wenn nicht direkt subventioniert wird, werden
steuerliche Begünstigungen gewährt und Rahmenbedin-
gungen geschaffen; wir finanzieren das mit. Das kann so
nicht weitergehen.


(Beifall bei der FDP)


Wenn wir in diesem Wettbewerb bestehen wollen,
dürfen wir nicht auf die Handvoll Manager schauen,
sondern auf die 40 Millionen Beschäftigten in Deutsch-
land.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Jawohl!)


Was hat die Große Koalition mit den Beschäftigten ge-
macht? Sie hat ihre Steuern und Abgaben dramatisch
erhöht, sodass eine durchschnittliche Familie im Jahr
1 600 Euro weniger in der Tasche hat.


(Beifall bei der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das Gegenteil wäre richtig: Abgaben senken, Steuern
senken, die rigide Arbeitsmarktpolitik entflechten, flexi-
bilisieren, damit die Rahmenbedingungen in Deutsch-
land mindestens so gut wie in den Wettbewerbsländern
sind, mit denen wir zu tun haben.


(Beifall bei der FDP)


Dann brauchen wir uns nicht zu fürchten, dann wird es
hier wieder zu Ansiedlungen kommen, dann werden Un-
ternehmen sogar zurückkommen. Wenn Sie immer mehr
regulieren und sich in unternehmerische Entscheidungen
oder Entscheidungen der Arbeitnehmerseite einmischen,
werden Sie dafür sorgen, dass die Unternehmen einen
großen Bogen um Deutschland machen.

Es gilt unser Appell: Ethische Grundsätze müssen
auch in der Wirtschaft gelten. Die Rechte der Arbeitneh-
mer – sie sind über den Aufsichtsrat immer an den Ent-
scheidungen beteiligt –, der Arbeitgeber und insbeson-
dere der Aktionäre müssen gestärkt werden. Ich halte es
auch für richtig, mehr Transparenz zu schaffen. Herr
Bernhardt, das muss natürlich für alle gelten: nicht nur
für die Wirtschaft, sondern beispielsweise auch für den
Sport, für die Kunst und für öffentlich-rechtliche Organi-
sationen. Das muss überall gelten. Das kann gestärkt
werden. Aber die Entscheidungen selbst müssen da ge-
troffen werden, wo auch die Verantwortung dafür liegt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind dafür nicht verantwortlich. Die Politik darf sich
nicht selbst alles aufladen.

Das ist unser Appell: Lassen Sie die Entscheidungen
dort, wo sie hingehören! Flexibilisieren Sie! Schaffen
Sie Erleichterungen für die Menschen bei Steuern und
Abgaben! Dann wird die Zukunft in Deutschland viel
besser gesichert sein.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Dann können wir gleich nach Hause gehen!)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613604100

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Rede ID: ID1613604200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Juristen sagen: Ein Blick ins Gesetz
erleichtert die Rechtsfindung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig! Stimmt aber auch nicht immer!)


Manchmal trägt ein solcher Blick ins Gesetz allerdings
auch zur Moralfindung bei. So ist zum Beispiel ein Blick
in § 87 des Aktiengesetzes recht aufschlussreich. Darin
heißt es:

Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Ge-
samtbezüge … dafür zu sorgen, daß die Gesamtbe-
züge in einem angemessenen Verhältnis zu den
Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der
Gesellschaft stehen.

Diese Angemessenheit der Bezahlung haben einige
Vorstände leider aus den Augen verloren.

Managergehälter in Höhe von 60 Millionen Euro, Ab-
findungszahlungen für Versagen der Manager in einer
Höhe, die ein durchschnittlich verdienender Arbeitneh-
mer in seinem gesamten Erwerbsleben nicht erwirtschaf-
ten wird,


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: In Generationen nicht!)


die Arroganz derer, die diese Summen damit rechtferti-
gen, dass sie es aufgrund ihrer Verantwortung und ihrer
Leistung – angeblich – verdient hätten, so viel Geld zu
erhalten,


(Jürgen Koppelin [FDP]: Was kriegt eigentlich euer Herr Mehdorn?)


all das lässt einen Großteil der Bevölkerung nur noch
verständnislos den Kopf schütteln.

Es verwundert daher nicht, dass immer mehr Men-
schen in unserem Land eine Gerechtigkeitslücke bekla-
gen. Wenn nur noch 15 Prozent der Menschen in
Deutschland der Ansicht sind, das Einkommen sei ge-
recht verteilt, so spricht das Bände. Es ärgert die Men-
schen, dass Topmanager zweistellige Millionenbeträge
kassieren und gleichzeitig verkünden, dass sie einen
Großteil der Belegschaft auf die Straße setzen. Es ärgert
die Menschen, dass dagegen zu wenig getan wird. Wohl-
gemerkt: Es geht hier nicht um das Führen einer Neidde-
batte, sondern um die Pflichten, die aus dem Sozial-
staatsgebot des Grundgesetzes folgen.


(Beifall bei der SPD)


Wir als SPD sind nicht bereit, die von den Menschen
wahrgenommene Ungerechtigkeit weiter zu akzeptieren.
Häufig hört man den Spruch, die Vorstände der Aktien-
gesellschaften seien nur ihren Aktionären verpflichtet,
um in deren Sinn Gewinnmaximierung zu betreiben. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Ulrich Krüger
sage Ihnen dazu: Die Topmanager sind darüber hinaus
auch ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ver-
pflichtet, die – häufig unter Lohnverzicht – einen großen
Beitrag zur Gewinnerzielung des Unternehmens geleis-
tet haben.


(Beifall bei der SPD)


Versagen nun hochbezahlte Vorstände auf ganzer Li-
nie, was häufig dazu führt, dass Hunderte, ja Tausende
von Arbeitsplätzen verloren gehen, kann zumindest ich
nicht erklären, weswegen es im Sinne des § 87 Aktien-
gesetz angemessen sein soll, diesen Menschen Abfin-
dungen für ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen zu
zahlen, und zwar Abfindungen in einer Höhe, die die
meisten der arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer in ih-
rem ganzen Erwerbsleben nicht erwirtschaften können.

Solche Zahlungen, seien es überzogene Gehaltszah-
lungen, seien es überzogene Abfindungszahlungen, wer-
den auch sozialisiert – das klang schon an –, indem sie
als Betriebsausgaben den Gewinn der Unternehmen
mindern und damit zu geringeren Steuereinnahmen füh-
ren. Hier ist die Grenze des guten Geschmacks über-
schritten.

Exzessive Managergehälter sind selbst dann nicht ge-
rechtfertigt, wenn der Manager sein Unternehmen gut
platziert hat. Eine solche Leistung ist sicherlich zu wür-
digen, nur sollte man in Bezug auf die Entlohnung auch
eine gehörige Portion Vernunft und Einsicht erkennen
lassen. Stellen wir uns einmal vor, die für den aktuellen
Aufschwung in Deutschland nicht ganz unverantwortli-
chen fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
würden ihren Anteil an der guten wirtschaftlichen Ent-
wicklung in ähnlicher Weise einfordern wie manche
Topmanager und nach Jahren des Lohnverzichts bzw.
stagnierenden Reallohns nicht 5 bis 8 Prozent, sondern
50 oder 80 Prozent fordern! Den Aufstand in der Vor-
standsetage möchte ich einmal sehen.

Sicherlich ist es schwierig, Begriffe wie Leistung und
Verantwortung zu definieren. Ein Arzt auf der Intensiv-
station hat meines Erachtens ebenso viel Verantwortung
für Menschen, gar für Menschenleben, wie ein Top-
manager. Fakt ist aber, dass die Einkommen von Top-
managern und Assistenz-, ja sogar Chefärzten meilen-
weit zugunsten der Manager auseinanderklaffen.

Wir sehen also, das Thema bewegt das Gerechtig-
keitsempfinden der Menschen, die sich völlig zu Recht
über Lohnstillstand und Lohnverzicht empören, wenn
sie gleichzeitig erleben, wie eine ganz bestimmte Kaste
ihre Gehälter und Abfindungen nach oben treibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier ist politisches Handeln notwendig und richtig. Aus
diesem Grunde hat die SPD im Dezember letzten Jahres
eine Arbeitsgruppe mit dem Titel „Angemessenheit
und Transparenz von Managervergütungen“ eingerich-
tet. Es geht uns dabei nicht darum, um auch das klar zu
sagen, einen staatlich verordneten Höchstlohn zu schaf-
fen. Jeder Manager soll so viel verdienen können, wie er
verdient hat, aber ohne dabei das Augenmaß zu verlie-
ren; denn auch Manager haben Vorbildcharakter in unse-
rer Gesellschaft und sollten sich dessen bewusst sein.

Daher ist selbstverständlich zu überlegen, wie Vor-
standszahlungen transparenter gestaltet werden können.
Ein Kollege von uns hat vor einigen Wochen zu einer
ähnlichen Thematik gesagt, Sonnenschein sei ein gutes
Reinigungsmittel. Ich kann dem nur beipflichten. Die
Aktionäre zum Beispiel sind bei Gehaltsverhandlungen
gar nicht dabei, sondern müssen darauf vertrauen, dass
die zuständigen Gremien in ihrem Sinne handeln. Aber
auch der Aufsichtsrat in Gänze ist häufig nicht vollstän-
dig einbezogen. In der Praxis führt vielmehr der Auf-
sichtsratsvorsitzende, häufig genug selbst Vorstands-
mitglied oder Vorstandsvorsitzender eines anderen
Unternehmens, gegebenenfalls unterstützt von einem
diskreten Präsidialausschuss, im stillen Kämmerlein die
Gehaltsverhandlungen.


(Zuruf von der FDP: Wie bei der IKB!)


Andere Aufsichtsratsmitglieder erfahren hiervon in der
Regel nur auf Anfrage. Ändern können sie bei mitbe-
stimmten Unternehmen angesichts des Zweitstimmrech-
tes des Aufsichtsratsvorsitzenden häufig nicht mehr
allzu viel.

Getreu dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen
kein Auge aus“ besteht deshalb häufig gar kein Inte-
resse, Managergehälter zu begrenzen. Hier kann man
prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, der Hauptversamm-
lung Rahmenrechte zu geben. So könnte sie Vorschläge
für eine ganz bestimmte Gehaltsskala machen; das wäre
eine Art Richtlinie, an die sich der Aufsichtsratsvorsit-
zende dann auch zu halten hätte. Das könnte man gege-
benenfalls mit einem Missbilligungsrecht der Aktionäre
verbinden. Dies hätte den Effekt, dass die Hauptver-
sammlung entscheiden könnte, was die Leitung ihres
Unternehmens ihr letztendlich wert ist.

Ein weiterer wichtiger Punkt – auch das ist schon an-
geklungen –, wo man ansetzen könnte, ist die Möglich-
keit des steuerlichen Abzugs von Managergehältern
und Abfindungen. Selbst im Mutterland des Kapitalis-
mus, den USA, können Firmen die Gehälter ihrer Top-
manager nicht unbegrenzt von der Steuer absetzen: ohne
gesonderte Begründung nur in Höhe von 1 Million Dol-
lar. In Deutschland ist es so, dass exorbitante Manager-
gehälter und Abfindungen komplett abgesetzt werden
können. Das hat zur Folge, dass der Gewinn der Unter-
nehmen minimiert wird. Dass hier ein Fehler im System
steckt, leuchtet jedem ein. Das haben auch die Autoren
des Deutschen Corporate Governance Kodex Mitte letz-
ten Jahres ansatzweise erkannt und demgemäß eine neue
Schwerpunktsetzung bei Abfindungsregelungen emp-
fohlen. Diesen Gedanken muss man weiterentwickeln
und die Gestaltungsmöglichkeiten unseres Steuerrechtes
nutzen.

Von daher bin ich froh, dass zumindest heute Morgen
in dieser Runde Klarheit darüber besteht, dass der Steu-
ergesetzgeber hier in rechtlich einwandfreier Weise tätig
werden kann. Wenn es nämlich in § 10 Nr. 4 des Körper-
schaftsteuergesetzes heißt, dass Aufsichtsratsvergütun-
gen nur zur Hälfte absetzbar sind, und es in § 4 Abs. 5






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Ulrich Krüger
des Einkommensteuergesetzes heißt, dass bestimmte Be-
triebsausgaben eben nicht steuermindernd geltend ge-
macht werden können, so folgt daraus: Verfassungs-
rechtliche Probleme bei einer entsprechenden Regelung
bestehen nicht.


(Beifall bei der SPD)


Um es zum Abschluss noch einmal ganz deutlich zu
sagen: Jeder ordentliche Manager in Deutschland, der
viel und Gutes für sein Unternehmen tut, der zum Be-
stand und zur Vermehrung von Arbeitsplätzen beiträgt,
soll ordentlich verdienen können. Hierbei ist aber Au-
genmaß zu wahren. Ein Überschreiten dieser Grenzen ist
unverhältnismäßig, unsozial und ungerecht, und es ist
schlichtweg unverständlich, wenn Loser-Manager Mil-
lionenabfindungen kassieren.

Ziel unserer Arbeit wird es daher sein – ich spreche
hier insbesondere für die SPD-Fraktion –, einen Beitrag
zu etwas mehr sozialer Gerechtigkeit in diesem Lande
zu leisten; denn – da können wir, wie ich denke, unserem
Bundespräsidenten nur beipflichten – sozialer Friede ist
ein Standortvorteil unserer Republik. Das sollten wir bei
der künftigen Bearbeitung der vorliegenden Anträge
nicht aus den Augen lassen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613604300

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Oskar

Lafontaine das Wort.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613604400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Bevor ich zum Thema komme, gestatten Sie
mir, Herr Kollege Solms, eine Bemerkung an Ihre
Adresse. Ich habe natürlich aufmerksam zugehört, als
Sie gesagt haben, dass die anderen Fraktionen der Frak-
tion Die Linke nachlaufen würden, etwa beim Steuer-
satz. Als ich dann aber gehört habe, dass Sie im Zusam-
menhang mit Nokia von einer „Sauerei“ gesprochen
haben, habe ich überlegt, was wir dazu noch sagen könn-
ten. Mir ist eingefallen: menschenverachtende Sauerei.


(Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Ich wollte Ihnen zuvorkommen!)


Aber allein aufgrund der Tatsache, dass Sie das Verhal-
ten so gegeißelt haben, lohnt es sich schon, heute im Ple-
num anwesend zu sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Nun zur Sache. Wir reden nicht über das Thema
Managergehälter, weil das irgendjemand auf die Tages-
ordnung gesetzt hat, sondern wir reden darüber, weil die
große Mehrheit der Bevölkerung über dieses Thema
spricht. Es ist richtig, dass, wie hier einige Vorredner
festgestellt haben, die Entwicklung den sozialen Zusam-
menhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Wenn das aber
richtig ist, dann ist dieses Parlament verpflichtet, darüber
nachzudenken, was es tun kann, um den sozialen Zusam-
menhalt unserer Gesellschaft zu wahren. Da gibt es na-
türlich unterschiedliche Antworten. Wir haben mehrere
Antworten gegeben. Wir haben gesagt, man könnte zum
Beispiel ins Auge fassen, das 20-Fache der untersten
Lohngruppe zur Richtlinie zu machen. Ich weise darauf
hin, dass das keine feste Höchstgrenze ist – man kann
das ablehnen; ich begründe das gleich noch –, sondern
eine dynamische Höchstgrenze; denn wir haben uns et-
was dabei gedacht. So wie wir unsere Managerinnen und
Manager einschätzen, bedeutet die Festlegung ihrer Ge-
hälter auf das 20-Fache der untersten Lohngruppe für sie
einen Ansporn, darüber nachzudenken, wie man die un-
terste Lohngruppe ausstatten kann. Das steckt dahinter.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich würde hier fast eine Wette anbieten, dass es auch so
kommen würde. Wenn es eine solche Regelung gäbe,
bräuchten wir wahrscheinlich in vielen Bereichen über
einen Mindestlohn nicht mehr nachzudenken.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das Zweite ist, dass man – da scheint sich so etwas
wie eine Gemeinsamkeit anzudeuten – den Betriebsaus-
gabenabzug bei Abfindungen begrenzt. Darauf will ich
nicht näher eingehen.

Unser dritter Vorschlag ist, die Reichensteuer stufen-
weise auszugestalten und der Entwicklung der Manager-
gehälter anzupassen. Wir haben vorgeschlagen:
65 Prozent ab 2 Millionen Euro. Ich glaube, wenn wir
darüber eine Volksabstimmung durchführen würden,
wäre es keine Frage, wie diese Abstimmung ausgehen
würde. Aber Sie denken ja, dass das Volk völlig falsch
und unvernünftig entscheidet und dass die Entscheidung
der Mehrheit in diesem Hause maßvoll und richtig ist.

Hier schauen uns auch Leute zu, die von Hartz IV le-
ben. Ich habe soeben erfahren, dass ein Kollege eine Fa-
milie eingeladen hat, die sieben Kinder hat und von
Hartz IV leben muss. Das ist also der Personenkreis, der
hier zuhört, wenn das Plenum über die Entwicklung der
Managergehälter berät. Dabei hören die Zuschauer, dass
Herr Wiedeking bei Porsche ein Jahresgehalt von 60 bis
70 Millionen Euro bekommen hat, Herr Ackermann bei
der Deutschen Bank 13,21 Millionen Euro, Herr Kager-
mann bei SAP 9 Millionen Euro und Herr Reitzle bei
Linde über 7 Millionen Euro. Man könnte das weiter
ausführen. Die Zuschauer machen sich darüber ihre Ge-
danken.

Sie machen sich ebenso ihre Gedanken, wenn sie ge-
hört haben – da werde ich jetzt konkret –, dass auch die
Bundeskanzlerin irgendwann, wie es Herr Solms formu-
liert hat, der Linken nachgerannt ist und Maßlosigkeit
bei Managergehältern beklagt hat. Ich lese hier:

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Debatte
über die Höhe von Managergehältern vor Fantasie-
abfindungen und Maßlosigkeit gewarnt.

Toll!






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Allerdings sieht die CDU-Vorsitzende in dieser
Frage die Gesellschaft und nicht den Staat am Zug.

Auch toll.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun stelle ich mir die Frage: Wer ist für Frau Merkel die
Gesellschaft?


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Wir!)


Wer das einmal näher betrachtet, stößt sehr schnell auf
die Vokabel „Gesellschaften“, und in den Gesellschaften
werden Managergehälter gezahlt. Dann merkt er auf ein-
mal, dass auch Frau Merkel „Gesellschaft“ ist. Sie ist
nämlich, wenn man so will, die oberste Chefin großer
Unternehmen. Nun kann jemand, der aufmerksam die
Debatte verfolgt, feststellen, dass diese oberste Chefin
vieler Unternehmen dort, wo sie Verantwortung trägt,
sich völlig anders verhält, als sie öffentlich reklamiert.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was haben Sie denn als Bundesfinanzminister gemacht? Haben Sie Akzente als Bundesfinanzminister gesetzt?)


Das möchte ich jetzt am Beispiel der Bahn erläutern, wo
der Bund – solange die Bevölkerung Sie davon abhalten
kann, die Bahn zu verkloppen – noch 100-prozentiger
Gesellschafter ist.

Wir können lesen: Im letzten Jahr hat sich der Vor-
stand der Bahn die Bezüge um 70 Prozent erhöht. Wir
können ferner lesen – auch das ist von Bedeutung –, dass
sich im letzten Jahr der Aufsichtsrat die Bezüge um
256 Prozent erhöht hat. Nun stellen wir uns die Frage,
was die Chefin der Bundesregierung – sie ist, wenn man
so will, die Chefin dieser öffentlichen Unternehmen – ei-
gentlich getan hat. Ihre ganzen Worte sind in den Wind
gesprochen. Sie ist völlig unglaubwürdig. Solange sol-
che Zustände in öffentlichen Unternehmen herrschen,
sollte sie nicht mehr über Managergehälter reden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das ist einfach eine Irreführung der Öffentlichkeit und
zeigt einen großen Mangel an Glaubwürdigkeit. Ich habe
für ein solches Verhalten überhaupt kein Verständnis.

Wenn die Bundeskanzlerin gleichzeitig sagt, Toyota
zahle gemäß einer Unternehmensregel den Managern
nur das 20-Fache des Gehaltes eines Arbeitnehmers,
dann muss ich fragen, warum sie ein paar Wochen vor-
her in namentlicher Abstimmung gegen eine entspre-
chende Regelung war. Das ist ein völlig unglaubwürdi-
ges Verhalten, an das ich an dieser Stelle erinnern will.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wenn man der Theorie vieler in diesem Hause folgt,
dann müsste eine Massenauswanderung von Spitzen-
managern aus Japan stattfinden. Bei solch miserablen
Einkommen müssten sie alle in den Vereinigten Staaten,
in Dubai oder sonst wo tätig sein. Offensichtlich gibt es
aber noch Gesellschaften, auf die Ihre Prognosen über-
haupt nicht zutreffen. Augrund ihrer Moral sagen die Ja-
paner – vielleicht hat es auch mit der Kultur oder der Re-
ligion zu tun –: Wir sind für den sozialen Zusammenhalt
unserer Gesellschaft verantwortlich und überziehen
nicht maßlos. Deshalb ist das, was in Japan geschieht,
tatsächlich vorbildlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das größte Problem ist, wie sich die Chefs der bun-
deseigenen Unternehmen, begünstigt vom Verhalten
der Kanzlerin und allen, die in den Aufsichtsräten und in
den Gesellschafterversammlungen sitzen, aufführen.
Das ist doch unglaublich. Der Vorstand der Bahn hat
sich selbst das Gehalt um 70 Prozent und der Aufsichts-
rat seine Bezüge um 256 Prozent erhöht. Bei Lokführern
gibt es nun eine 11-prozentige Lohnsteigerung. Das
macht zusätzlich nur 20 Millionen Euro aus. Obwohl die
Lohnkosten bei der Bahn 9 Milliarden Euro betragen,
spricht man davon, Personal abzubauen und die Preise
anzuheben. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das zeigt, welche Moral mittlerweile in die Unterneh-
men eingekehrt ist. Das zeigt aber auch, dass Sie in der
Verantwortung stehen, ob es Ihnen passt oder nicht.
Wenn Ihnen nicht bekannt ist, wie man sich als Hauptge-
sellschafter in staatlichen Unternehmen verhält, sind wir
gerne bereit, Ihnen Auskünfte zu geben.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie haben es als Bundesfinanzminister vorgemacht! Sie haben Wegmarken gesetzt! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU])


Es ist unglaublich, was sich die Bundesregierung hier er-
laubt. Sie haben sich völlig unglaubwürdig gemacht, da
können Sie hier noch so laut tönen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Im Übrigen haben Sie sich hier lächerlich gemacht,
indem Sie sagen, dass wir mehr Transparenz brauchen.
Was soll denn dieses Geschwätz? Sie können doch alles
nachlesen, was in den Unternehmen, in denen Sie die
Verantwortung und das Sagen haben, passiert. Wenn Sie
da nach Transparenz rufen, ist das kläglich und schlicht
lächerlich. Transparenz zu schaffen, ist überhaupt keine
sinnvolle Forderung in diesem Zusammenhang.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wer hat die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne eingeführt? Das war Bundesfinanzminister Lafontaine!)


Es geht hier um den Zusammenhalt unserer Gesell-
schaft. Ich zitiere hier einmal ganz bewusst den amerika-
nischen Gerechtigkeitsphilosophen John Rawls. Er hat
gesagt: Wenn die Gesellschaft, bevor die Lebensent-
würfe verteilt werden, zu entscheiden hätte, wie die Gü-
ter verteilt werden sollten, dann gäbe es zwei Prinzipien:
Zum einen würden sich alle dafür aussprechen, dass die






(A) (C)



(D)


Oskar Lafontaine
gleichen Grundrechte verteilt würden. Zum anderen
würden sich alle dafür aussprechen, dass Einkommens-
unterschiede nur dann zu akzeptieren sind, wenn diese
Unterschiede der Gesamtgesellschaft zugute kommen.

Übertragen Sie dies einmal auf die Bahn. Die Ent-
wicklung bei der Bahn ist der klassische Beweis dafür,
dass diese Gerechtigkeitsvorstellung in ihr Gegenteil
verkehrt wurde. In dem Maße, in dem die Einkünfte der
Manager wachsen, werden nämlich die Einkünfte der
Belegschaft gedrückt. Das ist gemäß John Rawls, den
ich hier bewusst zitiert habe, ein Schlag ins Gesicht der
Menschen, was die Gerechtigkeit angeht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Natürlich sind Aktienoptionen überhaupt nicht mit ei-
ner solchen Idee zu vereinbaren. Es nützt da gar nichts,
nach Transparenz zu rufen oder an die Moral zu appel-
lieren. Aktienoptionen sind für Manager ein Anreiz, das
eigene Gehalt zu steigern. Sie werden also – so ist das
nun einmal – alles tun, um den Aktienkurs nach oben zu
bringen. Wenn sie vor die Presse treten und einen Perso-
nalabbau um 1 000, 2 000 oder 5 000 Stellen ankündigen
– wir haben das ja hundertfach erlebt –, dann wissen sie,
dass der Kurs nach oben gehen wird. Sie bereichern sich
also selbst. Das ist im Sinne von Rawls zutiefst unmora-
lisch.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Unsere Vorschläge, dies zu unterbinden, werden hier im-
mer wieder abgelehnt. Wir haben die Manager in
Deutschland lange Zeit ohne Aktienoptionen besoldet.
Ich kann nicht erkennen, dass die Erfindungsleistung,
die Produktivität und was weiß ich sonst noch in diesen
Jahren anders ausgesehen hätte.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wenn Lafontaine von Moral spricht, ist das so glaubwürdig wie eine Antidrogenkampagne der Mafia!)


Ein letzter Punkt: Es geht um soziale Verantwor-
tung. Der Begriff der Verantwortung ist in den letzten
Jahren völlig auf den Kopf gestellt worden. Jahrzehnte-
lang war er in der Bundesrepublik auf den anderen bezo-
gen. Derjenige, der Verantwortung wahrgenommen hat,
hat immer für den anderen, der schwächer war, der ihm
anvertraut war, mitgedacht, hat sich um sein Leben und
sein Schicksal gesorgt, und zwar auch auf Unternehmens-
ebene. Dieser Begriff ist mittlerweile umgedreht wor-
den: Verantwortung ist in Eigenverantwortung umdefi-
niert worden, was man sehr leicht missverstehen kann.
Wenn der Bezug auf den anderen abgelegt wurde, heißt
es: Ich habe Eigenverantwortung. Jeder ist für sein eige-
nes Schicksal verantwortlich, auch die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer. Dann verliert man die Macht-
frage in der Gesellschaft schnell aus dem Blick, und
dann handelt man genau so, wie wir es bei den Mana-
gern sehen: Man hat Eigenverantwortung, bedient sich
maßlos, und die anderen können sehen, wo sie bleiben.
Das ist die Entwicklung, die wir in letzter Zeit zu bekla-
gen haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Da hilft auch kein Verweis auf Gewerkschaftsmit-
glieder oder Aufsichtsräte; das wird der eine oder andere
ansprechen wollen. Ich will hier in aller Klarheit sagen,
dass einzelne Entscheidungen, die auf diesen Ebenen ge-
troffen wurden, nicht akzeptabel sind. Ich sage das als
Gewerkschafter in aller Klarheit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Auch diesbezüglich besteht Erneuerungs- und Reform-
bedarf. Wenn sich Betriebsratsvorsitzende großer Unter-
nehmen Sorgen über Managergehälter machen, muss ich
sagen: In dem Moment, in dem Betriebsratsvorsitzende
wie Manager entlohnt werden, stimmt im Unternehmen
etwas nicht mehr. Auch das will ich als Gewerkschafter
einmal in aller Klarheit sagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Zusammenfassung: Die soziale Verantwortung, die
hier reklamiert wird, verträgt sich überhaupt nicht mit
Selbstbedienung. Es ist ja schön, wenn wir untereinander
Glaubwürdigkeitslücken aufzeigen. Entscheidend wäre
aber, dass die Bundeskanzlerin, der Sie sicherlich eine
hohe Glaubwürdigkeit bescheinigen, in ihrem eigenen
Unternehmen mit dem anfängt, was sie jeden Tag er-
zählt. Was sie in der letzten Zeit geboten hat, ist völlig
inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Die Bundeskanzlerin wird niemals so viel Pension haben wie Sie, weil Sie drei Pensionen haben! So viel zur Glaubwürdigkeit!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613604500

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Hans

Michelbach das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613604600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege

Lafontaine, Ihr Auftritt hat dem Anliegen, der Sache,


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Schaden zugefügt!)


die hier begründet diskutiert wird,


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Großen Schaden zugefügt!)


sehr geschadet;


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN)


denn ein Vergleich zwischen Hartz-IV-Empfängern und
Managern wie Herrn Ackermann und Herrn Wiedeking
ist Populismus. Das kann man letzten Endes nur in das
Volk hineintragen, wenn man die Leute verdummen und

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Hans Michelbach
verketzern will. Das kann es doch nicht sein. Sie reißen
hier sozialistische Sprüche und leben selbst wie Gott in
Frankreich. Das kann doch nicht sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Geben Sie von Ihren drei Pensionen doch einmal etwas
ab; dann können Sie vielleicht Glaubwürdigkeit errei-
chen.

Ich kann nur sagen: Sie haben als Bundesfinanzminis-
ter überhaupt nichts bewirkt.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)


Im Gegenteil: Sie haben die Veräußerungsgewinne der
Deutschland AG steuerfrei gestellt.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Witzbold! Sie haben doch keine Ahnung!)


Das ist die Wahrheit, die Sie ertragen müssen. Sie haben
versagt. Und jetzt glaubt man Ihnen diese sozialistischen
Sprüche nicht mehr.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Würden Sie Ihre Lügen zurückziehen!)


Das können Sie nicht für sich in Anspruch nehmen.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Würden Sie Ihre schamlose Lüge zurückziehen!)


Die aktuelle Debatte über Managergehälter und Ab-
findungen müssen wir sehr ernst nehmen, weil es leider
Beispiele gibt, die der Glaubwürdigkeit der sozialen
Marktwirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Das
Problem darf nicht verharmlost werden, wollen wir die
Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft in der Bevölke-
rung erhalten. Man muss das aber differenziert sehen. Es
besteht kein Zweifel daran, dass es weltweit kein besse-
res Wirtschaftssystem als die soziale Marktwirtschaft
nach deutschem Vorbild gibt, die wir seit Ludwig Erhard
zum Erfolg geführt haben.

Unser Wirtschaftsstandort lebt von der Kultur seiner
Unternehmen. Insgesamt gesehen besteht die große
Mehrheit aus leistungsfähigen und verantwortungsbe-
wussten Firmeninhabern und Managern. Die Wirtschaft
selbst hat größtes Interesse am sozialen Frieden. Des-
wegen muss der Auswuchs geächtet werden. Die Äch-
tung von Auswüchsen ist das Grundthema, das wir hier
anstoßen müssen.

Als mittelständischer Unternehmer stehe ich oft im
Wettbewerb mit von Managern geführten Konzernunter-
nehmen. Es liegt in der Natur des Wettbewerbs, dass er
nicht immer zu Gleichheit führen kann. Jedoch darf das
Handeln von Managern nicht dazu führen, dass die Ak-
zeptanz der sozialen Marktwirtschaft in der Öffentlich-
keit als freiheitliches System weiter beschädigt wird.
Nehmen Sie – darüber müssen wir reden – den Südenfall
des Jahres 2007 von Postchef Zumwinkel; nach meiner
Ansicht ist es einer. Als personifiziertes Wettbe-
werbshindernis hat er es fertiggebracht, in erstaunlichem
Zusammenspiel mit einer Gewerkschaft die Politik gera-
dezu über den Tisch zu ziehen.

(Jürgen Koppelin [FDP]: So ist es!)


Durch die Auswirkungen seines Gebarens auf den
Aktienkurs hat er dann auch noch kräftig Kasse ge-
macht. Das ist der Vorstand eines Staatsunternehmens.
Wo ist unser Aufschrei, dass wir so etwas nicht akzeptie-
ren können? Nehmen wir den aktuellen Subventions-
missbrauch von Managern bei Nokia in Bochum oder
die dreisten Lügen von Bankmanagern gegenüber ihren
Anlegern im Zuge der Subprime-Krise. Vertrauensbruch
und Raffgier sind nicht akzeptabel. Sie schaden vielen
Marktteilnehmern. Solche Beispiele sind sicher ein An-
schlag auf unsere soziale Marktwirtschaft.


(Abg. Jürgen Koppelin [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Muss das sein, Herr Koppelin?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613604700

Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Koppelin?


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613604800

Bei Herrn Koppelin sage ich nie Nein.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gefährlich, gefährlich!)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1613604900

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Sie sprachen da-

von, dass der Postchef die Politik über den Tisch gezo-
gen hat. Könnte es aber auch sein, dass die Union beim
Mindestlohn in die Falle getappt ist und dass Herr
Zumwinkel die Politik nicht über den Tisch gezogen
hat?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nie!)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613605000

Herr Kollege Koppelin, die Fallen sind manchmal

größer und manchmal kleiner. Sie sind sicher auch schon
in die eine oder andere Falle getappt. Ich möchte nicht
sagen, dass es eine Falle war.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ein Fettnäpfchen!)


Vielmehr hat er die Arbeitgeberverbände in einer Weise
ausgenutzt, dass nur noch das Entsendegesetz übrig
blieb. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich grundsätzlich
der Auffassung bin, dass man – davon habe ich gespro-
chen – diese Entwicklung und dieses Vorgehen öffent-
lich ächten muss, das darin besteht, dass man versucht,
Wettbewerber auszugrenzen, letzten Endes auch zulasten
der Arbeitnehmer, die in diesen Wettbewerbsunterneh-
men arbeiten.

Wir müssen – dafür möchte ich werben – Leistung
und Erfolg in unserer Wirtschaftsordnung immer wieder
Anerkennung verschaffen. Deshalb ist eine Bewertung
von unternehmerischen Leistungen nie eine staatliche
Aufgabe. Staatliche Eingriffe in privatwirtschaftliche Ei-
gentumsrechte sind in einer freiheitlichen Demokratie
nicht statthaft. Was soll der Staat regulieren? Wie soll
das gehen? Es ist Sache der Wirtschaft selbst, diese Aus-
wüchse zu stoppen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Hans Michelbach
Wir haben keine Planwirtschaft, sondern ein freiheitli-
ches System. Hier sind Eigenverantwortung und Augen-
maß von der Wirtschaft selbst gefragt. Wir müssen
Transparenz schaffen. Wir müssen deutlich machen, dass
es Dunkelkammern gibt, wo Licht nicht benötigt oder ge-
sucht wird. Hier müssen wir – so wie es Kollege
Bernhardt gesagt hat – die Hauptversammlungen stär-
ken, die Aktionärs- und Anlegerinteressen stärken und
Transparenz – auch im Interesse der Verbraucher – schaf-
fen. Ich denke auch an den Medienbereich, den Sportbe-
reich und viele andere Bereiche.

Ich glaube, der richtige Weg ist, auf die Selbstheilung
der Wirtschaft zu setzen und nicht den Staat als Allheil-
mittel zu nutzen. Er kann dies nicht leisten. Ich bin ge-
gen politische Placebos. Denn dann werden wir nicht
ernst genommen, und wir können über populistische Re-
den, wie wir sie hier gehört haben, nicht hinauskommen.
Deswegen darf eine Schieflage in Einzelfällen nicht zu
ordnungspolitischen Fehlentwicklungen führen. Ohne
Eigenverantwortung ist das freiheitliche System der so-
zialen Marktwirtschaft nicht vorstellbar und nicht hand-
habbar. Deshalb müssen wir gerade diese Themen sehr
ernst nehmen.

Wenn wir das Steuerrecht weiterhin für eine relativ
geringe Anzahl von Personen in höchst zweifelhafter
Weise verwüsten, dann frage ich mich schon: Ist das das
richtige Rezept? Ich verwahre mich dagegen, dass das
Nettoprinzip unseres Steuerrechts weiter zerstört wird.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])


Es gibt nun einmal keine guten und schlechten Einnah-
men, es gibt keine guten und schlechten Kosten, und es
gibt keine guten und schlechten Abfindungen. Deswe-
gen müssen wir an den Rahmenbedingungen der sozia-
len Marktwirtschaft und an den Grundpfeilern unseres
Steuerrechts festhalten. Das Nettoprinzip ist auch in Zu-
kunft einzuhalten. Hier dürfen wir das deutsche Steuer-
recht nicht weiter verwüsten. Vielmehr sind Eigenver-
antwortung und Transparenz für alle anzumahnen.

Es ist natürlich problematisch, wenn ein Konzernvor-
stand mit goldenem Handschlag verabschiedet wird, ob-
wohl er offenkundig schlecht gearbeitet hat. Ich finde,
das ist eine Frage von Anstand und Moral, der sich die
Vorstände und Aufsichtsgremien selbst annehmen soll-
ten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Anstand und
Moral sind zuallererst eine Sache des Charakters und
nicht staatlicher Regulierungen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dann brauchen wir in der Wirtschaft wohl eine Charakterveränderung!)


Wir müssen aufpassen, dass wir in dieser Diskussion
nicht alle über einen Kamm scheren. Denn in unserem
Land gibt es durchaus verantwortungsbewusste Unter-
nehmensführungen, die Erfolge für Wachstum und Be-
schäftigung erzielen und den Grundsätzen guter Unter-
nehmensführung gerecht werden. Deshalb konnten wir
in den letzten Jahren Erfolge verbuchen.
Diejenigen, die in Führungspositionen sind, haben die
Pflicht, gutes Beispiel und Vorbild zu sein und schlechte
Beispiele zu ächten. Wer glaubt, das per Steuergesetz re-
geln zu können, ist nach meiner Meinung auf dem Holz-
weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielmehr sollten wir dieses Thema ganzheitlich betrach-
ten und mehr Ethik und Moral im wirtschaftlichen Han-
deln einfordern.

Diese Debatte sollte nicht nur im Deutschen Bundes-
tag, sondern auch in der Wirtschaft geführt werden. Cor-
porate Governance ist ein Anfang, aber nur ein Anfang.
Wir müssen Ethik und Moral zur Erhaltung unserer so-
zialen Marktwirtschaft weiterhin anmahnen, fördern und
auf einen erfolgreichen Weg bringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613605100

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Ich finde, es ist gut, an dieser Stelle zu fragen: Vor
welchem Hintergrund führen wir diese Debatte, und wa-
rum ist sie eigentlich so gekommen, wie sie gekommen
ist? Die entsprechenden Entwicklungen bei den Mana-
gergehältern sind ja nicht so neu, wie man jetzt aufgrund
mancher Äußerungen meinen könnte.

Es ist wichtig, sich eine Zahl, die Kollege Krüger ge-
nannt hat, anzuschauen: Nur 15 Prozent der Menschen
sind der Meinung, die Einkommensverteilung in
Deutschland sei nicht gerecht,


(Zuruf von der LINKEN: Umgekehrt!)


und das in einem Jahr, in dem die wirtschaftliche Ent-
wicklung insgesamt sehr positiv war und in dem eigent-
lich – man erinnere sich an die entsprechenden Äußerun-
gen aus der Großen Koalition – große Begeisterung
herrschen müsste, wie toll es den Menschen geht. Das ist
der Hintergrund dieser Debatte über die Auseinanderent-
wicklung der Einkommensverteilung.

Der Aufschwung, für den Sie sich in diesem Hause
unwahrscheinlich häufig selbst gelobt haben, ist bei vie-
len Menschen in unserem Lande nicht angekommen. Die
Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist
erstmals in der Geschichte unseres Landes mitten in ei-
nem Aufschwung zurückgegangen und hat nicht zuge-
nommen. Ich finde es wichtig, diesen Hintergrund auf-
zuzeigen; denn für diese Entwicklung, die erstmalig so
stattgefunden hat, tragen Sie in der Tat die Verantwor-
tung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Sie ist nämlich auf drei Faktoren zurückzuführen:






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
Der erste Faktor ist, dass Sie – auch das ist historisch
einmalig – mit einer 3-prozentigen Mehrwertsteuerer-
höhung die breite Masse der Menschen in unserem Land
belastet haben. Dass die Menschen am Aufschwung
nicht partizipieren konnten, ist ein Stück die Ernte, die
wir jetzt einfahren. Dafür tragen Sie die Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Der zweite Faktor, der die Entwicklung treibt, dass
die Menschen weniger Geld in der Tasche haben, ob-
wohl die Wirtschaft gut läuft, sind die Energiepreise.
Hier haben Sie sich dafür entschieden, sich für den
Schutz der Oligopolisten starkzumachen, anstatt dafür
zu sorgen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher
möglichst günstige Preise bekommen. Auch dieser Fak-
tor geht auf Ihr Konto.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der dritte Faktor ist die Lohnentwicklung. Wenn die
Menschen an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwick-
lung nicht teilhaben, beschweren sie sich natürlich da-
rüber, dass einige Leute gigantische Lohnzuwächse ha-
ben. Auch da hat sich die Große Koalition in diesem
Haus im vergangenen Jahr medienwirksam, wahlkampf-
wirksam um jeden kleinen Schritt gestritten, anstatt et-
was dafür zu tun, dass die Menschen über eine gute Loh-
nentwicklung am Aufschwung teilhaben. Das ist der
Grund für diese Debatte, meines Erachtens viel wichti-
ger als manch einzelne Fehlentwicklung. Für diese drei
Punkte tragen Sie als Große Koalition die Verantwor-
tung. Da müssen Sie etwas tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vor diesem Hintergrund findet diese Debatte statt, die
Sie teilweise instrumentalisiert haben.

Wir Grüne sind der Meinung, dass auf die Fehlent-
wicklungen in den oberen Gehaltsetagen Antworten ge-
funden werden müssen. Ich greife gern die Bemerkun-
gen von Herrn Bernhardt auf, dass man dieses Thema
breiter diskutieren sollte. Wir schlagen entlang unserer
grünen Linie, des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsge-
setzes, das wir in der rot-grünen Regierungszeit entwi-
ckelt haben, Folgendes vor:

Erstens, die Begrenzung der steuerlichen Absetz-
barkeit. Herr Michelbach, Sie haben gesagt, man dürfe
bei der Steuer nicht zwischen „guten“ und „schlechten“
Ausgaben der Unternehmen unterscheiden. Ich möchte
Sie darauf hinweisen, dass es auch an anderer Stelle Ein-
schränkungen gibt, was absetzbar ist und was nicht, etwa
bei Geschenken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Das heißt, das Steuerrecht hat die Aufgabe, an den Stel-
len, an denen es Fehlentwicklungen gibt, festzulegen,
was angemessen ist und was nicht. Ich finde, man kann
sich da nicht mit dem Verweis auf ein allgemeines Prin-
zip herausreden. Bei Fehlentwicklungen muss das Steu-
errecht eine entsprechende Antwort liefern. Das ist der
erste Punkt, den wir vorschlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD] – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Es ist besser, bei den Ursachen anzusetzen als bei der Bemessung!)


Der zweite Punkt, den wir vorschlagen, ist Transpa-
renz. Transparenz ist kein Larifari, Herr Lafontaine, sie
würde uns an vielen Stellen guttun. Wir können heute
nur deswegen substanziell über Managergehälter reden,
weil wir in der rot-grünen Regierungszeit die Offenle-
gung der Vorstandsvergütungen verfügt haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir glauben, es ist deutlich geworden, dass wir an ein
paar Stellen nachsteuern müssen, weil in Form von Bo-
nus, Prämie etc. in den Unternehmen Ausweichregelun-
gen gefunden worden sind. Da wollen wir Licht hinein-
bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte, entscheidende Punkt: Natürlich geht das,
was die Manager bekommen, auch zulasten der Eigentü-
mer der Unternehmen. Deswegen freue ich mich sehr,
dass hier unser Vorschlag aufgegriffen worden ist, die
Hauptversammlung als Entscheidungsgremium zu
stärken, um eine bessere Kontrolle herzustellen. Damit
bin ich bei der Ursachenbekämpfung, die Sie einfordern,
Herr Dautzenberg.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist die Ursache! Nicht die Bemessung!)


Ich finde, die heutige Debatte hat gut gezeigt – das sage
ich noch einmal an die Adresse der Linkspartei –:


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613605200

Kollege Schick, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man wie die Grünen einen Vorschlag macht,
der umsetzbar ist und der eine Chance auf Verwirkli-
chung hat, dann kann man in dieser Gesellschaft etwas
vorantreiben. Noch vor kurzem hat die Kanzlerin erklärt,
gesetzliche Regelungen seien nicht nötig. Heute haben
wir gesehen: Gute Vorschläge, wie wir sie vorlegen, bie-
ten die Chance, in unserer Gesellschaft wirklich etwas
zu verändern.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613605300

Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter für die

SPD-Fraktion.


Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1613605400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

ginnen und Kollegen! Die Debatte ist ja nicht neu; denn
das, worüber wir uns hier heute wieder unterhalten müs-
sen, ist seit Jahren ein Ärgernis.

Richtig ist: Hier geht es um den sozialen Zusammen-
halt in unserer Gesellschaft. Hier geht es wirklich um
das Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Das ist et-
was, was uns auch ganz aktuell beschäftigt. Diese De-
batte ist Teil der Debatte über die Angemessenheit und
Gerechtigkeit der Verteilung von Einkommen und Ver-
mögen in unserer Gesellschaft. Dafür ist der Bundestag
zuständig, Herr Solms.

Hier gibt es offensichtlich eine Schieflage. Zu Beginn
dieses Jahres waren 600 000 Menschen in Deutschland
trotz ihrer vollen Erwerbstätigkeit, obwohl sie also voll
gearbeitet haben, auf ergänzendes ALG II angewiesen.
Auf der anderen Seite werden die Vorstandsbezüge völ-
lig von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt, und
sie steigen massiv an. Das Verhältnis der Vorstandsge-
hälter zu den durchschnittlichen Belegschaftsgehältern
ist in den letzten 20 Jahren von 14 : 1 auf inzwischen
44 : 1 angewachsen.


(Ortwin Runde [SPD]: Hört! Hört!)


Um dieses Missverhältnis geht es hier. Der soziale
Zusammenhalt, der in der Gesellschaft notwendig ist, ist
in Gefahr. Das ist auch das, was wir hier verfassungs-
rechtlich zu sehen haben. Verfassungsrechtlich ist es ge-
boten, diese Schere nicht weiter auseinandergehen zu
lassen. Wir dürfen das Band nicht weiter überstrapazie-
ren.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Michelbach, Sie haben von Ethik und
Moral gesprochen. Das ist sicher richtig. Es ist aber na-
türlich nicht mit Ethik und Moral vereinbar, wenn je-
mand, der im gleichen Betrieb bzw. Unternehmen tätig
ist, tausendmal mehr verdient als ein einfacher Arbeiter.
Ist denn die Qualität seiner Arbeit so viel besser und sein
Engagement so viel höher? Hat er eine so viel bessere
und längere Ausbildung? Hat er so viele besondere Fä-
higkeiten? Hat er alles tausendmal mehr? Ist er so uner-
setzlich? Ist das noch leistungsorientiert, Herr Solms?
Ich denke, das sind die gleichen Leute, die einerseits
Lohndrückerei nach unten zu verantworten haben und
andererseits ihre eigenen Gehälter nach oben schrauben.
Das dürfen wir so nicht mitmachen.


(Beifall bei der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie in den Medienbetrieben der SPD!)


Wir dürfen nicht länger zusehen, wenn Misserfolge
mit Gagen in Millionenhöhe vergoldet werden. Warum
soll derjenige, der aus eigenem Antrieb aus einem Unter-
nehmen ausscheidet, hinterher überhaupt noch eine Ab-
findung bekommen?
Meine Damen und Herren, es ist natürlich schlecht
möglich, diesen Herren – insbesondere sind es ja Män-
ner; in der Regel sind es keine Frauen – per Gesetz Ethik
und Moral zu verordnen oder Moral beizubringen. Wir
können durch ein Gesetz aber Transparenz und Durch-
schaubarkeit schaffen, um darüber zu neuen Anstandsre-
geln zu kommen.

Die SPD hat sofort gehandelt und eine Arbeitsgruppe
eingesetzt, die noch im Frühjahr seriöse, konkrete und
konstruktive Empfehlungen zur Angemessenheit und zur
Transparenz von Managergehältern geben wird.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ’ ich einen Arbeitskreis!)


Da wird es keine Placebos geben.

Es wird sicher nicht darum gehen, die Vorstandsge-
hälter einfach nur zu deckeln. Das würde mit dem
Eigentumsrecht sicher nicht vereinbar und mit unserer
Verfassung auch sicher nicht einfach in Einklang zu
bringen sein. Herr Solms, richtig ist, dass die Vertrags-
freiheit verfassungskonform ausgestaltet werden muss,
so wie es auch im Mietrecht und bei allen Verbraucher-
schutzrechten gilt. Wir sorgen dafür, dass die Vertrags-
freiheit im Sinne unserer Verfassung und im Sinne des
sozialen Zusammenhalts dieser Gesellschaft ausgestaltet
wird.

Insofern brauchen wir hier nicht einen abstrusen Vor-
schlag der PDS nach dem anderen auf dem Tisch, Herr
Lafontaine, sondern für uns reicht es, dass der Bundes-
finanzminister Steinbrück inzwischen auch darangegan-
gen ist, einen Kodex für all die Unternehmen zu schaf-
fen, an denen der Bund beteiligt ist. Sie haben recht:
Bundesunternehmen müssen in dieser Frage für uns
Vorbild sein.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP] – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Da bin ich ja mal gespannt!)


Der Antrag der Grünen ist ein gut gemeinter Vor-
schlag, aber auf den sind wir inzwischen selbst gekom-
men.


(Heiterkeit bei der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber ein bisschen gedauert!)


Wir haben bei dieser Frage auch in der Vergangenheit
schon gut zusammengearbeitet. Das Steuerrecht ist für
seine Elastizität bekannt, und es lässt Spielräume. Das
Argument, es handele sich um einen Verstoß gegen das
Nettoprinzip, ist nicht überzeugend. Der Gesetzgeber ist
diesbezüglich schon einmal tätig geworden. Kollege
Dr. Krüger hat dargelegt, dass es für Aufsichtsratsver-
gütungen im Körperschaftsteuergesetz eine Regelung
gibt, wonach sie nur zur Hälfte steuerlich abzugsfähig
sind.

Grundsätzlich gilt, dass freiwillige Vereinbarungen
vorgehen; das haben wir mit den Grünen damals auch so
vereinbart. Die Verantwortung für die Gestaltung von






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Uwe Benneter
Vorstandsbezügen liegt ganz klar bei denjenigen, die in
den jeweiligen Unternehmen die Verantwortung tragen.
Vor der Verabschiedung des Vorstandsvergütungs-Offen-
legungsgesetzes, das wir zusammen mit den Grünen ge-
macht haben, haben wir mit dem Deutschen Corporate
Governance Kodex auf Freiwilligkeit gesetzt. Wir muss-
ten aber feststellen, dass dies nicht ausreicht, um zu den
gewünschten Ergebnissen zu kommen.

Deshalb brauchen wir neue Vorschläge für präzise
und standardisierte Regelungen. In deren Rahmen
müssen auch Pensionszahlungen, die bisher sehr
undurchsichtig sind, berücksichtigt werden. Durch das
Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz haben wir er-
reicht, dass inzwischen immerhin 29 der 30 DAX-Unter-
nehmen die Vorstandsvergütungen individualisiert offen-
gelegt haben. Von der Opting-out-Regelung hat bisher
nur ein DAX-Unternehmen – die neu in den DAX aufge-
nommene Merck KGaA – Gebrauch gemacht. Vielleicht
sollte man sich überlegen, dieses Unternehmen aus dem
DAX herauszunehmen, wenn es auf diese Art und Weise
den Durchschnitt nach unten treibt.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz
erstellt inzwischen jährliche Studien, die uns einen guten
Überblick verschaffen und damit Vergleichbarkeit ge-
währleisten. Aber sie stellt immer wieder fest, die Offen-
legungen müssten standardisiert werden, damit eine
noch bessere Vergleichbarkeit möglich wird. Zudem
muss alles offengelegt werden, also Grundvergütung,
Fixgehälter, Boni, Sonderboni, Pensionen, Übergangsre-
gelungen, Sachbezüge und natürlich alle aktienbasierten
Vergütungen. All das muss offengelegt werden.

Ich gehe davon aus, dass die von uns eingesetzte Ar-
beitsgruppe, die im Frühjahr ihre Empfehlungen abge-
ben wird, einen ganz konkreten Vorschlag machen wird.
Wir brauchen kein Placebo. Individualisiert, standardi-
siert und vergleichbar werden die Veröffentlichungen
gemäß den neuen Regelungen sein. Wenn Frau Merkel
der Mut bis dahin nicht verlassen hat, dann werden wir
gemeinsam schnell zur Verabschiedung entsprechender
Gesetze kommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich ja einmal gespannt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613605500

Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1613605600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte werden
mit den beiden Anträge der Grünen und der Linksfrak-
tion zu Managerabfindungen und Managervergütungen
– was zweierlei ist – Themen angesprochen, die allge-
mein diskutiert, aber aus meiner Sicht mit den vorliegen-
den Anträgen nicht gelöst werden.
Auch mich und die FDP ärgert es, und ich finde, es ist
nicht in Ordnung, wenn zeitgleich mit der Entlassung
von Tausenden Menschen eine Erhöhung der Vorstands-
bezüge erfolgt. Aber auf der anderen Seite muss man se-
hen, dass das ein negativer Auswuchs ist; es gibt auch
andere Beispiele. Ich halte es für ein außergewöhnliches
Verhalten, dass der Vorstandsvorsitzende der Commerz-
bank, Klaus-Peter Müller, in den Aufsichtsrat wechselt
und gleichzeitig freiwillig auf einen vertraglichen An-
spruch in Höhe von mehreren Millionen Euro verzichtet.

Diese beiden Beispiele zeigen, dass es zwar in der
Wirtschaft wie überall schwarze, aber auch weiße Schafe
– das sind die positiven Ausnahmen – gibt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt sogar Betriebsräte wie den der Firma Porsche
– der Name Wiedeking ist nicht erst von mir in die Dis-
kussion eingeführt worden –, die öffentlich erklären, die
Vergütung ihres Vorstandsvorsitzenden sei absolut in
Ordnung und die Mitarbeiter des Unternehmens stünden
voll dahinter. Der Betriebsratsvorsitzende der Firma Por-
sche erinnert in diesem Zusammenhang an die Misere
seiner Firma in den 90er-Jahren – ich zitiere, Herr
Lafontaine –:

Wir hatten schon einmal sehr günstige Vorstände.
Die waren so günstig, dass wir fast pleite gegangen
sind.

Deshalb bin ich der Auffassung, dass die gesamte
Diskussion, in der so viel durcheinandergeworfen wird,
etwas differenzierter geführt werden sollte. Dazu möchte
ich auf drei Punkte eingehen.

Erstens. Die Diskussion nimmt ihren Ursprung in
dem Verhalten einzelner Manager börsennotierter Unter-
nehmen. Diese Unternehmen stellen aber nur einen ver-
schwindend geringen Anteil aller Unternehmen in
Deutschland dar. Die meisten Unternehmen sind inha-
bergeführte Familienunternehmen. Für sie zählen nicht
die Kurzfristigkeit, der Quartalsbericht oder die Börsen-
performance, sondern die langfristige Unternehmensaus-
richtung im Interesse des Betriebes über Generationen
hinweg und im Interesse der Arbeitnehmer. Denn nir-
gendwo sonst stehen Unternehmer und Arbeitnehmer so
eng zusammen wie in diesen familiengeführten Betrie-
ben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern kann ich nur feststellen, dass die kritisierten
Verhaltensweisen in diesen Familienbetrieben nicht zu
finden sind. Mir jedenfalls ist kein kritischer Punkt be-
kannt. Deshalb warne ich vor einer allgemeinen Unter-
nehmerschelte. Denn der Aufschwung der letzten Jahre,
das Steigen der Zahl der Arbeitsplätze und das Sinken
der Arbeitslosigkeit konnten nur deshalb erfolgen, weil
die Arbeitnehmer Lohnzurückhaltung geübt haben und
die Gewerkschaften maßvoll waren, aber auch, weil die
Unternehmer in ihren Betrieben die notwendigen Um-
strukturierungen durchgeführt haben, die dazu beigetra-
gen haben, dass mehr Menschen eingestellt werden kön-






(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
nen. Insofern bitte ich, von dem Schwarz-Weiß-Denken
Abstand zu nehmen.


(Beifall bei der FDP)


Zweitens. Wer ist für die Lohnfindung zuständig? Die
Lohnfindung ist nach unserer Auffassung und auch aus
Sicht des Grundgesetzes nicht Aufgabe des Staates, son-
dern der Tarifvertragsparteien, der Arbeitnehmer und
Arbeitgeber. In Aktiengesellschaften ist die Lohnfin-
dung für die Vorstände – über dieses Thema diskutieren
wir heute – Sache der Eigentümer. Bei Aktiengesell-
schaften werden die Eigentümer durch den Aufsichtsrat
vertreten. Bei ihm liegt die Entscheidung, aber auch die
Verantwortung.

Bei dieser Lohnfindung in den Aktiengesellschaften,
in denen schließlich auch die betriebliche Mitbestim-
mung gilt, haben die Vertreter der Arbeitnehmer diesen
Vergütungen fast immer zugestimmt. Das gilt im Übri-
gen auch für Abfindungen. Insofern sollte man an dieser
Stelle fragen, ob man diese Regelungen ändern will. Wir
als FDP halten sie für richtig. Die Zuständigkeit liegt bei
der richtigen Stelle. Der Staat hat sich herauszuhalten.
Die Arbeitnehmer sind entsprechend vertreten. Über die
sie vertretenden Personen werden sie tätig. Sie sind viel
besser in der Lage, die Situation eines Unternehmens
und die Leistungen der einzelnen Vorstandsmitglieder zu
beurteilen, als der Staat.


(Beifall bei der FDP)


Drittens. Der Staat hat eine Verantwortung, und zwar
vor allem in der Frage der Besteuerung. Je mehr jemand
verdient, desto mehr Steuern muss er zahlen. Ich halte es
für gerecht, dass in einem progressiven Tarif, den auch
die FDP in ihrem Steuermodell vorsieht, die Leistungs-
fähigen stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls he-
rangezogen werden als die weniger Leistungsfähigen.

Die Hälfte aller Lohn- und Einkommensteuerzahler
zahlen etwa 95 Prozent der gesamten Einkommensteuer.
Die obersten 5 Prozent der Lohn- und Einkommensteu-
erzahler zahlen fast die Hälfte des gesamten Steuerauf-
kommens in unserem Land. Bei Managervergütungen
und -abfindungen wird also etwa die Hälfte des Betrags
als Steuer erhoben, Herr Lafontaine, um damit öffentli-
che Aufgaben zugunsten der Allgemeinheit zu finanzie-
ren.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist ein gutes Prinzip!)


Daran will keiner rütteln, aber es muss in dieser Diskus-
sion auch angesprochen werden.


(Beifall bei der FDP – Gerd Andres [SPD]: Was will uns der Redner damit sagen?)


Zu dem angesprochenen Punkt, warum die Kaufkraft
der Bürger nicht entsprechend gestiegen ist, muss ich
feststellen: Es ist erstaunlich, wie sehr sich der Finanz-
minister für stärkere Lohnerhöhungen einsetzt. Ich bin
auf die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst ge-
spannt; denn der Finanzminister agiert gleichzeitig treu-
händerisch für die Steuerzahler und möchte die zusätzli-
chen Belastungen durch Lohnsteigerungen nicht in
seinem Etat zu verantworten haben.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613605700

Kollege Thiele, Sie haben jetzt den Kredit, den Ihnen

Herr Solms gewährt hat, aufgebraucht. Kommen Sie
bitte zum Schluss.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1613605800

Herzlichen Dank. Ich komme zum Schluss.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht die

Bruttofrage, sondern die Nettofrage, das heißt, was den
Bürgern netto von dem bleibt, was sie erarbeitet haben.
Wir sind der Auffassung, dass die Steuererhöhungspoli-
tik der Großen Koalition beendet werden muss. Die Bür-
ger müssen entlastet werden, damit sie endlich wieder
mehr von dem behalten, was sie selbst erarbeitet haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gerd Andres [SPD]: Was bleibt den armen Managern netto noch übrig? So ein Quatsch! – Gegenruf des Abg. CarlLudwig Thiele [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613605900

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege

Dr. Michael Fuchs das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1613606000

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Kollege Lafontaine, mir kommen immer die Tränen,
wenn ausgerechnet Sie über Moral sprechen.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Und mir kommen die Tränen, wenn ich Ihnen zuhöre!)


Das kommt mir so vor, als ob ein Mafiaboss über eine
Antidrogenkampagne spräche. Das hat auf mich unge-
fähr die gleiche Wirkung.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Na, na!)

Herr Lafontaine, Sie waren Finanzminister in dieser

Republik und sind davongelaufen. Nichts von dem, was
Sie heute postulieren, haben Sie damals auch nur annä-
hernd umzusetzen versucht. Ich weiß gar nicht, was Sie
wollen. Sie haben Ihre Partei verlassen und sind einfach
– amoralisch – weggelaufen.


(Gerd Andres [SPD]: Das ist schon lange her!)

Sonst haben Sie gar nichts gemacht. Dafür sollten Sie
sich schämen. Ich kann absolut nicht mehr akzeptieren,
von Ihnen Moralpredigten in diesem Hohen Hause zu
hören.

Wir reden über Managerabfindungen so, als wäre es
ein Verbrechen, wenn Firmen solche zahlen. Wer ent-
scheidet das denn? Ausschließlich die Aufsichtsräte in
den mitbestimmten großen Unternehmen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
Wir wollen klar und deutlich festhalten, dass nie eine
Abfindung gezahlt wird, ohne dass die Arbeitnehmer-
bank mitspielt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Der Kollege Ernst von der Linken beispielsweise ist
heute wahrscheinlich aus lauter Scham gar nicht anwe-
send; denn er sitzt bei SKF sowie bei Fichtel & Sachs im
Aufsichtsrat. Beide Konzerne sind mitbestimmte große
Unternehmen. In beiden Unternehmen entscheidet der
Kollege über Managervergütungen und Managerabfin-
dungen mit, sofern solche zu zahlen sind. Es gibt sicher-
lich noch mehr Abgeordnete, die in Aufsichtsräten sit-
zen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Medienunternehmen der SPD!)


Wir wollen festhalten: Die Verantwortung ist durch
den Gesetzgeber klar und deutlich geregelt. Es handelt
sich um Entscheidungen, die in mitbestimmten Unter-
nehmen vom Aufsichtsrat gefällt werden. Dorthin ge-
hört es auch. Die Eigentümer, die den Aufsichtsrat
wählen – das sind die Aktionäre –, bestimmen, wer im
Aufsichtsrat sitzt. Die Arbeitnehmerbank wird nicht auf
diese Art bestimmt, wie wir wissen. Aber die Gewerk-
schafter sind dort vertreten, zum Beispiel Herr Zwickel
bei Mannesmann oder Herr Peters bei VW, der im Auf-
sichtsrat bereits über Abfindungen mitbestimmt hat.
Spielen Sie sich also nicht so auf, und tun Sie bitte nicht
so, als wäre das Ganze amoralisch und als gingen die Ei-
gentümer mit dem Geld anderer Leute um, als wäre es
ihr eigenes.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben hier nichts anderes zu tun, als eine saubere
und ordnungsgemäße Regelung zu treffen. Wir sollten
die Kontrollgremien stärken. Ich bin auf jeden Fall da-
für, hier Transparenz walten zu lassen; darüber brau-
chen wir nicht zu diskutieren. Aber es gelten schon Ge-
setze, die für Transparenz sorgen.

Lieber Herr Benneter, das gilt auch in den Bereichen,
in denen Sie Verantwortung tragen. Wenn ich richtig in-
formiert bin, waren Sie eine Zeit lang im ZDF-Fern-
sehrat vertreten. Haben Sie dort für Transparenz bei den
Gehältern von Herrn Gottschalk und ähnlichen Größen,
die deutlich höhere Gehälter haben als die meisten Ma-
nager in dieser Republik, gesorgt? Auch hier müssen wir
die gleichen Forderungen aufstellen. Ich bin der Mei-
nung: Wenn Transparenz in den Unternehmen geschaf-
fen wird, dann gilt das auch für den öffentlich-rechtli-
chen Bereich. Die Herren und Damen, die im ZDF-
Fernsehrat und in ähnlichen Gremien vertreten sind,
müssen für die gleiche Transparenz sorgen, die wir von
Unternehmen verlangen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613606100

Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Benneter?

Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1613606200

Aber selbstverständlich. Ich habe ihn ja als lieben

Kollegen bezeichnet.


Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1613606300

Herr Kollege Fuchs, stimmen Sie mir zu, dass zwei

Fünftel der Mitglieder in dem ZDF-Fernsehrat, in dem
ich vergleichsweise kurze Zeit vertreten war, CDU-Mit-
glieder sind bzw. dem von Bundesverteidigungsminister
Franz Josef Jung geleiteten Freundeskreis angehören?


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was hat das jetzt damit zu tun?)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1613606400

Ich kenne nicht den gesamten ZDF-Fernsehrat, ver-

ehrter Herr Kollege; ich weiß nur, dass Sie in diesem
Gremium waren. CDU-Mitglieder sind genauso über die
üblichen Gremien gewählt worden. Ich bin dafür, dass sie
da drin sind; ich bin auch dafür, dass Sie da drin waren. Es
tut mir leid, dass Sie damals eine so kurze Karriere als
Generalsekretär Ihrer Partei gemacht und deswegen rela-
tiv schnell den Fernsehrat verlassen haben.

Meine Forderung bezog sich auf die Transparenz im
öffentlich-rechtlichen Fernsehbereich; um nichts anderes
geht es mir. Wenn wir Transparenz in den Unternehmen
fordern, dann müssen wir als Erstes Transparenz in den
Bereichen durchsetzen, die für uns originär sind, weil
wir dort Miteigentümer sind und etwas zu sagen haben.
Das sollten wir dann auch gemeinsam tun.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Deutsche Bahn!)


Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, ich möchte
noch den Unsinn korrigieren, den die Linke verbreitet,
dass nämlich der Staat diese Abfindungen subventio-
niere.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Herr Bernhardt!)


Nehmen wir einmal folgendes Rechenbeispiel an: Je-
mand bekommt 10 Millionen Euro Abfindung. Dann
spart das Unternehmen Steuern in Höhe von
3 Millionen Euro. Der Abgefundene zahlt darauf aber
45 Prozent plus Soli plus Kirchensteuer, insgesamt also
annähernd 50 Prozent Steuern. Das bedeutet, dass der
Staat in diesem Fall eine Mehreinnahme von 2 Millionen
Euro hat. Bei einer Abfindung hat der Staat höhere Ein-
nahmen, wenn der Abgefundene anstelle des Unterneh-
mens die Steuern zahlt. Das ist simples Steuerrecht, liebe
Kollegin Scheel; das wissen Sie auch. Deswegen wollen
wir nicht so tun, als subventionierte der Staat die Abfin-
dungen.

Ich habe ein Problem damit, dass wir hier die ganze
Zeit über eine Neiddebatte führen. Wer sind denn die
Leistungsträger dieser Nation? Herr Kollege Thiele hat
eben schon Zahlen dazu genannt. Ich habe mir auch ei-
nige Zahlen herausgesucht. Heute gilt als arm, wer über
weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens ver-
fügt. Vor 15 Jahren lag die offizielle Armutsgrenze bei
50 Prozent des Durchschnittseinkommens. Automatisch






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
sind 10 Prozent ärmer geworden, als wir die Grenze an-
gehoben haben. 1989 galt in Westdeutschland jemand als
arm, der weniger als 340 Euro im Monat hat. 2003 lag
dieser Wert bereits bei 974 Euro. Sie sehen also, wie sich
durch diese Statistiken einiges ganz gewaltig verschoben
hat.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die Inflation!)


10 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkom-
men verfügen heute über ein durchschnittliches monatli-
ches Bruttoeinkommen – dabei ist eingerechnet, dass
beide arbeiten – von 10 100 Euro, also nicht etwa 50 000
oder 100 000 Euro oder viel mehr. Diese 10 Prozent zah-
len monatlich 4 500 Euro Steuern. Ist das gerecht?


(Zuruf von der Linken: Ja!)


Ist es nicht ziemlich fragwürdig, dass wir sie in diesem
Maße beanspruchen? Das ist nämlich leistungsmin-
dernd, und das ist auch einer der Gründe, liebe Kollegin-
nen und liebe Kollegen, warum viele überlegen, ob der
Standort Deutschland für sie der richtige ist. Es muss
doch in diesem Hohen Hause erlaubt sein, dass wir auch
darüber nachdenken, warum 150 000 gut ausgebildete
junge Menschen Jahr für Jahr unser Land verlassen. Wir
müssen diesen Braindrain, diesen Verlust an Humanka-
pital, so schnell wie möglich wieder stoppen und etwas
tun, damit diese Menschen bei uns bleiben.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Da hat man den Eindruck, dass wir den Managern noch mehr zahlen müssen!)


Warum gehen denn diese Leistungsträger weg? Es kann
doch nicht wahr sein, dass uns so viele verlassen.

Ich halte es auch für richtig, dass wir das angespro-
chene Problem in die Eigenverantwortung der Wirt-
schaft legen. Die Cromme-Kommission wurde im Jahre
2002 gegründet. Sie hat einen Corporate Governance
Kodex vorgelegt, der gut funktioniert. Dieser Kodex ist
mit uns abgestimmt worden, und wir wissen, was in ihm
steht. Im Jahr 2007 hat Herr Cromme einen Kodex-Re-
port vorgelegt. Dabei ist festgestellt worden, dass
97,3 Prozent der Empfehlungen dieses Corporate Gover-
nance Kodex in den großen deutschen Unternehmen um-
gesetzt sind. Das heißt, wir sollten uns in diesem Hohen
Hause vor diesen Pauschalverunglimpfungen der deut-
schen Wirtschaft und des deutschen Managements hü-
ten.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])


Das ist nicht in Ordnung; denn wir sehen gerade an die-
ser Zahl: Wenn 97,3 Prozent umgesetzt werden, dann er-
gibt ein solcher Kodex einen Sinn und zeugt von der Ei-
genverantwortung der Unternehmen.

Lassen Sie mich zum Abschluss Dieter Hundt, den
Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Ar-
beitgeberverbände, zitieren, der auf dem letzten Arbeit-
gebertag folgende Sätze gesagt hat:

Ohne Legitimation nach innen bleibt die Marktwirt-
schaft gefährdet, auch wenn sie keinen äußeren
Feind mehr hat. Marktwirtschaft braucht nicht nur
Wettbewerbsregeln, sondern auch eine Ethik der
Verantwortung als Sperre gegen Kontrollverlust
und Maßlosigkeit.

Wenn das der Präsident der deutschen Arbeitgeber sagt,
dann zeigt das, dass zumindest die Arbeitgeber sehr ge-
nau wissen, worauf es ankommt. Wir sollten uns aus
dem Geschäft dieser Unternehmen heraushalten. Das ist
nicht unsere Aufgabe. Wir sollten dafür sorgen, dass
Transparenz da ist – das können wir gerne tun –, aber
mehr auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Nehmen Sie sich an Frau Merkel ein Beispiel!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613606500

Das Wort hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die

SPD-Fraktion.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1613606600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Debatte ist nun schon sehr lange geführt
worden. Gleichwohl möchte ich dem Kollegen Fuchs
mit auf den Weg geben: Glauben Sie mir, die Gewerk-
schaften sind wichtig, aber in aller Regel sind sie nicht
das entscheidende Element bei der Findung von Vor-
standsgehältern. Das sollte man vielleicht wieder ins Ko-
ordinatenkreuz rücken.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Zum anderen möchte ich darauf verweisen, dass wir
zu rot-grünen Zeiten zu Recht gemeinsam mit der Wirt-
schaft vereinbart haben, einen Corporate Governance
Kodex zu entwerfen. Ich finde – ich gehöre zu denen, die
immer noch zuerst an die bestehenden Instrumente den-
ken –, wir sollten uns diesen Kodex noch einmal an-
schauen. Diese Verhaltensregeln sind in der Politik breit
akzeptiert, von den betroffenen Unternehmen allerdings,
Kollege Fuchs, nicht an der entscheidenden Stelle von
allen umgesetzt worden. Jedenfalls sind die 3 Prozent,
die fehlen, wahrscheinlich die, über die wir heute mitein-
ander diskutieren.

Wenn ich mir das anschaue, dann muss ich sagen: Ich
habe an bestimmten Stellen wenig Verständnis für Vor-
stände, für Vorstandsvorsitzende und für die Repräsen-
tanten des BDI, des DIHK und des BDA, wenn sie in ei-
ner globalisierten Welt bewusst hinter das zurückfallen,
was in angloamerikanischen Ländern seit Jahr und Tag
üblich ist, nämlich die detaillierte Auflistung der Ge-
hälter, auch der Pensionszusagen und der entsprechen-
den Aktienbestände, die einzelne Vorstandsmitglieder
vorzuweisen haben. Hier wird immer über Neid geredet.
Wissen Sie, das Hauptproblem von Neid ist, dass Ein-
zelne immer versuchen, aus einer Sache ein Geheimnis
zu machen. Erst dann wird das Fragezeichen gesetzt und
gefragt: Was ist da eigentlich los, warum sagen die uns
nicht, wie viel sie am Ende verdienen?

Ich will an der Stelle Punkt 4 des Corporate Gover-
nance Kodex zitieren. Dort heißt es ganz klar, dass das
Aufsichtsratsplenum auf Vorschlag des Gremiums, das






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ditmar Staffelt
die Vorstandsverträge behandelt, die Vergütung aus-
handeln soll. Weiter:

Die Vergütung der Vorstandsmitglieder wird vom
Aufsichtsrat unter Einbeziehung von etwaigen Kon-
zernbezügen in angemessener Höhe auf der Grund-
lage einer Leistungsbeurteilung festgelegt.

Im Übrigen sollen „der Erfolg und die Zukunftsaus-
sichten des Unternehmens“ und auch ein „Vergleichsum-
feld“ berücksichtigt werden. Wenn hier Kriterien trans-
parent nach außen vermittelt werden, lässt sich vieles
nachvollziehen. Es lässt sich aber nicht nachvollziehen,
wenn 2002, 2003 in einer konjunkturell schwierigen
Phase, in einer Phase der Umstrukturierung und der Ent-
lassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Vor-
standsgehälter offensichtlich nicht orientiert an den ent-
sprechenden Leistungskriterien angehoben werden. Das
kann nicht sein.


(Beifall bei der SPD)


Wenn dies zudem in Unternehmen passiert, die erhebli-
che Abschreibungen vornehmen, weil sie offensichtlich
betriebswirtschaftliche Probleme gehabt haben, dann
muss hier ein großes Fragezeichen gesetzt werden.


(Beifall bei der SPD)


Außerdem sollten wir uns einmal mit der Frage der
Abfindungen, die hier immer wieder eine große Rolle
gespielt haben, auseinandersetzen. In den Verhaltensre-
geln, die unter der Leitung von Herrn Cromme in den
Jahren 2000 bis 2002, also in unserer Zeit, das Licht der
Öffentlichkeit erblickt haben,


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Schön gesagt: „in unserer Zeit“!)


heißt es ebenfalls:

Bei Abschluss von Vorstandsverträgen sollte darauf
geachtet werden, dass Zahlungen an ein Vorstands-
mitglied bei vorzeitiger Beendigung der Vorstands-
tätigkeit ohne wichtigen Grund einschließlich Ne-
benleistungen den Wert von zwei Jahresvergütungen
nicht überschreiten …

Wenn dies der Maßstab gewesen wäre, hätte es nie einen
Mannesmann-Skandal gegeben. Wir glauben, dass das,
was hier steht, richtig ist. Warum wird das eigentlich
nicht von allen in entsprechender Weise beachtet, frage
ich mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hinzu kommt – ich habe eben vergessen, das zu zitie-
ren; es ist eines der Probleme –: „… und nicht mehr als
die Restlaufzeit des Anstellungsvertrages vergüten“. Das
bezieht sich auf diejenigen, die sich die Nase vergolden
lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo immer Sie
hier sitzen: In Wahrheit ärgert uns, was bei diesen Perso-
nen geschieht.

Ich will ausdrücklich noch etwas Positives sagen.
Wenn Sie sich einmal Vorstandsgehälter anschauen,
dann erkennen Sie: Es gibt eine deutliche Zäsur zwi-
schen den Vorstandsgehältern in DAX-Unternehmen
und denen in MDAX-, TecDAX- und SDAX-Unterneh-
men. Da reden wir schon von einer ganz anderen Ge-
haltsliga.

Aber auch unter den DAX-Unternehmen gibt es
große Unterschiede; das muss man ehrlicherweise sagen.
Auf einige dieser Unternehmen wird immer wieder sehr
kritisch losgegangen. Ich will hinzufügen: Es gibt ein
paar DAX-Unternehmen, die die Höhe der Vorstandsge-
hälter veröffentlicht haben, etwa Bayer, Deutsche Bank,
SAP und Thyssen-Krupp. Ich kann nur sagen: Weiter so,
Beispiel geben! Das müssen die Vertreter der Verbände
gegenüber ihren Unternehmen endlich durchsetzen, da-
mit die deutsche Wirtschaft in der gesellschaftlichen De-
batte glaubwürdig werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Herr Hundt auch!)


– Und Herr Hundt sowieso. Herr Hundt ist ja immer da-
bei.

Ich finde, dass wir in jedem Fall alle diese Möglich-
keiten ausschöpfen sollten. In der Vergangenheit, insbe-
sondere seit der ersten Transparenzdiskussion, hat man
leider Gottes die Erfahrung gemacht, dass es eines Ge-
setzes bedurfte, weil man sich an nichts anderes halten
wollte. Gerade seitens der Wirtschaft wird immer wieder
gefordert: Bitte entbürokratisieren und nicht noch mehr
Gesetze. Wenn man das verlangt, dann muss man sich
auch auf bestimmte Verhaltensregeln einlassen, die nicht
nur irgendwelche PDS-Funktionäre fordern, sondern so-
gar dem Willen derer entsprochen haben, die sie aufge-
stellt haben. Verdammt noch mal, das muss doch um-
setzbar sein! Da ist in allererster Linie die Wirtschaft
gefragt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU])


Ich will noch einmal darauf verweisen, dass wir alle-
samt uns mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie
wir es ansonsten eigentlich halten. Ich glaube, es ist ein
Problem, dass wir in Deutschland das Instrument der
Aktienoptionen eingeführt haben, und zwar in einer
Größenordnung, die nicht unproblematisch ist. Wir soll-
ten auch das reflektieren. Ja, es geht um Shareholder-Va-
lue. Aber es geht auch um Unternehmensbestand, um
Volkswirtschaft, um Arbeitsplätze und um langfristige
Dimensionen unternehmerischen Handelns. Auch des-
halb muss man so etwas in einem offenen Dialog mit der
Unternehmerschaft in diesem Lande reflektieren.

Auch wenn der Erfolgsbestandteil eines Gehalts mög-
lichst hoch sein soll, müssen nicht zwangsläufig die
Grundgehälter erhöht werden; es gibt auch andere Mög-
lichkeiten der Erfolgsvergütung. Ich füge hinzu: Die ar-
men Vorstände haben es bisweilen mit dem Problem zu
tun, ihre Aktien zu einem falschen Zeitpunkt zu verkau-
fen, wodurch sie womöglich in den Verdacht geraten,
Insiderhandel betrieben zu haben. Auch das ist nicht sehr
bequem. Das ist ein Aspekt, den wir berücksichtigen
sollten. Wir sollten weiter miteinander darüber diskutie-
ren.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ditmar Staffelt
Ich habe jetzt meine neun Minuten fast geschafft, ob-
wohl mir das keiner zugetraut hätte.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich meine, die Politik sollte nicht nur Vorschläge ma-
chen – es gab Vorschläge von unserer Fraktion und von-
seiten der Grünen, was die steuerliche Betrachtung hö-
herer Managergehälter betrifft –, sondern auch dazu
einladen, den Dialog auf der Grundlage der Verhaltens-
regeln fortzusetzen. Ich kann mir einfach nicht vorstel-
len, dass Verhaltensregeln in diesem Lande nicht durch-
setzbar sind, obwohl es doch in der Welt viele Beispiele
dafür gibt, dass solche Regeln im Grunde zum Einmal-
eins unternehmerischen Handelns und unternehmeri-
schen Verhaltens gehören.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sehr gute Rede!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613606700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/7530 und 16/7743 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 e und
20 sowie den Zusatzpunkt 3 auf:

29 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Masseur- und Physiotherapeutengesetzes und
anderer Gesetze zur Regelung von Gesund-
heitsfachberufen

– Drucksache 16/1031 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini-
gung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbe-
reich des Bundesministeriums der Finanzen
und zur Änderung des Münzgesetzes

– Drucksache 16/7616 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Betriebsprämiendurchführungs-
gesetzes

– Drucksache 16/7685 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Josef Philip Winkler, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Wanderarbeiterkonvention endlich ratifi-
zieren

– Drucksache 16/6787 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Den Deutschen Bundestag zum Vorbild für die
sparsame und klimafreundliche Stromversor-
gung machen

– Drucksache 16/7529 –
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

20 Beratung des Antrags der Abgeordneten

(Quedlinburg)

und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bundeswildwegeplan als Ergänzung zum Bun-
desverkehrswegeplan

– Drucksache 16/7145 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007

– Drucksache 16/6385 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/7529 zu Ta-
gesordnungspunkt 29 e soll federführend beim Ältesten-
rat beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-
sen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis
30 e. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vor-
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 a auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Ok-
tober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen
der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizeri-
schen Eidgenossenschaft andererseits zur Be-
kämpfung von Betrug und sonstigen rechts-
widrigen Handlungen, die ihre finanziellen
Interessen beeinträchtigen

– Drucksache 16/6965 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/7517 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding (Heidelberg)


Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/7517, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6965 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann
ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Zur Erklärung für unsere Besucherinnen und Besu-
cher und für manch einen Fragenden hier aus dem Saal:
Es handelt sich um ein Vertragsgesetz. Deshalb stimmen
wir gleich abschließend ab, eine dritte Lesung findet in
diesem Fall nicht statt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 b auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
24. April 2007 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und dem Schwei-
zerischen Bundesrat über die Zusammenar-
beit im Bereich der Sicherheit des Luftraums
bei Bedrohungen durch zivile Luftfahrzeuge

– Drucksache 16/7219 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 16/7766 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Raidel
Dr. Hans-Peter Bartels
Birgit Homburger
Paul Schäfer (Köln)

Winfried Nachtwei

Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/7766, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7219
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzent-
wurf bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Zustimmung
der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-
Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 c auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vereinfachung und Anpassung statisti-
scher Rechtsvorschriften

– Drucksache 16/7248 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/7732 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Wicklein

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/7732, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/7248 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –
Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Frak-
tion der Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über den Zu-
gang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der
Gemeinschaft für Beförderungen aus oder
nach einem Mitgliedstaat oder durch einen
oder mehrere Mitgliedstaaten
KOM (2007) 265 endg.; Ratsdok 10092/07

– Drucksachen 16/5806 Nr. 10, 16/7370 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-
nungshofes

Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2006 – Einzelplan 20 –

– Drucksachen 16/6129, 16/7518 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Claudia Winterstein
Michael Leutert
Anja Hajduk

Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, also
für die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? –
Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist
diese Empfehlung einstimmig angenommen.

Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, also
für die Erteilung der Entlastung? – Gibt es Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Auch
diese Empfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD

Gute konjunkturelle Entwicklung als Basis für
nachhaltige Rentenfinanzen

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Klaus Brandner.

K
Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1613606800


Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Die gesetzliche Rentenversicherung ist
der größte Zweig der Sozialversicherung. Jährlich zahlt
sie an über 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner
Leistungen mit einem Gesamtvolumen von über
200 Milliarden Euro aus.

Bereits diese Zahlen verdeutlichen ihre große sozial-
politische Bedeutung und die Verantwortung, die damit
verbunden ist. Um dieser Verantwortung gerecht zu wer-
den, muss eine stabile Finanzlage der Rentenversiche-
rung stets oberste Priorität haben. Denn nur so kann die
gesetzliche Rente das Vertrauen der Menschen gewinnen
und dauerhaft behalten – ein Vertrauen, das ein solches
generationenübergreifendes System unbedingt benötigt.

Die aktuelle finanzielle Situation der gesetzlichen
Rentenversicherung kann sich in der Tat sehen lassen.
Der wirtschaftliche Aufschwung ist auch an dieser Stelle
deutlich zu spüren. Wir dürfen dabei aber nicht verges-
sen, dass der Staat in die gesetzliche Rentenversicherung
derzeit Zuschüsse von rund 78 Millionen Euro jährlich
zahlt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Milliarden, nicht Millionen! – Weitere Zurufe: Milliarden! – Zuruf von der LINKEN: Bescheiden!)


– Ich war Tiefstapler; es ist besser, wenn man ein biss-
chen aufwertet. Ich korrigiere: 78 Milliarden Euro jähr-
lich. – Die Einnahmen aus Pflichtbeiträgen belaufen sich
für das Jahr 2007 auf rund 153,6 Milliarden Euro. Dabei
müssen für einen Vorjahresvergleich die Einmaleffekte
aus der Anhebung des Beitragssatzes auf 19,9 Prozent
zum 1. Januar des vorigen Jahres und aus dem Vorziehen
der Beitragsfälligkeit berücksichtigt werden. Tut man
dies, so ergibt sich ein Einnahmeplus von 3,8 Prozent.

Diese erfreuliche Entwicklung ist zum einen auf die
anhaltend gute Konjunktur zurückzuführen. Sie ist zum
anderen jedoch auch ein Ergebnis der Wirkungen, die
unsere Arbeitsmarktreformen entfalten; denn wenn sich
die Situation am Arbeitsmarkt verbessert, dann verbes-
sert sich auch die finanzielle Situation der Sozialversi-
cherung. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Verlauf des
vergangenen Jahres um rund 700 000 Personen gesun-
ken. Das stabilisiert die Rentenversicherung dauerhaft.
So konnte die Nachhaltigkeitsrücklage in 2007 auf einen
Betrag von 11,7 Milliarden Euro aufgebaut werden.
Diese Rücklage entspricht rund einer dreiviertel Monats-
ausgabe. So befinden wir uns etwa auf halbem Weg hin
zum gesetzlich fixierten Höchstwert von 1,5 Monatsaus-
gaben.

Die positive Entwicklung der Rentenfinanzen wird in
den nächsten Jahren anhalten. Diese Aussage lässt sich
heute auf seriöser Basis machen. Das bedeutet vor allem:
Der Beitragssatz zur Rentenversicherung von derzeit
19,9 Prozent wird auch in den nächsten Jahren stabil
bleiben. Eine Absenkung allerdings erscheint aus heuti-
ger Sicht frühestens im Jahr 2011 möglich. Aller Voraus-
sicht nach wird erst dann die Nachhaltigkeitsrücklage
ihre gesetzlich fixierte Höchstgrenze überschreiten. An
diese Voraussetzung ist eine Beitragssatzsenkung per
Gesetz gebunden.

Meine Damen und Herren, wir haben uns 2004 aus
gutem Grund dafür entschieden, die Nachhaltigkeits-
rücklage in Zeiten mit guter Einnahmesituation aufzu-
bauen. Auf diese Weise müssen nämlich in wirtschaft-
lich schwierigen Zeiten weder Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer noch Arbeitgeber unmittelbar mit Bei-
tragssatzanhebungen belastet werden. Damit es nicht zu
einer Stop-and-go-Politik bei den Beiträgen kommt,
wollen wir von dieser Grundentscheidung nicht abwei-
chen. Sie ist Ausweis einer nachhaltigen Rentenpolitik
auf stabiler finanzieller Grundlage. Darauf müssen sich
die Menschen in unserem Land verlassen können.

Abschließend ein paar Worte zu der fatalen Behaup-
tung, dass sich der Abschluss einer Riester-Rente für
Geringverdiener nicht lohne, weil diese im Alter so-
wieso auf die steuerfinanzierte Grundsicherung ange-
wiesen seien.


(Jörg Rohde [FDP]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Klaus Brandner
Diese Aussage, die viele verunsichert, verzerrt die Wirk-
lichkeit und ist schlicht falsch. Richtig ist: Gerade für
Geringverdiener ist der staatliche Zuschuss gemessen an
der Eigenleistung besonders hoch und macht bis zu
90 Prozent des Sparbetrages aus.

Falsch ist auch die in den Medien zitierte Berech-
nung, derzufolge ein Arbeitnehmer mit durchschnittli-
chem Einkommen erst nach 32 Beitragsjahren das
Grundsicherungsniveau erreicht. Dies ist schon deshalb
falsch, weil nur die Zahlbeträge aus der gesetzlichen
Rentenversicherung in den Blick genommen wurden;
denn leistet der Durchschnittsverdiener Beiträge auch
für eine Riester-Rente – darum geht es ja hier –, dann
übersteigt das Alterseinkommen aus beiden Quellen be-
reits nach 20 Jahren den durchschnittlichen Grundsiche-
rungsbedarf.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist eine Milchbubenrechnung! – Jörg Rohde [FDP]: Aber nur bei den Durchschnittsverdienern! Was ist mit den Geringverdienern?)


Diese Grundsicherung ist kein Grundrentenanspruch,
sondern eine steuerfinanzierte Maßnahme für Hilfebe-
dürftige zur Armutsvermeidung. Dabei gilt das Prinzip,
dass der Lebensunterhalt vorrangig durch den Einzelnen
selbst gewährleistet werden muss.


(Zuruf des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])


Die zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips ist ord-
nungspolitisch höchst bedenklich. Das steht in einem
krassen Gegensatz zu dem erfreulichen Trend, dass im-
mer mehr Menschen erkennen, dass sie über die Leistun-
gen der Sozialversicherungsrente hinaus im Alter vor-
sorgen müssen. Mehr als 10 Millionen zertifizierte
Riester-Verträge und rund 17,3 Millionen Anwartschaf-
ten bei der betrieblichen Altersvorsorge sind aus unserer
Sicht ein toller Erfolg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sollten die verunsichernden Darstellungen dieser Tage
jetzt zu einer Trendumkehr führen, wäre das vor allem
für die Geringverdiener katastrophal.

Dazu kommt, dass diese Debatte die eigentliche He-
rausforderung verdrängt. Wer drohende Altersarmut
wirksam bekämpfen will, muss dort ansetzen, wo die Ur-
sachen liegen. Es kommt deshalb darauf an, faire Ein-
kommen zu gewährleisten, Mindestlöhne zu garantieren,
neue Arbeitsplätze zu schaffen und Beschäftigung gut zu
organisieren. Wir tun das und tragen damit dazu bei, dass
auch das Einkommen im Alter ausreichend ist, dass
Menschen im Alter nicht nur ein würdiges Leben, son-
dern ein Leben mit Lebensqualität führen können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613606900

Als Nächster hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für

die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1613607000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als ich das Thema für die heutige Aktuelle Stunde zum
ersten Mal gesehen habe, habe ich gestutzt. Mein erster
Gedanke war: Das können die doch nicht wirklich ernst
meinen. Gibt es denn in der Großen Koalition nieman-
den mehr, der in der Lage ist, eine Tickermeldung, nach
der die Reserven der gesetzlichen Rentenversicherung
gestiegen seien, in ihrem Kern zu bewerten und Ursache
und Wirkung differenziert zu betrachten? Glauben die
Bundesregierung und die sie tragende Koalition am
Ende wirklich, es sei die Konjunktur gewesen, die in den
letzten beiden Jahren zu einem Aufbau der Rentenreser-
ven auf jetzt 11,7 Milliarden Euro geführt habe?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)


Nein; offensichtlich hat da jemand aufgrund dieser
Tickermeldung, in der es hieß, Grund für die positive Fi-
nanzentwicklung sei neben der Beitragserhöhung vor al-
lem die gute Konjunktur gewesen, ziemlich gedankenlos
den Antrag auf eine Aktuelle Stunde formuliert und um-
gesetzt. Ein Rentenexperte, Herr Kollege Müller, kann
es nicht gewesen sein; da sollten wir uns einig sein.
Denn ihm wäre sicherlich aufgefallen, dass bei einem
Beitragsmehraufkommen aus der Beitragssatzerhöhung
per 1. Januar 2007 in Höhe von rund 3,4 Milliarden Euro
und einem Überschuss in 2007 von lediglich 2,1 Milliar-
den Euro für einen eigenen positiven Beitrag der Kon-
junktur zu den Rentenfinanzen nicht mehr viel Spiel-
raum übrig bleibt.

Tatsache ist: Nach laufenden jährlichen Defiziten
zwischen 2,3 und 4 Milliarden Euro im Zeitraum von
2002 bis 2006 hätte es trotz einer erfreulichen positiven
Entwicklung bei der sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigung ohne die Beitragssatzerhöhung auch 2007
ein Defizit in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gegeben.
Der rechnerische Überschuss in der Rentenversicherung
in 2007 ist kein Verdienst der Bundesregierung, sondern
beruht schlicht und einfach darauf, dass man den Versi-
cherten in 2007 höhere Beiträge abverlangt hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man kann es auch so sagen: Selbst in einem Jahr der
Hochkonjunktur reichen ohne Beitragssatzerhöhung die
laufenden Einnahmen der Rentenversicherung nicht aus,
die laufenden Ausgaben zu decken. Nachhaltigkeit, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sieht für
mich anders aus.


(Beifall bei der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Dann sind Sie doch sicher für Mindestlöhne!)


Nachhaltigkeit, Frau Kollegin Nahles, bedeutet für
mich, dass auch über einen Konjunkturzyklus hinweg
die Rentenkasse mit ihren Rücklagen klarkommen kann.
Nachhaltigkeit bedeutet, dass in den guten Jahren eines
Konjunkturzyklus Geld zurückgelegt wird, das in
schlechten Jahren eingesetzt werden kann, wobei die
Rücklagen – darauf kommt es an – aus den Beitrags-
mehreinnahmen in den guten Zeiten der Konjunktur zu
bilden sind. Von einer solchen nachhaltigen Entwicklung
der Rentenfinanzen kann aber derzeit keine Rede sein.






(A) (C)



(D)


Dr. Heinrich L. Kolb

(Beifall bei der FDP – Elke Ferner [SPD]: Reden Sie jetzt einer Beitragserhöhung das Wort?)


Denn, Frau Kollegin Ferner, der Rücklagenaufbau ist
bisher allein auf Sondereffekte, die mit der Konjunktur
nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, zurückzufüh-
ren. Das Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversiche-
rungsbeiträge – Frau Kollegin Ferner, wir haben das
nicht vergessen und werden es Ihnen immer wieder vor-
halten, weil es Monat für Monat die mittelständischen
Unternehmen mit überflüssiger Bürokratie belastet – hat
in 2006 bei der gesetzlichen Rentenversicherung zu ei-
nem einmaligen Liquiditätseffekt aus dem 13. Monats-
beitrag in Höhe von rund 10,55 Milliarden Euro geführt.


(Elke Ferner [SPD]: Das bestreitet niemand!)


Hinzu kommt, dass die Beitragserhöhung in 2007 – ich
sagte es bereits – Mehreinnahmen in Höhe von
3,4 Milliarden Euro bewirkt hat.


(Elke Ferner [SPD]: Den Einmaleffekt kann man da aber nicht reinrechnen!)


Nimmt man beides zusammen, sind also der Renten-
kasse in den letzten beiden Jahren Einnahmen aus Son-
dereffekten in Höhe von rund 14 Milliarden Euro zuge-
flossen, die, wenn die Konjunktur und die Entwicklung
der Beschäftigung ausreichend gewesen wären, die Aus-
gabenentwicklung der Rentenversicherung hätten kom-
pensieren müssen. Das verstehe ich unter Nachhaltig-
keit. Tatsächlich sind nur noch 11,7 Milliarden Euro
vorhanden. Das heißt, 2,8 Milliarden Euro sind schon
wieder verbraucht. Ich sage noch einmal: Nachhaltigkeit
sieht anders aus.


(Beifall bei der FDP)


Für die Vergangenheit trifft das Thema dieser Aktuel-
len Stunde also nicht zu. Als grundsätzlich positiv den-
kender Mensch bin ich aber geneigt, das Thema pro-
grammatisch, also in die Zukunft gerichtet, zu
interpretieren. Das bedeutet: Nachdem sie in der Vergan-
genheit gnadenlos abkassiert hat, möchte die Regierung
in Zukunft nun endlich alles daran setzen, dass der Kon-
junkturverlauf die Rentenfinanzen wirklich nachhaltig
trägt. Dann dürfen Sie sich aber nicht länger wie ein
Angler verhalten, der seine Angel in den Fluss hält und
versucht, das herauszufischen, was zufälligerweise vor-
beigeschwommen kommt. Oder um es mit einem mehr
in die Jahreszeit passenden Bild auszudrücken: Sie soll-
ten sich nicht wie ein Skiliftbetreiber verhalten, der seine
Geschäftsstrategie so beschreibt: Neuschnee ist die Basis
für ein gutes Geschäft. Man muss sich nämlich auch
überlegen, was man in den Jahren macht, in denen es
nicht so gut läuft, bildlich gesprochen: in denen es nicht
schneit.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, Herr Kollege!)


Um dem gerecht zu werden, müssen Sie einen grund-
sätzlichen Wechsel Ihrer Politik herbeiführen.
Sie haben im letzten Jahr mit der größten Steuererhö-
hung in der Geschichte der Bundesrepublik die Kon-
junktur nicht stimuliert, sondern belastet.


(Beifall bei der FDP)


Sie sind doch dabei, mit Einführung von Mindestlöhnen
und mit Änderungen bei der Zeitarbeit die Voraussetzun-
gen dafür zu schaffen, dass Beschäftigung nicht mehr
aufgebaut, sondern tendenziell wieder abgebaut wird.
Das müssten Sie sich hinter die Ohren schreiben, wenn
Sie das Thema dieser Aktuellen Stunde wirklich ernst
nehmen würden.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613607100

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1613607200

Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Ich hoffe, Herr Weiß, dass dieser Ruf zur Ordnung
wirkt und dass Sie gleich von dieser Stelle aus sagen: Ja-
wohl, bisher war es nicht die Konjunktur, sondern
Glück. Aber künftig wollen wir mehr dafür tun. – Wenn
Sie das täten, dann hätte sich diese Aktuelle Stunde ge-
lohnt.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613607300

Vielleicht ist auch das eine Möglichkeit: Wenn zu-

künftig jeder den nachfolgenden Redner ankündigt, dann
muss das Präsidium das nicht mehr tun.


(Heiterkeit bei der FDP)


Jetzt hat der Kollege Gerald Weiß das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die männli-
che Kassandra Heinrich Kolb kommt zunehmend in
Nöte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!)


Das muss ich nach seinem Beitrag feststellen. Am An-
fang hat er den Aufschwung geleugnet. Dann konnte er
es nicht mehr. Danach hat er gesagt: Den Aufschwung
gibt es zwar, aber die Regierung war es nicht. Dann
musste er zunehmend erkennen, dass der Aufschwung
doch etwas mit der Arbeit der Regierung zu tun hat. Da-
nach sagte er: Die Rentenversicherung ist in einer mie-
sen Finanzlage. Monat für Monat hat er im zuständigen
Ausschuss bei der Regierung nachgefragt, wie mies die
Entwicklung denn ist. Gestern im Ausschuss hat er
plötzlich nicht mehr danach gefragt,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe doch den Minister gefragt, warum er nichts zur Rentenversicherung gesagt hat!)


(B)







(A) (C)



(B) (D)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

weil er fachkundig genug ist, zu wissen, dass es der Ren-
tenversicherung besser geht, weil es der Konjunktur bes-
ser geht. Das hat auch mit der Arbeit dieser Regierung
zu tun und ist eben nicht allein mit Sondereffekten zu er-
klären.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Alleine Sondereffekte!)


Diese hat es zwar auch gegeben, aber entscheidend ist
der Wirtschaftsaufschwung. Ich werde im Einzelnen
noch darauf eingehen.

Unsere Wirtschaft wächst robust und nachhaltig: um
2,9 Prozent vor zwei Jahren und um 2,5 Prozent im ver-
gangenen Jahr. Im laufenden Jahr wird sie wahrschein-
lich wieder um 2 Prozent zulegen. Man kann nun sagen,
dass wirtschaftliches Wachstum nicht alles ist. Ja, aber
ohne wirtschaftliches Wachstum ist alles andere nichts.
Dieses wirtschaftliche Wachstum ist wichtig für Arbeits-
plätze, für höhere Löhne, für Investitionen, für die Sozial-
kassen und letztlich und vor allem für die Rentenent-
wicklung.

In der Rentenkasse ist jetzt eine positive Aufwärtsent-
wicklung zu sehen. Wir stellen fest, dass wir 1,2 Millio-
nen Arbeitslose weniger haben als vor zwei Jahren. Es
gibt 900 000 Beschäftigte mehr; die meisten sind sozial-
versicherungspflichtig beschäftigt. Lieber Herr Dr. Kolb,
wir haben damit Hunderttausende mehr Financiers unse-
res Sozialstaats. Das ist der Hauptgrund, warum es der
Arbeitslosenversicherung und vor allem zunehmend der
Rentenversicherung jetzt besser geht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich werde dazu noch einige Zahlen vortragen.

Ich will zunächst daran erinnern, dass wir den Beitrag
zur Arbeitslosenversicherung, die diese Entwicklung wi-
derspiegelt, zum 1. Januar nochmals kräftig um 0,9 Pro-
zentpunkte auf 3,3 Prozent absenken konnten. Seit De-
zember 2006 haben wir den Arbeitslosenversicherungsbei-
trag von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent nachgerade halbiert.
Das ist Ausfluss dieser wirtschaftlichen Entwicklung. Die
Nettokaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer wird dadurch gestärkt, die Lohnnebenkosten werden
begrenzt und die Wettbewerbsfähigkeit der Unterneh-
men wird gestärkt. Herr Dr. Kolb, mit dieser Halbierung
des Arbeitslosenversicherungsbeitrages leisten wir einen
wesentlichen Beitrag dazu, dass sich der Aufschwung in
Deutschland verstetigen und es weiter aufwärtsgehen
kann.


(Jörg Rohde [FDP]: Gilt für 2008! Und dann kommt die Krankenversicherung!)


Davon profitiert auch die Rentenkasse. Herr Dr. Kolb,
auch Ihnen ist nicht verborgen geblieben, dass die Ren-
tenfinanzen in den letzten beiden Jahren in Wirklichkeit
besser waren, als die Prognosen es vorausgesagt haben.
Vorher haben wir es umgekehrt erlebt: Da war die Pro-
gnose immer günstiger als die Zahlen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ohne die 14 Milliarden würden Sie immer noch ziemlich nackt aussehen!)


Herr Dr. Kolb, selbst wenn man die von Ihnen erwähnte
Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozent, die es im vergan-
genen Jahr gegeben hat, herausrechnet und wenn man
herausrechnet, dass im Jahr 2006 13-mal Beiträge fällig
wurden, verbleibt bei den Rentenversicherungsbeiträ-
gen immer noch eine Einnahmesteigerung von 3,8 Pro-
zent. Das spiegelt die wirtschaftliche Entwicklung, die
Sie an sich und in ihren Auswirkungen auf die Renten-
versicherung leugnen, wider.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, ich sage nur: Es reicht nicht!)


– Es mag jetzt noch nicht reichen. Ich stelle aber fest:
Die Prognose sagte für das Jahr 2007 eine Rücklage in
Höhe von 5,8 Milliarden Euro voraus. Jetzt sind es
11,7 Milliarden Euro Rücklage. Im laufenden Jahr wer-
den wir bei der Rentenversicherung endlich nicht mehr
eine schwankende Schwankungsreserve haben, sondern
eine Rücklage, deren Höhe man als nachhaltig bezeich-
nen kann: 14,3 Milliarden Euro. So wird es bis 2011
weitergehen. Dann werden wir 25,8 Milliarden Euro
Rücklage gebildet haben. Das spiegelt die richtigen wirt-
schaftspolitischen Entscheidungen und die volkswirt-
schaftliche Entwicklung. Für deren Verstetigung werden
wir alles tun, was erforderlich ist.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schauen wir mal!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613607400

Jetzt spricht der Kollege Oskar Lafontaine für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613607500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Auch unsere Fraktion hatte beantragt, heute
über die Renten zu sprechen. Wir wollten aber nicht über
das sprechen, was bisher vorgetragen worden ist.

Es ist zwar wichtig, wie sich die Rentenkasse entwi-
ckelt, es ist wichtig, dass es der Rentenversicherung bes-
ser geht – so hat es mein Vorredner formuliert –, es ist
auch wichtig, zu beobachten, wie sich die Schwankungs-
reserve bzw. die Nachhaltigkeitsrücklage entwickelt,
aber wir wollten trotzdem lieber darüber reden, wie es
den Menschen, die jetzt niedrige Einkommen beziehen,
gehen wird, wenn sie älter sind. Das ist die Frage, die die
Menschen wirklich bewegt. Es geht nicht in erster Linie
um das, was hier erzählt worden ist.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das machen wir morgen, Herr Lafontaine! Dazu haben wir einen Antrag eingebracht!)







(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Ich habe darauf gewartet, was die Bundesregierung zu
der Frage sagen würde, die Millionen in Deutschland be-
schäftigt: Haben sie im Alter noch eine solide Rente oder
kriegen sie nur die Grundsicherung und das war es, weil
die Riester-Rente völlig verrechnet wird? Das ist doch
die Frage, die viele Menschen bewegt. Wir haben unter-
schiedliche Vorschläge gehört. Was die Bundesregierung
dazu gesagt hat, muss ich einmal vorlesen, damit die Be-
völkerung in Deutschland darüber aufgeklärt wird, wo-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1613607600


Die zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips ist
ordnungspolitisch höchst bedenklich.

Meine Damen und Herren an den Bildschirmen, Sie wis-
sen jetzt, worum es eigentlich geht. Ich wiederhole es:

Die zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips ist
ordnungspolitisch höchst bedenklich.

Wie kann man so über die Köpfe der Menschen hinweg-
schwadronieren? Das ist unfassbar!


(Beifall bei der LINKEN – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie noch ein anderes Argument?)


Die Frage, die Sie hier zu beantworten haben, lautet:
Wird die Riester-Rente angerechnet oder nicht, wenn
eine Rente zu erwarten ist, deren Höhe unter dem
Grundsicherungssatz liegt? Davon sind Millionen be-
troffen. Sie haben hier mit dieser verschwommenen For-
mulierung gesagt: Wir werden in Zukunft wie bisher an-
rechnen. Wir, die Linke, sagen: Das ist Anlagenbetrug.
Sie haben Millionen Bürgerinnen und Bürger betrogen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist Anlagenbetrug, weil Sie die Riester-Rente mit
dem Versprechen begründet haben, dass sich insbeson-
dere Menschen mit niedrigen Einkommen durch den
Aufbau dieser Rente einen besseren Lebensabend finan-
zieren können.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch!)


Dieses Versprechen haben Sie den Menschen gegeben.
Durch die Konstruktion, die Sie hier gewählt haben, bre-
chen Sie genau dieses Versprechen. Die Menschen
bauen ihre Rente brav und fleißig auf, werden im Alter
aber betrogen. Wenn Sie das nicht gewollt haben, dann
geben Sie das hier zu. Wenn Sie das aber gewollt haben,
dann war das Anlagenbetrug, nichts anderes.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie kann man Menschen, die die niedrigsten Ein-
kommen – sie liegen bei 1 000 Euro brutto – und eine
Rentenerwartung in mittlerweile einer Größenordnung
von 400 Euro haben, auffordern, fleißig fürs Alter zu
sparen, und dann sagen: Ätsch, das haben wir nur ge-
macht, um die Staatskasse zu entlasten, denn es wäre
eine zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips, wenn
wir denen das gesparte Geld tatsächlich ließen.

Der Kern ist natürlich nicht die Riester-Rente, son-
dern die Zerstörung der Rentenformel, die viele hier mit-
beschlossen haben, ohne es überhaupt zu sehen. Die
Rentenformel ist zerstört, weil die Rente von der Pro-
duktivität abgekoppelt worden ist. Wer die Rente von der
Produktivität, also vom wirtschaftlichen Zuwachs der
Volkswirtschaft, abkoppelt, der hat solche Entwicklun-
gen zu erwarten. Millionen von Menschen, die früher,
als die Rentenformel noch einigermaßen intakt war, eine
ordentliche Versorgung im Alter zu erwarten hatten,
werden in Zukunft mit Altersarmut konfrontiert sein. Sie
haben bisher das Glück, dass viele Menschen in
Deutschland nicht wissen, was auf sie zukommt und was
Sie mit der Zerstörung der Rentenformel angerichtet ha-
ben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir werden daher keine Ruhe geben, bis diese Ent-
wicklung, die Programmierung von Armutsrenten, eine
Entwicklung in den Stand des vorletzten Jahrhunderts,
zurückgenommen wird. Ich sage Ihnen hier: Dieses oder
spätestens nächstes Jahr werden Sie die Rentenformel
wieder ändern. Das muss im Protokoll stehen. Das wird
mit absoluter Sicherheit so sein. Denn Sie haben die Le-
benschancen der Menschen auf eine Art und Weise zer-
stört, wie man es sich in diesem Umfang überhaupt nicht
hätte vorstellen können.

Wenn man diese Formel nicht ändert, dann wäre zu-
mindest ein erster Schritt – das wurde Gott sei Dank von
Teilen der Koalitionsfraktionen gefordert –, die Anrech-
nung der Riester-Rente so nicht vorzunehmen, also das
Gegenteil von dem zu machen, was der Staatssekretär
hier vorgeschlagen hat. Das Behaupten eines Ordnungs-
prinzips gegenüber der programmierten Altersarmut von
Millionen von Menschen ist zynisch. Das ist zynisch,
nicht die Umkehrung eines Vorrangprinzips.


(Jörg Rohde [FDP]: Da geht es um Gerechtigkeit!)


Hier erlebe ich jetzt, dass sich der Staatssekretär Sor-
gen angesichts der Tatsache macht, dass sich viele Men-
schen – insbesondere die, deren Bruttoeinkommen heute
bei 1 000 Euro liegt – jetzt fragen, was sie später haben
werden. Die einen sagen: Der Beitragssatz muss stabil
bleiben. Ich kann das aus Zeitgründen jetzt nicht mehr
ordnungspolitisch darstellen. Andere sagen: Die Renten-
kasse hat sich ganz gut entwickelt. Wieder andere sagen:
Der Nachhaltigkeitsfaktor ist viel besser, als wir eigent-
lich geglaubt haben. Daran sieht man, dass Sie nicht
mehr wissen, worüber in der Bevölkerung diskutiert
wird. Die Menschen wollen von Beitragssätzen, Nach-
haltigkeitsfaktoren und Rücklagen nichts wissen. Sie
wollen wissen, was sie im Alter zu erwarten haben. Sie
haben Armutsrenten programmiert. Nehmen Sie diesen
Skandal zurück!


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613607700

Anton Schaaf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1613607800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich hatte gedacht, dass das,
was Monitor an Verunsicherung und Ängsten bei den
Menschen bewirkt hat, nicht zu übertreffen ist. Ich bin
durch diesen Beitrag gerade eines Besseren belehrt wor-
den. Sie verunsichern Millionen von Menschen, die be-
reit sind, ihre Altersvorsorge privat zu unterstützen. Sie
tun so, als wäre die Grundsicherung ein Rentenanspruch.
Die Grundsicherung ist eine Transferleistung und kein
Rentenanspruch, der sich ergibt. Sie tun so, als wäre es
ein Anspruch.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)


Nein, Herr Lafontaine, damit werden Sie am Ende
nicht durchkommen. Ich bin immer bereit, über die Zu-
kunft der Rente sachlich zu diskutieren. Ich bin immer
bereit, Wege zu suchen und neu zu definieren. In der Tat
muss uns die Aussicht von Millionen von Menschen, die
keine Arbeit hatten und haben, im Alter arm zu sein, be-
sorgen. Natürlich müssen wir uns darum kümmern. Aber
Sie haben Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern verunsichert, die die Steuergelder für die
Grundsicherung aufbringen und gleichzeitig privat für
ihr Alter vorsorgen müssen. Das, was Sie da machen, ist
relativ skrupellos.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wieso „relativ“?)


Sie schaffen es immer wieder besonders gut, bei der
Beschreibung der Entwicklung und dem, was zu tun ist,
die Demografie völlig außen vor zu lassen. Sie glauben,
dass es sich immer nur um eine verteilungspolitische
Frage handelt. Demografie spielt für Sie überhaupt keine
Rolle.


(Widerspruch bei der LINKEN – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Produktivitätsentwicklung!)


Vor dem Hintergrund haben wir in der Vergangenheit
und werden wir auch in der Zukunft viel Geld in die
Hand nehmen, um die Menschen in die Lage zu verset-
zen, im Alter ein vernünftiges Auskommen zu haben. Ja,
vor dem Hintergrund von Demografie mussten wir den
Rentenfaktor ändern, weil sich das Verhältnis von jünge-
ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die einzah-
len, zu Älteren, die Ansprüche haben, verändert, und
zwar dramatisch.


(Widerspruch bei der LINKEN)


– Das ist so, und das kann man nicht wegdiskutieren.
Darauf muss man reagieren, und das haben wir getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir fördern die betriebliche Altersvorsorge massiv
mit Steuergeldern. Wir fördern die private Altersvor-
sorge massiv im Rahmen der Riester-Rente; bald werden
wir auch das Wohneigentum mit einbeziehen. Es ist völ-
lig richtig, das zu tun, weil man Altersarmut dadurch tat-
sächlich verhindern kann; das ist gar keine Frage. Diesen
richtigen Weg werden wir durch die unseriöse Berichter-
stattung von Monitor, die Sie, Herr Lafontaine, sogar
noch übertroffen haben, nicht infrage stellen lassen.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kolb, Sie haben die Einnahmen und Ausgaben
der Rentenversicherung dargestellt. Dazu will ich Ihnen
sagen: Natürlich haben sich die Zuwächse der letzten
zwei Jahre sehr positiv auf die sozialen Sicherungssys-
teme ausgewirkt; darüber gibt es gar keine Diskussion.
Sie verhalten sich aber widersprüchlich: Sie sagen, dass
die Einnahmeseite nicht ganz in Ordnung ist, dass da ei-
gentlich mehr passieren müsse, und dass das Einmal-
effekte waren. Was tun Sie? Sie könnten die Einnahme-
seite mit uns gemeinsam stärken. Helfen Sie dabei, dass
in diesem Land Mindestlöhne eingeführt werden!


(Beifall bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, genau!)


Helfen Sie dabei, dass es in diesem Land zu einer ver-
nünftigen Lohnentwicklung kommt! Helfen Sie dabei,
dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die-
sem Land vom Wachstums- und Produktivitätszuwachs
angemessen profitieren! Denn mehr Lohn bzw. ein Min-
destlohn bedeutet Mehreinnahmen der sozialen Siche-
rungssysteme und für den einzelnen Arbeitnehmer und
die einzelne Arbeitnehmerin am Ende selbstverständlich
auch höhere Ansprüche.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das alles führt doch wieder zu weniger Einnahmen! Das ist doch nun wirklich nicht so schwer zu verstehen, Herr Kollege!)


Helfen Sie an dieser Stelle mit, und widersprechen Sie
sich in Ihrer eigenen Argumentation nicht immer selbst.

Ich habe bereits gesagt, dass wir noch darüber disku-
tieren müssen, inwieweit wir es vernünftig regeln kön-
nen, Wohneigentum als Altersvorsorge in die Riester-
Förderung einzubeziehen. Ich bin aber der festen Über-
zeugung – Herr Lafontaine, hier sind wir, wie ich denke,
ganz schnell beieinander –, dass das Dreisäulensystem,
das jetzt existiert, auf Dauer nicht ausreichen wird. Wir
werden sicherlich noch über die Einführung einer zu-
sätzlichen steuerfinanzierten Säule diskutieren müssen,
Stichwort: Grundsicherung. Ich bin ganz sicher, dass wir
darum nicht herumkommen werden. Das ist aber nur
eine Perspektive. Das müssen wir nicht ad hoc regeln.

Lassen Sie uns jetzt die positiven Effekte, die in unse-
rem Land für Wachstum sorgen, nutzen, um die sozialen
Sicherungssysteme zu stabilisieren. Am besten, am ein-
fachsten und am wirkungsvollsten wäre es, wenn wir die
Forderung der Gewerkschaften nach vernünftigen Lohn-
abschlüssen in diesem Jahr unterstützen würden. Lassen
Sie uns im Rahmen des Mindestarbeitsbedingungsgeset-
zes den Mindestlohn einführen!


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das, was Sie hier machen, ist genauso populistisch wie das, was Lafontaine gesagt hat, Herr Schaaf!)







(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
– Nein, das ist nicht populistisch. Das würde dem einzel-
nen Arbeitnehmer und der einzelnen Arbeitnehmerin
helfen, und das würde die sozialen Sicherungssysteme
stabilisieren. Das ist der richtige Weg.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Rohde [FDP]: Das würde vor allem mehr Schwarzarbeit schaffen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613607900

Jetzt hat Irmingard Schewe-Gerigk für das Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das, was uns die Große Koalition mit dieser Aktuellen
Stunde bietet, ist schon ein starkes Stück. Ganz Deutsch-
land diskutiert seit Wochen über das Thema Altersarmut.
Sachverständige rechnen uns vor, dass Vollzeitbeschäf-
tigte mit einem durchschnittlichen Einkommen, um spä-
ter eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu beziehen,
35 Jahre lang erwerbstätig sein müssten. Eine Verkäufe-
rin müsste gar 40 Jahre erwerbstätig sein, um später eine
Rente auf Grundsicherungsniveau zu erhalten. Was aber
macht die Große Koalition? Sie negiert dieses Problem
und beschließt eine Aktuelle Stunde, um ihre Erfolge zu
feiern und sich selbst zu beweihräuchern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein! Das haben wir nie getan!)


Eine solche Politik, meine Damen und Herren von der
Großen Koalition, ist instinktlos und führt zu Politikver-
drossenheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Andrea Nahles [SPD]: Frau Schewe-Gerigk, gerade Sie müssten es eigentlich besser wissen!)


– Frau Kollegin Nahles, die Menschen haben ein Recht
darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung auf das
künftige Problem der Altersarmut reagieren wird. Statt-
dessen wollen Sie sich auf der guten Konjunktur und den
sprudelnden Renteneinnahmen ausruhen; in diesem
Punkt bin ich anderer Meinung als Sie, Herr Kollege
Kolb.

Dazu passt, dass Arbeitsminister Scholz bei der gest-
rigen Vorstellung seiner Vorhaben der nächsten zwei
Jahre das Wort „Rente“ überhaupt nicht in den Mund ge-
nommen hat.


(Zuruf von der LINKEN: Ja! Weil er keine Ahnung davon hat!)


Ihre heutige Botschaft soll lauten: Die soliden Einnah-
men der Rentenkassen sind das Verdienst dieser Regie-
rung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, genau! Bravo!)

– Ja, ja. Dazu werde ich Ihnen gleich noch etwas sagen. –
Dabei haben Sie der Bevölkerung gleich zu Beginn Ihrer
Amtszeit tief in die Tasche gegriffen. Ich will nicht die
Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte nen-
nen, sondern die Erhöhung des Beitrags zur Rentenversi-
cherung auf 19,9 Prozent. Alle namhaften Experten und
Expertinnen haben Ihnen vorher versichert, dass
19,7 Prozentpunkte ausreichen würden, um die Einnah-
men und Ausgaben in ein solides Verhältnis zueinander
zu bringen. Sie haben darauf nicht gehört. Sie wollten
sich ein bequemes Polster aufbauen, auf dem Sie sich
jetzt ausruhen können, wie es offensichtlich Kollege
Scholz in der Rentenpolitik vorhat. Die Prognosen zu
den Einnahmen der Rentenkasse haben Sie bewusst nach
unten gerechnet, um sich jetzt auf die Schulter klopfen
zu können. Zu Ihrer Selbstbeweihräucherung passt auch
die Behauptung der Bundeskanzlerin, die gute konjunk-
turelle Entwicklung komme jetzt bei den Menschen an.

Derjenige, der trotz Vollbeschäftigung ergänzende
Leistungen der Bundesagentur benötigt, um über die
Runden zu kommen, wird solch einen Satz als zynisch
empfinden. Klar, auch wir sind erleichtert, dass wieder
mehr Menschen sozialversicherungspflichtig beschäf-
tigt sind. Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt ist
erfreulich und muss fortgesetzt werden. Aber ist es da-
rum gerechtfertigt, die Hände in den Schoß zu legen?
Was machen Sie eigentlich, wenn es mit der Konjunktur
nicht so weitergeht? Was tun Sie, wenn die Konjunktur
einbricht? Wo bleiben dann die Reformen?

Hinweise auf Nachbesserungsbedarf haben Sie in den
letzten Monaten genügend bekommen. Zum Beispiel hat
der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-
wirtschaftlichen Entwicklung in seinem Gutachten vom
November 2007 ein eigenes Kapitel der Altersarmut ge-
widmet und ganz deutlich Handlungsbedarf angemahnt.
Heutzutage sind nur gut 2 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner auf die Grundsicherung angewiesen. Doch in
15 Jahren, wenn die jetzt 50-Jährigen im Ruhestand
sind, wird das ganz anders aussehen; sie werden von Al-
tersarmut betroffen sein.

Wegen der erfreulichen Mehreinnahmen der gesetzli-
chen Rentenversicherung ist es für Sie offensichtlich
nicht interessant, über diese Themen zu sprechen. Der
vielbeschworene Aufschwung ist an den Geringqualifi-
zierten, an den Langzeitarbeitslosen vorbeigegangen.
Die Zahl der Geringverdienenden und der in Zeit- und
Leiharbeitsverhältnissen Beschäftigten hat zugenom-
men. Doch die Union weigert sich beharrlich, konse-
quente Schritte zur Eindämmung des Niedriglohnsektors
mitzutragen. Da sage ich Ihnen: Aus nichtexistenzsi-
chernden Löhnen können auch keine Renten folgen, die
über der Grundsicherung liegen – da könnte jemand so-
gar 50 Jahre arbeiten und würde nicht auf Sozialhilfeni-
veau kommen. Darum brauchen wir endlich Mindest-
löhne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch durch die Halbierung der Rentenbeiträge für
Langzeitarbeitslose hat die Koalition dazu beigetragen,
dass die Zahl derer, die im Alter auf Grundsicherung an-






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
gewiesen sind, künftig ansteigen wird. Wer vermeiden
will, dass wir in 10 bis 20 Jahren Altersarmut haben,
muss heute die Weichen stellen. Ich erinnere an Arbeits-
minister Müntefering, der gesagt hat: Wir brauchen die
Rente mit 67. Wir müssen den Menschen rechtzeitig sa-
gen, worauf sie sich einzustellen haben. Wir können
doch nicht so tun, als wüssten wir nicht, was in 15 Jah-
ren passiert. Wir haben die Zahlen, und wir müssen re-
agieren.

Wir Grünen wollen mit unserem Modell der Aufsto-
ckung kleiner Einkommen eine Möglichkeit schaffen,
dass entsprechende Renten gezahlt werden. Wir wollen
die Rentenbeiträge derer, die ein kleines Einkommen ha-
ben, hochwerten. Darüber hinaus wollen wir einen exis-
tenzsichernden Mindestlohn, um Altersarmut zu vermei-
den.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


– Wenn Sie zustimmen können, ist das prima.

Die Bundeskanzlerin nimmt es offensichtlich nicht
ernst, dass die Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden
ist, weil der Aufschwung an ihr vorbeigeht. Schauen Sie
sich an, wer die Gewinner und Gewinnerinnen sind: Das
ist der Fiskus, das sind die Vermögenden. Die Kanzlerin
baut darauf, dass die meisten bis zur nächsten Wahl ver-
gessen haben, wie sehr ihnen die Regierung in die Ta-
sche gegriffen hat. Für uns Grüne hat die Bekämpfung
der Armut höchste Priorität. Wir versprechen Ihnen,
meine Damen und Herren von der Großen Koalition:
Wir geben bei diesem Thema keine Ruhe.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613608000

Stefan Müller hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1613608100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestatten Sie mir, dass auch ich eingangs etwas zu den
verheerenden und aus meiner Sicht unverantwortlichen
Berichten in sogenannten Nachrichtenmagazinen der öf-
fentlich-rechtlichen Fernsehsender sage, in denen ja der
Eindruck erweckt wurde, als würde sich eine private Al-
tersabsicherung für Geringverdiener oder überhaupt für
all diejenigen, die privat etwas für sich tun wollen, nicht
lohnen. Ich will klar und deutlich zu verstehen geben,
dass sich eine private Altersvorsorge, eine private Ab-
sicherung für jeden lohnt, der später nicht auf staatliche
Transferleistungen angewiesen sein möchte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eine banale Aussage!)


Das gilt ausdrücklich für Geringverdiener.
In unserem Land gilt ja immer noch der Grundsatz,
dass jeder, der es kann, für seinen Lebensunterhalt selbst
zu sorgen hat. Nur in dem Fall, dass er es eben nicht
mehr kann, ist es Aufgabe der Solidargemeinschaft, ihm
zu helfen. Ich finde, man sollte diese Solidarität und
diese Solidargemeinschaft nicht dadurch aufs Spiel set-
zen, dass man zu einem Teil der Bevölkerung sagt: Tut
lieber nichts, die anderen werden euch schon finanzie-
ren, wenn es nicht mehr reicht. – Das kann nicht der An-
spruch sein, den wir an die Menschen in diesem Land
haben, und das kann auch nicht der Anspruch sein, den
die Menschen in diesem Land an sich selbst haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gerd Andres [SPD])


Nun geht es natürlich darum, dass die private Vor-
sorge attraktiv bleiben muss. Es geht darum, dass wir da-
für auch die entsprechenden Spielräume schaffen. Heute
fiel ja schon mehrfach das Wort Altersarmut. Altersar-
mut ist aus meiner Sicht kein flächendeckendes Problem
der heute älteren Generation.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht gesagt! Aber es ist ein Problem in zehn Jahren!)


– Frau Schewe-Gerigk, ich gebe Ihnen recht, dass Al-
tersarmut unter verschiedenen Umständen eine reale Be-
drohung für die heute junge Generation werden kann.


(Jörg Rohde [FDP]: So ist es!)


Das wird ja überhaupt nicht in Abrede gestellt.

Altersarmut ist jedenfalls dann eine reale Bedrohung,
wenn nicht privat oder durch eine betriebliche Altersvor-
sorge zusätzlich vorgesorgt wird. Wir sagen der heute
jungen Generation: Ihr zahlt die höchsten Beiträge in der
Geschichte der Bundesrepublik, aber ihr habt das nied-
rigste Rentenniveau zu erwarten, also sorgt bitte für euch
vor. – Gleichzeitig sagen wir: Ihr müsst aber auch inves-
tieren, Häuser bauen und mindestens drei Kinder be-
kommen, damit unsere sozialen Sicherungssysteme auch
zukunftsfest bleiben. – So geht es natürlich nicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das tut die Große Koalition aber!)


Das heißt also: Wenn wir von den jungen Leuten
heute erwarten, dass sie privat vorsorgen, dann müssen
wir auch dafür sorgen, dass es finanzielle Spielräume
gibt, damit sie für sich privat vorsorgen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das will die Koalition tun?)


– Herr Kollege Dr. Kolb, wenn man möchte, dass junge
Leute für sich privat vorsorgen, dann muss man auch
Anreize dafür schaffen, dass sie es tun, und dann darf
man die private Altersvorsorge in Deutschland nicht
auch noch in unverantwortlicher Weise schlechtreden.
Das tun Sie an dieser Stelle nämlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Rohde [FDP]: Wenn die Anreize fehlen, muss Stefan Müller man das sagen! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schönreden hilft auch nicht weiter!)





(A) (C)


(B) (D)


Sie sagen: Schafft doch diese finanziellen Spiel-
räume! – Da Sie das immer wieder vergessen, will ich
Sie nur noch einmal daran erinnern – der Kollege Weiß
hat das ja angesprochen –: Wir haben den Beitrag zur
Arbeitslosenversicherung fast halbiert. Die Entlastung
beträgt 23 Milliarden Euro. Die Hälfte davon entfällt auf
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Sie haben alles andere erhöht – einschließlich der Mehrwertsteuer!)


Wir können die Debatte gerne weiterführen. Das haben
wir schon einmal getan. Sie mussten ja eingestehen, dass
Sie Unrecht hatten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, nein!)


Es hat eine Entlastung gegeben. Genau durch diese Ab-
senkung der Sozialabgaben werden gerade für die heute
junge Generation die finanziellen Spielräume geschaf-
fen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Erwecken Sie doch nicht den Eindruck, als hätten wir
neben der Schaffung von finanziellen Spielräumen
nichts getan, um die Anreize zu erhöhen. Wir haben zum
Beispiel die Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltum-
wandlung fortgesetzt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie lange habt ihr euch denn geziert? Wir haben das jahrelang gefordert! Ihr habt gesagt, dass wir das nicht brauchen! Das ist doch ein Witz!)


Dabei haben wir Ihre Nachhilfe im Übrigen nicht ge-
braucht, vielmehr haben wir selbst gesagt, dass das eine
Grundlage dafür ist, um für diejenigen, die heute anfan-
gen, Beiträge zu bezahlen, in Zukunft Altersarmut zu
verhindern.

Liebe Kollegen von der FDP, nun tun Sie doch nicht
so, als hätte die gute finanzielle Entwicklung der Ren-
tenkasse nicht auch etwas damit zu tun, dass die Kon-
junktur besser geworden ist. Natürlich ist eine solide Be-
schäftigungssituation in Deutschland die Grundlage für
stabile Rentenfinanzen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 14 Milliarden Euro kassiert, 5,7 Milliarden Euro sind noch da! Wo ist denn das Geld?)


Eine viertel Million sozialversicherungspflichtiger Be-
schäftigungsverhältnisse ist die Grundlage für stabile
Rentenfinanzen und dafür, dass es im letzten Jahr wieder
eine moderate Erhöhung der Renten hat geben können
und dass es vielleicht auch dieses Jahr eine moderate Er-
höhung geben kann. Das ist das Signal, dass wir auch
von dieser Stelle aus geben müssen. Dazu war auch
diese Aktuelle Stunde gedacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Schuss ist aber nach hinten losgegangen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns in
diesem Jahr, in 2008, auf eine Fortsetzung der guten
wirtschaftlichen Entwicklung einstellen können. Trotz
aller Risiken, die es zugegebenermaßen gibt – Ölpreis-
entwicklung, Dollarkurs, US-Immobilienkrise –, besteht
eine gute Chance, dass sich die positive wirtschaftliche
Entwicklung und die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt
fortsetzen werden.

Das sind die Signale, die dieses Haus geben muss, um
nicht für Verunsicherung in der Bevölkerung zu sorgen.
Alle Reden, die ich von den Oppositionskollegen gehört
habe, waren jedenfalls nur dazu angetan, Verunsicherung
zu stiften.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613608200

Jetzt spricht der Kollege Walter Riester für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1613608300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt kein Thema, das sich so wenig eignet, Unsicher-
heit zu schüren, wie das der Rente; denn die Menschen
sind ohnehin völlig verunsichert. Uns schauen nicht nur
Rentenexperten und Sozialversicherungsexperten zu, es
schauen uns Menschen zu, die sich – das sage ich deut-
lich – durchaus berechtigte Sorgen machen.

Natürlich freue ich mich über die gute Konjunktur.
Ich freue mich auch über eine Rücklagenbildung in der
Rentenkasse in Höhe von 11 Milliarden Euro. Ich gebe
mich aber nicht der Illusion hin, dass dies die Wirklich-
keit widerspiegelt, wenn wir uns fragen, wie sich die Al-
tersvorsorge entwickelt. Ich freue mich, dass wir
40 Millionen Erwerbstätige haben. Aber ich gebe mich
nicht der Versuchung hin, diese Zahl nicht zu hinterfra-
gen.

Ich möchte Ihnen jetzt einige Probleme aufzeigen, aber
auch versuchen, Antworten zu geben. Von den 40 Millio-
nen Erwerbstätigen sind gerade einmal 27 Millionen so-
zialversicherungspflichtig beschäftigt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ist es!)


Es gibt gegenwärtig 7 Millionen Menschen, die Leis-
tungen nach Hartz IV beziehen, aus denen sich prinzipi-
ell keine Rentenansprüche bilden. Ein Beitrag von
40 Euro im Monat entspricht einem späteren Rentenan-
spruch von 2,38 Euro monatlich.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber wer hat denn die Beiträge halbiert, Herr Riester?)


– Geben Sie mir die Chance, dieses Problem vernünftig
aufzuzeigen. – Ferner gibt es 1,3 Millionen Menschen,
die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber mit den Ein-
nahmen daraus nicht einmal den Grundbedarf abdecken
können. 400 000 Menschen davon sind vollzeitbeschäf-
tigt und werden mit Steuermitteln alimentiert. Aus derar-
tigen Tätigkeiten resultieren kaum Rentenbeiträge.






(A) (C)



(B) (D)


Walter Riester
Es gibt insgesamt 7 Millionen Arbeitsverhältnisse auf
400-Euro-Basis. 3 Millionen der Betroffenen haben keine
weiteren Einkünfte als die 400 Euro. Daraus bilden sich
keine Rentenansprüche. Wenn man das weiß, muss man
sich berechtigte Gedanken darüber machen, wie sich zu-
künftig die Rentenansprüche entwickeln werden.

Das ist kein Problem der Rentenversicherung, kein
Problem des Rentenversicherungssystems und – Herr
Abgeordneter Lafontaine – auch kein Problem der Ren-
tenformel. Vielmehr handelt es sich um eine grundle-
gende Veränderung des Arbeitsmarktes, der Entlohnung
und der daraus resultierenden Rentenanspruchsbildung.

Wenn man will, kann man aus meiner Sicht etwas da-
ran ändern, indem man sagt, dass, wie bei den Sozialver-
sicherungen, aus den Einkünften aus Erwerbsarbeit
zwingend Rücklagen für die Altersvorsorge zu bilden
sind. Man sollte nicht immer weitere Bereiche der Er-
werbsarbeit aus der Versicherungspflicht herausnehmen.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Zwangs-Riester!)


– „Zwangs-Riester“: Das ist so albern, dass ich es nicht
kommentieren möchte.

Als Nächstes muss man darauf hinweisen, dass es im-
mer mehr Menschen gibt, die als Selbstständige – teil-
weise sind das Menschen, die sich aus der Arbeitslosig-
keit heraus selbstständig gemacht haben – kaum oder
keine Rücklagen bilden. Am Arbeitsmarkt muss korri-
giert werden. Denn ich bin der Auffassung, dass es ein
großer Fehler ist, immer zu sagen, all das solle später die
Rentenversicherung ausgleichen. Die Ursachen für diese
Schwierigkeiten liegen in den Entwicklungen, die ich Ih-
nen gerade aufgezeigt habe.

Wenn wir nicht die Stärke, die nötige Mehrheit oder
den Willen haben – das meine ich fraktionsübergreifend –,
den Skandal, dass man mit seiner Erwerbstätigkeit nicht
einmal mehr den Grundbedarf abdeckt, abzuwenden, und
dann zynischerweise hinzusetzen, die Tarifautonomie
und die Gewerkschaften sollen das richten, dann müssen
wir uns nicht wundern, wenn wir diese Versäumnisse an-
schließend mit Steuermitteln im Rahmen der Sozialhilfe
zu bezahlen haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nicht wir, die wir hier sitzen, sondern die Steuerzahler,
die uns jetzt zuschauen, müssen das dann alimentieren.

Von den 4,5 Millionen Menschen, die selbstständig
und in einer vermeintlich komfortablen Situation sind,
befinden sich – da bin ich mir sicher – bestimmt 3 Mil-
lionen in einer hundsmiserablen Situation, beispiels-
weise Kleingewerbetreibende, die überhaupt keine
Rücklagen bilden. Wenn sie jedoch gut verdienen und
eine hohe Steuerprogression haben, können sie in der
Rürup-Rente Rücklagen bilden. 3 Millionen Menschen
haben aber nicht einmal die Chance, eine Riester-Rente
anzusparen, weil sie keine Unterstützung bekommen.
Das sollte korrigiert werden.
Ich habe mich mit einigen Vorschlägen befasst, die als
Schnellschuss eingebracht worden sind. Was das Prinzip
angeht, hilfebedürftige Menschen auch unabhängig von
der Verschuldungssituation zu unterstützen, um eine
Grundsicherung zu gewährleisten, sollte immer berück-
sichtigt werden, welche Eigenmittel vorhanden sind. In
diesem Punkt bin ich anderer Meinung als der Abgeord-
nete Lafontaine. Einnahmen aus der Riester-Rente sind
Eigenmittel, die den Betroffenen zustehen. Wenn wir
diese Eigenmittel nicht mehr berücksichtigen, dann ha-
ben mit einem Schlag mehr bedürftige Menschen An-
spruch auf finanzielle Unterstützung.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613608400

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1613608500

Das ist zwar möglich, aber dann muss man den Men-

schen draußen im Lande auch sagen, dass sie das zu fi-
nanzieren haben. Insofern bin ich für Ehrlichkeit. Ich bin
dafür, das klar und deutlich zu sagen, ohne populistische
Verschärfungen. Die sind bei dem Thema auch gar nicht
nötig, weil die Menschen ohnehin verunsichert sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613608600

Der Kollege Dr. Michael Fuchs hat das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1613608700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kol-
lege Riester, wenn die Einführung von Mindestlöhnen
wirklich so einfach wäre, wie Sie es gerade geschildert
haben, dann hätten wir das Prinzip der kommunizieren-
den Röhren oder das Perpetuum mobile erfunden. Denn
das würde bedeuten, dass wir nur die Löhne erhöhen
müssten, ohne dass sonst etwas in der deutschen Wirt-
schaft passierte.

Ich frage mich, wofür wir einen Sachverständigenrat
und Wirtschaftsweise haben, wenn wir alle Warnungen
dieser Fachleute nicht zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Sparen wir uns doch die ganzen Gutachten, wenn wir
das nicht hören wollen!

Jeder weist darauf hin: Wenn ein Mindestlohn in der
von Ihnen geplanten Größenordnung eingeführt wird,
dann werden in diesem Land Menschen arbeitslos. Dann
hätten wir den gegenteiligen Effekt von dem, was wir er-
reichen wollen. Dann werden nämlich in Deutschland
Arbeitsplätze verloren gehen und die Kosten weiter stei-
gen. Alle, die arbeitslos werden, zahlen nichts in die
Rentenversicherung ein. Dann tritt das Problem an die-
ser Stelle wieder auf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
Es ist doch eine Tatsache, dass gerade dadurch, dass
wir gemeinsam dazu beigetragen haben, dass die Unter-
nehmen Arbeitsplätze geschaffen haben, die Situation
auch in den Sozialversicherungskassen besser geworden
ist. Dadurch waren wir in der Lage, die Beitragssenkun-
gen in der Arbeitslosenversicherung vorzunehmen und
in der Rentenversicherung die Beitragssätze einigerma-
ßen stabil zu halten. Ich erinnere daran, dass sie schon
einmal bei fast 21 Prozent gelegen haben. Diese Situa-
tion wollen wir nicht wieder herstellen.

Es ist immer dasselbe mit dem Kollegen Lafontaine.
Aus reinem Populismus fordert er Rentenerhöhungen
und Ähnliches. Woher soll aber das Geld dafür kom-
men?


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ihnen wünsche ich, dass Sie von 400 Euro im Alter leben müssen!)


Wir haben dieses Geld nicht, und es wird auch nicht vom
Himmel fallen.

Wir können heilfroh sein, dass wir dieses Jahr erst-
mals ausgeglichene Staatsfinanzen haben. Wir haben er-
reicht, dass wir kein Defizit mehr nach Brüssel melden
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darauf müssen wir aufbauen. Als nächstes Ziel – darauf
müssen wir gemeinsam hinarbeiten – muss endlich unser
Bundeshaushalt ausgeglichen werden. Die Neuverschul-
dung liegt immer noch bei 12 Milliarden Euro. Dies
kann nicht so weitergehen. Das ist eine Politik nach dem
Motto „Kinder haften für ihre Eltern“. Denn letztendlich
zahlen die jungen Leute die Zinsen, Hypotheken etc. zu-
rück. Es ist unsere Aufgabe, das endlich zu ändern.

Das ist aber nicht möglich, Herr Lafontaine, indem
wir weiter Staatsgeld für weitere Maßnahmen ausgeben,
das wir nicht haben. Es ist auch nicht über Steuererhö-
hungen möglich, weil es dann sofort zu einer Abwande-
rungswelle aus Deutschland käme. Wir haben bereits mit
diesem Problem zu tun. Ich habe eben versucht, Ihnen
das zu erklären.

Der Situation bei den Lohnnebenkosten können wir
nicht genug Bedeutung beimessen. Es ist uns gelungen – das
haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart –, die Lohnne-
benkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Wir müssen
aber auf diesem Weg weitergehen. Es ist nicht mit Forde-
rungen nach weiteren Erhöhungen – diese müssen
schließlich irgendwie finanziert werden – getan. Ich finde
das, was der Kollege Riester zur Riester-Rente gesagt hat,
vollkommen richtig. Es kann doch nicht wahr sein, dass
wir die Menschen nun demotivieren und sie davon abhal-
ten, in einer vernünftigen, zusätzlichen Säule anzusparen.
Jeder, der sich so populistisch, wie wir es gerade erlebt
haben, dazu äußert und verhindert, dass die Menschen
vernünftige Vorsorge treffen, sollte über eine Verhaltens-
änderung nachdenken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten zudem darauf achten, dass die öffentlich-
rechtlichen Anstalten nicht noch einmal eine solche
Volksverdummung betreiben, wie es am Montag gesche-
hen ist. Hier sind die Fernsehräte gefordert, die Herren
Redakteure zur Rechenschaft zu ziehen. Anders geht es
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind auf einem guten Weg. Lassen Sie uns diesen
weitergehen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der
konjunkturelle Aufschwung, der gar nicht so ungefähr-
det ist, nicht kaputt gemacht wird. Alles hat sich dem un-
terzuordnen; denn nur wenn die Konjunktur so weiter-
läuft wie bisher, werden wir auch die Chance haben,
zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Dann sind auto-
matisch sämtliche Sozialversicherungssysteme wetter-
fester als bislang; das ist unser Ziel. Daran sollten wir
gemeinsam weiterarbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613608800

Jetzt hat Martin Dörmann das Wort für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1613608900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Rentenpolitik ist in der Tat ein besonders sensibles
Thema. Es kommt darauf an, zum einen die berechtigten
Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, die Probleme zu
definieren und sie zu lösen und zum anderen Vertrauen
zu schaffen. Man darf das Vertrauen nicht zerstören.


(Beifall bei der SPD)


Die drei Herausforderungen, vor denen wir stehen,
sind schnell genannt: Demografie, Altersarmut und hohe
Beschäftigung. Ich möchte auf diese drei Punkte näher
eingehen, weil sie in einem Zusammenhang stehen. Wer
die Zusammenhänge nicht versteht, wird die Gesamtpro-
blematik nicht lösen können. Die demografische Ent-
wicklung führt dazu, dass immer weniger Beitragszah-
lern immer mehr Rentenempfänger gegenüberstehen.
Hier geht es um Generationengerechtigkeit. Auch die
jungen Menschen sollen sich darauf verlassen können,
dass die Rente einigermaßen sicher ist, und in der Lage
sein, selber Vorsorge zu betreiben. Deshalb haben wir
den Nachhaltigkeitsfaktor und die Rente mit 67 einge-
führt. Dieser Bereich ist von den Wirtschaftswissen-
schaftlern sehr positiv bewertet worden.

Darüber hinaus dürfen wir die Bedeutung des zweiten
Bereichs nicht verkennen: die Senkung des Rentenni-
veaus, hervorgerufen durch die demografische Entwick-
lung, und damit verbunden die Problematik der Altersar-
mut. Es gibt eine gesellschaftliche Veränderung. Die
Erwerbsbiografien sind heute anders als früher, als man
direkt nach der Lehre einen Vollzeitberuf ergriffen hat,
der einen ein Leben lang getragen hat. Heute sind die
meisten Erwerbsbiografien unterbrochen. Daher muss
Vorsorge betrieben werden. Es gibt zudem eine hohe
Zahl an Geringverdienern und Teilzeitbeschäftigten.






(A) (C)



(B) (D)


Martin Dörmann
Dazu passen genau die Instrumente, die wir verstärkt
fördern, beispielsweise die Betriebsrente. Ende letzten
Jahres haben wir die Förderung der sozialversicherungs-
freien Entgeltumwandlung fortgesetzt. Wir haben die
Riester-Rente eingeführt. Walter Riester hat zu Recht ge-
sagt, dass sich die Riester-Rente gerade für Geringver-
diener lohnt. Das dürfen wir uns nicht kaputt machen
lassen.

Nun komme ich zum dritten Bereich, der ebenfalls
nicht unter den Tisch fallen darf. Hier geht es um die
Konjunktur und die Beschäftigung. Es stimmt, selbst
wenn wir die beste Rentenformel und das beste System
bei der Riester-Rente hätten, könnten wir letztendlich
nur das verteilen, was erwirtschaftet wird. Auch hier ste-
hen wir vor Herausforderungen; das ist gar keine Frage.
Wir müssen in bessere Köpfe investieren. Wir müssen
dafür sorgen, dass Deutschland weiter wettbewerbsfähig
bleibt, auch unter globalisierten Bedingungen. Hier ha-
ben wir einen guten Status, auf den wir aufbauen kön-
nen. Aber wir müssen weitergehen. Die Zahlen sind vor-
hin genannt worden. Es gibt 40 Millionen Erwerbstätige,
davon sind 27 Millionen sozialversicherungspflichtig
beschäftigt, eine Rekordzahl. Aber Walter Riester hat
völlig recht: Wir müssen sehen, wie sich das weiter aus-
dehnen lässt; denn Teilzeit- und Geringfügigbeschäftigte
sind nicht in der Lage, eigene Vorsorge zu betreiben und
für die Rente anzusparen. Deshalb muss unser Augen-
merk darauf gerichtet sein, die Menschen in gute Arbeit
zu bringen.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen mehr Beschäftigung, und diejenigen,
die in Beschäftigung sind, brauchen gute Arbeitsbedin-
gungen, wozu natürlich auch ein guter Lohn gehört. Ei-
nerseits hat die Politik die Voraussetzungen für eine
positive Entwicklung geschaffen. Ich erinnere daran,
dass wir unter Rot-Grün entscheidende Reformen umge-
setzt haben, angefangen mit der Stabilisierung der So-
zialversicherungssysteme über die Arbeitsmarktreform
bis hin zum Steuerrecht. Dies setzt jetzt die Große Koali-
tion erfolgreich fort. Andererseits haben die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer – neben den Unternehmen,
die gute Konzepte hatten – einen ganz gehörigen Anteil
an dieser Entwicklung, weil sie Lohnzurückhaltung ge-
übt haben. Allerdings werden wir in Zukunft bei einer
schlechteren konjunkturellen Lage von den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer nicht mehr die Bereitschaft
erwarten dürfen, diese Lohnzurückhaltung zu üben,
wenn wir heute bei einer guten Konjunktur nicht auch
dafür sorgen, dass der Aufschwung bei den Menschen
ankommt.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb ist dieses Jahr in zweierlei Hinsicht ein be-
sonderes Jahr. Erstens gehe ich hinsichtlich der Tarifver-
handlungen davon aus – ich halte dies auch für gut –,
dass die Abschlüsse über dem liegen werden, was in der
Vergangenheit vereinbart wurde. Dies wird dann auch
den Rentnerinnen und Rentnern zugutekommen, die an-
sonsten ebenfalls von der guten wirtschaftlichen Ent-
wicklung abgekoppelt würden, da die Höhe der Renten
an die Lohnentwicklung gekoppelt ist.
Zweitens geht es um das Thema Mindestlohn und Ge-
ringverdiener, das heute mehrmals zur Sprache kam. Wir
müssen dafür sorgen, dass die Menschen am Ende nicht
auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Dies ist
übrigens nicht nur eine Frage der sozialen Sicherheit,
sondern auch eine Frage des Selbstwertgefühls der Men-
schen; denn niemand möchte von vornherein auf staat-
liche Unterstützung angewiesen sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb müssen wir im Bereich des Mindestlohns etwas
tun. Die Große Koalition hat dazu einige Verabredungen
getroffen; hier müssen wir weiter vorangehen.

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, den
ich gerade schon angedeutet habe, den Bereich Bildung
und Ausbildung, der am Ende ebenfalls mit der Rente
zusammenhängt. Gelingt es uns nicht, neben einer guten
wirtschaftlichen Entwicklung auch in die Köpfe zu in-
vestieren, wird es in zehn Jahren vielleicht keine gute
Konjunktur mehr geben, die wie jetzt dem Arbeitsmarkt
Impulse geben kann. In den letzten beiden Jahren haben
wir es geschafft, die Zahl der Arbeitslosen um
1,1 Millionen zu reduzieren.

Dies müssen wir angehen, und dafür brauchen wir zu-
sätzliches Geld. Deswegen komme ich noch einmal auf
meinen ersten Punkt zurück: Diese Bereiche stehen in ei-
nem Zusammenhang. Man kann sich nicht wie die Frak-
tion Die Linke nur einen Bereich herausgreifen, Stim-
mung machen, die Menschen verunsichern, aber für die
Probleme keine Lösung bieten.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613609000

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1613609100

Deshalb mein Appell: Es war immer gute Tradition,

dass die Rentenpolitik von möglichst allen Fraktionen in
diesem Haus getragen wird. Es wäre schön, wenn wir im
Interesse der Menschen zu dieser guten Tradition irgend-
wann zurückkehren könnten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613609200

Maria Michalk hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1613609300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine gute konjunkturelle Entwicklung ist die Basis für
eine sichere – wir sagen heute: nachhaltige – Finanzie-
rung unserer gesetzlichen Rente. Dies ist und bleibt rich-
tig – viele meiner Vorredner haben dies bekräftigt –,
auch wenn Sie, Herr Lafontaine, dies hier vor laufenden
Bildschirmen dreimal negieren und mit der Faust auf den
Tisch klopfen. Es ist und bleibt richtig: Unser gesetzli-
ches Rentensystem ist so aufgebaut, dass es direkt im






(A) (C)



(B) (D)


Maria Michalk
Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung
steht. Diese These ist unstrittig.

Früher haben die Menschen das einfacher formuliert:
Wer Kinder hat, ist reich und braucht sich um seine Zu-
kunft nicht zu sorgen. Diese Denkweise ist in unserer
Gesellschaft leider zunehmend verloren gegangen. Das
ist schade, und wir zahlen dafür einen sehr hohen Preis.
Jeder von uns – jedenfalls alle, die im mittleren Alter
sind – müsste normalerweise jeden Morgen in den Spie-
gel schauen und sich fragen: Was habe ich persönlich
dazu beigetragen, dass dieses solidarische, auf Genera-
tionengerechtigkeit und den Zusammenhalt der Genera-
tionen aufgebaute Rentensystem zukunftssicher bleiben
kann? Dass es funktioniert, haben die zurückliegenden
Jahrzehnte auf beeindruckende Weise gezeigt. Deshalb
ist es so wichtig, dass wir uns mit diesem Thema aus-
einandersetzen. Aktuell geht es um die Analyse, wie es
früher gelaufen ist; aber diese Debatte ist auch in die Zu-
kunft gerichtet. Deshalb ist diese Aktuelle Stunde nicht
einseitig und nur als Stückwerk zu betrachten, wie das
manche Redner vorher getan haben, sondern wir müssen
die Kraft haben, dies alles im Zusammenhang darzustel-
len.

Jeder Einzelne kennt aufgrund der jedes Jahr ins Haus
kommenden Renteninformation sehr genau die Höhe der
Rente, die er sich erarbeitet hat. Wir wissen viel über die
Verteilung des Vermögens in unserem Land. Wir wissen,
welche private Vorsorge die Menschen bisher betrieben
haben. Wir haben schon lange Kenntnis darüber, dass
der Grad der Qualifikation des Einzelnen direkt damit
zusammenhängt, ob er arbeitslos wird oder nicht. Un-
zählige Studien, Berichte, Statistiken – das hat heute
schon eine Rolle gespielt – liegen uns vor. Wir wissen
ganz genau, was Fakt ist. Es gibt zwei bekannte Größen,
die Vergangenheit und die Gegenwart. Aber wir haben
eine Unbekannte, und das ist Zukunft.

Wie werden sich die Menschen in Zukunft verhalten?
Wir können Prognosen aufstellen, aber wir wissen es
nicht. Bleibt es in der Regel bei der Ein-Kind-Familie,
oder wird die Lust auf Kinder wieder größer, wie man
heutigen Berichten entnehmen zu können glaubt? Aktu-
ell gibt es dafür Gott sei Dank einige Signale. Welche
neuen Entwicklungen in der globalisierten Welt werden
unser wirtschaftliches Tun hier in Deutschland beein-
flussen? Welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt, und
wie werden die Menschen, die nach uns Politik machen,
darauf reagieren? Mit welchen Einkünften können die
Menschen in Zukunft rechnen? Werden sie mehr oder
weniger arbeiten müssen? Werden wir alle 90 oder
100 Jahre alt, oder bringt der Stress unserer Zeit eine
ganz andere Entwicklung mit sich? Angesichts unseres
Gesundheitssystems ist zu vermuten, dass wir alle älter
werden. Immer weniger Menschen müssen dafür Sorge
tragen, dass immer mehr Menschen von unserem hervor-
ragenden und vorbildlichen sozialen Sicherungssystem
profitieren können. Ich meine, wir sollten unsere Erwar-
tungen deshalb nicht nur an andere, sondern auch an uns
selber richten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man sollte sich nicht länger kollektiv komplett der
Zukunft verweigern, indem man Armut von Kindern
hinnimmt. Man sollte die Ideen aller Menschen in das
Ganze einbringen. Jeder hat etwas beizutragen. Wir soll-
ten nicht müde werden und neugierig bleiben; denn das
ist das Fundament der Bildung. Dieser Aspekt hat heute
noch nicht die Rolle gespielt, die er spielen sollte. Jede
persönliche Aktivität – und sei sie noch so gering – wird
die Aussichten auf eine auskömmliche Alterssicherung
erhöhen. Auch Wolkenkratzer, so könnte man es formu-
lieren, haben einmal als Keller angefangen. Wir müssen
beispielsweise in den neuen Bundesländern registrieren,
dass sich auf der einen Seite die Generation, die zu der
Zeit der friedlichen Revolution in Rente war oder ging,
auf der Grundlage von 45 und mehr Arbeitsjahren auf
eine auskömmliche Rente stützen kann, auf der anderen
Seite aber die nachwachsende Rentnergeneration durch
lückenhafte Arbeitsbiografien, niedrige Verdienste und
ohne die Chance, private Vorsorge zu betreiben, mit sehr
viel weniger Einkommen auskommen muss. Da teile ich
ausdrücklich die Analyse und die Fallbeispiele, die Herr
Riester dargestellt hat.

Es ist noch nicht lange her, da war es nicht selten,
dass Arbeitnehmer aus Anlass der 45-jährigen Zugehö-
rigkeit zu einem Betrieb geehrt wurden. Heute kann man
sich vorstellen, dass jemand ausgezeichnet wird, weil er
oder sie auf 45 Jobs unterschiedlicher Arbeitgeber ver-
weisen kann, was nach unserem heutigen Verständnis
ein Beweis unendlicher Flexibilität ist. Das, was ich
heute sagen will, ist: Wir brauchen auch in Zukunft bei-
des, Kontinuität und Flexibilität.

Es ist nicht so, dass wir keine Hausaufgaben mehr zu
machen hätten. Die Große Koalition ist sehr wohl auf
dem Weg, Dinge weiterzuentwickeln und notfalls auch
zu korrigieren. Insgesamt dürfen wir unser Alterssiche-
rungssystem nicht schlechtreden; denn sonst betreiben
die Leute keine private Vorsorge. Das wäre fatal.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613609400

Andrea Nahles hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-

tion.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1613609500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die heutigen Arbeitnehmer finanzieren die
Renten der Alten aus ihrem heutigen Lohn. Das gilt für
die Sozialversicherungsrente, die beitragsfinanziert ist
– mittlerweile fließen außerdem 80 Milliarden Euro an
Steuermitteln in die Sozialversicherungsrente –, und im
Übrigen auch für die Riester-Rente. Auch sie setzt sich
aus zwei Komponenten zusammen: Die eine Kompo-
nente ist ein Anteil des Privatlohns, die andere eine steu-
erliche Subvention.

Der Kern der ganzen Debatte ist, dass die Lohnhöhe
für die heutige und die zukünftige Rentenentwicklung
entscheidend ist. Herr Rohde, es ist Unsinn, zu behaup-






(A) (C)



(B) (D)


Andrea Nahles
ten, dass die 2 Millionen Erwerbstätigen, die heute mög-
licherweise zu wenig verdienen, dies auch in den nächs-
ten 30 Jahren tun werden. Aber wir können natürlich
sagen, unter welchen Bedingungen bestimmte Probleme
mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten.

Einige dieser Bedingungen kann ich Ihnen nennen:
Tarifflucht zum Beispiel führt dazu, dass die Lohnni-
veaus in ganzen Bereichen gesenkt werden.

Outsourcing: Der Stammbelegschaft wird gekündigt;
sie wird bei einem Leiharbeitgeber beschäftigt, der sie
am selben Arbeitsplatz wie zuvor einsetzt, allerdings für
20 bis 30 Prozent weniger Lohn. Das ist ein ebenso gro-
ßer Angriff, übrigens ganz besonders auf Hochlohnbe-
reiche.

Ich verweise auf Dumpinglöhne in Branchen, in de-
nen es seit Jahren keinen Flächentarifvertrag mehr gibt,
zum Beispiel in der fleischverarbeitenden Industrie.
Wenn wir da nicht gegensteuern, dann sind die Probleme
der Zukunft schon jetzt absehbar. Wer heute nicht gegen
Dumpinglöhne kämpft, der tut auch nichts gegen Alters-
armut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Positiv gesprochen: Wir müssen heute aktiv für Min-
destlöhne, für faire Arbeitsbedingungen, für Tarifbin-
dung usw. eintreten. Mit anderen Worten: Recht und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und gute Löhne sind das
beste Rezept gegen Altersarmut, das wir anbieten kön-
nen.


(Beifall bei der SPD – Jörg Rohde [FDP]: Sie lassen einen Schritt aus: Man muss erst mal einen Arbeitsplatz haben!)


Ich nehme deswegen auch nicht auf die leichte Schul-
ter, was heute bei Nokia passiert. Die Firmenleitung ver-
weigert Verhandlungen. Sie hat erklärt, sie verhandele
nicht mehr über den Erhalt von Arbeitsplätzen. Es wird
eine Verlagerung in ein Billiglohnland betrieben. Nokia
hat am Standort Bochum eine Rendite von 15 Prozent
erzielt. Die Firmenleitung will aber eine Rendite von
20 Prozent erzielen. Das ist der Grund für die Verlage-
rung der Arbeitsplätze.

Bei diesem Wettlauf, bei dieser Entwicklung der
Löhne nach unten, können wir nicht mithalten. Wer
möchte, dass bei uns so niedrige Löhne wie in Rumänien
gezahlt werden, der nimmt in Kauf, dass es bei uns im-
mer mehr Altersarmut gibt. Ich bin froh, dass die nord-
rhein-westfälische Landesregierung, die Bundesregie-
rung und andere für den Erhalt von gut bezahlten und
eine hohe Qualifikation voraussetzenden Arbeitsplätzen
kämpfen. Auch das ist ein Beitrag dazu, dass das Lohn-
niveau bei uns nicht so sehr schwankt, dass uns am Ende
nichts anderes übrig bleibt, als Armutsrenten aufzusto-
cken. Das will ich nicht. Ich möchte gute Löhne und
hochqualifizierte Arbeitnehmer in Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Ich möchte sehr deutlich sagen: Wir brauchen die Fi-
nanzreserve. Die Finanzreserve in der Rentenkasse ist
jetzt Gott sei Dank wieder etwas höher, 11,4 Milliarden
Euro. Warum versuchen wir, diese Finanzreserve zu er-
höhen? Damit wir in der nächsten Periode konjunkturel-
ler Schwäche die Beiträge nicht anheben müssen.


(Otto Fricke [FDP]: Da reichen die 11,4 Milliarden doch gar nicht aus!)


Eine solche Anhebung wäre für die konjunkturelle Ent-
wicklung nämlich kontraproduktiv. Jetzt, in einer Phase,
in der es konjunkturell besser läuft, müssen wir die
Schwankungsreserve – so hieß das früher – definitiv
wieder aufstocken. Unsere Politik ist richtig – lassen Sie
uns das hier einmal klar sagen –; alles andere wäre un-
verantwortlich.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber die 10,5 Milliarden habt ihr doch abgezockt, als es noch gar nicht so lief!)


Wir brauchen einen Dreiklang. Dazu gehört eine gute
Konjunktur, und wir können dafür etwas tun. Für dieses
Jahr ist eine höhere private Investitionstätigkeit zu er-
warten. Diesbezüglich war das letzte Jahr für uns gut.
Auch die öffentlichen Investitionen sind höher. Dazu ha-
ben die Wirtschaftspolitiker ihren Beitrag geleistet.

Was den privaten Konsum angeht, müssen wir noch
ein bisschen mehr tun. Mehr privater Konsum kann
ebenfalls dazu beitragen, die Wirtschaft so zu stabilisie-
ren, dass wir sagen können: Wir haben eine gute Kon-
junktur, wir haben ein gutes Wachstum, wir haben gute
Löhne, und daher haben wir auch stabile Renten. Dieser
Zusammenhang muss klar sein.

Wer die Leute verunsichert, der soll wissen: Auch wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehen ge-
nau, dass sich gerade in Ostdeutschland eine Entwick-
lung abzeichnet – das wurde schon zum Ausdruck ge-
bracht –, bei der die genannten Faktoren gebündelt
auftreten. In Ostdeutschland geht die Entwicklung tat-
sächlich dahin, dass die Leute weniger Vermögensrück-
lagen und kaum Wohneigentum haben. Oft haben sie Pe-
rioden von 10 oder 15 Jahren Arbeitslosigkeit oder
prekärer Arbeit. Wir sind bereit, dieses Problem recht-
zeitig anzupacken. Es handelt sich aber nicht um eine
Frage, die in zwei Tagen beantwortet werden muss. Es
besteht keine Dringlichkeit, die morgen zu Schnell-
schüssen verleiten darf. Vielmehr sollten wir in aller
Ruhe dazu Vorschläge machen.

Wir haben zurzeit in Deutschland das Problem der
Kinderarmut. Das ist ein Punkt, den wir ganz schnell an-
packen müssen. Perspektivisch zeichnen sich auch ein-
zelne Phänomene von Altersarmut ab.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613609600

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1613609700

Ich komme sofort zum Ende. – Lassen Sie uns bitte

die Probleme in dieser Reihenfolge seriös behandeln.
Dann ist den Menschen in diesem Land gedient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613609800

Ich schließe die Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist

beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Unterrichtung durch den Nationalen
Normenkontrollrat

Jahresbericht 2007 des Nationalen Normen-
kontrollrates
Kostenbewusstsein stärken – Für eine bessere
Gesetzgebung

– Drucksache 16/6756 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Ich freue mich sehr, dass die Mitglieder des Nationa-
len Normenkontrollrates, der unter der Leitung von
Herrn Dr. Ludewig steht, auf der Ehrentribüne Platz ge-
nommen haben. Ich begrüße Sie herzlich hier im Haus.


(Beifall)


Als Debattenzeit ist interfraktionell eine Dreiviertel-
stunde verabredet. – Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Staatsministerin Hildegard Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU)


H
Hildegard Müller (CDU):
Rede ID: ID1613609900


Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Vor gut anderthalb Jahren haben wir
an dieser Stelle über Bürokratieabbau und den Entwurf
eines Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Nor-
menkontrollrates debattiert. Heute sprechen wir über den
ersten Jahresbericht dieses unabhängigen Gremiums.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede die Gele-
genheit nutzen, den Mitgliedern des Normenkontrollra-
tes an dieser Stelle für ihre Arbeit und ihre Anregungen
ganz herzlich zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider kann der Vorsitzende, Herr Dr. Ludewig, heute
nicht anwesend sein. Das hat aber einen positiven
Grund: Er nimmt heute in Brüssel an der ersten Sitzung
der hochrangigen Expertengruppe der EU-Kommission
zum Bürokratieabbau – auch als „Stoiber-Gruppe“ be-
kannt – teil. Diese Gruppe unterstützt die Kommission
beim EU-Aktionsprogramm zum Abbau von Bürokratie.
Die Berufung des deutschen NKR-Vorsitzenden in die-
ses Expertengremium zeigt, welch guten Ruf sich der
deutsche Bürokratie-TÜV bereits im ersten Jahr seiner
Arbeit erworben hat.

Dies freut mich umso mehr, als ich mich sehr gut da-
ran erinnern kann, dass noch im Juni 2006 Vorbehalte
gegen dieses Gremium gehegt wurden. Bei der Einbrin-
gung des Entwurfes eines Gesetzes zur Einrichtung des
NKR durch die Koalitionsfraktionen gab es noch Skep-
sis.

Die Arbeit des Rates – dokumentiert durch den heute
vorliegenden Jahresbericht – macht deutlich, dass die
Befürchtungen nicht begründet waren, sondern dass das
Gegenteil eingetreten ist. Es hat sich erwiesen – ich
greife einige Formulierungen aus der Debatte vom
1. Juni 2006 auf –, dass durch den Normenkontrollrat
nicht die befürchtete „Expertokratie“ entstanden ist. Die-
ses Gremium hat auch keine Entparlamentarisierung her-
vorgerufen, im Gegenteil.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Der NKR ist vielmehr ein Gremium, das hart arbeitet,
um der Bundesregierung, aber auch dem Bundestag zu
helfen, Bürokratiekosten zu reduzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Allein im vergangenen Jahr hat er – das wird im Bericht
zum Teil noch nicht erwähnt – 333 Initiativen für Ände-
rungen von Rechtsetzungen oder für neue Rechtsetzun-
gen daraufhin untersucht. Dadurch wurde übrigens eine
Nettoentlastung der Unternehmen um mehr als
700 Millionen Euro erreicht.

Mit dem Normenkontrollrat ist eine fachkundige
Gruppe entstanden, welche die Bürokratiekosten, die
sich aus der Umsetzung von Gesetzentwürfen der Bun-
desregierung ergeben würden, bereits im Entstehungs-
prozess kritisch überprüft und Alternativen aufzeigt. Die
Kostenansätze sind fester Bestandteil der Regelungsent-
würfe der Bundesregierung geworden. Dadurch entsteht
jetzt in den Ministerien eine neue Kultur und Sensibilität
für Kostentransparenz, gerade in Bezug auf Bürokratie.
Dies ist eine Entwicklung, die sicherlich noch weiter rei-
fen muss. Aber sie ist eine Voraussetzung für einen er-
folgreichen und vor allem auf Dauer angelegten Büro-
kratieabbau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Parallel dazu ist die Bundesregierung im Prozess der
Messung von Bürokratiekosten bei vorhandenen Rege-
lungen für die Wirtschaft und bei der Initiierung von
Vereinfachungsmaßnahmen bereits weit fortgeschritten.
Zur Information: Die Bundesministerien haben rund
11 000 Informationspflichten der Wirtschaft im Bundes-
und EU-Recht identifiziert. In einem Zwischenbericht
wurden Kosten der Wirtschaft von rund 27 Milliarden
Euro allein durch die Erfüllung von circa 2 100 Informa-
tionspflichten ermittelt.

Bereits im Messprozess haben die Ministerien und die
beteiligten Spitzenverbände der Wirtschaft Vereinfa-






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Hildegard Müller
chungsvorschläge eingebracht, die bereits umgesetzt
wurden oder noch umgesetzt werden; ich darf hier an die
beiden Mittelstandsentlastungsgesetze erinnern, die der
Deutsche Bundestag auf den Weg gebracht hat.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Großer Erfolg!)


Der NKR ist auch hierbei ein wichtiger Partner und
Mittler. Insgesamt haben wir also für die Umsetzung des
Programms „Bürokratieabbau und bessere Rechtset-
zung“ ein enges Geflecht aus Normenkontrollrat, Wirt-
schaftsvertretern und Sozialpartnern geschaffen. Diese
sind sowohl bei der Entstehung von Regelungsentwürfen
als auch bei der Bemessung von Bürokratiekosten wich-
tige Impulsgeber.

Im Einzelfall wurde – das sei hier offen gesagt – die
Abschätzung der Bundesregierung von NKR und Wirt-
schaft nicht immer geteilt. Diese Kritik ist willkommen
und deshalb Teil des Verfahrens. Wir nutzen sie dazu,
Kostenschätzungen und Messergebnisse auf ihre Ver-
lässlichkeit zu überprüfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


So hat es schon in vielen Fällen im Laufe einer Ressort-
abstimmung Anpassungen der Gesetzesinitiativen gege-
ben. Es sollte aber immer bedacht werden: Die erstma-
lige Ermittlung von Kosten bürokratischer Regelungen
ist Neuland, welches wir alle gemeinsam beschreiten.

Auf dem Weg zu einem effizienten Staat mit größe-
rem Freiraum für unternehmerisches Handeln liefert das
Standardkostenverfahren wichtige Ansatzpunkte für po-
litische Entscheidungen, die uns bislang fehlten. Der
Jahresbericht des Normenkontrollrates macht dies deut-
lich.

Inzwischen haben wir diesen Prozess auf Europa aus-
geweitet. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft unter der Führung der
Bundeskanzlerin Angela Merkel Beschlüsse gefasst hat,
zum Beispiel den Beschluss, bis 2012 25 Prozent der
Bürokratiekosten abzubauen. Wir haben uns dieses ehr-
geizige Ziel bereits für das Jahr 2011 gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich verweise auf ähnliche Gremien in verschiedenen
Bundesländern. Als Beispiel möchte ich den Kontrollrat
des Saarlands oder das Normenprüfverfahren des Innen-
ministeriums in Nordrhein-Westfalen erwähnen.

Für die nächste Zukunft haben wir uns vier wichtige
Themenbereiche vorgenommen:

Erstens haben wir die Reduzierung von Bürokratie-
kosten auch im europäischen Raum weiter im Blick.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ganz wichtig!)


Ich bin zuversichtlich, dass Slowenien im Rahmen sei-
ner EU-Ratspräsidentschaft den Prozess ebenfalls unter-
stützen und weitere wichtige Impulse setzen wird.
Zweitens werden die Ministerien im Dialog mit Un-
ternehmen und Verbänden zunächst einmal die rund
50 kostenträchtigsten Informationspflichten, die rund
80 Prozent der Kosten verursachen, auf Vereinfachungs-
möglichkeiten hin überprüfen und Vereinfachungen um-
setzen. Für mich ist dabei ganz wichtig, dass wir das
nicht nur auf der abstrakten Ebene tun. Vereinfachungen
müssen für jedes einzelne Unternehmen spürbar werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens ist die Wahrnehmung vor allem bei den Bür-
gerinnen und Bürgern wichtig. Deshalb beginnen wir in
diesem Jahr mit der Messung der Bürokratiekostenbelas-
tung, die primär die Bürgerinnen und Bürger betrifft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies hat das Bundeskabinett in seiner Klausur in Mese-
berg im vergangenen Jahr verabredet. Auch hier wollen
wir weitere Vereinfachungen und Entlastungen durchset-
zen. Die Prozesse in der Verwaltung werden wir uns na-
türlich ebenfalls vornehmen.

Viertens werden wir uns gemeinsam mit dem Nor-
menkontrollrat zeitnah auch um den großen Bereich der
Selbstverwaltungsträger kümmern, also etwa um die
Krankenkassen oder die Rentenkassen; über Letztere ha-
ben wir ja eben diskutiert. Hierzu ist bereits für das
Frühjahr zu einem Treffen mit den maßgeblichen Ent-
scheidungsträgern eingeladen.

Erlauben Sie mir zum Abschluss eine Bitte. Der Bun-
desregierung als Initiatorin und Umsetzerin vieler Recht-
setzungen obliegt es, den Prozess des messbaren Büro-
kratieabbaus konsequent fortzuführen. Aber es wäre zu
begrüßen, wenn das Parlament, das über die Rechtset-
zung befindet, diesen Prozess ebenfalls weiter unterstüt-
zen würde, nicht nur dadurch, dass es die Expertise des
Normenkontrollrats nutzt, sondern auch dadurch, dass es
bei eigenen Initiativen die Bürokratiekosten bedenkt,
auch wenn es hierfür keine gesetzliche Bindung gibt. Ich
bin sicher: Der Normenkontrollrat steht gern zur Verfü-
gung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut! Das werden wir machen! Herr Wend hat es schon angekündigt!)


Vor diesem Hintergrund bin ich sehr dankbar, lieber Kol-
lege Wend, dass Sie sich heute in der Rheinischen Post
für eine Stärkung der NKR-Rechte ausgesprochen ha-
ben.

Wir haben mit dem Normenkontrollrat ein engagier-
tes und vor allem unabhängiges Gremium zur Politikbe-
ratung. Lassen Sie es uns im Sinne einer Steigerung der
Effizienz weiter nutzen. Ich wünsche dem Normenkon-
trollrat eine erfolgreiche Fortführung der aufgenomme-
nen Arbeit und freue mich auf die weitere Zusammenar-
beit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613610000

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger für die

FDP-Fraktion.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt einmal ordentlich loben, Frau Homburger!)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1613610100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin froh, dass wir hier über den ersten Jahresbericht
des Normenkontrollrates diskutieren können, und füge
hinzu: dank der FDP.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Na klar! – Ute Kumpf [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Alle anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages
wollten nicht an dieser Stelle über diesen Bericht disku-
tieren, sondern ihn direkt in die Nichtöffentlichkeit der
Ausschüsse überweisen. Das ist die Realität.


(Beifall bei der FDP – Dr. Rainer Wend [SPD]: Gut, dass wir Sie haben!)


Der Bericht zeigt die Leistungen des Normenkontroll-
rates. Seine Einsetzung war ein erster Schritt in die rich-
tige Richtung. Der Normenkontrollrat ist kompetent be-
setzt und leistet gute Arbeit. Auch von unserer Seite
möchte ich dem Normenkontrollrat ein herzliches Dan-
keschön für seine Arbeit sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem ist allerdings, dass die Kompetenzen,
die der Normenkontrollrat hat, völlig unzureichend sind:
Auf der einen Seite ist sein Arbeitsfeld auf die Informa-
tionspflichten begrenzt, auf der anderen Seite kann er
beispielsweise Fraktionsvorlagen nicht unter die Lupe
nehmen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Kommt noch!)


– Was heißt hier: „Kommt noch!“? Sie hätten es längst
machen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Normenkontrollrat kann im Moment nicht mehr er-
reichen, weil er nicht darf, weil Sie, liebe Koalitionäre,
ihn nicht lassen.


(Beifall bei der FDP)


Hinzu kommt, dass Sie in entscheidenden Fragen
nicht auf den Normenkontrollrat hören. Die Bundes-
kanzlerin hat in ihrer Rede beim Weltwirtschaftsgipfel in
Davos am 25. Januar 2006 gesagt – ich zitiere –:

Ich habe dieses Thema für die Arbeit unserer Re-
gierung zur Chefsache erklärt, weil ich glaube, dass
wir im Augenblick grandiose Kräfte in Deutschland
dadurch fesseln, dass wir uns in Regularien, die
scheinbare Sicherheit versprechen, verfangen ha-
ben.
Wie recht hat die Bundeskanzlerin! Aber nach der Hälfte
der Legislaturperiode, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Koalition, fragt man sich: Wo ist denn
die Entfesselung geblieben? Wo ist denn der Durchbruch
beim Bürokratieabbau? Wo gibt es mehr Freiheit für Un-
ternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land? Fehlanzeige, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der FDP)


Das Ergebnis ist ernüchternd, obwohl Frau Merkel
dieses Thema zur Chefsache erklärte. Der Normenkon-
trollrat wurde an die Kette gelegt.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein!)


Die sogenannten Mittelstandsentlastungsgesetze haben
keine erkennbare Wirkung.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Doch!)


Die Bundesregierung verliert sich stattdessen im Klein-
klein von Rechtsbereinigungsgesetzen, mit denen Ge-
setze von anno Tobak abgeschafft werden, die eh keine
Anwendung mehr finden. Zugleich ächzen die betroffe-
nen Betriebe weiterhin unter massiver Bürokratielast.
Das ist die Realität.

Jetzt, Frau Müller, brüsten Sie sich auch noch damit,
dass Einsparungen in Millionenhöhe dadurch erzielt
worden seien, dass Informationspflichten neuer Art ver-
hindert wurden.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ist doch so!)


Überprüfbar ist das nicht.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Steht im Bericht! Bericht lesen, dann reden!)


Überprüfbar ist allerdings, dass die bestehenden Büro-
kratielasten, die jährlich mindestens Kosten von
46 Milliarden Euro verursachen, nicht weniger, sondern
eher mehr geworden sind. Ich verweise auf das Allge-
meine Gleichbehandlungsgesetz.


(Beifall bei der FDP – Dr. Rainer Wend [SPD]: Das ist doch gut, Mensch!)


Deshalb hat der Normenkontrollrat auch deutlich ge-
macht, dass es nötig ist, das Abbauprogramm zügig zu
konkretisieren. Ich möchte vier Empfehlungen des Nor-
menkontrollrates aufgreifen:

Die erste Empfehlung lautet: Präzisierung des 25-Pro-
zent-Abbauziels als Nettoziel. Bisher hat sich die Bun-
desregierung schlicht geweigert. Bisher hat man gesagt,
man wolle 25 Prozent abbauen, sagt aber nicht klipp und
klar, wie dann zu verfahren ist, wenn neue Informations-
pflichten geschaffen werden. Dann müssen im gleichen
Zuge an anderer Stelle auch welche abgebaut werden;
sonst findet nämlich kein Abbau, sondern ein Zuwachs
statt. Da müssen Sie, meine Damen und Herren, endlich
klar Farbe bekennen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Empfehlung des Normenkontrollrates lau-
tet: Festlegung von Zwischenzielen und ressortspezifi-






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
schen Abbauzielen. In der Unterrichtung der Bundesre-
gierung, die uns vorliegt, steht, man wolle jetzt einen
Dialog mit der Wirtschaft über den Abbau der 50 teuers-
ten Informationspflichten führen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Der wird auch geführt!)


Darüber müssen Sie keinen Dialog führen. Wenn Sie sie
identifiziert und uns vorgelegt haben, müssen Sie daran-
gehen, diese Informationspflichten abzubauen; darüber
brauchen Sie nicht weiter zu reden.


(Beifall bei der FDP)


Das Ziel, 25 Prozent der Informationspflichten bis 2011
abzubauen und die Hälfte davon bis 2009, reicht nicht
aus. Sie müssen ganz klare ressortspezifische Ziele fest-
legen. Der einzige Grund, warum Sie das bisher nicht
getan haben, ist schlicht und ergreifend, dass Sie sich
nicht trauen, weil Sie Angst davor haben, zu scheitern.

Der dritte Punkt, den ich aufgreifen möchte, ist die
Überprüfung der Abbaumaßnahmen auf ihre Wirkung
für Unternehmen. Nicht ohne Grund hat der Normenkon-
trollrat festgestellt, dass bei den Mittelständlern unter
Umständen überhaupt nichts ankommt, weil bestimmte
Bereiche angegangen werden, die den Mittelstand nicht
betreffen. Es gibt fünf große Kostenblöcke: das zu kom-
plizierte Steuer- und Abgabenrecht, das zu komplizierte
Sozialversicherungsrecht, das zu komplizierte Arbeits-
recht, das zu komplizierte Umweltrecht und darüber hi-
naus zu viele Statistiken. Bei diesen fünf großen Kosten-
blöcken, meine sehr verehrten Damen und Herren der
Koalition, muss endlich etwas getan werden – und nicht
auf irgendwelchen Nebenkriegsschauplätzen.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP hatte das gefordert und darüber hinaus vor-
geschlagen, dass mehr als nur Informationspflichten
überprüft werden. Sie haben das alles abgelehnt, als das
Gesetz gemacht wurde. Wir könnten heute weiter sein,
wenn Sie nur gewollt hätten.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Gemach, gemach! Ein Schritt nach dem anderen!)


Das zeigt: Der Bundesregierung fehlt nicht nur die Kraft,
sondern auch der Wille zum Bürokratieabbau. Deswegen
rate ich Ihnen: Hören Sie auf den Normenkontrollrat,
insbesondere bei der Kritik, die er geäußert hat, auch in
Bezug auf die Erbschaftsteuer!


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Da hören wir! Da wird noch nachgebessert!)


Hören Sie auf den Normenkontrollrat, sonst werden Sie
scheitern!

Das Letzte, was ich Ihnen zum Thema Bürokratieab-
bau mit auf den Weg geben möchte, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren von der Koalition und von der
Bundesregierung: Sie sollen nicht reden, schon gar nicht
schönreden, sondern bitte endlich handeln!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Das sagen die Richtigen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613610200

Dr. Rainer Wend hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-

tion.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1613610300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich darf zunächst Sie, liebe Frau Müller, wieder sehr
herzlich in Ihrer Eigenschaft als Staatsministerin auf der
Regierungsbank begrüßen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir freuen uns sehr, dass Sie nach der Elternzeit wieder
da sind,


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wir uns auch! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Gutes Beispiel!)


und zwar aus zwei Gründen: Der erste Grund ist – das ist
keine Kritik an Ihrem Vertreter, der seine Arbeit sehr gut
gemacht hat; das will ich ausdrücklich sagen –, dass Sie
das Thema Bürokratieabbau seit Beginn Ihrer Tätigkeit
mit Herzblut begleiten. Sie haben es auf Ihre persönliche
Agenda gesetzt und werden jetzt gewiss wieder einen
Schub in diese Debatte bringen. Der zweite Grund ist:
Sie zeigen damit, dass die Vereinbarkeit von Kinderer-
ziehung mit einer verantwortlichen beruflichen und poli-
tischen Tätigkeit möglich ist. Dazu wünschen wir Ihnen
von Herzen alles Gute.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch für die SPD-Fraktion sehr herzlich
die Mitglieder des Normenkontrollrates auf der Tribüne
des Bundestages begrüßen und mich für Ihre Arbeit be-
danken. Angesichts der Tatsache, dass Sie mit Ketten ge-
fesselt sein sollen, sehen Sie einigermaßen fröhlich aus.

Vielleicht ist es also nicht ganz schlimm, Frau
Homburger. Vielleicht hat der Normenkontrollrat poli-
tisch etwas mehr verstanden, als Sie es heute demon-
striert haben. Sie haben neben vielen richtigen Bemer-
kungen, zu denen ich gleich etwas sagen möchte, zum
Schluss wieder einmal ausgeführt, die große Fessel, die
wir in Angriff nehmen müssten, seien das Arbeitsrecht
und das Umweltrecht.


(Birgit Homburger [FDP]: Nein! Ich habe fünf Punkte genannt!)


Verstehen Sie bitte, dass es die Aufgabe des Normen-
kontrollrates ist, exakt das zu vermeiden: dass wir „Bü-
rokratieabbau“ sagen, aber den Abbau der Rechte von
Arbeitnehmern meinen. Das wird in dieser Bürokratie-
abbaudebatte von der Großen Koalition deutlich vonei-
nander getrennt.


(Birgit Homburger [FDP]: Das ist ja eine ganz alte Leier!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Wend
Der Normenkontrollrat war, wie ich finde, auch in
den Ministerien erfolgreich, vor allem deshalb, weil er
darauf verzichtet hat, zu sehr über die Medien und die
Öffentlichkeit Druck auszuüben,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


der nur Gegendruck erzeugt hätte. Er hat vielmehr durch
unglaublich viele beharrliche und seriöse Gespräche mit
den Beteiligten ein Klima erzeugt, bei dem sich alle mit-
genommen fühlten. Ich glaube, dem Normenkontrollrat
ist beim Umgang mit den Ministerien etwas Gutes ge-
lungen. Gleichwohl räume ich gerne ein, dass es das eine
oder andere Ministerium gibt, mit dem es noch besser
klappen könnte, als es in der Vergangenheit der Fall war.


(Beifall der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU] und des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])


Was haben wir bereits geschafft, und was liegt noch
vor uns? In Deutschland ist eine Bürokratiebelastung nur
durch Dokumentations- und Informationspflichten in ei-
ner Größenordnung von etwa 28,9 Milliarden Euro iden-
tifiziert worden. Dabei sind die Kosten der mittelbaren
Staatsverwaltung, also des Bereichs der Sozialversiche-
rungen, noch gar nicht mitgerechnet. Dazu wird die Kol-
legin Bulmahn nachher noch etwas sagen.

Wir haben nach Bericht der Bundesregierung bisher
allerdings nur in einem verhältnismäßig geringen Um-
fang in Höhe von 2,6 Milliarden Euro einen Abbau von
bürokratischen Belastungen in diesem Bereich erreicht.
Man kann also sagen, dass wir mit dem Jahr 2007 das
Jahr der Identifikation von Maßnahmen hinter uns ha-
ben.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir müssen im Jahr 2008 und im Jahr 2009 zu einem re-
alen Abbau der bürokratischen Belastungen kommen.
Das ist unsere Aufgabe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ab jetzt wird scharf geschossen!)


Ich muss eines eingestehen – da hat Frau Homburger
nach meiner Wahrnehmung nicht unrecht –: Wenn ich in
mittelständischen Betrieben sage, dass wir beim Büro-
kratieabbau jetzt alles besser machen, dann bekomme
ich als Antwort: Es ist schön, dass Sie das vorhaben,
Herr Wend; aber davon haben wir noch nicht viel ge-
merkt. – Man muss sich schon ehrlich fragen, woran das
liegt. Vielleicht liegt ein Grund darin, dass es sich mit
Blick auf die volkswirtschaftliche Gesamtsumme um ei-
nen Riesenbetrag handelt, dass sich aber in einigen
Branchen die spürbare Wirkung des Bürokratieabbaus in
Grenzen hält, wenn man nur die allgemeinen Dokumen-
tations- und Berichtspflichten sieht.

Beispielsweise handelt es sich bei der Chemieindus-
trie um eine Branche, die neben Dokumentations- und
Berichtspflichten von zusätzlichen bürokratischen Be-
lastungen betroffen ist. Deswegen finde ich es gut, dass
der VCI, der Verband der Chemischen Industrie, eine
Studie in Auftrag gegeben hat, um Bürokratiekosten zu
ermitteln, die branchenspezifisch nur für die chemische
Industrie anfallen. Dies ist eine wertvolle Ergänzung und
Bereicherung der Arbeit des Normenkontrollrates.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Man kann am Beispiel einzelner Unternehmen zeigen,
was bürokratische Belastungen bedeuten können. Ich
nenne als Beispiel die DENIOS AG in Bad Oeynhausen.
Es ist ein umwelttechnisches Unternehmen mit etwa
600 Beschäftigten weltweit und 220 Mitarbeitern vor
Ort. Dieses Unternehmen hat, so ist ermittelt worden,
204 staatliche Informationspflichten zu erfüllen. Der
Zeitaufwand dafür beträgt etwa 5 100 Stunden im Jahr.
Damit entstehen Bürokratiekosten – wie gesagt, es geht
hier nur um Informations- und Berichtspflichten – in
Höhe von etwa 168 000 Euro – ohne Berücksichtigung
der mittelbaren Staatsverwaltung. Man kann am Beispiel
dieses mittelständischen Betriebes sehen, dass dieser Be-
reich nicht völlig zu vernachlässigen ist, sondern für die
betreffenden Unternehmen durchaus eine Bedeutung hat,
die man nicht unterschätzen sollte.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gutes Beispiel!)


Was bleibt noch zu tun? Wir müssen es in einem wei-
teren Schritt schaffen, die Bürokratie nicht nur für die
Wirtschaft, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger
abzubauen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dazu hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie erstellt, in
der die Bürokratiekosten von Bürgerinnen und Bürgern
in besonderen Lebenslagen berechnet worden sind. Was
meine ich mit „besonderen Lebenslagen“? Jede Bürgerin
bzw. jeder Bürger muss eine Einkommensteuererklärung
machen und muss, wenn Kinder da sind, Kindergeld be-
antragen. Das meine ich aber nicht. Es geht beispiels-
weise um Menschen, die ihre älteren und pflegebedürfti-
gen Angehörigen betreuen. Diese haben im Jahr – so ist
ermittelt worden – einen Zeitaufwand von 32 Stunden
allein für die Erfüllung von gesetzlichen administrativen
Anforderungen. Das heißt, wir als Staat lasten denjeni-
gen Bürgerinnen und Bürgern, die ohnehin schon in ei-
ner besonderen Lebenssituation sind – hier: Pflege einer
älteren Person –, noch zusätzliche bürokratische Pflich-
ten auf, die sie neben der Pflege erfüllen müssen. Ich
finde, wir haben diesen Menschen gegenüber eine be-
sondere Verpflichtung. Wir müssen alles tun, um Entlas-
tungen möglich zu machen. Es muss ihnen wenigstens
erspart bleiben, in dieser schwierigen Lebenssituation
unnötige bürokratische Leistungen zu erbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das ist durch einfache Dinge möglich. Durch eine Verlän-
gerung der Gültigkeit von Rezepten zum Beispiel lassen
sich für Bürgerinnen und Bürger in besonderen Lebenssi-
tuationen nicht unerhebliche Verbesserungen erzielen.

Ich stimme der Kollegin Homburger ausdrücklich zu:
Wir müssen für die Entlastungen, die wir in nächster Zeit
bei den Ministerien herbeiführen wollen, ein Nettoziel






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Wend
vereinbaren; denn es macht überhaupt keinen Sinn,
wenn wir auf der einen Seite bei älteren Gesetzen Büro-
kratie abbauen, auf der anderen Seite aber neue verab-
schieden, die Bürokratie aufbauen. Wir müssen das eine
und das andere auf einem Level zusammenbringen. Wir
müssen sagen: Netto brauchen wir eine Entlastung um
25 Prozent. Dafür steht die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Neben dem 25-Prozent-Ziel müssen wir Zwischen-
ziele formulieren, weil über die Formulierung von Zwi-
schenzielen – auch da hat der Normenkontrollrat recht –
eine zeitnähere Kontrollmöglichkeit gegeben ist. Schließ-
lich müssen wir ressortspezifische Ziele formulieren und
Abbaupläne entwickeln, damit das Ergebnis bei den ein-
zelnen Ministerien zielgenau überprüfbar ist.

Dank des Normenkontrollrates haben wir einiges ge-
tan, übrigens wesentlich mehr, als ich vor ein bis zwei
Jahren gedacht habe. Das kann uns aber nicht dazu ver-
anlassen, uns auszuruhen, im Gegenteil: Das muss uns
anspornen, im Laufe dieser Legislaturperiode noch bes-
ser zu werden. Wir wollen das gemeinsam schaffen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613610400

Jetzt hat der Kollege Professor Herbert Schui das

Wort für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613610500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Normenkontrollrat empfiehlt, so der Jahresbericht, ein
25-Prozent-Abbauziel als Nettoziel zu definieren, und
das durch weniger gesetzliche Informationspflichten.

Wenn man sich die Sache durch den Kopf gehen lässt,
findet man heraus: So kann man es nicht anpacken; denn
wir wissen ja nicht, welche Informationen unter den
Tisch fallen, wenn dieses 25-Prozent-Nettoziel erreicht
wird. Der ganze Ansatz taugt von der Methode her also
nicht. Das Parlament und die Forschung, die auf die Er-
hebung solcher Daten angewiesen sind, müssen bestim-
men, was sie benötigen, damit das Parlament zu ordentli-
chen, fundierten Beschlüssen und die Forschung zu
guten Forschungsergebnissen kommen können. Erst
wenn das festgelegt ist, kann man sagen, welche Daten
vernünftigerweise nicht mehr erhoben werden sollten.
So herum kann es funktionieren, andersherum kann es
nicht funktionieren.

Wir müssen stets rasch und genau wissen, wie hoch
die Beschäftigung ist, was mit dem Wirtschaftswachstum
ist, wie viele Leute sozialversicherungspflichtig beschäf-
tigt sind, wie hoch die Rente, die auf dieser Grundlage
berechnet wird, sein wird usw. Das ist außerordentlich
notwendig. Bei der Reform muss diese Zuverlässigkeit
gewährleistet sein, damit das Parlament nicht in den
blauen Dunst hinein Gesetze macht. Das Parlament muss
sich über diese Dinge klar sein. Das Parlament kann das
festlegen. Forscher, die in diesem Bereich tätig sind, sind
ebenfalls aufgerufen, Vorschläge zu machen. Bei aller
Hochachtung gegenüber den Honoratioren im Rat habe
ich die Vermutung, dass sie von den Dingen, um die es
geht, viel zu wenig wissen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh!)


Lässt man den Rat und die Regierung machen, dann
werden wir erst im nächsten Jahr wissen, was in diesem
Jahr tatsächlich los gewesen ist. Das Statistische Bun-
desamt spricht von einem Fehler von plus oder minus
0,5 Prozentpunkten bei statistischen Erhebungen. Das
liegt vor allen Dingen daran, dass die Berichtspflicht von
Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten stark
eingeschränkt worden ist.

Um ein Beispiel zu nennen: Im zweiten Quartal 2006
hat das Statistische Bundesamt Folgendes veröffentlicht:
Die Wirtschaft ist im ersten Quartal 2006 im Vergleich
zum ersten Quartal 2005 um 2,88 Prozent gewachsen.
Diesen Wert hat das Amt fünfmal korrigiert. Erst 18 Mo-
nate später konnte das Amt den exakten Wert angeben,
nämlich 3,41 Prozent.

Solche groben Ungenauigkeiten erschweren zutref-
fende Prognosen, und vor allen Dingen – das gilt für die
Fraktion der CDU/CSU und alle, die die Kanzlerin ge-
wählt haben – ist wichtig, dass die zuerst veröffentlichten
Daten von der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen
werden. Anders ausgedrückt: Um wie viel glanzvoller
hätte die Aufschwungkanzlerin dagestanden, wenn schon
im Sommer 2006 0,53 Prozent mehr Wachstum publi-
ziert worden wäre?


(Otto Fricke [FDP]: Sie hätten das besser gefunden?)


– Ja, selbstverständlich. Ich hätte mich mit Ihnen ge-
freut, klar doch.


(Otto Fricke [FDP]: Sie hätten dann noch mehr Geld ausgegeben?)


– Nein, ich glaube, Sie haben kein Verständnis für Iro-
nie. Wir können uns darüber bei Gelegenheit bei einem
Kaffee unterhalten.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Im Ernst: Wenn das Parlament richtige Wirtschaftspo-
litik beschließen will, braucht es richtige Zahlen. Aber
nicht nur das: Wir brauchen eine effiziente und wirt-
schaftliche Verwaltung.

Ich nenne zwei Beispiele.

Erstes Beispiel: Die Finanzverwaltung arbeitet nicht
effizient. Die Steuerhinterziehung ist entschieden zu
hoch. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass sich da-
ran im Rahmen der Föderalismusreform etwas ändern
wird.

Zweites Beispiel: Zum ALG II gibt es ellenlange For-
mulare, ewig langes Warten und schließlich falsche Be-
scheide, sodass die Klagen bei den Gerichten zunehmen.
Auch das ist keine effiziente Verwaltung. Kann die Ver-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herbert Schui
waltung den ALG-II-Empfängern nicht zumindest das
Wenige, das ihnen zusteht, richtig zahlen?


(Beifall bei der LINKEN)


Was kostet eine schnelle Information? Diese
790 Millionen Euro, die eingespart wurden, bedeuten für
jedes Unternehmen – für die kleinen weniger, für die
großen mehr – 19 Euro im Monat. Das ist nicht viel.

Der Aufschwung – das ist meine letzte Bemerkung –
kommt ja unten an, aber nicht so, wie Sie meinen. Die
Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für dieses Jahr ein
Wirtschaftswachstum von eindreiviertel Prozent voraus.
Es ist außerordentlich wahrscheinlich, dass diese Pro-
gnose weiter nach unten revidiert werden muss. Dort
kommt der Aufschwung also an. Wenn ich die Bürokra-
tie abgebaut und zu wenig Informationen habe, dann
macht mich nicht heiß, was ich nicht weiß.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613610600

Herr Schui, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613610700

Ja. – Das wird wahrscheinlich zum Ergebnis haben,

dass die Kanzlerin in der Aufschwungsonne noch glän-
zen will – die Informationen werden zu spät veröffent-
licht –, wenn der Aufschwung längst vorbei ist.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Jetzt hat er uns enttarnt!)


– Ja.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: War das jetzt auch Ironie?)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613610800

Der Kollege Hartmut Koschyk spricht jetzt für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1613610900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion be-
grüße ich sehr, dass wir über den ersten Bericht des Nor-
menkontrollrates heute so zeitnah im Parlament diskutie-
ren. Ich möchte dem Normenkontrollrat für seine Arbeit
ausdrücklich danken. Er arbeitet engagiert, solide,
gründlich, und er ist erfolgreich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte daran erinnern, dass der Normenkontroll-
rat – vor allem das Gesetz zur Schaffung des Normen-
kontrollrates und das zugrunde liegende Bürokratie-
messverfahren – ein Kind dieses Parlaments ist. Wir
haben bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes bewusst
darauf Wert gelegt, dass es eine Parlamentsinitiative und
keine Regierungsinitiative ist. Ich möchte namens unse-
rer Fraktion demjenigen, der aus unserer Fraktion hier
sehr viel Vorarbeit geleistet hat, ausdrücklich danken,
nämlich unserem Ersten Parlamentarischen Geschäfts-
führer Norbert Röttgen. Deshalb heißt der Normenkon-
trollrat bei uns auch Norbertkontrollrat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bereits 2003 hat die Weltbank festgestellt, dass es in
Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern
eine viel höhere Belastung der Wirtschaft durch Büro-
kratiefolgelasten gibt. Deshalb war es höchste Zeit, dass
das Bürokratiemessverfahren entwickelt und der Nor-
menkontrollrat ins Leben gerufen worden sind.

Frau Staatsministerin Müller, die den Bürokratie-
abbau innerhalb der Bundesregierung im Kanzleramt
federführend koordiniert, hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass durch das Erste und Zweite Mittelstands-
entlastungsgesetz bereits erste Maßnahmen auf den Weg
gebracht worden sind. Dies betrifft unter anderem den
Abbau von Statistik- und Nachweispflichten. Unsere
Wirtschaftspolitiker arbeiten bereits an einem dritten
Mittelstandsentlastungsgesetz.

Wir, der Deutsche Bundestag, wollen mit den Mitglie-
dern des Normenkontrollrates einen lebendigen Dialog.
Der Vorsitzende des Normenkontrollrates und sein Stell-
vertreter waren in einer Sitzung des Wirtschaftsaus-
schusses des Bundestages zu Gast. Ich bin der Meinung,
dass Mitglieder des Normenkontrollrates alle Aus-
schüsse des Deutschen Bundestages besuchen und über
ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den jewei-
ligen Ressorts berichten sollten. Denn was den Bürokra-
tieabbau der Bundesregierung betrifft, ist noch nichts so
gut, als dass das Parlament, vor allem die hinter der Re-
gierung stehenden Fraktionen, dies nicht nachhaltig un-
terstützen sollte.

Die Arbeit kommt jetzt erst richtig in Schwung. Wir,
das Parlament, warten genauso wie der Normenkontroll-
rat auf den Bericht des Staatssekretärsausschusses der
Bundesregierung.


(Birgit Homburger [FDP]: Ja, allerdings! Er sollte eigentlich schon im Oktober letzten Jahres vorliegen!)


Jetzt wird es darauf ankommen, dass uns die einzelnen
Ressorts ganz konkrete Vorschläge, die ihren eigenen
Bereich betreffen, zuleiten. Herr Wend, Sie haben zu
Recht gesagt: Das Jahr 2007 war das Jahr, in dem die
Bürokratielasten identifiziert wurden. – Es ist gut und
richtig, dass der Normenkontrollrat die neuen Gesetzes-
initiativen der Bundesregierung geprüft, sie kräftig aus-
gedünnt bzw. eine nicht unerhebliche Zahl von Vor-
schriften kassiert und dadurch neue Kosten vermieden
hat. Das Entscheidende aber ist, dass der gesamte Nor-
menbestand, für den der Normenkontrollrat Bürokratie-
folgelasten in Höhe von 30 Milliarden Euro errechnet
hat, auf den Prüfstand kommt.

Liebe Frau Kollegin Homburger, wir, die CDU/CSU,
wollen und werden gemeinsam mit der SPD-Fraktion
dafür sorgen – diese Ankündigung von Herrn Wend
konnten Sie heute in einem Zeitungsinterview lesen –,


(Birgit Homburger [FDP]: Ja, ja! Das war nicht die erste!)







(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Koschyk
dass Gesetzesinitiativen des Parlaments in Zukunft vom
Normenkontrollrat überprüft werden. Ich finde, wir soll-
ten den ersten Bericht des Normenkontrollrates zum
Anlass nehmen, um hier eine kleine Novellierung des
Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkon-
trollrates vorzunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ganz entscheidend ist – darauf ist von Herrn Wend
schon hingewiesen worden –: Wir dürfen nicht nur die
Bürokratiefolgelasten für die Wirtschaft im Blick haben,
sondern es geht auch darum, wie unsere Bürgerinnen
und Bürger durch Bürokratie – das Beispiel Pflege war
sehr eindringlich, Herr Kollege Wend – belastet werden.

Ich will noch einen Schritt weiter gehen. Wir müssen
besonders im Auge behalten, wie wir diejenigen Bürge-
rinnen und Bürger in unseren Land, die sich ehrenamt-
lich engagieren, bei der Ausübung ihrer Ehrenämter von
Bürokratie befreien können.

Im möchte im Namen des Parlaments eine Bitte an
den Normenkontrollrat richten, der bei seiner zukünfti-
gen Arbeit auch die Bürger im Blick hat: Geben Sie uns,
dem Gesetzgeber, wertvolle Hinweise, und machen Sie
uns Beine, wie wir vor allem die Bürgerinnen und Bür-
ger, die sich ehrenamtlich engagieren, von überflüssiger
Bürokratie entlasten können!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Frank Schäffler [FDP]: Das schadet nie!)


Auf Bundesebene haben wir den Anfang gemacht.
Wir ruhen uns auf den ersten Erfolgen des Bürokratie-
abbaus in Deutschland aber nicht aus. Jetzt muss das
Ganze nach oben und nach unten fortgesetzt werden. Es
ist sicherlich ein guter Zufall, dass sich der Vorsitzende
des deutschen Normenkontrollrates heute in Brüssel auf-
hält. Denn über eines müssen wir uns im Klaren sein:
Vieles, was wir an Bürokratie in Deutschland beklagen,
wird uns durch die Normensetzung auf der europäischen
Ebene vorgegeben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass
wir bei der Umsetzung in Deutschland oftmals noch eins
draufsetzen.

Der Bürokratieabbau muss auch auf der Ebene der
Länder erfolgen. Es sind gute Beispiele aus den Ländern
genannt worden; ich will hier für Bayern die Henzler-
Kommission nennen. Der Bürokratieabbau muss auch
auf die kommunale Ebene heruntergebrochen werden,
und er darf vor den Sozialversicherungsträgern in
Deutschland nicht haltmachen. Denn auch da gibt es
viele Dinge, die vom Gesetzgeber oft gar nicht gewollt
sind, durch die aber im Vollzug, bei Erhebungen bzw. in
Formularen der Sozialversicherungsträger, zusätzliche
Bürokratie auf die Bürgerinnen und Bürger zukommt.

Der Anfang ist gemacht, aber wir müssen weiterge-
hen. Ich bin sehr sicher, dass der Weg zum Bürokratie-
abbau in Deutschland jetzt, da er einmal eingeschlagen
worden ist, nie mehr verlassen werden kann. In diesem
Sinne herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg dem
Normenkontrollrat! Auf einen lebendigen Dialog mit
dem Parlament!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613611000

Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Andreae, Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613611100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ein Jahr Normenkontrollrat ist auch für die
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein Anlass, dem
Normenkontrollrat für seine Arbeit zu danken. Wir sind
uns sicher, dass die Arbeit, die Sie tun und die für uns
sehr hilfreich ist, sehr aufwendig ist. Deshalb herzlichen
Dank auch von unserer Seite!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Bevor ich auf den Bericht des Normenkontrollrates zu
sprechen komme, muss ich Ihnen, Frau Homburger, sa-
gen: Heute scheint Wahlkampftag der FDP gegen die
Grünen zu sein. Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen,
zu sagen, wir hätten hier über den Bericht nicht diskutie-
ren wollen.


(Birgit Homburger [FDP]: Fragen Sie Ihren Geschäftsführer!)


Das weise ich für meine Fraktion zurück. Natürlich ist es
richtig, über diesen Bericht zu diskutieren; deswegen
sind wir heute hier. Es ist an der Zeit, kritisch Bilanz zu
ziehen.

Wir haben bei der Einsetzung des Normenkontrollra-
tes Kritik geübt. Viele Punkte sind genannt worden. Ich
möchte im Einzelnen prüfen, ob wir mit unserer Kritik
recht hatten. Der erste Punkt war die Beschränkung auf
die Informationspflichten. Der Normenkontrollrat sagt
selbst, dass viele bürokratische Belastungen in die Mes-
sungen bisher gar nicht aufgenommen worden sind. Was
ist zum Beispiel mit den Gemeinkosten, die ja auch an-
fallen und im Standardkostenmodell anderer Länder mit
25 bis 30 Prozent hinzugerechnet werden? Was ist mit
Buchführungspflichten? Was ist mit Genehmigungs-
pflichten? Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die we-
sentliche Bürokratiekosten nach sich ziehen, die hier
noch nicht berücksichtigt werden. Insofern habe ich mit
Interesse vernommen, dass sowohl der Kollege Wend als
auch der Kollege Koschyk angekündigt haben: Es gibt
eine Gesetzesnovellierung. – Eigentlich haben sie ange-
kündigt, sie werden den Arbeitsauftrag des Normenkon-
trollrates erweitern, vor allem im Hinblick auf die Infor-
mationspflichten bzw. eine Ausweitung.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Nein!)


– Wenn Sie jetzt Nein sagen, lege ich Ihnen dringend
nahe: Weiten Sie den Arbeitsauftrag des Normenkon-
trollrates aus!


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Nein!)


Es reicht nicht aus, dass nur im Hinblick auf die Infor-
mationspflichten geprüft wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)


Kerstin Andreae
Wenn wir sehen, dass ein Existenzgründer durchschnitt-
lich 45 Tage braucht, um sein Unternehmen anzumelden
und beginnen zu können, dann müssen wir sagen: Das ist
zu lang; da kann dem einen oder anderen schon die Puste
ausgehen. Das läuft in anderen Ländern deutlich schnel-
ler. Es wäre ganz wichtig, dass Sie sich dieses Themen-
feldes annehmen. Bei der Existenzgründung muss man
heute viel zu viele Ämtergänge machen, viel zu viele
Genehmigungen einholen. Dieser Baustelle sollten Sie
sich dringend widmen!

Das Ziel ist benannt: Bis 2011 sollen die Bürokratie-
kosten um 25 Prozent gesenkt werden. Auch der Nor-
menkontrollrat fordert Zwischenziele. Jetzt bin ich ge-
spannt, ob ich Sie an dieser Stelle richtig verstanden
habe. Ich habe Sie nämlich durchaus so verstanden, dass
Sie damit ein Nettoziel meinen.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Ja!)


Wenn Sie uns in den nächsten Wochen und Monaten
vorlegen, dass Sie die 25 Prozent netto erreichen wollen,
dann findet das unsere absolute Unterstützung. Ich bin
gespannt, ob Sie das bei Ihrer Fraktionsspitze durchset-
zen können. Denn zumindest bei der Einsetzung des
Normenkontrollrates hatten wir hier ja Schwierigkeiten,
was die Kompetenzen insgesamt angeht.

Ein weiterer Kritikpunkt von uns war, dass die Ge-
setzentwürfe, die vom Normenkontrollrat überhaupt ge-
prüft werden, ex ante geprüft werden.

Somit werden alle Änderungen, die im parlamentari-
schen Verfahren noch erfolgen und wodurch die Büro-
kratie zusätzlich erhöht wird, nicht mehr geprüft. Der be-
rühmte Satz, dass ein Gesetz nicht so aus dem Parlament
herauskommt, wie es hineingegangen ist, ist an dieser
Stelle wirklich bedenkenswert; denn ein Gesetzentwurf,
der auf Bürokratie hin geprüft wurde, entspricht nicht
dem Gesetz, mit dem die Bürgerinnen und Bürger sowie
die Wirtschaft danach zu tun haben werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet auch, dass die vorherigen Empfehlungen
des Normenkontrollrats still und heimlich außer Acht
gelassen werden können.

Schauen Sie sich einmal das Beispiel Unternehmensteu-
erreform an. Bei der Unternehmensteuerreform haben Sie
schlussendlich zehnmal so viele Pflichten eingeführt wie
abgeschafft. Gesetze, die durch dieses Parlament gegan-
gen sind, haben am Ende mehr Bürokratie nach sich ge-
zogen, als Sie uns hier vormachen wollen. Noch einmal:
Bei der Unternehmensteuerreform haben Sie zehnmal
mehr neue Pflichten eingeführt als alte abgeschafft.

Die Beschränkungen beziehen sich aber nicht nur da-
rauf, zu welchem Stadium geprüft wird, sondern es er-
folgt auch eine Beschränkung auf Regierungsvorlagen.
Herr Koschyk und Herr Wend, ich wünsche mir, dass es
Ihnen, wie Sie gerade angedeutet haben, gelingt, die Re-
gelungen zum Gesundheitsfonds, der 2009 eingeführt
werden soll, dem Normenkontrollrat frühzeitig vorzule-
gen und auf Bürokratie hin prüfen zu lassen. Wenn Sie
es mit dem Bürokratieabbau zugunsten der Bürgerinnen
und Bürger wirklich ernst meinen, dann müssen Sie
diese Regelungen durch den Normenkontrollrat prüfen
lassen.


(Birgit Homburger [FDP]: Abschaffen!)

– Der Normenkontrollrat ist kein Entscheidungsgre-
mium. Er zeigt nur auf, was passiert. Welche politischen
Konsequenzen seitens der Bundesregierung und der Ko-
alitionsfraktionen das hat, steht dann auf einem anderen
Blatt.

Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie die Regelungen zum
Gesundheitsfonds durch den Normenkontrollrat prüfen
und die dadurch entstehende Bürokratie messen lassen
würden. Dann könnten Sie tatsächlich sagen, dass Sie
sich die Lasten für die Bürgerinnen und Bürger sowie für
die Wirtschaft ansehen. Dann würden Sie Ihre Ankündi-
gungen wirklich ernst nehmen. Ich muss leider sagen,
dass wir im Augenblick nicht den Eindruck haben, dass
Sie es so ernst meinen, wie Sie es hier sagen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613611200

Als letzte Rednerin zu diesem Debattenpunkt hat Kol-

legin Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion, das Wort.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1613611300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!
Die europäischen Bürokraten sind das Produkt lan-
ger Entwicklung. Ihre Ausdehnung ist das einzig
Sichere in Bezug auf unsere Zukunft.

So der Innovationsforscher Joseph Schumpeter, den ich
sehr schätze. Wenn Sie jetzt allerdings glauben, ich
würde sagen, dass er auch hier recht hat, dann irren Sie.
Nein, hier irrte er. Der Bericht des Normenkontrollrats
zeigt, dass es gelingen kann, Bürokratie zu verringern
und Bürokratiekosten einzusparen. Die Ausdehnung der
Bürokratie ist also nicht die einzig sichere Konstante un-
serer Zukunft.

Dafür, dass dies erreicht würde, möchte ich ganz be-
sonders den Mitgliedern des Normenkontrollrats dan-
ken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleis-
tet, dass es uns bei der Beratung der Gesetze gelungen
ist, kritisch zu prüfen und zu verhindern, dass neue Bü-
rokratie geschaffen wurde. Dadurch konnten wir Büro-
kratiekosten vermeiden. Ich will mich ausdrücklich im
Namen des Wirtschaftsausschusses dafür bedanken, dass
Sie die Fragen, Anregungen und Bitten des Ausschusses
spontan aufgegriffen und uns wichtige Hinweise bei der
Gesetzberatung gegeben haben, die wir dann auch bei
Entscheidungen berücksichtigt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, – damit meine ich
besonders Sie, Herr Kollege Schui –: Ich habe großes
Vertrauen in die Mitglieder des Normenkontrollrates. Ich
finde, sie haben gezeigt, dass sie dieses Vertrauen auch
verdienen und ihm gerecht werden.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Edelgard Bulmahn
Bisher haben wir vor allen Dingen über unsere An-
strengungen auf der Bundesebene diskutiert. Bürokratie
ist aber nicht allein eine Sache der Bundesregierung oder
des Bundestages. Bürokratielasten und Bürokratiekosten
werden auch durch Landesregierungen, Länderparla-
mente, Kommunen und die Europäische Union verur-
sacht. Deshalb ist es gut, dass wir die Anstrengungen,
Bürokratie zu verringern, auch in der Europäischen
Union unterstützen und vorantreiben.

Liebe Frau Kollegin Andreae, wir sollten nicht glau-
ben, alles allein auf Bundesebene regeln zu können.
Wichtig ist, dass wir auf Bundesebene vorangehen sowie
beispielhaft und konsequent zeigen, wie wir Bürokratie
abbauen, und gleichzeitig aber alle anderen Ebenen auf-
fordern, mitzuziehen. Der Normenkontrollrat tut das, in-
dem er ausdrücklich auf die Verantwortung der anderen
politischen Ebenen hinweist. Wenn es um Genehmigun-
gen und Unternehmensgründungen geht, sind natürlich
vor allem die Kommunen gefragt. Sie entscheiden in
ganz erheblichem Maße mit darüber, wie lange ein ent-
sprechendes Verfahren dauert und wie aufwendig es ist.
Jede Ebene trägt ihre Verantwortung, der sie gerecht
werden muss. Genau das müssen wir sehr deutlich ein-
fordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will auf eine weitere Ebene eingehen. Ich habe ge-
sagt, dass Bürokratieabbau nicht allein Sache der Bun-
desregierung oder des Bundestages ist. Eine wichtige
Frage, die viel zu wenig diskutiert wird, ist die, wie eine
Verwaltung agiert. Es geht nicht allein um Verordnungen
und Vorgaben, sondern auch darum, wie Verwaltungen,
Krankenkassen, Versicherungen, Selbstverwaltungsein-
richtungen, Berufsgenossenschaften, Kammern, Innun-
gen und natürlich auch die Unternehmen selber handeln.
Es ist wichtig, dass es uns gelingt, durch unser Handeln
und unsere Entscheidungen das Bewusstsein dafür zu
wecken, dass Bürokratie wirklich verringert werden
kann und kein Naturgesetz oder, wie Schumpeter gesagt
hat, die einzig sichere Konstante unserer Zukunft ist. Der
Normenkontrollrat ruft daher zu Recht auch die eben ge-
nannten Organisationen auf, ihre Verfahren und Abläufe
auf den Prüfstand zu stellen, um bürokratische Lasten
für Bürger und Wirtschaft zu reduzieren.

Zum Abschluss will ich noch ein Beispiel nennen, an
dem sehr deutlich wird, was man erreichen kann, ohne,
Herr Schui, wichtige Informationen aufzugeben und
ohne wichtige Rechte einzuschränken; denn das wollen
auch wir nicht. Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass man
die Bürokratie trotzdem verringern kann. Das Bundesmi-
nisterium für Arbeit und Soziales vereinheitlicht das
Melde- und Beitragsverfahren für die berufsständisch
Versicherten per Gesetz. Dazu wird zum 1. Januar 2009
eine zentrale Annahmestelle der berufsständischen Ver-
sorgungseinrichtungen geschaffen und eine voll automa-
tisierte Datenübertragung eingeführt, was den laufenden
Bearbeitungsaufwand sowohl für die Arbeitgeber als
auch für die berufsständischen Versorgungseinrichtun-
gen erheblich reduziert. Die damit verbundene Kosten-
einsparung wird vom Ministerium auf circa 45 Millio-
nen Euro geschätzt. Wir reden also über spürbare, nen-
nenswerte Entlastungen, die wir durch einfache Verände-
rungen, ohne die Antastung materieller Rechte, erreichen
können. Das zeigt, dass man den richtigen Weg gegangen
ist.

Ich wünsche dem Normenkontrollrat weiterhin eine
so gute und erfolgreiche Arbeit, wie er sie im letzten
Jahr geleistet hat. Sie alle haben gehört, dass wir Ihre Ar-
beit sehr schätzen und brauchen. Ich wünsche Ihnen und
uns allen weiterhin Mut bei den Entscheidungen zur Ver-
ringerung der Bürokratie.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613611400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6756 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Riegert, Annette Widmann-Mauz, Peter
Albach, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin
Gerster, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Sport und Bewegung in Deutschland umfas-
send fördern – Bewusstsein für gesunde Le-
bensweise stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

SPRINT-Studie des Deutschen Sportbundes
darf nicht folgenlos bleiben – Jetzt bundes-
weite Wende im Schulsport einleiten

– Drucksachen 16/1648, 16/392, 16/5339 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Schutz und Förderung des Sports ernst neh-
men – Sportförderungsgesetz des Bundes
schaffen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
– Drucksache 16/7744 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Eberhard
Gienger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1613611500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesundheits-
ministerium hat im Februar 2007 Zahlen veröffentlicht,
über die ich selbst erstaunt war. 55 Prozent der Frauen
und 65 Prozent der Männer sind übergewichtig. Darüber
hinaus klagt jeder Vierte über chronische Rückenbe-
schwerden. Offensichtlich führt der technologisch-ge-
sellschaftliche Wandel dazu, dass wir unter Bewegungs-
mangel und an einseitigem Bewegungsverhalten leiden.
Diese Faktoren führen wiederum dazu, dass wir bei-
spielsweise die Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkran-
kungen und nicht zuletzt auch von Erkrankungen am
Muskel- und Skelettapparat zu beklagen haben. Meist
fällt es nicht vom Himmel. Es ist nicht schicksalhaft, son-
dern situations- und verhaltensbedingt. So sind zum Bei-
spiel Übergewicht und Folgeerkrankungen nicht allein
auf die Lebensumstände oder organische Defizite zu-
rückzuführen, sondern häufig das Ergebnis fehlender
körperlicher Aktivität.

Besonders problematisch ist das bei der Jugend. Viele
Kinder und Jugendliche sind übergewichtig, und – was
mich sehr überrascht hat – 30 Prozent der Kinder sind bei
der Einschulung offensichtlich nicht in der Lage, einfa-
che Bewegungsabläufe zu vollziehen wie Bälle fangen,
rückwärts über eine umgelegte Schwebebank zu balan-
cieren und dergleichen mehr. Das ist darauf zurückzufüh-
ren, dass Kinder zu lange – oft stundenlang – vor dem
Fernsehgerät oder dem Computer sitzen, statt sich auf
Sportplätzen, Spielplätzen oder in Sportvereinen zu be-
wegen und auszutoben. Diese Entwicklung ist drama-
tisch.

Mangelnde Bewegung wirkt sich auch auf die Lernfä-
higkeit der Kinder aus, nicht zuletzt auch auf den Sprach-
erwerb; denn Kinder begreifen ihre Umwelt nicht mit
dem Intellekt, sondern mit den Händen und erfahren sie
mit dem Körper. Später – als Schülerinnen und Schüler –
weisen sie zunehmend mangelnde Konzentrationsfähig-
keit und abnehmende Lernbereitschaft auf.

Ergebnisse des ersten für Deutschland repräsentativen
Kinder- und Jugendsurveys belegen, dass Kinder aus so-
zial schwächeren Familien oder übergewichtiger Eltern
eine verstärkte Neigung zu Übergewicht aufweisen. Maß-
nahmen zugunsten ausreichender Bewegung und ausge-
wogener Ernährung könnten damit auch zu Chancen-
gleichheit beitragen.

Durch eine gesündere Lebensweise insbesondere im
Bereich der Bewegung will die Union eine allgemeine
Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität
in der Bevölkerung erzielen. Das hat langfristig auch den
interessanten Nebeneffekt, die finanzielle Entlastung des
Krankenversicherungssystems voranzubringen. Eine be-
kannte kanadische Studie belegt, dass für jeden Dollar,
der in die Förderung körperlicher Aktivitäten investiert
wird, eine Ersparnis zwischen 2 und 5 Dollar insbeson-
dere im Arbeits- und Gesundheitsbereich erzielt werden
kann. Jeder gute Kaufmann würde hier sofort investie-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es liegt in unserer gesamtgesellschaftlichen Verant-
wortung, der Prävention mehr Bedeutung beizumessen.
Das Bewusstsein in unserer Gesellschaft für Sport, Bewe-
gung und gesunde Ernährung als Instrument der Präven-
tion muss nachhaltig gestärkt werden. Sport ist meiner
Meinung nach nach wie vor die preiswerteste Prävention.
Sie kann und soll durch bessere Nutzung vorhandener
Strukturen in Kindergärten, Schulen, Sportvereinen und
nicht zuletzt auch im Bereich des Betriebssports unbüro-
kratisch gefördert werden. Auch die Krankenkassen soll-
ten sich diesen Spielraum zunutze machen.

Auf allen Ebenen muss die Aufklärung über die Zu-
sammenhänge von Bewegung und gesunder Ernährung
vorangebracht werden. Es geht um eine umfassende För-
derung von Sport und Bewegung. Ich kann es nicht oft
genug wiederholen: Wir müssen mehr Sport treiben. Wir
sind zu bequem geworden. – Ich stelle immer wieder
fest, dass die schwierigste sportliche Übung das Umzie-
hen von Zivil- in Sportkleidung ist. Wenn das erreicht
ist, dann ist der Rest kein Problem mehr. Wir müssen
auch darauf zielen, in den Städten und Gemeinden bewe-
gungsfreundlichere Möglichkeiten sowohl für Kinder als
auch für Erwachsene zu schaffen.

Nun will uns die FDP klarmachen, lieber Detlef Parr


(Detlef Parr [FDP]: Nicht klarmachen!)


– doch –, dass die Sprint-Studie nicht folgenlos bleiben
darf. Aber ich denke, es ist nicht allein der Schulsport,
der hier ausschlaggebend ist. Es sind wesentlich mehr
Dinge, die zum Tragen kommen. Die Ursachen für die
Zunahme der Zahl der Übergewichtigen und der damit
zusammenhängenden Krankheitsbilder sind komplexer.
Neben Anlagen wie Erbfaktoren, Umwelt und Umfeld
hängt die Gesundheit des Menschen weitgehend von ei-
ner gesunden Lebensführung und damit von regelmäßi-
ger Bewegung ab. Hier müssen wir ansetzen. Aber der
Antrag der FDP greift zu kurz. Deswegen werden wir
ihm nicht zustimmen.

Der Schulsport ist in diesem Zusammenhang zweifel-
los ein wichtiger Aspekt. Wir von der Union sind der
Meinung, dass er bundesweit gestärkt werden muss. Um
die Schüler in ihrer Entwicklung zu fördern, müssen wir






(A) (C)



(B) (D)


Eberhard Gienger
sie allerdings auch fordern. Deswegen darf meines Er-
achtens die Schulsportnote nicht zu einer kosmetischen
Beigabe degenerieren. Sie soll in erster Linie – für Schü-
ler erkennbar – Leistung, Anstrengung und Lernfort-
schritt bewerten.


(Detlef Parr [FDP]: Das steht in unserem Antrag!)


– Es stimmt, das steht zweifellos in eurem Antrag. Das
ist nicht ganz falsch, was dieses Thema angeht.

Der Schulsport ist jedoch Sache der Bundesländer.
Wir sollten ihn auch in der Zuständigkeit der Bundeslän-
der belassen.

Den Antrag der Linken halten wir für unnötig. Frau
Kunert, auf die zwölf Punkte kann ich nicht im Einzel-
nen eingehen. Nur so viel: Es ist entweder bereits umge-
setzt oder schon gängige Praxis. Ich darf daran erinnern,
dass wir im vergangenen Jahr 490 Millionen Euro zur
Förderung des Ehrenamtes zur Verfügung gestellt haben.
Das kommt auch den Vereinen und dem Sport zugute.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Unser Koalitionsantrag umfasst gesellschaftspoliti-
sche und sportpolitische Aspekte und schließt auch den
Schulsport ein. Wir setzen uns für eine Förderung ein,
die bereits im frühesten Kindesalter beginnt. Hier müs-
sen wir die Eltern mitnehmen. Ich erinnere mich an die
Überschrift „Eltern joggen, Kinder hocken“. Den Eltern
ist offensichtlich bewusst, dass sie etwas für sich tun
müssen. Sie haben aber noch nicht erkannt, dass sie ihre
Kinder mitnehmen müssen. Je früher mit Sport und Be-
wegung begonnen wird, desto besser.

Unser Antrag sieht umfangreiche Maßnahmen vor.
Wir wollen die sportlichen Aktivitäten umfassend för-
dern und vor allem das Bewusstsein innerhalb der Be-
völkerung für eine gesunde Lebensweise stärken. Ich
schlage Ihnen vor, unserem Antrag zuzustimmen. Ich
darf Ihnen versprechen: Wenn Sie das tun, machen Sie
keinen Fehler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613611600

Das Wort hat nun Kollege Detlef Parr, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1613611700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei

Monaten sind die Handlungsempfehlungen der Kultus-
ministerkonferenz und des Deutschen Olympischen
Sportbundes zur Weiterentwicklung des Schulsports der
Öffentlichkeit vorgestellt worden. Darin heißt es:

Nur gemeinsam kann es uns gelingen, die notwen-
digen Voraussetzungen zu schaffen, um für alle
Kinder und Jugendlichen den Schulsport nachhaltig
zu sichern und weiterzuentwickeln.

Folglich müssen auch wir Bundespolitiker unseren Bei-
trag in der aktuellen Debatte über Prävention und Ge-
sundheitsförderung, in der Frage der Information und
Aufklärung sowie beim schulischen Wettkampfwesen
leisten, um nur drei Beispiele zu nennen. Deshalb neh-
men Sport und Bewegung in Kindergärten und Schulen
im Antrag der Koalitionsfraktionen zu Recht breiten
Raum ein. Auf formale Zuständigkeiten will ich mich
aber nicht beschränken.

Konsequenzen aus der Sprint-Studie werden nur halb-
herzig gezogen. So greifen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Union und SPD, die in unserem Antrag er-
wähnten erheblichen Defizite im schulischen Schwimm-
unterricht auf, ohne aber wie wir konkrete Forderungen
nach einer verbesserten Struktur zu stellen. So beschrei-
ben Sie Defizite im Bereich der beruflichen Schulen,
ohne aber wie wir weitere Erkenntnisse durch eine Fort-
setzung der Sprint-Studie einzufordern. So übersehen
Sie völlig – für die FDP absolut unverständlich – die Be-
lange der Menschen mit Behinderung. Nicht ein einziges
Wort ist Ihnen im Gegensatz zu uns die Tatsache wert,
dass der Sport für die Integration der Behinderten von
besonderer Bedeutung ist und vorurteilsfreie und für den
Einzelnen sehr gewinnbringende Begegnungen ermög-
licht.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unsere Anre-
gung unterstreichen, gemeinsame Sportveranstaltungen
zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern
und Jugendlichen zu organisieren. Die Deutsche Behin-
derten-Sportjugend ist hier bei ihren Bemühungen um
gemeinsame Bundesjugendspiele vorbildlich. Damit
bauen wir Berührungsängste ab und gegenseitiges Ver-
ständnis auf. Ich sage Ihnen auch als Vizepräsident von
Special Olympics Deutschland, der sich um den Sport
der Menschen mit geistiger Behinderung kümmert: Über
den Sport werden Menschen mit Behinderungen in der
Gesellschaft positiv wahrgenommen; sie bestimmen so
ihr Bild mit. Wir dürfen nicht nur bei den Paralympics
oder den Weltspielen von Special Olympics international
Gesicht zeigen, solche Begegnungen müssen auch bei
uns in Deutschland zum Alltag werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Koalitionsan-
trag stellt die von Sportvereinen angebotenen gesund-
heitsorientierten Programme als hervorragend in den
Vordergrund. Dem stimme ich gerne zu. Daraus aber die
Notwendigkeit eines Präventionsgesetzes abzuleiten,
halte ich für grundlegend falsch.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das macht nichts!)


Wir leben doch nicht in einem Präventionsniemandsland
oder einem Land mit Präventionsnotstand.


(Dagmar Freitag [SPD]: Wir können aber besser werden!)


Neben dem organisierten Sport bietet eine große Reihe
von Akteuren ganz ohne gesetzlichen Zwang eine Viel-
zahl von Programmen an. Allein im Bereich der gesetzli-
chen Krankenversicherungen haben 2006 – diese Zahlen
nennt der letzte Präventionsbericht – 5,7 Millionen Men-






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
schen freiwillig an Maßnahmen der Prävention und Ge-
sundheitsförderung teilgenommen,


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Viel zu wenig!)


ein Zuwachs von 1,9 Millionen gegenüber 2005.
232 Millionen Euro sind investiert worden – mit pro
Kopf 3,30 Euro mehr als das gesetzlich vorgegebene
Soll von 2,74 Euro. Besonders durch gesundheitsför-
dernde Maßnahmen in Kindergärten und Schulen wer-
den Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten
erreicht: 1 083 Projekte in fast 20 000 Einrichtungen –
eine Steigerung von 26 Prozent für Bewegung, ausgewo-
gene Ernährung und Stressbewältigung, und zwar ganz
ohne gesetzlichen Zwang.


(Dagmar Freitag [SPD]: Damit muss man sich aber nicht zufriedengeben!)


Nach der Erfindung des unsäglichen Gesundheits-
fonds – wir werden morgen in der Aktuellen Stunde darü-
ber debattieren – sind Sie dabei, den nächsten großen
Fehler zu machen. Durch die gigantische Umvertei-
lungsmaschinerie, die Sie durch ein Bundesgesetz in
Gang bringen wollen, besteht die große Gefahr, dass die
handelnden Akteure in ihren Aktionsmöglichkeiten be-
schnitten und bereits etablierte Präventionsaktivitäten
auch des Sports übergeordneten Kriterien zum Opfer fal-
len. Zudem können sich die öffentlichen Haushalte zu-
lasten einzelner Sozialversicherungsträger aus der Fi-
nanzierung zurückziehen. Des Weiteren droht dem Sport
mit nur einer Stimme in dem riesigen Gremium Nationa-
ler Präventionsrat schwindender Einfluss. Also: Hände
weg vom Präventionsgesetz! Deshalb kann Ihr Antrag
bei uns auch keine Zustimmung finden.


(Beifall bei der FDP – Dagmar Freitag [SPD]: Erzählen Sie was vom Schulsport! Davon verstehen Sie mehr!)


Vielmehr müssen wir die Zuständigkeit und Finanz-
verantwortlichkeit für die einzelnen Präventionsbereiche
klar definieren und bereits vorhandene Einrichtungen
auf Bundesebene, der Länder und Kommunen, der So-
zialversicherungen, des Sports und der Heilberufe nut-
zen und weiterentwickeln. Dabei ist die Koordination
der Aktivitäten durch den für den jeweiligen Bereich zu-
ständigen Träger auf der jeweils betroffenen Ebene von
besonderer Bedeutung. Beispiel für gelungene Koordi-
nationen ist die enge Zusammenarbeit von Krankenkas-
sen und Sportvereinen sowie Krankenkassen und Unfall-
versicherungen – ganz ohne gesetzliche Zwänge.

Zum Abschluss noch eine Bemerkung übergeordneter
Art: Wenn die Union gemeinsam mit der SPD in dem
Antrag feststellt, dass wohnortnahe Spiel-, Bolz- und
Sportplätze häufig von den Auflagen des Immissions-
schutzes diskriminiert werden, dann sollte dies Anlass
sein, darüber nachzudenken, liebe Kolleginnen und Kol-
legen der Union, ob wir den Sport nicht doch ins Grund-
gesetz aufnehmen sollten. Der Sport gehört als Staatsziel
ins Grundgesetz. Er darf in gerichtlichen Auseinander-
setzungen und Abwägungsprozessen nicht länger gegen-
über dem Umweltschutz der Verlierer sein.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Das war ein guter Schluss!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613611800

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhold Hemker,

SPD-Fraktion.


Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1613611900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist natürlich klar, lieber Eberhard Gienger, dass der der
heutigen Debatte unter anderem zugrunde liegende An-
trag von uns gemeinsam eingebracht worden ist und dass
alle Initiativen gemeinsam von Union und SPD getragen
werden. Betrachten wir das Ergebnis der Debatten: Im
Sportausschuss hat niemand gegen die damalige Be-
schlussempfehlung gestimmt, und es gab nur drei Ent-
haltungen. Das möchte ich in Richtung Detlef Parr sa-
gen. In dem verbesserten Antrag sind im Übrigen an
zwei Stellen die Behinderten genannt, zum einen durch
den Hinweis auf Art. 1 der UNESCO-Charta,


(Detlef Parr [FDP]: Kein Wort!)


zum anderen durch die Zielgruppenorientierung. Auch
dort werden die Behinderten genannt. Dadurch, dass in
dem Beschluss der Bundesregierung empfohlen wird,
kampagnenorientiert und zielgruppenorientiert zu arbei-
ten, finden wir noch einmal einen Bezug auf die Behin-
derten. Man sieht also, dass über die Grundlagen sehr
lange verhandelt worden ist und diese am 14. Mai in die
Beschlussempfehlung Eingang gefunden haben. Ich sage
noch einmal: FDP, Linke und Grüne haben nicht dage-
gen gestimmt, sondern sich enthalten, weil sie andere
Schwerpunkte und Orientierungen hatten.

Ich möchte auf eines hinweisen, und zwar mit Bezug
auf das, was Detlef Parr gesagt hat. Es gibt einen nicht
ganz unwichtigen Mann in der deutschen Sportorganisa-
tion. Das ist Ingo Weiss, der Vorsitzende der Deutschen
Sportjugend und Präsident des Deutschen Basketball
Bundes. Er hat vor einigen Jahren gesagt – lieber Detlef,
da komme ich dir durchaus entgegen –: Der Schulsport
ist krank, wir wissen aber nicht, ob es Schnupfen oder
Malaria ist. – Später, als wir über Gesundheitsprävention
nachgedacht haben, ist in einer Diskussion ergänzt wor-
den: Vielleicht ist es auch Typhus oder Cholera. – Es ist
aber immer gesagt worden, dass wir uns nicht nur auf
den Schulsport konzentrieren dürfen, sondern dass wir
uns im Sinne dessen, was schon in dem alten Präven-
tionsgesetz stand, über alle Lebenswelten unterhalten
müssen.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist richtig!)


Wir müssen – dazu gehören wiederum auch die Behin-
derten – das Setting so organisieren und die Lebenswel-
ten so miteinander vernetzen, dass wirklich effektive
Gesundheitsprävention betrieben werden kann.

Das muss unter zwei Gesichtspunkten geschehen. Es
ist natürlich klar, dass auch durch Prävention, wenn sie
sekundär oder tertiär angesetzt ist, Gesundheit wieder
hergestellt wird. Das Hauptanliegen aber ist, Krankheit
langfristig zu verhindern und eine positive Einstellung






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhold Hemker
zum Leben herbeizuführen. So stand es in der Präambel
des alten Gesetzes. Ich gehe davon aus, dass wir es in
den nächsten Monaten mit der Unterstützung aller Sport-
politiker schaffen, die Gesundheitspolitiker dazu zu brin-
gen, dort anzuknüpfen. Deswegen zitiere ich, was in
dem alten Gesetz gestanden hat:

Zweck dieses Gesetzes ist es, Gesundheit, Lebens-
qualität, Selbstbestimmung und Beschäftigungs-
fähigkeit durch gesundheitliche Aufklärung und
Beratung sowie durch Leistungen zur gesundheitli-
chen Prävention altersgerecht zu erhalten und zu
stärken.

So haben wir das seinerzeit formuliert. Ich denke, da
sind wir d’accord.

Wir sprechen noch einmal beim Gesetzgebungsver-
fahren zum Präventionsgesetz über die Stiftung und über
die Länderzuständigkeit, zum Beispiel für den Setting-
Bereich Schule, und wir reden dann natürlich auch über
andere Lebenswelten. Wir werden dann mit dem wichti-
gen und starken Deutschen Behindertensportverband
reden. Das ist, so glaube ich, klar. Nur – das ist jetzt
wichtig –, wenn wir darüber sprechen, dann muss eine
Bewusstseinsänderung – das Wort ist eben bei Eberhard
Gienger gefallen – in der Gesellschaft stattfinden, aber
nicht bei denen, die sich sowieso schon in Sportvereinen
oder bei den zahlreichen Initiativen, die wir haben, enga-
gieren, sondern bei denen, die auch hier in diesem Saal
heute vertreten sind, zurzeit in ihren Büros arbeiten oder
sonst als Abgeordnete tätig sind.

Warum sage ich das? Ich habe von einigen Kollegin-
nen und Kollegen – nicht aus dem Sportbereich, sondern
aus anderen Bereichen – immer wieder den Bezug auf
Winston Churchill gehört – darüber müssen wir reden –,
der angeblich gesagt habe: No Sports! Sport ist Mord. –
Das stimmt einfach nicht.


(Detlef Parr [FDP]: Kein typischer Engländer!)


Als er von einem Journalisten – da war Winston
Churchill schon über 70 Jahre alt – gefragt worden ist,
wie er so alt geworden sei, hat er eine völlig andere Aus-
sage gemacht, die ich zitieren möchte, die im Internet zu
bekommen ist und die in vielen Sportlexika abgedruckt
ist. Trotzdem hält sich die alte Legende. Er sagte:

Keine Stunde, die man mit Sport verbringt, ist ver-
loren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Man muss noch auf etwas anderes hinweisen: Dieser
Mann war seit seiner Jugend ein aktiver Sportler. Ich
habe mir einmal Folgendes herausgeschrieben: Er war
ein guter Fechter, er war Schütze, er war Reiter, er war
Polospieler, und – auch wenn es lächerlich klingt und
von den Tierschützern abgelehnt wird – er war noch in
ganz hohem Alter Teilnehmer an Fuchsjagden, und zwar
nicht als Zuschauer, sondern als aktiv Beteiligter, näm-
lich als Reiter. Das war ohne Bewegung nun einmal
nicht möglich. Also: Ich bitte Sie alle, mit dieser Le-
gende wirklich aufzuräumen, damit nicht mehr gegen
uns Sportpolitiker argumentiert wird. Ich glaube, das ist
eine ganz wichtige Sache.

Ich bitte insbesondere die Kolleginnen und Kollegen
der Unionsfraktion, uns allen, die beim Präventions-
gesetz weiterkommen wollen, zu helfen. In der Presse,
sogar in Fachzeitschriften bin ich auf folgende Aussage
gestoßen: Die gesundheitspolitische Sprecherin der
Unionsfraktion hat im Hinblick auf das Präventionsge-
setz von „Etikettenschwindel“ gesprochen.


(Zustimmung des Abg. Detlef Parr [FDP])


– Jetzt nickt natürlich wieder Detlef Parr. – Ein ernsthaf-
ter Entwurf ist vorgelegt worden, Eckpunkte sind vorge-
legt worden, und es sind auch Methoden auf der Grund-
lage der von mir benannten Ziele vorgelegt worden.
Bitte, diskutieren Sie darüber wirklich! Das als Etiket-
tenschwindel zu bezeichnen, geht in die falsche Rich-
tung. Dasselbe gilt, wenn man ständig das Argument
vorträgt, ein solches Gesetz sei der Weg in die Einheits-
kasse.

Ich gehe davon aus, dass wir mit einem möglichst ein-
stimmigen Beschluss zu der Beschlussvorlage des Aus-
schusses ein gutes Signal setzen und dass wir damit im
Rahmen der Diskussion über das Präventionsgesetz ei-
nen weiteren Schritt in die richtige Richtung tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613612000

Das Wort hat nun Kollegin Katrin Kunert, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613612100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Reinhold Hemker, lassen wir das Zitat von Churchill!
Wir können es auch so sagen: „Jeder Mann an jedem Ort
– einmal in der Woche Sport.“


(Beifall bei der LINKEN)


Den Namen desjenigen, der das einmal gesagt hat, nenne
ich nicht. Ich meine, Sie kennen ihn alle.

Alle Jahre wieder steht der Schulsport auf dem Stun-
denplan, alle Jahre wieder beklagen wir die Probleme im
Schulsport, und wir müssen auch alle Jahre wieder fest-
stellen, dass wir eigentlich überhaupt nicht zuständig
sind. Ich finde, wir sind dem Namen der Studie zum
Schulsport in Deutschland, Sprint, überhaupt nicht ge-
recht geworden; denn Sprint bedeutet Schnelligkeit und
Entschlossenheit.

Angesichts der Zeit, die wir für die Behandlung des
Antrags der FDP gebraucht haben – bei aller Liebe zum
Detail –: Zwei Jahre sind selbst für einen Marathon zu
lang.


(Detlef Parr [FDP]: Ihr habt gar nichts gebracht!)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
Die Linke stellt kritisch fest: Schulsport, Sport und
Bewegung, eine gesunde Lebensweise, sämtliche För-
derprogramme für den Sport bis hin zur Gesundheits-
politik sind ein einziger Verschiebebahnhof für Zustän-
digkeiten und Schuldzuweisungen in Deutschland. Die
Länder bieten Schulsport, Schwimmunterricht, Bewe-
gung in den Kindertagesstätten oder Sportangebote im
Freizeitbereich immer nur nach Kassenlage an, und die
Kleinstaaterei treibt weiter ihre Blüten.

Auch das Positionspapier der Kultusminister und des
Deutschen Olympischen Sportbundes zur Weiterent-
wicklung des Schulsports nach immerhin zwei Jahren ist
kein wirkliches Signal.


(Detlef Parr [FDP]: Das stimmt!)


Denn was und vor allem wem nützen nette Worte in De-
batten oder in Positionspapieren, wenn sie in kein Schul-
gesetz, in keinen Ausbildungsinhalt für Sportlehrerinnen
und Sportlehrer und nicht in Stundenpläne münden? Was
nützen immer wieder geführte Debatten, wenn junge
Sportlehrerinnen und Sportlehrer in der Warteschleife
geparkt werden und sich nicht um die Schüler kümmern
können?


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


Die Linke fordert eine konkrete Initiative zur Verbesse-
rung und zur Feststellung der Standards für Bewegungs-
erziehung vom Kleinkind bis in die Ausbildung. Diese
Standards müssen bundesweit gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


In Bayern ist man zum Beispiel stolz darauf, dass
Gymnasiasten heute in acht Jahren das lernen, was sie
früher in neun Jahren gelernt haben. Nur haben die
Gymnasiasten in Bayern heute vor lauter Lernen kaum
noch Zeit, Sport zu treiben.

In Hessen erkennt man nicht die Funktion von Sport
im Bereich der Prävention und vor allem der Integration.
Meiner Ansicht nach sollte der Ministerpräsident in ein
Trainingslager mit jugendlichen Migrantinnen und Mi-
granten fahren, um endlich einmal zu begreifen, dass In-
tegration durch Sport sehr gut funktionieren kann


(Beifall bei der LINKEN)


und dass man Integration nur mit Migrantinnen und Mi-
granten und nicht gegen sie vorantreiben kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Den Landesregierungen möchte ich sagen: Jeder Euro
für die Sportförderung, egal ob für den Schulsport oder
für den Vereinssport, spart eine Menge Kosten für Pro-
zesse und für den Knast.

Ich weiß, dass die meisten von Ihnen Befürworterin-
nen und Befürworter der föderalen Strukturen sind. Wie
Sie alle wissen, geht es derzeit bei der Föderalismus-
reform II um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Ländern. Hier gibt es ein Hauen und Stechen, dass es nur
so kracht. Die Vertreter einer entscheidenden Ebene bei
dieser Angelegenheit, die Vertreter der Kommunen, sit-
zen am Katzentisch. Gute Sportpolitik muss sich wie ein
roter Faden durch alle Ebenen ziehen, vom Bund bis in
die Kommunen. Die Kommunen halten die Sportinfra-
struktur vor; nur geht es ihnen im Moment finanziell
sehr schlecht.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Genau das Gegenteil ist der Fall! – Ute Kumpf [SPD]: Sie leben hinter Ihrer Zeit! Kommen Sie nach Stuttgart!)


Wenn die Kommunen kein Geld haben, schließen sie
Schwimmbäder oder privatisieren sie. Wenn sie kein
Geld haben, können Sporthallen oder Stadien nicht sa-
niert, geschweige denn neu gebaut werden. Die Kommu-
nen fördern, wie sie es können, die Sportvereine. Also
brauchen die Kommunen endlich mehr Geld. Dafür
müsste mit der Föderalismusreform II gesorgt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor einigen Tagen war in der Volksstimme zu lesen,
dass die Thüringer in Deutschland am dicksten seien.
Die Frauen und Männer aus Sachsen-Anhalt – dem
Land, aus dem ich komme – sind die Zweit- bzw. Dritt-
dicksten.


(Detlef Parr [FDP]: Ich denke, ihr seid die Frühaufsteher!)


Für die Landesgruppe Sachsen-Anhalt muss ich sagen:
Uns hat man nicht in die Untersuchung einbezogen;
sonst hätten wir den Durchschnitt arg gedrückt. Diese
Studie verdeutlicht, dass 37 Millionen Erwachsene und
2 Millionen Kinder übergewichtig sind. Die Folgekosten
werden mit jährlich 70 Milliarden Euro beziffert.

Jetzt frage ich Sie: Was hat die Gesundheitsreform ge-
bracht? Hat der Sport bei der Gesundheitsreform eine
ausreichende Rolle gespielt?


(Detlef Parr [FDP]: Nein!)


Welche Lobby haben die Sportvereine und der Schul-
sport im Gesundheitsministerium? Was ist uns der Sport
insgesamt wert? Wollen wir uns weiterhin hinter Zustän-
digkeitsfragen verstecken? Ich möchte Ihnen ehrlich sa-
gen: Es ist den vielen ehrenamtlichen Sportlerinnen und
Sportlern, Funktionären und Übungsleitern ziemlich
egal, wer wofür zuständig ist; sie wollen einfach nur
Veränderungen in der Breite sehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Linke steht fest – ich komme nun zu unserem
Antrag –: Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz für
den Sport. Deshalb sind wir für ein Sportfördergesetz
des Bundes.


(Zuruf von der SPD: Legt doch einen Entwurf vor!)


Wir haben folgende Forderungen:

Erstens. Jedes Kind muss die Chance haben, im Ver-
ein Sport zu treiben. Mitgliedsbeiträge dürfen keine
Barriere sein. Es ist nicht hinzunehmen, dass sportlichen
Talenten aus Familien, die von Hartz IV leben müssen,
oder aus Familien, die trotz Arbeit arm sind, der Weg in
eine Sportschule oftmals verwehrt bleibt.






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
Zweitens. Wir sind für die Schaffung von öffentlich
geförderter Beschäftigung auch im Bereich des gemein-
nützigen Sports. Die vielen 1-Euro-Jobs im Bereich der
Sportvereine belegen die Notwendigkeit.

Drittens. Der „Goldene Plan“ für die Sportstätten
– wir sagen das erneut – muss auf Gesamtdeutschland
ausgeweitet werden und nachhaltig aufgestockt werden.
Die Situation bei den Sportstätten ist nicht die beste.
Hier müssen wir nicht mehr zwischen Ost und West un-
terscheiden, sondern strukturschwache Regionen för-
dern.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Es müssen endlich bundeseinheitliche Min-
deststandards für den Schulsport festgelegt werden, da-
mit wir in diesem Bereich vorankommen.

Ich danke Ihnen und bin gespannt auf die Diskussion
über unseren Antrag; denn er ist nicht überflüssig.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613612200

Das Wort hat nun Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1613612300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kunert, ich wende mich direkt an Sie: Ich finde es
schon erstaunlich, dass Sie uns ankreiden, wir brauchten
zwei Jahre, um hier über Dinge zu diskutieren.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sie müssen zuhören! Es ging um den FDP-Antrag!)


Wenn ich mich richtig erinnere, ist Ihr Antrag erst letzte
Woche bzw. in den vergangenen Tagen eingegangen. Sie
brauchten zwei Jahre, um einen Antrag zu formulieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Der hat mit dem Thema überhaupt nichts zu tun!)


Wir hätten noch viel länger warten müssen, um Ihnen die
Zeit einzuräumen, Ihre Gedanken zu Papier zu bringen.
Ich wäre vorsichtig, Zeitvorgaben zu machen, die man
selber nicht einhält.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)


Die Deutschen werden unbeweglicher und überge-
wichtiger: Das ist eine Feststellung, die wir immer wie-
der hören. Leider trifft sie zu. In unserer Gesellschaft ist
die Bedeutung von Sport, körperlicher Tätigkeit und da-
mit auch von Bewegung geringer geworden. Bewe-
gungsmangel, Fehlernährung und Umweltbedingungen
führen zu neuen Zivilisationskrankheiten, die fast schon
boomen. Männer wie Frauen leiden – etwas flapsig aus-
gedrückt – unter einem Bauchumfang, bei dem das Ri-
siko von Infarkten und Diabetes steigt.


(Detlef Parr [FDP]: Juniordiabetes!)


Es sollte uns besonders zu denken geben, dass sich
das nicht nur auf Erwachsene bezieht. Vor allen Dingen
Kinder und Jugendliche – so wird es in einem Bericht
der WHO deutlich – sind zunehmend von Fettleibigkeit
betroffen. Bei ihnen ist ein rapider Anstieg beim Überge-
wicht zu verzeichnen. Allein in Europa soll es 14 Millio-
nen übergewichtige Kinder geben; in Deutschland sind
es 1,9 Millionen. Das sind Zahlen, die uns nicht glück-
lich stimmen und die uns nicht beruhigen können.

Wir müssen schauen, wie wir dies ändern können.
Wie bekommen wir es hin, dass wir nicht mit Spätfolgen
zu kämpfen haben, die nicht nur den Kindern zur Last
werden, sondern auch im Gesundheitssystem zu einem
Riesenberg an Kosten führen, da wir dies finanzieren
müssen? Warum schaffen wir es nicht, eine andere Men-
talität und einen anderen Umgang mit Bewegung hinzu-
bekommen?

Studien belegen – das ist eindeutig –, dass gerade
Sport und Bewegung positive Auswirkungen haben und
sich nicht nur auf die Gesundheit, sondern vor allen Din-
gen auch auf die Leistungs- und Lernfähigkeit der Men-
schen auswirken. Sport wirkt oft besser als teure Medi-
kamente. Der Kollege Gienger hat dies mit Zahlen
belegt: Ein investierter Dollar – das sagt eine kanadische
Studie – bringt Ersparnisse von 2 bis 5 Dollar im Ar-
beits- und Gesundheitsbereich.

Frau Kunert, Sie haben diese Zahlen auch genannt.
Ich werde einmal nachlesen, was in Berlin gemacht
wurde, an welchen Stellen Sie investiert haben und ob es
sich rechnet. Ich bin auf die Zahlen gespannt. Da Sie
dies explizit angesprochen haben, werden es sicherlich
positive Zahlen sein.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)


Für uns ist es wichtig, dass wir präventiv tätig wer-
den, dass wir stärker aufklären, dass wir deutlich ma-
chen, was bestimmte Verhaltensweisen mit sich bringen.
Die Frage ist, wie wir es schaffen, nachhaltig für Aufklä-
rung und Veränderung zu sorgen. Nur wenn Kinder früh
genug Erfahrungen mit der Bedeutung von Bewegung
machen, sind sie in der Lage, ihr Leben umzugestalten
und nachhaltig für eine vernünftige Lebensweise zu sor-
gen, um Probleme gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Deshalb haben wir uns in unserem Antrag für ziel-
gruppenorientierte Kampagnen ausgesprochen, die ganz
wichtig sind. Wir müssen schauen, wen wir ansprechen
und in welcher Form. Denn – auch das sagt die Sprint-
Studie – Schülerinnen und Schüler sind eigentlich davon
überzeugt, dass Sport wichtig ist. Lediglich 13 Prozent
der Jugendlichen sagen: Sport ist unwichtig. – Wenn sie
das so sagen und thematisieren, dann müssen wir uns
fragen: Wo bleibt diese Sportbegeisterung, wenn es da-
rum geht, sich im täglichen Leben zu bewegen und Sport
zu treiben?

Schülerinnen und Schüler sagen wiederum auch – das
belegt die Studie –: Der Sportunterricht ist zu langwei-
lig. Wir werden gar nicht genug gefordert. Die Anforde-
rungen sind zu gering. – Wenn wir dies hören, müssen
wir uns wirklich fragen – in diesem Punkt stehe ich hin-
ter der FDP –: Was läuft eigentlich im Sportunterricht
vor Ort?






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
Aber, Herr Parr, Sie sagen wie Frau Kunert: Es inte-
ressiert uns nicht, wer zuständig ist.


(Detlef Parr [FDP]: Zusammenwirken wollen wir!)


– Sie haben wörtlich gesagt – ich habe es notiert –:


(Detlef Parr [FDP]: Ich lasse mich nicht auf die Zuständigkeitsdiskussion ein!)


Zuständigkeiten interessieren mich nicht.


(Detlef Parr [FDP]: Nein, ich lasse mich nicht darauf ein!)


– Gut; Sie lassen sich nicht darauf ein.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Frau Kunert hat gesagt: Die Ehrenamtlichen interessiert das nicht!)


Auf eines können wir uns aber einlassen – da sind wir
wieder d’accord; das Problem sollte uns ja auch einen
und nicht spalten –: Wie können wir es schaffen, bei den
Verantwortlichen vor Ort die Sensibilität dafür herbeizu-
führen, dass sie an dieser Stelle anders agieren und den
Sport und die Bewegung nach vorn bringen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Deswegen appelliere ich an uns alle, an den Stellen
Einfluss zu nehmen, an denen wir es können, und auch
in den Kommunen deutlich zu machen: Es geht darum,
dass wir die Kinder motivieren, ihrem natürlichen Drang
nach Bewegung auch nachzukommen. Dazu gehört na-
türlich die Situation der Sportstätten. Dazu gehört natür-
lich auch die Frage: Gibt es Bolz-, Spiel- und Frei-
zeitplätze? Haben die Kinder die Möglichkeit, sich zu
bewegen?

Meine Damen und Herren, ich wäre fast bereit, hier
eine Initiative auszurufen. Wir als Erwachsene sollten
die Vorbilder für die Kinder sein.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)


Das sollten wir bedenken, wenn wir abends die Pizza be-
stellen und uns nach Hause kommen lassen, wenn wir
das Auto auch für den kleinsten Weg zum Einkaufen
oder dafür nutzen, die Kinder zu irgendeinem Ort zu
transportieren.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)


Wir sind Vorbild, wir müssen Vorbild sein, und wir soll-
ten auch Vorbild sein; denn nur das, was wir vorleben,
wird bei den Kindern als natürlich ankommen. Sie sind
dann auch schneller bereit, es nachzuahmen und sich
ebenfalls körperlich zu betätigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Einen Punkt würde ich gern noch kurz ansprechen,
dass nämlich der Sport nicht nur ein positives Lebensge-
fühl weckt. Eine Studie des Forschungsinstituts zur Zu-
kunft der Arbeit hat festgestellt, dass Jugendliche, die
regelmäßig Sport treiben, auch die besseren Bildungsab-
schlüsse erzielen. Besonders ausgeprägt – das sage ich
jetzt auch als Frau – sei dabei, so die Untersuchung, der
positive Effekt auf Frauen. Frauen würden, gerade wenn
sie sportlich aktiv sind, eher selbstbewusst sein und sich
dem Kampf des täglichen Lebens anders stellen und sich
in Auseinandersetzungen wie bei der Bewerbung um
Lehrstellen anders darstellen. Das ist, wie ich denke, ein
Gender-Aspekt, den man vielleicht nicht unter den Tep-
pich kehren sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können ei-
nem Wort Manfred von Richthofens folgen, der einmal
gesagt hat:

Der Sport kann zwar kein Allheilmittel für alle ge-
sellschaftlichen Krankheitsbilder und Persönlich-
keitsdefizite sein. Aber er kann in großem Ausmaß
dazu beitragen, Probleme zu lösen oder sie gar
nicht erst entstehen zu lassen. Und diese Erkenntnis
muss im Bewusstsein der Öffentlichkeit dauerhaft
verankert werden.

Das können wir tun. Der beste Schritt, mit dem Sie bele-
gen können, dass Sie das tun wollen, ist, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, dem Antrag der Koalition zuzustim-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613612400

Das Wort hat nun Winfried Hermann, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613612500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Alle Rednerinnen und Redner haben da-
rauf hingewiesen, dass es inzwischen sehr eindeutige
Daten auch aus wissenschaftlichen Untersuchungen gibt,
die belegen, dass es in Deutschland zu viele Menschen
gibt, die sich zu wenig bewegen, dass es zu viele überge-
wichtige Kinder und Erwachsene gibt und dass falsche
Ernährungsgewohnheiten verbreitet sind. Darüber be-
steht, wie ich glaube, Konsens.

Ich möchte einmal ein paar paradoxe Sachverhalte
ansprechen, die sozusagen gleichzeitig die andere Seite
der Wahrheit bilden: Es ist doch erstaunlich, dass es
noch nie so viele Mitglieder in Sportvereinen wie heute
gegeben hat. Es hat im Vergleich zu früher noch nie so
viele Sportplätze wie heute gegeben. Hier lässt sich ein
eindeutiger Trend zum Sport feststellen. Es hat noch nie
so viele Menschen gegeben, die sich sportiv kleiden und
auch im Alltag Turnschuhe und T-Shirts tragen. Das
heißt, wir haben neben den oben genannten negativen
Erscheinungen eindeutig einen Megatrend hin zum
Sportiven. Das Gleiche gilt für den Trend zum Gesun-
den: Es hat noch nie so viele Kochsendungen und Koch-
bücher wie heute gegeben und trotzdem so viel Fehl-
ernährung.

Mit der Auflistung dieser paradoxen Sachverhalte
möchte ich darauf hinweisen, dass zwar viele von die-
sem Trend erfasst worden sind, aber zugleich eine große
Gruppe von Menschen nicht erfasst wird. Wir sollten






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
also einmal darüber reden, dass die ganzen Anstrengun-
gen und Aufklärungsbemühungen sowie das Proklamie-
ren von Bewegung als Präventivmaßnahme zumindest
an einem Teil der Bevölkerung vorbeigegangen sind.
Das lässt sich übrigens auch an verschiedenen Gruppen
festmachen. Ganz aktuell liegt die „Berliner Gesund-
heitsstudie“ vor, die im Auftrag des Berliner Senats er-
stellt worden ist. Sie belegt, dass vor allem sozial
Schwächere, weniger Gebildete und Migranten von all
diesen Anstößen und Informationskampagnen nicht er-
fasst werden. Sie sind also ganz eindeutig benachteiligt.

Wenn wir uns heute die Frage stellen, was zu tun ist,
sollten wir den folgenden Grundsatz beherzigen: Eine
allgemeine Kampagne, die dazu auffordert, mehr zu tun,
geht völlig ins Leere. Insofern ist mir ein Punkt im Ko-
alitionsantrag ganz besonders wichtig, nämlich der, wo
darauf hingewiesen wird, dass, wenn wir etwas tun, die-
ses zielgruppenspezifisch, zum Beispiel bezogen auf be-
stimmte Migrantengruppen, und übrigens auch ge-
schlechtsspezifisch gemacht werden muss. Es gibt viele
Vorschläge. Ich kann durchaus sagen, dass eine Reihe
von Vorschlägen, die im Koalitionsantrag stehen, ver-
nünftig sind. Zum Teil sind sie allerdings auch ziemlich
vage und unverbindlich formuliert und haben sozusagen
Prüfcharakter. Wir brauchen nicht nur das Mantra „Wir
müssen endlich etwas tun“, sondern angezeigt ist jetzt
wirklich ein strategischer Ansatz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein wichtiges Element eines strategischen Präventions-
ansatzes ist meines Erachtens das Präventionsgesetz.
Dies ist unabdingbar. Da wir uns während der rot-grünen
Koalition lange Jahre darum bemüht haben, ein Präven-
tionsgesetz auf den Weg zu bringen, wissen wir, wie
schwierig das ist. Am Ende ist es am Widerstand des
Bundesrates gescheitert. Jetzt hat die neue Koalition
wieder einen Anlauf unternommen, aber es liegt immer
noch in den Ministerien. Es gibt immer noch keinen Re-
gierungsentwurf, der ins Parlament eingebracht werden
könnte.


(Detlef Parr [FDP]: Gott sei Dank!)


Das wird aber höchste Zeit. In diesem Bereich gibt es,
Kollege Parr, aus unserer Sicht – diese teilen wahr-
scheinlich die meisten Fraktionen hier – tatsächlich ein
Handlungsdefizit: Es gibt nämlich im Bereich Präven-
tion ein Defizit. Hier wird zu wenig getan. Es gibt zu
wenig Grundlagen.


(Detlef Parr [FDP]: Die Zahlen sprechen doch eine völlig andere Sprache!)


Auch die Finanzierung fällt zu gering aus.

Deshalb schlagen wir in unserem Antrag zu einem
Präventionsgesetz vor, für eine umfassende Prävention
ein Startkapital von mindestens 500 Millionen Euro pro
Jahr bereitzustellen.


(Detlef Parr [FDP]: Wunderbar! Anderer Leute Geld einfach ausgeben! Das ist toll!)


– Kollege Parr, was heißt „einfach ausgeben“? In dieser
Republik werden Jahr für Jahr 250 Milliarden Euro für
die Behandlung von Krankheiten ausgegeben. Dagegen
sind 500 Millionen Euro für Prävention und Gesund-
heitsvorsorge wirklich nicht zu viel, sondern eher zu we-
nig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ihr Einwand, Herr Kollege Parr, ist wirklich lächerlich.
Sie haben doch selber gesagt, man müsse in Gesundheit
investieren;


(Detlef Parr [FDP]: Aber der Einzelne und nicht der Staat!)


denn das rechne sich über viele Jahre gesehen, weil die
Folgekosten geringer ausfallen. Zur Stärkung der Prä-
vention gehört aber eine entsprechende Finanzierung.

Weil Sie immer dazwischenrufen, will ich nebenbei
bemerken: Was Sie für den Sportunterricht fordern, ist
nicht kostenlos zu haben. Auch da muss man investieren.
Tun Sie also nicht so, als könne man Prävention zum
Nulltarif haben.

Zielgruppenorientiert arbeiten heißt für mich, Kinder
und Jugendliche speziell in Schulen, aber auch in der
Freizeit stärker anzusprechen. Wir brauchen vor allen
Dingen unterschichtbezogene Programme und ge-
schlechtsspezifisch angelegte Angebote. Bezogen auf
Migranten müssen wir auch darüber nachdenken, wie
man zum Beispiel Mütter aus Migrantenfamilien in ihrer
Muttersprache ansprechen kann. Das Ganze funktioniert
nämlich nicht, wenn wir sagen, dass sie erst einmal
Deutsch lernen sollen. Wenn wir ein ernsthaftes Inte-
resse an diesen Maßnahmen haben, müssen wir auch an
diesen Punkt denken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es werden Kampagnen vorgeschlagen. Richtig! Wir
brauchen Kampagnen. Aber wir brauchen keine Kampa-
gnen, die nach dem Motto „3 000 Schritte mit Ulla
Schmidt und Du bist gesund“ nur auf öffentliche Auf-
merksamkeit zielen. Diese Kampagne war mehr
Werbung für Ulla Schmidt als für das Gehen von
3 000 Schritten. Zu einer Kampagne gehören neben der
Öffentlichkeitsarbeit auch ein entsprechendes Umfeld,
Weiterbildung, Ausbildung, Konzepte und konkrete
Maßnahmen.


(Dr. Reinhold Hemker [SPD]: Mittlerweile laufen Zigtausende!)


Kampagnen müssen darauf zielen, dass sich etwas
verändert, zum Beispiel in der Stadtpolitik und in der
Verkehrspolitik. Wenn wir heute über Bewegungsman-
gel und über die daraus resultierenden Probleme reden,
dann müssen wir auch feststellen, dass über Jahre, in der
Statistik nachweisbar, der Anteil des Fußgängerverkehrs
und des Radverkehrs stagniert, während es bei den ener-
gieintensiven Verkehren wie ÖPNV und dem motorisier-
ten Individualverkehr Wachstumsraten gibt. Darin liegt
ein großes Problem. Wenn wir wollen, dass Menschen
gesünder leben, dann müssen wir dafür sorgen, dass die
Bewegung im Alltag hinzukommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
Die fußgänger- und bewegungsfreundliche sowie die
spielfreundliche Stadt gehört als Leitbild ins Zentrum
der Kommunalpolitik. Die Kommunalpolitiker müssen
entsprechend handeln. Wir müssen grüne Netze für Fuß-
gänger und Radfahrer entwickeln, damit sie sich gerne
und sicher zur Schule, zur Arbeit und auch zum Bundes-
tag bewegen können. Das sollte nicht von vornherein ei-
nen gefährlichen Ritt darstellen, den man vermeiden
will.

Wir müssen in allen Bereichen etwas tun. Ich sage
ganz klar: Da sind alle politischen Ebenen gefragt. Es ist
eine Aufforderung an den Einzelnen wie auch an die Ge-
sellschaft. Beide sind gefragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613612600

Das Wort hat nun Kollege Peter Danckert, SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1613612700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

Auf ganz leisen Sohlen setzt sich hier die Auffassung
durch, dass es bei diesem Thema einen großen Konsens
und wenig Widerspruch gibt, wobei ich die eine oder an-
dere entgegengesetzte Bemerkung einmal beiseite lasse.
Trotzdem habe ich den Eindruck, dass nicht genug pas-
siert. Dabei ist es so simpel: Sport, Bewegung und ge-
sunde Ernährung sind die Überschriften.


(Dr. Reinhold Hemker [SPD]: Du bist doch selbst ein Vorbild!)


– Das ist ja auch der Grund, weshalb der Koalitionsan-
trag vom 31. Mai 2006 erst heute behandelt wird. Denn
erst jetzt habe ich die Berechtigung, über dieses Thema
zu sprechen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf: Wie viele Kilogramm haben Sie abgenommen?)


– 26 Kilogramm. Das ist schon eine ganze Menge.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhold Hemker [SPD]: Es geht doch!)


Unabhängig von meiner persönlichen Erfahrung, die
selber zu machen ich dem einen oder anderen im Hause
und auf der Regierungsbank nur raten kann, möchte ich
sagen: Es tritt ein ganz erstaunlicher Effekt ein, wenn
man sich gesünder ernährt, sich mehr bewegt und sich
mehr dem Sport zuwendet.


(Ute Kumpf [SPD]: Man wird auch schlauer!)


Sich mehr zu bewegen, ist eigentlich die Voraussetzung
für das Amt des Vorsitzenden des Sportausschusses.
Diese habe ich nun erfüllt.


(Detlef Parr [FDP]: Sportabzeichen!)

– Ich habe im letzten Jahr zweimal das Goldene Sportab-
zeichen gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Präsident Bach hat es mir persönlich überreicht, wie ihr
wisst.

Jetzt einmal jenseits dieser persönlichen Erfahrung:
Was bedeutet es für die Gesundheit, wenn man sich auf
diesem Weg bewegt? Ich will hier nicht ins Detail gehen,
sondern nur sagen: Ich habe vier verschiedene Medika-
mente einnehmen müssen, gegen Bluthochdruck und ge-
gen anderes. Ich bin jetzt medikamentenfrei.


(Ute Kumpf [SPD]: Clean!)


Die Gesundheitsexperten in diesem Haus wissen, dass
man nicht jedes Medikament durch Sport ersetzen kann.
Bei mir ist es aber der Fall gewesen, und ich bin über-
zeugt, dass das bei vielen anderen auch zum Erfolg füh-
ren würde.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Stimmt!)


Ich weiß nicht, wie viel die Medikamente im Monat ge-
kostet haben. Wenn mehr Leute Sport machen würden,
wäre das aber eine große Entlastung für unser Gesund-
heitswesen. Das würde die Kosten, für die die Kranken-
kassen aufkommen müssen, senken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Lassen Sie mich jetzt von dem Persönlichen wegkom-
men. Über dem Ganzen steht die Überschrift „Präven-
tion“. Wir gebrauchen das Wort zwar immer wieder in
verschiedenen Zusammenhängen, sind aber nicht in der
Lage, die Forderung nach besserer Prävention wirklich
umzusetzen. Lieber Detlef Parr, du hast am Schluss dei-
ner Rede den entscheidenden Satz gesagt: Sport ins
Grundgesetz! Deswegen kann ich dir eigentlich alles
verzeihen. Das Thema Prävention ist bei der FDP aber
noch nicht richtig angekommen. Was nutzt denn das
ganze Gerede über die Vorteile von Prävention, wenn es
nicht umgesetzt wird? Da wir über diese Dinge schon
seit Jahren reden, hilft am Ende des Tages möglicher-
weise nur ein Gesetz. Ich hoffe, dass wir das zustande
bringen.


(Detlef Parr [FDP]: Du bist das beste Beispiel für individuelle Lösungen!)


– Ja, weil ich die Kraft gehabt habe, es selbst zu schaf-
fen. Es gibt aber viele, denen man auf dem Weg helfen
muss.

Ich will einen anderen Zusammenhang herstellen;
dieses Thema ist auch sehr wichtig. Ich darf an Klaus
Kinkel, unseren geschätzten Kollegen im Sportaus-
schuss, erinnern, der immer wieder das Thema Schul-
sport angesprochen hat. Klaus Riegert und andere, die
damals im Sportausschuss waren, werden sich daran er-
innern, dass wir eine Anhörung dazu durchgeführt ha-
ben. Das Ergebnis ist mir heute noch so präsent wie da-
mals. Wissenschaftliche Untersuchungen haben belegt,
dass die geistigen Fähigkeiten von Kindern signifikant,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
messbar besser sind, wenn sie sich in der Schule mehr
bewegen. Ich erwähne das vor allen Dingen, um den El-
tern, die immer auf den Unterrichtsausfall achten und sa-
gen: Wenn eine Stunde ausfällt, soll es lieber Sport sein. –
Ich möchte diesen Eltern sagen, wie töricht diese Hal-
tung ist, weil die tägliche Sportstunde in der Schule dazu
führen würde, dass die Kinder nicht nur gesünder wären,
sondern am Ende des Tages auch mehr in der Birne hät-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dadurch würde also ein positiver Effekt eintreten.

Von daher verstehe ich nicht, warum das Folgende
nicht über alle Zuständigkeiten hinweg endlich Allge-
meingut wird: Sport hilft den Kindern im Kindergarten.
Hier können erste Ansätze der Dickleibigkeit und damit
Übergewicht bei Kindern vermieden werden. In der
Schule führt Sport zur Leistungssteigerung, und im Er-
wachsenenalter führt er unter Umständen zu einer Lebens-
verlängerung – das kann man nie ganz genau sagen –, zu-
mindest aber zu einem besseren Lebensgefühl.

Ich frage mich, wie wir das zusammengebunden be-
kommen. Man kann nicht bestreiten, dass wir zur Ge-
nüge darüber reden. Wir müssen das jetzt aber auch ein-
mal in den Griff bekommen, die Zuständigkeiten der
einzelnen Bereiche ohne ideologische Scheuklappen zu-
sammenbinden und sagen: Das ist das, was wir der Öf-
fentlichkeit dazu anbieten.


(Detlef Parr [FDP]: Richtig!)


Ich habe wirklich das Bedürfnis, das hier einmal auszu-
breiten. Ich möchte sagen: Wir sind auf dem richtigen
Weg. Wir haben die Rezepte. Die Stichworte sind be-
kannt. Eberhard Gienger hat gesagt, welche Bedeutung
der Sport hat. Weil ich hin und wieder als Kritiker des
DOSB auftrete, will ich hier auch sagen: Die Programme
„Sport pro Reha“ und „Sport pro Gesundheit“ des DOSB
sind gute Programme. Sie müssten noch stärker verbrei-
tet werden. Auch da sind wir auf einem guten Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Das sind aber immer nur Einzelmaßnahmen.

Weil das Thema Sport in alle gesellschaftlichen Be-
reiche hineinreicht, ist über die Forderung „Sport ins
Grundgesetz“ noch nicht zu Ende diskutiert.

Ich hoffe das jedenfalls. Ich bitte darum, dass wir da
weiter am Ball bleiben.

Das Programm „Soziale Stadt“ kommt auf die Tages-
ordnung, und man fragt sich, was das eigentlich mit
Sport zu tun hat. In dem Programm „Soziale Stadt“ wird
ein ganz wichtiger Akzent gesetzt, nämlich der Ausbau
von Sportstätten in einem sozialen Umfeld, in dem man
es normalerweise nicht erwarten kann oder wo das An-
gebot nicht groß genug ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch das ist ein wichtiger Punkt. Eberhard Gienger hat,
glaube ich, auf den Zusammenhang zwischen sozialen
Problemfeldern, Problemfamilien und Übergewichtig-
keit verwiesen. Das ist leider statistisch nachgewiesen.
Wenn wir da über ein solches Programm wie „Soziale
Stadt“ Abhilfe schaffen können, ist das gut.

Hier wurde von verschiedenen Vorrednern erwähnt,
dass wir für den Ausbau von Sportstätten mehr tun müs-
sen. Ob es nun der „Goldene Plan Ost“ ist oder ein ge-
samtdeutsches Sportstättenförderprogramm, wir leisten
damit einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit der
Menschen. Wir brauchen das Angebot. Wir müssen nicht
nur darüber reden, dass es gut ist, wenn man sich bewegt
und sportlich betätigt, sondern wir müssen auch ein ent-
sprechendes Angebot auf den Tisch legen. Am Ende des
Tages ist das alles ein Unterfall von Prävention. Wenn
wir vorbeugend tätig werden und das Angebot erweitern,
haben wir für unseren Sport und für die Gesundheit et-
was getan.

Ich würde gern – das würde jetzt wohl zu weit führen;
der Präsident würde mich dann sicherlich unterbrechen –
noch etwas zum Stichwort gesunde Ernährung sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, achten Sie einmal ge-
nau darauf, was Sie im Laufe eines Tages in der Hektik
oder auch nicht in der Hektik alles essen. Da kann man
einen Eigenbeitrag leisten.

In diesem Sinne, lieber Detlef Parr, lasst uns gemein-
sam dafür kämpfen, dass Sport in das Grundgesetz auf-
genommen wird. Das ist ein gesamtgesellschaftliches
Thema. Dabei wollen wir eine breite Mehrheit in diesem
Hause haben. Meine Freunde von der Union – Frau
Fischbach, ich fand Ihre Rede wirklich toll; das sage ich
Ihnen ganz offen –, ich bitte auch Sie um Unterstützung
für dieses Anliegen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613612800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses auf Drucksache 16/5339. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
16/1648 mit dem Titel „Sport und Bewegung in Deutsch-
land umfassend fördern – Bewusstsein für gesunde Le-
bensweise stärken“ in der Ausschussfassung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Enthaltung der drei Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/392
mit dem Titel „SPRINT-Studie des Deutschen Sportbun-
des darf nicht folgenlos bleiben – Jetzt bundesweite
Wende im Schulsport einleiten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen bei Enthal-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
tung der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/7744 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Kreditanstalt für Wiederaufbau neu ordnen

– Drucksache 16/6996 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Martin Zeil, FDP-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1613612900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

besteht kein Zweifel: Die Kreditanstalt für Wiederauf-
bau leistet seit vielen Jahren einen unverzichtbaren Bei-
trag für die Förderung des deutschen Mittelstandes. Fest-
zuhalten ist auch: Die riskanten Geschäfte, die die KfW
vermutlich mehr als 5 Milliarden Euro kosten werden,
hat nicht die KfW, sondern die IKB gemacht. Aber die
KfW ist mit einem Anteil von 38 Prozent an der IKB be-
teiligt. Da fragt man sich schon: Wo war denn die Risi-
koabteilung der KfW?


(Beifall bei der FDP)


Wenn wir das Vertrauen in die KfW wiederherstellen
wollen, müssen diese Vorgänge erst einmal lückenlos
aufgeklärt und die Verantwortlichkeiten offengelegt wer-
den.


(Beifall bei der FDP)


Die bisherigen Erläuterungen seitens der KfW und vor
allen Dingen die schleppende und unpräzise Beantwor-
tung unserer Anfragen an die Bundesregierung sind völ-
lig ungenügend.


(Beifall bei der FDP)


Ich sage sehr deutlich, meine Damen und Herren: Es ist
zu einfach, wenn die von KfW und Bundesregierung
entsandten Aufsichtsratsmitglieder so tun, als habe es
keine Auffälligkeiten gegeben. Die Finanzkrise ist ja
keineswegs so überraschend gekommen, wie heute man-
che tun.
Warum hat sich offenbar niemand dafür interessiert,
dass ein IKB-Vorstandsmitglied, das die IKB im
Jahr 2006 verlassen hat, vor den Gefahren der Hypothe-
kenkredite gewarnt hat? Warum haben die in Tochterge-
sellschaften ausgelagerten Aktivitäten in zweistelliger
Milliardenhöhe zu keinem Zeitpunkt nachhaltige Fragen
auslöst? Warum haben die drei renommierten Wirt-
schaftsprüfungsgesellschaften, die im Auftrag der KfW
geprüft haben, nichts gehört und nichts gesehen? Wieso
haben die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat
nicht darauf gedrungen, dass bei Haftpflichtversicherun-
gen ein Selbstbehalt für die Vorstände vereinbart wurde,
obwohl das den Empfehlungen der Regierungskommis-
sion Deutscher Corporate Governance Kodex entspro-
chen hätte?


(Beifall bei der FDP)


Ist das im Juli 2007 gegen unseren Widerstand in die
KfW übertragene ERP-Vermögen wirklich dauerhaft ge-
sichert? Wäre es nicht geboten gewesen, diese Übertra-
gung nach Bekanntwerden der ersten Probleme unver-
züglich zu stoppen?


(Beifall bei der FDP)


Es gibt Fragen über Fragen, aber nur wenige überzeu-
gende Antworten. Dennoch ist dieser Vorgang bezüglich
der IKB nur ein weiterer Anstoß, nicht der alleinige
Grund für unseren Antrag. Jetzt müssen wir parallel zur
Aufarbeitung der IKB-Probleme die nötigen Schritte zur
Neuordnung der KfW einleiten. Die KfW muss endlich
auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückgeführt werden.

Auch wenn die Übernahme der Beteiligung an der
IKB im November 2001 nachvollziehbar war, ist es
nicht Aufgabe einer staatlichen Förderbank, sich an pri-
vaten Banken zu beteiligen.


(Beifall bei der FDP)


Ebenso wenig sollte eine staatliche Förderbank Finanz-
geschäfte machen, von denen Wettbewerber deutscher
Unternehmen profitieren. Es ist deshalb höchste Zeit,
das 2003 abgeschaffte Subsidiaritätsprinzip wieder im
KfW-Gesetz zu verankern. Mit dem Förderauftrag hat es
nichts zu tun, dass der Finanzminister die KfW in den
letzten Jahren mehr und mehr als regierungseigene Bank
betrachtete und sie nutzte, um Aktienpakete eigentlich
privatisierter Staatsunternehmen hin- und herzuschieben
oder aktive Industriepolitik zu betreiben.

Der Finanzminister hat den Vorständen von Banken in
der ihm eigenen Arroganz vorgeworfen, sie seien „der
Komplexität dessen, was sie tun, nicht gewachsen.“


(Zuruf der Abg. Ute Berg [SPD])


– Frau Kollegin, wer die eigenen Finanzaktivitäten trotz
unmittelbarer Aufsicht so wenig im Griff hat, der sollte
dies selbst beherzigen.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb müssen wir als Gesetzgeber dringend dafür sor-
gen, dass die KfW der Aufsicht der BaFin unterstellt
wird.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
Wir müssen vor allem verhindern, dass der Mittelstand
die Zeche für diese nicht wahrgenommenen Verantwort-
lichkeiten zahlen muss.

Schon heute sind infolge dieser Krise eine Verknap-
pung und Verteuerung der Firmenkredite zu spüren.
Ende Dezember letzten Jahres erklärten in einer Um-
frage 20 Prozent der befragten Firmen, dass sie Neuin-
vestitionen aufgrund der restriktiven Kreditvergabe zu-
rückstellen mussten. Das ist für unsere wirtschaftliche
Entwicklung kein gutes Omen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen besonderen
Hinweis zu der von der Bundesregierung losgetretenen
Diskussion über Managergehälter machen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch vorhin Thema!)


Die entlassenen IKB-Vorstände erhielten mit Zustim-
mung der Regierungsvertreter nicht nur bis zum Jahres-
ende ihr volles Gehalt, sondern für das Geschäftsjahr
2006/2007 auch noch Boni in Millionenhöhe. Die Bun-
desregierung ist also – lässt sich hier zusammenfassend
sagen – mitverantwortlich dafür, dass Leute, die Milliar-
den aufs Spiel gesetzt haben, finanziell nicht nur nicht
zur Verantwortung gezogen werden können, sondern
auch noch belohnt werden.

So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit, meine Damen und
Herren. Machen Sie erst einmal in Ihrem eigenen Be-
reich reinen Tisch und folgen Sie unserem Antrag, bevor
Sie mit dem Finger auf andere zeigen!


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613613000

Das Wort hat nun Kollege Leo Dautzenberg, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1613613100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Zeil und meine Damen und Herren der FDP, ich
habe für Sie einmal einen Blick in den Duden geworfen
und eine Redewendung nachgeschlagen, die mir auf Ih-
ren Antrag, über den wir heute beraten, zuzutreffen
scheint, nämlich „das Kind mit dem Bade ausschütten“.
Das heißt, so der Duden wörtlich, „zu radikal vorgehen“,
„übereilt“, im Übereifer „mit dem Schlechten zugleich
auch das Gute verwerfen“. Diesen Eindruck, meine Da-
men und Herren der FDP, kann man beim Lesen Ihres
Antrages in der Tat gewinnen.

Der Ausgangspunkt Ihres Antrages ist die aktuelle
Krise der Deutschen Industriebank und die damit ver-
bundene Einstandspflicht der Kreditanstalt für Wieder-
aufbau, die aus ihrer 38-prozentigen Beteiligung an der
IKB resultiert. Sie kritisieren diese Einstandspflicht für
ein privates Kreditinstitut und fordern, die KfW möge
sich von allen Beteiligungen an privaten Banken tren-
nen. Bei dieser Forderung bleiben Sie nicht stehen, nein,
Sie schütten das Kind mit dem Bade aus und nutzen den
Anlass für eine Art Generalabrechnung mit der aktuellen
KfW-Politik. Sie fordern eine umfassende Reform so-
wohl der Organisationsstruktur als auch der Geschäfts-
modelle der KfW.

Bevor ich zu Ihren Forderungen im Einzelnen inhalt-
lich Stellung nehme, sei mir am Rande eine Bemerkung
zur Form Ihres Antrages erlaubt: Wenn Sie die drei kom-
plexen Sachverhalte in einem solchen Antrag auf, wenn
man von der Begründung einmal absieht, knapp einer
Seite zusammenfassen, dann ist das der Themenstellung
dieser drei zentralen Punkte in keiner Weise angemessen
und von daher fehlgehend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg-Otto Spiller [SPD])


Ihr Antrag umfasst, wie gesagt, zwei Seiten. Sie formu-
lieren Forderungen zum Teil ohne spezifische Begrün-
dung. Dies ist der Sache nicht angemessen.

Ich möchte jetzt auf einige Punkte zu sprechen kom-
men. Ihnen dürfte bekannt sein, dass im Herbst letzten
Jahres auch der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion die
Trennung von der IKB und insbesondere von der IPEX-
Bank, die jetzt selber marktfähig geworden ist, gefordert
hat. Herr Kollege Zeil, Sie haben eben gesagt, dass es
nachvollziehbar war, dass die KfW damals sowohl die
Anteile der Münchener Rück als auch der Allianz über-
nommen hat, sind aber schuldig geblieben, warum das
nachvollziehbar war: nämlich weil der IKB sonst die
Zerschlagung gedroht hätte und es die Funktion einer
vom Bund dominierten Förderbank ist, in solchen Situa-
tionen einzuschreiten und das Phänomen, das drohte, zu
verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dies – das muss man genauso kritisch sagen – ist
selbstverständlich noch keine Begründung für das lange
Festhalten. Die KfW hätte sich in der Tat rechtzeitig vor
dieser Krisensituation, nach der Umstrukturierung, von
dieser Beteiligung trennen können. Mittelfristig ist es
ordnungspolitisch vollkommen richtig, dass sich die
KfW von ihren Beteiligungen an IKB und IPEX-Bank
trennt; das hat, wie gesagt, auch unser Fraktionsvorstand
schon beschlossen.

In der aktuellen Situation von einem Verkauf der An-
teile zu reden und dies auch zu fordern, ist nicht nur un-
verantwortlich, diese Forderung ist auch praktisch nicht
umsetzbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Martin Zeil [FDP]: Das macht doch der Finanzminister!)


– Herr Kollege Zeil, wir alle wissen, dass der korrigierte
Jahresabschluss 2006/2007 der IKB sowie die Zahlen
zum dritten und vierten Quartal bedauerlicherweise im-
mer noch nicht vorliegen. Solange diese Grundlagen für
die Due Diligence und all diese Prozesse, die man im
Anbieterverfahren vollziehen muss, nicht vorliegen, ent-
behrt Ihre Forderung wirklich jeder Realität.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das kommt ja auch erst einmal in den Ausschuss!)







(A) (C)



(B) (D)


Leo Dautzenberg
Kommen wir zu Ihrer zweiten Forderung, nämlich die
KfW der Bankenaufsicht und damit dem KWG zu unter-
stellen, um, wie Sie sagen, eine bessere Kontrolle der
Tätigkeit sicherzustellen.

Auch innerhalb der Union gibt es Stimmen, die an der
Umsetzung einer solchen Forderung durchaus interes-
siert sind


(Frank Schäffler [FDP]: Es gibt auch ein paar vernünftige! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Starke Leute!)


und die die Effektivität der Aufsicht erhöhen wollen.


(Ute Berg [SPD]: Durch die BaFin?)


Allerdings ist es sehr fraglich, ob die Unterstellung unter
das Kreditwesengesetz dafür der richtige Weg ist. Damit
würde die KfW auch unter den Anwendungsbereich der
Großkredit- und Millionenkreditverordnung fallen, was
ihre Fördertätigkeit erheblich einschränken würde. Be-
troffen wären davon auch Globaldarlehen an Banken,
nämlich an die, mit denen sie angeblich im Wettbewerb
steht. Das kann nicht im Interesse unseres Staates sein.

Meine Damen und Herren der FDP, Ihr Interesse an
einer Unterstellung der KfW unter das KWG ist nicht
nachvollziehbar. Einerseits fordern Sie – das haben Sie
ja eben schon betont –, sie möge kein Geschäft betrei-
ben, das ebenso gut von der Kreditwirtschaft wahrge-
nommen werden könnte, andererseits soll die KfW auf-
sichtsrechtlich aber genauso behandelt werden wie
Kreditinstitute. Das ist an sich schon ein Widerspruch.


(Martin Zeil [FDP]: Es geht um die Aufsicht!)


In Ihrem allzu knappen Antrag versuchen Sie auch nicht,
diesen aufzulösen.

Sie sagen, dass keine banküblichen Geschäfte, wie sie
die Kreditwirtschaft tätigt, betrieben werden. Das ist ge-
rade der Grund, warum die anderen unter der Aufsicht
der BaFin stehen. Wenn sie aber ein Spezialinstitut als
Förderinstitut ist, dann ist der Tatbestand der Unterstel-
lung unter das KWG in keiner Weise gegeben.

Sie versuchen hier, den Eindruck zu erwecken, als
stünde die aktuelle KfW-Politik in sämtlichen Bereichen
im diametralen Gegensatz zu ordnungspolitischen Prin-
zipien.


(Martin Zeil [FDP]: Nicht sämtliche!)


Damit Sie mich nicht falsch verstehen, eines vorweg:
Die Union ist ebenfalls daran interessiert, dass die KfW
beim normalen Geschäft nicht in Konkurrenz zu den an-
deren Kreditinstituten tritt. Im Gegensatz zur FDP er-
kennen wir aber auch die ordnungspolitische Funktion
der KfW an. Diese Funktion besteht für uns vor allem
darin, Marktprozesse in Gang zu setzen, strukturpoli-
tisch gewünschte Entwicklungen zu beschleunigen, In-
novationspotenzial zu mobilisieren und sich in den Be-
reichen zu engagieren, in denen der Markt nicht die
gewünschten Ergebnisse erreicht – vor allem im Bereich
der Mittelstandsfinanzierung.


(Martin Zeil [FDP]: Ja, genau das steht in unserem Antrag!)

Diese Forderungen beinhalten ein Subsidiaritätsprin-
zip, sodass man das nicht noch einmal ausdrücklich be-
tonen muss. Unter Berücksichtigung dieser Funktion der
KfW ist der Frontalangriff der FDP auf sämtliche Ge-
schäftsaktivitäten der KfW nicht verständlich und zu
weitgehend.


(Beifall des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU] – Martin Zeil [FDP]: Das steht doch gar nicht darin!)


Kommen wir zur letzten Forderung der FDP in ihrem
Antrag, nämlich der Forderung nach einer Reform der
Organisationsstruktur. Meine Damen und Herren der
FDP, Sie fordern in diesem Zusammenhang eine deutli-
che Verkleinerung des Verwaltungsrates, eine Besetzung
des Verwaltungsrates mit Personen von hoher Fachkom-
petenz und die Einrichtung eines Beirates, über den die
politische Interessenvertretung erfolgt.

Grundsätzlich sind wir in der Fraktion durchaus der
Ansicht, dass die Kontrolle des Verwaltungsrates über
die KfW verbesserungsfähig ist und effizienter gestaltet
werden könnte und sollte.


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Wir stimmen darin überein, dass Verbesserungen vor al-
len Dingen durch organisatorische Veränderungen, wie
zum Beispiel die Verkleinerung des Verwaltungsrates, zu
erreichen sein dürften.

Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass dieser
Punkt zu wichtig ist, um als ein Unterpunkt in einem An-
trag abgehandelt zu werden.

Die Neuordnung des Verwaltungsrates sollte in Ab-
sprache mit den beteiligten Parlaments- und Ministe-
riumsmitgliedern erfolgen und nicht in Form von Tisch-
vorlagen. Gerne kann auch der Vertreter der FDP im
Verwaltungsrat dazu beitragen, dass die Verkleinerung
effizienter gestaltet wird.

Unabhängig vom konkreten Umfang der Verkleine-
rung des Verwaltungsrates muss allerdings klar sein:
Grundsätzlich muss das Parlament weiterhin in ange-
messener Form beteiligt werden.


(Martin Zeil [FDP]: Unbestritten!)


Dafür wird sich meine Fraktion einsetzen.

Abschließend komme ich noch einmal auf meine Ein-
gangsbemerkung zurück: Wir möchten nicht durch eine
pauschale Ablehnung Ihres Antrags das Kind mit dem
Bade ausschütten, sondern ihn im Ausschuss in ange-
messener Form weiter beraten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Herzlichen Dank!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613613200

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Koppelin das Wort.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1613613300

Herr Kollege Dautzenberg, ich bin über Ihren Beitrag

mehr als erstaunt. Über 1 Milliarde Euro wurden in den
Sand gesetzt, verpulvert, der Risikofonds der KfW ist
mit über 5 Milliarden Euro völlig ausgeschöpft, und die
KfW erhöht von heute auf morgen ihren Anteil an der
IKB durch eine Wandelschuldverschreibung von 38 Pro-
zent auf 43 Prozent. Wir müssen alles daran setzen – das
ist eine Aussage des Bundesfinanzministers –, dass die
Krise der IKB nicht zu einer Krise der KfW wird. Das ist
alles nicht ganz unwichtig.

Sie aber nehmen nur den FDP-Antrag auseinander.
Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Mich hat aber erstaunt,
dass Sie als Mitglied einer so großen Regierungsfraktion
in der augenblicklichen Situation nicht eine Alternative
anbieten. Wo sind denn Ihre Vorschläge? Sie mögen ja
sagen, dass die Vorschläge der FDP Ihnen nicht reichen,
oder finden, dass sie nicht in Ordnung sind. Aber wo
sind Ihre Vorschläge? Mein Eindruck von Ihrem Rede-
beitrag ist gewesen, dass Sie nach dem Motto „Augen zu
und durch“ auf bessere Zeiten, in denen vielleicht alles
wieder gut wird, hoffen.

So geht es nicht. Der Bund ist mit 80 Prozent an der
KfW beteiligt. Darum ist es Aufgabe des Deutschen
Bundestages, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Deswegen haben wir diesen Antrag eingebracht. Wir
sind der Meinung, dass wir als Bundestag jetzt auch des-
halb gefragt sind, weil die Bundesregierung in keiner
Weise gehandelt hat. Deshalb finde ich Ihren Redebei-
trag – bei aller Wertschätzung für Sie selbst – sehr be-
dauerlich. Denn Sie wissen es eigentlich besser. Sie hät-
ten heute eine andere Rede halten müssen, als nur den
FDP-Antrag auseinanderzunehmen. Kommen Sie bitte
mit Ihren eigenen Vorschlägen! Aber es kommen ja noch
Redner von Ihrer Fraktion, die das nachholen können.
Ich will keine Krise herbeireden, aber die Lage ist auch
für die KfW sehr ernst.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613613400

Kollege Dautzenberg.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1613613500

Herr Kollege Kubicki,


(Zurufe von der FDP: Koppelin!)


– Entschuldigung: Herr Koppelin. Aber Schleswig-Hol-
stein war schon die richtige Orientierung und auch Ihre
Spontaneität ist vergleichbar.

Wenn ich die Ausführungen Ihrer Kurzintervention
bewerte, muss ich feststellen, dass Sie bei meinem Rede-
beitrag nicht aufmerksam zugehört haben. Es ging nicht
um ein – wie Sie sagen – Abbügeln des FDP-Antrages.
Ich hoffe, dass ich konstruktiv auf einige Vorstellungen
eingegangen bin, denen ich etwas abgewinnen kann. Ge-
nerell warne ich aber vor Schnellschüssen. Die Forde-
rung nach Verkauf der IKB bringt in der jetzigen Situa-
tion nichts.

(Martin Zeil [FDP]: Was auch so nicht im Antrag steht!)


Vielmehr muss sie sich erst konsolidieren.

Das könnte man auch so zum Ausdruck bringen. Aber
wenn man auf einer einzigen Seite versucht, drei zen-
trale Bereiche in einem Schnellschuss darzustellen, um
politisch gewisse Eindrücke zu erzeugen, ist das proble-
matisch. Sie können davon ausgehen, dass wir in unserer
Fraktion die wichtigen Punkte in angemessener Form
beraten werden. Deshalb habe ich gesagt, dass wir uns
im Ausschuss damit beschäftigen werden.

Sie stellen manche Punkte so dar, als würden wir
nicht darauf eingehen. Ich sage Ihnen aber noch etwas zu
dem Widerspruch in Ihrem Antrag: Wenn Sie keinen
Wettbewerb zwischen der KfW und den Banken zulas-
sen wollen, dann bleibt die KfW nach wie vor ein Spe-
zialinstitut. Dann brauchen Sie sie auch nicht unter die
Aufsicht der BaFin zu stellen. Wenn Sie weiterhin Glo-
baldarlehen wollen, wovon auch die Kreditwirtschaft
und alle anderen Institute profitieren, dann können Sie
die KfW nicht der BaFin unterstellen, weil sonst die
Großkreditverordnung gelten würde und damit solche
Darlehensformen nicht zulässig wären.

Platzhaltergeschäfte sind auch dann sinnvoll – darin
stimmen Sie mir hoffentlich zu –, wenn es zur Markt-
überforderung kommt und Eigentum des Bundes am
Markt platziert werden soll. Man sollte das nicht in ei-
nem Schritt, sondern durchaus in Tranchen vollziehen,
um auch für den Bund Erträge zu erreichen. Solche
Platzhaltergeschäfte wären in der normalen Kreditwirt-
schaft nicht möglich, weil dabei Eigenkapital gebunden
würde, was wiederum aufsichtsrelevant wäre.

Insofern müssen Sie sich entscheiden, ob Sie die KfW
unter Aufsicht stellen wollen. Dann wären manche Ge-
schäfte, die ihr jetzt als Bundesförderbank möglich sind,
nicht mehr möglich.

Mit diesen Widersprüchen können wir uns gerne im
Ausschuss beschäftigen. Ich warne davor, mit Schnell-
schüssen den Eindruck zu erwecken, dass man dadurch
die Situation in manchen Bereichen des Kredit- und
Finanzmarkts heilen kann. Dies ist nur durch konkrete
und richtige Beschlüsse und ein entsprechendes Vorge-
hen möglich. Darüber sollte man tunlichst nicht immer
in der Öffentlichkeit diskutieren, sondern in den zustän-
digen Gremien.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613613600

Das Wort hat nun Herbert Schui, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613613700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fra-

gen von Herrn Zeil sind völlig richtig gestellt. Ich könnte
sie noch um einige Punkte ergänzen. Wir brauchen eine
ordnungsgemäße Aufklärung über die jüngere Ge-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herbert Schui
schichte der IKB und vor allen Dingen der KfW. Das
steht völlig außer Frage.


(Beifall bei der LINKEN)


Man muss aber auch fragen, was zu tun gewesen
wäre, wenn die IKB in die Pleite geraten würde. Kann
man das einfach laufen lassen? Wer legitimiert ist, Ge-
winn zu machen, ist schließlich auch verpflichtet, Ver-
luste zu tragen. Solange nur ein einzelnes Unternehmen
über den Deister geht, ist das in Ordnung, aber für den
Fall, dass es eine Bankenkrise auslöst, muss man sich et-
was einfallen lassen. Es reicht nicht aus, rigoros den Ver-
kauf der IKB-Anteile zu fordern; man muss vielmehr
einen Plan haben, wie das Finanzministerium, die Zen-
tralbank und die große öffentliche Bank KfW in Fällen
von allgemeinen Bankenkrisen tätig werden sollen. Das
ist wiederum ein Riesenproblem. Denn wenn man diesen
Plan veröffentlicht, nachdem man ihn geschmiedet hat,
dann hat das zur Folge, dass sich der private Bankensek-
tor auf den Staat als denjenigen verlässt, der das Risiko
trägt, und noch waghalsigere Geschäfte eingeht. Darüber
muss sehr intensiv nachgedacht werden.

Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen,
nämlich das Subsidiaritätsprinzip, dessen Einführung die
FDP fordert. Das wäre ein Anlass, darüber zu philoso-
phieren, woher der Subsidiaritätsgedanke stammt.


(Martin Zeil [FDP]: Das steht im EUVerfassungsentwurf!)


Thomas von Aquin hat sich in seiner Staatstheorie im
hohen Mittelalter mit diesem Begriff befasst, der nun für
das profane Bankgeschäft trivialisiert wird. Darauf gehe
ich aber jetzt nicht näher ein.

Ich bin gegen die Einführung des Subsidiaritätsprin-
zips in dem Sinne, dass im Falle eines Marktversagens
der öffentliche Bankensektor einspringen soll, und zwar
aus folgendem Grund: Wir brauchen bestimmte Berei-
che, in denen ein öffentlicher Bankensektor in Wettbe-
werb zu den privaten Banken tritt. Das ist außerordent-
lich wichtig.

Ich will dazu ein Beispiel anführen. Frankreich und
Deutschland haben einen recht großen öffentlichen Ban-
kensektor. In Deutschland gibt es die Sparkassen und die
Postsparkassen, in Frankreich die Caisse des Dépôts et
Consignations, die unserer KfW entspricht. Die Zins-
spanne beträgt in Frankreich und Deutschland etwas
über 1 Prozentpunkt, in Großbritannien 1,75 und in den
USA 3,5 Prozentpunkte. Je kleiner der öffentliche Ban-
kensektor ist, desto höher ist also die Zinsspanne. Die
Zahlen sind auf das Geschäftsvolumen bezogen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das wird etwas mit Wettbewerb zu tun haben!)


– Ja, das ist mein Argument. Der öffentliche Sektor för-
dert den Wettbewerb. Dann kommt es zu einer niedrige-
ren Zinsspanne. Das ist wichtig für den gesamten real-
wirtschaftlichen Sektor, weil niedrige Kreditkosten im
Allgemeinen ein gutes struktur- und industriepolitisches
Instrument sind.
Mehr Wettbewerb führt darüber hinaus dazu, dass die
Gebühren für Konten und andere Dienste nicht zu hoch
sind. Es käme also darauf an, nicht nur die KfW neu zu
organisieren, sondern dem gesamten öffentlichen Ban-
kensektor eine einheitliche Struktur zu geben, das heißt,
eine Verbindung zwischen der KfW, den Landesbanken
und den Sparkassen zu schaffen. Wie genau das gesche-
hen soll, darüber muss intensiv nachgedacht werden.
Das lässt sich nicht in drei Worten umreißen. So viel
dazu.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, nicht nur für
mehr Wettbewerb im gesamten Bankenbereich zu sorgen.
Vielmehr muss der öffentliche Sektor ein konkretes In-
strument in der Hand haben, das geeignet ist, Strukturpo-
litik zu betreiben. Bei einer Neustrukturierung muss man
darauf achten, dass der öffentliche Bankensektor nicht
Zugang zu allen Geschäften hat. Das richtet sich sicher-
lich gegen das Interesse so manchen Sparkassenleiters,
der meint, dass er den Marschallstab im Tornister hat, und
der sich gelegentlich Videos von Herrn Ackermann an-
schaut. Aber an solchen Leuten dürfen wir uns nicht ori-
entieren.

Ich stimme der FDP in ihrer Forderung voll zu, den
Verwaltungsrat zu verkleinern. Bei der Auswahl der Per-
sonen muss man allerdings Acht geben. Es sollten Fach-
leute sein; so viel ist klar. Es darf kein zusammengewür-
felter Verwaltungsrat sein. Es sollten aber keine
Fachleute aus dem privaten Bankensektor sein, die man
sich entliehen hat und die bereits sechs Aufsichtsratspos-
ten gesammelt haben und nun den siebten anstreben. Sie
könnten beispielsweise von der Bundesbank kommen,
also aus einem Milieu, in dem sich Sachverstand mit ei-
ner gewissen Neutralität paart. Nur so kann man Förder-
politik betreiben.

Letzter Punkt. Ein Beirat für die politische Interessen-
vertretung ist die Lösung. Hier muss darüber debattiert
werden, wer für die Besetzung des Beirates zuständig ist.
Der Beirat sollte die Kompetenzen haben, die ihm das
Parlament überträgt, oder der Beirat sollte – unter Hin-
zuziehung weiterer Personen – unmittelbar aus dem Par-
lament entstammen; das halte ich für die bessere Lö-
sung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613613800

Das Wort hat nun Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1613613900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die FDP wirft Nebelkerzen. Jahrelang haben
uns die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Bundestags-
fraktion erklärt, alles Übel an wirtschaftlicher Fehlent-
wicklung habe nur eine Quelle, nämlich ein Übermaß an
staatlicher Regulierung.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So simpel haben wir das nie gesagt!)


– Herr Thiele, Sie haben uns immer gesagt, alles, was
gut sei, könne nur durch absolute Freiheit des Marktes
kommen. Das haben Sie immer gepredigt, Herr Thiele.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Von Ihnen habe ich nie etwas gehört, Herr Zeil. Ver-
zeihen Sie, dass ich zumindest nichts in Erinnerung
habe.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613614000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Thiele?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1613614100

Sehr gerne.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1613614200

Herr Kollege Spiller, wir arbeiten schon länger im Fi-

nanzausschuss zusammen. Sie können in den Protokol-
len nachlesen, dass ich immer erklärt habe, dass der Fi-
nanzmarkt ein reguliertes Element ist. Dort gibt es nicht
nur freie Marktwirtschaft. Vielmehr brauchen wir im In-
teresse des Finanzplatzes Regulierung in der Finanz-
branche. Dazu habe ich mich immer bekannt. Das halte
ich für notwendig. Es ist nur erstaunlich, dass Regulie-
rung in diesem Fall gar nicht das Problem darstellt. Viel-
mehr sind die Probleme in den Unternehmen entstanden,
in denen die öffentliche Hand die Mehrheit hat. Das ist
aber etwas anderes als das, was Sie uns unterstellen;
denn die Regulierung ist da. Sie muss funktionieren. Da-
für kämpfen wir und setzen wir uns weiter ein. Was Sie
uns unterstellen, haben wir aber nie gesagt. Deshalb
wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie selbst das korrigier-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1613614300

Herr Thiele, es freut mich sehr, dass Sie inzwischen

zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Aber früher haben
Sie das anders dargestellt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Oh nein!)


Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen zeigen, dass Sie sich
bei früheren Gelegenheiten im Finanzausschuss oder im
Plenum – das gilt auch für die Finanzmärkte – für weni-
ger Regulierung und für ein höheres Maß an Freiheit
ausgesprochen haben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Für weniger, ja!)


Was Ihre Bemerkung angeht, es handele sich vor al-
lem um Banken mit staatlicher Beteiligung oder um
reine Staatsbanken, die bei diesem Zocken vornan stan-
den, sage ich Ihnen einmal, wer in Europa das größte
Spiel betrieben hat: Das war die größte Schweizer Bank,
die UBS,


(Frank Schäffler [FDP]: Die ist aber nicht pleite!)

die vor wenigen Wochen einen Abschreibungsbedarf
von 14,4 Milliarden Dollar angemeldet hat. Da ist sozu-
sagen der liberale Geist voll zum Tragen gekommen.


(Beifall bei der SPD)


Was sagt die FDP dazu? Haben Sie ein Wort über das
Entstehen dieser Finanzmarktkrise gesagt? Nichts!


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Doch!)


Sie haben sich nur über die Institution ausgelassen, die
Schadensbegrenzung betrieben hat, nämlich die Kredit-
anstalt für Wiederaufbau.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Frau Matthäus-Maier sagt dasselbe!)


Es ist absolut unehrlich und absolut inadäquat, bei dieser
Finanzmarktkrise über die Feuerwehr zu reden, nicht
aber über diejenigen, die gezündelt haben.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: 5 Milliarden!)


Bei der Aufbereitung dieser Finanzmarktkrise müssen
wir uns auf die Frage konzentrieren, wie wir ein besseres
System von innerer Kontrolle in den Unternehmen errei-
chen können und wie wir die Bankenaufsicht, die von
der Deutschen Bundesbank und der BAFin ausgeübt
wird, stärken können. Aber es fängt bei den Unterneh-
men selbst an. Zu den Unternehmen selbst gehört auch
das Hilfsorgan des Aufsichtsrats, nämlich die Wirt-
schaftsprüfer.

Ich möchte Ihnen einmal einen Satz aus dem Bestäti-
gungsvermerk des Abschlussprüfers der IKB vorlesen.
Die IKB hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Ge-
schäftsjahr, das am 31. März endet. Deswegen hat der
Wirtschaftsprüfer seinen Prüfungsvermerk Anfang Juni
vorgelegt. Der letzte Satz dieses Vermerks lautet wie
folgt:

Der Konzernlagebericht steht im Einklang mit dem
Konzernabschluss, vermittelt insgesamt ein zutref-
fendes Bild von der Lage des Konzerns und stellt
die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwick-
lung zutreffend dar.

Düsseldorf, den 4. Juni 2007

KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft

Dann folgen die Namen der beiden Wirtschaftsprüfer.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613614400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schick von den Grünen?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1613614500

Ja, gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Spiller, Herr Zeil hat am Ende seiner Rede die
Frage aufgeworfen, wie zu bewerten sei, dass der Vertre-
ter der Bundesregierung entsprechende Zahlungen an
den IKB-Vorstand, der abtreten musste, unterstützt hat.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
Ich wäre dankbar, wenn Sie darauf noch eingehen könn-
ten.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1613614600

Ihre Frage knüpft nicht unmittelbar an das an, was ich

gerade sagte. Ich weiß nicht, ob Sie davon ablenken wol-
len. Ich will zu Ihrer Frage nachher gern etwas sagen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Die Frage ist gut!)


Zuvor will ich auf das zurückkommen, von dem Sie jetzt
wohl ablenken wollten.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will nicht ablenken!)


Die Wirtschaftsprüfer – nicht irgendwer, sondern
hochrenommierte Wirtschaftsprüfer – bescheinigen dem
Vorstand der Industriekreditbank, alle Risiken seien or-
dentlich erfasst und ausgewiesen worden. Daher stellt
sich natürlich schon die Frage, ob wir uns angesichts des
heute gegebenen rechtlichen Rahmens, was die Haftung
von Wirtschaftsprüfern und möglicherweise auch die Bi-
lanzvorschriften angeht, einfach zurücklehnen und sagen
können, wir beschäftigen uns lieber mit Nebenkriegs-
schauplätzen, reden über die Institution, die den Schaden
begrenzt hat, und mäkeln an der Institution, die den
Schaden begrenzt hat, der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau, herum. Vielmehr müssen wir doch fragen, wie wir
die Risikokontrolle, das Risikomanagement in den Griff
bekommen. Sie haben hier eine verwirrende Debatte an-
gestoßen. Wir werden Ihnen aber nicht erlauben, dass
wir die Debatte im Deutschen Bundestag nur darüber
führen.

Zu Ihrer konkreten Frage, Herr Kollege: Ich weiß
nicht, was die Ursache dafür war. Ich halte es nicht für
überzeugend, dass ein Manager, der so offenkundig ver-
sagt hat, unter so fürstlichen Bedingungen seinen Hut
nehmen kann. Ich fand das nicht in Ordnung, ich kenne
aber nicht die Verträge. Ich weiß nicht, welche Verträge
vorliegen. Ich finde das unbefriedigend.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte gerne noch einige Bemerkungen zu dem
Antrag selbst machen. Mich überzeugt überhaupt nicht,
dass Sie jetzt so tun, als wäre die Nichtunterstellung der
Kreditanstalt für Wiederaufbau unter die Aufsicht der
BaFin ein Problem. Das verstehe ich überhaupt nicht.
Das hat mit der Finanzmarktkrise wirklich null zu tun.


(Martin Zeil [FDP]: Habe ich auch nicht behauptet!)


– Warum schreiben Sie das denn hinein?


(Heiterkeit bei der SPD – Martin Zeil [FDP]: Es geht um die Neuordnung insgesamt!)


Sie taten so, als hätte der Antrag irgendeinen Anlass.
Wenn er keinen hat, dann war das nur ein Jux. Ich
möchte das doch etwas ernsthafter betrieben wissen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Kollege Dautzenberg hat schon darauf hingewie-
sen, dass die Unterstellung unter die Aufsicht der BaFin
heißt, dass natürlich das Kreditwesengesetz voll ange-
wendet werden muss. Dann können Sie sich allerdings
von dem größten Teil des Fördergeschäfts verabschie-
den. Es wird dann auch nicht mehr möglich sein, dass
die Kreditanstalt für Wiederaufbau in dem Maße und in
der Art wie bisher in der Entwicklungszusammenarbeit
die Funktion, die ihr das Parlament übertragen hat, aus-
füllt. Das passt einfach nicht zusammen.

Natürlich muss man darüber nachdenken, in welchem
Umfang eine Beteiligung an privaten Banken erforder-
lich ist. Ich glaube, dass man diese Beteiligung an der
IKB nicht auf Dauer halten muss. Allerdings war es so:
Die KfW hat sich nicht danach gedrängt. Das hat Herr
Dautzenberg schon vorhin angedeutet. Im Übrigen ist
der Einstieg Mitte der 80er-Jahre erfolgt. Damals hat die
FDP den Bundeswirtschaftsminister gestellt. Die FDP
hat auch den Bundeswirtschaftsminister gestellt,


(Frank Schäffler [FDP]: Da ging es dem Land noch gut!)


als die KfW im Rahmen der Privatisierung der Postnach-
folgeunternehmen zunächst einmal einen großen Teil der
Aktien, die dem Bund gehörten, aufgenommen hat. Das
geschah mit Beteiligung des FDP-Bundeswirtschaftsmi-
nisters. Da dürfen Sie sich nicht einfach davonstehlen.

Letzte Bemerkung: Über eines müssen wir sorgfältig
nachdenken. Sie sagen, die KfW soll nicht mehr kom-
merzielle Kreditfinanzierungen übernehmen. Diese Ak-
tivitäten sind jetzt aus Wettbewerbsgründen ausgeglie-
dert und in der IPEX zusammengefasst worden. Für
diese Kreditfinanzierungen gelten kommerzielle Kondi-
tionen. Das ist der einzige Zweig der Geschäftstätigkeit
der KfW, in dem die KfW Jahr für Jahr saubere Gewinne
erwirtschaftet.


(Frank Schäffler [FDP]: Das war bei der IKB auch so! Saubere Gewinne jahrelang!)


– Nein, Herr Schäffler.


(Frank Schäffler [FDP]: Wer garantiert Ihnen, dass das bei der KfW nicht auch so ist? Die Besetzung des Verwaltungsrats?)


Die IPEX macht ihre Geschäfte insbesondere mit der
Exportfinanzierung, die von der KfW seit langem mit
sehr viel Erfolg und gewinnbringend betrieben wird.
Wenn sie das nicht mehr machen kann und sie keine Er-
träge mehr erwirtschaften kann, wird die Fördertätigkeit
bei der Mittelstandsfinanzierung entweder eingeschränkt
werden müssen oder der Deutsche Bundestag muss ihr
Mittel dafür bewilligen.

Das Kurze vom Langen ist: Ihr Antrag liegt völlig da-
neben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613614700

Ich erteile das Wort nun Kollegen Gerhard Schick,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(B) (D)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er-
lauben Sie mir die Eingangsbemerkung: Ich finde, das
ist eine ziemlich schräge Debatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, dass weder die Finanzmarktkrise noch die
KfW eine solche schräge Debatte verdient haben. Die
KfW ist eine durchaus erfolgreiche Förderbank, zu gro-
ßen Teilen im Besitz des Bundes. Wenn Sie einen Antrag
zur Zukunft der KfW stellen, dann sollten Sie die
schwierige Abwägung zwischen dem, was eine solche
öffentliche Förderbank im staatlichen Auftrag macht,
und dem, was man Privaten überlassen soll, wirklich be-
gründen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne Begründung einfach so en passant zu fordern,
die IKB vollständig zu privatisieren – man leitet diese
Forderung sozusagen ideologisch ab –, und das nach ei-
nem Jahr, in dem die KfW eine erfolgreiche Förderpoli-
tik und Mittelstandsfinanzierung in einem großen Aus-
maß betrieben hat – Sie sagen immer wieder, man müsse
etwas für den Mittelstand tun –, das passt nicht. Auf die
Finanzmarktkrise, die natürlich auch private Banken und
damit die IKB erfasst hat, in dieser Form zu reagieren,
ist völlig zu kurz gegriffen.

Wir sollten uns die Sache separat vornehmen und mit
mehr Gründlichkeit vorgehen. Das, was Sie hier zusam-
mengeschustert haben, gibt keine Antworten auf die ver-
schiedenen Fragen. Ich finde es nicht zufriedenstellend.

Was ich gut fand, war die Kurzintervention des Kolle-
gen Koppelin. Sie war ein Fingerzeig auf ein entschei-
dendes Defizit bei der Großen Koalition. Ich finde, das
sollte für unsere weiteren Debatten im Ausschuss wie
auch hier im Plenum eine Rolle spielen. Es gibt bisher
nämlich keine Reaktion der Großen Koalition auf die
Finanzmarktkrise, durch die klar würde, was wir jetzt
auf den verschiedenen Ebenen machen und wie das alles
zusammenpasst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nachdem diese Krise seit einigen Monaten in diesem
Land herrscht, ist es Zeit, dass diese Regierung einmal
eine Analyse vorlegt, aus der hervorgeht, was eigentlich
passiert ist, und in der dargestellt wird, wie wir reagie-
ren, und zwar nicht nur international – auf dieser Ebene
gibt es durchaus ein paar gute Initiativen –, sondern auch
als nationaler Gesetzgeber, dem die Verwaltung unter-
steht. Das Einzige, was bisher vorliegt, ist der Entwurf
eines Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetzes, über
das Sie sich aber immer noch nicht verständigt haben.
Ansonsten gibt es keine Perspektive, wohin die Reise
geht.

Der FDP-Antrag enthält einen richtigen Punkt – Herr
Spiller hat ihn aufgegriffen –: Natürlich muss die Frage
beantwortet werden, wie das Controlling in öffentlichen
Unternehmen eigentlich aussieht. Wir müssen schon
feststellen: Die Fälle IKB und Sachsen LB müssen uns
ein Lehrstück sein. Gerade dann, wenn mit öffentlichem
Geld gewirtschaftet wird, muss das Controlling natürlich
optimal sein. Deswegen können wir mit dem Vorschlag,
den Verwaltungsrat zu verkleinern – muss im Verwal-
tungsrat wirklich jeder Verband vertreten sein? –, durch-
aus etwas anfangen.

Die zentrale Botschaft, die von dieser Debatte ausge-
hen sollte, ist: Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, bitte, geschätzte Bundesregie-
rung, legen Sie einmal eine Antwort vor. Dann werden
wir diese Vorschläge systematisch und nicht in so einer
schrägen Debatte, wie die, die die FDP heute ausgelöst
hat, bewerten. Ich glaube, das haben die Bürgerinnen
und Bürger, die einen Teil der Effekte dieser Krise zu
tragen haben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und auch die Unternehmerinnen und Unternehmer, die
ebenfalls einen Teil dieser Effekte zu tragen haben, wirk-
lich verdient.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1613614800

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion, das Wort.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand da von der Regierung!)



Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1613614900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

hatten im Wirtschaftsausschuss im letzten Monat die Ge-
legenheit, mit der Vorstandsvorsitzenden der KfW aus-
führlich über die Situation, die sich aus der IKB-Krise
ergeben hat, zu diskutieren. Herr Zeil, wenn ich es nicht
besser gewusst hätte, würde ich sagen: Sie sind nicht da-
bei gewesen.


(Martin Zeil [FDP]: Doch!)


Denn all das, was Sie jetzt angesprochen haben, haben
Sie auch damals angesprochen.


(Klaus Barthel [SPD]: Ignorant!)


Sie haben Äußerungen von Frau Matthäus-Maier gehört,
die eigentlich sehr überzeugend waren. Dennoch tragen
Sie wieder gebetsmühlenartig dasselbe wie damals vor.

Ich finde, jedenfalls am Ende der Sitzung war allen,
die gut zugehört hatten, klar: Die KfW ist nicht das Pro-
blem, sondern sie trägt ganz entscheidend zur Lösung
des Problems bei.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gemeinsam mit den Verbänden der Kreditwirtschaft hat
sie mit insgesamt 4,8 Milliarden Euro die Vorsorge für
Risiken der IKB übernommen. Sie hat damit – unter den
gegebenen Umständen und zu dem kritischen Zeitpunkt,






(A) (C)



(B) (D)


Ute Berg
also zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht viele Infor-
mationen zur Verfügung standen – ein gutes und schnel-
les Krisenmanagement betrieben.


(Martin Zeil [FDP]: Unbestritten!)


Sie hat verhindert, dass der deutsche Mittelstand die
Rechnung für die riskanten Experimente abenteuerlusti-
ger Bankvorstände zahlen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Förderaktivitäten für den Mittelstand sind also
nicht gefährdet. Selbst der Bundesrechnungshof hat in
seinem jüngsten Bericht unterstrichen, dass er keine An-
zeichen für eine Gefährdung sieht. Sie wissen ganz ge-
nau, dass sich der Bundesrechnungshof im ERP-Unter-
ausschuss dadurch auszeichnet, dass er sehr kritische
Anmerkungen macht und Fragen stellt.


(Abg. Jürgen Koppelin [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich möchte jetzt weiterreden.

Meine Damen und Herren von der FDP, die KfW ver-
ausgabt nicht „Steuermittel in Milliardenhöhe“. Sie
bauen in Ihrem Antrag ein Bedrohungsszenario auf. Die
KfW hat die Vorsorge für die übernommenen Risiken in
Höhe von knapp 5 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln
gebildet; sie hat dafür einen Fonds eingerichtet.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613615000

Frau Berg, es machte eben den Eindruck, als wollten

Sie die Zwischenfrage nicht zulassen.


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1613615100

Herr Koppelin kann zum Schluss das Wort erhalten.

Ich bin gerade so schön im Schwung. Herr Koppelin, Sie
machen gerne Interventionen. Machen Sie sie doch zum
Schluss.

Noch einmal: Die KfW selbst ist nicht das Problem;
sie trägt zur Lösung bei. Das war auch im Jahr 2001 so,
als sich keine der privaten Banken für das Paket der
IKB-Aktien, das Allianz und Münchener Rück angebo-
ten haben, erwärmen konnte. Damals haben nicht nur der
Vorstandsvorsitzende der IKB, sondern auch BDA und
BDI händeringend die KfW darum gebeten, das Aktien-
paket zu übernehmen. Es ist absurd, nun die Krise der
IKB zu nutzen, um der KfW eins auszuwischen; schließ-
lich hat sich die KfW erstens auf Drängen der Wirtschaft
beteiligt und ist zweitens selbst überhaupt nicht in den
Sog dieser Krise geraten.

Abschließend möchte ich betonen: Es ist irreführend
und auch unfair, die KfW immer in einem Atemzug mit
der aktuellen Bankenkrise zu nennen; denn die KfW hat
die Krise, wie gesagt, definitiv nicht ausgelöst und ist
nicht in ihren Sog geraten. Vielmehr hat die KfW da, wo
sie tangiert war, besonnen gehandelt.

Wir sollten uns lieber auf die umfangreichen Leistun-
gen konzentrieren, die die KfW auch für die Wirtschaft,
besonders für den Mittelstand, erbringt. Sie gibt zins-
günstige Förderkredite. Sie hält innovative Programme
vor, mit denen das Eigenkapital der Unternehmen ge-
stärkt wird. Sie berät kleine und mittelständische Unter-
nehmen in allen Entwicklungsphasen. Sie investiert in
den Wohnungsbau, in Energiespartechniken, in die kom-
munale Infrastruktur. Sie leistet Beiträge zur Entwick-
lungshilfe. Das war nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Ak-
tivitäten.


(Martin Zeil [FDP]: Wir müssen doch die Verantwortlichkeiten klären!)


Das Gesamtfördervolumen der KfW konnte zum
Ende des dritten Quartals 2007 im Vergleich zum Vor-
jahreswert um rund 16 Prozent gesteigert werden. 2007
war das beste Förderjahr der KfW überhaupt. Das Ge-
samtvolumen lag bei rund 60 Milliarden Euro. Ich
denke, diese Fakten überzeugen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613615200

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1613615300

Ja.

Die KfW hat sich immer als verlässliche Partnerin er-
wiesen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man sie
jetzt auf die Anklagebank setzt und eine groß angelegte
Umstrukturierung fordert. Der Duktus Ihres Antrages
lautet: „Kreditanstalt für Wiederaufbau neu ordnen“. Da
machen wir selbstverständlich nicht mit. Bei Detailände-
rungen, bei einer Straffung des Entscheidungsgremiums
etc. – es ist alles schon angesprochen worden – machen
wir mit, aber nicht bei einer völligen Umstrukturierung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613615400

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen

Jürgen Koppelin das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1613615500

Der Beitrag der Kollegin fordert mich richtig heraus;

denn das war mehr Gesundbeterei als ein sachlicher Bei-
trag zur Diskussion.

Es geht der FDP nicht darum – das können Sie uns
nicht unterstellen –, der KfW „eins auszuwischen“. Kol-
lege Zeil hat in seinem Beitrag sehr richtig auch positive
Seiten der KfW genannt. Insofern trifft dieser Vorwurf
überhaupt nicht.

Sie haben die Gründe dafür, dass der Risikofonds der
KfW mit einem Volumen von gut 5 Milliarden Euro aus-
geschöpft ist, völlig ausgeblendet. Das liegt nur an der
IKB. Der Risikofonds, der sonst für allgemeine Kredite
vorgesehen ist, ist völlig ausgeschöpft. Er muss jetzt neu
aufgefüllt werden. Die Situation bei der KfW ist nicht
so, wie Sie es dargestellt haben.

Ich habe vorhin den Bundesfinanzminister zitiert.
Wenn selbst er mit seinem SPD-Parteibuch erklärt – er
hat das öffentlich getan; das ist kein Geheimnis –, wir
müssten dringend aufpassen, dass die Krise der IKB
nicht zu einer Krise der KfW werde, dann können Sie
das doch nicht ausblenden, sondern müssen gerade als
Sozialdemokratin dazu Stellung nehmen.






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin
Wenn Sie Frau Matthäus-Maier, die ich wirklich sehr
schätze und der ich mich fast freundschaftlich verbunden
fühle, so in Schutz nehmen und sich auch im Ausschuss
entsprechend äußern, dann muss ich ein Zitat von Frau
Mätthaus-Maier wiedergeben. Das Zitat von Frau
Matthäus-Maier ist noch nicht allzu alt, etwas über ein
halbes Jahr. In Bezug auf die KfW hat sie in einem Inter-
view erklärt – es war in der Frankfurter Allgemeinen –:
„Die IKB ist unser Ohr am Markt, …“ Auch das ist ein
Zitat von Frau Matthäus-Maier. Das müssen Sie eben-
falls zur Kenntnis nehmen. Das haben Sie aber natürlich
ausgeblendet, und das kann ich gut verstehen.

Meine entscheidende Frage an Sie ist eine
andere – darauf sind Sie nicht eingegangen, Sie haben
alles schöngeredet –: Die KfW ist mit 38 Prozent an der
IKB beteiligt. Wieso ist dann nur die KfW verpflichtet,
das Risiko zu tragen? Andere Anteilseigner – Oppenheim
und wie sie alle heißen – haben sich nicht daran beteiligt,
dieses Risiko mit aufzufangen. Wieso ist da nur die KfW
tätig geworden und nicht die anderen Anteilseigner,
wenn sie nur einen Anteil von 38 Prozent hat?


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613615600

Frau Berg.


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1613615700

Zunächst möchte ich kurz darauf eingehen, dass Sie

mir vorgeworfen haben, ich würde Frau Matthäus-Maier
zu sehr unterstützen. Sie hat das gar nicht nötig. Sie
macht ihre Sachen gut. Ich habe eben schon beschrieben,
dass sie in dieser Krise sehr überlegt und trotzdem
schnell gehandelt hat. Ich füge noch hinzu, dass sie von
sich aus ein Interesse daran hat, diesen großen, doch et-
was schwerfälligen Verwaltungsrat umzustrukturieren
und ein kleineres Entscheidungsgremium zu schaffen.
Das finde ich durchaus sinnvoll und richtig.

Man kann an der Struktur der KfW natürlich noch ei-
niges verbessern. Ich habe mich aber vor allem dagegen
gewandt, dass Sie die KfW quasi in den Fokus Ihrer Kri-
tik gerückt haben und nicht die IKB. Die IKB ist im
Übrigen eine lupenreine Privatbank; das möchte ich
noch einmal unterstreichen, weil Sie ja sonst sehr stark
das Private unterstützen, fördern und in den Himmel he-
ben. Die Fehler wurden ganz eindeutig dort gemacht.
Die KfW hat sich daran beteiligt, Schaden zu begrenzen.

Ich möchte noch etwas ansprechen. Sie haben gerade
gesagt, der Fonds sei völlig ausgeschöpft. Dieser Fonds
wurde für solche Fälle eingerichtet. Natürlich ist er für
Risiken da; es ist ein Risikofonds. Er wird natürlich ge-
nutzt, wenn ein Risiko besteht bzw. wenn eine schwie-
rige Situation auftritt. Ich habe mich ein bisschen gegen
die Schwarz-Weiß-Malerei gewandt, die Sie gerade be-
trieben haben.

Zu Ihrer letzten Frage: Warum hat nur die KfW die
IKB aufgefangen? Sie wissen selber, dass man in den
Gremien eine Zweidrittelmehrheit braucht, um entschei-
den zu können. Das war nicht anders hinzubekommen.
Dies kann man sicherlich bedauern.
Insgesamt ist Ihr Schuss gegen die KfW viel zu mas-
siv gewesen. Ich finde, Herr Dautzenberg hat das Rich-
tige gesagt: Sie haben eindeutig das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613615800

Damit schließe ich die Aussprache.

Es ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 16/6996
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Sind Sie
auch damit einverstanden, dass die Vorlage federführend
im Finanzausschuss beraten werden soll? – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 und den Zu-
satzpunkt 5 auf:

8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Erster Erfahrungsbericht der Bundesregie-
rung zum Bundesgleichstellungsgesetz

(Berichtszeitraum 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2004)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Vierter Bericht der Bundesregierung über den
Anteil von Frauen in wesentlichen Gremien

(Vierter Gremienbericht)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Eva
Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel
Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Chancen von Frauen auf dem Arbeits-
markt stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Chancen für Frauen auf dem Ausbildungs-
und Arbeitsmarkt verbessern

– Drucksachen 16/3776, 16/4385, 16/4913 Nr. 1,
16/4558, 16/4737, 16/5689 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Markus Grübel
Renate Gradistanac
Christel Humme
Ina Lenke
Diana Golze
Irmingard Schewe-Gerigk






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gleichstellung von Frauen und Männern in
den Gremien des Bundestages tatsächlich
durchsetzen

– Drucksache 16/7739 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss

Es ist vorgesehen, hierzu eine Dreiviertelstunde zu
debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.


(Unruhe)


Bevor jetzt alle Männer fluchtartig den Plenarsaal
verlassen, eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort
der Kollegin Dr. Eva Möllring für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Eva Möllring (CDU):
Rede ID: ID1613615900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sind Frauen einfach zu blöd, oder wie ist es
möglich, dass es immer noch nur so wenige Frauen in
Führungspositionen gibt, dass Frauen in Vollzeittätigkeit
nur 77 Prozent des Einkommens eines Mannes verdie-
nen und dass wir über diese Fragen seit Jahren diskutie-
ren müssen?

Aus dem Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstel-
lungsgesetz ergeben sich zwei Nachrichten, eine gute
Nachricht: Die Anzahl der Frauen steigt, und eine
schlechte Nachricht: Sie ist bei weitem noch nicht hoch
genug. In den obersten Bundesbehörden werden 15 Pro-
zent der Abteilungen, 14,7 Prozent der Unterabteilungen
und 20 Prozent der Referate von Frauen geleitet. Auch
der Bundesgremienbericht weist aus: Nur knapp 20 Pro-
zent der Mitglieder waren weiblich. Ich bin allerdings si-
cher, dass seit 2004, also in dieser Legislaturperiode,
eine Reihe von Frauen hinzugekommen ist. Ich nenne
nur einmal beispielhaft das Bundesinnenministerium
und das Auswärtige Amt, in denen jetzt endlich jeweils
eine Frau in die oberste Führungsschicht vorgestoßen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Leider werden wir die genauen Zahlen erst 2010 erfah-
ren.

Also, blöd sind Frauen natürlich nicht, ganz im Ge-
genteil. Das Bildungsniveau und der berufliche Ehrgeiz
von Frauen haben sich in den letzten 20 bis 30 Jahren
Schritt für Schritt erheblich gesteigert. Damit haben sich
auch die Lebensentwürfe geändert. Ich nenne nur einmal
vier Fakten:

Erstens. Es gibt heute mehr Abiturientinnen als Abi-
turienten, nämlich 56 Prozent.

Zweitens. Der Anteil der Studentinnen betrug 1970
23 Prozent und beträgt heute mehr als 50 Prozent.
Drittens. Von den jungen Frauen zwischen 25 und
45 Jahren waren 1970 47 Prozent berufstätig. Heute
sind es fast 80 Prozent.

Viertens. 86 Prozent der Mütter mit kleinen Kindern
in den westlichen Bundesländern wollen berufstätig
sein. In den neuen Ländern sind es sogar 96 Prozent.

Frauen werden mit ihrem heutigen beruflichen Ehr-
geiz zunehmend auch leitende Positionen erobern, aber
es geht zu langsam. Wir sollten sie besser unterstützen,
weil wir ihr Fachwissen, ihre Kompetenz und ihre Ar-
beitsweise in den Betrieben und in den Verwaltungen
brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt ja inzwischen zahlreiche internationale Studien,
die eindeutig belegen, dass Unternehmen erfolgreicher
sind, wenn sie von Männern und Frauen geleitet werden. –
An dieser Stelle hatte ich eigentlich Beifall erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)


– Ja, da muss man auch einmal klatschen.

Besonders im technischen Bereich brauchen wir jede
weibliche Nachwuchskraft, um im internationalen Wett-
bewerb mithalten zu können.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)


Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass das Bil-
dungsministerium jetzt mit der Qualifizierungsinitiative
Projekte fördert, damit Mädchen schon im Kindergarten
und in der Grundschule für Natur und Technik begeistert
werden.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was macht denn das Frauenministerium?)


Mit diesem Programm wird schon eine der Forderungen
erfüllt, die wir in dem Antrag stellen, über den heute ab-
gestimmt wird. Darüber hinaus sollten wir darüber nach-
denken, technische und naturwissenschaftliche Ausbil-
dung sinnvoll mit Fremdsprachen und Kommunikation
zu kombinieren, und zwar weil das zukunftsträchtig ist
und weil auf diese Weise auch mehr Interesse bei den
Frauen dafür geweckt werden kann, diese Ausbildungs-
gänge zu ergreifen und eine erfolgreiche, profitable be-
rufliche Karriere hinzulegen.

Vier Punkte sind für mich von zentraler Bedeutung:

Erstens: Passende flexible Kinderbetreuungsange-
bote,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)


damit Frauen, auch wenn sie Kinder erziehen, im Beruf
bleiben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bislang kann etwa die Hälfte der Mütter ihre Berufswün-
sche nicht so umsetzen, wie sie es wünschen. Wir sind






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Eva Möllring
mit der Familienministerin ein großes Stück vorange-
kommen; aber jetzt geht es darum, dass die Länder und
Kommunen vor Ort das umsetzen, was wir hier verabre-
det haben. Da liegt noch ein gewaltiges Stück Arbeit vor
uns. Das können wir also noch nicht abhaken.

Zweitens: Beratung und Hilfe auf kommunaler
Ebene. Ich wünsche mir, dass es für Mütter und Väter in
jeder Kommune eine Person gibt, die für Familien zur
Verfügung steht und konkret und unbürokratisch Aus-
kunft gibt, wie man Hilfe bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ina Lenke [FDP]: Das gibt es schon!)


– Ja, das gibt es schon in Einzelfällen, aber ich hätte
gerne, dass es so etwas in jeder Kommune gibt. Als wir
gemeinsam in Frankreich waren, haben wir erfahren,
dass Kommunen von jetzt auf gleich Kinderbetreuungs-
angebote zur Verfügung stellen, wenn man einen Job in
Aussicht hat. Das ist genau das, was Mütter und Väter
im Alltag brauchen, um den Kopf für eine Berufstätig-
keit frei zu haben.

Drittens. Es gibt viele Unternehmen, die zum Beispiel
durch Zielvereinbarungen, Berichtspflichten und auch
durch Erfolgsvergütungen die Frauenquote deutlich ge-
steigert haben. Wir sollten mit einer entsprechenden Da-
tenbank ein positives bundesweites Ranking einführen,
und zwar für Unternehmen und Behörden. Frauen in
Führungspositionen müssen ein Werbefaktor sein. Es
muss sich ein intensiver Wettbewerb in diesem Bereich
ergeben.


(Beifall des Abg. Jens Ackermann [FDP])


Deshalb ist es notwendig, die Vereinbarung mit den
Wirtschaftsverbänden gemeinsam zu evaluieren und
fortzuschreiben und die erfolgreichen Strategien zur För-
derung von Frauen an kleine und mittlere Betriebe wei-
terzugeben.

Viertens. Der entscheidende Schlüssel für viele
Frauen ist die Weiterbildung. Viele Frauen in der Fami-
lienphase wünschen sich den weiteren Kontakt mit dem
Betrieb. Ihre Möglichkeiten steigen erheblich, wenn sie
die Familienphase nutzen, um sich weiterzuqualifizie-
ren.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deswegen sage ich ganz klar: Wir müssen Frauen, die
zugunsten der Familie auf Einkommen verzichten, fi-
nanziell unterstützen, damit sie Qualifizierungsangebote
wahrnehmen können. Es kann nicht sein, dass eine Frau,
die Kinder erzieht, auf das Einkommen des Ehemannes
angewiesen ist – falls er überhaupt ein ausreichendes
Einkommen hat –, um im Job wieder die gleichen Chan-
cen zu haben. Auch Frauen, die jahrelang pausiert ha-
ben, müssen Weiterbildungsangebote bekommen, um
wieder den Anschluss an das Berufsleben zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir können es uns nicht leisten, dass eine Frau mit 40
oder 50 Jahren, die voll arbeitsfähig ist und noch viele
Jahre lang berufstätig sein kann, außen vor bleibt. Des-
halb fordern wir in unserem Antrag, dass gerade diese
Frauen für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden, auch
wenn sie bislang keine finanziellen Leistungen von der
Bundesagentur erhalten.

Liebe Frau Kollegin Schewe-Gerigk, glauben Sie mir,
ich kann Ihren Wunsch nach 30 Prozent Frauen in allen
Gremien bestens verstehen. Aber allein die Quote würde
uns keinen Schritt weiterbringen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich möchte es paritätisch haben!)


Es würden einfach ein paar Plätze leer bleiben. Eine
Sanktion ist auch Ihnen nicht eingefallen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch!)


Es hilft uns auch nichts, wenn wir einzelne Vorzeige-
frauen haben, die von Gremium zu Gremium wandern.
Das Ziel muss vielmehr sein, auf allen mittleren und
oberen Ebenen viele Frauen zu haben, die dann auch für
hohe Positionen zur Verfügung stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es doch!)


Ich möchte noch ein Wort zu den Kollegen aus den
anderen Fraktionen sagen. Ja, wir wissen, dass in
Deutschland zwei Drittel der Mütter Teilzeit arbeiten
wollen und auch viele Väter ihre Arbeitszeit gern redu-
zieren möchten. Aber es ist nicht die Aufgabe der Poli-
tik, diese Mütter und Väter in die Pflicht zu nehmen und
zu einer längeren Arbeitszeit zu zwingen. Wir müssen
ihre Lebensentscheidung und ihre Lebensentwürfe ach-
ten. Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Be-
dingungen stimmen und dass sie trotz einer geringeren
Arbeitszeit die Chance haben, eine verantwortungsvolle
Tätigkeit auszuüben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613616000

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.


Dr. Eva Möllring (CDU):
Rede ID: ID1613616100

Das letzte Mal habe ich ein wenig kürzer geredet.

Aber das nützt mir jetzt anscheinend nichts. Ich komme
deshalb zum Schluss.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Frauen sind nicht blöd; Frauen sind spitze. Nur in
Führungspositionen sind sie immer noch einsame Spitze.
Das müssen wir ändern. Deswegen möchte ich Sie
freundlich bitten, unserem Antrag einfach zuzustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613616200

Die Kollegin Ina Lenke hat jetzt das Wort für die

FDP-Fraktion.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1613616300

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau

Möllring, ich habe während Ihrer neunminütigen Rede
darauf gewartet, etwas zu den Ergebnissen der beiden
Berichte, die uns heute vorliegen, und nicht nur von Ih-
rem schönen Antrag mit den guten Wünschen zu hören.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja!)


– Frau Schewe-Gerigk gibt mir da recht.

Das Bundesgleichstellungsgesetz und das Bundesgre-
mienbesetzungsgesetz haben das Ziel, das wir uns – un-
abhängig davon, ob wir den Gesetzen zugestimmt haben
oder nicht – vorgenommen haben, bisher nicht erreicht.
Der Anteil von Frauen in den Bundesministerien und in
den dazugehörigen Gremien – Frau Möllring, Sie haben
vergessen, diesen Punkt bei der Erwähnung der Statisti-
ken anzusprechen – ist nicht einmal um 1 Prozent pro
Jahr gestiegen. Zudem hat dieser Anstieg mit den beiden
Gesetzen überhaupt nichts zu tun. Diese minimale Stei-
gerung beruht nämlich auf einer ganz natürlichen Ent-
wicklung auf dem Arbeitsmarkt.

Sie haben auch gesagt: Wir haben qualifizierte, gute
Frauen. Wenn wir den Frauen die Möglichkeit geben, Fa-
milienarbeit und Beruf miteinander zu verbinden – das be-
ginnt jetzt so langsam –, dann haben wir die Frauen sehr
gut unterstützt. Es gibt mehr qualifizierte Frauen. Das
Schlimme ist meines Erachtens, dass Frauen zunehmend
auf Kinder verzichten, wenn sie Karriere machen wol-
len. Das wollen wir doch alle nicht. Wir kämpfen
schließlich dafür, dass beides miteinander vereinbar ist.


(Beifall bei der FDP)


Frau Möllring, beide Berichte der Bundesregierung
– Ihre Fraktion ist ja Regierungsfraktion – kommen zu
dem Ergebnis, dass erhebliche Defizite bei der Umset-
zung bestehen. Positiv an beiden Berichten sind ledig-
lich die Best-Practice-Beispiele. Zum Beispiel werden in
den Bundesministerien flexible Arbeitszeiten geschaffen
und Unterstützung bei der Organisation der Kinderbe-
treuung angeboten. Ich finde es gut, dass sich der Arbeit-
geber auch um solche Dinge kümmert. In der Wirtschaft
und im öffentlichen Dienst kümmert er sich eigennützig
darum. Wenn ein Arbeitgeber eine gute Frau hat, die ein
Kind bekommt und Elternzeit nimmt, will er sie natür-
lich nicht für lange Zeit entbehren. Deswegen organisiert
er die Kinderbetreuung mit. Dass das, was in mittelstän-
dischen Betrieben üblich ist, jetzt auch im öffentlichen
Dienst ankommt, ist gut.

Wenn man sich den Antrag von SPD und CDU/CSU
anschaut – das ist schließlich nicht nur Ihr Antrag, son-
dern auch ein Antrag der SPD –, stellt man fest, dass Sie
nach der Hälfte dieser Legislaturperiode Defizite bekla-
gen. Ich darf daran erinnern, dass die SPD seit neun Jah-
ren in der Regierung ist. Da die SPD diesen Antrag, in
dem aufgeführt wird, was alles noch gemacht werden
soll, unterstützt, frage ich mich: Was haben Sie in diesen
neun Jahren eigentlich gemacht? So viel ist dabei ja
nicht herumgekommen.


(Beifall bei der FDP)


Zudem möchte ich daran erinnern, dass auch die Grü-
nen sieben Jahre lang an der Regierung beteiligt waren.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jetzt kommt es raus!)


Diese drei Fraktionen sollten sehr selbstkritisch einräu-
men, dass sich viele Bedingungen im Arbeitsleben von
Frauen überhaupt nicht geändert haben.

Neben meinen Bemerkungen zu diesen beiden Be-
richten will ich darauf hinweisen, dass die Steuer-
klasse V weiterhin besteht. Sie haben die Abschaffung in
den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2008 aufgenom-
men. Wir haben den Antrag auf Abschaffung dieser
Steuerklasse gestellt und damit die Vorlage geliefert.
Frau Hendricks vom Bundesfinanzministerium, die jetzt
nicht mehr dabei ist, hat das in den Entwurf des
Jahressteuergesetzes 2008 aufgenommen. Ein paar Tage
vor der Abstimmung im Bundestag haben Sie die Ab-
schaffung der Steuerklasse V – die Ehefrauen wissen,
wovon ich rede – aber wieder aus dem Gesetz herausge-
nommen und sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ver-
schoben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!)


Laut Ihrem Antrag wollen Sie das unternehmerische
Potenzial von Frauen besser erschließen. Na klar, das
wollen wir doch alle. Was machen Sie aber beim Eltern-
geld? Wenn eine selbstständige Frau ein Büro hat und
ihre Existenz während des ersten Jahres nach Geburt des
Kindes über Elterngeld sichern will, erhält sie, wenn sie
mehr als 30 Stunden in der Woche arbeitet, noch nicht
einmal den Mindestbetrag von 300 Euro. Was ist das ei-
gentlich für eine Sicht auf Frauen, die selbstständig tätig
sind? Hartz-IV-Empfängerinnen bekommen, obwohl sie
nicht arbeiten, den Mindestsatz von 300 Euro Eltern-
geld. Frauen, die selbstständig sind, bekommen gar
nichts, obwohl Sie doch wollen, dass dieses Potenzial er-
schlossen wird. Über all diese Gesetze sollten Sie sich
einmal Gedanken machen.

Wenn Frau von der Leyen von Opa- und Omadiensten
bei minderjährigen Müttern spricht, soll sie, wenn sie
das Elterngeldgesetz ändert, diese Dinge bitte mitorgani-
sieren. Wir wollen doch alle die Steuerklasse V abschaf-
fen. Deshalb fordere ich Sie auf: Finden Sie mit den vie-
len Beamten im Finanzministerium endlich einmal eine
Regelung dafür!


(Beifall bei der FDP)


Was ich Ihnen mit diesen wenigen Beispielen darge-
legt habe, steht dem Ziel, die Gleichberechtigung von
Frauen und Männern in unserer Gesellschaft voranzu-
treiben, entgegen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat auch
aus der Opposition heraus immer wieder Vorschläge ge-
macht, die Sie, weil Sie sich in der Koalition einigen






(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
müssen, allesamt abgelehnt haben. Trotzdem sind die
Abschaffung der Steuerklasse V, die bessere Berücksich-
tigung von Selbstständigen beim Elterngeld und die Ein-
führung des Bruttolohnprinzips beim Elterngeld Dinge,
die Sie ein Jahr nach Einführung des Elterngeldes ange-
hen können, ohne Ihr Gesicht zu verlieren. Sie können
ein Gesetz ändern, wenn Sie feststellen, dass viele Dinge
nicht enthalten sind.

Zum Bumerangeffekt beim Rechtsanspruch auf Teil-
zeitarbeit: Meine Fraktion unterstützt es grundsätzlich,
dass Frauen Zeit haben, Kinder zu erziehen; aber wir
müssen doch sehen, Frau Möllring, dass im Bericht fest-
gestellt wurde, dass das Gesetz im öffentlichen Dienst
auf Bundesebene mit sicheren Arbeitsplätzen zur Folge
hatte, dass 91 Prozent der Frauen und nur 9 Prozent der
Männer in diesem Berichtszeitraum die Teilzeitregelung
in Anspruch genommen haben. In welcher Welt leben
wir eigentlich? Welche negativen statt positiven Auswir-
kungen, die wir mit diesen Gesetzen doch transportieren
wollen, haben solche Gesetze?


(Beifall bei der FDP)


Ich komme jetzt zum Schluss. Insgesamt zeigen die
Berichte, dass – ich hoffe, dass die nächste Rednerin der
SPD selbstkritisch darauf eingehen wird – die rot-grüne
Koalition und die Große Koalition es bisher nicht ge-
schafft haben, für mehr Gleichberechtigung von Frauen
und Männern im öffentlichen Dienst zu sorgen.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613616400

Caren Marks hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1613616500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lebensverhält-
nisse von Frauen von Männern haben sich in Deutsch-
land seit Bestehen der Bundesrepublik enorm verändert.
Heute ist kaum vorstellbar, dass ein Ehemann noch bis in
die 50er-Jahre zum Arbeitgeber seiner Frau gehen und
ihr Arbeitsverhältnis fristlos kündigen konnte.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bis 1957!)


Derartige Vorrechte der Männer wurden 1957 durch die
Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes abge-
schafft. Frauen haben seitdem viel erreicht, nicht nur
rechtlich. Sie leben selbstbestimmter und unabhängiger.
Sie wählen ihre Partner genauso frei wir ihr Lebensmo-
dell: verheiratet oder nicht, mit Kindern oder ohne. Das
ist für junge Frauen heute selbstverständlich. Ihre Mütter
und auch ihre Großmütter haben dies hart erkämpft.

Die SPD hat die Gleichstellung von Frauen und Män-
nern in unserer Gesellschaft erfolgreich vorangebracht,


(Beifall bei der SPD)


und zwar im Arbeitsleben wie im Privaten. Beispiele
sind das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das El-
terngeldgesetz, aber auch das Gewaltschutzgesetz. Dass
nur eine geschlechtergerechte Politik die Modernisie-
rung unserer Gesellschaft ermöglicht, haben wir früher
erkannt als viele andere. Ausruhen auf dem Erreichten
können wir uns allerdings nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das bestätigt auch der erste Erfahrungsbericht zum
Bundesgleichstellungsgesetz. Dieses Gesetz für den öf-
fentlichen Dienst des Bundes hat die Gleichstellung von
Frauen und Männern auf Bundesebene verbessert.


(Ina Lenke [FDP]: Nein!)


Eine geschlechtersensible Stellenausschreibung ist selbst-
verständlich geworden, und bei der Zahl der Einstellun-
gen von Frauen in den Bundesdienst ist durchaus eine po-
sitive Entwicklung zu verzeichnen. Im höheren Dienst lag
die Einstellungsquote 2004 erstmals über 50 Prozent. Der
Frauenanteil stieg dadurch im höheren Dienst um 5,1 auf
nunmehr 18,6 Prozent. Das ist immer noch viel zu wenig,
aber es geht voran.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Wie viel insgesamt?)


Die in dem Bericht vorliegenden Ergebnisse bekräfti-
gen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung
der Beschäftigungsverhältnisse. Im Allgemeinen gilt lei-
der nach wie vor: je höher die Hierarchieebene, desto ge-
ringer der Frauenanteil.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Ja!)


Frauen sind auch zu einem viel höheren Anteil als Män-
ner in geringer bezahlten Tätigkeitsbereichen beschäf-
tigt. Zudem ist Teilzeitbeschäftigung nach wie vor über-
wiegend Frauensache.


(Ina Lenke [FDP]: 91 Prozent!)


Defizite bei der Gleichstellung zeigt auch der Vierte
Gremienbericht auf. Da bin ich durchaus bei meiner
Kollegin Ina Lenke. Seit 1990 ist nur eine jährliche Stei-
gerung von unter 1 Prozentpunkt zu verzeichnen. Das ist
zu wenig. Der Frauenanteil in Bundesgremien liegt bei
nur knapp 20 Prozent und ist damit erschreckend nied-
rig. Es bedarf einer wirklich sehr sorgfältigen Analyse,
warum das seit 1994 geltende Bundesgremienbeset-
zungsgesetz bisher nicht so erfolgreich ist wie in ver-
gleichbaren Ländern wie Norwegen oder auch Finnland,
die ähnliche Gesetze haben.

Frauen von heute sind besser qualifiziert und dadurch
auch selbstbewusster. Ihre Bereitschaft, Führungsaufga-
ben und Verantwortung zu übernehmen, ist deutlich ge-
stiegen. Dennoch sind Frauen in den Chefetagen weiter-
hin unterrepräsentiert. Der Fortschritt ist eine Schnecke,
und so ist die Gleichstellungspolitik weder abgeschlos-
sen noch überflüssig. Auch wenn ein Gleichstellungsge-
setz für die Privatwirtschaft derzeit nicht durchsetzbar
ist, sind verbindliche Zielmarken für eine steigende An-
zahl von Frauen in Führungspositionen unabdingbar.
Eine enge Verknüpfung von Personalmanagement und
Gleichstellungspolitik ist von zentraler Bedeutung, um
Frauen in den Betrieben zielführend fördern zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks
Die stärkere Erwerbsorientierung von Frauen in unse-
rem Land hat zur Folge, dass die traditionelle Lebensfüh-
rung von Frauen und Männern überholt ist. Partnerschaft-
liche Lebensmodelle, die die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ermöglichen, wollen wir politisch unterstützen.
Das von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
entwickelte Elterngeldgesetz, der durchgesetzte Rechtsan-
spruch auf einen Bildungs- und Betreuungsplatz für Kin-
der ab eins sowie das unter Rot-Grün reformierte Eltern-
zeitgesetz sind nicht nur konsequente, sondern auch
richtige Schritte.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch hinsichtlich
familienfreundlicher Arbeitszeiten und Arbeitsbeding-
ungen sind wir auf dem richtigen Weg. Durch die Initia-
tiven „Allianz für die Familie“ und „Lokale Bündnisse
für Familie“ wurde ein positiver Bewusstseinswandel
eingeleitet.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)


Das von der Union ins Spiel gebrachte Betreuungsgeld
hingegen wäre nicht nur bildungspolitisch, sondern auch
gleichstellungspolitisch kontraproduktiv.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das kommt trotzdem!)


Frauen brauchen kein Taschengeld, sondern echte Teil-
habechancen auf dem Arbeitsmarkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf wird die Gleichstellung von Männern und Frauen
voranbringen. Zum einen entspricht das den Lebenswün-
schen der jüngeren Elterngeneration. Zum anderen kann
unser Land nicht auf das Potenzial von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt verzichten.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern, ent-
spricht unserem sozialdemokratischen Grundverständnis
von Chancengleichheit und von Teilhabe- und Verwirk-
lichungschancen beider Geschlechter. Wir wollen glei-
che Einstellungs- und Karrierechancen für Frauen und
Männer, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und den
gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen,


(Ina Lenke [FDP]: Das alles sind also Ihre Forderungen an Ihre Regierung? Interessant!)


egal ob in Unternehmen, Verwaltung, Wissenschaft, For-
schung oder in Aufsichtsratsgremien.


(Ina Lenke [FDP]: Was macht ihr denn dafür? – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja unserem Antrag zustimmen!)


Trotz erster Erfolge müssen wir konsequent weiter
daran arbeiten, gleiche Erwerbs- und Karrierechancen
für Frauen und Männer zu ermöglichen.
Das Ziel von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten ist und bleibt die Gleichstellung von Frauen und
Männern auf allen Ebenen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613616600

Die Kollegin Kirsten Tackmann spricht jetzt für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613616700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Verein-

zelte Kollegen!


(Heiterkeit)


Sehr geehrte Gäste! Die Gleichstellung der Geschlechter
ist ein sehr weites Feld. Es reicht von dem gemeinsamen,
gleichen Zugang zu Bildung und Kultur über ein selbst-
bestimmtes Leben bis hin zur Gleichstellung bei der Er-
werbsarbeit. Der Schlüssel zur Gleichstellung ist für die
Linke aber eine eigenständige Existenzsicherung für
Frauen. Daher lohnt es sich, sich die Erwerbsbedingun-
gen von Frauen einmal näher anzusehen.

Liebe Koalition, mit Ihrem Antrag „Chancen von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken“ leisten Sie aus
meiner Sicht einen Offenbarungseid. Schon Ihre Be-
standsaufnahme ist meiner Meinung nach ein rosarot ge-
zeichnetes Bild der tatsächlichen Situation von Frauen.

Nehmen wir das Beispiel der Frauenerwerbsquote,
die einer der Indikatoren ist, mit denen man misst, ob
eine Gleichstellungssituation existiert oder nicht. Die Er-
werbstätigenquote von Frauen ist im Zeitraum von 2001
bis 2005 von 58,7 Prozent auf 59,6 Prozent gestiegen;
sie liegt somit nahe der Lissabon-Vorgabe. Es stellt sich
die Frage: Ist das ein Erfolg? Die Zahl der von Frauen
geleisteten Erwerbsstunden ist im gleichen Zeitraum
nicht gestiegen. Was heißt denn das? Das heißt, dass der
Anstieg der Frauenerwerbsquote vor allem auf den An-
stieg von Teilzeitarbeit zurückzuführen ist. Das Volumen
der Erwerbsarbeit wurde also nicht erweitert, sondern
auf mehr Frauen verteilt, indem Arbeitsplätze gestückelt
wurden. Einen Erfolg kann man das nicht nennen.

Warum verschweigt die Koalition in ihrem Antrag
ausgerechnet diese Tendenz? Dort schreibt sie, aus mei-
ner Sicht verharmlosend:

Teilzeitarbeit ist also nach wie vor eine „weibliche
Domäne“.

Nein: Teilzeitarbeit ist mehr denn je eine Frauendomäne.

Die Umverteilung von Erwerbsarbeit möchte die
Linke auch, aber eben nicht über den Weg der Teilzeitar-
beit, sondern durch eine Verkürzung der Regelarbeits-
zeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist kein semantischer Unterschied, sondern ein rea-
ler Unterschied im Portemonnaie. Frauen bekommen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
nämlich immer weniger Lohn. Die Frauengehälter sind
hierzulande – das ist schon angesprochen worden –
21 Prozent geringer als die Männergehälter; das ist ein
skandalöser 21. Platz in der EU-25. Zweitens bedeutet
Teilzeitarbeit natürlich weniger Geld im Monat. Das
Geld fehlt den Frauen dann nicht nur im Alltag; Teilzeit-
arbeit führt oft auch zu Altersarmut, sie führt zu niedri-
gerem Arbeitslosengeld und auch zu weniger Elterngeld.

Aber nicht nur in der Privatwirtschaft ist Teilzeitbe-
schäftigung weiblich. Laut dem heute vorgelegten Ersten
Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundes-
gleichstellungsgesetz waren 2004 im Bundesdienst – die
Zahl ist schon genannt worden – 91 Prozent der Teilzeit-
beschäftigten Frauen. Das beweist doch, dass die Pro-
bleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im-
mer noch von den Frauen alleine gelöst werden müssen,


(Ina Lenke [FDP]: Nein! Mit ihren Männern!)


und zwar zum Nachteil ihrer sozialen Situation.

Deshalb stellt die Linke drei Grundforderungen: ers-
tens Verkürzung der Vollzeitstandards statt Teilzeitar-
beit,


(Beifall bei der LINKEN)


zweitens Gleichstellung und Gleichverteilung von Er-
werbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


und drittens Sicherung von Mindeststandards der öffent-
lichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur; auch das ge-
hört dazu.


(Beifall bei der LINKEN)


Besonders der dramatische Anstieg der geringfügigen
Beschäftigung ist aus unserer Sicht ein sozialer Skandal.
Im März 2003 gab es knapp 5 Millionen Minijobber.
Drei Jahre später, im Juni 2006, war die Zahl der Mini-
jobs auf fast 7 Millionen angestiegen.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, aber das ist doch zusätzlich!)


67 Prozent dieser Minijobber sind Frauen.

Die fatalen gleichstellungspolitischen Folgen kann
man in der Evaluation der Umsetzung der Vorschläge
der Hartz-Kommission von 2006 nachlesen. Lassen Sie
mich zitieren:

Die Erweiterung der Minijobs im Zuge der Neure-
gelungen von Hartz II trägt damit in unterschiedli-
cher Form zu einer Verschlechterung der Situation
von ost- und westdeutschen Frauen … bei: Wäh-
rend sie in den neuen Bundesländern eine größere
Zahl von Frauen … in die Nähe der Armutsgrenze
bringt, ist sie für westdeutsche Frauen mit einer
Verstärkung der Abhängigkeitsbeziehungen von ih-
ren Partnern verbunden.

Das ist das Ergebnis der Arbeit der rot-grünen Bundesre-
gierung und der aktuellen Bundesregierung. Ich denke,
das kann man nun wirklich nicht als Förderung von
Gleichstellung und eigenständiger Existenzsicherung für
Frauen bezeichnen.

(Beifall bei der LINKEN)


Die Abschaffung der Zumutbarkeitskriterien drängt
Frauen sogar massiv in die Minijobs, ohne dass es eine
Brücke zur sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-
gung gäbe.

Die Linke fordert deshalb erstens die Förderung von
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gerade für
Frauen und zweitens die sofortige Beendigung der Mini-
jobpolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Geringfügige Beschäftigung darf nicht auch noch staat-
lich subventioniert werden, weder bei Frauen noch bei
Männern.


(Ina Lenke [FDP]: Wird sie doch gar nicht!)


Der Forderungskatalog der Koalition zur Gleichstel-
lung zeugt vor allem von ihrem Mangel an politischem
Willen, die soziale Situation von Frauen tatsächlich zu
verbessern. Das Scheitern der freiwilligen Vereinbarung
der rot-grünen Bundesregierung mit der deutschen Wirt-
schaft aus dem Jahr 2001 zur Förderung der Gleichstel-
lung zeigt doch, dass wir dringend gesetzgeberische
Initiativen brauchen. Wir brauchen ein Gleichstellungsge-
setz für die Privatwirtschaft.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch ein gesetzlicher Mindestlohn ist aus unserer
Sicht eine sehr wirksame Maßnahme zur Gleichstellung
von Frauen und zur Bekämpfung der Armut von Frauen.
Dafür gibt es eine Mehrheit im Bundestag. Es liegt im
Moment an der SPD, dass daraus auch ein Beschluss
wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gäbe also eine Menge von Schritten hin zu mehr
Gleichstellung von Frauen. Sie müssen endlich gegan-
gen werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613616800

Die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk hat jetzt das

Wort für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werter Herr Staatssekretär, schön, dass Sie jetzt auch da
sind.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Schon ganz lange! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Extra für Sie gekommen!)


– Wir haben ihn herbeitelefonieren müssen.

Jetzt aber zur Sache: Mit dieser Art Frauenpolitik, die
Sie von der Großen Koalition uns hier heute präsentie-






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
ren, werden Sie im wahrsten Sinne des Wortes keine
Frau hinter dem Herd hervorlocken können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kanzlerin hin, Elterngeld her – die Frauen merken es:
Frauenpolitik ist für Sie kein Thema. Im Aussitzen der
notwendigen Reformen sind Sie in der Großen Koalition
wirklich groß.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt ist aber gut!)


Um das zu kaschieren, werfen Sie ab und zu ein paar
Brocken in Form von unverbindlichen Vorlagen ins Ple-
num, wie sie uns auch heute hier vorliegen. Deren Bera-
tung ziehen Sie dann wie Kaugummi in die Länge. Nach
der zweiten Lesung werden Sie dann – mürbe zerkaut –
auf Nimmerwiedersehen ausgespuckt. Etwas von dem
umzusetzen, was gefordert wird, ist in Ihrer frauenpoliti-
schen Inszenierung nicht vorgesehen.

Frau Möllring, Sie waren vorhin ja so freundlich zu
mir. Das fand ich sehr schön. Ich stimme den Analysen,
die Sie hier vorgetragen haben, auch ausdrücklich zu.
Was folgt aber daraus? Wir sitzen hier im Bundestag und
können Gesetze machen. Sie haben nicht gesagt, wie Sie
das ändern wollen. Ich bin mit Ihnen einer Meinung,
dass die Situation schwierig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie haben sieben Jahre lang Zeit gehabt!)


Ich komme zum Antrag der Großen Koalition zur
Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Bei so viel Unver-
bindlichkeit können sich Politik und Wirtschaft weiter-
hin schön zurücklehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Es braucht natürlich seine Zeit, ein solches Alibischrift-
stück auszutüfteln. Wohl deshalb sind seit der Vorlage
unseres Antrages zur Gleichstellung auf dem Arbeits-
markt bis zur heutigen Debatte zwei Jahre vergangen.

Den ersten Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstel-
lungsgesetz hat die Bundesregierung so lange liegen las-
sen, dass wir heute, im Januar 2008, über einen Bericht
diskutieren, dessen Berichtszeitraum bis zum Jahre 2004
reicht.


(Ina Lenke [FDP]: Das war eure Regierungszeit!)


– Ja, aber wir haben ihn nicht liegen lassen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Worte statt Taten! – Ina Lenke [FDP]: Das wird dadurch nicht besser!)


Die Zeit hätten Sie besser nutzen können; denn durch
diesen Bericht wird klar gezeigt: Das Bundesgleichstel-
lungsgesetz, das unter Rot-Grün beschlossen wurde, ist
ein Erfolg.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wo denn? – Ina Lenke [FDP]: Was?)

– Natürlich. Die Situation hat sich verbessert. Sie kön-
nen sich ja einmal die Zahlen ansehen.


(Ina Lenke [FDP]: 91 Prozent der Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst sind Frauen! Wenn das ein Erfolg ist!)


Durch den Bericht wird aber deutlich gemacht, wel-
che weiteren Konsequenzen notwendig sind, dass näm-
lich dieses Gesetz auch in den nachgeordneten Behörden
endlich einmal angewendet wird und dass endlich eine
geschlechtergerechte Leistungsbewertung und Entloh-
nung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst veran-
kert wird. Hier gibt es einen riesengroßen Nachholbe-
darf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zeitschinden ist auch das Motto der Bundesregierung
beim Vierten Bericht zum Bundesgremienbesetzungsge-
setz – ein schönes Wortungetüm. Ziel dieses Gesetzes ist
eine paritätische Besetzung aller Bundesgremien. Durch
diesen Bericht wird deutlich gezeigt, dass das Gesetz so
nicht funktioniert; denn seit seiner Einführung im Jahre
1994 ist der Frauenanteil nicht einmal um 1 Prozent pro
Jahr gestiegen. 2005 war nicht einmal jedes fünfte Mit-
glied eine Frau.

Was macht die Bundesregierung jetzt? Vor einem Jahr
hat sie angekündigt, das Gesetz zu überprüfen. Wir kön-
nen Ihnen sagen, was dabei herauskommen wird: In die-
sem Gesetz müssen wirkungsvolle Sanktionen und stren-
gere Kontrollmöglichkeiten verankert werden. Frau
Möllring, ich sage Ihnen gleich auch, welche Sanktionen.

Um den bei Ihnen so zähen Prozess zu beschleunigen,
haben wir in unserem Antrag, der Ihnen hier vorliegt,
konkrete Vorschläge gemacht. Ich nenne einige:

Bei Gremien mit einem Anteil von weniger als
30 Prozent eines Geschlechts – Frau Möllring, wir wol-
len nicht nur 30 Prozent Frauen in den Gremien, aber das
ist die kritische Masse – muss ein neu zu besetzender
Sitz mit dem unterrepräsentierten Geschlecht besetzt
werden. Ansonsten bleibt der Sitz frei. In einigen Gre-
mien wird es lustig werden. Wenn wir das aber nicht an-
drohen, dann passiert auch nichts, Stichwort: einprozen-
tige Steigerung pro Jahr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Eva Möllring [CDU/CSU]: Das habe ich doch gesagt!)


Wird von der Doppelbenennung abgewichen, wie das
heute vielfach der Fall ist, dann muss die berufende
Stelle künftig unzureichende Begründungen zurückwei-
sen. Ich glaube, das dürfte die Motivation der Verant-
wortlichen deutlich erhöhen, sich einmal gründlich nach
einer qualifizierten Kandidatin umzusehen. Wie das Bei-
spiel Norwegen hinsichtlich der Aufsichtsräte zeigt, gibt
es genügend qualifizierte Kandidatinnen. Norwegen hat
dieses Erfolgsmodell vorgemacht. Frau Marks hat vor-
hin darauf verwiesen. Hier im Bundestag liegt ein An-
trag der Grünen für eine 40-Prozent-Quote in den Auf-
sichtsräten vor. Sie brauchen unserem Antrag nur
zuzustimmen, dann können wir auch eine so gute Situa-
tion wie in Norwegen erreichen.






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
Wir fordern zusätzlich aber auch entsprechende Me-
chanismen für die Auswahl von Richterinnen und Rich-
tern. Es ist eine frauenpolitische Bankrotterklärung, dass
es der SPD wieder nicht gelungen ist, wenigstens eine
Richterin für das Bundesverfassungsgericht zu benen-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Bundesgremienbesetzungsgesetz sollte Ihnen ein
besonderes Anliegen sein. Erstens werden in den davon
erfassten Gremien wichtige Entscheidungen getroffen.
Zweitens hat der Bund eine Vorbildfunktion.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613616900

Frau Kollegin.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Und
nicht zuletzt dürfte auch die Kanzlerin ein Interesse da-
ran haben, dass dieses Gesetz wirkt. Sie war es schließ-
lich, die es 1994 als Frauenministerin eingebracht hat.
Frau Merkel braucht dieses Gesetz trotz seiner Makel
nicht als Jugendsünde zu verstecken.

Ich bin gespannt auf die Debatte im Ausschuss. Wir
werden unsere Forderungen mit Ihnen diskutieren. Sie
alle haben gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Wir
haben Vorschläge für Veränderungen gemacht. Im Übri-
gen, liebe Kolleginnen von der SPD, kommen die von
uns gemachten Vorschläge allesamt aus dem Ministe-
rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, aller-
dings unter einer anderen Ministerin. Aber ich glaube,
Sie können ihnen gut zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613617000

Die Kollegin Rita Pawelski hat jetzt für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Pawelski (CDU):
Rede ID: ID1613617100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen von den Grünen, der Berichtszeitraum des
Gremienberichts, den Sie gerade kritisiert haben, um-
fasst die Jahre 2001 bis 2004. Wenn ich mich recht erin-
nere, waren Sie zu dieser Zeit in der Regierungsverant-
wortung.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich habe kritisiert, dass wir den Bericht heute diskutieren – 2008!)


Wenn Sie immer in der Opposition gewesen wären, hätte
ich manches an Ihrer Kritik verstanden. Aber Sie hatten
viele Jahre lang die Möglichkeit, das, was Sie jetzt ge-
fordert haben, umzusetzen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sind die Vorschläge, die ich gemacht habe!)

Aber auch bei Ihnen war die Frauenpolitik eine lang-
same Schnecke. Das müssen Sie selbstkritisch endlich
einmal zugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ohne Frauen ist kein Staat zu machen, und ohne
Frauen ist kein Unternehmen erfolgreich zu führen. Un-
tersuchungen haben bewiesen, dass Frauen keine
schlechteren Chefs als ihre männlichen Kollegen sind.
Im Gegenteil, in mancher Hinsicht sind sie sogar besser.
Bei gleichen fachlichen Fähigkeiten verfügen sie oft
über eine höhere soziale Kompetenz als Männer. Frauen
sind kommunikativer und kreativer, sie sind pünktlicher
und zuverlässiger. Sie haben Teamgeist und können Mit-
arbeiter besser einschätzen, motivieren und inspirieren.
Und – man höre und staune – sie erwirtschaften sogar
höhere Gewinne.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das habe nicht ich ermittelt, sondern eine US-Studie
aus dem letzten Jahr. Amerikanische Firmen mit über-
durchschnittlich vielen Frauen in der Unternehmensfüh-
rung arbeiten weitaus profitabler als Firmen mit beson-
ders wenigen Frauen. So weisen die Konzerne mit den
meisten Frauen eine um 53 Prozent höhere Gesamtkapi-
talrendite als die Konzerne mit weniger weiblichen Füh-
rungskräften auf.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch gelesen!)


Bei der Umsatzrendite betrug der Vorteil 42 Prozent, bei
der Rendite auf das eingesetzte Kapital sogar 66 Prozent.
Wenn Frauen Chefs werden, dann ist das gut für das Un-
ternehmen!


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich Aktien kaufen würde – ich kaufe keine –,
dann würde ich genau schauen, in welchen Unternehmen
Frauen in der Führungsspitze sind. Diesen Unternehmen
geht es besser, und damit steigen auch ihre Aktienkurse
stärker.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie amerikanische Aktien nehmen!)


Das gute Ergebnis dieser Studie scheint sich aber
noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Frauen
gelten in bestimmten Hierarchien leider immer noch als
Fremdkörper. Meine Damen und Herren, wir besuchen
oft die parlamentarischen Abende und können sehen,
wer dazu einlädt. Sind es die Banken und großen Wirt-
schaftsunternehmen, befinden sich unter den Gastgebern
einige Frauen und zu ungefähr 90 Prozent Männer. Das
müsste sich ändern.

Gleichwohl weht mittlerweile ein zarter Frühlings-
hauch durch so manche Teppichetage. Seit 1995 hat sich
die Frauenquote im deutschen Management auf 15,4 Pro-
zent verdoppelt. Das ist ein positives Signal; das muss
man deutlich sagen. Fakt ist aber leider auch, dass die
Chefsessel fest in männlicher Hand sind. In Großunter-
nehmen liegt der Anteil von Frauen auf dieser Ebene bei






(A) (C)



(B) (D)


Rita Pawelski
7,5 Prozent, im Mittelstand bei 9,4 Prozent und in Klein-
unternehmen bei 11,9 Prozent.

Gar nicht zufrieden können wir damit sein, dass von
annähernd 10 000 Vorständen in deutschen Großunter-
nehmen gerade mal 300 Frauen sind. Das ist eine sehr
magere Quote. Ganz zu schweigen von unseren DAX-
Unternehmen: Dort ist bisher nur eine einzige Frau im
Vorstand vertreten. Ein Blick auf die Gehaltslisten zeigt,
dass selbst in dieser Gehaltsgruppe Männer mehr verdie-
nen, und zwar zwischen 27 und 33 Prozent. Sie verdie-
nen mehr, obwohl sie die gleiche Arbeit machen.

Was ist zu tun? Notwendig ist ein tiefgreifender Be-
wusstseinswandel vor allem bei denen, die Karriere er-
möglichen: Personalchefs, Personalvermittler und Vor-
stände.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie lange wollen wir denn warten?)


Notwendig ist dieser Bewusstseinswandel auch bei Ein-
stellungsgesprächen. Fragen wie „Kann sie das?“, „Ist
sie durchsetzungsfähig genug?“ oder „Will sie etwa Kin-
der?“, die unterschwellig Einstellungskriterien sind, be-
antworte ich eindeutig: Natürlich können Frauen das!
Natürlich sind sie durchsetzungsstark! Und natürlich
wollen Frauen auch Kinder! Wenn man sie nur lässt.

Das Beispiel Norwegen zeigt, wie es gehen kann.
Dort ist in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften ein
Mindestanteil von 40 Prozent Frauen Pflicht.


(Ina Lenke [FDP]: Will die CDU jetzt die Quote?)


Dafür wurden 500 Frauen qualifiziert. Sie paukten das
norwegische Aktienrecht, lernten Bilanzen zu lesen und
trainierten das nötige Selbstbewusstsein.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt haben sie 38 Prozent erreicht!)


Ich frage mich, ob das Ganze nicht auch in Deutschland
möglich ist,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und zwar ohne Gesetze.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In Norwegen ging es auch nicht ohne Gesetze!)


– Doch, es muss ohne Gesetze gehen. Es müssen nur
endlich konsequent die bestehenden Regelungen und
Vereinbarungen umgesetzt werden. Das gilt vor allem
für die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesre-
gierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirt-
schaft. Freiwilligkeit heißt nicht zwingend, dass man
nichts tut.

Jede dritte Frau arbeitet heute in einem Betrieb, der
dieser Vereinbarung beigetreten ist. Der Anteil der weib-
lichen Führungskräfte in der Privatwirtschaft ist inner-
halb von vier Jahren von 21 auf 23 Prozent gestiegen.
Das Pflänzchen blüht, aber es blüht sehr zaghaft.

Frauen wollen nicht nur Karriere machen, sondern
auch Zeit für Kinder und Familie haben.


(Christel Humme [SPD]: Männer auch!)


Sie wollen ein Leben in Balance. Darum dürfen Kinder
kein Aufstiegshindernis sein. Im Gegenteil: Wir brau-
chen mehr Mütter in Toppositionen. Vier von fünf Ma-
nagerinnen sind kinderlos, 80 Prozent haben keine Kin-
der. Ist es das, was wir wollen? Darum sage ich ehrlich:
Wir sind stolz darauf, dass unsere Bundeskanzlerin Si-
gnale gesetzt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben eine Staatsministerin, die während ihrer
Amtszeit ein Baby bekommen hat und sogar ein Jahr El-
ternzeit in Anspruch genommen hat.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613617200

Frau Kollegin, es wird zwar jetzt sehr spannend, aber

trotzdem müssen Sie zum Ende kommen.


Rita Pawelski (CDU):
Rede ID: ID1613617300

Ich komme zum Schluss. – Wir sind stolz darauf, dass

wir eine Familienministerin haben, die weiß, worüber sie
redet, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf geht, weil sie es selbst praktiziert.

Wir brauchen mehr positive Beispiele. Wir haben be-
reits Zeichen gesetzt. Wenn andere es nachmachen, habe
ich keine Sorge. Dann brauchen wir keine Gesetze, son-
dern nur mehr Chefs mit viel Mut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613617400

Jetzt spricht Christel Humme für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1613617500

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Diese Debatte

hat unisono bei allen Fraktionen eines gezeigt: Frauen
sind nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt.
Ich glaube, darin sind wir uns alle einig.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich will nicht auf all das eingehen, was richtigerweise
analysiert worden ist. Auch dabei können wir uns alle
die Hand reichen.

Ich möchte nur drei Punkte hervorheben, von denen
ich meine, dass wir sehr schnell zu Lösungen kommen
müssen, wenn es darum geht, wie die Chancen von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen sol-
len.

Die erste Frage, die wir beantworten müssen, ist: Wie
können wir die Frauenerwerbsquote erhöhen? Dafür
brauchen wir dringend Lösungen. Es kann nicht sein,






(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme
dass Deutschland europaweit so weit hinterherhinkt und
eine der geringsten Frauenerwerbsquote hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die zweite Frage ist: Wie können wir den Frauen hel-
fen, existenzsichernde Arbeitsplätze zu finden? Das ist
eine wichtige Frage; denn die Situation in Deutschland
ist nach wie vor dadurch gekennzeichnet, dass Männer
in der Regel Vollzeitarbeitsplätze haben, während
Frauen vorwiegend Teilzeitarbeitsplätze und Minijobs
haben und oft im Niedriglohnsektor beschäftigt sind.
Das heißt, die Arbeit ist zwischen Männern und Frauen
ungleich verteilt. Das ist in anderen europäischen Län-
dern völlig anders.

Die dritte Frage, die wir beantworten müssen, ist: Wie
können wir, wenn Frauen Vollzeitarbeitsstellen haben,
gewährleisten, dass sie für die gleiche Arbeit die gleiche
Bezahlung erhalten wie die Männer?

Das sind meiner Ansicht nach die drei zentralen Fra-
gen, die in allen Reden gestellt wurden.

Frau Möllring, wir haben vor Weihnachten ein gutes
Fachgespräch mit verschiedenen Kolleginnen und Kolle-
gen, mit Frauen, die Führungspositionen in Betrieben in-
nehaben, mit Gewerkschafterinnen und mit Frauen aus
Wissenschaft und Forschung geführt. Ich fand es sehr er-
staunlich und frappierend, dass alle Frauen ihr Statement
mit dem Hinweis auf ein und dasselbe Problem begon-
nen haben. Sie haben gesagt: Es ist egal, wie weit ich ge-
kommen bin oder was ich mache, ich muss gegen die
Schere im Kopf, die Rollenzuweisung, kämpfen. – Wir
müssen also primär darüber nachdenken, wie sich die
Rollenzuweisung auflösen lässt. Wir haben auf unserem
Parteitag in Hamburg die gleichberechtigte und gerechte
Teilhabe von Frauen und Männern an existenzsichernder
Erwerbsarbeit gefordert. Das ist ganz wichtig; denn das
liegt im Interesse der Familien, im Interesse der Frauen
und letztlich auch im Interesse der Kinder.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben uns schon auf den Weg gemacht, diese
Schere aus den Köpfen zu verbannen. Da schon viel zum
Elterngeld gesagt wurde, will ich nicht alles wiederho-
len. Nur so viel: Wenn sich 10 Prozent der Väter nach ei-
nem Jahr Elterngeld beteiligen, wenn sich also die Zahl
der Väter im Vergleich zu früher verdreifacht hat, dann
ist das ein Erfolg. Das ist ein erster Schritt zur Rollen-
auflösung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin froh, dass wir die Vätermonate durchgesetzt ha-
ben.

Herr Kues, ich bin fest davon überzeugt, dass wir in
diesem Jahr den Rechtsanspruch auf einen Betreuungs-
platz für unter Dreijährige gesetzlich festlegen werden.
Wir müssen es in diesem Jahr schaffen, damit es 2013
realisiert wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ina Lenke [FDP])

Gerade wurde das Unwort des Jahres gewählt. Den-
noch möchte ich an dieser Stelle sagen: Auch wir sind
der Meinung, dass mit einem Betreuungsgeld gerade un-
ter dem Aspekt, Rollenzuweisungen aufzubrechen, ein
völlig falsches Ziel verfolgt wird.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Ich bedauere – Sie dürfen mir ruhig glauben, dass ich
ehrlich betroffen bin –, dass die Frauen Union auf dem
CDU-Bundesparteitag ihr Ziel, das Betreuungsgeld ab-
zulehnen, nicht erreicht hat, und das trotz einer Frau als
Kanzlerin und Parteivorsitzenden. Ich weiß nicht, wer
auf diesem Bundesparteitag Regie geführt hat. Aber ich
bin mehr auf der Seite unseres Bundestagspräsidenten
Norbert Lammert, der in der Presse verlautbart hat, dass
das Betreuungsgeld nicht der richtige Weg ist. Ich
glaube, er hat recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn das Betreuungsgeld ist nichts anderes als ein Ta-
schengeld für Frauen und stellt für Männer überhaupt
keinen Anreiz dar, sich in irgendeiner Form an der Fami-
lienarbeit zu beteiligen. Das heißt, die heute bestehenden
Rollen würden noch stärker verfestigt.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Mehr Freiheit gibt es!)


Was Frauen überhaupt nicht brauchen, das ist ganz
klar, liebe Kollegen und Kolleginnen: Sie brauchen kein
Taschengeld, weder zu Hause noch im Job. Vielmehr
brauchen sie existenzsichernde Arbeitsplätze und exis-
tenzsichernde Löhne. Die Diskussion um die Mindest-
löhne ist auch an dieser Stelle genau richtig.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: An Steuerklasse V könnt ihr auch mal denken! Da passiert überhaupt nichts!)


Viele Frauen sind im Dienstleistungsbereich beschäftigt,
wo es oft keine gewerkschaftliche Organisation gibt.
Viele Frauen brauchen also unbedingt den gesetzlichen
allgemeinen Mindestlohn; denn er sichert erst ihre Exis-
tenzgrundlage.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Sie dürfen nicht so hohe Abzüge haben! Das ist es doch!)


Zuletzt noch ein Wort zu den Minijobs: Ich glaube,
das bin ich den Frauen in der SPD auch schuldig; denn
wir haben als Frauen immer eine warnende Hand er-
hoben. Ich möchte, dass bei den Minijobs wieder die
15-Stunden-Woche eingeführt wird. Wenn ich über den
Mindestlohn diskutiere, dann muss ich das auch bei den
Minijobs tun. Man kann sie nicht mit endlos vielen Stun-
den bestücken; man muss die 15-Stunden-Woche wieder
einführen.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, es wurde heute an
vielen Stellen erwähnt, dass sich die Regierung für eine
freiwillige Vereinbarung mit der Wirtschaft entschieden
hat, die zum Ziel hatte, Chancengleichheit sowie die






(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in die Wirtschaft
hineinzutragen. Sieben Jahre ist diese freiwillige Verein-
barung jetzt alt. Ich sehe keine großen Fortschritte; das
sage ich ehrlich.


(Ina Lenke [FDP]: Genauso wie beim Bundesgleichstellungsgesetz!)


Ich glaube schon, es ist richtig – Frau Schewe-Gerigk
hat es gesagt –, dass unser Bundesgleichstellungsgesetz
damals ein Erfolg war. Es hat mehrere Schritte nach vorn
gebracht. Aber wir sollten überlegen, ob es nicht weitere
gesetzliche Regelungen geben muss. Ich bin auch der
Meinung, dass wir den Koalitionsvertrag beim Bundes-
gremienbesetzungsgesetz umsetzen müssen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613617600

Frau Humme, kommen Sie bitte zum Ende.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1613617700

20 Prozent Frauenbeteiligung in Gremien ist zu we-

nig. Frau Allmendinger hat gesagt: Wenn nur 20 Prozent
Frauen in den Gremien sind, dann machen sie sich ka-
putt. Sie müssen nämlich die Arbeit in den verschiedens-
ten Gremien mit übernehmen und schaden sich dadurch
selbst. Ich fand diesen Hinweis sehr eindrucksvoll. Wir
brauchen mehr Frauen in den Gremien.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613617800

Frau Humme, ich kann Ihnen jetzt schon verraten,

dass Sie gleich noch Gelegenheit haben, nach einer Kurzin-
tervention etwas Weiteres zu sagen. Deswegen meine
Bitte, zum Ende zu kommen.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1613617900

Gern. Ich glaube, ich habe alles gesagt. – Wir sind auf

gutem Wege und müssen diesen Weg weitergehen, um
die Gleichstellung für die Frauen nach vorne zu bringen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613618000

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kolle-

gin Möllring das Wort.


Dr. Eva Möllring (CDU):
Rede ID: ID1613618100

Frau Humme, Sie haben eben erklärt, die Frauen

Union habe beim CDU-Bundesparteitag gefordert, das
Betreuungsgeld abzuschaffen.


(Christel Humme [SPD]: Nicht einzuführen!)


Deswegen muss ich Sie fragen, ob Ihnen der wahre In-
halt dieses Antrags bekannt ist. Die Frauen Union hat
nämlich gefordert, die Mütter oder auch Väter, die ihre
Kinder zu Hause erziehen, finanziell besser auszustatten
und zu unterstützen. Ist Ihnen der Antrag bekannt?


(Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja noch schlimmer!)


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1613618200

Soweit ich den Antrag der Presse entnehmen konnte,

wollten Sie es offenhalten, welche Art von finanzieller
Unterstützung bei Familien ankommen sollte. Aber Sie
wollten sich nicht auf das Betreuungsgeld festlegen, was
mich gefreut hat, Frau Möllring. Das wäre jedenfalls die
richtige Entscheidung gewesen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613618300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/5689 zu den Unterrichtungen durch die
Bundesregierung über den Ersten Erfahrungsbericht zum
Bundesgleichstellungsgesetz auf Drucksache 16/3776
sowie über den Bericht über den Anteil von Frauen in
wesentlichen Gremien im Einflussbereich des Bundes
auf Drucksache 16/4385 sowie zu weiteren Vorlagen.

Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss in Kenntnis der genannten Unterrichtun-
gen die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/4558 mit dem Titel
„Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken
sowie bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/4737 mit dem Titel „Chan-
cen für Frauen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Die Gegenprobe! – Die Enthaltungen? – Damit
ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Ko-
alition, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken gegen die Stimmen der FDP angenommen.

Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/7739 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Energiekosten für Privathaushalte mit gerin-
gem Einkommen sofort wirksam senken

– Drucksache 16/7745 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE

Umstieg auf den öffentlichen Verkehr fördern
und Benzinpreisanstieg sozial abfedern

– Drucksache 16/7524 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Es ist vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren, wobei die Fraktion der Linken fünf Minuten er-
halten soll. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613618400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Ich werde mich … für eine deutliche Verbesserung beim
Wohngeld einsetzen“. Mit diesen Worten wurde Bundes-
bauminister Tiefensee in der heutigen Ausgabe der Süd-
deutschen Zeitung zitiert. An die Adresse des Ministers:
Das hat die Linke bereits 2006 hier im Hause gefordert.
Wenn auch alle Parteien im Hohen Hause damals unse-
ren Antrag ignoriert haben – unsere Unterstützung in der
Sache wird der Minister bekommen. Nur eines sagen
wir: Ankündigungen reichen nicht. Wir wissen aus Er-
fahrung: Bei Gesetzesvorschlägen der Großen Koalition
kommt meistens am Ende nichts heraus. Das ist eine bit-
tere Erkenntnis, vor allem für die Bürgerinnen und Bür-
ger, die seit Jahren massive Preiserhöhungen im Energie-
bereich akzeptieren müssen. Der Kollege Finanzminister
Steinbrück nimmt ebenfalls mit der Preistreiberei an den
Tankstellen über die Mehrwertsteuer Milliarden ein. Für
die gebeutelten Pendlerinnen und Pendler hat er aber
keinen Cent übrig. Das ist mit uns nicht zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Während SPD-Minister Gabriel immer wieder fest-
stellt, dass Strom und Gas zu teuer sind, erhöhen die
Konzerne unbeeindruckt die Preise. CSU-Minister Glos
will Energiepreise und Netze besser kontrollieren, bittet
aber die gebeutelten Strom- und Gaskunden um einige
Jahre Geduld. Man müsse erst einmal sehen, ob die
neuen Paragrafen wirken. Ich sage ganz deutlich: Die
Leute haben es einfach satt, zu warten. Tun Sie etwas für
die Verbraucherinnen und Verbrauchen, und hören Sie
auf, die Eons, Vattenfalls, EnBWs und RWEs zu scho-
nen!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat dazu fünf konkrete Vorschläge vorge-
legt.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Enteignung!)


Erstens. Wir fordern die Wiedereinführung der Strom-
und Gaspreisaufsicht bei den Ländern. Verbraucher-
schützern muss im Interesse der Kundinnen und Kunden
ein Klagerecht eingeräumt werden, um Missbrauch
wirksam zu bekämpfen.
Zweitens. Wir fordern deutlich günstigere Tarife bei
Strom und Gas für Haushalte mit geringem Einkommen,
und wir fordern ein Verbot von Stromsperren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wichtig ist natürlich, dass diese Sozialtarife an eine
verpflichtende Energiesparberatung gekoppelt werden.
Es ist ein schlechter Witz, wenn Umweltminister Gabriel
heute Morgen an dieser Stelle die Monopolisten für so-
genannte Sozialtarife auch noch lobt. Vorne ein wenig
Imagepflege, und hinten herum schaltet Eon armen
Haushalten gleichzeitig den Strom ab, weil sie bei der
Preistreiberei einfach nicht mehr mithalten können. So-
zialtarife sind Aufgabe des Gesetzgebers. Wer Sozialta-
rife allein in die Hände profitgieriger Konzerne gibt, hat
die betroffenen Menschen im Land doch schon längst
aufgegeben.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Wir fordern, das Wohngeld zu erhöhen und
die Warmmiete als Maßstab heranzuziehen. Eines muss
uns doch klar sein. Seit der letzten Wohngeldanhebung
sind die Energiepreise um rund 50 Prozent gestiegen.
Das heißt, selbst eine Anhebung um 15 Prozent, wie es
der Mieterbund fordert, kann nur die größte Not lindern.
Was auch beim Wohngeld bisher fehlt, ist eine brauch-
bare Energieberatung. Das lohnt sich für beide Seiten.

Im Übrigen ist die beste Hilfe die Einführung des
Mindestlohns.


(Widerspruch des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])


Wer von seinem Einkommen leben kann, Herr Pfeiffer,
braucht kein Wohngeld.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Wir fordern die Stärkung der Bus- und
Bahnverkehre. Mehrwertsteuereinnahmen dank überteu-
erter Spritpreise müssen in den öffentlichen Personen-
nahverkehr fließen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Im Bahnfernverkehr muss der Mehrwertsteuersatz von
19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Letzter Punkt. Wir fordern die Entlastung von Pend-
lerinnen und Pendlern mit geringem Einkommen. Der
Weg zur Arbeit muss bezahlbar sein. Gerade in Ost-
deutschland, wo die Flächenbahn mit Billigung der
Bundesregierung systematisch abgeschafft wird und
wo von den Leuten auch noch verlangt wird, weite An-
fahrten in Kauf zu nehmen, muss für die Betroffenen
ein finanzieller Ausgleich her.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unseren Anträ-
gen zu, wenn Sie es ernst meinen mit sozialer Gerechtig-
keit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613618500

Der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1613618600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist richtig – es wurde dieser Tage auch vom
Statistischen Bundesamt festgestellt –: Die Energie-
preise sind im vergangenen Jahr so stark gestiegen wie
seit 13 Jahren nicht mehr. Inflationstreibend wirkt vor al-
lem der Anstieg der Energie- und der Lebensmittel-
preise. Die gesamten Energiekosten der Verbraucher
sind im vergangenen Jahr im Durchschnitt um 4 Prozent
gestiegen. Der Strom verteuerte sich gar um 7 Prozent.
Auch an der Zapfsäule musste der Autofahrer deutlich
mehr, 4 Prozent, als im Jahr 2006 zahlen.

Wenn man zurückblickt und einmal die letzten acht
bis zehn Jahre betrachtet, dann stellt man fest: Die Preise
im Energiebereich sind in der Tat vor allem nach oben
gegangen. Man darf es sich allerdings nicht zu einfach
machen und sollte schon analysieren, was die Gründe
dafür sind und wer verantwortlich ist. Falsch ist der Ruf
nach dem Staat: Der Staat soll es regeln, am besten durch
die Festlegung von Tarifen, durch die Festlegung für ein-
zelne Gruppen oder durch irgendwelche anderen Festle-
gungen. Das führt sicher in die falsche Richtung.

Preiserhöhungen und auch Preissenkungen sind in ei-
ner Marktwirtschaft ein normales Mittel, das dann funk-
tioniert, wenn der Wettbewerb funktioniert. Da müssen
wir in der Tat ansetzen: Der Wettbewerb im Energiebe-
reich funktioniert noch nicht in ausreichendem Umfang.

In diesem Hause gibt es in dieser Hinsicht in der Tat
grundlegende Unterschiede, zumindest zwischen der
Union und einigen anderen. Wir sagen: Wenn der Wett-
bewerb noch nicht richtig funktioniert, dann sollte man
darauf nicht in der Form reagieren, dass man den Wett-
bewerb wieder abschafft und durch staatliche Reglemen-
tierungen ersetzt, sondern indem man den Wettbewerb
funktionsfähig macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa hat
man bereits vor zehn Jahren den Weg des Wettbewerbs
beschritten. Wenn man jetzt einmal analysiert, wo man
steht, dann stellt man fest: Es gibt Bereiche, die sich sehr
gut entwickelt haben, auch im vergangenen Jahr, trotz
der Anstiege. Was macht denn den Energiepreisanstieg
aus? Dafür gibt es natürlich weltwirtschaftliche Gründe:
Die Importabhängigkeit Deutschlands und Europas
nimmt weiter zu. Auch die globalen Energiemärkte ken-
nen nur einen Weg, nämlich den des Preisanstiegs, und
das hat Rückwirkungen auf Deutschland und Europa.

Die Gründe dafür liegen aber auch in Strukturen, die
wir beeinflussen können. In der Tat gibt es im Bereich
des Wettbewerbsmarktes, im Bereich der Erzeugung von
Strom, aber auch in anderen Bereichen oligopolistische
Strukturen; der Wettbewerb funktioniert dort noch nicht
richtig. Es gibt auch Monopolstrukturen, nämlich im
Netzbereich. Hier sind wir den Weg des regulierten
Netzzuganges gegangen. Die Netzkosten hatten den
größten Anteil an den Preisanstiegen der vergangenen
zehn Jahre. Die Ex-ante- und die Anreizregulierung, die
2005 eingeführt wurden, stellen einen Paradigmenwech-
sel dar. Damit wurde auch im Netzbereich, in dem es ein
natürliches Monopol gibt, klar der Pfad der wettbewerb-
lichen Orientierung betreten. Das ist zukunftsweisend
und trägt nun erste Früchte.

Die Bundesnetzagentur hat es im Dezember dargelegt:
Erstmalig sind die Netznutzungsentgelte nicht nur auf
gleichem Niveau geblieben, sondern gesunken. Die Netz-
nutzungsentgelte für normale Haushaltskunden sind im
letzten Jahr um 1 Cent pro Kilowattstunde – von 7,7 Cent
auf 6,7 Cent – gesunken. Der Anteil der Netznutzungsent-
gelte an den Stromkosten ist von über 38 Prozent auf
32 Prozent gesunken. Dies ist uns mit unserer Politik und
unseren Maßnahmen, die im vergangenen Jahr Wirkung
gezeitigt haben, gelungen, und zwar unter den schwieri-
gen Bedingungen global ansteigender Preise, von denen
wir uns nicht abkoppeln können.

Mit der Einführung der Anreizregulierung haben wir
die Schienen dafür gelegt, dass die Netznutzungsentgelte
in den nächsten Jahren um 20 bis 30 Prozent zurückge-
hen werden. Das heißt, in den nächsten fünf bis sieben
Jahren werden die Netznutzungsentgelte, die sich heute
in einer Größenordnung von 22 Milliarden Euro bewe-
gen, auf rund 18 Milliarden Euro sinken. Es müssen also
4 Milliarden Euro weniger Entgelte gezahlt werden;
diese Summe kommt letztlich als Ersparnis bei den Kun-
den an. Im Bereich der Netze zeigt unsere Politik Wir-
kung. Wir sind dort auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Das hilft den Wohngeldempfängern!)


In einem anderen Bereich des Wettbewerbs funktio-
nieren die Dinge noch nicht im notwendigen Umfang.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Was machen wir dann?)


Die Oligopolunternehmen haben in vielen Bereichen ge-
nügend Marktmacht, um etwa niedrigere Preise für
Emissionszertifikate durchzusetzen,


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Können wir auch abschöpfen, mit einer Abschöpfungsteuer?)


während andere, zum Beispiel im Stahlbereich, das nicht
können und höhere Preise zahlen müssen. Insofern ist
noch Handlungsbedarf gegeben. Mit den jetzt angekün-
digten Maßnahmen und mit den am 1. Januar in Kraft
getretenen Änderungen des GWB haben wir Instrumente
geschaffen, die zu einer Verbesserung führen können.
Wir sind also in einem zweiten wichtigen Bereich in die
richtige Richtung unterwegs.

Wir müssen uns an die eigene Nase fassen, wenn es
um einen dritten Bereich, die staatlichen Abgaben, geht.
Ihr Anteil an den Energiepreisen beträgt noch immer
40 Prozent. Wenn man auf der einen Seite die staatlichen
Abgaben erhöht, indem man ständig neue Instrumente
erfindet und die Schraube nach oben dreht, und auf der
anderen Seite, weil das zu weit geht, für eine Entlastung






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
durch den Staat sorgt, dann ist man wirklich in der DDR.
Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Wir müs-
sen klar sagen, dass wir bei der Erhöhung der staatlichen
Abgaben am Ende angekommen sind.

Der Klimaschutz ist in aller Munde und wird von al-
len entsprechend unterstützt. Wir müssen auch sagen,
dass der Klimaschutz aufgrund steigender Zertifikats-
preise, der Förderung der erneuerbaren Energien und an-
derer Dinge kurzfristig Kosten verursacht. Auch hierbei
handelt es sich letztlich um staatliche Instrumente. Auch
die willkürlich gekürzten Laufzeiten der Kernkraftwerke
wirken für den Verbraucher nicht kostensenkend. Wenn
wir diese beibehalten würden, hätten wir eine Chance,
hier etwas Positives zu erreichen.

Was müssen wir tun? Wir müssen einen breiten Energie-
mix haben. Ich lehne staatliche Eingriffe ganz klar ab.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: 3 Prozent bei der Mehrwertsteuer sind auch ein staatlicher Eingriff!)


Es geht darum – das hat die Bundeskanzlerin in dieser
Woche noch einmal bestätigt –, mehr Wettbewerb durch
einen breiten Energiemix zu erreichen. In diesem Wett-
bewerb ist auch der Verbraucher gefordert. Der Verbrau-
cher muss seine Souveränität ausüben.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Indem man ihm den Strom sperrt!)


Schauen wir einmal, wie sich die Wechselbereitschaft
entwickelt hat. Im Telekommunikationsbereich ist es
heute selbstverständlich, dass sich die Leute an den Tari-
fen orientieren und die Inanspruchnahme optimieren. Im
Strombereich ist es immer noch so, dass 80 bis 90 Prozent
der Kunden den Anbieter nicht wechseln, auch wenn sich
im letzten Jahr da einiges getan hat. Von 1998 bis 2007
haben gerade einmal 2 Millionen Menschen den Anbieter
gewechselt. Im Laufe des Jahres 2007 waren es insgesamt
4,5 Millionen. Hier kommt eine Dynamik in Gang. Der
Konsument ist ein wichtiger Player.

Betrachten wir einmal eine Großfamilie in Ulm. Die
könnte heute, wenn sie den Anbieter wechselt, je nach
Tarif bis zu 600 Euro pro Jahr sparen. Das ist nicht nur in
Ulm so; das ist in der ganzen Republik so. Es gibt hier
auch eine Verantwortung des einzelnen Konsumenten; er
muss etwas tun.

Wenn jetzt nach Sozialtarifen oder Sonstigem gerufen
wird, dürfen wir nicht vergessen, dass diese Tarife sub-
ventioniert werden müssten. Wer müsste das bezahlen?
Das wären diejenigen, die gerade knapp über der Grenze
liegen, wenn es darum geht, ob sie einen Sozialtarif in
Anspruch nehmen können. Diese sind häufig eh schon
zu sehr belastet.

Insofern ist der richtige Weg der, dass die Unterneh-
men im Wettbewerb etwas tun; das haben sie auch ange-
kündigt. Wir werden das im Auge behalten. Es ist mit Si-
cherheit falsch, weiter staatliche Eingriffe vorzunehmen.
Der beste Verbraucherschutz und das Beste für den Ver-
braucher ist ein funktionierender Wettbewerb. Deshalb
müssen wir den eingeschlagenen Weg konsequent wei-
tergehen und die Wettbewerbselemente stärken. Nur
dann werden wir im Ergebnis für den Verbraucher, und
zwar für den schwachen genauso wie für den starken, et-
was erreichen, und nur so bekommen wir das Thema
Energiepreise in den Griff. Lassen Sie uns in diesem
Sinne weiterarbeiten und nicht mit Planwirtschaft und
Sozialismus den Weg ins Gestern antreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613618700

Der Kollege Hill möchte eine Kurzintervention ma-

chen, zu der ich ihm das Wort erteile.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613618800

Herr Kollege Pfeiffer, ich habe eigentlich nur eine

Frage an Sie: Wenn unser Bundesbauminister jetzt wirk-
lich eine Erhöhung des Wohngeldes plant und in diesem
Zusammenhang insbesondere mit den erhöhten Energie-
preisen argumentiert, werden Sie ihn dann dabei unter-
stützen?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1613618900

Darüber werden wir diskutieren.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Oh, sehr interessant! – Zuruf von der FDP: Das war kurz!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613619000

Ich gebe das Wort der Kollegin Gudrun Kopp für die

FDP.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1613619100

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!

Ich glaube, die Debatte läuft in eine falsche Richtung.
Wir brauchen bei den zweifellos sehr hohen Energiekos-
ten in erster Linie mehr netto für die Bürger und mehr
Wettbewerb. Wir brauchen nicht mehr Staat, Zwangsre-
gelungen, staatlich verordnete Sozialtarife und Erstat-
tungsorgien bei geringen Einkünften, wobei man natür-
lich – das sage ich an die Adresse der Antragsteller, der
Linken – definieren müsste, was eigentlich geringe Ein-
künfte sind. Wo sind Ihrer Meinung nach die Grenzen?


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Wohngeldempfänger! Hartz-IV-Empfänger! Ist das so schwierig?)


Sie sagen, dass Sie Pendlern, die Geringverdiener
sind, die Spritkosten ab einem bestimmten Satz erstatten
möchten. Sie nennen bei Benzin einen Preis von
1,20 Euro pro Liter und bei Diesel von 1,10 Euro pro Li-
ter. Da frage ich Sie: Setzen Sie solche Preise selber
fest? Sagen Sie, dass die Spritkosten bis dahin akzepta-
bel sind? Das ist doch absurd.

Ich kann nur sagen, dass die beiden Anträge, die Sie
vorgelegt haben, eine Verstaatlichung bedeuten. Es ist
bereits heute Morgen bei der Klimadebatte sehr deutlich
geworden, dass Sie auf mehr Staat setzen, auf weniger
Freiheit und natürlich auch darauf, dass die Bürger im-
mer weniger mündig sein sollen. Das ist nicht unser
Weg.






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir Liberale erinnern sehr ausdrücklich daran, dass
auch diese Bundesregierung, lieber Kollege Pfeiffer,
längst nicht alle Hausaufgaben gemacht hat. Natürlich
brauchen wir mehr Wettbewerb – darauf gehe ich gleich
noch einmal ein –, aber es ist doch zugleich völlig klar,
dass wir dringend eine Strategie zur Steuer- und Abga-
benentlastung brauchen.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Sie können nicht einfach so tun, als hätten Sie damit
nichts zu tun. Die Energiesteuern und die Abgaben auf
Energie steigen doch immer weiter. Das ist nicht in Ord-
nung. Ein Anteil von 40 Prozent an den Strompreisen ist
staatlich verursacht, und der Steueranteil bei den Sprit-
preisen beträgt über 70 Prozent. Dass sich der Staat hier
in erster Linie selber bedient und einen Teil des Pro-
blems darstellt, das sollten wir hier doch nicht ver-
schweigen.


(Beifall bei der FDP)


Wir brauchen selbstverständlich auch mehr Wettbe-
werb. Gerade im Bereich der Stromerzeugung gibt es
eine starke Marktkonzentration. Unser aller Bemühen
muss dahin gehen, diese Marktkonzentration aufzubre-
chen.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Wie lange warten wir noch?)


Dazu gibt es verschiedene Gesetze und Initiativen, die
wir auf den Weg gebracht haben, zum Teil auch gemein-
sam. Auch die Regulierung der Netze zeigt ihre Wir-
kung. Das alles ist richtig und auch gut, aber es reicht bei
weitem nicht aus.

Auf der einen Seite haben wir das Problem der staatli-
chen Lasten, auf der anderen Seite haben wir – das sage
ich ausdrücklich an die Adresse der Union – das Pro-
blem des mangelnden Energiemixes. Dies wird uns ein-
holen; denn unser Blick ist in dieser Frage verengt. So
muss ich leider feststellen, dass bei dem Dreiklang von
Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssi-
cherheit, dessen Bewahrung eigentlich die Hauptgrund-
lage unserer Energiepolitik bilden sollte, der Punkt Ver-
sorgungssicherheit in letzter Zeit völlig außer Acht
gelassen wurde. Das hat auch ganz stark mit der Frage
des Energiemixes zu tun. An der Produktion von Strom
führt ja kein Weg vorbei. Zugleich brauchen wir eine
möglichst CO2-arme und kostengünstige Stromproduk-
tion,


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Den wir dann exportieren!)


wenn wir unsere Klimaschutzziele auch nur annähernd
erreichen wollen. Dazu benötigen wir natürlich auch die
Kernenergie. Leider müssen wir feststellen, dass Sie sich
damit abgefunden haben, dass man nicht mehr auf dem
breiten Energiemix, der nötig wäre, aufbaut.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch gar nicht wahr!)

So stellt sich nun die Frage, wie wir uns zum Kraft-
werkszubau verhalten. Wir brauchen dringend neue
Kraftwerke. Aber die Pläne zum bundesweiten Ausbau
und Neubau von Kohlekraftwerken sind stark zurückge-
fahren worden, weil an den vorgesehenen Standorten
häufig die Akzeptanz fehlte. Das Beispiel aus dem Saar-
land haben wir ja schon gehört. Aber auch in Dissen-
Bad Rothenfelde soll ein Kraftwerk gebaut werden. Ich
war dort vor kurzem und habe mit der Bürgerinitiative
gesprochen, die sich vehement dagegen ausspricht, dass
dort ein Kraftwerk entsteht. Auch andernorts gibt es rie-
sige Probleme. Dies gilt auch für den dringend nötigen
Ausbau der Netze. Es stellt sich also wirklich die Frage,
wie wir Versorgungssicherheit gewährleisten wollen.

Das neueste Gutachten des Hamburgischen Welt-
Wirtschaftsinstituts besagt, dass, wenn es bei dem Aus-
stieg aus der Kernenergie bleibt, es bis 2020 zu einer
Versorgungslücke bei der Stromproduktion in Höhe von
16 Prozent des benötigten Stroms kommen wird.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es auch andere Studien!)


Das darf uns nicht kaltlassen. Nur mithilfe der erneuer-
baren Energien schaffen wir es nicht, diese Lücke zu
schließen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich geht es mit erneuerbaren Energien!)


Auch wir wollen deren Ausbau, aber insbesondere zur
Wärmeproduktion; denn so produzierter Strom ist zu-
meist sehr teuer, und wir müssen auch auf die Kosten
achten; das ist ja neben Klimaschutz und Versorgungssi-
cherheit der dritte Punkt im Dreiklang.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613619200

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1613619300

Letzter Satz. – Sehr geehrte Kollegen und Kollegin-

nen, wir dürfen es uns also nicht zu einfach machen und
dem Sozialismus und dem Populismus das Wort reden.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Aber den AKWs reden Sie das Wort!)


Zugleich darf die Bundesregierung wichtige Entschei-
dungen, die sie zum Beispiel hinsichtlich des Energie-
mixes und anderer Fragen fällen müsste, nicht einfach
hintanstellen. Vielmehr brauchen wir den Mut, reale
Energiepolitik zu machen. Da kann ich Ihnen nur emp-
fehlen: Folgen Sie den Anträgen, die die FDP-Bundes-
tagsfraktion hierzu eingebracht hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Niemals!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613619400

Jetzt spricht der Kollege Rolf Hempelmann für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1613619500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Wir diskutieren über zwei Anträge der Linken, zum
einen über einen Antrag zum Thema Energiekosten und
zum anderen über einen Antrag zum Thema Abfederung
des Benzinpreisanstiegs. Es ist in der Tat richtig, dass
wir in den letzten Jahren – das gilt für einen etwas länge-
ren Zeitraum – mit steigenden Energiepreisen konfron-
tiert waren. Unbestritten ist auch, dass die Energiekosten
für viele Haushalte mittlerweile eine grenzwertige Be-
lastung darstellen. Deswegen haben wir über dieses
Thema auch in diesem Hause mehrfach diskutiert.

Die Vorschläge der Linken – das ist für diese Fraktion
typisch; Herr Dr. Pfeiffer hat es dementsprechend kom-
mentiert – greifen zu kurz. Sie rufen wie immer nach
mehr Staat. Genau diesen Weg wollen wir nicht gehen.
Wir wollen ihn unter anderem deswegen nicht gehen,
weil es sich hier um eine Placebopolitik handelt. Die
Forderung nach einer Wiedereinführung der staatlichen
Preisaufsicht etwa führt die Öffentlichkeit in die Irre.
Damit wird nämlich unterstellt, dass die Verbraucher auf
diese Weise vor Preiserhöhungen geschützt werden
könnten. Die Erfahrung mit der Preisaufsicht, die sich
nur mit einem Teil der Energiepreise auseinandersetzen
konnte, nämlich mit den Vertriebskosten, hat gezeigt,
dass sie eher wie ein staatliches Gütesiegel für Preis-
erhöhungen wirkt. Dahin wollen wir nicht zurück.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Es ist nicht alles richtig gemacht worden! Man kann es ja besser machen!)


Patentrezepte gibt es nicht. Sie gibt es vor allem des-
wegen nicht, weil wir es hier mit einer ausgesprochen
komplexen Thematik zu tun haben. Deswegen war es
richtig, dass Kollege Pfeiffer betont hat, dass wir den
Leuten nicht vormachen dürfen, wir könnten politisch
dafür sorgen, dass die Energiepreise in den nächsten Jah-
ren radikal und dauerhaft sinken. Es gibt zu viele Fakto-
ren, die genau in die andere Richtung weisen. Ich nenne
beispielsweise die steigenden Primärenergiepreise, also
die Preise für Gas, Kohle und Öl.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Sie sind aber nicht ausschlaggebend für die jetzigen Preise!)


Zu erwähnen sind auch die dynamisch anwachsende
Nachfrage und die gigantischen Investitionen, vor denen
dieser Sektor steht. Daran kann man die Tendenz erken-
nen, dass Energie teurer werden wird. Das heißt aber
nicht, dass die Politik nicht gefordert ist, alles das zu tun,
was ihr möglich ist, um diesen Preisanstieg zu dämpfen
und andere Akzente zu setzen. In der Vergangenheit ha-
ben wir schon einiges in diesem Bereich getan. Ich will
jetzt nicht all das wiederholen, was Herr Dr. Pfeiffer
schon angesprochen hat.

Klar ist jedenfalls, dass wir in den letzten Jahren eine
ganze Menge getan haben, gerade was das Thema Wett-
bewerbspolitik angeht. Die Bundesnetzagentur, die wir
eingerichtet haben, arbeitet – ich denke, das ist das Urteil
des gesamten Hauses – ausgesprochen erfolgreich. Sie
hat dafür gesorgt, dass es für den Durchschnittshaushalt
– ich will einmal diese Zahl nennen – eine Kostenerspar-
nis von bis zu 50 Euro pro Jahr gab. Ich denke, das ist
durchaus erwähnens- und lobenswert.


(Beifall bei der SPD)


Auch die Anreizregulierung, die noch nicht läuft, son-
dern zurzeit noch vorbereitet wird, verspricht, dass wir
auf diesem Weg zu weiteren Preissenkungen kommen
werden. Die Strategie für mehr Wettbewerb wird uns
mittel- und langfristig in die Lage versetzen, das, was an
Preissenkung und Preisdämpfung möglich ist, auch tat-
sächlich durchzusetzen.

Trotzdem ist es sicherlich richtig, dass wir für die be-
sonders stark betroffenen Verbraucher Regelungen brau-
chen, um besondere Härten abzufedern. Der Bundesbau-
minister hat in diesem Zusammenhang den Vorschlag
gemacht, das Wohngeld zu erhöhen und es künftig an die
Warmmiete zu koppeln. Man wird sich diesen Vorschlag
sehr genau anschauen müssen. Wenn wir in diesem Be-
reich handeln, wollen wir natürlich keine Schleichwege
eröffnen, auf denen das, was gut gemeint ist, möglicher-
weise zu anderen Zwecken missbraucht wird. Aber beim
Wohngeld anzusetzen, ist genau richtig. Wir werden – das
ist gerade gesagt worden – über diesen Vorschlag kon-
struktiv miteinander diskutieren.

Gleichzeitig ist es sicherlich so – auch das ist ange-
sprochen worden –, dass wir mehr und mehr darauf set-
zen müssen, dass Verbraucher die Dinge selbst in die
Hand nehmen. Das soll die Politik nicht entlasten. Aber
mit den Rahmensetzungen, die wir in der Vergangenheit
vorgenommen haben, haben wir es geschafft, dass im
letzten Jahr immerhin circa 1,5 Millionen Stromkunden
ihren Anbieter gewechselt haben. Sie sind von einem
teureren zu einem preiswerteren, einem billigeren An-
bieter gegangen. Das ist möglich geworden, weil wir die
entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt haben. Ich
glaube, dass dies ein weites Feld für Energieberatung ist.
Noch mehr Menschen müssen darauf aufmerksam ge-
macht werden, dass sie die Chance haben, sich selbst
von entsprechenden Kosten zu entlasten.

Auch das wird sicherlich nicht ausreichen. Ich habe
gerade gesagt, dass der Staat hier eine Verantwortung
hat. Deswegen müssen wir auf die Energieversorgungs-
unternehmen Druck ausüben, damit sie ihrerseits Sozial-
tarife anbieten. Das muss der erste Schritt sein. Wir ha-
ben bereits in der Vergangenheit Druck ausgeübt. Diese
Aufforderung zeigt durchaus Wirkung. Es gibt eine
ganze Reihe von Unternehmen, die auf diesem Sektor
aktiv geworden sind und Sozialtarife für besonders be-
troffene Kundengruppen anbieten.

Im Übrigen ist das auch ein europäisches Thema. Die
Europäische Kommission hat sich dieses Themas schon
bemächtigt und hierzu Richtlinien veröffentlicht. Die
Politik besitzt also einen Hebel, um auf die Unterneh-
men Druck auszuüben. Es muss in der Tat klar sein:
Wenn keine überzeugenden Angebote unterbreitet wer-
den, wird der Gesetzgeber das Thema selbst in die Hand
nehmen müssen.

Sie haben wahrscheinlich in den letzten Wochen ver-
folgt, dass Gesprächsangebote aus den Reihen der gro-
ßen Versorgungsunternehmen vorliegen. Es ist uns ge-






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
genüber sogar gesagt worden, man habe eingesehen, dass
man in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, nicht nur
allgemein im Bereich der Kommunikation, sondern ins-
besondere hinsichtlich der Preisbildung und der Preis-
höhe. Auf diesem Feld erwarten wir von den Unterneh-
men Vorschläge, die über das hinausgehen, was in den
letzten Wochen vorgelegt worden ist.

Es ist interessant zu beobachten, dass sich mittlerweile
nicht mehr nur Energieunternehmen dieses Feldes anneh-
men. Ladenketten haben dieses Thema entdeckt und ma-
chen ihren Kunden günstige Angebote. Ich denke, das ist
ein Bereich, den wir sehr genau beobachten müssen.
Möglicherweise ist das ein Weg, um motivierend auf die
Energiebranche einzuwirken. Ich kann mir nicht vorstel-
len, dass sie Lidl und Aldi dieses Thema überlassen will.
Ich sage aber noch einmal ganz ausdrücklich: Sollte es in
absehbarer Zeit keine entsprechenden Angebote geben,
wird sich der Gesetzgeber dieses Themas bemächtigen.

Noch eine kurze Anmerkung zum Thema Benzin-
preise. Das Kartellamt hat dieses Thema entdeckt und
will den Mineralölmarkt genau unter die Lupe nehmen.
Klar ist aber auch – wir haben in der Vergangenheit un-
sere Erfahrungen damit gemacht –, dass eine Senkung
der Mineralölsteuer nicht automatisch zu sinkenden
Benzinpreisen führt, sondern eher zu einer Veränderung
der Preisanteile zwischen Staat und Mineralölunterneh-
men. Deswegen wird dieser Vorschlag mittlerweile
kaum noch gemacht.

Es geht aber auch darum, dass wir weiterhin Druck
auf die Automobilindustrie ausüben, insbesondere hin-
sichtlich der Herstellung verbrauchsarmer Kraftfahr-
zeuge. Wir müssen aber auch alles tun – dieser Hinweis
ist sicherlich richtig –, um den ÖPNV so attraktiv wie
möglich zu erhalten. Ich denke, die Verabschiedung des
Regionalisierungsgesetzes, das die Finanzgrundlage des
ÖPNV abgesichert hat, ist ein Schritt in die richtige
Richtung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben also deutlich gemacht, dass wir uns dieses
Themas schon vor längerer Zeit angenommen haben und
auf sehr vielfältige Art und Weise versuchen, nicht nur
ein kurzes Strohfeuer zu entfachen, sondern langfristig
Wirkung zu erzielen. Machen Sie bei den Diskussionen
in den Ausschüssen und der anschließenden Diskussion
im Plenum des Deutschen Bundestages mit. Argumen-
tieren Sie dabei aber bitte nicht in Richtung mehr Staat,
sondern in Richtung Marktwirtschaft, die von einer Ge-
setzgebung begleitet wird, die die Dinge dann, wenn der
Markt es alleine nicht regelt, in die richtige Richtung
schiebt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613619600

Eine Kurzintervention des Kollegen Hill.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Schon wieder? – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das Jahr hat gerade angefangen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir so viel Zeit heute?)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613619700

Ich werde mich kurzfassen, liebe Kolleginnen und

Kollegen. – Herr Hempelmann, wenn ich Sie richtig ver-
standen habe, fällt das, was der Bundesbauminister vor-
geschlagen hat, bei Ihnen auf fruchtbaren Boden. Aller-
dings wird es in der Koalition noch – ich nenne es
einmal so – diverse Abstimmungen dazu geben. Dann
muss man einmal schauen, was am Ende dabei heraus-
kommt. Ich gehe davon aus, dass es so ist.

Die Frage geht in eine andere Richtung. Wohngeld-
empfänger und Haushalte mit geringem Einkommen ha-
ben natürlich ein Problem, in dem Markt, in dem wir uns
jetzt befinden, mit ihrem Geld auszukommen. Das be-
deutet letztendlich: Wenn die Sozialtarife, die eventuell
von den Stromkonzernen angeboten werden, immer
noch eine Höhe haben, die sich diese Kunden nicht leis-
ten können — wie gehen wir dann damit um, wenn der
Strom abgeschaltet wird? Ich bin der Meinung, dass der
Staat da handeln muss.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613619800

Sie möchten antworten? – Bitte schön.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1613619900

Zunächst einmal habe ich, glaube ich, eben deutlich

gesagt, dass wir in der Tat den Vorschlag des Bundes-
bauministers in seiner Ausrichtung unterstützen. Es ist
aber so, dass man sich solche Vorschläge im Einzelnen
ansehen muss. Vielleicht fällt uns noch manches zur in-
strumentellen Ausgestaltung eines solchen Vorschlages
und zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen
ein. Das habe ich ja eben angedeutet.

Hinsichtlich der Vorschläge von Unternehmen sind
wir alle, glaube ich, im Moment in einer Sammelphase.
Es hat sich in den letzten Wochen ja sehr viel entwickelt.
Ich denke, es empfiehlt sich, einen Dialog gerade mit
den Verbraucherschützern zu führen, um herauszufin-
den, welche dieser Modelle tatsächlich tauglich sind und
welche nicht. Heute schon vorherzusagen, welche Grö-
ßenordungen und Modelle man wählen müsste, würde
insinuieren, dass wir die Diskussion überhaupt nicht
brauchen. Den Fehler werde ich mit Sicherheit nicht ma-
chen. Wir erwarten Vorschläge und Modelle, die bei den
betroffenen Haushalten tatsächlich entlastende Wirkung
erzielen.

Ich würde mir vor allen Dingen Modelle wünschen,
die zwei Dinge zugleich schaffen: auf der einen Seite
eine finanzielle Entlastung der besonders Betroffenen,
auf der anderen Seite einen Anreiz zum Energiesparen.
Dies müssen wir intelligent zusammenführen. Damit
gibt es im Ausland Erfahrungen. Diese wollen wir in un-
sere Diskussion einbeziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613620000

Jetzt hat Nicole Maisch das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613620100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Linke hat in ihren Anträgen ein relevantes
Problem erkannt und schlägt die falschen Maßnahmen
zur Lösung vor.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Wir sind nicht so liberal wie die Grünen!)


– Das werde ich gleich ausführen.

Ich denke, unstrittig ist, dass die Energiekosten in ei-
nem dramatischen Maß angestiegen sind. Allein im
Strombereich verzeichnen wir in den vergangenen Jah-
ren für Haushaltskunden um 50 Prozent und für Indus-
triekunden um 77 Prozent steigende Strompreise.
Gleichzeitig steigen die Gewinne der großen vier Ener-
giekonzerne um 12 Milliarden Euro. Ich empfehle Ihnen
als Lektüre dazu eine Studie der grünen Bundestagsfrak-
tion. Das heißt auf der einen Seite steigende Preise, die
sich nicht allein mit den steigenden Rohstoffpreisen
rechtfertigen lassen, und auf der anderen Seite steigende
Gewinne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insbesondere für einkommensschwache Familien und
Haushalte besteht hier ein reales soziales Problem, auf
das vor allem die Bundesregierung reagieren muss.


(Gudrun Kopp [FDP]: Für alle Haushalte ist das ein Problem!)


Es besteht dringender Handlungsbedarf, allerdings nicht
in der Richtung, die die Linke vorschlägt. Die Linke
möchte einen nicht funktionierenden Energiemarkt, der
schlimme Regulierungsdefizite aufweist, nicht struktu-
rell verändern, so wie wir es wollen, sondern mehr Geld
in ein System pumpen, das so nicht funktioniert. Erlau-
ben Sie mir die Bemerkung, dass ich von einer Linken,
die sich gerne als sehr revolutionär geriert, ein bisschen
mehr Mut bei den Forderungen erwartet hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)


Sie möchten einen nicht funktionierenden Energiemarkt
in der Struktur erhalten und die Abzocke der Energiever-
sorger alimentieren.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Dann kennen Sie aber unsere Papiere nicht!)


– Ich kenne Ihre Papiere.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Nein!)


Statt auf Sozialtransfers sollten Sie lieber auf die Schaf-
fung eines echten und fairen ökologischen Energiemark-
tes setzen.

Ich möchte mich jetzt im Einzelnen mit Ihren Forde-
rungen auseinandersetzen. Die Wiedereinführung der
Strom- und Gaspreisaufsicht halten wir für den falschen
Weg. Die Strom- und Gaspreisaufsicht der Länder hat
nie wirklich funktioniert. Mit dem, was wir im Moment
haben, nämlich eine unabhängige Netzagentur und ein
Kartellamt, sind wir weiter. Natürlich ist die Senkung
der Netznutzungsgebühren eine grüne Forderung. Wir
finden es gut, dass sie erreicht wurde. Es wäre schön
– das fordern wir –, wenn das bei den Endverbrauchern
ankommen würde.

Ich denke, es ist unstrittig, dass die Regelsätze des
Arbeitslosengeldes II den steigenden Lebenshaltungs-
kosten angepasst werden müssen. Unstrittig ist auch,
dass bei Transferleistungen ökologische Komponenten,
die auch Sie vorschlagen, sinnvoll und gut sind. Falsch
ist aber, günstige Preise per Gesetz vorzuschreiben. Au-
ßerhalb einer Planwirtschaft muss man sich da fragen:
Wer bekommt diese günstigen Preise? Wer zahlt sie? Ist
das rechtlich überhaupt so möglich, wie Sie es behaup-
ten? Wir brauchen keine Gewinnabschöpfungssteuer.
Wir brauchen einen echten Handel mit CO2-Zertifikaten
statt einer Schenkung von Zertifikaten an bestimmte Un-
ternehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Und die Gewinne überlassen wir dann den Konzernen, oder was? Das ist ja interessant!)


Was wir brauchen – das ist eine der grünen Forderun-
gen –, ist eine eigentumsrechtliche Trennung von Strom-
netzen und Stromerzeugern. Damit setzt man bei der
Struktur an und pumpt nicht Geld in ein System, das so
nicht funktioniert – so wie Sie es vorhaben. Wir brau-
chen eine kartellrechtliche Entflechtung der marktbe-
herrschenden Unternehmen. Sogar die Monopolkom-
mission hat gesagt, dass wir es mit duopolistischen
Strukturen zu tun haben, die keinen echten Wettbewerb
ermöglichen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Wir
brauchen eine konsequente Umstellung auf erneuerbare
Energieträger. Angesichts sich immer weiter verknap-
pender Ressourcen ist es unumgänglich, auf Wind,
Sonne und Biogas zu setzen. Wir haben vorhin gehört,
die Atomkraft sei ein günstiges Mittel, um unsere Ener-
giekrise zu lösen. Lassen Sie mich dazu sagen: Die
Atomkraft ist nicht billig, sondern kommt uns alle teuer
zu stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wind und Sonne steigen nicht im Preis. Hier gehen die
Preise sogar nach unten, weil diese Technologien besser
sind. Durch diese Technologien wurde Deutschland in
diesem Bereich zum Exportweltmeister. Ich denke, die
Lösungen liegen auf der Hand. Dabei geht es insbeson-
dere um die Investition in erneuerbare Energien. Das,
was Sie vorschlagen, findet leider nicht unsere Zustim-
mung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Gott sei Dank findet das nicht Ihre Zustimmung!)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613620200

Ich schließe die Aussprache.

Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, die
Vorlagen auf Drucksachen 16/7745 und 16/7524 an die
Ausschüsse zu überweisen, die in der Tagesordnung auf-
geführt sind. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist
das so beschlossen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Walter Riester,
Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt
beim Aufbau und bei Reformen von sozialen
Sicherungssystemen unterstützen und soziale
Sicherung als Schwerpunkt der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit implementie-
ren

– Drucksache 16/7747 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir
das so tun.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Walter Riester für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1613620300

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Wir beginnen mit diesem Antrag eine parlamenta-
rische Debatte, die dann, wenn wir zur Beschlussfassung
bzw. zu einer entsprechend veränderten Praxis kommen,
eine deutliche Schärfung des Profils unserer Entwick-
lungspolitik zur Folge haben und darüber hinaus auch
Chancen eröffnen wird, über die ich sprechen möchte.

Zu diesem Thema haben wir eine Anhörung durchge-
führt. Alle, ob internationale oder nationale Experten,
waren sich in einem Punkt einig: dass eine nachhaltige
Armutsbekämpfung ohne den Aufbau sozialer Siche-
rungssysteme kaum möglich scheint. Dem müssen na-
türlich Konsequenzen folgen. Ich habe mich gefreut,
dass in die Regierungserklärung zum Gipfel von Heili-
gendamm exakt dieser Punkt aufgenommen und aus ei-
ner anderen Sicht heraus gesagt wurde: Investitionen in
die soziale Sicherung sind die notwendige Vorausset-
zung für Investitionen in wirtschaftliche Entwicklung
und effiziente Armutsbekämpfung.
Eine Chance haben allerdings auch diejenigen, die
Prozesse in den Entwicklungs- und Schwellenländern
unterstützen, nämlich die Chance, für sich ein Umden-
ken einzuleiten. Ich möchte kurz skizzieren, warum ich
der festen Überzeugung bin, dass eine einfache Übertra-
gung unserer Erfahrungen schlechterdings nicht möglich
ist. Wir haben es in den Entwicklungs- und Schwellen-
ländern mit Herausforderungen zu tun, die angegangen
werden müssen, die aber auch in ihrer Vielfältigkeit er-
kannt werden müssen. Wir selbst haben in unserem Land
soziale Sicherungssysteme entwickelt, aus der Erfahrung
der Industrialisierung, aus den Erfahrungen mit einem
stabilen, formellen Arbeitsmarkt. In den Entwicklungs-
ländern gehen 70 oder 80 oder gar 90 Prozent der Men-
schen überwiegend informellen Tätigkeiten nach. Aller-
dings hat auch dieser informelle Arbeitsmarkt
Strukturen, wie man erkennen kann, wenn man näher
hinschaut.

Die Stärke der Mikrofinanzierung liegt nicht nur in
der Zurverfügungstellung kleiner Geldbeträge, um
selbstständige Arbeit zu entwickeln, sondern auch in der
Organisation von sozialen Prozessen derer, die mit der
Mikrofinanzierung gemeinsam Wege beschreiten und
gemeinsam über wirtschaftliche Sicherung soziale Si-
cherung aufbauen. Dort wären Ansätze.

Ich mache einmal einen Sprung zu einer ganz anderen
Herausforderung. Wir sprechen viel über die Entwick-
lung in den Schwellenländern Indien und China und
diskutieren häufig darüber, wo die Notwendigkeit des
entwicklungspolitischen Ansatzes liegt. Nehmen wir
einmal die Herausforderungen, vor denen China steht:
zum einen die Unterschiedlichkeit der Entwicklung, zum
anderen die besondere Altersentwicklung, die durch fa-
milienpolitische Einschnitte entstanden ist. Ein Land, in
dem soziale Probleme traditionell in der Familie gelöst
werden, hat durch die Ein-Kind-Politik eine Bevölke-
rungsentwicklung hervorgerufen, bei der das kaum mehr
möglich ist, vor allem deswegen, weil 150 bis
200 Millionen Chinesen aus Zentralchina – das sind die
Jungen, die Starken – als Wanderarbeiter nach Ostchina
gehen. Soziale Sicherungssysteme gibt es nicht. So ent-
wickeln sich entsprechende Spannungen. Das ist eine
riesige Herausforderung, auch für uns, nicht nur sozial-
politisch, sondern auch wirtschaftspolitisch.

Ich bedauere – ich habe das hier im Haus schon ein-
mal angesprochen –, dass die Ausschreibung, die die EU
für die Unterstützung Chinas in diesen Fragen durchge-
führt hat, nicht von Deutschen, sondern von Briten ge-
wonnen worden ist. Es ist zwar eine deutsche Consul-
tingfirma beteiligt; aber ich hätte mir gewünscht, dass
die GTZ und die GVG diesen Auftrag bekommen hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/ CSU])


Dort sind riesige Herausforderungen, Herausforderun-
gen, die möglicherweise das bisherige Verständnis von
Entwicklungspolitik überschreiten.

Oder betrachten wir Südafrika als das in Subsahara-
Afrika wirtschaftlich mit Abstand stärkste Land. Doch






(A) (C)



(B) (D)


Walter Riester
auch in Südafrika gibt es in Fragen sozialer Sicherungs-
systeme ein Spannungsverhältnis. Wie sich die Älteren
von uns erinnern können, ist die erste Herztransplanta-
tion in Südafrika durchgeführt worden. Es gibt dort
kleine, hocheffiziente Entwicklungszentren für finanziell
gut dastehende Menschen; doch für die breite Masse der
Menschen gibt es keine Gesundheitsversorgung.

Die Frage der epidemischen Belastung des afrikani-
schen Kontinents mit Malaria, Tuberkulose und HIV/
Aids ist mit noch so viel finanziellen Mitteln nicht zu lö-
sen, wenn die personellen und strukturellen Vorausset-
zungen für die Bewältigung von Epidemien nicht da
sind.

Mit all dem möchte ich Ihnen aufzeigen, welche He-
rausforderungen, aber auch welche Chancen für die
Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern
da sind, wenn wir solche Schwerpunkte in der Entwick-
lungspolitik setzen.

Nun möchte ich über den Antrag hinaus den Wunsch
nach einer Chance für uns ansprechen. Ich sehe das nicht
als eine Aufgabe, die ressortmäßig einzig beim Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung angesiedelt wäre. Wir haben auch im Ar-
beits- und Sozialministerium und im Gesundheitsminis-
terium enorme Kapazitäten und viel Erfahrung. Ich hätte
die Bitte und den Wunsch, den Begriff der Kohärenz, der
hier immer wieder fällt, einmal umzusetzen, in der Er-
kenntnis, dass wir deutsche Gesundheitspolitik in Ent-
wicklungs- und Schwellenländer nicht einfach exportie-
ren können.


(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])


Aber wir können die Kapazitäten, die wir haben, für ei-
nen Prozess nutzen, in den wir uns als Entwicklungspoli-
tiker, weil wir um die Bedingungen in diesen Ländern
wissen, möglicherweise besser als die Experten im Ge-
sundheitsministerium einbringen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben enorme Kapazitäten in einem – das sage
ich aus Erfahrung – sehr gut arbeitenden Arbeits- und
Sozialministerium, das aber nur wenig Erfahrung mit in-
formellen Arbeitsmärkten hat.


(Gabriele Groneberg [SPD]: So ist es!)


Welche politischen Chancen hätten wir, durch die Zusam-
menfassung dieser Kapazitäten Kohärenz in der Politik
zu entwickeln und einen Schwerpunkt der Entwicklungs-
politik zu setzen, indem wir die Qualifikation deutscher
Hilfskräfte einbringen und die Nachhaltigkeit stärken,
eine Nachhaltigkeit, die uns eine wesentlich effizientere
Armutsbekämpfung erlauben würde? Ich glaube, hier
liegt eine große Chance.

Nun kommt es allerdings darauf an – ich bin davon
überzeugt, dass wir uns in der Zielsetzung über alle Par-
teien hinweg sehr einig sein werden –, dass wir nach der
Beschlussfassung mit der gleichen Hartnäckigkeit darauf
drängen, das, was wir jetzt diskutieren und beschließen,
auch konkret umzusetzen. Darum möchte ich bitten.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613620400

Der Kollege Dr. Karl Addicks hat jetzt das Wort für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Karl Addicks (FDP):
Rede ID: ID1613620500

Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Ich freue mich wirklich, dass dieses wichtige
Thema heute hier im Bundestag auf der Tagesordnung
steht. Wir haben die soziale Sicherung und den Aufbau
der sozialen Sicherungssysteme in Entwicklungs- und
Schwellenländern lange genug vernachlässigt. Ich denke,
die Reihenfolge im Titel wäre umgekehrt besser gewe-
sen: erst die Schwellenländer, dann die Entwicklungslän-
der.

Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Riester: Ei-
nige der Schwellenländer sind heute tatsächlich reif da-
für, langsam damit anzufangen, solche sozialen Siche-
rungssysteme aufzubauen. Natürlich ist das gerade für
Sie eine Herzensangelegenheit, Herr Riester. Ich denke,
wenn es zur Ausführung kommt, werden wir Sie an eini-
gen Stellen unterstützen können. Das Thema ist ganz be-
sonders vor dem Hintergrund von Aids, Malaria, TBC
und anderen Geißeln in den Tropen wichtig, wie Sie es
gesagt haben. Dabei unterstütze ich Sie.


(Beifall bei der FDP und der SPD)


Natürlich stellt diese Angelegenheit ein sehr dickes
Brett dar, das wir uns vorgenommen haben, zu bohren.
Darüber dürfen wir uns überhaupt keine Illusionen ma-
chen.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Da müssen wir wenigstens mal anfangen!)


Die erste Bohrung in dieses Brett, die Sie mit diesem
Antrag heute angebracht haben – um im Bild zu bleiben –,
ist ein bisschen oberflächlich. Die Überschrift ist sehr
vielversprechend. Sie reden gleich von Implementie-
rung. Ich denke, wir sollten uns erst einmal vornehmen,
das Thema zu installieren und dann kontinuierlich daran
zu arbeiten.

Ich teile die Analyse zur Situation in den Entwick-
lungsländern, wie sie in Ihrem Antrag vorgenommen
wird, zum allergrößten Teil. Sie ist richtig. Hinsichtlich
der Lösungsvorschläge bleiben Sie mit Ihrem Antrag
aber leider ein bisschen diffus. Ich hätte mir hier etwas
mehr erwartet. Auch die Forderungen, mit denen Sie
sich an den Bundestag wenden, sind unkonkret. Das
müssen wir nachbessern – am besten alle zusammen.

Wir hoffen, dass die konkreten Vorschläge und Maß-
nahmen sowie Angaben dazu, wie das im Einzelnen
gehen soll, noch benannt werden. Mit diesem Antrag
werden sie jedenfalls nicht geliefert – weder im Feststel-
lungsteil noch im Forderungsteil. Ich befürchte aber,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Karl Addicks
dass in der laufenden Legislaturperiode dazu nicht mehr
viel kommen wird.


(Jörg van Essen [FDP]: Das machen wir dann nach der Regierungsübernahme!)


Ich weiß nicht, ob das der kleinste gemeinsame Nenner
ist, auf den Sie sich gerade noch einigen konnten.

An eines muss ich in dem Zusammenhang auch noch
erinnern: Dieser Antrag passt überhaupt nicht zu der
Entscheidung, die die Große Koalition getroffen hat, als
wir im letzten Sommer die Einrichtung eines Unteraus-
schusses zur Gesundheit in Entwicklungsländern ange-
sprochen haben. Herr Riester, ich weiß, dass Sie und
viele andere Kollegen das unterstützt haben. Von den
Parlamentarischen Geschäftsführern Röttgen und Scholz
ist dieser Vorschlag aus sachfremden Erwägungen aber
leider einfach so abgelehnt worden. Ich thematisiere das
hier noch einmal, weil ich glaube, dass die Einrichtung
eines solchen Unterausschusses wirklich ein sehr guter
erster Schritt gewesen wäre, um dieses Thema mit der
Intensität zu bearbeiten, die notwendig ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn die entscheidenden Fragen werden in Ihrem
Antrag aufgeworfen – aber das wurden sie auch schon
vorher. Nur leider ist es nie zur Einsetzung dieses Unter-
ausschusses gekommen. Aber man kann sich ja jederzeit
eines Besseren besinnen und doch noch einen solchen
Unterausschuss fordern, der die konkrete Sacharbeit
leisten könnte, die erforderlich ist, um das Notwendige
umsetzen und implementieren zu können.

Eines möchte ich allerdings – so wie Sie, Herr
Riester, es im Grunde auch getan haben – sagen: Es darf
in den Schwellenländern und Entwicklungsländern keine
Kopie des deutschen Systems geben. Das wäre das Ende
noch vor dem Anfang. Wir müssen mit kleinen Schritten
anfangen.


(Beifall bei der FDP)


Wir müssen uns auch ganz genau überlegen, ob wir
gleichzeitig mit allen Versicherungssparten von der Un-
fallversicherung über die Krankenversicherung und Ar-
beitslosenversicherung bis hin zur Rentenversicherung
beginnen wollen. Es muss ja nicht gleich mit der Riester-
Rente anfangen. Man sollte lieber mit kleinen Schritten
anfangen und sehen, welche Reaktionen es darauf gibt.
Dem Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern
entsprechend kann man das System dann anpassen und
zu immer größeren Einheiten kommen. Ein deutsches
Kurwesen und all die anderen entsprechenden Leistun-
gen, die es bei unserer Krankenversicherung gibt, brau-
chen wir dort nicht.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Davon war doch gar nicht die Rede!)


Wir brauchen auch nicht – –


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ein „Addicks-Placebo“!)

– Nein, mit Placebos haben wir überhaupt nicht gearbei-
tet.


(Walter Riester [SPD]: Gegen was sprechen Sie jetzt? Doch nicht gegen den Antrag!)


– Wie bitte?


(Walter Riester [SPD]: Gegen was sprechen Sie jetzt mit diesen Vorschlägen? Doch nicht gegen den Antrag! Das steht doch gar nicht drin!)


– Ich spreche mich auch ein wenig gegen den Antrag
aus. Ich hätte mir mehr gewünscht, Herr Riester. Das
habe ich Ihnen am Anfang ja gesagt.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Wir sind eben realistisch, nicht träumerisch!)


Am Ende meiner Redezeit will ich Ihnen aber anbie-
ten, dieses wichtige Thema gemeinsam fraktionsüber-
greifend zu bearbeiten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613620600

Kollegin Sibylle Pfeiffer spricht jetzt für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1613620700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Karl Addicks, du weißt sehr wohl, wie sehr wir
alle für diesen Unterausschuss zur Gesundheit in Ent-
wicklungsländern gekämpft haben.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich habe es ja gesagt!)


Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Mir erschließt
sich überhaupt nicht, warum du das jetzt in diesem kon-
kreten Zusammenhang vorbringst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gabriele Groneberg [SPD]: Vollkommen richtig! – Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich ärgere mich noch heute darüber!)


Ich gehe davon aus, dass du seit etlichen Wochen
nach einer Möglichkeit suchst, dieses Thema endlich
wieder einmal ins Plenum zu bringen.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: So ist es! – Gegenruf des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Immerhin ehrlich!)


Wenn das der Fall ist, dann ist es dir hiermit gelungen.
Aber den Zusammenhang verstehe ich bei aller Wert-
schätzung nicht. Natürlich sind wir alle der Meinung,
dass wir diesen Unterausschuss brauchen. Du hast das
jetzt noch einmal angebracht, und ich finde es okay,
wenn wir das so machen.

Du beklagst unseren Antrag von vornherein als unzu-
reichend und als in den Einzelheiten nicht konkret ge-
nug. Einen so hohen Anspruch hatten wir aber gar nicht,






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Pfeiffer
worin Herr Riester mir wohl zustimmen wird. Es geht
vielmehr darum, etwas in Gang zu setzen, was Entwick-
lungspolitiker in Deutschland bisher versäumt haben.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Habe ich ja gesagt! – Gegenruf der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]: Aber wir machen es jetzt!)


Ich will dir und den anderen von den Reaktionen er-
zählen, die ich von den Kolleginnen und Kollegen erhal-
ten habe, denen ich diesen Antrag in die Hand gedrückt
habe: Du willst doch nicht allen Ernstes unser marodes
soziales Sicherungssystem in die Entwicklungsländer
exportieren?


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich wollte das doch nicht!)


Um Gottes willen, sollen wir das jetzt auch noch bezah-
len?


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich habe davor gewarnt!)


Darum geht es aber nicht.

Die Antwort ist ganz einfach. Wir müssen einfach
einmal schauen, wie die Situation bei uns Ende des
19. Jahrhunderts war und warum bei uns soziale Siche-
rungssysteme eingeführt wurden. Es gab Hunger, Armut
und politische Instabilität. Ähnlich ist die Situation in
den Entwicklungsländern. Auch dort finden wir Armut
und Hunger. Die Menschen vor Ort befinden sich in ei-
nem fürchterlichen Kreislauf. Sie sind arm und werden
krank, und wenn sie krank sind, werden sie noch ärmer.
Aus diesem Kreislauf kommen sie nicht heraus.

Wir wissen aber auch – das können wir aus deutscher
Sicht wunderbar nachvollziehen –, wie wichtig soziale
Sicherungssysteme sind. Wir haben die soziale Markt-
wirtschaft darauf aufgebaut. Wir haben einen ganzen
Wirtschaftssektor, der sich um unsere sozialen Siche-
rungssysteme herum gebildet hat und sich zum Beispiel
mit Gesundheit befasst, und wir haben einen entspre-
chenden Arbeitsmarkt. Auch diese Chance dürfen wir
nicht unterschätzen, wenn es darum geht, welche sozia-
len Sicherungssysteme in den einzelnen Ländern vorhan-
den sind – Walter Riester hat es bereits angesprochen – und
wie diese Länder solche Systeme aufbauen könnten.
Denn unsere sozialen Sicherungssysteme werden
schlechtergeredet, als sie sind. Im Gegenteil, sie sind so-
gar sehr gut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass wir im Laufe der Jahrzehnte aus dem einen oder
anderen – ich gestehe zu: auch politischen – Grund ver-
säumt haben, nachzuarbeiten und nachzujustieren, und
bestimmte Zeichen nicht rechtzeitig erkannt haben, die
es notwendig gemacht hätten, die sozialen Sicherungs-
systeme auch für die Zukunft sicher zu machen, ist eine
der Erkenntnisse, die wir in Verhandlungen und Unter-
stützungsgesprächen mit einbringen und berücksichtigen
können. Wenn es um den Aufbau solcher Systeme geht,
bringen wir all das mit ein, was wir in diesem Zusam-
menhang gelernt haben.
Ich glaube, dass wir unsere sozialen Sicherungssys-
teme – ob Krankenversicherung, Rentenversicherung
oder Ähnliches – sehr wohl als einen entwicklungspoliti-
schen Exportschlager bezeichnen können. Es muss nur
richtig gemacht werden. Das soll nicht heißen – um auf
mein Eingangsstatement zurückzukommen –, dass wir
unsere Gelder verteilen und sagen sollten: Liebe
Freunde, macht mal! – Jedes Land ist gesondert zu be-
trachten. Schwellenländer unterscheiden sich von Ent-
wicklungsländern. China, Indien und Südafrika sind an-
ders als zum Beispiel die Länder in Subsahara-Afrika zu
betrachten.

Jedes Land weist aber etwas einem Sicherungssystem
Ähnliches auf. Das gilt für Südafrika. Aber auch Malawi
– das haben wir gehört – hat eine Art soziales Sicherungs-
system, das vielleicht langfristig nachhaltig werden kann.
Die Systeme müssen je nach den kulturellen Gegebenhei-
ten und der vorhandenen Infrastruktur aufgebaut werden.
Dafür muss erfasst werden, wo das System bereits funk-
tioniert, wo nachzujustieren ist und wo was gemacht wer-
den kann. Es geht nicht darum, unsere Entwicklungshil-
fegelder dort hineinzupumpen und sozusagen das
deutsche Mäntelchen darüber auszubreiten. Es geht viel-
mehr darum, für die Menschen alles zukunftssicher zu
machen.

Das Wichtige an sozialen Sicherungssystemen ist, zu-
nächst die Schwächsten der Gesellschaft zu erreichen.
Das sind an erster Stelle immer die Frauen, die in vielen
Gesellschaften unterdrückt sind, keinerlei Eigenleben
führen, unter Krankheiten leiden und beim Tod ihres
Ehemannes nicht erben, weil das Erbe an dessen Familie
geht. Mit einem sozialen Sicherungssystem können wir
die Frauen in der Gesellschaft stärken. Uns Politikern
muss ich nicht erklären, wie wichtig starke Frauen für
diese Länder sind.

Die zweite Gruppe sind die Alten. Auch in den Ent-
wicklungsländern wird es in absehbarer Zeit zu einer
Überalterung kommen. Aber die Alten in diesen Län-
dern haben keine soziale Absicherung, weder für sich
selber, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und sich
Medikamente zu kaufen, geschweige denn, um sich um
ihre Enkelkinder zu kümmern, wenn diese zu Aidswai-
sen werden. Auch für diese Gruppe ist keine soziale Ab-
sicherung vorhanden. Ich glaube, dass wir auch in die-
sem Punkt der Gesellschaft etwas Gutes tun.

Die dritte Gruppe sind die Kinder. Die meisten Kin-
der, die in den Entwicklungsländern sterben, würden in
den Industrieländern überleben.

All diese Maßnahmen dienen dem Zweck, politische
Stabilität in diesen Ländern zu erreichen. Politische
Stabilität erreichen wir, indem wir die Gesellschaft an
sich stärken. Eine Gesellschaft stärkt sich über soziale
Sicherungssysteme. Irgendwann muss aber auch eine
Eigenfinanzierung über den Aufbau der sozialen
Sicherungssysteme in den betreffenden Ländern erfol-
gen. Wir müssen zusehen, dass parallel zum wirtschaftli-
chen Wachstum Sicherungssysteme entwickelt werden,
damit es keine große Schere zwischen der wirtschaftli-
chen Entwicklung eines Landes und der Lage der Men-
schen gibt. Wir dürfen die Menschen nicht außen vor






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Pfeiffer
lassen. Das würde anderenfalls nicht gut gehen und so-
zialen Sprengstoff bergen. Sozialer Sprengstoff in den
Entwicklungsländern ist etwas, was wir auf keinen Fall
haben wollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613620800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege

Hüseyin-Kenan Aydin.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613620900

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Meine Damen und Herren! Die Entwicklungszusam-
menarbeit muss sich an der Stärkung der sozialen Siche-
rungssysteme in den Entwicklungsländern orientieren;
das habe ich hier schon mehrmals gesagt. Das sagt die
Linke im Bundestag bereits seit zwei Jahren; denn wir
brauchen keine teuren Wirtschaftsberater für die Ent-
wicklungsländer, sondern Schulen und Abwassersys-
teme in Afrika als Hilfe zur Selbsthilfe. Die Menschen in
den Entwicklungsländern brauchen selbstverständlich
soziale Sicherheit, das heißt finanzielle Absicherung ge-
gen Arbeitslosigkeit, Unterstützung öffentlicher Renten-
systeme, kostenlose Hilfe bei Krankheit. Es kann des-
halb nicht angehen – das habe ich bereits in der
Haushaltsdebatte gesagt –, dass 2008 trotz steigender
Etatmittel des Entwicklungsministeriums beispielsweise
die Zusagen für die Grundbildung stagnieren. Es kann
nicht angehen, dass die Mittelzusagen bei Wasser sin-
ken, dass aber der Zusagerahmen für Wirtschaftsrefor-
men und Marktwirtschaft – jetzt wird sich die FDP
freuen – auf 423 Millionen Euro verdoppelt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sind 423 Millionen Euro, die den Armen nicht viel
bringen.

Unsere seit zwei Jahren beharrlich vorgetragene Kri-
tik an dieser Fehlorientierung stößt bei der Bundesregie-
rung auf taube Ohren. Umso erstaunter bin ich, dass die
Regierungsfraktionen einen durchaus begrüßenswerten
Antrag vorgelegt haben; denn im Gegensatz zu dem un-
verbindlichen Gerede, mit dem Sie uns regelmäßig in
entwicklungspolitischen Debatten gelangweilt haben,
wird hier Tacheles gesprochen. Ja, Sie haben recht: In
den letzten Jahren wurden die sozialen Aspekte in der
Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt. Ja, Sie ha-
ben recht, wenn Sie feststellen, dass sich kein Trickle-
down-Effekt eingestellt hat. Das heißt, die Förderung
großer Wirtschaftsunternehmen durch die Instrumente
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist nicht au-
tomatisch den Armen zugute gekommen. Ganz im Ge-
genteil: Die privatisierungsfreundliche Orientierung der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit torpediert das
wichtigste Ziel: die Armutsbekämpfung.

Die Koalitionsfraktionen fordern im vorliegenden
Antrag deshalb völlig zu Recht neue Prioritäten und die
Abkehr von alten Denkansätzen. Dieser – das betone ich –
durchaus gute Antrag ist aber auch eine schallende Ohr-
feige für die einseitige wirtschaftsfreundliche Orientie-
rung der Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Besonders möchte ich die richtige Feststellung hervorhe-
ben, dass die enorm gewachsene Zahl unsicherer Be-
schäftigungsverhältnisse eines der größten Probleme
darstellt; das hat Walter Riester bereits erwähnt.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Alter Schablonendrescher!)


Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation
arbeiten mittlerweile bis zu 80 Prozent der Menschen in
Asien und Afrika in der Schattenwirtschaft.

Bei dieser Gelegenheit erinnere ich Sie daran: Vor ei-
nem Jahr hat die Linke einen Antrag zur Ratifizierung
des IAO-Übereinkommens zur Heimarbeit vorgelegt.
Den haben Sie abgelehnt. Dabei wäre das doch ein wich-
tiger Beitrag zur Schaffung sozialer Sicherheit in den
Entwicklungsländern gewesen,


(Beifall bei der LINKEN)


damit auch Heimarbeiterinnen in Afrika endlich Mutter-
schutz bekommen. Ich erwarte, dass Sie hier endlich
handeln und das Übereinkommen ratifizieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Dennoch bleibe ich dabei: Die Regierungsfraktionen
haben einen guten Antrag vorgelegt, der von ihrer eige-
nen Regierung eine neue soziale Orientierung in der Ent-
wicklungszusammenarbeit einfordert. Doch Papier ist
geduldig; Taten müssen folgen. Wir werden wie auch
viele andere in den kommenden Monaten und Jahren ge-
nau beobachten, ob sich die Regierung in puncto Ent-
wicklungspolitik der Mehrheit des Bundestages ver-
pflichtet fühlt. Wie bereits angekündigt, wird die Linke
gute, richtige Ansätze unterstützen, aber Fehlorientie-
rungen immer ganz klar und deutlich kritisieren.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Wie sie das schon seit Urzeiten macht!)


Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613621000

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin

Ute Koczy für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Rücken Sie mal einiges zu recht!)



Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613621100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Soziale Sicherung tut not, nicht nur in
Deutschland, sondern auch und besonders in den Ent-
wicklungs- und Schwellenländern. Das können wir hier
sicherlich gemeinsam festhalten; das ist ein guter Aus-
gangspunkt.

Der Koalitionsantrag greift viele richtige und wich-
tige Aspekte auf. Ich bin dem Kollegen Riester dankbar,






(A) (C)



(B) (D)


Ute Koczy
dass er die Initiative gestartet hat, unseren Blick in die-
sem Bereich zu schärfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Aber ein bisschen Wasser in den Wein darf ich gießen:
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den inhaltlichen
Ausführungen sind Sie vage geblieben. Das kann ich
auch verstehen. Trotzdem muss man hier nacharbeiten.
Darauf, dass dem so ist, hat Kollegin Pfeiffer bereits hin-
gewiesen. Insofern ist es nicht ganz unrichtig, was die
Opposition dazu zu sagen hat.

Wer arm ist, ist anfällig. Wer dann noch krank wird,
wird zumeist auch noch arbeitslos. Dann fällt man voll-
kommen heraus und hat noch weniger Chancen als zu-
vor, der Armut zu entrinnen. Deswegen halte ich es für
richtig, dem Management sozialer Risiken gerade in den
Entwicklungsländern, den ärmsten Ländern, mehr Auf-
merksamkeit zu schenken.

Soziale Sicherung – dieses Thema wird gerade in der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit zuneh-
mend erkannt – kann für eine erfolgreiche und nachhal-
tige Armutsbekämpfung entscheidend sein. Konzepte ei-
ner sozialen Sicherung müssen aber auch in eine
kohärente Entwicklungs- und Armutsbekämpfungsstra-
tegie eingebettet sein. Das ist das berühmte Brett, das zu
bohren ist: Man muss tatsächlich in Kohärenz arbeiten
und das vorhandene Know-how nutzen. Außerdem
– Herr Riester, ich greife es auf – darf sich die Bürokra-
tie nicht gegenseitig bekämpfen. Ihr Appell ist korrekt.
Hier müssen wir zusammenarbeiten; es gibt hier viel zu
tun.

Ein ganz wichtiger Aspekt bei diesem Kampf um so-
ziale Sicherung ist es, die Frauen in den Mittelpunkt zu
rücken. Insbesondere die Frauen sind in der Armutshie-
rarchie unten, vor allem sie haben die meiste Last. Aus
den Berichten aus anderen Ländern erfahren wir aber
auch, dass es wiederum die Frauen sind, die sehr daran
interessiert sind, soziale Sicherungen zu erhalten, und
die bereit sind, sich die finanziellen Mittel für sich und
ihre Kinder vom Mund abzusparen. Meine Forderung ist
– dies fehlt meiner Meinung nach in diesem Antrag –,
bei künftigen Konzepten der sozialen Sicherung ganz
besonders die Frauen in den Mittelpunkt zu stellen.

Ich erinnere an Mirai Chatterjee, Vertreterin eines
Frauenverbandes, die immerhin 800 000 Frauen in In-
dien vertritt. Bei unserer Anhörung sagte sie etwas ganz
Entscheidendes:

Nach unserer Erfahrung ist ein ganzheitlicher An-
satz bei dem Versuch, die Armen zu beschäftigen
oder die Armut zu überwinden, wichtig. Die Ar-
beitssicherheit und die soziale Sicherheit müssen
die Grundlagen von allen Armutsbekämpfungsstra-
tegien sein.

Sie sagte aber auch:

Wenn die Bedingungen nicht fair sind, dann werden
wir nicht überleben können, ganz egal, ob wir so-
ziale Sicherungssysteme haben.
Damit schlug sie den Bogen zu den WTO-Verhandlun-
gen und gerechten Wirtschaftsstrukturen sowie zu unse-
rer Verantwortung im Wirtschaftsbereich. Diesen wichti-
gen Zusammenhang will ich hier nicht unerwähnt lassen.

Ich komme auf den Antrag zurück. Sie erwähnen,
dass sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bei
der sozialen Sicherheit auf Krankenversicherungen und
auf die Grund- und Alterssicherung konzentrieren wird.
Wenn Sie das als Analyse darstellen, stelle ich die Frage:
Haben Sie noch weitere Bereiche im Sinn und, wenn ja,
welche? Eine Ihrer Forderungen bezieht sich auf Grund-
sicherung und soziale Sicherung. Mir ist nicht klar, wie
Sie da weitergehen wollen. Ist es die Pflege-, Unfall-
oder Arbeitslosenversicherung? Auch das ist nicht klar.
Hier bleibt der Antrag schwammig, aber das ist auch
klar, da wir hier Neuland betreten. Wir werden diskutie-
ren müssen, wie die Entwicklung neuer Lösungsstrate-
gien aussieht. Soziale Sicherungssysteme in Entwick-
lungsländern haben nur dann eine Chance, wenn sie
langfristig finanziert werden. Da bin ich sehr d’accord.
Aber wie wäre es denn mit ein paar konkreten Vorschlä-
gen zur Finanzierung? Ich bin gespannt auf Ihre Vor-
schläge. Vielleicht kann man hier gerade an rohstoffrei-
chere Entwicklungsländer neue Anforderungen stellen.
Diesen Vorschlag können wir gut einbringen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Summa summarum: Soziale Sicherungssysteme sind
ein wichtiges Standbein bei der Armutsbekämpfung. Ja,
sie können zur Entwicklung beitragen. Ihr Antrag geht in
eine gute Richtung. Wir diskutieren gerne weiter. Ich
denke, wir werden zu guten Ergebnissen kommen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613621200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7747 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 sowie den
Zusatzpunkt 6 auf:

11 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Cornelia
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz durch den Einsatz von CO2-Ab-
scheidung und -Lagerung

– Drucksachen 16/5164, 16/7264 –

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Potenziale der Abtrennung und Ablagerung
von CO2 für den Klimaschutz nutzen

– Drucksache 16/5131 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden
wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613621300

Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin Klug! Ver-

ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit der
Jahreszahl 2020 beginnen, die für den Klimaschutz eine
immense Bedeutung hat. 2020 ist das Etappenziel im
Kampf gegen den Klimawandel, sozusagen das Beweis-
jahr, ob unsere Strategien zielführend sind. 2020 ist auch
das Jahr, an dem wir nach allen Prognosen der Befür-
worter frühestens mit dem Einsatz von CCS rechnen
können.

Damit sind wir beim ersten Problem dieser hoff-
nungsvollen Technologie. Selbst wenn sie kommt, sie
kommt zu spät. Wir erleben derzeit eine Renaissance der
Kohle, die beim ungehemmten Begehr auf Genehmigun-
gen für neue Kohlekraftwerke anfängt und bei der Wie-
derbelebung der Uralttechnologie Kohleverflüssigung
als Strategie „Weg vom Öl!“ für die Chemie aufhört – al-
les auf Basis des wahrscheinlich uneinlösbaren Verspre-
chens: Das rüsten wir dann mit CCS nach.

Ich will einmal die ganzen noch nicht gelösten und
vielleicht auch nicht lösbaren Fragen in den drei Pro-
blemkreisen Abscheidung, Transport und Speicherung
außer Acht lassen und mich nur auf den vorhandenen
Glauben konzentrieren, dass wir 2020 CCS haben wer-
den. Was heißt das für unsere Klimaschutzstrategie und
für Deutschlands Rolle bei dieser globalen Mammutauf-
gabe? Das heißt, dass wir 2020 keine 40 Prozent CO2-
Emissionen eingespart haben werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das hält uns nicht nur Greenpeace vor, das war auch die
erste Botschaft des neuen UN-Klimasekretärs de Boer an
Deutschland. Mit dem Neubau von bis zu 25 Kohlekraft-
werken geht diese Rechnung einfach nicht auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Unsere Aufgabe, die selbst gewählte und inzwischen
weltweit anerkannte, die Rolle des Klimaschutzvorrei-
ters zu erfüllen, heißt aber, zeigen, wie es geht. Wenn
uns das nicht gelingt, dann werden wir, wird die EU kein
Schwellenland, kein Entwicklungsland und nicht die
USA davon überzeugen können, dass Klimaschutz,
Wirtschaft und gesellschaftlicher Wohlstand zusammen-
gehen. Zeigen, dass es geht, müssen wir spätestens 2020.
Zeigen, wie es geht, müssen wir heute, nicht mit Luftbu-
chungen und dem Schwafeln von noch nicht vorhande-
nen Technologien, sondern mit berechenbaren, nachhal-
tigen Technologien, die auch ein Angebot für die
Entwicklungsländer darstellen.

Eine Studie zum Vergleich „Fossile Kraftwerke mit
CO2-Abscheidung und erneuerbare Energien“ hat das
BMU im März 2007 mit „Neue BMU-Studie zeigt Chan-
cen für saubere Kohle“ bekannt gegeben. Das Wupper-
tal-Institut, das diese Studie im Auftrag des BMU durch-
führte, überschrieb seine Nachricht mit: „Endbericht
zeigt: CCS – kein Königsweg für den Klimaschutz“. Ist
das eine unterschiedliche Einschätzung, oder will da je-
mand einfach etwas nicht wahrhaben? So heißt es zum
Beispiel, was Öko- und CO2-Bilanzen anbetrifft:

Im Vergleich zu CCS-Kraftwerken schneiden ver-
gleichbare Großanlagen aus dem Bereich Erneuer-
bare Energien deutlich besser ab.

Zum ökonomischen Vergleich ein weiteres Zitat:

Schon im Jahre 2020, dem Jahr der voraussichtlich
frühesten kommerziellen Verfügbarkeit der CCS-
Technologie, dürfte eine Reihe von Erneuerbare-
Energien-Technologien zu vergleichbaren oder güns-
tigeren Konditionen Strom anbieten können … Län-
gerfristig ist zu erwarten, dass erneuerbare Energien
wegen der Unabhängigkeit von Brennstoffpreis-
Schwankungen erhebliche Vorteile haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So weit die Studie des BMU.

Lassen Sie mich noch das Argument der Effizienz an-
sprechen. Nicht nur, dass ein Kraftwerk mit CCS höchst
ineffizient arbeitet – was passiert wohl gesellschaftlich
mit dem Willen zum Einsparen unter der Botschaft, das
CO2 könne man auch verbuddeln? Das ist doch, als wür-
den wir zur Lösung des Problems, dass unsere Kinder zu
dick sind, auf Fettabsaugen setzen anstatt auf bessere Er-
nährung und Bewegung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage rechnet
uns die Bundesregierung vor, dass die ins Auge gefass-
ten Endlagerstätten bei uns theoretisch das CO2 einer
Kraftwerksgeneration aufnehmen können; aber in ande-
ren Teilen der Welt könnten größere Speicherpotenziale
bestehen. Besonders betont wird der norwegische Off-
shorebereich. Sie alle haben in den letzten Tagen zur
Kenntnis genommen, dass die norwegischen Pilotpro-
jekte zur CO2-Speicherung auf Eis gelegt wurden. Wäh-
rend vor einem Jahr Ministerpräsident Stoltenberg noch
vom „Mondlandungsprojekt“ sprach, heißt es heute, dass
es unmöglich sei, ein solches Kraftwerk wirtschaftlich
zu betreiben. Tatsächlich rechnet sich das wohl höchs-
tens bei einem extrem hohen Preis für Emissionszertifi-
kate. Die Konzerne, vor allem Vattenfall, müssen also
bitten, ihnen die Zertifikate nicht mehr zu schenken, son-






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl
dern sie möglichst schnell ordentlich teuer zu machen.
Falls der Herr Minister diesem Wunsch nachgeben will,
würden wir ihn da eventuell unterstützen.

Dann, Frau Klug und Minister Gabriel, ziehen Sie
bitte auch noch die richtige Konsequenz. Im Umweltaus-
schuss hat Herr Gabriel seine Klimaschutzstrategie früh
so auf die Punkte gebracht – in dieser Reihenfolge –: Ef-
fizienz, CCS, erneuerbare Energien. Zeigen Sie im BMU
sich lernfähig! Streichen Sie den mittleren Punkt! Erspa-
ren Sie Gesellschaft und Wirtschaft weitere Endlager-
problematiken! Verwenden Sie Forschungsgelder für
Technologien, die nicht für eine Kraftwerksgeneration,
sondern für eine lange, energiesichere Zukunft entwi-
ckelt werden! Vertrauen Sie dem Wachstum der erneuer-
baren Energien! Über alle gesteckten Ziele hinaus sind
sie bereits bei 14,3 Prozent. Setzen Sie anders auf Effi-
zienz, als der Minister das bei seinem letzten EU-Auf-
tritt gemacht hat – Stichwort: Automobilindustrie –, und
lassen Sie sich von den Konzernen nicht weiter einreden,
es gehe nur mit Kohle oder Atomstrom!


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613621400

Frau Kollegin, Sie müssen an Ihre Redezeit denken.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613621500

Ich komme zum Schluss. – Falls Sie das selbst glau-

ben: Werfen Sie einen Blick in das grüne Energie-
konzept 2.0. Da steht, wie es geht.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613621600

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Petzold für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1613621700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kotting-Uhl, eine Opposition ist immer schlecht
beraten, wenn sie eine Strategie verfolgt, die darauf
setzt, den Menschen Angst vor Neuem einzuflößen. Spä-
testens wenn sie wieder einmal in Verantwortung kom-
men will, muss sie den Menschen erläutern, wie sie es
selbst auf die Reihe bringen will.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch kein Schüren von Ängsten!)


Genau diese Strategie, das Schüren von Angst und
Sorge, wird jedoch mit der vorliegenden Großen An-
frage der Grünen verfolgt, indem die CO2-Abschei-
dungs- und -Speicherungstechnologie als „Großexperi-
ment“ mit „unbestreitbaren Risiken“ und einer „Vielzahl
offener Fragen“ bewusst diffamierend hinterfragt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch so!)

Mit dem Ergebnis der öffentlichen Anhörung unseres
Ausschusses vom März 2007, mit der Antwort der Bun-
desregierung auf die fast wortgleiche Kleine Anfrage der
Grünenfraktion vom April 2007 und dem gemeinsamen
Bericht des BMWi, des BMU und des BMF vom
September 2007 sind die in der Großen Anfrage teil-
weise polemisch gestellten Fragen längst beantwortet.
Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass es bei der
Anfrage gar nicht darum geht, ob man CCS möchte oder
nicht. Vielmehr geht es um die grundsätzliche Frage der
Kohleverstromung unter den Bedingungen des Klima-
schutzes.

Eine nur nationale Betrachtung ist beim Klimaschutz
unsinnig und würde von den Menschen nicht akzeptiert.
Was nutzt eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in
Deutschland um 40 oder 80 Prozent, wenn gleichzeitig
in Asien bei steigendem Pro-Kopf-Bedarf der Strom in
Kohlekraftwerken mit einem Wirkungsgrad von unter
30 Prozent produziert wird?


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorbildfunktion! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Andere Technologien!)


Erinnern Sie sich bitte an die Aussagen der Mitglieder
des Energieausschusses der russischen Duma bei uns im
Umweltausschuss. Da wurde gesagt, Russland sei jeder-
zeit bereit, Deutschland das gewünschte Erdgas zu lie-
fern; wir Deutsche sollten uns dann aber bitte nicht ein-
mischen, wenn in Russland weiter Kohle verstromt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was macht es für einen Sinn, in Deutschland russisches
Erdgas zur Stromerzeugung einzusetzen und dafür in
Russland Kohle in Kraftwerken mit deutlich geringerem
Wirkungsgrad als hierzulande zu verstromen?


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Unsere Kohle kommt aus Afrika und Australien, nicht aus Russland!)


Was macht es für einen Sinn, wenn man singulär sowohl
aus der Kohleverstromung als auch aus der CCS-Tech-
nologie aussteigt, obwohl man Technologieführer ist?

Übrigens: Auch bei der Verstromung von Gas wäre es
wichtig, die CCS-Technologie einzusetzen;


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Norwegen wurde es gerade probiert!)


denn es gibt kein gutes CO2 aus der Verbrennung von
Gas oder Biomasse und böses CO2 aus der Verbrennung
von Kohle.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man überzeugt ist, dass anthropogen erzeugtes
CO2 einen wesentlichen Anteil an der derzeitigen Klima-
veränderung hat und wir auch nach 2020 alle Anstren-
gungen unternehmen müssen, um den CO2-Ausstoß zu
reduzieren, muss man Ja zur CCS-Technologie sagen.






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Petzold

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zur Atomenergie! Immer Ja sagen!)


Es ist allerdings schon sehr grenzwertig, wie Sie sich
in der vorliegenden Anfrage zur CCS-Technologie posi-
tionieren. Da werden Zweifel an der Technologie ge-
schürt, indem sie als PR-Instrument verunglimpft wird.
Da wird die Wirtschaftlichkeit mehr als kritisch hinter-
fragt. Da werden Ängste vor Umweltschäden bei Trans-
port und Lagerung geschürt. Da wird Furcht vor Ge-
sundheitsrisiken infolge von Leckagen eingeflößt. In der
Überbetonung der Risiken und der Negation der Chan-
cen der CCS-Technologie liegt die große Gefahr, dass
die notwendige gesellschaftliche Diskussion verunsach-
licht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für eine sachliche Diskussion ist es erforderlich, die drei
Rechts- und Sachbereiche, die Sie schon erwähnt haben
– Abscheidung, Transport und Speicherung –, säuberlich
zu trennen und zu analysieren,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sachlich heißt, Risiken zu ignorieren, oder was?)


wie weit wir gekommen sind und welche Schritte noch
notwendig sind, um auf einen ausreichenden Erkenntnis-
stand zu kommen.

Bei der CO2-Abscheidung stehen mit der Rauchgas-
wäsche, der Vorvergasung und der Oxyfuel-Technologie
zurzeit drei Technologien mit unterschiedlichem Anar-
beitungsstand zur Verfügung.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine davon lässt sich nachrüsten!)


Für die Erkenntnisgewinnung bei der Oxyfuel-Technolo-
gie steht uns zum Beispiel die 0,5-MW-Testanlage des
BMWi-Forschungsverbundprojektes in Jänschwalde zur
Verfügung. Eine größere Erprobungsanlage geht in die-
sem Sommer in Schwarze Pumpe in Betrieb.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Forschungen! Da steht noch nichts zur Verfügung!)


– Das sind Erprobungen. Sie sollten zwischen Forschung
und Erprobung unterscheiden. So viel Technologie-
kenntnis sollten Sie schon mitbringen.

RWE Power engagiert sich bei der Vergasungs- bzw.
IGCC-Technologie, bei der auch andere Brennstoffe wie
Biomasse, Abfälle oder Klärschwemme eingesetzt wer-
den können; im Jahr 2014 soll ein Kraftwerk mit dieser
Technologie in Betrieb genommen werden. Die
Rauchgaswäsche, wiederum eine Abscheidungstech-
nologie – Sie kennen sie –, kann in bestehenden Kraft-
werken nachgerüstet werden. Wir wissen wohl, dass da-
für Platz benötigt wird. Die Technik kann aber schon
genutzt werden und wird zurzeit verbessert.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Selbstverständlich finden Erprobungen dieser Tech-
nologien nicht nur in Deutschland statt. Die Forschung
an diesen Technologien wird, wie aus den eingangs ge-
nannten Unterlagen zu ersehen ist, von der Europäischen
Union gefördert. Es ist dann die Frage, ob wir uns mit
unserem Wissensvorsprung aus dieser Technologie und
der Forschungsförderung ausklinken wollen.

Der Transport des abgeschiedenen CO2 von den Ab-
scheidungsorten zu den möglichen Lagerstätten ist
grundsätzlich technisch gelöst. Bereits jetzt existieren
CO2-Fernleitungen, und es geht rein technisch gesehen
um das Problem der Dimensionierung dieser Leitungen.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Allerdings müssen wir rechtliche Fragen beantwor-
ten. Es sollte für jeweils eine Fernleitung nur eine Ge-
nehmigungsstelle und für alle betroffenen Bundesländer
nur ein vorlaufendes Raumordnungsverfahren geben.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter anderem, ja!)


Das wäre sehr wichtig.

Genauso sollten wir uns dringend überlegen, ob wir
das Genehmigungsverfahren durch eine Regelung ent-
sprechend Ziffer 19.2 Anlage 1 zum UVPG ergänzen
und beschleunigen.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Auch richtig!)


Grundsätzlich sollten auch CO2-Fernleitungen unter die
Rohrfernleitungsverordnung fallen.

Zur Frage der Lagerung von CO2 gibt es wohl den
höchsten Bedarf an Erkenntniszuwachs. Es dürfte aber
jedem bekannt sein, dass Millionen Jahre alte natürliche
CO2-Lagerstätten existieren, ohne dass sie uns gefähr-
den.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Auch die Möglichkeit der CO2-Ablagerung in ausgebeu-
teten Erdgas- und Erdölfeldern bzw. zur Steigerung der
Förderung ist Stand der Technik. Doch die weitaus
größte Speicherkapazität liegt in Deutschland in den sa-
linaren Aquiferen, nach oben dichten, porösen Gesteins-
schichten, in denen sich salzhaltiges Wasser angesam-
melt hat. Hierzu sind noch umfangreiche Erkundungs-
und Forschungsaktivitäten notwendig.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


Auch an dieser Stelle sind rechtliche Klarstellungen
erforderlich. Der nun seit gestern vorliegende, allerdings
noch unabgestimmte CCS-Richtlinienentwurf der EU
befasst sich nicht mit den eigentumsrechtlichen Frage-
stellungen der Lagerstätten. Deshalb stehen nach § 905
Satz 1 BGB in Verbindung mit § 3 Bundesberggesetz geo-
logische Aquifere im Eigentum des Eigentümers der Bo-
denoberfläche. So könnte der Eigentümer nach Satz 2
des § 905 BGB die CO2-Einlagerung untersagen, wenn
er daran kein Interesse hat. Schon die Erkundung und
Erforschung einer solchen Lagerstätte könnte dadurch
auf unüberwindliche Hindernisse stoßen. Wir müssen
deshalb meiner Auffassung nach umgehend ein in An-
lehnung an das Bergrecht entwickeltes Erkundungsge-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Petzold
setz beschließen, um eine sichere Forschungsbasis zu
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Aber ohne die Linkspartei! Das kann ich Ihnen schon sagen!)


Genauso steht ein Untergrundraumordnungsgesetz
aus, nach dem gegenläufige Interessen am Untergrund
gegeneinander abzuwägen wären. Dazu gibt es einen
klaren Fingerzeig in dem uns vorliegenden Entwurf der
CCS-Richtlinie, die Sie wahrscheinlich auch schon gele-
sen haben.

Lassen Sie uns nicht mit emotionalen Schnellschüs-
sen und Angstkampagnen, sondern mit Forschung, sach-
licher Diskussion und Information auf die neue CCS-
Technologie reagieren!

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613621800

Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1613621900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe

gedacht, zu später Stunde würden wir heute hier eine
Fachdiskussion führen. Aber das, was Sie, Frau Kotting-
Uhl, abgeliefert haben, war so was von unterirdisch, dass
man es fast schon einlagern müsste.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nach Bergrecht!)


– Nach Bergrecht, genau. –


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Marke Maulwurf!)


Der Weggang von Herrn Loske führt offensichtlich dazu
– das merkt man sehr deutlich –, dass die grüne Umwelt-
politik sich von Argumenten verabschiedet und sich ideo-
logisch nach links verschiebt. Was hier heute von Ihnen
geboten wurde, ist zumindest nach meiner Kenntnis die
Linie von Herrn Fell, und die hat auf Ihrer Bundesdele-
giertenkonferenz damals keine Mehrheit gefunden.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt alles auf der Linie des Beschlusses!)


Aber das müssen Sie vielleicht innerparteilich klären.

Auf jeden Fall ist das, was Sie hier von sich gegeben
haben, so, dass Sie lange in der Opposition bleiben soll-
ten, meine Damen und Herren. Sie wollen gleichzeitig
aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen, und beim
vorletzten Tagesordnungspunkt hat Ihre Kollegin be-
klagt, dass die Energiepreise so steigen. Das passt leider
überhaupt nicht zusammen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Internationale Energie-Agentur hat in ihrer Tech-
nologiestudie sehr deutlich gemacht, dass wir nur dann,
wenn wir tatsächlich alle derzeit verfügbaren Technolo-
gien global nutzen, die CO2-Emissionen, bezogen auf
ein Szenario bis zum Jahre 2050, in etwa auf dem Stand
von heute halten, wenn wir also ansonsten keine Fort-
schritte bei den Technologien, die wir heute haben, ma-
chen würden. Das bedeutet, wir müssen unsere Politik
ganz klar auf das Jahr 2050 ausrichten. In der Phase von
heute bis zum Jahre 2050 entscheidet sich also, was kli-
matisch auf unsere Urenkel zukommen wird. Sie können
nicht wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren und
nur auf das Jahr 2020 schauen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut doch niemand!)


Wenn Sie Ihre Politik nur auf das Jahr 2020 ausrichten,
machen Sie keine nachhaltige Politik für dieses Jahrhun-
dert. Deshalb sollte man nicht das Argument vorbringen,
bis 2020 sei CCS nicht einsatzreif. Nein, das wird es
nicht sein, aber auch das solare Zeitalter wird bis 2020
nicht angebrochen sein.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist längst angebrochen!)


Das solare Zeitalter wird vielleicht im Jahre 2050 anbre-
chen. Deshalb ist das Gebot der Stunde, auf einen ent-
sprechenden Energiemix zu setzen, und zwar über 2020
hinaus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Selbst wenn wir es in Deutschland schaffen würden,
ohne Kohleverstromung und damit ohne CCS auszu-
kommen – –


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt China!)


– Ja, jetzt kommt China. Dort und auch in anderen Län-
dern gibt es noch sehr große Kohlevorkommen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Speichermöglichkeiten!)


Auch wenn die deutschen Grünen meinen, die Kohle
sollte in der Erde gelassen werden, werden die Chinesen
das nicht tun.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir andere Technologien billiger anbieten, tun sie das schon!)


Wir sagen: Es ist besser, beim Verbrennen dieser Kohle
mit CO2-Abscheidungen zu arbeiten als ohne; denn das
CO2 aus China belastet Ihr Klima genauso wie das der
Chinesen.


(Beifall bei der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo speichern sie denn das in China?)


Deswegen sollten wir uns mit den Grünen oder den
Linken nicht mehr groß darüber unterhalten, ob wir uns
mit CCS beschäftigen, sondern wir sollten das tun, was
international Stand der Diskussion ist, nämlich in CCS






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
einsteigen und CCS zumindest für die nächsten 40,
50 Jahre als Übergangstechnologie nutzen. Das bedeutet,
dass wir jetzt die notwendigen Schritte einleiten, die Er-
richtung von Erprobungskraftwerken auf den Weg brin-
gen und die offenen Forschungsfragen klären müssen so-
wie die staatlichen Ebenen ihre Hausaufgaben bei den
Genehmigungsverfahren machen müssen, damit diese
möglichst einfach über die Bühne gehen. Schließlich
müssen wir – insbesondere die Diskussion, die wir hier
heute führen, zeigt, wie dringlich das ist – eine Informa-
tionskampagne mit sachlicher Aufklärung über CCS
starten; denn Ihre Aussage, wir hätten ein neues Endla-
gerproblem, wird – ich sehe es schon kommen – sich in
folgender Form auf Plakaten der Grünen wiederfinden:
Kein Klimagift unter meinem Haus!


(Beifall bei der LINKEN)


– Frau Bulling-Schröter, dass Sie dieses Niveau noch un-
terschreiten, darauf hätte ich gewettet. – Es ist jedenfalls
so, dass wir jeden Tag CO2 einatmen und in Getränken
Kohlensäure zu uns nehmen. Was da unter unseren Häu-
sern liegt, ist also kein Klimagift.


(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Sie machen das, was man seit Hunderten von Jahren macht: Müll verbuddeln!)


Wenn Sie auf diese Weise diese Technologie verteu-
feln, dann schaden Sie dem Klimaschutz, dann verrin-
gern Sie unsere Wettbewerbsfähigkeit und machen unser
Land noch abhängiger – herzlichen Glückwunsch dazu
den Grünen – von den Lieferungen des Herrn Putin.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613622000

Für die Bundesregierung hat nun das Wort die Parla-

mentarische Staatssekretärin Astrid Klug.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


A
Astrid Klug (SPD):
Rede ID: ID1613622100


Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Erfolgreicher Klimaschutz braucht technologische
Innovationen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


vor allem, Frau Kotting-Uhl, bei neuen und erneuerbaren
Energien, vor allem für mehr Energieeffizienz, vor allem
für wirksamere Energieeinspartechnologien.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Genau richtig! So ist das!)


Deutschland nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Wir
brauchen aber auch technologische Innovationen bei den
traditionellen, den fossilen Energieträgern. Denn ganz
unabhängig davon, wie wir uns in Zukunft in Deutsch-
land entscheiden, werden diese fossilen Energieträger
weltweit noch lange genutzt werden, ob wir wollen oder
nicht.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Frage des Preises!)


Weil Klimaschutz keinen Aufschub duldet, müssen auch
diese Technologien in Zukunft klimafreundlicher wer-
den.

Jede technologische Innovation beginnt mit einer Idee
und ihrer Erforschung, ohne zu wissen, ob sie am Ende
umsetzbar, ob sie realistisch, ob sie bezahlbar, und auch,
ob sie verantwortbar ist. Aber ohne den Mut und ohne
die Kraft, in die Forschung zu investieren, um genau das
herauszufinden, wären viele große Erfindungen, auch
Erfindungen, auf die Sie wie wir alle zu Recht stolz sind,
nicht zustande gekommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb brauchen wir diese Debatte.

Am Anfang der Diskussion über neue Technologien
stehen meistens Übertreibungen. Das konnten wir auch
in dieser Debatte erleben. Auf der einen Seite gibt es
übertriebenen Optimismus, der nur die Chancen sieht
und die Risiken ausblendet. Auf der anderen Seite beste-
hen übertriebene Ängste und Sorgen, die bewirken, dass
nur die Risiken gesehen werden, was den Blick auf die
Chancen verstellt. Wir brauchen bei dieser Thematik
aber eine sachlich fundierte Diskussion. Ich will drei
Punkte besonders hervorheben:

Erstens. CCS ist im Rahmen einer Gesamtklima-
schutzstrategie eine technologische Option – nicht mehr,
aber auch nicht weniger.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


CCS kann, muss aber nicht, die langfristige Nutzung von
Kohle mit den Erfordernissen des Klimaschutzes versöh-
nen. Deswegen müssen wir in Forschung und Erprobung
der CCS-Technologie investieren, gerade auch ange-
sichts der weltweit existierenden Kohlevorräte.

Gleichzeitig ist aber auch klar, dass noch lange nicht
erwiesen ist, ob diese Option tatsächlich alle Hoffnun-
gen erfüllt und zu welchen Preisen. Die Bundesregie-
rung verfolgt daher eine No-Regret-Strategie „CCS vo-
rantreiben“ und wird gleichzeitig alle schon jetzt
verfügbaren Möglichkeiten zur Emissionsminderung
durch erneuerbare Energien und durch erhöhte Energie-
effizienz massiv ausbauen. Es geht also nicht um ein
Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld kann man aber nur einmal ausgeben!)


Zweitens. CCS in Deutschland kann eine Brücken-
technologie in das Zeitalter der Vollversorgung aus er-
neuerbaren Energien sein. Die Potenziale für CO2-Spei-
cher in Deutschland sind groß, aber sie sind nicht
unendlich. Konservative Schätzungen gehen davon aus,
dass die in Deutschland verfügbaren Speicherpotenziale
für etwa – Sie haben es selbst gesagt – eine Kraftwerks-
generation des bestehenden deutschen Kraftwerksparks






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Astrid Klug
ausreichen. Das bedeutet: Selbst wenn diese Technik
funktioniert, ist sie keine Lösung für die Ewigkeit. CCS
kann aber die Brückentechnologie für die Zeit zwischen
2020 und 2050 sein, in der Deutschland keine Atomkraft
mehr nutzt, aber auch noch nicht in der Lage sein wird,
eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien sicher-
zustellen.

Drittens. Wir brauchen einen rechtlichen Rahmen für
die CCS-Technologie. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Noch steht die Diskussion über CCS in der Öffentlich-
keit ganz am Anfang. Sie wird aber an Dynamik gewin-
nen, wenn wir, wie jetzt geplant, in der Altmark erste
CO2-Ablagerungen durchführen. Wir müssen durch
kluge und rechtzeitige Rechtsetzung den Menschen klar-
machen, dass Sicherheit hier die allerhöchste Priorität
hat.

Sie wissen, dass die EU-Kommission in wenigen Ta-
gen den Entwurf einer CCS-Richtlinie vorlegen wird.
Wir werden dann den Entwurf für ein nationales CCS-
Gesetz erarbeiten. Es ist auch die Aufgabe des Parla-
mentes, dabei mitzuhelfen, dass bei der Arbeit an dieser
Rechtsetzung und bei der Vorbereitung weiterer Schritte
dieses Thema sachlich und nicht nur aus dem Bauch he-
raus und emotional diskutiert wird. Wir sollten sehr wohl
die Risiken betrachten und bewerten. Aber wir müssen
auch die Chancen sehen, die darin liegen.

Erst wenn wir diese Debatte geführt haben und wenn
die ersten Erprobungen stattgefunden haben, werden wir
in einigen Jahren wissen, ob, unter welchen Bedingun-
gen und zu welchem Preis CCS ein Beitrag für die deut-
sche und die internationale Klimaschutzpolitik sowie für
die zukünftige Nutzung der Kohle sein kann. Daran ar-
beiten wir mit Hochdruck.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613622200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling-

Schröter für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613622300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Endlich reden wir einmal ausführlicher über
CCS, also über die Abscheidung, die Verflüssigung und
die unterirdische Verpressung von Kohlendioxid aus
Kraftwerksemissionen. Ich sage es gleich zu Anfang:
Das Technologieversprechen CCS ist unserer Meinung
nach ein unlauterer Versuch der Energiewirtschaft, die
Ära der Kohleverstromung noch weitere 50 Jahre zu ver-
längern.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht eben nicht um Klimaschutz. Es geht vielmehr
darum, einen tatsächlichen Wandel in der Energiewirt-
schaft zu verhindern, indem man den Leuten weismacht,
das Fehlen fossiler Energien sei in Kürze kein Problem
mehr. „CO2-freies Kraftwerk“, „Clean Coal“ usw. lauten
die verlogenen Slogans der Branche. Sie tun so, als
würde sich das Kohlendioxid wie durch geheimnisvollen
Zauber in Nichts auflösen.


(Marco Bülow [SPD]: Das ist Quatsch!)


Dabei sollen Milliarden Tonnen des Klimakillers
schlicht dahin verfrachtet werden, wo sie unserer Mei-
nung nach überhaupt nichts zu suchen haben, nämlich
unter die Erde. Bis heute weiß aber niemand, ob wir uns
mit dem verflüssigten CO2 nicht ein neues, gigantisches
Endlagerproblem unter die Schuhsohlen pressen.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Deswegen wollen wir forschen!)


Über die Jahre sollen Milliarden Tonnen in Salzwasser-
schichten und Kavernen verschwinden.

Dass es hierbei um gewisse Fehlinformationen geht,
sieht auch das Berliner Landgericht. Es hat Vattenfall
Europe gerade per einstweiliger Verfügung untersagt,
mit dem Begriff „CO2-frei“ für sein CCS-Pilotprojekt in
der Lausitz zu werben. Das ist doch interessant, oder?
Nun, uns verwundert es nicht, dass Energieversorger wie
RWE oder Vattenfall nach Strohhalmen greifen bzw.
diese erst erfinden. Die Konzerne stehen schließlich un-
ter extremem Druck. Der Klimawandel ist kein von
Ökos an die Wand gemaltes Gespenst, sondern mittler-
weile bittere Realität. Hauptursache ist Kohlendioxid
aus Kohlekraftwerken, und deshalb ist der politische
Druck zum Ausstieg aus den fossilen Energien enorm
gewachsen. Die Bevölkerung weiß inzwischen, dass es
vernünftige, umweltfreundliche Alternativen gibt, näm-
lich den Ausbau erneuerbarer Energien. Dieser Bereich
wächst rasant, und die Preise für Energie aus erneuerba-
ren Rohstoffen fallen.


(Beifall des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE] sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch die Energieeinsparung wird schrittweise Pro-
gramm.

In dieser Klemme steckend, steht die Energiewirt-
schaft zumindest in Deutschland vor der Aufgabe, bis
2020 knapp die Hälfte des Kraftwerksparks in Deutsch-
land zu erneuern. Was also tun? Die Kohlekraftwerks-
branche sitzt ziemlich im Schlamassel. Ich kann mir vor-
stellen, wie man mit schwitzenden Händen und
dampfenden Köpfen darüber gebrütet hat, wie zu retten
ist, was nicht mehr zu retten ist.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Die Rede verteilen wir in der Lausitz!)


Die Stromversorger versprechen nun das Blaue vom
Himmel. Fest steht aber, dass die Abscheidetechnik,
wenn es sie überhaupt geben wird, frühestens 2020 zur
Verfügung stehen wird. Dann sind aber schon rund
40 Prozent des Kraftwerksparks erneuert worden. Ob für
den neuen Block 6 des Staudinger Kraftwerks in Hessen
oder die geplanten Kohlekraftwerke Klingenberg in Ber-
lin-Lichtenberg und Moorburg in Hamburg CCS-Tech-
nik nachträglich tatsächlich eingesetzt werden kann,
steht in den Sternen. Deshalb kämpft die Linke gemein-
sam mit Bürgerinitiativen gegen diese Projekte.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Zudem wird der Spuk extrem teuer. Die mühsam
hochgetriebenen Wirkungsgrade der Anlagen sinken mit
CCS-Technik wieder um ein Drittel. Das wissen Sie.
Warum, so frage ich, nutzen wir nicht die Gelder und
bauen damit einen internationalen Stromverbund für er-
neuerbare Energien? Warum forschen wir nicht mit den
Milliarden, um die Effizienz der Nutzung von Biomasse
zu erhöhen?

Zum Abschluss möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben,
dass in Norwegen gerade zwei CCS-Pilotvorhaben ge-
stoppt wurden, die die norwegische Regierung noch vor
einem Jahr großspurig als „Mondlandeprojekte“ ver-
kauft hat. Begründung: Es sei unmöglich, die teure Rei-
nigungs- und Lagertechnik wirtschaftlich zu betreiben.
Herr Kauch, zu dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit soll-
ten Sie einmal Stellung nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613622400

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Dirk Becker für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1613622500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, es zeugt von Fehleinschätzung der Sachlage,
wenn man sich hier hinstellt und sagt: Die Energiewirt-
schaft befindet sich in einer Zwickmühle. – Das ist eine
Falle. Ich glaube, wir sollten fairerweise sagen, dass sich
die Politik und gewissermaßen die gesamte Gesellschaft
in einer Zwickmühle befinden, weil sie über einen lan-
gen Zeitraum auf fossile Energien gesetzt haben und nun
in einem relativ kleinen Zeitraum die Kurve kriegen
müssen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Es ist in der Tat angezeigt – dafür danke ich der Frau
Staatssekretärin ausdrücklich –, heute nicht so zu tun, als
wüssten wir schon die Antworten. Heute sollte es darum
gehen, eine ehrliche Bestandsaufnahme vorzunehmen.
So habe ich Ihre Anfrage verstanden. Sie haben ja be-
rechtigte Fragen formuliert, die wir uns stellen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte kurz den Hintergrund ansprechen; Herr
Kauch und andere haben darauf hingewiesen. Wir haben
2020 unsere Ziele ja noch nicht erreicht. Wir werden von
2020 an etwa 30 Jahre Zeit haben, um noch einmal eine
vergleichbare Leistung an CO2-Reduktion in Deutsch-
land und international zu erreichen. Da stellt sich die
Frage, mit welchen Instrumenten wir das tun.

Wir Sozialdemokraten haben immer ganz klar gesagt,
dass wir eine Effizienzstrategie und eine Strategie mit ei-
nem noch massiveren Ausbau der erneuerbaren Energien
brauchen. Das sind zwei wichtige Faktoren. Wir wollen
so wenig fossile Energie wie möglich, aber wir müssen
auch die Frage beantworten, wie der restliche Anteil fos-
siler Energien so effizient und schadstoffarm wie mög-
lich erzeugt werden kann.

Da ist folgende Frage nicht von der Hand zu weisen:
Kann CCS einen Beitrag leisten? Kann es Teil der Lö-
sung sein? Die Antwort darauf – das will ich ganz deut-
lich sagen – kennen wir heute nicht. Wir diskutieren
auch in der eigenen Fraktion über diese Frage offen und
kontrovers. Wir haben einen enormen Forschungsbedarf.
Wir Sozialdemokraten wollen eine verantwortungsvolle
Entscheidung und keine Schwarz-Weiß-Malerei. Wir
wollen heute noch keine Festlegung, da noch reichlich
Daten und Wissen fehlen. Lassen Sie uns die Diskussion
bitte auf einer fundierten Datenbasis führen. Lassen Sie
uns die Zeit nehmen, die uns bleibt. Lassen Sie uns in
Forschung und Entwicklung das investieren, was wir
brauchen. Denn möglicherweise ist CCS unentbehrlich.

Gleichermaßen kann man die Frage, die die Opposi-
tion formuliert hat, nicht von der Hand weisen. Wir wis-
sen heute noch nicht, ob die Einlagerung ökologisch so
unproblematisch sein wird, wie das einige heute anneh-
men. Es gibt Erfahrungsprojekte, die aber erst etwa zehn
Jahre auf dem Buckel haben. Wir wissen nicht, ob das
Ganze ökologisch vertretbar ist. Die Fragen nach der
wirtschaftlichen Vertretbarkeit, der Effizienz und des
Wirkungsgrades müssen beantwortet werden. Das wer-
den und wollen wir beantworten, aber nicht kurzfristig
und emotional, um auf irgendwelchen Stimmungen zu
reiten. Wir treffen vielmehr Entscheidungen, die letztlich
einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Beitrag
zum Umbau der Energiegesellschaft leisten, für die wir
Sozialdemokraten stehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte eines sehr deutlich machen: Wir müssen
die Frage stellen, was wäre, wenn CCS tatsächlich schei-
tert. Diese Frage muss man gleichzeitig, also parallel,
bearbeiten. Ich sage sehr deutlich: Ich höre dazu vor-
schnelle Aussagen. Die einen sagen: Eine stärkere Erd-
gasstrategie, wie einige, auch einige Verbände, sie vor-
schlagen, würde die Abhängigkeit Deutschlands nicht
mindern. Es gibt andere, die sagen: Na ja, da gibt es
Ausgleichspotenziale.

Ich habe einfach nur die Bitte, dass wir nicht schon
heute Vorfestlegungen hinter vorgehaltener Hand vor-
nehmen. Wir müssen Parallelszenarien entwickeln.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir müssen die Mittel parallel einsetzen!)


Das betrifft die Frage einer stärkeren Gasstrategie. Das
betrifft die Frage, wie wir mit Kombikraftwerken und
auch mit virtuellen Kraftwerken neue Technologien, die
bisher eher ein Nischendasein fristen, wesentlich offen-
siver und stärker in das Gesamtpaket einbeziehen, um
die fossilen Brennstoffe insgesamt so stark und so
schnell wie möglich zu reduzieren. Das müsste gemein-
sames Ziel aller Fraktionen im Deutschen Bundestag
sein.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dirk Becker
Letzter Punkt mit Blick auf China. Ich weiß um die
Argumente. Man sagt, dass in China pro Woche Pi mal
Daumen ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht. Das
heißt, bis CCS zur Verfügung stünde – man kann das
jetzt nicht mathematisch hochrechnen; irgendwann ist
ein Stand erreicht, wo Versorgungssicherheit vorliegt –,
sollten wir uns dringend überlegen, was das bedeutet.

Es gibt zwei Schlussfolgerungen: Erstens könnte man
schon heute versuchen, zu erreichen, dass in China künf-
tig nur noch Kraftwerke ans Netz gehen, die zumindest
technisch die Option einer Nachrüstung zulassen; das
müsste in unserem eigenen Interesse sein. Zweitens
könnte man auch schon heute in den Schwellen- und
Entwicklungsländern noch stärker die Strategie fahren,
weniger auf fossile Kraftwerke und noch massiver auf
Effizienz und erneuerbare Energien zu setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich glaube, wenn wir versuchen, dieses Problem ge-
meinschaftlich und sachlich einer Lösung zuzuführen,
können wir diesen Umbau in ein neues Energiezeitalter,
wie wir ihn uns vorstellen, positiv schaffen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613622600

Ich schließe die Aussprache.

Zu Zusatzpunkt 6 wird interfraktionell die Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 16/5131 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD

Die Rechte der Roma in Europa stärken

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bre-
men), Alexander Bonde, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zu der Beratung der Großen Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Grietje Bettin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Situation von Roma in der Europäi-
schen Union, in den EU-Beitrittsländern und
im Kosovo

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bre-
men), Alexander Bonde, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zu der Beratung der Großen Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Grietje Bettin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Situation von Roma in der Europäi-
schen Union, in den EU-Beitrittsländern und
im Kosovo

– Drucksachen 16/5736, 16/918, 16/5784, 16/5785,
16/7768 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Angelika Graf (Rosenheim)

Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Ute Koczy

Zur Beschlussempfehlung über den Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD zur Stärkung der
Rechte der Roma in Europa liegen zwei Änderungsan-
träge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah-
ren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1613622700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zum Einstieg ein paar nüchterne Zahlen: Vor
allen Dingen im 11. und 12. Jahrhundert kamen die Vor-
fahren der heutigen Sinti und Roma aus Indien nach Eu-
ropa. Etwa 10 Millionen der derzeit insgesamt
493 Millionen Einwohner der EU werden ihrer ethni-
schen Gruppe zugerechnet. In Deutschland sind Sinti
und Roma seit etwa 600 Jahren beheimatet. Zwischen
1933 und 1945 wurden mindestens 500 000 Sinti und
Roma in den Gaskammern der Nazis ermordet. Derzeit
leben circa 70 000 Sinti und Roma als anerkannte ethni-
sche Minderheit in Deutschland.

Trotz ihrer europäischen Identität, der immer noch
andauernden Aufarbeitung der Verbrechen während der
Nazizeit und vielfältiger Maßnahmen auf europäischer
und nationaler Ebene zu ihrer Integration sind Sinti und
Roma auch heute noch, wie wir wissen, starken Diskri-
minierungen und rassistischen Vorurteilen ausgesetzt.

Jiri Cunek zum Beispiel, der Vorsitzende der tsche-
chischen Christdemokraten, erklärte in der letzten Wo-
che auf einer Parteiveranstaltung zum Umgang mit
Roma in seinem Land – Zitat –:

Alles muss darauf ausgerichtet sein, die Strukturen
dieser Gemeinschaft zu ändern.






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Graf (Rosenheim)

Er behauptet, die Roma-Kultur sei unvereinbar mit den
grundlegenden Prinzipien der Organisation der Mehr-
heitsgesellschaft. Damit tritt er all diejenigen Roma mit
Füßen, die sich längst ihren Platz in unserer Gesellschaft
gesucht und ihn gefunden haben. Er fordert, dass Sozial-
leistungen an Roma nur noch gegen gemeinnützige Ar-
beit gezahlt werden. Wer dazu nicht bereit ist, dessen
Kinder sollen in Heime verbracht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts des ho-
hen Ausmaßes an Menschenverachtung und Geschichts-
losigkeit, das in diesen Äußerungen deutlich wird, bin
ich sprachlos.


(Beifall im ganzen Hause)


Zur Integration von Minderheiten gehört nach meinem
Verständnis immer auch, dass die Mehrheitsgesellschaft
auf die Minderheitsgesellschaft zugeht. Ich denke, hier
hat Tschechien in den letzten Jahren kläglich versagt. Zu
diesem Ergebnis kommt man vor allem dann, wenn man
an die Prostitution insbesondere von Roma-Frauen an
der deutsch-tschechischen Grenze denkt.

Aussagen wie die des Herrn Cunek machen in den
Medien in regelmäßigen Abständen die Runde. Man
kann feststellen: Sinti und Roma sind in Europa nie eine
geliebte Minderheit gewesen. Vorurteile, Rassismus und
Diskriminierungen gibt es seit Jahrhunderten. Sie sind
für die Sinti und Roma in Europa harte Realität.

Auch heute gibt es in den Bereichen Bildungs- und
Arbeitsintegration, Wohnsituation und Gesundheitsver-
sorgung so eklatante Ausschlüsse aus der Mehrheitsge-
sellschaft, dass dies in einem Teufelskreis von Armut
von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.
Dieser Rassismus in Europa geht ebenso von den Men-
schen bzw. der Gesellschaft wie von den Behörden aus.
Es wird mit Vorurteilen Politik gemacht. Ich denke,
manch einem kommt ein Verbrechen eines Roma sicher-
lich gerade recht, um im Wahlkampf Stimmen am rech-
ten Rand einzusammeln.

Als mein Kollege Johannes Jung im Juni des vergan-
genen Jahres in der ersten Lesung des heute vorliegen-
den Antrags der Koalitionsfraktionen gesprochen hat,
hat er darauf hingewiesen: Wie in anderen europäischen
Staaten gibt es auch in Deutschland die Diskriminierung
von Mitbürgern, die den Gruppen der Roma und Sinti
angehören. Die Wohnsituation und insbesondere die Be-
schulung von Roma-Kindern liegen nach wie vor im Ar-
gen. Kinder aus Roma-Familien sind sicherlich nicht
dümmer als Kinder aus anderen ethnischen Gruppen;
trotzdem ist die Anzahl der Roma-Kinder in deutschen
Förderschulen unangemessen hoch, wobei man sich si-
cherlich damit auseinandersetzen muss, wie Roma-Fa-
milien mit der Schulpflicht ihrer Kinder umgehen.

Es hätte der Koalition sicherlich gut angestanden, auf
die Situation in Deutschland ausdrücklich einzugehen
und auf Punkte hinzuweisen, bei denen vielleicht Hand-
lungsbedarf besteht. Dies ist – das hat Johannes Jung
schon bei der ersten Lesung deutlich gemacht – bei der
Erarbeitung des Antrags schwierig gewesen und an den
Einsprüchen der Innenpolitiker unseres Koalitionspart-
ners gescheitert. Deswegen konnten wir dem Ansinnen
der Grünen, nach der ersten Lesung einen gemeinsamen,
fraktionsübergreifenden Antrag zu entwickeln, in den
die nun als Änderungsanträge vorliegenden Punkte ein-
fließen, leider nicht entsprechen. Wir werden deshalb
den diesbezüglichen Änderungsantrag der Grünen zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses ebenso wie die
vorliegenden Anträge der Grünen ablehnen.

Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass die im
Entschließungsantrag der Grünen niedergelegte Auffor-
derung an die Bundesregierung, gemeinsam mit den
Partnern in der EU und mit dem Europarat Programme
zu entwickeln, die den Zugang dieser Menschen zu Ar-
beitsmarkt, Schulbildung, Gesundheitswesen, Leistun-
gen der sozialen Sicherheit und angemessenem Wohn-
raum sowie ihre Teilnahme an Wahlen etc. pp. zum Ziel
haben, auch für uns selbst gilt? Ich denke, da sind der
Kreativität von Bund, Ländern und Kommunen keine
Grenzen gesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fest steht: Die Lebenswirklichkeit der Sinti und
Roma in Deutschland und in der EU ist sehr vielfältig.
Es gibt – ich sagte das schon – viele Sinti und Roma, die
in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind,
ohne dass sie ihre Kultur abgelegt hätten. Es ist sicher
ein Problem für viele, ihr Erbe mit dem Zeitgemäßen zu
verbinden, es verbinden zu müssen. Hier leisten die Räte
und Selbstorganisationen hervorragende Arbeit, für die
wir ihnen herzlich danken, zumal diese Arbeit vor dem
Hintergrund des in der Vergangenheit erlittenen Leides
sicher oft nicht einfach ist.

Lange Diskussionen haben wir geführt über die be-
reits 1982 beschlossene, überfällige Errichtung des
Denkmals für die Opfer des nationalsozialistischen Völ-
kermords an den Sinti und Roma. Ich freue mich des-
halb, dass dies endlich in trockenen Tüchern zu sein
scheint. Der Bund hat 2 Millionen Euro für die Finanzie-
rung bereitgestellt. Das Land Berlin stellt ein Grund-
stück im Tiergarten zur Verfügung. Der Bundesrat hat
vor dem Hintergrund des 65. Jahrestages des Auschwitz-
Erlasses am 20. Dezember letzten Jahres auf Initiative
des Landes Rheinland-Pfalz ein schnelles Vorgehen be-
schlossen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Staatsminister Neumann hat diesen Beschluss ausdrück-
lich begrüßt. Am 23. Januar wird dieses Konzept dem
Kulturausschuss des Deutschen Bundestages vorgestellt.
Auch die schwierige Einigung der Opferverbände auf
den Text für das Mahnmal steht anscheinend kurz bevor.

Wir sehen deshalb keinen Anlass für den diesbezügli-
chen Antrag der Grünen zur Änderung der Beschluss-
empfehlung. Mit den von der Koalition vorgeschlagenen
Änderungen des ursprünglichen Antragstextes wollen
wir noch einmal auf den wieder in Bewegung gekomme-
nen europäischen Verfassungsprozess und die daraus fol-
gende Rechtsverbindlichkeit der Charta der Grundrechte
hinweisen, in deren Art. 21 ein Verbot von Diskriminie-
rungen, insbesondere aufgrund der ethnischen Herkunft






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Graf (Rosenheim)

oder der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit,
ausgesprochen wird. Trotz aller Gegensätze im Detail
sind wir uns, denke ich, im Grundsatz einig: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung in Bezug auf
Sinti und Roma in Deutschland und in Europa müssen
entschieden bekämpft werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil mir der Kampf gegen Rassismus so sehr am Her-
zen liegt, appelliere ich von dieser Stelle aus an das Bun-
desministerium des Innern – ich nehme damit eine Dis-
kussion aus dem Menschenrechtsausschuss auf –, die
Kritik an dem Arbeitsentwurf zum Nationalen Aktions-
plan gegen Rassismus ernst zu nehmen. Wir brauchen,
auch für unsere internationale Glaubwürdigkeit, einen
Aktionsplan, der unserer Selbstverpflichtung, die wir
2001 in Durban eingegangen sind, entspricht. Tun Sie im
Innenministerium etwas dafür, damit wir da im interna-
tionalen Vergleich gut aufgehoben sind!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613622800

Nächster Redner ist nun der Kollege Florian Toncar

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1613622900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich glaube, es wird der Bedeutung des Themas
gerecht, dass wir diese Debatte heute Abend noch füh-
ren.

Die Gruppe der Roma ist die größte ethnische Min-
derheit Europas. Wenn wir fragen, wer eigentlich zu die-
ser Gruppe gehört und wie groß sie eigentlich ist, dann
gehen die Schätzungen sehr weit auseinander. Die Koali-
tion spricht von 10 Millionen Menschen, die EU-Kom-
mission schätzt 4 Millionen Menschen. Ich glaube, al-
lein schon diese Divergenz zeigt, dass das eine
ausgesprochen komplexe Frage ist und dass wir heute
über eine ausgesprochen heterogene Gruppe sprechen.

In Deutschland sind die Roma eine anerkannte Min-
derheit. Trotz allem stellen wir fest, dass im Alltagsleben
immer noch viele Vorurteile gegen diese Gruppe vorhan-
den sind. Oft fehlt es schlichtweg an Wissen über die
Kultur und über die Lebensweise der Roma. Ich glaube,
dass dies eine Aufgabe ist, der sich der Schulunterricht,
aber auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen durchaus
widmen könnten. Dies gilt aber sicherlich auch für uns
alle. Ich komme nachher noch einmal dazu.

Es müssen Angebote vorgelegt werden. Das betrifft
insbesondere die Bereiche Bildung, Integration und Kul-
tur. Ich glaube, dass eine gute Kommunalpolitik der
Schlüssel dazu ist; denn gerade die Integrationsprobleme
sind auf der örtlichen Ebene natürlich sehr unterschied-
lich ausgeprägt. Diese Angebote müssen allerdings auch
aktiv wahrgenommen werden. Das ist ein Appell an die
Gruppe der Roma.

Es mag sein, dass die Bildungschancen ausgespro-
chen ungleich verteilt sind und dass der Zugang zum
Gymnasium für diese Gruppe ausgesprochen schwer ist.
Dort, wo das möglich ist, sollten die Eltern dann aber
auch Berührungsängste verlieren und ihren Kindern die
bestmögliche Ausbildung nahelegen.


(Beifall bei der FDP)


In Europa – vor allem in einigen Staaten Osteuropas –
haben wir größere Probleme. Das Zitat von Herrn Čunek
ist bereits angesprochen worden. Wie er sagt, will er die
Roma-Kultur und das Wertesystem in dieser Form nicht
mehr haben, sondern verändern. Manchmal hat man den
Eindruck, dass er Parabeln aus dem Bereich Krankheit
und Therapie benutzt, mit denen er auf diese Kultur an-
spielt. Ich möchte dazu sagen, dass ich das, was dieser
Mensch dazu gesagt hat, erschreckend respektlos und
ganz und gar uneuropäisch finde.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben im europäischen Raum vielfältige Pro-
bleme. Es gibt Staaten, in denen 75 Prozent der Roma-
Kinder auf Sonderschulen gehen. Beim Zugang zur je-
weiligen Staatsangehörigkeit gibt es zum Teil Diskrimi-
nierungen. Insbesondere hinsichtlich der Wohnsituation
– beim Thema Wasser und Hygiene – und beim Zugang
zu Gesundheitsdienstleistungen gibt es Probleme. Das
sind Dinge, die für das Europa des 21. Jahrhunderts ein-
fach unfassbar sind und die wir so auch nicht stehen las-
sen können.

Vor diesem Hintergrund hätte ich mich gefreut, wenn
wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen hätten.
Das war immer der Wille der FDP-Fraktion. Ich glaube
auch, dass die Anträge, die vorgelegt worden sind, nicht
so grundlegend unterschiedlich sind, dass das nicht mög-
lich gewesen wäre. Vor dem Hintergrund, dass ein ge-
meinsamer Antrag angekündigt und geplant war, haben
wir darauf verzichtet, selbst noch einen vorzulegen. Das
möchte ich an dieser Stelle auch betonen. Das ist näm-
lich der Grund dafür.

Kurz vor Weihnachten hat insbesondere die Seite der
Union unter Hinweis auf die Innenpolitiker der Union
dann für uns alle mehr oder weniger überraschend ge-
sagt: Wir reden eigentlich über gar nichts. Wir können
den Antrag nur so beschließen, wie wir ihn vorgelegt ha-
ben. – Das ist eigentlich keine Gesprächsgrundlage.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Leider!)


Wenn man gemeinsame Anträge stellen möchte, dann
muss man auch ernsthaft bereit sein, über bestimmte
Dinge zu sprechen, die eine andere Fraktion einbringen
möchte.

Die Analyse der Geschichte der Roma und der Situa-
tion der Roma in Europa in dem Antrag, den die Koali-
tion jetzt vorlegt, ist fundiert. Er enthält eine ausgewo-
gene Betrachtung, aber es ist in großen Teilen eine
Beschreibung des bestehenden Zustandes.






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Es ist richtig, dass Aktivitäten auf europäischer Ebene
gefordert werden. Es ist auch richtig, dass die Länder ge-
fordert werden. Dazwischen gibt es aber eine Ebene, die
auch einiges tun könnte. Der Bund könnte beispiels-
weise das 12. Zusatzprotokoll zur Europäischen Men-
schenrechtskonvention ratifizieren. Das wäre eine Maß-
nahme, die wir hier treffen könnten – auch um den
Minderheitenschutz in Deutschland zu verbessern. Inso-
fern ist gerade das, was die hiesige Ebene betrifft, die
Bundesebene, leider etwas nebulös. Weil der Antrag in
weiten Teilen gute Ansätze enthält, werden wir uns
trotzdem lediglich enthalten.

Die Grünen verfolgen mit ihren Anträgen ein berech-
tigtes Anliegen, das uns auch eint und das wir teilen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
haben viel vorgelegt. Dabei sind auch einige Mittel, die
wir für falsch halten. Insbesondere wird davon gespro-
chen, dass Angehörige der Roma bevorzugt Zugang zum
öffentlichen Dienst erhalten und Lehrerstellen besetzen
sollen. Das ist nicht unser Ansatz; denn im Grundgesetz
steht als Zugangsvoraussetzung für den öffentlichen
Dienst: Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. –
Ich denke, dabei sollte es bleiben.


(Beifall bei der FDP)


Wenn wir feststellen, dass eine Gruppe nicht ange-
messen repräsentiert ist, dann müssen wir uns überlegen,
wie wir diese Gruppe befähigen, diese drei Kriterien
– Eignung, Befähigung und fachliche Leistung – zu er-
füllen. Dass aber die ethnische Herkunft bei der Vergabe
von Stellen im öffentlichen Dienst eine Rolle spielen
soll, halten wir als FDP jedenfalls nicht für richtig.


(Beifall bei der FDP)


Das Gleiche gilt übrigens für den Zugang zu Stipendien-
programmen.

Der andere Grünen-Antrag ist, was die europäische
Ebene betrifft, sicherlich in vielen Punkten richtig. Aber
auch da gibt es Punkte, die uns im Detail stören, bei-
spielsweise die Einrichtung neuer institutioneller Me-
chanismen auf europäischer Ebene. All das wäre im
Rahmen eines gemeinsamen Antrags zu bereinigen ge-
wesen. Aber in der jetzigen Form kann der Antrag nicht
die Zustimmung der FDP finden.

Mein letztes Wort gilt dem Denkmal für die ermorde-
ten Sinti und Roma: Wir werden den Änderungsantrag
der Grünen unterstützen, weil wir diese Forderung im-
mer für richtig gehalten haben. Der Bundesrat, in dem
alle Parteien, die in Deutschland Verantwortung tragen,
vertreten sind, hat kurz vor Weihnachten einstimmig be-
schlossen, die Realisierung des Denkmals zu unterstüt-
zen. Insofern kann ich überhaupt nicht verstehen, dass
die SPD- und die CDU/CSU-Fraktion bei diesem einen
Punkt, in dem es keinen parteipolitischen Dissens gibt,
nicht über ihren Schatten springen können. Es handelt
sich um eine Forderung, deren Realisierung gerade in
der jetzigen Phase in die Landschaft passt, weil eine Ei-
nigung vielleicht unmittelbar bevorsteht.


(Zuruf von der SPD: Ja, es gibt die Einigung!)

Wenn der Bundesrat das ein paar Wochen bevor wir
hier darüber diskutieren einstimmig billigt, weiß ich
nicht, warum das heute falsch sein soll.


(Beifall bei der FDP)


Wir werden dem zustimmen, auch deshalb, weil ge-
rade ein solches Denkmal dazu beitragen kann, dass das
Wissen in Deutschland über die Roma-Kultur verbessert
wird und damit Vorurteile abgebaut werden.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613623000

Nun hat der Kollege Holger Haibach für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1613623100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Offensichtlich
ist von allen Fraktionen dieses Hauses beschlossen wor-
den, der CDU/CSU-Fraktion heute Abend die Buhmann-
rolle zuzuteilen. Ich glaube nicht, dass das berechtigt ist,
und bin nicht bereit, diese Rolle zu spielen. Ich werde
Ihnen gerne zeigen, warum der Antrag, so wie wir ihn
vorgelegt haben und wie er heute zur Abstimmung steht,
durchaus geeignet ist, die Zustimmung des gesamten
Hauses zu finden, und warum es gute Gründe gibt, die
Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen an vielen Stel-
len zu kritisieren. Die Frage, ob man da zusammen-
kommt, kann man so oder so beantworten. Ich glaube, es
ist richtig, bei dem Antragstext zu bleiben, den wir letz-
ten Endes verabschiedet haben.

Wir sollten auch nicht so tun, als gäbe es die einen,
die sich für Sinti und Roma einsetzen, und die anderen,
die das nicht tun. Das Bekenntnis zu unserer besonderen
Verantwortung für Sinti und Roma reicht unter anderem
bis zu einem gemeinsamen Bundestagsbeschluss aus
dem Jahr 1986 zurück. Im Jahr 1986 waren – bis auf die
Fraktion Die Linke – alle Fraktionen, deren Mitglieder
heute hier anwesend sind und reden, im Bundestag ver-
treten. Das gilt auch für die CDU/CSU-Fraktion, an de-
ren Haltung gegenüber Sinti und Roma und an deren Be-
kenntnis zu der besonderen Verantwortung für die Sinti
und Roma sich nichts geändert hat. Das kann ich an die-
ser Stelle mit Fug und Recht feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass der Antrag der Koalition ausgewogen
ist. Ich halte ihn an vielen Stellen für weitergehend als den
von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag. Das be-
trifft zum einen die Thematik. Die Probleme der Sinti und
Roma in Deutschland, aber auch in Europa – deswegen
haben wir auch einen Antrag vorgelegt, der sich mit der
Situation der Sinti und Roma in Europa beschäftigt – sind
in dem Antrag der Koalition zutreffend beschrieben, und
es wird klar gemacht, auf welchen Handlungsfeldern wir
tätig werden müssen.

Erstens geht es um die Stigmatisierung; Angelika
Graf hat darauf hingewiesen. Zweitens geht es um Dis-






(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
kriminierung und Benachteiligung. Das dritte Hand-
lungsfeld betrifft all die Probleme, die daraus resultieren,
wie zum Beispiel fehlender Zugang zu Schulbildung und
Berufen, nicht vorhandene soziale Integration und natür-
lich auch viele andere Punkte.

Herr Čunek hat gesagt, er habe sich wie ein Arzt ge-
fühlt, der ein Krebsgeschwür ausmerzen solle, als er
Sinti und Roma in der Nähe von Müllcontainern und
Schuttplätzen angesiedelt habe. Das findet nicht nur die
Missbilligung sämtlicher Fraktionen dieses Hauses, son-
dern es findet die Missbilligung sämtlicher Menschen,
die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.


(Beifall im ganzen Hause)


Über die reine Zustandsbeschreibung hinaus glaube
ich, dass der Antrag der Koalition die Ursachen richtig
gewichtet. Denn es gibt – darauf haben die Kollegen
Florian Toncar und Angelika Graf bereits hingewiesen –
eine Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft, auf die
Minderheit zuzugehen. Das steht nicht zur Diskussion.
Wenn wir Integration wollen, dann tragen wir selbstver-
ständlich auch Verantwortung. Dazu gehört aber auch
der Wille derjenigen, die sich in eine Gesellschaft inte-
grieren wollen, bis zu einem gewissen Grade integra-
tionsfähig zu werden.

Das bedeutet mit anderen Worten: Wenn Frauen in
weiten Teilen von Sinti- und Roma-Gemeinschaften
nicht die gleichen Rechte haben wie Männer und ihr Zu-
gang zur Schulbildung nicht unterstützt wird, dann müs-
sen wir das genauso benennen wie die Notwendigkeit,
dass die Mehrheitsgesellschaft eine Integrationsleistung
zu vollbringen hat, wenn wir eine ehrliche Debatte füh-
ren wollen.

Da wir das im Gegensatz zum Bündnis 90/Die Grü-
nen in unseren Antrag aufgenommen haben, ist das,
denke ich, ein klarer Vorteil unseres Antrages. Denn
diese Debatte müssen wir offen und ehrlich führen, da-
mit sie Erfolg hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ein weiterer Punkt erscheint mir in besonderem Maße
beachtenswert Unser Antrag trägt den Titel „Die Rechte
der Roma in Europa stärken“. Der Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen trägt die Überschrift „Zur Situation von
Roma in der Europäischen Union, in den EU-Beitritts-
ländern und im Kosovo“. Wenn Sie sich mit unserem
Antrag befassen, werden Sie feststellen, dass wir uns mit
der innenpolitischen Situation in Deutschland, der Situa-
tion in der Europäischen Union und darüber hinaus be-
schäftigen. Sie werden feststellen, dass wir auf viele an-
dere Dokumente rekurrieren, die den Europarat und die
OSZE betreffen, die gerade in Osteuropa und darüber hi-
naus Wichtiges leistet. Diese Leistung kann man auch an
dieser Stelle nicht genug würdigen. Wir weisen auch
darauf hin, dass es viele Länder gibt, in denen gerade der
Zugang zu Schulbildung – das betrifft sicherlich auch
Deutschland, aber noch wesentlich mehr zum Beispiel
die EU-Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien, wo der
Anteil der Sinti-Kinder, die in die Schule gehen, bei 16
bzw. 17 Prozent liegt – nicht selbstverständlich ist. Wir
beschäftigen uns aber auch mit der Situation in Deutsch-
land.

Wenn der Antrag der Grünen den Titel „Zur Situation
von Roma in der Europäischen Union, in den EU-Bei-
trittsländern und im Kosovo“ trägt, dann hätte ich mehr
zum Thema Europa, Europäische Union und Kosovo er-
wartet. Denn in dem im Antrag enthaltenen Forderungs-
katalog geht es zum Beispiel um eine nationale Strategie
zur Verbesserung der Situation der Sinti und Roma in
Deutschland, um einen von der Bundesregierung unter-
schriebenen „Action Plan“, um Empfehlungen, die die
Bundesregierung umsetzen soll, eine deutsche Antidis-
kriminierungsstelle und das deutsche Bildungswesen.
Leider beschäftigt sich keine einzige Forderung mit et-
was anderem als der Situation in Deutschland. Das halte
ich zwar für gerechtfertigt, aber ich finde, dann darf ein
Antrag nicht diesen Titel tragen, weil er ihm nicht ge-
recht wird. Ich finde, dass auch hier der Antrag der Ko-
alition den richtigen Schwerpunkt gesetzt hat.

Ein letzter Kritikpunkt: Ich verhehle nicht, dass ich
mich einigen Forderungen in dem Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen annähern könnte. Aber wir müssen die
Adressaten im Blick behalten. Wenn wir von der Bun-
desregierung verlangen, bestimmte Änderungen zum
Beispiel im Bildungssystem durchzuführen, dann wissen
wir alle, dass solche Änderungen gemeinsam mit den
Ländern erfolgen müssen. Dieses Thema betrifft den ge-
samten bundesstaatlichen Rahmen.

Wenn wir über Integrationspolitik reden, dann wissen
wir doch, dass gute Integration vor Ort beginnt. Der
Bund muss, kann und soll den Rahmen setzen, aber es
muss vor Ort geschehen. Deswegen ist die breite Einbin-
dung sämtlicher staatlicher Institutionen notwendig.
Man kann diese Aufgabe nicht auf den Bund fokussie-
ren, wie es mir zumindest zum Teil im Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen der Fall zu sein scheint.

Insgesamt glaube ich, dass sich die Bundesregierung
der Aufgabe stellt. Das wird in unserem Antrag auch
deutlich. Sicherlich gibt es noch viel zu tun – das ist
keine Frage –, aber Integration ist kein abgeschlossener
Prozess; sie ist gerade in den letzten Jahren sehr häufig
diskutiert worden. Ich finde es richtig, dass wir versu-
chen, diese Debatte offen und ehrlich zu führen.

Wenn wir uns mit der außenpolitischen Situation be-
schäftigen, dann müssen wir unsere Partner in Europa
und darüber hinaus anhalten, sich an das zu halten, was
sie international zugesagt haben. Wenn wir in Deutsch-
land die Diskussion führen wollen, brauchen wir nicht
eine Fokussierung auf die Bundesebene, sondern einen
ganzheitlichen Ansatz, der nachhaltig auf alle staatlichen
Institutionen wirkt.

Noch einen Satz zum Thema Denkmal: Wir haben
uns diesem Thema nicht genähert, nicht etwa weil wir
das Ziel für nicht unterstützenswert halten. Ich finde,
Angelika Graf hat deutlich gemacht, dass es dazu keine
Notwendigkeit gibt. Die Sache ist auf dem Weg. Wir alle
sollten das begrüßen und für alle Bemühungen dankbar
sein, die hier unternommen werden.






(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
Alle sollten den Antrag der Koalition begrüßen; denn
er ist geografisch und thematisch ausgewogen und setzt
die richtigen Akzente. Deswegen glaube ich nicht, dass
es einer Erweiterung durch die Anträge von Bündnis 90/
Die Grünen bedarf. Ich kann Sie alle nur herzlich einla-
den, sich unserem Antrag anzuschließen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613623200

Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613623300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich sehr, dass zu so später Stunde der Vorsit-
zende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma,
Romani Rose, auf der Gästetribüne Platz genommen hat
und dieser Debatte folgt.


(Beifall)


Die Linke begrüßt außerordentlich, dass wir uns in-
nerhalb eines halben Jahres zum zweiten Mal mit der
Verbesserung der Lebenssituation der Sinti und Roma in
unserem Land befassen. Allerdings finde ich es schade
und traurig, dass wir in diesem wichtigen Punkt keinen
fraktionsübergreifenden Antrag zustande gebracht haben
und dass sich somit die Situation wie im Juni letzten Jah-
res darstellt. So kann ich meine Argumente einfach wie-
derholen; das werde ich gern tun.

Erstens. CDU/CSU und SPD sprechen in ihrem An-
trag davon, dass es starke Vorurteile und Ressentiments
speziell gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe gibt. Es
wird sogar davor gewarnt:

Eine fehlende oder undifferenzierte Berichterstat-
tung der Medien kann dagegen zur Verbreitung ne-
gativer Stereotypen führen.

Aber Sie selbst tragen dazu bei, wenn Sie in Ihrem An-
trag schreiben:

Bei den Bemühungen, die soziale Situation von
Roma zu verbessern, müssen auch Hürden in der
Roma-Gemeinschaft überwunden werden. In vielen
Familien bestehen Vorbehalte gegen den Schulbe-
such ihrer Kinder. Bildung wird nicht als Chance
verstanden,

– das ist das Wichtige –

obwohl sie eines der wichtigsten Instrumente dar-
stellt …

Weiter heißt es in Ihrem Antrag:

Häusliche Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Men-
schenhandel sind Verbrechen, die Roma-Frauen
häufig treffen … Das Recht auf Selbstbestimmung
von Roma-Frauen wird insbesondere in traditionell
geprägten Familienverbänden durch patriarchali-
sche Traditionen verletzt, die eine Gleichstellung
der Geschlechter behindern.

Das Problem dieser Argumentation ist, dass dies keine
Spezifika der Roma- und Sinti-Gesellschaft sind. Viel-
mehr treffen wir das in allen Gesellschaften an. Wer die
Medien in Deutschland aufmerksam verfolgt, weiß, dass
häusliche Gewalt und alles andere auch in unserer Ge-
sellschaft vorkommen. Diese angeblichen Spezifika sind
zum Teil Folge jahrhundertelanger Diskriminierung und
Verfolgung der Sinti und Roma. Mit dieser Argumenta-
tion nähert man sich meines Erachtens gefährlich diskri-
minierenden Denkstrukturen. Auch wenn es anders ge-
meint ist, geht der Duktus eindeutig in diese Richtung.
Das kritisieren wir ganz klar.


(Beifall bei der LINKEN)


Sicherlich müssen Integrationshemmnisse identifiziert
und überwunden werden, aber auf gleicher Augenhöhe
und gemeinsam und nicht in einem belehrenden Ton: Ihr
müsst erst einmal tun; bitte versteht es.

Zweitens. In allen Anträgen wird darauf hingewiesen,
dass wir als Deutsche aufgrund der brutalen Vernichtung
während des deutschen Faschismus eine ganz besondere
Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma haben.
Das heißt aber letztendlich, dass wir nicht nur eine Ver-
pflichtung gegenüber den in Deutschland lebenden schät-
zungsweise 70 000 Sinti und Roma mit deutschem Pass
haben, sondern dass wir auch den über 30 000 Sinti und
Roma verpflichtet sind, die überwiegend Bürgerkriegs-
flüchtlinge vom Balkan sind. Diese Gruppe der Sinti und
Roma ist dreifach diskriminiert: erstens allgemein als
Ausländer, zweitens aufgrund ganz spezifischer Vorur-
teile – darüber haben wir eben gesprochen – und drittens
als Flüchtlinge, weil sie unter das Asylbewerberleistungs-
gesetz fallen. Das bedeutet Residenzpflicht, kein Zugang
zum Arbeitsmarkt, kein ordentlicher Zugang zur Bildung
und ein schlechter Zugang zu medizinischer Betreuung.
Die Linke hat schon früher vorgeschlagen: Wenn es da-
rum geht, aus historischer Verantwortung etwas für die
Verbesserung der Lebenssituation der Sinti und Roma zu
tun, dann sollte man ihnen ein Aufenthaltsrecht, ein dau-
erhaftes Bleiberecht in Deutschland gewähren.

Es gibt auch ein historisches Beispiel dafür, dass dies
möglich ist – auch das habe ich damals angeführt –: Aus
dem gleichen Grund hat die letzte DDR-Regierung
1990, 1991 verlängert von der Innenministerkonferenz
und der Bundesregierung, eine großzügige Aufnahmere-
gelung für jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion ge-
schaffen. Damals ging es um Aufnahme; heute geht es
nur um das Bleiberecht für 30 000 Flüchtlinge. So wie
sich die CDU mit Frau Steinbach an der Spitze immer
massiv gegen Vertreibung einsetzt, müsste sie uns in die-
sem Punkt entgegenkommen und zustimmen. Solange
dies nicht geschieht, können wir diesen Anträgen nicht
zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613623400

Nun hat das Wort die Kollegin Marieluise Beck für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich mache zwei Vorbemerkungen: Zum Ers-
ten vertrete ich hier den Kollegen Beck, der heute Abend
verhindert ist.

Zum Zweiten begrüße auch ich den Präsidenten des
Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose.


(Beifall)


Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, die jetzt
fast 25 Jahre her ist. Seinerzeit suchte er den Kontakt zu
uns als junger grüner Fraktion noch im Hotel „Tulpen-
feld“ in Bonn. Damals stand unsere deutsche Gesell-
schaft ganz am Anfang, sich überhaupt dessen bewusst
zu werden, dass es, ausgehend vom deutschen Faschis-
mus, neben der Vernichtung des jüdischen Volkes auch
eine Vernichtung der Sinti und Roma gegeben hat. – Da-
mals waren Sie derjenige, der in sehr zäher und mühe-
voller Arbeit dieses Thema in die gesellschaftliche De-
batte in Deutschland eingeführt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)


Am 22. Juni 2007 haben wir im Deutschen Bundestag
seit Jahren zum ersten Mal wieder eine Debatte zur Le-
benssituation von Roma und Sinti in Deutschland und in
Europa geführt. Die Anträge, auf die hier jetzt eingegan-
gen worden ist, sind eine Folge davon. Zu der Frage, ob
man dem grünen Antrag zustimmen sollte oder nicht
– offensichtlich hätte die SPD gern zugestimmt; das ist
gar nicht verborgen geblieben –, sage ich, dass wir uns
natürlich darüber im Klaren sein müssen, dass eine
starke, meinungsbildende Rolle innerhalb der Europäi-
schen Union nur dann möglich ist, wenn man bereit ist,
vor der eigenen Türe zu kehren. Dass wir auch hier in
Deutschland Probleme mit der Diskriminierung dieser
Minderheit haben, der in unserem Land Chancen vorent-
halten werden, hat uns UNICEF in einem Bericht deut-
lich ins Stammbuch geschrieben. Insofern wären wir gut
beraten, zunächst einmal unsere nationale Aufgabe zu
beschreiben und dann mit dieser Willenserklärung auf
die europäische Ebene zu gehen und zu sagen, dies sei
als verbindliche Stoßrichtung für die Politik der Euro-
päischen Union im Hinblick auf diese Minderheit insge-
samt anzusehen.


(Beifall bei der SPD)


Dass wir noch viel zu lernen haben, zeigt ein solches
Wortungetüm wie „Mehrheitsgesellschaft“, bei dem man
sich fragt, wie sie sich definiert und wer dann draußen
ist. Auch die Tatsache, dass jetzt von einem wahlkämp-
fenden Ministerpräsidenten gesagt worden ist, wer hier
lebe, müsse sich den deutschen Sitten und Gebräuchen
anpassen, zeigt, dass wir noch sehr viel gesellschaftliche
Verständigung darüber vor uns haben, wie viel Differenz
wir in unserer Gesellschaft zulassen und akzeptieren
wollen. Es gibt also auch hier noch viel zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wissen, dass die Diskriminierungen überall eine
ähnliche Struktur haben: der fehlende Zugang zu Bil-
dung und der daraus resultierende fehlende Zugang zum
Arbeitsmarkt, aber auch die große Schwierigkeit, ange-
messenen Wohnraum zu finden. Mein Kollege Beck ist
in der Tschechischen Republik und in der Slowakei ge-
wesen. Es ist schon ungeheuerlich, dass dort tatsächlich
von staatlicher Seite in segregierte Siedlungen ohne
Wasser und Strom umgesiedelt wird, 300 in der Tsche-
chischen Republik und 600 in der Slowakei. Das sind
Slums mitten in Europa. Das sollten wir uns klarmachen,
und das sollte uns auch sehr beschämen. Diese Form von
Aussiedlung gehört nicht in eine Europäische Union,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


die immer wieder ihre Werte betont. Sie wissen, dass ich
in einer harten Auseinandersetzung mit Russland stehe
und immer sage: Wir sind eine Europäische Union der
Werte. Wenn wir es zulassen, dass mit Minderheiten in
dieser offensichtlich diskriminierenden, eigentlich aus-
stoßenden Form umgegangen wird, dann hat auch dieses
Europa mit seinen Werten noch einen langen Weg vor
sich.

Was den Baubeginn des Denkmals betrifft, so kann
ich nur hoffen, dass Sie recht haben, liebe Frau Kollegin.
Aber auch dann könnte es nur hilfreich sein, wenn jetzt
das Parlament beschließt, dass es den baldigen Baube-
ginn sehen möchte. Ich habe das Gefühl, dass Sie sich
auch da wegdrücken. Das kennzeichnet offenbar bei die-
ser Thematik die Situation der Koalition.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613623500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf
Drucksache 16/7768. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 16/5736 mit dem Titel „Die Rechte der Roma in
Europa stärken“ in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir nun zuerst ab-
stimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7773? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der FDP-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7774? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen abgelehnt.

Wer stimmt nun für die Beschlussempfehlung, also
für die Annahme des Antrags auf Drucksache 16/5736 in






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
der Ausschussfassung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der FDP
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Entschließungsantrags der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5784 zu ihrer
Großen Anfrage auf Drucksache 16/918 mit dem Titel
„Zur Situation von Roma in der Europäischen Union, in
den EU-Beitrittsländern und im Kosovo“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Dann ist diese Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung ei-
nes weiteren Entschließungsantrags der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5785 zu der
soeben genannten Großen Anfrage. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke
Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüg-
lich beschaffen

– Drucksache 16/6999 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Haushaltsausschuss

Dazu ist vereinbart, dass die Reden der folgenden
Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Ernst-Reinhard Beck, Gerd Höfer, Elke Hoff, Inge
Höger und Alexander Bonde1). Eine Aussprache erübrigt
sich damit.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6999 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Ra-
tes zur Änderung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

1) Anlage 2

(inkl. 14960/07 ADD 1 und 14960/07 ADD 2)

KOM (2007) 650 endg.; Ratsdok. 14960/07

– Drucksachen 16/7393 Nr. A.34, 16/7769 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Auch hier wurden sämtliche Reden zu Protokoll ge-
geben. Es handelt sich um die Reden folgender Kolle-

(VillingenSchwenningen)

Essen, Wolfgang Nešković und Jerzy Montag.2)

Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 16/7769 zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Än-
derung des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämp-
fung. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unter-
richtung eine Entschließung anzunehmen. Über diese
Beschlussempfehlung müssen wir nun abstimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ist jemand da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Solidarausgleich in der Rente für Versicherte
mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und
geringen Einkommen stärken

– Drucksache 16/7038 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Volker Schneider für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613623600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die gesetzliche Rentenversicherung war

2) Anlage 3






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

lange Zeit ein erfolgreiches Modell zur Bekämpfung von
Altersarmut und zur Sicherung des Lebensstandards im
Alter. Lassen Sie mich gleich einleitend feststellen: Es
ist eine Schande, wie Sie dieses System an die Wand
fahren. Es ist eine Schande, wie Sie das Vertrauen der
Bevölkerung in dieses System zunehmend erschüttern.

Kommen Sie mir nicht damit, wie ich das heute in der
Aktuellen Stunde gehört habe, das Vertrauen in die ge-
setzliche Rentenversicherung sei erschüttert, weil meine
Fraktion dieses System schlechtrede.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)


Das Vertrauen zerstört nicht der, der die Fakten benennt.
Das Vertrauen zerstört derjenige, der die Fakten schafft,
und das ist immer noch Ihr Part, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Großen Koalition,


(Beifall bei der LINKEN)


und das war der Part der rot-grünen Koalition in gründli-
cher Vorarbeit.

Sicher, Sie können sich aktuell noch zurücklehnen
und sagen: Die Rentner sind die von Einkommensarmut
am wenigsten betroffene Bevölkerungsgruppe.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Gerade einmal 2,5 Prozent der über 65-Jährigen bezie-
hen zum Jahresende 2006 die Grundsicherung im Alter.
Allerdings ist diese Zahl seit Einführung der Alters-
grundsicherung und dem ersten Erhebungszeitpunkt
Ende 2003 um sage und schreibe 44 Prozent angestie-
gen. Altersarmut wird ohne massive Korrekturen weiter
stark zunehmen; denn Ihre zerstörerischen Eingriffe in
die Rentenformel bei gleichzeitiger und absehbarer Zu-
nahme „gebrochener“ Erwerbsbiografien wirken sich di-
rekt auf das zukünftige Rentenniveau aus.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: So ist es!)


Zeiten der Arbeitslosigkeit, Beschäftigung in Mini-
und Midijobs, Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen, dies
alles ist Gift für eine armutsfeste Rente. Wenn Sie weiter
so selbstzufrieden darüber schwadronieren, was für ein
tolles, von drei Säulen getragenes Rentensystem Sie ge-
schaffen haben, statt sich einmal offen und mit kritischen
Augen mit Ihrem Reformmurks auseinanderzusetzen,
dann werden Sie noch ein böses Erwachen erleben.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Löcher, die Sie heute reißen, werden Sie morgen
nicht mit einem Federstrich beseitigen können. Das wird
Jahre dauern, Jahre, in denen zu viele Menschen in die-
sem Land von einer Rente werden leben müssen, die
kein Leben in Würde ermöglicht.

Dazu ein paar Fakten: Das Sicherungsniveau vor
Steuern wird – ausweislich des Rentenversicherungsbe-
richts 2007 der Bundesregierung – von aktuell 51 Pro-
zent bereits bis 2021 auf 46,1 Prozent absinken. Allein
das wäre für die Rentenhöhe ein Minus von 9,6 Prozent.
Der Eckrentner, also derjenige, der 45 Jahre lang ein
Durchschnittsgehalt – für 2007 lag dieses bei 2 450 Euro –
bezogen hat, erhielte nach dem heutigen Sicherungsni-
veau im Westen eine Nettorente vor Steuern von rund
1 062 Euro. 2021 werden es über 100 Euro weniger sein,
nämlich 960 Euro.

Dabei unterstellt die Bundesregierung noch immer
eine Zahl von 45 Versicherungsjahren. Auch hier wollen
Sie die Realitäten einfach nicht zur Kenntnis nehmen.
Im letzten Jahr lag die durchschnittliche Anzahl von Ver-
sicherungsjahren bei gerade einmal 37 Jahren. Ob es Ih-
nen gefällt oder nicht: Der Eckrentner, mit dem Sie so
gerne argumentieren – bei ihm werden 45 Versiche-
rungsjahre unterstellt –, ist schlichtweg ein Phantom.
Selbst wenn man unterstellte, dass die Zahl der Versiche-
rungsjahre wieder auf durchschnittlich 40 ansteigt, läge
die Nettorente 2021 bei 855 Euro; sie wäre also über
200 Euro geringer. Wir reden hier von Durchschnitts-
rentnern.

Das ist nur die nominale Einbuße, die Rentner ver-
kraften müssen. Angesichts der aktuellen Inflationsrate
bei gleichzeitigen Nullrunden oder allenfalls bescheide-
nen Erhöhungen der Rente und angesichts des Damo-
klesschwerts Nachholfaktor müssen Sie eigentlich Alb-
träume hinsichtlich des zu erwartenden Realwerts
künftiger Renten haben. Der Paritätische Wohlfahrtsver-
band rechnet Ihnen mit teilweise optimistischen Voran-
nahmen vor, dass 2020 rund 10 Prozent der über 65-Jäh-
rigen – das sind rund 2 Millionen Personen in
Deutschland – in Armut leben werden.

Was fällt Ihnen dazu ein? Sie legen die Studie „Al-
tersvorsorge in Deutschland“ vor, in der Sie die Versor-
gungslage in der Zukunft mit den Zahlen von heute auf
Basis der Gesetzeslage von gestern, also ohne Einrech-
nung der Dämpfungsfaktoren – was längst beschlossen
worden ist –, berechnen lassen. Das ist ein bisschen so,
als würde ich meine Benzinkosten im Jahr 2020 heute
mit den Benzinpreisen von 2001 berechnen. Trotz sol-
cher Schönfärberei kommt die Studie zu dem Ergebnis,
dass das Niveau der Altersvorsorge selbst bei denjeni-
gen, die private und betriebliche Altersvorsorge betrei-
ben, unter dem heutigen Rentenniveau liegen wird.

Hören Sie endlich auf, die Probleme schönzureden!
Bauen Sie die gesetzliche Rentenversicherung zur Er-
werbstätigenversicherung aus, in die alle, auch Abgeord-
nete, einzahlen! Heben Sie die Beitragsbemessungs-
grenze schrittweise an und perspektivisch auf! Wenn Sie
die Rentensteigerungen, die aus diesen zusätzlichen Be-
trägen resultieren, zunehmend geringer ausfallen lassen,
erhalten Sie einen finanziellen Spielraum für einen Soli-
darausgleich, mit dem typische Lücken in den Renten-
biografien geschlossen werden könnten.

Wir fordern konkret eine Ausweitung der Anrech-
nung von Kindererziehungszeiten, von Zeiten der ehren-
amtlichen Pflege Angehöriger und von Ausbildungszei-
ten, höhere Beiträge für Bezieher von ALG II und
insbesondere eine Wiederbelebung des Systems der
Mindestentgeltpunkte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jawohl, mehr Geld für alle, Herr Schneider!)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613623700

Nun hat der Kollege Peter Weiß für die Fraktion der

CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1613623800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Etwas mehr als 2 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner in Deutschland haben ein so geringes Altersein-
kommen,


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Heute!)


dass sie zusätzliche staatliche Unterstützung beantragen
müssen. Vor über 50 Jahren, also bevor die dynamische
Rente in Deutschland eingeführt wurde, mussten
70 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in unserem
Land zusätzliche staatliche Hilfe, nämlich Sozialhilfe,
beantragen, damit sie ihr Leben finanziell einigermaßen
auskömmlich gestalten konnten. Diese Zahlen – 70 Pro-
zent sozialhilfeabhängige Rentnerinnen und Rentner vor
über 50 Jahren, nur knapp über 2 Prozent heute – zeigen,
dass die Rentenversicherung in Deutschland die Men-
schen aus der Altersarmut geführt hat und dass die Rente
weiterhin der Armutsvermeidung dient, allen Panikma-
chern zum Trotz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Erde ist eine Scheibe, oder was? So ein Unsinn!)


Das, was wir geschafft haben, steht allerdings in Zu-
kunft vor großen Herausforderungen. Offensichtlich
weiß die Linke nichts von diesen Herausforderungen
oder verdummt die Bevölkerung bewusst. Die Verände-
rung im Altersaufbau der Gesellschaft zwingt uns näm-
lich zu einer Veränderung bei der Altersvorsorge der
Zukunft. Wer das nicht angeht bzw. wer diese Herausfor-
derung leugnet, der betrügt bewusst entweder die eine
oder die andere Generation, wahrscheinlich sogar beide
Generationen. Damit ist Betrug der eigentliche Inhalt
des Antrags, den wir heute beraten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das sagen die vereinigten Anlagebetrüger rund um Riester!)


Wir bekommen hier im Plenum in jeder Sitzungswo-
che – so auch heute – einen Antrag einer bestimmten
Fraktion vorgelegt, in dem die Veränderungen der Ge-
sellschaft in der Zukunft schlichtweg nicht zur Kenntnis
genommen werden und mit dem die notwendigen Maß-
nahmen bekämpft werden. Für die Linke scheint der Be-
griff der Generationengerechtigkeit überhaupt nicht zu
existieren. Wenn ich lese, was Sie uns hier vorgelegt ha-
ben, frage ich mich: Hat die Linke überhaupt einen Sinn
für Gerechtigkeit?


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Na, na! Darüber müssen Sie schwadronieren!)


Die Idee eines gerechten Ausgleichs zwischen den
Generationen – zwischen den Älteren, die heute arbeiten
gehen, und den Jüngeren, die in Zukunft arbeiten gehen
und Beiträge zahlen müssen – war Leitmotiv der Renten-
reformen, die dafür sorgen, dass der Rentenversiche-
rungsbeitrag für die Jüngeren nicht in astronomische Hö-
hen steigt und dass folglich das Niveau der gesetzlichen
Rente für künftige Rentnerinnen und Rentner nicht mehr
die Höhe von heute erreicht.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Lesen Sie mal die Studie des Club of Rome!)


Ich bin überzeugt: Zu diesem solidarischen Ausgleich
in einer umlagefinanzierten gesetzlichen Rente gibt es
keine Alternative. Wer etwas anderes behauptet, belügt
schlichtweg die Menschen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Richtig ist, dass wir uns um all diejenigen Sorgen ma-
chen müssen, die bei einem sinkenden Niveau der ge-
setzlichen Rente in der Zukunft aufgrund eines niedrigen
Erwerbseinkommens oder längerer Ausfallzeiten even-
tuell doch zusätzlich auf die Grundsicherung als staatli-
che Hilfe angewiesen sind.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Zwei Millionen! Eventuell? – Frank Spieth [DIE LINKE]: Jetzt haben Sie uns total überrascht!)


Um dies zu vermeiden, werden in der Öffentlichkeit ver-
schiedene Modelle diskutiert: eine aus allen Einkom-
mensarten finanzierte Sockelrente oder eine steuerfinan-
zierte Grundrente,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)


eine Rente nach Mindesteinkommen mit Anhebung der
Entgeltpunkte und, und, und.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sind ja ganz neue Töne bei Ihnen! – Frank Spieth [DIE LINKE]: Das wird jetzt abgelehnt!)


All diese Vorschläge muss man unter dem Gesichts-
punkt prüfen, ob sie die Bereitschaft der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer wirklich stärken, etwas für die
Alterssicherung zu tun. Wer nämlich das sogenannte
Äquivalenzprinzip, also das Prinzip, dass die Höhe der
Rentenversicherungsbeiträge auch etwas damit zu tun
hat, was man später als Rente erhält, beschädigt, wird er-
reichen, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in unserem Land generell von diesem System
abwenden. Leistung muss sich lohnen, auch und gerade
in der Altersvorsorge; sonst wird niemand mehr bereit
sein, die Altersvorsorge, die wir den Bürgerinnen und
Bürgern vorschreiben, anzunehmen.


(Jörg Rohde [FDP]: Genau!)


Die schrittweise An- bzw. längerfristige Aufhebung
der Beitragsbemessungsgrenze bei gleichzeitiger Abfla-
chung der damit verbundenen Rentenanwartschaften,
wie es im Antrag der Linken gefordert wird – wir haben
heute von Herrn Lafontaine gehört, dass das Botschaften
sind, die die Bevölkerung versteht; ich frage mich, wer
das verstehen soll –, das heißt nichts anderes, als dass






(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)

das Äquivalenzprinzip – dem, was ich in die Rentenver-
sicherung einzahle, entspricht später einmal das, was ich
aus der Rentenversicherung herausbekomme – aufgeho-
ben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist Unsinn!)


Warum sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in unserem Land dann, wenn sich Leistung nicht mehr
lohnt, zum Beispiel noch etwas für eine zusätzliche Al-
tersvorsorge tun? Es ist der grundfalsche Weg – er führt
letztlich auch in die Altersarmut –, wenn wir die Bürger
entmündigen, ihnen die Chance zur eigenen Vorsorge
nehmen und dann noch die Leistungen aus der gesetzli-
chen Rentenversicherung nivellieren.

Die Alternative zum sinkenden Rentenniveau haben
wir mit den Rentenreformen – Begründung des Dreisäu-
lenmodells – aufgezeigt und fest verankert. Jeder Arbeit-
nehmer in unserem Land hat die Chance, durch die vom
Staat geförderten Formen der betrieblichen Altersvor-
sorge und der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge
das notwendige zweite und dritte Standbein der Alterssi-
cherung aufzubauen. Jeder hat damit die Chance, durch
die zweite und dritte Säule das sinkende Niveau der ge-
setzlichen Rente in Zukunft für sich persönlich auszu-
gleichen.

Das Jahr 2008 ist ein Jahr, in dem wir die Förderbe-
dingungen noch einmal deutlich verbessern. Wir haben
die steuer- und sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung
für eine Altersvorsorge unbefristet verlängert. Wir haben
die Förderung für eine private kapitalgedeckte Alters-
vorsorge – sprich: Riester-Rente – noch einmal deutlich
verbessert, indem wir zum Beispiel den Förderbetrag pro
Kind auf 300 Euro jährlich angehoben haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss man auch einmal wahrnehmen!)


Geringverdienerinnen und -verdiener erhalten für eine
Riester-Rente eine staatliche Förderung bis zu 90 Pro-
zent. Das ist doch ein Wort; aber das verschweigen be-
stimmte Leute gerne.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Weil es hinterher auf die Sozialhilfe angerechnet wird!)


Meine Damen und Herren, das Dreisäulenmodell der
Alterssicherung ist nachhaltig, es ist generationenge-
recht, weil die Lasten nicht einseitig auf die eine oder die
andere Generation verteilt werden, und es ist zukunftssi-
cher. Deshalb sollten wir dieses Dreisäulenmodell weiter
stärken und für diejenigen, die bisher nicht mitmachen,
noch attraktiver ausgestalten. Wer selbst mit vorsorgt,
wer die Chancen der betrieblichen Altersvorsorge nutzt,
wer die Möglichkeiten der privaten kapitalgedeckten Al-
tersvorsorge, sprich der Riester-Rente, nutzt, der weiß,
dass er im Alter eigenes Einkommen bezieht, das ihn
über das Grundsicherungsniveau hebt, sodass er im Alter
keine Grundsicherung beim Staat beantragen muss. Das
ist die zentrale Botschaft des Dreisäulenmodells, wenn
man es konsequent anwendet und die Möglichkeiten, die
hierfür gegeben werden, nutzt.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sollten
wir, wenn wir über die Alterssicherung, die Rente reden,
den Bürgerinnen und Bürgern die richtige Botschaft mit-
teilen, damit sie für ein Leben in Sicherheit im Alter die
richtigen Entscheidungen treffen, indem sie nämlich
nicht die Hände in den Schoß legen, sondern für sich die
zweite und dritte Säule der Altersvorsorge konsequent
aufbauen. Das ist die beste Absicherung gegen Altersar-
mut, die es gibt. Dafür gibt es die entsprechenden Instru-
mente. Wir sollten uns um ihre Weiterentwicklung küm-
mern und die Bürger ermuntern, sie zu nutzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613623900

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Rohde für die

FDP-Fraktion.


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1613624000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Irren ist menschlich, lautet ein gängiges
deutsches Sprichwort. Herr Weiß, ich rede da nicht von
Betrug, sondern von einem großen Irrtum, dem die
Linksfraktion aufgesessen ist.

Schon in der vierten Zeile des Antrages der Links-
fraktion steht, dass sich die gesetzliche Rentenversiche-
rung in ihrer heutigen Form der Umlagefinanzierung be-
währt habe. In Ihrer Rede, Herr Schneider, klang das
eben anders an. Aber damit liegt die Linksfraktion ein-
fach falsch. Vor einigen Jahren mag das richtig gewesen
sein, aber aus heutiger Sicht gilt dieser Satz eben nicht
mehr. Die in die gesetzliche Rentenversicherung einge-
zahlten Beiträge reichen schon lange nicht mehr, um den
bestehenden Rentenansprüchen nachzukommen. Wir
werden immer älter, bekommen immer weniger Kinder
und müssen uns eingestehen: Der Generationenvertrag
geht nicht mehr auf. Die Generation der Beitragszahler
kann die Ansprüche der Rentenempfänger nicht mehr in
vollem Umfang befriedigen. Vor diesem Hintergrund
stimme ich dem zu, was Herr Weiß in seinem Schlussap-
pell gesagt hat: Deshalb müssen die Bürger vorsorgen.

Angesichts der Situation, die wir heute haben, fordert
die Linksfraktion auch noch, Rentenanwartschaften auf-
zubauen, die nicht durch Beitragszahlungen an die Ren-
tenversicherung gedeckt sind. Das ist unverantwortlich.


(Beifall bei der FDP)


Sie wollen die Wüste aus einer Oase bewässern, die
schon längst im Austrocknen begriffen ist. Das kann
nicht funktionieren.

Damit Sie von der Linken uns nicht falsch verstehen:
Auch die FDP tritt dafür ein, dass am Ende des Erwerbs-
lebens möglichst jeder eine existenzsichernde Rente be-
zieht. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir von der FDP
aber, dass die Rentenzahlungen von zuvor eingezahlten
Versicherungsbeiträgen gedeckt sind. Wir wollen weg
von einer immer mehr steuerfinanzierten Rente, und wir
wollen weg von immer höheren Rentenversicherungs-
beiträgen. Diese bewirken vor allem eines, nämlich dass






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Rohde
Arbeit in Deutschland immer teurer wird und damit im-
mer mehr Arbeitsplätze abwandern.

Der beste Schutz vor Altersarmut, meine Damen und
Herren von den Linken, ist immer noch eine gute beruf-
liche Qualifikation, durchgehende Erwerbstätigkeit und
vernünftige Nettoeinkommen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wenn wir das erreichen, wird der Solidarausgleich in
den sozialen Sicherungssystemen wieder die Aufgabe
wahrnehmen können, die ihm einmal zugedacht war,
nämlich die Absicherung derer, die aus vielfältigen
Gründen nicht für sich selbst sorgen können.

Was Sie von den Linken in Wahrheit fordern, ist eine
magere Grundrente für jeden. Wohl wissend schreiben
Sie in Ihrem Antrag nicht, was Sie genau unter dem Be-
griff „oberhalb des Grundsicherungsniveaus“ verstehen,
nämlich eine sozialistisch finanzierte Einheitsrente für
alle.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen im
Deutschen Bundestag, gerne lege ich Ihnen noch einmal
dar, wie eine generationengerechte und demografiefeste
Rente der Zukunft aus Sicht der FDP aussieht: Erstens.
Das Renteneintrittsalter wird bei entsprechenden Zu-
bzw. Abschlägen flexibilisiert. Zweitens. Die Zuver-
dienstgrenzen für Frührentner entfallen. Drittens. Die
Lebensstandardabsicherung erfolgt mittel- und langfris-
tig nicht mehr allein über die gesetzliche Rentenversi-
cherung, sondern zu jeweils gleichen Anteilen aus
gesetzlicher sowie betrieblicher und privater Altersvor-
sorge. Das sind die drei Säulen, die auch Peter Weiß
eben erwähnt hat.

Auf diese Weise würden wir erreichen, dass die umla-
gefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung das Exis-
tenzminimum absichert, während die kapitalgedeckte
betriebliche und private Altersvorsorge den bisherigen
Lebensstandard absichert. Mehr kann die gesetzliche
Rente angesichts der demografischen Entwicklung in
Deutschland leider nicht gewährleisten. Umso wichtiger
ist es deshalb, dass der Gesetzgeber die kapitalgedeckte
Altersvorsorge konsequent stärkt.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP hat ausdrücklich die Einführung einer kapi-
talgedeckten Rente begrüßt, wenngleich wir uns eine un-
bürokratischere Variante der Riester-Rente gewünscht
hätten. Unverzeihlich ist aber, dass diese bis heute noch
nicht allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung
steht, sondern nur denen, die bereits über gesetzliche
Renten- und Pensionsansprüche verfügen, nämlich An-
gestellten und Beamten. Die FDP spricht sich dafür aus,
dass alle Menschen in den Genuss der staatlichen Förde-
rung privater Altersvorsorge kommen. Hier muss die so-
genannte Riester-Rente ausgebaut werden. Es hat mich
gefreut, dass der Namensgeber heute ebenfalls dazu Stel-
lung genommen hat.

Gestatten Sie mir an diesem Punkt, auch auf die aktu-
elle Debatte über die Riester-Rente einzugehen. Es ist
doch völlig absurd, dass die eine Hand des Staates erst
den Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge
massiv unterstützt, um sie später durch eine Anrechnung
auf die Grundsicherung mit der anderen Hand wieder
aus der Tasche des gering verdienenden Sparers zu zie-
hen.


(Beifall der Abg. Birgit Homburger Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union und der SPD, warum sollte ein Geringverdiener heute noch in einen Riester-Vertrag einzahlen, wenn er denn befürchten muss, komplett für den Staat zu sparen? Seien Sie doch ehrlich. Wer bislang nicht viel verdient hat oder längere Zeit nicht gearbeitet hat und keine Perspektive für eine grundlegende Änderung dieser Situation besitzt, kann sich ausrechnen, dass seine Rente nicht über Grundsicherungsniveau liegt. (Rolf Stöckel [SPD]: Was ist denn mit anderen Einkommen?)


Er wäre, gelinde gesagt, „schön blöd“ – es gibt entspre-
chende Werbesprüche –, von seinen niedrigen Einkünf-
ten auch noch etwas zu sparen, wenn es ihm ohnehin
später vom Sozialamt komplett wieder abgeknöpft wird.
Diese Politik, meine Damen und Herren auf der Regie-
rungsbank und in den Reihen der Koalition, konterka-
riert die Intention von Walter Riester. Denn erklärtes Ziel
der Riester-Rente war: Wer freiwillig etwas für die Al-
tersvorsorge tut, soll im Alter mehr haben als diejenigen,
die nicht freiwillig vorsorgen.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP hat deshalb schon im November einen An-
trag in den Bundestag eingebracht, der morgen beraten
wird. Wir wollen einen Freibetrag für grundsicherungs-
beziehende Riester-Rentner. 100 Euro bleiben komplett
anrechnungsfrei. Alles, was darüber hinausgeht, wird
nur zu 80 Prozent auf die Grundsicherung angerechnet.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Blödsinn!)


Wir fordern den Bundesarbeitsminister Olaf Scholz
und die Koalition auf: Stellen Sie das Vertrauen der Bür-
gerinnen und Bürger in die Riester-Rente wieder her!
Stellen Sie sicher, dass jeder, der sich die Beiträge vom
Mund abgespart hat, später uneingeschränkt in den Ge-
nuss einer Zusatzrente kommt! Es ist ganz einfach: Wir
legen Ihnen einen entsprechenden Antrag vor, Sie müs-
sen dann nur noch zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613624100

Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf für die

SPD-Fraktion.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1613624200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch zu

fortgeschrittener Stunde habe ich das Bedürfnis, sachlich
zu diskutieren. Was bisher gesagt worden ist, ist mit
Ausnahme der Äußerungen des Kollegen Peter Weiß re-
lativ absurd.






(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
Es ist hochspannend, wie sich die FDP in Sachen
Riester-Rente verhält. Bei der vereinigten Linken dieser
Republik habe ich diesbezüglich weniger Sorge, was den
populistischen Umgang mit diesem Thema betrifft. Aber
was Sie, Herr Rohde, gerade zur Riester-Rente gesagt
haben, ist schon ein starkes Stück. Ich will das direkt
aufgreifen.

Sie sagen, die Leute und auch Sie von der FDP wür-
den es nicht verstehen, dass jemand, der privat spart,


(Jörg Rohde [FDP]: Freiwillig!)


staatlich massiv unterstützt, später im Falle der Bedürf-
tigkeit – und nur dann – das Gesparte einsetzen muss,
um der Bedürftigkeit zu entkommen. Das sei ordnungs-
politischer Unfug.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Vorwurf ist angesichts der Tatsache, dass Sie im-
mer nur auf die private Verantwortung setzen, wirklich
absurd. Das ist Populismus pur, den Sie da betreiben. Sie
sind auf diese Monitor-Nummer vom Montag aufge-
sprungen.


(Jörg Rohde [FDP]: Nein!)


Getoppt wurde das heute Mittag nur von Lafontaine.
Der war ja noch schlimmer als Monitor, und Monitor
war schon an der Grenze des Erträglichen. Lafontaine
hat es heute Mittag tatsächlich hinbekommen, die
Grenze des Erträglichen noch zu sprengen.

Herr Schneider, das haben Sie nicht ganz geschafft,
weil Sie die dafür notwendige Qualität nicht mitbringen,
zumindest nicht die rhetorische.


(Heiterkeit bei der SPD)


Inhaltlichen Unfug können Sie aber auch erzählen, und
den haben Sie auch erzählt. Ich gehe aber auf Ihren An-
trag ein. Ich meine, Sie haben ein Recht darauf, dass wir
auf den Antrag, den Sie in den Deutschen Bundestag
eingebracht haben, eingehen. Mir fällt das allerdings
wirklich schwer.

Ich will versuchen, meine Meinung zu einem Punkt
sehr deutlich zu formulieren. Sie wollen, dass die Bei-
tragsbemessungsgrenze aufgehoben wird.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist richtig! Das haben sogar schon Sozialdemokraten gefordert!)


Man kann ja darüber diskutieren, wo sie liegen soll oder
ob man sie eventuell aufheben soll. Dann aber, wenn alle
einzahlen, auch die Bezieher hoher Gehälter, weil die
Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben wurde, wollen
Sie die Ansprüche abflachen. Der Generalsekretär der
vereinigten Linken hat in Bezug auf Riester und Grund-
sicherung heute Mittag behauptet, wir würden die Men-
schen betrügen, was ich für absoluten Unfug halte. Wenn
Sie das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung
aufheben, also Menschen Beiträge zahlen lassen – Stich-
wort: Eigentumsvorbehalt –, ihnen die Ansprüche daraus
aber nicht gewähren, dann ist das genauso ein Betrug
wie bei der Riester-Rente. Nichts anderes ist das.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Genau so muss man das formulieren. Wenn man über
diesen Weg umverteilt, enteignet man Eigentum. Man
kann über Umverteilung immer diskutieren, mit mir alle-
mal. Der entscheidende Punkt ist aber, dass eine Umver-
teilung über Beiträge schlichtweg Enteignung ist. Die
Rechtsprechung, zumindest die derzeit gültige, sagt ge-
nau das.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Sie sagt nicht, dass das Äquivalenzprinzip überall 1 : 1 sein muss!)


Schauen wir uns Ihre konkreten Vorschläge, zum Bei-
spiel zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten, an.
Sie wollen, dass auch für die vor 1992 geborenen Kinder
drei Jahre Erziehungszeit angerechnet werden. Allein
die Erfüllung dieser Forderung würde 9 Milliarden Euro
kosten. An dieser Stelle sind Sie übrigens auch nicht ge-
recht; denn die Bestandsrentnerinnen würden davon
nicht profitieren. Wenn Sie das verändern, haben Sie im-
mer noch eine Gerechtigkeitslücke. Wir müssten aber
9 Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Sie
sagen, dass Sie über Beiträge umverteilen wollen. Über
Beiträge würden Sie aber gar nichts umverteilen. Letzten
Endes müssten wir den Steuerzuschuss, der jetzt schon
78 Milliarden Euro beträgt, deutlich erhöhen, um das fi-
nanzieren zu können. Das ist der entscheidende Punkt.

Ein anderer Punkt, den ich gerne noch ansprechen
möchte, ist die ehrenamtliche Pflege. Wir können fest-
stellen, dass darüber schon jetzt Rentenanwartschaften
erworben werden. Die Frage war, wie weit man geht. Ich
plädiere dafür, Menschen, die Pflegebedürftige unter-
stützen, professionell zu helfen, damit sie in der Lage
sind, durch Erwerbstätigkeit eigene Rentenanwartschaf-
ten zu erwerben. Das ist mein Petitum. Ich bin nicht da-
für, das auszuweiten und auf diesem Gebiet noch viel
mehr zu machen.

Interessant fand ich die Frage der Anerkennung von
Schul-, Ausbildungs- und insbesondere von Studienzei-
ten. Da wurde es höchst spannend. Da kommt die verei-
nigte Linke daher und sagt, die Studienzeiten müssten
bei der Berechnung der Rente wieder vernünftig ange-
rechnet werden. Ich sage Ihnen, was das ist: eine knüp-
pelharte Umverteilung von unten nach oben, sonst
nichts. Sie nehmen den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern, die eine Ausbildung gemacht haben, die jahre-
lang gearbeitet haben und in dieser Zeit Steuern und Bei-
träge gezahlt haben, real Geld weg, wenn Sie das so
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist eine Umverteilung von den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern auf die Akademikerinnen und Aka-
demiker, die nach Abschluss ihres Studiums in ausrei-
chendem Maße Ansprüche erwerben können. Das ist
eine Umverteilung von unten nach oben. Deswegen ha-
ben wir damals an der Stelle einen Riegel vorgeschoben.
Ich finde es völlig richtig, dass wir das so gemacht ha-
ben.






(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
Ich will die Riester-Rente, über die wir heute Mittag
diskutiert haben, gerne noch einmal aufgreifen. Herr
Rohde, über das Nachrangigkeitsprinzip sind wir uns
doch völlig einig, hoffe ich jedenfalls. Sie wollen es an
dieser Stelle aber außer Kraft setzen. Sie wollen, dass
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Grundsiche-
rung durch die Steuern, die sie zahlen, gewährleisten.
Gleichzeitig bringen die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer Steuergelder auf, damit die Riester-Rente geför-
dert werden kann; auch das tun sie.Dann sagen Sie: Im
Falle der Bedürftigkeit, in dem die Grundsicherung ge-
zahlt wird, machen wir bei denen, die Grundsicherung
bekommen, eine Ausnahme. Bei denen wird dann das,
was sie sich selber erarbeitet haben, nicht angerechnet;
bei allen anderen ja, aber in diesem Fall nicht. Ich halte
es für fatal und völlig falsch, das so zu machen. Sie set-
zen damit ein Grundprinzip unseres Sozialstaates, näm-
lich die Nachrangigkeit, außer Kraft.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613624300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Rohde?


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1613624400

Aber sicher, gern.


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1613624500

Vielen Dank, Herr Kollege Schaaf. – Ich möchte Ih-

nen gern eine Frage stellen. Wir liegen in unseren Aus-
führungen nicht so weit auseinander, wie Sie es darge-
stellt haben. Nachrangigkeit ist richtig; aber ich möchte
fragen, ob Sie mit mir in folgendem Grundsatz überein-
stimmen: Wer in einem Riester-Sparvertrag spart, soll
mehr haben als der, der nicht in einem Riester-Sparver-
trag spart. Wenn jemand trotz gesetzlicher Rente und
Riester-Sparvertrag nicht genug hat, um die Grundsiche-
rung im Alter abzudecken, bekommt er genauso viel wie
jemand, der nicht spart. Das empfinde ich als hochgradig
ungerecht. Diese Ungerechtigkeit ist die Intention.

Bei der Gelegenheit möchte ich noch sagen: Wir wa-
ren zwei Monate vor der Monitor-Sendung aktiv. Auch
wir haben uns gewundert, dass der Aufschrei so spät
kam.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1613624600

Danke, Herr Rohde. Selbstverständlich beantworte

ich Ihnen die Frage sehr gerne. Ich beantworte sie mit ei-
ner Gegenfrage: Wenn Sie die Riester-Rente, zumindest
zum Teil, anrechnungsfrei stellen wollen, warum dann
nicht auch die Betriebsrente?


(Jörg Rohde [FDP]: Auch!)


Warum nicht die selbsterworbenen Rentenansprüche?
Warum nicht kapitalgedeckte Lebensversicherungen, die
ausschließlich als Rente ausgezahlt werden? Sie müssten
dann schlichtweg all diese Faktoren aufgrund des
Gleichbehandlungsgrundsatzes von der Anrechnung
ausnehmen,


(Jörg Rohde [FDP]: D’accord!)

und zwar nur in diesem besonderen Fall. Wir tun es in
keinem anderen Fall; aber in diesem wollen wir es ma-
chen. Das kann man in dieser Form nicht. Das funktio-
niert nicht. Wir würden damit unser Sozialstaatsprinzip,
das im Wesentlichen auf Nachrangigkeit beruht, infrage
stellen.

Ich kann mir das nur unter einer einzigen Konstella-
tion vorstellen, die ich nicht will: Wenn man Grundsi-
cherung im Alter fordert, dann müsste man die Unter-
haltspflicht tatsächlich wieder einführen. Dann könnte
ich mir vorstellen, dass man auch etwas anrechnungsfrei
stellt. Aber wenn man den Staat in Anspruch nehmen
muss – das will ja niemand –, dann muss man zunächst
einmal die eigene Leistungsfähigkeit mit in die Waag-
schale werfen. Nachrangig folgt dann die Leistung der
Solidargemeinschaft.

Meine Redezeit läuft jetzt, glaube ich, weiter. Ich will
den Feierabend nicht weiter aufhalten, aber an einer
Stelle muss ich noch eingreifen. Wir haben heute Mittag
ja schon sehr deutlich miteinander über dieses Thema
diskutiert. Ich habe gesagt: Die beste Prävention gegen
Altersarmut ist, dass die Menschen in Arbeit sind, und
zwar in guter Arbeit, in auskömmlicher Arbeit.


(Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Das ist für mich die beste Prävention, die wir machen
können. Wir waren bei der Senkung der Arbeitslosigkeit
relativ erfolgreich. Wir waren allerdings an vielen Stel-
len nicht erfolgreich, was gute Arbeit angeht, Arbeit, für
die Menschen anständig entlohnt werden.

Ich glaube, die beste Prävention ist tatsächlich das,
was zurzeit in der öffentlichen Debatte ist: Die Men-
schen brauchen einen Mindestlohn, sie brauchen eine
Mindestabsicherung nach unten. Die Menschen brau-
chen in den jetzt anstehenden Tarifrunden vernünftige
Lohnerhöhungen. Denn die wirken nicht nur positiv auf
die sozialen Sicherungssysteme, sondern auch für den
Einzelnen sind sie selbstverständlich ein Gewinn, was
die individuellen Anwartschaften angeht.

Deswegen kann ich nur noch einmal das wiederholen,
was ich heute Mittag gesagt habe: Lassen Sie uns ge-
meinsam dafür sorgen, dass die Menschen für gute Ar-
beit anständig entlohnt werden. Wenn sie anständig ent-
lohnt werden für anständige Arbeit, haben sie im Alter
auch anständige Ansprüche.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten
Abend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613624700

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kol-

legin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen heute und morgen drei Rentendebatten mit






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
sehr unterschiedlichen Titeln; aber immer wieder wird
alles durcheinandergemischt. Allen ist egal, welchen
Titel welche Debatte hat. Jeder redet über Riester und
über irgendwelche anderen Themen.

Ich möchte jetzt einmal zum Antrag der Linksfraktion
sprechen, in dem der Solidarausgleich in der Rente ge-
fordert wird. Dazu kann ich nur sagen: Wie weit die ge-
sellschaftliche Debatte über das Thema Altersarmut vor-
angeschritten ist, zeigt ein Blick in die Suchmaschine
Google. Ich habe dort 161 000 Dokumente aus dem
deutschsprachigen Raum zu diesem Thema gefunden.
Mit Ausnahme der Regierungskoalition sind sich die
Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen politi-
schen Lagern mittlerweile darin einig, dass hier eine
Zeitbombe schlummert. In den nächsten 15 bis 20 Jahren
wird, wenn wir nicht gegensteuern, die Altersarmut ein
Massenphänomen; darauf müssen wir politisch reagie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Armutsrisiko wird für künftige Rentnerinnen und
Rentner steigen. Heute sind es 2,2 Prozent von ihnen, die
die Grundsicherung beanspruchen. Künftig wird die
Zahl ein Vielfaches davon betragen.

Es besteht Konsens darüber, welche Ursachen die
wachsende Armut im Alter hat. Die Geister scheiden
sich, wenn es um Lösungen zur Vermeidung dieser Ar-
mut geht. Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass Armut
im Alter solche Dimensionen annimmt, wie ich sie ge-
rade angesprochen habe. Forschungsergebnisse besagen:
Im Jahre 2022 werden 2 Millionen Rentner und Rentne-
rinnen vom Armutsrisiko betroffen sein.

Die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen seit
Beginn der 90er-Jahre zu gebrochenen Erwerbsbiogra-
fien und zu niedrigen Einkommen. Die Nettolöhne sind
in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, vor allen Din-
gen die der Geringqualifizierten nicht. Eine Anpassung
der Rentenpolitik an die veränderten Erwerbsverläufe
und Familienformen ist also absolut notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die vorhandene Grundsicherung im Alter, auf die
stets verwiesen wird, ist für uns keine Lösung. Wer seine
Arbeitskraft ein Leben lang zur Verfügung gestellt hat,
muss ein Einkommen oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze
erhalten. Anton, ich glaube, hier sind wir uns einig.


(Beifall des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE] – Anton Schaaf [SPD]: Ja! Völlig klar!)


Ähnlich wie wir will die Linke eine Aufwertung der
Entgelte für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie
schlägt dazu eine Entfristung der Rente nach Mindest-
entgeltpunkten vor. Allerdings war diese Rente für lang-
jährig Beschäftigte mit mindestens 35 Beitragsjahren
vorgesehen. Zumindest für viele Frauen aus den alten
Bundesländern, die zu den Jahrgängen bis 1961 gehören,
bietet dieses Instrument keinen Schutz vor Armut. Denn
in der letzten AVID-Studie kam man zu dem Ergebnis,
dass Frauen auf maximal 33 Beitragsjahre kommen. Sie
hätten davon also gar nichts.

Meine Damen und Herren, die Linke schlägt außer-
dem die Wiedereinführung von rentenrechtlichen An-
rechnungszeiten für die Schul- und Hochschulbildung
vor. Wir finden die Wiederbelebung der vollen Anrech-
nungszeiten nicht sinnvoll. Damit begünstigen Sie dieje-
nigen, die das Privileg einer langen Schul- und Hoch-
schulbildung haben, ein weiteres Mal; das ist gerade
schon vom Kollegen Schaaf gesagt worden. Bei einem
umlagefinanzierten Verfahren, wie wir es haben, müss-
ten dafür alle Versicherten höhere Beiträge entrichten,
auch dann, wenn sie die Vorteile einer Hochschulausbil-
dung nicht nutzen können.

Sehr aufschlussreich ist allerdings der Vorschlag der
Linken, wie die Ausweitung der solidarischen Elemente
in der gesetzlichen Rentenversicherung gegenfinanziert
werden soll. Sie schlagen eine Anhebung und eine
schrittweise Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze
vor. Den höheren Beiträgen sollen aber keine entspre-
chenden Rentenleistungen folgen. Wenn Sie von der
Linken irgendwann einmal in der Regierungsverantwor-
tung wären,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Oh Gott! Hoffentlich kommt das nie!)


würden Sie sich wundern, wie schnell Sie mit dieser Po-
sition vor einem Gericht scheitern würden. Denn der Ei-
gentumsschutz bei der Rente ist aufgrund mehrerer
höchstrichterlicher Entscheidungen für das deutsche
Rentenrecht prägend.

Sie bezeichnen diesen Schritt als Weiterentwicklung
der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstä-
tigenversicherung. Auch wir wollen eine Erwerbstäti-
genversicherung, in die alle einzahlen. Ich habe mich
aber gefragt, warum Sie den Solidarausgleich nicht über
Steuern finanzieren wollen. Denn dann würden Sie nicht
nur die Pflichtversicherten an der Finanzierung beteili-
gen, sondern auch Bevölkerungsgruppen, die nicht ren-
tenversicherungspflichtig sind.

Wir können Ihrem Antrag nicht zustimmen. Es gibt
einige Punkte, die in die richtige Richtung gehen; andere
bedeuten aber eine Rückkehr zur alten Politik à la Blüm
und Kohl.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist ja eine Beleidigung! – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Wie bitte? Da müssen Sie etwas verwechselt haben!)


Diese Punkte können wir nicht mittragen. Deshalb leh-
nen wir Ihren Antrag ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613624800

Ich schließe nun die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7038 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre dazu kei-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
nen Widerspruch. Sie sind damit einverstanden. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Weiterentwicklung des Adressraums im Inter-
net

– Drucksachen 16/4564, 16/6342 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Jörg Tauss
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Lukrezia Jochimsen
Grietje Bettin

Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kol-
leginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Dorothee Bär, Jörg Tauss, Christoph Pries, Christoph
Waitz, Lothar Bisky und Grietje Bettin.1) Damit erübrigt
sich eine Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/6342, den Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4564
anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:

28 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Alexander Bonde, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung der Strafprozessordnung

– Drucksache 16/7134 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Jerzy Montag, Wolfgang Wieland,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Völkerstrafgesetzbuch wirksam anwenden

– Drucksache 16/7137 –

1) Anlage 4
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Rechtsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Für eine verbesserte Zusammenarbeit deut-
scher Behörden bei der Verfolgung von Straf-
taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch

– Drucksache 16/7734 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Siegfried Kauder,
Christoph Strässer, Florian Toncar, Wolfgang Nešković
und Thilo Hoppe.2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/7134, 16/7137 und 16/7734 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache 16/7134 fe-
derführend beim Rechtsausschuss und die Vorlage auf
Drucksache 16/7137 federführend beim Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe beraten werden
soll. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Sozialgerichtsgesetzes und des Ar-
beitsgerichtsgesetzes

– Drucksache 16/7716 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit

Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Paul
Lehrieder, Anette Kramme, Heinz-Peter Haustein, Katja
Kipping, Jerzy Montag und der Parlamentarische Staats-
sekretär Klaus Brandner ihre Reden zu Protokoll3) gege-
ben.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/7716 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
sind diese Überweisungsvorschläge so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Dr. Lothar Bisky,

2) Anlage 5
3) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Eintreten für die Beendigung der von den USA
auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Fi-
nanzblockade gegen Kuba

– Drucksachen 16/5115, 16/5675 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Lothar Mark
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Jürgen Trittin

Hier ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kol-
leginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Erich G. Fritz, Lothar Mark, Marina Schuster, Heike
Hänsel und Dr. Uschi Eid.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5675, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/5115 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen FDP
und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gesundheitscheck der europäischen Agrarpo-
litik – Mit Klimabonus zu Klimaschutz, guter
Ernährung und nachhaltiger Entwicklung

– Drucksache 16/7709 –
Überweisungsvorschlag:
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für. die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Hier geben die folgenden Kolleginnen und Kollegen
ihre Reden zu Protokoll: Marlene Mortler, Dr. Peter Jahr,
Waltraud Wolff, Hans-Michael Goldmann, Dr. Kirsten
Tackmann und Ulrike Höfken.2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b
auf:

17 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,

1) Anlage 7
2) Anlage 8
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr er-
greifen

– Drucksache 16/5967 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Klima- und umweltpolitische Herausforderun-
gen der Hochseeschifffahrt

– Drucksache 16/6790 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben: Dr. Andreas Scheuer,
Christian Carstensen, Dr. Margrit Wetzel, Jan Mücke,
Eva Bulling-Schröter und Winfried Hermann.3)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/5967 und 16/6790 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried
Hermann, Anna Lührmann, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Erhaltungsrückstand bei Bundesfernstraßen
beenden
– Drucksachen 16/3141, 16/4629 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben: Renate Blank, Jörg
Vogelsänger, Patrick Döring, Dorothée Menzner und
Dr. Anton Hofreiter. 4)

3) Anlage 9
4) Anlage 10






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4629, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3141 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktio-
nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 18. Januar 2008,
9 Uhr, ein.

Für den restlichen Abend wünsche ich noch einige
angenehme Stunden.

Ich schließe die Sitzung.