Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14199
(A) (C)
(B) (D)
Ziel muss sein, gleiche Wettbewerbsbedingungen für
alle Postdienstleister herzustellen.Ortel, Holger SPD 14.12.2007
nur unter der Bedingung zu, dass die bestehenden Privi-
legien, wie die Mehrwertsteuerprivilegierung und die
Sonderstellung im Hinblick auf die Unfallversicherung,
für die Post umgehend aufgehoben werden.
Sabine
Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 14.12.2007
Müntefering, Franz SPD 14.12.2007
Anlage 1
Liste der entschuldi
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 14.12.2007
Bismarck, Carl-Eduard
von
CDU/CSU 14.12.2007
Brüderle, Rainer FDP 14.12.2007
Bülow, Marco SPD 14.12.2007
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 14.12.2007
Fischbach, Ingrid CDU/CSU 14.12.2007
Gabriel, Sigmar SPD 14.12.2007
Glos, Michael CDU/CSU 14.12.2007
Göppel, Josef CDU/CSU 14.12.2007
Goldmann, Hans-
Michael
FDP 14.12.2007
Granold, Ute CDU/CSU 14.12.2007
Großmann, Achim SPD 14.12.2007
Herlitzius, Bettina BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2007
Hintze, Peter CDU/CSU 14.12.2007
Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2007
Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2007
Irber, Brunhilde SPD 14.12.2007
Jung (Konstanz),
Andreas
CDU/CSU 14.12.2007
Kauch, Michael FDP 14.12.2007
Kramer, Rolf SPD 14.12.2007**
Kretschmer, Michael CDU/CSU 14.12.2007
Laurischk, Sibylle FDP 14.12.2007
Leutheusser-
Schnarrenberger,
FDP 14.12.2007*
Anlagen zum Stenografischen Bericht
gten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Tagesordnungs-
punkt 30)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich stimme der
Gesetzesänderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
Otto (Frankfurt), Hans-
Joachim
FDP 14.12.2007
Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 14.12.2007
Rauen, Peter CDU/CSU 14.12.2007
Rehberg, Eckardt CDU/CSU 14.12.2007
Schaaf, Anton SPD 14.12.2007
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2007
Schwabe, Frank SPD 14.12.2007
Seehofer, Horst CDU/CSU 14.12.2007
Ströbele, Hans-Christian BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2007
Strothmann, Lena CDU/CSU 14.12.2007
Veit, Rüdiger SPD 14.12.2007
Wieczorek-Zeul,
Heidemarie
SPD 14.12.2007
Wolf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2007
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 14.12.2007
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
14200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
(A) (C)
(B) (D)
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Obwohl ich das Gesetz für ordnungspolitisch falsch
halte, stimme ich dem Gesetz zu. Einer Ausdehnung auf
andere Bereiche würde ich meine Zustimmung versagen.
Der Postbereich stellt aufgrund des Postgesetzes einen
Sonderfall dar.
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Der Abstimmung zum
Zweiten Gesetz zur Änderung des Arbeitsnehmer-Ent-
sendegesetzes werde ich heute zustimmen. Die Zustim-
mung ist allein der Fraktionsraison geschuldet. Als Mit-
telstandspolitiker sehe ich hier einen Eingriff in die
langjährig erprobte Tarifautonomie. Der vereinbarte
Mindestlohn fundamentiert das Postmonopol und ver-
hindert Wettbewerb. Er stellt einen grundsätzlichen Ta-
bubruch dar, und die ersten Stimmen fordern bereits eine
Ausweitung auf weitere Branchen.
Wir handeln damit gegen den wissenschaftlichen und
wahrscheinlich auch rechtlichen Sachverstand. Mehrere
wirtschaftswissenschaftliche Studien warnen vor der
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, denn er
würde voraussichtlich mehrere Hunderttausend Arbeits-
plätze im Niedriglohnbereich kosten. Das geht aus einer
Studie hervor, die das Institut für Wirtschaftsforschung
Halle (IWH) und das Ifo-Institut Dresden im Auftrag der
WELT erstellt haben. Darin heißt es wortwörtlich: „Das
Instrument des Mindestlohns birgt die Gefahr, dass die
Einkommenserhöhung für einige Arbeitnehmer mit Ar-
beitsplatzverlusten anderer Geringverdiener teuer er-
kauft wird.“ Bei einem Mindestlohn von 6,50 Euro ge-
hen demnach rund 465 000 Jobs verloren, bei 7,50 Euro
sogar 621 000. Dabei wäre Ostdeutschland sehr viel stär-
ker betroffen. Bei 6,50 Euro sind im Osten 4,4 Prozent
(West: 2,3 Prozent) aller Beschäftigungsverhältnisse be-
droht. Bei 7,50 Euro wären es sogar 6,4 Prozent (West:
3,0 Prozent) aller Stellen.
Bei einer zusätzlichen Ausweitung habe ich erhebli-
che Bedenken.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Ich befürworte einen
flächendeckenden, gesetzlich garantierten Mindestlohn.
Leider sind wir davon gegenwärtig noch meilenweit ent-
fernt. Ebenso befürworte ich, branchenbezogene Min-
destlöhne im Entsendegesetz zu verankern, sofern sie
über dem allgemeinen, gesetzlich definierten Niveau lie-
gen.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz-
entwurf lässt jedoch zu viele Hintertüren offen. Lohn-
dumping lässt sich in dieser Branche so nicht flächen-
deckend verhindern. Die Reaktionen der PIN AG auf
den Gesetzentwurf haben diese Befürchtung bereits be-
eindruckend bestätigt. Die nachträgliche Änderung des
vorliegenden Tarifvertrages ist auf politischen Druck er-
folgt und stellt einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff
in die Tarifautonomie dar.
Es ist nicht akzeptabel, dass andere Beschäftigte im
Postdienstleistungsbereich von der nun vorliegenden Re-
gelung ausgenommen sein werden. Lohndumping findet
nicht nur bei den Briefzustellerinnen und Briefzustellern
statt, sondern ist bedauerlicherweise längst ein übergrei-
fendes Problem geworden. Ein gesetzlicher Mindestlohn
muss schließlich Schluss machen mit den Lohnunter-
schieden zwischen Ost und West.
Die Briefzustellerinnen und Briefzusteller in das Ent-
sendegesetz aufzunehmen, ist ein erster, wenn auch dürf-
tiger Schritt. Dem unter dem Druck insbesondere der
Union zustande gekommenen Vorschlag, der neue
Schlupflöcher für Lohndumping öffnet, statt sie wirksam
zu schließen, kann ich jedoch nicht zustimmen. Ich
werde mich daher der Stimme enthalten.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Katherina Reiche (Potsdam)
und Sibylle Pfeiffer (beide CDU/CSU) zur
namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Tagesordnungs-
punkt 30)
Ich stimme dem Gesetzentwurf zu und äußere fol-
gende Bedenken am Zustandekommen und der Zielstel-
lung des dem Gesetz zugrunde liegenden Tarifvertrages.
Erstens: Verlust von Arbeitsplätzen. Ein Mindestlohn
muss so gestaltet sein, dass er nicht Arbeitsplätze ver-
nichtet und Wettbewerber wirtschaftlich ruiniert. Das ist
derzeit jedoch nicht der Fall. Der Tarifvertrag Mindest-
lohn von Verdi und dem Arbeitgeberverband Postdienste
setzt eine Lohnhöhe fest, die einzig das Ziel hat, Wett-
bewerb zu verhindern. Wir benötigen in Deutschland
jedoch einen Wettbewerb im Briefdienst, der auch zu
Einsparungen bei Unternehmen und öffentlichen Institu-
tionen führt.
Zweitens: Die verfassungsrechtlichen Bedenken. Der
TV Mindestlohn könnte ein Scheintarifvertrag sein, der
mit 9,80 Euro/9,00 Euro kein tarifautonom ausgehandel-
tes Lohnniveau festlegen soll, sondern beabsichtigt,
Wettbewerber der Deutschen Post AG durch Festschrei-
bung eines möglichst hoch festgelegten Lohnes ohne
Rücksicht auf die dadurch entstehenden Arbeitsplatzver-
luste zu schädigen. Der Sachverständigenrat zur Begut-
achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat
dazu in seinem Gutachten vom 7. November 2007 in
aller Deutlichkeit ausgeführt (Seite 367 zu Ziffer 561):
Besonders eklatant sticht die Absicht ins Auge, mit
einem Mindestlohn die Deutsche Post AG und ihre
Töchter und Ausgründungen von lästigem Konkur-
renzdruck zu befreien. Sichtbarer Ausdruck für die-
ses Motiv ist das Bedauern des Arbeitgebers (!)
Deutsche Post AG über einen aus ihrer Sicht zu
niedrigen Tarifvertrag, weil der dort vereinbarte
Mindestlohn noch unterhalb des betreffenden Haus-
tarifs der Deutschen Post AG liege. Klagen über zu
niedrige Tariflohnabschlüsse kamen bisher in der
Regel von Seiten der Arbeitnehmer. Letztlich soll
damit das Anfang 2008 entfallende Briefmonopol
der Deutschen Post AG durch die Hintertür wieder
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14201
(A) (C)
(B) (D)
eingeführt werden, wozu die nur für dieses Unter-
nehmen, nicht aber für ihre Konkurrenten geltende
Befreiung von der Umsatzsteuer ebenfalls beiträgt,
die als Ausgleich für die flächendeckende Bedie-
nung auch schwerer erreichbarer Kunden dienen
soll. Wettbewerber der Deutschen Post AG werden
massiv bedrängt und verdrängt und neue Konkur-
renten abgewehrt. Die Arbeitsplätze bei der Deut-
schen Post AG werden geschützt, die bei ihren
Konkurrenten gefährdet und das Entstehen neuer
erschwert. Im Gegenzug entrichten die Nutzer von
Briefdienstleistungen einen erhöhten Preis. Worin
vor diesem Hintergrund das gesetzlich vorgeschrie-
bene ,,öffentliche Interesse“ einer Allgemeinver-
bindlicherklärung der unteren Lohngruppe der
Briefdienstleister bestehen soll, hat die Bundes-
regierung bisher nicht schlüssig dargelegt, sie kann
es auch nicht, weil sie sich in erster Linie vor den
Karren von Partikularinteressen spannen lässt.
Die Tarifautonomie ist von Art. 9 Abs. 3 GG deshalb
geschützt, weil der Prozess der Lohnfindung durch freie
Verhandlungen zwischen Auftraggebern und Arbeitneh-
mern in sich auch eine Gewähr für die Richtigkeit des er-
zielten Verhandlungsergebnisses trägt. Das setzt notwen-
dig voraus, dass die Verhandlungspartner von den
Verhandlungsergebnissen auch betroffen sind und nicht
nur Vereinbarungen „zulasten Dritter“ treffen.
Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist auch der Gesetzgeber auf
„Gesetz und Recht“ verpflichtet. Der hier vorliegende
Tarifvertrag könnte einen Scheintarifvertrag darstellen.
Seine Absicht ist es, Wettbewerber der Deutschen Post
AG zu schädigen und darüber Wettbewerb zu verhin-
dern. Ein „öffentliches Interesse“ an seiner Allgemein-
verbindlichkeit kann daher nicht bestehen.
Drittens: Keine Beteiligung der Wettbewerber der
Deutschen Post AG und des Arbeitgeberverbandes Neue
Briefdienstleister e.V. Die Koalitionsfraktionen haben
als Voraussetzung zu Recht gefordert, dass ein Mindest-
lohn nicht nur zwischen der Deutschen Post AG und
Verdi ausgehandelt werden darf, sondern dass auch an-
dere Betroffene und der Arbeitgeberverband Neue Brief-
und Zustelldienste beteiligt werden müssen. Dies ist bis
zum heutigen Tage nicht passiert, obwohl der Arbeitge-
berverband Neue Brief- und Zustelldienste auf die zur
Verfügung stehenden Gewerkschaften Verdi, Christliche
Gewerkschaft Post und Beamtenbund zugegangen ist.
Viertens: Die „50-Prozent-Quote“ ist unverändert
nicht erreicht. Das 50-Prozent-Quorum ist auch mit der
Formulierung „überwiegend“ nach wie vor nicht er-
reicht. Aufseiten der Deutschen Post AG sind nur circa
4 500 Beschäftigte vom Tarifvertrag Mindestlohn über-
haupt erfasst. Wie der Sachverständige Professor
Thüsing in der Sachverständigenanhörung am 5. No-
vember 2007 vor dem Bundestag aussagte, dürfen tarif-
rechtlich aufseiten der Deutschen Post AG auch nur
diese tatsächlich betroffenen 4 500 Beschäftigen berück-
sichtigt werden. Es ist tarifrechtlich nicht möglich, auf-
seiten der Deutschen Post AG Beschäftigte mitzuzählen,
die von diesem Tarifvertrag Mindestlohn nicht betroffen
sind, sondern deren Arbeitsverhältnisse vom Firmenta-
rifvertrag der Deutschen Post AG geregelt ist. Das Mit-
zählen aller Beschäftigen aufseiten der Deutschen Post
AG ist ein tarifrechtlich unwirksamer Vorgang, der zur
Anfechtbarkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung
führen wird.
Fünftens: Mindestlohn zu hoch. Noch im vergange-
nen Jahr schlug der Vorstandsvorsitzende der Deutschen
Post AG einen Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro vor.
Was nun geschehen soll, ist jedoch nicht die Festlegung
von Mindestlöhnen, sondern die Festlegung der Höchst-
löhne, die sich an einem Monopolisten orientieren, der
nicht im Wettbewerb stand und ein Bündel an Sonder-
rechten genießt. Ein solcher ganz speziell auf einen Mo-
nopolisten zugeschnittener Tarifvertrag kann nicht im
Wege der Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf an-
dere Unternehmen übertragen werden, die eine ganz an-
dere Struktur aufweisen. Ein Spezialtarifvertrag kann
nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden.
Sechstens: Die Liberalisierung der Briefdienstleistun-
gen ist in Gefahr. Die Koalition hält an der Liberalisie-
rung der Briefdienstleistungen zum l. Januar 2008 fest.
Ein Wettbewerb auf diesem Sektor und eine Senkung der
Verbraucherpreise können sich nicht entwickeln, wenn
zulasten der Wettbewerber der Deutschen Post AG
Lohnbedingungen festgeschrieben werden, die nicht er-
wirtschaftet werden können, weil diese Unternehmen in
der Vergangenheit keine staatlichen Subventionen erhal-
ten haben und nicht erhalten werden.
Siebtens: Keine generelle Ausweitung auf andere
Branchen. Die Einführung des Mindestlohnes in der
Briefzustellbranche darf nicht zu einer generellen Aus-
weitung auf andere Branchen führen. Nach den Berech-
nungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung würde
die Einführung eines bundesweiten Mindestlohnes in
Höhe von 9,80 Euro pro Stunde zu einem Abbau von
1,9 Millionen Arbeitsplätzen in Deutschland führen.
Dies hätte zur Folge, dass in den neuen Ländern
23,3 Prozent und in den alten Ländern 25,1 Prozent aller
Beschäftigten im Niedriglohnbereich ihren Arbeitsplatz
verlieren könnten.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Uda Carmen Freia Heller
und Kurt Segner (beide CDU/CSU) zur
namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Ar-
beitnehmer-Entsendegesetzes (Tagesordnungs-
punkt 30)
Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf
zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes wird
dazu führen, dass für Briefzusteller ein Mindeststunden-
lohn von bis zu 9,80 Euro festgelegt wird. Ich befürchte,
dass dieser Mindestlohn negative Auswirkungen haben
wird: Wettbewerber der Deutschen Post AG werden vom
Markt ferngehalten und der Postmarkt wird abgeschot-
tet. Dadurch gehen Arbeitsplätze verloren und die Ent-
stehung neuer Arbeitsplätze in der Postbranche wird ver-
14202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
(A) (C)
(B) (D)
hindert. Weniger Wettbewerb auf dem Postmarkt führt
zu schlechten und überteuerten Post-Dienstleistungen
zulasten des Verbrauchers. Keinesfalls darf der Post-
Mindestlohn zu einem Vorbild für weitere Mindestlöhne
in anderen Branchen werden; dies würde zu viele Ar-
beitsplätze für Geringqualifizierte vernichten.
In der Koalition wurde vereinbart, die Post-Dienst-
leistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzu-
nehmen, wenn die Tarifpartner dies gemeinsam begeh-
ren und mindestens 50 Prozent aller Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer der Postbranche vom Tarifvertrag er-
fasst sind. Dies ist nunmehr der Fall. Die CDU/CSU
konnte erfreulicherweise durchsetzen, dass der Gel-
tungsbereich des zugrunde liegenden Tarifvertrages er-
heblich eingeschränkt wurde.
Damit in der Koalition das umgesetzt wird, was ver-
einbart wurde, und weil ich die ansonsten sehr erfolgrei-
che Arbeit der Bundesregierung unterstütze, habe ich der
Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes trotz
meiner Bedenken zugestimmt.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs, Gitta
Connemann, Jens Koeppen, Friedrich Merz,
Dr. h. c. Hans Michelbach, Andrea Astrid
Voßhoff und Klaus-Peter Willsch (alle CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Tagesord-
nungspunkt 30)
Ich stimme der Ausweitung des Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetzes auf die Branche der Briefdienstleistungen
in dieser Form nicht zu. Denn auch nach sorgfältiger Ab-
wägung des Für und Wider habe ich schwerwiegende
Bedenken, und zwar nicht alleine aus politischen Erwä-
gungen, sondern auch aus rechtlichen Gründen.
Nach meiner Ansicht wird hier ein Gesetz zweckent-
fremdet. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist 1996 ge-
schaffen worden, um den deutschen Arbeitsmarkt vor
Billigkonkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Im Ko-
alitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist gemeinsam
vereinbart worden: „Eine weitere Ausdehnung auf wei-
tere Branchen wird die Koalition prüfen, wenn entspre-
chende unerwünschte soziale Verwerfungen durch Ent-
sendearbeitnehmer nachgewiesen werden und in diesen
Branchen Tarifverträge gelten, die zuvor nach den Re-
geln des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich
erklärt worden sind.“ (Ziffer 2.7.2). Es muss also eine
Entsendeproblematik vorliegen und ein Tarifvertrag in
geordneter Weise zustande gekommen sein. Dies war bei
dem Gebäudereinigerhandwerk der Fall.
Im vorliegenden Fall hingegen sind weder soziale
Verwerfungen durch Entsendearbeitnehmer nachgewie-
sen noch ist der geschlossene Tarifvertrag in geordneter
Weise unter Beteiligung der neuen Marktteilnehmer zu-
stande gekommen. Eine Allgemeinverbindlichkeit nach
dem Tarifvertragsgesetz liegt nicht vor. Der Tarifaus-
schuss wurde bis heute nicht befasst.
Hier geht es erkennbar nicht darum, die Beschäftigten
der Briefdienstleistungsbranche in Deutschland vor so-
zialen Verwerfungen durch ausländische Konkurrenz zu
schützen. Vielmehr wird dieses Gesetzgebungsverfahren
vom Branchenprimus, den beteiligten Tarifvertragspar-
teien und der SPD dazu instrumentalisiert, inländischen
Wettbewerb zu verhindern und den Postmarkt weiter ab-
zuschotten.
Begründet wird dies mit dem Schlagwort des Lohn-
dumpings. Aber anders als in anderen Branchen sind so-
zial angemessene Löhne im Postsektor bereits gesetzlich
vorgeschrieben. Denn nach § 6 Abs. 3 des Postgesetzes
muss die Bundesnetzagentur bei jeder Lizenzvergabe
prüfen, ob die wesentlichen Arbeitsbedingungen einge-
halten werden. Dazu zählt auch die Lohnhöhe. Wird das
marktübliche Niveau nicht eingehalten, wird die Lizenz
verweigert. Ein sozialer Schutzstandard besteht also be-
reits und wird aus Sicht der unabhängigen Bundesnetz-
agentur auch von allen lizenzierten Briefzustellern ein-
gehalten.
Gleiche soziale Standards setzen gleiche Wettbe-
werbsbedingungen voraus. Auch an dieser Waffen-
gleichheit fehlt es. Denn anders als ihre Wettbewerber
zahlt der Branchenprimus bislang weder Umsatzsteuer
noch beteiligt er sich am Solidarsystem der gewerbli-
chen Wirtschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Allein damit erlangt er neben seiner Marktmacht einen
zusätzlichen Kostenvorteil von mehr als 20 Prozent.
Wenn jetzt auch noch der Staat die Lohnhöhe nach dem
Wunsch des dominierenden Unternehmens vorschreibt,
hat fairer Leistungswettbewerb in diesem Sektor kaum
eine Chance. Im Ergebnis wird das zum l. Januar 2008
auslaufende Postmonopol faktisch verlängert.
Die Zeche zahlen am Ende die Verbraucher. Denn we-
niger Wettbewerb bedeutet schlechtere und teurere Pro-
dukte. So warnt die EU-Wettbewerbskommission bereits
vor überhöhten Portogebühren in Deutschland. Der Prä-
sident des Bundeskartellamtes hat sich für eine Abschaf-
fung des Mehrwertsteuerprivilegs ausgesprochen. Auch
ist ein schlechteres Versorgungsangebot zu befürchten.
Denn schon heute zieht sich der Branchenprimus aus
manchen ländlichen Regionen zurück, baut Personal ab,
automatisiert Filialen, lagert sie aus oder schließt sie.
Den höchsten Preis werden aber nach meiner Be-
fürchtung die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei
den neuen Wettbewerbern zahlen. Denn staatliche Lohn-
diktate vernichten Arbeitsplätze. Deshalb warnt der
Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem ak-
tuellen Jahresgutachten unter dem Titel „Das Erreichte
nicht verspielen“ vor der Einführung von Mindestlöhnen
jeder Art. Stattdessen sprechen sich die führenden Wirt-
schaftsforschungsinstitute für einen Kombilohn aus.
Dieses Instrument und das Verbot sittenwidriger Löhne
sind der geeignete Weg, um Beschäftigten im Niedrig-
lohnsektor ein Mindesteinkommen zu gewährleisten,
von dem sie und ihre Familien leben können. Dafür set-
zen sich CDU und CSU ein.
Die negativen Auswirkungen für den Arbeitsmarkt
zeigen sich im vorliegenden Fall schon jetzt. So haben
neue Wettbewerber angekündigt, eine Vielzahl von Be-
schäftigten kurzfristig entlassen zu müssen. Weitere Ent-
lassungen insbesondere auch bei den klein- und mittel-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14203
(A) (C)
(B) (D)
ständischen Unternehmen in dieser Branche stehen zu
befürchten. Die Ankündigung des Branchenprimus, ei-
nige dieser Beschäftigten einstellen zu wollen, ist
schamlos und zeigt die Perfidie des Vorgehens.
Die neuen Wettbewerber haben in den letzten Jahren
große Summen in den Aufbau ihrer Unternehmen inves-
tiert und neue Arbeitsplätze geschaffen, vor allem in
strukturschwachen Regionen, für Langzeitarbeitslose
und Geringqualifizierte. Sie können zu Recht einen
Schutz ihres Vertrauens auf faire Wettbewerbsbedingun-
gen und die tatsächliche Aufhebung des Postmonopols
verlangen.
Ich sehe auch die Gefahr einer Verletzung des Grund-
rechts dieser Wettbewerber auf negative Koalitionsfrei-
heit nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz. Denn hier sollen
fremdbestimmte Arbeitsbedingungen ohne ausreichen-
des öffentliches Interesse durch einen gesetzlich er-
streckten Tarifvertrag diktiert werden, der für den Bran-
chenprimus selbst fast ohne Belang ist. Denn dieser
verfügt bereits über eigene Tarifverträge für den absolut
überwiegenden Anteil seiner Beschäftigten. Von funktio-
nierender Tarifautonomie kann hier nicht mehr gespro-
chen werden. Ich appelliere deshalb auch an die Ge-
werkschaften und Arbeitgeberverbände, künftig in ihrer
gemeinsamen Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass
die Tarifpolitik nicht erneut aus sachfremden Motiven
instrumentalisiert wird.
Ich anerkenne, dass CDU und CSU in den vorange-
gangenen Verhandlungen gegen den erbitterten Wider-
stand der SPD durchgesetzt haben, dass unter Verweis
auf eine erforderliche mindestens 50-prozentige Tarif-
bindung der Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsen-
degesetzes sachgerecht eingeschränkt wird, sodass nicht
in bestehende Tarifverträge beispielsweise des Einzel-
handels eingegriffen wird. Auch begrüße ich die Ankün-
digung der Bundesregierung, eine Lösung für das Mehr-
wertsteuerprivileg zu finden.
Wer Unternehmen zwingt, einen Lohn zu zahlen, der
nicht zu erwirtschaften ist, der sorgt dafür, dass viele
Menschen gar keinen Lohn mehr bekommen. Mindest-
löhne, die Arbeitsplätze vernichten und Wettbewerb aus-
hebeln, sind der falsche Weg.
Ich könnte weitere rechtliche und politische Bedenken
anführen. Bereits die vorgenannten sind für mich persön-
lich jedoch so schwerwiegend, dass ich dem heute zur Ab-
stimmung stehenden Gesetz nicht zustimmen zu kann.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann,
Roland Claus, Jan Korte, Dr. Barbara Höll und
Dr. Petra Sitte (alle DIE LINKE) zur namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes (Tagesordnungspunkt 30)
Ich stimme dem von der Bundesregierung einge-
brachten Zweiten Gesetz zur Änderung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes (Mindestlohn) nicht zu.
Erstens. 17 Jahre nach der Wiedervereinigung halte
ich eine Vereinbarung mit der Festlegung unterschiedli-
cher Einkommenshöhen in Ost und West für nicht mehr
zeitgemäß. Die Lebenshaltungskosten sind längst ange-
glichen und die Produktivität von Briefträgerinnen und
Briefträgern in Ost und West differiert ganz sicher nicht
in dem Maße, dass unterschiedliche Einkommenshöhen
gerechtfertigt wären.
Zweitens. Der Gesetzentwurf lässt für die Umsetzung
der Mindestlohnregelung zu viele Schlupflöcher zu, mit
denen die Zahlung des Mindestlohnes umgangen werden
kann.
Drittens. Die Beschränkung auf Briefzusteller schließt
andere Beschäftigte der Postdienstleistungen aus.
Ich befürworte einen flächendeckenden, gesetzlich
garantierten Mindestlohn. Von dem sind wir gegenwär-
tig noch sehr weit entfernt. Dennoch ist die Aufnahme
der Briefzusteller in das Entsendegesetz ein, wenn auch
nur kleiner, Schritt in die richtige Richtung. Ich werde
mich deshalb der Stimme enthalten.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Gewährleistung
der einheitlichen Betreuung von Arbeitslosen
nach einer Kreisgebietsreform (Tagesordnungs-
punkt 36)
Maria Michalk (CDU/CSU): Die Durchführung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende erfolgt im gesetzli-
chen Regelfall durch die aus dem jeweiligen kommunalen
Träger und der örtlichen Agentur für Arbeit gebildeten
Arbeitsgemeinschaften. Wir nennen diese im Volksmund
ARGEn. Bundesweit wurden jedoch 69 kommunale Trä-
ger zugelassen, die diese Grundsicherung für Arbeitslose
durchführen. Wir haben als Gesetzgeber ganz bewusst in
§ 6a SGB II eine Experimentierklausel zugelassen mit
dem Ziel, im vergleichenden Wettbewerb festzustellen,
ob die Agenturen für Arbeit oder die zugelassenen kom-
munalen Träger bei der Eingliederung von Hilfebedürfti-
gen erfolgreicher sind. Dieser Wettbewerbsprozess wird
wissenschaftlich begleitet. In einem Jahr, genau am
31. Dezember 2008, erwarten wir die Ergebnisse dieses
Wettbewerbes.
Die FDP fordert in ihrem Antrag, um den es heute
geht, die Bundesregierung auf, die Kommunalträger-Zu-
lassungsverordnung so zu ändern, dass nach einer Kreis-
gebietsreform der neu gebildete Kreis oder die neu gebil-
dete kreisfreie Stadt selbst entscheiden kann, ob die
Zulassung als kommunaler Träger auf das neu gebildete
Gebiet ausgedehnt werden soll. Der Kollege Haustein
aus der FDP-Fraktion hat schon im März dieses Jahres
eine Initiative angekündigt. Der Grund liegt in Gesetzes-
initiativen der Länder, speziell im Freistaat Sachsen und
in Sachsen-Anhalt, wo die Kreisgebietsreform vor allem
aus demografischen Gesichtspunkten derzeit forciert
wird und wo sich in der Tat neue Strukturen ergeben, die
14204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
(A) (C)
(B) (D)
den bisherigen Festlegungen des Modellprogramms
nicht mehr entsprechen.
Der Forderung der FDP nachzugeben bedeutet jedoch
im Vergleich nichts anderes, als wenn man während ei-
nes Fußballspieles die Spielregeln ändern würde. Kann
man dann ein alle Seiten befriedendes Ergebnis erwar-
ten? Jeder legt das Ergebnis aus, wie er es braucht.
Eine neue Vereinheitlichung des Modellregionen mag
zwar hier und da für Vereinfachung oder Verbesserung
sorgen, aber ein Vergleich und eine Kontinuität sind
nicht mehr gegeben. Die Kommunalträger-Zulassungs-
verordnung legt in § 1 Abs. 2 dezidiert den Zulassungs-
zeitraum für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum
31. Dezember 2008 fest. Und die Anlage nennt dezidiert
die betroffenen Landkreise in der derzeitigen Struktur.
Nur so ist ein Vergleich möglich. Ich spreche ausdrück-
lich die Bedeutung einer ungestörten Erprobung in
einem bestimmten Strukturgebiet an. Wenn durch Kreis-
gebietsreformen die Strukturen der Erprobungsphase
verändert werden sollten – und darauf läuft der FDP-An-
trag hinaus –, dann ist ein beträchtlicher Organisations-
aufwand erforderlich.
Ferner würde das Vertrauensverhältnis der betroffe-
nen Bürgerschaft unterbrochen werden, denn diese ken-
nen ihre bisherigen Ansprechpartner. Beständigkeit ist
Grundlage für ein Vertrauensverhältnis, auf das es bei
der Betreuung der Grundsicherungsempfänger beson-
ders ankommt. Das allein schon spricht dafür, Struktur-
veränderungen durch eine Kreisgebietsreform nicht in
den bisherigen Versorgungskreisen abzubilden. Denn die
Einzigen, die sich umstellen müssen, sind die Mitarbei-
terschaft der Kreisverwaltung und die neuen Kreisräte.
Ihnen ist das aber eher zuzumuten als den betroffenen
Grundsicherungsempfängern der jeweiligen Regionen.
Es gibt also neben der Kontinuität in der Vergleich-
barkeit des Modellvorhabens einen zweiten Vorteil,
nämlich den der Kontinuität in der Bearbeitungsstruktur.
Diese beiden Vorteile rechtfertigen das Nichtbeachten
der ansonsten üblichen Einräumigkeit der Verwaltung.
Festgestellt werden kann, dass erstens die zugelasse-
nen kommunalen Träger in der Kommunalträger-Zulas-
sungsverordnung vom 24. September 2004 abschließend
bestimmt sind; zweitens bei Kreisgebietsreformen die
neuen Kreise nur im Umfang des Gebietes der bisheri-
gen zugelassenen Kreise an deren Stelle treten, und zwar
für einen begrenzten Zeitraum; drittens eine Ausweitung
der Zulassung auf das gesamte neue Kreisgebiet eine
Änderung des SGB II erfordert und damit die Vergleich-
barkeit in der wissenschaftlichen Begleitung beeinträch-
tigt wird.
Was die Konkurrenzsituation des Landrates angeht,
so widerspreche ich ausdrücklich den Behauptungen im
genannten FDP-Antrag. Der Landrat als Verantwortli-
cher für die optierende Kommune steht selbst im Wett-
bewerb mit der ARGE, die ihre Verantwortlichkeit und
Entscheidungsstruktur in der Bundesagentur begründet
hat.
Wir als Bundesgesetzgeber sollten uns darauf konzen-
trieren, eine rasche Auswertung der Evaluierungsergeb-
nisse Ende nächsten Jahres zu forcieren, damit es zu
abschließenden Festlegungen in Bezug auf die Zustän-
digkeit der Grundsicherung kommen kann. Dabei wer-
den dann selbstverständlich die neuen Strukturen in den
Ländern beachtet. Deshalb ermuntere ich die FDP entge-
gen ihrem Antrag zu Kontinuität als einen wichtigen
Wettbewerbsfaktor. Sie sollte vom Aktionismus lassen,
der vor Ort nur neue Unruhe für die betroffenen Grund-
sicherungsempfänger bedeutet, denn die Betroffenen
wollen Hilfe und Betreuung, die organisatorischen De-
tails sind nicht vermittlungsrelevant. Nur auf die tatsäch-
liche Vermittlung, kommt es an.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag
der FDP ab.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Heute ist ein be-
merkenswerter Tag – betrachtet man die Redebeiträge
der FDP. Zunächst erklärte Herr Westerwelle den Post-
mindestlohn als Teufelswerk, dann hörten wir von Herrn
Kolb das Hohelied auf die Leiharbeit: Je mehr, desto
besser. Und nun sprechen wir über einen Antrag der
Liberalen, die die einheitliche Betreuung von Arbeits-
losen in Teilen Sachsens in Gefahr sehen.
Wer Mindestlöhne ablehnt und Equal Pay bei Leihar-
beit als Verhängnis für die Branche ansieht, muss eben
eine andere Ebene betreten, auf der selbst Liberale für
Einheitlichkeit eintreten können.
Aus gegebenem Anlass diskutiert das Land Sachsen
über eine Gebietsreform, die die Zusammenlegung von
Landkreisen anstrebt. Dass liberale Abgeordnete mit
einer Kleinen Anfrage klären wollten, wie eine mögliche
Kreisreform die Betreuung von Arbeitslosen berührt, ist
löblich. Die Antwort der Bundesregierung auf die ge-
stellten zehn Fragen ist umfassend, sachgerecht und
lückenlos. Eigentlich wäre damit der Vorgang beendet,
wäre da nicht das unstillbare Verlangen, doch noch ein
Haar in der Suppe zu finden.
Einmal davon abgesehen, dass sich die Politik in
Sachsen zurzeit mit vollkommen anderen, tatsächlich
dringlichen Fragen beschäftigen muss, und wir alle,
wenn wir ehrlich sind, wissen, wie schwierig Gebiets-
reformen sind, will ich klarstellen: Niemand, keine Frau,
kein Mann, der oder die in Sachsen arbeitssuchend ist
bzw. Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitslose be-
zieht, muss befürchten, er oder sie würde nicht bzw.
schlechter betreut oder gefördert, wenn, wann auch im-
mer, eine Kreisreform in Kraft tritt. Also hören Sie auf,
mit Ängsten von Menschen zu spielen.
Klar ist auch: Die von den kommunalen Gebietskör-
perschaften gewollten Strukturen, seien es Arbeitsge-
meinschaften, optierende Kommunen oder getrennte
Trägerschaften, werden beibehalten. Es war allen Ent-
scheidungsträgern klar, dass sie sich verpflichten bis
zum 31. Dezember 2010. Diese Regelung ist eindeutig
und sachgerecht. Und das ist eigentlich das kuriose an
Ihrer Forderung: Sie stellen Einheitlichkeit über Verläss-
lichkeit. Sie unterstellen drohende Rechtsunsicherheit,
wo Rechtssicherheit besteht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14205
(A) (C)
(B) (D)
Bleibt Ihre Sorge um die Landräte und etwaige Inte-
ressenskonflikte. Ich halte viel von guten Landräten. Ich
lebe in einem Landkreis mit einem guten. Daher weiß
ich: Die Landräte, die eine Gebietsreform realisieren,
werden eine Vielfalt, die aus maximal drei unterschiedli-
chen Strukturen besteht, souverän managen.
Fazit: Eine Veränderung der Kommunalträger-Zulas-
sungsverordnung lässt sich über eine angestrebte Kreis-
reform in Sachsen nicht initiieren.
Jan Mücke (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion
setzt sich schon seit Jahren dafür ein, dass Arbeitsu-
chende durch kommunale Jobcenter betreut und vermit-
telt werden. Die Kommunen sind näher beim Betroffe-
nen, können wesentlich individueller auf den Einzelnen
eingehen und kennen die Arbeitsmarktlage vor Ort bes-
ser als die Arbeitsagentur.
Der Arbeitsmarkt ändert sich – gerade in vielen Tei-
len Ostdeutschlands – sehr schnell und mit ihm die An-
forderungen an die Jobvermittler. Flexibilität und Nähe
zum Markt sind unabdingbar, will man bei der Vermitt-
lung Fortschritte erzielen. Wir sind überzeugt davon,
dass die Kommunen, die zurzeit am Optionsmodell teil-
nehmen, beweisen, was die gewonnene Flexibilität be-
wirken kann.
Als die Experimentierklausel beschlossen wurde,
blieb der Fall von Gebietsveränderungen unberücksich-
tigt. Dieses Versäumnis des Gesetzgebers hat heute ne-
gative Auswirkungen, die wir mit Annahme des vorlie-
genden Antrags zumindest teilweise verhindern können.
Der Antrag stellt Rechtssicherheit her, baut Bürokratie-
kosten ab und beseitigt das Chaos bei den Empfängern
der Grundsicherung, bei den zuständigen Behörden und
den Sozialgerichten.
In Sachsen-Anhalt gibt es inzwischen die getrennte
Trägerschaft innerhalb eines Kreises, und das Chaos ist
dort mit Händen zu greifen.
Stellen Sie sich einmal folgenden Fall vor: Sie woh-
nen im Gebiet des früheren Saalkreises und sind jetzt
nach der Kreisgebietsreform Einwohner des Saalekrei-
ses. Der Saalekreis hat nicht nur ein „e“ dazu gewonnen,
sondern auch einen anderen Kreis, und zwar den Kreis
Merseburg-Querfurt, der optiert hatte. Im neuen Saale-
kreis haben wir heute eine getrennte Trägerschaft. Wis-
sen Sie, was Ihnen blühen kann, wenn Sie jetzt Hilfe-
empfänger werden? Ich will es Ihnen sagen: Wenn Sie
Ihre Regelleistungen in der gleichen Art und Weise wie
ihre Freunde, die nur ein paar Straßen weiter wohnen,
beim Landkreis beantragen wollen, wird man Sie weg-
schicken und an die Arbeitsagentur verweisen. Jetzt den-
ken Sie, Sie seien schlauer geworden, und wollen die Er-
stattung für die Kosten Ihrer Unterkunft bei der Agentur
für Arbeit beantragen. Die sagen Ihnen aber, Sie seien
nicht zuständig, und verweisen Sie auf den Landkreis.
Man könnte darüber lachen und es als typisch deut-
sche Bürokratie abtun, beträfe es nicht arbeitslose, hilfe-
bedürftige Menschen. Das ist kein Einzelfall, den ich
hier beschreibe, das ist gelebte Realität, in Sachsen-An-
halt tagtäglich zu beobachten. Durch diese Zuständig-
keitsverwirrung nehmen Sie den Arbeitslosen doch den
Mut, anstatt sie zielorientiert zu betreuen.
Doch damit nicht genug. Die Sozialgerichte in Sach-
sen-Anhalt haben mit einer Rechtslage zu tun, die kei-
neswegs so klar ist, wie es die Bundesregierung uns
weismachen will. Darf und muss der neu gebildete Kreis
die Rechte und Pflichten der alten Optionskommune
weiter ausüben? Die Rechtsnachfolgerschaft ist keines-
wegs eindeutig. Und die Zersplitterung der Strukturen in
den neu gebildeten Kreisen steht klar der Forderung ei-
ner einheitlichen Verwaltungsstruktur entgegen, die im
Übrigen auch im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ein-
deutig formuliert ist. Die Richterinnen und Richter der
betroffenen Sozialgerichte erledigen die Flut von Anträ-
gen, die sie zu bearbeiten haben, noch immer sehr gut.
Wir sollten ihre Arbeit mit einer verworrenen Rechtslage
aber nicht unnötig erschweren.
Zum Schluss bitte ich Sie, sich einmal zu überlegen,
warum es zurzeit in ostdeutschen Bundesländern Kreis-
gebietsreformen gibt. Es liegt doch auf der Hand: Wir
haben einen enormen Bevölkerungsrückgang zu ver-
zeichnen, und die Länder wollen dem mit Gebietsver-
größerungen Rechnung tragen, um Verwaltungskosten
zu reduzieren. Wenn jetzt der Gesetzgeber den Kommu-
nen nicht erlauben sollte, selbstverantwortlich für grö-
ßere Verwaltungseinheiten zu stimmen, würde das den
Sinn dieser Reformen konterkarieren.
In Sachsen wird die Kreisgebietsreform bald vollzo-
gen, und ich bitte Sie, es den sächsischen Kommunen zu
erlauben, gegen dieses Chaos zu stimmen. Unser Antrag
lässt im Sinne der kommunalen Selbstbestimmung be-
wusst offen, in welche Richtung die Vereinheitlichung
gehen kann. Parteipolitik kann und sollte hier zugunsten
pragmatischer Lösungen in den Hintergrund treten. Be-
vor Sie der Argumentation der Bundesregierung blind
folgen, bitte ich Sie: Sprechen Sie doch einmal mit den
Landräten der betroffenen Kreise und kreisfreien Städte!
Informieren Sie sich vor Ort bei den Betroffenen und zu-
ständigen Behörden.
Auf die Stellungnahmen der Koalitionsfraktionen bin
ich sehr gespannt.
Katrin Kunert (DIE LINKE): Seit Einführung von
Hartz IV gibt es drei Strukturen, durch die die Arbeitslo-
sen im Land betreut werden. Zum einen sind es die Ar-
beitsgemeinschaften (ARGEn), in denen Landkreise/
kreisfreie Städte mit der Bundesagentur unter einem
Dach zusammenarbeiten. Dann gibt es die Optionskom-
munen, wo der Landkreis oder die kreisfreie Stadt allein
die Aufgabe erfüllt. Und dann gibt es die sogenannten
kalten Arbeitsgemeinschaften (ARGEn), in denen jede
Struktur ihre Aufgabe für sich wahrnimmt. Allein diese
Aufzählung macht deutlich, wie ein ohnehin schlechtes
Gesetz für die Betroffenen „vielfältig“ umgesetzt wird.
Nun gab es in Sachsen und Sachsen-Anhalt Kreisge-
bietsreformen und die an Kreis- und Stadtgebieten fest-
gemachte Arbeitsstruktur zur Umsetzung von Hartz IV
läuft Gefahr, noch konfuser zu werden. Aber woran mes-
sen wir die Qualität der Betreuung von Arbeitslosen?
14206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
(A) (C)
(B) (D)
Und liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP: Was be-
deutet für Sie einheitliche Betreuung von Arbeitslosen?
Bedeutet einheitlich bessere Betreuung oder effizientere
Betreuung? Ihrem Antrag entnehme ich nicht den Hauch
des Versuches, aus der Sicht der Betroffenen Kriterien
für eine Betreuung zu benennen.
Den Arbeitslosen ist es egal, in welcher Organisa-
tionsstruktur sie betreut werden. Für die Betroffenen ist
es wichtig, dass sie einen fairen und unkomplizierten
Umgang erfahren. Für die Arbeitslosen ist es wichtig,
dass sie pünktlich ihr ohnehin knappes Geld überwiesen
bekommen, dass sie Fördermöglichkeiten erhalten, um
mögliche Vermittlungshemmnisse abzubauen.
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ARGEn
oder Optionskommunen sind Weiterbildungen, Super-
vision und angemessene Arbeitsbedingungen wichtig.
Ebenso wichtig ist, dass sie nicht in Endlosschleifen der
Befristung beschäftigt werden, dass sie mit einem Be-
treuungsschlüssel arbeiten können, bei dem es auch
möglich ist, die Arbeitslosen zu betreuen!
Zum Softwareprogramm A2 LL verkneife ich mir
heute jeglichen Kommentar.
In einem Punkt Ihres Antrages gebe ich Ihnen recht:
Es muss eine Regelung für die Arbeitsstrukturen nach
Kreis- und Stadtgebietsreformen her.
Wir alle wissen, dass in der nächsten Woche das Bun-
desverfassungsgericht ein Urteil zur Verfassungsbe-
schwerde von elf Landkreisen fällen wird. Insofern hät-
ten Sie zumindest diese Entscheidung abwarten können,
bevor ihr Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die
Beschwerdepunkte der Landkreise machen sehr deut-
lich, mit welchen Problemen die gesamte Umsetzung
von Hartz IV behaftet ist. Erstens haben Bund und Länder
mit der komplizierten Aufgabenverteilung bei Hartz IV
lediglich versucht, die Kosten auf die Kommunen abzu-
wälzen. Zweitens sind die Landkreise per Gesetz dazu
gezwungen worden, mit der Bundesagentur für Arbeit
zusammenzuarbeiten. Dies hätte den Landkreisen freige-
stellt werden müssen. Drittens sieht die Verfassung
innerhalb des föderalen Systems eine klare Kompetenz-
verteilung vor, das heißt, Aufgaben zwischen Bundes-
agentur für Arbeit und Kommunen aufzuteilen geht ver-
fassungsrechtlich nicht.
Wenn das Bundesverfassungsgericht im Sinne der
Landkreise entscheiden wird, ist Hartz IV nicht nur bei
den Menschen im Land, sondern auch verfassungsrecht-
lich durchgefallen.
Die Linke fordert: erstens bundeseinheitliche Quali-
tätsstandards für die Betreuung von Arbeitslosen aus
Sicht der Betroffenen, zweitens Qualifizierung der Be-
schäftigten in den ARGEn und Optionskommunen, drit-
tens unbefristete Arbeitsverhältnisse für die Beschäftig-
ten in den ARGEn und Optionskommunen, viertens
Erhöhung der Kostenübernahme durch den Bund, um
die Kommunen zu entlasten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, wenn Ih-
nen wirklich das Wohl der Arbeitslosen am Herzen liegt,
unterstützen sie unsere Anträge zur Erhöhung des Regel-
satzes auf 435 Euro, die Einmalzahlung von 40 Euro
Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieherinnen
und schließen Sie gemeinsam mit uns aus, dass bei sta-
tionären Aufenthalten Regelleistungen gekürzt werden.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Anliegen der FDP
ist richtig und wird von uns unterstützt.
Das Problem ist schnell erklärt: Im Zuge einer Kreis-
gebietsreform kann es vorkommen, dass in der neugebil-
deten Struktur beide Trägermodelle der Grundsicherung
– die Optionskommune und die Arbeitsgemeinschaft –
vertreten sind. Die neugebildeten Kreise müssten dann
die Entscheidung treffen können, welches der beiden
Modelle sie zukünftig fahren wollen, um wieder zu einer
einheitlichen Struktur zu kommen. Diese Möglichkeit
haben die Kreise aber bis jetzt nicht, wenn sie sich für
das Optionsmodell entscheiden wollen. Das muss sich
ändern.
Die Bundesregierung hat sich diesem Ansinnen bis-
lang verweigert. Sie schlägt schlicht die Weiterführung
der bisherigen Trägerstrukturen auch nach einer Kreis-
reform vor. Aber das Nebeneinander verschiedener
Konzepte und Zuständigkeiten für Langzeitarbeitslose
innerhalb einer Verwaltungseinheit ist kein zufrieden-
stellender Zustand, weder für die Arbeitssuchenden noch
für die politisch Verantwortlichen.
Die Bundesregierung begründet ihre Ablehnung mit
der geltenden Rechtsgrundlage. Die Kommunalträger-
Zulassungsverordnung sehe eine Ausweitung des Zulas-
sungsgebietes einer Optionskommune nicht vor. Darüber
hinaus fehle eine Ermächtigungsgrundlage im SGB II,
um eine entsprechende Änderung der Verordnung vorzu-
nehmen. Ich habe es bisher als unseren Job verstanden,
Lösungen für Probleme zu finden und für diese Lösun-
gen dann die entsprechende Rechtsgrundlage zu
schaffen. Und nur weil im Rahmen der ursprünglichen
Gesetzes- und Verordnungsgebung Folgen von Kreisge-
bietsreformen nicht vorgesehen waren, kann uns das
nicht zur Tatenlosigkeit verleiten.
Ziel einer Kreisgebietsreform ist unter anderem die
Anpassung der Politik- und Verwaltungsstrukturen an
die demografische Entwicklung und die daraus erwach-
senen neuen Herausforderungen. Effizienz ist ein weite-
res Kriterium. Es ist kein Geheimnis, dass sich Kreisge-
bietsreformen nicht gerade großer Beliebtheit erfreuen
und jede einzelne einen erheblichen Kraftakt darstellt.
Wenn aber danach alles sowieso beim Alten bleibt, kann
man sich die ganze Sache gleich ganz sparen.
Sie wissen, dass wir Grünen die Bündelung der kom-
munalen Kompetenzen und der der Bundesagentur für
Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften für die bessere Lö-
sung im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit hal-
ten. Entscheidend ist aber für uns auch immer, was hin-
ten rauskommt, und nicht, was draufsteht. Und darum
sind wir der Meinung, dass die neugebildeten Kreise, die
das Optionsmodell für das erfolgversprechendere Kon-
zept halten, es auch umsetzen können sollten. Dafür wer-
den wir uns auch in den weiteren Beratungen einsetzen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14207
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Angleichung des
aktuellen Rentenwerts (Ost) an den aktuellen
Rentenwert (Tagesordnungspunkt 37)
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Mit der Wiedervereini-
gung wurde angestrebt, die Wirtschafts- und Sozialsys-
teme der alten und neuen Bundesländer mittelfristig an-
zugleichen. Im Übergang sollte speziell im Rentenrecht
– bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhält-
nisse, wie es in § 254 b SGB VI heißt – mit der Bildung
von persönlichen Entgeltpunkten (Ost) und eines aktuel-
len Rentenwertes (Ost) den besonderen Verhältnissen im
Beitrittsgebiet Rechnung getragen werden.
Ein Blick zurück zeigt, dass die (schrittweise) Heran-
führung des aktuellen Rentenwertes (Ost) an den aktu-
ellen Rentenwert des § 68 SGB VI mit der relativen
Verbesserung der Löhne und Gehälter in den neuen Bun-
desländern zunächst auch gut vorangekommen ist. Vor
2003 stieg der Rentenwert (Ost) Jahr für Jahr deutlich
schneller als der aktuelle Rentenwert, in den neunziger
Jahren besonders stark. Dies zeigt, dass die lohn- und ge-
haltsbezogene Anpassung in der Vergangenheit sehr gut
funktioniert hat.
In den folgenden Jahren der wirtschaftlichen Stag-
nation bis 2006 gab es dann allerdings keine weiteren
Fortschritte mehr, die Lücke zwischen aktuellem Ren-
tenwert (Ost) und aktuellem Rentenwert hat sich nicht
weiter geschlossen. Aktuell – 17 Jahre nach der deut-
schen Einheit – liegt der Rentenwert (Ost) noch um rund
12 Prozent unter dem aktuellen Rentenwert des § 68.
Vor diesem Hintergrund erhebt nun die Linke die For-
derung, den aktuellen Rentenwert (Ost) auch ohne das
Vorliegen einer entsprechenden wirtschaftlichen Ent-
wicklung auf den aktuellen Rentenwert anzuheben.
Hierzu will ich für meine Fraktion deutlich sagen:
Eine isolierte Anhebung des aktuellen Rentenwertes
(Ost), die nicht zugleich auch die anderen Rechengrößen
der Rentenermittlung anpasst, verbietet sich. Es kann
nicht sein, dass Entgeltpunkte in den neuen Bundeslän-
dern – wie von der Linken vorgeschlagen – weiterhin
unter erleichterten Voraussetzungen erworben werden
können, dann aber zu einem gleichen Rentenanspruch
führen. Einen Entgeltpunkt (Ost) erwarb man 2007 bei-
spielsweise über den Umrechnungsfaktor 1,1622 nach
Anlage 10 zum SGB VI bereits mit Beiträgen auf Basis
von 2 114 Euro brutto monatlich, während man in den
alten Bundesländern Beiträge auf Basis von 2 457 Euro
brutto leisten musste, um einen Entgeltpunkt West zu er-
halten. Eine solche Regelung, bei der mit unterschiedli-
chen Beitragsleistungen erworbene Entgeltpunkte mit
dem gleichen Rentenwert bewertet würden, wäre meines
Erachtens eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung
und damit möglicherweise verfassungswidrig.
Überdies würde die Anhebung des aktuellen Renten-
wertes (Ost) alleine für den Rentenbestand etwa 5 Mil-
liarden Euro kosten, ein Betrag, der nach der lapidaren
Aussage im Antrag der Linken aus Steuermitteln finan-
ziert werden soll, zusätzlich zu den 80 Milliarden Euro,
die der Bundeshaushalt bereits heute an die Rentenkasse
überweist. Das ist schlicht und einfach nicht seriös, steht
aber in einer Reihe mit weiteren Wünsch-dir-was-Anträ-
gen, die die Linken in den letzten Monaten hier einge-
bracht haben.
Der Hinweis auf eine Angleichung der Lebenshal-
tungskosten in den neuen Ländern an die Lebenshal-
tungskosten in den alten Bundesländern, die eine Anhe-
bung des Rentenwertes erforderlich machte, überzeugt
in diesem Zusammenhang nicht. Ich verweise auf die
Übersicht auf Seite 69 des Rentenversicherungsberichtes
2007. Danach liegen die durchschnittlichen Gesamt-
rentenzahlbeträge bei an männliche Bezieher in den
neuen Ländern ausgezahlten Renten um mehr als 5 Pro-
zent über denen in den westlichen Bundesländern. Bei
den Rentnerinnen beträgt der Überhang sogar 30 Pro-
zent, Der Überhang wird sowohl bei Männern als auch
bei den Frauen in den kommenden Jahren bis 2011 sogar
noch leicht ansteigen.
Ich will zum Schluss noch darauf hinweisen, dass
aber auch eine einheitliche Veränderung der Rechengrö-
ßen nicht unproblematisch ist. Denn dann stiege nicht
nur der aktuelle Rentenwert (Ost) und der für einen Ent-
geltpunkt zu entrichtende Beitrag. Zugleich wäre auch
die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben. Damit würde
es zwar möglich, dass diejenigen Beitragszahler in den
neuen Ländern, deren Einkommen bereits heute auf
Westniveau liegt, auch ein Mehr an Entgeltpunkten in
der Rentenversicherung erwerben könnten. Zugleich
würde dies aber auch einen Anstieg der Lohnnebenkos-
ten in den neuen Ländern mit sich bringen, da die Ar-
beitgeber bis zur neuen Beitragsbemessungsgrenze zu-
sätzliche Rentenbeiträge für ihre Mitarbeiter entrichten
müssten – mit entsprechenden negativen Effekten für
das Beschäftigungsniveau in den neuen Ländern.
Damit will ich zusammenfassend festhalten: Der An-
trag der Linken ist nicht ausgereift. Er verändert populis-
tisch eine Stellschraube in einem komplexen Gesamtsys-
tem. Die beste Perspektive für eine Angleichung des
Rentenwertes ist und bleibt die Schaffung von Voraus-
setzungen für ein überproportionales Wachstum der
Löhne und Gehälter in den neuen Bundesländern, dieses
aber nicht durch Einmischung der Politik in die Lohnfin-
dung wie etwa bei der heute hier schon diskutierten
Frage der Einführung von Mindestlöhnen, sondern als
Ergebnis einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwick-
lung.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Großen Anfrage: Euro-
päisches Jahr der Chancengleichheit für alle
(Tagesordnungspunkt 38)
Renate Gradistanac (SPD): 51 Prozent der Bürge-
rinnen und Bürger in der Europäischen Union sind der
14208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
(A) (C)
(B) (D)
Meinung, dass in ihrem Land nicht genügend Anstren-
gungen unternommen werden, um Diskriminierung zu
bekämpfen. Nur 32 Prozent kennen ihre Rechte für den
Fall, dass sie Opfer von Diskriminierung werden. Die
Umfrage „Europabarometer Spezial“ zur Diskriminie-
rung in der Europäischen Union unterstreicht zudem,
dass die Kenntnis der Existenz von Antidiskriminie-
rungsgesetzen in der Europäischen Union nach wie vor
recht gering ist.
Das Europäische Jahr der Chancengleichheit wurde
ausgerufen, um die Menschen in der Europäischen
Union für ihre Rechte auf Gleichbehandlung und Nicht-
diskriminierung zu sensibilisieren und die Chan-
cengleichheit zu fördern. Chancengleichheit und Nicht-
diskriminierung gehören zu den Grundprinzipien, auf
denen die Europäische Union aufbaut.
Wirkliche Chancengleichheit ist nur ohne Diskrimi-
nierung möglich. Darum haben wir mit dem Allgemei-
nen Gleichbehandlungsgesetz nicht nur vier EU-Richt-
linien in nationales Recht umgesetzt. Wir haben vor
allem auch einen wichtigen Schritt getan, um Menschen
wirksam vor Diskriminierungen zu schützen. Wer auf-
grund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Re-
ligion oder Weltanschauung, des Alters, aufgrund einer
Behinderung oder der sexuellen Identität benachteiligt
wird, kann sich seit 2006 besser wehren.
Das Bundesgleichstellungsgesetz, das Gewaltschutz-
gesetz und das Elterngeld mit seinen Vätermonaten sind
weitere wichtige gleichstellungspolitische Wegmarken.
Das eigentliche Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe von
Männern und Frauen an allen Lebensbereichen, haben
wir aber immer noch nicht erreicht. Die Studie „Global
Gender Gap Report 2007“ des Weltwirtschaftsforums
hat die Gleichstellung von Frauen und Männern in
128 Ländern erfasst. Auf den ersten Blick stehen wir mit
dem siebten Rang scheinbar gar nicht so schlecht da. In
der Kategorie „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“
befinden wir uns aber nur auf Rang 71.
Gleichwertige Arbeit muss endlich gleich entlohnt
werden. Existenzsichernde Erwerbsarbeit ist eine wich-
tige Voraussetzung zur Armutsbekämpfung. Mit der Ein-
führung von Mindestlöhnen schützen wir insbesondere
auch Frauen vor Sozialdumping. Wir müssen die Chan-
cen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Fami-
lienfreundliche Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen
sowie der Ausbau und Rechtsanspruch bei Kinderbetreu-
ungsplätzen sind wichtige Voraussetzungen für die Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf und mehr Chancen-
gleichheit. Wir wollen die Gleichstellung von Männern
und Frauen bei Berufszugang und Aufstieg.
Immer mehr Frauen arbeiten in Teilzeit oder sind ge-
ringfügig beschäftigt. Dies hat auch der Ausschuss zur
Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau, kurz
CEDAW, bei der Überprüfung des fünften Staatenbe-
richts kritisiert. Der Ausschuss hat zudem weitergehende
Schritte empfohlen, um Stereotype im Zusammenhang
mit den traditionellen Rollenbildern in der Familie, am
Arbeitsplatz und in der Gesellschaft zu bekämpfen.
Chancengleichheit für alle beginnt bei der Bildung
und Betreuung unserer Kinder. Bildungschancen sind
Lebenschancen, die nicht von der Herkunft oder vom El-
ternhaus abhängen dürfen. Junge Menschen haben ein
Recht auf Bildung, auf ein gesundes Aufwachsen, auf
gesellschaftliche Beteiligung und vor allem darauf, dass
sie vor physischer und psychischer Gewalt geschützt
werden. Diese Ziele wollen wir mit dem nationalen
Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland
2005–2010“ erreichen.
Mit dem Bundesprogramm „Frühe Hilfen“ wollen wir
die Risiken für Kinder möglichst frühzeitig erkennen
und die Erziehungskompetenz der Eltern verbessern.
Der weitere Ausbau der Kinderbetreuung und die Ein-
führung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz
sind wichtige Schritte, um das Ziel der Bildung für alle
zu erreichen. Die von uns durchgesetzte Erhöhung und
Ausweitung des BAföGs ist ein wichtiges Signal für
echte Chancengleichheit in der Bildung.
Für die SPD-Fraktion gehören Kinderrechte ins
Grundgesetz. Dadurch stärken wir die Rechtsposition
der Kinder deutlich und schreiben die staatliche Schutz-
pflicht gegenüber Kindern ausdrücklich in der Verfas-
sung fest. Angesichts der öffentlichen Diskussion über
Kindesvernachlässigung und Kinderarmut bedauere ich
es sehr, dass sich unser Koalitionspartner noch immer
weigert, Kinderrechte in unser Grundgesetz aufzuneh-
men.
Ich freue mich, dass wir das Übereinkommen der Ver-
einten Nationen über die Rechte behinderter Menschen
im Jahr der Chancengleichheit für alle unterzeichnet ha-
ben. Dies ist ein weiterer wichtiger Baustein für die
gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinde-
rungen. Immerhin haben zehn Prozent der EU-Bevölke-
rung eine Behinderung.
Ich bin sehr froh, dass meine Fraktion bei der Reform
der Erbschaftsteuer eine weitestgehende Gleichstellung
der Lebenspartnerschaften durchsetzen konnte. Rechtli-
cher Schutz und rechtliche Gleichstellung allein reichen
aber nicht aus, um Diskriminierung zu verhindern. Dies
zeigt sich nachdrücklich beim Diskriminierungsmerkmal
sexuelle Identität. Um komplexe und zum Teil tief ver-
wurzelte Vorurteile abzubauen, sind intensive Bemühun-
gen auf politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene not-
wendig. Es gilt, die Chancengleichheit für alle aktiv zu
fördern und die strukturellen und institutionellen Hinder-
nisse abzubauen, die eine gleichberechtigte Teilhabe in
allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens versper-
ren.
Das Europäische Jahr hat dazu beigetragen, für
Gleichstellung und Vielfalt in Europa zu werben. Einer
der Höhepunkte des Jahres war der unter deutscher EU-
Präsidentschaft erstmals veranstaltete europäische
Gleichstellungsgipfel. Nun gilt es, sich noch stärker da-
für einzusetzen, dass Gleichheit in Europa für jeden Ein-
zelnen zur Realität wird. Vielfalt ist eine der Stärken von
Europa. Deshalb brauchen wir Chancengleichheit für
alle.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14209
(A) (C)
(B) (D)
In der erweiterten Europäischen Union wird die Be-
völkerung immer vielfältiger. Durch die Zuwanderung
und das Zusammenleben ethnisch-kulturell unterschied-
lich geprägter Menschen und die Etablierung unter-
schiedlicher Lebensformen nimmt Europas Vielfalt auch
in kultureller Hinsicht zu. Um den Vorteil zu würdigen,
den wir durch unsere große kulturelle Vielfalt haben,
wurde das Jahr 2008 zum Europäischen Jahr des inter-
kulturellen Dialogs erklärt.
Anlage 10
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 839. Sitzung am 30. No-
vember 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77
Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz zur Neuordnung der Ressortforschung im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
– Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Berichts-
pflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
– Erstes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgeset-
zes
– Erstes Gesetz zur Änderung des Legehennenbe-
triebsregistergesetzes
– Gesetz zur Förderung der zusätzlichen Altersvor-
sorge und zur Änderung des Dritten Buches So-
zialgesetzbuch
– Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungs-
gesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen
Entschädigungsrechts
– Zweites Gesetz zur Änderung des Finanzverwal-
tungsgesetzes und anderer Gesetze
– Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens
„Kinderbetreuungsausbau“ und zur Entfristung
des Kinderzuschlags
– Gesetz zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und
zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politi-
sche Häftlinge (Heimkehrerstiftungsaufhebungs-
gesetz – HKStAufhG)
– … Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgeset-
zes und anderer Gesetze
– Erstes Gesetz zur Änderung des Personalanpas-
sungsgesetzes
– Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach
Einsatzunfällen (Einsatz-Weiterverwendungsge-
setz – EinsatzWVG)
– Zweites Gesetz zur Änderung des Regionalisie-
rungsgesetzes
– Gesetz zur Finanzierung der Beendigung des subven-
tionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018
(Steinkohlefinanzierungsgesetz)
– Erstes Gesetz zur Änderung des Unterhaltsvor-
schussgesetzes
– Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts
– Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Aus-
tralien über die Soziale Sicherheit von vorüberge-
hend im Hoheitsgebiet des anderen Staates beschäf-
tigten Personen („Ergänzungsabkommen“)
– Gesetz zur Neuregelung der Telekommunika-
tionsüberwachung und anderer verdeckter Er-
mittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG
– Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im
Bereich der Energieversorgung und des Lebens-
mittelhandels
– Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2008 (ERP-
Wirtschaftsplangesetz 2008)
– Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
Bergmannssiedlungen
– Drittes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch
– Gesetz zur Modernisierung des Rechts der land-
wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG)
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
1. Der Bundesrat bedauert, dass in den parlamentari-
schen Beratungen zum LSVMG im Deutschen
Bundestag kaum eine der vom Bundesrat in seiner
Stellungnahme vom 12. Oktober 2007 (Bundesrats-
drucksache 597/07 (Beschluss)) angeregten Verbes-
serungen und Veränderungen aufgegriffen wurde.
2. Der Bundesrat stellt fest, dass es mit dem LSVMG
zu einer umfassenden Zentralisierung von Aufgaben
beim Spitzenverband zu Lasten der Regionalträger
kommen wird, ohne dass hierfür ein Wirtschaftlich-
keitsnachweis geführt werden soll, sowie zur Schaf-
fung neuen Rechtes durch Übertragung von Einzel-
regelungen der Rentenversicherung auch auf die
Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung.
3. Der Bundesrat erwartet im Ergebnis tief greifende
Veränderungen und Umwälzungen in der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung zu Lasten der Regio-
nalträger, deren Folgen für die Versicherten er mit
Sorge betrachtet.
4. Der Bundesrat teilt die Sorge des Berufsstandes und
der Sachverständigen, dass die mit dem LSVMG
vorgesehene besondere Abfindungsaktion nicht die
prognostizierte Entlastungswirkung für die landwirt-
schaftlichen Berufsgenossenschaften haben wird.
Er befürchtet, dass dies im Zusammenwirken mit
dem von der Bundesregierung deutlich abgesenkten
14210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
(A) (C)
(B) (D)
Bundeszuschuss Beitragserhöhungen der landwirt-
schaftlichen Berufsgenossenschaften unumgänglich
machen wird.
5. Der Bundesrat bedauert insbesondere auch, dass die
Beteiligung der landwirtschaftlichen Krankenkassen
an den Bundeszuschüssen zur Finanzierung gesamt-
gesellschaftlicher Aufgaben auch ab dem Jahr 2009
durch das LSVMG nicht geregelt wurde.
Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung
auf, die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung ge-
mäß Ziffer 30 der Bundesratsdrucksache 597/07 (Be-
schluss) baldmöglichst herbeizuführen. Eine Umset-
zung erst nach Vorlage des mit Bundestagsbeschluss
vom 2. Februar 2007 (Bundestagsdrucksache 16/4220)
geforderten Gutachtens, das erst Ende 2008 abge-
schlossen sein soll, wäre für ein Funktionieren ab
dem 1. Januar 2009 entschieden zu spät.
6. Der Bundesrat stimmt der Einführung eines Lasten-
ausgleichs zur Stärkung der landwirtschaftlichen So-
lidargemeinschaft grundsätzlich zu. Allerdings wird
die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Rechts
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung be-
schlossene Lastenverteilung nach Abschluss der
Übergangsphase ab dem Jahre 2014 voraussichtlich
besonders in Nord- und Ostdeutschland zu erhebli-
chen Mehrbelastungen der landwirtschaftlichen Un-
ternehmen führen.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass nach Abschluss
der Übergangsregelungen nicht sichergestellt ist,
dass die Einsparmaßnahmen des Gesetzes bereits
wirksam sind und die Mehrbelastung der landwirt-
schaftlichen Betriebe durch steigende Beiträge abge-
wendet werden kann. Selbst wenn die an das Gesetz
geknüpften Erwartungen erfüllt werden sollten und
es gelingen würde, die Aufwendungen für die land-
wirtschaftliche Unfallversicherung insgesamt bis
2014 deutlich zu reduzieren, käme diese entlastende
Wirkung wegen des Verteilerschlüssels vor allem
nicht den nord- und ostdeutschen landwirtschaftli-
chen Unternehmen zugute.
7. Der Bundesrat verzichtet allerdings trotz der vorste-
henden Bedenken auf die Anrufung des Vermitt-
lungsausschusses, um das Inkrafttreten des Gesetzes
nicht zu verzögern.
– Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozial-
gesetzbuch und anderer Gesetze
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat begrüßt die mit dem Gesetz zur Ände-
rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze vorgenommenen Anpassungen sozialversiche-
rungsrechtlicher Verfahrensvorschriften an die Erforder-
nisse der betrieblichen Praxis in den Unternehmen und
bei den Sozialversicherungsträgern und die mit der Neu-
verteilung der Erstattungslasten zwischen Bund und
neuen Ländern erfolgte Umsetzung der zwischen dem
Bund und den neuen Ländern getroffenen Vereinbarung
vom 29. November 2006.
Mit Bedauern nimmt der Bundesrat aber zur Kenntnis,
dass seine schon im Februar beim RV-Altersgrenzen-
anpassungsgesetz (Bundesratsdrucksache 2/07) erhobene
Forderung nach Anhebung der Hinzuverdienstgrenze auf
400 Euro für eine in voller Höhe bezogene Rente nun er-
neut unberücksichtigt geblieben ist. Dies gilt umso mehr,
als dass auch Rentenkassen und Arbeitgeber seit langem
auf diese Änderung drängen, weil die bisherige Rege-
lung zu häufig zu Missverständnissen führt. Viele Rent-
ner und Arbeitnehmer nehmen an, dass die Mini-Job-
Grenze von 400 Euro auch als Hinzuverdienstgrenze für
Rentner gilt. Dies führt dann bei Überschreitung zu auf-
wendigen und unverhältnismäßigen Rückforderungen
und Rentenkürzungen um ein Drittel.
Zum Schutze der Betroffenen, aber auch für eine er-
hebliche Verwaltungsvereinfachung, bittet der Bundesrat
daher um eine schnelle Umsetzung und um das Aufgrei-
fen der in den beiden Stellungnahmen vom 16. Februar
2007 (Bundesratsdrucksache 2/07 (Beschluss)) und vom
21. September 2007 (Bundesratsdrucksache 543/07 (Be-
schluss)) hierzu gemachten Anregungen.
– Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008)
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
1. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass zeitgleich
mit der Anhebung des Übungsleiterfreibetrages der
neue Betrag in § 3 Nr. 26 Satz 1 des Einkommensteu-
ergesetzes auch in § 1 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung
über die ehrenamtliche Betätigung von Arbeitslosen
und in Abschnitt 13 Abs. 3 der Lohnsteuerrichtlinien
(zu § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG) eingeführt wird.
Begründung:
Der steuerfreie Übungsleiterfreibetrag stimmt
z. Zt. mit dem steuerfreien Mindestbetrag der
Drittelregelung nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG und
dem Grenzbetrag nach § 1 Abs. 2 der Verordnung
über die ehrenamtliche Betätigung von Arbeitslo-
sen überein. Wenn mit dem Gesetz zur weiteren
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
(Bundesratsdrucksache 579/07) der Übungsleiter-
freibetrag angehoben wird, sollten auch die bei-
den anderen Grenzwerte zeitgleich angehoben
werden.
2. Der Bundesrat bedauert, dass auch durch das Jahres-
steuergesetz 2008 eine angemessene und eindeutige
steuerliche Begünstigung ehrenamtlicher rechtlicher
Betreuer nicht erfolgt ist. An dieser Zielsetzung ist
festzuhalten, denn der ehrenamtlichen Tätigkeit im
Betreuungswesen kommt eine überragende Bedeu-
tung zu. 68 Prozent aller neu eingerichteten Betreu-
ungen werden ehrenamtlich geführt. Angesichts der
demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung
ist damit zu rechnen, dass die Zahl der bundesweit
bestehenden 1,2 Mio. Betreuungen weiter ansteigen
wird.
Der große persönliche Einsatz von ehrenamtlichen
Betreuerinnen und Betreuern verdient es, wie ande-
res ehrenamtliches Engagement auch steuerlich aner-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007 14211
(A) (C)
(B) (D)
kannt zu werden. Das geltende Steuerrecht bietet da-
für verschiedene Beispiele. Die Länder sind auf
dieses Engagement auch angewiesen, um die Ausga-
bensteigerung im Betreuungswesen zu begrenzen.
Jede ehrenamtliche Betreuung erspart die Bestellung
von Berufsbetreuern. Während die ehrenamtliche
Betreuung eines mittellosen Betreuten die Landes-
kasse jährlich pauschal 323 Euro kostet, liegen die
2. hat beschlossen dem Gesetz gemäß Artikel 80 Abs. 2
des Grundgesetzes zuzustimmen.
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit-
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Ausgaben bei einer Berufsbetreuung mit der höchs-
ten Vergütungsstufe je nach Unterbringung des Be-
treuten im ersten Jahr zwischen 1 848 Euro und
2 970 Euro. Angesichts der bundesweit erheblichen
Ausgaben für das Betreuungswesen (Gesamtausga-
ben bundesweit 579 Mio. Euro im Jahr 2006 gegen-
über 434 Mio. Euro im Jahr 2004) kommt der Förde-
rung des Ehrenamtes höchste Priorität zu.
– Gesetz zur Änderung des Investmentgesetzes und zur
Anpassung anderer Vorschriften (Investmentände-
rungsgesetz)
Der Bundesrat
1. hat festgestellt, dass das Gesetz seiner Zustimmung
bedarf
Begründung zu Ziffer 1:
Das Gesetz enthält in Artikel 1 Nr. 24 (§ 19f Abs. 3
InvG), 91 (§ 110 Abs. 7 InvG), 92 (§ 110a Abs. 5
InvG) und 95 Buchstabe d (§ 112 Abs. 4 InvG) Er-
mächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen
ohne Zustimmung des Bundesrates. Nach Artikel 80
Abs. 2 GG bedürfen Rechtsverordnungen auf Grund
von Bundesgesetzen, die von den Ländern im Auf-
trag des Bundes oder als eigene Angelegenheiten
ausgeführt werden, der Zustimmung des Bundesra-
tes. Das Investmentgesetz ist ein Bundesgesetz auf
dem Gebiet der Wirtschaft, das gemäß Artikel 83 GG
mangels anderer Bestimmung im Grundgesetz von
den Ländern als eigene Angelegenheit zu vollziehen
ist. Zwar hat das Gesetz den Vollzug der Bundes-
anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht übertragen
(vgl. §§ 4 und 5 InvG). Diese auf Grund des Arti-
kels 87 Abs. 3 GG zulässige fakultative Bundesver-
waltung durch eine bundesunmittelbare Anstalt des
öffentlichen Rechts ändert nichts daran, dass das
Grundgesetz für die Materie keine obligatorische
Bundesverwaltung, sondern die Ausführung durch
die Länder als eigene Angelegenheit vorsieht. Ein
Gesetz, das die nach Artikel 80 Abs. 2 GG erforderli-
che Zustimmung des Bundesrates ausschließt, ist sei-
nerseits zustimmungsbedürftig (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 24. Februar 1970 – 2 BvL 12/69 –,
BVerfGE 28, 66 <76 ff.>).
und
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 636 85
– Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung
der in Werkstätten beschäftigten behinderten Men-
schen –
– Drucksachen 16/6765, 16/7053 Nr. 2 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 636 22
– Erstattung von Aufwendungen der Deutschen Ren-
tenversicherung Bund aufgrund der Überführung von
Zusatzversorgungssystemen in die RV in den neuen
Ländern (einschließlich ehemaliges Ost-Berlin) –
– Drucksachen 16/6766, 16/7053 Nr. 3 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 636 12
– Zuschuss des Bundes an die Künstlersozialkasse –
– Drucksachen 16/6767, 16/7053 Nr. 4 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 16/3060 Nr. 1.4
Drucksache 16/3382 Nr. 1.4
Drucksache 16/3713 Nr. 1.3
Drucksache 16/3713 Nr. 1.7
Drucksache 16/3713 Nr. 1.8
Drucksache 16/3713 Nr. 1.9
Drucksache 16/3713 Nr. 1.11
Drucksache 16/3713 Nr. 1.27
Drucksache 16/3713 Nr. 1.20
Drucksache 16/3897 Nr. 1.2
Drucksache 16/3897 Nr. 1.7
Drucksache 16/3897 Nr. 1.16
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Drucksache 16/6865 Nr. 1.4
134. Sitzung
Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10