1) Anlage 25
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13227
(A) )
(B) )
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 15.11.2007
tung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Operation
des NATO-Vertrags ist in seiner Begründung – als Ant-
wort auf den 11. September 2001 – nach Ablauf von
sechs Jahren fragwürdig geworden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
zur Tornado-Entsendung vom 3. Juli 2007 die Bewer-
Petzold, Ulrich CDU/CSU 15.11.2007
Rachel, Thomas CDU/CSU 15.11.2007
Raidel, Hans CDU/CSU 15.11.2007
Anlage 1
Liste der entschuldigt
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Amann, Gregor SPD 15.11.2007
Bätzing, Sabine SPD 15.11.2007
von Bismarck, Carl-
Eduard
CDU/CSU 15.11.2007
Bodewig, Kurt SPD 15.11.2007
Claus, Roland DIE LINKE 15.11.2007
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.11.2007
Faße, Annette SPD 15.11.2007
Fischer (Karlsruhe-
Land), Axel E.
CDU/CSU 15.11.2007
Freitag, Dagmar SPD 15.11.2007
Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 15.11.2007
Golze, Diana DIE LINKE 15.11.2007
Großmann, Achim SPD 15.11.2007
Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.11.2007
Dr. Jordan, Hans-
Heinrich
CDU/CSU 15.11.2007
Knoche, Monika DIE LINKE 15.11.2007
Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.11.2007
Leutert, Michael DIE LINKE 15.11.2007
Mortler, Marlene CDU/CSU 15.11.2007
Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 15.11.2007
Müller (Düsseldorf),
Michael
SPD 15.11.2007
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
nlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den An-
trag: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter
deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung
der gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und
des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der
Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tages-
ordnungspunkt 6 a)
Dr. Axel Berg (SPD): Ich lehne den Antrag der Bun-
esregierung heute ab, weil sich meines Erachtens die
olitischen Rahmenbedingungen in Afghanistan und auf
er Welt signifikant verändert haben, sodass ich eine Zu-
timmung zu einer Verlängerung des Mandates aufgrund
er aktuellen Lage nicht mehr mit meinem Gewissen
ereinbaren kann.
Insbesondere folgende Entwicklungen bestätigen mich
n dieser Ansicht:
Sechs Jahre nach den Anschlägen vom 11. September
001 und eines nach der Gewaltexplosion 2006 gerade
n den alten OEF-Operationsgebieten des Südens und
stens und der ISAF-Ausweitung auf ganz Afghanistan
üssen wir die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel zur
indämmung von Terrorismus, Gewalt und Militanz und
ie Rechtsgrundlagen für den Einsatz kritisch hinterfra-
en. Das Recht auf individuelle und kollektive Selbst-
erteidigung nach Art. 51 der Satzung der Vereinten Na-
ionen und davon abgeleitet der Bündnisfall nach Art. 5
r. Scheer, Hermann SPD 15.11.2007
trothmann, Lena CDU/CSU 15.11.2007
öhrl, Dagmar CDU/CSU 15.11.2007
olf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.11.2007
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
13228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Enduring Freedom in Afghanistan dadurch umgangen,
dass es die klare Trennung zwischen OEF und ISAF als
gegeben vorausgesetzt hat. Es stellte fest, dass ein
Organstreitverfahren „keine allgemeine Prüfung der
Völkerrechtskonformität von militärischen Einsätzen der
NATO“ erfordere: „Weder hat das Bundesverfassungs-
gericht zu prüfen, ob die Anschläge des 11. September
2001 völkerrechtlich dem damaligen afghanischen Tali-
ban-Regime zugerechnet werden können, noch ist zu
entscheiden, ob sich die Operation Enduring Freedom
auf das Recht auf kollektive Selbstverteidigung stützen
konnte und fortdauernd kann und welche Rolle diesbe-
züglich den Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001)
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zukommt, in
denen dieser das Selbstverteidigungsrecht anerkennt
bzw. bekräftigt“.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat wieder-
holt und meines Erachtens auch zu Recht festgestellt,
dass islamistischer internationaler Terrorismus und an-
dere Arten des Terrorismus eine Bedrohung der interna-
tionalen Sicherheit und des Weltfriedens darstellen. Der
Sicherheitsrat betont zugleich die Verpflichtung der
Staaten, Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus
nur im Einklang mit dem Völkerrecht zu ergreifen. Im
Kampf gegen internationale Terroristen kann der Einsatz
von bewaffneten Kräften ein notwendiges Mittel sein,
um die Gefahr einzudämmen und die Verantwortlichen
zur Rechenschaft zu ziehen.
OEF war notwendig und erfolgreich, um al-Qaida/Ta-
liban zu vertreiben, ihre Ausbildungsstruktur zu zerstö-
ren und ihre Rückkehr nach Afghanistan in Schranken
zu halten. Doch nun sollte die konkrete Überprüfung, ob
eine weitere OEF-Teilnahme noch völkerrechtlich legiti-
mierbar ist und ob sie im Hinblick auf das Ziel der Terro-
rismusbekämpfung überhaupt noch sinnvoll, wirksam
und verantwortbar ist, im Vordergrund stehen.
Nach dem 11. September konnten USA und NATO
– gestützt auf die VN-Sicherheitsratsresolution 1368
vom 12. September 2001 – für sich das Recht auf indivi-
duelle und kollektive Selbstverteidigung in Anspruch
nehmen. Sechs Jahre später ist diese Rechtsgrundlage
immer dünner und fragwürdiger geworden. Jetzt weiter
auf das Selbstverteidigungsrecht zu pochen bedeutet, es
zeitlich und räumlich völlig zu entgrenzen – und damit
das internationale Gewaltverbot zu unterlaufen und zu
zersetzen. Hinzu kommt, dass der US-geführte Global
War against Terrorism und seine militärische Kernopera-
tion OEF in erheblichem Widerspruch zur Auflage des
VN-Sicherheitsrates agierte, wonach die Staaten sicher-
stellen müssen, „dass alle Maßnahmen, die sie zur Be-
kämpfung des Terrorismus ergreifen, mit allen ihren Ver-
pflichtungen nach dem Völkerrecht in Einklang stehen
müssen, VN-SR-Res. 1624 vom 14. September 2005.
Die bisherige Bilanz des vorwiegend militärischen
und nachgeordnet politischen Vorgehens gegen den in-
ternationalen Terrorismus ist insgesamt eher ernüch-
ternd. In den Jahren 2001 bis 2005 gelang es, die Taliban
von der Macht in Afghanistan zu vertreiben und fernzu-
halten sowie die dortige Ausbildungsinfrastruktur von
al-Qaida zu zerstören. Der wesentlich von Deutschland
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orcierte Petersberg-Prozess führte zur Schaffung der
erfassung für eine islamische Republik in Afghanistan.
er US-geführte Krieg gegen den Terror folgte aber dem
rrglauben, den islamistischen internationalen Terroris-
us vor allem militärisch besiegen zu können. Er wurde
ft mit unverhältnismäßigen Mitteln und unter Inkauf-
ahme von großen Opfern unter der Zivilbevölkerung
urchgeführt. Zusammen mit der Entführung von Ver-
ächtigen und der unwürdigen und völkerrechtswidrigen
ehandlung von Gefangenen förderten diese Vorgehens-
eisen islamistische Militanz, statt sie einzudämmen,
nd trugen zu einer gesellschaftlichen Entfremdung ge-
enüber einer militärischen Terrorismusbekämpfung bei.
er US-Angriff auf den Irak hat dann den Stabilisie-
ungsprozess in Afghanistan zurückgeworfen und der
kzeptanz der internationalen Präsenz dort erheblich ge-
chadet. Das internationale Vorgehen gegen den islamis-
ischen Terrorismus muss auf den Prüfstand.
Bis zum heutigen Tage sind wichtige Verantwortliche
er Terroranschläge des 11. September 2001 noch nicht
efasst, ist ihre veränderte Infrastruktur nicht zerschlagen.
nsbesondere die unwegsamen paschtunischen Stammes-
ebiete im Westen Pakistans bilden die neuen Rückzugs-
äume, aus denen al-aida und andere terroristische sowie
adikalislamische Gruppen relativ geschützt operieren.
uch wenn es in der Vergangenheit immer wieder zu
inzelaktionen von amerikanischen Kommandotruppen
am, gehört Pakistan nicht zum Einsatzgebiet der Opera-
ion Enduring Freedom. Es ist die Aufgabe der jeweili-
en Regierung – in diesem Fall Pakistans –, entschieden
egen die bewaffneten terroristischen Gruppen im eige-
en Land vorzugehen und den Gruppen den Nährboden
u entziehen.
Weil das Taliban-Regime dieser Aufgabe über Jahre
inweg nicht nachkam und den Attentätern nach dem
1. September 2001 weiter Schutz und Unterstützung
ot, haben sich die USA – unterstützt und getragen von
iner breiten Allianz von Staaten und gestützt auf die
N-Sicherheitsrats-Resolution 1368 vom 12. September
001 – zur militärischen Selbstverteidigung entschieden.
it dem Abschluss des Petersberg-Prozesses hat Afgha-
istan seine Souveränität wiedererlangt. Die afghanische
egierung trägt damit auch im Bereich der Sicherheit,
nklusive der Terrorismusbekämpfung, die Hauptverant-
ortung. Sie wird hierbei von der internationalen Staa-
engemeinschaft, insbesondere der VN-mandatierten In-
ernational Security Assistance Force (ISAF) unterstützt.
Die Vereinten Nationen haben im Dezember 2001 das
andat der ISAF-Mission zunächst nur auf Kabul und
mgebung beschränkt und im Oktober 2003 auf ganz
fghanistan ausgeweitet. Die seit August 2003 von der
ATO geführte ISAF-Truppe übernahm zunächst im
orden, dann im Westen und schließlich 2006 im Süden
nd Osten die Verantwortung.
Im Operationsplan vorn Dezember 2005 hat ISAF die
usbildung der afghanischen Nationalarmee und die
ufgabe der Bekämpfung von bewaffneten Aufständi-
chen mit übernommen. Am 5. Oktober 2006 hat die auf
0 000 Kräfte aufgewachsene ISAF die territoriale Aus-
eitung abgeschlossen. Spätestens damit ist die Beru-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13229
(A) )
(B) )
fung auf das Recht auf Selbstverteidigung und somit die
Rechtsgrundlage für die Operation Enduring Freedom in
Afghanistan fragwürdig geworden. Für die Operation
Enduring Freedom liegt kein Status of Forces Agree-
ment (SOFA) vor, das die Rechte der Streitkräfte in Af-
ghanistan regelt. Die afghanische Regierung hat die
USA wiederholt aufgefordert, eigenmächtige Militärak-
tionen zu unterlassen.
Mit der Operation Enduring Freedom (OEF) unterhal-
ten die USA in Afghanistan eine extralegale Parallel-
struktur, die für den Wiederaufbau, die Ausbildung von
Armee und Polizei, die Bekämpfung von Aufständi-
schen und den Terrorkampf zuständig ist. Abstimmungs-
prozesse mit den Partnern können damit umgangen, Ein-
blicke und Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt werden.
Der Military Commissions Act erlaubt den US-Truppen
uneingeschränkte, auch willkürliche Verhaftung von Ter-
rorverdächtigen sowie die Anwendung folterähnlicher
Verhörmethoden.
Zurzeit sind noch circa 12 000 OEF-Kräfte in Afgha-
nistan präsent, davon 11 000 US-Soldaten. Die Opera-
tion Enduring Freedom ist vornehmlich nicht mit der un-
mittelbaren Terrorismusbekämpfung befasst. Etwa 6 000
US-Soldaten von OEF sind an der Ausbildung, Einsatz-
führung und -begleitung der afghanischen Armee, der
afghanischen Polizei und der afghanischen Hilfspolizei
beteiligt. Die von OEF ausgebildeten und geführten
Truppen und Sicherheitskräfte werden zur Aufstandsbe-
kämpfung eingesetzt und von OEF-Truppen begleitet. In
den gemeinsamen Operationsgebieten von ISAF und
OEF im Osten und Süden kann zwischen ISAF- und
OEF-Kräften, Terrorbekämpfung und Aufstandsbe-
kämpfung, Einsätzen unter dem Mandat der VN oder
Einsätzen unter Berufung auf das Recht auf Selbstvertei-
digung von außen nicht mehr unterschieden werden. Seit
der Gewaltexplosion in 2006 gerade in den alten OEF-
Operationsgebieten des Südens und Ostens und der
ISAF-Ausweitung auf ganz Afghanistan stellt sich ver-
schärft die Frage nach der Wirksamkeit von OEF bei der
Eindämmung von Terrorismus, Gewalt und Militanz.
Die militärischen Kommandoaktionen und das teils
rücksichtslose Vorgehen von OEF erweisen sich meines
Erachtens als kontraproduktiv und unverantwortlich. Sie
gefährden ISAF und die Aussichten auf den Gesamter-
folg in Afghanistan. Es ist anerkennenswert, dass sich
ISAF und OEF um einheitliche Einsatzregeln und um
die Vermeidung von Opfern unter der Zivilbevölkerung
bemühen. Das reicht aber nicht aus. Es darf außerhalb
des ISAF-Verantwortungsbereichs keine weiteren aus-
ländischen Militär- und Sicherheitskräfte geben.
Der deutsche militärische Beitrag zum Anti-Terror-
kampf beschränkte sich in den vergangenen Jahren auf
die maritimen Beiträge am Hörn von Afrika und im Mit-
telmeer. Laut Aussage von Verteidigungsminister Jung
kam das Kommando Spezialkräfte im Rahmen von OEF
seit Oktober 2005 in Afghanistan nicht mehr zum Ein-
satz. Bei früheren Einsätzen hatten die Spezialsoldaten
ihren Auftrag, mutmaßliche Terroristen zu bekämpfen,
zu verhaften und vor Gericht zu bringen, nur sehr einge-
schränkt durchführen können, weil auf US-Seite eine
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echtsstaatliche Vorgehensweise nicht gewährleistet war.
ätten sie gemäß ihrem Parlamentsauftrag mutmaßliche
erroristen militärisch bekämpft bzw. gefangen genom-
en und an die USA ausgeliefert, hätten sie sich dem
isiko ausgesetzt, sich strafbar zu machen.
Die Obergrenze von 1 400 Soldatinnen und Soldaten
iegt auch weit über den circa 300 Soldatinnen und Sol-
aten, die in den vergangenen Jahren durchschnittlich im
insatz waren. Für die zunehmend in den Vordergrund
erückte Begründung der Überwachung strategisch
ichtiger Seewege am Horn von Afrika gibt es keine
echtsgrundlage. Gleichzeitig gehören Piraterie zur See
nd der Schutz der Schifffahrtswege zu jenen Bereichen,
ei denen im Rahmen kollektiver Sicherheit internatio-
al Handlungs- und Regelungsbedarf besteht.
Aus diesen Gründen kann ich heute einer Verlänge-
ung des Einsatzes deutscher Soldatinnen und Soldaten
m Rahmen der Operation Enduring Freedom nicht zu-
timmen. Meines Erachtens sollte nun ein Kurswechsel
n Afghanistan im Vordergrund stehen:
Wir, also die Bundesrepublik Deutschland, sollten ge-
enüber den USA, in der NATO und gegenüber den
SAF-Partnern darauf hinarbeiten, dass das Nebeneinan-
er von ISAF und OEF beendet wird und die Gesamtver-
ntwortung für die militärische Sicherheitsunterstützung
er afghanischen Regierung allein bei ISAF liegt. Dies
ollte auch eine Beendigung der nationalen Ausbildung
er afghanischen Polizei- und Militärkräfte unter dem
ach der Operation Enduring Freedom durch die US-
dministration beinhalten. Die militärischen Ausbil-
ungsanteile sollten in die ISAF-Mission eingegliedert
erden.
Durch eine Stärkung der ISAF-Mission können wir
fghanistan zu Frieden und Stabilität verhelfen und so-
it die Ursachen von Terrorismus effektiv bekämpfen.
eshalb macht es meines Erachtens weitaus mehr Sinn,
SAF auszubauen und dementsprechend dafür einzutre-
en, dass andere an OEF beteiligte Staaten weiterhin
essourcen für die ISAF-Mission zur Verfügung stellen,
m die Strukturen und Ressourcen von ISAF zu stärken.
So können wir die Verhütung von vermeidbaren Op-
ern, insbesondere unter der Zivilbevölkerung, die Ein-
altung der Menschenrechte und des humanitären Kriegs-
ölkerrechts zu einem entscheidenden Maßstab machen
nd sollten sowohl intern als auch gegenüber unseren
artnern darauf achten, dass dieser Maßstab in die Praxis
mgesetzt und wirksam überwacht wird.
Martin Burkert (SPD): Die Operation Enduring
reeedom (OEF) und die Entsendung von RECCE-Tor-
ados halte ich für falsch und gefährlich, wohingegen
er Einsatz der International Security Assistance Force
ISAF) wichtig und richtig ist. Die ISAF soll eine friedli-
he, politische Entwicklung Afghanistans gewährleisten
nd die Regierung Afghanistans bei ihrer Aufgabe, für
icherheit, Recht und Ordnung im ganzen Land zu sor-
en, unterstützen. Auch beim Wiederaufbau Afghanis-
ans hat ISAF Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die
eutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbe-
13230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
reich zu einer Stabilisierung des Nordens Afghanistans
beigetragen.
Dabei muss ISAF aber klar abgegrenzt werden von
der OEF, die die Bekämpfung des internationalen Terro-
rismus zum Ziel hat. So hat der Einsatz von Tornados
der Bundeswehr über ganz Afghanistan meine Befürch-
tungen vom Frühjahr leider bestätigt. Er hat zu erhebli-
chen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und
OEF geführt.
Ich sehe meine Zweifel von damals, dass es gelingen
wird, die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsicht-
lich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – de-
tailliert zu trennen und dies auch der Bevölkerung zu
vermitteln, bestätigt. Und ich befürchte nach wie vor,
dass die Erfolge der ISAF-Mission durch den Anti-Ter-
ror-Einsatz akut gefährdet werden.
Unser Interesse muss es sein, die Situation in Afgha-
nistan zu stabilisieren, an einem friedlichen Wiederauf-
bau mitzuarbeiten und die Eigenverantwortung zu stär-
ken. Nur so hat das Land nach mehr als 20 Jahren Krieg
und Bürgerkrieg eine Chance auf eine dauerhafte, fried-
liche Perspektive ohne Terrorismus.
Ich bin mir bewusst, dass Wiederaufbau und Entwick-
lung ohne Sicherheit nicht möglich sind, aber die OEF
stellt für mich gerade kein Mittel der Stabilisierung der
Lage in Afghanistan. Das durch Widerstandsaktivitäten
verunsicherte Gebiet Afghanistans hat sich nach über-
einstimmenden Erkenntnissen der UNO und anderer
namhafter Organisationen (Senlis Council, Großbritan-
nien) von der Hälfte auf etwa zwei Drittel des afghani-
schen Staatsgebiets vergrößert.
Wir stehen bei dem umfassenden Staatsbildungs-Pro-
zess vor enormen sensiblen, sozialen, kulturellen und re-
gionalen Herausforderungen. Umso mehr werden wir
scheitern, wenn wir einen „Guerillakrieg“ gewinnen
wollen.
Kriegerische Mittel sind deshalb aus meiner Sicht
falsch – und die OEF ist letztlich ein Krieg gegen den
Terrorismus. Ich glaube an den langfristigen Erfolg
rechtsstaatlicher Strukturen, und ich setze auf unser
friedliches Engagement für Afghanistan.
In diese Richtung müssen wir weiter gehen: Wir müs-
sen mehr Mittel für den zivilen Aufbau zur Verfügung
stellen und auf eine bessere internationale Koordinie-
rung beim zivilen Aufbau hinwirken. Wir müssen den
innenpolitischen Versöhnungsprozess in Afghanistan un-
ter Einbeziehung aller Kräfte unterstützen, die bereit
sind, die afghanische Verfassung zu respektieren und
den bewaffneten Kampf einzustellen. Wir müssen uns
für die Bekämpfung der afghanischen Drogenökonomie
und die verstärkte Schaffung nachhaltiger Einkommens-
alternativen für Bauern einsetzen. Wir müssen den Auf-
bau der Polizei in Afghanistan effektiver vorantreiben
und gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft
die notwendigen Mittel hierfür bereitstellen. Wir müssen
noch stärker als bisher den Aufbau des afghanischen
Rechtssystems forcieren und auf eine gute Ausbildung
und angemessene Bezahlung von Richtern und Staatsan-
wälten hinwirken.
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Unsere Kraft, unseren Fokus und unsere finanziellen
ittel sollten wir aber nur darauf richten, und nicht auf
ine Mission, bei der es ungeklärt bleibt, ob sie den zivi-
en Aufbau tatsächlich stärkt oder ihn nicht vielmehr
chwächt.
Mich in dieser Ungewissheit für einen militärischen
insatz zu entscheiden, ist mir nicht möglich. Deshalb
ann ich dem Antrag nicht zustimmen.
Jürgen Koppelin (FDP): Dem Antrag der Bundes-
egierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter
eutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemein-
amen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die
SA stimme ich nicht zu.
Ich befürworte sehr wohl den Einsatz auch bewaffne-
er Kräfte gegen den Terrorismus. Der vorgelegte Antrag
st kein „ehrlicher Antrag“, denn für das erforderliche
andat würden weit weniger Soldaten als im Antrag
usgewiesen ausreichen. Die Bundesregierung geht je-
och weit darüber hinaus. Durch den Mandatsantrag
ird der Parlamentsvorbehalt unterlaufen. Dieser Antrag
er Bundesregierung ist ein „Blanko-Scheck“ für den
insatz der Bundwehr in einem riesigen potenziellen
insatzgebiet, ohne dass das Parlament weiter befasst
erden müsste.
Lydia Westrich (SPD): Ich stimme einer weiteren
erlängerung des Mandates der Operation Enduring Free-
om, OEF, nicht zu. Diese Operation war die konsequente
nd richtige Antwort auf die schrecklichen Ereignisse des
1. September 2001 und hatte die Zielsetzung, „Führungs-
nd Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszu-
chalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen
nd vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der
nterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“
Bundestagsdrucksache 14/7296, 7. November 2001)
Als völkerrechtliche Grundlage diente dabei vor al-
em das Recht zur individuellen und kollektiven Selbst-
erteidigung nach Art. 51 der UN-Charta. Nach Art. 51
er UN-Charta darf dieses Selbstverteidigungsrecht aber
ur so lange dauern, „bis der Sicherheitsrat die zur Wah-
ung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
rforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Zwar hat das
undesverfassungsgericht in seiner Tornado-Entschei-
ung zur Völkerrechtskonformität des OEF-Einsatzes
usgeführt, dass „der Sicherheitsrat der Vereinten Natio-
en in seiner Resolution 1368 (2001) vom 12. Septem-
er 2001 das Recht der Vereinigten Staaten zur individu-
llen und kollektiven Selbstverteidigung ausdrücklich
nerkannt und diese Resolution immer wieder bekräf-
igt“ hat, „auch in der Resolution 1707 (2006) vom
2. September 2006 betreffend das jüngste ISAF-Man-
at.“ Allerdings habe ich doch starke Bedenken, ob das
elbstverteidigungsrecht, welches ja ohne UN-Mandat
ngewendet werden kann, tatsächlich sechs Jahre anhal-
en darf.
Dies gilt umso mehr, als dass es bereits eine von der
N mandatierte und von der NATO geführte Internatio-
ale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, gibt, deren
insatzgebiet im Oktober 2006 auf ganz Afghanistan
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13231
(A) )
(B) )
ausgedehnt wurde. Durch die Erweiterung des Einsatz-
raumes ist die ISAF in die Lage versetzt worden, alle mi-
litärischen Aufgaben abzudecken – eine Tatsache, die
auch dem politischen Willen der beteiligten Staaten ent-
spricht.
Folglich bestehen die OEF und die ISAF nebeneinan-
der. Der maßgebliche Unterschied ist jedoch, dass wir
mit der Zustimmung zur OEF Verantwortung für eine
US-geführte Operation übernehmen, auf die wir – im
Gegensatz zur ISAF – keinen Einfluss haben. Damit ein-
her geht ein Mangel an Transparenz: Zwar wird von US-
amerikanischer Seite immer betont, dass keine zivilen
Opfer zu beklagen sind – eigene Kenntnisse hierüber ha-
ben wir allerdings nicht.
Deshalb halte ich es für angebracht, dass wir uns auf
unser ISAF-Engagement konzentrieren und uns dafür
einsetzen, die OEF in die ISAF einzugliedern. Dies gilt
umso mehr, als sich das derzeitige deutsche Engagement
im Rahmen der OEF auf den Einsatz am Horn von
Afrika beschränkt, da das Kommando Spezialkräfte seit
Oktober 2005 wohl nicht mehr in Afghanistan stationiert
ist. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch über
eine eigenständige Mandatierung des Einsatzes am Horn
von Afrika nachzudenken.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim)
und Wolfgang Spanier (beide SPD) zur nament-
lichen Abstimmung über den Antrag: Fortset-
zung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemein-
samen Reaktion auf terroristische Angriffe
gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der
Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5
des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutio-
nen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicher-
heitsrats der Vereinten Nationen (Tagesord-
nungspunkt 6 a)
Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung die Kritik
an der Mandatsumsetzung im Hinblick auf die vielen
zivilen Opfer, die der Kampf für die „Operation dauer-
hafte Freiheit“ kostet, ernst nimmt und dies in ihre Ein-
satzauflagen einbezieht.
Ebenso unterstütze ich ausdrücklich, dass die Bundes-
regierung in ihrem Afghanistankonzept und in dem oben
genannten Antrag berücksichtigt, dass die Entstehung
von Terrorismus auch durch die sozialen und ökonomi-
schen Umstände begünstigt wird und deshalb die militä-
rische Option der Bekämpfung nur eine von vielen sein
kann. Im Sinne der Nachhaltigkeit mindestens genauso
wichtig ist deshalb die Bekämpfung der existenziellen
Not und der Defizite in der Sicherheit im täglichen Le-
ben und der menschenrechtlichen Situation in Afghanis-
tan.
Mit unserem Engagement in Afghanistan haben wir
uns selbst in die Verantwortung genommen, in Afghanis-
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an gemeinsam mit den Afghaninnen und der internatio-
alen Gemeinschaft ein funktionierendes, demokrati-
ches Staatswesen zu etablieren und daran zu arbeiten,
ass Afghanistan in der Zukunft in der Lage ist, die Be-
ürfnisse der afghanischen Bevölkerung selbst zu si-
hern. Dies ist ein langwieriger Prozess und bisher nicht
rei von Enttäuschungen und Rückschlägen: In vielen
egionen leben die Menschen weiterhin in absoluter Ar-
ut, die Sicherheitssituation und der Menschenrechts-
tandard sind weiterhin in vielen Landesteilen prekär.
Dennoch muss man feststellen: Die Bundesregierung
nd die deutschen Hilfsorganisationen haben in Afgha-
istan in den letzten sechs Jahren in den Bereichen, in
enen sie gemäß der internationalen Aufgabenteilung
uständig waren und zum Teil weit darüber hinaus, gute
rbeit geleistet. Der ISAF-Einsatz, welchen der Deut-
che Bundestag vor kurzem verlängert hat, ist ein not-
endiger und nützlicher Beitrag zur Sicherheit beim
iederaufbau des Landes.
Es gibt jedoch aus meiner Sicht eine Reihe von Kri-
ikpunkten an der Mandatsverlängerung für OEF.
Ich zweifle daran, dass der NATO-Bündnisfall, auf
em der Einsatz beruht, noch gegeben ist. Ich bin über-
eugt, dass hier nach sechs Jahren eine neuerliche Prü-
ung der Einsatzgrundlagen erforderlich ist.
Darüber hinaus ist die Prüfung der Verfassungs- und
ölkerrechtlichkeit des OEF-Einsatzes in Afghanistan in
ielen Gesprächen von Bundestagsabgeordneten immer
ieder an die Bundesregierung herangetragen worden,
hne dass dies seinen Niederschlag in dem heute vorlie-
enden Beschlussvorschlag gefunden hätte. Ich plädiere
eshalb für eine Überprüfung der internationalen und na-
ionalen rechtlichen Einhegung des Engagements.
Dazu kommt, dass nach Auskunft der Bundesregie-
ung das deutsche KSK-Kontingent in Afghanistan seit
005 nicht mehr abgerufen wurde. Hier stellt sich die
rage, ob die finanziellen Mittel für den OEF-Einsatz in
fghanistan nicht sinnvoller in anderen Bereichen ein-
esetzt werden könnten. Da nach der Einschätzung nam-
after Beobachter nämlich nur ein geringer Teil der Tali-
an-Kämpfer ideologisch motiviert ist und sich in den
eihen der Taliban viele der im Krieg sozialisierten Ge-
egenheitskämpfer finden, die mit dem Kampf den Le-
ensunterhalt für sich und ihre Familie verdienen, muss
an – um den Sumpf, in dem Terrorismus wächst, aus-
utrocknen – diesen Menschen eine Perspektive in einer
riedlichen Gesellschaft bieten. Dazu bedarf es über die
etzt bereits geplante Erhöhung hinaus einer weiteren
assiven Ausweitung des Entwicklungshilfeetats, der
m Vergleich zu dem Mitteleinsatz im militärischen Be-
eich immer noch deutlich schlechter gestellt ist.
Weiterhin kritisiere ich – trotz der im Beschlussvor-
chlag angesprochenen Einsatzauflagen – die mangelnde
ransparenz des Einsatzes der OEF-Truppen. Die Ein-
ätze der Bundeswehr müssen im Parlament beschlossen
erden. Grundlage dieser Beschlüsse ist gewöhnlich
ine Offenlegung der Arbeit der Soldaten, welche mög-
ichst allen Abgeordneten zugänglich sein sollte. Über
ie Arbeit von OEF wird jedoch in den Medien sehr se-
13232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
lektiv, wenig objektiv und häufig nur im Zusammenhang
mit so genannten „Kollateralschäden“, „zivilen Opfern“
und der offensichtlich fehlenden Sensibilität gegenüber
der afghanischen Kultur berichtet. Ich möchte nicht, dass
deutsche Soldaten damit in Zusammenhang gebracht
werden.
Das OEF-Mandat in Afghanistan ist ein wichtiger Be-
standteil des gesamten deutschen Engagements im Rah-
men von OEF. Dazu kommt, dass im Falle eines eventu-
ellen Angriffs der USA auf den Iran – wie ihn Präsident
Bush ins Auge gefasst hat – das deutsche OEF-Kontin-
gent am Horn von Afrika wenig Möglichkeiten hätte,
sich dieser kriegerischen Auseinandersetzung zu entzie-
hen. Wir wären mitten drin.
Ich lehne daher aus den oben angeführten Gründen
die Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte im Rahmen von OEF ab.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Lale Akgün und Renate
Gradistanac (beide SPD) zur namentlichen Ab-
stimmung über den Antrag: Fortsetzung des
Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei
der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Verein-
ten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantik-
vertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001)
und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Verein-
ten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a)
Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung
in ihrem Afghanistan-Konzept und in dem oben genann-
ten Antrag berücksichtigt, dass die Entstehung von Ter-
rorismus auch durch soziale und ökonomische Umstände
begünstigt wird und deshalb die militärische Option der
Bekämpfung nur als einen Teilaspekt von mehreren an-
sieht. Mindestens genauso wichtig ist, das Engagement
für die Beseitigung der existenziellen Not und der Defi-
zite in der Sicherheit im täglichen Leben zu verstärken.
Besonders dieser, aber auch folgende weitere Aspekte
haben mich letztlich jedoch dazu bewogen, der Fortset-
zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im
Rahmen der OEF nicht zuzustimmen, da ich das Primat
des Zivilen vor dem Militärischen in der Gesamtbetrach-
tung des Einsatzes nicht gegeben sehe.
Erstens. Die Bundesregierung und die deutschen
Hilfsorganisationen haben in Afghanistan in den letzten
sechs Jahren in den Bereichen, in denen sie gemäß der
internationalen Aufgabenteilung zuständig waren und
zum Teil weit darüber hinaus, viel Positives bewirkt. Der
zivile ISAF-Einsatz, welchen der Deutsche Bundestag
vor kurzem verlängert hat, ist ein notwendiger und nütz-
licher Beitrag zur Sicherheit beim Wiederaufbau des
Landes.
Der OEF-Einsatz ist jedoch kein ziviler, sondern ein
massiv militärischer. Er forderte bereits viele zivile Op-
fer. Diese sind nicht nur aus humanitären Gründen un-
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erantwortlich, sie haben auch sehr negative Auswirkun-
en auf den Erfolg des zivilen ISAF-Einsatzes in
fghanistan. Obwohl zurzeit im Rahmen von OEF keine
eutschen Soldaten in Afghanistan tätig sind, macht die
rundsätzliche Beteiligung Deutschlands an der OEF die
nterscheidbarkeit der zivilen Aufbauarbeit der Bundes-
ehr im Rahmen von ISAF immer weniger unterscheid-
ar von den militärischen Aktivitäten und damit weniger
laubwürdig.
Zweitens. Ich zweifle daran, dass der NATO-Bünd-
isfall, auf dem der Einsatz beruht, noch gegeben ist. Ich
in überzeugt, dass hier nach sechs Jahren eine neuerli-
he Prüfung der Einsatzgrundlagen erforderlich ist.
Drittens. Die Prüfung der Verfassungs- und Völker-
echtlichkeit des OEF-Einsatzes in Afghanistan ist in
ielen Gesprächen von Bundestagsabgeordneten immer
ieder an die Bundesregierung herangetragen worden,
hne dass dies seinen Niederschlag in dem heute vorlie-
enden Beschlussvorschlag gefunden hätte.
Viertens. Weiterhin kritisiere ich – trotz der im Be-
chlussvorschlag angesprochenen Einsatzauflagen – die
angelnde Transparenz des Einsatzes der OEF-Truppen.
ie Einsätze der Bundeswehr müssen im Parlament be-
chlossen werden. Grundlage dieser Beschlüsse ist ge-
öhnlich eine Offenlegung der Arbeit der Soldaten, wel-
he möglichst allen Abgeordneten zugänglich sein
ollte. Über die Arbeit von OEF wird jedoch in den Me-
ien sehr selektiv, wenig objektiv und häufig nur im Zu-
ammenhang mit sogenannten Kollateralschäden, „zivi-
en Opfern“ und der offensichtlich fehlenden Sensibilität
egenüber der afghanischen Kultur berichtet. Ich möchte
icht, dass deutsche Soldaten damit in Zusammenhang
ebracht werden.
Fünftens. Das OEF-Mandat in Afghanistan ist ein
ichtiger Bestandteil des gesamten deutschen Engage-
ents im Rahmen von OEF. Zu diesem zählen auch die
eutschen OEF-Truppen am Horn von Afrika. Im Falle
eiterer militärischer Auseinandersetzungen in der Re-
ion – zum Beispiel bei einem US-Angriff auf den Iran –
ürfte es schwierig bis unmöglich werden, die dort sta-
ionierten deutschen Truppen aus dem Einsatz herauszu-
alten, zumal, wie oben beschrieben, der NATO-Bünd-
isfall noch immer Grundlage des OEF-Einsatzes ist.
ine aktive oder passive Involvierung deutscher Trup-
en in weitere Konflikte im Nahen und Mittleren Osten
st aber in jedem Fall zu vermeiden. Sie ist bei einer un-
eränderten Beteiligung Deutschlands am OEF-Einsatz
ber nicht mit ausreichender Sicherheit zu verhindern.
Ich lehne daher aus den oben angeführten Gründen
ie Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
treitkräfte im Rahmen von OEF ab.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg),
Gabriele Hiller-Ohm, Christian Kleiminger,
Jürgen Kucharczyk, Christine Lambrecht,
Waltraud Lehn, Dirk Manzewski, Lothar
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13233
(A) )
(B) )
Mark, Hilde Mattheis, und Dr. Rainer Tabillion
(alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über
den Antrag: Fortsetzung des Einsatzes bewaff-
neter deutscher Streitkräfte bei der Unterstüt-
zung der gemeinsamen Reaktion auf terroristi-
sche Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und
des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der
Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tages-
ordnungspunkt 6 a)
Der Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Re-
aktionen auf terroristische Angriffe gegen die USA
werde ich (Operation Enduring Freedom) nicht zustim-
men.
Trotz aller Bedenken schicke ich voraus, dass seit
2001, seit dem ersten Eingreifen der internationalen Ge-
meinschaft, in Afghanistan einige positive Veränderun-
gen zu erkennen sind. Im Bereich von Familie (Stich-
wort selbstbestimmtes Leben von Frauen), Bildung,
Schule und Hochschule hat sich einiges zum Positiven
verändert.
Seit einiger Zeit nehmen aber Gewalt, Armut und
Hoffnungslosigkeit wieder zu. Die humanitäre Situation
der Bevölkerung hat sich seit 2006 wieder deutlich ver-
schlechtert. „Nahrungsmittelunsicherheiten, chronische
Mangelernährung, mangelhafter Zugang zu Trinkwasser
und fehlende medizinische Versorgung beherrschen den
Alltag der Zivilbevölkerung.“ Außerdem behindert Kor-
ruption die Arbeit der deutschen Einheiten. Die Situation
für deutsche Soldaten in Afghanistan wird durch diese
Verhältnisse vor Ort immer komplizierter und unsiche-
rer. Es ist zu erkennen, dass das OEF-Mandat nicht nach-
haltig und nicht zielführend ist. Das Ziel aus dem Jahr
2001, Menschenrechte, Demokratie und Wohlstand in
Afghanistan zu verankern, konnte bis heute nicht er-
reicht werden.
Eine Ablehnung der Mandatsverlängerung bedeutet
nicht, dass das Ziel nicht mehr erreicht werden soll, ganz
im Gegenteil. Es müssen andere Wege gefunden werden
das Ziel zu erreichen, ohne militärische Eingriffe und
ohne Spezialkommandos der deutschen Bundeswehr.
Nach den terroristischen Angriffen auf die USA am
11. September 2001 wurde eine Sonderaktion zur Be-
kämpfung des Terrors ins Leben gerufen doch nun, sechs
Jahre später, ist es nach herrschendem Völkerrecht
schwierig, weiter von einer Sonderaktion zu sprechen.
Die Sicherheitsresolution 1368 (2001) und 1373 (2001)
wird lediglich mit dem Recht auf Selbstverteidigung
nach Art. 51 der UN-Charta anerkannt. Der zunehmende
Abstand zum 11. September 2001 macht es immer
schwieriger, von einem dauernden Angriff zu sprechen.
Der UN-Sicherheitsrat geht zwar von einem fortwähren-
den Recht zur Selbstverteidigung aus, was aber den ur-
sprünglichen Zielen des Mandates widerspricht. Eine so-
genannte „Intervention auf Einladung“ hat meinem
Verständnis nach nichts mit den Zielen aus dem Jahr
2001 gemein. Mit einer solchen Begründung könnten die
deutschen Einheiten von allen Ländern, denn alle Länder
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aben sicherlich das Recht auf Selbstverteidigung, zu je-
er Zeit „eingeladen“ werden.
Mit welcher Begründung sollten weitere „Einladun-
en“ abgelehnt werden?
Mit welcher Begründung sucht Deutschland in Zu-
unft Länder aus, denen „geholfen“ werden soll?
Mit welcher Begründung entscheidet Deutschland
ber das Recht der Selbstverteidigung der Staaten, wenn
n diesem Fall nur das Recht der Selbstverteidigung
reift?
Die Veränderungen seit der Resolution im Jahr 2001
iegen offen. Nach den terroristischen Anschlägen auf
ie Vereinigten Staaten von Amerika wurde die Opera-
ion Enduring Freedom mit dem Recht auf Selbstvertei-
igung, so wie es Art. 51 der UN-Charta ermöglicht, ge-
tartet. Doch im November 2007 findet ein Wechsel der
rgumentation statt. Der UN-Sicherheitsrat bekräftigt
ie OEF-Mandatsverlängerung „mit dem erneuten Aus-
ruck seiner Unterstützung für die internationalen Be-
ühungen zur Ausrottung des Terrorismus (…).“ Diese
ei im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen,
o das BMJ. Damit findet ein Wechsel statt, weg vom ur-
prünglichen Recht der Selbstverteidigung nach einem
ndauernden terroristischen Angriff, hin zur Ausrottung
es internationalen Terrorismus.
Im Falle eines unmittelbar stattfindenden oder dro-
enden Terrorangriffs auf einen Bündnispartners, in die-
em Fall des Angriffs auf die USA am 11. September
001, wurde dem Partner im Ausnahmefall geholfen,
och mit einer weiteren Verlängerung des Mandates (es
äre die sechste Verlängerung) hat es den Anschein,
ass aus dem Ausnahmefall eine Dauerinstanz werden
önnte.
Der Einsatz hat sich in der Zwischenzeit über die
renzen des mittlerweile souveränen Staates Afghanis-
an hinaus ausgebreitet (Mission Creep). Der „Verant-
ortungsbereich des deutschen Einsatzkontingentes und
arine reicht bei der Operation Enduring Freedom vom
oten Meer bis vor die Küste Kenias sowie bis zur
traße von Hormuz und umfasst ein Seegebiet von etwa
er achtfachen Größe Deutschlands.“ So beschreibt die
undeswehr das Einsatzgebiet im Rahmen des OEF-
andates. Es ist nicht festzustellen, in welche Spezial-
ämpfe gegen den Terrorismus die Bundeswehr mit ei-
er Verlängerung des Mandates hineingezogen wird.
Jede(r) Abgeordnete, der der Mandatsverlängerung
eine Zustimmung erteilt, ist mitverantwortlich für Ein-
ätze von deutschen Spezialkräften, hat aber keinerlei
influss auf die Operationen vor Ort.
Jede(r) Abgeordnete ist mit seiner Stimmabgabe mit-
erantwortlich für die vielen zivilen Opfer, die in Spezi-
leinsätzen gegen Terroristen ums Leben kommen. Ne-
en den beiden genannten Mitverantwortlichkeiten der
bgeordneten sollte auch das Wohlergehen und das Le-
en der Soldaten aus den deutschen Einheiten berück-
ichtigt werden.
Jede(r) Abgeordnete ist mitverantwortlich für das Le-
en der deutschen Soldaten. Die in den Gebieten vor-
13234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
herrschenden Bedingungen erschweren nicht nur die Ar-
beit der Spezialeinheiten, den Terror einzudämmen,
sondern die Bedingungen gefährden das Leben aller
deutschen Soldaten in den Regionen der OEF.
Die Genfer Abkommen schreiben den Schutz der Op-
fer bei internationalen bewaffneten Konflikten vor, die
Zivilbevölkerung soll vor militärischen Handlungen ge-
schützt werden. Bei einer Verlängerung des OEF-Man-
dates wird die Zivilbevölkerung weiteren militärischen
Spezialkämpfen ausgesetzt. Durch Bombenhagel wäh-
rend der alliierten Spezialeinsätze zur Terrorbekämpfung
kommen immer wieder unschuldige Zivilisten ums Le-
ben. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
an der Seite der USA darf nicht vor der Einhaltung der
Menschenrechte stehen.
Auch die fortgesetzte Bedrohung durch internationale
Terroristen begründet keinen weiteren militärischen Ein-
satz, bei dem Zivilisten verletzt werden oder ums Leben
kommen. Mit der Ablehnung der aktiven Bekämpfung
werden zivile Opfer weitgehend geschützt.
Die Länder Japan, Italien und weitere andere haben
das OEF-Mandat auch nicht verlängert. Es ist natürlich
kein Grund, den genannten Ländern nachzueifern, aber
die Regierungen und Parlamente dieser Länder haben ih-
ren Austritt aus der Operation Enduring Freedom ähn-
lich begründet.
Anlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Entwurf eines Drit-
ten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 15 a)
Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Am Donnerstag, den
15. November werde ich mich bei dem von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei-
nes Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch, Drucksache 16/6774, der Stimme ent-
halten.
Nach dem Gesetzentwurf will sich der Bund im kom-
menden Jahr mit rund 3,9 Milliarden Euro an den Unter-
kunftskosten von Empfängern des Arbeitslosengeldes II
beteiligen. Dazu wird die Gesamtbeteiligungsquote auf
durchschnittlich 29,1 Prozent der Leistungen der kom-
munalen Träger für Unterkunft für das Jahr 2008 festge-
legt. Erstmals ist die Veränderung der Anzahl der Alg-II-
Bedarfsgemeinschaften ausschlaggebend für die Anpas-
sung der Bundesbeteiligung.
Problematisch ist, dass zwar die Zahl der Bedarfsge-
meinschaften sinkt, aber die Kosten und damit der Fehlbe-
trag pro Bedarfsgemeinschaft steigen. Demnach würde
die Gesetzesänderung eine Absenkung der Bundesbeteili-
gung zum Beispiel in Sachsen von 31,2 auf 28,6 Prozent
bedeuten, was einem Einnahmeausfall für die sächsischen
Landkreise von rund 14 Milliarden Euro entsprechen
würde. Diese Problemlage gilt es anzuerkennen.
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Allerdings ist das Ausmaß der Betroffenheit der
ommunen aufgrund bisher nur geschätzter Daten
icht mit Sicherheit abzusehen. So kommt es nach Be-
echnungen der Bundesregierung auch zu finanziellen
ntlastungen in verschiedenen sächsischen Regionen.
ieser Argumentation folgend müssten Fehlbeträge im
ahmen des sächsischen Finanzausgleichs berücksich-
igt werden.
Insgesamt sehe ich mich aufgrund der unsicheren Da-
enlage nicht in der Lage, diesen Sachverhalt abschlie-
end zu bewerten, und ich enthalte mich daher der
timme.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Dem Entwurf eines
. Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge-
etzbuch, welches die Bundesbeteiligung an den Leis-
ungen der Kommunalen Träger für Unterkunft und Hei-
ung (KdU) zurückführt, kann ich nicht zustimmen.
Die Bundesregierung begründet diese Rückführung
it dem Rückgang der Zahl der Bedarfsgemeinschaften
m 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr; die alleinige Be-
essungsgrundlage „Entwicklung der Bedarfsgemein-
chaften“ sei in § 46 Abs. 7 SGB II normiert. Diesem
ückgang der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften um
,7 Prozent steht jedoch eine tatsächliche Steigerung der
ommunalen Ausgaben für die Kosten der Unterkunft
nd Heizung um rund 8,4 Prozent gegenüber, da insbe-
ondere die Energiekosten stark angestiegen sind und
ußerdem Jugendliche unter 25 Jahren seit 1. Juli 2006
eine eigene Bedarfsgemeinschaft mehr bilden können
nd jetzt größtenteils Teil der elterlichen Bedarfsge-
einschaft sind.
So liegen beispielsweise im Landkreis Delitzsch die
ommunalen Ausgaben für die Kosten der Unterkunft
nd Heizung zum 30. September 2007 bereits um
,6 Millionen Euro über den Kosten zum Vorjahreszeit-
aum. Im Landkreis Torgau-Oschatz sind sie um 8,4 Pro-
ent gestiegen. Auch im Landkreis Riesa-Großenhain
ind sie um 8,4 Prozent gestiegen. Alle diese drei von
ir im Deutschen Bundestag vertretenen Landkreise ha-
en daher erhebliche Mehrkosten zu bewältigen, und die
urückgehende Bundesbeteiligung wird bei ihnen eine
rhebliche Finanzierungslücke reißen.
Hieraus ergibt sich, dass die seinerzeit bei Verabschie-
ung der Anpassungsformel des § 46 Abs. 7 SGB II an-
enommene Korrelation zwischen der Entwicklung der
ahl der Bedarfsgemeinschaften und der Entwicklung
er Kosten der Unterkunft und Heizung nicht eingetreten
st und daher die beabsichtigte Wirkung verfehlt wird.
ine faire Anpassungsformel muss sich an der Entwick-
ung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Hei-
ung orientieren und nicht allein an der Entwicklung der
nzahl der Bedarfsgemeinschaften.
nlage 7
Erklärung
des Abgeordneten Johannes Röring (CDU/CSU)
zur namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zu dem Antrag: Beteiligung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13235
(A) )
(B) )
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/
UN-Hybrid-Operation in Darfur – UNAMID –
auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
31. Juli 2007 (Tagesordnungspunkt 7 b)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
Mein Votum lautet „Ja“.
Anlage 8
Erklärung
des Abgeordneten Erich G. Fritz (CDU/CSU)
zur namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zu dem Antrag: Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/
UN-Hybrid-Operation in Darfur – UNAMID –
auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
31. Juli 2007 (Tagesordnungspunkt 7 b)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
Mein Votum lautet „Ja“.
Anlage 9
Erklärung
des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen)
(CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag:
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur
– UNAMID – auf Grundlage der Resolution
1769 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 31. Juli 2007 (Tagesordnungs-
punkt 7 b)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
Mein Votum lautet „Ja“.
Anlage 10
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin (DIE
LINKE) zur Abstimmung über den Antrag:
Einmarsch der Türkei in den Irak verhindern
(Tagesordnungspunkt 14)
Im Gegensatz zu meiner Fraktion stimme ich gegen
den Antrag, weil ich ihn für nicht ausgewogen halte.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die elektromagnetische Verträglichkeit von Be-
triebsmitteln (EMVG) (Tagesordnungspunkt 17)
Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Ich freue mich
sehr, dass wir heute das Gesetz über die elektromagneti-
sche Verträglichkeit von Betriebsmitteln verabschieden.
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Der Titel ist sperrig und lässt nicht erahnen, dass hier
icht nur eine der wichtigsten Fragen innerhalb der EU,
ie Warenfreiheit, berührt wird, sondern auch eine der
rundlagen des friedlichen Miteinander in unserem
and: die elektromagnetische Verträglichkeit von elek-
rischen Geräten, die man komplett im Laden kaufen
ann. Das Gesetz soll einen funktionierenden Gemein-
chaftsmarkt dadurch gewährleisten, dass ein angemes-
enes Niveau der elektromagnetischen Verträglichkeit
estgelegt wird.
Ein Gerät, das auf Zypern verkauft werden darf, muss
hne weitere Prüfung und bürokratische Hemmnisse
uch in Deutschland vertrieben werden können. Ge-
einsamer Markt ist die Absage an nationalen Protektio-
ismus und an nichttarifäre Handelshemmnisse. Gerade
ür eine Exportnation wie die Bundesrepublik Deutsch-
and ist die Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Mark-
es essenziell.
Für die Menschen in unserem Land hat dies die posi-
ive Folge, dass sie Ihren Fön, ihre Mikrowelle, ihren
ernseher betreiben können, ohne den Nachbarn durch
lektromagnetische Störungen beim reibungslosen Be-
rieb seiner Geräte zu stören.
Nun endlich haben wir die Richtlinie 2004/108/EG
er Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt
nd so die dringend benötigte Rechtssicherheit – insbe-
ondere für kleine und mittlere Unternehmen – geschaf-
en. Dabei wurden neue Erkenntnisse berücksichtigt, Be-
riffe definiert und Verwaltungsverfahren gestrafft.
Außerdem haben wir einen Handlungsrahmen für die
undesnetzagentur zur Ausführung des Gesetzes im
ahmen der Störungsbeseitigung, die allein in national-
taatlicher Verantwortung erfolgt, gesetzt. Dabei galt für
ns die Maxime, dass nur eine Behörde, die mit klar um-
issenen Befugnissen ausgerüstet ist, ihrem Auftrag, die
lektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln
u gewährleisten und Störungen so effektiv wie möglich
u beseitigen, erfüllen kann. Ich bin voller Zuversicht,
ass die Bundesnetzagentur die ihr eingeräumten Befug-
isse mit der bekannten Professionalität nutzen wird. Sie
ird dabei auf ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz
ufbauen und ihn weiter mehren können.
Besonders wichtig ist dies für die Fälle, in denen Ge-
äte Sicherheitsfunk gefährden, zum Beispiel den Poli-
eifunk oder den Funkverkehr zwischen Verkehrsflug-
eug und Tower stören. In solchen Fällen muss die
undesnetzagentur im Interesse der Sicherheit der All-
emeinheit einschreiten können und dürfen.
Hier haben wir im Einklang mit dem europäischen
esetzgeber klargestellt, dass überragend wichtige Inte-
essen der Allgemeinheit Vorrang haben – aber auch nur
iese! Gerade als Exportnation können wir kein Inte-
esse an nichttarifären Handelshemmnissen haben.
Bitte gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang
och einen Hinweis auf die Situation des Amateurfunks.
ie Amateurfunker wollen zu Recht gesetzlich nicht
chlechter gestellt werden als bisher. Wir erkennen die
esellschaftliche Bedeutung der Amateurfunker an.
13236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Deshalb haben wir durch eine redaktionelle Änderung
im Gesetzestext klargestellt, dass die Rechtsstellung der
Amateurfunker sich nach der Novelle nicht verschlech-
tern wird. Der Status quo bleibt für die Amateurfunker
richtigerweise erhalten.
Wir verabschieden heute ein gutes Gesetz und tragen
zur Stärkung des EU-Binnenmarktes bei!
Martin Dörmann (SPD): Wir verabschieden heute
die Novellierung des Gesetzes über die elektromagneti-
sche Verträglichkeit von Betriebsmitteln, kurz EMVG
genannt.
Was verbirgt sich hinter dem sperrigen Titel?
Das EMVG regelt den Schutz der Funk- und Tele-
kommunikationsdienste sowie des Betriebes elektrischer
Geräte untereinander vor elektromagnetischen Störun-
gen. Zugleich geht es aber auch um den freien Verkehr
und Wettbewerb elektrischer Geräte auf dem europäi-
schen Binnenmarkt. Mit diesem Ziel setzt das neue
EMVG eine entsprechende Richtlinie der EU um. Diese
will Rechtssicherheit für alle Marktbeteiligten und ein
harmonisiertes und angemessenes Schutzniveau für alle
Betriebsmittel erreichen. Apparate, Anlagen und Sys-
teme sollen nicht durch elektromagnetische Phänomene
beeinträchtigt werden.
Im Prinzip verfolgte auch das bislang geltende
EMVG diese Zielsetzungen. Das Gesetz wird nunmehr
aufgrund der europäischen Vorgaben weiter verbessert
und konkretisiert. Hierbei sind insbesondere auch die Er-
fahrungen der Bundesnetzagentur berücksichtigt wor-
den, die für die Störungsermittlung und Störungsbeseiti-
gung als Behörde zuständig ist.
Worum geht es? Es soll verhindert werden, dass beim
Betrieb elektrischer oder elektronischer Geräte andere
Geräte bzw. Funk- und Telekommunikationsanlagen in
ihrer Funktion gestört werden. Dafür müssen sie unterei-
nander elektromagnetisch verträglich sein. Prinzipiell
lässt sich dieses Ziel auf zwei Arten erreichen. Einerseits
kann man die Störaussendungen des einen Gerätes be-
grenzen. Andererseits ist es aber auch möglich, das an-
dere Gerät bereits so störfest zu konzipieren, dass es in
seiner Funktion nicht gestört werden kann. Das EMVG
ist letztlich eine Kombination beider Lösungen.
Mit dem neuen EMVG stärken wir die Interessen der
Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Unterneh-
men durch klare Schutzvorschriften. Dies betrifft übri-
gens auch datenschutzrechtliche Gesichtspunkte. So ist
in dem Gesetz klargestellt, dass die Bundesnetzagentur
bei ihrer Störungsermittlung den Kernbereich privater
Lebensgestaltung beachten muss. Entsprechende Maß-
nahmen sind unverzüglich zu unterbrechen, soweit und
solange tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme
vorliegen, dass ein Gespräch den Kernbereich privater
Lebensgestaltung betrifft. Dennoch erlangte Erkennt-
nisse aus dem Kernbereich dürfen nicht verwertet wer-
den und sind unverzüglich zu löschen.
Es sei jedoch klargestellt, dass die Bundesnetzagentur
ohnehin nicht über die Möglichkeiten verfügt, in Tele-
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ongespräche hineinzuhören. Vielmehr geht es in der Re-
el um offene Kanäle, beispielsweise den Amateurfunk
der Betriebsfunk, bei denen jeder Beteiligte ohnehin
eiß, dass eine unbegrenzte Anzahl von Personen mit-
ören kann. Es geht also beispielsweise um solche Fälle,
ei denen die Bundesnetzagentur ermitteln muss, aus
elcher Quelle eine Störung anderer Betriebsmittel her-
ührt. Das EMVG dient somit an dieser Stelle gerade
uch dem Grundrechtsschutz.
Für die SPD-Bundestagsfraktion war es ein besonde-
es Anliegen, bei der Ausgestaltung des Gesetzes die Be-
ange des Amateurfunks zu berücksichtigen. Durch die
euregelungen sollte vermieden werden, dass eine
chlechterstellung der Amateurfunker erfolgt.
Weltweit nehmen 2 Millionen Menschen am Ama-
eurfunkdienst teil, allein in Deutschland gibt es rund
0 000 Funkamateure. Der Amateurfunk und der See-
unk haben eine lange Tradition. Ihr Schutz ist in inter-
ationalen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland
eregelt.
Uns war wichtig, angestammte Nutzungsrechte in
iesen Bereichen nicht zurückzudrängen, sondern das
irken der Amateurfunker zu unterstützen. Der Ama-
eurfunk leistet eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.
unge Menschen werden zur Technik gebracht und ler-
en mit Medien verantwortungsvoll umzugehen. Der
mateurfunk ist daher geeignet, der allgemeinen Tech-
ikfeindlichkeit entgegenzutreten.
Es hat sich herausgestellt, dass der ursprüngliche Ge-
etzentwurf der Bundesregierung an einer wichtigen
telle zugunsten der Amateurfunker nachzubessern war.
urch die Neuregelung in § 14 Abs. 6 des EMVG haben
ir sichergestellt, dass die bisherigen Möglichkeiten der
undesnetzagentur, den Amateurfunk zu schützen, er-
alten bleiben. Konkret geht es um die Frage, welche
ösungen es gibt, wenn sich beispielsweise herausstellt,
ass sich ein Fernsehgerät und ein Amateurfunkgerät
urch ihre elektromagnetischen Aussendungen stören.
er ursprüngliche Entwurf sah vor, dass die Bundesnetz-
gentur lediglich bloße Empfehlungen zur Störungsbe-
ebung geben kann, ansonsten jedoch nur auf den Zivil-
echtsweg verweisen konnte. Gerade solche – meist
achbarschaftliche – Gerichtsauseinandersetzungen soll-
en jedoch vermieden werden.
Deshalb ist nun klargestellt, dass die Bundesnetz-
gentur auch weiterhin befugt ist, bei bestehenden oder
orhersehbaren Problemen im Zusammenhang mit der
lektromagnetischen Verträglichkeit die notwendigen
rmittlungs- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen –
elbstverständlich unter Abwägung der Interessen und in
usammenarbeit mit den Beteiligten.
In der Praxis hat sich herausgestellt, dass solche Lö-
ungen meist sehr schnell und ohne großen Kostenauf-
and gefunden werden können, etwa durch das Vor-
chalten von Filtern, die nur wenige Euro kosten. Somit
aben wir hier eine praxisnahe Regelung getroffen, die
inen angemessenen Interessenausgleich ermöglicht und
uch die Amateurfunker schützt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13237
(A) )
(B) )
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten: Mit der
Verabschiedung dieses Gesetzes senden wir ein positives
Signal an Unternehmen, Verbraucherinnen und Verbrau-
cher sowie die Amateurfunker.
Martin Zeil (FDP): Die Europäische Union hat im
Januar 2005 eine überarbeitete Richtlinie über elektro-
magnetische Verträglichkeit von Produkten in Kraft ge-
setzt. Man hat aus den Schwächen der alten Richtlinie
gelernt und möchte sie mit der neu gefassten beheben.
Das ist zu begrüßen.
Vor allem den bürokratischen Aufwand bei der Um-
setzung der Richtlinie will die EU verringern. Das soll
unter anderem erreicht werden, indem die Hersteller von
elektronischen Geräten eine größere Eigenverantwor-
tung übernehmen und selbst darüber entscheiden, ob ihre
Erzeugnisse das Gütesiegel CE verdienen und damit ver-
trieben werden dürfen oder nicht. Auf diese Weise kann
die derzeit noch verbindliche Hinzuziehung einer unab-
hängigen Prüf- und Kontrollstelle künftig entfallen. Da-
durch sollen das Inverkehrbringen neuer Produkte deut-
lich erleichtert und Kosten eingespart werden.
Die Bundesregierung hat der Richtlinie mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf Rechnung getragen, leider
wieder einmal viel zu spät: Ist die Richtlinie bis Jahres-
beginn 2008 nicht in nationales Recht umgesetzt, droht
ein Vertragsverletzungsverfahren. Dadurch wurde unnö-
tiger Druck aufgebaut, denn es gab zum Gesetzentwurf
einigen Diskussions- und Nachbesserungsbedarf, insbe-
sondere für die §§ 13 ff., die die Marktaufsicht innerhalb
des Bundesgebietes regeln, für die die Bundesnetzagen-
tur zuständig ist.
Der Bundesrat, der sich im November 2006 mit dem
Gesetzentwurf befasste, hatte Alarm geschlagen und
Änderungen angemahnt. Besonders monierte er, dass
das Abhören des Inhalts von Aussendungen ermöglicht
werden soll, wenn aufgrund einer Störung bestimmte
Rechtsgüter gefährdet werden, und zwar ohne gesetzli-
che Schutzvorkehrungen wie eine richterliche Anord-
nung.
Auch die vorgesehene Übermittlung von Daten, die
eine Gefahr für hochrangige Schutzgüter vermuten las-
sen, an Strafverfolgungs- oder Polizeibehörden sorgten
im Bundesrat für verfassungsrechtliche Bedenken. Sach-
lich geht es hierbei um die Nutzung von „Zufallsfunden“
für strafverfolgende bzw. präventive Zwecke. De facto
übernimmt die Bundesnetzagentur damit eine Art „Hilfs-
sherifffunktion“. Betrachtet man das im Zusammenhang
mit dem rechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung, erscheint das als durchaus
fragwürdig.
Die Koalition hat aufgrund der Kritik des Bundesrates
am 23. Oktober 2007 einen Änderungsantrag mit zahl-
reichen Nachbesserungen vorgelegt. Damit hat sie, zu-
mindest indirekt, Mängel am Gesetzentwurf eingestan-
den. Bei einem Berichterstattergespräch, das am
5. November stattfand und an dem Vertreter der Koali-
tion, der Opposition, des Bundesjustizministeriums und
der Bundesnetzagentur teilnahmen, wurde deutlich, dass
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er Gesetzentwurf immer noch widersprüchlich ist. Die
oalition hatte deshalb erklärt, dass sie ihren Ände-
ungsantrag noch einmal überarbeiten würde.
Die inzwischen vorgenommenen Korrekturen sind al-
erdings gering und haben bestehende rechtspolitische
edenken nicht völlig ausräumen können. So hat die
undesnetzagentur nach wie vor ohne Richtervorbehalt
ie Befugnis – § 14 Abs. 7 –, „sich Kenntnis von dem
nhalt und den näheren Umständen der Telekommunika-
ion zu verschaffen“. Ein solcher Richtervorbehalt würde
llerdings die Arbeit der Bundesnetzagentur in weiten
eilen unmöglich machen. Der Wunsch nach dem Rich-
ervorbehalt relativiert sich auch vor dem Hintergrund
er Unterschiede zwischen der Störungsbeseitigung
ach dem EMVG und der strafprozessualen Telekom-
unikationsüberwachung. Während letztere auf das ge-
ielte Abhören von Kommunikation ausgerichtet ist, ist
ie Kommunikation bei der Störungsbeseitigung nach
em EMGV allenfalls ein Nebeneffekt.
Auch der Widerspruch zwischen den Absätzen 7 und 8
es § 14 ist ungelöst und wird sich wohl auch nicht lösen
assen: In ersterem heißt es, dass die Aufzeichnung des
nhalts von Gesprächen unzulässig ist, in letzterem steht,
ass die erlangten Erkenntnisse unverzüglich zu löschen
ind. Wieso muss man löschen, was nicht aufgezeichnet
erden darf?
Die Antwort auf diesen Widerspruch ergibt sich aus
er Praxis: Bei der Überwachung von Frequenzen zur
rmittlung einer Störung kann es sich um allgemeine
aten, bloße Geräusche oder um Kommunikation han-
eln. Ist erkennbar, dass Kommunikation vorliegt, darf
icht aufgezeichnet werden. Wenn bei der anschließen-
en Filterung der Signale nachträglich festgestellt wird,
ass es sich dabei doch um Kommunikation handelt,
üssen die Aufnahmen sofort gelöscht werden.
Es musste eine gesetzliche Regelung gefunden
erden, die die Arbeit der Bundesnetzagentur nicht
nmöglich macht. Es besteht ohne Frage ein gesamtge-
ellschaftliches Interesse daran, dass die Störungsbeseiti-
ung auch zukünftig effektiv erfolgen kann. Eine praxis-
ahe Arbeitsgrundlage für die Bundesnetzagentur zu
chaffen und gleichzeitig der „reinen Lehre“ in Bezug
uf die Normenklarheit Rechnung zu tragen, ist dem
esetzentwurf nicht gelungen.
Seitens der FDP-Bundestagsfraktion bleibt daher ein
nbehagen bezüglich möglichen Datenmissbrauchs be-
tehen. Unser Votum zu dem Gesetzentwurf lautet aus
iesem Grund: Enthaltung.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Wenn der vor-
iegende Gesetzentwurf in Kraft tritt, benötigen die
echniker der Netzagentur zukünftig eine umfangreiche
uristische Zusatzausbildung. Durch § 14 EMVG werden
iese Mitarbeiter zu Hilfspolizisten gemacht, die nicht
ur Telefongespräche abhören dürfen, sondern auch rele-
ante Daten an die Ermittlungsbehörden weiterleiten
ollen. Durch dieses Gesetz werden in einer Nacht-und-
ebel-Aktion Grundrechtseingriffe legalisiert, die nicht
u dulden sind.
13238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Sicherlich: Die Koalitionsfraktionen haben Schran-
ken für die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses ein-
gebaut. Es fragt sich nur, woher die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter wissen sollen, was sie dürfen und was
nicht. Im Wirtschaftsausschuss wurde uns vom Justiz-
ministerium gesagt, diese Frage sei klar geregelt, denn in
§ 14 Abs. 8 steht, ich zitiere:
Eine Maßnahme nach Absatz 7 ist unverzüglich zu
unterbrechen, soweit und solange tatsächliche An-
haltspunkte für die Annahme vorliegen, dass das
Gespräch den Kernbereich privater Lebensgestal-
tung betrifft.
Ich kann nur hoffen, dass die Techniker der Bundes-
netzagentur in Zukunft mit dem Gesetzbuch und einem
Grundgesetzkommentar unterm Arm zur Arbeit gehen.
Denn die Regelungen im vorliegenden Entwurf sind al-
les andere als klar.
Zudem sind die Eingriffsmöglichkeiten zu weitrei-
chend: Wir brauchten zumindest einen durchgehenden
Richtervorbehalt – nicht erst bei der Weitergabe erhobe-
ner Daten. Auch müsste der Eingriff in das Fernmelde-
geheimnis zumindest auf den Fall einer Gefährdung be-
sonders hoher Rechtsgüter – namentlich von Leib,
Leben oder Freiheit einer Person – beschränkt bleiben.
Jetzt sagen SPD und Union, man solle sich nicht so
aufregen; es gehe in dem Gesetzentwurf gar nicht um
Abhörmaßnahmen, sondern lediglich um den störungs-
freien Betrieb von Elektrogeräten, vom Föhn bis zum
Radio. Ich frage Sie: Wenn es wirklich nur um die Besei-
tigung von Störungen geht, weshalb ist denn dann die
Weitergabe von Daten an die Polizei im neuen Abs. 9
des Art. 14 vorgesehen, soweit Anhaltspunkte für eine
der in § 100 a StPO aufgelisteten Straftaten vorliegen?
In diesem Paragrafen geht es um schwerste Verbrechen.
Von Funkstörungen durch eine defekte Mikrowelle oder
Ähnlichem ist in § 100 a StPO meines Wissens an keiner
Stelle die Rede. Uns drängt sich die Erkenntnis auf: Mit
dem EMVG sollen Umwege für neue Abhörmaßnahmen
geschaffen werden, die im Bedarfsfall dann zur Verfü-
gung stehen. Dabei wird die Linke nicht mitmachen.
Der EMVG-Entwurf ist eine Schlamperei. Im Aus-
schuss wurde uns vom BMJ und vom Wirtschaftsminis-
terium mitgeteilt, es habe von Anfang an festgestanden,
dass hinsichtlich der Grundrechtseingriffe Änderungen
im Gesetzentwurf gemacht werden müssten. Der ent-
sprechende Änderungsantrag kam aber erst Monate spä-
ter. Was ist denn das für eine Arbeitsweise, bei der die
Bundesregierung Gesetzentwürfe in Umlauf bringt, von
denen sie von Anfang an weiß, dass sie mangelhaft sind?
Und auch ein anderer Fakt zeigt, wie schlampig hier
gearbeitet wurde: Amateurfunker aus ganz Deutschland
haben zu Recht dagegen protestiert, dass die Definition
von elektromagnetischen Störungen als „unerwünschtes
Signal“ im ursprünglichen Gesetzentwurf weggelassen
und dass damit vom Text der EU-Richtlinie abgewichen
wurde. Die Linke hat bereits vor einem Jahr eine Kleine
Anfrage gestellt, in der dieses Problem beleuchtet
wurde. Die Bundesregierung sah aber keinerlei Ände-
rungsbedarf. Jetzt – fast zwölf Monate später – konnten
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ich SPD und Union in ihrem Änderungsantrag doch
och dazu durchringen, den Text der Richtlinie original-
etreu zu übernehmen. Warum nicht gleich so?
Die Linke begrüßt es ausdrücklich, dass die Große
oalition wenigstens in diesem Punkt noch auf die Ama-
eurfunkerinnen und -funker gehört hat. Wegen der
chwerwiegenden Grundrechtseingriffen lehnen wir das
esetz aber ab.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er Gesetzentwurf über die elektromagnetische Verträg-
ichkeit von Betriebsmitteln, EMVG, dient zwar vorder-
ründig nur der Umsetzung einer EU-Richtlinie, umso
nverständlicher finde ich es daher, wie sorglos Sie die
ielen rechtlichen Unklarheiten und Missverständnisse
m Zusammenhang mit diesem Gesetz ignorieren.
Grundsätzlich unterstützen wir ja die Bemühungen
er EU-Kommission, für eine Beseitigung von bürokra-
ischen Hemmnissen zu sorgen. Die Schaffung von
echts- und Planungssicherheit ist gerade im Hinblick
uf den teuren Ausbau der Breitbandkabelnetze für die
eutsche mittelständische Wirtschaft von großer Bedeu-
ung.
Die Kritik der Amateurfunker, das EMVG würde die
U-Richtlinie nicht richtig bzw. nur verkürzt wiederge-
en und wäre eine Gefahr für alle Funkdienste, teilen
ir nicht. In der Richtlinie steht, eine elektromagneti-
che Störung sei „jede elektromagnetische Erschei-
ung, die die Funktion eines Betriebsmittels beein-
rächtigen könnte. Eine elektromagnetische Störung
ann ein elektromagnetisches Rauschen, ein uner-
ünschtes Signal oder eine Veränderung des Ausbrei-
ungsmediums selbst sein.“ Die Bundesregierung lässt
en zweiten Satz mit der Begründung weg, dass auch
ewollte Aussendungen ein unerwünschtes Signal sein
önnten. Wir schließen uns dieser Argumentation an,
nsonsten könnte ja jeder Emittent sich darauf stützen,
r habe das Signal gewollt und deshalb könne es nicht
ls Störung angesehen werden. Bei Betriebsmitteln mit
ehr geringer elektromagnetischer Emission greift oh-
ehin die Privilegierung nach § 2 Nr. 3 des Gesetzent-
urfes.
Die geplanten Befugnisse der Bundesnetzagentur, ins-
esondere das Abhören und die Weitergabe von Daten,
alten wir für einen elementaren Eingriff in den ge-
chützten Privatbereich der Bürgerinnen und Bürger.
ass die Große Koalition nach Protesten ihrer eigenen
echtsleute die Befugnisse der Bundesnetzagentur abge-
chmälert hat, macht die Sache nicht besser.
Es stehen aber immer noch eine Reihe von Unklarhei-
en und Missverständnisse im Gesetzesentwurf: Die
ufzeichnung des Inhalts ist nach dem Gesetzeswortlaut
war unzulässig. Im neuen abgeänderten Gesetzestext
eißt es jedoch „dennoch erlangte Kenntnisse aus dem
ernbereich privater Lebensgestaltung dürfen nicht ver-
ertet werden und sind unverzüglich zu löschen.“ Dies
st doch ein Widerspruch in sich! Wenn die Aufzeich-
ungen unzulässig ist, kann logischerweise auch nichts
elöscht werden, oder?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13239
(A) )
(B) )
Wie sollen denn die Mitarbeiter der Bundesnetzagen-
tur, die zum größten Teil Techniker und keine Juristen
sind, diese juristischen Feinheiten auseinanderhalten
können, wenn noch nicht einmal die Vertreter aus dem
Bundesjustizministerium hier Klarheit schaffen?
Da passt es auch ins Bild, dass Sie es zunächst noch
nicht einmal für nötig gehalten haben, den Rechtsaus-
schuss in die Beratungen zu diesem Gesetzentwurf mit
einzubeziehen. Womöglich hätten wir dann jetzt den Ur-
sprungstext im Gesetzentwurf und müssten nachträglich
mal wieder die Gerichte bemühen. Auf unser Drängen
hin wurden die Rechtsexperten dann doch mit einbezo-
gen und konnten so zumindest das Schlimmste verhin-
dern. Trotzdem brachte das kurzfristig einberufene Be-
richterstattergespräch nicht die notwendige Klarheit. Das
lag vor allem daran, dass Sie Ihre eigenen Leute im
Rechtsausschuss ausgebremst haben. Wir haben dafür
überhaupt kein Verständnis.
Einem Gesetz, das so viele Fragen aufwirft und so
viele Unwegsamkeiten aufweist, können wir nicht zu-
stimmen. Deshalb fordere ich Sie auf: Klären Sie die of-
fenen Fragen und schaffen Sie Klarheit, bevor Sie eine
Richtlinie umsetzen, ohne die Konsequenzen einschät-
zen zu können.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebenen Reden
zur Beratung des Antrags: Bildungspolitische
Katastrophe verhindern – Betreuungsgeld eine
Absage erteilen (Tagesordnungspunkt 16)
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Vor sieben Jahren
wurde ich in den Gemeinderat meiner Heimatgemeinde
gewählt. Eine meiner ersten Initiativen im Gemeinderat
war damals der Antrag, die gemeindeeigenen Kindergär-
ten versuchsweise für unter Dreijährige zu öffnen, mit
dem Ziel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie den
Eltern zu erleichtern. Damals musste ich mich gegen ei-
nen Sturm der Entrüstung zur Wehr setzen.
Mit der gleichen Vehemenz, wie ich mich immer da-
für ausgesprochen habe, Betreuungsplätze für unter
Dreijährige auszubauen, bin ich heute für die Einführung
eines Betreuungsgeldes für diejenigen in unserer Gesell-
schaft, die sich bewusst für eine Betreuung, Erziehung
und Bildung in den ersten drei Jahren zu Hause entschei-
den – weil diese Eltern einen enormen, unschätzbaren
Dienst nicht nur für das Kind, sondern auch für die Ge-
sellschaft leisten.
In dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
können wir sehr viel über die Notwendigkeit von außer-
familiären Betreuungsmöglichkeiten lesen. Dabei kommt
der Eindruck auf, dass hier einige Kollegen doch etwas
neidvoll auf das blicken, was wir in zwei Jahren Großer
Koalition geschafft haben und was – mit Verlaub – sieben
Jahre Rot-Grün nicht geschafft hat. Ich möchte stichwort-
artig nur drei Punkte nennen:
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Die Absetzbarkeit von Betreuungsleistung: Dies ist
in wichtiges Etappenziel bei der finanziellen Unterstüt-
ung von Familien: Wir haben die steuerliche Absetz-
arkeit für den Haushalt als Arbeitgeber und die Kinder-
etreuungskosten deutlich verbessert – erwerbsbedingte
inderbetreuungskosten für alle Familien mit zwei er-
erbstätigen Eltern und mit Kindern unter 14 Jahren
önnen bis zu einem Betrag von 4 000 Euro steuerlich
eltend gemacht werden.
Das Elterngeld: Mit der Einführung des Elterngeldes
rhalten erwerbstätige Eltern einen finanziellen Aus-
leich. Die Personen, die das Kind maßgeblich betreuen,
ekommen im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes
7 Prozent des letzten Nettoeinkommens bis zu einer
öchstgrenze von 1 800 Euro. Damit wird die Lebenssi-
uation der Eltern im ersten Jahr nach der Geburt des
indes verbessert. Die Bilanz elf Monate nach Einfüh-
ung des Elterngeldes ist sehr positiv. Damit wurden un-
ere Erwartungen zum Elterngeld voll erfüllt!
Das Krippenausbauprogramm: In den nächsten Jah-
en werden wir die Betreuungsplätze verdreifachen und
er Bund wird insgesamt 4 Milliarden Euro investieren.
und, Länder und Kommunen werden bis zu 12 Milliar-
en Euro dafür aufwenden.
Damit zeigen wir, dass wir das Thema Betreuung un-
emein wichtig nehmen. Betreuung ist uns etwas wert,
em Bund immerhin 4 Milliarden Euro. Das ist gut so –
ber gerade weil uns Betreuung etwas wert ist, müssen
ir auch die Betreuungsformen, die zu Hause gewähr-
eistet werden, fördern. Denn sehr viele Eltern wollen ihr
ind in den ersten drei Jahren zu Hause erziehen. Das ist
ns wichtig! Weil sie damit eine wichtige gesellschaftli-
he Aufgabe übernehmen: Verantwortung für sich und
hre Kinder. Laut dem Institut für Demoskopie Allens-
ach hält es eine überwiegende Mehrheit der Bevölke-
ung – Männer wie Frauen – wünschenswert, dass eine
utter kleiner Kinder ihre Berufstätigkeit deutlich kürzt
der sogar aufgibt. Nur 20 Prozent halten es für richtig,
ass beide Elternteile ihre volle Berufstätigkeit weiter-
ühren, wohingegen 69 Prozent eine Teilzeit oder kom-
lette Berufspause einlegen möchten. 84 Prozent der El-
ern glauben, ein Kind unter drei Jahren wird am besten
n der Familie betreut. Das ist der Wunsch der Eltern!
eshalb müssen wir auch etwas für diese Eltern tun!
Wir müssen vor allem finanziell etwas tun: Viele El-
ern sind in den ersten Kinderjahren auf finanzielle Un-
erstützung angewiesen. Eines möchte ich auch klarstel-
en: Eltern, die ihre Kinder selbst erziehen, haben bereits
roße Nachteile – sie verzichten beispielsweise auf ein
inkommen und auf Rentenansprüche, um sich für den
eitragszahler von morgen zu kümmern. Deshalb sind
50 Euro für jedes Kind, das zu Hause betreut wird, das
indeste, was wir tun können, um diese Benachteili-
ung auszugleichen! Diese Eltern müssen eine finan-
ielle Anerkennung über das Betreuungsgeld bekom-
en.
Das steht nicht im Widerspruch zu der Erwerbsquote
er Frau. Baden-Württemberg ist das beste Beispiel: Ba-
en-Württemberg hat mit 68 Prozent die höchste Be-
chäftigungsquote von Müttern, schneidet aber bei den
13240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
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Betreuungsplätzen im bundesweiten Vergleich immer als
Schlusslicht ab.
Zum Vergleich: In Großbritannien besuchen 34 Pro-
zent der Kinder unter drei Jahren eine Betreuungsein-
richtung bei einer Erwerbsquote von 63 Prozent, in
Schweden sind es 48 Prozent mit einer Erwerbsquote
von 90 Prozent berufstätiger Mütter mit Kindern im Vor-
schulalter. Das zeigt: Auch bei einer Betreuung in den
ersten drei Monaten zu Hause kann die Frauenerwerbs-
quote nachhaltig in Deutschland erhöht werden.
Wir brauchen zur Steigerung der Frauenerwerbsquote
intelligentere Ansätze. Wir müssen uns verstärkt um den
Wiedereinstieg nach der Babypause kümmern. Wir müs-
sen es dem erziehenden Elternteil ermöglichen, dass er
den Anschluss an seinen Beruf findet. Hier sind auch
verstärkt Teilzeitmodelle gefragt. Aber da sind alle ge-
fordert: die Politik, die Gesellschaft, aber vor allem auch
die Unternehmen. Wir brauchen mehr Initiativen wie
Betriebskindergärten, um den Arbeits- und Betreuungs-
ort so nah wie möglich zueinanderzubekommen. Aber
auch hier geht die Bundesregierung einen erfolgreichen
Weg.
Ich rate jedoch, in der Debatte um die Betreuungs-
frage nicht immer nur an die Sicht der Eltern zu denken
– vielmehr sollten wir aus dem Blickwinkel unserer Kin-
der denken. Das Wichtigste ist, den Kindern einen guten
Start ins Leben zu geben. Da sind wir uns einig: Wir
müssen mehr im Vorschulalter tun und in Bildung inves-
tieren – hier sind wir vor allem in den Kindergartenjah-
ren drei bis sechs gefordert. Da vertraue ich aber auch
den Ländern, die hier schon jetzt einiges tun.
Wie anmaßend muss man sein, wenn man, wie in dem
uns vorliegenden Antrag geschehen, die Betreuung von
Kleinkindern zu Hause beim Vater oder Mutter als „bil-
dungspolitische Katastrophe“ bezeichnet. Das ist ein
Schlag ins Gesicht jener Eltern, die ihr Kind zu Hause
erziehen. Familien sind die Keimzellen, in denen Bil-
dung, Werte, Maßstäbe von einer Generation zur nächs-
ten weitergegeben werden. Wenn nicht in der Familie, ja
wo denn dann? Seien wir doch mal ganz ehrlich: In den
ersten drei Jahren – der so wichtigen ersten Lebensphase –
braucht ein Kleinkind zuerst mal Liebe, Geborgenheit
und Zuneigung. Das sind die wichtigen Faktoren! Auch
hier steht die Frage, wo als in der Familie selbst diese
Geborgenheit und Zuneigung am besten sichergestellt
werden kann?
Jetzt gibt es viele, die sagen: Das Geld kommt nicht
bei den Kindern an! Das Betreuungsgeld wird nicht zum
Kindeswohl eingesetzt. Gerade die „falschen“ Familien
profitieren davon. Genau das Gegenteil ist der Fall: Wir
sollten den Eltern etwas zutrauen! Wir, die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion, halten die Eigenverantwortung je-
des einzelnen Menschen für sehr wichtig. Uns leitet die
Frage, wie ein Staat beschaffen sein muss, der die Frei-
heitsräume des Menschen sichert und ihn in der Wahr-
nehmung seiner Eigenverantwortung stärkt. Diese Ei-
genverantwortung sollten wir den Eltern zugestehen!
Dass gerade die Grünen, wie in ihrem vorliegenden
Antrag geschehen, Familien mit Migrationshintergrund
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icht zutrauen, mit Kindererziehung verantwortungsvoll
mzugehen, ist schon erstaunlich. Wenn wir Integra-
onsprobleme lösen wollen, dann müssen wir das auf an-
erem Wege tun: Wir müssen dafür sorgen, dass in den
amilien mit Migrationshintergrund deutsch gesprochen
ird, damit diese sich auch in das gesellschaftliche Le-
en in Deutschland integrieren können. Das ist doch eine
elbstverständlichkeit!
Ich möchte allerdings nicht leugnen, dass wir Pro-
lemfamilien haben. Weil wir dieses Thema sehr ernst
ehmen müssen, bin ich der Auffassung, dass wir es
uch wagen sollten, staatliche Leistungen an verpflich-
ende Früherkennungsuntersuchungen zu koppeln. Da-
it können wir gewährleisten, dass kein Kind durchs
aster fällt und wir schon früh Problemfälle zielorien-
iert angehen können. Letztlich ist das Betreuungsgeld
ine gesellschaftliche Anerkennung der Lasten, die Müt-
er bei der Kinderbetreuung leisten. Vor kurzem hat mich
ine Frau gefragt: „War es eigentlich nicht richtig, dass
ch mein Kind in den ersten Jahren zu Hause erzogen
abe. Habe ich damit nicht das Beste für mein Kind ge-
eben?“
Die Union wird das nicht zulassen. Wir schätzen jede
utter oder jeden Vater, die oder der sich dafür entschei-
et, seine Kinder zu Hause zu erziehen!
Im Übrigen: Auch in anderen Ländern wird diese Be-
reuung honoriert: In Norwegen und Finnland – ab 2008
uch in Schweden – gibt es bis zum dritten Lebensjahr
in Betreuungsgeld. Auch Frankreich gewährt über das
rste Lebensjahr hinaus finanzielle Hilfe für Eltern, die
icht erwerbstätig sind. Damit sind diese Länder in ihrer
amilienpolitik sehr viel flexibler, was die Förderung
er unterschiedlichen familiären Wünsche hinsichtlich
er Kinderbetreuung angeht!
Sie sehen, meine Damen und Herren der Opposition
nd darüber hinaus, das Betreuungsgeld ist eine gute und
innvolle familienpolitische Notwendigkeit!
Die CDU/CSU-Fraktion will, dass Eltern Betreuungs-
lätze dort wo notwendig in Anspruch nehmen können,
ber nicht müssen. Wir wollen keine Umerziehungspro-
ramme, sondern wirkliche Wahlfreiheit – das ist der
roße Unterschied zu ihren Vorstellungen. Deshalb wol-
en wir neben den bereits bestehenden familienpoliti-
chen Maßnahmen das Betreuungsgeld. Zur echten Wahl-
reiheit gehört, jede Art der Betreuung anzuerkennen –
as gilt auch für die häusliche Erziehung. Aus diesem
rund lehnen wir den Antrag der Grünen ab!
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Familien
erdienen unsere volle Anerkennung, und sie verdienen
ine moderne Familienpolitik. Wir Sozialdemokratinnen
nd Sozialdemokraten fördern seit dem Regierungs-
echsel 1998 bedarfsdeckende und gute Betreuungsan-
ebote, mehr Zeit für Familien und wirkungsvolle Geld-
eistungen.
Wir haben das Tagesbetreuungsausbaugesetz, das
örderprogramm für Ganztagsschulen, den Kinderzu-
chlag, die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von
inderbetreuungskosten und das Elterngeld auf den Weg
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13241
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gebracht. In diesem Jahr haben wir erreicht, dass der
Ausbau der Kinderbetreuung weiter vorangetrieben wird
und 2013 ein Rechtsanspruch für einen Betreuungsplatz
für Kinder unter drei Jahren eingeführt wird. Es kommt
jetzt darauf an, den eingeschlagenen Kurs in der Familien-
politik zu halten, denn er ist richtig!
In der Diskussion um das Betreuungsgeld rieb man
sich zuletzt verwundert die Augen: Über Wochen er-
klärte die Familienministerin, dass sie ein Betreuungs-
geld aus bildungspolitischen Gründen für völlig falsch
hält. Wir haben sie in dieser Position immer unterstützt.
Und nun gibt sie der CSU nach – und nimmt eine For-
mulierung, die weit über die Einigung zwischen Bund
und Ländern und den Fraktionen hinaus geht, in ihren
Gesetzentwurf auf. Wir werden dem so nicht zustimmen.
Wir werden nicht zulassen, dass wie auf dem türkischen
Basar nach dem Motto „Gibst du mir das; kriegst du
das“ der vernünftige und richtige und zudem dringend
notwendige Betreuungsausbau mit dem Unsinn des Be-
treuungsgeldes verknüpft wird.
Das Betreuungsgeld – um es hier noch einmal deut-
lich zu formulieren – widerspricht allem, wofür wir mit
unserer Familienpolitik stehen: der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, der Gleichstellung der Geschlechter,
den möglichst gleich guten Startchancen für Kinder un-
abhängig von ihrer Herkunft. Einige CSU-Herren ma-
chen sich hier ihren persönlichen Lebensentwurf zum
Wunschbild für unsere Gesellschaft. Aber meine Herren:
Sie verkennen die gesellschaftliche Realität. Die Zeiten
sind vorbei, wo der Mann seinen Mann in der Arbeits-
welt stand und die Frau Kind und Küche hütete. Wir be-
günstigen dieses „Alleinernährer-Modell“ bereits seit
Jahrzehnten durch das Ehegattensplitting. Doch dieses
Modell stirbt aus, gleichzeitig nehmen die verschiedens-
ten Formen von Familien zu. Zudem sind immer mehr
Eltern berufstätig.
Frauen – fragen Sie doch einfach mal Ihre Töchter –
wollen heute selbstverständlich Beruf und Familie ver-
binden, und Männer – und das freut mich besonders –
wollen sich mehr Zeit für die Familie nehmen. Die stei-
genden Zahlen bei der Inanspruchnahme der Vätermo-
nate beim Eltengeld zeigen das – eine Leistung, die wir
gegen den Widerstand derselben Bastion der CSU
durchgesetzt haben, die jetzt meint, sich mit dem Betreu-
ungsgeld ein letztes Fleckchen altbackener Einverdien-
der-Familienromantik bewahren zu müssen. Die Väter-
monate sind – sehen Sie es ein, meine Herren – ein
voller Erfolg! Eine großartige Entwicklung für unsere
Kinder, und als Kinderpolitikerin steht für mich das
Wohl der Kinder immer im Mittelpunkt – für unsere
Kinder, die zunehmend mehr von ihren Vätern haben,
indem sie mehr Zeit mit ihnen haben.
Genau aus dieser kinderpolitischen Sicht ist das Be-
treuungsgeld verheerend. Es sendet falsche Signale aus.
In Thüringen, wo man eine Art Betreuungsgeld durch
die Hintertür eingeführt hat, gehen die Zahlen für die In-
anspruchnahme öffentlicher Kinderbetreuung zurück.
Dort bekommen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita
schicken, eine Prämie. Das muss man sich mal vorstel-
len. Das ziemlich unverhohlene Ziel dieser Familienpo-
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itik ist natürlich, Müttern die Kindererziehung am hei-
ischen Herd schmackhaft zu machen.
Aber sie ist nicht nur ideologisch fragwürdig, sie ist
icht am Wohl des Kindes orientiert, sie beraubt die Kin-
er der Chance der frühen Förderung. Gerade für Eltern
us sozial schwachen Familien ist dieses Geld eine Ver-
uchung, sie melden ihre Kinder aus dem Kindergarten
b und bekommen diese 150 bis 300 Euro. Das ist eine
enge Geld. Dieses Thüringer Modell – und das CSU-
odell des Betreuungsgelds nicht minder – birgt die
roße Gefahr, dass frühe Föderung gerade den Kindern,
ie sie am dringendsten brauchten, versagt bleibt.
Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass ge-
ade das frühkindliche Alter vor dem sechsten Lebens-
ahr für spätere Bildungschancen entscheidend ist. In ei-
em Lebensumfeld, in dem es oft an Geschwistern oder
achbarkindern mangelt, sind institutionelle Betreuungs-
ngebote zunehmend wichtig. Auch Kinder, die zu
ause optimal gefördert werden, profitieren von zusätz-
ichen guten Bildungseinrichtungen von Anfang an. Sie
rwerben dort soziale Kompetenzen im Umgang mit an-
eren Kindern.
Auch unter ökonomischen Aspekten müssen wir es
llen jungen Frauen und Männern ermöglichen, erwerbs-
ätig zu sein. Im Vergleich zu früheren Jahren investieren
ehr Frauen Zeit, Engagement und Geld in ihre Ausbil-
ung. Die Quote der Frauen, die Hochschulabschlüsse
rwerben, liegt mittlerweile über der der Männer. Wenn
ir wollen, dass sich gut qualifizierte Frauen und Män-
er für Familie entscheiden, ist das Betreuungsgeld ein
öllig falsches Signal!
Alle wollen das Beste für unsere Kinder. Das unter-
telle ich auch den Befürwortern des Betreuungsgeldes.
inder sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie haben
icht nur ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und den
chutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung.
ie haben auch ein Recht auf Förderung und Entwick-
ung zu einer selbstbestimmten und verantwortungsfähi-
en Persönlichkeit. Deshalb sollten wir; statt über Kin-
er zu reden, mit ihnen reden und dafür sorgen, dass sie
itreden können. Wir sollten ihre Rechte stärken und sie
amit stärken. Eine Klarstellung der Kinderrechte im
rundgesetz ist die logische Konsequenz einer kinder-
reundlichen Politik. Eine Ergänzung des Art. 6 würde
ie Rechtsposition der Kinder deutlich stärken und die
taatliche Schutzpflicht gegenüber Kindern im Grundge-
etz ausdrücklich festschreiben. Diese Grundgesetzände-
ung ist mit einer Zweidrittelmehrheit zu erreichen.
eine Fraktion hat sich bereits einstimmig dafür ausge-
prochen, in anderen Fraktionen gibt es noch Beratungs-
edarf. Ich bitte Sie im Interesse unserer Kinder: Unter-
tützen Sie uns dabei, treten Sie für die Stärkung der
inderrechte ein!
Ina Lenke (FDP): Die FDP erteilt dem Betreuungs-
eld der Großen Koalition eine Absage. SPD und die Fa-
ilienministerin von der Leyen haben sich in der Ver-
angenheit klar gegen das Betreuungsgeld gestellt. Nun
ird es wider besseren Wissen, wohl noch in diesem
13242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Jahr im Gesetz verankert werden, obwohl es erst 2013
eingeführt werden soll.
Die FDP hat auf ihrem Bundesparteitag in Stuttgart
im Frühjahr klar gegen die Einführung eines Betreu-
ungsgeldes gestimmt. Auch die FDP-Bundestagsfraktion
hat sich bereits im Antrag zum Familienbericht im Juni
eindeutig gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen.
Unsere Gründe:
Erstens. Kinder unter drei Jahren profitieren von zu-
sätzlicher Bildung in einer pädagogischen Einrichtung.
Zweitens. Kinder mit anderer Muttersprache als
Deutsch erhalten in Betreuungseinrichtungen Hilfe und
Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache.
Drittens. Frauen – besonders Alleinerziehende – nutzt
kein monatlicher Zuschuss von etwa 150 Euro. Davon
können sie die Existenz für sich und das Kind nicht si-
chern.
Viertens. Frauen, die nach Auslaufen des einjährigen
Elterngeldes wieder arbeiten wollen, helfen nur gute au-
ßerhäusige Betreuungsangebote und nicht der Lockruf
des Betreuungsgeldes.
Fünftens. Familien, deren Einkommen für alle Fami-
lienmitglieder nicht ausreicht, werden aus finanziellen
Gründen eher das Geld nehmen, um das Familienein-
kommen aufzustocken.
Hierbei ist Norwegen ist das beste Beispiel: 1998
wurde ein Betreuungsgeld eingeführt, weil zu wenig
Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige da waren.
Wie hat sich das Betreuungsgeld in Norwegen ausge-
wirkt? Kinder, die zusätzlichen Spracherwerb und Kon-
takt zu norwegisch sprechenden Kindern brauchten,
blieben zu Hause. Familien, die zusätzliche Einnahmen
benötigen, um das Familieneinkommen aufzustocken,
entschieden sich für das Geld. Die einseitige Geschlech-
terrolle wurde verfestigt: Es waren eben wieder die
Frauen, die zu Hause blieben.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass sich
auch in Deutschland diese negativen Auswirkungen ein-
stellen werden. Im Bundestag sind die politischen Fron-
ten geklärt. Bis auf die SPD und die Familienministerin.
Beide haben sich vehement gegen ein Betreuungsgeld
ausgesprochen, werden aber dem Gesetz, in dem das Be-
treuungsgeld enthalten ist, zustimmen. Und alles wegen
Bayern! Heute hat der Ministerpräsident Dr. Beckstein
seine Regierungserklärung vor dem bayerischen Landtag
gehalten, unter anderem mit den Aussagen: „Ohne Spra-
che keine Integration!“ „Sprache ist der erste Schritt in
die Mitte unseres Lebens.“ „Wir werden auf Dauer nicht
akzeptieren, dass Kinder in eine Regelklasse kommen,
die nicht ausreichend Deutsch können.“ Trotzdem will er
auf Biegen und Brechen auf Bundesebene das Betreu-
ungsgeld durchsetzen.
Die FDP will Kinder aus bildungsfernen Familien
früh fördern und den Müttern und besonders den Allein-
erziehenden die Erwerbstätigkeit ermöglichen – nach
Auslaufen des Elterngeldes. Für uns Liberale steht die
Wahlfreiheit immer oben an. Dem Motto des Deutschen
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rauenrates stimme ich zu: Bessere Kinderbetreuungs-
inrichtungen statt Betreuungsgeld.
Diana Golze (DIE LINKE): Der hier zu debattierende
ntrag ist wichtig, um wiederholt auf den Zickzackkurs
er Familienpolitik dieser Bundesregierung hinzuwei-
en. Der doppelte Salto rückwärts der Familienministe-
in, das Betreuungsgeld nun doch irgendwie als Beruhi-
ungspille für die CSU in den Gesetzesgrundlagen für
en Ausbau der Krippenbetreuungsangebote für unter
reijährige zu schreiben, ist in der Tat ein Schritt, der in
ie völlig entgegengesetzte Richtung führt, als die bishe-
ige Debatte vermuten ließ. Oder doch nicht? Schaut
an sich die „Errungenschaften“ in der Familienpolitik
enauer an, so scheint es doch einen roten Faden zu ge-
en, der sich durch alle Initiativen zieht.
Erlauben Sie mir einen kurzen Exkurs in die vergan-
enen zwei Jahre. Die Familienministerin hat mit vielen
chönen und großen Worten zu Beginn ihrer Amtszeit
mmer wieder davon gesprochen, Politik für die Kinder
uf der Schattenseite der Gesellschaft zu machen – die
ahlen der Kinder die von Armut betroffen sind, ließen
ich auch nicht mehr kleinreden und standen zudem im-
er stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Was politisch
olgte, war ein Elterngeldgesetz, dass von Rot-Grün vor-
ereitet wurde und aus gleichstellungspolitischer Sicht
ängst überfällig war. Für die Frauen, die aus der Er-
erbstätigkeit kommend die ersten Lebensmonate mit
hrem Kind verbringen wollen, ist dies eine enorme Ver-
esserung, für die Väter, die in dieser wichtigen Zeit ih-
er Rolle als Elternteil gerecht werden wollen und dies
un mit geringeren finanziellen Risiken tun können, ein
normer Erfolg. Doch bereits hier wurde deutlich, wer
urch dieses Gesetz schlechter gestellt werden würde:
iejenigen, deren Kinder auf der Schattenseite der Ge-
ellschaft geboren werden. Die Schlechterstellung von
üttern, die Arbeitslosengeld II beziehen, war ein erstes
ignal für die Richtung, in die die Politik schreiten
ürde.
Dann folgte eine schier endlos scheinende Debatte
m den längst gesetzlich vorgegebenen Ausbau der
indertagesbetreuungsangebote. Wohl wissend, dass
as bisherige Tempo, mit dem der gesetzlich geregelte
usbau voranschreitet, dem einer Schnecke gleich-
ommt, machte Frau von der Leyen bereits im Entwurf
ines Gesetzes zur Einrichtung eines Sondervermö-
ens, das den Ausbau ankurbeln sollte, unterschwellig
eutlich, wem dieser Ausbau gilt: 35 Prozent Versor-
ungsquote mit dem Zusatz, dass die Plätze, die hier
eschaffen werden sollen, Kindern von Erwerbstätigen
ur Verfügung stehen werden sowie Kindern, bei denen
in erhöhter pädagogischer Bedarf besteht. Das, sehr
eehrte Frau Ministerin, ist eine Politik, die den Kin-
ern auf der Schattenseite des Lebens nicht helfen
ird, weil die Defizite, die sie aus ihrer sozialen Lage
eraus mit auf den Weg bekommen, nicht ausgeglichen
erden. Stattdessen lassen Sie sich den familienpoliti-
chen Staubwedel wieder aus der Hand nehmen und
chaffen somit den Nährboden für eine weitere Ver-
chärfung der sozialen und bildungspolitischen Un-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13243
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gleichheit oder, wie es im Antrag der Fraktion Die Grü-
nen heißt eine bildungspolitische Katastrophe.
Ihr Rezept für den Burgfrieden mit der CSU hat be-
reits eine Geschichte. Setzen Sie sich mit den Ergebnis-
sen aus Thüringen auseinander! Dort wurde 2006 ein
solches Betreuungsgeld eingeführt. Auch wenn Herr
Althaus weiterhin flammende Reden für dieses Betreu-
ungsgeld hält, sprechen die Zahlen eine andere Sprache:
Laut Angaben des Statistischen Landesamts gingen sie-
ben Prozent weniger Zweijährige in eine Krippe. Selbst
der thüringische SPD-Landesvorsitzende Christoph
Matschie sieht die Gefahr, dass ein Betreuungsgeld in
die entgegengesetzte Richtung führen wird. Nicht der
Anreiz, Kindern ein Bildungsangebot zusätzlich zur el-
terlichen Betreuung zu bieten, würde geschaffen, son-
dern der Anreiz, Kinder gar nicht erst in der Kinder-
krippe anzumelden. Das ist die bildungspolitische
Katastrophe, die die Grünen in ihrem Antrag zu Recht
beschreiben.
Frau Ministerin, Sie müssen sich entscheiden: Entwe-
der ist das Betreuungsgeld zutiefst ungerecht und bil-
dungs- wie integrationspolitisch hochproblematisch, wie
Sie bei anderer Gelegenheit erklärt haben. Dann muss es
raus aus dem Gesetz. Oder Sie erklären uns heute, dass
Herr Singhammer Sie überzeugt hat. Dann gehört es in
das Gesetz. Wenn Sie das Betreuungsgeld aber für falsch
halten und es dennoch aus dem Begründungsteil des ei-
nen in die Paragrafen eines anderen Gesetzes schreiben
lassen, ist das doppelzüngig und zynisch. Im Fall des
Betreuungsgeldes ist jetzt jedenfalls die SPD gefordert.
Sie muss den Gesetzentwurf mit dem Betreuungsgeld-
Paragrafen stoppen!
Die „heile Welt der Familie“ als dem Ort, an dem Kin-
der behütet in einem großen, sozial weitläufigen Gefüge
aufwachsen, entspricht oft nicht mehr dem Bild, das die
Realität zeichnet. Zunehmend weit voneinander entfernt
lebende Familienkreise, eine steigende Anzahl alleinerzie-
hender Eltern und zunehmende Beschäftigungsbiografien,
die durch Brüche oder Mehrfachbeschäftigung und Unter-
bezahlung gekennzeichnet sind, sind Gründe, warum die
Familie eben nicht mehr immer verlässlich für Kinder ist.
Hinzu kommen ständige Veränderungen und wachsende
Anforderungen an Kinder und ihre Fähigkeiten, mit der
Vielfalt der visuellen, medialen und sozialen Impulse zu-
rechtzukommen. Hier brauchen Kinder pädagogische Un-
terstützung von qualifiziert ausgebildetem Fachpersonal
und Zugang zu den Ressourcen, die ihnen helfen, diese
Mammutaufgabe zu bewältigen. Im gemeinsamen Lernen
mit Gleichaltrigen, in einer Umgebung, die diese Fähig-
keiten fördert.
In den Medien kann man fast täglich das Ausmaß der
wachsenden Kinderarmut verfolgen. Ein wichtiger Be-
standteil der Bekämpfung der Folgen dieser Armut ist
der Rechtsanspruch auf ein gebührenfreies Betreuungs-
angebot für alle Kinder. Auch aus diesem Grund ist der
Anreiz, der durch das Betreuungsgeld geschaffen wird,
ein falscher. Gesamtpolitisch gesehen wäre statt der
Schaffung eines Betreuungsgeldes die Einrichtung einer
Kindergrundsicherung, die sich an den Bedürfnissen der
Kinder misst, ein Schritt, der in die richtige Richtung
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eht. In dieser Grundsicherung könnten gebührenfreie
etreuungs-, Bildungs- und Freizeitangebote als Sach-
eistungen enthalten sein. Dazu freilich müsste man auch
in wenig mehr zu Transparenz in der Erarbeitung von
esetzesvorhaben neigen, denn dies müsste sinnvoller-
eise mit den Verbänden und Vereinen, den Institutio-
en und Gewerkschaften erarbeitet werden.
Dass dies nicht der Politikstil des Familienministeri-
ms ist, wurde auch dieses Mal bewiesen. Vielleicht,
rau von der Leyen, laden Sie die Oppositionsparteien
ünftig zur Ausschussberatung ins Bundespresseamt!
ann sind wir wenigstens zeitgleich mit der Presse
ber Ihre Vorhaben informiert und müssen nicht bis
um Erscheinen der Tageszeitung am Folgetag oder auf
elevante Tickermeldungen warten.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN):
s ist merklich ruhig um die Familienpolitik. Sonst wird
a vonseiten der Familienministerin kaum eine Gelegen-
eit ausgelassen, um den eigenen – vermeintlich – histo-
ischen Aufbruch in der Familienpolitik zu beschwören.
och jetzt, wo das Gesetz zum Betreuungsausbau un-
ittelbar bevorsteht – angereichert mit der sogenannten
ukunftsoption „Betreuungsgeld“ –, ist es Herr Struck,
er sich als Retter in der Not anbietet. Sein Angebot an
rau von der Leyen – Zitat –, „ihr zu helfen, wieder auf-
ustehen und die getroffene Vereinbarung einzuhalten“,
eigt, wie tief die Gräben mittlerweile zwischen den Be-
eiligten sind. Selbst in der Koalition glaubt doch nie-
and mehr an den Formelkompromiss zum Betreuungs-
eld. Der Versuch, es jeder Seite Recht zu machen,
unktioniert einfach nicht, auch dann nicht, wenn einfach
ehr Geld verteilt wird.
Denn das Problem liegt ganz woanders: Der Rechts-
nspruch auf Betreuung soll für alle kleinen Kinder den
ugang zum Förderangebot eröffnen. Das ist richtig und
ichtig. Das Betreuungsgeld bietet aber ausgerechnet
enjenigen Familien einen finanziellen Anreiz, kein För-
erangebot zu beanspruchen, die tendenziell am meisten
avon profitieren würden. Die Bundesfamilienministerin
elbst hat diese Auswirkungen des Betreuungsgeldes
ointiert mit „bildungspolitischer Katastrophe“ um-
chrieben. Dem wäre doch eigentlich nichts hinzuzufü-
en.
Damit aber nicht genug: Das Betreuungsgeld binde
uch noch wichtige Gelder, die enorm kostbar für wei-
ere Qualitätsverbesserungen bei Betreuung und Bildung
eien. Und die familienpolitischen Widersprüche, die
as Betreuungsgeld bewirken würde, setzen sich fort. El-
erngeld und Betreuungsausbau sollen, so betont die Re-
ierung, die Erwerbstätigkeit von Müttern fördern. Dies
ei der Schlüssel zur eigenständigen Existenzsicherung
on Frauen. Dies sei der zentrale Ansatz zur Bekämp-
ung von Familienarmut. Wenn sie davon aber so über-
eugt ist, wieso kann sie sich dann nicht klar von einem
orschlag distanzieren, der dem diametral entgegen-
teht?
Wenn Ihnen die Argumente fehlen, sehen Sie sich die
ord Vision Studie oder auch den heute erschienen Kin-
erreport noch einmal an. Da steht es schwarz auf weiß:
13244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Die Zukunftschancen von Kindern hängen hierzulande
massiv vom sozialen Hintergrund der Familie ab. Was
Kinder wirklich brauchen, ist eine qualitativ hochwer-
tige Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, um den Teu-
felskreislauf der Armut zu durchbrechen.
Machen Sie dem unschönen Schauspiel von CSU und
auch einigen in der Union ein Ende. Es ist schwer,
mitanzusehen, wie Sie wider besseres Wissen öffentlich
den Eindruck erwecken, es werde sich zu einseitig und
zulasten der finanziellen Familienförderung um die Kin-
derbetreuung gekümmert. Elegant übergangen wird die
milliardenschwere Familienförderung und ganz beson-
ders die üppige steuer- und sozialrechtliche Eheförde-
rung. Stattdessen wird das Betreuungsgeld als notwendi-
ger und gerechter Ausgleich gepriesen – und deshalb
auch gleich die Zustimmung zum Betreuungsausbauge-
setz von der Einführung des Betreuungsgeldes abhängig
gemacht. Gerade die konservativen Bundesländer im Sü-
den unseres Landes würden den wichtigen Betreuungs-
ausbau sofort opfern, wenn sie sich nicht mit ihren un-
sinnigen Familientransferleistung durchsetzen.
Ich appelliere deshalb erneut an Sie, diesem bildungs-
politisch katastrophalen und den Kindern Chancen ver-
bauenden Betreuungsgeld eine klare Absage zu erteilen.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und des Berichts: Die
wirtschaftlichen und arbeitsplatzschaffen-
den Erfolge der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschafts-
struktur“ nutzen – Regionales Wachstum
und Beschäftigungseffekte intensivieren
– Antrag: Fördermittel Aufbau Ost in voller
Höhe beibehalten – Geplante Kürzung der
Gemeinschaftsaufgabe von 100 Millionen
Euro zurücknehmen
(Tagesordnungspunkt 21 a und b)
Andreas Lämmel (CDU/CSU): Wir beraten heute
den Koalitionsantrag zur Fortführung der Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“, kurz GA genannt, und den Antrag der
Fraktion Die Linke zur Aufstockung der GA gegenüber
dem Finanzplan der Bundesregierung um 100 Millionen
Euro und damit zur Rückkehr auf das Niveau von 2006.
Die GA ist das wichtigste Förderinstrument für struk-
turschwache Regionen in Deutschland. Regionale Stand-
ortnachteile sollen ausgeglichen und ein Anschluss an
die allgemeine Wirtschaftsentwicklung soll ermöglicht
werden. Der Abbau regionaler Entwicklungsunter-
schiede stärkt zugleich das gesamtwirtschaftliche
Wachstum und erleichtert den Strukturwandel. Die GA
trägt damit auch maßgeblich zum Aufbau Ost bei.
Gleichwohl zeigt die wirtschaftliche Entwicklung Ost-
deutschlands kein homogenes Bild, sondern ein sehr he-
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erogenes. Ähnliche Muster des Strukturwandels sind
eute auch in alten Bundesländern zu beobachten. So ha-
en wir mit der Arbeitsmarktregion Uelzen für die För-
erperiode von 2007 bis 2013 erstmals auch in den alten
undesländern ein A-Fördergebiet im Rahmen der GA.
ies ist möglich durch die erstmals gesamtdeutsche Ab-
renzung der Förderregionen, die aufgrund neuer regio-
albeihilferechtlicher Vorgaben durch die Europäische
ommission erfolgte.
Der überwiegende Teil der GA-Mittel, rund sechs
iebtel, fließt auch heute noch in die neuen Bundeslän-
er, die durchgängig Höchstfördergebiet sind. Warum ist
as wohl so? Noch immer ist die Arbeitslosenquote in
stdeutschland doppelt so hoch wie in Westdeutschland.
as Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt bei rund
0 Prozent des Westniveaus. Die Steuerkraft der ostdeut-
chen Kommunen liegt im Durchschnitt immer noch bei
ur etwa 46 Prozent der westdeutschen. Es mangelt in
en neuen Ländern noch immer an Unternehmen mit
ührungsfunktion beziehungsweise mit Firmensitz in
en neuen Bundesländern, an zukunftsfähigen und an
xportintensiven Wirtschaftszweigen. Deswegen be-
teht die Rechtfertigung für Maßnahmen zu einer Ver-
esserung der Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern
ort.
Aber – das sage ich besonders an die Adresse der
inksfraktion –: Wir dürfen nicht nur auf den Vergleich
est-Ost abstellen. Wir dürfen auch nicht vergessen,
on welchem Punkt wir 1990 nach 40 Jahren Sozialis-
us gestartet sind. Gemessen daran haben wir große Er-
olge zu verzeichnen. Sie kennen den „Jahresbericht der
undesregierung zum Stand der deutschen Einheit
007“, den wir letzte Woche hier in diesem Hohen
ause debattiert haben. Die Zahlen sind also alle be-
annt, ich will sie hier nicht wiederholen. Nur auf eine
ahl möchte ich hinweisen: Während 1990 die Arbeits-
roduktivität, das heißt das Bruttoinlandsprodukt pro Er-
erbstätigem, in Ostdeutschland bei nur 35 Prozent des
estniveaus lag, waren es im letzten Jahr 78 Prozent.
ieser beeindruckende Aufholprozess wäre ohne die
ittel der GA nicht in diesem Ausmaß möglich gewe-
en, denn die Investitionsförderung steigert durch eine
essere Kapitalausstattung die Arbeitsproduktivität, wel-
he wiederum eine wichtige Grundlage für Wohlstand
st. Eine Wirkungsanalyse des Instituts für Arbeitsmarkt-
nd Berufsforschung zeigt darüber hinaus die enorme
edeutung der Investitionsförderung auch auf die An-
ahl an Arbeitsplätzen, insbesondere in den ersten
chwierigen Jahren nach der Wiedervereinigung. Ohne
ie GA wäre demnach die Entwicklung der Beschäfti-
ung in den Fördergebieten um bis zu 40 Prozent gerin-
er ausgefallen.
Für meine Fraktion kann ich sagen: CDU und CSU
aren und sind die Parteien der deutschen Einheit, und
ir werden es bleiben. Wir haben uns deshalb in den
aushaltsverhandlungen erfolgreich und gegen Wider-
tände dafür eingesetzt, dass die GA – genauer gesagt:
er Bundesanteil an der GA – im Jahr 2008 im Vergleich
ur ursprünglichen Finanzplanung um 50 Millionen auf-
estockt wird. Das heißt, wir können die GA auch im
ächsten Jahr auf dem diesjährigen Niveau von 644 Mil-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13245
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lionen Euro weiterführen. Die Linksfraktion will nun mit
ihrem Antrag statt einer Aufstockung um 50 Millionen
Euro, wie wir sie jetzt beschlossen haben, eine Aufsto-
ckung um 100 Millionen Euro und damit eine Rückkehr
auf das Niveau von 2006. So sehr dieses Anliegen
grundsätzlich verständlich ist, wäre es andererseits auch
schön, einen seriösen Gegenfinanzierungsvorschlag zu
bekommen. Die Große Koalition kann den Weg der
Haushaltskonsolidierung nicht verlassen.
Doch für die Zukunft brauchen wir Planungssicher-
heit. Wir haben deshalb auch in dem Entschließungsan-
trag der Koalitionsfraktionen zum „Jahresbericht zum
Stand der deutschen Einheit“, der am 9. November 2007
zum ersten Mal gelesen wurde, eine entsprechende For-
mulierung zur GA aufgenommen. Ich lade die Kollegin-
nen und Kollegen von der Linksfaktion daher ein, diesen
Antrag zu unterstützen.
Mit dem Koalitionsantrag zur GA machen wir zudem
deutlich: Wir stehen zum grundgesetzlich verankerten
Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse. Wer sich mit der
wirtschaftswissenschaftlichen Literatur auskennt, der
weiß um die nicht ganz neue Diskussion über die rich-
tige Ausgestaltung der Regionalpolitik: Da haben wir
auf der einen Seite die Verfechter des Ausgleichsprinzips
und auf der anderen Seite die Verfechter der Wachstums-
poltheorie. Interessant sind in diesem Zusammenhang
übrigens auch die sich widersprechenden Empfehlungen
unserer höchsten wirtschaftlichen Sachverständigen:
Während der Sachverständigenrat im Jahr 1999 noch
empfahl, die Politik solle sich bei der Förderung auf die
Wachstumszentren konzentrieren, rät er im Jahr 2004
wieder davon ab. Insofern kann ich nur sagen: Vielen
Dank für jede neue Empfehlung.
Aus meiner langjährigen landespolitischen Erfahrung
heraus kann ich Ihnen sagen: Den oft behaupteten Wi-
derspruch zwischen der Förderung strukturschwacher
Regionen und dem Ansatz „Stärken stärken“ gibt es in
dieser Schärfe nicht. Sehr erfolgreiche Technologie- und
Netzwerkprogramme wie NEMO, InnoNet, INNO-
WATT und Innovative regionale Wachstumskerne wer-
den meist als „Cluster“-Programme interpretiert, die
dem Ausgleichsprinzip der GA zuwiderlaufen. Die
Wahrheit aber ist: Diese Programme sind ausgerichtet
auf Technologie, auf Forschung und Entwicklung. Es ist
keinesfalls Fördervoraussetzung, dass die Antragssteller
in einem Agglomerationsraum, in einer Metropolregion
oder wie immer man es nennen will, tätig sein müssen.
In der Diskussion um die Stärkung von Metropolregio-
nen, die durch die territoriale Agenda der europäischen
Raumordnungsminister vom 24./25. Mai 2007 ausgelöst
wurde, sage ich auch ganz deutlich: So etwas darf es
nicht geben. Eine Förderung von Regionen darf nicht
vom Raumordnungstyp abhängig gemacht werden.
In unserem Antrag findet sich auch eine Formulie-
rung zur stärkeren Evaluierung der Infrastrukturförde-
rung durch die GA. Ich möchte an dieser Stelle anmer-
ken, dass wir bei der Evaluierung dieses
Förderinstruments schon sehr weit sind, auch und beson-
ders im Vergleich zum EFRE, dem Europäischen Fonds
für Regionale Entwicklung, durch den viele GA-Pro-
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ekte kofinanziert werden. Im Bereich der regionalen
irtschaftsförderung werden drei Arten von Erfolgs-
ontrollen praktiziert: die Vollzugskontrolle auf Ebene
er einzelnen Projekte, die Zielerreichungskontrolle und
ie Wirkungskontrolle. Das Schwergewicht der Erfolgs-
ontrolle liegt bei den Ländern. Die Ergebnisse der GA-
tatistik werden im 36. Rahmenplan der GA umfassend
argestellt. Sämtliche mir bekannte Studien zeigen einen
ignifikant positiven Effekt der GA auf die wirtschaftli-
he Entwicklung in der geförderten Region.
Bund und Länder haben darüber hinaus vereinbart, ab
007 eine zusätzliche Statistik über die mit der Förde-
ung erzielten Arbeitsplatzeffekte fünf Jahre nach Ab-
chluss des Investitionsvorhabens zu erstellen. Das
eißt, dieses Jahr bekommen erstmals die Unternehmen,
ie ihre Investitionsvorhaben 2002 abgeschlossen haben,
och einmal einen entsprechenden Fragebogen zuge-
chickt. Wenn jetzt im Zuge unseres Antrags auch die
orausschau für durch die GA geförderte Projekte der
irtschaftsnahen Infrastruktur erweitert wird, so leistet
as einen weiteren Beitrag zur Transparenz des Förder-
nstruments.
Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam ma-
hen, dass wir es bei der Evaluierung auch nicht über-
reiben sollten; denn jeder zusätzliche Fragebogen
chafft gleichzeitig auch mehr Bürokratie, und davon
ollen wir eigentlich weniger. Lassen Sie uns daher auf
iesem Feld zu einer ausgewogenen Balance kommen.
Ich möchte bei Ihnen allen um Zustimmung zu unse-
em Antrag werben. Ich habe positiv registriert, dass die
itglieder der FDP-Fraktion in allen mitberatenden
usschüssen – außer im Haushaltsausschuss – für den
ntrag votiert haben, während sie sich noch im Unter-
usschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ und im Aus-
chuss für Wirtschaft und Technologie in Stimment-
altung geübt haben. Auch die Fraktion Die Linke hat
außer im Haushaltsausschuss – in den übrigen Aus-
chüssen für den Antrag votiert. Hoffen wir also, dass
ei ihr heute nicht ihre Haushälter anwesend sind, dann
ann sie auch zustimmen.
Andrea Wicklein (SPD): 192 Milliarden Euro ange-
toßene Investitionen, 960 000 geschaffene und 1,5 Mil-
ionen gesicherte Arbeitsplätze, so sieht die Bilanz der
emeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsstruktur
eit 1991 aus. Diese Zahlen sind beachtlich. Sie belegen
ie Bedeutung der Gemeinschaftsaufgabe für unsere Wirt-
chaftspolitik. Durch die Gemeinschaftsaufgabe werden
usschließlich Regionen gefördert, die strukturschwach
ind oder sich im Strukturwandel befinden.
Erstmals 2007 mussten sich alle Regionen mit Beginn
er neuen Förderperiode einer gesamtdeutschen Bewer-
ung unterziehen. Wer gefördert wird und mit welcher
ntensität, ist abhängig von der Anzahl der Arbeitslosen
nd vom Nachholbedarf bei der Infrastruktur. Die Aus-
ahl nach diesen festgelegten und von der EU bestätig-
en Kriterien hat gezeigt: Ostdeutschland bedarf auch
eiterhin flächendeckend einer Höchstförderung. Aber
uch Regionen in Westdeutschland brauchen unsere Un-
13246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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terstützung, wie zum Beispiel der Landkreis Lüneburg
oder die bayerischen Grenzregionen.
Mit der Gemeinschaftsaufgabe wird nicht konsumiert,
sondern investiert. Sie fördert das Wachstum von Unter-
nehmen und den Aufbau von Beschäftigung in denjeni-
gen Teilen Deutschlands, die es besonders schwer haben.
Die Gemeinschaftsaufgabe hilft strukturschwachen Re-
gionen, sich selbst zu helfen. Sie bekämpft Abwande-
rung durch Schaffung neuer Arbeit. Daher ist für uns So-
zialdemokraten die Gemeinschaftsaufgabe Regionale
Wirtschaftsstruktur ein Ausdruck innerdeutscher Solida-
rität.
Der finanzielle Beitrag für die Gemeinschaftsaufgabe
ist angebracht, denn die Erfolge sind unübersehbar:
Höchstfördergebiete weisen eine höhere Wachstumsrate
in der gewerblichen Wirtschaft auf, als der Rest des Lan-
des. Jeder Fördereuro löst mehr als das Fünffache an pri-
vaten Investitionen aus. Geförderte Unternehmen schaf-
fen deutlich mehr Arbeitsplätze, selbst wenn der
allgemeine Trend negativ ist. Und die Einkommen der
Arbeitnehmer geförderter Unternehmen steigen schnel-
ler als der Durchschnitt.
Die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschafts-
struktur hat damit die größte volkswirtschaftliche Ren-
dite aller Wirtschaftsförderinstrumente. Sie hilft nicht
nur den Unternehmen, sondern vor allem den Menschen
in den strukturschwachen Regionen.
Erfolge zeigen, dass wir die GA auch weiterhin auf
mindestens heutigem Niveau finanziell ausstatten müs-
sen. Über 4 000 Anträge liegen derzeit zur Bearbeitung
vor. Sie beinhalten ein Investitionsvolumen in Milliar-
denhöhe.
Die Verantwortung für die Ausführung der Regiona-
len Wirtschaftspolitik liegt bei den Bundesländern. Sie
bestimmen die Förderschwerpunkte. Das ist auch richtig
so. Wichtig ist aber auch, dass die Regionen selbst wis-
sen, was sie fördern wollen und wo ihre Potenziale lie-
gen. Schlicht: Wie sie sich ihre wirtschaftliche Zukunft
vorstellen. wir müssen die Regionen dabei unterstützen.
Die GA muss die Regionen dabei unterstützen.
Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir deshalb die
Regionen ermuntern, eigene regionale Entwicklungs-
konzepte aufzustellen. Auch in der vor zwei Tagen statt-
gefundenen Anhörung wurde eines besonders deutlich:
Das Gelingen regionaler Wirtschaftspolitik hängt davon
ab, ob die Akteure vor Ort gut zusammenarbeiten und an
einem Strang ziehen. Es müssen Netzwerke gebildet,
Absprachen getroffen und eine gemeinsame Strategie
verfolgt werden. Es kommt darauf an, alle Fördermög-
lichkeiten optimal zu verknüpfen: die GA Regionale
Wirtschaftsstruktur mit der GA Agrarstruktur und Küs-
tenschutz und mit den EU-Programmen. Nur so können
Zukunftsfelder – wie die Biomasse oder die Solartechnik –
für die Regionen erschlossen werden. Mit Zusammenar-
beit gelingt Entwicklung auch in strukturschwachen
Regionen und nicht nur in den sogenannten Wachstums-
polen.
Die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschafts-
struktur ist das entscheidende nationale Instrument, um
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irtschaftliche Unterschiede zwischen Regionen abzu-
auen. Wir wollen weiterhin allen Menschen in Deutsch-
and – egal, wo sie wohnen – eine Perspektive zu geben.
ie GA bekämpft Arbeitslosigkeit, fördert Innovationen
nd muss auch in Zukunft als nationales Instrument er-
alten bleiben. Der Antrag der Regierungskoalition leis-
et dazu seinen Beitrag.
Doris Barnett (SPD): Es gibt zwar einige, aber nicht
llzu viele Themen, bei denen sich alle im Bundestag
ertretenen Parteien einig sind. Unser jetziges ist eines
avon. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der re-
ionalen Wirtschaftsstruktur“ hat eine Erfolgsgeschichte
n unserem Land hingelegt. Ich gebe zu, dass diese nicht
mmer so spektakulär sind wie der Start eines A380, aber
ür die Regionen, in denen eben ein „Start“ vonstatten
ing, hat dieser nachhaltige Wirkung.
Die GA, wie sie abgekürzt heißt, dient zwar seit vie-
en Jahren dazu, dem Osten unserer Republik beim Auf-
olprozess der Lebensbedingungen zu helfen. Dabei
ürfen wir aber nicht außer Acht lassen, welche Erfolge
uch in den alten Bundesländern erreicht wurden.
Wir im Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspoli-
ik“ haben sowohl eine Region in den neuen als auch in
en alten Bundesländern besucht und uns von den Aus-
irkungen der Förderung der GA, die ja in gleichem
mfang vom Bund und dem jeweiligen Land zur Verfü-
ung gestellt wird, selbst ein Bild zu machen. Was wir
esehen haben, aber auch die Erkenntnisse, die wir in
ielen Gesprächen mit Betroffenen geführt haben, bestä-
igen, dass der Bund mit der GA ein hervorragendes Mit-
el zur Verfügung hat, um gezielt – zusammen mit den
rtlichen Verantwortlichen – Investitionen auszulösen,
ie Arbeitsplätze schaffen bzw. sichern. Gerade Klein-
nd Mittelständler bleiben in den Regionen, ziehen eben
icht weg, nutzen die ja oft vorhandene Infrastruktur.
enn auch in Mittelstädten gibt es gute Fachschulen, die
ür den dringend benötigten Nachwuchs sorgen.
Die GA als Regionalförderung unterstützt damit nicht
ur die Arbeitsmarktpolitik, sondern auch die Entwick-
ung der Gemeinden. Wir können keine entvölkerten
andstriche wollen, die zwar wunderschöne natur-
reundliche Wohngebiete sind, aber eben kein Auskom-
en für junge Menschen bieten, noch dazu, wenn sie
ine Familie gründen wollen. Die Regionalförderung er-
eicht ja gerade entlegene Gebiete und kann somit Stand-
rtnachteile ausgleichen.
Sicher ist es wahr, dass Geld alleine noch keine
rfolgsgeschichte auslöst. Grundvoraussetzung sind
ngagierte Akteure, also Unternehmer und Unternehme-
innen, ausgebildeten Fachkräfte und einsatzfreudige
ommunalpolitiker, ohne die auch alles Geld der Welt
ichts nützt. Es sind denn auch zunächst diese klimati-
chen Bedingungen, die den Boden für eine erfolgreiche
nvestition bereiten. Dabei sollten wir daran denken, die
A als Förderinstrument nicht zu belasten mit bürokrati-
chen Anforderungen, die ihren Einsatz behindern.
In unserem gemeinsamen Antrag haben wir aufge-
chrieben, wie die GA aufzustellen ist, welche Aufgaben
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13247
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auf die einzelnen Beteiligten zukommen. Ich bin davon
überzeugt, dass wir damit nicht nur der Erfolgsge-
schichte GA noch ein paar Verbesserungen angedeihen
lassen, sondern sie fortentwickeln. Sie muss auch fortbe-
stehen – das sagten uns am vergangenen Montag,
12. November 2007, alle Experten bei unserer Anhö-
rung –, sie muss auch finanziell verstetigt und angepasst
werden, das heißt, sie bedarf auch im kommenden Jahr
mindestens des Umfangs wie in diesem Jahr. Für uns
wäre es absolut unverständlich, wenn eine so rentable
Anlage von Steuermitteln gekürzt werden würde. Die
Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die be-
troffenen Regionen, die sich ja nicht nur in den neuen
Bundesländern befinden, sondern zum Beispiel auch
Konversionsregionen im Westen des Landes sind, wären
schlimm für alle Akteure, die doch die Nützlichkeit täg-
lich unter Beweis stellen. Wir selbst haben doch nachge-
wiesen, dass die vom Bund und den Ländern eingesetz-
ten Gelder in der Regel eine achtfache Investition
auslösen und somit über Steuereinnahmen, über nicht zu
zahlende Sozialtransfers – im Gegenteil, Sozialbeiträge
werden ja von den zusätzlich Beschäftigten gezahlt –
mindestens in gleicher Höhe wieder zurück an die staat-
lichen Haushalte fließen.
Wenn jetzt die Mittel der Regionalförderung zurück-
gefahren würden, würde das ein Abrücken vom Ziel der
Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen, also ei-
ner Gleichwertigkeit der Entwicklungschancen, bedeu-
ten. Zu glauben, es wäre möglich, durch starke und im-
mer stärker werdende Regionen, den Metropolregionen,
wirkungsvolle Ausstrahlungseffekte für den ländlichen
Raum zu erreichen, heißt, sich bisher wenig mit dem
Thema auseinandergesetzt zu haben. Denn sonst käme
man zu ganz anderen Schlussfolgerungen.
Unser Appell kann deshalb nur lauten: Deutschlands
Zukunft liegt in all seinen Menschen und all seinen Re-
gionen. Wer die Regionen vernachlässigt, vernachlässigt
die Menschen. Das kann keiner wollen und deshalb be-
darf es einer verlässlichen und ausreichend ausgestatte-
ten Regionalförderung, also einer zukunftsfähigen GA.
Gudrun Kopp (FDP): Den Kollegen und Kollegin-
nen von der Koalition habe ich zu Ihrem gemeinsamem
Antrag bereits in der ersten Debatte im Juni alles gesagt,
was dazu zu sagen ist: Es handelt sich hier um ein Doku-
ment der reinen Selbstbeweihräucherung, dem es an jeg-
licher fachlicher Substanz fehlt. Er strotzt nur so von lee-
ren Floskeln und enthält sich jeder kritischen Bewertung
eines Programms, das immerhin rund 600 Millionen
Euro über die Republik verteilt. Schlimmer noch, sie be-
zeichnen die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als das
„zentrale Element der regionalen Wirtschaftspolitik“, als
gäbe es keine Alternative zu einer Politik, die sich im
Ausschütten von Steuergeldern – also Geldern, die die
Bürger erst einmal aufbringen mussten – erschöpft. Al-
les ist gut, weiter so, und – da ihrer Ansicht nach die Be-
deutung der Regionalförderung in Zukunft noch zuneh-
men soll, wie es in ihrem Antrag heißt – am besten noch
mehr Geld in die Hand nehmen. Da brauchen sie sich
nicht zu wundern, wenn die Linke ihre Argumentation
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ufgreift und die vollständige Rücknahme der geplanten
ürzung verlangt. Die Notwendigkeit der Haushaltskon-
olidierung, auf die ich im Unterausschuss „Regionale
irtschaftspolitik“ ausdrücklich hingewiesen habe,
leibt dabei auf der Strecke.
Grundsätzlich ist richtig: Mit gezielter, impulsgeben-
er Wirtschaftsförderung in strukturschwachen Regio-
en kann im Einzelfall eine die Wirtschaft stärkende und
rbeitsplätzeschaffende beziehungsweise -sichernde
irkung erreicht werden. Die Gemeinschaftsaufgabe,
usammen mit den Mitteln des Europäischen Fonds für
egionale Entwicklung, EFRE, konnte bislang einige
ositive Akzente setzen.
Allerdings bleibt auch richtig, dass solche Förderun-
en stets politische Eingriffe in das Marktgeschehen dar-
tellen, die häufig nicht unproblematisch sind: Mitnah-
eeffekte, bürokratische Hemmnisse gerade für kleine
it mittelgroße Unternehmen, mangelnde Evaluierun-
en der Mittelvergaben und fehlende Transparenz im
ergabeverfahren sind allzu häufig die Schattenseiten
ieser finanziellen Förderung.
Völlig offen bleibt, ob und in welchem Umfang auch
hne Fördermittel investiert worden wäre. Subventionen
pielen nämlich nur zu einem Teil eine Rolle bei den An-
iedlungs- und Investitionsentscheidungen von Unter-
ehmen. Wesentlich wichtiger sind andere Standortfak-
oren wie die vorhandene Infrastruktur, engagierte kom-
unale Ansprechpartner wie Wirtschaftsförderer sowie
infache und unbürokratische Genehmigungsverfahren.
er staatliche Eingriff durch finanzielle Unterstützung
ann hingegen eine Fehlsteuerung bewirken, wenn da-
urch nämlich Investitionen hervorgerufen werden, die
s unter normalen Umständen an diesem Ort, in dieser
rt oder in dieser Höhe nicht gegeben hätte. Diese In-
estitionen müssen dann mit künstlichen Mitteln, also
eiteren Subventionen, am Leben erhalten werden – ein
tändiger Teufelskreis. Ganz zu schweigen von den Ar-
eitsplätzen, die an anderer Stelle gar nicht erst entste-
en, weil der Staat den Bürgern und Unternehmen im-
er weniger im Portemonnaie lässt, um die
ubventionen finanzieren zu können. Das Geld fällt
chließlich nicht vom Himmel. Umverteilung schafft
ie immer eben mehr Probleme, als sie löst.
Unter Umständen können überkommene Wirtschafts-
trukturen in einer Region durch Subventionen sogar ze-
entiert und ein notwendiger Wandel verzögert oder gar
erhindert werden. So werden einige Regionen in
eutschland bereits seit 20, 30 Jahren mit Mitteln der
emeinschaftsaufgabe gefördert. Offensichtlich konnten
ich hier keine selbsttragenden Strukturen entwickeln.
ubventionen können so zur Droge werden, aus deren
bhängigkeit sich der „Süchtige“ nicht mehr befreien
ann.
Darüber hinaus ist – bei aller Zustimmung zu dem
rundgesetzlich verankerten Ziel der Herstellung gleich-
ertiger Lebensverhältnisse – zu hinterfragen: Wie viel
ngleichheit verträgt unsere Volkswirtschaft tatsäch-
ich? Denn Unterschiedlichkeit kann sogar ein besserer
nsporn für verstärkte eigene Anstrengungen sein als
ede noch so hohe Subvention.
13248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Für die FDP ist klar: Die Gemeinschaftsaufgabe hat
ihren Wert in dem Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“. För-
dermittel müssen sehr gezielt eingesetzt und das Ergeb-
nis muss vor allem gut evaluiert werden. Langfristig
muss die staatliche Wirtschaftsförderung zurückgefahren
werden, auch damit im Rahmen der Fortentwicklung des
deutschen Föderalismus hin zu einem leistungsstarken
Wettbewerbsföderalismus künftig auf Mischfinanzierun-
gen verzichtet werden kann.
Die FDP hat – gemeinsam mit CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen – im Unterausschuss „Regionale
Wirtschaftspolitik“ beantragt, für die Gemeinschaftsauf-
gabe zusätzlich 50 Millionen Euro zur Verfügung zu
stellen, allerdings unter Wahrung der Konsolidierungs-
ziele. Im Klartext: Die Erhöhung soll aus dem Haushalt
des Wirtschaftsministeriums finanziert werden und nicht
zu einer höheren Verschuldung führen. Wie ich jetzt er-
fahren habe, hat die Koalition diesem Anliegen in den
heutigen Haushaltsberatungen entsprochen, verbunden
allerdings mit Kürzungen, die letztendlich ausgerechnet
den Bereich Wissenschaft und Forschung betreffen, also
zulasten zukunftsorientierter Investitionen gehen. Das ist
für die Liberalen nicht akzeptabel.
Die FDP wird also keinem der beiden Anträge ihre
Zustimmung geben.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Die regionale
Wirtschaftsförderung erhalten, das schreiben sich Union
und SPD mit dem vorliegenden Antrag auf die Fahne.
Das ist bitter nötig. Die Gelder der sogenannten Gemein-
schaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung sind ein
wichtiger Bestandteil des Aufbaus Ost.
Sechs von sieben Euro der Mittel gehen in die neuen
Bundesländer. Sie werden hier dringend gebraucht,
wenn wir an dem Ziel gleichwertiger Lebensbedingun-
gen festhalten wollen.
Das erste Mal sprachen wir über diesen Antrag vor
fünf Monaten. Damals äußerten wir die Befürchtung,
dass der Antrag der Koalitionsfraktionen in der Schub-
lade verschwinden wird und die Regierung weitermacht
wie bisher, nämlich die Fördermittel kürzt.
Was ist seitdem passiert? Es gab monatelange Ausein-
andersetzungen um die von der Bundesregierung ver-
fügte Kürzung. Anfang 2006 beschloss die Große Koali-
tion eine neue Finanzplanung, die eine Kürzung der
Mittel der Gemeinschaftsaufgabe vorsieht, und zwar um
100 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro pro Jahr ab
2007 bis 2011. Seitdem wird jedes Jahr um die Aufsto-
ckung der Mittel gestritten.
Heute Abend beschließt der Haushaltsauschuss – so
hoffe ich –, die Gelder für die Gemeinschaftsaufgabe um
50 Millionen Euro aufzustocken.
Das wäre ein kleiner Erfolg, den wir hauptsächlich
dem Druck der Länder und Kommunen verdanken.
Allerdings: Das ist immer noch weniger als in den
Vorjahren, und es ist weniger als erforderlich. In diesem
Jahr sind dreimal mehr Gelder beantragt worden, als be-
willigt werden können.
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Die Bundesregierung beklagt die anhaltende Abwan-
erung der Menschen aus dem Osten, verweigert es aber,
olitisch zu handeln.
Notwendig ist ein grundlegender Kurswechsel in der
örderpolitik. Die Regierung muss ihre Kürzungspolitik
ufgeben und die Gelder wieder aufstocken: mindestens
uf 694 Millionen Euro. Das ist etwa die Höhe des Jah-
es 2006. Das empfahl einmal der Bundesverkehrsminis-
er, ohne in der Koalition dafür das erforderliche Rück-
rat zu zeigen.
Das ist es, was die Linke in dem vorliegenden Antrag
ordert.
Meinen Sie es ernst mit der Zukunft der Gemein-
chaftsaufgabe, meine Damen und Herren von Union
nd SPD? Dann bleibt Ihnen nur, unserem Antrag zuzu-
timmen.
Genügend Geld für den Aufbau Ost, das ist zentrale
ufgabe der Regierung. Aber natürlich ist zur Zukunft
er Gemeinschaftaufgabe noch mehr zu sagen.
Die Anhörung am Montag im Bundestag hat wichtige
ragen aufgeworfen. Ich will dazu abschließend drei
tichwörter nennen:
Stichwort „Metropolregion“: Werden in Zukunft
trukturschwache Regionen weiter gefördert und so
leichwertige Lebensbedingungen angestrebt? Oder
ird die regionale Wirtschaftspolitik auf den Kopf ge-
tellt, indem sogenannte Metropolregionen gefördert
erden, die sich eigentlich aus eigener Kraft entwickeln
önnen?
Die Bundesregierung ist hier eine Antwort schuldig
eblieben. Zu befürchten ist, dass die schleichende Um-
erteilung der Fördermittel weitergeht, von wirtschaft-
ich schwachen zu wirtschaftlich starken Regionen.
Stichwort „Transparenz“: Fördergelder sind öffentli-
he Gelder. Deswegen sollte auch öffentlich sein, wel-
hes Unternehmen wie viele Fördermittel bekommen
at. Für Unternehmenssubventionen mit Geldern der Eu-
opäischen Union gilt dies schon, für die regionale Wirt-
chaftsförderung in Deutschland nicht. Hier ist die Re-
ierung gefordert.
Stichwort „Gute Arbeit“: Bezahlt die Firma, die öf-
entliche Fördergelder erhält, ihre Beschäftigten nach
arif? Bietet sie genug Ausbildungsplätze an? Behindert
ie die Arbeit oder die Gründung von Betriebsräten?
Bisher spielen solche Fragen in der staatlichen För-
erpolitik in Deutschland kaum eine Rolle. Das Thema
Gute Arbeit“ gehört aber auch in der Förderpolitik auf
ie Tagesordnung. Die Linke wird hier nicht lockerlas-
en.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
emeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen
irtschaftsstruktur, GA, ist ein wichtiges und auch er-
olgreiches Förderinstrument für strukturschwache Re-
ionen in Deutschland. Insbesondere in Ostdeutschland
at sie Beträchtliches geleistet, Dementsprechend be-
rüße ich es, dass Sie sich, liebe Kolleginnen und Kolle-
en von der Koalition, so eindeutig in ihrem Antrag zu
hr bekennen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13249
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Trotzdem fällt es mir schwer, Ihren Antrag ernst zu
nehmen. Denn wenn ich Ihre Haushaltspolitik für die
GA sehe, scheint Ihre Sympathie für die Gemeinschafts-
aufgabe starken Schwankungen zu unterliegen. Schon
im vergangenen Jahr wollten Sie die GA um 100 Millio-
nen Euro kürzen, was unter Hinzurechnung der Länder-
anteile eine reale Kürzung um 200 Millionen Euro be-
deutet hätte. Die Kürzungsvorlage konnte im Parlament
ja dann wenigstens halbiert werden. Doch der Haushalts-
entwurf der Regierung für 2008 machte deutlich, dass
auch das bloß Augenwischerei war. Wieder sollte die
Gemeinschaftsaufgabe und damit die Wirtschaftsförde-
rung für die strukturschwachen Regionen in Deutschland
dran glauben. Da nutzt es auch nichts, wenn in der heuti-
gen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses die
Kürzung wieder zurückgenommen wird. Ein schaler Ge-
schmack bleibt. Die Koalition scheint trotz sichtbarer
Erfolge nicht wirklich vom Instrument der GA überzeugt
zu sein.
Stattdessen setzen Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Koalition, weiter ungebrochen auf die in-
effiziente Investitionszulage. Minister Tiefensee hat be-
reits angekündigt, dass er sie auch über das Jahr 2009
hinaus weiterführen will. Dabei wurde gerade wieder
deren Sinnfälligkeit am vergangenen Montag bei der
Anhörung des Wirtschaftsausschusses zur Zukunft der
Regionalförderung vonseiten der Sachverständigen er-
heblich in Zweifel gezogen. Keine Zielgenauigkeit, viele
Mitnahmeeffekte – ist es das, was Sie unter Regionalför-
derung verstehen?
Liest man Ihren Antrag genauer, beschleichen einen
aber auch hier schon Zweifel, wie wichtig Ihnen die re-
gionale Wirtschaftsförderung eigentlich ist. Denn wenn
man Dinge ausschließlich über den grünen Klee lobt,
ohne sich mit ihnen ernsthaft auseinander zu setzen, tut
man ihnen nicht immer einen Gefallen. Die Forderungen
in ihrem Antrag sind nichtssagend und nachgerade lä-
cherlich. Sie stellen lediglich fest, dass alles so bleiben
soll wie bisher. Das ist ein politisches Armutszeugnis.
Es reicht auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, einfach nur mehr Geld zu fordern.
Was wir brauchen, ist eine Reform der Regionalförde-
rung, die die Wertschöpfungspotenziale in den Regionen
zielgenau erschließt, die dazu auf weniger Dirigismus
und mehr Autonomie in den Regionen setzt und ihren
Schwerpunkt vor allem auf zukunftsfähige, umwelt- und
klimafreundliche Wirtschaftszweige legt. Mit einem
Festhalten am Status quo oder kosmetischen Änderun-
gen kommt man da nicht weiter. Geben Sie den Regio-
nen mehr Autonomie, sowohl was die Entscheidungen
zur Förderung betrifft als auch bei den Finanzen. Und
– was wohl von gleich großer Bedeutung ist: begraben
Sie endlich ihren Mythos vom Wirtschaftswachstum
durch Infrastrukturausbau. Sie bekommen mit keinem
neuen Kilometer Autobahn oder Bundesstraße irgend-
welche nennenswerten Arbeitsplatzzuwächse mehr.
Zahlreiche Studien haben das längst nachgewiesen. Hö-
ren Sie auf, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, in-
dem sie Ihnen Arbeitsplätze durch Beton versprechen.
Der Bundesverkehrswegeplan ist unter diesem Gesichts-
punkt wohl das teuerste und nutzloseste Beschäftigungs-
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rogramm, das in der Geschichte der Bundesrepublik je-
als aufgelegt wurde.
nlage 14
Zu Protokoll gegebe Rede
zur Beratung des Antrags: Das Instrument der
Wahlbeobachtungen durch die OSZE darf nicht
geschwächt werden – ODIHR muss handlungs-
fähig und unabhängig bleiben (Tagesordnungs-
punkt 18)
Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich habe selbst an etli-
hen Missionen als Wahlbeobachterin teilgenommen –
uch, aber nicht nur im Rahmen der OSZE. Ich habe
anz unterschiedliche Erfahrungen mit Wahlbeobach-
ungen gemacht, vor allem aber diese: Der formal kor-
ekte Ablauf von Wahlen ist eine notwendige, aber nicht
inreichende Bedingung für die Demokratisierung einer
esellschaft. Wir brauchen einen Begriff von Demokra-
isierung, der über die Abhaltung formal korrekter Wah-
en hinausgeht. Die OSZE ist mit ihrem bisherigen An-
atz nur sehr eingeschränkt in der Lage zu erfassen, wie
emokratisch das Umfeld ist, in dem Wahlen abgehalten
erden.
Es kann also nicht nur darum gehen, die Wahlbeob-
chtung der OSZE zu stärken, sondern dieses Instrument
uss einer gründlichen Evaluierung unterzogen werden.
Erstens. „Don’t talk to the local people – sprecht nicht
it der lokalen Bevölkerung“ – das bekam ich als Wahl-
eobachterin der OSZE in Mostar, Bosnien-Herzego-
ina, zu hören. Die Wahlbeobachterinnen und Wahlbeob-
chter durften sich dort nur im militärischen Konvoi
ortbewegen, wir haben formelle Abläufe beobachtet,
ahlboxen aufgestellt, aber uns keinen Eindruck von
en begleitenden Umständen der Wahlen verschaffen
önnen. Das war nicht erwünscht. Zu gefährlich, hieß es
mmer.
Überhaupt sehe ich das Problem, dass die OSZE-Mis-
ionen, wenn sie in Regionen stattfinden, in denen aus-
ändische Truppen stationiert sind, stark militarisiert
erden. Die gesamte Logistik wird in Zusammenarbeit
it den örtlich stationierten Militärs abgewickelt. Und
icht zuletzt werden die OSZE-Einsätze selbst von ehe-
aligen oder ausgeliehenen Militärs geleitet. Auch diese
inbindung gefährdet übrigens die Unabhängigkeit einer
olchen Mission. Diesen Aspekt, der meines Erachtens
ichtiger ist als die Frage des diplomatischen Status,
pricht die FDP in ihrem Antrag allerdings nicht an.
Zweitens. In Bosnien haben wir es erlebt: In formal
orrekten Wahlen können dennoch zutiefst undemokrati-
che gesellschaftliche Verhältnisse zementiert werden,
enn im Vorfeld Einschüchterungen, Diskriminierungen
m Zugang zu den Medien, informelle Absprachen, Er-
ressungen etc. stattfinden. Eine Wahlbeobachtermis-
ion, die am Wahltag mit standardisierten Fragebögen
ewaffnet stichprobenartig einige Wahlbüros besucht,
ann das nicht erfassen. Wenn keine lebendige demokra-
ische Zivilgesellschaft gefördert wird, ist die aus-
chließliche Fokussierung auf Wahlen kontraproduktiv.
13250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Die Durchführung von formal korrekten Wahlen ist
kein Ersatz für Demokratisierung und auch nicht hinrei-
chend für Vertrauensbildung oder die Befriedung von
kriegerischen Konflikten. Wir haben es in der DR Kongo
gesehen: Die Wahlbeobachtungsmission der EU zeigte
sich mit dem Verlauf der dortigen Wahlen zufrieden –
kurz darauf brach in mehreren Regionen des Landes er-
neut der Bürgerkrieg aus.
Ich komme gerade aus Kolumbien zurück, wo regel-
mäßig Wahlen stattfinden, die von westlichen Wahlbeob-
achtern als den demokratischen Standards entsprechend
eingestuft werden. Und zugleich finden in diesem Land
schlimme Menschenrechtsverletzungen statt, kritische
Kandidatinnen und Kandidaten, Friedensaktivistinnen
und -aktivisten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschaf-
ter werden bedroht, im schlimmsten Fall getötet. Eine al-
ternative Wahlbeobachtungsmission, zusammengestellt
von NGOs, der ich selbst angehört habe und die bereits
mehrere Wochen vor der Präsidentschaftswahl 2006 ihre
Arbeit in Kolumbien aufgenommen hatte, kam deshalb
zu einer gänzlich anderen Einschätzung des Wahlprozes-
ses als die offizielle Mission der EU.
Drittens. Die osteuropäischen und zentralasiatischen
Regierungen empfinden die Wahlbeobachtermissionen
zunehmend als Einmischung. Die Motive dieser Regie-
rungen sind – da stimme ich zu – mehr als fragwürdig.
Aber zunehmend kritisieren auch regierungsferne Par-
teien und Organisationen in diesen Ländern die Politik
der OSZE. Bei der OSZE, so ihr Eindruck, scheint oft
das Ergebnis einer Wahl für die Beurteilung des Wahl-
verlaufs maßgeblich zu sein: Eine Wahl war demokra-
tisch, wenn die „Richtigen“ – das heißt, die dem Westen
zugeneigten Kräfte – sich durchgesetzt haben. Deshalb
riskieren OSZE und ODIHR zunehmend, als Instrument
zur Vertretung westlicher Interessen in Osteuropa be-
trachtet zu werden.
Die FDP ist der Meinung, dass, wer „sich mit dem Be-
griff einer Demokratie schmückt“, sich auch als solche
verhalten solle, und verlangt als Maßstab hierfür „Trans-
parenz, das heißt Überprüfbarkeit von Wahlen, die von
unabhängigen Wahlbeobachtern begleitet werden“ Heißt
das, dass die FDP zu den nächsten Bundestagswahlen ei-
nen Antrag an die OSZE auf Entsendung einer Wahlbe-
obachtermission stellen wird? Immerhin: Nicht wenige
hätten sich im Jahr 2000 eine Wahlbeobachtermission in
den USA gewünscht, als der derzeitige US-Präsident zum
ersten Mal ins Amt gewählt wurde. Aber die USA, selbst
mit vielen Wahlbeobachtern international – vor allem in
Osteuropa – im Einsatz, hatte keine Wahlbeobachterin-
nen und Wahlbeobachter eingeladen.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Neunten Geset-
zes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsge-
setzes (Tagesordnungspunkt 23)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Im Juli 2005
erklärte das Bundesverfassungsgericht mehrere Rege-
lungen des bestehenden Versicherungsaufsichtsgesetzes
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ür verfassungswidrig. Dies machte es nötig, das Versi-
herungsaufsichtsgesetz zu novellieren, um eine verfas-
ungsmäßige Regelung zu schaffen. Ziel dieser Novelle
ar neben der Umsetzung des Bundesverfassungsge-
ichtsurteils die Anpassung der Versicherungsaufsicht an
nternationale Standards sowie Neuregelungen bei der
ufsicht über Lebensversicherungsunternehmen.
Wir als Unionsfraktion bewerten den Gesetzesent-
urf grundsätzlich positiv. Das Versicherungsaufsichts-
esetz wird mit dieser Novelle im Sinne des Bundesver-
assungsgerichts angepasst. Dies stärkt die Stellung der
ersicherten.
Des Weiteren bereiten wir die Versicherungswirt-
chaft auf die kommenden Aufsichtsstandards im Rah-
en der europäischen Solvency-II-Regelungen vor. Das
eißt, entsprechend der Entwicklung im Bankenbereich,
ekannt als Basel II, ist auch im Versicherungsbereich
er Übergang zu einer mehr prinzipienbasierten Aufsicht
rforderlich. Dabei werden erhöhte Anforderungen an
ntscheidungsprozesse und an das Risikomanagement in
ersicherungsunternehmen gestellt. Diese Neuregelung
ber das Risikomanagement stärkt die Wettbewerbsfä-
igkeit der deutschen Versicherungsunternehmen. Ein
utes Zeichen für den Versicherungsstandort Deutsch-
and!
Des Weiteren konnten wir bei den Regelungen für
eutsche Pensionsfonds eine gute Einigung erzielen. Die
rößten deutschen Unternehmen, also alle DAX-30-Un-
ernehmen und ein bedeutender Teil großer mittelständi-
cher Unternehmen, planen, die betriebliche Altersvor-
orge ihrer Mitarbeiter in eigenständige Pensionsfonds
uszulagern und abzusichern. Allerdings wurden die bis-
erigen Regelungen zur Deckung des Fondsvermögens
ls zu rigide empfunden, sodass sich bisher nur wenige
eutsche Unternehmen für einen Pensionsfonds ent-
cheiden konnten. Das wird sich nun ändern.
Aktuell darf die Unterdeckung bei Pensionsfonds bei
ur maximal 5 Prozent liegen. Das bedeutet, wenn die
ifferenz zwischen Pensionsansprüchen und Fondsver-
ögen diese Grenze überschreitet, muss die Trägerge-
ellschaft sofort einspringen und ausgleichen. Das Trä-
erunternehmen hätte dafür unangemessen hohe
iquiditätsreserven vorhalten müssen.
In der neuen Regelung wird die Unterdeckungsgrenze
un auf 10 Prozent erhöht. Damit passen wir uns an die
U-Pensionsfondsrichtlinie und auch an die internatio-
alen Bilanzierungsregelungen an. Wird die 10-Prozent-
renze erreicht, hat der Fonds mit der Bundesanstalt für
inanzdienstleistungsaufsicht einen Sanierungsplan auf-
ustellen und muss die Unterdeckung innerhalb von drei
ahren beseitigen. Ein sofortiger Ausgleich der Unterde-
kung ist nicht mehr erforderlich.
Zusätzlich sichern Pensionsfonds alle Betriebsrenten-
nsprüche noch wie folgt ab: Erstens. Sie sind zu 100 Pro-
ent durch Kapital gedeckt. Zweitens. Eine zeitweilige
nterdeckung, beispielsweise bei großen Schwankungen
m Aktienmarkt, ist über den Pensionssicherungsverein
PSV) abgesichert. Drittens. Für alle Fälle müssen die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13251
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Trägerunternehmen haften. Dies wurde mit der Siebten
VAG-Novelle eingeführt.
Mit dieser Neuregelung des Versicherungsaufsichtsge-
setzes positionieren wir uns gut im europäischen Ver-
gleich, und wir bewegen international tätige Unternehmen
dazu, ihre Betriebsrentenansprüche über Pensionsfonds
am Standort Deutschland zu decken.
In einem zweiten Punkt konnten wir uns ebenfalls eini-
gen: Die Eigenmittelfunktion bei Lebensversicherungsun-
ternehmen wird gestärkt. Es geht um die sogenannten
Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen. Die Bildung
dieser Rückstellungen ist momentan nur zulässig, wenn
deren Entnahme ausschließlich für die Beitragsrückerstat-
tung verwendet wird. Das Handels- und das Steuerrecht
verlangen dies.
In bestimmten Fällen erscheint jedoch eine weiterge-
hende Entnahmemöglichkeit aus diesen Rückstellungen
gerechtfertigt, zum Beispiel, wenn der Versicherer zu er-
höhten Leistungen verpflichtet wird. Die Entnahme kann
auch als Risikopuffer dienen, um unvorhersehbare Ver-
luste aus Versicherungsverträgen auszugleichen. Die aus-
schließliche Verwendung dieser Rückstellungen für Leis-
tungen an Versicherte bleibt gewahrt. Darüber hinaus
muss auch immer die Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht zustimmen. Ich halte das für eine sinnvolle
Ergänzung des Versicherungsaufsichtsgesetzes.
Durch die Änderungen stabilisieren wir die Position
der Versicherungswirtschaft im europäischen Kontext,
ohne die Belange der Versicherten, der Versorgungsan-
wärter und der Versorgungsempfänger zu beeinträchti-
gen. Zusammengefasst stärken wir mit diesem Gesetz
den Finanzplatz Deutschland.
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Mit dem heutigen
Beschluss zur Umsetzung eines 9. Gesetzes zur Ände-
rung des Versicherungsaufsichtsgesetzes setzen wir frist-
gerecht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
26. Juli 2005 um, welches Teile des Versicherungsauf-
sichtsgesetzes für nicht mit der Verfassung vereinbar er-
klärt hat.
Um es vorwegzunehmen: Die Verabschiedung des
heutigen Gesetzes ist ein guter Tag für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher, insbesondere für die Inhaberin-
nen und Inhaber von Lebensversicherungen, und es ist
ein guter Tag für den Finanzstandort Deutschland, da zu
erwarten ist, dass aufgrund der neuen Regelungen wei-
tere Unternehmen Pensionsfonds für ihre Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer in Deutschland auflegen wer-
den. Insofern fordern wir nicht nur, sondern wir fördern
insbesondere auch die deutsche Wirtschaft.
Was haben wir mit dem vorliegenden Gesetz erreicht?
Unter anderem verschärfen wir die Genehmigungskrite-
rien, nach denen die Aufsichtsbehörde bei Versiche-
rungsunternehmen, die alle bzw. Teile ihrer Versiche-
rungsverträge auf ein anderes Versicherungsunternehmen
übertragen, zustimmen muss. Dies dient vor allem den
Inhaberinnen und Inhabern von Lebensversicherungen.
Denn bei einer solchen Übertragung muss nun gesichert
sein, dass die durch Prämienzahlungen der Versiche-
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ungsnehmer beim Versicherer geschaffenen Vermögens-
erte im Fall von Bestandsübertragungen als Quellen für
ie Erwirtschaftung von Überschüssen erhalten bleiben
nd den Versicherten in gleichem Umfang zugute kom-
en wie ohne Austausch des Schuldners.
Zum anderen setzen wir den internationalen Trend
m, das deutsche Versicherungsaufsichtsrecht von einer
egelbasierten zu einer Mehr-Prinzipien-basierten Fi-
anzaufsicht umzustellen, wie es sie im Bankenbereich
ereits seit einiger Zeit gibt. Durch diese Umstellung
erden starre gesetzliche Vorgaben aufgegeben, und die
eaufsichtigten Unternehmen erhalten größere Hand-
ungsfreiheit. Im Gegenzug erhöhen sich aber auch die
nforderungen an die Entscheidungsprozesse innerhalb
er Unternehmen. So muss zum Beispiel bei Versiche-
ungsgruppen das an der Spitze stehende Unternehmen
in Risiko-Management besitzen, das die Verteilung der
isiken auf Gruppenebene erfasst. Diese Regelung dient
or allem dazu, der Versicherungswirtschaft Zeit einzu-
äumen, sich auf die zukünftigen Aufsichtsstandards des
uropäischen Solvency-II-Regimes vorzubereiten, ist
lso ein weiterer Schritt in Richtung Vollendung eines
uropäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen.
Lassen Sie mich darüber hinaus noch zwei weitere
ichtige Regelungen erläutern, die Aufnahme in das Ge-
etz gefunden haben und mit dazu beitragen, den Finanz-
tandort Deutschland noch attraktiver zu machen und
nternehmen zu ermuntern, Kapital in Deutschland an-
ulegen: Zum einen handelt es sich um die Regelung zur
ückstellung für die Beitragsrückerstattung gemäß § 56 a
ersicherungsaufsichtsgesetz, zum anderen um die Fle-
ibilisierung der Bedeckungsregelungen bei Pensions-
onds nach §§ 115 und 117 VAG.
Mit dem vorliegenden Gesetz wird klargestellt, dass
ie für die Rückstellung für Beitragsrückerstattung zuge-
iesenen Beträge nur für die Überschussbeteiligung der
ersicherten einschließlich der durch §153 des Versiche-
ungsvertragsgesetzes vorgeschriebenen Beteiligung an
en Bewertungsreserven verwendet werden dürfen. Wir
tellen damit klar, dass durch das vor kurzem verab-
chiedete Versicherungsvertragsgesetz der Überschuss-
egriff in der Lebensversicherung ab dem 1. Januar 2008
rweitert wird. Die Schlusszahlungen, mit denen die
ersicherten an den Bewertungsreserven beteiligt wer-
en, können damit auch zulasten der sogenannten freien
ückstellung für Beitragsrückerstattung RfB, gebucht
erden.
Des Weiteren sorgen wir dafür, dass Lebensversiche-
ungsunternehmen in bestimmten Ausnahmefällen – na-
ürlich nur mit Zustimmung der BaFin – eine Entnahme
us der Rückstellung für Beitragsrückerstattung tätigen
önnen. Dies gilt jedoch nur für die Fälle, in denen die
ückstellungen für die garantierten Leistungen aus den
ersicherungsverträgen aus Gründen, die die Versiche-
ungsunternehmen nicht verschuldet haben, erhöht wer-
en müssen. Auch muss ausgeschlossen sein, dass an-
ere Finanzierungsquellen nicht zur Verfügung stehen.
ie ich finde, ist dies eine richtige und sinnvolle Maß-
ahme, um Lebensversicherungsunternehmen im Notfall
13252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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eine Stärkung der Deckungsrückstellung zu ermögli-
chen.
Ein wichtiger und lange strittiger Punkt wird mit dem
vorliegenden Gesetz nun auch zugunsten der Wettbe-
werbsfähigkeit von Unternehmen in Deutschland imple-
mentiert: die Flexibilisierung der Bedeckungsregelungen
bei Pensionsfonds.
Wie Sie wissen, können seit 2002 Arbeitgeber im
Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge auch den
Durchführungsweg Pensionsfonds wählen. Was verste-
hen wir unter einem Pensionsfonds? Dieser ist nach der
Legaldefinition des § 112 VAG eine rechtsfähige Versor-
gungseinrichtung, die im Wege des Kapitaldeckungsver-
fahrens Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge für
einen oder mehrere Arbeitgeber zugunsten von Arbeit-
nehmern erbringt und dem Arbeitnehmer einen eigenen
Anspruch auf Leistung gegen den Pensionsfonds ein-
räumt. Dieser kann in Form einer Aktiengesellschaft
oder eines Pensionsfonds-Vereins auf Gegenseitigkeit
betrieben werden.
Ein Arbeitgeber schließt mit dem Pensionsfonds ei-
nen Versorgungsvertrag, in dem der Pensionsfonds be-
auftragt wird, die Versorgungsleistung an einen Arbeit-
nehmer zu erbringen. Die Versorgungsleistungen werden
aus den Beiträgen des Arbeitgebers und den Erträgen des
Pensionsfonds finanziert. Ebenso kann der Arbeitneh-
mer den Pensionsfonds für seine Entgeltumwandlung
nutzen.
Das entsprechende Kapital wird nun in Aktien und
Rentenpapieren angelegt. Hierbei unterliegt der Pen-
sionsfonds geringeren Beschränkungen als bei Pensions-
kassen oder Lebensversicherungsunternehmen, mit dem
primären Ziel, eine höhere Rendite zu erreichen.
Hier fängt das Problem an. Denn es besteht auch das
Risiko einer Unterdeckung des Fonds. Wenn nun der
Fonds die zugesagte Versicherungsleistung nicht erbrin-
gen kann, zum Beispiel aufgrund fallender bzw. schwan-
kender Aktienkurse, trifft den Arbeitgeber aufgrund
seiner bindenden Versorgungszusage eine Nachschuss-
pflicht in Höhe des fehlenden Versorgungskapitals bzw.
das Versorgungsversprechen fällt insoweit auf ihn zu-
rück.
Bisher müssen Unternehmen bei schlechter Wertent-
wicklung, das heißt, wenn die Unterdeckung über 5 Pro-
zent beträgt, eigene finanzielle Mittel aufwenden, um
diese in den Pensionsfonds einzuzahlen. In diesem Zu-
sammenhang sei aber darauf hingewiesen, dass bei einer
möglichen Insolvenz des Unternehmens der Pensions-
Sicherungs-Verein die Versorgungszusagen gegenüber
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern leistet.
Diese sofortige Nachschusspflicht führte zu berech-
tigter Kritik der Unternehmen, die Pensionsfonds anbie-
ten, und fördert durchaus die Gefahr, dass diese Pen-
sionsfonds nicht in Deutschland, sondern vor allem im
europäischen Ausland angelegt würden.
Das vorliegende Gesetz behebt nun diesen Missstand
und sorgt dafür, dass die Bedeckungsregelungen von
Pensionsfonds flexibler gestaltet werden. Dies gilt je-
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och nur für sogenannte nichtversicherungsförmige Pen-
ionspläne, also für Pensionsfonds, die nicht wie Versi-
herungen aufgebaut sind. Denn versicherungsförmige
ensionspläne gleichen denen von Lebensversicherungs-
erträgen und sollten daher auch den gleichen Anforde-
ungen unterliegen.
Wir werden nunmehr den Grad der Unterdeckung für
ichtversicherungsförmige Pensionspläne von derzeit
Prozent auf zukünftig 10 Prozent festlegen. Damit er-
üllen wir den Wunsch der in der Anhörung zum Aus-
ruck gekommenen Vorstellung der einzelnen Unterneh-
en, die in Deutschland Pensionsfonds anbieten. Zudem
ann in Zukunft bei Überschreiten der Unterdeckungs-
renze, sofern der Arbeitgeber die erforderlichen Nach-
chussbeiträge nicht zahlt, die Aufsichtsbehörde BaFin
m Einzelfall bei nichtversicherungsförmigen Pensions-
länen die Frist zur Rückkehr zur vollständigen Bede-
kung verlängern. Diese Frist darf jedoch zehn Jahre
icht überschreiten. Damit wird bei der Nichtzahlung die
wingende Umstellung der Versorgungsleistungen auf
ersicherungsförmige Durchführung mit entsprechend
erabgesetzten Beträgen vermieden.
Last, but not least setzen wir mit diesem Gesetz wört-
ich die verbindlichen Vorgaben hinsichtlich der Rege-
ungen zum Aufstellen eines Sanierungsplanes gemäß
rt. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2003/41/EG des Europäi-
chen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 – EU-
ensionsfondsrichtlinie – über die Tätigkeiten und die
eaufsichtigungen von Einrichtungen der betrieblichen
ltersversorgung um. Unternehmen haben nach einem
olchen Sanierungsplan bis zu drei Jahre Zeit, die Unter-
eckung des Fonds auszugleichen.
Fazit dieses Gesetzes ist die Erhöhung der Wettbe-
erbsfähigkeit der deutschen Pensionsfonds und damit
in weiterer Beleg für die Attraktivität des deutschen Fi-
anzstandortes. Wir alle wissen, wie wichtig die betrieb-
iche Altersvorsorge als eine der Säulen unserer Alters-
orsorge ist. Daher ist es richtig und notwendig, gute
edingungen für Unternehmen zu schaffen, die Pen-
ionsfonds in Deutschland gründen wollen.
Letztendlich bleibt festzustellen: Der heutige Be-
chluss ist ein guter Tag für die Verbraucherinnen und
erbraucher.
Frank Schäffler (FDP): Der vorliegende Gesetzent-
urf wurde in der gestrigen Sitzung des Finanzausschus-
es entscheidend überarbeitet. Aufgrund dieser Ergän-
ungen denken wir, dass die neunte VAG-Novelle den
ersicherungsstandort stärken wird und stimmen ihr zu.
Der Gesetzentwurf enthielt in seiner Fassung als Re-
erentenentwurf eine Flexibilisierung der Bedeckungs-
orschriften für Pensionsfonds. Im Kabinettsentwurf
ehlte diese Regelung dann, gestern im Rahmen der Aus-
chussberatungen haben wir sie schließlich wieder ein-
efügt. Nun ist eine Unterdeckung von 10 Prozent ge-
äß § 115 VAG zulässig.
Mit dieser Regelung lösen wir ein gemeinsames
ersprechen aller Fraktionen während der Beratungen
er achten VAG-Novelle ein. Bei einer unvoreinge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13253
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nommenen Prüfung dieser Frage im Rahmen der Anhö-
rung – die übrigens auf Drängen der FDP stattfand –
wurde deutlich, dass hier ein wesentliches Hindernis für
das Entstehen von mehr Pensionsfonds in Deutschland
beseitigt werden musste. Es war völlig unverständlich,
warum die Koalitionsfraktionen dieses Problem nicht
schon bei der letzten Novellierung des VAG lösen woll-
ten. Eine sachliche Begründung gab es dafür nicht;
schon die Anhörung zur achten VAG-Novelle hatte den
Flexibilisierungsbedarf unterstrichen. Umso mehr ist es
jedoch jetzt zu begrüßen, dass sich die Koalitionsfraktio-
nen im Rahmen der vorliegenden Novellierung einer hö-
heren Einsicht nicht verschlossen haben. Dies ist auch
deshalb bemerkenswert, weil das Bundesfinanzministe-
rium während der Ausschussberatungen noch heftig ge-
gen eine Flexibilisierung argumentierte.
Die zweite wichtige Änderung betrifft die Rückstel-
lungen für Beitragsrückerstattung. Die Eigenmittelfunk-
tion der RfB bei Lebensversicherungsunternehmen wird
gestärkt. Auch hier wurde der Änderungsbedarf, auf den
wir bereits in der ersten Lesung hingewiesen hatten, im
Rahmen der Anhörung erneut deutlich. Wir begrüßen die
nun gefundene Regelung, die Entnahmen in eng be-
grenzten Ausnahmefällen erlaubt und sicherstellt, dass
die Mittel ausschließlich für Leistungen an die Versi-
cherten verwendet werden. Dadurch werden die Interes-
sen der Unternehmen und der Versicherten gewahrt.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Das Ergebnis der Be-
ratungen zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgeset-
zes zeigt aus meiner Sicht Licht und Schatten. Die Frak-
tion Die Linke begrüßt, dass mit diesem Gesetzentwurf,
wenn auch mit einiger zeitlicher Verzögerung, den Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich des
§ 14 Versicherungsaufsichtsgesetz entsprochen wird.
Damit werden unter anderem die Belange der Versicher-
ten bei Übertragung eines Bestandes von Versicherungs-
verträgen von einem Unternehmen an ein anderes gere-
gelt. Diese Änderung war überfällig, wie auch der Bund
der Versicherten und die Verbraucherzentralen sagen.
Ebenso begrüßen wir im Grundsatz die schrittweise
Umsetzung der künftigen europäischen Solvabilitätsvor-
schriften, Solvency II, aber eben nur im Grundsatz. Wir
lehnen zum Beispiel die Lockerung des § 115 VAG ab,
mit der den Versicherungsunternehmen eine größere Un-
terdeckung ohne Nachschusspflicht ermöglicht werden
soll. Wir meinen: Eine möglichst hohe Deckungsquote
gibt den Versicherten eine große Einlagensicherheit und
stellt somit ein Qualitätsmerkmal dar. Mit Verweis auf
den Standortwettbewerb der europäischen Versiche-
rungsunternehmen diese Standards nun zu senken, gibt
einer Ideologie des „race to the bottom“ den Vorzug ge-
genüber einem ausgeprägten Qualitätsdenken. Dazu sa-
gen wir auch im Interesse der Versicherten ganz klar
Nein.
In diesem Sinne sehen wir auch kritisch, dass im Rah-
men des § 56 a die Chance verpasst wurde, eine für den
Verbraucher hinreichende Transparenz zu schaffen.
Wenn den Versicherern schon Gelegenheit gegeben
wird, auf die Rückstellungen für Beitragsrückerstattun-
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en zurückzugreifen, dann sollte es zwingend sein, dass
en Versicherten dargelegt wird, welche einzelvertragli-
hen Auswirkungen dies für sie hat. Auch hier gilt, dass
ransparenz und ausreichend hohe Standards als Quali-
ätsmerkmale und nicht als Hemmnisse wahrgenommen
erden sollten. Hinzu tritt, dass auf europäischer Ebene
ie Diskussion über den Umgang mit diesen Geldern
nd den damit verbundenen Transparenzanforderungen
och nicht abgeschlossen ist. Insofern wird zum jetzigen
eitpunkt mit dieser Regelung auch ein falsches Signal
esetzt – nämlich für, zumindest in diesem Punkt, weni-
er transparente und weichere Solvabilitätsvorschriften.
Schließlich zielt unsere Kritik auf jene Punkte, die
icht geregelt werden, unserer Meinung nach aber sehr
ohl regelungsbedürftig sind:
Erstens haben die Verbraucherzentralen wiederholt
arauf hingewiesen, dass es für eine angemessene Be-
ertung der Risikostrategie unverzichtbar ist, dass in
64 a auch das Risikoergebnis als zu berücksichtigen-
es Kriterium Erwähnung finden muss. Das vermissen
ir nach wie vor.
Zweitens beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf
eine für die Versicherten zufriedenstellende Regelung
insichtlich der Aufteilung der Risikogewinne. Damit
leibt es weiter zu sehr in das Ermessen der Versiche-
ungsunternehmen gestellt, was diese für eine angemes-
ene Verteilung zwischen Versicherern und Versicherten
alten. Auch und gerade wegen des außerordentlich ra-
ant wachsenden Marktes für private Rentenversicherun-
en muss der Gesetzgeber hier eine klare Regelung
chaffen. Versicherer und Versicherungsnehmer stehen
ich hier auf einem Markt mit hohem Monopolisierungs-
rad und mit erheblichen Informationsunterschieden ge-
enüber. Da kann man nicht so einfach tun, als seien wir
uf dem Markt für Kartoffeln.
Drittens und abschließend fordert die Linke – und
ier sind wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen vom
ündnis 90/Die Grünen ganz einig –, dass im Falle der
estandsübertragung den Versicherten ein Sonderkündi-
ungsrecht eingeräumt werden muss, ohne dass ihnen
ieraus Nachteile erwachsen. Wenn ohne eigenes Zutun
es Versicherten faktisch der Vertragspartner wechselt,
o darf der Versicherte hier nicht seiner Zustimmungs-
echte beraubt werden.
Weil wir hier Licht und Schatten sehen, können wir
ns bei diesem Gesetzentwurf nur enthalten. Gleichzei-
ig bleibt für uns festzustellen: Einmal mehr hat die Bun-
esregierung leider nicht das herausgeholt, was an Deut-
ichkeit für die Versicherten wünschenswert wäre. Hier
äre mehr möglich gewesen.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
u der heute abschließenden Lesung der neunten No-
elle zum Versicherungsaufsichtsgesetz im Deutschen
undestag möchte ich erst einmal den Hintergrund die-
er Novelle in Erinnerung rufen. Kern des Gesetzent-
urfes ist eine Umsetzung des Bundesverfassungsge-
ichtsurteils vom 26. Juli 2005. In diesem Urteil wurden
ie Übertragungen von Versicherungsbeständen, wie sie
13254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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bislang im Versicherungsaufsichtsgesetz geregelt wur-
den, für verfassungswidrig erklärt. Dass dies jetzt von
der Koalition umgesetzt wird, begrüßen wir in der Sa-
che. Oberstes Anliegen ist nämlich, dass die Transparenz
und Nachvollziehbarkeit für die Versicherten gewähr-
leistet wird. Dadurch erhalten die Bürgerinnen und Bür-
ger eine belastbare Grundlage, auf der sie eine tragfähige
Entscheidung zum Versicherungsabschluss fällen kön-
nen. Nur wenn Versicherer und diejenigen, die eine Ver-
sicherung abschließen, auf „gleicher Augenhöhe“ sind,
kann der Markt für Versicherungsleistungen fair und
wettbewerbsgerecht funktionieren.
Doch diesem Ziel wird der vorliegende Gesetzent-
wurf insgesamt nicht gerecht; denn die konkrete Umset-
zung, wie sie nun von der Bundesregierung vorgesehen
ist, reicht keineswegs aus, um die Belange der Versiche-
rungsnehmer angemessenen zu berücksichtigen.
Ich will dies am Beispiel unseres konkreten Ände-
rungsantrages zur Aufteilung der Gewinnquellen auf
Versicherte und Anteilseigener der Versicherungsunter-
nehmen – § 81 c Versicherungsaufsichtsgesetz –, den wir
in die Beratungen im Finanzausschuss eingebracht ha-
ben, erläutern. Wir fordern darin, dass die Beteiligung
der Versicherungsnehmer am Kapitalanlageergebnis, am
Risikoergebnis und die Beteiligung an den übrigen Er-
gebnissen 90 Prozent nicht unterschreiten dürfen. Damit
beabsichtigen wir, die Versicherungsnehmer an den Ge-
winnquellen, die sie durch die Zahlung ihrer Beiträge
erst ermöglichen, transparent und nachvollziehbar zu be-
teiligen. Bisher ist der Umfang dieser Beteiligung nur in
einer Verordnung geregelt; lediglich für den Fall der Ka-
pitalgewinne ist ein konkreter Wert vorgeschrieben:
90 Prozent. Die anderen Gewinnquellen, die zum Bei-
spiel dadurch entstehen können, dass die Lebenserwar-
tung bei Rentenversicherungen von den Versicherern
länger angesetzt wird, als sie tatsächlich ist, sollen nur
„angemessen“ auf die Versicherten einerseits und die
Aktionäre andererseits aufgeteilt werden. Was „ange-
messen“ ist, bleibt wiederum der Bundesanstalt für Fi-
nanzdienstleistungsaufsicht vorbehalten und ist gerade
für die Versicherten selbst überhaupt nicht nachvollzieh-
bar. Wir sehen aber gerade hier die Verantwortung des
Gesetzgebers, um im Sinne der Versicherten, also der
Verbraucher, transparente, verlässliche und nachvoll-
ziehbare Rahmenbedingungen ganz klar im Gesetz und
nicht in irgendwelchen Verordnungen zu verankern, die
keiner kennt. Die Interessenabwägung zwischen Versi-
chertengemeinschaft einerseits und den Eigentümern der
Versicherungen andererseits ist nicht Aufsichtstechnik,
die in Verordnungen ihren Platz hat, sondern eine politi-
sche Entscheidung von wesentlicher Bedeutung für die
Beteiligten. Das bezieht natürlich die Grundlagen mit
ein, auf die sich die Beteiligungsquote bezieht. Die Ab-
grenzung dieser Grundlagen dürfen wir nicht in Verord-
nungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht überlassen. Hier muss zumindest eine
Kontrollmöglichkeit des Gesetzgebers vorhanden sein.
Dem vonseiten der Koalition vorgebrachten Argu-
ment, dass die Aufteilung der Gewinne zwischen Versi-
cherten und den Aktionären der Versicherungsgesell-
schaften nicht im Gesetz, sondern in einer allgemein
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nbekannten Verordnung und auch dort nicht eindeutig
eregelt werden sollte, weil dies ein ganz wichtiger
ettbewerbsparameter sei, der vom Gesetzgeber nicht
ngetastet werden sollte, halten wir für nicht haltbar.
enn der Wettbewerb schon so gut funktionieren sollte,
arum hat dann das Bundesverfassungsgericht unbe-
ingt mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die
ersicherungsnehmer gefordert? Für Kundinnen und
unden ist bei Vertragsabschluss bisher nämlich nicht
rkennbar und vergleichbar, wie die Erträge aufgeteilt
erden. Sie können diesen Wettbewerbsparameter gar
icht in ihre Entscheidungen einbeziehen, weil sie ihn
chlichtweg nicht kennen. Der Vorwurf, wir würden hier
lanwirtschaftliche Vorgaben machen, ist Humbug:
enn erstens ist die Beteiligung an den Kapitalgewinnen
chon in der existierenden Verordnung mit 90 Prozent
enannt und zweitens zeichnet sich die Leistungsfähig-
eit und damit die Wettbewerbsfähigkeit einer Lebens-
ersicherung dadurch aus, ob sie mit den Beiträgen ihrer
ersicherten und mit ihrer Risiko- und Kostenstruktur
ntsprechend hohe Gewinne erzielt, unabhängig von der
ufteilung dieses Gewinns. Bei der eigentlichen Ge-
innerzielung erfolgt doch der Wettbewerb – und nicht
n Spielräumen versteckt in irgendwelchen Verordnun-
en.
Unbefriedigend war auch die vorgebrachte Argumen-
ation für die Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten für
ie Versicherungsunternehmen auf die Überschüsse, die
igentlich den Versicherten zustehen, § 56 a Versiche-
ungsaufsichtsgesetz. Die vorgeschlagene Änderung,
ass Versicherungsunternehmen künftig berechtigt sein
ollen, mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde in Aus-
ahmefällen die Rückstellung für Beitragsrückerstattung
so heißt der allgemeine Überschusstopf – zur Abwen-
ung eines drohenden Notstandes heranzuziehen, halten
ir nicht für ausreichend. An die Kundinnen und Kun-
en hat dabei offensichtlich in der Großen Koalition er-
eut niemand gedacht; denn die Kunden müssten über
iesen Vorgang informiert und die Auswirkungen auf ih-
en konkreten Versicherungsvertrag individuell beziffert
nd nachvollziehbar begründet werden. Auch das fehlt
n Ihrem Gesetz.
Aus diesen Gründen können wir dem vorliegenden
esetzentwurf zur neunten VAG-Novelle nicht zustim-
en.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
undesminister der Finanzen: Mit dem Gesetz, das wir
eute beraten, knüpfen wir an die Neuregelungen für die
ersicherungsvermittlung und für das Versicherungsver-
ragsrecht an, die in diesem Jahr bereits vom Bundestag
erabschiedet wurden. Auch dieses Gesetz wird für
ehr Verbraucherschutz sorgen und Versicherte insbe-
ondere bei Lebensversicherungen deutlich besserstel-
en.
Anlass für diesen Gesetzentwurf waren die Bundes-
erfassungsgerichtsurteile vom 26. Juli 2005. Mit seinen
rteilen hat das Gericht neue verfassungsrechtliche
aßstäbe für die Lebensversicherung aufgestellt und
orschriften im Versicherungsaufsichtsrecht für verfas-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13255
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sungswidrig erklärt. Das Gericht hat dem Gesetzgeber
aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2007 eine verfas-
sungsgemäße Neuregelung zu schaffen. Heute steht die
abschließende Beratung über diesen Gesetzentwurf an.
Ich freue mich, dass der Regierungsentwurf im Wesentli-
chen die Billigung aller Fraktionen gefunden hat.
Das Bundesverfassungsgericht hatte vor allem die
Regelungen beanstandet, die für die Übertragung eines
Bestands von Versicherungsverträgen auf ein anderes
Unternehmen gelten. Eine Bestandsübertragung ist nur
mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde möglich. Bisher
hat die Aufsichtsbehörde nur darauf geachtet, dass bei
der Bestandsübertragung die garantierten Leistungen der
Versicherten nicht gefährdet wurden. Ihre berechtigten
Erwartungen auf eine Beteiligung an den Überschüssen,
die das Versicherungsunternehmen mit den von ihnen
eingezahlten Beiträgen erzielt, wurden dagegen nur ein-
geschränkt berücksichtigt.
Dieser Zustand soll nun geändert werden: Zukünftig
sind die Belange der Versicherten von der Aufsichtsbe-
hörde umfassend festzustellen und werden ungeschmä-
lert in die Entscheidung über die Genehmigung einge-
bracht. Bei Lebensversicherungen wird sichergestellt,
dass die durch Prämienzahlungen der Versicherungsneh-
mer geschaffenen Vermögenswerte – einschließlich even-
tueller stiller Reserven – mit übertragen werden und den
betroffenen Versicherten in gleichem Umfang zugute-
kommen wie ohne Austausch des Schuldners. Mitglieder
von Versicherungsvereinen bekommen zusätzlich einen
Anspruch auf Entschädigung, wenn sie durch eine Be-
standsübertragung ihre Mitgliedschaft verlieren.
Von den übrigen Regelungen des Gesetzentwurfs ist
die Einführung gesetzlicher Mindestanforderungen an
das Risikomanagement hervorzuheben. Damit soll im
Versicherungsbereich eingeführt werden, was im Ban-
kenbereich bereits seit 2005 vorgeschrieben ist. Im We-
sentlichen geht es darum, die Unternehmen zu veranlas-
sen, eine eigene Risikostrategie zu entwickeln sowie
angemessene interne Steuerungs- und Kontrollsysteme
einzuführen. Dabei wird darauf geachtet, dass die Anfor-
derungen verhältnismäßig bleiben, das heißt Größe der
Unternehmen und der Art ihres Geschäfts angepasst
sind.
Im parlamentarischen Verfahren sind noch zwei zu-
sätzliche Regelungen in das Gesetz aufgenommen wor-
den. Diese betreffen zum einen die Lebensversicherung
und zum anderen Pensionsfonds. Die Lebensversiche-
rungen sind durch die Regelung der Rückstellungen für
die Beitragsrückerstattung betroffen. Hierzu muss man
wissen: Die Beiträge, die für die Überschussbeteiligung
der Versicherten bestimmt sind, werden den Versicherten
nicht sofort ausgezahlt. Vielmehr werden sie zunächst
der Rückstellung für Beitragsrückerstattung zugewiesen,
der sogenannten RfB. Die RfB dient den Versicherungs-
unternehmen zugleich als Eigenmittel und ist daher für
die Sicherstellung ihrer finanziellen Stabilität sehr wich-
tig. Die neue Regelung präzisiert die Voraussetzungen,
unter denen die Unternehmen ausnahmsweise auf die
RfB zugreifen können. Diese Möglichkeit liegt im Inte-
resse der Sicherung der Leistungsfähigkeit des Versiche-
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ungsunternehmens und ist daher auch im Interesse der
ersicherten. An dem rechtlich abgesicherten Schutz der
eteiligung am verbleibenden Überschuss ändert sich
adurch nichts.
Zudem wird der Entwurf um eine bereits seit mehre-
en Jahren diskutierte Frage aus dem Bereich der be-
rieblichen Altersversorgung ergänzt. Der Gesetzgeber
at den 2001 neugeschaffenen Pensionsfonds große
reiheit bei der Kapitalanlage gegeben. Er hat aber
leichzeitig festgelegt, dass der Wert dieser Kapitalan-
age nur in relativ engen Grenzen schwanken darf.
urch diese Vorgabe ist die Flexibilität der deutschen
ensionsfonds bisher eingeschränkt. Mit dem auch im
ereich der betrieblichen Altersversorgung zunehmen-
en Wettbewerb in der Europäischen Union erweist sich
ies als Nachteil. Die Erhöhung der Grenze für Unterde-
kungen von 5 auf 10 Prozent gibt den Pensionsfonds
ie nötige Flexibilität, um auf Schwankungen des Kapi-
almarktes angemessen reagieren zu können. Die Pen-
ionsfonds werden bei Unterdeckungen angehalten, ei-
en von der BaFin zu genehmigenden Sanierungsplan zu
rarbeiten. Hierdurch wird die Sicherheit für die Ansprü-
he der Versorgungsempfänger gewährleistet.
Wir verbinden mit diesem Gesetzentwurf die Moder-
isierung des Rechts mit mehr Schutz für die Verbrau-
her und mit mehr Gerechtigkeit beim Interessenaus-
leich. Daher sollte der Gesetzentwurf auch im Plenum
ine breite Zustimmung finden.
nlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Verbraucherfreund-
liche Lebensmittelkennzeichnung einführen
(Tagesordungspunkt 20)
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU): Bündnis 90/
ie Grünen möchten noch mehr Farbe in unsere Super-
ärkte bringen. Mit roten, gelben und grünen Punkten
ollen dem Verbraucher im Sinne einer staatlich verordne-
n Verkehrsampel freundlicherweise die Entscheidungen
ür die Lebensmittelauswahl abgenommen werden. Des-
alb lautet also der Titel des Antrags „Verbraucherfreund-
che Lebensmittelkennzeichnung einführen“. Ob dies tat-
ächlich diesen Sinn der Verbraucherfreundlichkeit erfüllt,
agen wir zu bezweifeln. Die Union lehnt die sogenannte
mpelkennzeichnung aus einer Vielzahl von Gründen ab.
ir wehren uns dagegen, dem Verbraucher das eigenstän-
ige Denken durch solche Farbkennzeichnungen abzu-
ehmen und setzen vielmehr auf Information statt auf
taatlich verordnete Fernsteuerung. Denn eine Nähr-
ertampel gibt nur scheinbar eine gute Orientierung. Viel-
ehr stellt sie eine starke Vereinfachung dar, die der Viel-
alt unserer Produkte in keiner Weise Rechnung trägt und
anche Branchen, wie die Süßwarenindustrie, fast gene-
ell in die rote Ecke stellt. Der vorliegende Antrag orien-
ert sich nicht am Leitbild der mündigen und informierten
erbraucherinnen und Verbraucher. Er trägt auch nicht
azu bei, dass Verbraucher mehr über Ernährung lernen,
13256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
im Gegenteil: Sie vereinfacht, statt nachvollziehbare In-
formationen zu liefern. Minister Seehofer formulierte
seine Kritik zum Ampelsystem sehr direkt: Die Ampel
„trägt mehr zur Verdummung der Bevölkerung als zu ih-
rer Information bei“! Für die CDU/CSU ist ein nach sub-
jektiven Kriterien bewertendes Ampelsystem mit dem
Prinzip der objektiven Nährwertinformation unvereinbar.
Ein weiteres Argument gegen eine Ampelkennzeichnung
ist deren Eindimensionalität. Sie teilt Lebensmittel ein-
fach nur in gute und schlechte Lebensmittel ein. Deshalb
ist sie ein unzulänglicher Ernährungsratgeber. Die Einfüh-
rung dieses Systems kann dazu führen, dass Verbrauche-
rinnen und Verbraucher eine ganze Reihe von Produkten
mit roten Punkten aus ihrem Speiseplan generell strei-
chen, die ihnen aber gleichzeitig essenzielle Nährstoffe
zuführen. Produkte mit roten Zeichen sind möglicher-
weise wichtige Lieferanten für Vitamine oder Mineral-
stoffe, zum Beispiel Nüsse, Butter, Olivenöl.
Darüber hinaus verleitet das Signposting zu Fehlver-
halten, weil es schlichtweg unlogisch ist. Will man sich
besonders „gut = grün“ ernähren, suggeriert die Ampel,
dass, wenn man möglichst viele Produkte mit dem grü-
nen Punkt wählt, man sich gesund ernähre. Andererseits
bedeutet eine rote Ampel bei Lebensmitteln, anders als
im Straßenverkehr, nicht Stopp!, sondern dass diese Le-
bensmittel maßvoll sehr wohl verzehrt werden können.
Eine Einteilung der Lebensmittel in das grobe Raster gut
und schlecht verwirrt den Verbraucher, weil es gerade
nicht auf die Bewertung einzelner Lebensmittel an-
kommt, sondern auf eine ausgewogene Ernährung, in der
alle Nahrungsmitteln ihren Platz haben. Es geht um eine
ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung mit indi-
viduell unterschiedlichen Anforderungen an Nährstoffe,
Energiezufuhr und Mengen. Politik und Gesetzgeber
dürfen es sich bei diesem wichtigen Thema nicht so ein-
fach machen!
Zudem bietet die Ampelkennzeichnung wenig An-
reize für die Hersteller, Rezepturen innerhalb einer Pro-
duktkategorie zu überarbeiten, da die Verringerung eines
Nährstoffanteils keine grundlegende Verbesserung von
Rot auf Gelb oder von Gelb auf Grün führen kann. Wo
und wie sollen die Grenzziehungen, das Umspringen in
der Farbskala denn erfolgen?
Die Union hat bereits auf ihrem vor einigen Monaten
durchgeführten Ernährungskongress deutlich hervorge-
hoben, dass unter anderem die Kalorienzahl zur besseren
Vergleichbarkeit auf den Verpackungen – am besten gut
sichtbar an prominenter Stelle auf der Schauseite des
Etiketts – hervorgehoben werden sollte. Dabei soll min-
destens die Angabe des Brennwertes bezogen auf eine
Portion unter Bezug auf einen durchschnittlichen Refe-
renzwert von 2 000 Kilokalorien ausgewiesen werden.
Natürlich variiert der individuelle Energiebedarf jedes
einzelnen Menschen – aber jeder mündige Bürger sollte
ein Mindestmaß an Verantwortung und Interesse für
seine Gesundheit und sein persönliches Wohlbefinden
aufbringen.
Natürlich soll jetzt niemand mit dem Taschenrechner
neben dem Teller Dreisätze ausrechnen. Es geht um das
grundsätzliche Gespür für die tatsächlich benötigte tägli-
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he Kalorienzufuhr. Bei vielen Menschen ist das natürli-
he Hungergefühl verloren gegangen, das Gefühl dafür,
ie viel Energie der Körper wirklich braucht. Deshalb
st die Kalorienangabe im Verhältnis zum täglichen Ka-
orienbedarf eine wichtige Hilfe. Diese Angaben sollen
n der Regel bezogen auf die Portion in einheitlichen und
iedererkennbaren Symbolen zum Beispiel als Pikto-
ramm auf Lebensmittelverpackungen bzw. -etiketten
rfolgen. Dazu ist mittelfristig eine Vereinheitlichung
er Portionsgrößen für Lebensmittel derselben Kategorie
urch jeweilige Branchen der Wirtschaft erforderlich.
inheitlichkeit und leichte Verständlichkeit bei der
ennzeichnung sind unabdingbar, damit der Verbrau-
her problemlos die Informationen auswerten kann. Um
en Lebensmittelproduzenten für eine Übergangszeit die
mstellung zu erleichtern, soll lediglich der Brennwert
ezogen auf die Portion unter Bezug auf die empfohlene
ageszufuhr auf der Schauseite des Etiketts angegeben
erden. Diese Variante kann auch bei Klein- und
leinstverpackungen verwendet werden.
Ich möchte noch mal deutlich den Ansatz der Union
ormulieren: Wir setzen auf sachliche und faktische Infor-
ation des Verbrauchers ohne das bewertende Element
iner Ampelkennzeichnung. Wir unterstellen dem mündi-
en Verbraucher, dass er wenige Produktinformationen
issen möchte und mit gesundem Menschenverstand aus-
ertet. Eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung der
erbraucher auf der Basis einer verständlichen und ver-
leichbaren Information ist unser Ziel. Mit diesen Infor-
ationen auf der Verpackung geben wir eine verlässliche
ntscheidungsgrundlage, mit welcher dem Verbraucher
ehr viel mehr gedient ist als mit einer politisch motivier-
n Bewertung einzelner Lebensmittel.
Wenn man sich einen Mars-Riegel gönnt, dann er-
ährt man sich ja nicht gleich schlecht. Im Gegenteil,
an soll diese kleine Sünde ganz bewusst genießen. Im
ahmen einer ausgewogenen Ernährung ist schließlich
lles erlaubt. Aber in Maßen. Wer nicht Maß hält, ist
elbst schuld. Wenn im Jahre 2002 ein an Diabetes er-
rankte Richter einen Prozess anstrengt und den Herstel-
er der Mars-Riegel für seine Krankheit, ausgelöst durch
en täglichen Verzehr von mindestens zwei Schokorie-
eln, verklagt, dann kann ich nur mutmaßen: ein typi-
ches Beispiel für unsere Spaß- und Genussgesellschaft.
nd dann noch eigenes Fehlverhalten anderen in die
chuhe schieben! Es darf in Deutschland keinen riesigen
eipackzettel mit Risiken und Nebenwirkungen für Le-
ensmittel geben.
Bisher sind bereits einige Lebensmittelproduzenten in
eutschland mit gutem Beispiel vorangegangen, denn
ittlerweile tragen 60 Prozent der verpackten Lebens-
ittel zumindest eine herkömmliche Nährwertkenn-
eichnung. Ziel ist eine erweiterte Nährwertinformation
on 70 Prozent aller Lebensmittel auf dem deutschen
arkt bis zum Jahre 2010. Dieses Ziel ist sicherlich sehr
hrgeizig, aber die Lebensmittelwirtschaft hat auf der
llgemeinen Nahrungs- und Genussmittel-Ausstellung,
nuga, 2007 in Köln die Verbreiterung und Verbesse-
ung der Nährwertinformationen begrüßt und ihre Unter-
tützung zugesagt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13257
(A) )
(B) )
Als Kernaussage möchte ich hervorheben, dass Prä-
vention und Bekämpfung von Übergewicht eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe sind, jeder soll seinen Beitrag
entsprechend seiner Kompetenz und Verantwortung leis-
ten, der Verbraucher ebenso wie Wirtschaft und Handel,
Politik und Wissenschaft. Eines ist klar: Erweiterte
Nährwertinformationen, die wahr, leicht verständlich
und miteinander vergleichbar sind, werden das Problem
Übergewicht nicht lösen, das ja bekanntlich von vielen
weiteren Einflussfaktoren wie genetischer Disposition
und Bewegung etc. abhängt. Es ist illusorisch zu glau-
ben, eine solche Nährwertkennzeichnung löse das Pro-
blem Übergewicht, aber sie ist ein wichtiger Mosaik-
stein, welcher als Teil eines Gesamtkonzeptes dem
interessierten und verantwortlichen Verbraucher bei der
Produktauswahl helfen kann.
Entscheidend für die Bekämpfung des Übergewichts
sind letztlich die Aufklärung des Verbrauchers und Moti-
vation, etwas für seine Gesundheit zu tun. Dazu gehören
eben auch eine bewusste Ernährung und viel Bewegung,
in den Schulen und auch im Berufsalltag der Erwachse-
nen. Die Politik kann bei diesem Ziel nur Hilfestellung
leisten. Der verantwortliche Umgang mit der eigenen
Gesundheit – diese Aufgabe verbleibt letztlich beim Ver-
braucher.
Dr. Marlies Volkmer (SPD): Benjamin Franklin
sagte: „Seit der Erfindung der Kochkunst essen die Men-
schen doppelt soviel, wie die Natur verlangt …“ Mit den
Folgen dieses Phänomens müssen wir uns heutzutage
ganz besonders befassen – auch wenn nicht alles, was
gegessen wird, als Ergebnis von Kochkunst bezeichnet
zu werden verdient. Ungefähr 37 Millionen Erwachsene
und 2 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland
sind übergewichtig oder adipös. Jedes zweite stark über-
gewichtige Kind leidet bereits unter einer Folgeerkran-
kung wie Bluthochdruck, Gefäßerkrankungen, Vorstufen
des Diabetes oder orthopädischen Erkrankungen. Damit
aus den übergewichtigen Kindern von heute nicht die
Frührentner von morgen werden, müssen Gegenmaßnah-
men ergriffen werden. Eine gesunde Lebensweise mit
ausgewogener Ernährung und ausreichender Bewegung
kann dem entgegenwirken. Ein wichtiger Aspekt ausge-
wogener Ernährung ist die Auswahl beim Einkauf. Viele
Verbraucherinnen und Verbraucher sind schon jetzt be-
reit, ihren Einkauf auf eine vernünftige Ernährung abzu-
stellen. Die geltenden Vorschriften und die Praxis der
Kennzeichnung sind dafür jedoch nicht ausreichend.
Nährwertangaben sind in der Regel nicht verpflichtend.
Wenn sie dennoch gemacht werden, sind sie oft schwer
zu finden und schwer zu verstehen. So sind sie keine
Hilfe. Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen In-
formationen, die schnell, einfach und klar verständlich
bei der Kaufentscheidung helfen und es leicht machen,
eine gesündere Alternative zu wählen. Es geht also um
die Erweiterung der Wahlfreiheit, nicht um deren Ein-
schränkung. Dabei muss beachtet werden, dass das Wis-
sen über Nahrung, Nahrungszubereitung und ausgewo-
gene Ernährung im Allgemeinen schwindet. Bestimmte
Kenntnisse können deshalb bezüglich der Verständlich-
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eit von Nährwertkennzeichnungen nicht vorausgesetzt
erden.
Das Angebot an problematischen Nahrungsmitteln
insbesondere verarbeitete und zusammengesetzte Pro-
ukte mit verstecktem hohem Fett-, Zucker- und Salzge-
alt – wird immer größer. Daran muss eine Kennzeich-
ung ansetzen, die zur Bekämpfung und Prävention von
bergewicht eine Verhaltensänderung der Verbraucher
eim Einkauf erreichen soll. Nährwertkennzeichnung ist
ür die Wahlfreiheit der Verbraucher unerlässlich. Die
PD setzt sich deshalb dafür ein, sie verpflichtend zu
achen. Solange nur einige Produkte gekennzeichnet
ind, gibt es keine echte Vergleichsmöglichkeit. Die
ennzeichnung muss für die Masse der Verbraucherin-
en und Verbraucher schnell und leicht verständlich
ein. Ein für alle Hersteller und Produkte gleiches Sym-
ol ist deshalb unerlässlich. Die Angaben müssen – ohne
mrechnungsschritte – unmittelbar vergleichbar sein.
edarfsbezogene Angaben sind wegen der unterschiedli-
hen Bedarfe nicht geeignet. Die Kennzeichnung muss
ine Bewertung enthalten, die für den Konsumenten die
esündere Alternative offensichtlich macht. Nur eine
olche Empfehlung ist im alltäglichen Einkaufsstress
ine echte Entscheidungshilfe. Die Bewertung muss auf
nerkannten wissenschaftlichen Ernährungsempfehlun-
en beruhen und kann keinesfalls auf Zahlen der Indus-
rie zurückgreifen. Keine denkbare Nährwertkennzeich-
ung ist für sich genommen geeignet, eine ausgewogene
rnährung sicherzustellen.
Eine Informationskampagne zur Einführung der
euen Kennzeichnung ist deshalb unerlässlich. Wir ap-
ellieren deshalb an die Bundesregierung, ihre Eck-
unkte zur Nährwertkennzeichnung zu überarbeiten und
uf EU-Ebene für eine verpflichtende, wertende Kenn-
eichnung einzutreten. Die Kompetenz des Bundesamts
ür Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL,
nd der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, DGE,
üssen hier genutzt werden. Die Nährwertkennzeich-
ung, die von der britischen Food Standard Agency ent-
ickelt wurde, Ampel, muss auf Anwendbarkeit im
eutschen Markt geprüft werden. Daneben sollte auch
ine Marktforschungsstudie zur Nährwertkennzeichnung
auf übliche Portionen des jeweiligen Lebensmittels be-
ogen – durchgeführt werden, um zu sehen, welche Art
er Kennzeichnung am ehesten zur gewünschten Ände-
ung des Verbraucherverhaltens führt. Auch wenn wir in
inigen Punkten mit den Antragstellern übereinstimmen:
er Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird den Anfor-
erungen nicht gerecht. Es genügt eben nicht, die Auf-
lärung alleine den Verbraucherverbänden zu überant-
orten. Ebenso fehlt die Forderung nach verbindlicher
ährwertkennzeichnung auf EU-Ebene. Meines Erach-
ens bedarf es keiner neuen Studie zu den Grundlagen
er Ernährungsempfehlungen. Hier liegen umfängliche
orschungsergebnisse vor. Es kommt darauf an, diese
ür eine verpflichtende, transparente und leicht verständ-
iche Verbraucherinformation zu nutzen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie, ich – wir alle
üssen uns jeden Tag neu entscheiden, welche Lebens-
ittel wir einkaufen und was wir essen und trinken. Ei-
13258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
nige Kollegen, unter anderem auch die Antragsteller,
sind überzeugt davon, dass wir den Verbraucherinnen
und Verbrauchern mehr Orientierung geben mit einer
Ampelkennzeichnung auf Lebensmitteln. Das halte ich
für einen Irrweg, und zwar ganz einfach deshalb, weil
hier eine Bewertung von Lebensmitteln vorgenommen
wird, die einmal ausbuchstabiert vollkommen fragwür-
dig ist. Nehmen wir mal den Bereich der Fette und Öle.
Da finde ich kein Produkt mit einem grünen Punkt, kein
Rapsöl, kein Olivenöl, selbst Halbfettmargarine ist nicht
mehr im grünen Bereich, sondern gelb gekennzeichnet.
Was tut der Verbraucher nun? Wie soll er nun kochen,
braten, backen? Der greift trotzdem zum Rapsöl und
zum Olivenöl, weil er es kennt und weil er es zur Zube-
reitung der Speisen braucht. So wird aus der Ampel eine
reine Hampelei.
Die Antragsteller beschreiben die hinlänglich bekann-
ten gesellschaftlichen Probleme von Fehlernährung und
Übergewicht. Es wird darauf hingewiesen, dass die Fol-
gekosten von ernährungsbedingten Erkrankungen für
das deutsche Gesundheitssystem für das kommende Jahr
von jetzt etwa 70 Milliarden Euro auf über 100 Milliar-
den Euro ansteigen könnten. Zentrale Forderung des An-
trages ist die Einführung der Ampelkennzeichnung nach
britischem Vorbild. Zusätzlich wird auf Werbeeinschrän-
kungen und Werbeverbote etwa für Süßwaren in anderen
Ländern verwiesen.
Diese einseitige politische Steuerung des Konsums
durch dirigistische staatliche Eingriffe in das Marktge-
schehen wie zum Beispiel Werbeverbote und Nähr-
wertampel lehnt die FDP-Bundestagsfraktion strikt ab.
Die FDP steht für einen Verbraucherschutz, der neben
gesetzlichen Vorgaben verstärkt auf Eigeninitiative und
Wettbewerb setzt. Wir stehen zum Leitbild des mündi-
gen und informierten Verbrauchers. Symbolpolitik, in
deren Mittelpunkt Produkt- und Werbeverbote stehen,
sind für den gewünschten Verbraucherschutz kontra-
produktiv, schaden der Wirtschaft und vernichten Ar-
beitsplätze in Deutschland. Deshalb unterstützen wir
nachdrücklich den Ansatz der Freiwilligkeit der Unter-
nehmen zur verbesserten Kennzeichnung von Lebens-
mitteln. Die dafür gewählte Angabe der zentralen Ele-
mente „1+4“, Brennwert als Kalorien-Gehalt aus Fett,
Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz, ist grundsätzlich
der richtige Weg. Deshalb hätte ich den Bundesernäh-
rungsminister an dieser Stelle gerne für seinen einge-
schlagenen Kurs gelobt. Leider ist aber auch in diesem
zentralen ernährungs- und verbraucherpolitischen Be-
reich zu befürchten, dass die Streitereien zwischen
CDU/CSU und SPD einer vernünftigen Lösung im Wege
stehen. Der vom SPD-Parteitag verabschiedete Antrag
einer verpflichtenden Nährwertkennzeichnung unter-
streicht die Handlungsunfähigkeit dieser Bundesregie-
rung zulasten der Ernährungswirtschaft und der Verbrau-
cher. Offensichtlich sind sich SPD und Union uneinig,
ob die Kennzeichnung freiwillig oder verpflichtend er-
folgen soll. Das ist ein weiterer ernährungspolitischer
Offenbarungseid.
Vor diesem Hintergrund kann ich nur alle Verfechter
einer Ampelkennzeichnung vor einem weiteren ernäh-
rungspolitischen Irrweg warnen. Es ist nahezu unmög-
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ich, nachvollziehbare Kriterien für eine Einteilung in
ot-Gelb-Grün zu definieren. Selbst ein Speiseplan, der
usschließlich Lebensmittel mit einem grünen Punkt ent-
ält, kann dennoch ungesund sein und somit zu einer
ehlernährung führen. Mit dem Ampelsystem ist keine
ussage darüber möglich, ob sich jemand gesund er-
ährt oder nicht.
Deshalb tritt die FDP für einen ganzheitlichen Ansatz
in. Dabei sind Ernährungsaufklärung, Bewegungsför-
erung, leichtverständliche und nützliche Nährwertin-
ormationen sowie die Wahlfreiheit aus einem breit gefä-
herten Lebensmittelangebot zielführende Ansätze zur
ermeidung von Übergewicht von Kindern und Jugend-
ichen. Schließlich müssen alle gesellschaftlichen Grup-
ierungen eingebunden werden.
Karin Binder (DIE LINKE): Wussten Sie, dass noch
icht einmal ein Fünftel des insgesamt verkauften Zu-
kers tatsächlich für Süßwaren verwendet wird? Die
estlichen 82 Prozent des Zuckerumschlags gehen in an-
ere, auf den ersten Blick oft unverdächtige Lebensmit-
el wie Ketchup, Senf oder Tütensuppen. Fast allen Fer-
igprodukten und sogar abgepacktem Fleisch wird
ucker zugesetzt, um sie länger haltbar zu machen.
Nun hat ja Zucker zumindest bei gesundheits- und er-
ährungsbewussten Verbraucherinnen und Verbrau-
hern seit geraumer Zeit nicht den besten Ruf. Und so
at sich die Lebensmittelindustrie allerhand einfallen
assen, um den Zucker in ihren Produkten zu verstecken.
a wird Zucker dann wohlklingend und Gesundheit sug-
erierend als Fructose, Glucose oder Fruchtsüße be-
eichnet: Traubenzucker, Milchzucker, Roh-Rohrzucker,
elasse und so weiter. Oder es wird explizit geworben
it dem Slogan „ohne Zuckerzusatz“. Dabei enthält das
o angepriesene Produkt oft schon mehr als genug Zu-
ker aus den darin enthaltenen Früchten. Auf etlichen
rodukten ist noch nicht mal klar zu erkennen, dass Zu-
ker drin ist, weil die Hersteller ihn verschämt unter der
ubrik Kohlehydrate unterbringen, ohne auf den darin
nthaltenen Zucker hinzuweisen.
Es ist also schwer, als Verbraucherin den Zuckerkon-
um einigermaßen im Blick zu behalten, geschweige
enn, den allgegenwärtigen Zucker zu vermeiden, wenn
an das möchte oder vielleicht sogar aus gesundheitli-
hen Gründen muss.
Ähnliches gilt für Fette und Salz, insbesondere bei
erarbeiteten Lebensmitteln. Seit Jahren wird hier von
en Lebensmittelherstellern getrickst, getäuscht und ver-
chleiert mit Begriffen wie „kalorienarm“ oder „light“,
der es werden Zuckerbomben mit dem Slogan „Null
rozent Fett“ angepriesen.
Das muss anders werden. Wir wollen, dass Verbrau-
herinnen und Verbraucher beim Einkauf und beim Es-
en schnell, einfach und zuverlässig erkennen können,
as sie da konsumieren. Deshalb treten wir ein für eine
inheitliche und transparente Nährwertkennzeichnung
uf verarbeiteten Lebensmitteln. Zucker, Salz, Fette und
nsbesondere gesättigte Fettsäuren müssen klar und deut-
ich auf den Produkten angegeben sein. Und damit nicht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13259
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jeder Hersteller sich hier sein eigenes System mit selbst
gewählten Basiswerten ausdenkt, wollen wir eine ge-
setzliche Normierung. Nur so ist aus unserer Sicht ge-
währleistet, dass auf allen Produkten vergleichbare
Grundangaben zu finden sind und dass die angegebenen
Portionsgrößen gleich und vor allem realistisch sind.
Und nur so kann auch gesichert werden, dass alle Her-
steller dieselben wissenschaftlich gesicherten Werte für
den durchschnittlichen Tagesbedarf eines Nährstoffs zu-
grunde legen, nämlich die der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung (DGE) und nicht die des europäischen
Branchen-Instituts mit seinen deutlich höheren Angaben
für den täglichen Fett- oder Zuckerbedarf.
Ich finde es bezeichnend, wie die Lebensmittelindus-
trie Sturm läuft gegen Pläne zur Lebensmittelkennzeich-
nung. Ursprünglich hatte ich vor, hier besonders auf-
schlussreiche Passagen aus einem Briefwechsel
zwischen dem Lobbyverband der Lebensmittelindustrie
BLL und dem Verbraucherministerium vorzutragen, den
die Verbraucherorganisation foodwatch vor kurzem öf-
fentlich gemacht hat. Ich verzichte jetzt wegen meiner
kurzen Redezeit aber doch darauf und verweise auf die
foodwatch-Dokumentation im Internet.
Aber was ist eigentlich der Grund für die Aufregung
der Lebensmittelkonzerne? Was ist so schlimm daran,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern eindeutig mit-
zuteilen, was in den Produkten enthalten ist? Warum soll
sich die informierte Käuferin nicht aufgrund der Nähr-
wertangaben auf der Packung im direkten Vergleich für
oder gegen ein Produkt entscheiden können? Was ist
schlimm daran, wenn gesündere Produkte durch die Le-
bensmittelkennzeichnung einen Wettbewerbsvorteil be-
kämen?
Und wer oder was zwingt den Verbraucherminister ei-
gentlich, sich ständig der Lebensmittellobby zu beugen?
Als zuständiger Politiker weist er gesetzliche Regelung
weit von sich und lässt den Konzernen bei der Ausge-
staltung der Kennzeichnung freie Hand. Politisch verant-
wortliche Gestaltung sieht anders aus!
Fehlernährung und Übergewicht sind längst nicht
mehr nur Probleme einzelner Individuen. Hier liegt ein
massives strukturelles Problem der modernen Industrie-
staaten vor, wo Süßigkeiten, Fertiggerichte, Limonaden
und Softdrinks, Frühstücksflocken und andere Zucker-
und Kalorienbomben ein Milliardengeschäft sind. Da-
raus kann ganz schnell ein massives gesellschaftliches
Problem werden.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung und insbe-
sondere das Verbraucherministerium nachdrücklich auf,
sich auf ihren Auftrag zu besinnen und den gesundheitli-
chen Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher über
die wirtschaftlichen Interessen der Lebensmittelindustrie
zu stellen. Solange das nicht passiert, braucht Herr Mi-
nister Seehofer hier nichts mehr über gesunde Ernährung
erzählen, und seinen hochgejubelten „Nationalen Aktions-
plan gegen Übergewicht und Fehlernährung“ kann er
dann auch einpacken.
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Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da-
it Verbraucherinnen und Verbraucher sich besser einen
berblick über den Nährwert von Lebensmitteln ver-
chaffen können, wollen wir Grüne ein Kennzeichnungs-
ystem, das auf einen Blick und ohne aufwendiges Stu-
ium der Nährwerttabellen anspricht und informiert.
erade hat die EU dazu neue Vorschläge vorgelegt. Die
bösen Buben“ Fett, Zucker und Salz müssen als Verur-
acher von Übergewicht, Karies und Herz-Kreislauf-Er-
rankungen eindeutig benannt werden. Und zwar auf
em direktesten Weg, nämlich dem über die Lebensmit-
elverpackungen: Hier sind Informationen erforderlich,
ie Transparenz und eine schnelle Orientierung über den
esundheitswert des Lebensmittels schaffen. Dafür bie-
et die verbindliche Ampelkennzeichnung, wie sie in
roßbritannien gemeinsam von Wissenschaftlern und
erbraucherinnen und Verbrauchern entwickelt wurde,
ie beste Gewähr. Sie ist einfach und leicht verständlich
nd sofort zu erfassen. Die Größe von roten, gelben oder
rünen Feldern innerhalb eines Kreisdiagramms zeigt
n: Von diesem Lebensmittel kann ich heute noch etwas
n den Einkaufswagen laden, von dem besser weniger
nd von jenem nur in Maßen. So wird die Kaufentschei-
ung effektiv erleichtert und ein Gegengewicht zu den
ggressiven Werbespots und schillernden Verpackungen
eschaffen, mit der die Ernährungswirtschaft gerade zu-
ker- und fetthaltige Lebensmittel bewirbt. Diese setzte
004 allein für Schokolade und Zuckerwaren mit rund
70 Millionen Euro Werbegeldern ein Hundertfaches
on dem ein, was die Bundesregierung mit bescheidenen
Millionen Euro für Ernährungsaufklärung vorgesehen
at.
Der von Minister Seehofer vorgestellte Vorschlag zu
iner unverbindlichen und freiwilligen Nährwertkenn-
eichnung ist dagegen eine Mogelpackung. Er ignoriert
omplett die Forderungen von Ernährungsfachleuten,
inderärzten und Verbraucherverbänden nach einem
infachen und klaren Konzept. Minister Seehofer setzt
nhaltlich und sogar optisch zu 100 Prozent die Vorgaben
er Ernährungsindustrie um und stellt damit klar, wessen
nteressen er vertritt. Wenn die Bundesregierung ernst-
aft ihrer Verantwortung nachkommen will, zur Redu-
ierung von Fehlernährung und Übergewicht in der Be-
ölkerung beizutragen, wie sie immer behauptet, darf sie
erbraucherinnen und Verbraucher nicht noch mehr ver-
irren. Dem Seehofer- und damit Industriekonzept
angelt es an Einheitlichkeit, Verbindlichkeit und Ver-
tändlichkeit. Sollen wir in Zukunft alle mit Lupe, Ta-
chenrechner und Lehrbuch durch die Läden laufen, um
ntscheiden zu können, was in den Einkaufskorb soll
nd was nicht? Welche Schlussfolgerungen soll man aus
iner Information ziehen, die aussagt, dass man jetzt
Prozent der Tageskalorien, aber nur 1 Prozent Fett, da-
ür aber 11 Prozent Zucker zu sich genommen hat? Wo
och bekannt ist, dass sehr viele Menschen Probleme
it Prozentzahlen und der Prozentrechnung haben! Zu-
em haben sich Handelsketten wie Edeka und Rewe
der Konzerne wie McDonald’s oder Coca Cola schon
ür andere Systeme entschieden.
Statt Orientierung für die Verbraucherinnen und Ver-
raucher zu bieten, wird vonseiten des „Verbraucher“-
13260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Ministers Seehofer gezielt eine Verwirrung betrieben.
Scheinbar fehlt der politische Wille, tatsächlich eine Ver-
besserung der Ernährungssituation herbeizuführen. Diese
wäre aber dringend notwendig, wirft man einen Blick auf
aktuelle Zahlen: 1,9 Millionen übergewichtige Kinder und
Jugendliche zwischen 3 und 17 Jahren gibt es in Deutsch-
land, davon alleine 800 000 mit krankhafter Fettleibigkeit,
also Adipositas. Unsere heutige Zeit ist geprägt von Fehl-
ernährung und Bewegungsmangel. Wenn es nicht gelingt,
den fatalen Trend zum Übergewicht umzukehren, werden
die Folgekosten weiter deutlich ansteigen: Staatssekretär
Gerd Müller rechnete vor, dass das deutsche Gesundheits-
system in den kommenden Jahren – wenn nicht sofort um-
gesteuert wird – mit weiteren 30 Milliarden Euro belastet
werden wird; zusätzlich zu den 70 Milliarden Euro, die
bereits jetzt aufgebracht werden müssen; ganz abgesehen
von der Verminderung der Lebensqualität, die mit diesen
Krankheiten einhergeht.
Für dieses Ernährungsproblem muss der Staat Mitver-
antwortung übernehmen und darf die Lebensmittelkenn-
zeichnung nicht von der Kooperationsbereitschaft der
Lebensmittelindustrie abhängig machen!
Deshalb fordern wir Grüne erstens eine eindeutige
und verbindliche und damit verbraucherfreundliche Le-
bensmittelkennzeichnung nach britischem Vorbild, die
klar und einfach vermittelt, welchen Beitrag das Lebens-
mittel zu einer gesunden Ernährung leisten kann; zwei-
tens dass die Bundesregierung Klarheit bei der fachli-
chen Bewertung von Lebensmitteln schafft – es gibt
immer noch Wissenslücken bei den Grundlagen der Er-
nährungsempfehlungen, wie zum Beispiel bei Zucker –
und dass drittens Minister Seehofer eine Informations-
kampagne startet, die die neue Lebensmittelkennzeich-
nung einer breiten Öffentlichkeit bekannt macht und die
Vorteile für die tägliche Essensauswahl herausstreicht.
Wir werden die Kennzeichnungsdebatte auch auf
Grundlage der EU-Vorschläge weiter führen.
Anlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung eines Gesetzes über die Feststel-
lung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver-
mögens für das Jahr 2008 (ERP-Wirtschafts-
plangesetz 2008) (Tagesordnungspunkt 25)
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Es ist eine
Tatsache: Die deutsche Wirtschaft ist wieder auf Wachs-
tumskurs. Dafür verantwortlich ist in allererster Linie
der deutsche Mittelstand; denn die Arbeitsplätze, die neu
und zusätzlich geschaffen worden sind, sind vor allem
im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmungen
entstanden. Mit über 30 Millionen Beschäftigten wird
die höchste Beschäftigungsquote seit der deutschen Ein-
heit erreicht. Bis 2009 könnte die Zahl der Arbeitslosen
nach Ansicht der Experten sogar auf 3 Millionen sinken.
Es zeigt sich mehr und mehr, dass Reformen Früchte tra-
gen, und es wird deutlich, was in Deutschland steckt,
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enn Rahmenbedingungen verbessert und Kräfte freige-
etzt werden.
Wir sind deshalb für den Aufschwung gut beraten,
enn wir eine weitere Stärkung des Mittelstandes für
ehr Wachstum und Beschäftigung erzielen. Der Mittel-
tand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Rund
,3 Millionen kleine und mittlere Unternehmen sowie
elbstständige in Handwerk, industriellem Gewerbe,
andel, Tourismus, Dienstleistungen und freien Berufen
rägen die deutsche Wirtschaft. Mittelständische Unter-
ehmen stellen 99,7 Prozent aller Unternehmen in
eutschland dar, tätigen 40,8 Prozent aller steuerpflich-
igen Umsätze, bieten 70,2 Prozent aller Arbeitsplätze an
nd bilden 81,9 Prozent aller Lehrlinge aus. Der
chwerpunkt unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik
uss deshalb eine Politik zur Stärkung des Mittelstandes
ein. Der Strukturwandel macht vor dem Mittelstand
icht halt. Statt mit Rohstoffen wird sich der Mittelstand
m globalen Wettbewerb nur mit Wissen, innovativen
rodukten und marktfähigen Dienstleistungen und In-
estitionen behaupten können.
Dazu gehört auch, dass wir eine Verbesserung der Fi-
anzierungsbedingungen für den Mittelstand erreichen.
ach wie vor haben vor allem kleine und mittelständi-
che Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlich-
eiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen,
in zu geringes Eigenkapitalpolster oder Probleme bei
er Fremdfinanzierung. Der Innovations- und Mittel-
tandsförderung kommt bei Gründungen und Investitio-
en nach wie vor große Bedeutung zu. Wenn ich mit Un-
ernehmerinnen und Unternehmern gerade auch über
ründungen von Unternehmen spreche, dann sagen sie
ir: Das zentrale Problem ist die Finanzierung.
Somit kommt dem ERP-Wirtschaftsplangesetz eine
ohe Bedeutung zu. Das ERP-Wirtschaftsplangesetz
008 wird nun erstmals nach den Regelungen des geän-
erten Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sonder-
ermögens aufgestellt. Die Änderungen traten mit dem
esetz zur Neuordnung der ERP-Wirtschaftsförderung
m 1. Juli in Kraft. Gegenüber den bisherigen Wirt-
chaftsplänen ergeben sich umfangreiche Neuerungen,
a die Wirtschaftsförderung zukünftig aus den Erträgen
es ERP-Sondervermögens und nicht mehr durch Darle-
en finanziert wird. Das Ringen um die Übertragung des
RP-Sondervermögens auf die KfW hat Erfolg. Der
ubstanzerhalt wird auch für die Zukunft gewährleistet.
Aus ERP-Mitteln wird in 2008 die Zinsbegünstigung
on Darlehen und Beteiligungskapital für Unternehmen
er gewerblichen Wirtschaft, vor allem des Mittelstan-
es, sowie für Freiberufler mit einem Volumen von rund
Milliarden Euro finanziert. Lassen Sie mich drei Bei-
piele nennen.
Erstens. Im ERP-Wirtschaftsplan 2008 werden für die
ründung von Unternehmen 450 Millionen Euro ange-
etzt. Die Absenkung im Plan 2008 im Programm „ERP-
apital für Gründung“ von 700 Millionen Euro in 2007
uf 450 Millionen Euro entspricht den Erfahrungen aus
er Praxis, da das Programm in den letzten Jahren nie
as vorgesehene Volumen erreicht hat. Derzeit wird es
berarbeitet und attraktiver gestaltet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13261
(A) )
(B) )
Zweitens. Bei der Absenkung des Planansatzes 2008
im Programm „ERP-Kapital für Wachstum“ von
400 Millionen Euro in 2007 auf 200 Millionen Euro
wurden die gleichen Überlegungen angestellt. Da aber
auch das Wachstumsprogramm überarbeitet wird, ist hier
ein Planwert von 200 Millionen Euro angesetzt worden,
um über entsprechende Spielräume zu verfügen.
Drittens. Die Anhebung der Planwerte 2008 im Um-
weltprogramm auf 1,45 Milliarden Euro hängt ebenfalls
damit zusammen, dass in den letzten Jahren die tatsäch-
lichen Zusagewerte stets deutlich höher ausgefallen sind
als die Planwerte. Während die Planwerte in der Regel
bei 900 Millionen Euro gelegen haben, entwickelten sich
die Zusagewerte auf deutlich über 2 Milliarden Euro. Ab
Anfang 2008 soll das neue Umweltprogramm „Energie-
effizienz in KM“ starten; es ist mit circa 350 Millionen
Euro eingeplant. Gleichzeitig wird an einer neuen Auf-
teilung der Förderung von Umweltschutz und Energie-
einsparung zwischen ERP-SV und KfW gearbeitet. Ins-
gesamt sind im Planansatz daher 1,45 Milliarden Euro
eingestellt wurden. Dieser Ansatz dürfte bei Nutzung der
gegebenen Flexibilitäten ausreichend sein, um alle sinn-
vollen Umwelt- und Energiesparvorhaben mitfinanzie-
ren zu können.
Ziel des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2008 ist es, die
größtmögliche Transparenz der Wirtschaftsförderung zu
erhalten. Praxisnähe und Effizienz der Wirtschaftsförde-
rung müssen stattfinden. Die finanziellen Ansätze müs-
sen der wirklichen Nachfrage angepasst werden. Eine
spezielle Werbung für die Nutzung von Gründerkapital
muss stattfinden. – Das haben wir erreicht. Der ERP-
Wirtschaftsplan 2008 orientiert sich tatsächlich mehr an
den erreichten Förderzahlen, beweist mehr Flexibilität
und ein hohes Maß an Transparenz. Der ERP-Ausschuss
wird im kommenden Jahr vor Ort den Förderunterneh-
men Besuche abstatten, um den Erfolg der Wirtschafts-
förderung und die Programmgestaltung weiter voranzu-
bringen.
Ich glaube, meine Ausführungen haben Ihnen die Be-
deutung der Förderung des Mittelstandes aus den ERP-
Mittel deutlich vor Augen geführt. Mir war die Erstel-
lung des Berichts des Bundesrechnungshofs besonders
wichtig; ich bedanke mich ausdrücklich für die umfas-
sende Unterstützung zur sachgerechten Bewertung.
Nachdem in der abschließenden Sitzung des ERP-Aus-
schusses am Mittwoch alle noch offenen Fragen zufrie-
denstellend geklärt werden konnten, gab es für das ERP-
Wirtschaftsplangesetz 2008 eine breite Zustimmung. Ich
kann Ihnen heute hier versichern, dass wir uns im Aus-
schuss gemeinsam weiter dafür einsetzen werden, dass
dem Mittelstand weiterhin so viel Förderung wie mög-
lich zugute kommt; denn eines weiß ich als erfahrener
Unternehmer nur zu gut: Die Gründung und der Erhalt
eines Unternehmens und damit die Schaffung von Ar-
beitsplätzen stehen und fallen mit der Finanzierung.
Garrelt Duin (SPD): Wenn man sich die Geschichte
der ERP-Förderung anschaut, liest sie sich wie die Er-
folgsgeschichte des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Angefangen mit dem rudimentären Wiederaufbau über
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ie Unterstützung exportintensiver Industrien bis hin
um Umweltschutz und Beteiligungskapital für techni-
che Innovationen ist das ERP ein Erfolgsmodell. An-
and dieser Entwicklung wird ganz klar, welche Bedeu-
ung das ERP für zahlreiche Wirtschaftsunternehmen,
ber auch für die wirtschaftliche Position Deutschlands
eltweit hat.
Heute besprechen wir das erste Wirtschaftsplangesetz
ach der Neuordnung der ERP-Wirtschaftsförderung. Der
eue Wirtschaftsplan 2008 ist deshalb mit denen der Vor-
hre nicht mehr vergleichbar. Mit der KfW wurde ein im
ereich Mittelstandsförderung besonders kompetenter
artner mit ins Boot genommen. Durch diese Zusammen-
rbeit erreichen wir Effizienzsteigerung und Bürokratie-
bbau. Vorrangiges Ziel ist und bleibt es, die Investitions-
ähigkeit mittelständischer Unternehmen langfristig zu
ichern und die Gründung neuer Unternehmen zu unter-
tützen. Das Fördervolumen und die Förderintensität des
RP bleiben dabei bestehen. Das in der KfW angelegte
ondervermögen bleibt der Wirtschaftsförderung weiter-
in ausdrücklich erhalten.
Die Kolleginnen und Kollegen der Opposition versu-
hen wieder einmal den Eindruck zu erwecken, die Bun-
esregierung gefährde den Substanzerhalt des ERP-Ver-
ögens. Das ist reine Angstmacherei und soll von dem
rfolgsmodell ERP und seiner Neuordnung ablenken.
enn auch der Bundesrechnungshof bestätigt uns, dass
it der Umsetzung des ERP-Wirtschaftsplans 2008 der
ubstanzerhalt des ERP-Vermögens nicht in Gefahr ist.
rotz der Probleme der IKB-Bank ist die für die Über-
assung von Eigenkapital gewährte Vergütung bzw. die
ür das Nachrangdarlehen gewährte Verzinsung in Höhe
on mindestens 590 Millionen Euro jährlich gewährleis-
et.
Wir wollen mit der Umsetzung des Wirtschaftsplans
008 weiterhin zukunftsorientierte Akzente setzen. Un-
ere Politik setzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Be-
ebung und Stützung der wirtschaftlichen Dynamik im
ittelstand. Mit dieser bedarfsorientierten Förderung
aben wir genau ins Schwarze getroffen. Die ERP-För-
erung von Existenzgründern sowie kleinen und mittle-
en Unternehmen stärkt den Standort Deutschland und
amit unsere Position im europäischen und globalen
tandortwettbewerb.
Nicht zuletzt stellt sie einen wichtigen Beitrag zur Lö-
ung der Beschäftigungsprobleme dar. Denn neue Be-
riebe und die Ausweitung mittelständischer Unterneh-
en wirken sich positiv und nachhaltig auf den
rbeitsmarkt aus. Die Finanzierung von betrieblichen
mweltprojekten und neuen Energiequellen leistet einen
ichtigen Beitrag für unsere ökologischen Zielsetzun-
en. Gerade in strukturschwachen Regionen ist das
RP-Sondervermögen ein wichtiges Fördermittel, be-
onders für die kleinen und mittelständischen Unterneh-
en. In Gesprächen mit Vertretern der Sparkassen in
einer Region wurde deutlich, dass bei Krediten für die
MU fast zu 100 Prozent auf die Kreditmöglichkeiten
es ERP zurückgegriffen wird.
Es gab in den vergangenen Jahren auch Zeiten, in de-
en das anders war, als Kredite aus den ERP-Program-
13262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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men kaum genutzt wurden. Seit einiger Zeit wird aber
wieder verstärkt investiert. Dies ist sicherlich auf den
wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch auf die günsti-
gen Bedingungen der ERP-Förderung zurückzuführen.
Das ist doch genau das, was wir mit unserer Politik errei-
chen wollen: Wir wollen den Mittelstand stärken und die
Menschen in Deutschland am Aufschwung teilhaben las-
sen.
Martin Zeil (FDP): Der ERP-Wirtschaftsplan 2008
ist bekanntlich aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten
Neuordnung der ERP-Wirtschaftsförderung ein Plan un-
ter völlig neuen Prämissen. Wir standen und stehen die-
ser Neuordnung skeptisch gegenüber, und der vorlie-
gende Plan ist nicht gerade geeignet, diese Skepsis zu
zerstreuen.
Lassen Sie mich zunächst auf die politischen Akzente
eingehen, die der Wirtschaftsplan setzt und die sehr auf-
schlussreich sind. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält
grundlegende Umsteuerungen bezüglich der Verteilung
der Fördermittel. So erfolgt eine massive Reduzierung
der Mittel für die Gründung von Unternehmen, und zwar
um rund 36 Prozent. Auch das ERP-Kapital für Wachs-
tum wird erheblich heruntergefahren: 50 Prozent weni-
ger als bisher will man dafür ausgegeben. Das sind
schon ganz beträchtliche Kürzungen und zwar ausge-
rechnet im Bereich „Unternehmerkapital“, in dem Pro-
gramm, das dazu da ist, der immer wieder betonten Ei-
genkapitalschwäche des Mittelstandes abzuhelfen.
Ebenfalls starke Einbußen hinnehmen muss das Regio-
nalförderprogramm, das auf 30 Prozent der früheren För-
derung verzichten muss. Hierbei handelt es sich um ein
Instrument, das vor allem den Investitionsbedürfnissen
gestandener Unternehmen in den neuen Ländern entgegen
kommt, die zu hegen und pflegen es viele Gründe gibt,
zum Beispiel den, dass sie immer noch viel zu rar gesät
sind.
Schließlich und letztlich sei die Reduzierung des Be-
teiligungskapitals um 20 Prozent genannt. Dabei ist es
für den Mittelstand und seine Wettbewerbsfähigkeit sehr
wichtig, zu wachsen, und hilfreich, dafür Kapitalspritzen
zu bekommen.
Eine erhebliche Aufstockung, ja, eine regelrechte Auf-
blähung hingegen erfährt das ERP-Umweltschutzpro-
gramm, bei dem der Mitteleinsatz um ganze 61,1 Prozent
zulegt. Nicht, dass wir etwas gegen den Umweltschutz
hätten. Ganz im Gegenteil. Aber eine dermaßen einseitige
Akzentuierung des ERP-Förderprogramms erscheint uns
als deutlich überzogen. Wir können auch nicht erkennen,
wieso das unbedingt dem Mittelstand nutzt und frommt.
Es dient vielmehr zuerst und vor allem der Umsetzung der
äußerst ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregie-
rung.
Die Bundesregierung begründet die erheblich verän-
derten Mittelansätze damit, dass sich auch die Nachfrage
nach Fördermitteln in den einzelnen Bereichen geändert
habe und dass sie dem mit einem angepassten Mittelan-
satz zu entsprechen suche. Das ist jedoch nur die halbe
Wahrheit. Sieht man sich die Vergleichszahlen an, so stellt
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an fest, dass die reale Nachfrage nach dem Regionalför-
erprogramm und nach Beteiligungskapital von 2006 zu
007 gestiegen ist. Bei beiden ist aber der Mittelansatz für
008 zurückgefahren worden.
Was wir hier konstatieren, ist, dass sich die ERP-Förde-
ung immer mehr von der klassischen Mittelstandsförde-
ung entfernt. Statt Beteiligungskapital für mehr Wachs-
m zu erhalten, wird der Mittelständler mit Beihilfen für
nergiesparende Maßnahmen und Umweltinvestitionen
eglückt. Diese können ihm möglicherweise helfen, Kos-
n zu senken, aber sein naturgemäß viel stärker ausge-
rägtes Anliegen, zu investieren, um zu wachsen, befrie-
igen sie nicht.
So viel zu den aus unserer Sicht zweifelhaften und
icht voll nachvollziehbaren Schwerpunktsetzungen des
esetzentwurfs.
Auch sonst lässt er einiges zu wünschen übrig. Das
at der Bericht des Bundesrechnungshofes zum Gesetz-
ntwurf sehr deutlich gemacht. Es mangelt dem Entwurf
n Transparenz und Klarheit. Beides liegt aus meiner
icht in der Bringschuld der Bundesregierung gegenüber
em Parlament, und zwar ganz besonders vor dem Hin-
ergrund der Neuordnung, die viele Änderungen mit sich
ringt, die erklärt und verstanden werden wollen.
Es ist mir in diesem Zusammenhang unverständlich,
arum das Wirtschaftsministerium nicht bereits von
ich aus Informationen zur geplanten Zinsverbilligung
e Förderprogramm und die sich daraus ergebenden
insausgaben geliefert hat, sondern dass es dazu erst
es Anstoßes durch den Bundesrechnungshof brauchte.
Die nachträglich gelieferte Aufstellung unterstreicht
brigens noch einmal, dass das Umweltprogramm mit
iner Zinsverbilligung von fast 9 Milliarden Euro alle
nderen Positionen deutlich übertrifft, die Zinsverbilli-
ung des Unternehmerkapitals zum Beispiel um rund
Milliarden Euro.
Erfreulich ist auch, dass die Bundesregierung nach-
räglich eine Plausibilitätsbetrachtung geliefert hat, die
ie Förderung des Jahres 2008 in die Zukunft fort-
chreibt. Die Rechnung enthält allerdings etliche Unbe-
annte und ist nicht mehr als ein Schätzwert, der sich
uch anders als erwartet entwickeln kann.
Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung alle An-
egungen des Bundesrechnungshofes auf- und angenom-
en hat, gleichzeitig aber in gewisser Weise auch ein
rmutszeugnis, dass es der „Nachhilfe“ durch den Bun-
esrechnungshof bedurft hat, um mehr Licht in das ERP-
ördergeschäft zu bringen.
Trotzdem werden wir uns bei der Abstimmung über
iesen Gesetzentwurf der Stimme enthalten, weil wir die
ördermittelverteilung für nicht voll nachvollziehbar
alten und zudem immer noch große Zweifel daran ha-
en, dass in den nächsten Jahren Einnahmen und Ausga-
en in geplanter Weise in Übereinstimmung zu bringen
ind.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Der ERP-Wirt-
chaftsplan für das Jahr 2008 sieht zinsverbilligte Finan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13263
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zierungshilfen für kleine und mittlere Unternehmen in
Höhe von vier Milliarden Euro vor. Die Linke stimmt
diesem Gesetzentwurf zu. Das ERP-Programm hebt sich
positiv ab von der allgemeinen wirtschaftspolitischen
Linie der Bundesregierung.
Erstens setzt es das Eingeständnis voraus, dass volks-
wirtschaftliche Effizienz von freien Kapitalmärkten
nicht zu erwarten ist. Private Beteiligungsfonds setzen
hohe Summen für die Übernahme etablierter Unterneh-
men ein, die Beteiligung an jungen Unternehmen in der
Gründungs- oder Startphase liegt im kaum messbaren
Bereich. Unter dem Strich entziehen die Kapitalmärkte
mit ihrer Renditeerwartung den Unternehmen häufig
mehr Mittel, als sie ihnen zur Verfügung stellen.
Zweitens werden die ERP-Kredite zweckgebunden
für Investitionen vergeben, darunter auch für Forschung
und Entwicklung. Dies steht in wohltuendem Kontrast
zur allgemeinen Entwicklung auf dem Finanzsektor.
Finanztransaktionen dienen heute nicht in erster Linie
realen Investitionen, sondern der Erzeugung von Rechts-
titeln, die bereits bestehendes Produktivvermögen tribut-
pflichtig machen. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise im
Sommer dieses Jahres wuchs das Kreditvolumen für
schuldenfinanzierte Unternehmensübernahmen und wag-
halsige Spekulationsgeschäfte von Hedgefonds stark an.
Die Bundesregierung hat diese Entwicklung durch die
Liberalisierung der Finanzmärkte befördert. Eine Alter-
native ist die zinsgünstige öffentliche Kreditvergabe un-
ter der Bedingung, dass die Mittel für Realinvestitionen
verwendet werden.
Drittens besteht die ERP-Förderung aus zurückzuzah-
lenden Krediten an investierende Unternehmen. Dies ist
deutlich besser als allgemeine Steuergeschenke an den
Unternehmenssektor, die durch Mehrwertsteuererhöhun-
gen gegenfinanziert werden. Die blauäugige Hoffnung,
dass steigende Gewinne automatisch zu mehr Investitio-
nen und mehr Beschäftigung führen, sollte man inzwi-
schen aufgegeben haben.
Weitere politische Anstrengungen sind nötig, um die
Wirksamkeit des ERP-Sondervermögens zu erhalten:
Erstens darf das Sondervermögen nicht mehr als
Liquiditätsquelle für den Bundeshaushalt missbraucht
werden. Die Neuordnung des Sondervermögens in die-
sem Jahr hat die Substanz geschwächt und die Liquidität
verringert.
Zweitens sollte das Sondervermögen nicht für die
Förderung von Großkonzernen wie EADS eingesetzt
werden. EADS benötigt statt öffentlichen Krediten und
Subventionen eine öffentliche Kapitalerhöhung, damit
die geplanten Notverkäufe von Airbuswerken unterbun-
den werden können.
Drittens muss die parlamentarische Kontrolle über die
effiziente Verwendung der ERP-Mittel gestärkt werden,
erst recht nach der Übertragung auf die KfW. In Zukunft
muss genau evaluiert werden, welche Wirkungen die
einzelnen Förderprogramme in Bezug auf Innovation
und Beschäftigung gebracht haben. Die bisherige Pla-
nungspraxis ist verbesserungswürdig. Planzahlen und
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stzahlen für die einzelnen Programme haben meist we-
ig miteinander zu tun.
Viertens muss die notwendige Verzinsung des Son-
ervermögens in der KfW sichergestellt werden, damit
as Fördervolumen beibehalten werden kann. Die
inanzspekulationen der IKB haben der KfW schwer ge-
chadet. Eine Präzisierung des Aufgabenbereichs der
fW kann dazu beitragen, ähnliche Verluste in Zukunft
u verhindern.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
as ERP-Sondervermögen spielt eine zentrale Rolle in
er Förderung des Mittelstandes, des Umweltschutzes
nd von Innovationen. Das zu verabschiedende Gesetz
egt den ERP-Wirtschaftsplan für 2008 fest. Insgesamt
erden 363 Millionen Euro für Förderzwecke und die
amit verbundenen Kosten bereitgestellt.
Aufgrund der großen Bedeutung des ERP-Sonderver-
ögens hatten wir die weitgehende Übertragung des
RP-Sondervermögens an die KfW im Sommer dieses
ahres sehr kritisch betrachtet. Die Finanzkrise hat schon
enige Wochen nach der Übertragung gezeigt, dass auch
nlagen in der KfW nicht ohne jedes Risiko sind und
ass es problematisch ist, sein Portfolio weitestgehend
uf eine Bank zu konzentrieren.
Bis heute können wir nicht abschätzen, wie weit die
fW von der Finanzkrise betroffen sein wird und welche
uswirkungen dies auf die Förderkraft des ERP-Sonder-
ermögens haben wird. Nichtsdestoweniger werden wir
er konkreten Vorlage des ERP-Wirtschaftsplans zustim-
en. Der Wirtschaftsplan hat einige positive Punkte.
nsbesondere begrüßen wir, dass für Umweltschutztech-
ologien sowie für das Innovationsprogramm für 2008
eutliche Aufwüchse vorgesehen sind. Sowohl das Um-
eltprogramm als auch das Innovationsprogramm sind
n den letzten Jahren sehr gut gelaufen. Daher ist es fol-
erichtig, hier weitere Akzente zu setzen. Positiv ist aus
nserer Sicht auch die Entwicklung des ERP-EIF-Dach-
onds. Dieser hat inzwischen in eine Reihe von Venture-
apital-Unternehmen investiert und die gewünschte He-
elwirkung erzielt. Das heißt, die Venture-Capital-
nternehmen konnten mit der Unterstützung des
achfonds ein Vielfaches an Mitteln einwerben. Über
Milliarde Euro Venturecapital konnte damit generiert
erden, die für Investitionen in Start-ups zur Verfügung
tehen. Ich denke, wir sollten diese Erfolgsgeschichte
ortsetzen. Daher begrüßen wir die Ankündigung der
undesregierung mit dem EIF in Gespräche einzutreten,
ie Dachfondsmittel aufzustocken. Es war sehr voraus-
chauend, dass dafür Mittel im Rahmen der Neustruktu-
ierung reserviert wurden. Ein weiterer Grund für unsere
ustimmung ist die Zusicherung der Bundesregierung,
ass das ERP-Vermögen und die Förderung erhalten
leiben sowie die zugesagten Erlöse im Wirtschaftsplan
uftauchen. Wir werden uns dies auch in Zukunft genau
nsehen. Der Bundesrechnungshof hat in der Vergangen-
eit seine Skepsis zum Ausdruck gebracht, dass das
ermögen tatsächlich erhalten bleibt. Wir werden im
nterausschuss weiter unsere parlamentarische Kon-
rollfunktion ausüben.
13264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Anlage 18
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Antrag: Nanotechnologie – Forschung ver-
stärken und Vorsorgeprinzip anwenden
– Unterrichtung: Bericht der Bundesregie-
rung zum Veränderungsbedarf des beste-
henden Rechtsrahmens für Anwendungen
der Nanotechnologie
(Tagesordnungspunkt 22 a und b)
Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU): Der
Nano-Bereich ist zweifelsfrei eines der wissenschaftlich
spannendsten und anwendungsperspektivisch vielver-
sprechendsten Forschungsgebiete. Von der Elektronik-
und Automobilbranche über Lichttechnik und Energie-
gewinnung bis hin zu Medizin und Gesundheit: Die Na-
notechnologie hat das Potenzial, einen maßgeblichen
Beitrag zu leisten nicht nur zur Erweiterung der Produkt-
palette, sondern auch zur Effizienzsteigerung und Res-
sourcenschonung. Kurz: Die Nanotechnologie hat
Schnittstellen im gesamten Innovationsprozess. Sie ist
im wahrsten Sinne des Wortes eine Querschnittstechno-
logie.
Bei jedem Übergang von der Entwicklung zur An-
wendung müssen ganz selbstverständlich auch mögliche
Nebeneffekte bedacht und erforscht werden. Genau das
ist ja auch ein Wesenselement des Forschungsprozesses:
Forschung ist im Grunde eine Entdeckungsfahrt, kein
Abklappern bekannter Haltestellen nach einem Zeitplan.
Und in der Wissenschaftsgeschichte waren es ohnehin in
der Regel die ungeplanten Effekte, die die eigentlichen
Fortschritte brachten.
Insgesamt bietet die Nanotechnologie heute echte, er-
probte und abgesicherte Verbesserungen. Und in man-
chen Bereichen ist sie eine vielversprechende Unbe-
kannte, die es weiter zu ergründen gilt.
Auch der uns vorliegende Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen zur Nanotechnologie erkennt zunächst deren
Chancen und Potenziale an. Auch der Ansatz, bei allem
Zukunftsoptimismus auch Risiken und Nebenwirkungen
zu ergründen, ist ebenso unbestritten wie apodiktisch.
Jenseits dieser Grundlagen jedoch verabschiedet sich der
Antrag von einer nüchternen Betrachtung.
So verkennt er die intensiven Bemühungen und den
fruchtbaren Dialog, mit denen Wissenschaft und Politik
gemeinsam die Welt der Nanotechnologie kartografie-
ren: Die Spitzenforschung als „Pionier“, die Breitenfor-
schung als „Vermessungsteam“ und die Politik quasi als
„Entscheider“ über die Erschließung. Der Antrag igno-
riert die wegweisende Ressortkoordination und Abstim-
mung zwischen Forschung, Umwelt, Gesundheit, Ver-
kehr, Arbeits- und Verbraucherschutz. Er verschließt die
Augen vor dem mehrjährigen, von der Bundesregierung
geförderten Projekt „Innovation mit Normen und Stan-
dards“ des Institutes für Normung, welches Prozesse und
Ergebnisse einschätzbar macht. Ebenfalls initiierte das
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MBF unter der Leitung von Ministerin Dr. Annette
chavan das Projektcluster Nano Care, um Risiken früh-
eitig aufzuspüren und zu unterbinden. Entsprechend
erden im Nano-Dialog 2006 bis 2008 die „Sicherheit
nd Aufgaben für die Forschung“ sowie die „Förderung
on Innovation und Chancen für den Umweltschutz“ be-
ücksichtigt. Dies alles geschieht bereits im Rahmen der
essortübergreifenden Forschungsstrategie der Bundes-
egierung, die sich außerdem immer im gesellschaftli-
hen Dialog befindet, sei es durch Konferenzen, Inter-
etportale, Analysen und Presseberichte oder durch
inrichtungen wie den „NanoTruck“.
Darüber hinaus offenbart der Antrag – aller Bekennt-
isprosa zum Trotz – auch einen latenten Vorbehalt ge-
enüber nanotechnologischen Innovationen, wenn nicht
ar gegenüber dem Innovationsprozess insgesamt. Wür-
en wir dem Antrag folgen, würden wir die Chancen
erstreichen lassen, ohne dabei Erkenntnissicherheit zu
ewinnen. Wir würden uns vielmehr in eine forschungs-
olitische „Endlosschleife“ begeben. Denn jede neue Er-
enntnis wirft bekanntlich neue Fragen auf – das ist nun
al das Prinzip fortschreitender Erkenntnis. Auch der
inweis auf das Vorsorgeprinzip ist an dieser Stelle eine
rreführende Halbwahrheit: Denn das Vorsorgeprinzip
ommt dann zum Tragen, wenn angesichts realer Gefah-
en oder aus Gründen des Umweltschutzes dringender
andlungsbedarf besteht, die verfügbaren wissenschaft-
ichen Daten jedoch eine umfassende Risikobewertung
icht zulassen. Wo es Gefährdungsindizien gibt, wird im
inne des Vorsorgeprinzips gehandelt. Es darf aber ge-
ade nicht als Vorwand für die Umkehr der Beweislast
ienen, nach dem Motto: im Zweifel gegen den Ange-
lagten. Ich warne vor jeder Innovationsbremse, weil da-
urch das Generieren gerade jener wissenschaftlicher
aten verhindert würde, die zu einer objektiven Bewer-
ung benötigt werden.
Was wir brauchen – und in jeder Weise fördern –, ist
ine verantwortungsvolle Forschung, die von der ersten
inute an eine Risikoabschätzung vornimmt.
Bei der Anwendung nanotechnologischer Produkte
ürde die Argumentationslinie des Antrages eher grei-
en, wenn sich nicht ein weiteres Missverständnis offen-
aren würde: „Die“ Nanotechnologie gibt es nicht, son-
ern nanotechnologische Ansätze und Perspektiven in
ielen Bereichen. In der Medizin oder anderen sensiblen
ereichen gibt es wirksame Test- und Genehmigungs-
erfahren, die auch eingehalten werden. Bei Neuerungen
on Autolacken oder in der Textilindustrie hingegen
ann die praktische Bewährungsprobe viel eher erfol-
en. Verantwortungsvolle Forschungspolitik heißt auch,
olche Differenzierungen vorzunehmen.
Unsere Bundeskanzlerin hat vor einiger Zeit etwas
esagt, das auch im Bereich der Forschungspolitik verin-
erlicht werden sollte. Als Angela Merkel den Begriff
es „kreativen Imperativs“ geprägt hat, lag dessen Be-
eutung darin: Die Politik muss an den richtigen Stellen
ingreifen und auf der anderen Seite auch wieder an den
ichtigen Stellen loslassen. Im Forschungsbereich sollte
ie Politik tatsächlich alle Gängeleien lassen und im Ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13265
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genzug dann umso mehr regeln, desto konkreter sich Ge-
fährdungspotenziale abzeichnen.
Der Antrag der Grünen hingegen impliziert das Er-
richten genereller „Regelungsmauern“, und zwar auf
eine Art und Weise, die die Forschung – die Carl Fried-
rich von Weizsäcker zufolge ja gerade vom positiven
„Geist des Staunens“ lebt – letztlich gefährden würde.
Das Ignorieren der ausgewogenen Forschungspolitik,
des fundierten Vorgehens der Großen Koalition, des Zu-
sammenspiels von Wissenschaft und allen beteiligten
Ministerien unter Federführung von Dr. Annette
Schavan und des BMBF ist eigentlich nur mit oppositio-
neller Ausblendung zu erklären. Kurz: Das Motiv des
Antrages ist nur zur Hälfte stimmig und in der Umset-
zung zur Gänze fraglich. Darum lehnen wir den Antrag
ab und laden die Antragsteller vielmehr ein, sich eben-
falls am bereits stattfindenden, in der Abwägung nüch-
ternen und vom Geist her dennoch gestaltungsbereiten
Dialog zu beteiligen.
René Röspel (SPD): Ein Professor soll einmal auf
die Frage „Was ist Nanotechnologie?“ geantwortet ha-
ben: „Nanotechnologie ist mit einzelnen Molekülen
Lego spielen.“ – Als Familienvater weiß ich, was Kinder
mit Lego-Bausteinen bereits alles konstruieren können.
Wenn ein Professor davon schwärmt, müssen die Mög-
lichkeiten also mindestens vergleichbar sein.
Nanomedizin, Nanoelektronik, Nanobiologie, Nano-
optik – schon an dieser kurzen Aufzählung sieht man,
was für Potenzial in diesem „Zwerg“ – die Übersetzung
des griechischen Wortes „nano“ – steckt. Nano dehnt
sich über die Grenzen der verschiedenen wissenschaftli-
chen Disziplinen hinweg aus. Sie ist eine wirkliche
Querschnittstechnologie. Dabei umschreibt Nanotechno-
logie eigentlich nur eine physikalische Eigenschaft,
nämlich die Größe, und stellt noch kein Endprodukt dar.
Fast keiner von uns kann sich heute sein Büro ohne
Computer vorstellen. Der weltweit jährliche Umsatz in
der Informationstechnologie ist gewaltig, wobei
Deutschland in diesem Feld leider weniger gut aufge-
stellt ist. Wenn man sich an die ersten, ganze Räume fül-
lenden Computer erinnert, die einem Taschenrechner
von heute nicht das Wasser reichen können, kann man
ein Ziel erkennen: kleiner, leichter, leistungsfähiger. Pro-
zessoren stellen dabei das Herz eines jeden Computers
dar. Dank der mittlerweile im Nanobereich arbeitenden
Technik können immer kleinere Transistoren hergestellt
und verbessert werden. Um das Jahr 2000 arbeitete man
noch an Prozessoren über der magischen 100-nm-
Grenze. – Bei Nanotechnologie spricht man von Mate-
rial kleiner als 100 Nanometer (nm); ein Nanometer ent-
spricht einem Milliardstel Meter. Im Vergleich dazu: ein
menschliches Haar hat in etwa eine Dicke von
80 000 nm. – In den nächsten Tagen sollen bereits soge-
nannte 45-nm-Prozessoren ausgeliefert werden. Dieser
Chip ist mit circa 731 Millionen Transistoren bestückt.
Im September hat die Firma Intel bereits erste 300-mm-
Wafer vorgestellt, welche im 32-nm-Fertigungsverfah-
ren hergestellt wurden. Jeder einzelne Testchip vereint
mehr als 1,9 Milliarden Transistoren auf einem Stück Si-
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izium. Allein in diesem Teilbereich der Nanotechnolo-
ie steckt noch viel Potenzial. Genauso könnte ich aber
uch Beispiele aus anderen Bereichen nennen.
Die Chancen der Nanotechnologie sind in Deutsch-
and früh erkannt worden. Bereits mit Beginn der 90er-
ahre förderte das Bundesministerium für Bildung und
orschung die Nanotechnologie. Erstmalig gebündelt
urden diese Programme im Jahre 1999. 2003 stand
eutschland bei der öffentlichen Förderung weltweit mit
irca 293 Millionen Euro auf Platz 4, hinter den USA,
apan und der Europäischen Kommission. Auch die jet-
ige Bundesregierung setzt die Förderung der Nanotech-
ologie fort. So hat die Große Koalition 2006 zum Bei-
piel die „Nano-Initiative – Aktionsplan 2010“ gestartet.
n der nächsten Haushaltswoche werden wir über die
ndgültigen finanziellen Zuwendungen für das Jahr 2008
ür diesen Bereich beraten.
Mittlerweile kann man auch erste Erfolge feiern. Laut
iner aktuellen Studie von Ernst&Young hat Deutsch-
and europaweit die meisten Unternehmen, Mitarbeiter
nd Produkte bei medizinischen Nanoanwendungen –
in ebenfalls sehr vielversprechender Bereich in der
Nanowelt“. Insgesamt seien deutschlandweit 66 Firmen
n diesem Sektor tätig, mehr als 300 sind es weltweit. In
anz Europa sind bereits 80 medizinische Nanoprodukte
uf dem Markt, 43 davon wurden in Deutschland entwi-
kelt. Deutschland ist also gut aufgestellt.
Mit Nano wird mittlerweile gern geworben, auch
enn nicht immer Nanotechnologie drin steckt – wie
um Beispiel der „iPod nano“. Auch bei dem Versiege-
ungsspray „Magic-Nano“, welches im April 2006 auf-
rund von Nebenwirkungen vom Markt genommen wer-
en musste, wurden keine Nanopartikel verwendet.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND, hat in
einem Diskussionspapier zum verantwortungsvollen
mgang mit der Nanotechnologie richtigerweise darauf
ingewiesen:
Eine einfache Bewertung von Nanopartikeln ist …
schwierig, da genau diejenigen Eigenschaften,
durch die ein potenzieller Nutzen entsteht, auch
diejenigen sind, durch die ein mögliches Risiko be-
gründet wird.
Aufgrund der geringen Größe können die Partikel
echt leicht in den menschlichen Körper eindringen bzw.
ich dort ablagern. Auch haben Nanopartikel plötzlich
anz andere Eigenschaften als die gleiche Substanz in
rößerer Dimension. Nichttoxische Materialen können
oxisch wirken. Die genauen Auswirkungen sind bisher
ber noch unklar. Problematisch erscheinen dabei insbe-
ondere die freien Partikel. Dies stellt vollkommen neue
erausforderungen an den Arbeitsschutz bei Herstellung
nd Entsorgungen von Produkten.
Wie eine Studie aus dem Jahre 2006 in Nature Nano-
echnology aufweist, ist die öffentliche Akzeptanz dieser
echnologie maßgeblich für die Umsetzung der be-
chriebenen Potenziale. Die Wissenschaftler fanden her-
us, dass in der USA derzeit die öffentliche Wahrneh-
ung noch als neutral – da die Technologie noch zu
nbekannt sei – beschrieben werden kann. Dieser Trend
13266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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könnte aber relativ schnell in die eine oder andere Rich-
tung umschlagen. Deshalb riefen die Wissenschaftler die
Regierungen auf, die Chancen und Risiken der Nano-
technologie verstärkt in der Bevölkerung darzustellen.
Der durch Deutschland fahrende „Nano-Truck“ des
BMBF und Programme wie „NanoCare“ sind sicherlich
die ersten Schritte, dieser Forderung nachzukommen.
Bereits 2004 hat die SPD aus ähnlichen Überlegun-
gen heraus zusammen mit ihrem grünen Koalitionspart-
ner in der Drucksache 15/3051 einen Bericht der Bun-
desregierung über den möglichen Veränderungsbedarf
der relevanten Rechtsrahmen im Bereich Nanotechnolo-
gie bis 2005 eingefordert. Dieser Bericht liegt uns mit-
tlerweile vor, leider ganze zwei Jahre später als vom Par-
lament verlangt. Aufgrund des Wahljahres 2005 kann
man eine gewisse Verzögerung nachvollziehen. Warum
das Ministerium allerdings so lange für diesen Bericht
gebraucht hat, leuchtet mir nicht ganz ein.
Als Hauptaussage des Berichts kann man zusammen-
fassen: Nach derzeitigem Kenntnisstand sieht die Bundes-
regierung gegenwärtig grundsätzlich keinen Verände-
rungsbedarf bei bestehenden Gesetzen und Verordnungen
aufgrund nanotechnologischer Entwicklungen. Ob im
Einzelfall darüber hinaus nanotechnologische Sonderre-
gelungen im Hinblick auf die gesetzgeberischen Pflich-
ten der Gefahrenabwehr und der Vorsorge erforderlich
sind, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht entschieden wer-
den. – Dieser Aussage widersprechen die Grünen mit ih-
rem uns ebenfalls vorliegenden Antrag. Den Argumen-
ten für diese unterschiedlichen Positionen werden wir
uns im Ausschuss widmen. Deshalb will ich an dieser
Stelle nicht weiter darauf eingehen. Zufriedenstellend
finde ich die Bewertung des Berichtes allerdings nicht.
Wichtig ist mir aber, noch einmal darauf hinzuweisen,
dass wir uns derzeit in einer sensiblen Phase befinden, in
der die Weichen für die „Nanowelt“ gestellt werden kön-
nen. Um vernünftige und verantwortungsvolle Entschei-
dungen treffen zu können, benötigt man belastbare In-
formationen. Das bedeutet für den Bereich der
Nanotechnologie verstärkte Grundlagenforschung, insbe-
sondere im Bereich der Technikfolgenabschätzung.
Richtigerweise müssen wir uns auch mit den möglichen
Risiken befassen, seien sie technischer, medizinischer
oder ethischer Natur. Dies ist nicht allein Aufgabe des
Staates; dabei ist auch die Industrie stärker gefragt.
Beim Stichwort Industrie muss ich aber eine bekannte
Forderung wiederholen: Die Mittel der Industrie müssen
erhöht werden. In den USA und Japan gab die Industrie
2004 60 Prozent aller Gelder für Forschung und Ent-
wicklung der Nanotechnologie aus. In der EU waren es
gerade mal 25 Prozent aller Gelder. Ganz ehrlich, da
stimmt etwas nicht mit der Verteilung.
Ebenfalls wichtig ist eine klarere Darstellung des Ist-
zustandes, also zum Beispiel eine Auflistung von Pro-
dukten auf dem Markt, in denen Nanopartikel bereits
verwendet werden. Endlich geklärt werden muss eben-
falls die Begriffsbestimmung. Wie soll man der Bevöl-
kerung die Chancen und Risiken vermitteln, wenn man
nicht hundertprozentig sagen kann, worüber man über-
haupt spricht?
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Um zu meinem Anfangszitat zurückzukommen: Wir
lle müssen dafür Sorgen tragen, dass mögliche negative
uswirkungen vermieden und die großen Möglichkeiten
er „Lego-Bauten“ zum Nutzen für Mensch und Umwelt
mgesetzt werden.
Cornelia Pieper (FDP): Der Wissenschaftstheoreti-
er, Professor Dr. Alfred Nordmann, bringt es in seinem
eutigen Artikel „Die Philosophie des grauen Schleims“
n der Zeit auf den Punkt: Nach Jahren der Diskussion
ber die Nanotechnologie herrscht in der Öffentlichkeit
mmer noch eine sehr diffuse Vorstellung davon, was
anotechnologie ist. Woran liegt das? Ist es, wie er sagt,
er zu abstrakte Begriff, der alle konkreten Anwendun-
en zwar richtig umfasst? Doch, haben wir jemals, wenn
ir über Zement, den Grundstoff für unseren wichtigs-
en Baustoff Beton, gesprochen haben, an die Nanotech-
ologie gedacht? Aber gerade die Zementherstellung ist
ine der ältesten Nanotechnologien, derer sich die Men-
chen seit über 2 000 Jahren bedienen. Zement verdankt
ein Bindevermögen eben genau jenen kleinen Teilchen
m nanoskaligen Bereich.
Warum hat diese Tatsache noch keinen Grünen hinter
em Ofen hervorgelockt, um in der Gesellschaft eine
reite Diskussion über die Risiken und Nebenwirkungen
nzuzetteln? Sie wissen nur zu gut: Der Stoff ist allge-
enwärtig und aus unserem Leben schlecht wegzuden-
en. Zement ist zu konkret. Längst bekannt und auch
onkret sind die Kohlenstoff-Nanoröhrchen. Sie sind aus
em Bereich der Elektrotechnik/Elektronik schon heute
icht mehr wegzudenken, halten in der Photovoltaik
inzug und werden das immer knapper werdende Rein-
ilizium ersetzen.
Wozu sollen wir eigentlich, wie es die Grünen in ih-
em Antrag fordern, den gesellschaftlichen Dialog über
ie Nanotechnologie intensivieren und das Wissen über
anotechnologie in der Bevölkerung erhöhen? Ermög-
icht nicht erst die Kenntnis über konkrete Stoffe und
echnologien bewusste Entscheidungen im täglichen
onsumverhalten, bei politischen Abstimmungen und
uch im Dialog mit der Wissenschaft? Nein, das ist nicht
er richtige Weg und auch nicht der richtige Ansatz.
ibt es eigentlich die Nanotechnologie, oder sollten wir
orschungspolitiker nicht korrekterweise von den Nano-
echnologien sprechen? Und wenn es uns wirklich ernst
it dem Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
st, sollten wir dann nicht besser über konkrete Techno-
ogieanwendungen wie zum Beispiel den Zement für den
eton oder das Kohlenstoff-Nanoröhrchen für künftige
ernsehbildschirme reden?
Ich gebe Herrn Professor Nordmann völlig recht,
enn er sagt: Nanotechnologie ist eher eine Art und
eise, die Forschung in der Chemie oder der Physik zu
rganisieren. Insofern werden natürlich Nanomaterialien
azu beitragen, viele Technologiefelder grundlegend zu
evolutionieren. Sie werden uns helfen, mit Leittechno-
ogien globale Märkte zu bedienen. So verstanden ist die
anotechnologie eine Querschnitttechnologie mit sehr
erschiedenen Anwendungsbereichen, die von der Me-
izin, der Chemie, der Raumfahrt über die Optik bis hin
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13267
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zur Sensorik ihren Einzug halten wird. Bereits im Jahr
2015 wird es kaum noch einen Bereich in unserem Le-
ben geben, in dem nicht Materialien in Nanogröße eine
Rolle spielen. Nanomaterialien werden künftig zu einer
verbesserten und verträglichen Individualmedizin und
somit zu einer verbesserten Diagnose und Therapie füh-
ren. Sie werden Wirkstoffe von Medikamenten im
menschlichen Körper zielgenau zum Ort der Erkrankung
transportieren und eine optimale Dauermedikation er-
möglichen. In der klinischen Forschung sind bereits Na-
nomaterialien mit magnetischen Eigenschaften bekannt,
die der gezielten nichtinvasiven Tumorbekämpfung die-
nen. Nanomaterialien werden helfen, dass mit deutschen
Höchsttechnologien das Potenzial für zukunftssichere
Arbeitsplätze, ein nachhaltiges ressourcenschonendes
Wachstum sowie eine bessere Gesundheitsvorsorge und
-versorgung ausgeschöpft wird.
Nanotechnologie bringt aber nicht nur ökonomische,
sondern auch ökologische Vorteile. Das zeigt die dritte
Studie „Nachhaltigkeitseffekte der Nanotechnologie“
des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung der
Universität Bremen. Die Ökobilanzen verschiedener
Anwendungsbeispiele zeigten positive Nachhaltigkeits-
effekte durch den Einsatz der Nanotechnologie.
Beeindruckende Ergebnisse zeigen Lacke mit nanotech-
nologischen Komponenten, deren Energie- und Schad-
stoffbilanz wesentlich besser als bei herkömmlichen
Verfahren ist. Ein weiteres Beispiel ist die lichtemittie-
rende Diode, LED. Sie ist schon heute energetisch güns-
tiger als die herkömmliche Glühbirne. In den Labors
wird daran gearbeitet, ihre Lichtausbeute noch erheblich
zu steigern. Dann ist ihre Energiebilanz noch günstiger
als die von Energiesparlampen.
Auch in neue Berufsbilder und die Novellierung von
Berufsausbildungs- und Studienordnungen wird die Na-
notechnologie ihren Einzug halten. Nur mit entsprechen-
der Fachkompetenz und einem gut ausgebildeten Berufs-
nachwuchs sind die Vorsprünge Deutschlands in der
Nanotechnologie zu halten. Das schließt ein, dass zu-
gleich die Lehreraus- und Lehrerweiterbildung auf diese
Entwicklung reagieren muss, um die junge Generation in
die Lage zu versetzen, wieder mehr nach den Chancen
neuer Technologien zu fragen, ohne dabei den kritischen
Blick für die Risiken zu verstellen.
Der Standort Deutschland hat in der Nanotechnologie
ein hohes Niveau erreicht. Deutschland nimmt in der
Forschung zur Nanotechnologie weltweit den zweiten
Platz nach den USA ein. In der Umsetzung in marktfä-
hige Produkte und Anwendungen liegt es allerdings hin-
ter den USA und Japan. Es besteht jedoch die Gefahr,
dass – wie bei vielen anderen Technologien, die in
Deutschland entwickelt wurden – die herausragenden
Forschungsergebnisse aus der Grundlagenforschung und
der anwendungsorientierten Forschung bei uns nicht im
erforderlichen Umfang in neue innovative Produkte ein-
fließen und damit die Wertschöpfung und die Schaffung
von Arbeitsplätzen im Ausland erfolgt.
Die Chemikerin Marie Curie sagte einmal: Man
braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles
verstehen. – Diesem Denkansatz müssen wir uns ver-
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flichtet fühlen. Ja, wir müssen unseren Erkenntnisge-
inn auch nutzen, um die Wirkzusammenhänge besser
u verstehen und Gefahren frühzeitig zu erkennen. Nur
o können wir Vorbehalte und Ängste überwinden.
icherlich wurden in der Vergangenheit große Fehler ge-
acht. Eine unkritische Technikgläubigkeit ging oft mit
eichtsinn einher. Das Ergebnis: Die Angst scheint sich
ie Mehltau über unsere Gesellschaft zu legen. Vielfach
ird zuerst nach den Risiken gefragt. Die Frage nach
en Chancen steht oft erst an zweiter Stelle.
Genau an diesem Punkt muss auch die wissenschafts-
nd forschungspolitische Arbeit der FDP ansetzen. Ich
ehe es als forschungspolitische Sprecherin der FDP-
undestagsfraktion als meine Aufgabe an, im Deutschen
undestag und in seinen Gremien einerseits die For-
chung auf dem Gebiet der Nanotechnologie zu fördern,
ndererseits aber zugleich Sorge dafür zu tragen, dass
ie Sicherheitsforschung fest in diese Forschungspro-
ramme integriert ist. Hätte man den römischen Impera-
or Julius Caesar gefragt, ob Nanopartikel die Gesund-
eit gefährden, dann hätte er diese Frage nicht nur nicht
eantworten können, er hätte sie auch gar nicht stellen
önnen. Was sagt uns das? An erster Stelle steht nun ein-
al der Erkenntnisgewinn. Erst, wenn wir den For-
chungsgegenstand kennen und beginnen, ihn auf seine
ignung für bestimmte Anwendungsfelder zu untersu-
hen, setzt eine verantwortungsbewusste Sicherheitsfor-
chung ein.
Wir alle wissen, dass das griechische Wort „nanos“ so
iel wie „Zwerg“ bedeutet. Fast jeder von uns weiß, dass
ie mathematische Einheit „nano“ ein Milliardstel be-
eutet. Aber haben wir heute schon standardisierte Ver-
ahren für die Messung und Prüfung nanopartikulärer
toffe? Genau hier muss die Arbeit der Wissenschaftler
nsetzen, in deren Ergebnis wir über geeignete Prüf- und
essmethoden für die Sicherheitsforschung verfügen.
rst darauf aufbauend können wir unsere derzeitige
esetzeslage zum Schutz der Gesundheit und zum Ar-
eitsschutz, das Chemikaliengesetz und auch die Alt-
toffverordnungen, das Arzneimittel- und Medizinpro-
uktegesetz anpassen. Ja, wir brauchen auch eine
orschung, die zur Früherkennung von möglichen Risi-
en, wie sie das Bundesinstitut für Risikobewertung,
ine Ressortforschungseinrichtung des BMELV, bereits
urchführt.
Ich bin meiner Verantwortung frühzeitig nachgekom-
en. Bereits im Jahr 2001 habe ich eine Kleine Anfrage
n die Bundesregierung mit auf den Weg gebracht, Bun-
estagsdrucksache 14/5443, in der ich den Stand und die
ntwicklung der Nanotechnologie kritisch hinterfragte.
Im Jahr 2004 gelang es meiner Arbeitsgruppe „Bil-
ung und Forschung“ die Diskussion in der Fraktion
um Thema anzustoßen, was letztendlich dazu führte, in
inem Antrag an den Deutschen Bundestag – Bundes-
agsdrucksache 15/3074 – die Positionen der FDP aufzu-
eigen und klare Forderungen zu stellen. Als Mitglied
m Bildungs- und Forschungsausschuss bin ich auch für
en Bereich der Technikfolgenabschätzung mit verant-
ortlich. Insofern habe ich auch das TAB-Projekt Nano-
echnologie von Beginn an begleitet. Der überaus inte-
13268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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ressante Bericht – Bundestagsdrucksache 15/2713 –
wurde vom Bundestag zur Kenntnis genommen und be-
stimmt in weiten Feldern unsere politische Arbeit.
Eine wirklich ressortübergreifende, konsistente Ge-
samtforschungsstrategie zur Nanotechnologie ist auch
aus unserer Sicht notwendig. Die „Nano-Initiative – Ak-
tionsplan 2010“, die die Bundesregierung im Rahmen
ihrer Hightechstrategie auf den Weg gebracht hat, kann
nur ein Anfang sein. Der vorliegende Bericht der Bun-
desregierung zeigt mir, dass der notwendigen Sorgfalts-
pflicht auch nachgekommen wird.
Wir werden unseren Kindern sicherlich eine viel sau-
berere Natur, sauberere Flüsse und gesündere Wälder
übergeben, als wir sie von unseren Eltern übernommen
haben. Wir dürfen aber nicht vergessen: Auch unsere
Kinder werden nur im Wohlstand leben, wenn wir die
Innovationsfähigkeit und die wirtschaftliche Dynamik
Deutschlands erhalten.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Wie in der normalen
Lebenswelt gibt es auch in der Welt der Politik Moden,
mit welchen die Träger und Trägerinnen ihrer Umge-
bung suggerieren möchten, dass sie besonders modern,
auf der Höhe der Zeit, wenn nicht sogar ihr voraus sind.
Und wenn das Modethema wirklich Mode, das heißt
populär geworden ist, dann wird es plötzlich ganz leicht,
darüber zu sprechen, dann fragt niemand mehr nach
schwierigen Einzelheiten und den ursprünglichen Ab-
sichten. Dann reicht meist die immerwährende Wieder-
holung von gestanzten Begriffen.
In diese Gefahr haben sich aus meiner Sicht die Ko-
alitionsfraktionen beim Thema Nanowissenschaften und
Nanotechnologie begeben. Seit gut einem Jahr, also seit
dem Start der Hightechstrategie, ist das Programm zur
Förderung der Forschung in diesem fachlich breiten Feld
in Betrieb genommen. Ihm ging eine Analyse der Stär-
ken und der Schwächen voraus und das Versprechen,
erstere zu nutzen, indem unter anderem letztere behoben
werden.
Seitdem hat die Bundesregierung viele Tagungen und
Broschüren zu Teilprogrammen mit fantasievollen Na-
men vorgelegt: Neben NanoFutur, dem NanoBioNet
oder dem NanoTruck finden sogenannte Nano-Meetings
am laufenden Band statt. Gerade die größeren Sympo-
sien gleichen aber eher Verkaufsveranstaltungen für die
Marke „Nano“, als dass man dort als interessierter Bür-
ger oder Politikerin Aufklärung über Chancen und Risi-
ken lernen könnte. Und so verbleibt bei den Teilnehme-
rinnen und Teilnehmern, mit denen ich sprechen konnte,
der Eindruck, dass mit „Nano“ ein bloßer Etiketten-
wechsel stattfindet, weil alles Nano ist. Und aber auch
ein Unbehagen über neue Stoffe, die mit viel Geld geför-
dert werden, während ihre Wirkungen auf Mensch und
Umwelt immer noch weitgehend unbekannt sind.
Das hat aus Sicht der Fraktion Die Linke vor allem
zwei Gründe:
Die Bundesregierung versäumt es, sich auf den wirk-
lich innovativen Charakter der Anwendungen, die mit
Nanoteilchen möglich sind, zu konzentrieren. Hier
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ürde es darauf ankommen, die Mittel des Förderpro-
ramms auf neuartige Felder in der Grundlagenfor-
chung zu konzentrieren und mit ihnen Anwendungen in
or allem öffentlich sinnvollen und industriell eher
chwer finanzierbaren Bereichen zu unterstützen. Dazu
ehören die Entwicklung schonender Krebstherapien
ithilfe sogenannter Nanofähren sowie energiesparen-
er und ressourceneffizienter Bau- und Dämmstoffe, von
reiswerten Solarzellen oder auch von Leichtbauelemen-
en, die beispielsweise beim Transport zu Klimaschutz-
ielen beitragen.
Stattdessen werden mit dem Nanoforschungsförder-
rogramm reine Konsumartikel wie Autolacke oder ren-
itestarke Entwicklungen in der Chiptechnologie hoch-
ubventioniert. Diese Interpretation des Schlagwortes
on „Stärken stärken“ in der Hightechstrategie findet
ie Linke politisch verfehlt.
Zweitens war es ja bereits der Vorgängerregierung
lar, dass Nanopartikel, da sie andere Eigenschaften als
leiche Stoffe in anderer Größe aufweisen, – wörtlich –
it Vorsicht zu genießen sind. Schon 2004 formulierte
amals Rot-Grün, dass die Erforschung von Gesund-
eits- und Umweltrisiken einen besonders hohen Stel-
enwert haben müsse.
Was aber ist passiert: Das Programm NanoCare, das
ich mit Auswirkungen auf den menschlichen Körper
eschäftigt, ist der Bundesregierung gerade fünf von
und 640 Millionen Euro der gesamten Nanoförderung
ert. Nach anderthalb Jahren wurden erst kürzlich die
rsten Zwischenergebnisse vorgestellt, die aber noch bei
eitem keine Handlungsempfehlungen beinhalten. Die
rste fundierte Einschätzung der Gefahren am Arbeits-
latz in der verarbeitenden Industrie soll erst in neun
onaten kommen; bis danach Schutzmaßnahmen entwi-
kelt sind oder eine Arbeitsschutzgesetzgebung auf den
eg gebracht ist, vergehen weitere Monate, wenn nicht
ahre.
Zu Recht fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
n ihrem Antrag daher eine fundamentale Erweiterung
er finanziellen Basis für diesen Bereich. Die Fraktion
ie Linke hat von Beginn an gesagt, dass, statt munter in
erbraucherprodukte zu investieren, die Bundesregie-
ung in der öffentlichen Pflicht ist, eine Risikoforschung
inzurichten, die der Verbreitung der Produkte und Ma-
erialien zuvorläuft. Auch die Verbraucheraufklärung
leibt die Bundesregierung schuldig, denn ihre Websites
u diesem Thema sind beschämend dürftig und glänzen
eit vielen Monaten mit Hinweisen, dass sie aktualisiert
erden müssen.
Inzwischen weiß man aber sicher, dass Nanopartikel
nter spezifischen Umständen hochgiftig für den Körper
ind. Da sie so klein sind, gelangen sie als Staub ins Lun-
engewebe und in Cremes in untere Hautschichten. US-
orscher haben nachgewiesen, dass sie die DNA schädi-
en und Krebs auslösen können.
Die Linke hält es daher für skandalös, dass sich die
undesregierung laut ihrem Bericht noch nicht einmal
azu durchringen kann, in deutschen und europäischen
ulassungsregelungen wie beispielsweise der EU-Che-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13269
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mikalienrichtlinie REACH das Kriterium „Partikel-
größe“ des zu untersuchenden Stoffes durchzusetzen. So
sieht sie vorerst keinen Handlungsbedarf auf der gesetz-
lichen Ebene, da es für die Zulassung neuer Chemikalien
oder neuer Verbraucherprodukte Prüfpflichten der Indus-
trie gäbe. Aber wenn die Partikelgröße eines Stoffes irre-
levant bei der Begutachtung ist, dann gibt es selbstre-
dend keine Prüfung von Nanostoffen. Warum dieses
Versäumnis nicht schnellstmöglichst nachgeholt wird,
muss hier daher mit Nachdruck gefragt werden. Zumal
die Bundesregierung wenigstens bei der Lebensmittelzu-
lassung einräumt, dass man die Einführung des Nano-
kriteriums „prüfe“. Weshalb also nicht auch in anderen
Bereichen? Wo, bitte schön, ist bei dieser Politik der
Leitfaden zu finden?
Unsere Bilanz ist also, dass sich Schwarz-Rot in die
modischen Maschen des Themas Nanowissenschaften
völlig verstrickt haben. Sie subventionieren mit öffentli-
chen Geldern vor allem exportorientierte Technologien
in renditestarken Branchen, ohne verbindliche Gegen-
leistungen einzufordern und die Verantwortung der In-
dustrie bei der Erforschung von Risiken festzuklopfen.
Die Chancen, die für öffentliche Belange in Nanoent-
wicklungen liegen, werden nicht mit Überzeugung auf-
genommen.
Deswegen braucht es Druck: Neben direktem Ver-
braucherschutz hält Die Linke auch aus diesem Grund
die Kennzeichnungspflicht für Produkte, die Nanoparti-
kel enthalten, für ein ganz relevantes politisches Instru-
ment.
Nun werden Sie, meine Damen und Herren aus den
Koalitionsfraktionen, auf diese auch von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen übernommene Forderung aus
den Umweltorganisationen antworten, dass zum Beispiel
auch in der allbekannten homogenisierten Milch Nano-
partikel zusätzlich erzeugt werden. Jedenfalls wird vom
Forschungsministerium eine fehlende Abgrenzung zu
tradierten Verfahren als Hindernis für die Kennzeich-
nung von Lebensmitteln benannt. Sicher, man muss hier
eine mögliche Verunsicherung von Verbrauchern ernst
nehmen. Aber hätten wir heute die Kennzeichnungs-
pflicht für gentechnisch veränderte Organismen, wenn
man damals so herangegangen wäre? Dort hat man sich
für die Unterscheidung zwischen alten und neuen Ver-
fahren der Genmanipulation entschieden. Weshalb also
nicht auch in den Nanowissenschaften eine entspre-
chende Lösung suchen?
Die Linke hält diese Einwände für ein Ablenkungs-
manöver. Wir wollen aber nicht nur mit der Mode gehen,
sondern für uns zählt auch die Vernunft. Daher finden
wir es notwendig, auch mit einem eigenen Antrag die
Debatte über Vor- und Nachteile von Nanopartikeln wei-
ter am Laufen zu halten, und werden Mechanismen im
Sinne eines umfassenden Verbraucher- und Arbeits-
schutzes vorschlagen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Nanotechnologie gilt als eine der Schlüsseltech-
nologien des 21. Jahrhunderts. Die Erwartungen an die
Potenziale dieser neuen Technologie sind groß. Viele
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orschungs- und Umweltbereiche profitieren inzwischen
on den Vorteilen der Beschaffenheit der kleinen Parti-
el. Immer mehr erfolgreiche Forschungsprojekte haben
u umsetzbaren Ergebnissen geführt, so zum Beispiel in
er Ressourceneffizienz, im Bereich erneuerbarer Ener-
ien, der Medizin oder der Materialforschung. Die nano-
echnologische Forschung und Anwendung wird somit
bsehbar zu einer nachhaltigen Umwelt- und Klimapoli-
ik beitragen können.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW,
at Anfang November die Ergebnisse einer repräsentati-
en Bevölkerungsbefragung veröffentlicht, in der es um
ie allgemeine „Technikakzeptanz“ in der Bevölkerung
ing. Die Nanotechnologie wurde dabei als ein konkre-
es Beispiel abgefragt. Die Ergebnisse zeigen erstens,
ass die Deutschen nicht generell „technikfeindlich“ ein-
estellt sind, denn die in Deutschland gemessenen Ein-
tellungen lagen im europäischen Durchschnitt. Zwei-
ens reagierten über 40 Prozent der Befragten auf die
rage: „Helfen Wissenschaft und Technik, die Probleme
er Zukunft zu lösen, oder schaffen sie eher neue?“ un-
ntschieden. Wir lesen diese Antwort als ein klares „Es
ommt darauf an.“ Darauf nämlich, dass die Politik zu-
erlässige Rahmenbedingungen setzt, damit aus neuen
echnischen Entwicklungen, hier insbesondere Nano-
echnologie, eben keine Gefahren für Mensch und Um-
elt entstehen.
Wer sich mit der Nanotechnologie befasst, wird
chnell gewahr, dass die Kleinheit der Partikel neben all
en Chancen und Potenzialen auch Risiken birgt. Die
ntwicklung dieser Technologie ist so rasant, dass Ge-
ahrenabwehr und Technikfolgenabschätzung in diesem
ereich unabdingbar parallel laufen müssen. Schon in
er letzten Legislaturperiode haben wir daher die dama-
ige Bundesregierung aufgefordert, einen Bericht vorzu-
egen, der den Regelungsbedarf nennt, der durch die
utzung von Nanotechnologie in den verschiedensten
ereichen entsteht. Zu diesem Bericht ist es aufgrund
es Regierungswechsels nicht mehr gekommen. Erst mit
inem neuen Antrag der Grünen erreichten wir, dass Sie
ndlich aufwachen und sich um den Regelungsbedarf in
er Nanotechnologie kümmern.
Im Oktober 2007 wurde der Bericht nun endlich vor-
elegt. Ich habe gehofft, dass Sie diese lange Zeit für
ründliches Nachdenken und Prüfen genutzt haben. Lei-
er wird diese Hoffnung enttäuscht. Sie kommen über
llgemeine Erkenntnisse nicht hinaus: „Nanopartikel
önnten (öko)toxikologische Nebenwirkungen mit sich
ringen.“ Aber was folgern Sie daraus? Es bestehe „ge-
enwärtig kein Veränderungsbedarf bei bestehenden Ge-
etzen und Verordnungen“. Damit verschließen sie die
ugen vor der Verantwortung, in der Sie stehen. In den
wei Jahren, die Sie uns auf den Bericht warten ließen,
at die Industrie die Anwendung der Nanotechnologien
usgeweitet, ohne dass eine ausreichende begleitende
isikoforschung und Technikfolgenabschätzung stattge-
unden hat. Die Risiken weder bei der Herstellung noch
ei der Nutzung noch bei der Entsorgung eines nano-
echnologischen Produktes werden bisher umfassend
nd kontinuierlich beforscht. Gefahrenabwehr und Vor-
orge im Bereich der Nanotechnologie werden weder
13270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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von der Wirtschaft noch von der Bundesregierung für
nötig gehalten. Die Wirtschaft ist bisher nicht verpflich-
tet, Nanopartikel in Produkten zu deklarieren. Wir halten
dies aber für dringend notwendig, um den Verbraucher-
schutz und den Schutz der Umwelt zu gewährleisten. Ein
freiwilliges Meldeverfahren der Wirtschaft, wie Sie es
vorschlagen, ist keine Lösung zur Erfassung potenzieller
Risiken. Gerade die Lebensmittelwirtschaft hat uns in
den letzten Jahren keinen Anlass geboten, ihr einen der-
artigen Vertrauensvorschuss zu geben.
Wir befürworten die Anwendung von Nanotechnolo-
gie in solchen Formen, wo Partikel gebunden sind und
bleiben. Wir unterstützen den Ausbau der öffentlichen
Förderung von Nanotechnologien vor allem in den Be-
reichen, die einen absehbaren Mehrwert erwarten lassen.
Dazu gehören vor allem die Bereiche erneuerbare Ener-
gien, Energiespartechnologien, Umwelt- und Medizin-
technologien. Jedoch setzt in diesen wie auch in allen
anderen Anwendungsbereichen die Nutzung von Nano-
technologie einen verantwortungsvollen Umgang vo-
raus: Die Risikoforschung muss fester Bestandteil bei
der Förderung von nanotechnologischen Innovationen
werden! Hier muss die öffentliche Hand mit gutem Bei-
spiel vorangehen. Deswegen fordern wir, insgesamt
10 Prozent der öffentlichen Fördergelder für Nanotech-
nologien für die begleitende Risikoforschung und für die
Technikfolgenabschätzung zur Verfügung zu stellen.
Gleichzeitig muss gewährleistet werden, dass auch die
Unternehmen sich zumindest an der Risikoforschung be-
teiligen.
Darüber hinaus brauchen wir feste Regelungen bei
Herstellung, Verwendung und Vermarktung von Nano-
partikeln. Für Bereiche, in denen die Partikel direkt mit
dem menschlichen Organismus in Kontakt gebracht wer-
den, wie zum Beispiel durch den Verzehr von Lebens-
mitteln, brauchen wir ein Moratorium. Hier ist es beson-
ders dringend zu wissen, was die Partikel kurz-, mittel-
und langfristig im menschlichen Organismus bewirken.
Hinzu kommt für Bereiche wie Lebensmittel, Reini-
gungsmittel und Kosmetika, dass bisher noch kein
Mehrwert durch Nanotechnologie belegt werden kann.
Brauchen wir Fleisch, das länger frisch aussieht, ohne
tatsächlich frisch zu sein?
Seit 2004 fordern wir, dass entsprechend den Vor-
schlägen des Büros für Technikfolgenabschätzung beim
Deutschen Bundestag die Anwendung von Nanotechno-
logie durch ein systematisches Monitoring-Programm
begleitet wird. Dabei müssen die biomedizinischen, öko-
logischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fol-
gen kontinuierlich erhoben und bewertet werden. Dabei
darf es aber nicht bleiben. Erkenntnisse über Risikopo-
tenziale müssen auch in gesetzgeberisches Handeln um-
gesetzt werden. Sonst verlieren die Menschen das Ver-
trauen in die Nutzbarkeit der Potenziale neuer
Technologien.
Das ist Ihre Aufgabe, sehr geehrte Bundesregierung!
Ich hoffe, dass das jetzt nicht weitere zwei Jahre dauert,
sondern dass Sie unsere Vorschläge annehmen und um-
setzen.
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nlage 19
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebe-
ner Produkte (Energiebetriebene-Produkte-Ge-
setz – EBPG) (Tagesordnungspunkt 26)
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Moderne Mobili-
ät und Energieversorgung basieren heute weltweit
auptsächlich auf der Nutzung fossiler Energieträger.
limawandel, steigende Energiepreise und wachsende
mportabhängigkeit sind die damit verbundenen Heraus-
orderungen. Zur Lösung dieser Herausforderungen sehe
ch drei zentrale Elemente: Energie muss effizienter ge-
utzt werden als heute, CO2-freie und moderne einhei-
ische Energieträger müssen vorangebracht, und der
ettbewerb muss weiter gestärkt werden. Denn nur der
arkt liefert effiziente Ergebnisse.
Klimaschutz ist Chefsache. Bestimmt wird die ener-
iepolitische Agenda momentan vor allem durch die
limapolitik. Allen voran hat die Kanzlerin den Klima-
chutz zur Chefsache erklärt. Sie hat die EU- und G-8-
räsidenschaft im ersten Halbjahr 2007 genutzt, um hier
ichtige Akzente zu setzen. Die nationale Vorbildfunk-
ion Deutschlands soll auf Europa übertragen werden,
m so international weitere wichtige Treibhausgasemit-
enten wie die USA, China oder Indien für ein gestärktes
ost-Kioto-Regime zu gewinnen.
Das energiepolitische Zieldreieck nicht aus den Au-
en zu verlieren. Für die Union basiert eine integrierte
nergie- und Klimapolitik auf drei Variablen: Klima-
chutz, Bezahlbarkeit und Sicherheit. Wir werden darauf
chten, dass diese drei Punkte in einem ausgewogenen
erhältnis bleiben. Der Klimaschutz muss gemeistert
erden, ohne Wachstum und Arbeitsplätze zu gefähr-
en. Diesen Punkt hat auch die Kanzlerin immer wieder
etont.
Energiepolitik ist in erster Linie Standortpolitik. Nur
it wettbewerbsfähigen Energiepreisen kann die deut-
che Wirtschaft für den globalen Konkurrenzkampf fit
emacht werden. Nur eine gesunde und gestärkte Indus-
rie hat die Innovationskraft, die Klimaschutzziele natio-
al umzusetzen und gleichzeitig in der weltweiten
hampions League für Effizienz und saubere Energie-
echnologien mitzuspielen.
Wir müssen den Klimaschutz effizient und marktori-
ntiert umsetzen. Oberste Prämisse beim Klimaschutz
uss sein, die ambitionierten Ziele kosteneffizient zu er-
eichen. Maßnahmen müssen vor allem in den Bereichen
nsetzen, in denen die CO2-Vermeidungskosten am ge-
ingsten sind. Nur so werden die Wettbewerbsfähigkeit
nd die Sicherheit der Energieversorgung ebenfalls ge-
ährleistet.
Am kostengünstigsten ist die Nutzung von Energie-
ffizienzpotenzialen, insbesondere im Gebäudebereich.
ie Energieeffizienz ist der energie- und klimapolitische
önigsweg und wird allen drei Variablen des energiepo-
itischen Zieldreiecks gerecht: Sie senkt die Importab-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13271
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hängigkeit, sie reduziert die Klimabelastung, und sie
senkt die Strom- und Gasrechnung.
Einsparungen können sogar mit einem positiven Er-
trag erreicht werden. Das heißt, diese Potenziale liegen
brach und brauchen nur einen Anstoß, um geweckt zu
werden und kein dauerhaftes und teures Förderpro-
gramm. Mehr Transparenz, bessere Informationen über
den Energieverbrauch von Produkten oder auch Vor-Ort-
Beratung für Haushalte und mittelständische Unterneh-
men sind Bausteine für einen lebendigen Markt für Ener-
gieeffizienz, auf dem der Kunde selbst entscheidet, wie
er die Energie einsparen will.
Mit dem Gesetz packt die Bundesregierung einen Be-
reich an, der oft im Fokus des öffentlichen Interesses
steht, wie die Debatte um Stand-by oder Energiespar-
lampen zeigt. Doch mangelte es bislang an politischer
Initiative und durchdachten lnstrumenten, um diese
Potenziale zu nutzen. Der Fokus liegt bislang eindeutig
auf der Angebotsseite, mit der Steigerung der erneuerba-
ren Energien in allen Bereichen, dem Emissionshandel
etc.
Auf energiebetriebene Produkte entfällt ein großer
Teil des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und
Energie in der EU. Sie haben auch eine Reihe weiterer
wichtiger Umweltauswirkungen. Bei den meisten in der
EU auf dem Markt befindlichen Produktarten sind bei
ähnlicher Funktion und Leistung sehr unterschiedliche
Umweltauswirkungen zu beobachten.
Insbesondere soll durch Verbesserung der Energieef-
fizienz ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung der Ziel-
vorgaben für Treibhausgasemissionen in der EU geleis-
tet werden. Die Elektrizitätsnachfrage ist die am
schnellsten wachsende Kategorie des Endenergiever-
brauchs und wird Prognosen zufolge in den nächsten 20
bis 30 Jahren weiter steigen, sofern keine politischen
Maßnahmen gegen diese Tendenz ergriffen werden.
Energieeinsparungen sind darüber hinaus die kosten-
günstigste Art, die Versorgungssicherheit zu erhöhen
und die Abhängigkeit von Einfuhren zu verringern.
Derzeit existieren keine anspruchsvollen Energieeffi-
zienzstandards für strom- und energieverbrauchende
Produkte. Zudem wissen die Verbraucher beim Kauf von
Geräten nicht, wie hoch die Stromkosten des Gerätes
sind, und können diese daher nicht in ihre Kaufentschei-
dung einbeziehen. Das Augenmerk darf nicht nur auf
den Anschaffungskosten liegen, sondern der gesamte
Lebenszyklus muss berücksichtigt werden.
Um eine breitflächige Markteinführung energieeffizi-
enter Produkte zu beflügeln, brauchen wir auf der einen
Seite anspruchsvolle Standards und auf der anderen
Seite eine verbraucherfreundliche und transparente Ver-
brauchskennzeichnung der Produkte. Hier müssen wir
darauf achten, dass nicht – wie oft versucht – ordnungs-
rechtlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Zu
viel Bürokratie und globale wie europaweite Wettbe-
werbsverzerrungen müssen vermieden werden.
Bis zum Jahr 2020 strebt die Bundesregierung des-
halb das Ziel an, die gesamtwirtschaftliche Energiepro-
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uktivität gegenüber dem Jahr 1990 zu verdoppeln. Dies
edeutet, dass im Jahr 2020 pro Einheit Bruttosozialpro-
ukt nur halb so viel Energie verbraucht werden soll wie
m Jahr 1990. Ein Patentrezept zur nachhaltigen Unter-
tützung von Energieeinsparung und Energieeffizienz
ibt es nicht. Das ist schon allein deshalb so, weil die
ermeidung zusätzlicher Bürokratien und unverhältnis-
äßiger staatlicher Eingriffe einen hohen wirtschaftspo-
itischen Stellenwert hat. Wie viele Beispiele insbeson-
ere aus der deutschen Industrie zeigen, sind diejenigen
aßnahmen für Energieeinsparung und Energieeffizienz
ie wirksamsten, die sich aufgrund der Preis- und Kos-
enrelationen über die Märkte selbst durchsetzen.
Somit gilt es, staatliche Initiativen und Aktivitäten auf
olche Bereiche zu konzentrieren, in denen wirtschaft-
ich rentable und somit für die Volkswirtschaft an sich
ützliche Energieeinsparmaßnahmen deshalb nicht er-
riffen werden, weil dies durch bestehende Markthemm-
isse verhindert wird, also zum Beispiel wegen Mangels
n Informationen und direkten Anreizen oder wegen zu
oher Transaktionskosten.
Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt, um beim Thema
nergieeffizienz bei energiegetriebenen Produkten vo-
anzukommen. Es dient als Rechtsrahmen und gewähr-
eistet europaweit einheitliche Verfahren. Details zu den
inzelnen Produktgruppen werden noch in Verordnun-
en erarbeitet. Hier kommt es auf die Spezifika des Pro-
uktes an, ob wir etwa den Top-Runner-Ansatz wählen
der weitergehende Ver- und Gebote erlassen.
Im engen Dialog mit der Industrie müssen wir dafür
orgen, dass aus dem Gesetz eine Win-win-Situation
ird: für das Klima, da weniger Ressourcen verbraucht
erden, und für die Industrie selbst, die mit innovativen
rodukten erst den europäischen und im weiteren Schritt
uch den internationalen Markt bedienen kann.
Dr. Axel Berg (SPD): Mit dem Energiebetriebene-
rodukte-Gesetz setzen wir heute eine Richtlinie der
U-Kommission um, die für das Erreichen der Klima-
iele der Bundesregierung und auch für das Erreichen
er Klimaziele der Europäischen Union unerlässlich ist.
ir schaffen damit den Rahmen für verbindliche Effi-
ienzstandards bei der Einführung von energiebetrie-
enen Produkten in den Europäischen Binnenmarkt.
Das Gesetz legt noch keine Standards fest, sondern
rmöglicht die Einrichtung eines Regelungsausschusses
n Brüssel, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind
nd der für verschiedene Produktgruppen Effizienzstan-
ards finden soll. Damit soll es in der Europäischen
nion flächendeckend zu einem massiv effizienteren
mgang mit Energie und anderen Ressourcen kommen.
s soll beispielsweise nicht nur der Stromverbrauch ei-
er Waschmaschine vorgeschrieben, sondern auch deren
asserverbrauch als Maßstab mitberücksichtigt werden.
as ist richtig und nachhaltig. Damit dies allerdings ge-
chehen kann, müssen wir den prozeduralen Rahmen mit
em heute vorliegenden Gesetz schaffen.
Die Idee ist einfach und effektiv. Eine Marktzulas-
ung in Europa erhalten nur die Produkte, die die vorge-
13272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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schriebenen Grenzwerte einhalten. Damit soll in ganz
Europa mehr Effizienz im Umgang mit teuren und end-
lichen Ressourcen ermöglicht werden.
Deshalb werden wir Parlamentarier genau beobach-
ten, wie in Brüssel gehandelt wird. Wir wollen ambitio-
nierte Standards, um das Effizienzziel von 20 Prozent
Steigerung gegenüber 1990, das im Meseberger Pro-
gramm der Bundesregierung festgelegt wurde, zu errei-
chen. Das ist nur zu schaffen, wenn wir in allen Berei-
chen die ambitioniertesten Ziele verfolgen. Wir wollen
deshalb das in Japan sehr erfolgreiche Instrument des
„Top Runners“ einführen. Es handelt sich um ein ein-
faches, dynamisches marktwirtschaftliches Instrument,
das die Effizienzstandards des besten Produkts seiner
Klasse nach einer festgelegten Zeit zum Standard für alle
Produkte dieser Klasse macht. Schon im Koalitionsver-
trag haben wir uns für die Einführung eines solchen Pro-
gramms auf europäischer Ebene eingesetzt. Das werden
wir nun mit Nachdruck in Brüssel fordern.
Die in Brüssel entsprechend gemachten Vorgaben sol-
len dann durch den Bundestag in deutsches Recht umge-
setzt werden. So können wir überprüfen, ob die Stan-
dards aus Brüssel ambitioniert genug sind, um unsere
nationalen, aber auch die europäischen Ziele der Effi-
zienzsteigerung zu erreichen.
Gudrun Kopp (FDP): Der heute zu beratende Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur umweltgerechten
Gestaltung energiebetriebener Produkte (EBPG) stellt
die Umsetzung einer EU-Richtlinie dar, an der wir in
Deutschland nicht vorbeikommen. Manches, das in der
sogenannten Ökodesignrichtlinie geregelt wird, deckt
sich dabei mit Ideen, die auch die FDP teilt, anderes wi-
derspricht unseren Vorstellungen. Aus diesem Grunde
wird sich die FDP heute der Stimme enthalten.
Der Grundgedanke, dass auch energiebetriebene Pro-
dukte einen großen Beitrag leisten können, um die Ziele
der Energieeinsparung, CO2-Vermeidung und der Ener-
gieeffizienz zu verwirklichen, ist ja nicht falsch. Die
Frage ist nur immer, wie diese Ziele verwirklicht werden
können. Als Liberale haben wir hier – wie auch andern-
orts – immer in erster Linie auf den Markt gesetzt.
Grundvoraussetzung dafür sind hinreichend gekenn-
zeichnete Geräte, die es dem Verbraucher ermöglichen,
eine informierte Entscheidung zu treffen. Deshalb halte
ich beispielsweise die Energieeffizienzkennzeichnung
von Elektrogeräten vor diesem Hintergrund für eine Er-
folgsgeschichte. Insofern aber wird staatliches Eingrei-
fen dort problematisch, wo so konkret in die Produktent-
wicklung eingegriffen wird, dass durch eine Ausdünnung
des Angebots bestimmte Entscheidungen vom Konsu-
menten gar nicht mehr getroffen werden können. Genau
in dieser Richtung droht aber Gefahr durch die Ökode-
signrichtlinie, was allerdings dem Regierungsentwurf
nicht angelastet werden kann.
Hier und heute stellt sich vielmehr die Frage, inwie-
weit der Gesetzentwurf eine Eins-zu-eins-Umsetzung
der Ökodesignrichtlinie darstellt. Der Bundesrat hat
hieran in seiner Stellungnahme einige Zweifel geäußert,
denen die Koalitionsfraktionen in Teilen gefolgt sind. So
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st zu begrüßen, dass im Bereich der Produktüberwa-
hung nunmehr auf das bereits bestehende Informations-
ystem ICSMS zurückgegriffen wird. Andere Einwände
es Bundesrates allerdings bestehen fort, und ich möchte
umindest die Gelegenheit nutzen, auf einen grundle-
enden Zusammenhang hinzuweisen.
Das Nebeneinander verschiedenster Richtlinien der
U mit zum Teil sich überschneidenden Anwendungsbe-
eichen bedarf dringend einer Korrektur. Dass nun zum
eispiel ein und dasselbe Produkt auf sich teilweise wi-
ersprechende Anforderungen der Ökodesignrichtlinie
nd der Produktsicherheitsrichtlinie Rücksicht nehmen
uss, ist ein nicht akzeptabler Zustand. Auch Brüssel
uss sich fragen lassen, ob es wirklich sinnvoll ist, die
roduzenten in Europa mit einem immer engeren
ickicht von Detailvorschriften zu überziehen. So lo-
enswert es ja ist, dass die Hersteller hier zumindest par-
iell einbezogen werden, so unsinnig wird das Ganze mit
mmer stärker zunehmender Komplexität. Ich teile des-
alb ausdrücklich die Kritik des Bundesrates, der in sei-
er Stellungnahme sehr eindringlich darauf hingewiesen
at, dass hinsichtlich des Inverkehrbringens von Produk-
en mittlerweile Regelungen in den verschiedensten
ichtlinien existieren. Wir müssen als Mitgliedstaaten
ufpassen, dass hier nicht die Bürokratiewut der EU das
egenteil dessen hervorbringt, das sie vorgibt erreichen
u wollen, nämlich faire Wettbewerbsbedingungen.
Das führt mich zu dem wesentlicheren Einwand ge-
en die Ökodesignrichtlinie, den ich hier zumindest zu
rotokoll geben möchte. Die sogenannten Durchfüh-
ungsvorschriften werden über kurz oder lang die
chleusen öffnen für einen politischen Ansatz, bei dem
ie Geräteeigenschaften von Produkten zumindest in
esentlichen Teilen staatlich vorgegeben werden. Dies
st nicht nur technologiepolitisch bedeutsam, weil der
taat noch nie zum Innovator taugte. Ein solcher Ansatz
st auch wettbewerbspolitisch höchst gefährlich. Öffnet
r doch einem Verhalten von marktmächtigen Unterneh-
en Tür und Tor, das darauf hinausläuft, eigene Designs
arkt- und lobbyschwächeren Unternehmen aufzuok-
royieren, um insbesondere innovative Spartenprodukte
er Wettbewerber zu unterbinden. Im Übrigen kann dies
u einer Lobbypolitik des permanenten Antichambrie-
ens führen, die zumindest unseren Vorstellungen einer
arktwirtschaft, in welcher der Staat den Ordnungsrah-
en für Wettbewerb setzt, aber nicht dessen Inhalte,
assiv zuwiderläuft.
Wenn also die FDP das heute vorliegende Gesetz
icht ablehnt, so in erster Linie in Anerkenntnis der
wangsläufigkeit, dass die zugrunde liegende Richtlinie
un einmal in Kraft getreten und damit in deutsches
echt umzusetzen ist. Gleichwohl aber bleiben in unse-
er Fraktion gewisse Bauchschmerzen, und ich appel-
iere deshalb an die Bundesregierung, zumindest ein wa-
hes Auge auf die Konsequenzen des Gesetzes zu haben.
Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Besser spät als nie.
as ist die Devise der Großen Koalition. Mit dem vor-
iegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung
ine EU-Richtlinie vom Juli 2005 endlich um. Wie zu
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13273
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erwarten, sind auch Nachbesserungen erforderlich.
Deshalb – das möchte ich gleich vorwegnehmen –
stimmt die Linke dem entsprechenden Entschließungs-
antrag der Grünen zu.
Die ökologische Ausgestaltung von Produkten und
deren Kennzeichnung ist wichtig und richtig. Verbrau-
cherinnen und Verbraucher haben ein Recht, zu erfahren,
wie die Umweltbilanz einzelner Sachen aussieht. Aller-
dings bleibt der Vorschlag der Bundesregierung auf hal-
bem Wege stehen. Wie üblich, wird nur im Wortlaut um-
gesetzt, was aus Brüssel kommt – besser ein bisschen
weniger.
Notwendig wäre gewesen, den Begriff der Nachhal-
tigkeit bei diesem Gesetz zu verinnerlichen. Das bedeu-
tet, dass bei Wirtschaftsgütern sowohl die ökologischen
als auch die sozialen Aspekte im vollen Umfange be-
rücksichtigt werden müssen.
Die Globalisierung bringt es mit sich, dass viele
Dinge des Alltags in Schwellen- und Entwicklungslän-
dern produziert werden. Das ist für die Hersteller nicht
nur billiger. Auch die energieintensiven Prozesse werden
nach China oder in andere Länder verlagert. Das lässt
die deutsche Energiebilanz zwar im hellen Lichte er-
scheinen. In China aber führt das in eine ökologische
Katastrophe. Die Umweltschäden wiederum verschlech-
tern die gesundheitliche Situation der Menschen vor Ort
erheblich. Gar nicht denken mag ich an die abstoßenden
Arbeitsbedingungen, mit denen die Menschen in den
Schwellenländern unsere Geiz-ist-geil-Kultur bezahlen
müssen.
All diese Aspekte gehören auf den Beipackzettel oder
besser auf die Verpackung von energiebetriebenen Pro-
dukten. Die sogenannte CE-Kennzeichnung reicht hier
nicht aus. Sie ist eine freiwillige Erklärung eines Her-
stellers, dass seine Produkte die EU-weiten Richtlinien
im Wesentlichen einhalten. Verbraucherinnen und Ver-
brauchern sagt sie nicht viel. Deshalb bedarf es zusätzli-
cher Hinweise und einer unabhängigen Kontrolle.
Damit sind wir beim nächsten Stichwort: Die Über-
wachung der Einhaltung der Standards von Produkten
soll bei den Bundesländern liegen. Um es klar zu sagen:
Diese Überwachung wird nicht stattfinden. Erstens ist
überhaupt kein Personal vorhanden. Zweitens kommen
die Länder auch in anderen Bereichen ihrer Überwa-
chungspflicht nicht nach.
Sie alle kennen die Angaben auf Kühlschränken und
Waschmaschinen zum Energieverbrauch: C ist schlecht,
A gut, A++ sehr gut. Für diese Energieverbrauchskenn-
zeichnung, die für alle Hersteller Pflicht ist, haben die
meisten Bundesländer nicht einmal Vollzugsbehörden
benannt, geschweige denn, dass sie Kontrollen durch-
führen. Stattdessen sind Verbraucherschutzverbände ge-
zwungen, die Geräteanbieter abzumahnen. Es gibt sogar
Hersteller, die selbst Juristen bemühen, um gegen Kon-
kurrenten vorzugehen, die der Kennzeichnungspflicht
nicht nachkommen. Denn wer sich mit Energieschleu-
dern durchmogelt, missbraucht den Markt.
Ich frage deshalb die Bundesregierung: Wie wollen
Sie nach Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes eine
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berwachung sicherstellen? Ich bin mir sicher, dass Ih-
en der Bundesrat da noch einige Hausaufgaben aufgibt.
ie Linke wird sich deshalb enthalten.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
em vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung
ollen jetzt endlich die Weichen gestellt werden, um
nergiebetriebene Geräte – vom Kühlschrank bis zum
eizkessel – künftig umweltverträglicher und energie-
ffizienter zu machen. Wieder einmal kommt der Impuls
on der EU-Ebene. Die dem Gesetz zugrunde liegende
kodesignrichtlinie ist immerhin das zentrale Instru-
ent, um die im EU-Energieeffizienzplan vorgesehene
enkung des Stromverbrauchs von Geräten um 20 Pro-
ent bis zum Jahr 2020 zu erreichen. Und wer in das
lima- und Energieprogramm der Bundesregierung
chaut, findet beim Punkt Förderung stromeffizienter
eräte kaum mehr als eben die Umsetzung dieser EU-
ichtlinie.
Dieser Bedeutung entsprechend, können wir also ei-
en großen Wurf erwarten. Und der wäre auch dringend
rforderlich. Schließlich ist der Stromverbrauch in den
rivathaushalten ungeachtet aller Energiespardiskussio-
en seit 1990 um 16 Prozent gestiegen. Ein wesentlicher
rund dafür ist die wachsende Zahl energieverschwen-
ender Geräte. Viele davon besitzen nicht einmal mehr
inen Ausschaltknopf und verschwenden rund um die
hr teuren und klimaschädlich erzeugten Strom. Doch
ach der zu erwartenden Tatkraft sucht man in dem Re-
ierungsentwurf vergebens. Das Gesetz versprüht den
harme einer bürokratischen Pflichterfüllung, wo es
och eigentlich ein ambitioniertes Instrument für die
ringend erforderliche Steigerung der Energieeffizienz
ein müsste. Da reicht es auch nicht, darauf zu verwei-
en, dass hier und heute nur der Rahmen aufgetan wird,
n dem künftig konkrete Verordnungen für die jeweiligen
tandards der Geräte gestellt werden sollen. Denn das
esetz weist entscheidende Schwächen auf, die es zu
orrigieren gilt. An erster Stelle ist zu nennen, dass die
inhaltung der Ökodesignrichtlinie von den Herstellern
elbst durch den Aufdruck eines CE-Zeichens dokumen-
iert wird. Diese Form der Selbstdeklaration reicht nicht
us, um gefährliche und umweltschädliche Importpro-
ukte vom Markt fernzuhalten, wie das Beispiel schad-
toffverseuchter Spielzeuge aus China zeigt. Wir fordern
n unserem Entschließungsantrag zu dem Gesetz deshalb
ine Ergänzung der Verbraucherinformation, etwa durch
in unabhängig kontrolliertes Prüfzeichen analog zum
S-Zeichen und eine Produktinformation zu den Um-
eltstandards des Produkts für Kunden. Ein weiterer
chwachpunkt ist die Marktüberwachung, die Sache der
änder ist. Hier fehlt es nicht nur an Geld und Personal,
ondern auch an Ideen. Die von der Bundesregierung in
ussicht gestellte Unterstützung der Länder wirkt mit
hren 2,5 Stellen geradezu lächerlich.
Von einer wirksamen Marktkontrolle kann keine Rede
ein. Es wird vielmehr zu einem Gesetz kommen, das
eder mehr Transparenz für Verbraucher bringt noch
essere Energiestandards am Markt verbindlich durch-
etzt.
13274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Wir fordern daher von der Bundesregierung, zusam-
men mit den Ländern ein Überwachungskonzept zu erar-
beiten, das in der Praxis funktioniert. 2,5 Stellen werden
da nicht weiterhelfen. Dashalb fordern wir eine haus-
haltsneutrale Nachbesserung. Schließlich erwarten wir
von der Bundesregierung über das vorliegende Gesetz
hinaus endlich einen Vorschlag für einen Top-Runner-
Ansatz nach japanischem Vorbild zu erarbeiten; denn an-
spruchsvolle Energiestandards bei Geräten sind nur die
halbe Miete. Wir brauchen auch eine dynamische Wei-
terentwicklung der Energieeffizienz. Dazu ist kein In-
strument besser geeignet als eben der in Japan äußerst
wirkungsvolle Top-Runner-Ansatz. Seit Jahren behaup-
ten die Minister Gabriel und Glos stoisch, es werde dem-
nächst eine europäische Variante des Top-Runner-Ansat-
zes geben. Wie diese allerdings aussehen soll, darüber
schweigen sie. Wir fordern die Bundesregierung deshalb
auf, ihren Worten jetzt endlich Taten folgen zu lassen
und einen konkreten Vorstoß in dieser Frage zu unter-
nehmen.
Anlage 20
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnah-
men bei Gefährdung des Kindeswohls (Tages-
ordnungspunkt 27)
Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute in ers-
ter Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Ge-
fährdung des Kindeswohls.
Vernachlässigte und misshandelte Kinder brauchen
die Hilfe des Staates. In letzter Zeit haben sich erschüt-
ternde Berichte über Eltern, die ihre Kinder misshandeln
oder vernachlässigen, gehäuft. Nicht zuletzt der schreck-
liche Tod des kleinen Kevin aus Bremen hat uns die Ver-
antwortung der Gemeinschaft für diese Kinder drastisch
vor Augen geführt.
Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse hat das Bun-
desjustizministerium im März 2006 die Expertengruppe
„Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des
Kindeswohls“ eingesetzt, die im November 2006 eine
Reihe von Verbesserungsvorschlägen für die Familien-
rechtspraxis vorgelegt hat.
Nach geltendem Recht darf das Familiengericht nur
dann in die elterliche Sorge eingreifen, wenn und soweit
die Gefährdung des Kindeswohls auf einem Fehlverhal-
ten bzw. Versagen der Eltern beruht. In der Praxis ist es
jedoch häufig sehr schwer, ein solches konkretes Fehl-
verhalten der Eltern nachzuweisen. Das Anknüpfen an
ein „elterliches Erziehungsversagen“ hat sich vor diesem
Hintergrund als untauglich erwiesen.
Kritisiert wurden zudem die für den Fall einer Kin-
deswohlgefährdung vorgesehenen Rechtsfolgen. Nach
geltendem Recht haben die Familiengerichte die zur Ab-
wendung der Gefahr „erforderlichen Maßnahmen“ zu er-
greifen. Diese Formulierung beinhaltet theoretisch eine
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ielzahl von möglichen Eingriffsmaßnahmen. In der
raxis ist jedoch festzustellen, dass die Gerichte von die-
en Möglichkeiten kaum Gebrauch machen. Vielmehr
reifen sie in den meisten Fällen auf die „Ultima Ratio“
urück, indem sie den Eltern das Sorgerecht ganz oder
eilweise entziehen. Problematisch erscheint in diesem
usammenhang auch die Rolle der Jugendämter, die die
amiliengerichte oft erst dann einschalten, wenn die ei-
enen Einwirkungsversuche gescheitert sind und die
age sich dramatisch zugespitzt hat. Eine Vielzahl von
rühzeitigen – gerichtlichen wie behördlichen – Einfluss-
öglichkeiten bleibt somit ungenutzt.
Ein weiteres Defizit des geltenden Rechts besteht in
er fehlenden Verpflichtung der Familiengerichte, ihre
ntscheidungen in einem angemessenen zeitlichen Ab-
tand zu überprüfen und sie gegebenenfalls an eine geän-
erte Situation anzupassen. Dies führt in der Praxis zu
roblemen: Die Jugendämter sind in der Folge äußerst
urückhaltend, wenn es darum geht, im konkreten Fall
rneut gerichtliche Maßnahmen zu beantragen. Noch
chwerer wiegen die Auswirkungen auf das Verhalten
er Eltern. Ihre Kooperationsbereitschaft wird in der Re-
el deutlich abnehmen. In vielen Fällen dürften sie sich
ogar durch die gerichtliche Feststellung in ihrer Sicht-
eise bestätigt fühlen und eine Kooperation mit dem Ju-
endamt bis auf Weiteres einstellen.
Der vorliegende Gesetzentwurf setzt im Wesentlichen
ie Änderungsvorschläge der Expertengruppe um: Aus-
angspunkt der Überlegungen ist das verfassungsrecht-
ich geschützte „Elternrecht“. Nach Art. 6 Abs. 2 und 3
G sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche
echt der Eltern. Eingriffe in dieses Recht bedürfen
rundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung und müs-
en sich stets an den Grenzen der Verhältnismäßigkeit
owie der Subsidiarität orientieren. Das Elternrecht ist
edoch nicht nur ein Grundrecht, es ist zugleich auch
ine Verpflichtung der Eltern. So heißt es in Art. 6 Abs.
GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind … die zu-
örderst ihnen – den Eltern – obliegende Pflicht“. Ange-
ichts dieser Pflichtbindung unterscheidet sich das „El-
ernrecht“ von allen anderen Grundrechten und wird
llgemein auch als „Elternverantwortung“ bezeichnet.
as Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusam-
enhang wiederholt klargestellt, dass das „Elternrecht“
aßgeblich dem Kindeswohl diene und wesentlich ein
echt im Interesse des Kindes sei, das auf Schutz und
ilfe angewiesen ist. Insofern kann man also auch von
inem treuhänderischen Recht sprechen.
Dort, wo die Eltern nicht willens oder in der Lage
ind, das Kindeswohl zu schützen, begründet die „El-
ernverantwortung“ für das gefährdete Kind einen An-
pruch auf Schutz und für die Gemeinschaft bzw. die sie
ertretenden staatlichen Institutionen eine Pflicht, alles
u unternehmen, um das Kind vor Misshandlungen oder
ernachlässigungen zu schützen. Die Verbesserungsvor-
chläge der Expertengruppe sowie die sich häufenden
erichte über schwerste Fälle von Kindesmisshandlun-
en und -vernachlässigungen zeigen jedoch in trauriger
eise, dass die Gemeinschaft diesem Anspruch bisher
icht immer gerecht werden konnte und sie daher ver-
flichtet ist, neue Lösungsansätze zu finden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13275
(A) )
(B) )
Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, gefähr-
dete Kinder so früh wie möglich zu schützen. Familien-
gerichte, Jugendämter, Schule und Polizei müssen in Zu-
kunft noch besser zusammenarbeiten und im Einzelfall
früher tätig werden. Ausgangspunkt aller Überlegungen
muss die Erkenntnis sein, dass Prävention das beste Mittel
ist, um Kinder zu schützen. Zentraler Ansatz des vorlie-
genden Gesetzentwurfs ist folglich, frühzeitige Maßnah-
men zu ergreifen, um anders als bisher eine Zuspitzung
der Lage möglichst zu verhindern.
Dazu kann die hier vorgeschlagene frühzeitige Ein-
schaltung der Familiengerichte, die – anders als Jugend-
ämter – verpflichtend auf die Eltern einwirken können,
ganz wesentlich beitragen. Der Gesetzentwurf sieht in
diesem Sinne vor, das „elterliche Erziehungsversagen“
in § 1666 Abs. 1 BGB als Voraussetzung für ein gericht-
liches Eingreifen zu streichen. Dies senkt die Hürden für
ein gerichtliches Eingreifen, fördert damit eine frühere
Anrufung der Familiengerichte und beseitigt darüber hi-
naus die Gefahr, dass die Kooperationsbereitschaft der
Eltern wegen der gerichtlichen Feststellung des „Erzie-
hungsversagens“ stärker als erforderlich beeinträchtigt
wird. Für die Einführung einer gesetzlichen Vermutung
der Kindeswohlgefährdung für bestimmte, konkret auf-
gezählte Fälle besteht im Übrigen kein praktisches Be-
dürfnis. Wir haben deshalb bewusst von einer entspre-
chenden Ergänzung abgesehen.
Der Gesetzentwurf sieht außerdem eine Konkretisie-
rung der Rechtsfolgen vor. Dieser Vorschlag hat in den
Stellungnahmen der im Vorfeld bereits beteiligten Län-
der und Verbände breite Zustimmung gefunden. Die Ge-
richte werden künftig stärker als bisher von den
verschiedenen, unter der Schwelle der Sorgerechtsent-
ziehung stehenden Instrumenten Gebrauch machen. Der
Gesetzentwurf führt in diesem Zusammenhang beispiel-
haft das an die Eltern gerichtete und nach § 33 FGG
durchsetzbare Gebot auf, Leistungen der Kinder- und Ju-
gendhilfe in Anspruch zu nehmen oder für die Einhal-
tung der Schulpflicht zu sorgen.
Die Gerichte können somit künftig familiengerichtli-
che Weisungen an die Eltern erteilen, das heißt, sie kön-
nen auf die Eltern einwirken, Kindergartenbetreuung in
Anspruch zu nehmen, einen Anti-Gewalt-Trainingskurs
zu absolvieren oder das Kind ärztlich untersuchen zu las-
sen. Diese Änderung fördert in geeigneten Fällen eine
frühzeitige Anrufung der Familiengerichte und trägt so
dem Gedanken der Prävention Rechnung.
Soweit das Familiengericht von gerichtlichen Maß-
nahmen absieht, soll es künftig verpflichtet werden, in ei-
nem angemessenen Zeitabstand zu überprüfen, ob diese
Entscheidung aufrechtzuerhalten oder aus sachlichen
Gründen durch eine gerichtliche Maßnahme zum Schutz
des Kindeswohls zu ersetzen ist. Hat sich in der Zwi-
schenzeit etwa herausgestellt, dass die Eltern eine be-
stimmte Zusage nicht eingehalten haben, kann das Ge-
richt nunmehr die erforderliche Maßnahme treffen, von
der es zunächst noch abgesehen hatte.
Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe weiterer Ände-
rungen vor, die zum Teil bereits im Entwurf des FGG-
Reformgesetzes enthalten sind und dazu beitragen
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erden, dass Kindeswohlgefährdungen möglichst früh-
eitig angegangen werden. Wir wollen zum einen ein ge-
etzliches Beschleunigungsgebot für Verfahren wegen
efährdung des Kindeswohls festschreiben, das heißt
indeswohlverfahren sollen künftig vorrangig durchge-
ührt werden. Ferner soll im Rahmen des gerichtlichen
erfahrens ein sogenanntes Erziehungsgespräch stattfin-
en, bei dem die Kindeswohlgefährdung mit allen Betei-
igten erörtert werden soll. Sinn und Zweck einer sol-
hen Erörterung ist es, die Eltern noch stärker als bisher
n die Pflicht zu nehmen und auf sie einzuwirken, öffent-
iche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit dem Ju-
endamt zu kooperieren. Die Gerichte sollen im Rahmen
ieser Erörterung den Eltern den Ernst der Lage vor Au-
en führen, darauf hinwirken, dass sie notwendige Leis-
ungen der Jugendhilfe annehmen, sowie auf mögliche
onsequenzen – beispielsweise den Entzug des Sorge-
echts – hinweisen.
Im Interesse eines effektiven präventiven Schutzes
on Kindern enthält der Gesetzentwurf im Weiteren eine
eihe von Maßnahmen, um die Zusammenarbeit der Fa-
iliengerichte mit Jugendämtern und anderen Institutio-
en nachhaltig zu stärken.
Um mehr Rechtssicherheit in Fällen von „geschlosse-
er Unterbringung“ zu schaffen, wollen wir schließlich
ie Voraussetzungen für die Erteilung einer nach
1631 b BGB erforderlichen Genehmigung für die ge-
chlossene Unterbringung eines Minderjährigen konkre-
isieren. Damit werden bestehende Unsicherheiten der
raxis ausgeräumt. Die vorgesehene Änderung stellt zu-
em klar, dass die geschlossene Unterbringung des Min-
erjährigen stets das letzte Mittel sein muss und am stren-
en Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Die vorgesehenen
nderungen werden künftig einen effektiven, am Gedan-
en der Prävention ausgerichteten Schutz von vernach-
ässigten und misshandelten Kindern gewährleisten. Im
nteresse des Kindeswohls hoffe ich auf zügige und kon-
truktive Beratungen.
Christine Lambrecht (SPD): Die Bundesregierung
at den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung fami-
iengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kin-
eswohls vorgelegt. Mit dieser Reform kommt die staat-
iche Gemeinschaft ihrer Aufgabe nach, Kindern ein
esundes Aufwachsen zu ermöglichen und sie mit allen
itteln vor Gefährdung zu schützen. Dazu verpflichtet
as Grundgesetz sie für den Fall, dass Eltern den Schutz
es Kindes nicht gewährleisten.
Uns allen sind noch die erschütternden Berichte ge-
enwärtig, in denen Kinder durch die Unfähigkeit über-
orderter Eltern vernachlässigt oder sogar vorsätzlich
isshandelt wurden. Dies war die Folge zu späten Ein-
reifens der Jugendämter und Familiengerichte. Wie die
om BMJ vor dem Hintergrund solcher schlimmen Fälle
ingesetzte Arbeitsgruppe von Experten aus Familienge-
ichten, der Kinder- und Jugendhilfe und der Vertreter
etroffener Verbände festgestellt haben, schalten die Ju-
endämter die Gerichte oftmals erst nach einem zu lang-
ierigen und leider oft zu unergiebigen Hilfeprozess ein.
13276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Denn häufig kooperieren die Eltern in solchen Problem-
fällen nicht oder nur ungern mit dem Jugendamt. Die
Gerichte werden dann in der Regel nur noch mit dem
einzig verbliebenen Ziel angerufen, den Eltern das Sor-
gerecht ganz oder teilweise zu entziehen. Oft bleibt den
Gerichten dann nichts anderes mehr übrig. Bei einer
schon zugespitzten Gefährdung des Kindes kommt es für
das Gericht nicht mehr in Betracht, weniger einschnei-
dende Maßnahmen zu treffen, wie etwa verpflichtend
auf die Eltern einzuwirken, Kindergartenbetreuung in
Anspruch zu nehmen oder das Kind ärztlich untersuchen
zu lassen.
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist daher die Er-
kenntnis, dass Prävention das beste Mittel ist, um Kinder
effektiv vor Gefährdungen zu schützen. Familienge-
richte und Jugendämter müssen daher ihre jeweiligen
Aufgaben im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft
wahrnehmen. Hier setzt der Gesetzentwurf an. Er trägt
dabei den Ergebnissen der Arbeitsgruppe Rechnung und
gestaltet die Vorschriften zum familienrechtlichen Kind-
schutzverfahren neu aus: Insgesamt sieht der Entwurf
ein frühes und „niedrigschwelliges“ Eingreifen des Fa-
miliengerichts – das heißt bereits unterhalb der Schwelle
der Sorgerechtsentziehung – vor. Solange sie noch im
Einzelfall zur Gefahrenabwehr geeignet sind, soll das
Gericht sozialpädagogische Hilfs- und Unterstützungs-
angebote anordnen und damit zunächst ohne Sorge-
rechtsentziehung auf die Eltern einwirken. Gerichtliche
Maßnahmen, wie etwa eine Erziehungsberatung in An-
spruch zu nehmen, sollen die Eltern so früh wie möglich
erreichen, wenn sich eine Problemsituation für das Kind
anbahnt. Notwendige öffentliche Hilfen können die El-
tern beeinflussen und ihnen helfen, ihre Elternkompe-
tenz wieder in Anspruch zu nehmen, bevor eine Notsitua-
tion eintritt.
Deshalb hat die Bundesjustizministerin gemeinsam
mit den Fachexperten Vorschläge erarbeitet. Diese sind
in dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf enthalten:
Erstens sollen alle „Hürden“ für die Anrufung der Fami-
liengerichte beseitigt werden. Derzeit setzen familienge-
richtliche Maßnahmen ein elterliches Erziehungsversa-
gen voraus. Ein konkretes Fehlverhalten der Eltern ist
jedoch meist nicht feststellbar. Daher wird diese Voraus-
setzung gestrichen, und dem Gericht werden konkrete
Maßnahmen erleichtert. Voraussetzung soll die Gefähr-
dung des Kindeswohls sowie die Unfähigkeit und Un-
willigkeit der Eltern sein, die Gefahr abzuwenden. Da-
mit werden „Hürden“ für das Jugendamt, das Gericht
anzurufen, abgebaut.
Zweitens konkretisiert der Regierungsentwurf die
Rechtsfolgen bei der Auswahl der Maßnahmen des Ge-
richts. So sind insbesondere Weisungen an die Eltern, öf-
fentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, wie Leistungen
der Kinder- und Jugendhilfe, etwa eine Erziehungsbera-
tung, soziale Trainingskurse oder Gesundheitsfürsorge
möglich. Die Jugendämter sollen durch die Bandbreite
von Maßnahmen zu einer frühzeitigen Anrufung des Ge-
richts angehalten werden. Befolgen die Eltern die Wei-
sungen nicht, sind diese auch mit Zwangsmitteln durch-
setzbar – bis hin zu einer Fremdunterbringung des
Kindes.
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Drittens wird eine Verpflichtung des Gerichts zur
berprüfung eingeführt, in angemessenen Zeitabständen
ie Entscheidung, keine Maßnahmen anzuordnen, zu
rüfen. Es gerät dann kein Fall mehr in Vergessenheit.
Viertens gibt die Reform dem Gericht die Möglich-
eit, mit den Eltern ein Gespräch über die Kindeswohl-
efährdung, das Verfahren, die Leistungen der Kinder-
nd Jugendhilfe sowie über Konsequenzen der Nichtin-
nspruchnahme von Maßnahmen zu führen.
Fünftens wird ein Vorrangs- und Beschleunigungsge-
ot für familiengerichtliche Verfahren, die das Kind be-
reffen, wie besonders im Fall einer Kindeswohlgefähr-
ung, eingeführt.
Sechstens wird klargestellt, dass die geschlossene Un-
erbringung zum Wohl des Kindes erforderlich sein muss
nd der Vorrang anderer öffentlicher Hilfen zu beachten
t.
Uns allen muss klar sein, dass dieses Gesetz nicht die
ösung aller Probleme sein kann. Insbesondere muss die
msetzung vor Ort durch eine ausreichende personelle
usstattung der Jugendämter gewährleistet sein.
Hier sind die Länder am Zuge. Hier müssen Prioritä-
en gesetzt werden. Die Kinder verdienen unsere Auf-
erksamkeit. Ich freue mich auf die anstehenden Bera-
ungen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
it dem Gesetzentwurf zur Erleichterung familienge-
ichtlicher Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung re-
giert die Bundesregierung auf die Fälle von Kindes-
isshandlungen und Kindesvernachlässigungen in den
etzten Monaten. Uns allen ist noch der Fall Kevin in
ester Erinnerung. Fast genau ein Jahr liegt dieses tragi-
che Ereignis nun zurück. Der in Bremen eingesetzte
ntersuchungsausschuss hat festgestellt, dass der Tod
es Jungen von vielen Zuständigen nicht verhindert wor-
en sei, obwohl sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten.
ies sei in hohem Maße auf individuelles Fehlverhalten
urückzuführen. Strukturelle Mängel in der Behörde,
ine mangelnde Dienst- und Fachaufsicht, eine unzurei-
hende Zusammenarbeit der verschiedensten Beteilig-
en, fehlende Qualifikationen und schlechte personelle
nd sachliche Ausstattung hätten mit dazu beigetragen,
ass der Fall Kevin ein solch tragisches Ende genommen
abe. Vor fast genau zwei Monaten war aus der Presse
on dem „Baby aus der Müllhölle“ zu lesen. Weitere
chreckliche Fälle von Kindeswohlgefährdung gibt es,
ie ich hier nicht alle aufzählen kann. Behörden und Ge-
ichte müssen in die Lage versetzt werden, in diesen Fäl-
en früh und entschlossen zu handeln, um das Kindes-
ohl zu schützen. Und sie müssen diese Möglichkeiten
uch nutzen.
In dem nun folgenden parlamentarischen Verfahren
uss insoweit genau geklärt werden, woran es in
eutschland wirklich fehlt. Sind es Gesetzeslücken?
ind es Behördenmängel? Fehlen qualifizierte Mitarbei-
er? Warum wird oftmals zu spät und dann auch noch
alsch gehandelt? Nach Art. 6 Abs. 2 GG ist die Pflege
nd Erziehung der Kinder das natürliche Recht der El-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13277
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tern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Und
daran soll sich auch grundsätzlich nichts ändern, wenn
die Eltern dieser wichtigen Aufgabe wirklich nachkom-
men. Und in den allermeisten Fällen tun sie dies auch.
Das verbietet, Eltern unter den Generalverdacht der Kin-
deswohlgefährdung zu stellen und eine möglichst lü-
ckenlose staatliche Kontrolle aufzubauen. Allein bei
Versagen der Eltern, das dann immer zulasten der Kinder
geht, muss das staatliche Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 GG
auch tatsächlich greifen.
Für die FDP-Bundestagsfraktion steht im Bereich des
Familienrechts das Wohl des Kindes im Vordergrund.
Bereits mit unserem Antrag „Schutz und Chancen für die
Kinder in Deutschland“ vom Februar dieses Jahres ha-
ben wir uns für die Prävention und den Schutz von Kin-
dern stark gemacht. Eltern müssen daher schon frühzei-
tig auf die Elternschaft vorbereitet werden. Dazu gehört
eine umfassende Information durch Kinder- und Jugend-
ärzte und durch Hebammen. Eine enge Kooperation zwi-
schen Eltern und Kindertagesstätten ist anzustreben.
Auch ein Beistand im Rahmen der Nachbarschaftshilfe,
durch Fördervereine, Eigeninitiativen oder Selbsthilfe-
gruppen ist denkbar.
Dieses große Ziel, den Schutz gefährdeter Kinder zu
verbessern, verfolgt auch der vorliegende Gesetzentwurf
mit der Verbesserung des gerichtlichen Verfahrens und
ist daher grundsätzlich begrüßenswert. Bei vielen der be-
kannt gewordenen Probleme handelte es sich jedoch
meiner Meinung nach vorwiegend um Umsetzungspro-
bleme in der Praxis. Der Schutz gefährdeter Kinder und
Jugendlicher lässt sich nicht alleine durch neue Gesetze
erreichen. So hat auch im Fall Kevin in erster Linie das
Jugendamt versagt und nicht die Gesetzgebung. Wichti-
ger sind somit die umfassende Anwendung und der Voll-
zug bereits bestehender Gesetze.
Jugendämter, Verbände, Gerichte und aufsuchende
Hilfe müssen stärker zusammenarbeiten. Dazu bedarf es
auch des entsprechenden Personals und dessen Ausbil-
dung. Die an dem Verfahren beteiligten Personen bedür-
fen darüber hinaus auf dem Gebiet der Kindeswohlge-
fährdung einer umfassenden qualifizierten Fortbildung.
Dies schließt auch eine Fortbildung der Richter ein. Und
mit einer solchen Fortbildungspflicht stellt auch nie-
mand die Unabhängigkeit der Richter in Deutschland in
Frage. Dabei handelt es sich jedoch um Aufgaben, die
den Ländern zufallen.
Ob die im hier vorliegenden Gesetzentwurf enthalte-
nen Regelungen im Einzelnen zielführend sind, muss im
Rahmen der sich anschließenden Beratungen in den
Ausschüssen kritisch hinterfragt werden. Neu durch-
dacht werden muss sicherlich das Vorrang- und Be-
schleunigungsgebot. Wie auch der Deutsche Familienge-
richtstag festgestellt hat, muss das andere kindliche
Zeitempfinden und die daraus resultierende Belastung
im Verfahren berücksichtigt werden. Darüber hinaus be-
darf es eines expliziten Beschleunigungsgebotes auch
aufseiten des Jugendamtes, da dessen Beteiligung in
kindschaftsrechtlichen Verfahren oft eine wesentliche
Ursache für Verfahrensverzögerungen ist. Die Konkreti-
sierung der Rechtsfolgen im Rahmen des § 1666 BGB
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chadet mit Sicherheit nicht, bringt aber rechtlich keine
nderungen mit sich. Sie unterstellt vielmehr, dass die
amilienrichter bisher nicht wussten, was sie eigentlich
nordnen können.
In diesem Zusammenhang bedarf auch die zwingende
rneute Überprüfungspflicht des Gerichts bei dem Abse-
en von Maßnahmen einer Überarbeitung. Wenn das Ge-
icht keine zureichenden Anhaltspunkte dafür sieht, dass
ich die Verhältnisse zum Nachteil des Kindes verändern
önnten, gibt es keinen Anlass zu einer erneuten Über-
rüfung durch das Gericht. Hier gilt es, auch das Recht
uf familiäre Freiheit zu schützen. In den Fällen, in de-
en sich im Erörterungstermin die Eltern verpflichtet ha-
en, ein Hilfsangebot anzunehmen, ist vielmehr das Ju-
endamt in die Pflicht zu nehmen, die Umsetzung des
ilfsangebotes zu überwachen und das Gericht zu unter-
ichten, wenn es hier zu Versäumnissen kommt.
Lassen Sie uns alle den Fall Kevin ein mahnendes
eispiel sein und alles dafür tun, dass sich solch eine
ragödie nicht wiederholt.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf
at sich das Ziel gesetzt, den Schutz gefährdeter Kinder
u verbessern, die Rechte von Kindern in materiell- und
rozessrechtlicher Sicht zu stärken, die Verfahren zu be-
chleunigen und die Beteiligung von Kindern zu ge-
ährleisten.
Insoweit ist der Gesetzentwurf überwiegend zu be-
rüßen. Es ist erforderlich, aber allein nicht hinreichend,
iederschwellige Interventionen durch das Familienge-
icht zu ermöglichen. Es bedarf weiterer flankierender
aßnahmen, um den Schutz der Kinder zu verbessern.
nsbesondere die Quantität und Qualität der Einrichtun-
en der Jugendhilfe müssen verbessert werden. Es nützt
enig, die rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen der Ju-
endhilfe zu erweitern und auszubauen, wenn die Mög-
ichkeiten aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten
icht auszuschöpfen sind.
Das grundsätzliche Problem bleibt dabei die Überlas-
ung der Familienrichterinnen und -richter sowie der Ju-
endämter. Damit dem gesetzlich beabsichtigten Hand-
ungsprogramm ernsthafte Risiken für die Umsetzung in
er Praxis nicht entgegenstehen, müssen vor allem die
amiliengerichte und Jugendämter personell so ausge-
tattet werden, dass sie den zum Schutz des Kindes er-
orderlichen Mehraufwand leisten und die übrigen Ver-
ahren, zum Beispiel Scheidung und Unterhalt, in
ngemessener Zeit erledigen können. Hier muss die Auf-
orderung vom Bund an die Länder gehen.
Zu den geplanten Reformen im Einzelnen: § 1666
GB-E, gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des
indeswohls. Der Verzicht auf die bisherigen Tatbe-
tandsvoraussetzungen, das heißt, dass die Gefährdung
es Wohles des Kindes durch Erziehungsversagen der
ltern – durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen
orge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unver-
chuldetes Versagen der Eltern – oder durch das Verhal-
en eines Dritten verursacht ist, ist geeignet, den Kinder-
chutz zu verbessern, weil nun deutlicher wird, dass
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zentraler Gesichtspunkt die Sicherung des Kindeswohls
bzw. das Kindesvermögen ist. Aus Sicht des Kindes ist
es völlig unerheblich, wer oder was die Ursache der Ge-
fährdung ist und ob ein elterliches Erziehungsversagen
zugrunde liegt. Hauptsache ist, dass die Gefahr schnell
und effektiv abgewendet wird.
Meine Fraktion und ich halten auch die vorgesehene
Herabsetzung der Eingriffsschwelle für zeitweilige Ver-
bote der Wohnungsnutzung oder der Kontaktaufnahme
eines Elterteils für geeignet, wirksamen Schutz für Kin-
der und Jugendliche zu gewähren, die vernachlässigt
und/oder misshandelt werden. Hier ist die Annäherung
an die Regelungen des Gewaltschutzgesetzes unver-
kennbar, und dies ist gut so.
Ausgesprochen gut ist, dass das Gericht seine Ent-
scheidung des Absehens von Maßnahmen nach § 1666
und § 1667 überprüfen soll. So kann sichergestellt wer-
den, dass bei Nichteinschreiten des Gerichts das Kind
und die Eltern nicht unbeobachtet bleiben, sondern eine
Warnsituation entsteht. Zu überlegen wäre vielleicht eine
feste Frist von drei Monaten, um Entscheidungen zu
nicht veranlassten Maßnahmen zu überprüfen.
Gut ist, wie bereits eingangs gesagt, dass ein Be-
schleunigungsgrundsatz für Verfahren nach § 50 e einge-
führt wird. Allerdings bedarf es gerade auch deshalb
deutlicher personeller Aufstockungen; denn nur eine
schnelle, gute Entscheidung macht Sinn. Zudem sollte in
§ 50 e geregelt werden, dass in bestimmten Fällen, die
Eltern nicht in einem Termin gehört werden, wenn dies
aus Sicht des Kindeswohls angezeigt ist, zum Beispiel
bei dominanten, psychisch labilen, süchtigen oder ge-
walttätigen Elternteilen. Ob dies näher konkretisiert wer-
den muss oder lediglich auf Antrag zu geschehen hat, ist
in den Beratungen zu prüfen.
Fazit: Ein insgesamt guter Gesetzentwurf, der aller-
dings – auch angesichts des klaren Zusammenhangs zwi-
schen sozialen Ursachen und Kindesvernachlässigung
bzw. Misshandlung – kein Allheilmittel ist und dessen
Wirksamkeit maßgeblich von der angemessenen sachli-
chen und personellen Ausstattung der Jugendämter und
Gerichte abhängt. Insoweit freue ich mich auf die Dis-
kussionen im Ausschuss und die zu veranlassenden flan-
kierenden Maßnahmen, um ein gutes Gesetz auch umzu-
setzen. Ich denke, wir sind das unseren Kindern
schuldig.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ver-
folgt das Ziel, den Schutz gefährdeter Kinder zu verbes-
sern. Im Wesentlichen schlägt der Gesetzentwurf vor,
schnellere Interventionsmöglichkeiten für familienge-
richtliche Maßnahmen zu schaffen. Dies soll vor allem
durch die Absenkung der Eingriffsschwellen in § 1666
BGB erreicht werden.
Der Hintergrund des vorliegenden Gesetzentwurfes
ist, denke ich, uns allen bekannt. Der Bremer Fall des
zweijährigen Kevin, der furchtbar vernachlässigt und
unterernährt aufwuchs, schwere Misshandlungen erlitt
und dann – möglicherweise durch seinen drogenkranken
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ater – zu Tode kam, hat uns zutiefst erschüttert und ein-
ringlich vor Augen geführt, in welch mitunter furchtba-
en Zuständen Kinder in Deutschland leben und auf-
achsen.
In Fällen wie dem des kleinen Kevin sind – das steht
anz außer Frage – schnelle, effektive und wirksame
aßnahmen vor Ort zum Schutz der betroffenen Kinder
rforderlich. Steht die Gefährdung des Kindeswohls zu
efürchten, müssen auch die Behörden bzw. die Gerichte
ätig werden. Nur, entgegen dem Eindruck, den der vor-
iegende Gesetzentwurf erweckt, haben die gesetzlichen
estimmungen, also die bislang geltenden Regelungen,
ie Behörden und Gerichte nicht daran gehindert, tätig
u werden. Ganz im Gegenteil!
Im Fall Kevin war das Jugendamt umfassend infor-
iert, den Eltern war bereits das Sorgerecht entzogen
nd eine Amtsvormundschaft durch das Jugendamt
ingerichtet worden, zwischenzeitlich war der Junge au-
erhalb der Wohnung des Vaters in einem Heim unterge-
racht. Dies macht deutlich: Es waren nicht die rechtli-
hen Hürden, an denen die Hilfe für den kleinen Jungen
cheiterte.
Dies schließt nicht aus, dennoch gesetzliche Änderun-
en zu erwägen, um den Schutz der Kinder durch er-
eichterte familiengerichtliche Maßnahmen zu verbes-
ern. Ich möchte jedoch eindringlich davor warnen, zu
lauben, dass es künftig, wenn die vorgeschlagenen Re-
elungen Gesetz würden, Fälle wie den des kleinen
evin nicht mehr geben würde. Wer dies von dem vor-
iegenden Gesetz erwartet, wird enttäuscht werden. Oder
nders formuliert: Auch wenn wir das BGB ändern,
hne dass sich vor Ort – vor allen in der Arbeit der Ju-
endämter – etwas ändert, wird sich an den schreckli-
hen Fällen wenig bis nichts ändern.
Insoweit möchte ich eine sachliche und besonnene
iskussion über die auf dem Tisch liegenden Vorschläge
infordern. Denn eines ist nicht von der Hand zu weisen:
er Gesetzentwurf verschiebt ganz klar das bisherige,
ut austarierte Verhältnis zwischen den Rechten und
flichten der Eltern einerseits und den Aufsichts- und In-
erventionsmöglichkeiten des Staates andererseits ein-
eutig zugunsten des Staates. Dies wollen wir Grünen
icht, jedenfalls so lange nicht, wie die Notwendigkeit
olcher grundlegenden Änderungen nicht eindeutig er-
iesen und umfassend durchdacht ist.
Es steht ganz außer Frage: Es muss mehr getan wer-
en, um Kinder vor Vernachlässigung zu schützen.
ierzu haben wir Grüne längst ein umfassendes Maß-
ahmenpaket erarbeitet. In unserem Antrag „Vernachläs-
igung von Kindern erfolgreich bekämpfen“ fordern wir
en Ausbau aufsuchender, vertrauensbasierter Angebote
ür überforderte Familien, mehr Fortbildungen für Ärzte,
ynäkologen und Hebammen, um Vernachlässigung
rüher zu erkennen, Verbesserungen bei den Vorsorgeun-
ersuchungen für Kinder, stärkere Bekanntmachung der
estehenden Hilfsmöglichkeiten nach dem KJHG und
icht zuletzt die Errichtung von Fachabteilungen zum
roblemfeld Kindesvernachlässigung bei der Polizei.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13279
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Ich denke, dass die von uns vorgeschlagenen Maß-
nahmen tatsächlich und in effektiver Weise Hilfe und
Unterstützung für die betroffenen Kinder ermöglichen.
Ob dies in gleichem Maße auch für den vorliegenden
Gesetzentwurf gilt, wird im Verlaufe der Ausschussbera-
tungen noch eingehend zu diskutieren sein.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin der Justiz: In Deutschland sterben jede
Woche zwei Kinder an den Folgen von Vernachlässi-
gung oder Misshandlung. Etwa 5 bis 10 Prozent aller
Kinder unter sechs Jahren werden vernachlässigt. Diese
Zahlen stammen aus einer Untersuchung von UNICEF
und stehen für die erschütternden Schicksale von Kin-
dern, Kleinkindern und Säuglingen. Diese Kinder brau-
chen die Hilfe des Staates.
Der vorliegende Gesetzentwurf will einen Beitrag
dazu leisten, den Schutz dieser Kinder zu verbessern. Er
beruht auf den Vorschlägen einer Experten-Arbeits-
gruppe, die die Bundesministerin der Justiz im vergan-
genen Jahr eingesetzt hat. Der Entwurf setzt die Vor-
schläge der Arbeitsgruppe um, soweit sie vom
Bundesgesetzgeber erfüllt werden können. Im Mittel-
punkt steht dabei das Ziel, die Handlungsmöglichkeiten
der Familiengerichte zum Schutz von Kindern noch stär-
ker zu nutzen als bisher. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
anderen Stellen, etwa den Jugendämtern, Aufgaben und
Verantwortung abgenommen und auf die Familienge-
richte übertragen werden sollen. Vielmehr geht es da-
rum, die Zusammenarbeit der Familiengerichte mit den
anderen Professionen zu verbessern und die Kinder- und
Jugendhilfe dort zu unterstützen, wo sie mit den eigenen
Mitteln nicht weiterkommt.
Der Entwurf sieht dazu insbesondere Folgendes vor:
Kindesschutzmaßnahmen des Familiengerichts sollen
künftig nicht mehr davon abhängen, dass die Eltern ihr
Sorgerecht missbraucht oder in der Erziehung versagt
haben. Diese Voraussetzung des § 1666 BGB soll gestri-
chen werden. Damit entfällt eine für die Praxis oft
schwierige und vergangenheitsbezogene Prüfung, die
zudem oft negative Folgen entfaltet: Stellt nämlich das
Familiengericht ein Erziehungsversagen der Eltern fest,
so sind die Eltern häufig nicht mehr bereit, mit dem Ju-
gendamt zu kooperieren. Deshalb soll es künftig nur
noch darauf ankommen, dass das Familiengericht eine
Gefährdung für das Kindeswohl feststellt und die Eltern
nicht bereit oder in der Lage sind, diese Gefährdung ab-
zuwenden.
Die Maßnahmen, die das Familiengericht nach
§ 1666 BGB treffen kann, sollen durch eine beispielhafte
Aufzählung konkretisiert werden. Davon versprechen
wir uns, dass es in Verfahren nach § 1666 BGB künftig
nicht mehr überwiegend nur um die Entziehung der el-
terlichen Sorge geht. Vielmehr sollen die Jugendämter
ermutigt werden, die Familiengerichte frühzeitig anzuru-
fen – etwa wenn eine Erziehungshilfe zur Gefahrenab-
wehr ausreichen würde, jedoch die Eltern uneinsichtig
sind und das Hilfsangebot nicht annehmen.
In Verfahren nach § 1666 BGB soll das Familienge-
richt die Eltern künftig zu einer „Erörterung der Kindes-
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ohlgefährdung“ laden. An dieser Erörterung sollen ne-
en den Eltern das Jugendamt und in geeigneten Fällen
uch das Kind teilnehmen. Gegenstand des Gesprächs
ollen die Situation des Kindes und die Frage sein, wie
iner möglichen Gefährdung des Kindeswohls begegnet
erden kann. Das Gespräch soll die Eltern stärker in die
flicht nehmen und kann dazu dienen, die Mitwirkungs-
ereitschaft der Eltern für die Angebote der Kinder- und
ugendhilfe zu verbessern.
Hat das Familiengericht in einem Verfahren nach
1666 BGB von der Anordnung einer Maßnahme abge-
ehen, soll es seine Entscheidung künftig in angemesse-
er Zeit, in der Regel nach drei Monaten, überprüfen.
enn ein Kindesschutzverfahren ohne gerichtliche An-
rdnung endet, dann hat dies ungewollt oft negative
uswirkungen. Beim Jugendamt wächst die Zurückhal-
ung, das Gericht erneut anzurufen. Gleichzeitig gehen
ie Eltern mit dem Gefühl aus dem Gerichtssaal: Wir ha-
en gewonnen! Jetzt lassen wir uns vom Jugendamt
ichts mehr sagen! – Wir schlagen deshalb die gerichtli-
he Überprüfungspflicht vor. So bleibt das Familienge-
icht mit der Sache befasst und kann zeitnah Anordnun-
en treffen, wenn sich die Situation des Kindes
erschlechtert oder die Eltern – entgegen ihrer Zusage
erichtstermin – die Hilfen des Jugendamts nicht in An-
pruch nehmen.
Effektiver Kindesschutz muss früh ansetzen. Wir wol-
en deshalb, dass die Familiengerichte frühzeitiger ein-
reifen und nicht erst, wenn das Kind sprichwörtlich be-
eits in den Brunnen gefallen ist. Ich bin zuversichtlich,
ass wir dies mit den vorgeschlagenen Maßnahmen för-
ern und den Kindesschutz verbessern können.
nlage 21
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung und Modernisierung des Bundes-
dienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz –
DNeuG) (Tagesordnungspunkt 28)
Ralf Göbel (CDU/CSU): Die Föderalismusreform,
ie im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist, hat die Ge-
etzgebungskompentenzen auf dem Gebiet des öffentli-
hen Dienstrechts in Bund und Ländern neu geordnet.
esoldung, Versorgung und Laufbahnrecht liegen damit
n den Händen des jeweiligen Dienstherren. Es war da-
it am Bund, als Vorbild zu handeln.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist der erste wichtige
chritt zu einem modernen und transparenten Dienst-
echt, welches sich den gewachsenen Herausforderun-
en unserer Zeit stellt. Das Berufsbeamtentum ist keine
berholte Institution, ganz im Gegenteil, das Berufsbe-
mtentum ist eine tragende Säule unseres Rechtsstaates.
it diesem Gesetz wollen wir es stärken und zukunfts-
est machen, zum Wohle der Allgemeinheit.
Viele Stimmen behaupten, das Beamtentum sei veral-
et und schlicht nicht mehr notwendig. Dazu möchte ich
hnen ein aktuelles Beispiel nennen: die Deutsche Bahn.
13280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Nein, nicht wieder die leidige Diskussion um die Privati-
sierung, sondern noch aktueller: die gerade angelaufenen
Bahnstreiks. Man stelle sich vor, es gäbe das Berufsbe-
amtentum nicht mehr, und die anderen Berufsgruppen
im öffentlichen Dienst entschlössen sich zu einem eben-
solchen Streik – Verkehrsunfalle würden seitens der
Polizei nicht mehr aufgenommen, Eheschließungen wä-
ren nicht mehr möglich und der Arbeitslose bekäme sein
Geld nicht. Das alles wäre denkbar, wären die Beamtin-
nen und Beamten nicht in einem besonderen Dienst- und
Treueverhältnis, das das Streikrecht ausschließt. Solange
das System funktioniert, fällt es niemandem auf. Erst
wenn es zum Erliegen kommt, bemerken wir, wie wich-
tig die Institution des Berufsbeamtentums eigentlich ist.
Deswegen bedanke ich mich bei unserem Innenminis-
ter Dr. Wolfgang Schäuble und seinen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern für die Arbeit an dem uns hier vorlie-
genden Gesetzentwurf. Nach einer langen Abstimmung
liegt uns nun ein 350 Seiten umfassender Gesetzentwurf
vor, der eine gute Arbeitsgrundlage für die nun folgen-
den Beratungen sein wird. Der Gesetzentwurf besteht
aus vielen Einzelregelungen, die insgesamt den öffentli-
chen Dienst stärken werden und den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern neue Wege eröffnen.
Eine gut gemachte und wohl überlegte Reform ist
kein schneller Prozess, den man von einem Tag auf den
anderen durch ein neues Gesetz umsetzen kann. Im Ge-
genteil, eine Reform ist ein stetiger Prozess, der immer
wieder die aktuellen Entwicklungen betrachten muss
und sich ihnen entsprechend anpassen. Es ist ein Irr-
glaube, man könne die gesamte Bundesverwaltung quasi
über Nacht modernisieren.
Die Anforderungen an die Verwaltung und den öffent-
lichen Dienst ändern sich ständig. Deswegen muss man
sich genau überlegen, welche Regelungen noch zeitge-
mäß sind und welche überholt. So sind Begriffe wie
Kunden- und Serviceorientierung auch längst in der
öffentlichen Verwaltung angekommen. Eine moderne
Verwaltung muss dem Bürger Rechtssicherheit und Ver-
trauen vermitteln können. Ebensolches muss der Dienst-
herr aber auch seinen Beamtinnen und Beamten geben
können. Wenn dies gewährleistet ist, steht unser Staat
auf soliden Beinen.
Im Zuge einer so großen Reform ist es legitim, den ei-
nen oder anderen Vorschlag in den Raum zu stellen und
zu diskutieren. Nur wenn wir uns neuen Ideen öffnen,
kann eine Reform gelingen.
Das bedeutet aber nicht, dass jede Idee auch in die
Praxis umgesetzt werden kann. Speziell wirtschaftliche
Gedanken – die selbstverständlich auch in der Verwal-
tung eine Rolle spielen – sind nicht immer eins zu eins
umsetzbar. Nicht in allen Bereichen kann die Verwaltung
sich einem der Wirtschaft vergleichbaren Wettbewerb
stellen. Das liegt bereits in der Natur der Sache. Man
kann die Verwaltung nicht allein nach ökonomischen
Gesichtspunkten beurteilen. Im Gegenteil: In weiten Tei-
len bildet eine funktionierende öffentliche Verwaltung
erst die Grundlage für einen funktionierenden Wettbe-
werb.
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Das Ziel einer guten Verwaltung ist ausschließlich am
emeinwohl orientiert, nicht an der Gewinnmaximie-
ung. Wenn man dies beachtet, können sich auf gleiche
roblemstellungen unterschiedliche Antworten ergeben.
In einigen Bereichen können wir den Wettbewerb je-
och auch im öffentlichen Dienst nicht außen vor lassen.
amit meine ich beispielsweise die Besoldung unserer
taatsdiener. Die Bezahlung ist ein ganz besonders sen-
ibles Thema, da sie eine zentrale Arbeitsbedingung dar-
tellt. Dies wird vor allem dann wichtig, wenn man bei
er Personalgewinnung mit der privaten Wirtschaft in
onkurrenz tritt. Eine angemessene Besoldung und gute
rbeitsbedingungen sind heute unverzichtbar für die Ge-
innung neuer und motivierter Beamtinnen und Beam-
er. Ebenso können leistungsfähige Beamtinnen und Be-
mte nur so dauerhaft im öffentlichen Dienst gehalten
erden.
Dem Bundesinnenminister ist es gelungen, mit dem
ntwurf ein attraktives Zahlungssystem zu entwickeln.
ie Besoldungstabelle orientiert sich zukünftig nicht
ehr am Alter der Beamtinnen und Beamten, sondern an
hrer Erfahrung. Wie in der Wirtschaft profitiert eine Be-
mtin oder ein Beamter bei ihrer/seiner Besoldung damit
on ihren/seinen über kurz oder lang erworbenen Kennt-
issen. Ein solches an Erfahrungsstufen orientiertes Be-
oldungssystem wird sich positiv auswirken auf Leis-
ungsfähigkeit und Motivation.
Doch wie bereits festgestellt, kann nicht jedes Instru-
ent der Wirtschaft in den öffentlichen Dienst übertra-
en werden. Eine Eins-zu-eins-Übertragung der tarifver-
raglich geregelten Leistungsbezahlung auf alle Beamte
st nicht zielführend. Immer wieder wurde angebracht,
ass dieses Instrument unverzichtbar sei für die Motiva-
ion und die Gewinnung von Nachwuchskräften. Dabei
xistiert ein solches Instrument auch für Beamte schon
eit langem. Es besteht derzeit kein Anlass, an dem be-
tehenden System zu rütteln. Es hat sich aufgrund der
ürokratiearmen Gestaltung bewährt und trägt der Viel-
alt der sehr unterschiedlichen Strukturen der Bundesbe-
örden Rechnung. Dies zu pauschalisieren, wäre der fal-
che Weg.
An anderen Stellen war eine Einigung leichter zu er-
ielen. Das Pensionsalter der Beamten wird schrittweise
on 65 auf 67 Jahre angehoben. Angesichts der stetig
teigenden Lebenserwartung ist eine solche Regelung
numgänglich. Bei Berufen mit besonderer Belastung
ie zum Beispiel den Polizeivollzugsbeamten und den
oldaten wird das Pensionsalter angesichts dieser Be-
onderheit entsprechend angehoben. Ein weiterer
chwerpunkt ist die Reform des Laufbahnrechts. Auf
undesebene gibt es zurzeit 125 verschiedene Laufbah-
en. An dieser Stelle kann unnötige Bürokratie abgebaut
nd das System vereinfacht werden. Die Anzahl der
aufbahnen wird reduziert und die Flexibilität erhöht.
Neben allen neuen Ideen waren auch die Interessen
inzelner Berufsgruppen zu beachten. Ich nenne dabei
ur beispielhaft die Soldaten, Polizeibeamte und die
itarbeiter des Auswärtigen Amtes, welche ganz spe-
ielle Konstellationen in ihren Berufen mitbringen, die
ei dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen waren. Dies
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13281
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ist nach langen Verhandlungen erfolgreich geglückt.
Bundesinnenminister Schäuble ist es hervorragend ge-
lungen, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu
bringen.
Ich bin daher zuversichtlich, dass wir zusammen eine
Dienstrechtsreform beschließen werden, die dem Inte-
resse eines leistungsfähigen und modernen Beamtentum
und seiner Funktion im Rechtsstaat gerecht wird.
Siegmund Ehrmann (SPD): Mit der heutigen De-
batte nehmen wir ein weiteres Projekt in den Fokus, zu
dem sich die Koalitionspartner verpflichtet haben. Es
geht um eine wichtige Komponente der Modernisierung
des öffentlichen Dienstes. Wir wollen die Leistungsbe-
zogenheit des Dienstrechtes und einen flexiblen Perso-
naleinsatz intensivieren sowie ein Besoldungsrecht
schaffen, in dem individuelle Leistung besser gewürdigt
werden kann. Dies soll aber ausdrücklich Aspekte einbe-
ziehen, die in der letzten Legislaturperiode mit dem Eck-
punktepapier „Neue Wege im öffentlichen Dienst“ und
dem Entwurf des Strukturreformgesetzes erarbeitet wor-
den sind.
Nach dem Ergebnis der Föderalismusreform I wirkt
sich unser gesetzgeberisches Handeln nicht mehr auf die
Gesamtheit der rund 2,9 Millionen in einem öffentlich-
rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis Stehenden aus.
Die Kompetenz des Bundes konzentriert sich auf die
etwa 131 000 Beamtinnen und Beamten, Richter und
Richterinnen sowie auf die rund 184 000 Berufs- und
Zeitsoldaten und -soldatinnen.
Der Regierungsentwurf des Dienstrechtsneuordnungs-
gesetzes beansprucht, mit der Neufassung des Bundesbe-
amtengesetzes das Leistungsprinzip zu fördern, indem
die Anforderungen an die Probezeit erhöht und die Füh-
rungsämter auf Probe ausgeweitet werden, die Wettbe-
werbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes dadurch zu si-
chern, dass die Zahl der Laufbahnen reduziert wird, diese
sich zugleich aber neuen Qualifikationen öffnen und au-
ßerhalb des öffentlichen Dienst erworbene Erfahrungen
anerkannt werden, das Pensionseintrittsalter stufenweise
auf 67 Jahre zu erhöhen und damit die Entwicklung nach-
zuzeichnen, die für die gesetzliche Rentenversicherung
beschlossen worden ist. In diesem Kontext begrüße ich
ausdrücklich, dass der Grundsatz „Rehabilitation vor
Versorgung“ gestärkt werden soll, um Frühpensionierun-
gen zu vermeiden.
Lassen Sie mich hierzu anmerken: Wenn zugleich die
Beschäftigten aber auch verpflichtet werden, an Qualifi-
zierungsmaßnahmen teilzunehmen, um neue Befähigun-
gen zu erwerben, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass
wir die Führungskräfte in den Stand setzen müssen, ihrer
Personalentwicklungsverantwortung auch tatsächlich
gerecht werden zu können.
Manches Detail wird uns im weiteren Gesetzgebungs-
verfahren intensiv beschäftigen müssen. Bestimmte eher
grundlegende Fragen zu den Themen Laufbahn, Besol-
dung und Versorgung werde ich im Folgenden kurz skiz-
zieren. Gewissermaßen „vor der Klammer“ fordere ich
aber für meine Fraktion, dass wir die rechtliche Gleich-
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tellung der Lebenspartnerschaften im Dienstrechtsneu-
rdnungsgesetz weiterentwickeln. Hier bleibt der Ge-
etzentwurf weit hinter den Notwendigkeiten zurück.
Der zweite Baustein des Dienstrechtsneuordnungsge-
etzes umfasst die Novellierung des Bundesbesoldungs-
esetzes. Ich möchte positiv hervorheben, dass die ur-
prünglich erwogene 10-prozentige Absenkung der
ingangsbesoldungen aufgegeben und im Ergebnis das
estehende Einkommensniveau mit den bisherigen End-
rundgehältern gewahrt worden ist.
Die neugestaltete einheitliche Grundgehaltstabelle
reift die Forderung meiner Fraktion auf, die Sonderzah-
ung und allgemein gewährte Bezügebestandteile in
iese Tabelle einzuarbeiten.
In den weiteren Beratungen müssen wir aber den tat-
ächlichen Wirkungen neuer Instrumente ein besonderes
ugenmerk widmen. Konkret geht es um die Stufen-
olge und Erfahrungszeiten für alle Laufbahngruppen.
ritisch wird zu prüfen sein, ob der Gesetzentwurf den
esonderheiten der militärischen Personalstrukturen und
en speziellen Karriereverläufen von Soldatinnen und
oldaten tatsächlich gerecht wird. So stellt sich beispiel-
aft die Frage, ob Erfahrungszeiten der Soldatinnen und
oldaten beim Wechsel in ein Beamtenverhältnis nur mit
inem Anteil von zwei Dritteln angerechnet werden sol-
en. Hier gibt es gewichtige Zweifel, die wir nur dann
usräumen können, wenn wir ihnen mit nachvollziehba-
en Argumenten begegnen können. Andernfalls müssten
ir die im Regierungsentwurf kritisierte Regel ändern.
Sie wissen, dass ein besonderes Augenmerk meiner
raktion der weiteren Ausgestaltung leistungsorientier-
er variabler Besoldungselemente gilt. Dabei geht es um
ie Instrumente, Verfahren und letztendlich auch um das
udget. Als langjähriger Praktiker in der Personalarbeit
nterstreiche ich mit Nachdruck die Forderung, dass die
erfahren transparent und mit möglichst geringem Ver-
altungsaufwand verbunden sein müssen. Schon heute
idmen sich Führungskräfte notwendigerweise Regel-
nd Sonderbeurteilungen für Beamtinnen und Beamte
owie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um Beför-
erungs- oder Eingruppierungsentscheidungen fundiert
bzusichern. Hinzu kommen der Personal- und Organi-
ationsentwicklung dienende Mitarbeitergespräche mit
en unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
chließlich sind die aus dem Tarifvertrag für den öffent-
ichen Dienst (TVöD) resultierenden Verfahren zu bedie-
en, um über die den Tarifbeschäftigten zustehenden
eistungskomponenten zu befinden. Je nach Leitungs-
panne werden somit schon heute erhebliche Ressourcen
ebunden. Kommt es dann noch zu streitigen Auseinan-
ersetzungen, zum Beispiel bei Konkurrentenklagen, po-
enziert sich der Aufwand.
Leistungselemente in den Bezahlungssystemen er-
öglichen eine stärkere Differenzierung bei der monetä-
en Bewertung von Menge und Güte der Arbeitsergeb-
isse Einzelner oder von Gruppen, haben im Kern also
inen motivationalen Anspruch und sollen die Effizienz
teigern. Der wesentliche kritische Erfolgsfaktor ist da-
ei, ob die der Entscheidung zugrunde liegenden Krite-
ien und Verfahren von den Beschäftigten als transparent
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und damit zumindest dem Grunde nach nachvollziehbar
erfahren werden.
Im Ergebnis finde ich es deshalb sinnvoll, in diesem
Gesetzgebungsprojekt zunächst auf die weitere Ausge-
staltung der Leistungselemente zu verzichten. Es liegt in
der Tat nahe, die praktischen Erfahrungen mit dem von
den Tarifvertragspartnern im TVöD Vereinbarten auszu-
werten und in den grundsätzlichen Zusammenhang des
tatsächlichen Nutzwertes zu stellen.
Schließlich zum Beamtenversorgungsgesetz: Der Ge-
setzentwurf trägt dem Anspruch Rechnung, die Maßnah-
men in der gesetzlichen Rentenversicherung wirkungs-
gleich zu übertragen. Ein guter Schritt ist, die 2001
normierte Rentenauskunft als Versorgungsauskunft im
Versorgungsrecht nachzubilden. Diese allerdings von
dem Nachweis eines berechtigten Interesses abhängig zu
machen, greift zu kurz und entspricht nicht den Regelun-
gen des § 109 SGB VI für die in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung Versicherten.
Meinen Kolleginnen und Kollegen des Koalitions-
partners, Sie wissen, dass es für die Mitnahmefähigkeit
beamtenrechtlicher Versorgungsansprüche viele gute
Gründe gibt. In diesem Zusammenhang erinnere ich an
das Eckpunktepapier. In unserer Koalitionsvereinbarung
steht nicht, dass wir das Eckpunktepapier für erledigt er-
klären und zu den Akten legen. Im Gegenteil: Wir wol-
len es in unsere Arbeit einbeziehen. Manches aus dem
Eckpunktepapier mag überholt sein, nicht hingegen
diese Forderung: In ihm wurde verabredet, dass die
durch Arbeitszeiten im Beamtenverhältnis erworbenen
Versorgungsansprüche beim Wechsel in die Privatwirt-
schaft ungeschmälert mitgenommen werden können.
Wir werden dies im Rahmen des Gesetzgebungsverfah-
rens einfordern. Es gibt überwiegende Gründe, die für
die Mitnahmefähigkeit sprechen. Nicht zuletzt könnte
hierdurch endlich auch das schon lange offenkundige
Versorgungsdelta der Zeitsoldatinnen und -soldaten
beim Wechsel in ein sozialversicherungsrechtliches Be-
schäftigungsverhältnis behoben werden.
Sie sehen, es gibt aus der Sicht meiner Fraktion zu die-
sem Gesetzentwurf der Bundesregierung noch deutlichen
Klärungsbedarf. Ich hebe hervor: die Mitnahmefähigkeit
der Versorgung, die tatsächliche Gleichbehandlung der
Soldatinnen und Soldaten und die Gleichstellung der Le-
benspartnerschaften. Die weitere Ausgestaltung der Leis-
tungskomponenten ist sehr anspruchsvoll und bedarf des-
halb der besonderen Umsicht.
Dr. Max Stadler (FDP): Mit dem Gesetzentwurf zur
Neuordnung des Dienstrechts des Bundes hat sich die
Bundesregierung weit von ihren ursprünglichen Reform-
zielen entfernt. Der Entwurf wird dem im Koalitionsver-
trag von CDU/ CSU und SPD formulierten Anspruch,
die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen
Dienstes zu stärken, nicht gerecht.
Zwar sind einzelne Reformschritte enthalten, die zu
begrüßen sind, zum Beispiel die Abkehr vom Besol-
dungsdienstalter oder die Stärkung des Grundsatzes „Re-
habilitation vor Versorgung“. Doch reicht das nicht aus.
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as vor allem fehlt, ist eine Stärkung des Leistungsprin-
ips, insbesondere eine Weiterentwicklung der Leis-
ungsbezahlung. Hier fällt der Entwurf deutlich hinter
en Reformansatz aus dem Jahre 2004, wie er seinerzeit
m Eckpunktepapier „Neue Wege im öffentlichen
ienst“ zum Ausdruck kam, zurück. Schlimmer noch:
r verharrt auf dem Stand der 90er-Jahre und ist bei
ichte betrachtet nichts anderes als eine Festschreibung
er Regelungen aus der Dienstrechtsreform von 1997.
Damals, noch unter FDP-Regierungsbeteiligung, wurde
ie Gewährung von Leistungselementen zusätzlich zur Be-
oldung ermöglicht. Leistungsprämie, Leistungszulage und
eistungsstufe wurden eingeführt. Damals, noch unter
DP-Regierungsbeteiligung, war der Bund Vorreiter.
eute, zu Zeiten der sogenannten Großen Koalition, läuft
er Bund der Entwicklung hinterher. Die FDP bedauert
ies.
Für den Aufbau einer weitergehenden Leistungsbe-
ahlung seien, so der Bundesinnenminister, keine finan-
iellen Spielräume vorhanden. Wer so argumentiert, ver-
ennt, dass die Beamtinnen und Beamten in der
ergangenheit einen ganz erheblichen Beitrag zur Haus-
altskonsolidierung erbracht haben. Beispielhaft er-
ähnt seien die Kürzungen bei der Sonderzahlung, die
eraufsetzung der Wochenarbeitszeit und die Ein-
chnitte bei der Versorgung. In Anbetracht dieser Vor-
eistungen wäre es an der Zeit, durch neue Ansätze in der
eistungsbezahlung etwas für die Motivation der Be-
chäftigten zu tun.
Hinzu kommt, dass die Leistungsbezahlung im Tarif-
ereich bereits eingeführt worden ist. Ohne Übertragung
uf den Beamtenbereich droht der Gleichklang zwischen
esoldung und Tarif verloren zu gehen. Das wird zu gro-
en Schwierigkeiten überall dort führen, wo Arbeitneh-
er und Beamte zusammenarbeiten, zum Beispiel in
eams oder bei Projekten.
Nicht einmal eine Experimentierklausel zur Erpro-
ung verschiedener Leistungsmodelle ist vorgesehen.
uf diese Weise hätte man zumindest einmal anfangen
nd einen Wettbewerb um die besten Ideen in Gang set-
en können. An Vorschlägen mangelt es ja nicht. Lassen
ie mich an dieser Stelle auf den Antrag „Für ein moder-
es Berufsbeamtentum“ der FDP-Bundestagsfraktion
inweisen. Darin sprechen wir uns dafür aus, die Leis-
ungsbezahlung gerecht, transparent und unbürokratisch
uszugestalten und den Anteil der leistungsabhängigen
ergütungsbestandteile am Maß der beruflichen Verant-
ortung auszurichten.
Um Missverständnisse auszuschließen: Der FDP geht
s nicht darum, Entwicklungen in der Wirtschaft kritik-
os auf den öffentlichen Dienst zu übertragen. Das würde
en Besonderheiten staatlichen Handelns nicht gerecht.
m Idealfall ist die Entscheidung für eine Tätigkeit im
ffentlichen Bereich nicht nur ökonomisch motiviert.
tets sollte die Bereitschaft hinzukommen, Verantwor-
ung für Staat und Gesellschaft zu übernehmen. Doch
hne Blick über den Tellerrand geht es nicht. Der öffent-
iche Dienst muss mit der allgemeinen Entwicklung in
er Arbeitswelt und auch mit der Einkommensentwick-
ung Schritt halten. Anderenfalls drohen Wettbewerbs-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13283
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(B) )
nachteile und Nachteile bei der Gewinnung qualifizier-
ten Personals.
Auch im Bereich des Personalaustauschs zwischen
Wirtschaft und Verwaltung tritt die Bundesregierung auf
der Stelle. Auch hier gilt: Stillstand ist Rückschritt. Be-
sonders zu kritisieren ist, dass sich die Bundesregierung
einmal mehr nicht dafür entscheiden konnte, die Versor-
gungsansprüche mitnahmefähig auszugestalten. Dies be-
hindert den Wechsel in die Privatwirtschaft. Damit wird
die notwendige Flexibilität und Mobilität extrem einge-
schränkt. Auch hier werden Kostengründe angeführt.
Diese Argumentation ist extrem kurzsichtig. Auf diese
Weise begibt sich die Bundesregierung zum Beispiel der
Möglichkeit, Personalüberhänge durch ein freiwilliges
Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis abzubauen. In
der Praxis scheitert ein Wechsel in die Privatwirtschaft
regelmäßig an den Nachteilen, die mit der Nachversiche-
rung in der gesetzlichen Rentenversicherung verbunden
sind.
Aber auch für die Binnenmobilität des beamteten
Personals wird zu wenig getan. Beispielsweise fehlen
Vorschriften zur gegenseitigen Anerkennung von Lauf-
bahnabschlüssen von Bund und Ländern und zur Kos-
tenteilung von Versorgungslasten beim Wechsel des
Dienstherrn.
Mehr Mut und Kreativität hätte man sich auch in Sa-
chen Pensionseintrittsalter gewünscht. Hier sieht der Ge-
setzentwurf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vor.
Wie in der gesetzlichen Rentenversicherung soll das
Pensionseintrittsalter stufenweise auf 67 Jahre angeho-
ben werden. Die FDP ist hier weiter. Sowohl für den
Renten- als auch für den Versorgungsbereich hat sie ein
Konzept vorgelegt, das ab Vollendung des 60. Lebens-
jahrs einen individuellen Eintritt in den Ruhestand er-
möglicht, umgekehrt aber auch eine Weiterarbeit über
die jetzt geltenden bzw. vorgesehenen Altersgrenzen hi-
naus erlaubt.
Lassen Sie mich abschließend zwei weitere Problem-
bereiche ansprechen: Nach dem Gesetzentwurf sollen
Beamte mit Lebenspartnern weiterhin wie Ledige behan-
delt werden. Sie erhalten keinen Familienzuschlag und
keine Beihilfe, der überlebende Lebenspartner erhält
keine Pension, und beim Aufstieg in den Besoldungsstu-
fen soll die Zeit, in denen Beamte sich haben beurlauben
lassen, um ihren Partner zu pflegen, nicht anerkannt wer-
den. Für die FDP ist dies nicht akzeptabel. Die darin
zum Ausdruck kommende Ungleichbehandlung ist zu-
dem kurzsichtig. Es ist davon auszugehen, dass hier be-
reits in Kürze auf der Grundlage eines zu erwartenden
Grundsatzurteils des EuGH zur Gleichstellung von Ar-
beitnehmern in Lebenspartnerschaft mit verheirateten
Kollegen erheblicher Korrekturbedarf auf den Gesetzge-
ber zukommen wird.
Eine weitere Frage betrifft eine mögliche Ungleichbe-
handlung von Soldatinnen und Soldaten gegenüber Be-
amtinnen und Beamten beim Erreichen des Endgrundge-
halts sowie bei der Anrechnung von Dienstzeiten im
Falle eines Wechsels des Dienstherrn.
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Die FDP-Bundestagsfraktion wird unverzüglich nach
berweisung des Gesetzentwurfs im federführenden In-
enausschuss die Durchführung einer öffentlichen An-
örung beantragen. Sie legt Wert darauf, dass der Ge-
etzentwurf mit der Gründlichkeit und Ernsthaftigkeit
eraten wird, die der Bedeutung des Themas entspricht
nd die erforderlich ist, um das Berufsbeamtentum zu
tärken und bestmöglich auf die Herausforderungen des
1. Jahrhunderts vorzubereiten.
Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Es geht um ein
odernes und transparentes Dienstrechtsgesetz für Be-
mtinnen und Beamte. Das ist überfällig und spätestens
eit der Föderalismusreform 1 dringend nötig. In diesem
rundsätzlichen Pro sind sich das Bundesinnenministe-
ium, die Gewerkschaften, die Regierungskoalition und
ie Oppositionsfraktionen einig, auch die Fraktion Die
inke.
Sobald es aber in die Konkreta geht, scheiden sich die
eister. Das beginnt beim Verfahren.
Modernisierung kann es nur gemeinsam mit den
Beschäftigten geben. Eine formale Beteiligung, in
der bereits festgezurrte Ergebnisse bekannt gegeben
werden, genügt dafür nicht.
Das war ein Zitat aus der aktuellen Stellungnahme
es DGB. Ein Lob klingt anders.
Ähnliche Kritik konnte man Mitte der Woche beim
Schöneberger Forum“ in Berlin von vielen Gewerk-
chaftern hören. Ich erinnere daran, dass es ähnliche,
nhaltende und massive Klagen auch zur Reform der
undespolizei gibt. Das legt den Schluss nahe, dass De-
okratie und Mitbestimmung im Bundesministerium
on Herrn Schäuble offenbar keinen guten Ruf haben.
Zweitens. Aber es geht nicht nur um die Art und
eise, wie über die Köpfe der Beschäftigten im öffentli-
hen Dienst hinweg gehandelt wird. Kritisiert werden
uch die Inhalte, begonnen bei den fehlenden Inhalten
er Dienstrechtsreform. Das beginnt damit, dass nach
ie vor keine Ost-West-Angleichung im Dienstrecht für
eamtinnen und Beamten vorgesehen ist. Und das im
ahr 17 nach der staatlichen Einheit. Ich würde mich
reuen, wenn dieselben Kolleginnen und Kollegen, die
ich fraktionsübergreifend vor Wochenfrist so vehement
ür ein Einheits- und Freiheitsdenkmal eingesetzt haben,
ich nun genauso vehement für die Gleichberechtigung
er Beamtinnen und Beamten in den neuen Bundeslän-
ern einsetzen. Das wäre eine Frage der Glaubwürdig-
eit. Die Beamtinnen und Beamten in Frankfurt/Oder
eisten nicht weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen
n Frankfurt am Main. Trotzdem werden sie schlechter
ntlohnt. Das werden sie noch spüren, wenn sie dereinst
hren endgültigen Pensionsbescheid erhalten. Das Ge-
etz soll diese Ungerechtigkeit fortschreiben. Das ist für
ie Linke nicht hinnehmbar.
Drittens. Überhaupt sollte eine Besoldung eingeführt
erden, die mehr an der Leistung orientiert ist. Das war
ie Ankündigung vom damaligen Bundesinnenminister
tto Schily. Und das galt als vereinbart mit den Gewerk-
chaften. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist davon keine
13284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Rede mehr. Dieser ministerielle Rückzieher dient aber
weder der Motivation der Beamtinnen und Beamten
noch ihrem allgemeinen Ruf.
Eine ebenso große Fehlleistung betrifft die Mitnahme
von Versorgungsansprüchen. Etwa, wenn Beamtinnen
und Beamte vom öffentlichen Dienst in die Privatwirt-
schaft wechseln. Man kann von Beschäftigen aber nicht
einerseits mehr Mobilität erwarten und sie dafür im Fall
der Fälle schlechter stellen. Das ist unlogisch und oben-
drein unsozial.
Ebenso anachronistisch ist, dass eingetragene Lebens-
gemeinschaften bei Versorgungsleistungen nach wie vor
schlechter gestellt werden sollen, als Ehepartner. Hier
tobt sich wieder einmal das überholte Familienbild der
Unionsparteien aus. Das Gesetz heißt aber nicht Dienst-
Ideologie-Gesetz. Es geht um Rechte für leibhaftige Be-
amtinnen und Beamte.
Viertens. Bei alledem haben wir nicht nur die Bundes-
bediensteten im Blick. Ein fataler Kollateralschaden der
sogenannten Föderalismusreform ist ja, dass wir künftig
ein Bundesrecht und 16 Länderrechte haben könnten. Es
droht also ein Wettlauf der Standards nach unten, je nach
Kassenlage. Das aber ist ein schlechter Maßstab für ein
leistungsfähiges Beamtentum.
Die Linke ist übrigens kein Fan des Beamtentums. Es
steht nämlich im Konflikt zum Grundgesetz, das Bürge-
rinnen und Bürgern Rechte einräumt, die Beamtinnen
und Beamten abgesprochen werden. Zum Beispiel das
Streikrecht. Für diesen und weitere Verzichte auf Grund-
rechte wurden sie lange sozial abgesichert – nun immer
weniger.
Die Mängelliste des DGB umfasst übrigens rund
50 Seiten, kleinere und große. Man muss sie nicht alle
teilen. Aber man sollte sie auch nicht einfach ignorieren.
Es geht um einen modernen, leistungsfähigen öffentli-
chen Dienst für Bürgerinnen und Bürger im 21. Jahrhun-
dert. Dieses gute Anliegen, das findet jedenfalls die
Fraktion Die Linke, sollte erheblich mehr Mühen wert
sein, als bisher erkennbar ist.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wir diskutieren hier heute das Dientsrecht-
neuordnungsgesetz von Bundesinnenminister Schäuble.
Lassen Sie es mich gleich zu Anfang sagen: Von einer
Modernisierung, die wir jedenfalls wollen – ich weiß
nicht, wie es damit bei den Kolleginnen und Kollegen
aus der Koalition aussieht –, kann hier allerdings nicht
gesprochen werden. Zwar gibt es hier und da ein paar
gute Ansätze, die aber gleich „im Keim erstickt“ werden.
An anderen Stellen wird noch nicht einmal das längst
Überfällige oder vom Bundesverfassungsgericht Gefor-
derte geregelt. Schließlich ist dieses Gesetz Ausdruck ei-
nes rückwärtsgewandten Gesellschaftsbildes.
Lassen Sie mich nur ein paar Punkte ansprechen, ins
Detail werden wir in den Ausschussberatungen und auch
in der Anhörung gehen:
Ich fange mit dem letzten Kritikpunkt an und erinnere
Herrn Schäuble an die Protokollerklärung aus dem Hause
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ypries. Sie kritisiert, dass der Gesetzentwurf eingetra-
ene Lebenspartnerschaften in vielfacher Hinsicht, ins-
esondere im Hinblick auf die Beihilfe in Krankheits-
nd Pflegefällen und die Hinterbliebenenversorgung,
icht einbezieht. Hier sind wir uns mal mit ihr einig, was
a selten genug vorkommt. Auch nach unserer Ansicht
erstößt dies gegen den Gleichheitsgrundsatz. Ich denke,
a befinden wir uns auch in guter Gesellschaft mit dem
undesverfassungsgericht, das ausdrücklich sagt: Der
esetzgeber darf zwar zwischen Eheleuten und Lebens-
artnern differenzieren, diese Differenzierungen dürfen
ber nicht unverhältnismäßig sein. Ich appelliere hier an
as parlamentarische Selbstverständnis der SPD-Frak-
ion und fordere sie auf, die Diskriminierung homosexu-
ller Beamter durch entsprechende Änderungsanträge im
erfahren zu beenden.
Kommen wir zur Besoldung. Begrüßenswert ist, dass
ie Sonderzahlung in die Besoldungstabelle eingearbei-
et wurde. In der Tat haben wir auch unter Rot-Grün den
eamtinnen und Beamten finanziell einiges zumuten
üssen, sodass dieser Schritt ein gewisses Maß an Si-
herheit gibt im Bereich der Besoldung. Was allerdings
m Bereich der Leistungsbezahlung vorgelegt wird, ist
einlich, insbesondere die Koppelung der Erfahrungs-
tufen an die Leistung. Wir brauchen hier zumindest ei-
en Gleichklang mit den Regelungen im Tarifrecht, da-
it die Kluft zwischen dem Tarif- und Beamtenbereich
icht noch größer wird.
Schlimm finde ich, dass die Grundsätze der Beihilfe,
nd das hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, im
esetz nicht geregelt sind. Der neue § 80 des Bundesbe-
mtengesetzes ist einfach zu dünn. Die Selbstbehalte
nd Belastungsgrenzen sollten hier festgeschrieben wer-
en. Ich vermisse auch den hälftigen Beitragszuschuss
ei einer freiwilligen Versicherung in einer gesetzlichen
rankenkasse. Immer wieder erhalte ich Zuschriften von
eamtinnen und Beamten, die sich mit immens hohen
isikozuschlägen, die ihr Budget übersteigen, bei einer
rivaten Krankenversicherung versichern müssen. Hier
uss gehandelt werden und für diese Personengruppe
in bezahlbarer und damit gangbarer Weg in die gesetzli-
he Krankenversicherung ermöglicht werden.
Schließlich wird die Mobilität der Beamten nicht
rnsthaft verfolgt. Zwar gibt es Verbesserungen, was die
nzahl der Laufbahnen anbelangt. Dieses Gestrüpp
uss noch weiter gelichtet werden. Auch hier ist das Ge-
etz nur halbherzig. Was den Wechsel zur Wirtschaft und
urück anbelangt, geschieht hier gar nichts. Die Mit-
ahme der Versorgungsbezüge wird ausgeklammert.
Was die Erhöhung des Pensionsalters auf 67 Jahre be-
rifft, muss diskutiert werden, ob hier nicht Sonderrege-
ungen für bestimmte Berufsgruppen notwendig sind.
olizeibeamtinnen und -beamte im Schichtdienst werden
icht bis 67 im Einzeldienst oder bei Demonstrationen
ingesetzt werden können.
Kurzum: Von einem modernen Beamtenrecht mit ei-
em modernen leistungsorientierten Bezahlsystem sind
ir mit diesem Gesetz noch meilenweit entfernt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13285
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Anlage 22
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Achten Geset-
zes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes
(Tagesordnungspunkt 29)
Antje Tillmann (CDU/CSU): Erstens: rechtliche
Notwendigkeiten. Anlass dieses Gesetzentwurfs ist die
EU-Berufsqualifikationsrichtlinie aus dem Jahr 2005,
deren Umsetzung in diesem Herbst erfolgen muss. Nach
Art. 5 der Richtlinie genießen Staatsangehörige aus ei-
nem anderen Mitgliedstaat der EU, die in ihrem Heimat-
staat zur Ausübung eines reglementierten Berufs recht-
mäßig niedergelassen sind, grundsätzlich auch in
Deutschland Dienstleistungsfreiheit. Die Umsetzung
dieser Richtlinie schafft die für den inländischen Rechts-
verkehr nötige Transparenz und Sicherheit über die Be-
fugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersa-
chen. Außerdem sieht die Richtlinie in Art. 5 Abs. 3 eine
Ahndung schwerwiegender beruflicher Fehler vor. Diese
Regelung wurde durch die Möglichkeit einer Untersa-
gung der Tätigkeit als Steuerberater durch die zuständige
Steuerberaterkammer im Entwurf umgesetzt und ge-
währleistet so den Schutz der Rechtsuchenden und des
Rechtsverkehrs vor unqualifizierter Hilfeleistung in
Steuersachen durch vorübergehend tätige ausländische
Dienstleister.
Weiterer Anlass dieses Gesetzentwurfs ist die Anpas-
sung der Zulassungsvoraussetzungen zur Steuerberater-
prüfung an die durch den sogenannten Bolgona-Prozess
eingeführten Bachelor- und Masterstudiengänge. Die
Bewerber haben nach geltendem Recht mit einem er-
folgreich abgeschlossenen wirtschaftswissenschaftlichen
oder rechtswissenschaftlichen Hochschulstudium oder
einem Hochschulstudium mit wirtschaftswissenschaftli-
cher Fachrichtung mit einer Regelstudienzeit von jeweils
mindestens acht Semestern eine praktische Tätigkeit von
zwei Jahren nach dem Studium nachzuweisen. Die nach-
weisende Tätigkeit erhöht sich auf drei Jahre bei einem
Hochschulstudium mit einer Regelstudienzeit von weni-
ger als acht Semestern.
Der Gesetzentwurf greift nun die unterschiedlichen
Wege zum Bachelor- und Masterabschluss auf. Es gibt
Konstellationen, nach denen der Bewerber zunächst ein
Bachelorstudium, dann eine praktische Tätigkeit und da-
nach das Masterstudium absolviert. Jeder Studiengang
für sich betrachtet, erfüllt in der Regel nicht die Anfor-
derungen an die Dauer der Regelstudienzeit von mindes-
tens acht Semestern, sodass eine praktische Tätigkeit
nicht von zwei, sondern von drei Jahren nachzuweisen
wäre. Aus diesem Grund wurden die Vorbildungsvoraus-
setzungen ergänzt. Sowohl der Bachelor- als auch der
Masterabschluss müssen in einem wirtschaftswissen-
schaftlichen oder rechtswissenschaftlichen Studium er-
worben werden. Die Anpassung ist erforderlich, da mit
der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge
die Zahl der Hochschulen stetig steigt, die diese Studien-
gänge anbieten.
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Zweitens: zusätzliche Änderungen. Neben den recht-
ichen Erfordernissen greift der Gesetzentwurf aber auch
nregungen der Berufsverbände und der Wirtschaft auf.
Zum Syndikus-Steuerberater. So soll es künftig Steu-
rberatern erlaubt sein, neben einer selbstständigen Tä-
igkeit als Steuerberater auch nichtselbstständig tätig zu
ein. Zulässig soll nach dem Entwurf nun auch die An-
estelltentätigkeit bei der Wirtschaftsprüferkammer bzw.
iner Rechtsanwaltskammer sein. Aber auch darüber hi-
aus soll künftig die Angestelltentätigkeit mit dem Beruf
es Steuerberaters vereinbar sein, wenn sich die Tätig-
eit auf Hilfeleistungen in Steuersachen beschränkt. Für
einen Arbeitgeber darf er allerdings nicht in seiner Ei-
enschaft als Steuerberater tätig sein; diese Regelung
ient der Missbrauchsverhinderung.
Mit dieser Erweiterung der Tätigkeitsmöglichkeiten
ird eine langjährige Forderung des Berufsstands und
er Wirtschaft aufgegriffen. Die Wirtschaft betont seit
eraumer Zeit, dass Unternehmen immer schwerer qua-
ifiziertes Personal zur Mitarbeit in den Steuerabteilun-
en finden können, wenn die Berufsangehörigen dafür
uf ihren Beratertitel verzichten müssen.
Ob es bei der Aussage im Regierungsentwurf bleiben
ann, dass eine Beschränkung auf eine hauptberufliche
ätigkeit nicht erforderlich ist, darüber muss im kom-
enden Gesetzgebungsverfahren beraten werden. Auch
ird zu prüfen sein, ob eine Angestelltentätigkeit auf
ätigkeiten bei Unternehmen beschränkt werden muss.
Der Berufsstand jedenfalls befürchtet, dass beste-
ende Befugnisgrenzen überschritten und sich erhebli-
he Wettbewerbsverzerrungen auf dem Steuerberater-
arkt ergeben werden, dies zum Beispiel durch
erbände, die kostenlos über die Beitragsfinanzierung
teuerliche Beratungsleistungen erbringen.
Zur Fortbildungspflicht. Die Fortbildungspflicht der
teuerberatenden Berufe wird nun gesetzlich verankert.
as macht deutlich, dass der Gesetzgeber auch hier gro-
en Wert auf Qualitätssicherung legt. Die Kammern hat-
en sich hierzu ja schon vor der gesetzlichen Regelung
elbst verpflichtet. Diese Fortbildungspflicht erleichtert
ns die Argumentation gegen eine zu starke Aufwei-
hung der Beratungsbefugnisse.
Zu weiteren beruflichen Zusammenschlüssen. Die
nderungen in § 56 StBerG legen die Fragen der Zu-
ammenarbeit von Steuerberatern mit anderen Berufen
n weit größerem Umfang als bisher in die Verantwor-
ung der Berater. Dies gilt sowohl hinsichtlich der
echtsform als auch in der Frage der Kooperationsmög-
ichkeiten. So sieht der Gesetzentwurf zum Beispiel Ko-
perationsmöglichkeiten mit allen freien Berufen vor.
er Berufsangehörige muss sicherstellen, dass bei der
ooperation die Einhaltung der Berufspflichten, bei-
pielsweise Verschwiegenheit, Tätigkeitsverbot bei wi-
erstreitenden Interessen und Unabhängigkeit, sicherge-
tellt ist. Kooperationen mit Gewerbetreibenden bleiben
nzulässig. Der Berufsstand begrüßt dieses Vorhaben. Er
ieht in dieser Regelung eine Möglichkeit, sich im schär-
eren Wettbewerb durch Spezialisierungen zu profilie-
en.
13286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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Umstrittener ist die im Gesetz vorgesehene Möglich-
keit, Bürogemeinschaften zwischen Steuerberatern und
Lohnsteuerhilfevereinen bilden zu dürfen. Laut Geset-
zesbegründung unterliegen Lohnsteuerhilfevereine
gleichartigen Berufspflichten wie Steuerberater. Sie ha-
ben die Hilfeleistung in Steuersachen im Rahmen ihrer
Befugnis sachgemäß, gewissenhaft und verschwiegen
auszuüben.
Die Bürogemeinschaft könnte den Vorteil der gemein-
samen Nutzung von Arbeitsmitteln und Personal ohne
Aufgabe der Eigenständigkeit haben. Mithin würden die
Interessen der ratsuchenden Arbeitnehmer gestärkt, die
sich bei der Hilfe in Rechtsfragen kurze Wege, schnelle
Lösungen und eine individuelle Beratung wünschen. Ge-
rade für Mandanten, die wegen schwankender Einkünfte
oder Sondersituationen zwischen den Befugnissen der
Berater und Lohnsteuerhilfevereinen hin- und herwech-
seln, könnten hieraus Vorteile entstehen.
Ob die vonseiten der Steuerberater geäußerten Beden-
ken gegen die Zulassung dieser Bürogemeinschaften
überwiegen, bleibt der kommenden Anhörung vorbehal-
ten. Der Berufsstand äußert sich dahin gehend, dass
Lohnsteuerhilfevereine im Gegensatz zu den Steuerbera-
tern kein Zeugnisverweigerungsrecht besitzen und nicht
unter das Beschlagnahmeprivileg fallen.
Zur Erweiterung der Beratungsbefugnisse der Lohn-
steuerhilfevereine. Auch berechtigten Anliegen der
Lohnsteuerhilfevereine trägt der Gesetzentwurf Rech-
nung: So darf künftig auch bei Arbeitgeberleistungen im
Zusammenhang mit Kinderbetreuungskosten beraten
werden. Vorteile für Mandanten, aber auch für Lohnsteu-
erhilfevereine ergeben sich auch aus der Regelung, die
Beratungsbefugnis bezüglich der Einnahmen aus neben-
beruflicher Tätigkeit im gemeinnützigen, mildtätigen
oder kirchlichen Bereich, die künftig nach § 3 Nr. 26 a
EStG steuerfrei sind, zu erweitern. Diese Erweiterung ist
als Folge der Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts er-
forderlich.
Die weiteren, bisher nicht berücksichtigten Anliegen
der Lohnsteuerhilfevereine werden bestimmt noch Ge-
genstand der kommenden Beratungen sein, wie zum
Beispiel Anpassung der Beratungsbefugnis bei Einkünf-
ten aus Kapitalvermögen und privaten Veräußerungsge-
schäften unter Berücksichtigung der Abgeltungsteuer
und Anhebung der Einnahmegrenze im Sinne des § 4
Nr. 11 Satz 1 c StBerG wegen der Geldentwicklung, Er-
weiterung der gesetzlichen Definition der Beratungsbe-
fugnis in Richtung auf das Rechtsdienstleistungsgesetz,
Änderung der Bezeichnung „Lohnsteuerhilfevereine“
und Aufnahme in den Katalog der Personen, die ein
Zeugnisverweigerungsrecht besitzen.
Zur Öffnungsklausel zur Übertragung der Steuerbera-
terprüfungen auf die Kammern. Weiterhin sieht der Ent-
wurf die Aufnahme einer positiven Öffnungsklausel vor,
die es den Ländern erlaubt, die Zulassung zur Steuerbe-
raterprüfung einschließlich der Erteilung verbindlicher
Auskünfte, die organisatorische Durchführung der Prü-
fung und die Befreiung von der Steuerberaterprüfung auf
die Steuerberaterkammern zu übertragen. Die Steuerbe-
raterkammern sollen danach die übertragenen Aufgaben
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m Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung ausführen.
it dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die
ätigkeit der Steuerberater, 7. StBÄndG, vom 24. Juni
000 wurde bereits die Zuständigkeit für die Bestellung
um Steuerberater und den Widerruf der Bestellung auf
ie Steuerberaterkammern übertragen.
Dabei wird an der Bundeseinheitlichkeit der Prüfung
eiterhin festgehalten. Die Prüfungsaufgaben und der
eitpunkt der Durchführung der Prüfung sollen zwischen
en obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmt
erden. Für den Termin der schriftlichen Prüfung bleiben
uch bei einer Übertragung der Steuerberaterprüfung auf
ie Kammern weiterhin die obersten Finanzbehörden der
änder zuständig. Die Mitglieder des Prüfungsausschus-
es werden weiterhin durch die Finanzverwaltung beru-
en. Im Falle der Übertragung der Prüfung auf die Steuer-
eraterkammern erfolgt die Berufung unter Zustimmung
er obersten Finanzbehörden der Länder.
Hierzu bedarf es im weiteren Verfahren einer Eini-
ung mit den Mitgliedern des Bundesrates. Gegen die
ufnahme dieser positiven Öffnungsklausel und für eine
undesgesetzliche Direktübertragung sprechen sich ei-
ige Länder aus. Sie argumentieren, dass die Organisa-
ion der Steuerberaterprüfung nicht zu den Kernaufga-
en der Länder gehöre. Auch nach dem Gesetzentwurf
es Bundesrats soll die Bundeseinheitlichkeit der Prü-
ung gewahrt werden. Des Weiteren soll eine Aufgaben-
ommission unter anderem mit Vertretern der obersten
inanzbehörden der Länder eingesetzt werden, damit der
eitpunkt der Durchführung des schriftlichen Teils der
teuerberaterprüfung, die Prüfungsaufgaben der Auf-
ichtsarbeiten, die Bearbeitungszeit und die zum schrift-
ichen Teil der Prüfung zugelassenen Hilfsmittel zwi-
chen den Steuerberaterkammern abgestimmt werden
ann.
Wir werden im weiteren Verfahren dem Gesetzent-
urf der Bundesregierung folgen. Dieser ermöglicht den
ändern eine individuelle Entscheidung, ob sie übertra-
en wollen oder nicht. Darüber hinaus kommen wir da-
it auch den Steuerberaterkammern nach, die sich für
ie Öffnungsklausel entschieden haben.
Zu Einzelfragen. Ansonsten gibt es eine Reihe weite-
er Bestimmungen, die den Berufsstand flexibler an die
eränderten Gegebenheiten anpasst, so zum Beispiel
ine Regelung, nach der es den Steuerberaterkammern
rmöglicht werden soll, von dem Verbot der gewerbli-
hen Tätigkeit der Steuerberater Ausnahmen zuzulassen,
enn eine Verletzung der Berufspflichten nicht zu erwar-
n ist. Oder: die GmbH & Co. KG soll als Rechtsform
ür Steuerberatungsgesellschaften, die die Kapitalbin-
ungsvorschriften nach § 50 a StBerG erfüllen, zugelas-
en werden.
Wir befinden uns am Beginn dieses Gesetzgebungs-
erfahrens, obwohl nach der jahrelangen Diskussion
iele den Eindruck haben, wir hätten den heutigen Ent-
urf schon beschlossen. Das ist aber nicht der Fall. Des-
alb werden wir – wie immer – sehr sorgfältig alle Argu-
ente abwägen und den Betroffenen Gelegenheit geben,
ich zu äußern, und hoffentlich möglichst früh im nächs-
en Jahr die neuen Regelungen in Kraft setzen. Wie ich
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werden auch Sie Briefe auf dem Tisch liegen haben von
Bürgern, die darauf warten. Lassen Sie’s uns angehen!
Lydia Westrich (SPD): Die achten Novelle des
Steuerberatungsgesetzes hat eine längere Wegstrecke
hinter sich gebracht. Bereits in der letzten Legislaturpe-
riode gab es eine rege Diskussion, wie die Stärkung des
Berufsstandes der Steuerberater und seine Liberalisie-
rung fortgesetzt werden kann. Die vorgezogene Bundes-
tagswahl hatte dieses Vorhaben zunächst einmal auf die
lange Bank geschoben. Aber nun liegt das bereinigte
Werk vor, auf das die steuerberatenden Berufe schon so
lange warten. Es ist gelungen, viele Vorschläge aufzu-
greifen, die die Rahmenbedingungen dieser Berufe
nachhaltig verbessern. Außerdem ist wie häufig eine
EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, die in
diesem Fall die Anerkennung von Berufsqualifikationen
regelt. Aufgabe des Steuerberaters als Organ der Steuer-
rechtspflege ist in erster Linie die fachgerechte Unter-
stützung der Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer
Pflichten und bei der Gestaltung ihrer steuerrechtlichen
Verhältnisse. Das ist in unserer Volkswirtschaft eine be-
deutsame Funktion. Deshalb ist das Berufsrecht auch in
relativ starkem Maße gesetzlich geregelt.
Deutschland ist weltweit berühmt für die Gründlich-
keit und die Kompliziertheit seines Steuerrechts. Gesetze
und Kommentare füllen viele Meter Regale. Der Drang
zur Einzelfallgerechtigkeit, die vielen, teilweise wider-
streitenden Gerichtsurteile auf allen Ebenen bis zum
EuGH lassen das Heer von Vorschriften Jahr für Jahr an-
schwellen. Und es ist in Deutschland seit langem guter
beziehungsweise schlechter Brauch, bei vielen gesell-
schaftlich oder wirtschaftlich auftauchenden Problemen
zuerst einmal nach einer Lösung durch das Steuerrecht
zu suchen. Das gilt beileibe nicht nur für die Regierung
und das Parlament. Aus allen gesellschaftlichen Berei-
chen flattern in ständigem Strom neue Ideen möglicher
oder notwendiger steuerlicher Förderung auf den Tisch.
So wird dieses Rechtsgebiet für Bürgerinnen und Bürger
immer schwieriger durchschaubar. Sie brauchen vertrau-
enswürdige und hochqualifizierte Partner an der Seite,
um ihren steuerlichen Pflichten nachzukommen. Des-
halb muss der Gesetzgeber die steuerberatenden Berufe
auch mit den Rahmenbedingungen versehen, die ihnen
diese verantwortungsvolle Aufgabe am besten ermögli-
chen.
Mit dem achten Änderungsgesetz haben wir weitere
Modernisierungsschritte vorgelegt. Wir erlauben zum
Beispiel künftig die Bürogemeinschaft von Lohnsteuer-
hilfevereinen und Steuerberatern, die sich in vielen Fäl-
len anbietet wegen der zunehmenden Aufgaben der
Steuerberater im betriebswirtschaftlichen Bereich, um
Lohnsteuerpflichtigen zügig zu ihrem Recht bzw. ihrer
Erstattung verhelfen zu können. Lohnsteuerhilfevereine
erhalten zusätzliche Beratungsbefugnisse. Natürlich ist
es wie immer, dass sofort noch mehr Wünsche auftau-
chen, über die im Anhörungsverfahren noch zu reden
sein wird. Wir liberalisieren das Verbot der gewerblichen
Tätigkeit für Steuerberater und passen das Gesetz damit
den Gepflogenheiten des heutigen Wirtschaftslebens an.
Auch mit der Zulassung der GmbH und Co. KG als
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echtsform für Steuerberatungsgesellschaften kommen
ir einem Petitum aus den Berufsreihen nach. Die Ein-
ührung des sogenannten Syndicus-Steuerberaters ist seit
angem erwartet worden.
Im anwaltlichen Berufsrecht gibt es keine Beschrän-
ung für angestellte Rechtsanwälte. Etwas enger gefasst
ird nun auch angestellten Steuerberatern, zum Beispiel
itarbeitern der Steuerabteilung eines Unternehmens,
ie Möglichkeit geboten, zusätzlich selbstständig in ih-
em Beruf tätig zu sein. Das grundsätzliche Verbot ge-
erblicher Tätigkeiten für Steuerberater bleibt bestehen,
ber die Steuerberaterkammern erhalten das Recht, Aus-
ahmen zuzulassen, wenn sie die Berufspflichten nicht
erletzen. Damit wird auch eine längjährige Forderung
rfüllt.
Um deutlich zu machen, wie komplex unser Steuer-
echt ist und wie hoch deswegen auch die Qualitätsan-
orderungen an die steuerberatenden Berufe sein müs-
en, wird eine Fortbildungspflicht eingeführt. Das
estärkt das Vertrauen in die Fähigkeiten des Berufsstan-
es und unterstreicht seine verantwortungsvollen Aufga-
en.
Dass die Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie
ur Umsetzung des Grundsatzes der Dienstleistungsfrei-
eit in der EU keine Begeisterungsstürme auslöst, ist ver-
tändlich. Allerdings haben wir die von der Kommission
esetzte Frist bis zum letzten Tag ausgereizt und dadurch
inen langen Zeitraum gewonnen, sich auf die Berufs-
nerkennung von Dienstleistern aus anderen EU-Staaten
inzustellen. Dafür ist in diesem Gesetz auch eine Reihe
on Vorschlägen zur Harmonisierung der Berufsrechte
it denen der Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer auf-
egriffen worden, die wie seit langem gefordert, den Weg
u einer wirklichen Angleichung der verschiedenen Be-
ufsrechte ebnen.
Bei der Beratung der letzten Novelle des Steuerbera-
ungsänderungsgesetzes hat der Bundestag in einer Ent-
chließung das Ministerium aufgefordert, unter anderem
as Abmahnverhalten gegen selbstständige Bilanzbuch-
alter, Buchhalter und Buchführungshelfer zu beobach-
en und entsprechend den Deutschen Bundestag darüber
u informieren. Da sich das Abmahnverhalten gegen
erbungsmaßnahmen dieser Berufsgruppen erneut ver-
tärkt hat, ist eine Klarstellung im Gesetz dazu erforder-
ich. Die im Internet vorhandenen neuen Möglichkeiten
ie Suchbegriffe und dergleichen können nicht zuun-
unsten der selbstständigen Buchhalter ausgelegt wer-
en. Der im Jahr 2000 geforderte Erfahrungsbericht
iente insbesondere der Prüfung einer möglichen Erwei-
erung der Befugnisse von geprüften Bilanzbuchhaltern.
ie Ergebnisse dieses Berichts nachvollziehend, war in
inem ersten Entwurf dieses jetzt eingebrachten Geset-
es die Befugniserweiterung auch enthalten.
Außer den Betroffenen fordern auch der DIHK und
ndere Organisationen, dass geprüfte, selbstständige
ilanzbuchhalter die von ihnen für ihre Kunden meist
rstellte Umsatzsteuervoranmeldungen auch selbststän-
ig autorisieren zu können. Was früher immer an den
ändern gescheitert ist, hat nun das Wirtschaftsministe-
ium blockiert.
13288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Nun ist das Umsatzsteuerrecht äußerst komplex und
missbrauchsanfällig. Fundierte Kenntnisse sind vor al-
lem für die Erstellung der Jahressteuererklärung, die
selbstverständlich Steuerberatern vorbehalten bleiben
muss, erforderlich. Ob das in gleicher Weise für das
Massengeschäft der Erstellung von Umsatzsteuervoran-
meldungen gelten muss, ist seit Jahren umstritten.
Mir kommt der Streit, wie viele Stunden Unterricht
die Umsatzsteuer bei der Ausbildung umfassen soll,
nachgerade lächerlich vor. Jeder weiß, dass die Erstel-
lung der Umsatzsteuervoranmeldung fast automatisch
bei der laufenden Buchführung anfällt. Verschlimmert
wird diese Situation jetzt auch noch durch die im Gesetz
enthaltene Umsetzung der EU-Richtlinie zu Berufsquali-
fikationen.
Jeder Österreicher, Belgier, Niederländer mit ver-
gleichbarer Ausbildung wie ein Bilanzbuchhalter kann
das in Zukunft in Deutschland erledigen. Nur unsere ge-
prüften Bilanzbuchhalter dürfen das weiterhin nicht.
Deshalb wird die SPD-Fraktion die Entwicklung weiter-
hin genau beobachten und für Dienstleistungsfreiheit
auch in unserem Land werben. Dass wir den Verbrau-
cherschutz dabei nicht aus den Augen verlieren, ist
selbstverständlich. Wir arbeiten ja auch auf eine System-
änderung bei der Umsatzsteuer hin. Die liegt zwar noch
auf einer langen Bank, aber sie muss natürlich in die
Überlegungen mit einbezogen werden. Es wäre insge-
samt schade, wenn erst die Liberalisierungsdynamik der
EU uns zu Befugniserweiterungen zwingen würde, die
wir so gar nicht wollen. Die Befürchtungen der Steuer-
berater, die kleine Befugniserweiterung für geprüfte
Bilanzbuchhalter stelle das Einfallstor für alle möglichen
Befugnisübertragungen dar, könnten sich so bewahrhei-
ten.
Aber das steht nun in diesem Gesetz alles nicht zur
Diskussion. Dieses Gesetz dient dazu, die Tätigkeit der
Steuerberater zu stärken, und es ist mit seinen vielen
Einzelpunkten auch dazu in der Lage.
Ich freue mich auf die Anhörung, die sicher mit ihren
Anregungen dazu beitragen wird, die lange Wartezeit der
Gesetzesreife zu rechtfertigen und ein gut handhabbares
Gesetz zu verabschieden.
Dr. Volker Wissing (FDP): Mit dem Steuerberater
ist es wie mit dem Arzt: Man fühlt sich besser, wenn
man nicht hin muss. Unser Steuerrecht ist aber dermaßen
kompliziert, dass mittlerweile nicht nur Unternehmen,
sondern mehr und mehr auch Privatpersonen eine Steu-
erberatung in Anspruch nehmen müssen.
Steuerberatung ist heute wichtiger denn je, und je
mehr Menschen auf eine solche angewiesen sind, umso
wichtiger ist es auch, dass diese Dienstleistung er-
schwinglich bleibt. Die Initiative der Bundesregierung
kann hier durchaus positive Effekte bewirken und zu
mehr Wettbewerb beitragen. Das begrüßt die FDP aus-
drücklich.
Trotzdem ist die Politik der Bundesregierung halbher-
zig und in sich unschlüssig. Man kann nicht die Steuer-
gesetze verkomplizieren und gleichzeitig die Anforde-
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ungen an die steuerberatenden Berufe senken. Das passt
icht zusammen.
Die FDP würde es daher begrüßen, wenn die Bundes-
egierung endlich das eigentliche Problem angehen
ürde: das viel zu komplizierte deutsche Steuerrecht.
llein seit Beginn der vergangenen Legislaturperiode
ind 405 Vorschriften des Einkommensteuergesetzes ge-
ndert worden. Seit Ende 2002 wurde das Umsatzsteuer-
esetz 122- und dass Körperschaftsteuergesetz 45-mal
berarbeitet. Das deutsche Steuerrecht gleicht einem Pa-
ienten, der mit geöffnetem Brustkorb auf dem OP-Tisch
iegt, und der Chirurg will ihn nicht zunähen, weil ihm
tändig neue Sachen einfallen, die er noch operieren
önnte. So geht es nicht.
Allein im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2008 ha-
en Sie das deutsche Steuerrecht an circa 200 Stellen ge-
ndert – ohne es zu vereinfachen. Im Gegenteil, Sie brin-
en sogar das Kunststück fertig und fordern von den
ürgerinnen und Bürgern, dass diese Ihnen die Anwen-
ung des Steuerrechtes erklären, weil Sie dieses selbst
icht mehr überblicken. Der Bürger wird zum Steuerbe-
ater der Finanzverwaltung; absurder kann es in einem
taat kaum zugehen.
Wir reden heute über das Achte Gesetz zur Änderung
es Steuerberatungsgesetzes. Eigentlich müssten wir vor
llem über das Thema Steuervereinfachung reden. Das
omplizierte Steuerrecht, das ist die eigentliche Krank-
eit. Es ist sehr bedauerlich, dass die Bundesregierung
ier nicht nur jeglichen Ehrgeiz, sondern auch noch jeg-
iches Problembewusstsein vermissen lässt. Steuerver-
infachung ist für diese Bundesregierung offensichtlich
ein Thema. Oder wie soll man es sonst erklären, wenn
rau Hendricks in der Financial Times Deutschland er-
lärt: „Vereinfachen ist schwierig.“ Niemand hat gesagt,
ass regieren einfach sein muss, aber anscheinend ist das
ie Arbeitseinstellung dieser Bundesregierung. Steuern
rhöhen ist einfach – wird gemacht; Steuern vereinfa-
hen ist schwierig – wird nicht gemacht. Auf diese
eise kann man vielleicht Problemen aus dem Weg ge-
en, so kann man aber nicht die Zukunft unseres Landes
estalten.
Beide Themen sind untrennbar miteinander verbun-
en: Ein einfaches Steuerrecht ermöglicht es auch, die
teuerberatung zu vereinfachen. Ein hochkompliziertes
teuerrecht erfordert den hochqualifizierten Spezialis-
en. Fatal ist es allerdings, wenn Sie den Beruf des Steu-
rberaters willkürlich öffnen und beim Steuerrecht alles
eim Alten lassen.
Die FDP geht konstruktiv und ergebnisoffen in die
eratungen. Wir werden Ihre Vorschläge in aller Ruhe
nd umfassend prüfen. So wichtig die Anpassung des
teuerberatungsgesetzes ist, wichtiger bleibt aus Sicht
er FDP eine umfassende Reform und Vereinfachung
es deutschen Steuerrechtes.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Hinsichtlich der Be-
rteilung des Änderungsentwurfs zum Steuerberatungs-
esetz orientiert sich die Bundestagsfraktion Die Linke
or allem an der Verbraucherfreundlichkeit. Die Ver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13289
(A) )
(B) )
braucherinnen und Verbraucher haben im Zusammen-
hang mit der Steuerberatung ein Recht auf Transparenz
der entsprechenden Befugnisse sowie auf eine bezahl-
bare, effektive und kompetente Beratung. Dies umfasst
hier einerseits das Kriterium der Qualitätssicherung – die
Verbraucherin oder der Verbraucher soll der unter dem
Siegel „Steuerberatung“ angebotenen Dienstleistung
vertrauen können –, andererseits soll Steuerberatung
auch kostengünstig in Anspruch genommen werden kön-
nen. Beide Kriterien begründen sich gerade auch aus der
hohen Komplexität der Steuergesetzgebung, die entspre-
chende Beratung notwendig macht.
Verbraucherschutz im Sinne von Qualitätssicherung
und Kostengünstigkeit auf dem Markt für Steuerberatun-
gen wird erreicht durch einen Mix aus Regulierung und
freiem Wettbewerb auf ebendiesem. Aus Qualitätssiche-
rungsgründen ist der Zugang zu diesem Markt be-
schränkt: Es gibt Gesetze bezüglich der Frage, wer die
Leistung „Steuerberatung“ überhaupt anbieten darf. Die
beruflichen Herausforderungen für die auf dem Gebiet
der Steuerberatung Tätigen sind aufgrund der Komplexi-
tät und Variabilität der steuerlichen Gesetzgebung außer-
ordentlich hoch. Eine Regulierung wird hier klassischer-
weise über einen Anforderungskatalog bei der Zulassung
erreicht. Beispielsweise geschieht dies mit Bezug auf die
Berufsbezeichnung „Steuerberater“ oder „Steuerberate-
rin“ über Zulassungsvoraussetzungen, zeitlich festge-
legte Praxistätigkeit und – im Regelfall – über eine Prü-
fung. Für sonstige Anbieter und Anbieterinnen von
Steuerberatungsleistungen gibt es restriktiv wirkende
Zulassungs- und Aufgabenbegrenzungsvorschriften.
Sosehr diese Instrumente die Qualitätssicherung un-
terstützen, so bergen sie gleichzeitig die Gefahr einer
Monopolstellung einzelner Berufsstände inklusive der
Entwertung von erworbener Kompetenz und beruflicher
Qualifikation bei den von diesem Markt Ausgeschlosse-
nen. Eine Abschottung des Marktes für Steuerberatungs-
leistungen hat zugleich negative Folgen für Angebot und
Qualität. Ausdrücklich lehnen wir daher eine solche Mo-
nopolstellung ab und begrüßen ergänzende und hier
kompensierende Regulierungen: Effektive Gebühren-
ordnungen und eine Differenzierung der Anbieter und
Anbieterinnen, beispielsweise durch die Zulassung von
Steuerfachwirten/Steuerfachwirtinnen oder durch Lohn-
steuervereine für bestimmte Steuerberatungstätigkeiten,
stellen wirksame Instrumente gegen die Entwertung von
Erwerbskompetenzen und Berufserfahrungen sowie zur
Verhinderung von ausufernden Preisen und zur Förde-
rung eines Qualitätswettbewerbs dar.
Wichtig bleibt dennoch, dass kompetente Anbieterin-
nen und Anbieter in ausreichender Zahl auf dem Markt
Zugang finden. Die Zugangsvoraussetzungen sind also
nicht zu restriktiv zu gestalten und zu handhaben. Mit
Blick auf die hohen Durchfallquoten bei den Steuerbera-
terprüfungen, zum Beispiel 2005/06 55,58 Prozent ohne
Berücksichtigung der bereits vor und während der Prü-
fung Zurückgetretenen – www.knoll-steuer.com –, be-
schleichen uns gewisse Zweifel, ob die herrschende Art
und Weise der Umsetzung von Zugangsbegrenzungen
wirklich nur der Qualitätssicherung dient.
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Zusammengefasst besteht aus unserer Sicht die
chwierigkeit im Umgang mit der Steuerberatung bei
er Einführung und Durchsetzung eines adäquaten Re-
ulierungsgrads; dies stellt sicherlich eine Gratwande-
ung dar, da Qualitätssicherung und Marktöffnung in ei-
em gewissen Widerspruch zueinander stehen.
Eine Anpassung des Steuerberatungsgesetzes an ver-
nderte Bedingungen im Arbeits- und Geschäftsleben
ird von der Bundestagsfraktion Die Linke grundsätz-
ich begrüßt. Hinsichtlich des vorliegenden Gesetzent-
urfs haben wir allerdings bei einigen Punkten Beden-
en, ob damit wirklich eine Verbesserung erreicht wird.
iese Bedenken umfassen unter anderem die neu ge-
chaffenen Möglichkeiten für die Landesregierungen zur
ompetenzübertragung auf die Steuerberaterkammern
m Zusammenhang mit der Steuerberaterprüfung. Be-
üglich der Begründung – Kostendeckung – für die An-
ebung der geltenden Gebühren für Zulassungsverfahren
von 75 auf 200 Euro – und Prüfungsverfahren – von
00 auf 1 000 Euro – haben wir Klärungsbedarf. Wir se-
en in diesem Kontext die Gefahr, dass hier einer weite-
en Abschottung des Marktes für Steuerberatungstätig-
eiten Vorschub geleistet wird. In diesem Sinne würden
ir auch eine stärkere als die vorgesehene Öffnung des
arktes für die geprüften Buchhalter/Buchhalterinnen,
teuerfachwirte/Steuerfachwirtinnen und Lohnsteuerhil-
evereine begrüßen. Insbesondere fragen wir uns in die-
em Zusammenhang, warum die Erweiterung der Befug-
isse von geprüften Bilanzbuchhaltern/Buchhalterinnen
nd Steuerfachwirten/Steuerfachwirtinnen auf das An-
ertigen der Umsatzsteuervoranmeldung – unter der Vo-
aussetzung des Nachweises entsprechender Qualifika-
ionen – nicht mit aufgenommen wurde.
Wir befürworten eine weitreichende Kooperation von
n der Steuerberatung Tätigen. Zu klären ist nach unserer
nsicht, warum im vorliegenden Entwurf eine vollwer-
ige Kooperation zwar mit allen freien Berufen, nicht
ber mit den Lohnsteuerhilfevereinen zugelassen wurde.
Die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag wird
as weitere Gesetzgebungsverfahren zum vorliegenden
ntwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Steu-
rberatungsgesetzes kritisch begleiten. Der vorliegenden
assung würden wir wegen der genannten Bedenken
icht zustimmen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf ist
ine Rolle rückwärts für ein modernes Berufsrecht der
teuerberatenden. Der freie Berufsstand der Steuerbe-
atenden hat seine Interessen mit Schützenhilfe des
undesrates – insbesondere mit Rückenwind aus Bay-
rn – durchgesetzt und die Liberalisierung seines sorg-
am geschützten Tätigkeitsbereichs ein weiteres Mal
erhindert.
Es ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition,
ass sie sich nicht wenigstens auf die noch im Referen-
enentwurf zum Steuerberatungsgesetz vom letzten Jahr
orgesehene geringfügige Befugniserweiterung für Bi-
anzbuchhalter und Bilanzbuchhalterinnen einigen
onnte. Das wäre das Minimum gewesen.
13290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Das Gesetz geht in die falsche Richtung. Anstatt end-
lich zu einer Modernisierung des Berufsrechts der Steu-
erberatenden zu kommen, rudert die Regierung zurück
und will auch noch den Marktzugang für Berater und
Beraterinnen aus dem Ausland hochbürokratisch regle-
mentieren. Dafür nimmt die Regierung sogar Verstöße
gegen EU-Recht in Kauf.
Das ist keine praxisgerechte Gesetzesreform. Sie hilft
weder, die Existenz der vielen selbstständigen Buchhal-
ter, Bilanzbuchhalter und Steuerfachwirte zu sichern,
noch bringt sie die Erhaltung und Schaffung von Ar-
beitsplätzen in diesem Bereich voran. Hier siegt Klien-
telpolitik über die wirtschaftspolitische Vernunft. Denn
fairer Wettbewerb ist auch volkswirtschaftlich sinnvol-
ler, als hohe Marktzugangsbarrieren aufzubauen, die die
Pfründe bestimmter Berufsgruppen schützen sollen. So
würde ein wirklicher Wettbewerb zum Beispiel zu einem
preisgünstigen und transparenten Angebot für die Nutzer
von Buchhaltungs- und Steuerberatungsleistungen bei-
tragen. Es ist wirklich an der Zeit, eine Reform vorzule-
gen, die diesen Namen auch verdient. Die Grünen haben
deshalb schon vor über einem Jahr einen Antrag in den
Bundestag eingebracht, der eine wirkliche Modernisie-
rung des Berufsrechts der Steuerberatenden einfordert.
Unser Antrag ist noch im parlamentarischen Verfahren,
und wir werden den Regierungsentwurf daran messen.
Für die bündnisgrüne Fraktion bedeutet dies, dass
selbstständige Buchhalter, Buchführungshelfer, Bilanz-
buchhalter sowie Steuerfachwirte endlich die gesetzliche
Befugnis erhalten, die Buchhaltung einzurichten, vorbe-
reitende Abschlussarbeiten in der Finanzbuchhaltung zu
erledigen, die Lohnbuchhaltung abzuschließen und die
Umsatzsteuervoranmeldung zu erstellen. Diese berech-
tigten Forderungen diskutiert die Politik seit Jahren, lei-
der größtenteils erfolglos, denn entscheidende Bereiche
der Buchhaltung sind immer noch Steuerberatern und
Steuerberaterinnen vorbehalten. Diese starke Einschrän-
kung des Verfassungsrechts auf freie Berufswahl ist
nicht gerechtfertigt, denn die Qualifikation für die Be-
fugniserweiterung ist vorhanden und gesetzlich festge-
schrieben. Eine abgeschlossene kaufmännische Ausbil-
dung und dreijährige einschlägige Berufserfahrung sind
ausreichend, um die Buchhaltung einzurichten, vorberei-
tende Abschlussarbeiten in der Finanzbuchhaltung zu er-
ledigen, die Lohnbuchhaltung abzuschließen und die
Umsatzsteuervoranmeldung zu erstellen. Die Befugnis-
erweiterung ist notwendig und längst überfällig. Wir
Grünen werden sie deshalb bei den parlamentarischen
Beratungen zum Gesetzentwurf aktiv einfordern.
Klar ist natürlich: Der Verbraucherschutz muss weiter-
hin gewährleistet sein. Mit der Ausweitung der Bera-
tungsbefugnisse sollte deshalb nach grünen Vorstellungen
der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ver-
bindlich werden, damit Verbraucher und Verbraucherin-
nen gegen einen Vermögensschaden aus einer Falschbera-
tung abgesichert sind. Darüber hinaus soll es eine
Berufsaufsicht geben.
Die derzeitige Werberegelung ist praxisfern und
streitanfällig, was durch eine Vielzahl von Abmahnver-
fahren belegt ist. Die selbstständige Tätigkeit wird da-
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urch regelrecht verhindert. Die Regierung hat dieses
roblem zumindest erkannt und eine Neuregelung vor-
eschlagen. Wir werden die neue Werberegelung inten-
iv prüfen, ob sie auch tatsächlich Besserung bringt. Die
erzeitige Abmahnproblematik muss praxisgerecht ge-
öst werden. Selbstständige müssen über ihre Tätigkeit
nformieren und wirksam werben können. Das gehört
ur Marktwirtschaft dazu.
Positiv im Gesetzentwurf ist, dass Steuerberater zu-
ünftig auch Arbeitnehmer sein dürfen. Die Verhältnisse
n der Arbeitswelt und im gesamten Wirtschaftsleben ha-
en sich stark verändert. Es ist deshalb gut, dass es mit
em Syndikus-Steuerberater jetzt mehr Flexibilität für
ie Steuerberater und Steuerberaterinnen gibt, ihren Be-
uf auszuüben. Umso mehr fällt ins Auge, dass die über-
älligen Anpassungen für die Lohnsteuerhilfevereine
ehr karg ausfallen. Zwar dürfen Steuerberatende und
ohnsteuerhilfevereine künftig Bürogemeinschaften bil-
en, vollwertige Kooperationen sind aber weiterhin
icht möglich. Auch hier springt der Gesetzentwurf zu
urz.
Gleiches gilt für die starren Grenzen für die Neben-
inkünfte, bis zu denen Arbeitnehmer noch von Lohn-
teuerhilfevereinen beraten werden dürfen. Diese Gren-
en gelten seit dem Jahr 2000, und sie müssen deutlich
n die Wertentwicklung angepasst werden, damit die
teuerliche Beratung der Arbeitnehmer und Arbeitneh-
erinnen weiterhin zu günstigen Konditionen möglich
st. Denn wenn ein Arbeitnehmerhaushalt die niedrigen
eratungsgrenzen nur geringfügig überschreitet, müsste
r komplett zu einem Steuerberater wechseln. Das ist
ine unverhältnismäßige Mehrbelastung für die Betrof-
enen. Die Begrenzung der Nebeneinkünfte sollte des-
alb auf 25 000 Euro angehoben werden. Außerdem soll
iese Grenze zukünftig pro veranlagte Person gelten.
amit wird auch in diesem Bereich der Übergang zur
on den Grünen geforderten Individualveranlagung ge-
ördert und damit den Anforderungen an eine moderne
esteuerung von Ehe und Familie besser entsprochen.
Darüber hinaus wollen wir Grünen den flexiblen
echsel zwischen angestellter und selbstständiger Tä-
igkeit erleichtern. Die moderne Arbeitswelt verlangt
lexible Arbeitnehmer, die zum Beispiel neben ihrem
nstellungsverhältnis noch selbstständig tätig sind. So-
ange diese selbstständig erzielten Einkünfte ein Neben-
inkommen darstellen, also unterhalb der neuen Bera-
ungsgrenze für die anderen Einnahmen liegen, sollten
ie Lohnsteuerhilfevereine auch diese Arbeitnehmer und
rbeitnehmerinnen weiter beraten dürfen. Das ist eine
nkomplizierte Lösung für die Betroffenen, und durch
ie Beratungsgrenze existiert weiterhin eine klare Tren-
ung zum Tätigkeitsbereich der Steuerberatenden.
Das Berufsrecht der Steuerberatenden muss moderner
nd liberaler werden. Es soll allen Selbstständigen im
teuer- und Buchhaltungswesen ausreichende Marktchan-
en einräumen und ihnen faire Wettbewerbsbedingungen
ewähren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird
iesem Anspruch nicht gerecht. Er ist ein weiterer Beleg
ür die Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition. Es
ehlt der Mut, überfällige Reformen anzugehen und alte
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13291
(A) )
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Zöpfe abzuschneiden. Wir Grünen werden in den parla-
mentarischen Beratungen deshalb eine grundlegende
Überarbeitung des Gesetzentwurfs auf der Basis unserer
Modernisierungsvorschläge einfordern.
Anlage 23
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Erhaltung der Wein-
baukultur durch vernünftige Reform der EU-
Weinmarktordnung (Tagesordnungspunkt 31)
Julia Klöckner (CDU/CSU): Wie sehr das heutige
Thema zur EU-Weinmarktreform den Winzerinnen und
Winzern, aber auch uns Politikern auf den Nägeln
brennt, zeigt die Tatsache, dass wir interfraktionell im
Deutschen Bundestag einen Antrag einbringen, um ge-
gen die bestehenden Pläne zur EU-Weinmarktreform
Stellung zu beziehen. Sicherlich nicht alltäglich, es un-
terstreicht aber die Bedeutung. Hier geht es um mehr als
eine politische Entscheidung, es geht um eine jahrhun-
dertealte Kultur, aber auch um die Existenz von den
deutschen Winzerinnen und Winzern. Ich freue mich
deshalb, dass wir heute ein so einmütiges Signal nach
Brüssel schicken können.
Lassen Sie mich eines vorweg sagen: Deutschland hat
viele schöne Seiten. Zweifelsohne prägen die Weinland-
schaften, rund 100 000 Hektar, auch das Bild unseres
Landes. Weinan- und -ausbau haben eine lange Tradi-
tion. Deutschland ist nicht nur ein traditionsreiches
Weinbauland, sondern international auch das größte
Weinimportland. Umso mehr gilt es, die bestehenden
Traditionen zu bewahren und fortzusetzen, ohne uns vor
dem Neuen zu verschließen. Der europäische Weinbau
unterliegt seit Beginn der Weinmarktpolitik der Europäi-
schen Wirtschaftsgemeinschaft in den 70er-Jahren viel-
fältigen Veränderungen. Wandelnde Verbrauchsstruktu-
ren durch den stetig wachsenden Gemeinschaftsmarkt
und der sich mit der Zeit verstärkt nach Qualität ausrich-
tenden Nachfrage übten einen enormen Anpassungs-
druck auf das Angebot aus. Zudem wirkten sich Markt-
steuerungsmaßnahmen der gemeinsamen Marktordnung
Wein zunehmend strukturell auf Produktion und Ange-
bot der europäischen Weinbaugebiete aus. Die Weinbau-
politik der Gemeinschaft reagiert seit 1975/76 mit wach-
senden Beschränkungen und Steuerungsinstrumenten,
um der Überschussproduktion entgegenzuwirken. Ver-
schiedene Reformansätze der vergangenen Dekaden
konnten das Ziel, Angebot und Nachfrage annähernd in
Einklang zu bringen, nicht erreichen. Während der in-
nereuropäische Verbrauch kontinuierlich zurückgeht,
werden zunehmend Weine aus der sogenannten Neuen
Welt, also aus Chile oder Südafrika, nach Europa impor-
tiert.
Auch 2006 überschritten die Weinimporte wieder die
Milliarden-Litergrenze deutlich. Obwohl Europa den
weltweit größten Ein- und Ausfuhrmarkt für Wein dar-
stellt und auch bei Produktion und Verbrauch weltweit
eine Spitzenstellung einnimmt, ist auf lange Sicht die
Marktstellung Europas damit gefährdet. Die europäi-
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chen Betriebe befinden sich seit mehreren Jahren in ei-
er Krise. Zwar führen sie die Rangliste an, dicht gefolgt
on den USA, mit 47 Millionen Litern und Chile mit
5 Millionen Litern. Die Liberalisierung des weltweiten
einhandels und die niedrigen Einfuhrzölle der Ge-
einschaft üben verstärkten Druck auf Preise und das
rzeugereinkommen aus.
Vor dem Hintergrund, dass der innereuropäische Ver-
rauch sinkt, während zunehmend Weine aus Drittlän-
ern importiert werden und gleichzeitig Jahr für Jahr der
roßteil des Budgets der Weinmarktordnung für die De-
tillation, dass heißt die Beseitigung von nicht marktfä-
igen Weinen aufgewendet wird, anstatt in die Wettbe-
erbsfähigkeit europäischer Weine zu fließen, sprechen
ir uns klar für eine Reform aus. Ein Umdenken ist un-
bdingbar und notwendig, um mit den europäischen
einen wettbewerbsfähig zu bleiben. Klar ist aber auch:
er deutsche Weinbau hat nicht zu Überproduktion und
oher Haushaltsbelastung beigetragen und darf daher
uch nicht durch die Reform belastet werden. Genau
ies geschieht aber mit dem Vorschlag zur EU-Wein-
arktreform, der durch die Kommission im Juli dieses
ahres vorgelegt wurde. Mit den Vorschlägen wird die
xistenz der deutschen Winzerinnen und Winzer massiv
eeinträchtigt.
Kurz zu den wichtigsten Punkten des zurzeit vorlie-
enden Referentenentwurfes der Kommission: Erstens.
ernpunkt ist ein besserer Einsatz der verfügbaren
aushaltsmittel, die auf dem gegenwärtigen Niveau von
,3 Milliarden Euro verbleiben. Alle ineffizienten
arktstützungsmaßnahmen sollen sofort abgeschafft
erden. Zweitens. Ebenso sollen die Beihilfen für De-
tillationsmaßnahmen, Beihilfen für die private Lager-
altung, Ausfuhrerstattungen und die Beihilfen für Most
ur Anreicherung von Wein abgeschafft werden. Drit-
ens. Die Anreicherung mit Zucker soll verboten werden.
as ist ein wesentlicher Knackpunkt für die Nordländer,
enen die Anreicherung mit Saccharose verboten wer-
en soll.
Dies sind nur einige Punkte des Reformpaketes, letz-
er läuft unseren Interessen absolut zuwider. Probleme
üssen nämlich dort gelöst werden, wo sie entstehen. So
uss ein nationaler Finanzrahmen den jeweiligen regio-
alen Bedürfnissen Rechnung tragen. Die Beseitigung
on Überschüssen und damit einhergehende Destilla-
ionsmaßnahmen sind nicht weiter aus dem Gesamthaus-
alt zu finanzieren. Ich bin der Meinung, dass die Rück-
ührung der Destillationsmaßnahmen eine sinnvolle
aßnahme ist. Realistischerweise muss es hier in den
roblemregionen der EU aus sozialen Gründen zu Über-
angslösungen kommen. Die Europäische Kommission
uss zudem eine weltweite Vermarktungsoffensive und
in Imagekonzept „Europäische Weine“ vorlegen. Der
erbraucher verspürt in Zeiten der Globalisierung eine
erstärkte Sehnsucht nach regionaler Identifikation.
em muss die europäische Weinmarktpolitik mit einer
usrichtung nach Regionalität und Originalität Rech-
ung tragen. Die Vielfalt und die regionalen Besonder-
eiten der europäischen Weinbaukultur sind nämlich ein
larer Vorteil gegenüber Einheitsweinen aus Drittlän-
ern. Dieses Potenzial gilt es zu schützen, zu nutzen und
13292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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auszubauen. Weinbautraditionen müssen bewahrt, nicht
entwurzelt werden. Die bisherigen nationalen traditio-
nellen Weinbereitungsmethoden müssen auch weiterhin
Geltung behalten. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten,
Rodungsprogramme anzubieten, lehnen wir ebenso ab.
Vorstellbar ist, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres
nationalen Finanzrahmens Rodungsprogramme anbie-
ten dürfen.
Mir ist bewusst, dass eine Konfrontationspolitik mit
der Kommission nicht zum Ziel führen kann, vor allem
dann, wenn es nicht gelingen sollte, in wesentlich stritti-
gen Punkten Unterstützung in anderen Mitgliedstaaten
zu erhalten. Jedoch dürfen bei der Bedeutung des Wein-
baus in Europa und Deutschland auch keine Blanko-
schecks ausgestellt werden. Der Zeitdruck, den die por-
tugiesische Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der
Kommission im Moment aufbaut, darf nicht zulasten un-
serer wesentlichen Positionen gehen. Dieser Zeitdruck
ist schädlich, insbesondere dann, wenn sich die Kom-
mission nicht entscheidend bewegt. Und dies ist leider
zurzeit nicht zu erkennen.
An dieser Stelle möchte ich Bundeslandwirtschafts-
minister Horst Seehofer und die Bundesregierung loben.
Im Rahmen des weinbaupolitischen Kongresses der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat er den deutschen
Winzerinnen und Winzern seine Unterstützung zugesagt
und diese in Brüssel zum Ausdruck gebracht. Daran
muss die Bundesregierung weiter festhalten. Folgende
Grundsätze und Forderungen müssen wir weiterhin bei
den anstehenden Verhandlungen besonders im Blick ha-
ben: Der deutsche Weinbau hat nicht zu Überproduktion
und hoher Haushaltsbelastung beigetragen und darf da-
her durch die Reform nicht überproportional belastet
werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Durch-
führung eines europäischen Rodungsprogramms von
430 Millionen Euro pro Jahr, um dann ab 2014 die An-
pflanzungsrechte freizugeben, reine Geldverschwen-
dung.
Ich will kurz noch drei andere Punkte erwähnen, die
in der Branche auf heftige Kritik gestoßen sind. Stich-
worte Abschaffung bewährter Weinbezeichnungen, wie
Tafelwein/Qualitätswein sowie das Verbot der Angaben
„Qualitätsschaumwein“ und „Sekt“. Dies führt bei Ver-
brauchern wie Herstellern zu unnötiger Verwirrung und
hat zudem keinerlei positive Vermarktungseffekte. Auch
die Einschätzung der Anreicherungsspannen ist für uns
überhaupt nicht akzeptabel. Diese Vorschläge zeugen
von Unkenntnis bewährter Weinbereitungsmethoden
und sind eine Missachtung unserer traditionellen Wein-
kultur, während man den USA und Australien dieses in
bilateralen Handelsvereinbarungen weiterhin zugesteht.
Und so wird ein Eingriff in die Höhe der Alkoholanrei-
cherung im klimatisch benachteiligten Norden zum Ver-
lust beliebter Weinsorten sowie zur Aufgabe von Rebflä-
chen und damit einer historischen Kulturlandschaft
führen. Auch nachteilige Folgen für Tourismus und Ar-
beitsplätze im ländlichen Raum sind hier zu befürchten.
Diese Tendenz, den europäischen Weinbau zu verein-
heitlichen und regionale Besonderheiten und Charakte-
ristika unter den Tisch fallen zu lassen, vernachlässigt
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ie mittelständischen Belange. Es ist sinnlos, die Struk-
uren der neuen Welt auf den europäischen Markt
bertragen zu wollen. Ebenso darf der Fehler unnötiger
ürokratischer Auflagen durch Cross-Compliance-Vor-
chriften im Weinbau nicht wiederholt werden – wir ha-
en in der Agrarpolitik ja gesehen, wozu dies führt. Be-
eits zu Beginn ist hier minimierend einzugreifen. Auch
arf es keine weiteren Kompetenzübertragungen auf die
uropäische Kommission geben. Der Subsidiaritätsge-
anke ist hier zu wahren.
Die EU-Kommission sollte die zahlreichen Anregun-
en aus den Diskussionen der vergangenen Monate ernst
ehmen und einen völlig neuen Reformvorschlag vorle-
en. Es geht nicht um die Blockade einer Reform,
ondern um einen konstruktiven Dialog über die wir-
ungsvollsten Instrumente zur Verbesserung der Markt-
ituation der europäischen Weinerzeuger.
Kurzum: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagt ers-
ens Ja zu einer Reform der europäischen Weinmarktord-
ung, zweitens Ja zu einer Mittelverwendung, die sich
n der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des euro-
äischen Weinbaus orientiert und drittens Ja zu nationa-
er Verantwortung in Bezug auf die im Rahmen des na-
ionalen Finanzrahmens anzuwendenden Maßnahmen
nd zu Sanktionen, falls die vorgesehenen Ziele nicht er-
eicht werden. In diesem Sinne gilt es jetzt, sich weiter
ür unsere deutschen Winzerinnen und Winzer einzuset-
en und die Bundesregierung in ihrem Bemühen zu un-
erstützen.
Gustav Herzog (SPD): Der deutsche Wein kann sich
ehen lassen. Noch besser: Er schmeckt. Qualität vor
asse! Deutsche Weine und Sekte sind wettbewerbsfä-
ig im Inland, in Europa und in der Welt. Sie erobern
arktanteile und gewinnen Liebhaber in vielen Län-
ern. Diese Leistung unserer Winzerinnen und Winzer
st in einer solchen Debatte zuallererst zu würdigen. Sie
aben ihre Chancen wahrgenommen. Aber auch die Po-
itik im Bund und in den Weinbauländern – insbesondere
n meinem Rheinland-Pfalz – hat ihren Beitrag dazu ge-
eistet, nicht immer, aber immer häufiger auch in guter
bstimmung mit der Weinwirtschaft. Wir haben zum
eispiel mit den Mengenbegrenzungen und den Quali-
ätsanforderungen den Rahmen geschaffen, flankiert von
iner gezielten Förderung.
Deshalb kann ich grundsätzlich sagen: Wir sind der
esten Überzeugung, dass immer wieder Veränderungen
m europäischen und deutschen Recht genauso notwen-
ig sind wie die Überprüfung der Förderkulisse. Wir leh-
en eine Reform nicht grundsätzlich ab.
In der Zielsetzung, den europäischen Wein wettbe-
erbsfähiger zu machen und mehr Geld in die Absatz-
örderung zu investieren als durch die Übermengenbe-
eitigung zu verschleudern, stimmen wir mit der EU-
ommission überein. Auch eine Reihe von Instrumenten
erden von uns – mehr oder weniger – mitgetragen. Posi-
v sind der bessere Einsatz der verfügbaren Haushaltsmit-
l, die Hinwendung zu einem nationalen Finanzrahmen
nd die Durchführung von Markterschließungsmaßnah-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13293
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(B) )
Negativ ist die in sich widersprüchliche Regelung zu
Rodungsprämie und Freigabe der Pflanzrechte. Auch die
Verlagerung von Kompetenzen auf die Kommission wie
zum Beispiel für die önologischen Verfahren ist kritisch
zu sehen, ebenso die „Grünlese“ als Marktsteuerungsin-
strument. Entschieden abzulehnen ist das Verbot der
Saccharoseanreicherung. Nur noch mal für diejenigen,
die sich nicht so gut in der Weinherstellung auskennen:
Wir reden hier nicht von einer Verpanschung des Weins,
um den Wein süßer zu machen. Nein, es geht um ein
traditionelles Verfahren in der Weinbereitung, bei dem
der Zucker dem Most zugegeben wird, also vor der Ver-
gärung, um die gewünschten Alkoholgehalte erreichen
zu können. Wir sind leider nicht so von der Sonne ver-
wöhnt, wie die südlichen Anbaugebiete, wobei – und das
muss man auch erwähnen –: Im Süden wird statt Zucker
rektifiziertes Traubenmostkonzentrat hinzugegeben, um
die Gärung zu optimieren.
Die Kommission zeigt sich unterschiedlich kompro-
missbereit. Erste Schritte führen zu einem vernünftigen
Kompromiss, aber noch immer gibt es klar abzuleh-
nende Regelungen. Mit dem vorgelegten Antrag machen
wir deutlich, welche weiteren Schritte zu erfolgen haben.
Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass sich der
Weinbau entwickeln kann und die Kulturlandschaft in
Deutschland erhalten bleibt.
Der Weingipfel in Mainz hat deutlich gemacht, dass
es für unsere Position viel Rückhalt in den anderen Mit-
gliedstaaten gibt. Rückhalt ist untertrieben. Viele Länder
wünschen sich Deutschland als Speerspitze, um die Vor-
schläge der Kommission zurückzuweisen und vernünftig
auszugestalten.
In diesen aufgeregten Zeiten sind gemeinsame An-
träge aller Fraktionen im Deutschen Bundestag eher die
Seltenheit. Ich freue mich deshalb, dass es diese große
Übereinstimmung gibt. Gemeinsam mit allen Teilen der
Weinwirtschaft fordern wir eindringlich die Bundesre-
gierung auf und sagen unsere volle Unterstützung zu:
Verhandeln sie in diesem Sinne in Europa. Herr Bundes-
minister Seehofer, wir erwarten, dass Sie sich im Inte-
resse der deutschen Winzer und Verbraucher durchset-
zen.
Dr. Volker Wissing (FDP): Normalerweise hat man
eine Regierung, damit diese Probleme löst. Die Bundes-
regierung ist vor allem damit beschäftigt, die Probleme
zu lösen, die wir ohne sie nicht hätten.
Wenn wir uns heute gemeinsam gegen ein Verbot der
Saccharoseanreicherung aussprechen, so ist dies auch
Ausdruck eines beachtlichen Erkenntniszuwachses bei
der Bundesregierung. Ich darf Sie daran erinnern, dass es
noch gar nicht allzu lange her ist, dass Bundeslandwirt-
schaftsminister Horst Seehofer mit seiner populistischen
Forderung nach einem Reinheitsgebot für Wein durch
das Land zog – eine Forderung, die offensichtlich seitens
der Europäischen Union nur allzu gerne aufgegriffen
wird. Die Folgen haben wir deutlich zu spüren bekom-
men. Das Vorhaben der Europäischen Union, den deut-
schen Winzerinnen und Winzern die sogenannte Saccha-
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oseanreicherung zu verbieten, ist nichts anderes als die
ogische Konsequenz des Seehofer’schen Reinheitsge-
ot-Gedöns.
Die FDP hat von Anfang an auf die Gefährlichkeit der
ebatte hingewiesen, und es hat lange, sehr lange gedau-
rt, bis der Erkenntnisprozess bei dem zuständigen Mi-
ister einsetzte. Was für das Bier recht ist, ist für den
ein noch lange nicht billig. Das hätte Herrn Seehofer
al jemand sagen sollen, bevor er Europa mit seinem
einheitsgebot verrückt gemacht hat. Aber gut, besser
pät als nie. Deshalb begrüßt es die FDP auch außer-
rdentlich, dass Herr Seehofer sich mittlerweile, wenn
uch noch etwas verschämt, von seiner Reinheitsgebots-
orderung verabschiedet hat. Nun gibt es ein Reinheits-
ebot, welches keines ist, für ein Marktsegment, welches
eines braucht, aber auch ein Minister soll sein Gesicht
ahren dürfen.
Die Debatte um die EU-Weinmarktreform macht aber
ines schmerzlich deutlich: Deutschland ist auf europäi-
cher Ebene mittlerweile zwar sehr gut vertreten, aber we-
ig präsent. Wie kann es eigentlich angehen, dass Initiati-
en, wie das Verbot des Apfelweins, so lange unbemerkt
leiben? Wieso hat das zuständige Bundesministerium für
rnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz nicht
rüher auf die Europäische Kommission eingewirkt, dass
erbote wie das der Saccharoseanreicherung gar nicht erst
eiterverfolgt werden? Mittlerweile sind der Bund sowie
ahezu alle Länder in Brüssel vertreten, und man wundert
ich, wie so viele Leute so wenig mitbekommen. An die-
er Stelle würde ich mir wünschen, dass die Bundesregie-
ung früher aktiv wird.
Es ist gut und richtig, den Brand zu löschen, wenn das
aus in Flammen steht. Richtiger und wichtiger wäre es
llerdings, dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst brennt.
ie Bundesregierung hingegen wartet, bis die Flammen
uf dem Dach stehen, rückt mit großem Tatütata aus und
ill dann auch noch für die Löscharbeit gelobt werden.
ein, dafür können wir Sie nicht loben. Ich erwarte von
iner Regierung, dass sie agiert und nicht nur reagiert.
ie Bundesregierung war frühzeitig eingebunden. Sie
uss deshalb Sorge dafür tragen, dass Vorschläge, die
ür die deutschen Winzerinnen und Winzer eine offen-
ichtliche Existenzbedrohung darstellen, gar nicht erst
eiterverfolgt werden. Daran messen wir die Arbeit der
undesregierung.
Von dem vorliegenden Antrag geht ein deutliches
ignal an die deutschen Weinbaubetriebe aus. Das Vo-
um des Deutschen Bundestages ist einstimmig: Es ist
in Votum für den deutschen Weinbau, für die Qualität
es deutschen Weines sowie die Arbeit der deutschen
inzerinnen und Winzer.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Beim Wein-
nbau handelt es sich nicht bloß um ein bedeutendes
ulturgut und einen wichtigen Wirtschaftsfaktor, son-
ern auch um ein Politikum. Dies zeigt auch der gemein-
ame Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
ündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/6959, aus dem
ch an dieser Stelle zitieren möchte:
13294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
Der am 4. Juli 2007 vorgelegte Vorschlag lässt eine
konsequente Ausrichtung auf das primäre Ziel der
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäi-
schen Weinwirtschaft vermissen. Er ist deshalb in
wesentlichen Teilen zu ändern.
Die Linke teilt diese Position. Das haben wir auch im-
mer so gesagt. Warum gehören wir trotzdem nicht zu
den Antragstellerinnen? Dies, meine Damen und Herren,
liegt nicht an irgendwelchen gravierenden inhaltlichen
Differenzen, sondern an der anachronistischen Position
der Fraktion der CDU/CSU, die an ihrem „Unvereinbar-
keitsbeschluss“ festhält, der gemeinsame parlamentari-
sche Initiativen mit der Fraktion Die Linke ausschließt,
völlig unabhängig von der inhaltlichen Position, die je-
weils von meiner Fraktion vertreten wird. Kurioserweise
spielt dieses gesamte parteipolitische Taktieren keine
Rolle, wenn sich das Interfraktionelle Parlamentarische
Weinforum trifft, so wie am zurückliegenden Dienstag-
abend geschehen. Außerhalb dieses Hauses können wir
uns jederzeit gemeinsam für die Interessen des deut-
schen Weinanbaus und der hier lebenden Winzerinnen
und Winzer stark machen. Das darf bei den Konservati-
ven halt nur nicht offiziell sein.
Doch zurück zum eigentlichen Problem. In vino veri-
tas – Im Weine liegt die Wahrheit. Ja, am Wein zeigt die
Europäische Union ihr wahres politisches Gesicht. Der
Kommissionsvorschlag zur Weinmarktordnung will den
deregulierten Weinmarkt unter dem Vorwand der Anpas-
sung der EU-Agrarpolitik an die Richtlinien der Welt-
handelsorganisation. Das entspricht nicht dem Politik-
und Europaverständnis der Fraktion Die Linke. Und
hierin unterscheiden wir uns grundsätzlich von den an-
deren hier im Hause vertretenen Fraktionen – aber eben
nicht beim Wein. Durch die Vorhaben der Europäischen
Kommission im Rahmen der Reform der EU-Wein-
marktordnung werden Kulturgüter wie der traditionelle
Weinanbau in Deutschland bedroht. Natürlich ist der
Wein nicht nur ein hervorragendes, Identität stiftendes
Kulturgut, sondern auch ein oftmals herausragender
Wirtschaftsfaktor für die Regionen, in denen er angebaut
wird. Gerade für Ostdeutschland und seine beiden Wein-
anbaugebiete an der Elbe und zwischen Saale und Un-
strut bedeutet der Weinanbau die Möglichkeit, eine kon-
kurrenzfähige, sich selbsttragende Wirtschaft vor Ort zu
etablieren. „Qualitätswein“ lautet das Credo der heimi-
schen Winzerinnen und Winzer. Das ist die Stärke des
einheimischen Weins in der Auseinandersetzung mit an-
deren Weinregionen. In der Benachteiligung der deut-
schen Winzerinnen und Winzer besteht die eigentliche
Gefahr des Vorhabens der Europäischen Kommission
– besonders in den kleinen Anbaugebieten – gegen-
über ihren Kolleginnen und Kollegen aus den südlichen
europäischen Ländern. Traditionelle, Jahrhunderte alte
önologische Verfahren wie die Aufzuckerung des Wei-
nes sollen verboten werden. Trotz des vergleichsweise
sehr hohen Direktverarbeitungsanteils beim deutschen
Wein sollen die Anbaugebiete beschränkt und teilweise
gerodet werden, wovon besonders Weine in Steillage be-
troffen wären.
Um zum Politikum zurückzukehren: Deutschland ist
im Weinanbau kein großer Player und verfügt dement-
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prechend über geringe Einflussmöglichkeiten, seine In-
eressen gegenüber den in weitaus größeren Mengen
ein produzierenden Ländern wie Frankreich, Spanien
nd Italien durchzusetzen. Deshalb ist eine klare ge-
einsame Positionierung des Deutschen Bundestages
in wichtiges Signal nach Brüssel. Auch deshalb wird
ie Linke dem Antrag in der vorliegenden Form zustim-
en. Wir beantworten nicht Blockade mit Blockade,
ondern machen unser Abstimmungsverhalten konse-
uent am Inhalt des Antrags fest, nicht an den Einreiche-
innen oder Einreichern. Wir lassen uns von der von der
ernunft gebotenen Gemeinsamkeit leiten. Das gehört
um politischen Grundverständnis einer parlamentari-
chen Demokratie.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
rößte Bedeutung des Weins liegt in seiner Rolle als
ulturgut: als solches steht er für hohe Qualtität, für
andwerk, Charakter und Herkunft. Aus einem guten
ein riecht und schmeckt man den Charakter einer gan-
en Region.
Auch seine wirtschaftliche Bedeutung darf nicht un-
erschätzt werden. Mit einem Produktionswert von circa
,2 Milliarden Euro und mehr als 34 000 Winzern und
einverarbeitenden Betrieben in Deutschland stellt der
ektor Weinbau eine beachtliche Größe dar. Tourismus
nd Gastronomie sind eng mit dem Weinbau verbunden.
Die einmaligen deutschen Traditionsweine sind jetzt
urch die Reform der europäischen Weinmarktordnung
rheblich bedroht. Die erfolgreiche Ausrichtung des
eutschen Weinbaus auf Qualität, Weinkultur, Erhalt der
ulturlandschaften, Verbrauchernähe und Marktorien-
ierung sind in Gefahr.
So soll es unter anderem eine Prämie für die freiwillige
odung von 200 000 Hektar Reben und bei gleichzeitigen
iederbepflanzungsrechten geben. In Zukunft sollen die
uckeranreicherung durch Mostkonzentrat ersetzt werden
nd die Beihilfen für die Destillation sowie Mostbeihilfen
estrichen werden. Ebenso soll die ganze Struktur der
einmarktordnung aufgelöst werden
Wir denken, dass es durchaus richtig ist, die teure
ernichtung der Überschüsse mit Hilfe der Destillation
u beenden. Aber diese Überschüsse wurden in Betrie-
en in Spanien und Frankreich erzeugt, nicht bei den
ualitätsbewussten deutschen Winzern, die sich diese
eue Verbraucherausrichtung hart erarbeitet haben. In
en genannten Länder haben zu viele Betriebe in den
etzten Jahren auf Masse statt Klasse gesetzt.
Die Rodung von rund 200 000 Hektar Rebflächen ist
eine Lösung der Probleme: Sie benachteiligt EU-weit
leine Winzer und die Qualitätserzeuger, zerstört die tra-
itionellen Weinregionen, wo es bisher für die Weine ge-
ügend Absatz gab. Gleichzeitig will die EU-Kommis-
ion wieder Bepflanzungsrechte ausgeben. Das heißt in
er Konsequenz: Statt Winzerhandwerk wird es in der
U zu einer Entwicklung in Richtung einer industriell-
echnisch ausgerichteten Weinproduktion kommen – wie
n den USA. Darin sehen wir eine erhebliche Schwä-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13295
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chung der Wettbewerbssituation und einen Verlust des
erfolgreichen europäischen Profils beim Verbraucher.
Viel sinnvoller als Fehlinvestionen in Rodungen sind
unserer Meinung nach Investitionen in Maßnahmen, die
die Qualität steigern: Das würde beispielsweise bedeu-
ten, dass die Anforderungen an die Hektarhöchsterträge
in die Diskussion gebracht werden müssen.
Für die deutschen Weinbauern und -wirtschaft ist
das geplante Verbot, Wein mit Saccharose anzureichern
ebenfalls von Nachteil. Es drängt sich der Eindruck
auf, dass die EU-Kommission damit Deutschland zur
Akzeptanz der Gesamtreform pressen will. Zwar wird
die Zuckerung sehr begrenzt eingesetzt, ist aber in kli-
matisch schlechten Jahren in den nördlichen Regionen
teilweise nötig. Statt des geschmacksneutralen Zuckers
soll dann nach dem Willen der EU-Kommission Trau-
benmostkonzentrat aus anderen EU-Ländern beige-
mischt werden. Dadurch sollen die dort produzierten
Überschüsse auf „elegante“ Weise doch noch genutzt
werden. Deutschen Winzern drohen mit der Reform zu-
sätzliche Mehrkosten, wie etwa durch das überteuerte
und verordnete Traubenmostkonzentrat. Den gesamten
deutschen und nordischen EU-Ländern entstehen große
Wettbewerbsnachteile gegenüber der „Neuen Weinbau-
welt“ wie etwa den USA. Denn dort ist Saccharosever-
wendung erlaubt, auch für den Import in die EU
Ich freue mich, dass es gelungen ist, mit allen Fraktio-
nen der Bundesregierung und der Weinwirtschaft zu ei-
ner gemeinsamen Haltung zu kommen.
In diesem gemeinsamen Antrag fordern wir die EU-
Kommission auf, die Reform massiv nachzubessern und
Qualität und Weinkultur in den Vordergrund zu stellen.
Beim Besuch des Agrarausschusses am 5. November in
Brüssel haben wir unter anderem diese Positionen ver-
treten und die EU-Kommission aufgefordert: sich für
eine kohärente Weinbaupolitik in Europa einzusetzen;
die umfangreichen Rodungsprogramme widersprechen
dem vorgesehenen Wiederbepflanzungsrecht, die Sac-
charoseanreicherung weiterhin anzuerkennen und Be-
zeichnungsrecht für Qualitätsweinen zu erhalten.
Deutschland und die gesamte EU-Weinwirtschaft
brauchen keine Industriealisierung des Weinbaus, son-
dern eindeutig eine Unterstützung zu Regionalität, Iden-
tität und handwerklicher Qualität. All dies verhindert der
derzeitige Entwurf der EU-Kommisssion.
Mit Nachdruck fordern wir die EU-Kommission auf,
die Reform zugunsten der qualitätsbewussten Winzerin-
nen und Winzer nachzubessern und keine überschnelle
Entscheidung während der portugiesischen EU-Ratsprä-
sidentschaft zu erzwingen.
Anlage 24
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung der Aufsichtsstruktur der Bun-
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desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz) (Ta-
gesordnungspunkt 32)
Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Vor zwei Jahren ha-
en wir uns in der Großen Koalition bezüglich der deut-
chen Finanzmarktaufsicht eine klare Aufgabe gestellt
ich darf zitieren –:
Im Lichte der Erfahrungen seit Schaffung der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) als Allfinanzaufsicht sind die Ergebnisse
zu bewerten und gegebenenfalls
1. Arbeitsabläufe und
2. Organisation anzupassen.
Mit dem heute zur ersten Lesung anstehenden
ufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz kommt die
undesregierung einem Teil dieses Arbeitsauftrages
ach: Sie passt die Organisation der BaFin an die heuti-
en Erfordernisse an.
Der zweite Teil des Arbeitsauftrages aus dem Koali-
ionsvertrag muss allerdings noch abgearbeitet werden.
ch hoffe, dass wir hier im ersten Quartal 2008 weiter-
ommen: Es geht um die Anpassung der Arbeitsabläufe
nd dabei vor allem um die Überprüfung der Zusam-
enarbeit von Bundesbank und BaFin bei der Banken-
ufsicht. Hierzu hat der Sachverständigenrat zur Be-
utachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in
einem neuen Gutachten in der vergangenen Woche ei-
en interessanten Diskussionsbeitrag geleistet: Für die
ankenaufsicht – so der Rat – verfüge die Deutsche
undesbank aufgrund ihrer Marktnähe über erhebliche
omparative Vorteile. Es spreche daher vieles dafür, alle
ufsichtsrechtlichen Kompetenzen bei der Deutschen
undesbank zu bündeln.
Ich möchte der Bundesregierung gar nicht empfehlen,
ich diesen Vorschlag bis ins Letzte zu eigen zu machen.
llerdings sollte die Einschätzung des Sachverständi-
enrates hinsichtlich der Expertise der Deutschen
undesbank bei der Bankenaufsicht sehr wohl ernst ge-
ommen werden. Die hervorragende fachliche und prak-
ische Kompetenz der Deutschen Bundesbank – die im
brigen von den beaufsichtigten Instituten selbst so ein-
eschätzt wird – muss bei der noch ausstehenden Anpas-
ung der Aufsichtsrichtlinie berücksichtigt werden. Die
undesbank muss in dem bestehenden System der All-
inanzaufsicht durch BaFin künftig in der Bankensäule
ieder ein stärkeres Gewicht erhalten. So sollte die Bun-
esbank auch bei den Sonderprüfungen – soweit mög-
ich – einen Prüfungsvorrang gegenüber externen Wirt-
chaftsprüfern erhalten.
Doch kommen wir zum ersten Teil der BaFin-Re-
orm, der mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf um-
esetzt werden soll: die Organisationsreform der BaFin,
as heißt konkret die Reform der Führungsstruktur. Die
undesregierung schlägt vor, die Präsidialführung der
aFin durch ein Kollegialmodell in Form eines fünfköp-
igen Direktoriums zu ersetzen. In der Union unterstüt-
en wir diesen Vorschlag ausdrücklich. Wir sind davon
13296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
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überzeugt, dass ein Direktorium den gewachsenen und
stetig weiter wachsenden Aufgaben einer Allfinanzauf-
sicht besser gerecht wird als eine reine Präsidialführung.
Die Entscheidung für die Präsidialstruktur war bei Grün-
dung der BaFin getrieben von dem Gedanken einer inte-
grierten Finanzaufsicht, die sich auch in der auf einen
Präsidenten zugeschnittenen Führungsstruktur wider-
spiegeln sollte. In dieser Präsidialstruktur bestimmte und
bestimmt der Präsident nicht nur alleine die strategische
Ausrichtung der BaFin. Er hat auch die alleinige Organi-
sations-, Finanz- und Personalhoheit über alle drei Säu-
len: die Bankenaufsicht, die Versicherungsaufsicht und
die Wertpapieraufsicht. Eine derartige Aufgabenfülle ist
gerade angesichts der seit Gründung der BaFin im Jahre
2002 stetig steigenden Anforderungen an den Präsiden-
ten in den europäischen und internationalen Gremien
nicht mehr sachgerecht.
Die Betriebswirtschaft lehrt uns, dass es das Ziel jeder
Aufbauorganisation und damit auch implizit jeder Füh-
rungsstruktur ist, erstens einen reibungslosen Ablauf des
Betriebsgeschehens zu gewährleisten, zweitens die Ar-
beitsleistung und Produktivität der Mitarbeiter zu stei-
gern und somit drittens erhöhte Wirtschaftlichkeit zu er-
reichen. Diese betriebswirtschaftlichen Ziele können in
der BaFin mit einer Präsidialstruktur heute nicht mehr
umfassend erreicht werden. Ein Aufsichtspräsident, der
zunehmend in wichtigen internationalen Gremien einge-
bunden ist – von der IOSCO bis zum Financial Stability
Forum –, kann nicht gleichzeitig seine Behörde allein-
verantwortlich nach innen führen und letzt- und allein-
verantwortlich sein für effiziente Arbeitsabläufe.
Es ist daher nur sachgerecht, wenn wir dem Präsiden-
ten künftig vier Exekutiv-Direktoren zur Seite stellen:
einen Direktor für die Bankenaufsicht, einen Direktor
für die Versicherungsaufsicht, einen Direktor für die
Wertpapieraufsicht und einen Direktor für die innere
Verwaltung und damit verbundenen Grundsatzfragen.
Mit dem Direktorium wollen wir den Präsidenten also
keinesfalls schwächen. Nein, wir wollen die BaFin als
Organisation insgesamt stärken und effizienter machen –
das ist unser Ziel.
Denjenigen, die dennoch fürchten, dass die Einrich-
tung eines Direktoriums auf internationaler Bühne als
Schwächung des Präsidenten wahrgenommen werden
könnte, will ich klar und deutlich sagen: Auch die briti-
sche Financial Services Authority, FSA, und die US-No-
tenbank Fed, Federal Reserve System, werden von ei-
nem Direktorium geleitet. International ist das
Direktoriumsmodell also durchaus bekannt und aner-
kannt.
Damit die Einrichtung eines Direktoriums in der
BaFin tatsächlich auch zu den von uns beabsichtigten
Zielen – mehr Effizienz und Steigerung der Synergieef-
fekte zwischen den drei Säulen – führen kann, müssen
die Direktoren mit entsprechenden Kompetenzen ausge-
stattet werden. Ansonsten bliebe die neue Führungs-
struktur wirkungslos. Es ist daher richtig, dass die Bun-
desregierung den Direktoren die Ressortverantwortung
für ihre Bereiche zuteilt. Dazu gehört neben der Zustän-
digkeit für die Sachentscheidungen des jeweiligen Ge-
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chäftsbereichs konsequenterweise auch die Organisa-
ions-, Finanz- und Personalhoheit.
Die Richtlinienkompetenz, das heißt die Entschei-
ung über die strategische Ausrichtung der BaFin, ver-
leibt hingegen beim Präsidenten. Das ist genauso rich-
ig wie die Verteilung der Ressortverantwortung auf die
inzelnen Direktoren. Darüber hinaus verbleibt die ge-
ichtliche und außergerichtliche Vertretung der BaFin
eim Präsidenten. Dazu gehört vor allem die Interessen-
ertretung Deutschlands in den internationalen Gremien.
So wie Finanzmärkte zunehmend nicht mehr national
unktionieren, so gewinnt auch die Entwicklung von in-
ernationalen Aufsichtsstandards an Bedeutung. Um
iese wichtige Entwicklung mit zu prägen und zu kondi-
ionieren, bedarf es einer starken deutschen Vertretung
uf internationaler Bühne. Dieser aktiven Repräsentation
ann sich der Präsident künftig noch stärker widmen,
hne dass dabei die Organisation seiner Behörde nach
nnen vernachlässigt würde.
Ebenso wichtig wie die Verteilung der einzelnen Ver-
ntwortlichkeiten auf fünf Schultern ist für mich die Ver-
reiterung der Legitimationsbasis von wichtigen Be-
chlüssen. Laut Regierungsentwurf soll das Direktorium
ls tatsächliches Kollegialmodell funktionieren. Das
eißt, das Direktorium fasst seine Beschlüsse – beispiels-
eise über den Erlass von Verwaltungsvorschriften – mit
infacher Mehrheit. Einzig bei Stimmengleichheit gibt
ie Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Gerade an-
esichts der komplexer werdenden Anforderungen an
ie BaFin halte ich es für sachgerecht, dass wichtige
ntscheidungen künftig nicht mehr von einem Präsiden-
en alleine, sondern – nach eingehender Beratung – von
inem fünfköpfigen Direktorium gefällt werden.
Wie jede Organisation, so wird auch der Erfolg der
euen Führungsstruktur der BaFin von den handelnden
ersonen abhängen. Daher ist es unerlässlich, für die
euen Direktoriumsposten kompetentes Fachpersonal zu
ewinnen. Dafür bedarf es einer angemessenen Bezah-
ung. In der Union begrüßen wir es deshalb sehr, dass die
esoldungsgruppe für die Direktoriumsmitglieder von
6 auf B 8 angehoben werden soll.
Insgesamt unterstützen wir das heute zur ersten Le-
ung anstehende Aufsichtsstrukturmodernisierungsge-
etz. Das anstehende Gesetzgebungsverfahren werden
ir nutzen, um die Einzelheiten der Organisationsrege-
ungen zu prüfen und gegebenenfalls Details zu modifi-
ieren. Dabei werden wir möglicherweise auch noch
inmal die Frage diskutieren, ob die Besetzung des Ver-
altungs- sowie des Fachbeirates noch zeitgemäß ist
der heute nicht doch noch eine zusätzliche Beteiligung
on Wertpapierhandelsbanken und Finanzdienstleis-
ungsinstituten geboten wäre.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass
ie Organisationsreform der BaFin nur einen Teilbereich
er notwendigen BaFin-Reform darstellt. Der zweite
eil der Reform, die Modernisierung der materiellen
ankenaufsicht, muss zeitnah folgen.
Erlauben Sie mir dieses ebenso simple wie richtige
etriebswirtschaftliche Fazit: Eine gute Aufbauorgansia-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13297
(A) )
(B) )
tion der BaFin – wie sie im heutigen Gesetz angelegt
ist – ist nichts wert ohne eine mindestens ebenso gute
Ablauforganisation, das heißt konkret in der Bankenauf-
sicht: eine bessere Zusammenarbeit und Aufgabentei-
lung zwischen Bundesbank und BaFin. Dafür müssen
wir mit dem zweiten Teil der BaFin-Reform im nächsten
Jahr die Weichen stellen. Ich erwarte, dass sich sowohl
die BaFin als auch die Bundesbank an dieser Weichen-
stellung konstruktiv beteiligen.
Jörg-Otto Spiller (SPD): Der vorliegende Gesetz-
entwurf mit der sprachlich verunglückten Überschrift er-
hebt nicht den Anspruch, eine umfassende Stärkung der
deutschen Finanzmarktaufsicht zu bewirken oder gar
schon die nötige und ausreichende Reaktion auf die
jüngsten Turbulenzen des Marktes zu sein. Aber er ist
ein wichtiger Schritt.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht,
besser bekannt unter der Kurzbezeichnung BaFin, erhält
mit diesem Gesetz eine neue Führungsstruktur. An die
Stelle der bisherigen Präsidialleitung tritt ein Kollegial-
organ, das Direktorium, dem neben dem Präsidenten vier
weitere Mitglieder angehören, Exekutivdirektoren ge-
nannt, einer von ihnen in der Stellung eines Vizepräsi-
denten.
Der Präsident hat die Richtlinienkompetenz oder, wie
es dazu im Entwurf heißt, „er bestimmt die strategische
Ausrichtung“ der BaFin. Innerhalb dieses Rahmens lei-
ten die Exekutivdirektoren ihren jeweiligen Geschäfts-
bereich eigenverantwortlich. Oberstes Beschlussorgan
ist das Direktorium. Der bisher für seine gesamte Be-
hörde allumfassend verantwortliche Präsident wird zum
Primus inter Pares.
Vieles spricht dafür, dass eine solche vermehrt auf
sektorale Eigenverantwortung einerseits und kollegiale
Führung andererseits ausgerichtete Leitungsstruktur, die
sich außerhalb der Behördenwelt als weitverbreitetes Or-
ganisationsprinzip Tag für Tag höchst erfolgreich be-
währt, die BaFin stärken kann. Bei kluger Handhabung
der neuen Struktur kann sogar die Stellung des Präsiden-
ten wachsen, weil er sich vermehrt auf das wirklich We-
sentliche konzentrieren kann.
Im Detail wird über die eine oder andere der im Ent-
wurf vorgesehenen Regelungen noch nachzudenken
sein, beispielsweise über das Erfordernis der Einstim-
migkeit bei einigen Beschlüssen des Direktoriums. Der
tatsächlich Erste unter den Gleichen muss der Präsident
schon sein können.
Erwähnt sei auch, dass die beabsichtigte Besoldungs-
anhebung für die Direktoriumsmitglieder voll gerecht-
fertigt erscheint. Eine ergänzende Bemerkung darf in
diesem Zusammenhang allerdings nicht fehlen: Das im
Vergleich zu den beaufsichtigten Unternehmen deutlich
niedrigere Gehaltsniveau ist keine Besonderheit der Lei-
tungsebene. Die Zwänge des öffentlichen Tarif- und Be-
soldungsrechts beeinträchtigen die BaFin an ganz vielen
Stellen. Die Lehrergehälter, die sie bieten kann, sind für
erfahrene Kenner des Bank-, Versicherungs- und Bör-
senwesens wenig attraktiv.
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Wie eingangs gesagt, ist der heute behandelte Gesetz-
ntwurf nur ein erster Schritt. Die große Aufgabe, die
on BaFin und Bundesbank getragene deutsche Finanz-
arktaufsicht so zu ertüchtigen, dass sie den tatsächli-
hen Herausforderungen gewachsen ist, liegt noch vor
ns.
Hierzu heute nur wenige Anmerkungen. In der durch
ie US-Hypothekenkrise ausgelösten Erschütterungen
er Finanzmärkte hat sich das Rüstzeug von Bundesbank
nd BaFin als ebenso unzulänglich erwiesen wie das der
inanzaufsichtsbehörden aller übrigen Länder.
Nörgeldebatten über Zuständigkeitsverteilungen zwi-
chen Bundesbank und BaFin sind überflüssig. Die Bun-
esbank ist schon seit langem an der Bankenaufsicht be-
eiligt. Die laufende Überwachung der Kreditinstitute
bliegt ihr. So bestimmt es § 7 des Kreditwesengesetzes,
er die Zusammenarbeit von Bundesbank und BaFin re-
elt. Im Detail wird diese Zusammenarbeit zu verbes-
ern sein, und beide Instrumente sind zu erweitern, aber
ie organisatorische Grundstruktur, insbesondere die Er-
ichtung der Allfinanzaufsicht hat sich bewährt. Verbes-
ert werden müssen vor allem die Fähigkeiten zur Früh-
rkennung und Frühwarnung.
Im Übrigen gilt: Finanzmarktstabilität beginnt mit der
igenverantwortlichen Risikokontrolle durch die Kredit-
nstitute selbst. Dies ist eine Kernaufgabe von Vorstän-
en und Aufsichtsräten und – nicht zu vergessen –, der
on den Gesellschaften für teures Geld beauftragten
irtschaftsprüfer.
Frank Schäffler (FDP): Der vorliegende Entwurf ei-
es Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetzes ist nur ein
alber Gesetzentwurf. Er befasst sich mit der Reform der
eitungsstruktur der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
ungsaufsicht, BaFin, die Reform der Bankenaufsicht
lammert er aus. Dies geschieht deshalb, weil Sie sich
nnerhalb der Koalition nicht einig sind, wie die Banken-
ufsicht künftig aussehen soll.
Eine Schwächung der Rolle der Bundesbank, wie sie
m ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehen war,
st jedenfalls mit der FDP nicht zu machen. In dem Refe-
entenentwurf des Bundesfinanzministeriums, der das
abinett nicht erreichte, hieß es – daran möchte ich noch
al erinnern –: „Die Änderung bedeutet eine Klarstel-
ung hinsichtlich des Umfangs der Rechts- und Fachauf-
icht des Bundesministeriums der Finanzen.“ Mit die-
em Satz wurde lapidar begründet, dass die Rechts- und
achaufsicht des Bundesfinanzministeriums auf die
undesbank ausgedehnt werden sollte. Diese soge-
annte Klarstellung bedeutete jedoch eine weitgehende
ateriell-rechtliche Änderung, die wir sowohl aus recht-
ichen als auch aus politischen Erwägungen ablehnen. Es
rhob sich nach Bekanntwerden des Referentenentwurfs
ann auch ein Sturm der Entrüstung.
Dass die Unterstellung der Bundesbank unter die
echts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums
ich nicht im vorliegenden Gesetzentwurf wiederfindet,
at jedoch rein formale Gründe. Ob sie daran inhaltlich
esthält, ließ die Bundesregierung in der Antwort auf
13298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vor zwei Wochen
offen und verwies darauf, dass sie derzeit noch prüfe,
wie die Bankenaufsicht modernisiert werden könne.
Die aktuellen Auswirkungen der Hypothekenkrise in
den USA auf den deutschen Bankenmarkt zeigen gerade,
wie wichtig eine starke Bundesbank ist, die gleichzeitig
die Geldwertstabilität und die Bankenaufsicht im Blick
hat. In den USA war es gerade die Verknüpfung von bil-
ligem Geld und einer riskanten Kreditvergabe, die das
Ausmaß der Hypothekenkrise herbeigeführt hat. Des-
halb ist es für die FDP-Fraktion ein zentraler Punkt bei
der Reform der Bankenaufsicht, dass die Bundesbank,
die ja ausweislich des DIW-Gutachtens eine hohe Wert-
schätzung bei den Kreditinstituten genießt, nicht ge-
schwächt wird. Im Gegenteil läuft ja die öffentliche Dis-
kussion, wenn wir auf unser Nachbarland Österreich
schauen oder auch in das in der letzten Woche vorge-
legte Gutachten des Sachverständigenrates, eher dahin,
die Bundesbank bei der Bankenaufsicht zu stärken.
Der vorliegende Gesetzentwurf reagiert nicht auf
diese Diskussion, das konnte er auch gar nicht, sondern
er reagiert nur auf die internen Betrugsfälle bei der
BaFin. Die Konsequenz, die Sie seitens der Koalition
daraus ziehen, ist die Entmachtung des BaFin-Präsiden-
ten Jochen Sanio.
Neben dem Verhältnis zwischen Bundesbank und
BaFin gibt es weitere zentrale Fragen, die Sie weder im
vorliegenden Gesetzentwurf noch im ursprünglichen Re-
ferentenentwurf angesprochen haben: Wie soll die Fi-
nanzierung der aufsichtsfremden Aufgaben der BaFin
künftig aussehen? Wie soll die Staatshaftung geregelt
werden? Und die wichtigste Frage, die sich aufgrund der
Hypothekenkrise stellt: Wie kann die Bankenaufsicht
sich auf die wirklichen Risiken konzentrieren und
gleichzeitig unnötige Bürokratie abgebaut werden?
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): „Ein starker Finanz-
platz erfordert eine starke Aufsicht.“ So lautet die Pro-
blemanalyse zu Beginn des vorliegenden Gesetzesent-
wurfs. Ja, genau, herzlich gern! Dann tun Sie aber bitte
auch was zur Stärkung der Finanzaufsicht, verehrte Kol-
leginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen. An-
ders als viele andere Gesetzentwürfe der Koalition leidet
der vorliegende Entwurf nicht daran, dass er in die fal-
sche Richtung geht, sondern daran, dass er gar keinen
Schritt tut. Von Ihrem großspurig zur Verbesserung der
Finanzdienstleistungsaufsicht und des Zusammenspiels
von Bundesbank und BaFin angekündigten Gesetz ist
letztlich nicht mehr übrig geblieben als die Schaffung ei-
nes zusätzlichen Direktoriums für die BaFin. Ein solches
Direktorium ist für sich aber nur so viel wert, wie es
konkrete Instrumente an die Hand bekommt, um die Fi-
nanzmärkte auch zu beaufsichtigen und wirksam zu kon-
trollieren. Mit Ihrem Entwurf fallen Sie selbst hinter die
ohnehin sehr bescheidenen Reformziele des entspre-
chenden Eckpunktepapiers des Bundesfinanzministers
zurück, der seinerseits nicht gerade für drakonische Fi-
nanzmarktregulierung bekannt ist. Die Fachwelt ist sich
einig, dass die Folgen und Risiken der aktuellen Hypo-
thekenkrise für die Konjunktur noch nicht seriös abge-
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chätzt werden können. Aber statt als Lehre daraus die
ffensichtlich mangelhafte Regulierung zum Beispiel von
weckgesellschaften – Stichwort IKB und Sachsen LB –
nzugehen, schieben Sie die nötigen Schritte auf die
ange Bank. Zum jetzigen Zeitpunkt nicht wenigstens
larzustellen, wie die Kontrollkompetenzen zwischen
undesbank und BaFin abgegrenzt werden, erhöht die
nsicherheit auf den Finanzmärkten. Dieser Gesetzent-
urf leistet damit nicht nur keine Stärkung der Finanz-
ufsicht, er schwächt sie sogar noch.
Als Linksfraktion würden wir zweifellos die Bundes-
nstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht lieber gestärkt
ehen als die Bundesbank, aber keine von beiden zu stär-
en ist die schlechteste aller möglichen Entscheidungen.
er vorliegende Gesetzentwurf leistet daher nur eins: Im
aufe zukünftiger Finanzkrisen wird es neben dem Prä-
identen oder der Präsidentin der BaFin zusätzlich vier
xekutivdirektoren geben, die sich gegenseitig die Ver-
ntwortung zuschieben können. Das ist quasi die Schaf-
ung von Sündenböcken auf Vorrat, ohne die Sünde
elbst begrenzen zu wollen. Denn wirksame Instrumente
ur Verhinderung der Krisen werden der BaFin, wie ge-
agt, nicht mit auf den Weg gegeben. Als Linksfraktion
achen wir gerne konkrete Vorschläge in dieser Hin-
icht. So sollten zum Beispiel die Banken auch die noch
icht gezogenen Kreditlinien an Zweckgesellschaften
ransparent machen müssen und die Kredite selbst we-
en des hohen Risikos mit mehr Eigenkapital unterlegen
üssen. Des Weiteren müssen die Zweckgesellschaften
elbst, wie die Banken, Eigenkapitalunterlegungsvor-
chriften unterworfen werden. Nur dadurch ist die un-
ögliche Situation zu beenden, dass Banken ihre riskan-
en Kredite einfach in Zweckgesellschaften auslagern
nd damit ihre Bilanzen schönen.
Es werden aber nicht nur die richtigen Spielregeln ge-
raucht, sie müssen auch umgesetzt werden. Das erfor-
ert eine starke und kompetente demokratische Aufsicht.
nsbesondere durch den Verwaltungsrat der BaFin, in
em auch fünf Abgeordnete dieses Hauses vertreten
ind, ist eine parlamentarische Kontrolle der Aufsicht
ngelegt. Das ist im Fall der Bundesbank leider nicht so.
uch wenn leider weder unsere Fraktion noch die Frak-
ion Bündnis 90/Die Grünen personell bei der Besetzung
es BaFin-Verwaltungsrats zum Zuge kamen, so plädie-
en wir dennoch gerade wegen der parlamentarischen
ontrolle dafür, die Aufsichtskompetenzen der BaFin
nd nicht der Bundesbank auszubauen. Aber leider kön-
en wir uns hier nicht einmal darüber streiten, denn,
iebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktio-
en, Sie stärken – traurig genug, dass Ihnen die Links-
raktion das sagen muss – nicht einmal die Bundesbank.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
as Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz soll einer
erbesserung der Finanzaufsicht dienen. Dazu soll zu-
ächst die Führungsebene der Bundesanstalt für Finanz-
ienstleistungsaufsicht (BaFin) neu strukturiert werden.
nhaltliche Änderungen, die etwa das Zusammenspiel
on BaFin und Bundesbank bei der Bankenaufsicht be-
reffen, hat die Bundesregierung frühestens für Anfang
008 in Aussicht gestellt. Während wir das Ziel einer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007 13299
(A) )
(B) )
effektiven Arbeit der BaFin unterstützen und auch
Reformbedarf sehen, lehnen wir den von der Bundesre-
gierung gewählten Weg entschieden ab. Die Bundesre-
gierung macht den zweiten Schritt vor dem ersten. An-
statt zuerst politische Ziele einer effektiven und
verbraucherorientierten Allfinanzaufsicht festzulegen,
beschäftigt sie sich mit der formalen Leitungsstruktur
der BaFin.
Unter Aufgabe des Präsidialmodells soll die Füh-
rungsebene der BaFin verbreitert werden. Die Leitung
der BaFin, die bisher ausschließlich dem Präsidenten ob-
lag, nimmt nunmehr ein fünfköpfiges Direktorium wahr,
dem der Präsident angehört. Neben den bisherigen Di-
rektoren für die Geschäftsbereiche Wertpapier-, Versi-
cherungs- sowie Bankenaufsicht wird zudem ein weite-
rer Posten für den Bereich der Grundsatzfragen und
Angelegenheiten innerer Verwaltung geschaffen. Ent-
scheidungen werden dann von diesem Gremium mit ein-
facher Mehrheit beschlossen. Das Organisationsstatut
des Direktoriums muss sogar einstimmig beschlossen
werden.
Diese Neuorganisation der Leitungsstruktur findet aus
mehreren Gründen nicht unsere Zustimmung. Zunächst
ist die Reorganisation der Führung kontraproduktiv. Der
BaFin-Präsident würde durch eine solche Umstrukturie-
rung nicht entlastet, sondern geschwächt. Gerade die
noch andauernde Finanzmarktkrise hat vor Augen ge-
führt, wie bedeutsam es ist, dass die Beaufsichtigten eine
zentrale Ansprechperson bei der BaFin haben, die mit
den Befugnissen ausgestattet ist, flexibel und zügig zu
handeln. Eine Mehrheitsentscheidung durch ein Direkto-
renmodell trägt nicht zu einer effektiveren Handlungs-
weise bei. Das Krisenmanagement der BaFin hat sich bei
den Turbulenzen durch US-Subprime-Kreditderivate be-
währt. Die Fehler des Aufsichtssystems liegen an ande-
rer Stelle. Sie betreffen insbesondere die Aufgabenver-
teilung zwischen Bundesbank und BaFin sowie das
materielle Aufsichtsrecht.
Die Notwendigkeit für ein Direktorium wird auch mit
der Komplexität der jeweiligen Geschäftsbereiche be-
gründet, deren Gesamtführung eine einzelne Person
überfordere. Dass die Aufsicht über den Versicherungs-,
den Wertpapier- und den Bankensektor anspruchsvoll ist
und sich in einer Zeit moderner Finanzinstrumente zu-
nehmend verkompliziert, ist nicht in Abrede zu stellen.
Diese Bereiche wurden aber bisher von den Direktoren
erfolgreich gemanagt. Sollte also das vorliegende Mo-
dell der Exekutivdirektoren unter Erweiterung um einen
Bereich der inneren Verwaltung eher dem Untreuefall
und der Bestechlichkeit eines BaFin-Mitarbeiters ge-
schuldet sein? Damit würden Fragen der effektiven Lei-
tung der BaFin mit Aspekten der internen Kontrolle ver-
mengt. Um der internen Ungereimtheiten Herr zu
werden, genügt jedoch die Einrichtung einer Compliance-
Abteilung. Eine solche Maßnahme kann durch simple
Abänderung der Geschäftsordnung der BaFin erfolgen.
Dafür ist kein neues Leitungsmodell erforderlich.
Des Weiteren verwässert der vorliegende Gesetzes-
entwurf die Idee einer integrierten Finanzmarktaufsicht.
Eine Trennung zwischen Wertpapier-, Versicherungs-
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nd Bankenaufsicht ist anachronistisch. Daher wurde
it der BaFin eine Allfinanzaufsicht geschaffen. Wenn
unmehr Vertreter der einzelnen Aufsichtsbereiche bei
er Leitung der BaFin eine stärkere Rolle einnehmen
ollen, dann ist das ein Rückschritt. Damit würde eine
igenständigkeit der jeweiligen Geschäftsbereiche be-
ont und dem Prinzip entgegengewirkt, die Bereiche
urch zunehmende Querschnittsabteilungen zu verzah-
en.
Sollte eine Reform der Leitungsstruktur schließlich
azu dienen, die Macht des Präsidenten durch die Ein-
indung in ein Direktorium bewusst zu begrenzen, so
eht die Maßnahme unnötig auf Kosten einer effektiven
eitung der BaFin. Hat man denn in der Krise, die wir
erzeit an den Finanzmärkten erleben, wirklich nichts
esseres zu tun, als den Leiter der Finanzaufsicht zu
chwächen? Besser wäre es, die Kontrolle des BaFin-
räsidenten über den Verwaltungsrat sowie über das Par-
ament und damit die Öffentlichkeit zu stärken. Zudem
üssten die Personalstruktur, die Qualifikation der Mit-
rbeiter sowie ihre Bezahlung und die Ausstattung der
aFin verbessert werden. Nur so kann sie ihren Aufga-
en auch tatsächlich gerecht werden. Des Weiteren ist
er Verwaltungsrat der BaFin zu verkleinern und mit un-
bhängigen Experten zu besetzen.
Das Aufsichtsmodernisierungsgesetz, das Sie heute
orlegen, würde dem Finanzplatz Deutschland mehr
chaden als nützen. Das Präsidialsystem hat sich be-
ährt. Umstrukturierungen bei der BaFin müssen, wenn
berhaupt, in einem einheitlichen Gesetzesvorhaben mit
ateriellen Änderungen bei der Bankenaufsicht festge-
egt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf
äumt die Bundesregierung das Pferd von hinten auf.
nlage 25
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Wertvolle Compu-
terspiele fördern, Medienkompetenz stärken
(Zusatztagesordnungspunkt 6)
Dorothee Bär (CDU/CSU): Wir diskutieren heute in
rster Lesung unseren Antrag – den Antrag der Regie-
ungskoalition – zu Computerspielen. Uns kommt es
arauf an, wertvolle Computerspiele zu fördern und Me-
ienkompetenz zu stärken. Eine Diskussion, die nur
chwarz-weiß malt, bringt uns nicht weiter. Ein Verbot
on sogenannten Killerspielen auch nicht. Wir müssen
ifferenziert vorgehen.
Unser Antrag spricht gezielt verschiedene betroffene
essorts an: besonders das Bundesbildungsministerium
it dem Thema „Medienkompetenz stärken“, das Bun-
eswirtschaftsministerium mit dem Thema „Wertvolle
omputerspiele fördern“ und natürlich den Kulturstaats-
inister mit dem Thema „Computerspiele als Kultur-
ut“.
Bereich Medienkompetenz: Als allererstes müssen
ir Eltern ansprechen. Ihre Aufgabe ist es, den Umgang
it Medien zu lehren und ihn vor allem auch zu überwa-
13300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
(A) )
(B) )
chen. Das „Abstellen“ von Kindern vor dem Computer
ist mindestens so schädlich wie das „Abstellen“ von
Kindern vor dem Fernseher. Weder Fernseher noch
Computer dürfen Ersatzkindermädchen sein. Als nächs-
tes sind die Lehrer und Erzieher gefordert. Mit dem Pro-
gramm „Schulen ans Netz“ hat das Bundesbildungsmi-
nisterium von Beginn der Initiative 1996 bis 2001 alle
Schulen ans Netz gebracht. Bis 1996 waren lediglich
800 von 34 000 Schulen am Netz. So erlernen unsere
Kinder bereits frühzeitig den Umgang mit dem Compu-
ter und Internet. Das reicht aber noch nicht. Es ist zu
überlegen, inwieweit die Erzieher- und Lehrerausbil-
dung angepasst werden kann und inwieweit die Lehr-
pläne den Umgang mit Computern berücksichtigen. Das
ist sicherlich vorrangig eine Länderaufgabe. So wollen
wir die Medienkompetenz von Kindern und Jugendli-
chen, aber auch von Erziehern und Lehrern verbessern.
Bereich Wirtschaft: Die Herstellung und Entwicklung
von Computerspielen in Deutschland nimmt inzwischen
einen nicht unerheblichen Platz im deutschen Markt ein.
Der Umsatz in diesem Bereich liegt in Deutschland auf
ähnlich hohem Niveau wie der von Musik- oder Filmin-
dustrie. Computerspiele sind ein Wirtschaftsgut gewor-
den. Momentan werden von den in Deutschland gekauf-
ten PC-Spielen aber nur zehn Prozent auch tatsächlich in
Deutschland entwickelt. Andere Staaten wie Frankreich,
Kanada, Korea oder die skandinavischen Staaten fördern
Computerspiele bereits mit kulturellen oder wirtschaftli-
chen Instrumenten.
Deutschland gehört also international zu den umsatz-
stärksten Ländern für Computerspiele, aber nur wenige
Produkte des internationalen Marktes haben auch ihren
Ursprung in Deutschland. Das ist nicht nur wirtschaft-
lich ein großer Nachteil. Auch aus kultureller Sicht und
die Qualität der Spiele betreffend, kann das nicht in un-
serem Interesse sein. So geben wir Einflussmöglichkei-
ten aus der Hand, aber auch einen Teil kultureller Ent-
wicklung. Wir können nicht so tun, als wäre die Gruppe
der Menschen, die Computerspiele spielen, eine kleine
Gruppe. Die Begeisterung für Computerspiele zieht sich
durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten. Ein Ver-
bot ist auch aus diesem Grund nicht zu rechtfertigen,
weil wir viele erwachsene Menschen damit bevormun-
den würden, die selbst entscheiden können, welche
Spiele sie für vertretbar halten und welche nicht.
Computerspielepreis: Um die Entwicklung und Her-
stellung von Computerspielen in Deutschland zu för-
dern, wollen wir künftig einen Computerspielepreis aus-
loben. Dieser soll kulturell und pädagogisch wertvolle
Computerspiele auszeichnen, die in Deutschland produ-
ziert werden. Dies fördert zum einen die Hersteller und
Entwickler von Computerspielen und gibt zum anderen
Käufern einen Hinweis, welche Spiele besonders gut er-
arbeitet wurden. Mit diesen vielen verschiedenen Maß-
nahmen, die unterschiedliche Bereiche und Ressorts be-
treffen, wollen wir erreichen, dass die emotionale
Diskussion über Computerspiele endlich etwas sachli-
cher wird und uns nicht weiter den Weg für neue Ent-
wicklungen und Chancen verstellt.
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Monika Griefahn (SPD): Ich habe in den letzten
onaten an vielen Debatten und Gesprächen zum
hema Computerspiele teilgenommen. Dabei ist mir
ufgefallen, dass es immer wieder um zwei Seiten geht,
ie sich oft unvereinbar gegenüberstehen. Auf der einen
eite ist die besorgte Perspektive, die völlig berechtigt
en Schutz von Kindern und Jugendlichen im Auge hat.
uf der anderen Seite ist die euphorische Seite, die die
ielfältigen Chancen und das große Potenzial von Com-
uterspielen in den Vordergrund stellt. Diese beiden
erspektiven prallen oft unvereinbar aufeinander.
Ich denke: Das muss nicht sein. Wenn wir versuchen,
achlich auf das Thema Computerspiele zu blicken, kön-
en wir beide Seiten angemessen berücksichtigen. Dann
önnen wir zu einem effektiven und sicheren Kinder-
nd Jugendschutz kommen und gleichzeitig Computer-
piele als kulturell und wirtschaftlich wichtige Zukunfts-
echnologie nach vorne bringen.
Zu dem Thema Kinder- und Jugendschutz möchte ich
n dieser Stelle weniger sagen, da es heute ja um einen
ntrag aus medien- und kulturpolitischer Sicht geht. Nur
o viel: Beim Thema Jugendschutz sind wir zusammen
it anderen Kolleginnen und Kollegen bereits im Ge-
präch nach der Evaluierung des Hans-Bredow-Instituts.
lar ist bereits jetzt, dass wir ganz besonders beim Voll-
ug der bestehenden Gesetze vorankommen müssen.
och hierüber werden wir in den nächsten Monaten si-
her noch viel diskutieren.
Heute sprechen wir über einen durchweg positiven
nlass. Zusammen mit meinem Kollegen Jörg Tauss
abe ich in den letzten Monaten zahlreiche Gespräche
eführt und freue mich, dass nun unsere Initiative für ei-
en Computerspielepreis in Deutschland daraus hervor-
ehen kann. Schon ab dem nächsten Jahr soll es einen
reis geben, mit dem qualitativ hochwertige sowie kul-
urell und pädagogisch wertvolle Computerspiele ausge-
eichnet und gefördert werden können.
Warum braucht es so einen Preis? Es gibt mindestens
wei Antworten auf diese Frage: Einerseits aus kulturel-
er, andererseits aus wirtschaftlicher Sicht. Computer-
piele und andere interaktive Unterhaltungsmedien wer-
en eben nicht nur wirtschaftlich und technologisch,
ondern auch kulturell und gesellschaftlich immer wich-
iger. Wir können inzwischen von einer sehr vitalen
pielekultur sprechen. Die Nutzer sind dabei längst nicht
ehr nur ein paar Sonderlinge, die allein vor ihrem
omputer hocken. Stattdessen gibt es inzwischen immer
ehr Spielerinnen und Spieler aus allen Bevölkerungs-
ruppen – und das unabhängig vom Alter. Mit Inhalten,
ie ganz oft an die aktuellen Themen unserer Kultur ge-
nüpft sind, werden Computerspiele damit zu einem be-
eutenden Bestandteil des kulturellen Lebens unseres
andes.
In einer Studie der Münchner Medientage ist gerade
erausgekommen, dass in diesem Jahr die Ausgaben für
omputerspiele erstmals die Ausgaben für Musik schla-
en. 1,7 Milliarden Euro geben Spielerinnen und Spieler
n Deutschland dafür aus und damit 100 Millionen mehr
ls für Musik. Ähnlich sieht es aus, wenn wir Computer-
piele mit dem Filmmarkt vergleichen. Ich glaube, das
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macht schnell die große wirtschaftliche, besser noch die
kulturwirtschaftliche Bedeutung klar.
Leider muss man aber auch feststellen, dass weniger
als 10 Prozent aller in Deutschland gekauften Spiele
auch hier produziert sind. Das ist schade; denn so bleibt
eine kulturelle und wirtschaftliche Chance ungenutzt.
Ein Förderpreis, der der Branche wichtige Anreize gibt,
kann hier sehr positiv wirken, damit deutsche Entwick-
lerstudios mehr gute Spiele produzieren und möglichst
bald den Anschluss an den internationalen Markt finden
können. Genau wie das beim Film seit einigen Jahren
wunderbar funktioniert, können wir so erreichen, dass
mehr Spiele mit Inhalten unserer Kultur Verbreitung fin-
den und gespielt werden.
Wir fordern die Bundesregierung mit unserem Antrag
auf, einen Preis zu schaffen, der kulturelle wie kultur-
wirtschaftliche Zeichen setzt. Gerade in Deutschland
werden ja in erster Linie Spiele hergestellt, die Katego-
rien wie Strategie, Sport oder Wissen zuzuordnen sind.
Ich denke da an Fußball- und Sportspiele oder auch Wis-
sentests. Gewaltspiele kommen zuallererst aus anderen
Ländern, und deswegen ist es gut, wenn wir mit einem
Preis die Produktion von kulturell und pädagogisch
wertvollen Spielen fördern. Dabei wollen wir, dass die
Preisgelder nur für neue Spielkonzepte ausgezahlt wer-
den, so wie das auch beim Deutschen Filmpreis gehand-
habt wird. Damit hat der Preis zusätzlich einen positiven
Einfluss auf das zukünftige Angebot von Computerspie-
len in Deutschland.
Die Signalwirkung der Preise ist ein zentraler Ge-
danke unserer Initiative. Das ist im Sinne der Stärkung
von Medienkompetenz, was für uns besonders im Vor-
dergrund steht. Mit Verboten macht man Dinge beson-
ders schnell besonders interessant. Wenn wir wirklich et-
was für den besseren und verantwortungsbewussteren
Umgang mit Medien tun wollen, dann müssen wir ge-
rade bei der Medienkompetenz ansetzen. Dafür braucht
es zwar oft einen längeren Atem, als ein weiteres Verbot
aus der Taufe zu heben, aber dafür wirken solche Maß-
nahmen auch wirklich nachhaltig. Mit unserem Preis
schaffen wir genau das: Wir zeigen positive Beispiele,
die nicht nur ungefährlich, sondern vor allem gut ge-
macht und kulturell sowie pädagogisch wertvoll sind,
und geben damit positive Kaufempfehlungen.
Die Branchenverbände BIU, GAME und BITKOM
haben uns für die Realisierung dieses Preises ihre Mit-
wirkung zugesagt. Darüber freue ich mich; denn ihre
Mitarbeit und besonders auch ihre finanzielle Unterstüt-
zung sind wichtig, damit ein nicht nur beim Publikum,
sondern auch in der Branche anerkannter und damit
möglichst wirksamer Preis entsteht.
Ich möchte mich zum Schluss bedanken, zunächst bei
meinem Kollegen Jörg Tauss, auf dessen besondere
Kenntnis der neuen Medien und ihrer Szene man sich
immer verlassen kann. Ich bedanke mich auch bei mei-
ner Berichterstatterkollegin Frau Dorothee Bär. Ich
hoffe, Sie werden in der CSU und in Bayern auch wei-
terhin für ein ausgewogenes Bild in Bezug auf Compu-
terspiele werben. Und ich danke allen Mitarbeitern, die
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it ihrer Arbeit dieses Vorhaben mit realisiert haben und
anz besonders meinem Mitarbeiter Felix Falk.
Ich wünsche dem Bundeskulturstaatsminister und den
eteiligten Verbänden ein gutes Händchen bei der kon-
reten und möglichst schnellen Ausgestaltung des Prei-
es und freue mich schon jetzt auf die erste Preisvergabe
m nächsten Jahr.
Christoph Waitz (FDP): Die Computerspieleindus-
rie hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem Schwerge-
icht des Unterhaltungssektors entwickelt. Nach Bran-
henangaben ist die Computer- und Videospieleindustrie
er am stärksten wachsende Zweig der Medienwirt-
chaft. Der Umsatz übersteigt die Einnahmen der Film-
irtschaft an den Kinokassen. Allein 2006 stiegen die
innahmen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr
m sieben Prozent auf 1,12 Milliarden Euro. Das in
eipzig alljährlich stattfindende Aushängeschild der In-
ustrie, die Messe Games Convention, wurde in diesem
ahr von insgesamt 185 000 Interessierten besucht. 501
ationale und internationale Aussteller gaben der Öffent-
ichkeit die Möglichkeit, die neuesten Spiele und An-
endungen zu testen. Die Games Convention hat sich
amit als die europäische Leitmesse für Computer- und
ideospiele etabliert.
Neue Entwicklungen, die die meisten Kollegen auch
ier im Bundestag noch nie wahrgenommen haben dürf-
en, begeistern immer mehr Menschen. Ein Beispiel
ierfür ist der sogenannte E-Sport. Computerspiele wer-
en in Ligen, die mit den Sportligen in der realen Welt
urchaus vergleichbar sind, gespielt. Hohe Preis- und
ponsorengelder ermöglichen den besten Spielern, ihren
ebensunterhalt mit dem Spielen zu verdienen. Live-Be-
ichterstattungen, die über das Internet verbreitet wer-
en, begeistern Hunderttausende Fans. Diese Entwick-
ung wäre ohne die Unterhaltungssoftwareindustrie und
ie Begeisterung der Menschen über die angebotenen
piele nicht möglich gewesen. Deswegen freut es mich,
ass wir endlich auch im Deutschen Bundestag ein Me-
ienphänomen diskutieren, das längst in unserer Gesell-
chaft etabliert ist und gerade jüngere Menschen in sei-
en Bann zieht. Und es freut mich, dass endlich auch die
roße Koalition erkannt hat, welche bedeutende Rolle
omputerspiele inzwischen für die Mediennutzung der
ürgerinnen und Bürger eingenommen haben. Compu-
er- und Videospiele sind ein bedeutender Wirtschafts-
aktor, wie die Zahlen eindrucksvoll belegen. Ich finde,
er vorgelegte Antrag bietet eine gute Gelegenheit, auch
ier im Deutschen Bundestag auszusprechen, dass die
ntwickler von Unterhaltungssoftware – auch als Wirt-
chaftsfaktor in Deutschland – endlich ernst zu nehmen
ind.
Allen die meinen, hier sprächen wir über die soge-
annten Killerspiele sage ich an dieser Stelle klar, dass
ie Spieleindustrie überwiegend andere Softwarepro-
ukte herstellt. Es handelt sich um Simulationspro-
ramme, Gedächtnistrainer, Strategiespiele, Sportpro-
ramme und viele andere Programme. Killerspiele oder
goshooter machen nur circa 4 Prozent des Marktes aus.
iese werden, so hat es auch das Hans-Bredow-Institut
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in der Evaluation des Jugendmedienschutzes kürzlich
festgestellt, intensiv durch Sachverständige geprüft und
für bestimmte Altersgruppen freigegeben. Bei allen An-
sätzen, das Verfahren des Jugendmedienschutzes weiter
im Detail zu verbessern, wird unserem Jugendmedien-
schutz durch das Gutachten ein gutes Zeugnis ausge-
stellt.
Neben dem Unterhaltungswert, den uns Computer-
spiele bieten, hängen immer mehr Arbeitsplätze direkt
oder indirekt von der Entwicklung dieser Spiele ab. Dies
führt der Antrag von CDU/CSU und SPD richtigerweise
aus. Ein Spiel wird heute oft von mehr als 100 Menschen
entwickelt. Das Computerspiel muss konzipiert, entwi-
ckelt und programmiert werden. Hinzu kommen Texte,
Bilder und Musik. Ausgereifte Plots geben Spielen den
Charakter eines Spielfilms, der selbst durchlebt und be-
einflusst werden kann. Spiele gehören daher in die Mitte
unserer Gesellschaft. So wie wir heute ganz selbstver-
ständlich Comics, Film und Video als Kulturgüter wahr-
nehmen, so müssen wir auch Unterhaltungssoftware als
kulturelle Werke ansehen. Zudem können Spiele die Ei-
genschaft eines Kulturgutes mit einer pädagogischen
Komponente verbinden, sodass Kinder und Jugendliche
durch das Spiel ganz nebenbei den Umgang mit neuen
Medien erlernen.
Bei aller Bedeutung des Themas, was mich wundert,
ist die erklärungsbedürftige Dynamik, mit der der An-
trag durch die CDU/CSU- und SPD-Fraktion einge-
bracht worden ist. Diese Eile ist nicht hilfreich für eine
ausgewogene Diskussion. Ein Antrag, der Mittwoch ein-
gebracht wird, soll schon am Donnerstag mit der gebo-
tenen Ernsthaftigkeit besprochen werden. Dieses Vorge-
hen wird der Wichtigkeit des Themas Computerspiele
nicht gerecht. Ich vertraue darauf, dass der Antrag noch
ausführlich im Kulturausschuss diskutiert wird und auch
Kulturstaatsminister Bernd Neumann noch einmal seine
im Antrag erwähnten „Überlegungen zur Förderung von
qualitativ hochwertigen interaktiven Unterhaltungsme-
dien wie Computer- und Videospiele“ ausführlich erläu-
tert. Der Antrag selbst scheint mir – bei aller Sympathie –
zumindest mit warmer Nadel gestrickt worden zu sein.
Die Forderungen überzeugen durch ein gepflegtes
Durcheinander, frei nach dem Motto: Eine Maßnahme
wird jemandem schon zugute kommen. Ich vermisse ei-
nen roten Faden, eine klare Linie, wie die Förderung der
Spieleentwickler schnell, unbürokratisch und vor allem
verständlich vonstattengehen könnte.
Auch auf finanzieller Ebene gibt es noch Klärungsbe-
darf. Insbesondere die Forderung nach einer Förderung
aus dem Topf des EU-Programms Media 2007 scheint
zumindest in seiner Grundsätzlichkeit überholt zu sein.
Schon jetzt stehen 1,5 Millionen Euro dieses Programms
für die Förderung der Spieleentwickler zur Verfügung.
Das ist zugegebenermaßen nicht viel Geld, da es mit den
anderen 26 Mitgliedstaaten geteilt werden muss. Inwie-
weit das bereits beschlossene Media-2007-Programm
noch einmal aufgeschnürt und die europäischen Partner
überzeugt werden können, mehr Geld für die Unterhal-
tungssoftwareförderung bereitzustellen, bleibt aber ab-
zuwarten. Wahrscheinlich ist, dass erst 2013 erneut Ein-
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luss auf die finanzielle Ausstattung des Programms
enommen werden kann.
Ich denke, wir sollten nicht nur auf die europäische
bene hoffen und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag war-
en, wenn wir hier und heute auf nationaler Ebene bereits
lles erreichen können. Ich freue mich auf die weitere
iskussion.
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Im Antrag der
oalition wird zutreffend festgestellt, dass Computer-
piele eine hohe kulturelle und wirtschaftliche Bedeu-
ung haben. Es ist grundsätzlich richtig, diese Entwick-
ung weiter zu fördern. Auch die Schaffung zusätzlicher
nreize wie zum Beispiel die Auslobung eines „Deut-
chen Computerspielpreises“ kann richtig sein.
Allerdings werden wichtige Probleme verkannt und
o stößt die momentane Konzeption auf meine Beden-
en. Warum? Nun, Medienförderungsmodelle nach dem
uster der gegenwärtig praktizierten Filmförderung
ehnt Die Linke ab. Das Beispiel dieser Medienförde-
ungsmodelle zeigt, dass eine Förderung nach künstleri-
chen Kriterien heute kaum noch stattfindet. Es zeigt
um einen, dass die Förderung immer mehr den bereits
rfolgreichen zugutekommt. Zum anderen ist die
ückführung öffentlicher Förderungsgelder bei markt-
ängigen Filmen durch ein ausgeklügeltes System von
erleihgarantien und Rückführungsquoten oft ausge-
chlossen. Das halten wir nicht für sinnvoll.
Förderungswürdig jedoch erscheint uns die Einrich-
ung von Studiengängen für Game Design und Spiele-
ntwicklung an öffentlichen Hochschulen. Bislang sind
olche in Deutschland nur an wenigen privaten und so-
it teuren Studieneinrichtungen zu finden.
Wenn Sie sowohl erfolgreiche Computerspiele als
uch qualitativ hochwertige Produkte wollen, sollten Sie
edenken, dass die meisten international erfolgreichen
omputerspiele in das Genre der sogenannten Killer-
piele fallen. Die Linke lehnt einen prohibitiven Um-
ang mit gewalthaltigen Computerspielen ab. Wir wen-
en uns ausdrücklich gegen die immer noch vorhandene
iffamierung großer Teile der Entwicklerbranche und
underttausender von Nutzerinnen und Nutzern soge-
annter Killerspiele. Dass mir persönlich solche Killer-
piele mehr als fremd sind, will ich dabei nicht verheh-
en. Und zu einem humanistischen und solidarischen
enschenbild tragen sie mit Sicherheit nicht bei. Den-
och gilt: Die Freiheit von Kunst und Kultur ist ein ho-
es Gut.
Wenn man den Antrag der Koalition liest, dann fällt
uf, dass er auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftig-
en in der Entwicklung, der Programmierung, des De-
igns, des Testens und der Promotion von Computerspie-
en mit keinem Wort eingeht. Dabei gibt es für die
eschäftigten reichlich Probleme, auf die ich hinweisen
öchte, wie zum Beispiel: keine oder nur eine geringe
oziale Absicherung; prekäre Beschäftigung; Arbeitszei-
en von bis zu 14 Stunden täglich und keinen Freizeit-
usgleich für Überstunden.
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Die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, des Arbeits-
schutzes und ein sozial verantwortlicher Umgang mit
den Beschäftigten sind in dieser Branche seit vielen Jah-
ren außer Kraft gesetzt. Wenn Sie eine stärkere Förde-
rung der Computerspieleentwicklung wollen, müssen
Sie diese mit einer Sicherung der arbeitsrechtlichen Min-
deststandards zwingend verknüpfen.
Die Forderung nach guter Arbeit gilt auch für Ent-
wickler und Entwicklerinnen von Computerspielen. Und
darum schlage ich Ihnen vor, künftig ein Fair-Work-Sie-
gel für Computerspiele zu verleihen, also etwas wie
einen Umwelt-TÜV für Arbeitsbedingungen. Durch un-
abhängige Kontrollen und die Einrichtung einer unab-
hängigen Beschwerdehotline sollen so wenigstens die
Mindeststandards der Rechte der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer und der frei Beschäftigten gesichert
werden. Bei der Auslobung des Computerspielpreises
und als Bedingung für den Erhalt weiterer Fördermittel
muss das Siegel als entscheidendes Kriterium mit aufge-
nommen werden.
Sie haben es in Ihrem Antrag verpasst, die weitere zu-
künftige finanzielle Förderung der Branche mit einer
Verbesserung der Beschäftigungssituation zu verknüp-
fen. Das aber scheint mir außerordentlich wichtig zu
sein.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der
Koalition geschehen noch Zeichen und Wunder. Ich er-
innere mich noch lebhaft an die unsägliche Debatte um
sogenannte Killerspiele. Und nun plötzlich debattieren
wir über einen Antrag zur Förderung von Computerspie-
len. Daher hatte ich bisher immer das Gefühl, dass das
Wort „Computerspiel“ gerade in den Augen der Union
ein Unwort war.
Unser verehrter – inzwischen zum Ministerpräsiden-
ten aufgestiegener – Günter Beckstein hatte ja alle Hebel
in Gang gesetzt, um Computerspiele öffentlichkeitswirk-
sam zu diffamieren. Dabei hat er von der CDU/CSU
auch ordentlich Schützenhilfe erhalten, wenn ich das
hier so salopp sagen darf. Die Debatte war laut, aber al-
les andere als differenziert. Sein Gesetzentwurf, womit
er einen neuen Verbotsparagrafen ins Strafgesetzbuch
schreiben wollte, ist zu Recht im Bundesrat gescheitert.
Denn allen ist doch klar: Extrem gewaltverherrlichende
Spiele wollen wir nicht, aber einen „Killerspiel“-Para-
grafen brauchen wir auch nicht, denn die bestehenden
Regelungen reichen hierfür aus.
Insofern freue mich über diesen nun sehr positiven
Vorstoß. Ich kann Ihnen gleich vorweg sagen: Dieser
Antrag findet im Grundsatz unsere Unterstützung. Aber
ihm fehlt, mit Verlaub gesagt, Verständnis fürs Medium
und der Blick fürs Ganze. Denn eines wird offensicht-
lich: Sie verstehen Computerspiele noch immer nicht als
ein eigenständiges künstlerisches Medium, stattdessen
vergleichen Sie es mit dem Film. Sicherlich gibt es hier
Analogien, aber Computerspiele sind doch etwas gänz-
lich Neues, dem man sich auch mit neuen Ansätzen und
neuen ästhetischen Kategorien nähern muss.
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Wer sich ein bisschen mit Computerspielen auskennt,
ich die Branche einmal intensiv anschaut und sich auch
al mit dem Medium selbst eins zu eins auseinander-
etzt, der kann die Augen vor der Bedeutung und dem
otenzial dieses Mediums nicht mehr verschließen. Ich
bertreibe nicht, wenn ich sage, dass die grüne Bundes-
agsfraktion in dieser Frage eine Vorreiterrolle einge-
ommen hat. Schon früh haben wir uns in der „Killer-
piel“-Diskussion sehr differenziert geäußert. Und dann
ar uns klar: Wir müssen einen Schritt weiter gehen,
eg von der Verbotsdebatte hin zu der Frage: Wie gehen
ir mit Spielen richtig um, wie fördern wir solche
piele, die sich allein am Markt nicht durchsetzen kön-
en?
Offensichtlich hat sich die Koalition diese Frage nun
uch gestellt. Die Antworten allerdings reichen mir nicht
us. Richtig ist: Der Anteil deutscher Produktionen am
omputerspielmarkt ist viel zu gering. Hier muss end-
ich etwas geschehen. Denn auch darin sind wir uns ei-
ig: Die Computerspielbranche ist eine ganz entschei-
ende Zukunftsbranche. Und wir in Deutschland sollten
ier den Anschluss nicht verpassen. Die Debatten um die
reativ- und die Kulturwirtschaft haben dies deutlich
ezeigt.
So bin ich auch schon bei meinem ersten Kritikpunkt
m Antrag der Koalition. Sie benennen zwar das große
otenzial der Branche und weisen auf Infrastrukturdefi-
ite hin. Aber alles, was Ihnen zur Förderung einfällt, ist
ie großzügige Verteilung von Geldern, die die grundle-
enden Strukturprobleme nicht auflösen wird. Für einen
omputerspielpreis wollen Sie satte 300 000 Euro aus-
eben. Das ist kein Pappenstiel. Dieses Geld wäre an an-
erer Stelle deutlich besser angelegt.
Wir müssen doch vor allem den katastrophalen Nach-
uchsmangel, der in der Computerspielbranche herrscht,
ngehen. Ohne Entwickler – und Entwicklerinnen – kann
s keine Computerspiele geben. Wir brauchen Ausbil-
ungsmöglichkeiten. Warum keine neuen Ausbildungs-
änge schaffen oder gar eine Fachhochschule oder Hoch-
chule für Computerspiele, die sich dem Thema
terdisziplinär annimmt, von der Mathematik über die
sychologie bis hin zur Medienästhetik? Auch bestehende
tudiengänge müssen Computerspiele endlich als Teil ih-
es Bildungsauftrages begreifen. Besonders wünschens-
ert wäre im Übrigen auch, dass solche Studiengänge be-
onders für weibliche Studierende beworben werden – die
ranche scheint bisher noch sehr in „Männerhand“ zu
ein. All dies wären wirkliche Schritte nach vorn und ein
eutliches Signal. Einfach Fördergelder zu verteilen, wie
hr Antrag es fordert, wird nicht allzu viel bringen. Damit
topft man Löcher, aber Strukturen ändert man damit
icht.
Außerdem müssen gerade die kleinen Spieleentwick-
er gefördert werden. Hier lässt der Antrag doch einiges
u wünschen übrig. Denn klar ist doch: Es sind die klei-
en Kreativen mit innovativen Ideen, die sich aufgrund
er Kosten, die ein Prototyp verschlingt, ohne Hilfe
aum am Markt behaupten können. Von dieser „Humus-
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schicht“ lebt die Branche. Die dürfen wir doch nicht aus-
trocknen lassen! Wir sollten daher auch die Arbeitsbe-
dingungen der Kreativen verbessern helfen.
Zuletzt möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, der in
Ihrem Antrag keinerlei Rolle spielt: die kulturelle Be-
deutung von Computerspielen. Sie weisen zwar darauf
hin, dass Computerspiele zu einem „kulturell wichtigen
Einflussfaktor“ geworden sind. Seien Sie doch aber ein-
mal mutig und sagen Sie: Ja, Computerspiele sind Kul-
turgut, sie sind inzwischen fester Bestandteil unserer
Kultur wie auch Bücher, Filme oder Musik. Das ist ein
ganz anderes Selbstverständnis von Computerspielen,
von dem ich mir wünschen würde, dass es auch die Ko-
alition noch erreicht. Wir Grüne haben erst vor kurzem
hierzu einen sehr ergiebigen Runden Tisch veranstaltet.
Hier wurde deutlich, dass sich diese Frage eigentlich
kaum mehr stellt. Für die meisten Menschen, im Übrigen
auch für die Wissenschaft, sind Computerspiele längst
Kulturgut.
Eine solche Anerkennung hat jedenfalls viele span-
nende Fragen zur Folge: Wie sieht es zum Beispiel mit
der Archivierung von Spielen aus? Denn Kultur ist Spie-
gel der Zeit. Und gemeinhin will man sie für die Nach-
welt erhalten, also auch Computerspiele bewahren. Ge-
rade vor dem Hintergrund der rasanten technischen
Entwicklung in der Branche gibt es schon heute unzäh-
lige Spiele, die überhaupt nicht mehr spielbar sind. Das
ist ein wirklicher Verlust für die Nachwelt.
Ich bleibe dabei: Die positive Bewertung von Compu-
terspielen in Ihrem Antrag tragen wir mit. Ihre Schlüsse
und Forderungen aber sind uns zu halbherzig. Daher
können wir dem Antrag im Ganzen nicht zustimmen.
Ein bisschen mehr Mut, liebe Koalition, und wir sind mit
dabei.
126. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 15. November 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
Anlage 19
Anlage 20
Anlage 21
Anlage 22
Anlage 23
Anlage 24
Anlage 25