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    Plenarprotokoll 16/120 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12459 C Bundesregierung Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dringliche Frage 2 Dr. Norman Paech (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zu Gesprä- chen zwischen dem türkischen Minister- präsidenten und der US-Außenministerin über etwaige gemeinsame Aktionen des türkischen und des US-Militärs gegen Gue- Zusatzfragen Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dringliche Frage 4 Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zu der in ei- nem unter anderem von der GEW vorge- legten Bericht getroffenen Feststellung ei- nes Verstoßes der Bundesrepublik gegen den sogenannten UN-Sozialpakt bezüglich des Rechts auf Bildung Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär 12456 D 12457 A 12457 C 12457 D 12459 D Deutscher B Stenografisc 120. Si Berlin, Mittwoch, de I n h a Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde (Drucksachen 16/6743, 16/6761) . . . . . . . . . . Dringliche Frage 1 Dr. Norman Paech (DIE LINKE) Situation an der türkisch-irakischen Grenze nach dem Aufmarsch türkischer Truppen und ihre Bewertung durch die 12455 A 12456 A 12456 C rillas im Nordirak Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . 12458 A undestag her Bericht tzung n 24. Oktober 2007 l t : Zusatzfragen Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dringliche Frage 3 Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zur ange- kündigten 15-prozentigen Pauschalkür- zung der Fördersumme für die im Rahmen des sogenannten Exzellenzwettbewerbs ge- förderten Hochschulen Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär 12458 A 12458 D 12459 A BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12460 C 12460 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 Dringliche Frage 5 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gründe der Bundeskanzlerin für die The- matisierung des Projekts Zentrum gegen Vertreibung beim Festakt „50 Jahre Bund der Vertriebenen“ unmittelbar nach der Wahl in Polen und des sich dort abzeich- nenden Regierungswechsels Antwort Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dringliche Frage 6 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltliche Schwerpunkte eines von der Bundeskanzlerin angekündigten neuen Konzeptes zum Setzen eines sichtbaren Zeichens zur Erinnerung der Vertriebenen Antwort Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 1 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Etwaige Warnung der Bundeskanzlerin als Rückschritt für die Demokratie in Russ- land angesichts der zurzeit im Kreml venti- lierten Pläne bezüglich einer Kandidatur des russischen Präsidenten Putin für eine dritte Amtszeit Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12461 B 12461 C 12462 A 12462 B 12462 C 12462 D 12463 A 12463 B 12463 D 12464 A 12464 C 12464 D Mündliche Frage 2 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Beeinträchtigung der Beziehungen zur Schweiz aufgrund des von der Schweizeri- schen Volkspartei jüngst geführten Wahl- kampfes Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . Zusatzfragen Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 3 Werner Dreibus (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zu einem möglichen Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Hintergrund der Werbung der NPD im hessischen Landtagswahl- kampf mit einem von der Schweizerischen Volkspartei übernommenen und vom UN- Sonderberichterstatter Doudou Dienne als rassistisch und fremdenfeindlich eingestuf- ten „Schwarze Schafe“-Plakat Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zu den von den Stromkonzernen angekün- digten massiven Strompreiserhöhungen . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12465 A 12465 B 12465 D 12466 B 12466 D 12467 B 12467 C 12467 D 12468 A 12468 D 12470 A 12470 D 12471 D 12473 A 12473 D 12475 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 III Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sechs- ten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksache 16/6741) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit zur Vermei- dung von Langzeitarbeitslosigkeit, für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verwenden (Drucksache 16/6035) . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 12476 B 12477 A 12478 B 12479 C 12480 B 12481 C 12481 D 12481 D 12483 B 12484 C 12485 A 12487 A 12487 C 12487 D 12489 C 12491 A 12491 C 12493 C 12493 D 12494 C 12495 C 12495 D 12497 D 12498 C Tagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Pawelski, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Laurenz Meyer (Hamm), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, Monika Griefahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kulturwirtschaft als Motor für Wachstum und Beschäftigung stär- ken – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Die Kulturwirtschaft als Zukunfts- und Wachstumsbran- che in Europa stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Bedeutung der Kulturwirtschaft anerkennen und ihren Stellenwert auf Bundesebene nachhaltig fördern (Drucksachen 16/5110, 16/5101, 16/5104, 16/6742) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Steffen Kampeter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Siegmund Ehrmann, Petra Merkel (Ber- lin), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Populäre Musik als wichti- gen Bestandteil des kulturellen Lebens stärken (Drucksachen 16/5111, 16/6731) . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12498 D 12499 A 12499 B 12500 C 12502 B 12504 B 12505 C 12507 A 12508 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit Homburger, Jörg van Essen, Dr. Werner Hoyer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Drucksache 16/3342) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Stärkung der parlamentari- schen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streit- kräfte im Ausland (Parlamentsbeteili- gungsgesetz) (Drucksache 16/6646) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Prüfkrite- rien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln – Unterrichtung und Evalua- tion verbessern (Drucksache 16/6770) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortfor- 12509 A 12509 B 12510 D 12512 C 12512 D 12513 A 12513 B 12514 B 12516 A 12517 B 12518 D 12520 A schung im Geschäftsbereich des Bundesmi- nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Drucksachen 16/6124, 16/6759) . . . . . . . . . . Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU) . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Praktika gesetzlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Perspektiven für die Generation Praktikum schaffen (Drucksachen 16/3349, 16/3544, 16/6762) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Werner Dreibus, Dr. Gesine Lötzsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- ten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Berufsbil- dungsgesetzes (Drucksache 16/6629) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Jens Ackermann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Orientie- rung und verbesserte Berufsperspektiven durch Praktika schaffen (Drucksache 16/6768) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12520 D 12521 A 12522 C 12523 C 12525 A 12526 C 12526 C 12526 D 12526 D 12528 D 12530 B 12531 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 V Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Personalanpassungsgesetzes (Drucksachen 16/6123, 16/6727) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6745) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Kramer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Katrin Kunert, Petra Pau, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen (Drucksache 16/5904) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Grundgesetzes (Kommunales Ausländerwahlrecht) (Drucksache 16/6628) . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12532 C 12533 D 12534 C 12535 B 12535 B 12535 C 12536 D 12537 D 12538 D 12539 C 12540 B 12540 C 12540 C 12541 D 12542 C 12542 D 12545 A 12546 B 12548 A Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- naturschutzgesetzes (Drucksachen 16/5100, 16/6780) . . . . . . . . . . Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Jürgen Trittin, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsch-brasiliani- schen Atomvertrag durch Erneuerbare- Energien-Vertrag ersetzen (Drucksachen 16/4426, 16/6038) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung von Jugendfreiwilli- gendiensten (Drucksache 16/6519) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zu Prüfaufträgen zur Zukunft der Frei- willigendienste, Ausbau der Jugend- freiwilligendienste und der generations- übergreifenden Freiwilligendienste als zivilgesellschaftlicher Generationenver- trag für Deutschland (Drucksache 16/6145) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Jugendfreiwilligendienste in einem gemeinsamen Gesetzesrahmen zu- sammenfassen (Drucksache 16/6769) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 12549 B 12549 C 12550 B 12551 B 12552 B 12553 B 12554 A 12555 C 12555 D 12555 D 12556 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jugendfreiwilligendienste aus- bauen und Gesamtkonzeption entwickeln (Drucksache 16/6771) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Eva Bulling-Schröter, Klaus Ernst, Lutz Heilmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände- rung des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) (Drucksachen 16/3017, 16/4963) . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bodenschutzrahmen- richtlinie aktiv mitgestalten – Subsidiari- tät sichern, Verhältnismäßigkeit wahren (Drucksachen 16/4736, 16/5757) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Prä- ventionshilfe (... StrÄndG) (Drucksache 16/6268) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Cornelia Behm, Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Programm „Energiewende in Gewächs- häusern“ auflegen (Drucksachen 16/5969, 16/6725) . . . . . . . . . . 12556 A 12556 B 12556 C 12556 D 12557 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Gitta Connemann, Dr. Hans Georg Faust, Annette Widmann- Mauz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Peter Friedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Missbräuche im Bereich der Schönheitsoperationen gezielt verhin- dern – Verbraucher umfassend schützen (Drucksache 16/6779) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juli 2007 zwischen der Europäischen Union und den Vereinig- ten Staaten von Amerika über die Verarbei- tung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records – PNR) und deren Übermitt- lung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security (DHS) (PNR-Abkommen 2007) (Drucksache 16/6750) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 16/6774) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Mündliche Frage 4 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Begründung für die Ablehnung der EU- Richtlinie zur Einführung einer sogenann- ten Bluecard zur Einwanderung qualifizier- ter Fachkräfte durch die Bundesregierung Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12557 B 12557 C 12557 D 12558 C 12558 A 12559 A 12559 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 VII Anlage 3 Mündliche Frage 5 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gründe der Bundesregierung für die Wei- gerung der Weiterleitung eines Inhaft- nahmeersuchen der Münchener Staatsan- waltschaft an die USA im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Fall Khaled el- Masri Antwort Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Mündliche Frage 6 Klaus Hofbauer (CDU/CSU) Bereitstellung von Haushaltsmitteln zur Umsetzung des Dritten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR für die „Besondere Zuwendung nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsge- setzes“ Antwort Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Mündliche Frage 7 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zum Vorschlag der OECD bezüglich einer stär- keren Besteuerung der Reichen zur Entlas- tung der Arbeitseinkommen in Deutsch- land Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Mündliche Frage 8 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gründe für die Unterstützung der Nährwert- kennzeichnung der Ernährungsindustrie 12559 D 12560 B 12560 C durch Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer trotz der Zugrundelegung erhöhter Zuckerbedarfswerte Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Mündliche Frage 9 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusammenhang zwischen der marktbe- herrschenden Stellung der vier großen Stromerzeuger und den aktuellen Steige- rungen der Strompreise sowie Umsetzung des EU-Beschlusses vom März 2007 zur Entflechtung von Energieerzeugung und Netzbetrieb bei den Stromkonzernen Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Mündliche Fragen 10 und 11 Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zu den aktu- ellen Preiserhöhungen bei Strom und Erd- gas und Gründe für die Preiserhöhungen Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Mündliche Frage 13 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zahl der von der Bundeswehr seit Beginn ihres Einsatzes in Afghanistan an afghani- sche und US-amerikanische Stellen überge- benen Gefangenen sowie Zahl der in die- sem Zusammenhang durchgeführten rechtsstaatswidrigen Verfahren Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12560 D 12561 A 12562 B 12562 D VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 Anlage 10 Mündliche Frage 14 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Verleihung von Panzern der Bundeswehr an die im Süden Afghanistans stationierten Kanadischen Truppen im Rahmen eines Leasingvertrages sowie weitere Verträge zur Weitergabe von Waffen der Bundes- wehr Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Mündliche Fragen 15 und 16 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zur Forde- rung des ISAF-Generalstabschefs, Gene- ralmajor Bruno Kasdorf, nach mehr Ein- satzkräften in Afghanistan in Bezug auf die Meinungsbildung des Bundestages Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Mündliche Fragen 17 und 18 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Finanzierung des sechsstreifigen Ausbaues der A 8 zwischen München und Augsburg Antwort Karin Roth, Parl. Staatssekretärin BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Mündliche Fragen 19 und 20 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Förderkriterien des Bundes für den barrie- refreien Neu- und Umbau von Bahnhöfen der Deutschen Bahn sowie Haltung der Bundesregierung zur Kritik des Sozial- verbandes VdK an den Plänen von Bun- desverkehrsminister Wolfgang Tiefensee zur Einstellung dieser Förderung für 12563 A 12563 A 12563 C Bahnhöfe mit weniger als 1 000 Reisenden pro Tag Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Mündliche Fragen 21 und 22 Veronika Bellmann (CDU/CSU) Gründe für die fehlende Einordnung der Neubaustrecke Prag–Dresden und der Ausbaustrecke Dresden–Berlin als „priori- tär“ im Rahmen des Vorhabens Nr. 22 im Anhang III der gemeinschaftlichen Leitli- nien für den Aufbau eines transeuropäi- schen Verkehrsnetzes (TEN-V-Leitlinien); Vor- und Nachteile einer Einordnung die- ser Schienenstrecken ins EFRE-Pro- gramm anstatt in TEN-Projekte; Einsatz der Einnahmen aus der LKW-Maut für den Ausbau von Schienenwegen Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Mündliche Fragen 23 und 24 Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zum Kon- flikt zwischen der Deutschen Bahn AG und der Lokführergewerkschaft GDL Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Mündliche Fragen 25 und 26 Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präventive Maßnahmen der Bundesregie- rung zum Schutz der Bevölkerung vor der von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble öffentlich geäußerten Gefahr ei- nes Nuklearterrorismus und insbesondere zum Schutz von schwach radioaktivem Material vor Diebstahl 12564 B 12564 D 12565 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 IX Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 17 Mündliche Fragen 27 und 28 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gründe für die laut Presse bisher unzureichende Umsetzung der europäi- schen Seveso-II-Richtlinie durch Deutsch- land sowie Maßnahmen zur Abwendung einer Klage vor dem Europäischen Ge- richtshof Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 18 Mündliche Fragen 30 und 31 Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zu den For- derungen aus Reihen der nordrhein-west- fälischen SPD nach Lösungen zur Ver- meidung der Zwangsverrentung älterer ALG-II-Bezieher sowie mögliche Änderun- gen an den bestehenden Regelungen des SGB II bzw. SGB III Antwort Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Land- wirtschaft und Verbraucherschutz (Tagesord- nungspunkt 5) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Antrag: Kommunales Wahlrecht für Dritt- staatenangehörige einführen 12565 D 12566 B 12566 D 12567 A – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Kommunales Ausländer- wahlrecht) (Tagesordnungspunkt 8 a und b) Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Deutsch-brasilianischen Atomvertrag durch Erneuerbare-Energien-Vertrag ersetzen (Ta- gesordnungspunkt 10) Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten – Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zu Prüfauf- trägen zur Zukunft der Freiwilligen- dienste, Ausbau der Jugendfreiwilligen- dienste und der generationsübergreifenden Freiwilligendienste als zivilgesellschaft- licher Generationenvertrag für Deutsch- land – Antrag: Jugendfreiwilligendienste in ei- nem gemeinsamen Gesetzesrahmen zu- sammenfassen – Antrag: Jugendfreiwilligendienste aus- bauen und Gesamtkonzeption entwickeln (Tagesordnungspunkt 11 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 4 und 5) Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12567 D 12568 C 12569 A 12570 A 12570 D 12571 B 12572 D 12573 C 12575 B 12576 C 12577 B X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- rung des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) – Beschlussempfehlung und Bericht: Bo- denschutzrahmenrichtlinie aktiv mitge- stalten – Subsidiarität sichern, Verhältnis- mäßigkeit wahren (Tagesordnungspunkt 12, Zusatztagesord- nungspunkt 6) Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafzumessung bei Auf- klärungs- und Präventionshilfe (... StrÄndG) (Tagesordnungspunkt 13) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Programm „Energiewende in Gewächshäu- sern“ auflegen (Tagesordnungspunkt 14) Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 12578 B 12579 D 12581 A 12581 D 12582 B 12583 A 12584 A 12584 D 12585 D 12586 D 12587 C 12589 B 12590 A Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Missbräuche im Bereich der Schönheitsoperationen gezielt verhindern – Verbraucher umfassend schützen (Tagesord- nungspunkt 15) Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 26. Juli 2007 zwischen der Europäi- schen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggast- datensätzen (Passenger Name Records – PNR) und deren Übermittlung durch die Flug- gesellschaften an das United States Depart- ment of Homeland Security (DHS) (PNR-Ab- kommen 2007) (Tagesordnungspunkt 16) Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Anlage 28 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 17) 12591 A 12591 D 12592 D 12593 B 12595 A 12596 D 12597 C 12598 D 12599 D 12601 B 12602 A 12603 A 12604 D 12605 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 XI Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12605 D 12606 C 12607 B 12608 A 12608 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12455 (A) (C) (B) (D) 120. Si Berlin, Mittwoch, de Beginn: 1
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    1) Anlage 28 Berichtigung 119. Sitzung, Seite 12375, Ergebnis der namentlichen Abstimmung: Der Abgeordnete Gert Winkelmeier (frak- tionslos) hat sich nicht enthalten, sondern mit Nein ge- stimmt. Deshalb ist sein Name hinter die Nein-Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu verschieben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12559 (A) (C) (B) (D) hatte daraufhin Kontakt mit dem US-Justizministerium aufgenommen. Das BMJ bemühte sich insbesondere umStrothmann, Lena CDU/CSU 24.10.2007 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt für Annen, Niels SPD 24.10.2007 Bätzing, Sabine SPD 24.10.2007 von Bismarck, Carl- Eduard CDU/CSU 24.10.2007 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.10.2007 Gabriel, Sigmar SPD 24.10.2007 Goldmann, Hans- Michael FDP 24.10.2007 Granold, Ute CDU/CSU 24.10.2007 Hänsel, Heike DIE LINKE 24.10.2007 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 24.10.2007 Hettlich, Peter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.10.2007 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.10.2007 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 24.10.2007 Kühn-Mengel, Helga SPD 24.10.2007 Landgraf, Katharina CDU/CSU 24.10.2007 Leutert, Michael DIE LINKE 24.10.2007 Möller, Kornelia DIE LINKE 24.10.2007 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.10.2007 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 24.10.2007 Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 24.10.2007 Dr. Stinner, Rainer FDP 24.10.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- sache 16/6743, Frage 4): Inwieweit wäre die Bundesrepublik Deutschland das ein- zige EU-Mitgliedsland, das den für den 23. Oktober 2007 ge- planten Vorstoß des EU-Justizkommissars Franco Frattini ab- lehnen würde, eine EU-Richtlinie zu einer sogenannten Blue Card zur Einwanderung qualifizierter Fachkräfte zu beschlie- ßen, und wie begründet die Bundesregierung ihre mögliche Ablehnung gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament, das die Einführung der „Blue Card“ un- terstützt (Bericht aus Brüssel Nr. 12/2007 vom 8. Oktober 2007)? Die Kommission hat erst gestern einen Vorschlag für eine RL über die Bedingungen von Einreise und Aufent- halt von Drittstaatsangehörigen zum Zwecke der Be- schäftigung als Hochqualifizierter („RL Hochqualifi- zierte“) vorgelegt. Die Haltung der Bundesregierung zu dem Richtlinienvorschlag steht noch nicht fest. Sie wird nach sorgfältiger Prüfung des Vorschlags und in Abstim- mung zwischen den betroffenen Ressorts festgelegt wer- den. Eine Bewertung sollte daher nicht vorweggenom- men werden. Die Auffassungen der anderen EU-Mitgliedstaaten sind hier noch nicht bekannt. Ein erster Meinungsaus- tausch zwischen den Mitgliedstaaten ist für den nächsten J/I-Rat am 8./9. November 2007 in Brüssel im Anschluss an die Vorstellung des RL-Vorschlags durch KOM Vize- präsident Frattini geplant. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Frage 5): Warum hat die Bundesregierung, nachdem das Amtsge- richt München am 31. Januar 2007 Haftbefehle gegen 13 mut- maßliche CIA-Entführer des Khaled El Masri wegen dringen- den Verdachts der Freiheitsberaubung und der gefährlichen Körperverletzung erließ, sich geweigert, über das Bundesamt für Justiz ein diesbezügliches Inhaftnahmeersuchen der Münchner Staatsanwaltschaft an die USA weiterzuleiten, und in wie vielen Fällen zuvor hat die Bundesregierung schon ein- mal derartige Inhaftnahmeersuchen zu übermitteln verweigert oder Auslieferungsersuchen von Drittstaaten abgelehnt? Die Staatsanwaltschaft München I führt ein Ermitt- lungsverfahren wegen Freiheitsberaubung und gefährli- cher Körperverletzung zum Nachteil des deutschen Staatsangehörigen El Masri. Das AG München hatte in diesem Verfahren am 31. Januar 2007 Haftbefehle gegen 13 Personen erlassen, die Mitarbeiter der Central Intelli- gence Agency sein sollen und bei denen es sich mutmaß- lich um Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika handelt. Das Bundesministerium der Justiz 12560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) eine Klärung, ob und gegebenenfalls unter welchen Vo- raussetzungen die US-Behörden bereit wären, einem Auslieferungsersuchen stattzugeben. Das US-Justiz- ministerium hat schließlich schriftlich mitgeteilt, dass weder eine vorläufige Inhaftnahme noch eine Ausliefe- rung der Betroffenen in Betracht komme. Diese Haltung hat die Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen: Grundlage des deutsch-amerikanischen Auslieferungs- verkehrs ist der Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 in Verbindung mit dem Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986. Danach sind die US-Behörden nicht zur Ausliefe- rung amerikanischer Staatsbürger an Deutschland ver- pflichtet. Eine Auslieferung eigener Staatsbürger ist zwar nicht ausgeschlossen, sie steht jedoch im Ermessen der amerikanischen Behörden. Im umgekehrten Fall käme die Auslieferung eines deutschen Staatsbürgers an die USA im Übrigen aufgrund des Verbots in Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz ebenfalls nicht in Betracht. Vor der Weiterleitung eines Auslieferungs- oder Rechtshilfeersu- chens ist das Bundesministerium der Justiz gehalten, die Erfolgsaussichten zu prüfen. Offensichtlich aussichts- lose Ersuchen müssen nicht weitergeleitet werden. Dies entspricht der üblichen Verfahrensweise und wird auch in anderen Fällen so gehandhabt. Eine statistische Erfas- sung der Fälle, in denen ein Ersuchen wegen offensicht- licher Aussichtslosigkeit nicht weitergeleitet wird, erfolgt nicht. Die Zahlen abgelehnter Auslieferungsersu- chen von Drittstaaten können der „Bekanntmachung der Auslieferungsstatistik“, die das BMJ jährlich im Bun- desanzeiger veröffentlicht, entnommen werden. Die Zahlen für 2006 werden derzeit noch aufbereitet und vo- raussichtlich Ende 2007/Anfang 2008 erscheinen. Im Jahr 2005 wurden 176 Auslieferungsersuchen von der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt. Im Gegenzug wurden 95 Ersuchen deutscher Behörden an ausländi- sche Staaten von diesen abgelehnt. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hofbauer (CDU/CSU) (Drucksache 16/6743, Frage 6): Ab wann stehen die Haushaltsmittel zur Umsetzung des „Dritten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“, in Kraft getreten am 29. August 2007, für die „Besondere Zuwendung nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes“ den auszahlenden Dienststellen zur Verfügung, da laut telefonischer Auskunft der Regierung der Oberpfalz vom 16. Oktober 2007 derartige Mittel nicht vor- handen sind? Warum in Bayern keine ausreichenden Mittel für diese neue Leistung vorhanden sein sollen, ist hier nicht bekannt. Die Besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes wird vom Bund zu 65 Prozent und von den Ländern zu 35 Prozent getragen. Was den Bundesanteil dieser Leistung angeht, so hat das zuständige Bundesamt für Justiz (BfJ) Bayern bisher einen Abschlagsbetrag von 73 000 Euro zugewiesen, der aber noch nicht abgerufen wurde. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die Frage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) (Drucksache 16/6743, Frage 7): Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der OECD, die Reichen in der Bundesrepublik Deutschland stär- ker zu besteuern, um die Arbeitseinkommen zu entlasten, und wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung der OECD, dass Deutschland innerhalb der OECD zu den Län- dern gehört, die das Vermögen mit am wenigsten belasten (www.sueddeutsche.de; 18. Oktober 2007)? Es gibt keinen Vorschlag der OECD, „die Reichen in Deutschland“ stärker zu besteuern. Zutreffend ist, dass ein Mitarbeiter der OECD anlässlich der Veröffentli- chung der „Revenue Statistics 2007“ der Organisation der Bundesregierung empfohlen hat, zur Senkung der Sozialabgaben das Sozialsystem stärker über Steuern zu finanzieren. Diesen Weg hat die Bundesregierung bereits beschritten, ergänzend zu den aus dem Bundeshaushalt erfolgenden Zahlungen zugunsten der sozialen Siche- rungssysteme, zum Beispiel durch den Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung und die Unterstüt- zung der Bundesagentur für Arbeit. So erhält bekannt- lich die Bundesagentur für Arbeit seit Beginn des Jahres als Finanzierungsbeitrag des Bundes einen Teil der auf- grund der Mehrwertsteuererhöhung generierten Steuer- mehreinnahmen, was zu einer spürbaren Absenkung des Beitragssatzes der Arbeitslosenversicherung geführt hat. Auch die Mehreinnahmen aus der so genannten Öko- steuer werden bereits zu einem Großteil dazu verwendet, die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung zu begrenzen. Zudem soll der Bundeszuschuss an die ge- setzliche Krankenversicherung bis 2016 schrittweise von 2,5 Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro jährlich stei- gen. Was die im OECD-Bericht für Deutschland festge- stellte vergleichsweise geringe Belastung durch Steuern auf Vermögen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass im internationalen Vergleich hierunter neben der Vermögen- steuer insbesondere auch die Erbschaft- und Schenkung- steuer sowie die Grundsteuer verstanden werden. Zudem lassen die Revenue Statstics die unterschiedliche Steuer- und Abgabenstruktur in den OECD-Staaten generell un- berücksichtigt. So dienen etwa Grundsteuern im angel- sächsischen Raum vorzugsweise als Finanzierungsquelle für öffentliche Leistungen der Kommunen, wofür in Deutschland vor allem Gebühren eingesetzt werden. Die Vergleichbarkeit der ermittelten Daten ist daher nicht ge- geben. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Frage 8): Warum unterstützt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, die Nährwertkennzeichnung der Ernährungsindustrie, obwohl hier deutlich höhere Zuckerbedarfswerte zugrunde liegen, als sie beispielsweise von der WHO oder der Deutschen Gesell- schaft für Ernährung angenommen werden? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12561 (A) (C) (B) (D) Erweiterte Nährwertinformationen jeglicher Art sind Orientierungshilfen für die Verbraucherinnen und Ver- braucher. Sie müssen wissenschaftlich begründbar sein, dürfen die Käufer nicht irreführen, können aber letztlich nie auf den tatsächlichen individuellen Bedarf des ein- zelnen Menschen Bezug nehmen, da dieser sehr unter- schiedlich ist. Für Gesamtzucker existieren keine Emp- fehlungswerte für die Tageszufuhr. Der Richtwert nach dem Modell des europäischen Lebensmittelindustriever- bandes errechnet sich deshalb aus dem Eigenzuckerge- halt von zusammen 45 Gramm, wie er sich aus Richt- werten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum täglichen Verzehr von Obst, Gemüse und Milchproduk- ten errechnet, zuzüglich von 50 Gramm zugesetztem Zucker, entsprechend den Vorgaben der WHO. Aus die- ser Summe ergibt sich abgerundet ein Richtwert für die Tageszufuhr von Zucker in Höhe von 90 Gramm. Dieser Bezugwert ist erst einmal ein praktikabler Ausgangs- punkt in einer noch nicht abgeschlossenen Diskussion um Bezugsgrößen. Die Eckpunkte des BMELV sehen aber ausdrücklich vor, dass eine kontinuierliche Weiter- entwicklung des Konzeptes vorgenommen wird. Dabei soll an dem anstehenden wissenschaftlichen Dialog aus- drücklich auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) teilnehmen. Der Referenzwert für Gesamtzucker wird auch Gegenstand dieses Dialogs sein. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Frage 9): Wie stellt sich für die Bundesregierung der Zusammen- hang zwischen der marktbeherrschenden Stellung von vier Anbietern beim Betrieb der Stromübertragungsnetze, der Stromerzeugung und bei den aktuellen Preissteigerungen dar, und wie will die Bundesregierung den EU-Beschluss vom März 2007 umsetzen, die Energiekonzerne über die Trennung von Energieerzeugung und Netzbetrieb zu entflechten? Erstens. Der Europäische Rat hat sich in seinem Ener- gieaktionsplan vom 8./9. März 2007 ausgesprochen für: die wirksame Trennung der Versorgung und Erzeugung vom Betrieb der Netze (Entflechtung) auf der Grundlage unabhängig organisierter und angemessen regulierter Strukturen für den Netzbetrieb, die einen gleichberech- tigten und offenen Zugang zu Transportinfrastrukturen und die Unabhängigkeit von Entscheidungen über Infra- strukturinvestitionen garantieren und zwar durch unab- hängig organisierte Strukturen für den Netzbetrieb und die Unabhängigkeit von Entscheidungen über Investitio- nen in die Netze. Entsprechend der Aufforderung des Europäischen Ra- tes hat die EU-Kommission am 19. September 2007 ihre Vorschläge für ein drittes Strom- und Gasbinnenmarkt- paket vorgelegt. a) Wir haben jedoch Zweifel, dass die von der EU- Kommission nun favorisierte vollständige Eigentums- entflechtung der Übertragungs- und Fernleitungs- netze der geeignete Motor für die Entwicklung eines dynamischen Wettbewerbs ist: (1) Die Kommission kann in der ihren Vorschlägen zugrunde liegenden Folgenabschätzung (Impact Assessment) den Nachweis nicht erbringen, dass die Eigentumsentflechtung eine Gewähr für niedrige Endverbraucherpreise bietet. (2) Bedenklich ist bei den Vorschlägen der EU- Kommission zur Eigentumsentflechtung auch, dass sie bei Energieversorgungsunternehmen im Staatseigentum praktisch wirkungslos blieben. (3) In Deutschland haben wir mit der Kraftwerks- Netzanschlussverordnung mögliche Diskrimi- nierungen beim Anschluss neuer Kraftwerke ans Netz beseitigt. Die Verordnung hat also schnel- ler, effektiver und unkomplizierter Wirkungen gezeigt als es eine Eigentumsentflechtung ver- mag. Wir werden der Kommission deutlich machen, dass wir uns solche pragmatischen, effektiven Lösungen auch auf EU-Ebene wünschen. b) Klarzustellen ist aber: Wir brauchen eine wirksame Entflechtung. Wir stehen daher zu den Beschlüssen des Europäischen Rates vom März. Zweitens. Das beste Mittel gegen Preiserhöhungen ist mehr Wettbewerb. Und hier haben wir auf nationaler Ebene bereits gehandelt: a) Wir haben die Rahmenbedingungen für einen Liefe- rantenwechsel weiter verbessert. Durch neue Rechts- verordnungen, die im November 2006 in Kraft getreten sind – die Niederspannungs- und die Niederdruckan- schlussverordnungen sowie die Grundversorgungs- verordnungen für Strom und Gas – wurde die Grund- lage dafür geschaffen, dass die Kunden ihren Strom- und Gasanbieter noch leichter wechseln können. Diese Saat geht jetzt auf. Es ist zu begrüßen, dass nun auch die Verbraucherschützer zum Lieferanten- wechsel aufrufen. Hier haben die Kunden ein Stück Eigenverantwortung, die neuen Möglichkeiten jetzt zu nutzen. b) Darüber hinaus wurde schon im Herbst 2006 ein Maßnahmepaket der Bundesregierung auf den Weg gebracht, um den Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten weiter zu stärken: (1) Die Regulierung der Netzentgelte ist bereits er- folgreich. Die Netzentgelte sind gesunken. Um die Regulierung noch weiter zu verbessern, ha- ben wir eine Anreizregulierung beschlossen und eine entsprechende Rechtsverordnung verab- schiedet, die in Kürze in Kraft tritt. Hier sind die Dinge auf den Weg gebracht. (2) Hauptproblem ist derzeit die Stromerzeugung: Mit der Kraftwerks-Netzanschlussverordnung hat die Bundesregierung die Weichen dafür ge- stellt, dass sich durch den Netzanschluss neuer Kraftwerke mittelfristig die Wettbewerbssitua- tion bei der Stromerzeugung verbessern kann. 12562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Denn wir brauchen neue Kraftwerke und gerade solche von neuen Anbietern. Die Verordnung er- leichtert und beschleunigt den Anschluss neuer Kraftwerke. (3) Kurzfristig brauchen wir die Schärfung der kar- tellrechtlichen Missbrauchsaufsicht: Die GWB- Novelle ist von der Bundesregierung im Früh- jahr beschlossen worden. Sie hat die Unterstüt- zung des Bundesrates erhalten und liegt derzeit dem Bundestag zur Entscheidung vor. Es ist wichtig, dass dieses Gesetz jetzt möglichst zügig in Kraft gesetzt wird, da es den Kartellbehörden den Nachweis von missbräuchlich überhöhten Strompreisen erleichtern soll. Besonders wichtig ist die Beweislastumkehr zulasten der Versorger. Hier müssen die Versorger stärker in die Begründungspflicht genommen werden. Außerdem schaffen wir größere Vergleichsmöglich- keiten bei der Preismissbrauchsaufsicht und einen So- fortvollzug kartellbehördlicher Entscheidungen. Und wo Vergleiche mit den Preisen anderer nicht helfen, weil alle zu teuer sind, erleichtern wir den Kartellbehörden einen kostenorientierten Prüfansatz. Es liegt nun in den Händen des Deutschen Bundesta- ges, dass die GWB-Novelle baldmöglichst in Kraft tre- ten kann! Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Fra- gen der Abgeordneten Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Fragen 10 und 11): Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für die aktuellen Preiserhöhungen bei Strom und Erdgas? Wie wird die Bundesregierung gegen die aktuellen und die bereits in Aussicht gestellten künftigen Erhöhungen der Ener- gie- und Erdgaspreise vorgehen? Zu Frage 10: Als Gründe für die steigenden Strompreise werden von den Stromversorgungsunternehmen insbesondere die gestiegenen Strombeschaffungskosten und Zusatzbe- lastungen aus der Förderung erneuerbarer Energien genannt. Ob diese Gründe die Preissteigerungen in der vorgesehenen Höhe rechtfertigen, wird sich das Bundes- kartellamt genau ansehen. Die Importpreise für Erdgas sowie die deutschen Großhandelspreise sind über eine Preisgleitklausel an den Heizölpreis gekoppelt. Die an- gekündigten Preiserhöhungen für Erdgas werden mit dem steigenden Ölpreis und damit zusammenhängenden steigenden Beschaffungskosten begründet. Ob die ge- stiegenen Heizölpreise die angekündigten Preisstei- gerungen rechtfertigen, kann von den zuständigen Kartellbehörden nach Maßgabe des kartellrechtlichen Missbrauchs- und Diskriminierungsverbots überprüft werden. Zu Frage 11: Bei Strom hat die Bundesregierung ein Maßnahmen- programm auf den Weg gebracht, um den Wettbewerb besser in Gang zu bringen: Die Regulierung der Netzentgelte ist bereits erfolg- reich. Um die Aufsicht weiter zu verbessern, wurde eine Anreizregulierung der Netzentgelte beschlossen und eine entsprechende Rechtsverordnung verabschiedet. Bei der Stromerzeugung hat die Bundesregierung die Weichen dafür gestellt, dass durch den Netzanschluss neuer Kraftwerke sich mittelfristig die Wettbewerbs- situation bei der Stromerzeugung verbessern kann. Dafür ist eine Kraftwerks-Netzanschlussverordnung bereits im Juni dieses Jahres in Kraft getreten. Als kurzfristig wirk- sames Mittel sieht sie die Schärfung der kartellrechtli- chen Missbrauchsaufsicht: Die entsprechende Novelle ist von der Bundesregierung im Frühjahr beschlossen worden und liegt derzeit dem Bundestag zur Entschei- dung vor. Es ist wichtig, dass dieses Gesetz jetzt mög- lichst zügig in Kraft gesetzt wird. Das Bundeskartellamt und die Landeskartellbehörden führen halbjährlich eine einheitliche Umfrage zur Überprüfung der Gastarife für Haushaltskunden und Kleinkunden durch. Auf Basis dieser Ergebnisse können von den Kartellbehörden Preismissbrauchsverfahren eingeleitet werden. Mit der zurzeit im Gesetzgebungsverfahren befindlichen GWB- Novelle wird die Missbrauchsaufsicht der Kartellbehör- den weiter gestärkt. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Frage 13): Wie viele in Afghanistan gemachte Gefangene, insbeson- dere denen rechtsstaatswidrige Verfahren oder Strafen wie die Todesstrafe drohen könnten, übergab die Bundeswehr seit Be- ginn ihres dortigen Einsatzes je an afghanische und US-ameri- kanische Stellen, und gegen wie viele davon wurden dann ein rechtsstaatswidriges Verfahren durchgeführt, Folter vollzo- gen, die Todesstrafe angedroht, verhängt oder gar vollstreckt? Seit Beginn des ISAF-Einsatzes im Dezember 2001 wurden durch deutsche Kräfte auf der Grundlage des ISAF-Mandates mehrere vorübergehend festgehaltene Personen an afghanische Stellen übergeben. Eine Über- gabe von Personen an US-amerikanische Stellen erfolgte in keinem Fall. Der Bundesregierung ist kein Fall be- kannt, in dem an einer Person, die durch deutsche Kräfte vorübergehend festgehalten und dann an afghanische Stellen übergeben wurde, ein rechtsstaatwidriges Verfah- ren durchgeführt, diese Person gefoltert oder gegen sie die Todesstrafe verhängt oder gar vollstreckt wurde. Im Rahmen der Operation Enduring Freedom wurden durch deutsche Streitkräfte bislang keine Personen in Gewahr- sam genommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12563 (A) (C) (B) (D) Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) (Drucksache 16/6743, Frage 14): Trifft es zu, dass die Bundesregierung Panzer der Bundes- wehr an die kanadischen Truppen, die im Süden Afghanistans stationiert sind, im Rahmen eines Leasingvertrages verleiht, und welche weiteren Leasingverträge gibt es zur Weitergabe von Waffen der Bundeswehr (Wirtschaftswoche, 15. Oktober 2007)? Es trifft nicht zu, dass Deutschland mit Kanada einen Leasingvertrag geschlossen hat, sondern Deutschland überlässt 20 Kampfpanzer Leopard 2 und zwei Berge- panzer Büffel bis zum 30. September 2009 an Kanada zum Einsatz in Afghanistan. Darüber hinaus wurde mit Spanien ein bis 2016 laufender Mietvertrag über die Überlassung von 108 Kampfpanzern Leopard 2 A4 ge- schlossen sowie mit Schweden ein Mietvertrag über 160 Kampfpanzer Leopard 2 A4, der 2009 ausläuft. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fra- gen des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Drucksache 16/6743, Fragen 15 und 16): Hält es die Bundesregierung für angemessen, wenn der ISAF-Generalstabschef, der deutsche Generalmajor Bruno Kasdorf, mit der Forderung nach mehr Einsatzkräften in Af- ghanistan in die Meinungsbildung des Bundestages eingreift (FAZ.NET vom 11. Oktober 2007)? Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des Gene- ralmajors Bruno Kasdorf, „alle Beschränkungen, die wir ha- ben, behindern uns in der militärischen Operationsführung“? Zu Frage 15: Herr Generalmajor Bruno Kasdorf ist als Chef des Sta- bes von ISAF der dienstgradhöchste deutsche Offizier im NATO HQ in Kabul. Er verfugt über einen tiefgehenden Einblick in die ISAF-Mission und die Entwicklung des internationalen Engagements in Afghanistan. Aufgrund seiner herausgehobenen Dienststellung wird erwartet, dass er sich zum Verlauf der ISAF Operation auch gegen- über den Medien äußert. Die von Herrn Generalmajor Kasdorf geäußerte Forderung nach Entsendung von mehr Einsatzkräften richtete sich an alle NATO-Mitgliedstaa- ten. Ihr liegt die Tatsache zugrunde, dass bislang nicht alle von den NATO-Kommandobehörden für ISAF als notwendig erachteten Kräfte und Fähigkeiten in vollem Umfang von den Nationen bereitgestellt wurden. Zu Frage 16: Die Verfügbarkeit der internationalen Truppen in Af- ghanistan unterliegt unterschiedlichen Beschränkungen. Teilweise handelt es sich dabei um nationale Beschrän- kungen, die dem Einsatz von Kräften räumliche, zeitli- che oder andere Beschränkungen für deren Einsatz auf- erlegen. Die zitierte Aussage von Herrn Generalmajor Kasdorf ist eine sachliche Feststellung, die sich an alle ISAF-Truppensteller richtet. Anlage 12 Antwort der Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Fragen 17 und 18): Welche Aussagen zur Höhe der Anschubfinanzierung für den sechsstreifigen Ausbau der Autobahn 8 zwischen Mün- chen und Augsburg kann die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt treffen, nachdem das bisher einer Antwort entge- genstehende Nachprüfverfahren vor der Vergabekammer mitt- lerweile abgeschlossen werden konnte, und welche Vorhaltun- gen hinsichtlich des Zuschlags auf ein Unterangebot wurden dem Konzessionsgeber gemacht? Wie konnte die Bundesregierung den wirtschaftlichen Vor- teil des A-Modells gegenüber der herkömmlichen Finanzie- rung des sechsstreifigen Ausbaus der Autobahn 8 zwischen München und Augsburg mit 10,02 Prozent beziffern (Antwort zu Frage 22 auf Bundestagsdrucksache 16/6063), wenn der Ausbau und Unterhalt nach herkömmlichem Verfahren 257 Millionen Euro gekostet hätten (Antworten zu den Fragen 18 und 19 auf Bundestagsdrucksache 16/6063), das Konzes- sionsvolumen aber 730 Millionen Euro beträgt (Antwort zu Frage 21 auf Bundestagsdrucksache 16/6063) und eine Aus- sage zu den Kosten erst am Ende der Konzessionslaufzeit ge- troffen werden kann (Antwort zu Frage 15 auf Bundestags- drucksache 16/6063), und inwieweit hält die Bundesregierung das A-Modell für finanziell vorteilhafter für den Bund als das F-Modell oder die private Vorfinanzierung? Zu Frage 17: Die Höhe der Anschubfinanzierung des besten Bie- ters, auf dessen Angebot der Zuschlag erteilt wurde, be- trug 0 Euro. Entsprechend internationaler Praxis bei PPP-Vorhaben trägt der Konzessionsgeber Bund auch beim A-Modell Autobahn A 8 das sogenannte Referenz- zinssatzänderungsrisiko für den Zeitraum zwischen der Angebotslegung am 15. Februar 2007 und der Zuschlags- erteilung am 25. April 2007 nach festgelegten Regula- rien. Aufgrund von Zinsänderungen in dem genannten Zeitraum betrug die insoweit „angepasste“ Anschub- finanzierung 6,426 Millionen Euro (brutto). Dieser Be- trag wird dem Konzessionsnehmer während der Bauzeit in vier gleich hohen Raten gezahlt. Zu Frage 18: Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für das A-Mo- dell-Pilotprojekt Autobahn A 8 wurde unter Beachtung der Vorgaben des Leitfadens „Wirtschaftlichkeitsunter- suchungen bei PPP-Projekten“ erstellt, den die Finanz- minister der Länder gemeinsam mit der Bundes-Ar- beitsgruppe „Wirtschaftlichkeitsuntersuchung bei PPP- Projekten“ unter Mitwirkung des Bundesrechnungshofes im September 2006 verabschiedet haben. Danach wer- den bei Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen die Kosten für eine konventionelle Beschaffungsvariante der Maß- nahme (sogenannte PSC-Variante) der sogenannten PPP- Variante gegenübergestellt, wobei auf beiden Seiten eine zum Betrachtungszeitpunkt möglichst vollständige Kos- tenabschätzung durchzuführen ist. Es wurden daher auf der PSC-Seite nicht nur die Ausbau- und Unterhaltungs- 12564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) kosten in Ansatz gebracht, sondern es mussten auch an- dere Kostenbestandteile eingerechnet werden, die bei ei- ner konventionellen Realisierung anfallen würden, zum Beispiel Erhaltungs-, Planungs- und Managementkosten sowie Kosten für zurückbehaltene Risiken. Darüber hinaus werden bei Wirtschaftlichkeitsunter- suchungen alle Kostenbestandteile sowohl auf der PSC- als auch auf der PPP-Seite auf einen bestimmten Betrachtungszeitpunkt diskontiert und die Zahlungs- ströme inflationiert (Barwertvergleich). Einzelbeträge werden somit nicht einfach addiert, sondern der Zeit- punkt der Auszahlung bzw. der Anfall von Kosten und Einnahmen werden berücksichtigt. Es liegt in der Natur der Sache jeder – durch die öffentliche Hand oder die Privatwirtschaft erstellten – Wirtschaftlichkeitsbetrach- tung, die vor Einführung eines Produktes auf dem Markt erstellt wird, dass sie prognostischen Charakter hat. Dies gilt in besonderem Maße für die Einnahmeprognose, so auch beim A-Modell mit verkehrsmengenabhängiger Vergütung. Aussagen über die wirtschaftliche Vor- oder Nachteilhaftigkeit können sich nur auf den Zeitpunkt der jeweiligen Betrachtung beziehen, die ermittelten 10,02 Prozent bezogen sich auf den Zeitpunkt der Verga- beentscheidung. Im Gegensatz zu den auf der Lkw-Maut basierenden, im Ergebnis haushaltsfinanzierten A-Mo- dellen sind F-Modelle rein nutzerfinanzierte Projekte. Der Anwendungsbereich der F-Modelle ist jedoch ge- setzlich auf bestimmte Kategorien von Projekten be- schränkt. Da eine darüber hinausgehende allgemeine Nutzerfinanzierung nicht beabsichtigt ist, kommt ein Vergleich beider Modelle nicht in Betracht. PPP-Pro- jekte wie die A- und F-Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass dem Privaten eine Infrastrukturmaßnahme über einen längeren, mehrere Lebenszyklusstufen umfassen- den Zeitraum übertragen wird. Die Verantwortlichkeit des Privaten endet somit nicht nach der maximal fünf- jährigen Gewährleistungsfrist, sondern erstreckt sich zum Beispiel über 30 Jahre. Dies wirkt sich positiv auf die Qualität der (Bau-)Leistung aus. Auch die Verzah- nung der einzelnen Bereiche Bauen, Erhalten und Be- treiben über den Lebenszyklus führt zu Synergien, was sich ebenfalls als (volks-)wirtschaftlich vorteilhaft er- weist. Die Projekte der privaten Vorfinanzierung sind demgegenüber reine Bau- und Vorfinanzierungsprojekte, denen der PPP-typische wirtschaftliche Anreiz zu hoch- wertigem, schnellen und möglichst wirtschaftlichen Bauen, Betreiben und Erhalten fehlt, weshalb sie im Ver- gleich zu PPP-Modellen als unwirtschaftlicher einzustu- fen sind. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra- gen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 16/6743, Fragen 19 und 20): Nach welchen Maßgaben und Kriterien und mit welchen Zielstellungen wird der barrierefreie Neu- und Umbau von Bahnhöfen der Deutschen Bahn durch den Bund gefördert? Inwieweit teilt die Bundesregierung die Kritik des Sozial- verbandes VdK Deutschland zu den Plänen vom Bundesmi- nister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tie- fensee, den barrierefreien Neu- und Umbau von Bahnhöfen mit weniger als 1 000 Reisenden pro Tag künftig nicht mehr zu fördern (siehe Pressemitteilung „Tiefensee plant Förder- verbot für Barrierefreiheit“ des VdK vom 11. Oktober 2007)? Zu Frage 19: Der Bund fördert die barrierefreie Gestaltung von Per- sonenverkehrsanlagen der Deutsche Bahn AG (DB AG) nach Maßgabe der in den eisenbahnrechtlichen Regelun- gen enthaltenen Zielbestimmungen zur Barrierefreiheit. Die nur schrittweise erreichbaren Verbesserungsmaßnah- men sind an ihrem Wirkungsgrad zu orientieren. Die Kri- terien für Maßnahmen zur barrierefreien Gestaltung rich- ten sich nach den jeweiligen besonderen Verhältnissen. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers ist den Ei- senbahnen ein Handlungsspielraum darüber belassen, wie und wann die gesetzliche Zielbestimmung erreicht wird. Die DB AG hat die entsprechenden Vorgaben in ihrem Programm nach § 2 Abs. 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebs- ordnung dargelegt. Die einschlägigen technischen Krite- rien sind in ihrer Konzernrichtlinie 813 über die Gestal- tung von Bahnanlagen festgeschrieben. Zu Frage 20: Die in der Pressemitteilung des Sozialverbandes VdK Deutschland vom 11. Oktober 2007 geäußerte Kritik, die Bundesregierung plane, zukünftig barrierefreie Neu- und Umbauten von Bahnhöfen mit weniger als 1 000 Reisen- den pro Tag nicht mehr zu fördern, ist unbegründet und beruht offensichtlich auf einem Missverständnis. Die Er- reichung bestimmter Benchmarks, nämlich für Bahnhöfe oder Stationen mit Mittelbahnsteig von 1 000 Ein-, Aus- oder Umsteigern pro (Werk-)Tag bzw. bei sonstigen Bahnhöfen oder Stationen mit Außenbahnsteigen von mindestens 100 Ein-, Aus- oder Umsteiger pro (Werk)- Tag, ist Voraussetzung für die Finanzierung des Baus neuer Bahnsteige, nicht aber für die Herstellung der Bar- rierefreiheit. Für Bahnhöfe der erstgenannten Kategorie ist Barrierefreiheit von vornherein herzustellen. Aber auch für Bahnsteige der zweitgenannten Kate- gorie ist eine barrierefreie Gestaltung möglich, soweit diese Ausgestaltung von den Eisenbahninfrastrukturun- ternehmen im Rahmen ihres Programms nach § 2 Abs. 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung im Einzelfall vor- gesehen ist. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn für entsprechende bauliche Maßnahmen für beson- dere Personengruppen ein tatsächlicher Bedarf aufgrund der örtlichen Gegebenheiten vorliegt, zum Beispiel we- gen der Anbindung einer Reha-Klinik oder eines Wohn- heimes für behinderte Menschen, soweit die Kosten nicht außer Verhältnis stehen. Diese Regelung, nach der der Bund seit zehn Jahren verfährt, soll auch künftig gel- ten. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra- gen der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) (Drucksache 16/6743, Fragen 21 und 22): Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12565 (A) (C) (B) (D) Welches sind die Gründe dafür, dass die Bundesregierung entgegen dem Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz Ost (MPK Ost) am 27. Juni 2007 offenbar nicht beabsichtigt, innerhalb des Vorhabens Nr. 22 in Anhang III der gemein- schaftlichen Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäi- schen Verkehrsnetzes (TEN-V-Leitlinien) die Neubaustrecke Prag–Dresden und die Ausbaustrecke Dresden–Berlin als „prioritär“ einzuordnen bzw. bei der EU-Kommission für die anstehende Revision der TEN-Leitlinien anzumelden, und welche Fortschritte sind für die Projekte in Ostdeutschland zu verzeichnen, mit deren Verwirklichung vor 2010 laut Anhang III begonnen werden soll? Welche Vor- und Nachteile (gegebenenfalls auch aus zeit- licher, planungsseitiger sowie finanzieller Sicht) würden sich aus einer Einordnung des Schienenstreckenabschnittes Prag–Dresden und Dresden–Berlin ins EFRE-Programm ge- genüber einer Anmeldung für die TEN-Projekte ergeben, und inwiefern werden im Rahmen einer integrierten Verkehrspoli- tik Einnahmen aus der Lkw-Maut für den Ausbau von Schie- nenwegen eingesetzt? Zu Frage 21: Eine Revision der TEN-Leitlinien, in die das von Ih- nen angesprochene Anliegen eingebracht werden könnte, wird von der Europäischen Kommission frühes- tens im Jahr 2009 initiiert werden. Es bleibt abzuwarten, welche Kriterien anlässlich der Revision für eine Auf- nahme in eine künftige Liste „Vorrangiger Vorhaben“ er- füllt werden müssen. Erst wenn diese Kriterien bekannt sind, kann eine entsprechende Prüfung und gegebenen- falls eine Beantragung erfolgen. In der im Anhang III aufgeführten Übersicht der „Vorrangigen Vorhaben, mit denen vor 2010 begonnen werden soll“ ist für Ost- deutschland das Projekt „Halle/Leipzig–Nürnberg“ ent- halten, das sich im Bau befindet. Zu Frage 22: Die Förderung im EFRE-Bundesprogramm Verkehrs- infrastruktur kann bis zu 65 Prozent der „anerkennungs- fähigen“ Kosten betragen. Es ist für die gesamte Finan- zierungsperiode bekannt, wie hoch die zur Verfügung stehenden Fördermittel sind. Es wird national entschie- den, welche Projekte zur Förderung vorgeschlagen wer- den. Sollte ein Projekt zum Beispiel wegen Bauverzöge- rungen die vorgesehenen Mittel nicht absorbieren können, kann nach nationaler Entscheidung ein anderes deutsches Projekt nachgemeldet werden. Die Förderung aus der Haushaltslinie für transeuropäische Netze kann höchstens bis zu 10 Prozent für „normale“ Vorhaben bzw. bis zu 20 Prozent für „Vorrangige Vorhaben“ betra- gen. Die Förderung von bis zu 30 Prozent greift nur bei grenzüberschreitenden Abschnitten „Vorrangiger Vorha- ben“. Bei TEN-Zuschüssen gibt es keine Quoten für die jeweiligen Mitgliedstaaten. Der Zuschussumfang für den jeweiligen Mitgliedstaat ist damit zu Beginn der Finanz- periode nicht bestimmbar. Für die Förderentscheidung hat die EU-Kommission ein Vorschlagsrecht, zudem be- darf es der Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedstaa- ten. Die Einstufung eines Projektes als „Vorrangiges Vorhaben“ der transeuropäischen Netze für Verkehr ga- rantiert keine Bereitstellung europäischer Mittel für die jeweiligen Aus- oder Neubaumaßnahmen. Aufgrund des Verfahrens über die Gewährung der TEN-Zuschüsse kann daher auch nicht sicher gestellt werden, dass frei werdende Mittel durch Verzögerungen bei deutschen Projekten anderen deutschen Projekten zugute kommen. Die im Bedarfsplan Schiene (Bundesschienenwegeaus- baugesetz) enthaltene Ausbaustrecke Dresden–Berlin wurde in die Indikative Liste der Großprojekte des EFRE-Bundesprogramms Verkehrsinfrastruktur (Förder- periode 2007 bis 2013) aufgenommen, das zurzeit der EU-Kommission zur Genehmigung vorliegt. Nach Ge- nehmigung des EFRE-Bundesprogramms kann Deutsch- land das Projekt zur Förderung vorschlagen. Eine Neu- baustrecke des Streckenabschnitts Dresden–Prag ist nicht förderwürdig, da ein solches Vorhaben zurzeit nicht Bestandteil des Bedarfsplans Schiene (Bundes- schienenwegeausbaugesetz) ist und insoweit keine Haushaltsmittel des Bundes zur Verfügung stehen. Hinsichtlich Ihrer Frage nach der Verwendung der Lkw-Mauteinnahmen legt gemäß § 11 Autobahnmautge- setz fest, dass die Mauteinnahmen nach Abzug der Sys- temkosten zweckgebunden zur Verbesserung der Verkehrs- infrastruktur – überwiegend für die Bundesfernstraßen – zu verwenden sind. Nach dem von der Bundesregierung verfolgten Konzept einer integrierten Verkehrspolitik werden die Einnahmen aus der streckenbezogenen Lkw- Maut verkehrsträgerübergreifend eingesetzt. So werden 50 Prozent der nach Abzug der Betreiberkosten des Mautsystems verfügbaren Mautmittel in das Bundes- fernstraßennetz, 38 Prozent in das Bundesschienennetz und 12 Prozent in das Wasserstraßennetz investiert. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fragen des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Fragen 23 und 24): Wie lange will sich die Bundesregierung den verfahrenen Konflikt zwischen der Deutsche Bahn AG und der Lokführer- gewerkschaft GDL noch mit ansehen, ohne sich einzuschal- ten? Warum sorgt die Bundesregierung angesichts der hohen Verantwortung für die Bahnkunden, Bahnmitarbeiter und die Volkswirtschaft insgesamt nicht dafür, dass die Führung der bundeseigenen DB AG sich an die Schlichtungsvereinbarung hält und ein kompromissfähiges Angebot vorlegt, das einen „eigenständigen“ Tarifvertrag mit der GDL ermöglicht? Die Bundesregierung respektiert den Grundsatz der Tarifautonomie. Die Bundesregierung appelliert an die Tarifvertragsparteien, sich an das Ergebnis der Schlich- tung zu halten und vor diesem Hintergrund Verhandlun- gen mit dem Ziel der Einigung zu führen. Anlage 16 Antwort der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Fragen der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Fragen 25 und 26): Welche präventiven Maßnahmen wird die Bundesregie- rung ergreifen, um die Bevölkerung vor der durch den Bun- desminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, öffentlich ge- äußerten Gefahr eines Nuklearterrorismus zu schützen? Welche präventiven Maßnahmen wird die Bundesregie- rung angesichts der durch den Bundesminister des Innern, 12566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Wolfgang Schäuble, öffentlich geäußerten Gefahr eines Nuklearterrorismus ergreifen, um Transporte von schwachra- dioaktivem Material und Lager mit schwachradioaktivem Ma- terial besser gegen Diebstahl zu schützen? Zu Frage 25: Die Äußerungen von Herrn Bundesinnenrninister be- ziehen sich auf eine Gefährdungsbewertung im Zusam- menhang mit einer sogenannten schmutzigen Bombe, das heißt mit einem Sprengsatz, dem radioaktive Stoffe beige- mengt sind. Dieses Szenario ist in Expertenkreisen seit ge- raumer Zeit bekannt und Anlass für umfangreiche Maß- nahmen. Dementsprechend hat die Bundesregierung bereits in der Vergangenheit vielfältige Maßnahmen zum Schutz vor Anschlägen mit radioaktivem Material ergrif- fen und wird diese weiterverfolgen. Diese präventiven Maßnahmen beinhalten Regelungen zum Schutz radioak- tiven Materials vor Missbrauch ebenso wie die Weiterent- wicklung der auf Bundesebene bestehenden Fähigkeiten zur Gefahrenabwehr bei missbräuchlicher Verwendung von radioaktivem Material, um den Ländern erforderli- chenfalls bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe im Ein- zelfall effizient Hilfe leisten zu können. Zu Frage 26: Deutschland verfügt bereits über ein umfangreiches und sicheres staatliches Kontrollsystem für radioaktive Stoffe. Die Nutzung radioaktiver Stoffe unterliegt nach dem Strahlenschutzrecht einem umfassenden Genehmi- gungsvorbehalt. Für hochradioaktive Strahlenquellen wurde zusätzlich ein zentrales Registrierungssystem ein- geführt. Zurzeit werden insbesondere die Anstrengungen zum Sabotageschutz bei schwach radioaktiven Stoffen, die bei technischen Anwendungen zum Beispiel in Kran- kenhäusern oder Forschungslaboren verwendet werden, in Zusammenarbeit mit den für die Aufsicht zuständigen Landesbehörden intensiviert. Trotz dieser Bemühungen wird es einen vollständigen Schutz gegen den Miss- brauch radioaktiver Stoffe, insbesondere durch Dieb- stahl, nicht geben können. Anlage 17 Antwort der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Fragen der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6743, Fragen 27 und 28): Inwiefern sind die Meldungen vom 17. Oktober 2007 der Nachrichtenagenturen AP und AFP zutreffend, dass Deutsch- land neben elf weiteren europäischen Staaten die sogenannte europäische Seveso-II-Richtlinie (Störfallrichtlinie) trotz mehrmaliger Aufforderung durch die EU-Kommission nur unzureichend umgesetzt habe und deshalb eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof drohe, und was sind die Gründe für die mangelnde Umsetzung? Welche Maßnahmen will die Bundesregierung bis wann zur vollständigen Umsetzung der Seveso-II-Richtlinie ergrei- fen, um eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof abzu- wenden? Zu Frage 27: Die zitierten Meldungen treffen zu. Es geht dabei um die aus Sicht der Kommission unzureichende Erstellung externer Notfallpläne für Betriebsbereiche, die den er- weiterten Pflichten der Seveso-II-Richtlinie unterliegen. Die Erstellung externer Notfallpläne ist Aufgabe der den Länderinnenministerien nachgeordneten Katastrophen- schutzbehörden. Nach letzter Mitteilung der Bundesre- gierung an die Kommission der Europäischen Gemein- schaften vom 23. Mai 2007 waren im April 2007 von 897 erforderlichen externen Notfallplänen 593 abge- schlossen, 199 in Bearbeitung, 34 in der Öffentlichkeits- beteiligung in Angriff genommen. Als Gründe für die mangelnde Umsetzung nannten die Innenministerien der Länder unter anderem sehr zeitaufwändige Abstimmungs- probleme wegen der Komplexität vieler Betriebe und er- heblichen Zeitaufwand für die Öffentlichkeitsbeteiligung, um das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit mit dem gleichzeitigen Ziel des Schutzes von Industrieanlagen vor Terrorismus und Sabotage zu vereinbaren. Zu Frage 28: Das Bundesumweltministerium hat die Innenminister der Länder seit Oktober 2003 mehrfach auf die bestehen- den Defizite bei der Erstellung externer Notfallpläne hingewiesen und um schnellstmögliche Behebung der Defizite gebeten. Die Länder haben stets versichert, dass sie bemüht seien, bestehende Defizite so schnell wie möglich aufzuarbeiten. Nach Mitteilung der Länder vom Frühjahr 2007 soll dies in der weit überwiegenden Zahl der Fälle bis zum Ende des Jahres erfolgt sein. Das Bun- desumweltministerium wird die Innenministerien der Länder nunmehr erneut auf die besondere Dringlichkeit der Situation hinweisen und sie um Mitteilung bitten, bis wann die Erstellung der externen Notfallpläne abge- schlossen sein wird. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Fragen des Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) (Drucksache 16/6743, Fragen 30 und 31): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Forderungen der nordrhein-westfälischen SPD-Landes- vorsitzenden, Hannelore Kraft, und des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, in der WAZ vom 15. Oktober 2007, nach Lösungen zu suchen, damit ältere ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher nicht „zwangsverrentet“ werden müssen? Plant die Bundesregierung gegebenenfalls Änderungen an den bestehenden Regelungen im SGB II bzw. SGB III vorzu- nehmen, damit ältere ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher auch weiterhin die Wahlmöglichkeit haben, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, und wie sehen diese aus? Vor dem Hintergrund, dass die Regelung über den Be- zug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter erleichterten Bedingungen vom 1. Januar 2008 an nur noch demjenigen zugute kommt, der vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hat und dessen Anspruch vor dem 1. Januar 2008 entstanden ist, prüft die Bundes- regierung derzeit das weitere Vorgehen. Richtschnur ist hierbei der Gedanke, wie die Integration Älterer in Er- werbsarbeit weiter verbessert werden kann. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung hält Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12567 (A) (C) (B) (D) den verwendeten Begriff der Zwangsverrentung für falsch. Weder bei § 5 Abs. 3 SGB II noch bei den ande- ren genannten Vorschriften handelt es sich um „Zwangs- verrentung“. Es ist in jedem Einzelfall unter Abwägung aller entscheidungserheblicher Belange zu prüfen, ob ein Rentenantrag gestellt werden kann. Insbesondere sind alle Möglichkeiten zu prüfen, ob nicht doch eine Integra- tion in Erwerbsarbeit möglich ist. Der Träger der Grund- sicherung für Arbeitsuchende kann daher nur dann für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einen Antrag stel- len, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige zuvor zur Stellung des Antrags aufgefordert wurde und dieser dem nicht nachgekommen ist. Dabei hat der erwerbsfähige Hilfebedürftige Gelegenheit, etwaige Gründe darzule- gen, warum ihm die Antragstellung nicht zumutbar ist. Auch die zuständigen Rentenversicherungsträger haben zu prüfen, ob die Voraussetzungen zum Bezug einer Rente vorliegen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäfts- bereich des Bundesministeriums für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Tagesordnungspunkt 5) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß ja, dass Koalitionsfraktionen dazu verdammt sind, ziemlich viele Gesetzentwürfe schönzureden, von denen sie eigentlich auch nicht wirklich überzeugt sind. Aber es ist auch das Los von uns Oppositionsabgeordneten, diese Schönrederei ertragen zu müssen. Was ich aber in Sachen Neuordnung der Agrarressortforschung gehört habe, war doch des Schlechten eindeutig zu viel. Sie wollen 13 Prozent der Stellen abbauen und sprechen da- von, dass sich die Agrarforschung trotzdem verbessern wird. Glauben Sie wirklich an so hohe Effizienzgewinne durch die beschlossenen Institutszusammenlegungen? Glauben Sie wirklich, dass die Neuordnung der Institu- tionen die Einsparung von 350 Stellen kompensieren kann? Ich weiß nicht, wer Ihnen das abnehmen soll! Darüber hinaus bleiben Sie eine schlüssige Begrün- dung für die Schließung von vier Forschungsstandorten schuldig und haben so keinerlei Rechtfertigung für die Belastungen, die auf die betroffenen Mitarbeiter und ihre Familien, die mit umziehen und sich woanders einen neuen Job suchen müssen, zukommen. Man kann ein System auch kranksparen. Und das scheint mir gerade zu passieren: Die Forst- und die Fischereiwissenschaften verlieren ihre organisatorische Eigenständigkeit. Damit werden Bereiche, die zuneh- mendem Nutzungsdruck ausgesetzt sind und deshalb ho- hen Forschungsbedarf haben, marginalisiert. Dabei hät- ten sie eine Aufwertung verdient. Grundsätzlich ist es zwar richtig und notwendig, Zahl und Inhalt der For- schungsfelder immer wieder neu an die aktuellen He- rausforderungen anzupassen. Richtig ist zum Beispiel die Einrichtung des Instituts für Agrarrelevante Klima- forschung und des Instituts für Biodiversität. Ich be- zweifle aber sehr, dass man immer gleich komplett neue Institutslandschaften gestalten muss. Ich kritisiere auch, dass Minister Seehofer sein Kon- zept beschlossen hat, bevor der Agrarausschuss seine Anhörung zum Thema durchgeführt hat. Damit hat das Ministerium ziemlich deutlich gezeigt, was es von parla- mentarischer Beteiligung hält – nämlich nichts. Die An- hörung wurde so zur Farce. Aber diese Missachtung galt nicht nur dem Parlament. Auch die Beteiligung der Fachöffentlichkeit war von vornherein genau so wenig vorgesehen wie die des Parlamentes. Die Diskussion im Ausschuss und in der Öffentlichkeit fand nur statt, weil der Entwurf des Konzeptes gegen den Willen des Minis- teriums bekannt wurde. Immerhin führte die öffentliche Diskussion dazu, dass dem Konzept einige Zähne gezo- gen wurden. So ist es ein großer Erfolg, dass die gerade erst in den letzten Jahren aufgebaute Ökolandbauforschung am Standort Trenthorst fortgesetzt werden kann. Es wäre doch geradezu absurd gewesen, Trenthorst mit der Be- gründung, die Forschungsaufgaben seien woanders effi- zienter zu bewältigen, wieder zu schließen. Hier hat of- fenbar der Wunsch, am wirtschaftlichen Aufschwung von Ökolandbau und Biomarkt zu partizipieren, die ideo- logische Ablehnung des Ökolandbaus bezwungen. Das ist ein Beispiel dafür, dass Gutes sich auf Dauer durch- setzt, unter Schwarz-Rot geht das allerdings nur sehr mühsam. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Antrag: Kommunales Wahlrecht für Dritt- staatenangehörige einführen – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Kommunales Ausländer- wahlrecht) (Tagesordnungspunkt 8 a und b) Gert Winkelmeier (fraktionslos): Es erscheint schon irgendwie ein wenig absurd: Österreicher dürfen in Deutschland auf kommunaler Ebene wählen, Schweizer dürfen es nicht. Hier verfängt das Argument vom Be- kenntnis zur christlich-abendländischen Werteordnung, die einen Menschen – wenn es nach großen Teilen der Union geht – erst berechtigt, deutscher Staatsbürger zu werden und damit dann auch wahlberechtigt zu sein, wohl eher nicht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der hessische CDU-Fraktionsvorsitzende, Dr. Wagner, ei- nem Schweizer die abendländische Herkunft absprechen würde. Das Wahlrecht an die christlich-abendländische Wer- teordnung zu koppeln, ist ein Schlag ins Gesicht all der Deutschen, die keiner christlichen Religionsgemein- 12568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) schaft angehören. Will die CDU/CSU denen vielleicht auch das Wahlrecht entziehen? Das derzeit existierende Ausländerwahlrecht ist letzt- lich ein Zweiklassenwahlrecht. Ist es etwa plausibel, wa- rum ein EU-Bürger nach drei Monaten Aufenthalt in die- sem Lande Mitglied in einem Kommunalparlament werden kann, während ein Türke, der seit 15 Jahren hier lebt, sich vielleicht sogar in seiner Kommune engagiert, noch nicht einmal wählen darf? Das ist schlicht nicht nachvollziehbar und es ist ungerecht. Um den Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes zu ändern, wäre – das wissen wir alle – eine Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag nötig. Sie scheint in weiter Ferne, wie die bisher nicht einmal begründete Ableh- nung der Bundesratsinitiative von Rheinland-Pfalz und Berlin durch die zuständigen Ausschüsse zeigt. Dabei haben die Gegner eines erweiterten Ausländerwahlrechts die deutlich schlechteren Argumente; denn gerade in Zeiten der Globalisierung, ist die ganze Welt der Ar- beitsmarkt. Im Jahr 2005 gab es weltweit 200 Millionen Migranten. In 45 Demokratien – unter anderem in Irland, Groß- britannien und den skandinavischen Ländern – gibt es ein Ausländerwahlrecht auf lokaler, regionaler oder so- gar auf nationaler Ebene. In Deutschland hingegen ist man nicht bereit, Drittstaatenangehörigen ihr Bürger- recht auf politische Partizipation in Form von Wahlen zuzugestehen, nicht einmal auf kommunaler Ebene. Das ist ein Skandal. Denn sie zahlen genauso ihre Steuern wie EU-Bürger oder deutsche Staatsbürger. Also sollten Ihnen auch vergleichbare Rechte eingeräumt werden. Längst ist erwiesen, dass Integration und Teilhabe- rechte zwei Seiten einer Medaille sind. Ein gleichbe- rechtigter Zugang zu politischen Entscheidungen auf der kommunalen Ebene für alle hier Lebenden gehört un- trennbar dazu. Es gibt inzwischen auch in der Union Rufe nach ei- nem kommunalen Ausländerwahlrecht auch für Dritt- staatenangehörige; ich darf nur an die Oberbürgermeis- terin von Frankfurt am Main, Petra Roth, erinnern. Ich möchte der Union ungerne unterstellen, dass ihre Ableh- nung mit den Umfragen unter betroffenen ausländischen Mitbürgern zusammenhängen könnte, die sehr deutlich zugunsten ihres derzeitigen Koalitionspartners ausfallen. Denn wir reden hier nicht von ein paar wenigen: Von den 6,7 Millionen Menschen in diesem Land ohne deut- schen Pass sind etwa 68 Prozent Drittstaatenangehörige, in erster Linie mit türkischer, kroatischer und serbischer Staatsangehörigkeit, die keineswegs nur vorübergehend bei uns leben. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug im Jahr 2005 fast 20 Jahre. Wir haben es also mit 4,5 Millionen Menschen zu tun, die in diesem Land, in dem sie zum großen Teil dauer- haft leben und ihre Steuern zahlen, ihr Bürgerrecht auf politische Partizipation nicht wahrnehmen dürfen. Das muss sich schleunigst ändern. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Deutsch-brasilianischen Atomvertrag durch Erneuerbare-Energien-Vertrag ersetzen (Tagesordnungspunkt 10) Gabriele Groneberg (SPD): Wenn wir heute über die Gestaltung des neuen Deutsch-brasilianischen Ener- gieabkommens sprechen, dann haben wir die Neuaus- richtung der bilateralen Zusammenarbeit im Energiesek- tor nicht zuletzt unserer parlamentarischen Initiative vor fast drei Jahren zu verdanken. Wir haben uns damals massiv dafür eingesetzt, dass ein umfassender Energie- vertrag zwischen Deutschland und Brasilien geschlossen wird, der die richtigen Schwerpunkte im Bereich Förde- rung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz setzt. Im Übrigen möchte ich nochmals daran erinnern, dass die SPD-Bundestagsfraktion bereits 1994 dazu einen Antrag eingebracht hat. Wie gesagt, unsere Initiative war mit ausschlagge- bend dafür, dass es im November 2004 zum Notenwech- sel beider Regierungen kam, der Grundlage ist für die derzeit stattfindenden Verhandlungen. Mitte nächsten Monats steht voraussichtlich die nächste Verhandlungs- runde an. Das neue Energieabkommen soll ganz im Zei- chen einer nachhaltigen Energieversorgung stehen: Hier geht es um Technologietransfer im Bereich der Explora- tion, der Energieeffizienz sowie der erneuerbaren Ener- gien. Auch geht es um die Anwendung flexibler Mecha- nismen des Kioto-Protokolls und die Entwicklung innovativer Antriebstechniken. Als Entwicklungspolitikerin halte ich die jetzt einge- schlagene Richtung – hin zu einer Energieversorgung, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht – für abso- lut sinnvoll und notwendig. Denn Brasilien ist das größte und bevölkerungsreichste Land Südamerikas und die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Land hat den zehntgrößten Energieverbrauch der Welt. Wir können davon ausgehen, dass die Entwicklung der brasiliani- schen Energiepolitik große Vorbildfunktion hat und da- mit natürlich auch starken Einfluss nimmt auf die ener- giepolitische Ausrichtung seiner Nachbarländer in Lateinamerika. Brasilien hat in den letzten Jahrzehnten seinen Energie- mix diversifiziert und ist somit weniger anfällig für Ener- giekrisen. Nicht ohne Grund setzt Brasilien bei diesem Energiemix auch stark auf den Ausbau erneuerbarer Ener- gien: Das Potenzial für erneuerbare Energien in Brasilien ist gewaltig, besonders für Wind- und Sonnenenergie. Die deutsche entwicklungspolitische Zusammenarbeit unter- stützt Brasilien bereits im Rahmen des Programms „Luz para todos“, vor allem durch Versorgung entlegener Ar- mutsgebiete im Norden und Nordosten des Landes im Be- reich Kleinwasserkraft, bei der Integration solcher Ener- gien in die nationale Stromversorgung. Zudem besteht eine Zusammenarbeit im Bereich der Energieeffizienz. Brasilien gehört immer noch zu den Ländern mit den höchsten Leitungsverlusten bei der Stromübertragung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12569 (A) (C) (B) (D) So weit zu den seit Jahren bestehenden Kooperatio- nen mit Brasilien. Weitere Projekte sind geplant im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina. Dort sollen vier Kleinwasser- kraftwerke entstehen, an deren Finanzierung sich die deutsche Zusammenarbeit mit rund 37,23 Millionen Euro beteiligt. Die jetzt praktizierte entwicklungspolitische Zusam- menarbeit wird – ebenso wie die geplanten Vorhaben – in das neue Deutsch-brasilianische Energieabkommen integriert. Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, ich kann Ihnen versichern: Wir als SPD-Entwicklungspoliti- ker haben auch weiterhin nicht die Absicht, die entwick- lungspolitische Zusammenarbeit im Bereich Energiege- winnung durch Atomkraft zu unterstützen. Dagegen gewinnt die Förderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadiskussion einen wachsenden Stel- lenwert in der Entwicklungskooperation – und dies auch in besonderer Weise in der Zusammenarbeit mit Brasi- lien. Insofern erschließt sich die Ablehnung Ihres Antrages aus meinen Ausführungen. Rolf Hempelmann (SPD): Die heutige Debatte hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt mit dem deutsch- brasilianischen Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie von 1975. Damals sollte eine Basis geschaffen werden für die industrielle Zusammenarbeit und einen Informa- tionsaustausch im Bereich der Nukleartechnologien. Knapp 30 Jahre später gab es – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des nationalen Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie in Deutschland – entsprechende Bemü- hungen der damaligen Koalitionsfraktionen und der Re- gierungen auf beiden Seiten, die Energiezusammenarbeit auf eine neue Grundlage zu stellen. Mit einem diploma- tischen Notenaustausch hat sich unsere Regierung mit der brasilianischen Seite schließlich auf die Erarbeitung eines neuen, umfassenden Energieabkommens und die Ablösung des Atomvertrages verständigt. Mittlerweile sind jedoch wieder drei Jahre ins Land gegangen, ohne dass die Verhandlungen zum Abschluss gebracht worden wären. Offenbar handelt es sich hier um recht zähe Verhandlungen. Auch das diplomatische Parkett ist glatt. Ich begrüße aber, dass sich bereits eine Verständigung über neue Schwerpunkte der Zusammen- arbeit im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz abzeichnet. In diesen Feldern streben Deutschland und Brasilien für die Zukunft einen intensi- ven Erfahrungsaustausch an. Außerdem sollen weitere Potenziale für die flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls ausgeschöpft wer- den. Seit dem Jahr 2006 haben die sogenannten CDM- Projekte in Brasilien erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei handelt es sich um Investitionen im Bereich der Energiegewinnung aus Zuckerrohrrückständen, aber auch um Deponiegasprojekte oder emissionsmindernde Maßnahmen im Transportsektor. Die CDM-Maßnahmen bieten den in den Emissionshandel eingebunden Unter- nehmen die Möglichkeit, die vertraglich festgelegten Reduktionsziele auf einem möglichst kosteneffizienten Weg zu erfüllen. Das ist nicht nur gut für das Klima, weil es letztlich unwichtig ist, wo das CO2 eingespart wird, sondern das bringt auch Know-how über neue Energie- technologien und Investitionen nach Brasilien. In der künftigen deutsch-brasilianischen Energiezu- sammenarbeit werden natürlich auch die Biokraftstoffe eine große Rolle spielen. Brasilien ist bei der Herstel- lung von Bioethanol weltweit führend und verfügt in dieser Branche über langjährige Erfahrungen, von denen auch die deutsche Branche profitieren kann. In diesem Zusammenhang begrüße ich insbesondere auch die Be- mühungen der Verhandlungsführer, einen Dialog über ein Zertifizierungssystem für Biokraftstoffe einzuleiten. Wichtige Impulse für diesen Dialog liefert die geplante Nachhaltigkeitsverordnung für den Einsatz von Bio- kraftstoffen in Deutschland, die sich derzeit in Ressort- abstimmung befindet. Über die Verordnung soll unter anderem sichergestellt werden, dass die in Deutschland verarbeitete Biomasse nur über ökologisch nachhaltige Anbaumethoden gewonnen wird. All das sind – dass müssen auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hono- rieren – wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einer zu- kunftsweisenden und ökologisch nachhaltigen Energie- zusammenarbeit zwischen Deutschland und Brasilien. Ihnen müsste klar sein, dass Ihr Antrag von den Tatsa- chen überholt ist. Aber lassen Sie mich noch kurz auf den Kontext der Energiezusammenarbeit mit Brasilien eingehen. Die glo- bale Herausforderung des Klimawandels bei einer gleichzeitig explodierenden demografischen Entwick- lung zeigen, wie wichtig die internationale Kooperation auf dem Gebiet der Energie geworden ist. Die Weltbe- völkerung wird von heute 6,5 Milliarden auf 8 Milliar- den im Jahr 2025 bzw. 9 Milliarden Menschen im Jahr 2050 anwachsen. Diese Entwicklung wird von der nach- holenden Industrialisierung wichtiger Schwellenländer wie China, Indien oder eben Brasilien begleitet. Die Nachfrage nach dem Produktionsfaktor Energie nimmt entsprechend zu. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass der Weltenergieverbrauch bis 2030 um mehr als 50 Prozent zunehmen wird. Ein Großteil des Energiekonsums wird auf heutige Schwellen- und Entwicklungsländer entfallen. In wenigen Wochen werden die Vereinten Nationen auf Bali über ein Kioto-Nachfolgeabkommen verhan- deln. Auch im Hinblick darauf ist es für uns nur folge- richtig, mit Staaten wie Brasilien einen besonders inten- siven Dialog zu führen. Das Land ist mit über 186 Millionen Einwohnern der größte Energiekonsu- ment Südamerikas. Angesichts der wachsenden Energie- binnennachfrage hat sich die brasilianische Regierung vorgenommen, den Energiemix des Landes zu diversifi- zieren. Dabei spielen vor dem Hintergrund großer Gas- und Ölvorkommen sowohl fossile Energien als auch re- 12570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) generative und vor allem dezentrale Energieerzeugungs- arten eine Rolle. Brasilien hat ein Erneuerbare-Energien- Programm ins Leben gerufen, das sich an unserem Ex- portschlager, dem deutschen Erneuerbare-Energien-Ge- setz orientiert. Diese Linie können wir nur unterstützen. Deshalb kann ich nur betonen, wie wichtig es ist, die Kooperationsvorhaben im Bereich der angesprochenen Zukunftstechnologien der Energieerzeugung und der Energieeffizienz bald mit Leben auszufüllen, insbeson- dere, da der künftige Umgang mit der Kooperation im Bereich der friedlichen Nutzung von Kernenergie offen- bar noch zwischen den Vertragspartnern austariert wer- den muss. Die SPD-Fraktion strebt weiterhin nach einem höheren Maß an Kongruenz zwischen unserer Energiein- nenpolitik und unserer Energieaußenpolitik. Aber wir le- ben nicht hinter dem Mond und wissen um die zum Teil grundsätzlich verschiedenen Auffassungen zu diesem Thema auch innerhalb der Regierungskoalition. Das darf die Verhandlungen aber nicht weiter in die Länge ziehen. Wir haben uns vor nunmehr drei Jahren auf die Aus- handlung eines neuen Energieabkommens ohne nuklear- technologische Komponente verständigt. Nun wird es Zeit, dass wir hier zu einem tragbaren Ergebnis kom- men. Die bereits erreichten Gesprächsergebnisse weisen in die richtige Richtung. Angelika Brunkhorst (FDP): Am 1. März diesen Jahres haben wir den Antrag der Grünen, den deutsch- brasilianischen Atomvertrag durch einen Erneuerbare- Energien-Vertrag zu ersetzen, in 1. Lesung beraten. Seitdem hat es in Brasilien in Hinblick auf die Kern- energie keine nennenswerten Veränderungen gegeben. Insofern bleibe ich bei dem, was ich im März gesagt habe, freue mich, dass die Beschlussempfehlung auf „Ablehnung“ lautet. Denn im letzten Dreivierteljahr ist erneut deutlich ge- worden, was wir schon lange wussten: Brasilien ist auf Wachstumskurs. Brasilien setzt auf Kernkraft – komme, was da wolle. Lassen Sie mich ein Papier der Deutschen Bank vom Juli dieses Jahres zitieren, um zu veranschaulichen, von was für einen Wachstumskurs wir hier sprechen: Noch im Jahr 2002 war es während der Wirtschafts- und Finanzkrise nur knapp gelungen, die Zahlungs- unfähigkeit abzuwenden. Brasiliens Lage und Sta- bilität haben sich jedoch im Laufe der letzten fünf Jahre dramatisch verbessert. … Für 2009 strebt die Regierung einen ausgeglichenen Haushalt an. Brasilien ist also auf der wirtschaftlichen Erfolgsspur. Und diesem Land wollen die Grünen indirekt vor- schreiben, wie es seinen Energiemix zu gestalten hat. Stellen Sie sich den Realitäten: Brasilien baut seine Kernkraft kräftig aus. Das hat Präsident Lula diesen Sommer immer wieder in den Medien sehr deutlich an- gekündigt. In erster Linie geht es dabei um die Fertigstellung von Angra 3, die wir, die FDP-Fraktion, aus verschiedenen Gründen sehr begrüßen. Baubeginn soll hier noch in die- sem Jahr sein. Dieses Projekt schafft 10 500 direkte und indirekte Arbeitsplätze während des Baus und zukünftig 500 dauerhafte Stellen im laufenden Betrieb. Präsident Lula hat aber über dieses Großprojekt hi- naus noch ganz andere Dinge vor: Bis 2016 will er ins- gesamt 386 Millionen Euro in die brasilianische Kern- energie investieren. Die Rede ist vom Bau von vier bis acht neuen Kernkraftwerken bis 2030 mit einer Leistung von je 1 000 Megawatt. Und die Pläne sind nachvollzieh- bar, denn Brasilien ist der sechstgrößte Uranproduzent der Welt und verfügt über eigene Anreicherungsanlagen. Für uns in Deutschland bedeutet diese Entwicklung, dass wir mit der Kompetenz unserer Fachleute weiterhin weltweit punkten können. Wahrlich kein Nachteil, wenn wir unsere weltweite Führungsposition, was deutsche In- genieurskunst angeht, ausbauen. Die FDP-Fraktion hatte erst vorgestern Experten zu einer Anhörung zum Thema „Reaktorsicherheit“ einge- laden. Die Experten mit unterschiedlicher Bewertung und Haltung zur Kernenergie stellten dennoch überein- stimmend fest, dass unsere Fachleute für die Kernener- gieanlagen in die Jahre gekommen sind, ohne dass aus- reichend junge Experten ausgebildet wurden. Es herrscht ein eklatanter Nachwuchsmangel. Gerade diese Experten brauchen wir aber auch, selbst wenn der Atomausstieg so kommt, wie er geplant ist. Es gibt ein Riesenproblem aus Forschungs-, sicher- heitstechnischer und wirtschaftlicher Sicht. Wir brau- chen weiterhin die Kompetenz der deutschen Wissen- schaft und Industrie und sollten daher aktiv um Nachwuchs werben. Übrigens brauchen wir auch für die Kontrollbehörden gut ausgebildete Leute. Eine erste Reaktion, um den Bedarf zu decken ist die Gründung des „Südwestdeutschen Forschungs- und Lehrverbund Kerntechnik“ vergangenen Montag. Zurück zu Brasilien und Ihrem Antrag. Fazit: Brasi- lien ist ein souveränes Land und wird sich nicht, wie Sie es wollen, durch vertragliche Änderungen zu einer ande- ren Energiepolitik missionieren lassen. Erneuerbare- Energien-Technologien sind sicher auch für Brasilien eine interessante Option. Zeitpunkt und Ausmaß an Nachfrage nach Erneuerbare-Energien-Technologien und die Ausgestaltung der vertraglichen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet wird Brasilien aber selbst bestimmen. Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Die Bundesrepublik Deutschland hat sich aus guten Gründen für den Aus- stieg aus der gefährlichen Atomenergienutzung entschie- den. Ich möchte daran erinnern, dass das die Bürgerin- nen und Bürger hierzulande genau so sehen: Die überwiegende Mehrheit sagt: Atomkraft – nein danke! Auch im Bundestag gibt es eine parlamentarische Mehr- heit für den Weg in eine nichtnukleare Energieversor- gung. Das muss sich endlich auch in der außenpoliti- schen Arbeit dieser Bundesregierung widerspiegeln. Konsequenterweise bedeutet das: Die nukleare Zu- sammenarbeit mit Brasilien muss sofort beendet werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12571 (A) (C) (B) (D) Stattdessen brauchen wir mit dem Land einen Dialog über und einen Transfer von Wissen und Technologie im Bereich der erneuerbaren Energien. Davon können beide Seiten langfristig profitieren, im wirtschaftlichen, im so- zialen und im ökologischen Bereich Nachhaltigkeit als Grundlage bilateraler Verträge, das ist die Devise. Die Linke stimmt dem Antrag der Grünen deshalb zu. Auch wenn der Vorschlag ein wenig spät kommt. In den sieben Jahren rot-grüner Regierungszeit wurden derart konsequente Forderungen, den deutsch-brasilianischen Atomvertrag durch einen Erneuerbare-Energien-Vertrag zu ersetzen, nicht vernommen. Dabei schielte Brasilien in den 70er-Jahren auf die Atombombe, als Deutschland damals unter SPD-Füh- rung anfing, Nuklearmaterial nach Lateinamerika zu lie- fern. Umso wichtiger ist es jetzt, sich davon zu distanzie- ren. Ohnehin verschluckt der Bau des von Siemens geplanten Atomkraftwerks Angra 3 Milliarden Dollar volkswirtschaftlichen Vermögens. Schon der davor mit deutscher Ingenieurskunst errichtete zweite Meiler ging nach über 25 Jahren Entwicklungszeit als teuerstes Atomkraftwerk der Welt unrühmlich in die Geschichte ein. Dennoch ist auch heute Gefahr in Verzug: Das staatli- che brasilianische Planungsunternehmen EPE hat die Er- richtung von vier weiteren Atommeilern vorgeschlagen. Niemand weiß, ob sich in Zukunft nicht auch andere südamerikanische Staaten auf einen ähnlich gefährlichen Weg einlassen. Die strahlende Nuklearspirale, die mit- hilfe deutscher Unternehmen bereits den Nahen und Mittleren Osten destabilisiert hat, könnte so auch in Süd- amerika zu drehen beginnen. Deshalb ist bei internationalen Energieverträgen eine konsequente Ausrichtung auf Wind, Wasser, Sonne und Bioenergie unverzichtbar; denn erneuerbare Energien bedeuten Klimaschutz. Das Nobelpreis Komitee hat un- längst richtig erkannt: Klimaschutz ist ein unverzichtba- rer Beitrag zum Frieden. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Zusammentreffen der beiden Außenminister hat im No- vember 2004 das Ende des anachronistischen Atomver- trages – aus Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur – eingeleitet. Ein nichtnuklearer Energievertrag mit dem Schwerpunkt der erneuerbare Energien sollte, so die ge- meinsame Willenserklärung – die in einem diplomati- schen Notenwechsel niedergelegt wurde –, an seine Stelle treten. Statt diese Chance beim Schopf zu packen, verhindert das Wirtschaftsministerium seither ein neues Abkommen. Der Wirtschaftsminister will sich offen- sichtlich auch weiterhin die umstrittene Nuklearoption offenhalten, im Zusammenspiel mit der Atomlobby in Deutschland und Brasilien. Bei der ersten Lesung im Bundestag hat die Koalition gezeigt, dass sie in dieser Frage tief gespalten ist. Die Abgeordneten der SPD unterstützten in ihren Reden un- seren Antrag und schlossen eine Hermes-Bürgschaft für das neue AKW Angra 3 aus. Die Union dagegen hielt ein flammendes Plädoyer für die Neubelebung der Atomkooperation mit Brasilien und bekam dafür den Beifall der FDP. Was gilt, können Sie heute zeigen, indem Sie diesem Antrag zustimmen. Wer offiziell am Atomausstieg fest- hält, aber Atomgeschäfte mit Brasilien und anderen Na- tionen fördern will, macht sich unglaubwürdig. Ich bin gespannt, was Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD, überlegt haben. Wie man hört, wol- len Sie jetzt zum einen den Nuklearvertrag weiterlaufen lassen und zum anderen einen Erneuerbaren-Vertrag da- neben setzen. Dies ist keine Politik, sondern ein fauler Kompromiss, ein Kniefall vor der Atomlobby hüben und drüben. Im Energiemix Brasiliens hat die Atomenergie ledig- lich ein Gewicht von 1,2 Prozent, ist also energiepoli- tisch vollkommen unbedeutend. Dies lässt gleichzeitig die wirkliche Intention, die die Miltärjunta 1975 ver- folgte, hervortreten: Brasilien sollte zur Nuklearmacht aufsteigen. Brasilien verfolgte, als es merkte, dass über den Atomvertrag mit Deutschland kein entsprechender Technologietransfer zustande kam, ein geheimes Paral- lelprogramm. Dies zeigt, dass das Nuklearprogramm zu- mindest damals – und ich befürchte, es tut es noch im- mer – eine Ideologie des nuklearen Großmachtstrebens unterstützte. Mit gutem Grund prüfen wir die nukleare Zusammen- arbeit besonders intensiv. Die Gefahr der Proliferation – das Streben von immer mehr Ländern nach der Atom- bombe – zeigt sich an den aktuellen Konflikten mit Nordkorea und dem Iran deutlich. Dieser Gefahr muss man entschlossen entgegentreten. Während die Atomkraft für die Energiepolitik Brasi- liens bedeutungslos ist, haben die erneuerbaren Energien eine hervorragende Rolle im Energiemix des Landes: vor allem Wasserkraft und Biomasse. Die Stromerzeu- gung basiert hauptsächlich auf Wasserkraft und kann hervorragend durch Wind- und Solarenergie ergänzt werden. Große Möglichkeiten eröffnen sich – auch aus entwicklungspolitischer Perspektive – bei der dezentra- len ländlichen Energieversorgung, die unmittelbar zur „Armutsbekämpfung“ beiträgt. Die brasilianische Re- gierung hat 2004 ein Nationales Programm zur Produk- tion von Biodiesel aufgelegt. Dieses verfolgt gleichzeitig Umweltziele, Armutsbekämpfung und die wirtschaftli- che Stimulierung von ländlichen Regionen in den ärms- ten Landesteilen des Nordostens und Nordens. Durch die Rehabilitierung von Wasserkraftwerken und die Erneuerung von Transmissionssystemen können schnell fünf bis sechs AKWs eingespart werden; durch Ausweitung und Effizienzsteigerungen bei der Verarbei- tung von Zuckerrohr-Bagasse können in den nächsten Jahren noch einmal Produktionskapazitäten für Strom aus Biomasse im gleichen Umfang entstehen. All diese Optionen sind schnell, kostengünstig und ohne Sicher- heitsrisiko zu haben. Atomenergie ist die teuerste aller Energieoptionen. Es gäbe also viel zu tun, aber die Bun- desregierung scheint hier der Devise der brasilianischen Atomlobby zu folgen und nichts anzupacken. Damit 12572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) wird die zukunftsfähige Energiekooperation auf dem Al- tar einer überkommenen Atompartnerschaft geopfert. Trotz besiegeltem Atomausstieg im Inland tut sich die Bundesregierung unglaublich schwer, die gleichen Re- geln auch für die Außenwirtschaft gelten zu lassen. Die Hermes-Umweltleitlinien sagen, dass keine Atom- exporte mehr mit öffentlichen Bürgschaften und Garan- tien gefördert werden dürfen. Das Wirtschaftsministerium versucht jetzt, die Kantinen in einem Atomkraftwerk so großzügig zu definieren, dass mit den Zulieferungen zum Kantinenbau bereits 80 Prozent eines AKWs ste- hen. Wir sagen „null Toleranz“: keinerlei Zulieferungen zum Neubau von Atomkraftwerken! Keine Hermes-Un- terstützung für den Bau von Angra 3! Bitte kommen Sie zur Besinnung. Gießen Sie kein Wasser mehr auf die Mühlen der Atomlobby. Das Ergeb- nis ist Stagnation, statt eine dynamische Energiepartner- schaft voranzubringen, die große Potenziale auch für den Klimaschutz hätte. Ich appelliere auch an die brasiliani- sche Seite, sich zu entscheiden. Dadurch dass Sie immer wieder die Atomkarte in den bilateralen Verhandlungen aufblitzen lassen, tragen Sie dazu bei, dass in attraktiven Bereichen wie Biotreibstoffen und Energieeffizienz nichts vorangeht. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten – Unterichtung durch die Bundesregierung: Be- richt der Bundesregierung zu Prüfaufträgen zur Zukunft der Freiwilligendienste, Ausbau der Jugendfreiwilligendienste und der genera- tionsübergreifenden Freiwilligendienste als zi- vilgesellschaftlicher Generationenvertrag für Deutschland – Antrag: Jugendfreiwilligendienste in einem gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammen- fassen – Antrag: Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeption entwickeln (Tagesordnungspunkt 11 a und b, Zusatzord- nungspunkte 4 und 5) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Die Große Koali- tion hält Wort. In der Koalitionsvereinbarung haben wir festgelegt, die finanziellen Grundlagen für die Jugend- freiwilligendienste zu stärken und ihre gesetzlichen Grundlagen zu verbessern. Deshalb haben wir trotz der unverändert geltenden Pflicht zur Haushaltskonsolidie- rung die Mittel für die Freiwilligendienste schon im letz- ten Bundeshaushalt erhöht, und deshalb beraten wir heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten. Wir haben uns im Vorfeld dieser ersten Lesung auf ei- nen gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan geänderten Beratungsverlauf verständigt. Ich bin sowohl dem Bun- desfamilienministerium als auch dem Bundesfinanzmi- nisterium für das Entgegenkommen dankbar, weil ich es für wichtig halte, dass wir uns bei diesem Gesetzesvor- haben nicht nur die Zeit nehmen, in einer Öffentlichen Anhörung die Experten anzuhören, sondern uns nach Möglichkeit auch interfraktionell auf die Lösung ver- ständigen. Die Atmosphäre der ersten Berichterstatterge- spräche lässt jedenfalls den Schluss zu, dass uns das ge- lingen könnte. Die grundsätzliche Zielrichtung des Gesetzentwurfs ist sicher unstrittig. Wenn wir die bislang unterschiedli- chen gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Freiwil- lige Soziale Jahr, FSJ, und das Freiwillige Ökologische Jahr, FÖJ, zukünftig rechtlich unter einem Dach zusam- menführen, ist das ein Beitrag zur Transparenz und auch zur Vereinfachung. Und wenn sich in diesem Zusam- menhang die Gelegenheit bietet, im Interesse von Trä- gern wie Freiwilligen die eine oder andere Unebenheit zu glätten, dann sollten wir dies auch tun. Uns haben in den vergangenen Tagen eine ganze Reihe von Stellungnahmen erreicht; auch der Bundesrat hat sich bereits eingehend mit dem Thema befasst. Ver- mutlich ging es den Kolleginnen und Kollegen Bericht- erstatter ähnlich, dass wir an der einen oder anderen Stelle nochmals nachdenklich geworden sind, weil we- nigstens nach meiner Auffassung eine Vielzahl von An- regungen durchaus in die richtige Richtung geht. Ich will dies an einigen Punkten exemplarisch darstellen: Erstens. FSJ und FÖJ sind seit Jahren, ja seit Jahr- zehnten, feste Begriffe, die sich nicht nur etabliert ha- ben, sondern auch positiv besetzt sind. Wir sollten da- rauf achten, dass diese Marken erhalten bleiben. Wir tun niemandem einen Gefallen, wenn wir diese Begriffe ohne Not verändern. Das schlägt sich auch im Sprachge- brauch nieder. „Ich mache ein FSJ“, ein kurzer Satz, nach dem jeder Bescheid weiß. Dem gegenüber klingt der Satz „Ich leiste einen Freiwilligen Sozialen Dienst, der ein Jahr dauert“ zugegebenermaßen etwas umständ- lich. Zweitens. Ich bin der Auffassung, dass der Bildungs- charakter der Jugendfreiwilligendienste im Kern erhalten bleiben muss. Deshalb hat die Bundesregierung recht, wenn sie auf Seite 6 der Broschüre zum neuen Programm „Miteinander – füreinander“ formuliert: „Das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr sind Bildungsjahre, in denen junge Menschen soziale Kompe- tenz erwerben und erproben.“ Konkret gemünzt auf den heute in erster Beratung zu diskutierenden Gesetzentwurf bedeutet dies, dass wir uns die Formulierung in § 1 noch- mals ansehen müssen, wenn nämlich die Jugendfreiwilli- gendienste unter die Überschrift „Bürgerschaftliches En- gagement“ subsummiert werden und durch diese Deklaration an prominenter Stelle der Bildungscharakter des Jugendfreiwilligendienstes in den Hintergrund tritt. Ich räume ein, dass andere Freiwilligendienste, etwa ge- nerationenübergreifende Freiwilligendienste oder For- men wie senior expert service weniger stark den Bil- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12573 (A) (C) (B) (D) dungsauftrag verfolgen. Jugendfreiwilligendienste jedoch sollten auch zukünftig im Kinder- und Jugendplan des Bundes verankert sein, da sie einen zentralen Bestandteil der jugendpolitischen Agenda des Bundes sind. Drittens. Ein schwerer Stein im Magen ist vielen von uns das Thema Umsatzsteuer. Wir sind uns vermutlich von vornherein einig, dass Jugendfreiwilligendienste nicht umsatzsteuerpflichtig werden sollen. Nun stehen wir aber vor der Frage, wie wir das am besten bewerk- stelligen. Das Ministerium hat uns im Gesetzentwurf ei- nen Vorschlag unterbreitet, der sicher gut durchdacht und wohl – wenn man das einmal salopp formulieren darf – auch wasserdicht zu sein scheint. Viele Träger je- doch, insbesondere die kleineren, klagen jetzt schon über den Verwaltungsaufwand, der sich damit verbindet. Und wenn ich einmal ganz ehrlich sein soll: Ich selbst habe den Passus, der sich mit der Umsatzsteuer befasst, noch immer nicht ganz verstanden. Ich will stattdessen Ihr Augenmerk nochmals auf den Ansatz richten, den der Bundesrat in seiner Stellungnahme vorgeschlagen hat. Wir sollten insbesondere in der Anhörung die Gelegen- heit nutzen, um mit den Experten die Frage zu beraten, ob der Vorschlag des Bundesrates nicht zielführender ist – unter der Voraussetzung freilich, dass der Jugendfreiwil- ligendienst ganz klar und unmissverständlich als Bil- dungsmaßnahme deklariert wird und wir dann umsatz- steuerrechtlich analog der Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz verfahren könnten. Viertens. Ich will in einem vierten Punkt auf eine An- regung zu sprechen kommen, die uns ebenfalls von der Länderseite zuging. Die Möglichkeit, Freiwilligen- dienste abschnittsweise zu leisten, hat schon im Vorfeld der Beratung für Gesprächsstoff gesorgt. Wo einerseits die Gefahr der Zerfaserung und damit der geringer wer- denden Attraktivität des Dienstes befürchtet wird, be- steht natürlich andererseits die Chance, wirklich innova- tive Projekte wie zum Beispiel FSJ-Plus in Baden- Württemberg, wo das FSJ mit der Erlangung des Real- schulabschlusses verbunden wird, auch in Zukunft an- bieten zu können. Ich plädiere daher dafür, das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen, will sagen: Die Möglichkeit, den Dienst abschnittsweise etwa in Blö- cken von drei Monaten zu tun, sollte die absolute Aus- nahme sein. Fünftens. Ein letzter Punkt: Wenn Jugendfreiwilligen- dienste tatsächlich etwas Zählbares in einem Lebenslauf darstellen sollen – und diesen Aspekt verfolgen wir ja bei der Neukonzeption des Zivildienstes als Lerndienstes auch –, dann ist der gesetzgeberische Ansatz sicher rich- tig, hierfür auch ein qualifiziertes Zeugnis und nicht nur eine Bescheinigung zu erhalten. Wir sollten diese Zeug- niserstellung zum Obligatorium machen und nicht nur als Option vorsehen, die neben einer automatisch auszu- stellenden Bescheinigung steht. Schlussbemerkung: Wir werden nach Abschluss die- ses Gesetzgebungsverfahrens noch nicht am Ende unse- rer Aktivitäten in Sachen Freiwilligendienste sein. Der Modellversuch „Generationsübergreifende Freiwilligen- dienste“ läuft im kommenden Jahr aus, wir müssen uns Gedanken machen, wie es weitergehen kann. Ich bin Staatssekretär Hoofe dankbar, dass er heute im Aus- schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend klar dargestellt hat, dass man über eine Regierungsinitiative nachdenkt, die zum Ziel haben soll, die unterschiedli- chen Ansätze in den einzelnen Bundesministerien beim Thema Freiwilligendienst – ich nenne exemplarisch nur den lobenswerten Dienst „weltwärts“ aus dem Bundes- ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – möglichst zu koordinieren, Dopplungen zu vermeiden und die Dinge aufeinander abzustimmen. Wir sollten letztlich nicht einen Bauchladen mit zig un- terschiedlichen Angeboten vor uns her tragen, sondern es schaffen, vom FSJ über FÖJ und das Freiwillige Jahr in der Kultur bis hin zum Freiwilligen Jahr im Sport eine Struktur aufzubauen, die einerseits den unterschiedli- chen Bedürfnissen und Wünschen von Freiwilligen ge- recht wird, andererseits aber auch sicherstellt, dass die unterschiedlichen Dienste zu vergleichbaren Bedingun- gen stattfinden können. Ich freue mich auf konstruktive Beratungen im Aus- schuss und zusammen mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern. Sönke Rix (SPD): Eine wichtige Säule unserer Bür- gergesellschaft sind die Jugendfreiwilligendienste. Sie sind ein Erfolgsmodell. Im Übergang zwischen Jugend- und Erwachsenenphase eröffnen das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr die Chance per- sönlicher und beruflicher Orientierung. Sie bieten jun- gen Menschen nach der Schulausbildung oder in der weiteren Ausbildungsphase neue Lernerfahrungen. Sie vermitteln wichtige fachliche und soziale Fähigkeiten. Sie stärken Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein sowie Eigen- und Fremdverantwortung. Deshalb sind Jugend- freiwilligendienste wichtige Lernorte zwischen Schule und Beruf. Seit den 70er-Jahren hat sich die Zahl der Teilneh- menden am Freiwilligen Sozialen Jahr von 1 000 auf rund 25 000 pro Jahrgang erhöht. Hinzu kommen 1 900 Freiwillige im Ökologischen Jahr. Es gibt aber im- mer noch viel mehr Bewerber als angebotene und finan- zierte Stellen. Im Durchschnitt kommen drei Bewerber auf einen freien Platz. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, haben uns schon in den vergangenen Legislaturperioden für eine Stärkung der Freiwilligendienste eingesetzt. Die SPD-AG „Bür- gerschaftliches Engagement“ und der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ haben engagierte Ar- beit geleistet. Dafür bedanke ich mich an dieser Stelle bei allen, die für unsere Sache im Hintergrund die Vor- arbeit leisten. Es ist unter anderem diesen Gremien zu verdanken, dass das Thema Bürgergesellschaft längst kein Schattendasein mehr fristet. Wichtige Weichenstel- lungen für Jugendfreiwilligendienste wurden dort unter- nommen. Zur Erinnerung: Auf unsere Initiative der SPD-Bun- destagsfraktion ist im Jahre 2005 der Antrag „Zukunft der Freiwilligendienste“ im Bundestag fraktionsüber- greifend beschlossen worden. Darin haben wir die Weiterentwicklung der nationalen und internationalen 12574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Jugendfreiwilligendienste gefordert. Vieles davon ist im aktuellen Gesetzentwurf aufgegriffen worden. Wir diskutieren heute den aktuellen Gesetzentwurf zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten. Doch erstmal ein Rückblick: Bereits mit der letzten Gesetzes- Novellierung 2002 haben wir viel erreicht: Die Platzzah- len der Träger haben sich stark erhöht. 4 000 neue Plätze sind im FSJ hinzugekommen. Die neuen Regelungen im § 14 c des ZDG brachten auch eine Erhöhung der Platz- zahlen in den klassischen Bereichen, wie zum Beispiel in Altenheimen, Krankenhäusern und Kindergärten, her- vor. Die Förderung durch das Bundesamt für Zivildienst ist für viele Träger so attraktiv, dass sie weitere bis dahin nicht finanzierbare Freiwilligenplätze anbieten. Diese werden angenommen: Der starke Anstieg bei den jungen Männern zwischen 2002 und 2004 ist weitgehend auf die neuen Möglichkeiten des Zivildienstgesetzes zurückzu- führen. Aber auch die neuen Einsatzfelder, wie bei- spielsweise der Sportbereich, ziehen Interessierte an. Zudem wurden die Freiwilligendienste auf das außer- europäische Ausland ausgeweitet. Dies hat zu einem An- stieg der Platzzahlen im Ausland geführt. Und es gibt neue Träger, die im Ausland Freiwilligenplätze schaffen. In diesem Jahr hat sich in Sachen Jugendfreiwilligen- dienste etwas Entscheidendes getan: Das Bundesfami- lienministerium hat mit „Freiwilligendienste machen kompetent!“ ein neues Programm aufgelegt. Letztes Jahr haben wir gefordert, dass die Integration der Jugendli- chen unter 17 Jahren und die der Jugendlichen mit Mi- grationshintergrund gefördert werden muss. Dafür soll- ten Einsatzstellen geschaffen und eine angemessene pädagogische Betreuung angeboten werden. Eine höhere Bezuschussung für diese Plätze war dringend notwen- dig. So können auch die Betreuer in den Einsatzstellen ausreichend qualifiziert werden. Außerdem habe schon damals einen Schwerpunkt unserer Politik klar formu- liert: Wir wollen, dass Jugendliche mit Hauptschul- abschluss und junge Menschen mit Migrations- hintergrund die Möglichkeit haben, einen Freiwilli- gendienst anzutreten. Denn der Freiwilligendienst bietet einmalige Chancen für eine langfristige Inte- gration in unsere Gesellschaft. Dies wird nun in dem neuen Programm verwirklicht. Es erreicht Jugendliche, die bisher nicht für eine Teil- nahme an einem FSJ oder FÖJ gewonnen werden konn- ten. Der Schwerpunkt liegt hier noch mehr als sonst auf dem Erwerb von sogenannten informellen Kompeten- zen. Dazu gehören: Teamfähigkeit, Durchhaltevermö- gen, Hilfsbereitschaft und selbstständiges Übernehmen von Aufgaben. Das wird den Jugendlichen in diesem Programm vermittelt. Auf unsere Initiative wurde eine zusätzliche Million Euro für dieses neue Programm zur Verfügung gestellt. Eine weitere Million Euro kommt aus dem Europäischen Sozialfonds. Es stehen also 2 Millionen Euro zur Verfügung. Im September dieses Jahres fiel der Startschuss für „Freiwilligendienste ma- chen kompetent!“. Wir sind gespannt, wie die ersten Er- gebnisse ausfallen. Doch nun zurück zu dem vorliegenden Gesetzent- wurf, der heute eingebracht wurde. Er heißt „Entwurf ei- nes Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligen- diensten“. Und genau das wollen wir damit erreichen. Wir wollen Jugendfreiwilligendienste und alle, die damit zu tun haben, fördern. Dazu gehört beispielsweise die Umsatzsteuerpflicht. Wir wollen verhindern, dass bei ei- nem Jugendfreiwilligendienst eine Umsatzsteuer erho- ben wird. Dies gab im Übrigen den Anstoß für den neuen Gesetzentwurf. Für die jungen Leute, die einen Freiwilligendienst leisten, hat dies direkt natürlich keine Auswirkungen. Sie nehmen ihr Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr ohne die Umsatzsteuerproble- matik wahr. Trotzdem ist eine Vermeidung der Umsatz- steuerpflicht natürlich umso wichtiger für die Träger und Einsatzstellen, um weiterhin eine hohe Zahl von Freiwil- ligendienstplätzen anbieten zu können. So tun wir auch den Freiwilligen und solchen, die es werden wollen, ei- nen Gefallen. Doch der Gesetzentwurf hat nicht nur mit Finanzen und Steuern zu tun. Wir wollen die Freiwilligendienste auch unter anderen Gesichtspunkten weiterentwickeln. Aus meinen Gesprächen mit Freiwilligen und ehemali- gen Freiwilligen weiß ich, dass sie ihr Soziales oder Ökologisches Jahr dazu nutzen, sich nach der Schulzeit zu orientieren und Kompetenzen zu erwerben, die es in anderen Ausbildungszusammenhängen so nicht gibt. Diesen Aspekt wollen wir mit dem neuen Gesetz und ei- ner stärkeren Betonung der informellen Bildung stärken. Außerdem wollen wir uns noch mehr als bisher an der Lebenswirklichkeit von jungen Menschen orientieren. Wir tun den jungen Menschen keinen Gefallen, indem wir starr an der 1-Jahres-Regelung festhalten. Wir müs- sen flexibel auf ihre Wünsche eingehen und uns daran gewöhnen, dass ein Freiwilliges Soziales Jahr auch ein- mal „nur“ ein halbes Jahr dauert, weil danach das Stu- dium oder ein Praktikum beginnt. Mit den neu geschaffenen Kombinationsdiensten er- möglichen wir es den jungen Freiwilligen, im Inland und im Ausland ihren Freiwilligendienst zu absolvieren. Das schafft interkulturelle Erfahrungen, und zwar andere als zum Beispiel ein Studiensemester im Ausland. Arbeitet ein Freiwilliger beispielsweise in einem spanischen Al- tenheim, werden dort sicherlich andere Fähigkeiten ge- fragt sein als an einer spanischen Uni. Außerdem wollen wir benachteiligten Jugendlichen mehr Bildungschancen ermöglichen, indem wir in be- stimmten Fällen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr mit einem formalen Bil- dungsauftrag verknüpfen. So konnten Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen im „FSJplus“, das in den letzten zwei Jahren in Baden-Württemberg durchge- führt wurde, auch noch ihren Realschulabschluss erwer- ben. Das Programm war ein voller Erfolg. Sowohl für die Kombinationsdienste als auch für die Freiwilligendienste, die mit einem Bildungsabschluss verbunden sind, gilt: Diese Formen sind Ausnahmen. Wir wollen diese Ausnahmen fördern, aber gleichzeitig stehen wir voll hinter den klassischen FSJ und FÖJ. An diesen Abkürzungen, die mittlerweile bei Trägern, Frei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12575 (A) (C) (B) (D) willigen, Schülerinnen und Schülern zu echten Marken geworden sind, wollen wir festhalten. FSJ und FÖJ sind echte Qualitätsmarken und sollen es bleiben, auch wenn ein Freiwilliges Soziales oder Freiwilliges Ökologisches Jahr dann einmal 18 oder nur 6 Monate hat. Wir wollen die Jugendfreiwilligendienste weiterent- wickeln. Wir möchten sie öffnen für neue Trägerstruktu- ren und neue Zielgruppen. Wir wollen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund und aus sogenannten bil- dungsfernen Schichten ein FSJ oder ein FÖJ genauso selbstverständlich für sich in Betracht ziehen wie die Abiturientin oder der Realschüler. Dafür wollen wir So- zialdemokraten die Migrantenselbstorganisationen als Träger und Einsatzstellen für Jugendfreiwilligendienste ins Boot holen. Ein erfolgversprechendes Instrument können unter anderem Tandemlösungen sein: Trägerge- meinschaften aus einem bereits zugelassenen Träger von FSJ/FÖJ und Träger, insbesondere aus dem Bereich der Migrantenselbsthilfeorganisationen arbeiten auf gleicher Augenhöhe zusammen. Das wollen wir ausdrückliche in diesem Gesetz regeln. Wir möchten, dass es bald mehr Freiwilligendienst- plätze gibt, dabei jedoch nicht die Qualität der Betreu- ung auf der Strecke bleibt. Neben optimalen strukturel- len Bedingungen muss auch der finanzielle Rahmen stimmen. Wir setzen uns deshalb für die Erhöhung der Haushaltsmittel für die Jugendfreiwilligendienste – um 2 Millionen Euro für 2008 – ein. Aber auch die Länder und die Träger sind hier weiterhin in der Pflicht. Mit diesem Gesetz wird ein Schritt in die richtige Richtung getan. Wir sind noch nicht am Ziel unserer Wünsche, aber auf einem guten Weg. Lassen sie uns ge- meinsam daran arbeiten, dass sich noch mehr Jugendli- che als bisher und in vielfältigerer Weise für einen Ju- gendfreiwilligendienst interessieren, und dass wir bald jedem Jugendlichen, der es möchte, einen Platz zur Ver- fügung stellen können. Über bürgerschaftliches Engagement freue ich mich immer, besonders freue ich mich über Engagement von jungen Menschen. Denn diese nehmen die Erfahrung ei- nes FSJ oder FÖJ mit in ihr späteres Leben und werden zu engagierten und verantwortungsbewussten Erwachse- nen. Sibylle Laurischk (FDP): Die FDP begrüßt den Aus- bau von Jugendfreiwilligendiensten, wie es der Deutsche Bundestag bereits fraktionsübergreifend in der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend (Bundestagsdrucksache 15/5175) aus der letzten Legislaturperiode zum Ausdruck gebracht hat. Hierbei war jedoch an den Ausbau der bestehenden Dienste gedacht. Nun erleben wir eine Stagnation beim Ausbau von FSJ und FÖJ, obwohl noch immer wesent- lich mehr Jugendliche dieses Angebot nachfragen als Plätze vorhanden sind, und gleichzeitig die explosionsar- tige Bereitstellung von Freiwilligenplätzen in anderen Ministerien. Was aber tut nun dieser Gesetzentwurf? Er trägt nicht dazu bei, das Platzangebot im FSJ/FÖJ zu erhöhen, er schafft neue Bürokratie und ist inhaltlich unausgegoren. Die Bundesregierung betont immer wieder, dass dieser Gesetzentwurf vor allem notwendig geworden sei und schnell kommen müsse, um die bestehende Umsatzsteu- erproblematik zugunsten der Träger und Einsatzstellen zu beheben. Hierin besteht überfraktionell absolute Ei- nigkeit. Zu prüfen ist allerdings, ob der vorliegende Ge- setzentwurf diesem Ziel tatsächlich gerecht wird. Wir er- halten momentan täglich Briefe aus der Praxis, die Zweifel wecken, ob der Reglungsgehalt des Gesetzes hinreichend eindeutig ist, um eine Umsatzsteuerpflicht abzuwehren. Überhaupt reibt sich der Leser bei der Gesetzeslek- türe verblüfft die Augen. Dieses Gesetz soll eindeutig nur für die bestehenden Dienste FSJ/FÖJ gelten, nicht für den neuen Freiwilligendienst „weltwärts“. Wenn Sie aber unter der Rubrik „Kosten des Gesetzes für öffentli- che Haushalte“ nachschauen, werden Sie erstaunt feststel- len, dass in Bezug auf den Kindergeldanspruch dieses Ge- setz nun doch einen Teil der anderen Freiwilligendienste neu regelt, allerdings wiederum nur „weltwärts“, nicht die anderen Neugründungen wie das „Freiwillige techni- sche Jahr“. Dies zeigt exemplarisch, dass dem Bundestag wieder einmal ein Gesetzesentwurf in großer Hast zugeleitet wird, dessen Qualität in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig lässt. Teilweise ist der Gesetzentwurf dringend notwendig, wie bei der bereits geschilderten Umsatz- steuerfrage, teilweise schießt er weit über das Ziel hi- naus, und allgemein bleibt er weit hinter den Erwartun- gen zurück. Der Bundesrat hat dies sehr zutreffend erkannt und in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2007 die Bundesre- gierung aufgefordert, den vorliegenden Gesetzentwurf zurückzuziehen und zeitnah einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der sich auf die Lösung der Umsatzsteuer- problematik beschränkt. Viele der Kritikpunkte des Bun- desrates finden sich auch in den Schreiben der Verbände, die uns erreichen und zeigen, dass nicht nur mit heißer Nadel ein schlechtes Gesetz gestrickt wurde, sondern dass die Kommunikationskompetenz des Ministeriums unhaltbar ist. Stellvertretend für die vielen Verbände möchte ich aus einem Schreiben des CVJM-Bundesver- bandes zitieren: Wir bedauern, dass unter diesem großen Zeitdruck gravierende Änderungen im Programm vorgenom- men werden sollen, ohne dies mit den handelnden Akteuren aus der Praxis grundlegend diskutieren zu können. Außerdem lassen sich die vorgesehenen Veränderungen in keiner Weise mit den Ergebnis- sen der FSJ-Evaluation aus dem Jahr 2006 begrün- den. Ich möchte an dieser Stelle nur noch einmal deutlich machen, dass das FSJ/FÖJ Jugendfreiwilligendienste sind und damit ein wunderbares Beispiel für das bürger- schaftliche Engagement unserer Jugendlichen. Hierzu passt das obrigkeitsstaatliche Gehabe des Ministeriums ganz und gar nicht. Es ist schlicht peinlich und unakzep- tabel, das Veränderungen an einem derartig wichtigen Gesetz nicht hinreichend mit den Verbänden besprochen 12576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) werden. Für mich ist dies ein einmaliger Vorgang politi- scher Borniertheit. Leider wirft dies ein negatives Schlaglicht auf die Ar- beit des Ministeriums, welches mir auch aus der Praxis bestätigt wird. Spricht man mit Verbänden über die FDP- Auffassung, dass der neue Freiwilligendienst „welt- wärts“, und natürlich auch die anderen neu geschaffenen Freiwilligendienste, im Jugendministerium gebündelt werden sollten, geht ein Stöhnen durch die Szene. Kurz gesagt, Sie haben den Ruf in puncto FSJ/FÖJ unfähig und unwillig zu sein. Die Szene ist momentan geradezu euphorisch, weil das Entwicklungsministerium genau den gegenteiligen Ruf genießt und Dinge ermöglicht, wohlgemerkt jenseits des Geldes, wovon die Träger hier seit Jahren träumen. In Sachen Verbandkommunikation erkundigen Sie sich bei Ihren Kollegen vom Entwick- lungsministerium, da können Sie noch was lernen! Trotz der Defizite im Familienministerium hält die FDP die Zerfledderung der Jugendfreiwilligendienste für nicht hinnehmbar. Es ist auch den Bürgern nicht ver- ständlich zu machen, warum die Unfähigkeit des Fami- lienministeriums nun dazu führt, dass in anderen Minis- terien eine spiegelbildliche kostspielige Bürokratie für den gleichen Sachverhalt aufgebaut werden muss. Viel- mehr müssen die Defizite im Familienministerium kon- sequent behoben werden und die Zuständigkeit für sämt- liche bestehenden und künftigen Freiwilligendienste hier verankert werden. Schließlich ist das FÖJ auch im Ju- gend- und nicht im Umweltministerium verankert. Das große Manko an dem vorliegenden Gesetz ist, dass ge- nau dieser Aspekt keine Berücksichtigung findet und da- mit der Zerfledderung der Freiwilligendienste Vorschub geleistet wird. Die Liberalen treten konsequent für gemeinsame qua- litative Mindeststandards bei allen Jugendfreiwilligen- diensten ein, die in einem gemeinsamen Rahmengesetz geregelt werden müssen. Selbstverständlich soll dies nur ein Rahmen zum Schutz der Freiwilligen sein und der je- weilige Dienst seinen individuellen und spannenden Charakter weiterhin entfalten können. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Bisher ist es so, dass ein äußerst geringer Beitrag zur gesetzlichen Rentenversi- cherung für alle Teilnehmer des FSJ/FÖJ entrichtet wird. Dieser Beitrag entspricht bei Weitem nicht den Beiträ- gen zur GRV, die für Wehr- und Zivildienstleistende ent- richtet werden, um ihnen durch die Ableistung des Pflichtdienstes keinen Nachteil beim Renteneintritt er- wachsen zu lassen. Ich finde, dass bei einer Erhöhung der FSJ-Dauer auf maximal zwei Jahre von politischer Seite nochmals überlegt werden sollte, ob eine Anhe- bung der Rentenbeiträge auf das Niveau der Zivildienst- leistenden nicht opportun wäre. Was jedoch gar nicht geht – und da schaue ich besonders ärgerlich auf die Kollegen von der Sozialdemokratie – ist, dass ein Dienst „weltwärts“ eingerichtet wird und dieser überhaupt keine Zahlungen zur Rentenversicherung auslöst – und dies angesichts von 70 Millionen Euro Staatssubventio- nen. Wie soll ich denn den jungen Menschen noch erläu- tern, wie wichtig die Eigenvorsorge zur Rente ist, wie wichtig der Abschluss der sogenannten Riester-Rente ist, wenn hier mal eben nebenbei beschlossen wird, das es für Jugendliche über die Dauer von zwei Jahren über- haupt nicht notwendig sei, irgendwelche Zahlungen in die GRV zu tätigen? Das kann doch wohl nicht Ihr er- klärter Ernst sein! Die Koalition erhöht erst das Renteneintrittsalter von 65 auf 67, also um zwei Jahre, um bei längerer Lebenser- wartung den Einzahlungszeitraum auszuweiten und hält es danach nicht für notwendig, dass junge Menschen in die GRV für genau diesen Zeitraum einzahlen. Ich wage zu behaupten, dass sogar Sie Ihre eigene Politik nicht mehr verstehen. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch wie notwendig ein gemeinsames Rahmengesetz für die Frei- willigendienste ist. Ich hoffe, dass die Bundesregierung bereit ist, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Elke Reinke (DIE LINKE): Ziel des Gesetzes zur Förderung der Jugendfreiwilligendienste soll es sein, die Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste in Deutsch- land zu verbessern und diese attraktiver zu machen. Lei- der erreicht der Entwurf das Ziel nicht ganz, sondern es blieb auf halber Strecke stehen. Freiwilligendienste sind eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements mit Bildungscharakter. Sie leisten durch die Förderung „informellen Lernens durch praktische Tätigkeit“ einen bedeutenden Beitrag zum lebenslangen Lernen. Auch erlangen die Freiwilli- gen hier wichtige persönliche, soziale und (inter)kultu- relle Fähigkeiten. Alles in allem sollen noch mehr junge Menschen für diese Form des bürgerschaftlichen Engagements gewon- nen und begeistert werden. Ganz besonders wichtig ist es daher, Rücksicht auf die verschiedenen Lebenssitua- tionen und Lebensentwürfe von Jugendlichen zu neh- men. Das Motto muss lauten: Jugendliche unterstützen und schützen! Dem wird jedoch nicht durchgängig Rechnung getra- gen. Auf drei besonders kritische Bereiche möchte ich eingehen: Das Gesetz regelt in § 2 nur die maximale Höhe des Taschengeldes. Falls nicht zugleich eine Un- tergrenze gebildet wird, sieht Die Linke die Gefahr der Ausgrenzung: Bei einem niedrigen Taschengeld können möglicherweise nur finanziell besser gestellte Jugendli- che an Freiwilligendiensten teilnehmen. Wir sollten aber den Zugang für alle interessierten Jugendlichen sicher- stellen. Der zweite Punkt, der bei uns Linken Unbehagen her- vorruft: Ich zitiere aus den Erläuterungen zu § 10: Die Vorschrift stellt klar, dass das Teilnahmeverhältnis im freiwilligen sozialen Dienst oder im freiwilligen ökolo- gischen Dienst kein Arbeitsverhältnis im engeren Sinne ist, einem solchen hinsichtlich der Schutzrechte aber gleichgestellt werden soll. Gemeint ist der Arbeitneh- merschutz, das heißt es geht um die Bestimmungen, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor den Gefahren des Arbeitslebens schützen sollen. Dass die gängigen Arbeitsschutzbestimmungen und das Bundesurlaubsgesetz angewendet werden, sollte schon eine Selbstverständlichkeit sein. Es wird hier al- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12577 (A) (C) (B) (D) lerdings nicht klar definiert, um welches Arbeitsverhält- nis es sich denn überhaupt handelt. Sind die Jugendli- chen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Arbeitskräfte oder ganz was anderes? Wie sehen ihre ge- nauen Rechte und Pflichten aus? Die Passage „kein Arbeitsverhältnis im engeren Sinne“ betrachten wir daher als mögliches Einfallstor, um Mitbestimmungsrechte der Jugendlichen und Mitbe- stimmungsrechte des Betriebsrates, nach dem Betriebs- verfassungsgesetz, zu beschneiden. Wenn man sich des Weiteren den arbeitsrechtlichen Teil des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, AGG, anschaut, stößt man auf folgendes Problem: Im vorlie- genden Gesetzentwurf bleibt unklar, ob die Freiwilligen in den persönlichen Anwendungsbereich des § 6 AGG, der vor Diskriminierungen im Arbeitsverhältnis schüt- zen soll, einbezogen werden. Dürfen die Freiwilligen nun den Schutz des AGG genießen oder nicht? Abschließend komme ich noch zu einem Punkt, den die anderen Fraktionen nicht mehr hören wollen, und dies obwohl – oder gerade weil? – er wichtig ist: Die Linke warnt davor, die Jugendfreiwilligendienste – wie jede andere Form des bürgerschaftlichen Engagements – zum Abbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze zu missbrauchen. Prekarisierung und Verdrängung regu- lärer Beschäftigung dürfen nicht gefördert werden! Die maximale Dauer des Dienstes zu erhöhen, öffnet dafür jedenfalls etwas die Tür. Auch wenn es immer wieder standhaft geleugnet wird, ist die angesprochene Verdrängung in vielen Berei- chen, beispielsweise in der Pflege und in der Kinderbe- treuung, bereits zu beobachten. Verschließen Sie Ihre Augen nicht länger davor! Bei vielen lobenswerten Fortschritten sind in dem Ge- setzentwurf noch einige Makel zu beseitigen. Die Linke geht davon aus, dass die Anhörung am 12. November unsere Befürchtungen bestätigen wird. Eines muss man sich aber noch mal ganz deutlich ins Gedächtnis rufen: Wie Ihnen bekannt sein dürfte, fordert Die Linke die Abschaffung der Wehrpflicht. Damit fiele dann auch der Zivildienst weg. Nur ein attraktiver und ausreichend finanzierter Jugendfreiwilligendienst kann die entstehende Lücke schließen. Daran möchten wir mit Nachdruck arbeiten! Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist Frau von der Leyens Gesetzentwurf deutlich anzumer- ken, dass ihr ein Gesamtkonzept für die Jugendfreiwilli- gendienste fehlt. Offenbar ist die Jugendpolitik im Fami- lienministerium wieder nur stiefmütterlich behandelt worden. Wir teilen deshalb die nahezu einhellige Kritik des Bundesrates und der Fachverbände an dem Entwurf. Zwar ist es grundsätzlich erfreulich, dass die Bundesre- gierung versucht, die Freiwilligendienste zu stärken, doch anstatt die Einzelinitiativen verschiedener Ministe- rien fachlich zu bündeln und auf eine pädagogisch sinn- volle Grundlage zu stellen, sollen mit dem Gesetz nur zwei Dienste geregelt werden. Selbst für diese beiden Dienste ist der Vorschlag unausgegoren. Die Orientierung der Freiwilligendienste an Lernzie- len kann mit den im Gesetzentwurf vorgesehenen Finan- zierungsstrukturen kaum umgesetzt werden. Die in der Evaluation der Freiwilligendienste angemahnte Ände- rung dieser Regelungen hat keinen Eingang in den Ge- setzentwurf gefunden. Für uns ist es ein unerlässliches politisches Signal, die Dienste eindeutig von der Um- satzsteuer zu befreien. Ob hierzu die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Lösung der richtige Weg ist, sollten wir in der vorgesehenen Anhörung genauer diskutieren. Man merkt dem Gesetzentwurf deutlich an, dass er ursprüng- lich die Umsatzsteuerbefreiung zum Kernziel hatte, die inhaltliche Konzeption und Weiterentwicklung der Frei- willigendienste jedoch vernachlässigt wurden. Sehr kritisch sehen wir – wie auch der Bundesrat – die vorgesehene Möglichkeit zur Verkürzung der Dienst- abschnitte auf drei Monate. Dies widerspricht dem päda- gogischen Ziel der qualifizierten Begleitung und Lern- phase zur Persönlichkeitsentwicklung. Niemand hat etwas gegen kurzzeitiges Engagement oder Praktika; das hat dann aber einen anderen Charakter als ein Freiwilli- gendienst. Die vorgesehenen neuen Möglichkeiten zur Stücke- lung und Verlängerung der Dienste auf 24 Monate kön- nen im Extremfall dazu führen, dass ein Freiwilliger künftig bis zu acht Dreimonatsdienste bei verschiedenen Trägern leisten kann. Der Verwaltungsmehraufwand wäre gewaltig. Noch wichtiger: Das Freiwillige Soziale oder Ökolo- gische Jahr darf nicht zum unverbindlichen freiwilligen Quartal werden. Ein FSJ in der Psychiatrie oder einem Pflegeheim ist kein Schnupperpraktikum, sondern muss fundierter Lerndienst bleiben. Die zeitliche Ausweitung auf zwei Jahre wiederum birgt die große Gefahr, neue Warteschleifen anstelle sinnvoller Freiwilligentätigkeit für Jugendliche zu schaffen. Ein Beispiel hierfür ist auch das vom Bildungsministerium vorgeschlagene freiwil- lige technische Jahr, das zu einem getarnten Langzeit- praktikum zu werden droht. Damit ruiniert die Bundes- regierung die erfolgreiche Marke „Freiwilliges Jahr“. Das Innenministerium plant schon ein Katastrophen- schutzjahr. All das läuft unkoordiniert nebeneinander her. Neue Programme werden verkündet, ohne auf deren konkrete Abwicklung im Sinne von Freiwilligen und Trägern zu achten. Es gibt zudem keine abgestimmten Standards. Und: Die Dienste werden auch finanziell und sozialrechtlich willkürlich ungleich behandelt. All das zeigt: Der Entwurf eines Jugendfreiwilligendienstgeset- zes ist enttäuschend, konzeptionell schwach und kontra- produktiv. Wir haben deshalb einen eigenen Antrag zur Zukunft der Freiwilligendienste eingebracht. Darin for- dern wir die Bundesregierung auf, endlich ein Gesamtkon- zept zum deutlichen Ausbau der Jugendfreiwilligendienste vorzulegen, das ihr Jugend- und bildungspolitisches Profil schärft. Wir wollen die hohe Bereitschaft junger Men- schen zu ökologischem, sozialem und kulturellem En- gagement im In- und Ausland aufgreifen. Zusätzlich zu den 10 000 vorgesehenen entwicklungspolitischen Frei- 12578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) willigenplätzen wollen wir die Zahl aller Plätze von 2005 bis 2015 verdoppeln. Wesentlich ist für uns dabei auch die Sicherung der Qualität der Freiwilligendienste. Als selbst gewählte Lernphase müssen sie noch stärker auf Orientierung, Bildung und Qualifizierung ausgerichtet werden. Die pä- dagogische Begleitung muss Jugendliche bei der Gewin- nung neuer Erfahrungen unterstützen. Gerade bildungs- ferne Zielgruppen müssen besonders angesprochen und gewonnen werden. Wir fordern deshalb einen Freiwilli- gendienstplan, der die finanziellen Mittel für alle Frei- willigendienste analog zum Kinder- und Jugendplan bündelt. Auch im Antrag der FDP wird richtigerweise ein Ge- samtkonzept gefordert und die mangelnde Koordina- tionsleistung des eigentlich federführenden Familienmi- nisteriums beklagt. Wir teilen jedoch ausdrücklich nicht den FDP-Vorschlag, den entwicklungspolitischen Frei- willigendienst einzustellen. Das weltwärts-Programm kann ein gelungener Bei- trag zum globalen Lernen sein, das wir konstruktiv und kritisch begleiten werden. Der Ausbau der Freiwilligen- dienste wird nur dann gut gelingen, wenn wir die päda- gogische und fachliche Qualität im Rahmen eines Ge- samtkonzeptes sichern. Der von der Bundesregierung vorgelegte Schmalspurentwurf reicht hierfür bei weitem nicht aus. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- rung des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) – Beschlussempfehlung und Bericht: Boden- schutzrahmenrichtlinie aktiv mitgestalten – Subsidiarität sichern, Verhältnismäßigkeit wahren (Tagesordnungspunkt 12, Zusatztagesordnungs- punkt 6) Ulrich Petzold (CDU/CSU): Wir beraten heute hier zu zwei Vorlagen, die nicht nur auf den ersten Blick als einzige Klammer die Beschäftigung mit dem Boden- schutz haben. Geht es den Linken um die Novellierung eines nationalen Gesetzes, so möchte die FDP mit ihrem Antrag eine stärkere Einflussnahme auf eine europäische Gesetzgebung erreichen. Grundsätzlich ist auch gerade vor dem Hintergrund der geradezu inflationären Aus- schussberatungen zum Thema Boden festzustellen, dass die Oppositionsparteien scheinbar den Boden als Spiel- wiese zu ihrer Profilierung entdeckt haben. Ganz deutlich wird das bei dem Gesetzesantrag der Linken. Hier wird ein Urteil des Bundesverfassungsge- richtes abgeschrieben, mit ein bisschen Propaganda- Prosa versetzt und dem staunenden Publikum als eigene Leistung verkauft. Dabei war es für diese Partei ein gro- ßes Glück, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zu einem Grundstück in den alten Bun- desländern geurteilt hat. Stellen sie sich einmal vor, die- ses beurteilte Grundstück hätte in Bitterfeld-Leuna oder Ronneburg gelegen. Hier hat diese Partei, die sich mit ihrem Gesetzentwurf populistisch als Rächer der Ent- rechteten aufspielt, wahrlich genug Dreck am Stecken. Die Bundesrepublik war es, die mit Milliardenbeträgen die Hinterlassenschaft des Aufbaus des Sozialismus wegräumen musste und immer noch muss. Wer sich in diesem Jahr einmal die Bundesgartenschau in Gera und Ronneburg angesehen hat, muss ehrlich bekennen, hier sind tatsächlich blühende Landschaften aus der – im wahrsten Sinne des Wortes – strahlenden Hinterlassen- schaft der linken Einheitspartei entstanden – und nicht nur blühende Landschaften als Fassade, nein, es wurde richtig tiefgründig in den Boden hinein saniert. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn wir das viele Geld nicht nur für die Hinterlassenschaft der SED hätten ausgeben müssen und so auch bundesweit mehr für den Bodenschutz hätten machen können. Doch wenn Eigen- tum allen und jedem und damit keinem richtig gehört, dann fühlt sich auch keiner für die Schäden am sozialis- tischen Eigentum verantwortlich. Gerade diese Lehre müssen Sie von den Linken, aus Ihrem DDR-Experi- ment doch gelernt haben. Ruinen schaffen ohne Waffen und eine erschreckende Umweltverschmutzung – das war doch das Ergebnis Ihres Sozialismusexperimentes, was man nach über 40-jähriger Experimentierphase si- cherlich nicht als kleinen Betriebsunfall ansehen kann. Haben Sie das schon vergessen? Deshalb ist es gut, dass das bundesdeutsche Grundgesetz in Art. 14 dem Eigen- tümer Verantwortung zuweist. Dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Februar 2000 eine uneingeschränkte Haftung des Grundeigentümers verneint hat, ist meiner Auffassung nach bereits unserem Handeln im Rahmen der Privatisie- rung durch die Treuhandanstalt mit zuzurechnen. Bereits kurz nach der Wende haben wir uns darauf verständigt, die neuen Eigentümer bis auf den Flächenwert bei der Altlastenhaftung freizustellen, um auch wirklich eine wirtschaftliche Entwicklung auch auf Alt-Industrieflä- chen sicherzustellen und den Drang zur grünen Wiese zu begrenzen. Diese von uns entwickelte Rechtsauffassung, die dem neuen Grundeigentümer eine tragbare Verant- wortung zuweist, ihn aber nicht überlastet, findet sich di- rekt in dem Urteil aus dem Jahr 2000 wider. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht in vorhergehenden Urtei- len eine höhere Belastung, bis hin zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von gutgläubigen Grundeigentümern, für richtig hielt, hat das Bundesverfassungsgericht auf der geltenden Rechtsbasis anders geurteilt. Es führt dazu aus – ich zitiere –: „Solange der Gesetzgeber, dem es nach Art. 14 I 2. GG obliegt, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, die Grenzen des Eigentums nicht aus- drücklich regelt, haben die Behörden und Gerichte durch Auslegung und Anwendung der die Verant- wortlichkeit und Kostenpflicht begründenden Vor- schriften sicherzustellen, dass die Belastungen des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12579 (A) (C) (B) (D) Eigentümers das Maß des nach Art. 14 I 2 und II GG Zulässigen nicht überschreitet.“ Da das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil den Verkehrswert als Maß des Zulässigen benennt, ist mit dem Urteil die Rechtslage mit folgenden Grundsätzen abschließend geklärt: Erstens. Das Bundesverfassungs- gericht gesteht dem Gesetzgeber zu, eine andere als die vom Gericht vorgegebene Regelung zur Eigentumsver- antwortung bei der Altlastensanierung zu treffen. Zwei- tens. So lange gilt die vom Gericht gefundene Begren- zung der Eigentümerbelastung bis zum Verkehrswert. Es besteht also für den Gesetzgeber nur Handlungsbedarf, wenn er mit dem Urteil nicht einverstanden ist. Da wir, wie ich bereits erläutert habe, die Voraussetzung für das Urteil mit geschaffen haben, sehen wir keinen Hand- lungsbedarf. Wenn die Linke im Jahr 2006 ein Urteil aus dem Jahr 2000 aufgreift und zu einem Gesetzentwurf entwickelt, obwohl das Urteil eine befriedende Wirkung bereits entfaltet hat, muss man wohl entweder von Popu- lismus oder Klientelpolitik ausgehen. So ein bisschen Scharlatanerie muss man dann auch der FDP mit ihrem Antrag vorhalten. Mein Kollege Müller hat es in seinen Ausführungen im Ausschuss nett ausgedrückt und hat sich bei der FDP für die Würdigung der Vorarbeit von CDU/CSU und SPD bedankt. Lassen Sie es mich etwas deutlicher sagen: Bis auf ein paar Schönheitsschnörkel ist es ein Plagiat, was uns heute vorliegt. In vielen Stunden und unendlichen Beratungen in den verschiedensten Gremien wurde ein Antrag ent- wickelt, in dem der Gehirnschmalz von vielen steckt, aber nur zum verschwindenden Teil von der FDP. Ich möchte heute hier dennoch unsere Beratungen zum An- lass nehmen, auch noch einmal meinem Kollegen Müller und seinem Team für die gute und vertrauensvolle Zu- sammenarbeit zu danken, für die vielen Ideen und Bei- träge. Leider wurde uns dann kurz vor dem Ziel durch die Bedenken einiger Landesregierungen ein Strich durch die Rechnung, sprich: unseren Antrag, gemacht. Selbstverständlich muss man diese Bedenken ernst neh- men: Entspricht eine Bodenschutzrahmenrichtlinie dem Gedanken der Subsidiarität nach Art. 175 II EG-Vertrag? Der Rechtssausschuss des Europäischen Parlaments hat in seinen Beratungen vom 3. Mai und 10. September die- ses Jahres diese Frage klar verneint. Sage und schreibe 586 Änderungsanträge beim federführenden Umwelt- ausschuss des EU-Parlaments sprechen auch eine deutli- che Sprache. Es ist richtig, wir haben in Deutschland einen sehr ho- hen Standard im vor- und nachsorgenden Bodenschutz. In wohl kaum einem weiteren europäischen Mitglied- staat ist die Normensetzung so ausgefeilt und wird in der Praxis auch gelebt, wenn man sich zum Beispiel den Ni- tratschutzbericht der Kommission vom März dieses Jah- res ansieht. Ein Richtlinienentwurf mit einer anderen Rechtsbasis kann mehr Schaden als Nutzen in Deutsch- land anrichten. Sehr wohl ist es wahr, dass in leider zu vielen europäischen Ländern zu sorglos mit der Res- source Boden umgegangen wird. Aber ist Boden wirk- lich eine grenzüberschreitende Ressource? Boden ist re- gional gebunden. Auch Bodenabtragungen wie Wind- oder Wassererosion haben lokale Ursachen und lokale Auswirkungen. Ist eine Verletzung der Subsidiarität hier wirklich notwendig, oder erzielt man vor Ort mit vor Ort wirksamen Instrumenten nicht doch eine größere Wir- kung als mit Berichten nach Brüssel? Mit unseren Beratungen und Gesprächen in Brüssel und Berlin haben mein Kollege Müller und ich, so bin ich überzeugt, viele Denkprozesse angestoßen. Die Punkte, die von uns gemeinsam mit der Bundesregie- rung und auch mit Bundesländern als wichtig und verän- derungswürdig herausgearbeitet wurden, haben in den Diskussionen Wirkung gezeigt. Wenn Sie sich die Zeit nehmen und einmal den Kompromissvorschlag unserer europäischen Berichterstatterin und Kollegin Gutiérrez- Cortines mit dem Ausgangsentwurf vergleichen, so wer- den Sie sehen: Es sind doch eine ganze Zahl unserer For- derungen erfüllt. Ein Schaufensterantrag hier im Bundestag allein bringt gar nichts. Es muss schon richtige Arbeit in der Sache dazukommen. Den Antrag haben wir zwar nicht mehr formell im Parlament gestellt – wie wahr, aber die Erarbeitung haben wir als Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung geleistet. Sollte es nun doch unter Ver- letzung des Subsidiaritätsprinzips, wie vom EU-Rechts- ausschuss festgestellt, zu einer Verabschiedung einer Bodenschutzrahmenrichtlinie kommen, haben die Frak- tionen von SPD und CDU/CSU des Deutschen Bundes- tages ein Gutteil dazu beigetragen, dass die Richtlinie weitgehend kompatibel zum deutschen Bodenschutz- recht ist. Wir können daher ganz ruhig dem Plagiat unse- rer Arbeit eine Abfuhr erteilen. Detlef Müller (Chemnitz) (SPD):Unser Boden ist die Lebensgrundlage für Mensch, Flora und Fauna. Die Bö- den in unseren Regionen sind das Ergebnis jahrtausende- langen Zusammenwirkens physikalischer, chemischer und biologischer Faktoren. Das Ausgangsgestein und Niederschläge, Klima und Witterung, pflanzliche, tieri- sche und kleinste Lebewesen auf und im Boden bestim- men letztendlich die Zusammensetzung und Entwick- lung des Bodens. Der Schutz der Böden wurde jahrzehntelang indirekt über Bestimmungen zur Luftreinhaltung, zur Abfallbe- seitigung und zur Anwendung von Dünge- und Pflan- zenschutzmitteln in der Landwirtschaft geregelt. Zum besseren Schutz der Böden verabschiedete die Bundesre- gierung 1985 erstmals eine Bodenschutzkonzeption und rückte den Bodenschutz damit so richtig ins Bewusstsein der Umweltpolitik. Anfang 1998 verabschiedete der Bundestag dann das Bundes-Bodenschutzgesetz. Mitte 1999 erließ die Bundesregierung schließlich folgerichtig die dazugehörige Bodenschutz- und Altlastenverord- nung, um eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage für den Schutz des Bodens zu schaffen. Mit diesen gesetzli- chen Regelungen hat die Bundesregierung deutschland- weit einheitliche Vorgaben für den Bereich der Altlas- tenbewertung und -sanierung geschaffen. Eigentümer und Investoren erhielten dadurch Rechts- und Investi- tionssicherheit. Heute, etwa neun Jahre später, kann man ein erstes Fazit ziehen. Das deutsche Bundes-Bodenschutzgesetz 12580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) hat sich in den letzten Jahren nicht nur bewährt, Deutschland nimmt mit diesem Gesetz sogar eine Vor- reiterrolle in Europa ein. Durch die zusätzlich ange- strebte EU-Bodenschutzrichtlinie, die wir als SPD-Frak- tion fordern, wird in Zukunft ein grenzüberschreitender Bodenschutz durch einen EU-weiten Rechtsrahmen an- gestrebt, von dem vor allem die süd- und osteuropäi- schen Staaten der EU profitieren werden. Denn diese Staaten leiden oftmals unter größeren, teilweise noch nicht entdeckten Altlasten. In Deutschland sind mittler- weile mehr als 270 000 Flächen als altlastverdächtig er- fasst. Mit der fortschreitenden technologischen Entwick- lung oder infolge von Baumaßnahmen werden gelegentlich auch in Deutschland immer noch Altlasten entdeckt. Bei den sogenannten Altlasten handelt es sich um Altablagerungen und Altstandorte, die zu schädli- chen Bodenveränderungen oder zu anderen Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit führen. Die Altlasten sind meistens Hinterlassenschaften der industriellen Entwicklung oder durch eine militärische Nutzung der Flächen und durch Rüstungsgüterproduk- tion entstanden. Die Kontaminierung der Böden fand zu- meist während des Zweiten Weltkrieges oder zu Zeiten der DDR-Planwirtschaft statt. Da die Entstehung der Altlasten meistens lange Zeit zurückliegt, können die Verursacher bzw. deren Gesamtrechtsnachfolger oft- mals nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. In unserem Bundes-Bodenschutzgesetz ist geregelt, dass der Grundstückseigentümer verpflichtet ist, Boden und Altlasten so zu entsorgen, dass danach dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen, unabhängig davon, ob der Eigentümer vor dem Erwerb des Grundstücks Kenntnis von den Altlas- ten hatte oder nicht. Eine Beschränkung, bis zu welcher Höhe sich der Eigentümer finanziell an der Sanierung beteiligen muss, gibt es derzeit nicht. Nicht selten kommt es aber vor, dass derartige Grundstücke ohne jede Kenntnis der verborgenen Altlasten gutgläubig von neuen Eigentümern erworben wurden, die dann bei der Entdeckung der Altlast vor gewaltigen Kosten durch eine ordnungsgemäße Sanierung stehen. So kann es im Extremfall passieren, dass Grund- stückseigentümern ohne eigenes Verschulden die Grund- lage ihrer Existenz zugunsten des Schutzes der Allge- meinheit und der natürlichen Lebensgrundlagen entzo- gen werden kann. Auf dieses Problem hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2000 hinge- wiesen. In der Urteilsbegründung hat das Bundesverfas- sungsgericht eine Verhältnismäßigkeit angemahnt. Es soll, so dass BVG, „nicht zu einer übermäßigen Belas- tung für den Eigentümer führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen“. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke bezieht sich auf dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Der Gesetzentwurf, über den wir hier beraten, will des- halb eine Änderung des Dritten Gesetzes des Bundes- Bodenschutzgesetzes. Er beinhaltet aus umweltpoliti- scher Sicht durchaus positive Aspekte, hat aber keinerlei Chancen auf eine Realisierbarkeit und wird deshalb von der SPD-Fraktion abgelehnt. Die Fraktion Die Linke will mit ihrem Gesetzentwurf das Bundes-Bodenschutzgesetz dahin gehend ändern, dass bei gutgläubigem Erwerb die Übernahme der Kos- ten des Grundstückseigentümers oder Inhabers für die Altlastensanierung auf den Verkehrswert des Grund- stücks nach der Sanierung begrenzt wird. Würde das Re- alität und wäre zum Beispiel das belastete Grundstück der wesentliche Teil des Vermögens des Eigentümers, so würde er von der Kostentragungspflicht befreit werden. Mit dieser Forderung geht der Gesetzentwurf der Frak- tion Die Linke allerdings weit über die vom Bundesver- fassungsgericht angemahnte Verhältnismäßigkeit hinaus. Es ist festzuhalten, dass der Grundansatz des Gesetz- entwurfs aus umweltpolitischer Sicht positiv ist. Trotz- dem wird die SPD-Fraktion ihm nicht zustimmen, weil er überzogen und in der Realität nicht umzusetzen ist. Die Hauptfrage, wer die Rechnung bezahlt, wenn der Grundstückseigentümer die Kosten nicht übernehmen muss, lassen sie unbeantwortet. In Ihrem Gesetzentwurf findet sich nicht ein Hinweis darauf, woher Sie das Geld nehmen wollen. Das ist gelebte Praxis der Linkspartei. Würde der Gesetzentwurf umgesetzt, würde das be- deuten, dass die Bundesländer teilweise oder ganz für die Sanierung der Grundstücke aufkommen müssten. Sie können dies natürlich fordern, aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Länder keinem Gesetzentwurf zu- stimmen werden, durch den sie finanziell zusätzlich be- lastet werden. Das ungelöste Problem der Finanzierung der Altlastensanierung wurde bereits von allen anderen Fraktionen bei der Beratung im Umweltausschuss ange- sprochen. Darüber hinaus wissen Sie um die Rechtslage nach der Verabschiedung der Föderalismusreform I. Sie macht es dem Bund fast unmöglich, Zuweisungen an die Bundesländer zur Finanzierung unzumutbarer Altlasten- sanierungskosten bereitzustellen. An dieser Stelle sei mir als Umweltpolitiker gestattet, darauf hinzuweisen, dass für mich auch fast eineinhalb Jahre nach Verab- schiedung der Föderalismusreform I die Neuregelung der Zuständigkeiten im Umweltbereich ärgerlich und un- verständlich bleibt. So gut das Ansinnen Ihres Gesetzentwurfes auch sein mag, in ihm steht nicht, in welcher Form Sie den Län- dern einen finanziellen Ausgleich geben wollen. Des- halb ist die Zustimmung der Länder illusorisch. Leider scheint mir dieser Gesetzentwurf ein weiterer Beleg zu sein für Ihre Art, Politik zu machen: populäre, oftmals populistische Forderungen aufstellen, die in der Realität nicht umsetzbar sind. Dies zieht sich leider wie ein roter Faden durch die parlamentarische Arbeit Ihrer Fraktion hier im Deutschen Bundestag. Außerdem enthält Ihr Ge- setzentwurf in einigen Punkten undeutliche Begrifflich- keiten, vor allem im Hinblick auf einen gutgläubigen Grundstückserwerb. Hier ist Ihr Gesetzentwurf schwam- mig und könnte Spekulationen zur Altlastensanierung auf Kosten der öffentlichen Hand Tür und Tor öffnen. Ich fasse zusammen: Wir erkennen an, dass die Frak- tion Die Linke mit ihrem Gesetzentwurf Verbesserungen für Eigentümer erreichen möchte, die gutgläubig mit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12581 (A) (C) (B) (D) Altlasten kontaminierte Grundstücke erworben haben. Auch aus umweltpolitischer Sicht ist Ihr Gesetzentwurf positiv zu bewerten. Trotzdem ist er vorschnell, in eini- gen Punkten unklar, und er setzt keine neuen Impulse. Der Knackpunkt Ihres Gesetzentwurfs ist, dass in ihm nicht einmal der Versuch unternommen wird, ein Kon- zept zur Gegenfinanzierung zu skizzieren. Er würde so im Bundesrat keine Mehrheit bekommen. Er wäre zum Scheitern verurteilt. Unter diesen Umständen wird die SPD-Fraktion Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Wir schla- gen stattdessen vor, die laufende Debatte über die EU- Bodenschutzrichtlinie konstruktiv zu begleiten und die endgültige Ausgestaltung der Richtlinie abzuwarten, weil daraus vielleicht Anstöße zu erwarten sind oder EU-Vorgaben umgesetzt werden müssen. Angelika Brunkhorst (FDP): Wer hätte gedacht, dass der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zum Bundes-Bodenschutzgesetz auch seine guten Seiten hat? In Anbetracht der aktuellen Diskussion zum Boden- schutz auf europäischer Ebene – den Beratungen in den Fachausschüssen und der geplanten Abstimmung im Eu- ropaparlament noch im November – ist die heutige De- batte im Bundestag ein Glücksfall. Gemeinsam mit un- serem Antrag zur europäischen Rahmenrichtlinie erhält der Bodenschutz hier noch einmal die notwendige Auf- merksamkeit. In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass der Vorschlag der Liberalen, die Bodenschutzrahmen- richtlinie aktiv mitzugestalten, der einzig richtige Weg war. Wir haben uns da ganz klar – und frühzeitig – posi- tioniert, was Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, mal wieder nicht gelungen ist. Ich weiß, dass Sie uns jetzt vorhalten werden, Ihren eigenen Text nur kopiert zu haben. Schön! Das ändert aber über- haupt nichts an der Tatsache, dass wir als FDP in der Lage waren, unsere politische Meinung genau zu defi- nieren und zu vertreten. Eine klare politische Linie ver- missen wir bei Ihnen hingegen seit langem. Die Bundesregierung ist in Abstimmung mit der Mehrheit der Bundesländer ganz in unserem Sinne dazu übergegangen, den Beratungsprozess innerhalb der EU konstruktiv zu begleiten. Portugal als Inhaber der Rats- präsidentschaft gestaltet das Thema aktiv mit – sicher auch aufgrund der Unterstützung Deutschlands. Die „Fesseln“ der eigenen Ratspräsidentschaft haben wir diesbezüglich ja jetzt abgelegt. Nur der Bundestag schaut verlegen zu, wie in Europa wichtige Entscheidun- gen im Umweltschutz getroffen werden. Es ist eindeutig: Die FDP ist auch in dieser Frage regierungsfähig, Schwarz-Rot im Bundestag ist es nicht. Ich wiederhole meinen Appell aus dem März dieses Jahres an dieser Stelle gerne noch einmal und fordere Sie auf, Verantwortung zu übernehmen und sich den Aufga- ben des Bodenschutzes zu stellen und der Bundesregie- rung bei ihrer Arbeit ein klares Mandat zu erteilen. Neh- men Sie Ihre Verpflichtung gegenüber den betroffenen Unternehmen in Deutschland wahr, und folgen Sie unse- rem Antrag. Wir haben in Deutschland einen verlässlichen Stan- dard beim Schutz der Böden etabliert. Es gilt, einen ver- nünftigen Rahmen der Subsidiarität zu erhalten und Standards und Berichtspflichten nicht mit finanziell un- verhältnismäßigen Lasten zu belegen. Regelungen zum Bodenschutz finden sich bereits in verschiedenen Rechtsakten der EU. Des Weiteren sind Vereinbarungen wie Cross Compliance und die Regeln der „guten fachlichen Praxis“ ein Garant für den sorgsa- men Umgang mit der Ressource Boden. Es ist notwen- dig, für eindeutige Definitionen zu sorgen und Mehr- fachregelungen zu vermeiden. Ebenso muss der zu erwartende bürokratische Aufwand auf ein Minimum beschränkt bleiben. Abschließend komme ich noch einmal zurück auf den Anfang meiner Rede, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke. Hier möchte ich mein erfreutes Staunen da- rüber zum Ausdruck bringen, dass ich den Kampf Ihrer Fraktion zur Stärkung der Eigentumsrechte sehr wohl be- grüße. Das alleine reicht aber nicht, um Ihrem Gesetzent- wurf die Zustimmung zu erteilen. Ihre Forderungen auf Übernahme der Kosten für etwaige Altlastensanierungen sind, wie man so schön sagt, nicht gegenfinanziert. Sie geben in Ihrem Gesetzentwurf keinerlei Hinweise darauf, wer denn letztendlich die Kosten übernehmen soll, wenn nicht der Grundstückseigentümer oder der Inhaber der tatsächlichen Gewalt. Auch wir wollen die Grundstücks- käufer nicht aus ihrer Verantwortung der sorgfältigen Prüfung entlassen. Mit Rechten sind ja auch immer Pflichten verbunden. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Anlass unse- res Antrages – das will ich vorwegschicken – war der Kontakt zu einer Bürgerinitiative aus dem bayerischen Schonungen. Sie machte uns durch ihren Fall auf ein Problem aufmerksam, welches unserer Meinung nach bundesweit einer Lösung bedarf. In Deutschland werden gelegentlich Altlasten ent- deckt, deren Entstehung lange Zeit zurückliegt und wel- che von Unternehmen verursacht wurden, die längst nicht mehr existieren. Den jetzigen Eigentümern solcher Grundstücke sind solche Altlasten nicht selten bis zur Entdeckung gänzlich unbekannt. Sie haben das Grundstück gutgläubig erwor- ben, sind aber nach der geltenden Fassung des Bundes- Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) als sogenannte Zu- standsstörer dennoch verpflichtet, den Boden sanieren zu lassen und die Kosten dafür vollständig zu tragen. So sollen die Bürger in Schonungen für die Sanierung von stark arsenverseuchtem Boden unter ihren Grund- stücken aufkommen. Die Vergiftung des Bodens wurde zwischen 1814 bis 1930 durch die Fabrik des damaligen Farbenhersteller Sattler verursacht, der in dieser Zeit un- ter anderem das berühmte – aber wie wir heute wissen, leider stark arsenhaltige – Schweinfurter Blau produ- zierte. In solchen Fällen kann den Eigentümern im Einzelfall ohne eigenes Verschulden die Grundlage ihrer Existenz entzogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in 12582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) einem ähnlichen Fall deshalb entschieden, dass eine volle Haftung nicht haltbar sei. Sie müsse wenigstens auf den Verkehrswert des Grundstückes begrenzt wer- den. In Bayern wurde nun von der Staatsregierung für die Schonunger eine Regelung versprochen, nachdem die Zustandsstörerhaftung auf ein Drittel des Verkehrswertes beschränkt wird. Dies folgt dem Urteil, geht sogar noch ein wenig darüber hinaus. Es ist aber eine mehr oder we- niger gutwillige Einzelfallentscheidung, die vielleicht auch durch unseren Antrag und die lokale Presse darüber beeinflusst wurde. Wie dem auch sei, wir begrüßen, dass Bayern hier den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern wenigstens die größten Ängste genommen hat. Gleichzeitig sind wir aber der Meinung, dass es hier einer gesetzlichen Lö- sung bedarf. Es ist doch nicht einzusehen, warum ein Ar- beiter oder kleiner Angestellter, sofern er beim Erwerb seines Grundstücks beim besten Willen nichts von einer Altlast wissen konnte, zur Kasse gebeten wird, wenn ir- gendwann eine Bodenverseuchung entdeckt wird. Natürlich ist uns klar, dass es auch eine Sozialpflich- tigkeit des Eigentums gibt – wir fordern diese an anderer Stelle ja oft genug ein. Darum meinen wir, dass Grund- stückseigentümer, bei denen das Grundstück nicht we- sentlicher Teil des persönlichen Vermögens ist, sich an- gemessen an den Sanierungskosten beteiligen können. Viele von ihnen verdienen ja auch am Grundstücks- eigentum, und zwar nicht zu knapp. Das Bundes-Bodenschutzgesetz soll nach unserer Auffassung nun dahin gehend geändert werden, dass bei gutgläubigem Erwerb die Kostentragungspflicht für die Altlastensanierung grundsätzlich auf den Verkehrswert des Grundstücks nach der Sanierung begrenzt wird. Dies ist die Höhe, die auch das Bundesverfassungsgericht im Auge hatte. Dass im Einzelfall die Länder über diese Re- gelung zugunsten der Eigentümer hinausgehen könnten, versteht sich von selbst. Wir haben es hier beim Ver- kehrswert belassen, denn wir wollten keinen generellen Freifahrtschein für große Unternehmen zulasten der Landeshaushalte. Schließlich müssen die Länder ja die Differenzkosten bezahlen. Ein anderes Herangehen schlagen wir für die kleinen Grundstückseigentümer vor: Ist das Grundstück der we- sentliche Teil des persönlichen Vermögens, soll die Kos- tentragungspflicht vollständig entfallen. Gutgläubige „Häuslebauer“ und kleine Gewerbebetriebe müssten also keine Sanierungskosten übernehmen. Hiermit geht unser Gesetzesantrag über die Regelung der bayerischen Staatsregierung hinaus. Denn nach der muss ja in Schonungen wohl jeder zahlen. Auch die Fa- milien, die sich mühsam jeden Groschen abgespart ha- ben, um ein kleines Stück Land mit einem Häuschen zu bebauen. Das empfinden wir als ungerecht. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2000 festgestellt, dass es nicht verhältnismäßig ist, die aktuellen Eigentü- mer von Grundstücken auch dann mit ihrem ganzen Ver- mögen für Altlasten und Sanierungskosten haften zu las- sen, wenn sie diese nicht selbst verursacht haben. Der Gesetzentwurf der Linken weist richtigerweise darauf hin, dass die Regierung hier eine Neuregelung bisher schuldig geblieben ist. Daher müssen derzeit die Behör- den in jedem Einzelfall festlegen, wie weit die Eigentü- merhaftung reicht. Grundsätzlich besteht das Problem, dass Investoren oft vom Erwerb gebrauchter Grundstücke und einem Flächenrecycling Abstand nehmen. Stattdessen erschlie- ßen und überbauen sie regelmäßig frisches Land. Dieser Verzicht auf Flächenrecycling führt nicht nur zu einem hohen Maß an hässlichen Gewerbebrachen, sondern auch zu einem zusätzlichen Flächenverbrauch. Die Frage ist berechtigt, ob die problematisierte Haftung für Altlasten durch gutgläubige Flächenerwerber zu diesem Problem etwas beiträgt. Berechtigt ist auch die Frage, ob eine Begrenzung der Eigentümerhaftung in der von der Fraktion Die Linke beantragten Weise einen Beitrag zu einem verstärkten Flächenrecycling leisten könnte. Meine Antwort auf diese Frage lautet: Nein, der Gesetzentwurf trägt kaum zur Lösung des Problems der Gewerbebrachen bei und wird kaum zu mehr Flächenrecycling führen. Schließlich hat auch eine Haftung bis zum Verkehrswert immer noch eine ausreichend große abschreckende Wirkung, ein möglicherweise belastetes Grundstück zu erwerben. Außerdem muss der sogenannte gutgläubige Erwer- ber erst nachweisen, dass es sich tatsächlich um einen gutgläubigen Erwerb gehandelt hat. Hier bleiben zu große Rechtsunsicherheiten und Risiken bestehen. Auch zukünftig hätten daher alle Neuerwerber ein Interesse daran, vor dem Erwerb einer Fläche Altlasten auszu- schließen. Dies geht immer noch am einfachsten, si- chersten und billigsten, indem sie frisches Land erschlie- ßen. Hinzu kommt: Wenn die Sanierung belasteter Flächen zukünftig in stärkerem Maße von der öffentlichen Hand finanziert werden soll und die Länder diesen Schwarzen Peter wie zu erwarten an die Kommunen weiterreichen, dann werden die bereits jetzt finanziell überlasteten Kommunen die tatsächliche Sanierungsnotwendigkeit zur Gefahrenabwehr zukünftig so weit irgend möglich regelmäßig verneinen. Aus finanzpolitischer Sicht ist schlicht und einfach festzustellen, dass sich dieser Gesetzentwurf mit der Frage, wo denn das Geld herkommen soll, überhaupt gar nicht erst auseinandersetzt. Denn er verschafft den Län- dern zwar zusätzliche Kosten, aber keinerlei zusätzliche Einnahmen, mit denen sie diese Kosten finanzieren könnten. Kurz gesagt: Die vorgelegte Lösung wird ihrem An- spruch leider nicht gerecht und schießt zulasten des Steuerzahlers über das Ziel hinaus. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf der Linken ab. Was wir brauchen in Deutschland, ist eine Hinwendung zu einem neuen Sys- tem der Flächenbewertung. Wenn Flächenversiegelung teurer wird als bisher, wenn beispielsweise Grundsteuer im Außenbereich von Kommunen höher wird als im In- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12583 (A) (C) (B) (D) nenbereich, werden auch Anreize geschaffen, Altlastflä- chen zu recyceln. Die zentrale Frage ist deshalb, wie wir es schaffen können, genügend Gelder zur Sanierung von Altlastflä- chen zu mobilisieren. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafzu- messung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (… StrÄndG) (Tagesordnungspunkt 13) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, den die Bundesregierung eingebracht hat. Der Entwurf be- zweckt die Implementierung einer Kronzeugenregelung im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches. Dabei betre- ten wir kein rechtspolitisches Neuland; denn bis zum Jahre 1999 hatten wir in unserer Rechtsordnung eine Kronzeugenregelung, anfangs nur für terroristische Straftaten – § 129 a StGB – und damit zusammenhän- gende Begleitdelikte, später auch für das Organisations- delikt der Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 StGB. Die Kronzeugenregelung wurde zwei Mal befristet verlängert, weil sich mit ihr auf zwei Feldern Erfolge er- zielen ließen. Da waren zum einen die ehemaligen RAF- Terroristen, die in der ehemaligen DDR Unterschlupf gefunden hatten, zum anderen erleichterte sie die Auf- klärung von Anschlägen ausländischer Terrororganisa- tionen. Weil Ende 1999 eine Befristung dieser Regelung auslief und die damals rot-grüne Bundesregierung sich weder in der 14. noch in der 15. Legislaturperiode für eine von der CDU/CSU vorgeschlagene Verlängerung bzw. Wiedereinführung erwärmen konnte, ging dieses für Ermittlungsbehörden zur Tataufklärung im Bereich der terroristischen und organisierten Kriminalität not- wendige Rechtsinstitut verloren. Nur in einigen wenigen Teilbereichen – § 129 Abs. 6, auch in Verbindung mit § 129 a Abs. 7 StGB sowie in § 261 Abs. 10 StGB und im Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG – blieb die Kron- zeugenregelung bis heute erhalten. Gerade aus dem Be- reich des Betäubungsmittelrechts können wir daher Er- fahrungen mit der praktischen Anwendung einer Kronzeugenregelung ableiten. Die Kronzeugenregelung hat eine Parlamentsge- schichte, die von kritischen Stimmen, insbesondere aus der Wissenschaft und aus Kreisen der Strafverteidiger, aber auch mit Zustimmung aus den Reihen der Polizei- beamten, Strafrichter und Staatsanwälte begleitet wurde. Kritik an der und die Forderung nach einer Kronzeu- genregelung sind im vorliegenden Gesetzentwurf maß- voll berücksichtigt. Zu Recht wiesen Vertreter der Er- mittlungsbehörden darauf hin, dass man im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus immer wieder vor erheblichen Beweisproblemen steht, insbe- sondere je höher der Beschuldigte in der Hierarchie eines kriminellen Netzwerkes steht, das durch Abschottung und der Drohung mit Repressionen zusammengehalten wird. Gerade in denjenigen Kriminalitätsfeldern also, wo Er- mittlungsbehörden mit Ermittlungsansätzen leicht schei- tern, ist die Kronzeugenregelung ein probates Instru- ment, um Straftaten aufzuklären und künftige Straftaten zu verhindern. Es lag daher nahe, die Erkenntnisquellen, die ein kooperationsbereiter Täter im Rahmen der Kron- zeugenregelung eröffnet, in größerem Umfang als nach altem Recht zu nutzen. Der Regierungsentwurf hat sich mit dem neu einzufügenden § 46 b des Strafgesetzbu- ches für die Schaffung einer allgemeinen Strafzumes- sungsvorschrift entschieden, die dem Kronzeugen eine Strafmilderung oder einen Straferlass nicht mehr nur bei wenigen bereichspezifischen Straftaten eröffnet. Die Rechtswohltat einer Strafmilderung oder eines Straferlas- ses soll sich ein Beschuldigter bei freiwilligem Offenba- ren seines Wissens bei Straftaten nach dem zukünftigen Straftatenkatalog des § 100 a Abs. 2 der Strafprozessord- nung verdienen können. Die Kronzeugenregelung gilt damit für den gesamten Bereich der schweren Kriminali- tät. Dies ist angemessen. Von der Bedeutung korrespon- diert die im Gesetzentwurf vorgesehene Kronzeugenre- gelung mit der im Betäubungsmittelgesetz in § 31 BtMG bereits bestehenden. Erfahrungen mit § 31 BtMG haben gezeigt, dass sich mit einer Kronzeugenregelung gute Ermittlungsansätze und letztendlich die Verurteilung von schwerkriminellen Drogendealern und die Zerschlagung von Drogenkartel- len bewerkstelligen lassen. Allerdings hat die Erfahrung mit dieser Vorschrift auch Gefahren aufgezeigt. Wer unter dem Druck einer eigenen Verurteilung steht und auf den eine langjährige Freiheitsstrafe wartet, neigt leicht dazu, Dritte zu Unrecht zu belasten und eine Straf- tat Dritter vorzutäuschen. Dem steuert der Gesetzent- wurf gezielt entgegen. Durch Änderungen der §§ 145 d und 164 StGB hat künftig ein Kronzeuge, der eine Straf- tat Dritter vortäuscht oder einen Dritten falsch verdäch- tigt, mit einer deutlich höheren Bestrafung als bisher zu rechnen. Dies soll ihn von falschen Anschuldigungen abhalten. Um den Ermittlungsbehörden Gelegenheit zu geben, die Wahrheit der Angaben des Kronzeugen recht- zeitig vor dessen eigener Hauptverhandlung zu prüfen, kann er sich Strafmilderung oder Straffreiheit nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens in eigener Sache – § 207 StPO – verdienen. Der Missbrauch einer Kronzeugenre- gelung lohnt sich demnach für den Beschuldigten nicht mehr. Sie sehen also, dass im Regierungsentwurf das Recht der Kronzeugenregelung grundlegend überarbeitet und neu gestaltet wurde. Das Rechtsinstitut ist jetzt als allge- meine Regelung im Sanktionenrecht des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches angesiedelt. Vorteile der Re- gelung sind sinnvoll genutzt und dem Missbrauch sind die gebotenen Schranken gesetzt. Es handelt sich somit um einen gelungenen Gesetzentwurf, der den Bedürfnis- sen nach Aufklärung besonders schwerer Straftaten in maßvoller Weise gerecht wird. 12584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Sicherheitspolitische Bedenkenträger werden trotz- dem wieder die Gretchenfrage stellen: Brauchen wir eine Kronzeugenregelung überhaupt? Organisierte Kriminali- tät und Terrorismus agieren in abgeschotteten Struktu- ren. Dort einzudringen gelingt mit dem den Ermittlungs- behörden zur Verfügung stehenden Instrumentarium oft nicht. Warum also sollen wir die Chance, mit aussage- willigen Beteiligten Informationen insbesondere über geplante schwere Straftaten zu erhalten, nicht nutzen? Da solche selbst in kriminelle Handlungen Verstrickte kaum durch altruistische Motive zu Angaben bewegt werden können, muss die Justiz die Möglichkeit haben, einen Anreiz zur Kooperation zu bieten und sie mit dem Angebot einer Strafmilderung zu honorieren. Bedenken wurden nämlich schon 1982 gegen die mit dem Betäubungsmittelgesetz in dessen § 31 erlassene Kronzeugenregelung angemeldet. So wird beispiels- weise vorgebracht, die Glaubwürdigkeit von Kronzeu- gen sei generell fragwürdig. Tatsache ist, dass über § 31 BtMG zahllose international agierende Drogenbanden ausgehoben werden konnten und Kronzeugenaussagen im Dominoeffekt weitere Geständnisse auslösten. Dieses Gesetz macht Deutschland ein Stück sicherer. Es wird deshalb von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion befürwortet. Joachim Stünker (SPD): Jede Implementierung ei- ner Kronzeugenregelung in die Strafprozessordnung be- darf der kritischen Bewertung, wie immer diese Kron- zeugenregelung auch ausgestaltet ist, auch dann, wenn sie wie im vorliegendem Fall als Strafzumessungsrege- lung im allgemeinen Teil gemäß § 46b StPO geregelt werden soll. Greift doch diese Regelung schwerwiegend in das Le- galitäts- und Öffentlichkeitsprinzip des Strafverfahrens ein und berührt sie zugleich den Gleichheits- und Schuldgrundsatz im Strafzumessungsrecht. Andererseits gibt es Deliktsbereiche, für die zu einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung „Anreize für po- tentiell kooperationsbereite Straftäter sinnvoll erschei- nen lassen“. Hierzu gehören die Bekämpfung des Terro- rismus in jeglicher Erscheinungsform ebenso wie die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Hierin ein- geschlossen ist insbesondere die schwere Wirtschaftskri- minalität, deren Strukturen durch ein hohes Maß an Konspiration geprägt sind. Hier stoßen die Strafverfol- gungsbehörden in besonderem Maße auf Probleme im Rahmen der Beweisermittlung und Beweisführung. Mit von außen wirkenden Ermittlungsmaßnahmen gelingt es vielfach nicht, in die abgeschotteten Strukturen einzu- dringen und die zur Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten erforderlichen Erkenntnisse zu ge- winnen. Die Ermittler sind daher zunehmend auf die Hinweise von selbst ins kriminelle Milieu verstrickten Personen angewiesen, die über wertvolle Informationen zu Strukturen und Hintermännern verfügen und bereit sind, diese zu offenbaren. Diesem Interessenausgleich – Legalitätsprinzip ver- sus wirksame Kriminalitätsbekämpfung – wird der vor- liegende Entwurf zu meiner Überzeugung gerecht. Wir schaffen eine ergänzende Strafzumessungsregelung da- für, dass schwerwiegende Straftaten nach § 100 a Abs. 2 der StPO entweder aufgedeckt oder verhindert werden können. Straffreiheit kann sich der Straftäter nur bei ver- wirkter geringfügiger Freiheitsstrafe verdienen. Ansons- ten ist nur eine Strafmilderung möglich in einem Rah- men, dass der Grundsatz der schuldangemessenen Strafe im Einzelfall nicht verletzt wird. Für das Verfahren wichtig ist: Der Täter muss sein Wissen bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart haben. Danach gelten die allgemein gültigen Strafzu- messungsregeln. Lassen Sie uns die Einzelheiten der vorgeschlagenen Regelung in einer sorgfältigen Beratung des Rechtsaus- schusses unter Heranziehung externer Sachverständiger erörtern. Die Aufklärungs- und Präventionshilfe bedeutet aber immer auch eine Absprache zwischen dem Täter und den Strafverfolgungsbehörden. Damit befinden wir uns in dem weiten Bereich der Absprachen im Strafprozess. Ich möchte daher an dieser Stelle mit Nachdruck darauf hinweisen, dass zu meiner Überzeugung die Verabschiedung eines Gesetzes zur Im- plementierung einer Kronzeugenregelung nicht möglich sein wird, wenn wir nicht zugleich auch die Absprachen im Strafprozess generell in der Strafprozessordnung in eine verfassungskonforme, gesetzliche Grundlage brin- gen. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, den erar- beiteten Gesetzentwurf zu Absprachen im Strafprozess endlich mit einem Regierungsentwurf in das parlamenta- rische Verfahren einzubringen. Jörg van Essen (FDP): Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung gehört zu den Themen, die uns in jeder Wahlperiode erneut beschäftigen. Nachdem die alte Kronzeugenregelung 1999 ausgelaufen ist und nicht verlängert wurde, hat sich der Bundestag in den Folge- jahren immer wieder mit unterschiedlichen Modellen be- fasst, wie eine neue Kronzeugenregelung aussehen könnte. Eine parlamentarische Mehrheit für eine Neu- aufnahme dieses besonderen Instruments zur Strafzu- messung war in den letzten Jahren nicht gegeben. Nun hat die Bundesregierung selbst einen Gesetzentwurf zur Kronzeugenregelung vorgelegt. Der Deutsche Bundestag hat in der 11. Wahlperiode die Einführung der Kronzeugenregelung beschlossen. Zielsetzung des Gesetzgebers war, die Begehung künfti- ger terroristischer Straftaten zu verhindern und die Auf- klärung bereits begangener Taten zu fördern. Die Kron- zeugenregelung kam im Zeitraum von 1989 bis 1999 im Terrorismusbereich in 20 bis 25 Fällen und im Bereich der organisierten Kriminalität seit 1994 in 25 Fällen zur Anwendung. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat 1999 eine empirische Studie zu der alten Kronzeugenregelung durchgeführt. Die im Rah- men der Studie befragten Polizeibeamten, Strafrichter und Staatsanwälte haben sich mit über 90 Prozent für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12585 (A) (C) (B) (D) den Fortbestand einer Kronzeugenregelung im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus aus- gesprochen. Die Befürworter begründen den Bedarf ei- ner Kronzeugenregelung vor allem mit den erheblichen Beweisproblemen, die bei Delikten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus auftreten. Die Strukturen der organisierten Kriminalität können in den meisten Fällen nur durchbrochen werden, wenn einer der Fäden des kriminellen Netzwerks selbst durch- trennt wird. Gerade im Bereich der Führungsebene be- steht häufig keinerlei direkter Bezug zu konkreten Op- fern, die etwa als Zeugen infrage kämen. Um hier die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, bedarf es auch eines Anreizes vonseiten der Strafverfolgung. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist nach wie vor eine wichtige Aufgabe der Sicherheitsbe- hörden. In den vergangenen Jahren hat sich der Fokus des öffentlichen Interesses deutlich verlagert hin zur Be- kämpfung des internationalen Terrorismus. Die Bekämp- fung der organisierten Kriminalität ist dadurch in der öf- fentlichen Debatte in den Hintergrund getreten. Die aktuellen Zahlen rechtfertigen dieses Schattendasein je- doch in keiner Weise. Ich erinnere in diesem Zusammen- hang nur an den grausamen sechsfachen Mord in Duis- burg in diesem Sommer. Nach dem aktuellen Lagebild des Bundeskriminalamts zur organisierten Kriminalität waren im Jahr 2006 insgesamt 622 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität an- hängig. Insgesamt wurde gegenüber 10 000 Tatverdäch- tigen ermittelt. Die ermittelte Schadenshöhe der zu- grunde liegenden Verfahren belief sich im Jahre 2006 auf circa 1,4 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst legitim, dass sich die Bundesregierung Gedanken darüber macht, ob dieser Entwicklung auch mit entsprechenden strafpro- zessualen Instrumenten entgegengewirkt werden kann. Man würde es sich zu einfach machen, wenn man ledig- lich die Neueinführung der alten Kronzeugenregelung fordern würde. Auch die Befürworter der Kronzeugenre- gelung haben deutliche Kritik an dem 1999 ausgelaufe- nen Gesetz geäußert. Es muss beispielsweise verhindert werden, dass sogenannte Pseudokronzeugen Strafmilde- rungsvorteile erhalten. Ein Straftäter, der erst Kooperati- onsbereitschaft zeigt, um Strafmilderung zu erlangen und dann die Mitarbeit verweigert oder durch Erinne- rungslücken oder Unwahrheiten die Justiz behindert, ist kein Kronzeuge. Er spielt mit dem Rechtsstaat und darf von diesem auch keinerlei Hilfe erhalten. Zudem darf eine Verurteilung keinesfalls allein aufgrund der Aus- sage eines Kronzeugen erfolgen. Der Rechtsstaat muss sich immer bewusst sein, dass er, wenn er sich eines Kronzeugen bedient, einem Menschen gegenübersteht, der durch seine Taten gezeigt hat, dass er die Rechtsord- nung nicht akzeptiert. Daher muss der vom Kronzeugen angegebene Geschehensablauf durch zusätzliche Be- weismittel deutlich erhärtet werden. Gegen eine Kronzeugenregelung werden von ver- schiedenen Seiten erhebliche Bedenken vorgetragen. So haben sich beispielsweise der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Richterbund in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Pläne der Bundesregierung gewandt, eine neue Kronzeu- genregelung einzuführen. Auch der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Hassemer, hat sich skeptisch geäußert. Die FDP-Bundestagsfraktion nimmt diese Kritik sehr ernst. Im Hinblick auf die konkreten Vorstellungen der Bun- desregierung habe ich für die Einwände aus der Praxis großes Verständnis. Im Gegensatz zu der alten Kronzeu- genregelung, die sich nur auf Straftaten aus dem Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität be- schränkte, soll die neue Strafzumessungsregel ausge- dehnt werden auf alle Fälle der mittelschweren oder Schwerstkriminalität. Daneben soll es ausreichen, dass der Täter Aussagen macht zu Straftaten, die keinerlei Bezug zu seinem eigenen Verhalten haben müssen. Da- mit wird jeder Bezug des Kronzeugen zu der Kriminali- tät aufgegeben, an deren Aufklärung er mitwirkt. Zu Recht weist der Vorsitzende des Deutschen Richterbun- des, Oberstaatsanwalt Frank, darauf hin, dass damit die innere Verknüpfung zwischen eigener Tat und Aufklä- rungshilfe aufgelöst wird. Auch aus Sicht der FDP-Bun- destagsfraktion geht der Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zu weit. Ich freue mich, dass auch der Bundesrat diese Auffassung teilt. Der Bundesrat hat in seiner Stel- lungnahme die Bundesregierung gebeten, den Anwen- dungsbereich auf die Deliktsfelder des Terrorismus und der organisierten Kriminalität zu beschränken. Damit auch künftig Strafe schuldangemessen ver- hängt werden kann, muss aus Sicht der FDP-Bundes- tagsfraktion die Kronzeugenregelung eine Ausnahme im Rahmen der Strafzumessung bleiben. Es darf nicht ver- gessen werden, dass die Kronzeugenregelung eine Ab- kehr vom Legalitätsprinzip ist, wonach grundsätzlich bei Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat ein Er- mittlungsverfahren durchzuführen und bei hinreichen- dem Tatverdacht Anklage zu erheben ist. Darüber hinaus muss gesehen werden, dass bereits heute im Strafverfah- rensrecht ausreichende Möglichkeiten bestehen, die Mit- wirkung eines Täters bei der Strafzumessung zu berück- sichtigen. Es besteht daher keinerlei Bedarf für eine sich auf weite Bereiche der Kriminalität erstreckende Kron- zeugenregelung. Fraglich ist auch, ob der Gesetzentwurf ausreichende Vorkehrungen trifft, um gegen missbräuch- liche Aussagen vorzugehen. Auf die Justiz wird viel Ar- beit zukommen, wenn es darum geht, einem Straftäter eine mögliche Falschaussage nachzuweisen. Auch die Rücknahme des zuvor zugesagten Straferlasses wird in der Praxis Probleme bereiten. Im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung stel- len sich eine Fülle von rechtssystematischen Fragen, die sorgfältig diskutiert werden müssen. Für die FDP steht fest: Nur eine rechtsstaatlich einwandfreie Kronzeugen- regelung wird sich in der Praxis bewähren. Der Gesetz- entwurf der Bundesregierung bietet hierfür lediglich eine Diskussionsgrundlage. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Als die letzte Kronzeugenregelung im Jahre 1999 auslief, sorgte das in der Fachwelt für keine sonderlichen Reaktionen. Die 12586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Kritiker der Regelung waren nicht sonderlich begeistert, ihre Befürworter nicht sonderlich verärgert. Im Vergleich zu der Kohl’schen Regelung sieht der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wie- dereinführung der Kronzeugenregelung aber einen sehr viel breiteren Anwendungsbereich vor. Sollte der Ent- wurf Gesetz werden, wird dies demnach in breiterem Umfang nutzlos für die Aufklärungsarbeit bleiben und für größeren Schaden an unserem Rechtsstaat sorgen. Lassen Sie mich zunächst etwas zum Schaden sagen, bevor ich zum ausbleibenden Nutzen komme. Der Scha- den betrifft ein wesentliches Grundprinzip unseres Rechtsstaates: das Schuldprinzip. Bislang gingen wir da- von aus, dass ein Gerichtssaal ein Ort ist, an dem stets und von Amts wegen die gerechte Strafe für eine nach- zuweisende Schuld zu suchen ist. Kurz gesagt: Justitia wägt; sie handelt nicht. Nach dem aktuellen Entwurf der Bundesregierung aber würde der Gerichtssaal zu einem Marktplatz werden, auf dem man – zuvor geleistete – Er- mittlungs- oder Präventionshilfe gegen Strafmilderung tauscht. Der Entwurf sieht vor, dass Täter, die mehr als ein bloßes Bagatelldelikt zu verantworten haben und vor der Eröffnung der Hauptverhandlung Aufklärungs- oder Präventionshilfe zu irgendeiner ganz anderen Tat aus dem ellenlangen Katalog des geplanten § 100 a Abs. 2 StPO leisten, Strafmilderung genießen können. Weder brauchen diese Täter die Umstände der eigenen Taten aufzuklären noch Reue oder Mitleid mit ihren Opfern zu beweisen. Hier ist also durchaus kein Bonus für den ein- sichtigen Täter in Planung. Wer fortan einer Straftat an- geklagt wird, kann sich glücklich schätzen, wenn er zu- vor für ausreichend Nähe zu anderen Straftaten gesorgt hat, zu denen er dann Aufklärungsdienste anbieten kann. Wer dagegen seinen einzigen ernsten Fehltritt im Leben zu verantworten hat, dem fehlt es an dem nötigen Zaster auf dem neuen Gerichtsmarkt. Er wird nichts haben, das er gegen Milderung feilbieten kann. Ihn trifft die volle Härte des Gesetzes. Ein Verbrechen lohnt sich nicht. Viele dagegen schon. So wird auch das Prinzip der Ge- neralprävention in sein Gegenteil verkehrt. Ich frage mich außerdem, wie man dem Opfer einer Vergewalti- gung wohl vermitteln will, dass der Vergewaltiger straf- mildernd davonkommt, weil er zufällig Aufklärungshilfe – tatsächliche oder fiktive – zu einem Banküberfall leis- ten konnte. Der zu erwartende rechtliche und kriminalpolitische Schaden ist damit nicht einmal annähernd beschrieben. Schon jetzt aber müsste der abzuwiegende Nutzen enorm sein, um den bereits beschriebenen Schaden wie- der wettzumachen. Doch der Nutzen bleibt ganz aus; denn die Vertreter der Kronzeugenregelung verfolgen seit jeher einen Königs„irr“weg. Die erste Irrung liegt darin, dass es gelingen könne, hinter die verborgenen Strukturen des Terrorismus und des organisierten Verbrechens zu gelangen, weil man Plauderer aus dem Milieu privilegieren und herauslösen könne. Tatsächlich aber reagieren geschlossene Struktu- ren auf solche Versuche naturgemäß mit mehr Abschot- tung und mit Absicherung gegen Verrat. Sie erhöhen ein- fach das Ausmaß der Bedrohung gegenüber Plauderern, um die staatliche Privilegierung wieder wettzumachen. Es eröffnet sich ein gefährliches Wettrüsten zwischen den Vergünstigungen des Staates und den Verängstigun- gen im Milieu – ein Wettrüsten, das kein Rechtsstaat auf Dauer durchhalten kann. Die laufenden Erfahrungen mit der „Mini-Kronzeugenregelung“ im Betäubungsmittel- gesetz zeigen doch auf, dass es nicht annähernd gelingt, über Kronzeugen den organisierten Drogenhandel aus- zuforschen, wohl aber erhöht sich die Gewalt im Milieu stetig. Der zweite „königliche Fehlschluss“ besteht in der Erwartung, dass Kronzeugen überhaupt der Wahrheits- findung dienlich sein könnten. Schon ohne Kronzeugen- regelung betonen viele Angeklagte oft und gerne die Schuld anderer fiktiver und realer Personen, nur um den Blick von der eigenen Tat wegzulenken. Für diese – der Wahrheitsfindung abträgliche – Grundtendenz zur Fremdbezichtigung stellt der aktuelle Entwurf nun das passende rechtliche Institut zur Verfügung. Da nützt es auch nichts, dass der Aufklärungsbeitrag oder die Prä- ventionshilfe vor der Hauptverhandlung zu erbringen sind – als wäre dies schon ein Beleg für redliche Absich- ten. Es mag Sie überraschen, aber die meisten Beschul- digten eines Verbrechens wissen auch ohne Richter ziemlich gut, ob es später in der Hauptverhandlung für sie eng werden könnte. Es nützt auch nicht genug, dass der Entwurf Anpas- sungen der Tatbestände der falschen Verdächtigung und des Vortäuschens einer Straftat vorsieht; denn diese In- strumente bleiben oft stumpfe Waffen, weil die Ermitt- lung objektiver Wahrheit ebenso schwer fällt wie der Nachweis des nötigen Tätervorsatzes. So löst sich schließlich der letzte im Entwurf behauptete Vorteil in Luft auf: Den ganz unsicheren Erleichterungen bei der Aufklärung von Straftaten durch Kronzeugen stehen die ganz sicheren Erschwernisse bei der Nachprüfung ihrer Aussagen gegenüber. Nutzlos ist der Entwurf damit für das behauptete Vor- haben der Entlastung der Justiz. Was nach alledem tat- sächlich nützen würde, wäre, die neue Kronzeugenrege- lung ganz zu lassen. Der Nutzen läge schlicht darin, dass die geschilderten Schäden allesamt ausblieben. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ende 1999 lief die alte Kronzeugenregelung aus. Wir Grüne wollten die Kronzeugenregelung nie. Wir hatten uns deshalb geweigert, der Verlängerung dieser Sonderegelung aus der Antiterrorismusgesetzgebung der Achtzigerjahre zuzustimmen. Durch die Kronzeugenre- gelung wurde der deal mit dem Mörder hoffähig ge- macht. Ein des vollendeten Mordes Verdächtiger musste sich nur genug einfallen lassen, was er den Strafverfol- gungsbehörden über andere und deren Beteiligung an schwersten Straftaten erzählen konnte, um eine milde Bestrafung zu erreichen. Das mit der damaligen Rege- lung beabsichtigte Ziel, ins Zentrum von terroristischen oder schwerstkriminelle Gruppen organisierter Krimina- lität einzudringen, indem Personen aus diesem Bereich als Kronzeugen gewonnen werden, wurde nicht erreicht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12587 (A) (C) (B) (D) Deshalb und wegen erheblicher Gefahren und schwerer Mängel, wie etwa der Aufgabe des Legalitätsgrundsat- zes, die mit dieser Regelung verbunden waren, sprachen sich die meisten Experten gegen die Kronzeugenrege- lung aus. In einer Sachverständigenanhörung im Justiz- ministerium wurde dies damals deutlich. Die jetzt vorgelegte neue Vorschrift des § 46 b Straf- gesetzbuch ist im Kern die Wiedereinführung einer Kronzeugenregelung, wenn sie jetzt auch anders heißt und als bloße Strafzumessungsvorschrift daherkommt. Dabei verkenne ich nicht, dass die neue Vorschrift völlig anders gestrickt ist und versucht, die Kritik an der alten Regelung zu berücksichtigen. Ich übersehe auch nicht, dass die vorgeschlagene Regelung sehr weitgehend den Vorschlägen ähnelt, die wir zuletzt in der rot-grünen Ko- alition diskutiert hatten. Es stimmt allerdings nicht, dass wir Grünen bereit waren, diesem Vorschlag so ohne Wei- teres zuzustimmen. Nein, wir wollten überhaupt keine neue Kronzeugenregelung. Das hatten wir immer wieder betont. Nur wir sahen uns einem erheblichen Druck aus- gesetzt. Deshalb hatten wir verhandelt. Aber für uns blieb immer entscheidend, dass wir eine Regelung allen- falls mittragen, die die absolute Strafdrohung einer le- benslangen Freiheitsstrafe im § 211 Strafgesetzbuch ganz allgemein relativiert und nicht nur als Belohnung für den Mörder als Kronzeuge. Wir sehen nicht ein, dass bei einem Mord, der nach jahrelangem Martyrium durch das Opfer an dem Peiniger begangen wird, eine Milde- rung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach dem Geset- zeswortlaut absolut nicht möglich sein soll, bei einem Mörder, der sich aus ganz egoistischen Gründen als Kronzeuge zur Verfügung stellt, aber doch. Wir lehnen diese neue Kronzeugenregelung auch als Strafzumessungsvorschrift ab. Wir sind dagegen, dass der Staat mit Mördern ein Geschäft über die Strafhöhe abschließt. Ein solcher Deal ist eines Rechtsstaates un- würdig. Beim Handel des Staates mit schwerstkriminel- len Kronzeugen bleiben Gerechtigkeit und Rechtsstaat- lichkeit auf der Strecke. Die Regelung schafft Anreize für Kronzeugen in Mordprozessen, sich Taten und Tatbeteiligungen anderer auszudenken, sie „ins Blaue“ hinein zu verdächtigen und zu belasten – denn umso mehr andere beschuldigt wer- den, umso höher fällt der Strafnachlass aus. Damit wird der Gefahr der Verfolgung Unschuldiger und gerichtli- cher Fehlurteile gerade in Mordprozessen Vorschub ge- leistet. Dass von Strafverfolgern hofierte Kronzeugen vielfach ihre Aussagen nachträglich widerrufen und sich gar selbst wegen Falschbeschuldigung angezeigt haben, zeigt, welche großen Zweifel an der Glaubwürdigkeit solcher Kronzeugen stets grundsätzlich angebracht sind. Beispiele aus Italien zeigen, welch großes Unglück Kronzeugen über zu unrecht Verdächtigte bringen kön- nen. Justiz und Kronzeuge haben an der Überführung Be- schuldigter häufig ein gemeinsames Interesse. Sie nei- gen dazu, Widersprüche in dessen Aussage zulasten der Wahrheit, des Beschuldigten und der Verteidigung zu „glätten“. Die Kronzeugenregelung verletzt das verfassungs- kräftige Schuldprinzip, indem der für die Tat des Zeugen angemessene Strafrahmen selbst bei Mördern unter- schritten wird. Sie begründet Zweifel bei der recht- streuen Bevölkerung an der Legitimität und Gleichbe- handlung in der Strafrechtspflege. Schon nach geltendem Strafrecht kann das Gericht die Strafe mildern, wenn der Angeklagte hilft, fremde De- likte aufzuklären. Solches Verhalten nach der Tat ist nach § 46 StGB ein wichtiger Strafzumessungsgrund, nur eben nicht bei Mordvorwürfen. Und zur täglichen Praxis aller Strafgerichte in Deutschland gehört es, Hilfe bei der Aufklärung oder die Verhinderung von Straftaten durch Strafmilderung zu würdigen. Darüber wird auch in öffentlicher Sitzung oder auch auf Gerichtsfluren unter den Prozessbeteiligten gesprochen und verhandelt. Dazu braucht es die neue Vorschrift nicht, zumal es für den Bereich der Drogendelikte und des Terrorismus sogar Vorschriften und Aussageanreize schon im Gesetz gibt. Ganz im Gegenteil. Das neue Gesetz könnte sogar diese Praxis einschränken, denn danach kann die Milderung nur für Aufklärungshilfe gewährt werden, wenn diese bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gewährt wird. Deshalb werden wir gegen eine neue Kronzeugenre- gelung stimmen, die den Handel mit dem Mörder gesetz- lich regelt. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört es zu den wesent- lichen Aufgaben des Staates, „gerade schwere Straftaten aufzuklären und zu verhindern“. Genau dies ist das Kernanliegen des Entwurfs der Bundesregierung zur Einführung einer allgemeinen Kronzeugenregelung, der uns zur Beratung vorliegt. Durch die Möglichkeit der Strafmilderung oder – in weniger schweren Fällen – des Absehens von Strafe soll für potenziell kooperationsbe- reite Straftäter ein stärkerer Anreiz geschaffen werden, Angaben zur Aufklärung oder Verhinderung von schwe- ren Straftaten zu machen, die ansonsten nicht oder nur schwer aufzudecken wären. Wir alle wissen, dass die Frage einer Kronzeugenre- gelung ein seit vielen Jahren immer wieder kontrovers diskutiertes Thema ist. Umso mehr freue ich mich, dass wir nun einen Entwurf vorlegen können, der beim Bun- desrat auf grundsätzliche Zustimmung stößt und bei dem ich zuversichtlich bin, dass er auch im Bundestag eine klare Mehrheit finden wird. Das Regelungskonzept des Entwurfs lässt sich leicht erläutern, wenn wir einen Blick auf die bisherigen Kron- zeugenregelungen werfen. Wir hatten eine solche bereits von 1989 bis 1999 für terroristische und von 1994 bis 1999 zusätzlich für organisiert begangene Straftaten. Außerdem gibt es wenige sogenannte kleine oder be- reichsspezifische Kronzeugenregelungen, von denen vor allem die in der Praxis bedeutsame Vorschrift im Betäu- bungsmittelstrafrecht – § 31 BtMG – zu nennen ist. Trotz der nicht unerheblichen Erfolge, die mit diesen Regelungen erzielt werden konnten, wurde von Prakti- 12588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) kerseite immer wieder moniert, dass diese Vorschriften einen zu eng begrenzten Anwendungsbereich haben. Nehmen wir zum Beispiel die damaligen Regelungen zum Terrorismusbereich und zur organisierten Krimina- lität. Die Regelungen waren nur auf Täter oder Teilneh- mer einer kriminellen und terroristischen Vereinigung und damit zusammenhängender Taten beschränkt. Kri- minelle Aktivitäten in diesen Bereichen beschränken sich aber keineswegs auf die Tätigkeit von Organisatio- nen, die die hohen Anforderungen an die Struktur sol- cher Vereinigungen erfüllen, ganz zu schweigen etwa vom terroristischen Einzeltäter. Eine weitere Beschrän- kung der bisherigen Regelungen bestand und besteht da- rin, dass nur Angaben innerhalb ein und desselben De- liktsbereichs honoriert werden. Zum Beispiel schafft die Regelung im Betäubungsmittelstrafrecht demzufolge zwar einen Anreiz für einen Drogenhändler, Angaben über die Tat eines anderen Drogenhändlers zu machen, nicht aber, die Straftaten eines ihm bekannten Men- schenhändlers oder einer Fälscherbande zu offenbaren. Diese meines Erachtens wenig sinnvollen Beschrän- kungen wollen wir aufheben. Vorrangig entscheidend soll vielmehr sein, welchen Wert eine Angabe hat, um den Staat bei seiner Aufgabe zu unterstützen, Straftaten aufzuklären und zu verhindern. Erst durch einen solchen breiten, deliktsübergreifenden Ansatz besteht die Mög- lichkeit, kriminelle Verflechtungen insgesamt besser aufzubrechen und ansonsten praktisch nicht erreichbare Ermittlungserfolge zu erzielen. Dabei beschränkt sich der Entwurf darauf, solche An- gaben zu honorieren, die sich auf eine schwere Straftat beziehen, bei der grundsätzlich auch eine Telefonüber- wachung möglich wäre. Durch die Anknüpfung an den Straftatenkatalog der Telefonüberwachung, wie er nach dem Regierungsentwurf zur Neuregelung der Telekom- munikationsüberwachung gefasst werden soll, erfassen wir nur besonders schwere Taten – zum Beispiel Tö- tungsdelikte – oder schwere Delikte, bei denen tendenzi- ell – insbesondere wegen einer häufig konspirativen Be- gehungsweise – ein Ermittlungsdefizit des Staates zu beklagen ist. Neben der Tätigkeit organisierter oder kri- mineller Vereinigungen ist dabei etwa an sonstige Staats- schutzdelikte, gemeingefährliche Straftaten, die Strafta- ten von Waffenhändlern, von Räuber-, Diebstahls-, Betrugs- oder Fälscherbanden, aber auch an schwere Se- xualdelikte und schwere Formen der Wirtschaftskrimi- nalität einschließlich schwerer Korruptionsdelikte zu denken. Die Bundesregierung verkennt nicht, dass eine Kron- zeugenregelung Täter zu dem Versuch animieren kann, mit unwahren Angaben eine unverdiente Strafmilderung zu erlangen. Wir haben jedoch Vorsorge getroffen, um diese Gefahr zu minimieren. Der Kronzeuge muss näm- lich seine Angaben bereits vor Eröffnung des gegen ihn gerichteten Hauptverfahrens machen. Damit soll den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht hinreichend Zeit bleiben, diese Angaben auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Die Gewährung eines Strafrabattes nur des- halb, weil der Angeklagte am Ende der Hauptverhand- lung auf einmal mit Angaben kommt, die zwar plausibel erscheinen, aber nicht nachprüfbar sind, kann es so nicht geben. Außerdem wollen wir die Strafandrohungen für Falschaussagen ausweiten, um härter gegen die vorge- hen zu können, die bewusst falsche Angaben machen, um sich die Milderung der Kronzeugenregelung zu ver- schaffen. Ich habe bereits angedeutet, dass der Gesetzentwurf auch von den Ländern dem Grunde nach unterstützt wird, nachdem wir bereits bei der Abstimmung des Re- gierungsentwurfs viele Hinweise und Bedenken der Län- der zu Einzelpunkten aufgegriffen haben. Der Bundesrat hat lediglich drei Prüf- und eine Änderungsbitte vorge- bracht, die aus unserer Sicht keinen Anlass für Korrektu- ren bieten. Insbesondere hält die Bundesregierung aus den eben genannten Gründen die Präklusionsvorschrift für richtig, wonach der Kronzeuge seine Angaben vor Eröffnung des Hauptverfahrens machen muss. Grundsätzlichere, aber leider auch recht pauschale Kritik kommt hingegen von den Anwaltsverbänden und dem Deutschen Richterbund, die in einer Kronzeugenre- gelung per se einen „fragwürdigen Handel mit dem Ver- brechen“ sehen. Auch wenn wir alle wissen, dass eine Kronzeugenre- gelung nie ganz unproblematisch ist, halte ich diese rechtsstaatlichen Bedenken im Hinblick auf den vorlie- genden Regierungsentwurf für unbegründet. Ich möchte die wesentlichen Gründe hierfür kurz benennen: Erstens. Zu den zentralen verfassungsrechtlichen Aufgaben des Rechtsstaats gehört es – ich habe bereits eingangs darauf hingewiesen –, gerade schwere Verbre- chen aufzuklären und zu verhindern; genau dem dient die Regelung. Zweitens. Dass für die Strafzumessung auch ein posi- tives Nachtatverhalten zu berücksichtigen ist, ist nicht neu, sondern in § 46 StGB seit langem anerkannt. Wir konkretisieren nur diese Vorgaben und entwickeln sie weiter. Drittens. Weiterhin muss sich die Strafe maßgeblich an der Schuld des Täters orientieren. Zur Vermeidung unangemessen niedriger Strafen wird der mögliche Strafrabatt viel deutlicher limitiert als bei den Kronzeu- genregelungen der 80er- und 90er-Jahre. Bei Mord kann allenfalls eine Absenkung auf zehn Jahre Freiheitsstrafe erfolgen, ein Absehen ist nur bei einer an sich verwirk- ten Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren möglich. Viertens. Das Gericht muss auch nicht automatisch bei jeder Hilfe einen Strafrabatt gewähren, sondern kann dies tun. Es hat dabei insbesondere zu bewerten, ob ihm dies im Hinblick auf den Wert der Angaben und der Schwere der Tat des Kronzeugen gerechtfertigt er- scheint. Fünftens. Das Legalitätsprinzip bleibt bei unserer rein materiell-rechtlichen Regelung unberührt. Es bleibt da- bei, dass nur das Gericht über den Strafrabatt entschei- den kann. Auch im Ermittlungsverfahren muss es einer Einstellung zustimmen. Zum Schluss möchte ich noch kurz etwas zu dem Ver- hältnis dieses Entwurfs zu dem Vorhaben „Verständi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12589 (A) (C) (B) (D) gung im Strafverfahren“ anmerken, das derzeit noch in- nerhalb der Bundesregierung abgestimmt wird. Ich glaube, wir sollten beide Vorhaben klar auseinanderhal- ten. Die Kronzeugenregelung ist eine materiell-rechtli- che Regelung der Strafzumessung, die ohne die rein ver- fahrensrechtlichen Regelungen zur Verständigung zur Anwendung kommen kann. Ebensowenig bedarf die verfahrensrechtliche Absicherung der Verständigung ei- ner Kronzeugenaussage, um mit Leben gefüllt zu wer- den; vielmehr ist ihr Hauptanwendungsfall das Geständ- nis des Angeklagten. Auch in zeitlicher Hinsicht gibt es Unterschiede. Der Kronzeuge muss sich vor der Eröff- nung des Hauptverfahrens offenbaren, während eine Verständigung erst in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Ein wie auch immer geartetes Junktim zwischen beiden Entwürfen wäre daher aus meiner Sicht nicht sachgerecht und würde aufgrund des deutlich unter- schiedlichen Verfahrensstandes auch nur zu unnötigen Verzögerungen führen. Ich freue mich auf die anstehenden Ausschussbera- tungen, wo wir uns über die Details des Regierungsvor- schlags unterhalten können. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Programm „Energiewende in Ge- wächshäusern“ auflegen (Tagesordnungspunkt 14) Johannes Röring (CDU/CSU): Lassen Sie mich zu- nächst einen Blick auf die Branche werfen, die Gegen- stand des uns vorliegenden Antrags von Bündnis 90/Die Grünen ist. Der Gartenbau ist ein zukunftsorientierter Wirtschaftszweig innerhalb der Landwirtschaft, der sich seit Jahren sehr positiv weiterentwickelt. Mit über 60 000 Betrieben mit gärtnerischer Produktion in Deutschland und einem Wirtschaftsvolumen von circa 26 Milliarden Euro ist der Gartenbau schon für sich ge- nommen ein wichtiger Wirtschaftssektor. In der Branche sind direkt über 400 000 Arbeitskräfte beschäftigt, da- von circa 18 000 Auszubildende. Aufgrund der meist ge- gebenen Unternehmensstrukturen ist er im ländlichen Raum ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der Arbeitsplätze schafft. Ein Charakteristikum des Gartenbaus ist augen- scheinlich: Er ist nicht nur ein arbeitsintensiver Produk- tionszweig, sondern auch ein energieintensiver Bereich. Besonders dieses Thema, nämlich die Energie und im Besonderen deren effiziente Nutzung, ist in diesen Tagen eines der zentralen Themen der Politik. Wir haben uns als Große Koalition von Anfang an dieser Frage ange- nommen und schon im Koalitionsvertrag vereinbart, „bis 2020 eine Verdopplung der Energieproduktivität gegen- über 1990 zu erreichen“ und die Marktpotenziale erneu- erbarer Energien auszubauen. Mit dem nun in Meseberg vorgelegten Klima- und Energiepaket gehen wir diesen Weg konsequent weiter. Wir wollen beispielsweise einen weiteren Ausbau der er- neuerbaren Energien im Strombereich. Wir setzen uns für eine Verdopplung des Anteils von Strom aus Kraft- Wärme-Kopplung bis 2020 ein, und besonders die Aufle- gung von Förderprogrammen für Klimaschutz und Ener- gieeffizienz hat für uns höchste Priorität. Wir haben be- reits Maßnahmen entwickelt und wollen für die Zukunft weitere Maßnahmen voranbringen, die beim Thema Energieeffizienz erfolgreich sind. Lassen Sie mich nach diesen allgemeinen Aussagen konkret werden und das Augenmerk auf die Situation des Energieeinsatzes und die Energieeffizienz in der Gartenbaubranche werfen, um die es ja in dem von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag geht, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ein Pro- gramm zur Energiewende in Gewächshäusern aufzule- gen. Die Intention, die hinter diesem Antrag steckt ist grundsätzlich zu begrüßen; denn die Verringerung der CO2-Emissionen auch in dieser Branche ist ein erstre- benswertes Ziel. Dies ist im Gewächshausanbau von be- sonderer Bedeutung, da der Gartenbau etwa ein Drittel der von der Landwirtschaft verbrauchten Brennstoff- energie benötigt. Man kann den Antrag positiv beurtei- len, dass die Idee unterstützenswert ist. Aber die Umset- zung ist mangelhaft. Die ungerechtfertigte und sach- fremde Kritik an den existierenden Programmen, durch die der Bund schon jetzt energiesparende Maßnahmen in der Landwirtschaft und im Gartenbau fördert, zeigt dies eindeutig. Denn sowohl das Agrarinvestitionsförderpro- gramm, AFP, das im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut- zes“, GAK, eine Förderung ermöglicht, als auch die Mit- tel aus dem Zweckvermögen des Bundes bei der Land- wirtschaftlichen Rentenbank, mit deren Hilfe die Unterstützung von Modellvorhaben im Bereich vorwett- bewerbliche Entwicklung sowie Modellvorhaben zur Markt- und Praxiseinführung innovativer Techniken und Verfahren geleistet wird, sind bereits jetzt von der Bran- che häufig genutzte Wege, Energieeffizienzmaßnahmen anzustoßen. Da wir diese effektiven Maßnahmenpakete ausbauen wollen, erörtern wir aktuell, mit welchen weiteren Mög- lichkeiten wir die Gartenbaubranche unterstützen kön- nen, um den Energieeinsatz zu reduzieren, das Klima zu schonen und damit einhergehend auch die Kosten der Betriebe zu senken. Hierfür ist der politische Wille in der CDU/CSU-Fraktion und bei der Bundesregierung zwei- felsfrei vorhanden. Daher prüfen wir zurzeit konkret, welche finanziellen Voraussetzungen wir schaffen müs- sen, um ein Förderprogramm zum Ausbau der Energie- effizienz im Gartenbau aufzulegen. Dies soll auch im Rahmen unserer Meseberg-Beschlüsse entwickelt wer- den können und über einen mehrjährigen Zeitraum Pla- nungs- und Investitionssicherheit bieten, um einerseits die Branche zukunftsfähig zu machen und andererseits unsere klima- und energiepolitischen Ziele realisieren zu können. Es geht hier nicht um einen politischen Schnell- schuss, wie beim vorliegenden Antrag der Grünen, son- dern unser Ziel ist es, ein Programm aufzulegen, das nachhaltig erfolgreich ist und der Branche Unterstützung garantiert, auf die sie vertrauen kann. Denn wir wollen der Gartenbaubranche ein verlässlicher Partner sein, da- mit die positiven Entwicklungen in diesem Wirtschafts- 12590 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) zweig weitergehen können. Dazu müssen wir neben dem geplanten Förderprogramm auch verstärkt dafür werben, lokal bereits bestehende Unterstützungspfade zu nutzen, sei es in der Beratung vor Ort, bei der Entwicklung und Aufstellung von Energieeffizienzkonzepten, beim Ein- satz von Biomasse aus Wald und Forst oder bei der Ko- operation von Biogasanlagenbetreibern und Gartenbau- ern bei der Nutzung der Wärme der Biogasanlagen. Dieser Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist abzu- lehnen, da wir bereits in konkreten Planungen sind, wie wir der Gartenbaubranche durch ein Investitionsförde- rungsprogramm helfen können, Energieeffizienzmaß- nahmen zur CO2-Verminderung umzusetzen, und da wir bestehende Maßnahmen haben, die auch diesem Ziel dienen. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Oft wird be- hauptet, Umweltschutz sei ein Jobkiller. Wir aber wis- sen: Das Gegenteil ist richtig. Umwelt schafft Arbeit. Das rasante Wachstum der Erneuerbaren-Energien-Bran- che hat bisher schon rund 200 000 Arbeitsplätze ge- schaffen. Auch die Maßnahmen in unserem Klimapaket werden einen doppelten Nutzen bringen: Wir schützen das Klima, indem wir den CO2-Ausstoß senken, unseren Ressourcenverbrauch schonen und unsere Abhängigkeit von den Ölscheichs verringern. Gleichzeitig schaffen wir Arbeitsplätze in Handwerk, Industrie und Wirtschaft, in- dem wir Investitionen in Energieeffizienz und Moderni- sierung anschieben, unsere Technologieführerschaft aus- bauen und für Wirtschaftswachstum sorgen. Gerade beim Glashausanbau wird eines überaus deut- lich: Für die energieintensiven Branchen ist Umwelt- schutz eine Win-win-Situation. Weniger Energiever- brauch bedeutet weniger Treibhausgase und es bedeutet weniger Kosten. Der Gartenbau – und das ist uns allen bewusst – ist in besonderem Maße in seiner Kostenstruk- tur und damit letztendlich auch in seiner Wettbewerbs- stärke von den Energiepreisen abhängig. Die Herausforderungen des weltweiten Klimawan- dels sind auf das Engste mit der Frage verknüpft, wie un- ter den Bedingungen einer weltweit steigenden Energie- nachfrage in Zukunft die Versorgungssicherheit zu wirtschaftlichen Preisen gewährleistet und so insgesamt eine nachhaltige Energieversorgung verwirklicht werden kann. Eine ambitionierte Strategie zur Steigerung der Energieeffizienz und der weitere Ausbau der erneuerba- ren Energien sind die richtige Antwort, um die Emission der Treibhausgase zu reduzieren. Das Bundeskabinett hat bei seiner Klausursitzung in Meseberg ein umfangreiches Klima- und Energiepaket beschlossen. Mit diesen Maßnahmen und den zuvor durchgesetzten Reduzierungen werden wir eine CO2- Minderung von rund 35 Prozent erreichen. Das ist ein großer Schritt nach vorn. Dennoch: In der Klimapolitik brauchen wir einen langen Atem und viele Akteure. Je- der Einzelne kann durch sein Mobilitätsverhalten oder durch intelligentes Energiesparen in den eigenen vier Wänden mithelfen. Ohne jeden Komfortverlust könnten wir europaweit deutlich über 20 Prozent unseres Ener- gieverbrauchs reduzieren. Es existieren in allen Sektoren noch erhebliche Ein- sparpotenziale, die mit ökonomischen Anreizen ver- gleichsweise kostengünstig zu realisieren sind. Ich be- grüße es, dass in Meseberg auch die Land- und Forstwirtschaft in Förderprogramme aufgenommen wurde, die dazu dienen, Effizienzpotenziale zu mobili- sieren. Konkret beschlossen wurde bereits die Förderung der Energieberatung im Bereich der Land- und Forst- wirtschaft. Der Gewächshausanbau ist dabei von beson- derer Bedeutung: Der Gartenbau benötigt etwa ein Drit- tel der von der Landwirtschaft verbrauchten Brennstoffenergie. Die Effekte wären also besonders groß, die Mittel besonders effizient eingesetzt. Mit ihrem Antrag rennen die Grünen offene Türen ein. Der Bund fördert schon jetzt energiesparende Maß- nahmen in der Landwirtschaft und insbesondere im Gar- tenbau: Wir haben das Agrarinvestitionsförderprogramm im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Wir fördern aus dem Zweckvermögen des Bundes bei der Landwirt- schaftlichen Rentenbank Modellvorhaben zur vorwett- bewerblichen Entwicklung sowie zur Markt- und Praxis- einführung innovativer Techniken und Verfahren. Auch im Innovationsprogramm und in den Projekten des Bil- dungs- und Forschungsministeriums werden Projekte im Gewächshausbau gefördert. Ich stimme Ihnen zu: Wir müssen auch die anwen- dungsorientierte Forschung und den Wissenstransfer in die Praxis verbessern und fördern. Es geht darum, im In- teresse des Klimaschutzes in der Landwirtschaft und hier vor allem im energieintensiven Gartenbau Fördermaß- nahmen zur Energieeinsparung zu ergreifen. Wir haben ja heute im Ausschuss deutlich gemacht, dass wir uns dafür einsetzen, dazu einen Teil der Einnah- men aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten zu ver- wenden, die im Haushalt des Bundesumweltministeri- ums veranschlagt sind. Das dafür maßgebliche Zuteilungsgesetz 2012 bestimmt, dass über die Verwen- dung der Erlöse im Rahmen des jährlichen Haushaltsge- setzes entschieden wird. Ich denke, dafür sollte auch ein angemessener Teil für Maßnahmen zur Energieeinspa- rung, zur Energieberatung und zur Markteinführung kli- mafreundlicher Technologien im Bereich der Land- und Forstwirtschaft verwendet werden. In 2008 schlagen wir jedenfalls vor, 3 Millionen Euro für modellhafte Vorha- ben zur Verfügung zu stellen. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass wir unseren Teil der Verantwortung übernehmen. Es macht Sinn, hier zu investieren. Es tut dem Klima gut. Lassen sie mich dennoch gezielt darauf hinweisen, dass ein geringerer Energieverbrauch im Unterglasanbau eine Gewinnsitua- tion für die Unternehmen ist. Weniger Energieverbrauch bedeutet niedrigere Kosten. Dafür lohnt es sich, zu in- vestieren. Wir haben nicht mehr die Chance, den Klimawandel zu verhindern. Wir können ihn nur noch begrenzen. Na- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12591 (A) (C) (B) (D) türlich kostet das Geld. Fakt ist aber auch: Zuschauen wäre teurer. Wir haben heute im Rahmen der Haushaltsberatungen 2008 im Ausschuss beschlossen, dass wir das Bundes- programm Ökolandbau weiterhin mit 16 Millionen Euro fortführen, obwohl in der mittelfristigen Planung eine Rückführung vorgesehen war. Auch dieses Programm ist Klimaschutz, den wir als SPD durchgesetzt haben. Wir stehen nicht nur beim Unterglasanbau vor der Aufgabe, klimaschonende Produktionsformen weiterzuentwi- ckeln und zu sichern. Ich freue mich, dass wir diesen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hier debattieren. Auf diese Weise habe ich nämlich die Möglichkeit, zu erläutern, was wir als Regierungskoalition auf den Weg gebracht haben und woran wir in der kommenden Zeit arbeiten werden. Der heute im Agrarausschuss beschlossene Entschließungs- antrag zum Haushalt zeigt ganz klar: Wir nehmen diese Herausforderung an. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Wir brauchen keine Energiewende in Gewächshäusern, sondern bessere Wettbewerbsbedingungen für unsere Gartenbaubetriebe. Steigende Energiepreise verschärfen die Wettbewerbs- situation der Gartenbaubetriebe, die in Gewächshäusern Obst, Gemüse und Zierpflanzen anbauen. Wie leistungs- fähig unsere Gartenbaubetriebe sind, hat gerade die in der letzten Woche zu Ende gegangene Bundesgartenschau in Ronneburg und Gera bewiesen. Sie hat annähernd 1,5 Millionen Besucher begeistert. Wir sind in der Pflicht, nach Lösungen zu suchen, da- mit der Gartenbau und auch der Unterglasanbau in Deutschland eine Zukunft hat. Dazu gehört insbeson- dere, zur Minderung der hohen Energiekosten beizutra- gen. Der Unterglasanbau ist eine sehr energieintensive Branche. Abhängig von den jeweiligen Kulturen wird entweder das ganze Jahr über eine hohe Wärmemenge benötigt oder nur saisonal insbesondere im Winter. Das bedeutet, dass jeder Betrieb individuell betrachtet wer- den muss: jeder Betrieb muss für sich ausrechnen, auf welche Weise er seine Energiekosten am besten senken kann. Eine Umfrage der Universität Hannover hat ermittelt, dass es einen erheblichen Investitionsstau bei den Unter- glasanbaubetrieben gibt. Die Stichprobe, die etwa 10 Prozent der im Unterglasanbau bewirtschafteten Flä- che umfasste, zeigte, dass 60 Prozent der erfassten Ge- wächshäuser älter als 10 Jahre, über 30 Prozent älter als 25 Jahre sind. Bei den Kesseln ist die Situation nicht wirklich besser, über 40 Prozent sind älter als 15 Jahre. Es besteht also die erste Aufgabe darin, den Betrie- ben, die sich teilweise in einer wirtschaftlich schwieri- gen Situation befinden, Investitionen zur Energieeinspa- rung zu ermöglichen. Im Ansatz geht der Antrag von Bündnis 90/Die Grü- nen in die richtige Richtung, insbesondere vor dem Hin- tergrund der aktuell geführten Debatte um Klimawandel und CO2-Reduzierung. Die effizienteste Maßnahme zur Energieeinsparung bei Gewächshäusern ist jedoch in vielen Fällen der Abriss und Neubau der in der Regel überalterten Anlagen. Fördermaßnahmen für Neubauten sind bereits vor- handen, so zum Beispiel die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Dort heißt es: „Förderungsfä- hig sind betriebliche Investitionen zur Verbesserung der Umweltbedingungen im Bereich der Landwirtschaft wie Maßnahmen zur Förderung der Energieeinsparung und -umstellung auf alternative Energiequellen, wie zum Beispiel der Neubau energiesparender Gewächshäuser einschließlich des hierfür notwendigen Abrisses alter Anlagen, Wärme- und Kältedämmungsmaßnahmen, Solaranlagen, Biomasse- und Biogasanlagen, Biomasse- verfeuerung, die Umstellung der Heizanlagen auf um- weltverträglichere Energieträger sowie Steuer- und Re- geltechnik.“ Die Praxis zeigt jedoch, dass diese Fördermittel bis- her nicht ausreichend genutzt werden. Bisher kommen in Gartenbaubetrieben vorwiegend fossile Energieträger zum Einsatz. Es ist an der Zeit, dass auch erneuerbare Energieträger wie zum Beispiel Holzhackschnitzel oder Pellets möglichst auch unter Nutzung der Kraft-Wärme- Kopplung zur Anwendung kommen. Die Betriebe brau- chen maßgeschneiderte Lösungen für die jeweilige Si- tuation. Es gibt in Deutschland Beispiele, die Mut machen. In Schleswig-Holstein ist eine neuartige Kombination aus einer Biogasanlage mit nachgeschaltetem Blockheiz- kraftwerk und einem Holzheizkraftwerk mit innovativer Organic-Rankine-Cycle(ORC)-Technik errichtet wor- den. In dieser Biogasanlage mit nachgeschaltetem Holz- heizkraftwerk werden Wärme und Strom produziert. Die Wärme soll zum Betrieb von Gewächshäusern genutzt werden, in denen unter anderem Tomaten angebaut wer- den sollen. Besonders spannend ist die Nutzung des bei der Verbrennung des Biogases frei werdenden CO2 zur Düngung der Pflanzen. Der moderne Gemüseanbau be- schleunigt mit einem gesteigerten CO2-Druck das Wachstum der Pflanzen. Das Projekt wurde vom Bun- deslandwirtschaftsministerium, der EU und dem Land Schleswig-Holstein gefördert. Wir brauchen mehr solche innovativen Projekte, um den Unterglasanbau in Deutschland zu unterstützen und den mittelständischen Betrieben die Wettbewerbssitua- tion zu erleichtern. Die Politik muss hierfür die notwen- digen Rahmenbedingungen schaffen. Der vorliegende Antrag geht in die richtige Richtung, berücksichtigt aber nur unzureichend die Ausnutzung bestehender Förder- möglichkeiten und setzt keine innovativen Impulse. Des- wegen werden wir uns enthalten. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der vorlie- gende Antrag der Grünen wendet sich einem energiepo- litisch wichtigen Bereich der Land- und Lebensmittel- wirtschaft zu. Der Anteil der Energiekosten für Gewächshäuser am Gesamtaufwand der Gartenbaube- triebe hat sich in den vergangenen Jahren drastisch er- höht. So müssen Gärtnerinnen und Gärtner 10 Prozent ihres jährlichen Umsatzes den Stromanbietern überwei- 12592 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) sen. Das schadet ihrem Geldbeutel und der Umwelt. Än- derungen wären also nicht nur im Hinblick auf eine Verbes- serung der gärtnereiwirtschaftlichen Betriebsergebnisse und eine Stärkung von Leben und Arbeit in den ländli- chen Räumen – dort befinden sich Gärtnereien in der Re- gel – sinnvoll, sondern vor allem auch aus ökologischen Gründen. Eine Energiewende weg von fossilen, hin zu ökolo- gisch erzeugten erneuerbaren Energien kann allerdings mittelfristig nur erreicht werden, wenn gleichzeitig der Energiebedarf gesenkt wird, auch bzw. gerade in der Landwirtschaft und in Gärtnereien. Dazu brauchen wir mehr Forschung, wie die Grünen richtig erkennen. Dabei bleiben einige Fragen offen: Wofür wird die Energie eigentlich benötigt? Wie alt ist das Gewächs- haus? Hat es einen Energieschirm? Wie wird die Fläche ausgenutzt? Wie ist die Wärmeübertragung der Rohrlei- tungen im Gewächshaus? Wie alt ist das Heizsystem und welche Möglichkeiten eines Neubaus gibt es für die Gärtnerei? Wie werden vorhandene Fördermöglichkei- ten ausgenutzt? Was begrenzt die Nutzung der Förder- programme? Bis zu 90 Prozent des Energiebedarfs einer Gärtnerei fallen beim Unterglasanbau an. Hier gibt es viele Mög- lichkeiten, aktiv Energie einzusparen, aber sie zu nutzen kostet Geld. Das Abdichten von Scheiben und Lüftun- gen kann laut der Energieagentur in NRW bis zu 20 Prozent, die Erneuerung des Heizungssystems bis zu 15 Prozent Energie einsparen. Ein dicht installierter Energieschirm zur Dämmung des Gewächshauses kann den Energiebedarf bis zu 40 Prozent senken, kostet aller- dings auch bis zu 20 Euro pro Quadratmeter. Aber ge- rade Eigenkapital fehlt in der Agrarwirtschaft – speziell in Ostdeutschland – bekanntlich an allen Ecken und En- den. So gesehen ist das von den Grünen geforderte För- derprogramm „Energiewende in Gewächshäusern“ in- haltlich richtig. Dafür sollen in den nächsten fünf Jahren 25 Millionen Euro in Forschung, Entwicklung und Ener- gieberatung fließen. So weit, so gut. Aber neben Licht ist auch Schatten: Erstens. Es ist ja nicht so, wie im Antrag suggeriert, dass auf dem Gebiet nichts getan wird. Zahlreiche For- schungsvorhaben befassen sich mit dieser Problematik. Zum Beispiel wird an der Universität Leipzig unter- sucht, wie Wärmeverluste von Gewächshäusern mini- miert werden können. Zweitens. Der Antrag zieht den Vergleich zu Garten- baubetrieben in den Niederlanden, denen der niederlän- dische Staat mit einem solchen Programm stützend unter die Arme greift. Deshalb könnten wir doch nicht dahin- ter zurückbleiben. Ist allerdings die niederländische Gärtnerei wirklich mit der deutschen zu vergleichen? Werden hier nicht holländische Birnen mit deutschen Äpfeln verglichen? Das Pochen auf internationaler Wett- bewerbsfähigkeit ist in diesem Kontext kein nachvoll- ziehbares Argument. Ein solches Förderprogramm sollte für die beteiligten Betriebe mit ganz konkreten Pflichten einhergehen: Sie müssen nicht nur generell weniger Energie verbrauchen, sondern vor allem weniger fossil erzeugte Energie. Noch immer wird hauptsächlich Öl oder Kohle zur Beheizung der Gewächshäuser eingesetzt. Daher wurden die Gärt- nerinnen und Gärtner vergangenes Jahr von der rückwir- kenden Besteuerung ihres Mineralölverbrauchs hart ge- troffen; die bisher übliche Rückerstattung blieb nämlich aus: Kapital, das Betrieben zur Erneuerung und Moder- nisierung ihrer Anlagen fehlt. Ein neues Förderpro- gramm müsste genau dort ansetzen: weniger Öl, weniger Energieverbrauch und mehr ökologisch erzeugte erneu- erbare Energien. In einer Broschüre des Landes NRW heißt es dazu: Darüber hinaus ist für umweltbewusste Betriebe ein deutlicher Imagegewinn festzustellen: Immer mehr Endverbraucher wollen wissen, wo die Ware her- kommt, die sie kaufen. Und ob sie umweltschonend hergestellt wurde. Denkbar wäre zudem eine Anpassung des Erneuer- bare-Energien-Gesetzes. Noch immer wird in dezentra- len Anlagen Strom aus Biogas ohne gleichzeitige Wärme- nutzung erzeugt. Damit gehen gut 60 Prozent der in dem aufwendig erzeugten Biogas enthaltenen Energie verlo- ren. Gerade diese Abwärmenutzung ist ein idealer Ener- gieträger für Gewächshausbetreiber, wie erste Projekte zeigen. So wäre eine deutliche Erhöhung des Anreizes für Gewächshausbetreiber durch die schon im Bundesrat diskutierte Verdoppelung des BHKW-Bonus von 2 auf 4 Cent gegeben. Wir unterstützen das Anliegen des Antrages, finden ihn allerdings zu kleinteilig. Die Linke wird sich auf- grund der genannten Kritikpunkte ihrer Stimme enthal- ten. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als bündnisgrüne Bundestagsfraktion fordern wir ein För- derprogramm „Energiewende in Gewächshäusern“. Ziel dieses Bundesprogramms soll es sein, den Energiever- brauch im Unterglasanbau drastisch zu senken und den Einsatz erneuerbarer Energien gezielt voranzubringen. Für dieses Programm soll der Bund in den nächsten fünf Jahren insgesamt 25 Millionen Euro bereitstellen. Im Ausschuss wurde uns unterstellt, einen Show- Antrag vorzulegen. Weit gefehlt: Wir haben entspre- chende Haushaltsanträge vorgelegt. Insgeheim hatten wir gehofft, dass die Koalitionsfraktionen das Anliegen positiv aufgreifen würden. Denn auch sie müssen den dringenden Energieförderbedarf im Unterglasgartenbau erkannt haben. Aber offenbar ist der Großen Koalition der deutsche Gartenbau nicht so viel Mühe wert. Ein Verschieben des Problems auf den Haushalt 2009, wie im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ange- regt, wird der schwierigen Situation des Gartenbaus nicht gerecht. Mit Ihrer Ablehnung lassen Sie die betroffenen Be- triebe mit ihrem hohen Investitionsbedarf für moderne Energietechnik allein. Angesichts hoher und weiter stei- gender Energiekosten und der ausgelaufenen Energie- steuererstattung müssen wir uns aber um die Wettbe- werbsfähigkeit der Branche in der Tat Sorgen machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12593 (A) (C) (B) (D) Weil der Unterglasanbau eine energieintensive Branche ist, bedarf es eines schnellen Umstiegs auf alternative Energieressourcen und effiziente Energienutzung, um das Klima zu schützen und die Wettbewerbsfähigkeit des Gartenbaus in Deutschland zu erhalten. Die Unterneh- men müssen zügig investieren, um die laufenden Ener- giekosten senken zu können. Aber viele Betriebe verfü- gen nicht über das nötige Kapital für die hohen Investitionen. Deswegen sind Bund und Länder gefor- dert, mit einem gut ausgestatteten Förderprogramm für einen schnellen Wechsel zu sorgen. Es reicht nicht aus, die Betriebe an bestehende För- derprogramme im Rahmen der GAK und der Landwirt- schaftlichen Rentenbank zu verweisen, so wie Sie es ge- tan haben. Diese Programme bestehen seit Jahren, ohne dass sich an der Lage der Betriebe etwas Entscheidendes geändert hätte. Das zeigt doch, dass eine neue Förder- initiative mit anderen Förderkonditionen notwendig ist. Außerdem sind neben zusätzlichen Investitionsförderun- gen auch Mittel für die Energieberatung notwendig. Mit mehr und besserer Energieberatung könnten dann auch die bestehenden Förderprogramme besser genutzt wer- den. Nicht vergessen wollen wir auch, dass es gilt, die For- schung und Entwicklung technischer Lösungen speziell für den Unterglasgartenbau voranzubringen. Hier gibt es sowohl im Bereich Energieeffizienz als auch der Einbin- dung von Systemen der erneuerbaren Energien beson- dere Anforderungen seitens der Branche. Auch hierfür sollte der Bund zusätzliches Geld zur Verfügung stellen. Den Investitionsbedarf macht auch ein Blick in die Niederlande deutlich. Die dortige Regierung stellt 48 Millionen Euro für Investitionen in Energiesparmaß- nahmen im Unterglasanbau zur Verfügung. Bis 2020 streben die Niederlande den energieneutralen Unterglas- anbau an, in dem das Gewächshaus auch als Energie- und Stromproduzent fungiert. Der Druck auf die Wettbe- werbsposition des deutschen Unterglasanbaus wird sich dadurch noch einmal erhöhen. Wenn Deutschland hier mithalten und Arbeitplätze erhalten will, dann sind 25 Millionen Euro nicht zu viel. Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Missbräuche im Be- reich der Schönheitsoperationen gezielt verhin- dern – Verbraucher umfassend schützen (Ta- gesordnungspunkt 15) Gitta Connemann (CDU/CSU): Der Wunsch nach Schönheit ist so alt wie die Menschheit selbst. „Wenn ich zu wählen hätte, zwischen der Macht des persischen Königs und körperlicher Schönheit, würde ich mich für die Schönheit entscheiden“, schwor bereits der griechi- sche Feldherr Xenophon vor mehr als 2 000 Jahren „bei allen Göttern“. Zu allen Zeiten trachteten die Menschen danach, be- stimmten Schönheitsidealen zu entsprechen. Und sie wussten sich zu helfen. Schon in den Ausgrabungsstät- ten fanden sich Schminktiegel und Perückenteile. Das Schönheitsbild hat sich seit der Antike verändert. Aber auch die Methoden der Verschönerung. Seit den ersten Nasenoperationen vor 400 Jahren hat sich die Schönheitschirurgie in Quantensprüngen entwickelt. Maßgeschneiderte Schönheit – ein Traum scheint wahr zu werden, der Schlüssel zu Glück und Erfolg gefunden. Denn die sozialwissenschaftliche Forschung belegt: Schönheit öffnet Tür und Tor und zwar von Geburt an. Hübsche Babys erfahren mehr Zärtlichkeit und Zuwen- dung. Hübsche Kinder werden in der Schule stärker ge- fördert und seltener bestraft. Diese Bevorzugung setzt sich bis ins Alter fort. Schöne Menschen haben nicht nur bessere Chancen beim anderen Geschlecht, sondern auch größere Erfolge auf dem Arbeitsmarkt. Schönheit ist ein Wettbewerbsfaktor und damit bares Geld wert. Es heißt zwar: „Wahre Schönheit kommt von innen“. Aber es bedarf eines gehörigen Selbstbewusstseins, um diese Weisheit auch zu leben. Und wem es daran man- gelt, behilft sich mit der Erkenntnis von Goethe: „Schön- heit ist überall ein gar willkommener Gast.“ Und hilft nach – mit den Mitteln der Schönheitschirurgie. Jede Veränderung, alles scheint möglich und zwar ohne Risiko. Nur ein, zwei kleine Schnitte, hier ein we- nig Fett abgesaugt, dort ein Polster eingesetzt, an anderer Stelle ein Faltenmittel injiziert. Der Gang zum Schön- heitschirurgen erscheint so unkompliziert wie der Be- such des Friseurs. Und Träume scheinen wahr zu wer- den. Ist der Bundestag der richtige Ort, um über Träume zu reden? Gibt es nicht wichtigere Fragen, mit denen sich die Politik beschäftigen sollte? Mit diesen Fragen sahen wir uns als CDU/CSU-Fraktion im Dezember 2003 kon- frontiert. Damals thematisierten wir erstmal bundespoli- tisch den Patienten- und Verbraucherschutz bei Schön- heitsoperationen durch eine Anfrage an die damalige Bundesregierung. Betroffene und Verbände hatten im Vorfeld Miss- stände problematisiert. Die Beratung vor Operationen sei unzureichend. Der Begriff Schönheitschirurg sei nicht geschützt. Deshalb würden Eingriffe auch ohne die erforderliche fachliche Qualifikation durchgeführt. Be- troffen sei eine zunehmende Anzahl an Patienten. Es gäbe offene Rechtsfragen. Wir haben diese Hinweise ernst genommen. Leider standen wir damit anfangs sehr alleine da. Die damalige rot-grüne Bundesregierung beantwortete unsere Anfrage eher lieblos, erklärte sich im Wesentlichen für unzustän- dig und verwies im Übrigen auf das Fehlen aussagekräf- tiger Daten. Aber unser Kollege Dr. Hans Georg Faust und ich fanden auch Verbündete: in fachärztlichen Verei- nigungen wie der vormaligen Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen, heute der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chi- rurgen, in engagierten Vorkämpferinnen wie Dr. med. Marita Eisenmann-Klein und Dr. med. Constance Neuhann-Lorenz und in der Bundesärztekammer. Diese 12594 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) rief daraufhin im Jahr 2004 die „Koalition gegen den Schönheitswahn“ ins Leben. Es war jedoch weitere Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn ein Vorurteil hielt sich hartnäckig: Das ist ein Thema, das nur einige – vornehmlich ausländische – Filmstars betrifft, also kein Problem. Weit gefehlt. Es existieren zwar nicht so viele Zahlen wie in anderen Bereichen. Denn nicht jeder Mediziner gibt gerne seine Daten preis. Und die Grauzone ist er- heblich. Aber die vorliegenden Daten zeichnen ein ein- deutiges Bild: Eine Schönheitsoperation ist heute keine Ausnahme mehr. Je nach Schätzung werden in Deutschland zwischen 500 000 und 1 Million ästhetische Eingriffe und Opera- tionen pro Jahr durchgeführt. Die Dunkelziffer ist hoch, da Eingriffe von Ärzten ohne Facharztausbildung oder von Heilpraktikern nicht erfasst werden. Auch die Ein- griffe, die im Rahmen eines Schönheitsoperationstouris- mus in Nachbarländern wie Tschechien etc. durchge- führt werden, können kaum erfasst werden. Von der Altenpflegerin bis zum Ingenieur – die Pa- tienten kommen aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum. Dies belegt eine in diesem Jahr vorgelegte Forschungsstudie im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Danach belaufen sich die Kosten pro Eingriff auf bis zu 12 000 Euro. Dies lässt auf einen Gesamtmarkt von rund 700 Millionen Euro pro Jahr schließen. Gewerblich organisierte Anbie- ter führen von der Lidstraffung über die Kinnplastik bis hin zur Fettabsaugung fast alle Arten ästhetischer Ein- griffe durch. Die Patienten werden immer jünger. So weist vor allem die Gruppe der 20- bis 29-jährigen Frauen die höchste Rate bei Brustvergrößerungen auf. Selbst in der Altersgruppe von 9 bis 14 Jahren spricht man über das Thema. Der Wunsch nach einem „neuen Busen“ zum Schulabschluss oder zu Weihnachten ist keine Ausnahme mehr. Zunehmend bedrängen Jugendliche ihre Eltern mit dem Wunsch nach maßgeschneiderter Schönheit. Meiner Fraktion und mir geht es um den Schutz dieser Jugendli- chen – auch vor sich selbst. Denn manche Eltern stehen diesem Druck hilflos ge- genüber, auch weil diese das vermeintlich Beste für ihre Kinder wollen. „Hauptsache, meine Tochter ist glück- lich“, so wird die Mutter von Aylin zitiert – BILD 19. Dezember 2005 – die ihrer Tochter zu Weihnachten eine Brustvergrößerung, Lippenaufspritzung, Fettabsau- gung an Bauch und Beinen finanzierte. Aylin war zu die- sem Zeitpunkt 19. Aber Schönheitsoperationen werden auch schon an Minderjährigen mit Einwilligung ihrer Eltern durchge- führt. Verstärkt wird diese Entwicklung auch durch die Berichterstattung in den Medien, nach der sich mit Schönheit jedes Ziel erreichen lässt und in jedem ein „Model“ schlummert, wenn er, sie es nur will. Das Thema wird ausgeschlachtet. Die beliebten Vorher-Nachher-Bilder sind jetzt zwar seit einer Änderung des Heilmittelwerbegesetzes verbo- ten. Aber Formate wie „I want a Famous Face“ oder „Der Schwan – endlich schön“ faszinieren – und erzeu- gen den Eindruck, zum Star operiert werden zu können. Körperliche Maßarbeit wird mit Erfolg und Glück gleichgesetzt. Aber auch die gelungenste ästhetische Operation wird mangelndes Selbstwertgefühl nicht er- setzen können, insbesondere dann nicht, wenn das Krankheitsbild der Dysmorphophobie vorliegt. Selbst wenn diese Störung nicht vorliegt: wie fühlt es sich an, wenn die eigene Persönlichkeit nicht mehr zur äußeren Hülle passt? „Man braucht fünf Jahre, um sein Gesicht wiederzubekommen. Es muß neu eingeweint, einge- lacht, eingedacht und eingefühlt werden.“ So schilderte die Schauspielerin Hildegard Knef die Folgen ihrer Ge- sichtshautstraffung. Und: nicht jede Schönheitsoperation gelingt. Jede Operation birgt das Risiko von Komplikationen – im Ex- tremfall bis zum Tod. Allein in Deutschland starben laut einer Studie der Ruhr-Universität in den Jahren 1998 bis 2002 16 Patienten als Folge einer Fettabsaugung. Sili- konbusen müssen nachoperiert werden. Faltenspritzen können Hängelider verursachen. Und vieles mehr. Die Betroffenen wagen häufig noch nicht einmal, mit dem eigenen Partner, Freunden oder Bekannten zu re- den. Sie fürchten die Reaktion „Du hast ja selbst schuld“. Eine Schadensersatzforderung wird erst recht nicht geltend gemacht, denn diese wäre mit Öffentlich- keit verbunden. Davon profitieren die schwarzen Schafe unter den Ärzten. Und es gibt sie. Denn nicht jeder unterzieht sich der anspruchsvollen Ausbildung zum „Facharzt für plastische/ästhetische Chirurgie“ oder absolviert die Weiterbildung „Plastische Operationen“. Und es ist auch leider nicht erforderlich. Die Approbation allein reicht, um sich selbst zum Schönheitschirurgen zu ernennen. Und diese Möglich- keit wird genutzt. Ich habe mit Betroffenen gesprochen, Bilder gesehen wie die einer Patientin, deren Operateur sich in einem anderthalbtägigen Tageskurs zum Spezialisten für Fett- absaugungen ausbilden ließ. Nach Injektion von 27 Li- tern Flüssigkeit ins Gewebe entfernte der Operateur 24,8 Liter Fettgewebe in einer 14-stündigen Operation. Die Patientin hat knapp überlebt und ist nach wie vor von ihrer Wunschfigur weit entfernt. Und es gibt weitere Missstände. So berichten Ver- braucherzentralen wie Verbände wie der Patientenschutz e. V., dass unzulässige Pauschalhonorare vereinbart wer- den. Für den Erstkontakt oder einen Erstberatungstermin müssen nicht selten Termingebühren in beträchtlicher Höhe im Voraus gezahlt werden. Und diese beklagen den nicht ausreichenden Versicherungsschutz. Denn an- ders als bei Rechtsanwälten wird die Zulassung eines Arztes nicht an den Nachweis einer Haftpflichtversiche- rung geknüpft. Wildwest pur – dieser Eindruck muss entstehen. Ge- rade weil der Gegensatz zu den verantwortungsvollen Fachärzten, die es eben auch gibt, die bestens ausgebil- det sind und sorgfältig operieren, so groß ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12595 (A) (C) (B) (D) Es besteht offensichtlicher Handlungsbedarf. Eine Anhörung muss ergeben, wie groß dieser ist und auf welchen Feldern er besteht. Dieser Antrag legt die Grundlage für die entsprechende parlamentarische Be- fassung. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass meine Fraktion sich seinerzeit von den Widerständen nicht hat entmuti- gen lassen, sondern mich und Dr. Hans Georg Faust be- gleitet hat. Denn unsere Kolleginnen und Kollegen, voran unsere Gruppe der Frauen, haben ihre Verantwor- tung für diejenigen erkannt, die sich auf den Weg zu einer Schönheitsoperation machen. Wer sich nach reiflicher Überlegung für eine Schönheitsoperation entscheidet, sollte diesen Weg gehen können, ohne dass hinter vorge- haltener Hand darüber getuschelt wird. Wichtig ist allein, dass die Patienten wissen, was sie tun; dass Ärzte umfassend aufklären; dass sie sorgfältig operieren; dass sie versichert sind – und dass Kinder und Jugendliche nur dann behandelt werden, wenn wirklich ein medizinischer Grund vorliegt. Denn Schönheit ist eben doch nicht alles. Mechthild Rawert (SPD): Die meisten Menschen wollen schön sein! Wer kennt diese Eitelkeiten nicht an sich selbst! Die Schönheitschirurgie erfreut sich in Deutschland einer großen Beliebtheit. Der Markt für die „Verbesserung oder Veränderung von Körperformen durch operative Eingriffe ohne medizinische Notwen- digkeit im Sinne des Krankenversicherungsrechts“ (Schönheitschirurgie laut Verständnis des Bundesge- sundheitsministeriums) boomt. Laut der Ärzte-Zeitung (10. März 2006) ist die „Ästhetische Medizin (…) ein Milliarden Markt“: Der Umsatz wird in Deutschland mittlerweile auf jährlich 5 Milliarden Euro geschätzt, da- von circa 800 Millionen Euro auf plastische Operatio- nen, die nicht primär medizinisch indiziert sind. Dabei sind nicht nur die Frauen Vorreiterinnen, sondern auch die Männer lassen sich Fett absaugen, Falten behandeln, die Nase oder das Kinn korrigieren. Auch Kinder sind vor der „Schönheit aus der zweiten Hand“ nicht gefeit: Laut einer Umfrage des Kinderbarometers der LBS-Ini- tiative „Junge Familie“ wünschen sich jedes 5. Kind der unter 9- bis 14-Jährigen eine schönheitsoperative Be- handlung des eigenen Aussehens. Wünschen heißt aber noch nicht durchführen. Hier haben Eltern eine heraus- gehobene Verantwortung: Nicht nur bei der Lenkung realer erfüllbarer Wünsche, sondern auch als diejenigen, die schließlich einen Behandlungsvertrag unterschreiben müssen und die Kosten tragen. Der Anteil der Jugendli- chen beiderlei Geschlechts wächst, die sich mithilfe der Schönheit produzierenden operativen Eingriffe auf ein allgegenwärtiges Schönheitsideal trimmen wollen. Ju- gendliche fühlen sich durch dieses Schönheitsideal ei- nem enormen Druck ausgesetzt. Dabei sind nicht mehr nur Stars die Vorbilder, sondern durch computerretu- schierte Fotos wird der eigene Körper zu einem „perfek- ten Körper“ imaginiert und ein „unrealistisches Bild“ soll zur Wirklichkeit werden. Der Weg der Jugendlichen in ihrem Prozess zur Selbstfindung und Identitätsbildung wird dadurch nicht einfacher. Denn es gibt Tage im Le- ben, da zweifeln wir alle an unserer Attraktivität. Nor- malerweise gehen diese Phasen auch im Leben eines oder einer Jugendlichen wieder vorbei und die Frage, ob der Busen zu klein oder groß und die Nase zu breit oder zu lang ist, wird später mit Gelassenheit ertragen. Damit dieser identitätsstiftende Weg von allen Jugendlichen ge- meistert werden kann, sind wir alle gefordert als Eltern, als Lehrerinnen und Lehrer, als Politikerinnen und Poli- tiker. Nicht selten aber lastet auf jungen Menschen der Druck, schöner, schlanker – das heißt perfekter sein zu müssen. Das Gefühl, dem gängigen, durch die Medien produzierten Schönheitsideal nicht zu entsprechen, min- dert den Aufbau von Selbstvertrauen und Selbstwertge- fühl. Es kommt zu Essstörungen, Fitnesswahn und dem unbedingten Wunsch nach einer Schönheitsoperation, denn der eigene „un-perfekte“ Körper wird abgelehnt. Junge Menschen unterziehen sich vor laufender Kamera einer Schönheitschirurgie – immer in der Hoffnung, dass sie danach ein Leben als „The Swan“ (der Schwan) – vom unbeachteten Teenager zum stolzen Schwan – le- ben können. Die Zurschaustellung und Vermarktung der Schönheitschirurgie hatte mit dieser Sendung einen ab- solut unrühmlichen Höhepunkt in den Medien erreicht. Mit der Not und der Hoffnung auf Akzeptanz und Aner- kennung wurde kalkuliert Geschäftemacherei betrieben. Mittlerweile ist bekannt, dass postoperative Nachwir- kungen und Komplikationen (unter anderem Taubheits- gefühle, Schwellungen, Blutergüsse, deutliche Narben, Unregelmäßigkeiten/Dellen, Nachblutungen) bei 22 Pro- zent der Frauen und 8 Prozent der Männer auftreten. Ein weiterer operativer Eingriff ist dann häufig die Folge. Es gibt nachweislich auch Todesfälle infolge von schön- heitschirurgischen Eingriffen. Zu Recht hatte daher im Anschluss an „The Swan“ der Niedersächsische Frauenrat in einer großen Unter- schriftsaktion die Programmverantwortlichen von Fern- sehsendern kategorisch gefordert, solche Sendungen zu unterlassen, die wegen ihres Showcharakters irrationale Hoffnungen wecken, unrealistische Schönheitsideale propagieren und vor allem auch die Risiken durch medi- zinische Eingriffe und Operationen verharmlosen und mögliche Komplikationen im Anschluss daran vollstän- dig negieren. Auch die Bundesärztekammer wurde ini- tiativ und hat eine „Koalition gegen den Schönheits- wahn“ gegründet, unter anderem unterstützt auch vom Deutschen Ärztetag sowie Initiativen und politisch Akti- ven. Das Bundesgesundheitsministerium hat sofort gesetz- geberische Konsequenzen gezogen: „Schönheitsoperatio- nen“ wurden in die Änderung des Heilmittelwerbegesetzes aufgenommen. Das Heilmittelwerbegesetz untersagt ir- reführende und ethisch bedenkliche Werbung. Darüber hinaus hat das Bundesgesundheitsministerium unter ande- rem die Informationsbroschüre Spieglein, Spieglein … vorgestellt. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat sich verstärkt der Aufgabe gestellt, Fra- gen der Körperwahrnehmung und des Schönheitsideals in Schulen und anderen Settings zu thematisieren. Im Forschungsprojekt „Schönheitsoperationen: Daten, Pro- blem, Rechtsfragen“ (veröffentlicht am 16. Juli 2007 durch das BMELV) wurden – meines Wissens nach 12596 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) erstmalig – im Rahmen einer Angebotsanalyse, einer Befragung von Verbraucherinnen und Verbrauchern so- wie einer Evaluation verbraucherpolitischer Maßnahmen eine Marktanalyse und ein fundierter Überblick über die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Dienstleistung, die für Verbraucherinnen und Verbrauchern daraus resultie- renden Probleme als auch den tatsächlich daraus resul- tierenden gesellschaftlichen Folgekosten erstellt. Zu Recht wird auch der Frage nachgegangen, wer denn nun die Nachfragerinnen und Nachfrager von „Schönheits- operationen“ sind: Sind es Patientinnen und Patienten oder sind es Kundinnen und Kunden? Die Begrifflich- keit ist deshalb von Bedeutung, da diese Begrifflichkei- ten in der Bevölkerung unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Darüber hinaus sind diese Rollen auch un- terschiedlichen Erwartungen und Verhaltensweisen hin- sichtlicht der Aufklärungspflicht, der berufsrechtlichen Regelungen, dem Haftungsschutz etc. verbunden. Für Kundinnen und Kunden gilt der Verbraucherschutz. Bei unserem Antrag „Missbräuche im Bereich der Schön- heitschirurgie gezielt verhindern – Verbraucher umfas- send schützen“ geht es nicht nur um den Schutz Minder- jähriger sondern aller Nutzer und Nutzerinnen der Schönheitschirurgie. Wir können davon ausgehen, dass die Schönheitschir- urgie ein zunehmend gewerblicher Markt mit den ent- sprechenden Regeln wird. Aber auch hier gilt: Qualität und Qualitätssicherung sind eine wesentliche Vorausset- zung für das erhoffte risikofreie Ergebnis schönheits- chirurgischer Eingriffe. Da diese in der Regel ohne me- dizinische Indikation erfolgen, sondern auf einer quasi privatrechtlichen Absprache zwischen Patientin und Pa- tient (Kundin und Kunde) und der Ärztin/dem Arzt als Leistungserbringerin und Leistungserbringer, greifen die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen der Kranken- kassen aber nur eingeschränkt. Dieses ist vielen Men- schen nicht bekannt. Das ärztliche Berufsrecht umfasst die Frage nach den beruflichen Kompetenzen und An- forderungen an Ärzte. Die Kontrolle obliegt den Län- dern, die zumeist in ihren Kammer- und Heilberufsgeset- zen die Ausgestaltung den Ärztekammern übertragen haben. Ich erwarte im Interesse von uns allen von den entsprechenden Akteuren, eine stärkere Befassung mit diesem teilweise vorhandenen „grauen Markt“ der Schönheitschirurgie. Auch die Kontrolle und Überwa- chung der vielfältigen Angebote ist verstärkt zu überwa- chen und bei Zuwiderhandeln gegen Qualitätsstandards mit entsprechenden Sanktionen zu versehen. Nach wie vor ist beispielsweise richtig: „Fettabsaugung“ ist kein Friseurbesuch, sondern muss von einem sehr gut ausge- bildeten Operateur durchgeführt werden, sonst sind hässliche, oft irreparable Schäden (Dellen) die Folge. Nicht immer ist aber tatsächlich eine fundierte Ausbil- dung gegeben. Positiv erwähnen möchte ich die Landes- ärztekammer Nordrhein-Westfalen, die allgemeine In- formationen ins Netz gestellt hat und dabei auch auf die haftungsrechtlichen Konsequenzen verwiesen hat. Mitt- lerweile hat sich eine Expertenkommission zum „Quali- tätsmanagement in der Ästhetischen Medizin“ bei der „Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederher- stellungschirugie“ gebildet. Sie wird Qualitätsstandards entwickeln, die später auch zur Grundlage für die Aus- bildung der Ärzte und Ärztinnen in der Ästhetischen Medizin werden können und aktuelle Missstände helfen zu beseitigen. Solche Standardsetzungen unterstützen wir. Wir wollen, dass Personen, die in der Schönheitsme- dizin tätig sind, verpflichtet werden, eine umfassende Haftpflichtversicherung abzuschließen. Denn bisher ist der Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversiche- rung lediglich eine standesrechtliche Berufspflicht, und nur in einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen ist sie gesetzlich vorgeschrieben. Hier besteht aufseiten der Länder Handlungsbedarf. Das Heilmittelwerbege- setz zeigt Wirkung, die aggressive Werbung in diesem Bereich ist zurückgegangen. Die Folgebehandlungen missglückter Eingriffe belasten nicht nur die geschädig- ten Personen selbst, sondern auch die Solidargemein- schaft der Krankenversicherten. Im Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversiche- rung wurde geregelt, dass Versicherte, die sich in der Folge einer Schönheitsoperation eine Krankheit zugezo- gen haben, bei den dadurch entstehenden Behandlungs- kosten in angemessener Höhe von der Krankenkasse zu beteiligen sind. So kann unter anderem das Krankengeld für die Dauer der Behandlung ganz oder teilweise ver- sagt oder zurückgefordert werden. Zwischen der ärztlichen Selbstverwaltung und den Krankenkassen wurde aktuell einvernehmlich geklärt, dass seitens der Medizinerinnen und Mediziner aus- schließlich die Folgebehandlungen von Schönheitschir- urgie, Piercing- und Tatoobehandlungen an die Kranken- kassen zu melden sind. Diese klare Regelung stellt sicher, dass ein Konflikt im Ärztinnen- und Arzt- und Patientinnen- und Patient-Verhältnis nicht entsteht, das Vertrauensverhältnis bestehen bleibt. Ich gehe selbstver- ständlich davon aus, dass im Vorfeld eines schönheits- chirurgischen Eingriffs eine entsprechende Beratung und Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. Kundinnen und Kunden durch die Behandelnden statt- findet. Unseres Erachtens kann nur ein insgesamt be- wussterer Umgang mit der eigenen Gesundheit und mit den Ressourcen des Gesundheitswesen dazu führen, un- ser Gesundheitswesen zu erhalten. Dr. Konrad Schily (FDP): Die sogenannte Schön- heitschirurgie gehört in die wunscherfüllende Medizin. Darunter versteht man ärztliche Eingriffe und Verfahren, die nicht in Abwehr einer Krankheit oder eines anderen schädlichen Einflusses von außen auf den Menschen zu- kommen, sondern ärztliche Eingriffe oder Verfahren, die einen Wunsch der Patienten nach Veränderung ihrer kör- perlichen Verfassung zur Erfüllung verhelfen sollen. Das Verführungspotenzial einer solchen Medizin ist groß. Wer möchte nicht einen wohlgestalteten Leib ha- ben – Chirurgie – oder die besten sportlichen Leistungen erbringen – Dopingmittel – oder der Sorgen enthoben sein – Pharmaka? Bei der Schönheitschirurgie sind die Übergänge zwi- schen Erfüllung von ästhetischen Wünschen und medizi- nisch Nötigem fließend. Individuell empfundene Störun- gen des äußeren Erscheinungsbilds können heute behoben werden. Aber es gibt auch Fehlbildungen, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12597 (A) (C) (B) (D) eine medizinische Indikation zur chirurgischen Korrek- tur darstellen. Wenn Sie zum Beispiel eine spitz nach oben zulau- fende Nase haben, die zwar Ihre familiäre Ähnlichkeit unterstreicht, unter der Sie aber leiden, dann kann ein Eingriff notwendig sein. Was auch immer die Ursache ist, sie kann für die Erscheinung so bestimmend sein, dass sie aus ärztlichen Gründen einer Korrektur bedarf. Das heißt, es muss immer eine ärztliche Entscheidung sein, ob wir es mit der Therapie einer Krankheit oder eben mit wunscherfüllender Medizin zu tun haben. Aber bei der wunscherfüllenden Medizin, genauso wie bei jedem anderen medizinischen Eingriff, muss die Qualität gewahrt bleiben, damit der Traum von der Schönheit nicht in einem Albtraum endet. Daher ist es durchaus besorgniserregend, wenn man von der steigen- den Zahl von schönheitschirurgischen Eingriffen hört, die von Ärzten ohne diesbezügliche Zusatzqualifikation vorgenommen werden. Dazu kommt, dass das Risiko von Fehlbildungen und schweren Gesundheitsschädi- gungen steigt. Die Zielrichtung des zugrunde liegenden Antrags, hier für höhere Qualität und Sicherheit für die Betroffenen zu sorgen, ist daher zu begrüßen. Um ärztlichem Missbrauch vorzubeugen, sollte da- rüber hinaus aber auch auf eine europäische Ärzteverein- barung hingewirkt werden, in der die in diesem Bereich arbeitenden Ärzte verpflichtet werden, vor jedem Ein- griff die Zweitmeinung eines Kollegen einzuholen, und zudem zu einer deutlichen Dokumentation verpflichtet werden, wie auch zu einer umfangreichen Haftungssi- cherung. Dies gehört in meinen Augen zu einem qualita- tiven und verantwortungsvollen Umgang mit wunsch- erfüllender Medizin in der Ärzteschaft, die sich diesem Anspruch stellen muss. Ob es sich um medial vermittelte kurzfristige Mode- trends oder um langfristige Veränderungen der Ästhetik in der Gesellschaft handelt – die Ursache des Phäno- mens, dass immer mehr Jugendliche schönheitschirurgi- sche Eingriffe wünschen, kann hier nicht abschließend geklärt werden. Zu bedenken sind aus medizinischer Sicht die Auswirkungen auf den im Wachstum befindli- chen Körper und die weitere psychische Entwicklung. Zwar ist rechtlich derzeit ein Eingriff nur unter Vorlie- gen einer Einwilligungserklärung der Erziehungsberech- tigten möglich, doch sollten wir uns aus Sorge um das körperliche und geistige Wohl der Minderjährigen über- legen, ob dies ausreichen kann. Die Eingriffe wirken sich bei Minderjährigen viel schwerwiegender aus als bei Erwachsenen und können zu einer massiven Schädi- gung der weiteren Entwicklung führen. Meines Erachtens sollte man daher eine medizinisch qualifizierte Zweitmeinung vor dem Eingriff fordern. Die Zweitmeinung ist nicht nur bei Minderjährigen wichtig, da es fließende Übergänge gibt. Ein kieferortho- pädischer Eingriff etwa kann notwendig werden durch eine mehr oder weniger massive Fehlstellung des Gebis- ses, durch funktionsbeeinträchtigende Fehlstellungen oder durch massive kosmetische Beeinträchtigungen. Oder er kann vom Patienten gewünscht werden, weil er zum Beispiel auf Bühnen oder im Film oder ähnli- chem tätig ist und entsprechenden Schönheitsidealen ge- nügen möchte. Zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Schön- heitsoperationen gehört es auch, umfassend zu doku- mentieren und über die weit reichenden Risiken aufzu- klären, die mit solchen Eingriffen verbunden sind. Eine öffentliche Diskussion halte ich für wichtig, gerade wenn es um den Schutz der Minderjährigen geht. Frank Spieth (DIE LINKE): „Missbräuche im Be- reich der Schönheitsoperationen gezielt verhindern – Verbraucher umfassend schützen“: Das ist der schöne Titel dieses Antrages. Natürlich will niemand Missbräu- che in der Schönheitschirurgie oder in einem anderen Bereich des Medizinbetriebes. Natürlich sind auch wir, die Fraktion Die Linke, für einen umfassenden Patien- tenschutz. Wenn also in dem Antrag das drinstecken würde, was draufsteht, würden wir dem gerne zustim- men. Einige Punkte gefallen mir recht gut. Jedoch sind gute Ideen noch keine konkrete Politik. Beispiel: Oft laufen Schadensersatzansprüche der Patienten nach missglück- ten Schönheitsoperationen ins Leere, weil die Opera- teure keine Versicherung haben und zudem privat nicht ausreichend zahlungsfähig sind. Daher wird gefordert, dass Ärzte, die operieren, über eine entsprechende Haft- pflichtversicherung verfügen müssen. Das ist zu begrü- ßen. Ungeklärt bleibt jedoch, wie diese Schadensersatz- ansprüche – auch bei anderen ärztlichen Fehlern – von armen Patienten vor Gericht durchgesetzt werden sollen. Es sollen Verbote für medizinisch nicht indizierte äs- thetische Operationen Minderjähriger geprüft werden. Es ist aber meines Erachtens nicht ausreichend, wenn die Eltern einem solchen Wunsch ihrer minderjährigen Kin- der zustimmen. Teenager sollen sich eben nicht mit el- terlichem Segen zum Realschulabschluss einen neuen Busen oder eine neue Nase operieren lassen können. Die Beteiligten sind in der Regel nicht in der Lage, die Fol- gen einer solchen Operation abzuschätzen. Der Antrag fordert aber kein Verbot, sondern lediglich, dass die Bundesregierung das Handeln der Operateure „kritisch beobachten“ soll. Der Antrag hält nicht, was er ver- spricht. Es bleibt bei wirkungslosen Appellen an die Me- dien, die Ärzte, die Bundesregierung und die Länder. Appelle reichen aber nicht. Was ist von der Aufforderung zu halten, dass Bundes- regierung und Länder die Medien zu einem „verantwor- tungsvollen Umgang mit dem Thema Schönheitsopera- tionen“ bringen sollen? Welcher Privatsender wird angesichts des großen Konkurrenzdruckes dem folgen? In einer Medienanalyse hat das Institut für Kommunika- tionswissenschaft und Medienforschung der Universität München innerhalb von vier Monaten 105 Sendungen über Schönheits-OPs ausfindig machen können, fast alle auf Privatsendern. Eine Studie der American Society of Plastic Surgeons – ASPS – ergab, dass 57 Prozent der Schönheitschirurgiepatienten große Fans solcher Shows waren und mindestens eine zum Zeitpunkt der Untersu- 12598 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) chung laufende Serie verfolgten. Die Freiwillige Selbst- kontrolle des Privatfernsehens in Deutschland wehrt sich derzeit gerichtlich gegen Beschränkungen, etwa das Ver- bot, entsprechende Sendungen vor 23 Uhr zu zeigen, wie es die Kommission für Jugendmedienschutz will. Wirk- same Maßnahmen sind gefragt und keine weichgespül- ten Appelle. Nach dem vorliegenden Antrag sollen die Ärztever- bände eine Aufklärungsbroschüre zu Schönheits-OPs er- stellen. Inhaltlich kann ich da zustimmen. Leider verlie- ren Sie kein Wort darüber, wie Ihr Wunsch an die Ärzte durchgesetzt werden soll. Auch an die Länder gibt es – das liegt in der Natur der Sache – nur Appelle; schließlich kann der Bundestag schon verfassungsrechtlich den Ländern nicht vorschrei- ben, was sie tun und lassen sollen. Die Länder sollen nach dem Willen der Koalition das Geschehen auf dem Markt der Schönheitschirurgie beobachten. Ein solcher Aufruf mag inhaltlich in Ordnung sein, aus bekannten rechtlichen Gründen bleibt der Koalitionsantrag auch in diesem Punkt wirkungslos. Der Antrag kritisiert zwar in seiner lang gehaltenen Einleitung die Tatsache, dass auch Ärzte ohne die ent- sprechende mehrjährige Fortbildung in plastischer Chir- urgie Schönheitsoperationen durchführen dürfen. In Deutschland darf jeder approbierte Arzt operieren, also auch Schönheitsoperationen durchführen, ob Kardio- loge, Anästhesist, Hausarzt oder Gynäkologe. Wer dann aber im Antrag der Koalition eine Forderung oder einen Lösungsvorschlag sucht, mit dem sich der Zustand än- dern würde, der reibt sich enttäuscht die Augen. CDU/CSU und SPD nutzen die Debatte zur Schön- heitschirurgie zu etwas ganz anderem: Sie wollen bei diesem Thema ihre unsolidarische Regelung zum Selbst- verschulden, die sie mit dem GKV-Wettbewerbsstär- kungsgesetz – GKV-WSG – eingeführt hatten und die sie von der Öffentlichkeit unbemerkt mit ihrem Gesetz zur Pflegeversicherung scharf stellen, in ein gutes Licht rücken. Sie haben im GKV-WSG geregelt, dass Versi- cherte an den Kosten für Behandlungen, die sie durch medizinisch nicht indizierte Maßnahmen selbst verur- sacht haben, beteiligt werden. Dafür ist jedoch erforder- lich, dass der Arzt der Krankenkasse mitteilt, dass ein sogenanntes Selbstverschulden vorliegt. Dies ist bei Ta- toos, Piercings und Schönheitsoperationen der Fall. Diese konkrete Verpflichtung des Arztes zum Brechen seiner Schweigepflicht gibt es bisher nicht, soll jetzt aber zusammen mit dem Pflegegesetz verabschiedet werden. Der Arzt soll nach dem Willen der Koalition zum Ge- sundheitsspitzel werden. Konkret: Wenn sich wegen eines Piercings eine Ent- zündung herausbildet, muss der Versicherte die Behand- lungskosten selbst tragen. In diesem Fall handelt es sich meist um eine Bagatellerkrankung, für die oft keine ärztliche Behandlung notwendig ist. Wenn aber bei Schönheitsoperationen – etwa nach dem Fettabsaugen Schmerzen – Infektionen, Blutungen oder gar eine Lun- genembolie auftreten, dann können auch lebenswichtige, „selbstverschuldete“ Therapien den Patienten schnell fi- nanziell überfordern. Die Bundesregierung bauscht mit dieser Regelung ein vollkommen nebensächliches Problem des Gesundheits- wesens auf. Warum? Weil damit ein neues Prinzip in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführt werden soll: das Selbstverschulden. Es wird ein neues Stellrad in der Gesundheitspolitik geschaffen, an dem man zukünf- tig nur noch drehen muss, um weitere Leistungskom- plexe aus der Erstattungsfähigkeit auszuschließen. Im derzeit vorliegenden Regierungsentwurf müsste man vor die Auflistung „ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing“ nur die beiden Wörter „zum Beispiel“ einfügen, um den Geltungsbereich drastisch zu erweitern und damit die Spitzeltätigkeit des Arztes zu intensivie- ren. Nach dem Referentenentwurf des Gesundheitsmi- nisteriums war dies vor wenigen Wochen sogar noch so vorgesehen. Mit der gleichen Logik wie bei Piercings oder Schön- heitsoperationen kann man zukünftig auch die Kosten von Sportverletzungen oder Unsportlichkeit, von Krebs- behandlungen bei Rauchern und anderes privatisieren. Diese Liste lässt sich mit selbstverschuldeten Autounfäl- len über Fettleibigkeit bis hin zu Besuchen in Solarien beliebig verlängern. Zum Schluss bleibt nur noch ein stark gerupfter Leistungskatalog der gesetzlichen Kran- kenversicherung übrig. Auf den übrigen Behandlungs- kosten bleiben die Versicherten dann alleine sitzen und die Arbeitgeber werden nicht mehr über die gesetzliche Krankenversicherung an der Finanzierung beteiligt. Die Fraktion Die Linke wird daher diesen Antrag ablehnen. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spät- abends diskutieren wir einen Antrag, dessen Überschrift seit wenigen Tagen, dessen Inhalte aber erst seit etwa 24 Stunden bekannt sind. Wahrlich keine gute Vorausset- zung für eine qualifizierte Diskussion im Plenum. Schönheitsoperationen – ein schillernder Begriff, der auch mit Dokusoaps wie „Die Beauty Klinik“ oder „The Swan – Endlich schön“ verbunden ist, die vorspiegeln, Schönheit ist machbar. Es ist gut, gegen solche Idealisie- rungen vorzugehen. Es ist hilfreich, aufzudecken, dass viele Frauen hinter von Männern formulierten Schön- heitsidealen hinterherlaufen und nicht davor zurück- schrecken, sich mit Skalpellen traktieren zu lassen. Auch der Jugendlichkeitswahn meiner Generation, die mit 50 noch wie 25 aussehen will, sollte thematisiert werden. Aber wir stehen nicht am Anfang dieser Diskussion. Es hat in den letzten Jahren bereits einige Initiativen ge- geben, die versuchen, den Missbräuchen in diesem Be- reich etwas entgegenzusetzen. Zu nennen sind: Erstens die „Koalition gegen den Schönheitswahn“, die durch die Bundesärztekammer initiiert wurde und von vielen aus Politik und Gesellschaft mitgetragen wird und seit 2004 besteht. Zweitens. Ebenfalls 2004 hat die Kommission für Ju- gendmedienschutz (KJM) entschieden, dass TV-For- mate, in denen Schönheitsoperationen zu Unterhaltungs- zwecken angeregt oder begleitet werden, grundsätzlich nicht vor 23.00 Uhr gezeigt werden dürfen. Die Abgren- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12599 (A) (C) (B) (D) zung zwischen einer Reportage und einem Unterhal- tungszweck dürfte jedoch nicht so einfach sein. Drittens. Die Facharztbezeichnung „Plastische Chi- rurgie“ wurde 2005 in der Musterweiterbildungsordnung um den Zusatz „Ästhetische“ ergänzt. Es dürfte jedoch an der flächendeckenden Umsetzung in den Bundeslän- dern mangeln. Viertens. Einer suggestiven und irreführenden Werbung wurde unter Rot-Grün – da schmückt sich der Antrag der Koalition mit falschen Federn – durch die Änderung des Heilmittelwerbegesetzes ein Riegel vorgeschoben. Fünftens. Auch bei den Aktivitäten der Bundeszen- trale für gesundheitliche Aufklärung freut sich Schwarz- Rot über das, was Rot-Grün auf den Weg gebracht hat. Geradezu grotesk wird es, wenn die Koalition die von allen Seiten kritisierte Regelung im GKV-WSG, dass bei „medizinisch nicht indizierten Maßnahmen“ gesetzlich Versicherte faktisch den Versicherungsschutz verlieren, als hilfreich für den kritischen Umgang mit Schönheits- operationen ansieht. Wir Grünen waren und sind gegen diese Regelung, da hiermit durch die Hintertür das Selbstverschuldensprinzip in der GKV eingeführt wird. Bereits jetzt besteht die Unklarheit der Abgrenzung, die durch die in die Pflegereform geschmuggelte Denunzia- tionspflicht für Ärzte nicht besser wird. Nachdem die Büchse der Pandora geöffnet ist, lässt sich trefflich über Erweiterungen streiten: der chipsessende Couch-Potato oder die handballspielende junge Frau. Falls man jedoch der Ansicht ist, dass die Risiken einer Schönheitsopera- tion nicht von der Versichertengemeinschaft getragen werden sollen, ist nicht nachvollziehbar, warum das Ri- siko auf diejenigen, die sich operieren lassen, und nicht auf die Verursacher – die Operateure – abgewälzt wird. Bei Schönheitsoperationen an Minderjährigen gehen zum Glück die Warnleuchten an. Die etwas versteckte Forderung eines Verbotes von nicht medizinisch indi- zierten Schönheitsoperationen an Minderjährigen kann nicht auf Horrorvisionen basieren. Unklar ist, ob die durch die Medien geisternde Zahl von jährlich 100 000 operierten Jugendlichen unter 20 Jahren korrekt ist, wie viele Minderjährige betroffen sind, und welche Behand- lungen sich dahinter verbergen. Eine der einschlägigen Fachgesellschaften geht davon aus, dass es sich dabei nahezu ausschließlich um Ohrenkorrekturen handelt. Diese zu verbieten wäre für viele Kinder und Jugendli- che und deren Eltern Psychoterror. Wer kennt nicht die Berichte über unerträgliche Hänseleien in der Klasse oder auf dem Schulhof? Im Bereich der Schönheitschirurgie sind viele Fragen offen, und bevor der Bundestag hier Empfehlungen im luftleeren Raum abgibt, sollte das gemeinsame Gespräch mit Expertinnen und Experten gesucht werden. Wir wer- den dabei sehr schnell auf grundsätzliche Fragestellun- gen stoßen: Wie kann das Recht der Patientinnen und Patienten zum Beispiel auf umfassende Aufklärung, Darstellung der Risiken und Alternativen gewährleistet werden? Wie lässt sich sicherstellen, dass dabei das Ziel „informierte Entscheidung“ und nicht der Ausschluss von Haftungsri- siken im Vordergrund steht? Das ist nicht nur bei Schön- heitsoperationen und IGeL-Leistungen, sondern bei je- der ärztlichen Behandlung notwendig. Reicht hierbei der Verweis auf das ärztliche Standes- recht und die Broschüre von Gesundheits- und Justizmi- nisterium zu den existierenden Patientenrechten, oder besteht nicht die Notwendigkeit eines eigenen Patienten- rechte- bzw. Patientenschutzgesetzes? Wie ist die Qualitätssicherung in der ambulanten Ver- sorgung zu gewährleisten? Ist eine entsprechende Quali- fikation als Facharzt bzw. Fachärztin ausreichend? Wie kann die Ergebnisqualität gemessen werden? Sind Krite- rien wie zum Beispiel Mindestmengen sinnvoll und not- wendig? Wie gewinnen wir Informationen über das Leistungs- geschehen von Ärztinnen und Ärzten sowie Heilprakti- kerinnen und Heilpraktikern außerhalb der Abrechnung über GKV und PKV? Wie kann eine unabhängige, qualitätsgeprüfte sowie einfach zugängliche und verständliche Information über den Sinn und Unsinn von IGeL-Leistungen und Schön- heitsoperationen gewährleistet werden? Gleiches gilt für Behandlungen im Rahmen des Leistungskataloges. Ich bin gespannt, ob die Koalition sich auf solche Dis- kussionen, die ans Eingemachte gehen, einlässt, oder ob es beim An-der-Oberfläche-Kratzen bleiben wird. Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juli 2007 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staa- ten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records- PNR) und deren Übermittlung durch die Flug- gesellschaften an das United States Depart- ement of Homeland Security (DHS) (PNR-Ab- kommen 2007) (Tagesordnungspunkt 16) Beatrix Phillip (CDU/CSU): Sozusagen als krönen- der Abschluss der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist es beinahe wider Erwarten gelungen, ein Abkommen zwischen der EU und den USA zur Übermittlung von Fluggastdatensätzen – „passenger name records“ oder auch kurz PNR-Daten genannt – zu vereinbaren. Die Verhandlungen hierzu konnten am 27. Juni 2007 erfolgreich abgeschlossen werden. Damit wurde der un- befriedigende Zustand, der sich durch das Urteil des Eu- ropäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 noch ver- schärft hatte, beendet. Nachdem dieser das erste Abkommen für „kompetenz- widrig zustande gekommen“ erklärt hatte, musste es zwangsläufig seitens der EU gekündigt werden. Dies führte wiederum dazu, dass im Oktober 2006 ein Interimsabkommen geschlossen wurde, das allerdings 12600 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) bis zum 31. Juli dieses Jahres befristet war. Es schien, als hätten wir es mit einer „never ending story“ zu tun. Bevor ich auf einige wesentliche inhaltliche Punkte des Abkommens zu sprechen komme, lassen Sie mich vorweg klar sagen: Es ist gut, dass das Abkommen zu- stande gekommen ist! Diese Ansicht teilt auch der Bun- desbeauftragte für den Datenschutz. Das Abkommen be- endet nicht nur den unhaltbaren rechtlichen Zustand, sondern bietet vor allem eines: Rechtssicherheit. Sowohl das Abkommen, als auch der „verlinkte“ Briefwechsel wurden für rechtlich verbindlich erklärt. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Ver- handlungen zeitweilig kurz vor dem Scheitern standen, eine sehr beachtliche Verhandlungsleistung, für die wir ausdrücklich Danke sagen. Bei allen Diskussionen dürfen wir einen Punkt nicht aus dem Blick verlieren: Die USA sind souverän. Sie be- stimmen völlig allein, wer unter welchen Bedingungen und mit welchen Auflagen einreisen kann und darf. Ich wiederhole hier nur, was ich bereits in den letzten Debatten immer wieder ausgeführt habe und was ab und zu in der Debatte zweifellos zu kurz gekommen ist: Wir haben den Datenschutz der USA nicht zu bewerten. Es war schon immer so, dass sich Besucher eines Landes den Gesetzen des Gastlandes unterzuordnen hatten, und daran wird sich auch kaum – von außen – etwas ändern lassen. In diesem Zusammenhang haben alle auch die entsprechenden Einreisebestimmungen zu akzeptieren. Die USA haben mit diesem Abkommen keine Son- derregelung für die Bürger der EU geschaffen. Im Ge- genteil, die EU-Bürger sind den US-amerikanischen Bürgern in diesem Aspekt völlig gleichgestellt. Dass insgesamt noch einiges wünschenswert gewesen wäre, steht außer Frage, aber mehr war schlichtweg nicht möglich. Wir haben hier mehrfach darüber gesprochen. Inhaltlich ist Folgendes besonders positiv hervorzu- heben: erstens die vielzitierte Reduzierung der Daten- sätze von 34 auf 19, zweitens die Beendigung des bis- herigen Abrufzugriffs vonseiten der USA. Ab dem 1. Januar 2008 wird vom Pull- auf das Push-Verfahren umgestellt, das heißt, der direkte Zugang der US-Behör- den zu den Buchungscomputern der Fluggesellschaften ist damit ausgeschlossen. An dieser Stelle sei aber auch noch mal darauf hinge- wiesen, dass bereits während des Interimsabkommens 13 Fluggesellschaften die PNR-Daten im Push-Verfah- ren übermittelt haben. Durch die verbindliche Lösung im neuen Abkommen wird nunmehr sichergestellt, dass auch die übrigen Flug- gesellschaften auf das Push-Verfahren umstellen wer- den. Drittens. Ein weiterer positiver Aspekt des Abkom- mens ist die getroffene Regelung zur Behandlung von sensiblen Daten, wie zum Beispiel Rasse, ethnische Her- kunft, Religion oder Daten über die Gesundheit. Die USA haben sich verpflichtet, erhobene sensible EU- PNR-Daten herauszufiltern, sie danach nicht zu nutzen und sie umgehend zu löschen. Auch wenn Herr Schaar hierzu wiederholt anmerkte, dass vor diesem Abkom- men keine Verpflichtung bestand, sensible Daten über- haupt zu übermitteln, so ist doch die Verpflichtung zur Filterung, Nichtnutzung und Löschung insgesamt eine maßgebliche Verbesserung. Viertens. Auch im Punkt Zweckbindung ist ein gutes Ergebnis erzielt worden: Die Präambel des Abkommens regelt klar und ausdrücklich die strikte Zweckbindung. Das heißt: Die Datenübermittlung und -verwendung darf ausschließlich für die Bekämpfung und Verhütung des Terrorismus und der damit verbundenen grenzüber- schreitenden Kriminalität erfolgen. Damit zeigt sich wieder, dass es den USA eben nicht um die willkürliche Anhäufung von personenbezogenen Daten geht, sondern die Datenübermittlung und -verwendung konkret und zweckgebunden ist. Fünftens. Zu den Regelungen der Speicherfristen: Zu- nächst werden die PNR-Daten in einer aktiven Daten- bank sieben Jahre lang gespeichert. Während dieser Zeit werden diese Daten an inländische Regierungsbehörden der USA weitergegeben, die mit Terrorismus- bzw. Kri- minalitätsbekämpfung befasst sind. Danach gehen sie für weitere acht Jahre in eine „ru- hende“ Speicherung über. In dieser Zeit ist der Zugriff nur durch hochrangige Homeland-Security-Mitarbeiter gestattet und auch nur für den Fall zulässig, dass eine be- stimmte Bedrohung oder Gefahr gegeben ist. Damit ergibt sich zwar eine Erhöhung der Speicher- frist bei aktiven Daten von dreieinhalb Jahren auf sieben Jahre, aber auch während des Interimsabkommens galt schon eine Höchstspeicherfrist von elfeinhalb Jahren. Demnach ist de facto der qualitative Sprung von 11,5 auf 15 Jahre bei weitem nicht so gravierend, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag. Darüber hinaus darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass die USA ursprünglich bei ihren Verhandlungen ganz selbstverständlich von 40 Jahren Speicherung aus- gegangen sind. Hinter den 40 Jahren verbirgt sich die Annahme, dass dies die Dauer einer durchschnittlichen Verbrecherkarriere sei. Im Übrigen speichern die USA ihre eigenen Daten ebenfalls 40 Jahre lang, also ohne Speicherung kein Ab- kommen. Damit ist auch diese Regelung zur Speicher- frist alles in allem als positiv zu bewerten. Sechstens. In dem Abkommen hat man sich auf ge- meinsame regelmäßige Überprüfungen der Umsetzung des Abkommens einigen können. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die USA das Konzept eines Datenschutzbeauftragten nicht kennen. Durch die ge- meinsame Überprüfung können hier die verschiedenen Interessen aller Beteiligten besser berücksichtigt wer- den; wir versprechen uns jedenfalls etwas davon. Siebtens. Lassen sie mich als letzten inhaltlichen As- pekt auf die Festschreibung des Grundsatzes der Gegen- seitigkeit verweisen: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12601 (A) (C) (B) (D) Das Department of Homeland Security hat sich bereit erklärt, die aus PNR-Daten gewonnenen analytischen In- formationen an die EU und ihre Mitgliedstaaten zu über- mitteln. Wir haben auch in der Vergangenheit schon öf- ter davon profitiert, wie wir alle wissen. Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass Datenschutz kein Selbstzweck ist. Es geht immer um eine Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen substan- ziellen Sicherheitsinteressen wie Terrorismusbekämp- fung auf der einen Seite und den Forderungen des Daten- schutzes auf der anderen. Ich bin mir aber sicher, dass die Bürgerinnen und Bür- ger dieses Abkommen als eine gelungene Balance zwi- schen Datenschutz- und Sicherheitsinteressen werten werden. Gerade vor dem Hintergrund der Anschläge in Lon- don, Glasgow und der Festnahme von drei mutmaßli- chen Mitgliedern der terroristischen Vereinigung „Isla- mische Dschihad Union“ am 4. September im Sauerland ist es vor allem das Sicherheitsbedürfnis, das die Bürge- rinnen und Bürger unseres Landes bewegt. Wir werden unseren Ansatz der Verhältnismäßigkeit auch in Zukunft konsequent verfolgen, auch wenn es um die derzeit diskutierte Errichtung eines europäischen PNR-Systems gehen wird. Den auch daraus resultieren- den Diskussionen sehe ich schon heute erwartungsvoll entgegen. Mit der Überweisung sind wir einverstanden. Wolfgang Gunkel (SPD): Auf der heutigen Tages- ordnung steht erneut eine Debatte zu dem durchaus kon- troversen Thema der Übermittlung von Flugpassagierda- ten an die Vereinigten Staaten. Allerdings sind wir im Gegensatz zur letzten Aussprache einen Schritt nach vorn gekommen. Inzwischen liegt uns das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika vor. Dies muss jetzt noch von den Mitgliedstaaten der EU umgesetzt werden. Hierin wer- den die Übermittlung von Fluggastdaten bei Passagier- flügen in die oder aus den Vereinigten Staaten und die dortige Datenverwendung geregelt. Der Begründungszu- sammenhang bleibt bestehen: Die Übermittlung und Auswertung dient der Bekämpfung von Terrorismus und sonstiger schwerer Straftaten grenzüberschreitender Art einschließlich der organisierten Kriminalität. Wenn ich mir das vorliegende Übereinkommen an- schaue, so muss ich an dieser Stelle den Verhandlungs- leitern, die mit dem United States Department of Home- land Security um die Vereinbarung gerungen haben, zugestehen, dass sie nach Lage der Dinge nur ein Mini- mum erreichen konnten. Und das war sicherlich keine leichte Aufgabe. Gerade aus den hochsensiblen Berei- chen, in denen es um die Bekämpfung des internationa- len Terrorismus geht, kennen wir alle genug Beispiele, in denen sich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht sehr verhandlungsbereit gezeigt haben. Insgesamt – und damit möchte ich mich zunächst zu den positiven Aspek- ten des Abkommens äußern – können wir mit dem Er- reichten einigermaßen zufrieden sein. Zuallererst garantiert das Abkommen eine Rechtssi- cherheit, die es ohne eine solche Vereinbarung ganz si- cher nicht gegeben hätte. Die EU hatte das bestehende Abkommen im vergangenen Jahr gekündigt, nachdem es vom Europäischen Gerichtshof für nichtig erklärt wor- den war. Damit rutschte die Europäische Union selbst in eine defensive Rolle, in der sie die Initiative ergreifen musste. Schließlich hätten die USA auch mit jedem Mit- gliedstaat selbst ein Abkommen abschließen können. Dass es trotzdem gelang, für alle Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Vertrag abzuschließen, ist vor allem der deutschen Ratspräsidentschaft zu verdanken. Ausgesprochen zufrieden bin ich auch mit dem Um- stand, dass es in der Datenübermittlung einen konkreten Zeitpunkt für die angekündigte Umstellung vom Push- zum Pullverfahren geben wird. Denn diese soll bereits am 1. Januar 2008 erfolgen. Nach diesem Verfahren werden die Datensätze von den europäischen Fluggesell- schaften an das United States Department of Homeland Security übermittelt und nicht von den Vereinigten Staa- ten selbst recherchiert. Hiermit wurde einer wichtigen europäischen Forderung entsprochen. Den Betroffenen werden damit die gleichen Auskunftsrechte und Rechts- behelfe wie den Bürgerinnen und Bürgern der Vereinig- ten Staaten eingeräumt. Ebenfalls begrüßenswert ist der bereichsspezifische Datenschutz, der in seinen wichtigsten Punkten die Zweckbindung der erfassten und übermittelten Daten ga- rantiert. Es wäre für uns weder tragbar noch verantwort- bar gewesen, offene Bücher mit den kompletten Daten- sätzen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger zur unbeschränkten Einsicht freizugeben. Mit dem jetzigen Abkommen werden sensible Daten, also personenbezo- gene Daten wie politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, eventuelle Gewerk- schaftszugehörigkeiten oder Daten über die Gesundheit oder das Sexualleben einer Person, nicht gespeichert, sondern automatisch gelöscht. Nur in Ausnahmefällen, wenn das Leben von betroffenen Personen oder Dritten gefährdet oder ernsthaft beeinträchtigt werden könnte, kann auf diese Daten zugegriffen werden. Die nun fest- gelegte Dauer, für die die Daten gespeichert werden, kann unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Prinzipiell erscheint auch mir die festgesetzte Speicherdauer von 15 Jahren als sehr lang. Unter dem Blickwinkel, dass die Vereinigten Staaten zunächst eine Dauer von 40 Jahren planten, kann man mit der Reduzie- rung um mehr als die Hälfte der Zeit jedoch leben. Doch damit komme ich auch schon zu den negativen Aspekten des vorliegenden Abkommens. Tatsächlich er- folgt nur während der ersten sieben Jahre der gerade be- schriebenen Speicherdauer eine auswertungsfähige Spei- cherung. In den darauffolgenden Jahren sind die Daten gewissermaßen archiviert und nur unter zusätzlichen Da- tenschutzvorkehrungen zugänglich. Warum die US-ame- rikanische Seite dennoch auf einer so langen Speicher- zeit beharrt, macht mich stutzig. Als problematisch betrachte ich es weiterhin, dass die konkreten Vereinbarungen für die Datenübertragung nicht Bestandteil des Vertrages sind, sondern in einem 12602 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Briefwechsel zwischen United States Department of Homeland Security und Europäischer Kommission fest- gehalten wurden, die den Vertrag ergänzen. Auf diese Art und Weise sollten meiner Ansicht nach diese so zen- tralen und wichtigen Regelungen nicht einfach dazuge- geben werden. Wenn ich mir das vorliegende Abkommen über den Austausch von Fluggastdaten anschaue, kann ich fest- stellen, dass die positiven Aspekte die negativen As- pekte schlussendlich überwiegen. Wir kommen nicht umhin, ein neues Abkommen mit den USA zu finden. Wir müssen daher genau abwägen, ob wir das gesamte ausgehandelte Abkommen für nicht zustimmungsfähig erachten, nur weil einige Regelungen weiterhin Ecken und Kanten haben. Ich sage Ihnen, das sollten wir nicht. Ich weise hierbei noch einmal darauf hin, dass dieses Abkommen uns die nötige Rechtssicherheit verschafft, die es ohne einen solchen Vertrag sicher nicht geben würde. Daher werde ich für die SPD-Bundestagsfraktion dem Ihnen vorliegenden PNR-Abkommen 2007 unsere Zustimmung geben. Ernst Burgbacher (FDP): Die FDP-Bundestags- fraktion hat den Bundesinnenminister wiederholt aufge- fordert, sich für ein Abkommen zwischen der EU und den USA einzusetzen. Nachdrücklich habe ich an den Bundesinnenminister appelliert, sich für Rechtssicher- heit einzusetzen und den europäischen Fluggästen sowie den europäischen Fluggesellschaften Klarheit zu ver- schaffen, auf welcher Rechtsgrundlage Daten an die USA übermittelt werden. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb grundsätzlich, dass ein Abkommen zwi- schen der EU und den USA geschlossen und der unhalt- bare Zustand der Rechtsunsicherheit bei der Datenüber- mittlung überwunden wurde. Die FDP-Bundestagsfraktion hat aber auch wieder- holt den Bundesinnenminister darauf hingewiesen, dass er als Vertreter der EU mit den USA auf Augenhöhe ver- handeln und sich für die Wahrung europäischer Daten- schutzstandards einsetzen muss. Dies hat der Bundesin- nenminister leider bei den Verhandlungen versäumt. Eine Vielzahl von datenschutzrechtlichen Bedenken konnten nicht ausgeräumt werden. Sie galten für das ur- sprüngliche Abkommen, welches der EuGH kassierte, und sie sind ohne Abstriche auch für das neue Abkom- men anzubringen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat wiederholt kritisiert, dass im Gegensatz zum ursprünglichen Ab- kommen künftig „alle verfügbaren Daten“ bestimmter Informationsbereiche übermittelt werden. Hier hat somit noch eine Ausweitung der Datenerfassung stattgefun- den. Vor allem wurde aber bemängelt, dass keine Evalu- ierung des Abkommens stattgefunden hat. Vor Ab- schluss eines neuen Abkommens hätte eine umfassende Prüfung erfolgen müssen, ob die Übermittlung der im Abkommen nunmehr aufgeführten 19 Datensätze über- haupt einen Sicherheitsgewinn gebracht hat. Dies er- scheint höchst fraglich. Auch können die europäischen Datenschutzbehörden künftig an einer Überprüfung des Abkommens, dem sogenannten Joint Review, nicht teil- nehmen, da das Abkommen eine Beteiligung der euro- päischen Datenschützer nicht vorsieht. Dies ist ein we- sentlicher Mangel des neuen Abkommens, da hierdurch zu befürchten ist, dass der europäische Datenschutz nicht ausreichend berücksichtigt werden wird. Neben der nicht erfolgten Evaluierung bestehen je- doch weitere Bedenken gegen dieses Abkommen. Der Bundesinnenminister hat nach Abschluss des Abkom- mens erklärt, dass es der EU-Seite gelungen sei, die zu übermittelnde Datensatzmenge von 34 Passagierdaten auf 19 Daten zu reduzieren. Leider hat der Bundesinnen- minister entweder nicht erkannt – oder aber er hat ver- sucht, die Bevölkerung im Unklaren zu lassen –, dass die übermittelten Informationen die gleichen geblieben sind, lediglich einzelne Datengruppen zusammengefasst wur- den. Tatsächlich hat sich an den zu liefernden Daten fast nichts geändert. Auch der Hinweis des Bundesinnenministers, dass sich die Speicherzeit verkürzt habe, geht in der Sache fehl. Die US-Seite hat sich eine Verlängerung der Spei- cherzeit auf bis zu 15 Jahre vorbehalten – und dies nicht nur für die künftig zu sammelnden Daten, sondern auch für diejenigen Daten, die nach dem ursprünglichen Ab- kommen bereits nach dreieinhalb Jahren hätten gelöscht werden müssen. Dies stellt keine Verbesserung des Rechtsschutzes für europäische Fluggäste dar, sondern verschlechtert ihn hingegen noch. Von einer Verhand- lung auf Augenhöhe kann hier nicht mehr die Rede sein. Das US-amerikanische Department of Homeland Secu- rity hat sich in allen Punkten durchgesetzt, und die EU- Seite hat europäische Bedenken gegen das Abkommen in keiner Weise durchsetzen können. Hier hätte der Bun- desinnenminister mit „härteren Bandagen“ in die Ver- handlungen gehen müssen, um gegenüber den USA eu- ropäische Belange mit in das Abkommen einbringen zu können. Auch die europäischen Fluggesellschaften müssen neuerliche Belastungen erdulden. Künftig sollen den US-Behörden die Fluggastdaten bereits eine halbe Stunde vor Abflug in die USA übermittelt werden. Dies wird zu erheblichen Behinderungen beim Check-in füh- ren und weitere Belastungen für die Flugpassagiere brin- gen. Insgesamt führt das Abkommen zwischen der EU und den USA zu keiner Verbesserung hinsichtlich des Daten- schutzes. Auch ist weiterhin völlig unklar, welchen Nut- zen dieses Abkommen bei der Bekämpfung des interna- tionalen Terrorismus bringen wird. Angesichts der Datenmenge, die durch dieses Abkommen durch die USA gesammelt wird, und angesichts der Speicherdauer, die sich die USA vorbehalten, bleibt fraglich, ob Auf- wand und Wirksamkeit in einem angemessenen Verhält- nis stehen. Vor allem aber ist das vorliegende Abkommen in kei- ner Weise geeignet, ein Vorbild für eine europäische Da- tenerfassung darzustellen. Die datenschutzrechtlichen Bedenken bestehen hierbei in gleicher Weise wie bei der Datenweitergabe an die USA. Die Datenerfassung bei besonderen Gefahrenlagen ist bereits nach geltendem EU-Recht möglich, sodass eine Übernahme des vorlie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12603 (A) (C) (B) (D) genden Abkommens zwischen der EU und den USA auf innereuropäische Flüge der falsche Weg wäre. Der Bundesinnenminister ist nicht nur für den Erhalt der inneren Sicherheit zuständig, er hat auch die Wah- rung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Diese hat der Bundesinnenminister bei den Verhandlungen zum Abkommen über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen zwischen der EU und den USA nicht ausreichend berücksichtigt. Jede neue Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung muss einen echten Sicher- heitsmehrwert bringen. Dem Vorrang der Grundrechte hat der Bundesinnenminister auf europäischer Ebene nun endlich ausreichend Rechnung zu tragen. Eine kri- tiklose Übertragung der Regelungen des Abkommens auf die europäische Ebene lehnt die FDP ab. Jan Korte (DIE LINKE): Wer aus EU-Europa in die USA fliegt, wird durchleuchtet. Alles rechtens, behaup- ten Innenminister Wolfgang Schäuble und EU-Verant- wortliche, und dies offenbar ohne zu wissen, was sie da sagen. Als im Mai 2006 der EuGH das Abkommen zur Übermittlung von Fluggastdaten zwischen der EU und den USA kippte, waren die Administrationen in Brüssel und Washington ratlos. Der 2004 geschlossene Vertrag zur Übermittlung von 34 personenbezogenen Informa- tionen europäischer Flugreisender mit Ziel USA wurde damals aufgrund einer fehlenden Rechtsgrundlage für nichtig erklärt. Eile war geboten, ein neues Abkommen musste her. Und so sieht das neue, unter der deutschen Ratspräsidentschaft geschlossene Abkommen auch aus. Eilig und ohne Grundrechtsüberprüfung oder die Einbe- ziehung des europäischen Datenschutzbeauftragten hat man einen Vertrag geschlossen, der viele Fragen unbe- antwortet lässt. Immer wieder wurden die Eile und die fast konspirativen Verhandlungen mit der Furcht seitens des Innenministers begründet, ohne ein Abkommen noch in diesem Jahr würden europäischen Fluggesell- schaften die Landerechte in den USA verweigert. Im Dezember letzten Jahres sorgten Recherchen einer Nachrichtenagentur dann erneut für einige Aufregung, als sich herausstellte, dass Daten der Flugpassagiere aus dem Übergangsabkommen in den USA mit weiteren In- formationen verknüpft und die Passagiere nach ihrem in- dividuellen Sicherheitsrisiko benotet werden. Technisch soll dies durch das „Automated Targeting System“ (ATS) bewerkstelligt worden sein. Die Existenz des be- reits vor vier Jahren eingeführten ATS soll aber den EU- Verantwortlichen nicht bekannt gewesen sein. Dies ver- wundert mich, denn einen ersten Hinweis gab es bereits im März 2005, als der Beauftragte des US-Zolls, Robert C. Bonner, in einer Anhörung vor dem US-Repräsentan- tenhaus auf die Existenz und die Nutzung des ATS auf- merksam machte – und auch darauf, dass es sich dabei nicht nur um ein Kontrollsystem für das Frachtwesen handle, sondern dass es auch zur Risikobewertung von über 87 Millionen Menschen, die über den Luftweg die USA erreichen, genutzt wird. Doch in Brüssel und Ber- lin – so die offiziellen Darstellungen – will man erst im November 2006 von dem computergestützten Bewer- tungssystem erfahren haben, als im „Federal Register“, ähnlich dem Bundesgesetzblatt, die Existenz des Sys- tems mit einer kurzen Notiz öffentlich gemacht wurde. Pikant ist neben dieser „Unwissenheit“ auch die Tatsa- che, dass die PNR-Daten entgegen der Vereinbarung im Übergangsabkommen nicht für dreieinhalb, sondern für letztendlich 40 Jahre gespeichert werden sollten. Die Verhandlungen über ein neues, längerfristiges Abkommen fielen nun in die Zeit des deutschen EU-Vor- sitzes, und heute liegt uns das fertige Dokument vor. Das neue Abkommen, so wird es in dem Vertrags- werk festgehalten, basiert auf den „gemeinsamen Wer- ten“ der EU und der USA in Sachen Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität. Dabei sei der „Austausch von Informationen ein wesent- licher Faktor bei der Bekämpfung des Terrorismus …“. Was jedoch beide Seiten unter der Bekämpfung von Ter- rorismus verstehen, wird nicht ausgeführt. Überhaupt ist weder in der Europäischen Union noch in der Bundesre- publik eine Verständigung darüber geführt worden, was denn unter Terrorismus, ergo auch unter der Bekämp- fung von Terrorismus, zu verstehen ist. Die Antwort auf diese Frage ist die deutsche Regierung bislang schuldig geblieben. Dennoch, so steht es im Abkommen, werden „gemeinsame Werte“ zwischen der USA und der EU im Kampf gegen den Terrorismus vorausgesetzt. Ich hoffe, dass hiermit nicht Werte und Prinzipien wie zum Bei- spiel die „Rendition-Praxis“ gemeint sind. Grundlage des Abkommens zur Übermittlung von Passagierdaten an das US-Heimatschutzministerium (DHS) stellt ein Schreiben der US-Administration dar, in dem – wie es heißt – „Zusicherungen“ bezüglich der Verfahrensweise beim Schutz der PNR-Daten gemacht und erläutert werden. Diese „Zusicherungen“ sind je- doch nicht Bestandteil des Abkommens selbst. Unter Absatz 6 des Abkommens heißt es weiter: „In Bezug auf die Anwendung dieses Abkommens wird davon ausge- gangen, dass das DHS einen angemessenen Schutz der aus der EU übermittelten PNR-Daten gewährleistet.“ Wir beraten heute also über ein Abkommen, dessen we- sentliche Bestandteile zum Schutz personenbezogener Daten lediglich auf einem Schreiben der US-Administra- tion beruhen, in dem „Zusicherungen“ gemacht werden, von denen wir „ausgehen“ sollen, dass diese auch einge- halten werden. Ich bitte Sie, dies kann doch nicht Grund- lage eines seriösen bilateralen Abkommens sein, zumal es sich das Heimatschutzministerium vorbehält, PNR- Daten nach „eigenem Ermessen“ an andere US-Regie- rungsbehörden mit Aufgaben im Bereich der Strafverfol- gung, der öffentlichen Sicherheit oder der Terrorismus- bekämpfung und an sogenannte Drittstaaten weiter zu geben. Im Klartext bedeutet dies, dass auch zukünftig Si- cherheitsbehörden und Geheimdienste wie NSA und FBI über die PNR-Daten im Rahmen ihrer Aufgaben verfü- gen können. Dies wurde jedoch bereits an den beiden Vorgängerabkommen von verschiedenen Seiten kriti- siert. Eine Verbesserung ist in diesem Bereich mit dem neuen Abkommen also nicht erreicht worden. In Absatz 4 des Abkommens wird festgehalten, dass die Durchführung des Abkommens regelmäßig durch die 12604 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) EU und die USA überprüft wird. Im Anhang zum Ab- kommen, also in dem Schreiben der US-Administration an die EU, wird denn auch gleich festgehalten, durch wen auf europäischer Seite diese Evaluierung vorge- nommen werden soll: „Bei der Überprüfung werden die EU durch das für den Bereich Recht, Freiheit und Si- cherheit zuständige Mitglied der Kommission … vertre- ten.“ Gemeint sind Justizkommissar Franco Frattini und seine Mitarbeiter. Der Europäische Datenschutzbeauf- tragte oder die EU-Datenschutzgruppe werden hier er- neut außen vor gelassen. Auch während der Verhandlun- gen über das Abkommen wurden sie nicht einbezogen. Ihre geäußerte Kritik wurde demzufolge auch nicht be- rücksichtigt, wie ein Blick in das vorliegende Abkom- men verrät. Doch nun zu den konkreten Verabredungen im Ab- kommen: Zukünftig sollen alle Passagierdaten zunächst für sieben Jahre in einer aktiven und danach für acht Jahre in einer passiven Vorhaltung vom US-Heimat- schutzministerium gespeichert werden. Die ursprünglich im Übergangsabkommen vorgesehene Speicherfrist von dreieinhalb Jahren stand anscheinend nicht mehr zur De- batte. Trotzdem, so Innenminister Schäuble, seien die nun vereinbarten Speicherfristen ein Erfolg. Als zweiten Erfolg verkauft Wolfgang Schäuble die in Zukunft vorgenommene Art der Datenübermittlung. Spätestens ab 2008 sollen die Fluggesellschaften die Da- ten dann eigenständig übermitteln. Die Sache hat nur ei- nen Haken: Die Umstellung vom Pull- zum Push-System sei nur dann möglich – so die Forderung der US-Heimat- schützer –, wenn die Fluggesellschaften dieselben tech- nischen Standards nutzten wie die US-Behörde. Derzeit trifft dies lediglich auf 13 Unternehmen zu. Dass Mi- chael Chertoff nicht mit handelsüblichen Computerpro- grammen europäische Daten durchleuchtet, scheint lo- gisch zu sein. Dies bedeutet aber letztlich, dass eine Umstellung auf neue technische Systeme auch mit Kos- ten für die Airlines verbunden ist. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Fluggesellschaften, auch um Kosten zu sparen, auf eine Umrüstung verzich- ten und US-Geheimdienste weiterhin direkt aus ihren Systemen Daten abrufen können. Ich frage mich in die- sem Zusammenhang, warum der deutsche Innenminister nicht noch während der deutschen Ratspräsidentschaft im Ministerrat eine Initiative angeschoben hat, die die Fluggesellschaften verpflichtet, ihre technischen Sys- teme anzupassen, wenn dies schon im Abkommen mit den USA vereinbart worden ist. Vielleicht hätten sogar Gelder der EU für die technischen Umrüstungen den Fluggesellschaften zur Verfügung gestellt werden kön- nen, um einen Zugriff US-amerikanischer Dienste auf europäische Datenbanken ausschließen zu können. Doch nichts dergleichen ist passiert. Den größten Erfolg aus Sicht der deutschen Ratsprä- sidentschaft aber soll die Reduzierung der bisher 34 Da- tensätze auf nun 19 darstellen. Ein genauer Blick in den Datenkatalog offenbart jedoch, dass dieser Erfolg kos- metischer Natur ist. Denn auch zukünftig werden nicht nur Informationen zum Passagier selbst, sondern auch zum gesamten Reiseverlauf des Passagiers, alle weiteren verfügbaren Kontaktinformationen und der Name des Sachbearbeiters des Reisebüros gespeichert, der die Reise organisiert hat. Auch hier frage ich mich ernsthaft, warum eine derartige Datenflut notwendig ist. Dabei ignoriert Die Linke mitnichten Sicherheitsbe- dürfnisse. Im Gegenteil, diese sind aus unserer Sicht legi- tim und nachvollziehbar. Auf der anderen Seite aber, ist auch das individuelle Sicherheitsbedürfnis europäischer Bürgerinnen und Bürger in die Betrachtungen des PNR- Abkommens einzubeziehen. Und es muss deutlich gesagt werden, dass hier Versäumnisse offenbar werden. Wir haben es seit einiger Zeit mit einem enthemmten Anti- terrorkampf zu tun. Eine Evaluierung dieses Kampfes findet hingegen nicht statt. Die Linke hätte sich ein Abkommen gewünscht, das beide Sicherheitsinteressen berücksichtigt. Und wir hät- ten uns ein Abkommen gewünscht, in dem die Bedenken der europäischen Datenschützer berücksichtigt worden wären, um einen an der Verhältnismäßigkeit orientierten Datenaustausch – also eine wirkliche Reduzierung der Datensätze – und einen größtmöglichen Grundrechts- schutz zu gewährleisten. Dazu hätte es allerdings auch eines Abkommens bedurft, das alle wesentlichen Be- standteile in einem vereint und nicht mit „Zusicherun- gen“ hantiert. Dies ermöglichte es dann auch den Betrof- fenen, also den Flugpassagieren, sich über ein solches Abkommen zu informieren und gegebenenfalls die ihnen zustehenden Rechte in Anspruch zu nehmen. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht zum ersten Mal beraten wir hier im Parlament über die umfangreiche Weitergabe von Flug- gastdaten an die USA. Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir unsere Reden zu diesem wichtigen Daten- schutzthema zu Protokoll geben. Die offene Debatte zum Abkommen der EU mit den USA zur Übermittlung von Passagierdaten scheut Schwarz-Rot aus guten Grün- den. Bei Lichte betrachtet kann man nur zu dem Schluss kommen, dass hier erneut ein rechtswidriges Abkommen von den Regierungen unterzeichnet wurde. Dieses zweite Abkommen, von der Regierung als Meilenstein ihrer Ratspräsidentschaft gefeiert, ist um keinen Deut besser, als das vom EuGH kassierte erste Abkommen. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Europäische Parla- ment, und mich würde schon interessieren, wie Sie ihren europäischen Schwesterfraktionen die Umsetzung der Resolution erläutern. Mit den Stimmen von SPD und Union fordert das Europaparlament Sie auf, „den Ent- wurf sorgfältig im Licht der in dieser Resolution ange- stellten Beobachtungen zu überprüfen.“ Wie diese Sorg- falt aussieht, darauf bin ich gespannt. Jetzt kriegen wir als nationales Parlament wieder den Ball zugeworfen, werden aber nicht wirklich etwas än- dern können. Die Regierungsfraktionen werden erneut auf den Beschluss des Rates verweisen. Wir drehen uns im Kreis, die Parlamente empören sich, schauen aber letztlich dabei zu, was die Regierungen so treiben. So ist mehr Demokratie durch Europa nicht vermittelbar. Lassen Sie mich zu den kritischen Punkten des Ver- tragswerks kommen. Von Bundesinnenminister Schäuble Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12605 (A) (C) (B) (D) groß gefeiert wurde die Reduzierung der an die US-Be- hörden übermittelten Datenfelder von 34 auf 19. Das war ganz klar eine Mogelpackung, da hier lediglich Da- tenelemente zusammengefasst wurden. Die Anzahl der zu übermittelnden Daten wurde eher erhöht als verrin- gert. Katastrophal ist, dass die Datenschützer nicht mehr an den jährlichen Evaluationen beteiligt sind und die Zweckbindung der Daten völlig unzureichend ist. Die von der Art.-29-Gruppe vorgeschlagene Installation ei- ner Filtersoftware, die lediglich die vereinbarten Daten übermittelt, wurde ebenso wenig durchgesetzt wie die Beibehaltung der ursprünglichen Speicherungsdauer von drei Jahren. Jetzt beträgt sie sieben Jahre mit einer Ver- längerungsoption um weitere acht Jahre. Als Erfolg ge- feiert wird von Bundesinnenminister Schäuble: Es wer- den mehr Daten übermittelt, die Weitergabe der Daten innerhalb der USA ist weniger geschützt, die Lö- schungsfristen wurden erheblich verlängert. Die Freude von Herrn Schäuble ist nur zu verstehen vor dem Hinter- grund, dass es nie sein Ziel war, weniger sensible Daten an die USA zu liefern. Er will die Kopie der amerikani- schen Datensammelwut für Europa. Die Antwort von Schwarz-Rot auf die nach dem euro- päischen und deutschen Datenschutzrecht unzulässige Weitergabe der Fluggastdaten an die USA ist die Ein- richtung eines europäischen Systems zur Speicherung al- ler Fluggastdaten. Von der Ankündigung, das System wenigstens auf das sogenannte Push-System umzustel- len, ist außer leeren Versprechungen wenig geblieben. Nicht weiter hinnehmbar ist, dass die Luftfahrtunterneh- men ihre Kunden über die umfangreiche Weitergabe ih- rer personenbezogenen Daten nicht hinreichend infor- mieren. Wenn die Regierungen an den Parlamenten vorbei so massiv und ungeniert gegen geltendes nationa- les und europäisches Datenschutzrecht verstoßen, bleibt nur die Klärung über die Gerichte. Gert Winkelmeier (fraktionslos): Liest man die Stel- lungnahme des Europäischen Parlaments zu dem hier vorliegenden Fluggastdatenabkommen zwischen der Eu- ropäischen Union und den USA, könnte man fast traurig werden, so viel Bedauern ist dort zu finden. Es ist wirk- lich traurig, was da – unter der Federführung des Bundes- innenministers – zustande gekommen ist. Aber es ist auch in einem Höchstmaße empörend, wie Dr. Schäuble auf europäischer Ebene die Bürgerrechte abbaut und da- bei das EU-Parlament übergeht. Es ist schon ein sehr ge- schickter Umweg. Jetzt kann er auch das hiesige Parla- ment ausbremsen, mit der Begründung, dass die Bundesrepublik dringend ein Gesetz braucht, damit die- ses Abkommen EU-weit ratifiziert werden kann. So viel Nichtachtung parlamentarischer Mitsprache und Kontrolle hat mit Demokratie nicht mehr viel zu tun. Aber das Formale passt wunderbar zu den Inhalten. Denn auch die Art und Weise, wie in diesem Abkommen zur Weitergabe von Fluggastdaten mit datenschutzrecht- lichen Bestimmungen umgegangen wird, ist mit dem de- mokratischen Recht auf informationelle Selbstbestim- mung nicht mehr vereinbar. Aber das stört den deutschen Verfassungsminister wenig. In seinem Sicherheitswahn sind ihm Bürgerrechte längst ein lästiger Dorn im Auge. Die Weitergabe von personenbezogenen Daten ist an sich schon ein massiver Eingriff in die Bürgerrechte. Dass in diesem Abkommen dem US-Heimatministerium aber zugestanden wird, die Daten innerhalb der USA an die verschiedensten Behörden – unter anderem auch an die mehr als zweifelhaften Geheimdienste – weiterzuge- ben, sprengt jeglichen Rahmen. Und dabei bleibt es noch nicht einmal: Das Innenministerium der USA ist zudem befugt, die Fluggastdaten Drittländern zu überlassen. Für all diese Maßnahmen finden sich in dem Abkommen keine klar abgesteckten Regeln. Zwar hat man den Umfang der zu übermittelnden Einzeldaten gegenüber dem bisherigen Abkommen von 34 auf 19 gesenkt, aber das sind nichts als kosmetische Maßnahmen, handelt es sich doch in den meisten Fällen schlicht um Bündelungen mehrerer Einzeldaten. Bei- spielsweise wurden vorher Straße, Postleitzahl und Ort als Einzeldaten behandelt. Jetzt sind sie unter dem Punkt „alle verfügbaren Kontaktinformationen“ zu einem Punkt zusammengefasst worden. Dafür dürfen die Daten in den USA jetzt aber 15 Jahre gespeichert werden, bisher waren es nur 3,5. Allerdings waren bis zu 50 Jahre im Gespräch; die Euro- päische Kommission brüstet sich jetzt mit dem „Ver- handlungserfolg“. Was da hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, soll auch im Weiteren zu einem nicht geringen Teil geheime Verschlusssache bleiben. Statt einen so sensiblen Sachverhalt von einem gewählten Parlament begleiten und gegebenenfalls auch kontrollieren zu las- sen, schafft man Tatsachen in Hinterzimmern. Das ist nicht nur schlechter Stil; es hat auch mit De- mokratie nicht mehr viel zu tun. Auch deshalb hat das Europäische Parlament die na- tionalen Parlamente aufgefordert, das Abkommen im parlamentarischen Prozess sehr sorgsam zu prüfen. Die Bundesregierung scheint dieses Ansinnen des EU-Parla- ments nicht sonderlich ernst zu nehmen. Wie anders lässt sich erklären, dass die Debatte zu einem so heiklen Thema mitten in der Nacht auf die Tagesordnung gesetzt wird! Aber auch das passt ins Bild. Anlage 28 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge- setzbuch (Tagesordnungspunkt 17) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Den größten Teil des Arbeitslosengeldes II schultert der Bund. Die Kom- munen übernehmen überwiegend die Wohnkosten der Hilfeempfänger, wobei sie dafür einen Zuschuss vom Bund erhalten. Im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch wurde die Bundesbe- teiligung für die Jahre 2005 und 2006 auf jeweils 29,1 Prozent festgelegt. Ende vergangenen Jahres wurde 12606 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) mit dem Gesetz zur Änderung des SGB II und des Fi- nanzausgleichsgesetzes die durchschnittliche Bundesbe- teiligung für das Jahr 2007 auf 31,8 Prozent festgelegt. Diese Regelung war und ist in besonderer Weise fair – fair nämlich gegenüber Bundesländern wie Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz. Bei ihnen wäre es bei einer bundeseinheitlichen Beteiligung des Bundes von 31,8 Prozent zu den bekannten „horizontalen Ver- werfungen“ gekommen. An der bundesweiten Entlas- tung von 2,5 Milliarden Euro hätten dann vor allem Kommunen aus diesen beiden Bundesländern nicht an- gemessen partizipieren können. Aus diesem Grund wurde ein horizontaler Ausgleich unter den Ländern ge- schaffen. Durch das einstimmige Votum im Bundesrat wurde die Bundesbeteiligung für Baden-Württemberg auf 35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 41,2 Pro- zent erhöht. Gleichzeitig hatten sich die anderen 14 Län- der auf eine Bundesbeteiligung in Höhe von 31,2 Pro- zent geeinigt. In dem Anpassungsgesetz hatte man sich auch darauf geeinigt, dass die Höhe der Bundesbeteiligung in den Jahren ab 2008 bis 2010 nach einer gesetzlich vorge- schriebenen Anpassungsformel ermittelt wird. Inner- halb der Anpassungsformel spielt die Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften eine wesentliche Rolle. Um es kurz zu fassen: Mehr Bedarfsgemeinschaften be- deuten mehr Bundeszuschuss. Weniger Bedarfsgemein- schaften bedeuten weniger Bundeszuschuss. Dass sich die Zahl der Bedarfsgemeinschaften verrin- gert hat, lässt sich nicht von der Hand weisen. Gab es im Juni 2006 in Deutschland knapp 4 107 000 Bedarfsge- meinschaften; sank die Zahl im Juni 2007 auf 3 742 199. Betrachtet man sich nun die vorläufigen Daten für Sep- tember 2007, ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften nochmals gesunken, und zwar auf 3 518 681. Das sind positive Entwicklungen, an denen der Bund wesentlich mitgewirkt hat. Durch das Erste SGB-II-Än- derungsgesetz können Jugendliche unter 25 Jahren nicht mehr so einfach auf Kosten des Staates von zu Hause ausziehen und eine eigene Bedarfsgemeinschaft grün- den. Mittlerweile ist die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in diesen Fällen von der Zusi- cherung des kommunalen Trägers abhängig. Der Bund hat sich seit der Einführung des SGB II den Kommunen gegenüber immer als verlässlicher Partner gezeigt. Das beweisen auch die Zahlen. Für seine Betei- ligung an den Wohn- und Heizkosten wird der Bund bis Ende dieses Jahres 4,3 Milliarden Euro an die Kommu- nen überweisen. Diese Summe ist mehr als das Doppelte von dem, was der Regierungsentwurf zum Bundeshaus- halt ursprünglich für das Jahr 2007 vorgesehen hatte. Da sich nun die Zahl der Bedarfsgemeinschaften verringert hat, wird der Bund für das Jahr 2008 300 Millionen Euro weniger an die Kommunen überweisen, aber im- mer noch rund 4 Milliarden Euro. Auch mit diesem Be- trag verhält sich der Bund den Kommunen gegenüber fair und zeigt seine Verlässlichkeit. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass trotz weni- ger Bedarfsgemeinschaften die Kosten gestiegen sind. Dennoch halte ich es für notwendig, dass wir dieses Ge- setz beschließen. Im Bundesrat werden dann, wenn not- wendig, weitere Beratungen stattfinden. Der Bund bleibt dabei, dass wir die Kommunen um 2,5 Milliarden Euro entlasten wollen. Das ist der Maßstab, der letztendlich bei einer möglichen Prüfung des Belastungsvolumens zu berücksichtigen ist. Jörg Rohde (FDP): Gesetze werden nicht besser, in- dem man sie jährlich neu auflegt. Dies gilt auch für das Gesetz über die anteilige Kostenbeteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der vorliegende Gesetzentwurf soll sicherstellen, dass die Kommunen auch 2008 um 2,5 Milliarden Euro im Bereich des SGB II entlastet werden. Sämtliche kom- munalen Spitzenverbände bezweifeln aber, dass die Ent- lastung in dieser Höhe erreicht werden wird. Denn der Annahme des Bundes, dass allein infolge des Rückgangs der Zahl der Bedarfsgemeinschaften automatisch auch die Kosten der Unterkunft sinken werden, stehen nach- gewiesene Kostensteigerungen bei den Kommunen für die KdU entgegen. Die FDP hat bereits im vergangenen Jahr kritisiert, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften allein als Be- rechnungsgrundlage für die Höhe des Bundeszuschusses zu kurz greift. Denn trotz einer sinkenden Zahl von Be- darfsgemeinschaften sind die Kosten vieler Kommunen für Unterkunft und Heizung gestiegen. Die Gründe dafür sind vielfältig und der Bundesregierung sowie den Ko- alitionsfraktionen durchaus bekannt: steigende Energie- kosten und Mieten, Zuschüsse zu den Unterkunftskosten für BAföG-Bezieher, Inflation etc. Der Städtetag hat ausgerechnet, dass allein im zwei- ten Halbjahr 2006 die durchschnittlichen Kosten für Un- terkunft und Heizung pro Bedarfsgemeinschaft von 290 Euro auf 316 Euro gestiegen sind. Das entspricht ei- ner Zunahme von fast 10 Prozent in einem halben Jahr, die die Kommunen tragen müssen. Dazu kommt, dass auch immer mehr Erwerbstätige mit niedrigen Einkommen, die sogenannten Aufstocker, Zuschüsse zu den Unterkunftskosten nach SGB II bean- tragen. Circa 530 000 Menschen erhalten derzeit neben ihrer Erwerbstätigkeit Unterkunftsleistungen nach SGB II. Gerne erläutere ich am Beispiel der Stadt Erlangen einmal die Diskrepanz zwischen dem Rückgang der Be- darfsgemeinschaften und der Entwicklung der KdU. Zwar ist in Erlangen in den ersten acht Monaten 2007 die Zahl der Bedarfsgemeinschaften um 11 Prozent zu- rückgegangen, die Leistungen zu den Kosten der Unter- kunft sind im gleichen Zeitraum jedoch nur um gerade einmal 3 Prozent gesunken. Bundesweit ist hier übrigens kein Rückgang, sondern ein Anstieg der KdU-Kosten um circa 10 Prozent zu verzeichnen. Bei einer Kürzung der Bundesbeteiligung wie vorgesehen müsste allein der Stadt Erlangen im nächsten Jahr ein Defizit von voraus- sichtlich 300 000 Euro aus städtischen Mitteln ausglei- chen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12607 (A) (C) (B) (D) Auch die Regelsatzerhöhung in diesem Jahr wirkt sich indirekt auf die Kosten der Unterkunft aus und be- lastet die Kommunen bei den Kosten der Unterkunft zu- sätzlich. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung auf stei- gende Kosten der Kommunen mit einer Senkung des Bundeszuschusses reagiert, selbst dann nicht, wenn die Zahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt. Bedarfsgemeinschaften lassen sich nicht als Rechen- größe über einen Kamm scheren. Ein Singlehaushalt verursacht niedrigere Miet- und Heizkosten als eine Großfamilie. Legt man hier einen Mittelwert zugrunde, werden zum Beispiel automatisch Kommunen in Gegen- den mit einer höheren Kinderzahl pro Familie benachtei- ligt. Auch verändert sich die Zahl der Bedarfsgemein- schaften innerhalb eines Jahres ständig. Die FDP hat sich im vergangenen Jahr noch bei der Abstimmung enthalten, obwohl schon damals nicht die tatsächlichen KdU-Kosten als Berechnungsgrundlage verwendet wurden. Mit unserer Enthaltung haben wir honoriert, dass immerhin im Vergleich zu den Vorjahren Planungssicherheit für die Kommunen bei der Bundes- beteilung zu den KdU hergestellt wurde. Ich fordere die Fraktionen der Regierungskoalition auf: Suchen Sie das Gespräch mit den kommunalen Spit- zenverbänden und überdenken Sie den Gesetzentwurf. Die Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro muss gesetzlich eindeutig gewährleistet sein. Ist dies nicht der Fall und kommt es nicht zu einer Korrektur des Gesetzentwurfes in Richtung einer Orientierung an den tatsächlichen KdU-Kosten, werden wir den Gesetzent- wurf ablehnen. Katja Kipping (DIE LINKE): Ursprünglich wurden von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder den Kommunen finanzielle Einsparungen durch Hartz IV in Höhe von 2,5 Milliarden Euro ver- sprochen. Davon spüren die meisten Kommunen nichts. Es ist fraglich, ob der Bundeszuschuss in seiner jetzigen Höhe diese Einsparungen garantiert. Vielmehr geht es heute nur noch darum, die Mehrausgaben, die auf Kom- munen im Zuge von Hartz IV zugekommen sind, wenigstens in Grenzen zu halten. Und dies ist mehr als angebracht. Denn: Erwerbslosigkeit ist ein gesamtgesell- schaftliches Problem. Die daraus resultierenden Kosten dürfen weder auf den Einzelnen noch auf die Kommu- nen abgewälzt werden. Insofern ist die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft, die von den Kom- munen zu tragen ist, politisch erforderlich. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt nun lediglich eine gesetzliche Bestimmung um und ist insofern eher formal. Der eigentliche Stein des Anstoßes ist die zu- grunde liegende Norm, der § 46 SGB II mit seiner An- passungsformel. Diese Formel ist abzulehnen, denn die- ser Paragraf ist schlichtweg nicht sachgerecht. Zur Entstehung dieser Anpassungsformel: Seit In- krafttreten des SGB II ist die Kostenbeteiligung des Bundes zwischen Kommunen und Bund umstritten. Für die Jahre 2005 und 2006 wurde die Bundesbeteiligung auf 29,1 Prozent festgelegt und – nach langen Diskussio- nen – für 2007 auf durchschnittlich 31,8 Prozent angeho- ben. Die Beteiligung ist für 2007 nach Ländern unter- durchschnittlich: Baden Württemberg erhält 35,2 Pro- zent, Rheinland-Pfalz 41,2 Prozent und die anderen Län- der 31,2 Prozent. Dieser Verteilungsschlüssel wurde mit 16 : 0 Stimmen im Bundesrat akzeptiert. Für die Fort- schreibung der Bundesbeteiligung wurde jedoch in § 46 SGB II eine Anpassungsformel aufgenommen, die sich an der Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften orien- tiert. Wenn die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften zu- nimmt, steigt auch die Bundesbeteiligung und vice versa. Die Linke lehnt eine Fortschreibung auf der Grund- lage dieser Anpassungsformel ab. Schließlich steht die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften in keinem systemati- schen und faktischen Zusammenhang mit der Entwick- lung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Wenn die Zahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt, bedeutet dies nicht automatisch, dass es weniger Bedürftige und An- spruchsberechtigte gibt. Die Zahl der Bedarfsgemein- schaften kann auch sinken, weil mehr Menschen zusam- men in einer Bedarfsgemeinschaft leben müssen. Faktisch sind die Bedarfsgemeinschaften größer gewor- den – nicht zuletzt aufgrund der Einordnung der Men- schen unter 25 in die elterliche Bedarfsgemeinschaft – und damit auch die entsprechenden Kosten der Unter- kunft gestiegen. Dies gesteht die Bundesregierung in ei- nem Schreiben an den Haushaltsausschuss vom 28. Sep- tember auch ein. Die Gesamtausgaben sind 2007 gegenüber 2006 angestiegen, während die Zahl der Be- darfsgemeinschaften rückgängig war. Die Gesamtausga- ben für Kosten der Unterkunft – Bund und Kommunen – belaufen sich 2007 auf schätzungsweise 13,8 bis 14,2 Milliarden Euro, von denen der Bund 4,4 bis 4,5 Milliarden übernimmt. Für 2008 wird ein „leichter Rückgang der Gesamtausgaben“ angenommen, gleich- zeitig aber die Bundesbeteiligung aufgrund der Anpas- sungsformel deutlich reduziert. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gesteht auch zu, dass der Finan- zierungsanteil der Kommunen bei einer rückläufigen Anzahl an Bedarfgemeinschaften steigt. Das muss man sich noch einmal vergegenwärtigen: Der Bund kann durch entsprechende Gesetzgebung, wie zum Beispiel durch die Verschärfung der Regelungen für unter 25-jährige Erwachsene, darauf hinwirken, dass die Zahl der Bedarfgemeinschaften sinkt. Im Zuge dessen verringert sich der Anteil des Bundes. Die Kosten, die jedoch für die Kommunen anfallen, sinken womöglich nicht in dem Maße oder bleiben sogar konstant. Die An- passungsformel führt faktisch zu einer Verlagerung der Kosten der Unterkunft auf die Kommunen. Damit wer- den die Kosten von Erwerbslosigkeit und Niedriglöhnen auf die Kommunen abgewälzt. Dem kann die Fraktion die Linke nicht zustimmen. Der Anpassungsmechanismus in § 46 SGB II muss in dem Sinne geändert werden, dass er auf die faktischen Gesamtausgaben bezogen wird. Prinzipiell sollte der Anteil des Bundes auch insgesamt erhöht werden. 12608 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch im letzten Jahr hatten sich Bund und Länder auf einen Verteilungsschlüssel für die Kosten der Unterkunft von ALG-II-Beziehenden geeinigt und eine Anpassungsfor- mel für die kommenden Jahre vereinbart. Trotz verfas- sungsrechtlich fragwürdiger Sonderregelungen, die zwei Bundesländer gegenüber den übrigen finanziell begüns- tigten, schien die Frage der Finanzverteilung zwischen Bund und Kommunen bei den Unterkunftskosten im SGB II letztlich gelöst. Allerdings stellen in diesem Jahr die Kommunen fest, dass die Kosten für Unterkunftsleis- tungen von ALG-II-Beziehenden im letzten Jahr um rund 10 Prozent gestiegen sind. Nach dem Willen der Koalition wird der Bund hingegen seinen Anteil an der Finanzierung dieser Leistungen um 400 Millionen Euro – dies sind ebenfalls circa 10 Prozent seines Anteils – re- duzieren. Die Große Koalition verweist – durchaus mit Recht – auf die gesunkene Zahl der Bedarfsgemein- schaften, die entsprechend der mit allen Bundesländern vereinbarten Anpassungsformel maßgeblich für die Fort- schreibung der Kostenbeteiligung des Bundes bis zu- nächst 2010 ist. Wir sind allerdings der Meinung, dass man auch die Sorgen der Kommunen zumindest ernsthaft prüfen und langfristig tragfähige Lösungswege in der Dauerstreit- frage der Wohnkosten suchen muss. Denn: Wir wissen aus dem Wohngeld- und Mietenbericht, dass die warmen Betriebskosten – Heizung und Warmwasser – um 35 Prozent gestiegen sind. Zudem sank zwar die Zahl der Bedarfsgemeinschaften zwischen Juli 2006 bis Juni 2007 um 3,5 Prozent, von 3,96 Millionen auf 3,835 Mil- lionen Bedarfsgemeinschaften im gleichen Zeitraum je- doch hat sich die Zahl der Personen pro Bedarfsgemein- schaft von durchschnittlich 1,81 auf 1,92 erhöht. Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung ist die von der Koalition zum 1. Juli 2006 vorgenommene Ein- schränkung des Rechts hilfebedürftiger junger Men- schen auf eine eigene Wohnung. Diese sozialpolitisch äußerst fragwürdige Regelung zeigt inzwischen ihre be- absichtigten finanzpolitischen Wirkungen. Aufgrund der in der Anpassungsformel festgelegten Orientierung an der Größe der Bedarfsgemeinschaften geht dies aller- dings zulasten der Kommunen. Um eine nachhaltige Lösung bei der Finanzierung der Kosten der Unterkunft zu erzielen, muss man sowohl bei der Finanzaufteilung als auch bei den Leistungsinstru- menten ansetzen. Will man die Kostenbelastung neu ver- teilen, so scheidet eine Orientierung an den tatsächlichen Ausgaben für die Kosten der Unterkunft von vornherein aus, weil die Vorstellungen der Vertreter von Kommu- nen, Land und Bund hinsichtlich der Berechnungsgrund- lage für die tatsächlichen Ausgaben weit auseinander- driften. Damit hätte man den Verteilungskonflikt für die nächsten Jahre fortgeschrieben. Von daher kommt nur eine Veränderung der in § 46 Abs. 7 SGB II festgelegten Anpassungsformel in Betracht. Der entscheidende Fak- tor, der die Höhe der Bundesbeteiligung bestimmt, ist die relative Veränderung der Zahl der Bedarfsgemein- schaften. Nicht berücksichtigt wird die Zahl der Perso- nen in den Bedarfsgemeinschaften und die Ausgaben für Unterkunft und Heizung pro Bedarfsgemeinschaft. Bündnis 90/Die Grünen halten deshalb eine Korrektur der in § 46 Abs. 7 SGB II festgelegten Anpassungsfor- mel in der Weise für denkbar, dass die Anpassungsfor- mel um eine Variable ergänzt wird, die die Veränderung der Personenzahl in Bedarfsgemeinschaften berücksich- tigt. Doch selbst mit einer Änderung der Anpassungsfor- mel würde man jedoch das eigentliche Problem nicht wirklich lösen, denn die Zahl derjenigen, die so wenig verdienen, dass sie ergänzend das Arbeitslosengeld II beantragen müssen – Aufstocker –, wächst. Rund 1,1 Millionen Beschäftigte sind auf ALG-II-Leistungen angewiesen. Davon beziehen rund 530 000 Personen ausschließlich Unterkunftsleistungen. Im Vergleich dazu sind mit den Reformen am Arbeitsmarkt die Kosten für das von Bund und Ländern getragene Wohngeld rapide zurückgegangen. Wurden im Jahre 2004 noch 5,2 Mil- liarden Euro für Wohngeld ausgegeben, so waren es in 2005 nur noch 1,2 Milliarden Euro. Die letzte Anpas- sung des Wohngeldes an die Mietpreisentwicklung er- folgte im Jahre 2001. Da die Unterkunftsleistungen des ALG II höher sind als das Wohngeld nach dem Wohn- geldgesetz, beantragen immer mehr Niedrigverdiener er- gänzendes ALG II statt Wohngeld. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Übel an der Wurzel anzupacken, statt mit den Kommunen Finanzie- rungskonflikte auszutragen. Zum einen ist durch eine konsequente Ausweitung von Mindestlöhnen – meiner Meinung nach am besten durch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn – die Zahl der Niedriglöhner einzudämmen. Zum anderen muss mit einer längst fälli- gen Anpassung der Wohngeldhöhe das Wohngeld wieder als vorgelagertes Sicherungssystem etabliert werden. Zu unserem Bedauern unternehmen bisher weder die Bun- desländer noch die Bundesregierung in dieser Hinsicht irgendwelche Anstrengungen. Mit dem erst kürzlich vorgelegten Entwurf zur Änderung der Wohngeldgeset- zes – Drucksache 16/6543 – versäumt es die Regierung, das Wohngeld seit 2001 erstmals wieder anzuheben. Die Kommunen werden deshalb auch in kommenden Jahren steigende Unterkunftskosten zu beklagen haben. Das in- zwischen etablierte Verteilungsspiel wird jedes Jahr von neuem beginnen. Die Bundesländer und diese Regierung sind aufgefor- dert, endlich eine langfristig tragfeste Lösung auszuhan- deln, die nicht zulasten Dritter geht. Am Ende des Tages sind es schließlich die Langzeitarbeitslosen, die durch eine restriktive Handhabung der Angemessenheit der Wohnung zu Umzügen gezwungen werden oder die aus dem Regelsatz ihre Mietzahlung bestreiten müssen. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Soziales: Bundestag und Bundesrat haben sich im Vermittlungsausschuss 2004 darauf ver- ständigt, dass die Kommunen im Zuge der Umsetzung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt um insgesamt 2,5 Milliarden Euro entlastet werden sollen. In § 46 Abs. 5 SGB II wurde dieses Ziel gesetzlich verankert. Ziel dieser Entlastung war es auch, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 12609 (A) (C) (B) (D) den Kommunen finanziellen Spielraum für den Ausbau von Kinderbetreuungsmaßnahmen einzuräumen. Um das Ziel der Entlastung zu erreichen, haben Bun- destag und Bundesrat – ebenfalls im Vermittlungsaus- schussverfahren 2004 – vereinbart, dass sich der Bund an den Kosten der Unterkunft von SGB-II-Beziehern be- teiligt. Im 1. SGB-II-Änderungsgesetz wurde im De- zember 2005 für die Jahre 2005 und 2006 die Bundesbe- teiligung abschließend auf 29,1 Prozent festgelegt. Für das Jahr 2007 wurde nach langen Verhandlungen mit den Ländern letzten Herbst eine Vereinbarung getrof- fen, die im Wesentlichen zwei Punkte umfasst: Erstens. Die Bundesbeteiligung an den Leistungen der Kommunen für Unterkunft und Heizung wurde für das Jahr 2007 im Bundesdurchschnitt auf 31,8 Prozent festgesetzt. Aus Sicht des Bundes ergibt sich daraus eine deutlich höhere Entlastung als die zugesagten 2,5 Milliarden Euro. Für 14 Länder wurde die Bundesbeteiligung auf 31,2 Prozent festgelegt, für Baden-Württemberg auf 35,2 Prozent und Rheinland-Pfalz auf 41,2 Prozent. Zweitens. Die Berechnung zur Be- und Entlastung der Gesamtheit der Kommunen wurde geändert. Sie war zuvor von den Ländern immer wieder streitig gestellt worden. Wir haben deshalb vereinbart, dass die weitere Anpassung von der Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II abhängen sollte. Gerade die zweite Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt, da auf diese Weise keine fiktive Berechnung der Entlastungen der Kommunen mehr vorgenommen wer- den muss. Eine solche fiktive Rechnung – das wissen wir alle – wird immer schwieriger, je weiter man sich von dem Ausgangsjahr 2004 entfernt. Um es an dieser Stelle klar zu sagen: Trotz der verän- derten Berechnungsmethode steht der Bund zu der Zu- sage, die Kommunen um insgesamt 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten. Insgesamt – das ist wichtig; denn der Bund kann nicht die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Das lässt unsere Finanzverfas- sung nicht zu. Ich weiß, dass sich manche wünschen, der Bund würde auch lokal für einen Ausgleich sorgen. Hier sind aber eindeutig die Länder gefordert. Sie müssen im Zuge des kommunalen Finanzausgleichs für einen angemesse- nen Ausgleich sorgen. Wenn nun die Höhe der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung im Jahr 2008 be- stimmt wird, dann ist die Anpassungsformel maßgebend, auf die wir uns im vergangenen Jahr im Bundestag und im Bundesrat geeinigt haben und die gesetzlich veran- kert ist. Der Mechanismus ist klar: Die jahresdurchschnittli- che Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Jahresmitte 2006 bis Jahresmitte 2007 wird ins Verhältnis zu der jah- resdurchschnittlichen Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Jahresmitte 2005 bis Jahresmitte 2006 gesetzt. Aus der sich ergebenden Veränderung – multipliziert mit dem Faktor 0,7 – resultiert die Veränderung der Bundesbetei- ligung in Prozentpunkten. Die Berechnungen haben eine durchschnittliche Ver- änderung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Höhe von minus 3,7 Prozent und damit eine erforderliche An- passung der Bundesbeteiligung in Höhe von minus 2,6 Prozentpunkten ergeben. Dementsprechend muss – das ist der Auftrag des Gesetzes – die Bundesbeteili- gung an den Leistungen für Unterkunft für 2008 auf bun- desdurchschnittlich 29,2 Prozent angepasst werden. Die im letzten Jahr vereinbarten unterschiedlichen Bundesbeteiligungen für Rheinland-Pfalz und Baden- Württemberg sowie für die restlichen 14 Länder führen dazu, dass die Bundesbeteiligung in 2008 für 14 Länder gemäß der Anpassungsformel auf eine Höhe von 28,6 Prozent, für Baden-Württemberg auf 32,6 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 38,6 Prozent festzulegen ist. Das ist das, worauf wir uns Ende 2006 geeinigt haben. Die gemeinsam gefundene Regelung setzt der vorge- legte Gesetzentwurf um – eins zu eins. Einen substan- ziellen Hintergrund für die hier und da geäußerte Kritik kann ich deshalb nicht erkennen. Im Bundesrat wurde mit überwiegender Mehrheit diesem Berechnungsmodus zugestimmt. Heute, nach einem Jahr, will keiner mehr etwas davon wissen. Eine Anpassung der Bundesbeteili- gung auf Basis der Ausgabenentwicklung würde bedeu- ten, dass der Bund über die Bundesbeteiligung die Mehr- kosten tragen würde. Die Kommunen hätten dann keine finanziellen Anreize mehr, auf die Angemessenheit der Leistungen hinzuwirken. Darüber hinaus wird jetzt gefordert, dass die notwen- dige Anpassung der Bundesbeteiligung für das Jahr 2008 für jedes der 16 Länder gesondert, also in unterschiedli- chem Umfang, erfolgt. Das entspricht meines Erachtens nicht mehr den Intentionen des Gesetzgebers und den im Vermittlungsauschuss getroffenen Vereinbarungen. Es ist vereinbart, die Kommunen in der Gesamtheit um jährlich 2,5 Milliarden Euro zu entlasten. Ich betone es noch einmal: Der Bund kann nicht die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Für eine spezifische Entlastung einzelner existieren andere Ausgleichsme- chanismen unterhalb der Bundesebene. Bürokratieabbau ist ein Gebot unserer Zeit. Deshalb haben wir in den Gesetzentwurf eine weitere Regelung aufgenommen, die dieser Maxime Rechnung tragen und den Verwaltungsaufwand reduzieren soll. Worum geht es? Im letzten Jahr wurde mit dem Gesetz zur Änderung des SGB II und des Finanzausgleichgesetzes die bis da- hin geltende periodengerechte Abgrenzung der KdU-Er- stattung präzisiert. Es hat sich zwischenzeitlich aber he- rausgestellt, dass diese Präzisierung zwar sachgerecht und korrekt war, in der Verwaltungspraxis jedoch zu ei- nem erheblichen Mehraufwand führt. Im Rahmen dieses Gesetzes soll daher ergänzend mit einer gesetzlichen Anpassung eine verwaltungsprakti- kable Umsetzung dieser Präzisierung ermöglicht wer- den. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz. 120. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24 Anlage 25 Anlage 26 Anlage 27 Anlage 28
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Klaus Brandner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Ich vertraue den Experten, die schon zu dem Zeit-

    punkt, als das Thema noch nicht politisch umstritten
    war, Zahlen genannt haben. Damals ging man von
    800 Millionen Euro aus; das ist die Orientierungsgröße.
    Ich bin davon überzeugt: Wenn die konjunkturelle Ent-
    wicklung weiterhin gut verläuft, ist die Summe wahr-
    scheinlich niedriger, weil Ältere dann mehr Chancen auf
    Beschäftigung haben; das ist das eigentliche Ziel. Wir
    wollen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I nur
    deshalb verlängern, weil wir vielen Menschen in diesem
    Land die Angst nehmen wollen. Das Alter ist nach wie
    vor ein hohes Arbeitsplatzrisiko. Wir müssen deshalb
    eine Brücke für die Betroffenen bauen.

    Frau Hajduk, eine Zwischenbemerkung: Wir haben in
    der rot-grünen Regierung einen Gesetzentwurf beschlos-
    sen, der im Bundesrat – die CDU/CSU-regierten Länder
    hatten die Mehrheit – hängen geblieben ist. Wenn dieses
    Gesetz in Kraft getreten wäre, wäre die Bezugsdauer des
    Arbeitslosengeldes I heute noch länger. Insofern muss
    ich an Ihr Gedächtnis appellieren. Sie sollten wissen,
    dass wir das in der Finanzplanung hätten berücksichti-
    gen müssen.


    (Beifall bei der SPD)


    Entscheidend für uns ist, dass wir Brücken bauen, so-
    lange das Risiko der Arbeitslosigkeit für Ältere groß ist.
    Wir wollen aber nicht nur die Bezugsdauer des Arbeits-
    losengeldes verlängern, sondern wir wollen diesen Be-
    zug mit Aktivierungsmaßnahmen verbinden. Wir wollen
    sicherstellen, dass in erster Linie die Beschäftigung das
    Ziel ist. Es kann schon gar nicht das Ziel sein, der Früh-
    verrentung wieder Tür und Tor zu öffnen.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Für uns ist klar, dass es nicht infrage kommt, dass wir
    die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengel-
    des I für einen besonders gefährdeten Personenkreis da-
    durch erkaufen, dass eine Verkürzung der Bezugsdauer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Klaus Brandner
    des Arbeitslosengeldes I für Jüngere oder für diejenigen,
    die eine unterbrochene Erwerbsbiografie haben, be-
    schlossen wird. Wir wollen keine Chancen nehmen, son-
    dern wir wollen durch die Arbeitsmarktpolitik sicherstel-
    len, dass für das Fördern ein ausreichender Zeitraum zur
    Verfügung steht. Das ist nachhaltige Arbeitsmarktpoli-
    tik. Indem wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I
    für besonders Gefährdete ausdehnen, helfen wir mit, das
    Fordern zu legitimieren. Fördern und Fordern müssen in
    einem gerechten Verhältnis zueinander stehen.

    Von den Regelungen des SGB III sind zurzeit circa
    1 Million Arbeitslose betroffen. Die Bundesagentur für
    Arbeit hat ein ganz erhebliches Budget für Weiterbil-
    dungsmaßnahmen – das muss man auch den Kollegen
    der Fraktion Die Linke sagen –, das nicht ausgeschöpft
    wird.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das haben wir doch gesagt!)


    Wir haben sichergestellt, dass trotz eines erheblichen
    Rückgangs der Arbeitslosigkeit das Budget für Aktivie-
    rungsmaßnahmen nicht angetastet worden ist, sondern
    auf einem hohen Niveau festgeschrieben worden ist,
    weil für uns das Fördern und Unterstützen ein wesentli-
    cher Punkt der Arbeitsmarktpolitik sind.


    (Beifall bei der SPD)


    Wir wollen mithelfen, dass Menschen durch Qualifi-
    zierungsmaßnahmen unterstützt werden. Uns liegt etwas
    an einer hochwertigen Arbeitsvermittlung. Arbeits-
    marktpolitik ist für die Sozialdemokraten mehr als der
    Versuch, die Beiträge so weit wie möglich zu senken und
    die Langzeitarbeitslosen über Steuermittel zu finanzie-
    ren. Priorität haben deshalb Weiterbildung und Qualifi-
    zierung. Das sollte – das will ich ganz deutlich sagen –
    nicht erst beim Eintritt in die Arbeitslosigkeit geschehen.
    Auch die Unternehmen haben eine Weiterbildungsver-
    antwortung. Nur 14 Prozent der 25- bis 64-jährigen Er-
    werbstätigen nehmen in Deutschland an berufsbezoge-
    ner Weiterbildung teil. Das ist an sich ein Skandal,
    zumal wenn man sich vor Augen hält, dass in Skandina-
    vien 45 Prozent der Menschen regelmäßig an berufsbe-
    zogener Weiterbildung teilnehmen. Was die betriebliche
    Weiterbildung angeht, ist Deutschland ein Entwick-
    lungsland. Das muss sich ändern.


    (Beifall bei der SPD)


    Bei der Weiterbildung haben wir viele Themenfelder
    vor Augen. Ich nenne die Beratung in der Schule, insbe-
    sondere vor dem Eintritt in die Berufsausbildung, in der
    Ausbildung, bei den Übergängen aus der Familienzeit
    oder Pflegezeit.


    (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nennen Sie mal langfristige Weiterbildungsmaßnahmen, nicht nur sechs oder zwölf Monate!)


    Da gibt es ein großes Aufgabenfeld. Es geht nicht in ers-
    ter Linie um Beitragssatzsenkung, sondern es geht um
    eine Arbeitsmarktpolitik, die den veränderten Erwerbs-
    biografien ebenso Rechnung trägt wie den hohen Quali-
    fikationsansprüchen infolge des internationalen Wettbe-
    werbs.
    Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Die Qua-
    lität der Arbeitsmarktpolitik zeigt sich auch bei der Aus-
    schreibung von Maßnahmen. Wir stehen dafür, dass bei
    den Maßnahmen nicht der Preis, sondern die Qualität im
    Vordergrund steht. Daher erinnern wir daran, dass zum
    Beispiel die Tariftreue bei der Vergabe von Aufträgen
    für uns ein wesentlicher Punkt ist. Die Weiterbildung
    muss ein qualitativ hohes Niveau aufweisen. Deshalb
    sollte es für uns selbstverständlich sein, dass in Weiter-
    bildungseinrichtungen nicht für Dumpinglöhne gearbei-
    tet wird. Nur qualifiziertes Personal sorgt dafür, dass
    qualitative Weiterbildung geleistet wird.

    Keinen Vorrang hat für uns die Senkung der Beitrags-
    sätze. Die allerhöchste Priorität hat der Abbau der Ar-
    beitslosigkeit. Dieser gelingt am ehesten durch einen er-
    weiterten Arbeitsmarkt. Die beste Arbeitsmarktpolitik,
    die wir betreiben können, besteht darin, die 1 Million
    freien Stellen, die wir zwischenzeitlich haben, durch
    Qualifizierungs- und Unterstützungsmaßnahmen schnel-
    ler zu besetzen. Dann können wir am Ende auch am
    ehesten die Beiträge senken, weil das weniger Ausgaben
    für passive Leistungen bedeutet.


    (Beifall bei der SPD)


    Zum Umbau der Finanzstruktur ist hier heute eine
    Menge gesagt worden, was ich nicht wiederholen will.
    Wir finden es richtig, dass der Aussteuerungsbetrag ab-
    geschafft wird, dass ein Versorgungsfonds eingerichtet
    wird. Wir haben immer gesagt: Wir wollen keine Ar-
    beitsmarktpolitik, die einen Beitrag zu Stop-and-go-Ak-
    tivitäten leistet. In diesem Zusammenhang müsste man
    der FDP einen ganz besonderen Vortrag halten; denn die
    Historie dieser Partei zeigt, dass sie mit dafür verant-
    wortlich war, dass die Beiträge zur Sozialversicherung
    während ihrer Regierungszeit am stärksten angehoben
    wurden. Sie hat dabei immer Pate gestanden.


    (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)


    Aus diesem Grund – man betrachte die Zeit vor 1998, in
    der sie mitregiert hat – steht es ihr am wenigsten zu, eine
    Senkung der Lohnnebenkosten zu fordern.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das meinen Sie wohl nicht ernst, Herr Brandner!)


    Lassen Sie mich ein deutliches Wort dazu sagen, dass
    die Arbeitsmarkterfolge langsam auch bei den Langzeit-
    arbeitslosen ankommen. Im September gibt es 317 000
    Langzeitarbeitslose weniger. Das ist ein Minus von
    11 Prozent. Was uns dabei besonders berührt, ist, dass
    sich viele Langzeitarbeitslose aufgrund der Lohndrücke-
    rei durch die Arbeitgeber in einer äußerst schlechten fi-
    nanziellen Situation befinden. Das kann so nicht hinge-
    nommen werden. Immer mehr Menschen müssen als
    Aufstocker Leistungen der Bundesagentur oder der Ar-
    beitsgemeinschaften beanspruchen; in diesem Land sind
    es über 1 Million Menschen, von denen über 500 000
    quasi vollzeitbeschäftigt tätig sind.

    Ich sage ganz deutlich: Ein wesentliches Element des
    Einsparens finanzieller Mittel ist die Schaffung einer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Klaus Brandner
    Lohnunterschranke, also eines gesetzlichen Mindest-
    lohns,


    (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Unseren Antrag haben Sie abgelehnt! So eine Heuchelei!)


    sodass nicht immer mehr Arbeitgeber dazu beitragen
    können, die Löhne zu drücken und sich anschließend
    beim Sozialamt oder bei der Bundesagentur zu bedienen.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich herausstel-
    len: Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ar-
    beitnehmer-Entsendegesetzes, das wir morgen früh ein-
    bringen werden, soll letztendlich dazu beitragen, dass
    auch bei einer weiteren Branche, nämlich bei den Brief-
    zustellern, eine Lohnunterschranke geschaffen wird. Das
    ist ein Beitrag dazu, dass die Finanzgrundlagen der Bun-
    desagentur auf einem guten Niveau bleiben. Das, was
    ich gerade angesprochen habe – die Fantasie der Wettbe-
    werber, die sich im Dumpingwettbewerb, beispielsweise
    mit der Post, durchsetzen wollen –, ist so nicht hinnehm-
    bar.

    Zum Beispiel hat die Bild-Zeitung als Haupteigentü-
    merin der PIN AG – übrigens mit Sitz in Luxemburg,
    also in dem Land, in dem die höchsten Mindestlöhne in
    Europa gezahlt werden – eine Kampagne gegen das
    Post-Entsendegesetz betrieben. Daher müssen wir uns
    Gedanken machen, wie wir mit dem Thema „Markt und
    Medienmacht“ in diesem Land umgehen.


    (Beifall bei der SPD)


    Für uns steht fest: Wir wollen eine qualitativ hoch-
    wertige und zuverlässige Post in München, in Chemnitz
    und auch auf den Halligen. Deshalb brauchen wir ver-
    nünftig bezahlte Beschäftigte, die ihrer Arbeit nachge-
    hen können. Wir brauchen baldmöglichst einen flächen-
    deckenden Mindestlohn. Das ist kein Lippenbekenntnis.



Rede von Petra Pau
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

Kollege Brandner, das müssen wir dann morgen früh

im Rahmen der Debatte über das Entsendegesetz fortset-
zen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Klaus Brandner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Wir wollen das in diesem Parlament vielmehr zügig

    umsetzen.

    Deshalb: Die gute Finanzsituation ist eine Chance für
    eine gute Arbeitsmarktpolitik. Das ist auch für diejeni-
    gen eine Chance, die vom Aufschwung ansonsten nicht
    profitieren würden.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)